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German Pages 531 [532] Year 2004
STEFAN KRÄTSCHMER
Die Integration von Staatsverträgen in nationales IPR und IZPR am Beispiel der italienischen IPR-Kodifikation von 1995
Schriften zum Internationalen Recht Band 140
Die Integration von Staatsverträgen in nationales IPR und IZPR am Beispiel der italienischen IPR-Kodifikation von 1995
Von
Stefan Krätschmer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-10737-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort In den 60er Jahren begannen die ersten kontinentaleuropäischen Staaten ihre IPR-Vorschriften der „ersten Stunde" zu reformieren. Auch in Italien wurde bereits in dieser Zeit ein erster Entwurf zur Neufassung der bisherigen kollisionsrechtlichen Bestimmungen des codice civile ausgearbeitet. Erst nach einem zweiten Entwurf sind diese Reformbemühungen in den 80er Jahren verstärkt worden und endeten schließlich im neuen italienischen IPR-Gesetz von 1995. Das Gesetz bietet als eine der jüngsten umfassende IPR-Gesamtkodifikation Europas ein anschauliches Beispiel für die neueste Entwicklung des internationalen Privat- und Verfahrensrechts. Eine der wesentlichen Anforderungen an nationale Regelungen dieser Rechtsgebiete liegt in deren Anpassung an bestehendes staatsvertragliches Recht. Infolge der zunehmenden Internationalisierung des Rechts durch multilaterale Abkommen insbesondere im Rahmen der Haager Konventionen und der Europäischen Union hat auch der italienische Gesetzgeber diesem Bedürfnis Rechnung getragen. Vor allem die sog. besonderen Hinweisnormen des italienischen IPR-Gesetzes tragen nicht nur zum Gleichlauf von nationalem und internationalem Recht bei, sondern machen diesen auch für den Rechtsanwender transparent. Die folgende Arbeit bietet einführend eine Übersicht zur Entstehung, Grundstruktur und zum Anwendungsbereich des italienischen IPR-Gesetzes (Kapitel I und II).
Ihr Schwerpunkt liegt in einer Darstellung des Verhältnisses von nationalem und internationalem Recht und der Formen der Koordinierung und Harmonisierung dieser beiden Rechtsbereiche durch das italienische IPR-Gesetz. Dabei wird dieses Verhältnis allgemein skizziert (Kapitel III) und im Anschluss daran werden vor allem die besonder«! Hinweisnormen des Gesetzes ausführlich untersucht {Kapitel IV). Kapitel V behandelt die Vorschriften des internationalen Verfahrensrechts, die sich in weiten Teilen an das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 (EuGVÜ) - nunmehr EuGVO - anlehnen; zudem werden Kollisionsnormen besprochen, die ebenfalls bewusst staatsvertragliches Recht übernehmen oder von diesem abweichen. Abschließend wird in Kapitel VI die Frage der Auslegung von Staatsverträgen und an diese angelehnten nationalen Vorschriften sowie insbesondere der Auslegungskompetenz des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) erörtert.
Vorwort
8
Infolge der erweiterten Anwendung der EuGVO und des Römischen Vertragsrechtsabkommens von 1980 (EVÜ) durch die besonderen Hinweisnormen des italienischen IPR-Gesetzes gilt es zu klären, ob sich die Zuständigkeit des EuGH auch auf Fälle erstreckt, in denen im Ausgangsrechtsstreit staatsvertragliches Recht nur kraft nationaler Gesetzgebung zur Anwendung kommt. Ein ähnliches Problem besteht auch im deutschen Recht infolge der umstrittenen Umsetzung des EVÜ in das deutsche EGBGB. Die Dissertation lag der Universität Regensburg zum Wintersemester 2000 / 2001 vor. Danach erschienene Literatur und neue Entwicklungen des IPR und IZPR wurden bis Herbst 2003 berücksichtigt. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. multi. Dieter Henrich, für die Freiheit bei der Gestaltung der Arbeit und deren jederzeitfreundliche Begleitung. Herrn Professor Dr. Andreas Spickhoff danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Alessio Zaccaria (Verona) für die Möglichkeit eines Forschungs- und Lehraufenthaltes an der Universität von Verona. Weiter möchte ich mich bei allen bedanken, die die Arbeit in ihrer Entstehung begleitet und mich dabei auf vielfaltige Weise unterstützt haben, insbesondere Christoph Kuntz (Nürnberg) und Stephan Wagner (Hamburg) sowie Regine Wolf (Regensburg) für die Mühe des Korrekturlesens. Mein besonderer Dank gilt Kerstin Gonda (München), die mir in der Entstehungsphase dieser Arbeit fortlaufend zur Seite gestanden und für diese so manche Entbehrung auf sich genommen hat. München, Dezember 2003
Stefan Krätschmer
Inhaltsübersicht
Kapitel I
Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien: Entstehung und Grundstruktur des italienischen IPR-Gesetzes § 1 Die Entstehungsgeschichte des IPRG
34
§ 2 Motive und Notwendigkeit der Reform
37
§ 3 Der Charakter des Gesetzes
50 Kapitel II
Der Anwendungsbereich des IPRG § 4 Definition „Internationales Privatrecht" (Auslandsbezug)
65
§ 5 Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes
70
§ 6 Der zeitliche Anwendungsbereich des Gesetzes § 7 Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.)
80 89
Kapitel III
Allgemeines zum IPRG und den Staatsverträgen § 8 Staatsverträge im italienischen Recht § 9 Der Rang der Staatsverträge im innerstaatlichen Recht
105 110
§ 10 Die Staatsverträge und das IPRG
119 Kapitel IV
Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57,59 I IPRG § 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen § 12 Art. 42 IPRG (Minderjährigenschutz) § 13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht)
141 169 194
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse) § 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
208 242
Inhaltsübersicht
10
Kapitel V
Die Anlehnung von IPRG-Normen an staatsvertragliche Regelungen § 16 Verfahrensrecht
284
§ 17 Die Kollisionsnormen
374 Kapitel VI
Die Auslegung von Staatsverträgen und die EuGH-Zuständigkeit § 18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R. d. IPRG
439
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
456
Kapitel VII
Zusammenfassung
Anhang I: IPR-Regelungen europäischer Staaten
507
Anhang II: Übersicht zu multilateralen Staatsverträgen
509
Literaturverzeichnis
514
Sach- und Personenverzeichnis
530
Inhaltsverzeichnis Kapitel I
Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien: Entstehung und Grundstruktur des italienischen IPR-Gesetzes § 1 Die Entstehungsgeschichte des IPRG
34
§2
Motive und Notwendigkeit der Reform
37
I.
Spezifität der Regelungen und Flexibilität der Anknüpfungen
38
II.
Anpassung an das Sachrecht
38
1. Gleichheitsgrundsatz
39
a) Das Familiengesetz von 1975 b) Das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1983
39 40
c) Die Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes
42
2. Das Adoptionsgesetz von 1983
42
3. Das Scheidungsgesetz von 1970
43
III.
Anpassung an die Entscheidungen des Corte Costituzionale (Artt. 18, 20 disp. prel.)
44
IV.
Anpassung an staatsvertragliches Kollisionsrecht
48
V.
Reformdruck durch die IPR-Reformen anderer europäischer Staaten
§3
48
Der Charakter des Gesetzes
50
I. II.
Die Kodifikationen von 1865 und 1942 (Das „System Mancini") Die Charakteristika des IPRG 1. Der Umfang der Reform (Kodifikationscharakter)
50 52 53
2. Die Staatsangehörigkeitsanknüpfung (Nationalitätsprinzip)
55
3. Die Flexibilität der Anknüpfung
55
4. Weitere Merkmale des IPRG
58
a) Privatautonomie
58
b) Geschlechtsneutrale Anknüpfung
59
c) Form Vorschriften
59
d) Der Schutz des Schwächeren
61
nsverzeichnis 5. Internationale Öffnung
62
a) Das Verhältnis zu anderen Rechtsordnungen
62
aa) Die Gleichwertigkeit ausländischer Rechtsordnungen
62
bb) Das „Heimwärtsstreben" im IPRG
63
b) Das Verhältnis zum internationalen Recht
64
Kapitel II
Der Anwendungsbereich des IPRG §4
§5
Definition „Internationales Privatrecht" (Auslandsbezug)
65
I.
Allgemeines
65
II.
Auslandsbezug durch Rechtswahl im Vertragsrecht
66
Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes
70
I.
Allgemeines zur Aufhebung bisheriger Vorschriften
70
II.
Ausdrücklich aufgehobene Vorschriften gemäß Art. 73 IPRG
71
1. Artt. 17-31 disp.prel 2. Zivilgesetzbuch (Gesellschaftsrecht)
71 71
3. Zivilprozessordnung
73
Weitergeltende IPR-Normen außerhalb des neuen Gesetzes
74
III.
§6
1. Schiedsgerichtsbarkeit
74
2. Insolvenzrecht
75
3. Familienrecht
75
4. Schiff- und Luftfahrtsrecht
78
5. Zivilprozessordnung
79
Der zeitliche Anwendungsbereich des Gesetzes
80
I.
Das Inkrafttreten des Gesetzes
80
1. Das allgemeine Inkrafttreten
80
2. Das Inkrafttreten des Titel IV des IPRG
80
Der Anknüpfungspunkt fur den zeitlichen Anwendungsbereich
82
1. Die Grundregel des Art. 72 11. Hs. IPRG
82
II.
a) Prozessuale Anknüpfung b) Verfahren i. S. d. Art. 72 I I . Hs., II IPRG c) Der Beginn eines Verfahrens 2. Ausnahmen vom Grundsatz des Art. 72 11. Hs. IPRG
82 83 84 84
nsverzeichnis
§7
13
a) „Situazioni esaurite" (Art. 72 12. Hs. IPRG)
84
b) Die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte (Art. 72 II IPRG)
86
c) Eingriffsnormen?
87
Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.)
89
I. II.
Allgemeines zur Bestimmung des Art. 16 disp. prel Der begrenzte Anwendungsbereich des Art. 16 disp. prel
89 96
1. Die verfassungsrechtliche Beschränkung des Art. 16 disp. prel
96
2. Art. 16 disp. prel. und internationale Verträge
III.
99
3. Spezialregelungen
100
4. Zusammenfassung
102
Die Reform des Gegenseitigkeitsgrundsatzes
102
Kapitel III
Allgemeines zum IPRG und den Staatsverträgen § 8 verfassungsrechtliche Staatsverträge im italienischen Recht (volkerrechtliche und Grundlagen)
§9
105
I.
Der völkerrechtliche Dualismus
105
II.
Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts
106
III.
Die internationalen Verträge
107
Der Rang der Staatsverträge im innerstaatlichen Recht
110
I.
Grundlagen
110
II.
Diskussion in Deutschland zum Vorrang der Staatsverträge auf der Grundlage der lex-specialis-Regel
112
1. Der gesetzgeberische Wille
113
2. Der Anwendungsbereich der Staatsverträge
114
Diskussion in Italien zum Vorrang der Staatsverträge
116
III.
§ 10 Die Staatsverträge und das IPRG I.
119
Techniken der Integration von Staatsverträgen in nationales IPR
119
1. Obersicht
119
2. Das allgemeine Verhältnis von nationalem und internationalem IPR 120 3. Die Einarbeitung von staatsvertraglichen Regelungen in nationales IPR
121
nsverzeichnis a) Allgemeines Exkurs:
121
Terminologie zu den Instrumentarien
der
Harmonisierung (der Begriff des „rinvio")
122
b) Staats Verträge ohne innerstaatliche Geltung
124
c) Staatsverträge mit innerstaatlicher Geltung
125
4. Die Hinweis- und Kopiermethode bei innerstaatlich in Kraft befindlichen Staatsverträgen
126
5. Die Reform des internationalen Vertragsrechts im österreichischen IPRG II.
132
Die Umsetzung der Techniken in das IPRG
134
1. Die allgemeine Hinweisnorm des Art. 2 I IPRG 2. Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 3 II 1, 42 I, 45, 57, 591 IPRG 3. An Staats Verträge angelehnte Normen des IPRG
134 136 138
Kapitel IV
Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45,57, 59 I IPRG (die „in ogni caso"-Formel) §11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
141
I.
Allgemeine Diskussion
141
II.
Bewertung
143
1. Anknüpfungsgegenstände
143
2. Der Begriffen ogni caso"
145
a) Die Anwendung der Verträge „erga omnes" Exkurs:
Staatsverträge und Kollisionsnormen mit erga- omnes-Wirkung
145 145
b) Die Erweiterung des zeitlichen Anwendungsbereiches (Art. 72 IPRG und die staatsvertraglichen Bestimmungen)
150
c) Die Vorbehalte der Konventionen
152
d) Die Änderungen der Staatsverträge
158
e) Die allgemeinen IPR-Vorschriften der Staatsverträge
161
aa) Allgemeine Diskussion und die Artt. 13, 17, 18 IPRG
161
bb) Art. 16 IPRG (ordre public)
164
f) Die „Teilfragen" der Geschäftsfähigkeit und der Formwirksamkeit
167
nsverzeichnis §12 Art. 42 IPRG (Minderjährigenschutz) I.
II. III.
15 169
Die Neuregelung des Art. 42 IPRG
169
1. Die bisherige Regelung des Minderjährigenschutzes
170
2. Der Mindeijährigenschutz in den Entwürfen zum IPRG
170
Weitere Staatsverträge zum Mindeijährigenschutz Der persönliche Anwendungsbereich (Minderjährige)
172 174
1. Die Bestimmung der Minderjährigkeit
174
2. Sog. „emanzipierte" Minderjährige
175
IV.
Der räumliche Anwendungsbereich
177
V.
Der sachliche Anwendungsbereich
177
1. Schutzmaßnahmen (Art. 1 MSA) 2. Gesetzliche Gewaltverhältnisse (Art. 3 MSA)
177 179
a) Art. 3 MSA als zuständigkeitsbegründende Norm
180
b) Art. 3 MSA als Kollisionsnorm
181
3. Fazit VI. Der Anwendungsbereich „hinsichtlich der Staaten" VII. Die internationale Zuständigkeit und Anerkennung ausländischer Maßnahmen
182 182 183
1. Die internationale Zuständigkeit
183
2. Die Anerkennung ausländischer Maßnahmen
184
VIII. Zusammenfassung
185
IX.
Die Reform des MSA - Inkrafttreten des KSÜ in Italien
186
1. 2. 3. 4.
186 188 189 190
Entstehung, Regelungsbereiche und Inkrafttreten des KSÜ Das Verhältnis zu anderen Abkommen Der persönliche Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich
5. Der räumliche Anwendungsbereich, der Bezug zu Vertragsstaaten, die Internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und das Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht 6. Der Anwendungsbereich „hinsichtlich der Vertragsstaaten"
191 192
7. Die Auswirkungen des KSÜ auf Art. 42 IPRG
193
§ 13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht)
194
I.
Die Neuregelung des Art. 45 IPRG
194
II.
Das Verhältnis zum USTAK und anderen Staatsverträgen
195
1. Das Verhältnis zum USTAK
195
16
nsverzeichnis
III.
2. Das Verhältnis zu anderen Staatsverträgen
197
Der sachliche Anwendungsbereich
199
1. Unterhaltspflichten i. S. d. Art. 1 USTA 2. Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches des USTA durch Art. 45 IPRG?
199 200
a) Schenkungs- und Erbrecht
201
b) Vertragliche Unterhaltspflichten
201
c) Unerlaubte Handlungen
203
IV.
Die Vorfrage des familienrechtlichen Verhältnisses
204
V.
Zusammenfassung
206
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
208
I.
Die Neuregelung des Art. 57 IPRG
208
II.
Spezielle Regelungen
209
1. Staatsverträge
209
a) Kaufrecht
210
b) Factoring und Finanzierungsleasing
211
2. EG-Recht
III.
212
a) Klauselrichtlinie
212
b) Versicherungsverträge
213
3. Nationales Recht
213
Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 57 IPRG („vertragliche Verpflichtungen") 1. Art. I U I EVÜ 2. Art. I I I EVÜ
214 215 215
a) Art. 1 II a) EVÜ (Personenstand sowie Rechts-, Geschäftsund Handlungsfähigkeit)
216
b) Art. 1 II b) EVÜ (Familien- und Erbrecht)
218
c) Art. 1 II c) EVÜ (Wertpapierrecht)
219
d) Art. 1 II d) EVÜ (Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen) ..219 aa) Prozessuale Zulässigkeit und Wirkung
220
bb) Form
220
cc) Materiellrechtliche Einigung und Wirksamkeit
223
e) Art. 1 II e) EVÜ (Gesellschaftsrecht)
225
f) Art. 1 II f) EVÜ (Stellvertretungsrecht)
226
g) Art. 1 II g) EVÜ („trusts")
227
nsverzeichnis
17
aa) Kollisionsrechtliche Einordnung von „trusts"
228
bb) Das Haager trust-Abkommen und das IPRG
229
h) Art. 1 II h) EVÜ (Beweiserhebung und Verfahren) 3. Schenkungsrecht
232 232
a) Schenkungen im italienischen Zivilrecht b) Schenkungen i. R. d. EVÜ
233 234
c) Schenkungen i. R. d. IPRG
236
IV.
Verfiigungsgeschäfte
239
V.
Zusammenfassung
240
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
242
I.
Die Neuregelung des Art. 59 IPRG
II.
Die Rechtsnatur der Wertpapiere nach italienischem und deutschem Recht
244
III.
Die Wertpapiere im italienischen IPR nach bisherigem Recht
246
IV.
Die Rechtsverhältnisse im Wertpapierrecht (Wertpapiere betreffende Bestimmungen des IPRG neben dem Art. 59 IPRG)
248
1. Die Kausal Verhältnisse
249
V.
2. Das Wertpapierrechtsstatut
250
3. Das Wertpapiersachstatut
253
Die Genfer Abkommen zum internationalen Wechselund Scheckprivatrecht (Art. 59 I, II IPRG )
254
1. Die „Vorbehalte" der Konventionen
255
a) Vorbehalte oder Fakultativklauseln? Exkurs:
Der Unterschied zwischen Vorbehalten und Fakultativklauseln
b) Die Rechtslage vor Inkrafttreten des IPRG
256 257
262
aa) Artt. 10(W),9(S)
263
bb) Artt. 2 III, 3 III (W) und Artt. 2 III, 4 III (S)
264
c) Die Rechtslage i. R. d. IPRG aa) Artt. 10(W),9(S) bb) Artt. 2 III, 3 III (W) und Artt. 2 III, 4 III (S)
VI.
242
266 266 266
2. Rück- und Weiterverweisung (Art. 2 12 ( W, S) und Art. 13 IPRG)
268
3. Art. 63 II 1. camb. / Art. 55 II 1. ass. (ausländische Wechsel / Schecks als Vollstreckungstitel)
270
Art. 59 III (sonstige „handelbare" Wertpapiere)
272
nsverzeichnis
18 1. Staatsverträge
273
2. Der Anwendungsbereich des Art. 59 III IPRG („handelbare Wertpapiere" i. S. d. Art. 1 II c) EVÜ)
274
a) Autonome Auslegung des Begriffs der „handelbaren Wertpapiere"?
274
b) Der Begriff des „Handelbarkeit" und der Umfang des Ausschlusses vom Anwendungsbereich des EVÜ
277
c) „Handelbare Wertpapiere" nach deutschem und italienischem materiellen Recht 3. Die Anknüpfungen des Art. 59 III IPRG VII. Nicht handelbare Wertpapiere VIII. Zusammenfassung
278 281 282 283
Kapitel V
Die Anlehnung von IPRG-Normen an staatsvertragliche Regelungen § 16 Verfahrensrecht I.
II.
284
Übersicht
284
1. Das Zuständigkeitsrecht
284
2. Die Grundzüge des Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts sowie der internationalen Rechtshilfe
285
a) Das Anerkennungsrecht
286
aa) Bisheriges Recht
286
bb) Die Neuregelung
287
b) Das Vollstreckungsrecht
290
c) Die internationale Rechtshilfe
290
Die internationale Zuständigkeit
291
1. Terminologie 2. Die Grundzüge des bisherigen und des neuen Rechts
291 292
a) Die internationale Zuständigkeit nach bisherigem Recht
292
b) Die Grundzüge der Neuregelung
294
3. Übersicht zur internationalen Zuständigkeit nach dem IPRG
295
a) Internationale Abkommen
295
b) Die Zuständigkeitsregelungen des IPRG
298
4. Art. 3 IPRG a) Art. 3 I IPRG
299 299
nsverzeichnis
19
aa) Anknüpfungen und Anwendungsbereich
299
bb) Die Bestimmung der Anknüpfungen: Insbesondere der Begriff des „Wohnsitzes" im internationalen Recht
300
Exkurs:
Die Anknüpfung an den „ domicile / domicilio " bzw. „ Wohnsitz " im internationalen Recht
b) Art. 3 II 1 IPRG
302
306
aa) Übersicht zu Art. 3 II 1 IPRG
306
bb) Die Vorbehalte der Artt. 8,15 I, 181 EuGVO
307
cc) Artt. 13, 17, 21 EuGVO dd) Die Begründung von örtlichen Zuständigkeiten c) Art. 3 II 2 IPRG
308 310 311
aa) Übersicht zu Art. 3 II 2 IPRG
311
bb) Der allgemeine Klägergerichtsstand nach Art. 18 II c. p.c
313
cc) Die Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs (Artt. 31 -36, 102, 105 - 107 c. p. c.)
314
(1) Die Einbeziehung der Vorschriften der Zivilprozessordnung
314
(2) Parallelen der Artt. 31 - 36 c. p. c. zu Art. 6 EuGVO
317
5. Die speziellen Zuständigkeitsvorschriften des Titel III des IPRG
321
a) Allgemeines zum Verhältnis der besonderen zu den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften 321 b) Die besonderen Zuständigkeitsvorschriften im Einzelnen 6. Art. 4 IPRG (Gerichtsstandsvereinbarungen und rügelose Einlassung)
324 326
a) Bisheriges Recht
326
b) Internationale Abkommen
328
c) Die Neuregelung des Art. 4 IPRG
329
aa) Der Anwendungsbereich der Vorschrift
329
(1) Allgemeines
329
(2) Die Artt. 28, 29 c. p. c. und das Verhältnis des Art. 4 IPRG zu den objektiven Zuständigkeitsvorschriften
330
(3) Gerichtsstands Vereinbarungen bei ausschließlichen objektiven Zuständigkeiten
332
(4) Sonstiges
334
bb) Art. 4 I IPRG (Prorogation und rügelose Einlassung) (1) Allgemeines (2) Der schriftliche Nachweis der Prorogation
335 335 335
20
nsverzeichnis (3) Der Zeitpunkt von Gerichtsstandsvereinbarungen (perpetuatio fori)
337
(4) Die rügelose Einlassung
338
cc) Art. 4 II, III IPRG (Derogation)
339
(1) Derogation durch Prorogation
339
(2) Disponible Rechte
340
dd) Die Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen
342
(1) Begründung von ausschließlichen Zuständigkeiten
342
(2) Begründung von örtlichen Zuständigkeiten
343
7. Art. 7 IPRG (ausländische Rechtshängigkeit) a) Übersicht aa) Bisheriges Recht bb) Die Neuregelung des Art. 7 IPRG und das ergänzende Anerkennungsrecht cc) Rechtshängigkeit, Präjudizialität und Zusammenhang von anderen Verfahren nach italienischem Prozessrecht b) Art. 7 I, II IPRG (Rechtshängigkeit)
344 344 344 346 347 349
aa) Internationale Bestimmungen zur ausländischen Rechtshängigkeit
349
bb) Parallelen zu Art. 27 EuGVO
350
cc) Unterschiede zu Art. 27 EuGVO (1) Parteiantrag (2) Anerkennungsprognose
354 354 356
dd) Der Streitgegenstandsbegriff („il medesimo oggetto e il medesimo titolo")
358
(1) Die Rechtsprechung des EuGH
359
(2) Der Streitgegenstand im italienischen Prozessrecht
361
(3) Der Streitgegenstandsbegriff in Art. 7 I IPRG
363
ee) Die Parteiidentität
365
c) Art. 7 III IPRG (Präjudizialität)
366
aa) Vergleichbare Regelungen bb) Einordnung im IPRG
366 368
cc) Vergleich mit Art. 28 EuGVO
369
8. Weitere Parallelen des Zuständigkeitsrechts zur EuGVO
371
nsverzeichnis a) Art. 5 IPRG (Dingliche Klagen über im Ausland belegene Immobilien)
371
b) Art. 6 IPRG (Vorfragen)
371
c) Art. 11 IPRG (Der Einwand der fehlenden Gerichtsbarkeit)
373
§17 Die Kollisionsnormen I.
21
374
Art. 48 IPRG (Testamentsform)
374
1. Die Neuregelung des Art. 48 IPRG
374
2. Der Anknüpfungsgegenstand („forma del testamento")
375
a) Allgemeine Abgrenzung
375
aa) Die Abgrenzung zu den Artt. 46, 47 IPRG im Allgemeinen
377
cc) Gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge
378
b) Gemeinschaftliche Testamente
380
(1) Die Zulässigkeitsfrage im deutschen IPR
380
(2) Die Zulässigkeitsfrage im italienischen IPR
381
c) Erbverträge
383 383
3. Die Anknüpfungspunkte des Art. 48 IPRG 4. Weitere Staatsverträge zum Erbrecht Art. 60 IPRG (Vollmacht)
386 387 388
1. Die Neuregelung des Art. 60 IPRG (Anwendungsbereich und Rechtsvergleichung) 2. Die Vollmacht nach bisherigem Recht
388 393
3. Art. 60 I IPRG (Die Anknüpfungen des Vollmachtsstatuts)
395
a) Die Grundzüge der Neuregelung (selbständige Anknüpfung und Interessenausgleich)
III.
379
aa) Die Zulässigkeit gemeinschaftlicher Testamente
bb) Die Formwirksamkeit gemeinschaftlicher Testamente
II.
375
bb) Das Formstatut des Testaments Widerrufs
395
b) Art. 60 11 IPRG
397
c) Art. 60 12 IPRG
400
4. Die Rechtswahl
401
5. Art. 60 II IPRG (Formstatut)
402
Art. 63 IPRG (Produkthaftung)
404
1. Die Eigenständigkeit der Produkthaftung gegenüber dem allgemeinen Deliktsrecht
404
22
nsverzeichnis a) Die Produkthaftung im IPR
404
b) Die abzuwägenden Interessen bei der Auswahl der Anknüpfungspunkte
405
c) Die Produkthaftung im materiellen Recht
406
2. Die Anknüpfungen des Haager Produkthaftungsabkommens, anderer,nationaler IPR-Gesetze und des Vorschlages fur eine „Rom ΙΓ-Verordnung a) Das Haager Produkthaftungsabkommen
407
b) Andere nationale IPR-Gesetze
409
c) Der Vorschlag für eine „Rom ΙΓ-Verordnung
412
3. Internationale Produkthaftung nach bisherigem italienischen Recht und die Vorentwürfe zum IPRG
414
a) Bisheriges Recht
414
b) Die Vorentwürfe zum IPRG
415
4. Die Regelung des Art. 63 IPRG
416
a) Das allgemeine Deliktsstatut des Art. 62 IPRG
416
b) Allgemeines zur Neuregelung des Art. 63 IPRG
418
c) Der Anwendungsbereich des Art. 63 IPRG
419
aa) Die Qualifikation lex fori oder lex causae
419
bb) Die Ansprüche der Produkthaftung (Der Anwendungsbereich des Art. 63 IPRG) cc) Die Beteiligten (Verpflichteter / Geschädigter)
420 425
dd) Die Produkte
427
ee) Die Sicherheits- und Verhaltens Vorschriften
428
d) Die Anknüpfungspunkte des Art. 63 IPRG
IV.
407
430
aa) Die Rechtswahl
431
bb) „Domicilio" bzw. Verwaltungssitz des Verpflichteten
433
cc) Der Erwerbsort
434
Zusammenfassung
437
Kapitel VI
Die Auslegung von Staatsverträgen und die EuGH-Zuständigkeit § 18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R d. IPRG I.
439
Die Auslegung der Staatsverträge und der besonderen Hinweisnormen (Artt. 3 II 1, 42 I, 45, 57, 59 I IPRG)
439
1. Allgemeines zur Auslegung von Staats Verträgen (Art. 2 II IPRG) und die Rechtsprechung des EuGH
439
nsverzeichnis
23
2. Auslegung und Subsumtion
444
a) Begriffsbestimmung und Abgrenzung (Die kollisionsrechtliche „Qualifikation") b) Insbesondere: Die Begriife des „Erfüllungsortes" und des „Wohnsitzes"
444 .
aa) Der „Erfüllungsort" gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVO bb) Der Begriff des „Wohnsitzes"
449 449 452
3. Die Auslegung der Staatsverträge i. R. d. besonderen Hinweisnormen des IPRG
453
Die Auslegung von an staatsvertragliche Regelungen angelehnten Bestimmungen des IPRG
454
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
456
II.
I.
II.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen und Problemstellungen bei der Auslegung der EuGVO und des EVÜ 1. Die Auslegungsprotokolle und Art. 68 EGV
456
2. Die Vorlageverfahren
459
3. Problemstellungen i. R. d. deutschen EGBGB und des italienischen IPRG im Hinblick auf die Auslegungskompetenz des EuGH
461
Die EuGH-Rechtsprechung zum Vorabentscheidungsverfahren
461
1. Allgemeines zum Vorabentscheidungs verfahren
462
a) Der Auslegungsgegenstand
462
b) Die Entscheidungserheblichkeit
463
2. Die EuGH-Rechtsprechung zu Vorlagen, bei deren Ausgangs verfahren die Auslegungsgegenstände keine direkte Anwendung finden
465
a) Die „Dzodzi-Rechtsprechung"
465
b) Die Kleinwort-Benson-Entscheidung
468
c) Die Rechtssachen Leur-Bloem und Giloy
470
3. Allgemeines zur ΒindungsWirkung von Vorabentscheidungen
III.
456
472
a) Die Bindungs Wirkung im Ausgangs verfahren
472
b) Die „Präjudizwirkung" der Vorabentscheidungen
474
4. Zusammenfassung
476
Die Problematik des EVÜ i. R. d. deutschen EGBGB
477
1. Die Inkorporation des EVÜ in das EGBGB 2. Die Problemstellung
477 480
nsverzeichnis 3. Die zukünftige Auslegungszuständigkeit des EuGH im Falle der unmittelbaren Anwendung der Artt. 27 - 37 EGBGB
481
a) Die Aufhebung von Art. 1 II des deutschen Zustimmungsgesetzes zum EVÜ
481
b) Die Begründung der Auslegungszuständigkeit durch das erste EVÜ-Auslegungsprotokoll
483
c) Die Zuständigkeit infolge der Bindungswirkung von EuGH-Entscheidungen
485
d) Das deutsche Zustimmungsgesetz zu den EVÜ-Protokollen
488
4. Die Auslegungszuständigkeit des EuGH für aus den Artt. 27-37 EGBGB ausgegliederte Regelungen des EVÜ und die Fälle der analogen Anwendung der Artt. 27 - 37 EGBGB
490
a) Die ausgegliederten Regelungen des EVÜ
490
b) Die analoge Anwendung der Artt. 27 - 37 EGBGB
492
5. Die Rechtslage nach Umwandlung des EVÜ in ein Gemeinschaftsinstrument 494 IV.
Die Auslegungskompetenz des EuGH bei der Anwendung von Art. 3 II 1 IPRG und Art. 57 IPRG
496
1. Die italienische Literatur zur Frage der Auslegungskompetenz des EuGH
497
2. Die Lösung der Streitfrage?
500
Kapitel VII
Zusammenfassung I.
Die Hinweisnormen des IPRG
503
II.
An Staatsverträge angelehnte Vorschriften des IPRG
504
III.
1. Das Verfahrensrecht
504
2. Das Kollisionsrecht
505
Die Auslegung der Staatsverträge und die EuGH-Zuständigkeit
505
Anhang I: IPR-Regelungen europäischer Staaten Anhang II: Übersicht zu multilateralen Staatsverträgen
507 509
Literaturverzeichnis
514
Sach- und Personenverzeichnis
530
Abkürzungsverzeichnis a. Α.
anderer Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort (wird nur innerhalb derselben Fußnote verwendet)
ABGB
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich)
ABl. EG Actes et Documents
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Actes et Documents de la Conférence de la Haye de droit international privé (Dokumente der Haager Staatenkonferenz fur Internationales Privatrecht)
a. F.
alte Fassung
AG
Amtsgericht
AGB(G)
Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz)
Alt.
Alternative
AMG
(deutsches) Arzneimittelgesetz
AmJCompL
American Journal of Comparative Law
Anm.
Anmerkungen
AO
(deutsche) Abgabenordnung
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
App.
Corte di appello (Oberlandesgericht)
Art.
Artikel
AS
Amtliche Sammlung (Schweiz)
att.
Disposizioni di attuazione (Durchfuhrungsbestimmungen) (deutsches) Ausländergesetz
Ausi G AWD
Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (später „RIW" - siehe dort)
BAG
Bundesarbeitsgericht
BayOblG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BB
Der Betriebs-Berater
Bd.
Band
Bek.
Bekanntmachung
BerDGesVölkR
Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht
Bespr.
Besprechung
BG(E)
schweizerisches Bundesgericht (Entscheidungen)
26
Abkürzungs verzeichni s BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BR-Drucks.
Bundesrat Drucksache
BT-Drucks.
Bundestag Drucksache
BVerfG(E)
Bundesverfassungsgerichts (entscheidung)
BVerwG(E)
Bundesverwaltunggerichts (entscheidung)
Cass.
Corte di Cassazione (Kassationshof)
c. c.
codice civile (Zivilgesetzbuch)
CCT
Carpi / Colestanti / Taruffo (siehe Literaturverzeichnis)
CISG
UN-Convention on Contracts for the International Sale of Goods (Wiener Einheitskaufrecht)
cod. nav.
Codice della navigazione (See-, Schifïfahrts- und Luftfahrtsrecht)
cod. pen.
codice penale (Strafgesetzbuch)
Com.
Commentario
Corr. giur.
Il corriere giuridico
Corte cost.
Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof)
cost.
costituzione (Verfassung)
CP
Crisafulli / Paladin (siehe Literaturverzeichnis)
c. p. c.
codice di procedura civile (Zivilprozessordnung)
CT
Cian / Trabucchi (siehe Literaturverzeichnis)
DB
Der Betrieb
ders. - dies.
derselbe - dieselbe / dieselben
Dir. fam.
Diritto della famiglia
Dir. marit. disp. prel.
Diritto marittimo disposizione preliminari / disposizione sulla legge in generale (Einfuhrungsbestimmungen, mangels weiterer Angaben des codice civile)
d. 1.
decreto legge
d. lgs.
decreto legislativo
d. p. r.
decreto del Presidente della Repubblica
EFTA
European Free Trade Association
EG
Europäische Gemeinschaft(en)
EGBGB
Einfuhrungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
EGHGB
Einfuhrungsgesetz zum Handelsgesetzbuch
EGV
Europäischer Gemeinschafts vertrag (EU-Vertrag seit dem „Maastrichtvertrag" (EUV), früher „EWG")
Abkürzungsverzeichnis
27
EGVVG
Einfuhrungsgesetz zum Versicherungsvertragsgesetz
EheVO
Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen von 2000
EheV02
Verordnung über Ehesachen und Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung von 2003 (wird EheVO ablösen)
e. M.
einhellige Meinung
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
Enc. Dir.
Enciclopedia del diritto
EU
Europäische Union
EuBVO
EG-Verordnung über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Beweisaufnahme von 2001 Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuGH EuGVO
EG-Verordnung über die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 2000 (löst EuGVÜ ab)
EuGVÜ
Brüsseler Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 (durch EuGVO abgelöst)
EulnsVO
EG-Verordnung über Insolvenzverfahren von 2000
EuR
Europarecht
EuSorgÜ
Europäisches Sorgerechtsübereinkommen von 1980
EUV
Europäischer Unionsvertrag („Vertrag von Maastricht")
EuZVO
EG-Verordnung über die Zustellung von Schriftstücken von 2000
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EVÜ
Römisches Schuldvertragsübereinkommen von 1980
EWGV
Vertrag zur Europäische Wirtschaftgemeinschaft (EG-Vertrag vor dem „Maastrichtvertrag" (EUV), danach „EGV")
EWiR
Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht
EWR
Europäischer Wirtschaftsraum
EWS
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
f. / ff.
folgende / fortfolgende
fam.
riforma del diritto di famiglia (Familienrechtsreform)
FamRZ
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
FGG
Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
Fn.
Fußnote
Foro it.
Il Foro italiano
28
Abkürzungs erzeichnis Forum (D)
Forum des internationalen Rechts (deutschsprachige Ausgabe)
FS
Festschrift
Gazz. Uff.
Gazzetta Ufficiale (italienisches Gesetzblatt)
GG
Grundgesetz
Giur. cost
Giurisprudenza costituzionale.
Giur. it.
Giurisprudenza italiana
Giust. civ.
Giustizia civile
HbStR
Handbuch des Staatsrechts
HGB
Handelsgesetzbuch
HKÜ
Haager Kindesentfuhrungsübereinkommen von 1980
h. Lit.
herrschende Literatur
h. M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
Hs.
Halbsatz
ICJ
International Court of Justice
i. d. F.
in der Fassung
i. d. R-
in der Regel
i. d. S.
in diesem Sinne
i. E.
im Einzelnen
i. e. S.
im engeren Sinne
IGH-Statut
Statut des internationalen UN-Gerichtshofes
ILO
International Labour Organisation (UN-Arbeitsrechtsorganisation)
IntCompLQ
International and Comparative Law Quarterly
IPR
Internationales Privatrecht
IPRax
Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts
IPRG
IPR-Gesetz (italienisches IPR-Gesetz mangels weiterer Angaben) Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts
IPRspr. i. R. d.
im Rahmen des / der
i. R. e.
im Rahmen einer / eines
i. S. d.
im Sinne des / der
i. V. m.
in Verbindung mit
i. W.
im Weiteren
i. w. S.
im weiteren Sinne
IZ
Internationale Zuständigkeit
Abkürzungsverzeichnis IZPR
Internationales Zivilprozessrecht
JbltR
Jahrbuch für italienisches Recht
JbOstR
Jahrbuch für Ostrecht
JP
Jarass / Pieroth (siehe Literaturverzeichnis)
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
KSÜ
Haager Kinderschutzüberkommen von 1996
1. adoz.
legge sulla adozione (Adoptionsgesetz)
1. ass.
legge sull'assegno (Scheckgesetz)
1. camb.
legge sulla cambiale (Wechselgesetz)
1. cittad.
legge sulla cittadinanza (Staatsangehörigkeitsgesetz)
1. fall.
legge fallimentare (Insolvenzordnung)
LG
Landgericht
1. sciogl.
legge sul scioglimento (Scheidungsgesetz)
1. Sp.
linke Spalte
MD
Maunz / Düring (siehe Literaturverzeichnis)
MSA
Haager Minderjährigenschutzabkommen von 1961
MüKo
Münchener Kommentar (siehe Literaturverzeichnis)
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n. F.
neue Fassung
NIPR
Nederlands internationaal privaatrecht
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NLCC
Nuove leggi civile commentate
Nov. dig.
Novissimo digesto italiano
Nr.
Nummer
Nuov. giur. civ. comm.
Nuova giurisdizione civile commentate
ÖJB1.
österreichische Juristenblätter
29
ÖJZ
österreichische Juristenzeitung
OLG
Oberi andesgeri cht
OR
Obligationenrecht (Schweiz)
Pal.
Palandt (siehe Literaturverzeichnis)
QBD
High Court of Justice (London), Queens Bench Division
RabelsZ
Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
RdA
Recht der Arbeit
RDCiv
Rivista di diritto civile
30
Abkürzungsverzeichnis RDI
Rivista di diritto internazionale
RDIPP
Rivista di diritto internazionale privato e processuale
r. d. 1.
regio decreto legge / legislativo
Rev. crit.
Revue critique de droit international privé
Rev. dr. unif.
Revue de droit uniforme (Uniform Law Revue)
Rev. trim. dr. europ.
Revue trimestrielle de droit européen
RGBl.
Reichsgesetzblatt
Riv. not.
Rivista del notariato
Riv. trim. dir. pub.
Rivista trimestriale di diritto pubblico
RIW
Recht der internationalen Wirtschaft (früher „A WD")
Rn.
Randnummer
r. Sp.
rechte Spalte
Rspr.
Rechtsprechung
RuStAG
Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz
(S)
Genfer Scheckrechtsübereinkommen von 1931
S.
Seite
s. a
siehe auch
SB
Scialoja / Branca (siehe Literaturverzeichnis)
SBK
Schmidt-Bleibtreu / Klein (siehe Literaturverzeichnis)
ScheckG
Scheckgesetz
SIDI
Società Italiana di Diritto Internazionale
Slg.
Sammlung der EuGH-Rechtsprechung
s. ο.
siehe oben
sog.
sogenannte(r)
Sp.
Spalte
Spstr.
Spiegelstrich
SR
Systemmatische Sammlung des Bundesrechts (Schweiz)
StAZ
Das Standesamt
st. Rspr.
ständige Rechtsprechung
Stud. iur.
Studium iuris
s. u.
siehe unten
SZ
Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- (und Justizverwaltungs)sachen Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht
SZIER TestFÜbk.
Haager Testamentsformübereinkommen von 1961
TranspR
Transportrecht
Abkürzungsverzeichnis Trib.
Tribunale (Landgericht)
USTA
Haager Unterhaltsabkommen von 1973
USTAK
Haager Unterhaltsabkommen von 1956 (Kindesunterhalt)
UStG
(deutsches) Umsatzsteuergesetz
Var.
Variante
v. M.
von Münch (siehe Literaturverzeichnis)
(W)
Genfer Wechselrechtsübereinkommen von 1930
WG
Wechselgesetz
WM
Wertpapiermitteilungen
WVK
Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969
z. B.
zum Beispiel
ZBJV
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins
ZEuP
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
ZEV
Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge
ZfJ
Zentralblatt für Jugendrecht
ZfRV
Zeitschrift für Rechtsvergleichung,
ZGB
Zivilgesetzbuch (Schweiz)
ZIR
Zeitschrift für Internationales Recht
31
Internationales Privatrecht und Europarecht
(früher Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht) ZPO
Zivilprozessordnung
z. T.
zum Teil
ZVglRWiss.
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
ZZP(Int.)
Zeitschrift für Zivilprozessrecht (International)
Kapitel Γ
Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien: Entstehung und Grundstruktur des italienischen IPR-Gesetzes Dem Vorbild anderer europäischer Länder 1 folgend hat im Jahre 1995 auch Italien sein internationales Privatrecht durch das Gesetz Nr. 218 vom 31. Mai 1995 über die „Reform des italienischen Systems des Internationalen Privatrechts" 2 (im Folgenden: IPRG) reformiert. Nachdem bereits ein Jahr zuvor im Rahmen der allgemeinen Schiedsrechtsreform (Artt. 806 - 840 c. p. c.) das internationale Schiedsrecht (Artt. 832 - 840 c. p. c.) novelliert wurde 3, hat in Italien mit dem neuen IPR-Gesetz ein langer Reformweg im Bereich des internationalen Privatrechts vorläufig sein Ende gefunden.
Sofern die Fußnoten auf eine andere Fußnote der Arbeit verweisen, wird dies durch kursive Schreibweise angezeigt. 1 Im Rahmen der Vorarbeiten zum IPRG beschäftigte man sich ausführlich mit den zwischen den Jahren 1963 und 1987 erlassenen IPR-Gesetzen in Europa (siehe § 2 V.). Das italienische IPRG orientierte sich dabei in erheblichem Maße am schweizerischen IPRG von 1987 (s. a. § 2 V., Fn. 71). Zu beachten ist in jüngster Zeit zudem das rumänische IPRG von 1992 sowie die „Restkodifikation" des außervertraglichen Schuldrechts und Sachenrechts in Deutschland von 1999; zu letzterer siehe das „Gesetz zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen" vom 21. 5. 1999, in BGBl. 1999 II, S. 1026 und die Aufsätze von Spickhoff,\ in NJW 1999, S. 2209 - 2215 und S. Lorenz, ebenda, S. 2215 - 2218 sowie Wagner, in IPRax 1999, S. 210 - 212 zum Gesetzgebungsverfahren. Zu den neuen Vorschriften des deutschen internationalen Deliktsrechts siehe § 17 III. 2. b), bei Fn. 211 und die umfassende Kommentierung in Staudinger, Art. 38-42, 14. Auflage, 2001. Auch in Liechtenstein ist inzwischen eine Gesamtkodifikation des IPR verabschiedet worden (IPRG von 1996 und internationales Gesellschaftsrecht von 1997); das liechtensteinische IPRG lehnt sich jedoch in weiten Teilen an das österreichische IPRG von 1978 an. In den Niederlanden wird seit Längerem eine umfassende Kodifizierung des IPR vorbereitet; in dieser sollen die bisherigen spezialgesetzlichen IPR-Regelungen zusammengefasst und harmonisiert werden (siehe Kramer, in IPRax 2002, S. 537 f.). Zu den europäischen IPR-Regelungen und ihren Quellen siehe im Einzelnen im Anhang L 2 Legge 31.5. 1995, n. 218: Riforma del sistema italiano di diritto internazionale privato, in Gazz. Uff. 3. 6. 1995, n. 128 (supplemento ordinario n. 68). 3 Legge 5. 1. 1994, n. 25: Nuove disposizioni in materia di arbitrato e disciplina dell'arbitrato internazionale; siehe dazu § 5 III. 1.
34
Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
§ 1 Die Entstehungsgeschichte des IPRG Das am 1. 9. 19954 in Kraft getretene italienische IPRG hat die bis dahin grundlegenden Bestimmungen des internationalen Privatrechts, die Artt. 17 31 der disposizioni sulla legge in generale (im Folgenden: disp. prel. für „disposizioni preliminari") des codice civile (im Folgenden c. c.) 5 aus dem Jahre 19426, ersetzt 7. Die bisherigen Regelungen gingen in ihrer Substanz noch auf Mancinis Kodifikation von 1865 zurück 8 . Maßgebliche Vorarbeiten für das Gesetz leistete vor allem Edoardo Vitta (1913 - 1988)9, der 1968 seinen ersten Reformvorschlag veröffentlicht hat . Im Jahre 1982 wurde er vom Justizministerium offiziell beauftragt 11 , einen neuen Gesetzesentwurf auszuarbeiten, der im Jahre 1984 vorgelegt wurde 12 . Diese überarbeitete Fassung wurde Gegenstand einer internationalen Tagung des Consiglio nazionale del notariato (Nationale Notariatskammer) am 1. und
4 Im Einzelnen zum zeitlichen Anwendungsbereich des IPRG siehe § 6 und insbesondere § 6 I. zum späteren Inkrafttreten des vierten Titels. 5 Zu einer deutschen Übersetzung siehe Bauer u. ac. c., S. 47-53. 6 Genau genommen wurden die disposizioni preliminari zusammen mit dem ersten Buch des codice civile bereits am 12. 12. 1938 erlassen (regio decreto, η. 1852) und traten am 1. 7. 1939 in Kraft (siehe Vitta, in Problemi, S. 234, Fn. 13; Mengozzi, DIPI, S. 10); zur vorzeitigen Inkraftsetzung der Bücher I - III des codice civile siehe Kindler, Einführung, § 8, Rn. 7. In seiner Gesamtheit ist das Zivilgesetzbuch erst am 21. 4. 1942 in Kraft getreten (regio decreto 16. 3. 1942, η. 262). 7 Dazu und zu den im Weiteren außer Kraft getretenen Normen siehe § 5 II. 8 Vitta, in Problemi, S. 291; ders., in Foro it. 1986, V., Sp. 1 f.; s. a. Bericht der Expertenkommission, in RDIPP 1989, S. 947 f. (Fn. 16). Es geht jedoch zu weit, die Reform des Jahres 1942 nur als „ästhetischen Eingriff' in Mancinis Kodifikation zu sehen (i. d. S. De Nova,, in Prospettive, S. 292; ähnlich Boschiero, in ZfRV 1996, 5. 143), da sie doch erhebliche Änderungen beinhaltete (i. E. dazu § 3 I.). Zum Text der IPR-Bestimmungen von 1865 siehe Prospettive, S. 547 f. 9 Würdigungen in Problemi von Ruini (S. 549, 561, 593 [„apostolo della codificazione"]), Sperduti (S. 541), Badiali (S. 603) und Ρ oc or (S. 612). 10 Vitta, Relazione e progetto di legge sul diritto internazionale privato, in Prospettive, S. 261 - 268 (Text des Reform Vorschlages) und S. 1 - 260 (Begründung) mit Diskussionsbeiträgen zu Vittas Entwurf. 11 Zum Ministerialdekret vom 13. 11. 1982 siehe Vitta, in Foro it. 1986, V., S. 1, Fn. 1. 12 Vitta , Memoriale e progetto di legge, in Problemi, S. 3 - 274 (Text des „progetto Vitta" S. 262 - 274); nach der Tagung des Consiglio Nazionale del Notariato vom 1. / 2. 6. 1984 in Rom (siehe nächste Fußnote) hat Vitta seinen Entwurf in einigen Bereichen überarbeitet (zum Text des „nuovo progetto" [η. F. der Artt. 1 - 25] siehe Problemi, S. 701 - 707 mit „postilla", S. 628 - 700).
§ 1 Die Entstehungsgeschichte des IPRG
35
2. 6. 1984 in Rom13. Die Tagung veranlasste das Justizministerium, im Jahre 1985 eine Expertenkommission unter dem Vorsitz von Riccardo Monaco einzusetzen, der bis zu seinem Tod im Januar 1988 auch Edoardo Vitta angehörte14. Im Laufe dieser Arbeiten ergingen im Jahre 1987 zwei bedeutende Entscheidungen des Corte Costituzionale zum internationalen Privatrecht. In diesen erklärte der Verfassungsgerichtshof die Artt. 18, 20 I disp. prel. wegen Verstoßes gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz für verfassungswidrig und prägte damit die laufenden Reformbemühungen maßgebend15. Am 26. 10. 1989 konnte die Kommission einen Gesetzentwurf zur Reform des internationalen Privatrechts vorlegen, begleitet von einem umfassenden Kommissionsbericht16. Auf einer Tagung in Florenz am 23. und 24. 5. 1990 wurde dieser Entwurf von Experten eingehend diskutiert17. Nach einer Überarbeitung durch das Justizministerium ist der Entwurf am 29. 4. 1993 mit geringfügigen Änderungen18 als Gesetzesvorlage in den Senat eingebracht worden19. Im Senat erfuhr der Regierungsentwurf nur sachlich wenig bedeutsame Modifikationen 20 und wurde am 16. 12. 1993 verabschiedet.
13 Zu den Tagungsbeiträgen siehe Problemi, Teil II, S. 275 - 622; zu der Tagung s. SL den Bericht von Siehr, in RabelsZ 1984, S. 743 - 745. 14 Dekret vom 8. 3. 1985, in RDIPP 1985, S. 687 mit Auflistung der Mitglieder; zu den Mitgliedern s. a. die Einleitung zum Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 947. 15 Siehe dazu § 2 III. 16 RDIPP 1989, S. 932 - 946 (Progetto di riforma del sistema italiano di diritto internazionale privato - Entwurf) und S. 947 - 985 (Relazione - Kommissionsbericht) = RDI 1990, S. 741 - 790 = Studi Marano, S. 165 - 210. Der Entwurf wird im Folgenden als Kommissionsentwurf bezeichnet. Zu dem Entwurf siehe die Beiträge in Studi Vitta (nächste Fußnote); Jayme, in IPRax 1990, S. 196 und Winkler, in JbltR, Bd. 4 (1991), S. 101 - 109. 17 Zu den Tagungsbeiträgen siehe „La riforma del diritto internazionale privato e processuale", Raccolta in ricordo di Edoardo Vitta; im Weiteren zitiert als Studi Vitta. 18 Siehe Fumagalli , in RDEPP 1993, S. 494 - 503 mit Synopse der geänderten Artikelzählung (S. 498 f. in Fn. 14). 19 Disegno di legge η. 1192 (XI. Legislatura) abgedruckt in Studi Vitta, S. 448 - 465 (Disegno di legge - Entwurf) und S. 401 - 447 (Relazione - Begründung); Originalquelle (zitiert nach Kindler, in RabelsZ 1997, S. 227): Camera dei Deputati, Servizio Studi (Hrsg.), Dossier Provvedimento, Riforma del sistema italiano di diritto intemazionale privato(A. C. 1286), η. 118/ XII Legislatura, ottobre 1994, S. 311-341. Der Entwurf wird im Weiteren als Regierungsentwurf bezeichnet. 20 Insbesondere wurde die internationale Schiedsgerichtsbarkeit mit Rücksicht auf die zwischenzeitlich gesonderte Regelung in der Zivilprozessordnung ausgegliedert; Balena,, in Foro it. 1996, V., Sp. 210; Kindler, in RabelsZ 1997, S. 230 (Fn. 9); siehe dazu Fn. 3 und § 5 III. 1.
Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
36
In der Justizkommission der Camera dei deputati21 wurde der Gesetzesentwurf hingegen einschneidenden Änderungen unterzogen22, bevor er schließlich am 6. 4. 1995 im Plenum seine Zustimmung gefunden hat23. Nach weiteren geringfügigen Änderungen billigte am 17. 5. 1995 auch der Senat diese endgültige Fassung des Reformwerkes 24, das am 31. 5. 1995 als Gesetz verkündet werden konnte25. Am 1. 9. 1995 trat das neue Gesetz über die „Reform des italienischen Systems des Internationalen Privatrechts" - mit Ausnahme seines IV. Titels (Artt. 64-71 IPRG) - in Kraft 26.
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Siehe Bericht des Abgeordneten Nan vom 22. 3. 1995, Stampato Camera, n. 1286 / A (zitiert nach Kindler, in RabelsZ 1997, S. 230, Fn. 10). 22 Die wichtigsten Neuerungen (siehe Kindler, in RabelsZ 1997, S. 230 f.): Verweisung auf EuGVÜ in Art. 3 II 1 IPRG, Zulassung der Rück- und Weiterverweisung (Art. 13 IPRG), Gründungstheorie im Gesellschaftsrecht (Art. 25 I 1 IPRG) und die ausführliche Regelung der Adoption (Art. 3 8 - 4 1 IPRG). Kindler erwähnt auch die „Inkorporation" des EVÜ (Art. 57 IPRG); der Hinweis auf das Römische Abkommen (siehe i. E. unter § 14) wurde jedoch bereits durch den Senat vorgenommen; siehe Bericht zu den Reformarbeiten von Ravenna / Pazzaglia, in NLCC 1994, S. 466 (469 obbligazioni e contratti) und Hinweis von Gebauer, in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 69. 23 Bariatti, Com., NLCC, S. 879 r. Sp.; Balena,, in Foro it. 1996, V., Sp. 210 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 230. 24 Bariatti, Com., NLCC, S. 879 r. Sp. und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 231. 25 Siehe Fn. 2. 26 Siehe dazu § 6 I.
§ 2 Motive und Notwendigkeit der Reform 1 Innerhalb der italienischen Literatur bestand weitestgehende Einigkeit 2 über die Reformbedürftigkeit der größtenteils noch auf Mancini zurückgehenden 3 disp. prel., um der Weiterentwicklung des Rechts Rechnung zu tragen. 4 Schon im Dekret vom 8. 3. 1985 zur Einsetzung der Expertenkommission 5 wurden die wesentlichen Zielvorgaben bei der Ausarbeitung des neuen Gesetzes und damit auch die Gründe für die Notwendigkeit der Reform umrissen. Die Kommission sollte „Vorschläge herausarbeiten, um das italienische System des internationalen Privatrechts den neuen verfassungsrechtlichen und gesetzgeberischen Voraussetzungen des (italienischen) Rechtssystems sowie der neuen, von multilateralen Abkommen geprägten, internationalen und insbesondere europäischen Realität anzupassen"6.
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Ausführlich dazu Giardino, , in RDIPP 1985, S. 5 (9 - 22). Kritisch dazu in der Vergangenheit De Nova, in Prospettive, S. 291, der im nationalen und staatsvertraglichen IPR klare Grundlinien vermisst, an denen sich eine Reform orientieren könnte. Ablehnend im Rahmen der römischen Tagung von 1984 (siehe § 1, Fn. 13) vor allem Barile , in Problemi, S. 514 f., der sich mit Hinweis auf die „Auffangtatbestände" von Art. 14 des schweizerischen Gesetzentwurfes zum IPRG (= Art. 15 schweizerisches IPRG - sog. Ausnahmeklausel) und des § 1 österreichisches IPRG gegen eine übermäßige Spezialisierung der Kollisionsnormen ausgesprochen hat, um die Bestimmung des anzuwendenden Rechts im Einzelfall dem Rechtsanwender zu überlassen (zu Art. 15 schweizerisches IPRG und § 1 österreichisches IPRG siehe § 3 II. 3., Fn. 52, 53). Zurückhaltende Stellungnahmen auch von Picone, in Problemi, S. 521 541 (530 - zur Normierung eines allgemeinen Teils); Panebianco, in Problemi, S. 615 — 617 (616 - „Konsolidierung" bereits bestehender Regelungen in Spezialgesetzen und internationalen Abkommen) und später von Giardina, in RDIPP 1985, S. 5 - 46 (13 f. bevorzugt die Fortentwicklung staatsvertraglicher Lösungen). Trotzdem haben sich alle Teilnehmer der römischen Tagung vom 1. und 2. 6. 1984 in Rom in einem „Schlussantrag" für eine Reform ausgesprochen (Problemi, S. 625). 3 Siehe § \,Fn. 8. 4 Vitta, in Problemi, S. 10 f. („// diritto in genere e il diritto internazionale privato in specie , è in continuo divenire ") und S. 291; i. W. zustimmend in Problemi: Schwind , S. 511 („evoluzione"); Ruini , S. 546 (547 - 549 mit Replik zu Bariles ablehnender Haltung [Fn. 2]); Capotorti, S. 617 (620). Siehe auch in RDIPP 1989, S. 947 unten zum Kommissionsbericht („processo di invecchiamento"). 5 Siehe § 1, Fn. 14. 6 RDIPP 1985, S. 687: „ ... il compito di formulare proposte per adeguare il sistema italiano di diritto internazionale privato ai nuovi presupposti costituzionali e legislativi del nostro 2
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Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
I. Spezifität der Regelungen und Flexibilität der Anknüpfung Im Allgemeinen war sich die italienische Literatur darüber einig7, dass die 15 Artikel der disp. prel. über das internationale Privatrecht (Artt. 17-31 disp. prel.) auf die inzwischen sehr komplexen Fragen dieser Materie keine befriedigenden Antworten mehr liefern konnten. Dem Vorbild anderer europäischer IPR-Gesetze folgend 8, mussten die sehr abstrakten Regelungen des bisherigen Rechts durch speziellere und ausführlichere Bestimmungen ersetzt werden9. Darüber hinaus sollten ganze Bereiche erstmalig geregelt werden10. Abgesehen von der Anzahl der Normen sollte auch eine größere Flexibilität der Vorschriften erreicht werden. In Abkehr von den starren Bestimmungen der disp. prel., die zumeist nur auf einen einzelnen Anknüpfungspunkt abstellten, war man bestrebt, zum einen dem Rechtsanwender mehrere Anknüpfungspunkte alternativ oder subsidär zu Verfugung zu stellen und zum anderen diese schon in sich elastischer zu gestalten. Damit sollte es leichter werden im Einzelfall das „proper law" zu bestimmen11.
II. Anpassung an das Sachrecht Neben diesen allgemeinen Erwägungen musste das Kollisionsrecht vor allem an die Änderungen des materiellen italienischen Rechts angepasst werden. Diese Neuerungen harmonisierten ζ. T. nicht mit den disp. prel. bzw. enthielten neue, dem internationalen Privatrecht unbekannte Rechtsinstitute, ohne das Kollisionsrecht dementsprechend anzugleichen12.
ordinamento e alla nuova realtà internazionale e in particolare europea , che ha dato luogo a convenzioni internazionali ... 7 A. A. Barile und Panebianco (Fn. 2). 8 Man beachte vor allem die 200 Artikel des schweizerischen und die 183 Artikel des rumänischen IPRG; i. E. zu den europäischen IPR-Regelungen siehe Anhang I. 9 Zusammenfassend zu den Beiträgen auf der römischen Tagung von 1984 (siehe § 1, Fn. 13) Vitta, in Problemi, S. 633 f. mit Replik zu den Standpunkten von Barile und Panebianco (Fn. 2), später ebenso Giardina, in RDIPP 1985, S. 5 (44). Siehe auch RDIPP 1989, S. 948 zum Kommissionsbericht mit Hinweis auf die bisherigen europäischen IPR-Gesetze und im Anschluss an den Kommissionsentwurf Davi , in Studi Vitta, S. 4 9 - 5 4 (Nr. 2). 10 Siehe dazu §3 II. 1. 11 I. E. dazu unter § 3 II. 3. 12 Siehe dazu Giardina, in RDIPP 1985, S. 5 (18 - 22).
§ 2 Motive und Notwendigkeit der Reform
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1. Gleichheitsgrundsatz
Die Neuregelungen betrafen zum einen die Ausgestaltung des verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatzes (Artt. 3, 29 II cost. 13 ) im Familiengesetz von 1975 und im Staatsangehörigkeitsgesetz von 1983. Durch diese sollte sowohl die Gleichberechtigung von Frau und Mann als auch von ehelichen und nichtehelichen Kindern sichergestellt werden.
a) Das Familiengesetz von 1975 Die Familienrechtsreform von 1975 {fam.) X A konkretisierte den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Als Neuerungen 15 wurden sowohl die Leitung der Familie (Art. 144 c. c.) als auch die elterliche Gewalt über die gemeinschaftlichen Kinder (Art. 316 II c. c.) den Ehegatten gemeinschaftlich übertragen 16. Der gesetzliche Wohnsitz („domicilio" 1 7 ) der Frau bestimmte sich von nun an unabhängig von dem des Mannes (Art. 45 I c. c.) 1 8 . Zudem kam es zu Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht 19.
13 Genauer dazu und zu den Entscheidungen des Corte Costituzionale zur Verfassungswidrigkeit der Artt. 18, 20 disp. prel. siehe später unter III. 14 Legge 19. 5 .1975, n. 151: Riforma del diritto di famiglia, in Gazz. Uff. vom 23. 5. 1975, η. 135, S. 3242; zu Kurzinformationen siehe RabelsZ 1975, S. 513 f. Zum Einfluss des Gesetzes auf die Reformbemühungen zum IPRG siehe Vitta, in Problemi, S. 288 und Giardina,, in RDIPP 1985, S. 18. 15 Zu den erwähnten Bestimmungen und weiteren Änderungen siehe auch Gör gens, S. 44-49. 16 Bei Meinungsverschiedenheiten kann eine richterliche Entscheidung beantragt werden (Artt. 145, 316 III c. c.). Im Falle der elterlichen Gewalt steht dem Mann jedoch nach wie vor das Recht zu, unaufschiebbare Maßnahmen zu treffen (Art. 316 IV c. c.). 17 Zum Begriff „domicilio" siehe § 16 II. 4. a). 18 Ebenso früher der aufgehobene § 10 BGB im deutschen Recht. Zum Ursprung des früheren Abhängigkeitsgrundsatzes aus dem angelsächsichen Rechtskreis („domicile of dependency") siehe Ballar ino, DIP 2, S. 301 f. Im Gegensatz zur Änderung beim Wohnsitz von Ehefrauen bestimmt sich der Wohnsitz des Minderjährigen und des Entmündigten weiterhin nach demselben seiner Familie bzw. seines Vormundes (Art. 45 II, III c. c.). 19 Siehe b), Fn. 23 unter 1) zu Art. 143ter c. c. und Art. 219 I fam.
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Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien b) Das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1983
Wie zahlreiche nationale Gesetze zeigen, stehen das Ausländer- und das Staatsangehörigkeitsrecht in enger Verbindung zum internationalen Privatrecht 20 . Auch bei der Neuregelung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (legge sulla cittadinanza - /. cittad) im Jahre 1983 21 wurde den erwähnten Gleichstellungsgrundsätzen Ausdruck verliehen, nachdem der Corte Costituzionale einzelne Bestimmungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1912 22 wegen Verstoßes gegen diese Grundsätze für verfassungswidrig erklärt hatte 23 . Durch 20
Zum Ausländerrecht siehe unter § 7 zu Art. 16 disp. prel. Legge 21.4. 1983, n. 123: Disposizioni in materia di cittadinanza, in Gazz. Uff. vom 26. 4. 1983, n. 112 = RDIPP 1983, S. 675 f. = le leggi 1983, S. 727 f.; siehe dazu Jayme, Neues italienisches Staatsangehörigkeitsgesetz, in IPRax 1983, S. 253 - 254 mit Übersetzung des Gesetzestextes und Kurzinformationen in RabelsZ 1983, S. 745. Zum Einfluss des Gesetzes auf die Reformbemühungen zum IPRG siehe Giardina, in RDIPP 1985, S. 20-22. 22 Legge 13. 6. 1912, n. 555: Sulla cittadinanza italiana, in Gazz. Uff. vom 30. 6. 1912, n. 153; siehe dazu Ballarino, DIP 1, S. 525 - 533. 23 1) Corte cost. 16. 4. 1975, η. 87, in Giur. cost. 1975, S. 807 - 813, mit Besprechung von Gaja, S. 2086 - 2098 = Foro it. 1975, I., Sp. 1321 - 1323 = RDIPP 1975, S. 515 - 520 = RDI 1975, S. 343 - 347 = Giust. civ. 1975, III., S. 195 f.; zu Kurzinformationen siehe RabelsZ 1975, S. 716. Verfassungswidrigkeit von Art. 10 III l. cittad (Verlust der Staatsangehörigkeit für Italienerin bei Heirat mit Ausländer, sofern sie durch die Eheschließung die ausländische Staatsbürgerschaft des Mannes erwirbt) wegen Verstoßes gegen Artt. 3 I, 29 II cost. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Art. 19 I disp. prel. im Rahmen des Urteils wurde vom Gerichtshof abgelehnt (siehe III., Fn. 52). Im Rahmen der Familienrechtsreform von 1975 wurde diese Rechtslage durch Art. 143ter c. c. korrigiert, der Italienerinnen in dem beschriebenen Falle ihre italienische Staatsbürgerschaft bewahrt, sofern sie dem nicht ausdrücklich widersprechen. Art. 2191 fam. ermöglichte zudem den Rückerwerb einer infolge der alten Rechtslage verlorenen Staatsangehörigkeit durch Erklärung (siehe dazu Clerici , Nuove prospettive in tema di cittadinanza della donna maritata, in RDIPP 1975, S. 678 - 714). Die Vorschrift des Art. 143ter c. c. wurde später durch das neue Staatsangehörigkeitsgesetz von 1992 (Fn. 27) zugunsten einer sachlich identischen, jedoch geschlechtsneutral formulierten Bestimmung aufgehoben (Art. 11 1. cittad. n. F.). 2) Corte cost. 9. 2. 1983, η. 30, in Gazz. Uff. vom 16. 2. 1983, n. 46 = Giur. cost. 1983,1., S. 91 - 102 = RDIPP 1983, S. 601 - 608 = Foro it. 1983,1., Sp. 265. Verfassungswidrigkeit von Artt. 1 Nr. 1 (Erwerb der italienischen Staatsangehörigkeit des Vaters für eheliches Kindes) und Nr. 2 (Erwerb der italienischen Staatsangehörigkeit der Mutter für nichteheliches Kind nur in Ausnahmefallen), 2 II (Minderjähriger erhält auch nach später Anerkennung oder gerichtlicher Feststellung der Kindschaft Staatsangehörigkeit des Vaters) l. cittad wegen Verstoßes gegen Artt. 3 I, 29 II cost, mit Aufforderung an den Gesetzgeber, das Staatsangehörigkeitsrecht zu reformieren. Der Verfassungsgerichtshof weist dabei ausdrücklich darauf hin, dass bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts dessen Auswirkungen auf das internationale Privatrecht berücksichtigt werden müssen (Giur. cost., a.a.O., S. 102 bzw. RDIPP, a.a.O., S. 608 jeweils Nr. 5 Ende). 21
§ 2 Motive und Notwendigkeit der Reform
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das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1983 24 sowie das Familiengesetz von 197525 wurden diese Mängel behoben. Nachdem das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1912 dadurch und durch ein weiteres Änderungsgesetz von 1986 26 nur fragmentarisch novelliert wurde, ist das Staatsangehörigkeitrecht inzwischen in einem neuen Gesetz von 1992 umfassend geregelt 27. In Bezug auf die verfassungsrechtliche Gleichberechtigung haben sich dadurch jedoch keine Änderungen ergeben. Die Neuerungen aus dem Jahre 1983 wurden in die Reform von 1992 übernommen.
Zu einer ähnlichen Entscheidung des BVerfG siehe Beschluss vom 21.5. 1974 zur Verfassungswidrigkeit von § 4 I 1 RuStAG a. F. (eheliche Kinder erhalten die Staatsangehörigkeit des Vaters); Verstoß gegen Art. 3 I, II, 6 II GG (BVerfGE 37, S. 217). In dem selben Verfahren wurde dem Corte Costituzionale die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Art. 20 disp. prel. vorgelegt; in der Entscheidung hat der Gerichtshof die Vorlagefrage jedoch als unzulässig zurückgewiesen. Zur späteren Verfassungswidrigkeitserklärung der Vorschrift siehe III., Fn. 50. 3) Im Beschluss des Corte cost. 31. 12. 1982, η. 258, in Giur. cost. 1982,1, S. 2393 2397 = Foro it. 1983, I., Sp. 266 f. wurde zudem der Art. 10 II l. cittad (Erwerb der italienischen Staatsbürgerschaft für Ausländerinnen durch Heirat mit Italienern) als verfassungsmäßig bedenklich angesehen. Corte cost. 27. 4. 1988, η. 490, in RDIPP 1989, S. 89 = Foro it. 1988, I., Sp. 2764 (nur Tenor) hat jedoch im Hinblick auf Art. 3 I cost, die Vorschrift insoweit als verfassungsgemäß angesehen, als ausländische Ehemänner durch die Heirat mit einer Italienerin nicht automatisch die italienische Staatsbürgerschaft erwerben (zu dem Urteil s. a. § 7 II. 1., Fn. 51). 24 Entgegen den bisherigen Vorschriften (vorige Fußnote) enthielt das neue Gesetz folgende Regelungen: Art. 1: Erwerb (Verleihung durch behördlichen Akt [Artt. 3, 4]; nach altem Recht erfolgten Erwerb / Verlust kraft Gesetzes) der Staatsangehörigkeit auf Grund einer Heirat mit einem italienischen Staatsangehörigen (insofern geschlechtsneutral) nach sechsmonatlichem Aufenthalt in Italien oder drei Jahre nach der Heirat. Art. 5 /: Staatsangehörigkeit eines Minderjährigen (unabhängig von Ehelichkeit) gemäß Staatsangehörigkeit des Vaters oder der Mutter. Art. 7: ausländische Ehefrau eines italienischen Staatsangehörigen, die kraft der alten Rechtslage (Art. 10 II 1. cittad. a F.) automatisch die italienische Staatsangehörigkeit erhalten hat, kann innerhalb von 2 Jahren auf diese verzichten. 25 Siehe Fn. 23 unter 1) zu Art. 143ter c. c. und Art. 219 I fam. 26 Legge 15. 5. 1986, n. 180: Modificazioni all'art. 5 della legge 21 aprile 1983, η. 123, recante disposizioni in materia di cittadinanza, in Gazz. Uff. vom 17. 5. 1986, η. 113. Durch das Gesetz wurde die Optionsfrist von 1 Jahr für die Wahl der Staatsangehörigkeit eines Minderjährigen mit Eltern von verschiedener Staatsangehörigkeit (Art. 5 II 1. cittad. 21. 4. 1983) aufgehoben bis zum Inkrafitreten eines neuen Staatsangehöri gkeitsgesetzes. 27 Legge 5. 2. 1992: Nuove norme sulla cittadinanza, in Gazz. Uff. vom 15. 2. 1992, n. 38 in RDIPP 1992, S. 655 - 660; deutsche Übersetzung in Bauer u. a , NebG, I. 1., S. 23 - 41. Besprechung von Cubeddu in IPRax 1993, S. 51 - 56 mit Übersetzung.
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Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
c) Die Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes Sowohl das Familiengesetz von 1975 als auch das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1983 sind Ausdruck der späten Umsetzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes in das materielle italienische Recht28. Diese Anpassungen des Sachrechts sollten erheblichen Einfluss auf die Änderung der entsprechenden IPR-Vorschriften ausüben. Das Verhältnis von Mann und Frau betreffend verstießen nämlich die Artt. 18-20 disp. prel., die dem Heimatrecht des Mannes als primärem (Artt. 19 1,20 I disp. prel.) bzw. subsidärem Anknüpfungspunkt (Art. 18 disp. prel.) Vorrang einräumten, gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung. In späteren Entscheidungen des Corte Costitutionale wurden insofern die Artt. 18, 20 I der disp. prel. aus diesem Grunde für verfassungswidrig erklärt 29.
2. Das Adoptionsgesetz von 1983
Unvereinbar waren die disp. prel. auch mit dem Adoptionsgesetz von 1983 (/. adoz.f° 9 das für die „internationale Adoption" (Artt. 29 - 43 1. adoz.) dem italienischen Recht zur Anwendung verhilft (Artt. 30 II 1, 37 1. adoz.)31. Dies stand im Widerspruch zur h. Lit. im Rahmen der disp. prel., die die Entstehung des Adoptionsverhältnisses dem Heimatrecht der Beteiligten (Art. 17 I disp. prel.) und die Adoptionsfolgen dem Heimatrecht der adoptierenden Personen (Art. 20 II disp. prel.) unterstellte32.
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Siehe auch unter III., Anfang. Siehe dazu unter III. 30 Legge 4. 5. 1983, n. 184: Disciplina dell'adozione e dell'affidamento dei minori, in Gazz. Uff. 17. 5. 1983, n. 133; zu einer deutschen Übersetzung siehe Bauer u. a., NebG, III. 1., S. 95 - 157. Zu dem Gesetz s. a. Jqyme, in IPRax 1983, S. 305 - 307 (mit Übersetzung der Artt. 29 - 43) und ders. mit Kurzinformationen in RabelsZ 1983, S. 746. Zum Einfluss des Gesetzes auf die Reformbemühungen des IPRG siehe Vitta, in Problemi, S. 288 f. und Giardina, in RDIPP 1985, S. 19 f. 31 Zu den Artt. 29 - 43 1. adoz. siehe Ballar ino, DIP 2, S. 460 - 470; zum Verhältnis der Vorschriften zum IPRG siehe § 5 III. 3., bei Fn. 47. 32 Giardina, in RDIPP 1985, S. 20 m.w.N. 29
§ 2 Motive und Notwendigkeit der Reform
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3. Das Scheidungsgesetz von 1970
Zu Kontroversen im Rahmen des internationalen Privatrechts führt zudem das Scheidungsgesetz von 1970 (/. sciogl.f, das in Italien erstmalig die Möglichkeit geschaffen hat, Ehen „aufzulösen" 34 . Mangels einer eigenen kollisionsrechtlichen Regelung im Scheidungsgesetz war im Anschluss an das neue Gesetz umstritten, ob für die Scheidung Art. 17 I (Rechtsverhältnisse in der Familie) oder Art. 18 (persönliche Beziehungen der Ehegatten) der disp. prel. heranzuziehen sei 35 . Die Reform des Scheidungsgesetzes im Jahre 1987 36 hat diese Rechtsunsicherheit durch die Einfügung des Art. I 2 q u m q u i e s 1. sciogl. noch verstärkt 37 , vor allem weil die Neuregelung wieder eine geschlechtsspezifische
33
Legge 1.12. 1970, n. 898: Disciplina dei casi di scioglimento del matrimonio, in Gazz. Uff. 3. 12. 1970, n. 306; zu einer deutschen Übersetzung siehe Bauer u. a, NebG, II. 3., S. 67 - 93. Für Kurzinformationen zu dem Gesetz siehe RabelsZ 1971, S. 158. 34 Aus religiöser Rücksicht hat das Gesetz den Begriff Scheidung (divorzio) vermieden; siehe Kindler, Einführung, § 11, Rn. 32. 35 Zur Diskussion siehe Giardina, in RDIPP 1985, S. 19 m.w.N. in Fn. 54, 55; ders., in RDIPP 1987, S. 209 (217); s. a. Hinweis bei Vitta, in Problemi, S. 288, bei Fn. 5 und Lettieri, in Jayme / Mansel, S. 206, in Fn. 11. Infolge der Verfassungswidrigkeit von Art. 18 disp. prel. (zum Urteil des Corte Costituzionale siehe III., Fn. 49) hat sich Giardina (RDIPP 1987, S. 217, Fn. 19) für die kumulative Anwendung der Heimatrechts ausgesprochen. In der Vergangenheit wurde auch die These vertreten, dass die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit dem Art. 3 II e) 1. sciogl. (Tatsache, dass ausländischer Ehegatte im Ausland die Nichtigkeitserklärung oder Scheidung der Ehe beantragt hat bzw. im Ausland eine Ehe neu geschlossen hat, als Scheidungsgrund), also dem Scheidungsgesetz selbst entnommen werden könnte; italienisches Recht sollte insofern zur Anwendung kommen, wenn einer der Ehegatten die italienische Staatsangehörigkeit besitzt (Picone, Divorzio straniero come motivo di divorzio italiano, in RDI 1973, S. 5 [23 - 26]). 36 Legge 6. 3. 1987, η. 74, in Gazz. Uff. 11. 3. 1987, n. 58; das Gesetz wurde nur einen Tag nach der Bekanntmachung der Verfassungsgerichtsurteils zur Verfassungswidrigkeit des Art. 18 disp. prel. (siehe III., Fn. 49) erlassen. Zu dem Reformgesetz siehQ Grünsky, Das neue italienische Scheidungsrecht, in FamRZ 1988, S. 783 - 790 (mit Übersetzung der neuen Fassung des Gesetzes); Jayme, International privatrechtliche Fragen des neuen italienischen Scheidungsrechts, in FamRZ 1988, S. 790 - 796 und Patti , Die Reform des internationalen Scheidungsrechts, in FamRZ 1990, S. 703 - 708). 37 Art. ir tmqu>e s l. sciogl. (eingefügt durch Art. 20 des Gesetzes vom 6. 3. 1987 vorige Fußnote) bestimmt, dass das Scheidungsgesetz auch für den ausländischen Ehemann einer italienischen Staatsangehörigen Anwendung findet, sofern dessen Heimatrecht keine Auflösung der Ehe oder Erlöschen ihrer zivilrechtlichen Folgen kennt; zu den dadurch entstehenden kollisionsrechtlichen Problemen siehe Giardina, in RDIPP 1987, S. 209 (S. 215 f. - Nr. 4); Ballarino (Fn. 51), S. 671 - 673 (Nr. 5) und in der deutschen Literatur Jayme (Fn. 36), S. 791 f. Zum Verhältnis der Vorschriften zum IPRG siehe § 5 III. 3. bei Fn. 43.
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Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
Benachteiligung enthielt38. Die ausdrückliche Regelung des internationalen Scheidungsrechts in Art. 31 IPRG hat diesbezüglich für Klarheit gesorgt39.
III. Anpassung an die Entscheidungen des Corte Costituzionale (Artt. 18,20 disp. prel.) Die Umsetzung des in der italienischen Verfassung von 1947 manifestierten Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 cost.40) in einfache Gesetze erfolgte in Italien verspätet und zögerlich41. Dies war in erheblichem Maße auf den starken Einfluss der katholischen Kirche zurückzuführen, die die traditionelle Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter „zu sichern" versuchte42. Diese Grundhaltung findet auch in Art. 29 II cost, ihren Ausdruck, demzufolge die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Regelung zur Gewährleistung der Familieneinheit steht. Diese verfassungsrechtliche Beschränkung behinderte lange Zeit die Realisierung der Gleichstellung von Frauen in Italien43. Da die h. M. dem IPR lediglich eine neutrale Ordnungsfunktion zubilligte, die sich einer verfassungsmäßigen Kontrolle entziehe44, erfolgte die Anpassung im Bereich des internationalen Privatrechts noch später als im materiellen Recht45. Erst Mitte der 70er Jahre kam eine Diskussion in Gange, die angesto-
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Gaja, Divorzio per indivorziabilita secondo leggi stranieri, in RDI 1987, S. 352 (354) hat sich insofern fur eine analoge Anwendung der Vorschrift für Ehemänner ausgesprochen; ebenso Jayme (Fn. 36), S. 791. Siehe insofern § 5 II. 3., Fn. 45 zur Neuregelung des Art. 31 II IPRG. 39 Siehe auch § 10 II. 3., in Fn. 131. 40 Im Einzelnen siehe Art. 3 cost. (Gleichberechtigung aller Bürger) und Art. 29 II cost. (Gleichberechtigung von Mann und Frau im Allgemeinen). Zur Gleichberechtigung von Mann und Frau im Speziellen siehe die Art. 37 (Arbeit), Art. 48 (Wahlrecht) und Art. 51 I (Zugang zu öffentlichen Ämtern) cost. 41 Siehe dazu II. 1. und Jürgens, S. 98 - 104. 42
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Görgens, S. 39 f. und Jürgens, S. 98.
Siehe Ballarino, DIP 2, S. 68 und Jürgens, S. 95 f. Das BayOLG ging in seinem Beschluss vom 21. 2. 1969, in FamRZ 1969, S. 341 (344) = NJW 1969, S. 988 (990) infolge des Art. 29 II cost, noch davon aus, dass die italienische Verfassung dem Schutz der Familie gegenüber dem Gleichberechtigungsgrundsatz Vorrang einräumt 44 Erstmals Durante, La capacità giuridica delle personefisiche, in Studi in onore di G. Zingali, Bd. 2 (1965), S. 373 ff. zitiert nach Jürgens, S. 147, Fn. 408; Ballarino, Costituzione, S. 74 - 83 (Nr. 15), insbesondere S. 80 - 82; ebenso Vitta, DIP I, S. 295 f. Ausfuhrlich dazu und zur weiteren Entwicklung Jürgens, S. 147 - 154. 45 Zu den früheren Anpassungen des IPR in Spanien, Griechenland und Portugal siehe Hinweise bei Jürgens, S. 91, Fn. 221.
§ 2 Motive und Notwendigkeit der Reform
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ßen durch die Entwicklung in Deutschland46 auch das Kollisionsrecht den Verfassungsgrundsätzen unterstellen wollte47. Nachdem der Gesetzgeber jedoch nicht tätig wurde, blieb es letztendlich dem Corte Costituzionale vorbehalten, in zwei Entscheidungen ein Umdenken herbeizufuhren. Bezugnehmend auf das deutsche BVerfG 48 erklärte das Gericht im Jahre 1987 Art. 1849 und Art. 20 I 5 0 disp. prel. insofern für verfassungswid46 Siehe den „Spanier-Beschluss" des BVerfG vom 4. 5. 1971 (BVerfGE 31, S. 58 = NJW 1971, S. 1509) zu Art. 6 I GG; ebenso die Beschlüsse vom 22. 2. 1983 (BVerfGE 63, S. 181 = NJW 1983, S. 1968 - zu Art. 15 I, II 1. Hs. EGBGB a. F.) und vom 8. 1. 1985 (BVerfGE 68, S. 384 = NJW 1985, S. 1282 - zu Art. 17 I EGBGB a. F.) zu Art. 3 II GG. Den Einfluss der deutschen Rechtsprechung belegen die Beiträge der Tagung von Padua von 1988 (Fn. 51), die in Barel / Costantino, Norme di conflitto italiane e controllo di costitutionalità, Padua 1990 veröffentlicht wurden. Siehe vor allem
Ballarino, ebenda, S. 182 ( „ / / problema ...è nato in Germania, .... "); im Tagungsband
sind auch die zitierten Entscheidungen des BVerfG auf S. 186 - 225 abgedruckt. Zur Diskussion der deutschen Rechtsprechung s. a Ballarino, Costituzione, S. 70 - 74 (Nr. 14), der sich jedoch damals noch gegen die verfassungsmäßige Kontrolle des IPR in Italien ausgesprochen hat. Ausführlich zu den Urteilen des italienischen und deutschen Verfassungsgerichtshofes Jürgens (siehe Literaturverzeichnis). 47 Für eine verfassungsrechtliche Kontrolle von Kollisionsnormen sprach sich erstmals Giardina, in RDIPP 1974, S. 5 - 31 (16 f. [mit Hinweis auf den „Spanierbeschluss" des BVerfG - vorige Fußnote] und zusammenfassend S. 31) aus; später ebenso Ballarino, DIP 1, S. 139 - 145 (zu Ballarinos früherem Standpunkt siehe Fn. 44). Siehe auch Hinweise (Zweifel der Verfassungsmäßigkeit) bei Balladore Pallien, DIP (1974), S. 199 und Vitta, in Problemi, S. 287. 48 Corte cost. 5. 3. 1987 (nächste Fußnote), in RDIPP 1987, S. 297 (303). 49 Corte cost. 5. 3. 1987, η. 71 in Gazz. Uff. 11. 3. 1987, η. 11, S. 24 = Giur. cost. 1987, S. 566 - 578 = RDIPP 1987, S. 297 - 304 = RDI 1987, S. 417 - 423 = Foro it. 1987,1., Sp. 2315. Einige Quellen führen den 26. 2. 1987 als Urteilstermin an (Foro it., a.a.O. und Mansel [Fn. 51]). Bei Urteilen des Corte Costituzionale werden zwei Daten angegeben (siehe Veröffentlichungen in Giur. cost.); das erste bezeichnet den Tag der Entscheidung, das zweite den Tag der Hinterlegung derselben in der Kanzlei des Gerichtes (siehe zu dem angeführten Urteil: le leggi 1987, IV., S. 32; ebenso Giardina, in RDIPP 1987, S. 209 und Ballarino, DIP 2, S. 69). Zitiert wird in der Regel das Datum der Hinterlegung (siehe vor allem den Abdruck der Entscheidung in Barel / Costantino (Fn. 46), S. 147 sowie S. 155 zur Entscheidung n. 477 [nächste Fußnote]). Der Tag der Hinterlegung wird z. T. als Zeitpunkt der „Bekanntmachung" der Entscheidung i. S. d. Art. 136 I cost, (siehe in Fn. 53) angesehen; die h. M. stellt jedoch auf die Veröffentlichung der Urteile in der Gazzetta Uffiziale ab (Crisafulli, Lezioni II, S. 383 f.; Pizzurusso, in Branca, Art. 136, S. 186 und CP (Morelli),
Art. 136, III. 4., mit
Einschränkung für diejenigen, denen der Spruch bereits durch die Niederlegung bekannt wird. Zur Frage s. a. Dietrich, S. 164; zur Hinterlegung der Urteile in der Gerichtskanzlei und zu deren Veröffentlichung in der Gazzetta Ufficiale siehe Artt. 19, 29, 30 I legge 11.3. 1953, n. 87: Norme sulla costituzione e sul funzionamento della Corte costituzionale, in Gazz. Uff. 14. 3. 1953, n. 62 = le leggi 1953, S. 260 - 294. 50 Corte cost. 10. 12. 1987, η. 477, in Gazz. Uff. 16. 12. 1987, n. 53 = Giur. cost. 1987, S. 3234 - 3239 = RDIPP 1988, S. 67 - 72 = RDI 1988, S. 220 - 223 = Foro it.
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Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
rig, als in ihnen einseitig auf das Heimatrecht des Mannes abgestellt wird (Verstoß gegen Artt. 3,29 II cost.) 51 . Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Art. 19 I disp. prel., der ebenfalls einseitig das Heimatrecht des Mannes zur Anwendung berufen hat, ist hingegen vom Gerichtshof nicht überprüft worden 52 . Die Bestimmung war somit trotz ihrer offensichtlichen Verfassungswidrigkeit bis zur Reform von 1995 geltendes Recht. Dies ergibt sich - parallel zum deutschen BVerfG (Artt. 93 I Nr. 4 a, 100 I GG) - aus der alleinigen Verwerfiingskompetenz des Corte Costituzionale fur formelle Gesetze (Art. 134 I cost.) 53 . Die Verfassungswidrigkeit der in
1988, I., Sp. 1455 - 1458. Aus denselben Gründen wie in der vorherigen Fußnote wird von den dort genannten Quellen und auch von Jayme [nächste Fußnote]) der 25. 11. 1987 als Datum angegeben (siehe le leggi 1987, IV., S. 228 f.). Im Urteil vom 9. 2. 1983 (siehe Fn. 23 unter 2)) wurde die Klärung der Verfassungsmäßigkeit von Art. 20 disp. prel. noch abgelehnt. 51 Zu diesen Entscheidungen aus der italienischen Literatur siehe Ballarino, in Riv. not. 1987, S. 663 - 674; Salerno , in Giur. cost. 1987, S. 1033 - 1044; Giardina , in RDIPP 1987, S. 209 (212 -214); Poletti Di Teodoro , in Foro it. 1987, I., Sp. 2317 2334 und Corrao , in RDI 1988, S. 303 - 343. Die beiden Urteile waren Gegenstand einer Tagung am 16. 3. 1988 in Padua; zu den Beiträgen dieser Tagung siehe Barel / Costantino {Fn. 46). Zu einer Zusammenfassung in der aktuellen Literatur siehe auch Ballarino, DIP 2, S. 69 f. Zur deutschen Literatur siehe zu Art. 18 disp. prel. Flohloch, in IPRax 1987, S. 257 f.; Jürgens, in RabelsZ 1988, S. 342 - 350 und zu Art. 20 I disp. prel. Jayme,, in IPRax 1988, S. 322; Jürgens, in RabelsZ 1989, S. 340 - 344. Zu beiden Urteilen siehe Mansel, in JbltR, Bd. 2 (1989), S. 165 - 169 und ausführlich Jürgens, IPR und Verfassung in Italien und in der Bundesrepublik Deutschland, S. 55 - 203 (zu Art. 18 disp. prel.) bzw. S. 203 -213 (zu Art. 20 disp. prel.). 52 In einer frühen Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Art. 9 I disp. prel. mangels dargelegter Entscheidungserheblichkeit der Frage abgelehnt (Corte cost. 16. 4. 1975, η. 87 [Fn. 23 unter 1)]). Der Kassationshof ist der Klärung in einem späteren Urteil „ausgewichen", da er die Vorschrift als im zu entscheidenen Fall nicht für einschlägig angesehen hat (Cass. 8. 1. 1981, n. 131, in RDIPP 1982, S. 348 (350 f.) = Giust. civ. 1981,1., S. 2067 [2069]). Zur Verfassungswidrigkeit des Art. 19 I disp. prel. und den sich daraus ergebenden Folgen sowie kritisch zu den „Ausflüchten" (S. 217) der beiden Urteile Jürgens, S. 214 - 223 m.w.N. 53 Crisafulli, Lezioni II, S. 392 f. gegen Vertreter der Nichtigkeitstheorie (tesi di nullità), die sich ζ. T. für eine Verwerfungskompetenz der öffentlichen Verwaltung ausgesprochen haben; ebenso fiir eine Bindung der Verwaltung Paladin, Dir. Cost., S. 774 mit Hinweis auf Art. 97 I cost. Im italienischen Verfassungsrecht ist die Frage umstritten, ob verfassungswidrige Gesetze per se nichtig sind (nullità ordinaria) oder nur aufgehoben werden können (annullamento); zur dieser Diskussion siehe CP (Morelli), Art. 136, X., Rn. 2 - 5 m.w.N. und Paladin, Dir. Cost., S. 112 sowie Dietrich, S. 168 m.w.N. in Fn. 263 - 265. Die Kontroverse dreht sich um die Formulierung des Art. 136 I cost., der auf der einen Seite von einer Aufhebung verfassungswidriger Gesetze mit Wirkung am Tage nach der Bekanntgabe der Entscheidung spricht („ ... , la norma cessa di avere efficacia dal giorno successivo alla pubblicazione della decisione. " - zum Zeitpunkt der
§ 2 Motive und Notwendigkeit der Reform
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Art. 19 I disp. prel. gewählten Anknüpfung wurde im Anschluss an die Urteile des Corte Costituzionale jedoch von der Literatur nicht mehr angezweifelt 54. Ein dementsprechendes Urteil wäre - bei Gelegenheit55 - mit Sicherheit für die Zukunft zu erwarten gewesen. Dem ist der Gesetzgeber mit dem neuen IPRGesetz zuvorgekommen.
„pubblicazione" siehe in Fn. 49), deren Verfassungswidrigkeit jedoch auf der anderen Seite lediglich „festgestellt" werden soll („dichiara"). Im Ergebnis ist die Diskussion aber ohne große Bedeutung, da instanzliche Gerichte und die öffentliche Verwaltung das Verwerfimgsmonopol des Corte Costitutionale zu respektieren haben und trotz der erwähnten theoretischen Überlegungen Rechtsprechung und Literatur einmütig von einer sog. „beschränkten Rückwirkung" von Verfassungsgerichtsurteilen ausgehen 0Crisafulli,
Lezioni II, S. 384 - 387; CP (Morelli), Art. 136, IV. und V.; Paladin, Dir.
Cost., S. 770, siehe auch Dietrich, S. 165 f. m.w.N.). Die erklärte Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift wirkt sich insofern „rückwirkend" auf noch anhängigen Verfahren aus (Pizzurusso, in Branca, Art 136, S. 184 bei Fn. 5; s. a Art. 30 III legge 11. 3. 1953, n. 87 [Fn. 49]: „Le norme dichiarate incostituzionali non possono avere applicazione dal giorno successivo cdla pubblicazione della decisione ... . ")· Im Gegensatz dazu
werden abgeschlossene Sachverhalte (rapporti esauriti) von den Urteilen nicht erfasst. In diesem Sinne auch Corte cost. 16. 2. 1989, η. 50, in Giust. civ. 1989, L, S. 509 (510) mit Anm. Morelli, S. 510 - 514 = le leggi 1989, IV., S. 66 (zu früheren Urteilen siehe Dietrich, S. 165, Fn. 239, 240) und aktuell Trib. Milano 7. 4. 1997, in RDIPP 1998, S. 408 - 415 mit Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Corte di Cassazione, S. 411 f. Das deutsche Verfassungsrecht geht hingegen im Hinblick auf Art. 20 III GG (Vorrang des Gesetzes) vom Grundsatz der Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze aus (siehe erstmals Beschluss des BVerfG vom 12. 10. 1951 [BVerfGE 1, S. 14 (37)]). Da das Verwerfungsmonopol für formelle Gesetze jedoch unbestritten beim Bundesverfassungsgericht liegt, scheint die praktische Relevanz dieses theoretischen Ansatzes sehr in Frage zu stehen (s. a. MD (Herzog), Art. 20, VI., Rn. 12). Im Einzelfall wird es ohnehin mit Rücksicht auf Erfordernisse der verfassungsmäßigen Ordnung (Regelungslücken, Rechtssicherheit und Vertrauensschutz) und / oder auf Grund eines ausreichenden Grundrechtsschutzes durch eine Gesetzesergänzung bzw. -änderung als ausreichend erachtet, Gesetze nur ex nunc als grundgesetzwidrig zu erklären und dem Gesetzgeber gegebenenfalls eine Frist zur gesetzlichen Neuregelung einzuräumen (siehe erstmals BVerfGE 4, S. 157 [Urteil vom 4. 5. 1955] und in jüngster Zeit BVerfGE 93, S. 121 (148) [Beschluss vom 22. 6. 1995]); zur Literatur siehe Battis , in HbStR VII, § 165, Rn. 29-45. 54
Giardina, in RDIPP 1987, S. 209 (210 und vor allem 224 f.); Poletti Di Teodoro,
in Foro it. 1987,1., Sp. 2333; Corrao, in RDI 1988, S. 303 (320); Salerno, in Giur. cost. 1987, S. 1040; Vitta, Corso 3, S. 228 (im Gegensatz zu seiner früheren Ansicht Fn. 44); siehe auch Jürgens, S. 219 m.w.N. in Fn. 618. 55 Eine Berechtigung, das Verfassungsgericht anzurufen, steht nach der italienischen Verfassung nur den Gerichten i. R. e. anhängigen Prozesses zu (Art. 134 I cost. i. V. m. Art. 1 legge costituzionale 9. 2. 1948, Gazz. Uff. vom 20. 2. 1948, n. 43). Eine Verfassungsbeschwerde des einzelnen Bürgers ist in der italienischen Verfassung nicht vorgesehen (siehe dazu Dietrich, S. 210-212). Insofern werden in Italien des öfteren „Scheinprozesse" anberaumt, um gewisse Fragen verfassungsrechtlich klären zu lassen (s. a. Hinweis bei Metka, Die Behandlung möglicherweise verfassungswidriger Gesetze zwischen Deutschland und Italien, Gießen 1973, S. 13 bei Fn. 43).
Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
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Die durch die Urteile des Corte Costituzionale entstandenen Regelungslücken56 und die Disharmonie des Art. 19 I disp. prel. mit den Entscheidungen des Gerichtshofes lieferten weitere Gründe für eine Reform des internationalen Privatrechts 57. Durch das IPRG wurde der Gleichheitsgrundsatz auch für den Bereich des internationalen Privatrechts normativ festgeschrieben 58.
IV. Anpassung an staatsvertragliches Kollisionsrecht Abgesehen von diesen rein nationalen Erwägungen begründeten - wie bereits im Dekret von 1985 erwähnt59 - die zahlreichen für Italien in Kraft befindlichen internationalen Abkommen die Notwendigkeit einer Reform. Insbesondere die Beitritte Italiens zum EuGVÜ60 und zum EVÜ 61 machten es erforderlich, aus diesem Nebeneinander von nationalem und internationalem Recht62 ein einheitliches System zu schaffen. Die Übernahme bzw. Bezugnahme auf internationale Verträge sollte ein Schwerpunkt des neuen italienischen IPR-Gesetzes werden, so dass der italienische Gesetzgeber seine traditionell „staatsvertragsfreundliche" Grundhaltung fortgesetzt hat63.
V. Reformdruck durch die IPR-Reformen anderer europäischer Staaten Neben diesen „objektiven" Notwendigkeiten einer Reform darf auch der „psychologische" Druck nicht vernachlässigt werden, der durch die neueren kollisionsrechtlichen Gesetze anderer europäischer Staaten ausgegangen ist64. Die Bedeutung dieser Kodifikationen auf die Vorarbeiten zu dem neuen IPRGesetz zeigt sich insbesondere in deren ausführlicher Erwähnung in den 56
Zur Frage der Ersatzanknüpfungen siehe Jürgens, S. 173 - 202 (Art. 18 disp. prel.) bzw. S. 210-213 (Art. 20 I disp. prel.). 57 Auf die beiden Urteile des Corte Costituzionale verweist auch der Kommissionsbericht, wenn er von einem „invecchiamento" der bisherigen kollisionsrechtlichen Bestimmungen spricht (RDIPP, 1989, S. 948 oben - s. a § 2, Fn. 4). 58 Siehe § 3 II. 4. b). 59 Siehe § 1, Fn. 14 (Quelle) und § 2, Fn. 6 (Wortlaut). 60 Zum EuGVÜ und seinem Inkrafttreten am 1. 2. 1973 siehe unter § 16 II. 3. a), Fn. 1 und dort unter 4. b) zur Hinweisnorm des Art. 3 II 1 IPRG. 61 Zum EVÜ siehe unter § 14 zur Hinweisnorm des Art. 57 IPRG; i. E. zum Inkrafttreten des Abkommens am 1.4. 1991 siehe dort in Fn. 7. 62 Munari, in JbltlR, Bd. 9 (1996), S. 39 spricht von einer „Dichotomie zweier entgegengesetzter Systeme". 63 Siehe auch Hinweis bei Giardina, in RDIPP 1985, S. 5 (12). 64 Siehe § \,Fn. 1.
§ 2 Motive und Notwendigkeit der Reform
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Berichten zur Tagung der italienischen Notariatskammer von 1984 in Rom65, im Bericht der Expertenkommission zum Gesetzesentwurf von 198966 und m der Literatur zu den Vorarbeiten zum IPRG67. Schon Vitta erkannte in diesen Kodifikationen die „selbe Art gewisse Probleme zu formulieren und zu lösen", auch wenn man noch nicht von einem „ius commune" sprechen kann68. Eine Nichtteilnahme an diesen Reformbewegungen wurde als äußerst problematisch angesehen69. Diese „Grundideengemeinschaft" 70 sollte sich in dem neuen Gesetz widerspiegeln; der italienische Gesetzgeber ließ sich dabei vor allem vom neuen schweizerischen IPR-Gesetz von 1987 inspirieren 71.
65
Zur Tagung siehe § 1, Fn. 13; zu den Hinweisen auf frühere IPR-Regelungen siehe den Anhang (appendice) in Problemi, S. 715 - 719 (Quellenangaben der IPRGesetze von zwölf Staaten), S. 721 - 1041 (italienische Übersetzung der IPR-Gesetze von Ruini); zur Übersetzung der Bestimmungen der deutschen IPR-Reform (EGBGB, ZPO usw.) ins Italienische siehe Lettieri /Mozzillo, in RDI 1987, S. 495 - 518. 66 RDIPP 1989, S. 948 zweiter Absatz. 67 Vitta, in Problemi, S. 8 f. und S. 290; ders., in RDI 1986, S. 5; Giardina, in RDIPP 1985, S. 5 (7 - 9) und Davi , in Studi Vitta, S. 45 (46 - 49). 68 Vitta , in Problemi, S. 290: „Anche se non può ancora parlarsi di uno ius commune europeo ... vi sono ... elementi di stesso modo di impostare e risolvere talcuni almeno dei problemi connessi a detti conflitti 69 Vitta (vorige Fußnote) und Giardina. , in RDIPP 1985, S. 5 (6 - 9). 70 Lettieri , in Jayme / Mansel, S. 204. 71 Ebenso Walter , in Quaderni, S. 165 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 233.
§ 3 Der Charakter des Gesetzes I. Die Kodifikationen von 1865 und 1942 (Das „System Mancini")
Die Struktur des bisherigen italienischen Kollisionsrechts geht weitestgehend auf Mancini (1817 - 1888) zurück1, von dem die erste italienische IPRKodifikation aus dem Jahre 1865 stammt (Artt. 6 - 1 2 disp. prel. von 1865)2. Das „System Mancini" beruhte auf drei Grundprinzipien: dem Nationalitätsprinzip (nazionalità)3, der individuellen Freiheit (libertà) und der staatlichen Souveränität (sovranità)4. Diese Leitlinien fanden ihren Ausdruck in der überwiegenden Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Beteiligten (Nationalitätsprinzip) für den Bereich des Personen-, Familien- und gesetzlichen Erbrechts sowie des Mobiliarsachenrechts (Artt. 6, 7 I, 8 disp. prel. 1865), in der Anerkennung der Privatautonomie (Freiheit) im Schuld-, Testaments- und Schenkungsrecht (Art. 9 I disp. prel. 1865) und in der Schranke für ausländisches Recht mittels des ordre public (Souveränität). Neben der allgemeinen ordre-public-Bestimmung (Art. 12 disp. prel. 1865) verstand Mancini auch die Anwendung der lex rei sitae für den Bereich des Immobiliarsachenrechts (Art. 7 II disp. prel. 1865) als Ausdruck der staatlichen Souveränität5. Die überwiegende Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit6 der Beteiligten beruhte auf der Überlegung, dass der Einzelne in seinen persönlichen Verhält-
1
Siehe auch § 1 ,Fn. 8. Zum Text der Artt. 6 - 1 2 disp. prel. von 1865 siehe in Prospettive, S. 547 f. und bei Vitta, DIP III, S. 539 f.; zur Entstehungsgeschichte und zum Text des Entwurfes von Mancini siehe Jayme, Mancini, S. 7 f. bzw. 56 - 58. 3 Siehe dazu auch II. 5. a) aa). 4 Siehe dazu Ballarino, DIP 2, S. 30 - 34 mit Zusammenfassung auf S. 34 unter e); Vitta, DIP I, S. 35 - 41; Jayme, Mancini, S. 3 f. und Kindler, Einführung, § 19, Rn. 3 - 5; siehe auch v. Bar / Mankowski, IPR I, § 6, Rn. 59 - 66. 5 Jayme, Mancini, S. 3 und Kindler, Einführung, § 19, Rn. 5. 6 Mancini spricht dabei von der Anwendung des „legge della nazione", konkretisierte dies jedoch durch die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit (Jayme, 2
§ 3 Der Charakter des Gesetzes
51
nissen von seinem Heimatrecht geprägt wird und ihm dieses vertraut ist7. Mancini erkannte damit die Gleichwertigkeit der nationalen Rechtsordnungen an8 und verwarf die Idee der „freundlichen Zulassung" von fremdstaatlichen Regelungen in das interne Recht9. Als notwendige Konsequenz dieser Gleichstellung formulierte Mancini erstmals10 allseitige11 Kollisionsnormen, d. h. Vorschriften, die nicht nur den Anwendungsbereich des innerstaatlichen Rechts beschreiben, sondern allgemein das anzuwendende Recht bestimmen12. Darüber hinaus verzichtete Mancini auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit (Art. 3 c. c. von 1865)13. Mancinis Gesetzeswerk diente im Folgenden als Grundlage für die Reform des Jahres 1942 (Artt. 1 7 - 3 1 disp. prel.), dessen Bestimmungen bis zum Inkrafttreten des IPRG geltendes Recht waren. Auch wenn Mancinis Lösungen dabei weitestgehend übernommen wurden14, so zeigten die disp. prel. des Jahres 1942 doch erhebliche Abweichungen von den Vorschriften Mancinis15. Hervorzuheben sind dabei die Rückkehr zum Gegenseitigkeitsgrundsatz im Fremdenrecht (Art. 16 disp. prel.) 16, die Beschränkung der Privatautonomie auf das Vertragsrecht (Art. 25 I disp. prel.) und die Anwendung der lex rei sitae nicht nur für das Immobiliar-, sondern auch für das Mobiliarsachenrecht (Art. 22 disp. prel.). Darüber hinaus wurde das Familienrecht neu gestaltet (Artt. 18-21 disp. prel.) und die außerhalb der disp. prel. liegenden Kollisions-
Mancini, S. 27 und Kindler, Einführung, § 19, Rn. 3). Dasselbe gilt für die disp. prel. des Jahres 1942 („legge nazionale"); lediglich in Art. 17 I disp. prel. 1942 verwendet der Gesetzgeber die Formulierung „legge dello Stato". Zum IPRG siehe II. 2., Fn. 4L 7 Siehe auch II. 4. d), Fn. 79 zur Anwendung des Heimatrechts für Schutzbedürftige. 8 Jayme, Mancini, S. 4 - 6 und S. 31 f. sowie Ballarino, DIP 2, S. 31 f. und S. 149; siehe dazu auch II. 5. a) aa). 9 Siehe dazu Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1849, Bd. 8, S. 28 in Anknüpfung an die zeitgenössische „comitas"-Lehre. 10 Der vor dem codice civile in Italien in Kraft befindliche französische code civil von 1804 („code Napoleon" - siehe dazu Kindler, Einführung, § 8, Rn. 1) enthielt ausschließlich „einseitige" Kollisionsnormen, die nur den Anwendungsbereich des innerstaatlichen Rechts beschrieben haben (Jayme, Mancini, S. 4 f.; zu den kollisionsrechtlichen Bestimmungen des code civil siehe v. Bar / Mankowski, IPR I, § 6, Rn. 44 46). 11 Zum Begriff der „Allseitigkeit" siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). 12 Jayme, Mancini, S. 4 - 6. 13 Zu der Vorschrift siehe § 7 III., Fn. 82; s. a. Kindler, Einführung, § 19, Rn. 2. 14 Siehe § \,Fn. 8. 15 Zu den Änderungen siehe auch Kindler, Einführung, § 19, Rn.6. 16 Siehe dazu in § 7.
52
Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
Vorschriften einseitig17 gefasst (Artt. 115, 116, 2505 - 2509 c. c.18). Hauptkriterium der kollisionsrechtlichen Anknüpfung blieb jedoch weiterhin die Staatsangehörigkeit. Die Bestimmungen der Artt. 1 7 - 3 1 disp. prel. zeichneten sich weiterhin durch die formale Strenge ihrer Anknüpfungspunkte aus. Die Vorschriften enthielten fast ausnahmslos19 Einzelanknüpfungen, sofern nicht infolge der Art der gewählten Primäranknüpfungen eine subsidiäre Regelung erforderlich war 20. Darüber hinaus bediente sich der Gesetzgeber ausschließlich vorhersehbarer („a priori") Anknüpfungskriterien 21. Derartige Regelungen sollten die Feststellbarkeit des Rechts erleichtern. Eine interessenorientierte Abwägung wurde durch sie jedoch unmöglich gemacht. Angeknüpft wurde im Personen-, Familien-, Erbschafts- und Schenkungsrecht zwingend an die Staatsangehörigkeit der Beteiligten (Artt. 17 - 21, 23, 24 disp. prel. 22). Im Sachenrecht (Art. 22 disp. prel.) und außervertraglichen Schuldrecht (Art. 25 II disp. prel.) ist auf das Belegenheits- bzw. Tatortrecht abgestellt worden. Eine Rechtswahl war ausschließlich im Vertragsrecht möglich (Art. 25 I 2 disp. prel.) 23; mangels einer Vereinbarung kam auch hier das gemeinsame Heimatrecht der Vertragsparteien zur Anwendung (Art. 25 I 1 1. Hs. disp. prel.).
II. Die Charakteristika des IPRG Die erwähnten Motive für die Reform von 199524 spiegeln sich konsequenterweise in der Neugestaltung des italienischen IPR wider. Der Gesetzgeber nutzte die Gelegenheit, das Kollisionsrecht internationalen Standards anzupassen und Streitpunkte innerhalb der Literatur zu bereinigen.
17
Zur Terminologie siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). Zu den Vorschriften siehe § 5 III. 3. (Art. 115, 116 c. c.) bzw. § 5 II. 2. (Artt. 2505-2509 c. c.). 19 Ausnahme Art. 26 I disp. prel. (alternative Anknüpfung für Formstatut); zu den Form Vorschriften im IPRG siehe § 3 II. 4. c). 20 Siehe Artt. 18 I, 25 I 1 disp. prel. (gemeinsames Heimatrecht als Primäranknüpfüng) und Art. 20 I disp. prel. (subsidäre Anknüpfung mangels Vaterschaftsfeststellung). 21 Siehe dazu II. 3. 22 Eine Ausnahme bildet lediglich Art. 17 II disp. prel.; siehe entsprechend zu Art. 23 II IPRG nach neuem Recht unter § 14 III. 2. a), Fn. 44. 23 Zu beachten ist dabei, dass das EVÜ am 1. 4. 1991 und das CISG am 1. 1. 1988 in Italien in Kraft getreten sind (siehe § 14 I. bzw. II. 1. a)). 24 Siehe §2. 18
§ 3 Der Charakter des Gesetzes
53
1. Der Umfang der Reform (Kodifikationscharakter)
Der Tradition Mancinis folgend und dank Vittas umfassenden Vorarbeiten gingen die italienischen Reformbemühungen zum internationalen Privatrecht immer in Richtung einer umfassenden Kodifikation. Fragmentarische Lösungen wie im deutschen Recht standen nie zur Debatte 25 . In Anknüpfung an die jüngsten IPR-Reformen anderer europäischer Staaten26 - mit Ausnahme des deutschen EGBGB - formulierte der Gesetzgeber ein selbständiges Gesetz und gliederte die Vorschriften des internationalen Privatrechts aus dem allgemeinen Zivilrecht aus. Über das IPR hinaus enthält das neue Gesetz auch erstmals eine ausfuhrliche Regelung des internationalen Zivilprozessrechts (IZPR) 2 7 . Im Gegensatz zu Vittas progetto 28 hat die Expertenkommission das Verfahrensrecht in die Kodifikationsarbeiten einbezogen 29 und sich insofern für eine „globale" Reform des IPR und des IZPR ausgesprochen 30. Das italienische IPRG folgt auch in diesem Punkt dem Vorbild anderer europäischer IPR-Gesetze jüngeren Datums 31 . Einzelne Spezialgebiete wie das Insolvenz- und das Schiedsrecht blieben jedoch ausgeklammert 32 .
25
Siehe dazu Ballarino, in Studi Vitta, S. 4. Siehe dazu den Anhang I. 27 Ausfuhrlich dazu unter § 16. 28 Zu Vittas „progetto" siehe § 1, Fn. 12. Vitta, in Problemi, S. 12 f. weist jedoch darauf hin, dass auf Grund der Interferenzen zwischen IPR und IZPR im Rahmen der Reform auch das IZPR zu novellieren sei; eine eingehende Untersuchung dieser Materie wollte Vitta jedoch den weiteren Arbeiten zu dem neuen Gesetz überlassen. 29 Zu den Regelungen des IZPR im Kommissionsentwurf von 1989 siehe Luzzato, in Studi Vitta, S. 151 - 171 = RDI 1990, S. 832 - 848. 30 Siehe in RDIPP 1989, S. 947 zum Kommissionsbericht („riforma globale"). 31 Zu den prozessualen Regelungen europäischer IPR-Gesetze siehe §§ 37 - 68 tschechisch / slowakisches IPRG von 1963, Artt. 27 - 30 albanisches IPRG von 1964, §§ 54 - 74 ungarische IPR-VO von 1979, Artt. 27 - 45 türkisches IPRG von 1982, Artt. 46 - 101 jugoslawisches IPRG von 1982 und Art. 148 - 181 rumänisches IPRG von 1992. Zu den allgemeinen Verfahrensbestimmungen des schweizerischen IPRG siehe Artt. 2 - 12 und 25 - 32 schweizerisches IPRG von 1987; das Gesetz enthält darüber hinaus noch spezielle prozessrechtliche Normen im Rahmen der einzelnen Rechtsmaterien; s. a. unter § 16 II. 5. zum italienischen IPRG. Bei den Vorarbeiten zum italienischen IPRG hat Giardina (Mitglied der Expertenkommission) bereits früh auf die IZPR-Regelungen ausländischer IPR-Gesetze hingewiesen (RDIPP 1985, S. 44). Von den aus dem allgemeinen Zivilrecht ausgegliederten, selbständigen IPRGesetzen enthalten das polnische und österreichische IPRG sowie im Anschluss an letzteres auch das IPRG Liechtensteins keine verfahrensrechtlichen Bestimmungen; dasselbe galt für das IPRG der ehemaligen DDR. Zu den Gesetzen siehe Anhang I. 32 Siehe § 5 III. zu den IPR-Regelungen außerhalb des neuen IPR-Gesetzes. 26
54
Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
Im Rahmen des IPR und IZPR wurden ganze Bereiche neu oder erstmalig geregelt. Neben der internationalen Zuständigkeit33 gilt dies vor allem für den bisher nicht normierten allgemeinen Teil des IPR (Artt. 13-19 IPRG)34. Durch die Kodifikation der darin behandelten Grundsatzfragen wurde eine Vielzahl von Streitpunkten innerhalb der Literatur durch gesetzliche Normierung entschieden35. Auch für einzelne Spezialgebiete des IPR entwickelte der Gesetzgeber erstmalig eigene Kollisionsnormen36. Darüber hinaus wurden die traditionellen Gebiete des IPR wesentlich umfassender gestaltet und damit den heutigen Anforderungen der Materie angepasst37. Dasselbe gilt natürlich auch für die Ausführlichkeit der einzelnen Bestimmungen. Auffallig ist, dass die einzelnen Rechtsgebiete sehr unterschiedlich gewichtet wurden. Insbesondere wenn man die sehr ausführlichen Regelungen des Familienrechts (Artt. 26 - 45 IPRG)38 der einzelnen gesellschaftsrechtlichen Regelung des Art. 25 IPRG gegenüberstellt, so zeigt sich doch ein erhebliches Missverhältnis39.
33 Zu den neuen Bestimmungen siehe Artt. 3 - 1 1 IPRG. Bis dahin enthielt die Zivilprozessordnung lediglich „einseitige" (zu dem Begriff siehe I., Fn. 11 und Fn. 17 und Exkurs unter § 11 II. 2. a)) Bestimmungen zur Frage der italienischen Zuständigkeit (i. E. dazu §16 II. 2. a)). 34 Siehe dazu § 17. 35 Siehe dazu Winkler, in JbltR, Bd. 4 (1991), S. 104 f. unter IV. 1. und Boschiero, in ZfRV 19%, S. 146. 36 Z. B. Art. 24 IPRG zum Persönlichkeitsrecht und Art. 25 IPRG zum Gesel lschaftsrecht. 37 Siehe zum Familienrecht die Artt. 26 - 45 IPRG, zum Erbrecht die Artt. 46 - 50, zum Sachenrecht die Artt. 5 1 - 5 5 und zum außervertraglichen Schuldrecht die Artt. 58 - 63. Im Gegensatz dazu enthielten die bisherigen IPR-Bestimmungen (Artt. 1 7 - 3 1 disp. prel.) nur jeweils einen Artikel zum Sachenrecht (Art. 22), Erbrecht (Art. 23, sofern man die Schenkung (Art. 24) nicht als erbrechtliche Bestimmung ansieht, siehe dazu § 14 III. 3.) bzw. Schuldrecht (Art. 25); siehe dazu auch § 3 I. 38 Das Familienrecht nimmt jedoch in allen IPR-Kodifikationen den größten Raum ein; auch im Rahmen des bisherigen italienischen IPR war dies der Fall (Artt. 1 8 - 2 1 disp. prel.). 39 Im Gegensatz dazu regelt das schweizerische IPRG das Gesellschaftsrecht in seinen Artt. 150- 165 sehr ausführlich; ebenso kritisch Munari, in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 58, Fn. 120. Wobei Munaris Kritik an der „ausführlichen" Verlöbnisregelung (Art. 26 IPRG) nicht unbedingt gefolgt werden kann; die Diskussionen im deutschen Recht in diesem Bereich zeigen, dass hier doch ein gewisser Mindestregelungsbedarf besteht (siehe dazu MüKo (Coester), vor Art. 13 EGBGB).
§ 3 Der Charakter des Gesetzes 2. Staatsangehörigkeitsanknüpfung
55
(Nationalitätsprinzip)
Mancinis Nationalitätsprinzip40 folgend blieb die Staatsangehörigkeit auch im IPRG als dominierender Anknüpfungspunkt im Personen-, Familien-, Erbund Schenkungsrecht bestehen (Artt. 20 S. 1,22 1,23 I 1,24 I, 26,27, 29 I, 30 I 1, 31 I, 33, 34, 35 I, II, 36, 38 I 1, II, 39 1. Hs., 43 S. 1, 46 I, 47, 56 I IPRG)41. Im Gegensatz zu den starren Bestimmungen der disp. prel. lässt das Gesetz jedoch in erheblichem Maße Abweichungen von diesem zu. Dies zeigt sich in Vorbehalten zugunsten von Spezialregelungen (Artt. 20 S. 2,23 12, 24 I 2. Hs., 27 S. 2 IPRG) und in der subsidiären Anwendung italienischen Rechts (Artt. 26 2.Var., 38 I 2, 43 S. 2 IPRG), des Ortsrechts des Lebenschwerpunktes (Artt. 29 II, 31 I 2. Hs., 39 2. Hs. IPRG) bzw. des Aufenthaltsrechtes (Artt. 38 I 2, 39 2. Hs. IPRG). Auch bei alternativen Anknüpfungen kommt das Heimatrecht gelegentlich nur als eine der möglichen Rechtsordnungen in Betracht (Artt. 28, 48 IPRG). Abgewichen wird von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung auch zugunsten von internationalen Verträgen, die das Aufenthaltsrecht zur Anwendung berufen (Art. 42 i. V. m. Art. 2 I MSA und Art. 45 i. V. m. Art. 4 USTA)42. Insofern verliert der Nationalitätsgrundsatz durch das IPRG zwar an Bedeutung, bleibt jedoch das grundlegende Prinzip des italienischen IPR.
3. Die Flexibilität
der Anknüpfung
Ausschlaggebend für die Fortführung der Staatsangehörigkeitsanknüpfung in diesem Maße war neben traditionellen Gründen vor allem das Misstrauen der italienischen Literatur gegen sog. „a posteriori"-Anknüpfungen, d. h. gegen Anknüpfungsmomente, die keine Bestimmung des anwendbaren Rechts im Voraus ermöglichen und diese der richterlichen Einzelabwägung überlassen (z. B. engste Verbindung, Lebensschwerpunkt, charakteristische Leistung)43. Im Sinne der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit werden nach wie vor 40
Siehe oben unter I. Ebenso wie im Rahmen der disp. prel. (Fn. 6) so bezeichnet auch das IPRG das Heimatrecht grundsätzlich als „ legge nazionale " der Beteiligten. In Einzelfallen spricht das Gesetz aber auch vom „ legge dello Stato di cui ... è / era cittadino " (Artt. 30 I 2, 33 II, 48 IPRG) oder vom „diritto nazionale44 (Art. 38 11 IPRG). 42 I. E. zu diesen Bestimmungen siehe § 12 (MSA) und § 13 (USTA). 43 Siehe dazu Lettieri, in Jayme / Mansel, S. 203 (215) und Campiglio , in RDIPP 1985, S. 47 f. im Zusammenhang mit der Frage über eine Einfügung einer Ausnahmeklausel (siehe dazu bei Fn. 51). 41
56
Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
sog. „a priori"-Anknüpfungen bevorzugt, die das anzuwendende Recht gesetzlich vorbestimmen (ζ. B. Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, Aufenthalt). Trotz dieses Grundverständnisses trägt das IPRG auch den neueren Entwicklungen des IPR Rechnung, die auf der Suche nach dem „proper law" flexiblere Lösungen bevorzugen. Dies führt u. a. zur Formulierung von a posteriori Anknüpfungsmomenten im neuen IPR-Gesetz. Die Reform versucht durch die Auswahl entsprechender Anknüpfungspunkte und durch Mehrfachanknüpfungen einen Ausgleich zwischen Tradition und Erneuerung zu finden 44. Die größere Flexibilität der Kollisionsnormen wurde im neuen Gesetz auf verschiedene Art und Weise erzielt 45. Zum einen sind ζ. T. Anknüpfungskriterien gewählt worden, die dem Rechtsanwender per se einen großen Spielraum lassen. Es handelt sich dabei um die oben beschriebenen „a posteriori"-Anknüpfungen. Der Gesetzgeber stellt insofern auf den Schwerpunkt der Lebensführung („prevalentemente localizzata" - Artt. 29 II, 31 I 2. Hs., 38 I 2. Hs., 39 2. Hs. IPRG) bzw. der Rechtsausübung („esercita in via principale" - Art. 60 I 2 IPRG) ab. Eine ähnliche, dem Art. 4 I 1 EVÜ („engste Verbindung") entsprechende Formulierung findet sich in den Artt. 18 II, 19 II IPRG („collegamento più stretto"). Die Bestimmung des Art. 4 EVÜ selbst kommt über die Hinweisnorm des Art. 57 IPRG zur Anwendung46. Im Weiteren dient italienisches Recht als Gesellschafisstatut, sofern sich der Hauptgegenstand des Unternehmens in Italien befindet („l'oggetto principale" - Art. 25 12 IPRG). Darüber hinaus entschied sich der Gesetzgeber vielfach für alternative (Artt. 28, 30 II, 34 I, 35 I, III, 38 I, 39, 43 S. 2, 46 I, II, 48, 56 III, 60 II IPRG) oder subsidiäre47 (Artt. 26, 29, 31, 38 I, 39, 60 I IPRG) Anknüpfungen. Bei ersteren, die sich bereits im alten Recht finden (Art. 26 I disp. prel.), werden die
44 Siehe insofern im Rahmen der Reformarbeiten Vitta, in Problemi, S. 12 oben („ ... un corpo di norme di conflitto nel quale tradizione e novità si sposino coerentemente in armonica simbiosi ") sowie S. 22 - 24 zur Flexibilität von Kollisionsnormen und S. 24 27 zu den neuen Theorien des IPR; ders., in RDI 1986, S. 5 - 37 (15 - 22, Nr. 3) zur Tendenz der flexiblen Anknüpfung; Giardina, in RDIPP 1985, S. 5 (34) mit Hinweis auf die Kegeische Leiter und in Problemi Ruini , S. 584 - 591 (ebenfalls mit Hinweis auf die Kegeische Leiter, S. 585) und Migliazza, S. 383 f. (mit Hinweis auf § 1 I österreichisches IPRG - zu der Vorschrift siehe Fn. 53). 45 Siehe dazu auch Pocar, Com., RDIPP, S. 911 ; ders., in IPRax 1997, S. 146 f.; Kindler, in RabelsZ 1997, S. 239; s. a. allgemeine Überlegungen von Davi , in Studi Vitta, S. 4 9 - 5 4 (Nr. 2). 46 Siehe dazu § 14. 47 Die italienische Literatur spricht hierbei u. a. von einer Technik des „ricorso successivo" (Vitta, in Problemi, S. 23) bzw. „concorso successivo" (Ballarino, DIP 2, S. 260).
§ 3 Der Charakter des Gesetzes
57
Kriterien teilweise zur Wahl gestellt (Artt. 30 I, 46 II, 56 II, 62 I, 63 IPRG) oder stehen im Zeichen des Günstigkeitsprinzips48. Zu einer Flexibilität auf Seiten der Betroffenen trägt zudem die Ausdehnung der Privatautonomie im neuen italienischen IPR-Gesetz bei. Die Beteiligten können dabei entweder im Rahmen einer alternativen Anknüpfung zwischen bestimmten Rechtsordnungen wählen oder das anzuwendende Recht ohne eine derartige Beschränkung frei bestimmen49. Im Verlaufe der Ausarbeitung des IPRG wurde zudem über die Aufnahme einer allgemeinen Ausnahmeklausel50 in das neue Gesetz diskutiert51. Eine derartige Vorschrift findet sich in Art. 15 des schweizerischen IPRG52 und mit Einschränkungen in Art. 1 I des österreichischen IPRG53. Die Aufnahme einer solchen Ausweichnorm erschien den „Gesetzesvätern" jedoch als zu radikale Abkehr von der Struktur des bisherigen Rechts. In der Sache wurde eine derartige Regelung - unter Berücksichtigung der Diskussion in der Schweiz54 - vor allem mit Hinweis auf die fehlende Rechtssicherheit abgelehnt55. Darüber
48
Ausdrücklich erwähnt wird das Günstigkeitsprinzip zwar nur in Art. 35 I IPRG, es kommt jedoch grundsätzlich bei alternativen Anknüpfungen zur Anwendung (v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 103). Dies gilt vor allem bei Form Vorschriften; siehe dazu unter 4. c). 49 Siehe allgemein in 4. a) zur Rechtswahl. 50 Zur unterschiedlichen Bezeichnung derartiger Vorschriften siehe Campiglio , in RDIPP 1985, S. 48 in Fn. 4. 51 Vitta, in Problemi, S. 26; der s., ausfuhrlich in RDI 1986, S. 5 (16 - 22); Giardina , in RDIPP 1985, S. 5 (34 - 36) und Davi, in Studi Vitta, S. 51; ausführlich Campiglio , in RDIPP 1985, S. 47-88. 52 Art. 15 schweizerisches IPRG ( = Art. 14 Kommissionsentwurf) lautet: „ (1) Das Recht, auf das dieses Gesetz verweist, ist ausnahmsweise nicht anwendbar, wenn nach den gesamten Umständen offensichtlich ist, dass der Sachverhalt mit diesem Recht in nur geringem, mit einem anderen Recht jedoch in viel engerem Zusammenhang steht. (2) Diese Bestimmung ist nicht anwendbar, wenn eine Rechtswahl vorliegt 53
§ 1 I österreichisches IPRG:
„Sachverhalte mit Auslandsberührung sind in privatrechtlicher Hinsicht nach der Rechtsordnung zu beurteilen, zu der die stärkste Beziehung besteht. "
Vom Wortlaut her handelt es sich dabei lediglich - wie sich aus § 1 II österreichisches IPRG („ ... besondere Regelungen ...") ergibt - um einen Auffangtatbestand. Die h. M. in Österreich lässt hingegen ausnahmsweise Korrekturen der speziellen Kollisionsnormen zu, sofern das durch diese erzielte Ergebnis dem Prinzip der stärksten Beziehung widerspricht (Schwind, IPR, S. 63, Rn. 145 m.w.N.; auch Schwimann, IPR, S. 20 weist auf diese h. M. hin). 54 Siehe vor allem Campiglio (Fn. 51). 55
Vitta, in Problemi, S. 26 f.; ders., in RDI 1986, S. 20 - 22; Campiglio, in RDIPP
1985, S. 87 f.; ebenso in Problemi Migliazza, S. 383 f. und Ruini, S. 576 - 579; a. A. in Problemi Picone, S. 533 f. und Barile , S. 515 (zu Barile siehe auch § 2, Fn. 2); ebenso
58
Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
hinaus hat man befurchtet, dass die italienischen Richter im Ergebnis vermehrt auf das italienische Recht zurückgreifen würden. Anwendung finden insofern im Rahmen des IPRG lediglich die Korrekturvorschriften der Artt. 4 V, 6 II 2. Hs. EVÜ in ihrer direkten staatsvertraglichen Anwendung und über Art. 57 IPRG56. Im Gegensatz dazu hat sich der deutsche Gesetzgeber bei seiner jüngsten Kodifizierung des IPR für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen in Richtung des schweizerischen IPRG bewegt57. Die Neuregelung enthält sowohl im Bereich des außervertraglichen Schuldrechts als auch im Bereich des Sachenrechts Ausweichklauseln zugunsten der Rechtsordnung, mit der der Sachverhalt eine „wesentlich engere Verbindung" aufweist (Artt. 41, 46 EGBGB). Die neuen Vorschriften weichen damit erheblich von den bisherigen Normen des EGBGB ab. In den bisherigen Vorschriften finden sich Korrekturvorschriften nur durch die Übernahme der erwähnten EVÜ-Bestimmungen in das deutsche IPR (Artt. 28 V, 30 II EGBGB). Diese Regelungen des Vertragsrechts erlauben jedoch nur in sehr begrenztem Umfang Abweichungen von den Regelanknüpfungen des Römischen Abkommens. Die Artt. 41, 46 EGBGB entsprechen jedoch den neuesten Standards des IPR58.
4. Weitere Merkmale des IPRG
a) Privatautonomie Das von Mancini proklamierte Freiheitsprinzip 59, das sich in den disp. prel. des Jahres 1942 nur im Vertragsrecht niedergeschlagen hat (Art. 25 I disp. prel.), erhält im IPRG eine erheblich größere Bedeutung. Über das Vertragsrecht hinaus (Art. 57 IPRG) ist die Rechtswahl nunmehr auch im Güter(Art. 30 I 2 IPRG), Erb- (Art. 46 II, III 2. Hs. IPRG), Schenkungs- (Art. 56 II IPRG), allgemeinen Delikts- (Art. 62 I 2 IPRG) und Produkthaftungsrecht (Art. 63 IPRG) möglich. Abgesehen vom Vertragsrecht beschränken die Boschiero, in ZfRV 1996, S. 145 1. Sp., die das Fehlen einer Ausweichklausel im IPRG offensichtlich bedauert. 56 Zu Art. 57 IPRG siehe § 14. Boschiero (vorige Fußnote) spricht sich jedoch dafür aus, im Rahmen des IPRG von den staatsvertraglichen Ausnahmeklauseln über den Anwendungsbereich hinaus weiteren Gebrauch zu machen. 57 Siehe Kap. I, in Fn. 1 zum Gesetz vom 21. 5. 1999 und § 17 III. 2. b), bei Fn. 211 zu den Vorschriften des Deliktsrechts. 58 Siehe dazu im außervertraglichen Schuldrecht die Artt. 3 III, 9 V des Vorschlages für eine Rom Ii-Verordnung (zur Quelle siehe § 17 III. 1. a), Fn. 187). 59 Siehe oben unter I.
§ 3 Der Charakter des Gesetzes
59
Vorschriften jedoch die Wahlfreiheit auf bestimmte Rechtsordnungen, deren Anwendung der Gesetzgeber bei der Lösung der jeweiligen Rechtsfragen als angemessen erachtet.
b) Geschlechtsneutrale Anknüpfung Nach den Anpassungen des Sachrechts an den verfassungsmäßigen Gleichberechtigungsgrundsatz60 und insbesondere im Anschluss an die Entscheidungen des Corte Costituzionale zu den Artt. 18, 20 I disp. prel. 61 war es eine Selbstverständlichkeit, dass der italienische Gesetzgeber die Normen des neuen Gesetzes „geschlechtsneutral" formuliert hat. Insofern wurde beim Eherecht - soweit nicht eine getrennte Behandlung der Ehegatten möglich war (Art. 27 IPRG) oder das Abstellen auf nur einen Ehegatten als ausreichend erschien (Artt. 28 2. Var., 32 IPRG) - im Falle der unterschiedlichen Staatsangehörigkeit der Partner auf die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt verzichtet. Zurückgegriffen wird nunmehr auf das italienische Recht (Art. 26 2.Var. IPRG) bzw. auf eine Schwerpunktbetrachtung (Artt. 29 II 6 2 , 30 I l 6 3 , 3112. Hs. IPRG). Ähnliches gilt in den Bereichen des Kindschaftsrechts, in die das Eherecht mit hineinspielt. Der Gesetzgeber hat sich hierbei, sofern nicht die Anknüpfung an einen Ehegatten ausreicht (Artt. 33 II, 34 I IPRG), für die Anwendung des Kindesrechts entschieden (Artt. 35 I 1. Hs., 36 64 IPRG). Italien hat somit als letztes europäisches Land sein IPR65 dem verfassungsmäßigen Gleichberechtigungsgrundsatz angepasst66.
c) Formvorschriften Eine auffallige Neuerung zeigt das IPRG bei der Bestimmung der Formstatute. Nachdem das italienische IPR bisher Formfragen mittels einer allge60
Siehe §2 II. 1. Siehe §2 III. 62 Im Gegensatz zu Art. 18 disp. prel. 63 Im Gegensatz zu Art. 191 disp. prel. 64 Im Gegensatz zu Art. 20 I disp. prel. 65 Zum materiellen Recht siehe § 2 II. 1. 66 Siehe § 2 III., Fn. 46 zum „Spanierbeschluss" des BVerfG. Zur Anpassung des spanischen, griechischen und portugiesischen IPR siehe Jürgens, S. 91, Fn. 221. 61
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Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
meinen Vorschrift gelöst hat (Art. 26 disp. prel. 67 ), finden sich im neuen IPRGesetz lediglich spezielle Regelungen innerhalb der einzelnen Rechtsmaterien (Artt. 28, 35 III, 48, 56 III, 60 II IPRG sowie Art. 57 IPRG i. V. m. Art. 9 EVÜ 6 8 ). Neben diesen „objektiven" Bestimmungen enthält das Gesetz Formvorschriften zur Rechtswahl, die entweder sachlicher (Art. 30 I 2 IPRG „schriftlich") oder kollisionsrechtlicher (Art. 46 II 1 i. V. m. Art. 48 IPRG) Natur sind. Das IPRG folgt damit einer Tendenz im Bereich des internationalen Privatrechts 69, die - entgegen bisheriger Traditionen 70 - ausschließlich besondere Form Vorschriften formuliert und auf eine allgemeine Norm verzichtet 71. Die Vorteile dieser speziellen Regelungen sind offensichtlich. Der Gesetzgeber konnte durch sie den individuellen Gegebenheiten der einzelnen Materien Rechnung tragen. Das Fehlen einer allgemeinen Formvorschrift wirkt sich jedoch insofern nachteilig aus, als ein „Auffangtatbestand" für Bereiche ohne spezielle Vorschrift fehlt. Dies führt im Einzelnen zu Unsicherheiten bei der
67
Siehe auch Art. 9 I disp. prel. von 1865 (zur Kodifikation von 1865 siehe unter I.). Der Regierungsentwurf hat in seinem Art. 57 eine eigenständige Formvorschrift zum Vertragsrecht enthalten, die sich jedoch weitestgehend an Art. 9 EVÜ angelehnt hat (zum Text siehe Studi Vitta, S. 461; s. a § 14 I., Fn. 2). Zu Art. 9 EVÜ im Rahmen des Art. 57 IPRG siehe § 11 II. 2. f) (allgemein) und § 14 III. 2. d) (Schiedsklauseln). 69 Siehe dazu vor allem das schweizerische (Artt. 53 I, 56, 72 II, 93, 124) und rumänische (Artt. 19, 32 und 33 2. Hs., 64 und 65, 68 III, 71 und 72, 76 II a), 86, 130) IPRG von 1987 bzw. 1992; dasselbe gilt auch für die früheren Regelungen des portugiesischen ZGB (Artt. 35, 50, 65) und der ungarischen IPR-VO (§§ 36 II, 42 III ungarische IPR-VO). Zu den Gesetzen siehe Anhang I. 70 Zu allgemeinen Form Vorschriften siehe Art. 11 EGBGB, Art. 11 griechisches ZGB, § 8 österreichisches IPRG, Art. 12 polnisches IPRG, Art. 11 spanisches ZGB, § 4 2. Hs. tschechisches / slowakisches IPRG und Art. 6 türkisches IPRG. Neben diesen allgemeinen Bestimmungen enthalten die Gesetze zumeist auch spezielle Formvorschriften; zu den Gesetzen siehe Anhang I. 71 Kindler, in RabelsZ 1997, S. 252 führt das Fehlen einer allgemeinen Formvorschrift auf die Systematik des IPRG zurück, das - im Gegensatz zum EGBGB (Artt. 7 12) und im Anschluss an den codice civile - keinen allgemeinen Teil zu zivilrechtlichen Fragen enthält (der allgemeine Teil der Artt. 1 3 - 1 9 IPRG behandelt nur allgemeine Probleme des IPR und nicht des materiellen Zivilrechts - ebenso die Artt. 3 - 6 EGBGB). Der von Kindler erwähnte „allgemeine Teil·4 des EGBGB entspricht jedoch größtenteils (Personenrecht) den Regelungen von Kapitel II, Titel III des IPRG (Artt. 7, 12 EGBGB / Artt. 20, 23 IPRG; Art. 9 EGBGB / Art. 22 IPRG; Art. 10 EGBGB / Art. 24 IPRG); es fehlt lediglich die erwähnte allgemeine Formvorschrift im italienischen Gesetz (zum EGBGB siehe Art. 11 im Anschluss an Art. 9 EVÜ - zur Übernahme der EVÜ - Vorschriften in das EGBGB siehe § 19 III.). Die Regelung des IPRG lässt sich insofern mit systematischen Gesichtspunkten allein nicht begründen; auf der anderen Seite ist zuzugestehen, dass auch im schweizerischen Recht (siehe Fn. 69) weder das IPRG eine allgemeine Form Vorschrift noch das ZGB einen allgemeinen Teil enthält. 68
§ 3 Der Charakter des Gesetzes
61
Frage der anzuwendenden Norm 72, da ζ. T. nicht eindeutig zu klären ist, ob eine nicht ausdrücklich geregelte Formfrage einer speziellen Formvorschrift oder aber als unselbständige Teilfrage 73 der lex substantiae zu unterstellen ist74. An die bisherige Regelung des Art. 26 I disp. prel. und die allgemeine internationale Praxis anknüpfend 75, beinhalten die Formvorschriften des IPRG ausschließlich alternative Anknüpfungen im Sinne des Günstigkeitsprinzipes (favor validitatis)76.
d) Der Schutz des Schwächeren Internationalen Standards entspricht es zudem, bei der Auswahl des anzuwendenden Rechts den im Rechtsverkehr Unterlegenen zu schützen. Auch dies wird im italienischen IPRG berücksichtigt77, auch wenn die unzureichende Umsetzung dieses Ziels kritisiert wurde78. Die Schutzbedürftigen werden zum einen durch die Anwendung des ihnen bekannten Heimatrechts privilegiert (z. B. Art. 36 IPRG79). Ihrem Schutz dienen zum anderen die alternativen Anknüpfungen im Sinne des Günstigkeitsprinzipes80 sowie die Stufenanknüpfung im Unterhaltsrecht durch die Verweisung auf das USTA (Art. 45 IPRG81 i. V. m. Artt. 4 - 6 USTA). Bewährte Instrumente sind zudem die Beschränkung der Rechtswahl zugunsten von Ver72 Insofern kritisch zum Regierungsentwurf Davi , in Studi Vitta, S. 45 (60, in Fn. 23); im Weiteren zu den Formvorschriften des Entwurfes Picone, in Studi Vitta, S. 173 (222-224). 73 Zu dem Begriff siehe § 11 II. 2. f), Fn. 141. 74 Siehe insofern § 17 I. 2. b) zur Form von Erbverträgen. 75 Neben den nationalen Regelungen (Fn. 69, 70) siehe Art. 1 des Haager TestFÜbk. (zu dem Abkommen siehe unter § 17 1.) und Art. 9 EVÜ. Demgegenüber enthalten die älteren Abkommen auch in ihren Form Vorschriften lediglich Einzelanknüpfungen: Artt. 3 bzw. 4 der Haager Wechsel- bzw. Scheckrechtsabkommen (siehe dazu § 15 V.) und Art. 5 des Haager Eheschließungsabkommens (siehe § 10 II. 3., in Fn. 131). 76 Siehe dazu auch 3., bei Fn. 47. 77 Siehe dazu Ballarino, DIP 2, S. 188 und Boschiero, in ZfRV 1996, S. 145 a. E. 78 In diesem Sinne Picone, in Studi Vitta, S. 173 (214-217) zum Regierungsentwurf; i. W. zu den entsprechenden Vorschriften des Entwurfes Davi , in Studi Vitta, S. 45 (66 f.). 79 Anwendung des Kindesrechts für die Bestimmung des Eltern-Kind-Verhältnisses; im Gegensatz dazu hat sich der bisherige Art. 20 I disp. prel. fur das Heimatrecht der Eltern entschieden. Allgemein zum Schutz durch Anwendung des Heimatrechts siehe Picone (vorige Fußnote); grundsätzlich zur Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit aus Vertrauensschutzgründen siehe I., Fn. 7. 80 Siehe 3., Fn. 48 und unter c) zu den Formstatuten. 81 Ausführlich zu Art. 45 IPRG siehe unter § 13.
62
Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
brauchern und Arbeitnehmern (Art. 57 IPRG82 i. V. m. Artt. 5, 6 EVÜ) sowie die Vorschriften zum Vertrauensschutz (Artt. 23 II, III, 30 III, 46 II 2 IPRG). Dem Minderjährigen- und Geschäftsunfahigenschutz dienen zudem Tendenzen des IPRG, sich dem eigenen Sachrecht (Art. 38 I 2 IPRG) bzw. der eigenen Jurisdiktion zuzuwenden83. Auch das „Heimwärtsstreben" im Scheidungsrecht (Art. 31 II IPRG) soll als spezielle ordre-public-Regelung zum Schutz der Eheschließungsfreiheit 84 sicherstellen, dass das nunmehr in Italien anerkannte Institut der Scheidung85 auch bei internationalen Sachverhalten uneingeschränkt greift 86.
5. Internationale Öffnung
a) Das Verhältnis zu anderen Rechtsordnungen aa) Die Gleichwertigkeit
ausländischer Rechtsordnungen
Kollisionsrechtlich wurde die rangmäßige Gleichstellung des fremden Rechts mit der lex fori schon immer anerkannt87. Mancinis Betonung des Nationalitätsgrundsatzes war nicht Ausdruck einer Zurückweisung des ausländischen Rechts, sondern führte zur kollisionsrechtlichen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Beteiligten und bewirkte damit gerade das Gegenteil, nämlich eine Öffnung für andere Rechtsordnungen88. Lediglich die Aufnahme des Art. 16 disp. prel. in den codice civile von 1942 stellte diesbezüglich einen erheblichen Rückschritt dar 89. Im Gegensatz dazu hat das bisherige Prozessrecht die Gleichwertigkeit ausländischer Foren nicht anerkannt. Das Verfahrensrecht ging grundsätzlich von einem Bestehen der internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte aus und setzte dieser nur bestimmte Grenzen bei Klagen gegenüber Ausländern
82
Ausführlich zu Art. 57 IPRG siehe unter § 14. Zur Eilzuständigkeit im Minderjährigen- und Geschäftsunfahigenschutz siehe 5. a) bb) nach Fn. 94. 84 Siehe zu dieser Frage auch den sog. „Spanierbeschluss" des deutschen BVerfG 83
(Fn. 46). 85
Zum Scheidungsgesetz von 1970 siehe § 2 II. 3. Allgemein zum „Heimwärtsstreben" siehe unter 5. a) bb). 87 Siehe auch Hinweis von Capotori, in Studi Marano, S. 30 oben. 88 Siehe dazu unter I., bei Fn. 8. 89 Zu der Vorschrift siehe unter § 7; zu gegenteiligen Regelung Mancinis im codice civile von 1865 (Art. 3 c. c.) siehe I., Fn. 13. 86
§ 3 Der Charakter des Gesetzes
63
(Art. 4 c. p. c.)90. Den allgemeinen Standards des IZPR Rechnung tragend wird nunmehr die unbedingte Behauptung der staatlichen Souveränität aufgegeben und - vor allem in Anknüpfung an das EuGVÜ - der ausländischen Jurisdiktion volle Akzeptanz eingeräumt91. Diese Grundhaltung findet zudem ihren Ausdruck in der automatischen Anerkennung ausländischer Maßnahmen durch das IPRG92.
bb) Das „ Heimwärtsstreben
" im IPRG
Trotz der allgemeinen Liberalität des IPRG gegenüber ausländischen Rechtsordnungen zeigen sich in dem neuen Gesetz doch weiterhin Tendenzen eines „Heimwärtsstrebens"93 des italienischen Gesetzgebers. Dies gilt zum einen für den Bereich des Zuständigkeitsrechts, das sich zwar dem Grunde nach gegenüber ausländischen Gerichtsständen öffnet, jedoch im Rahmen der „objektiven" Zuständigkeiten nach wie vor in sehr weitem Umfang zur Begründung der italienischen IZ führt 94. Demgegenüber bedingen sich die besonderen Eilzuständigkeiten im Bereich des Minderjährigen- und Geschäftsunfähigenschutzes (Art. 42 I IPRG i. V. m. Artt. 8, 9 MSA sowie Artt. 43 S. 2, 44 IPRG) aus einer sachlichen Notwendigkeit. Dies gilt auch für das lex-foriPrinzip des Art. 12 IPRG95. Zum anderen finden sich im Kollisionsrecht Bestimmungen, die italienisches Recht primär (Artt. 25 I 2, 38 I 2 9 6 IPRG) oder subsidiär (Artt. 26 2. Var., 31 II 9 7 IPRG) zur Anwendung bringen. Darüber hinaus sorgt der Gesetzgeber dafür, dass bestimmte von italienischen Gerichten erlassene oder anerkannte Urteile (Art. 27 S. 2 IPRG) bzw. einzelne aus dem italienischen Recht abgeleitete Ansprüche (Art. 46 II 3 IPRG) unberührt bleiben. In diesem Zusammenhang steht auch die materiellrechtliche Vorschrift des Art. 49 IPRG, die dem italienischen Staat mangels einer staatlichen Erbfolge nach dem allgemeinen Erbstatut (Art. 46 IPRG) letztrangig ein Erbrecht über in Italien befindliche 90
Siehe dazu § 16 II. 2. a). I. E. dazu unter § 16 II.; zu einer Übersicht siehe § 16 II. 2. b). 92 Siehe dazu unter § 16 I. 2. a) bb). 93 Begriff von Nußbaum, Deutsches Internationales Privatrecht, 1932, S. 43. Allgemein dazu Neuhaus, Grundbegriffe, S. 67 - 69 und in Fortsetzung zu diesem Kropholler, IPR, § 7 I.; ebenso Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. d). 94 Siehe § 16 II. 2. b), bei Fn. 57 und die Übersicht zum Zuständigkeitsrecht in § 16 II. 3. b). 95 Siehe dazu § 16 II. 3. b), Fn. 70. 96 Zum Schutzcharakter der Vorschrift siehe 4. d) bei Fn. 83. 97 Zum Schutzcharakter der Vorschrift siehe 4. d) bei Fn. 84; zu der Vorschrift s. a. § 11 II. e) bb), in Fn. 129. 91
64
Kap. I: Die Reform des internationalen Privatrechts in Italien
Erbschaftsgegenstände sichert98. Die erwähnten Bestimmungen können zum einen als Ausdruck eines speziellen ordre public verstanden werden99, dienen teilweise jedoch auch der Lückenfüllung (z. B. Art. 49 IPRG). Ausdruck eines „Heimwärtsstrebens" ist zudem die im italienischen IPR erstmals zugelassene Rückverweisung (Art. 13 I b) IPRG)100. Ebenso wie beim allgemeinen ordre public (Art. 16 IPRG)101, der die Anwendung ausländischen Rechts ebenfalls verhindert, handelt es sich dabei jedoch um ein allgemein anerkanntes Rechtsinstitut des IPR.
b) Das Verhältnis zum internationalen Recht Einer Vorgabe der Reform 102 wurden die Väter des IPRG in vorbildlicher Weise gerecht. Sie integrierten die bestehenden und zukünftigen internationalen Verträge in die neue Kodifikation des internationalen Privat- und Zivilprozessrechts. Auf das Verhältnis des IPRG zu den internationalen Abkommen sowie die Art und Weise deren „Einbaus" in das neue Gesetz soll im Verlaufe der Arbeit detailliert eingegangen werden.
98
Das einfache Zivilrecht enthält eine entsprechende Regelung in Art. 586 c. c.; ebenso im deutschen Recht § 1936 BGB. Zum Erbrecht des Fiskus nach deutschem IPR siehe MüKo (Birk), Art. 25, Rn. 172 - 177. 99 Zum ordre public im IPRG siehe § 11 II. 2. e) bb). 100 Zum Heimwärtsstreben durch Rückverweisung siehe v. Hoffmann , IPR, § 6, Rn. 91, 92 und v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 237; zum Renvoi im Wechsel- und Scheckrecht siehe § 15 V. 2. 101 Siehe Hinweis in Fn. 99. 102 Siehe § 2, Fn. 6 zum Dekret von 1985 zur Einsetzung der Expertenkommission.
Kapitel II
Der Anwendungsbereich des IPRG
§ 4 Definition „Internationales Privatrecht44 (Auslandsbezug) I. Allgemeines
Im Gegensatz zu Art. 3 I 1 EGBGB enthält Art. 1 IPRG („oggetto della legge") bei der Beschreibung des Anwendungsbereiches des IPRG keine Legaldefinition des „Internationalen Privatrechts". Die übliche Formulierung 1, dass das Gesetz für Sachverhalte mit Auslandsberührung Anwendung findet, fehlt in der einleitenden Bestimmung der neuen Kodifikation. Dieser „Mangel" erweist sich soweit als unproblematisch, als das Gesetz Anknüpfungspunkte zur Frage des anzuwendenden Rechts enthält. Die Auslandsberührung ergibt sich dann aus den Anknüpfungsgründen selbst. Dies gilt für die Fälle objektiver Anknüpfung sowie bei beschränkten Rechtswahlmöglichkeiten2. Im Zuständigkeitsrecht ist der verwendeten Terminologie („giurisdizione") zu entnehmen, dass die Artt. 3 - 1 1 IPRG die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte festlegen 3. Auch im Bereich des Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts sowie der internationalen Rechtshilfe (Artt. 64 - 71 IPRG)4 ergibt sich der Auslandsbezug aus der geregelten Materie. Klärungsbedürftig sind allein die Fälle, in denen die Parteien eines Rechtsstreites das anzuwendende Recht bzw. das zuständige Gericht frei wählen kön-
1
Zum nationalen IPR siehe Art. 3 I 1 EGBGB („Bei Sachverhalten
mit einer
Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates "); Art. 1 I schweizerisches IPRG („im internationalen Verhältnis") und § 1 I österreichisches IPRG („Sachverhalte mit
Auslandsberührung... („ internationale 2 3 4
"). Zum staatsvertraglichen Kollisionsrecht siehe Art. 1 I EVÜ
Verträge ").
Siehe dazu § 3 II. 4. a). Zur Terminologie siehe § 16 II. 1. Siehe dazu unter § 161. 2.
66
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
nen. Es stellt sich insofern die Frage, ob die Wahl eines ausländischen Rechts bzw. eines ausländischen Gerichts auch dann zulässig ist, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt - abgesehen von dieser Wahl5 - keinerlei Auslandsbezug aufweist. Praktische Probleme ergeben sich deshalb im Kollisionsrecht nur im Vertragsrecht, das allein eine uneingeschränkt Rechtswahl zulässt6. Hier ist zu klären, ob die Wahl eines materiellen ausländischen Rechts als Auslandsberührung ausreicht. Die Frage stellt sich parallel bei Gerichtsstandsvereinbarungen. Dabei zeigt sich, dass der vom italienischen Gesetzgeber gewählte Wortlaut des Art. 1 IPRG durchaus zu begrüßen ist. Dies unterstreicht auch die Kritik an der Formulierung des Art. 3 I 1 EGBGB im deutschen Kollisionsrecht7.
II. Auslandsbezug durch Rechtswahl im Vertragsrecht Im Vertragsrecht stellt sich auch im IPRG die altbekannte Frage, ob die Vertragsparteien auch bei Verträgen ohne Auslandsbezug den Vertrag vollständig, d. h. in Abkehr von den gesamten dispositiven aber grundsätzlich auch zwingenden Vorschriften des innerstaatlichen Rechts8, ausländischem Recht unterstellen können. Von der italienischen Lehre wurde die Frage bisher -
5
Die Frage, ob man bei reinen Inlandssachverhalten zur Selbstverständlichkeit der Anwendung des innerstaatlichen Rechts über die objektiven Anknüpfungen des Kollisionsrechts gelangt (i. d. S. Jahr, Internationale Geltung nationalen Rechts, in RabelsZ 1990, S. 481 - 532 (500 - 504); i. W. siehe Stimmen unter Fn. 7) oder insofern das IPR vollkommen außer Acht lässt, ist rein theoretischer Natur. 6 Siehe § 3 II. 4. a). 7 Jahr (Fn. 5); MüKo (Sonnenberger), Art. 3, Rn. 24. Im Anschluss an seine Stellungnahme zum Regierungsentwurf ftir die spätere IPR-Novelle von 1986 (RabelsZ 1983, S. 595) hat sich auch das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in einem eigenen Entwurf (a.a.O., S. 691 - 728) für eine Streichung des Art. 3 1 EGBGB und damit auch der in Art. 3 I 1 EGBGB enthaltenen Legaldefinition ausgesprochen (a.a.O., S. 692). 8 Im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit ist eine Verweisung auf bestimmte materiellrechtliche Vorschriften einer anderen Rechtsordnung - ohne dass deshalb der gesamte Vertrag ausländischem Recht unterstellt wird - in Abkehr von den dispositiven Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts auf jeden Fall zulässig (sog. schuldrechtliche oder materiellrechtliche Verweisung). Dabei von einer „Sachnormverweisung" zu sprechen (i. d. S. Sandrock und Kindler [Fn. 18]) kann zu Missverständnissen führen, da der Terminus innerhalb des IPR den Fall beschreibt, dass der Vertrag gerade dem ausländischen Recht in seiner Gesamtheit - unter Ausschluss des Kollisionsrechts unterstellt wird und nicht nur einzelne Regelungen i. R. d. Vertragsfreiheit übernommen werden; bei einer Rechtswahl wird im IPR immer von einer derartigen Sachnormverweisung ausgegangen (siehe Art. 13 II a) italienisches IPRG).
§ 4 Definition „Internationales Privatrecht 44 (Auslandsbezug)
67
ebenso wie von der deutschen Literatur vor Inkrafitreten des EGBGB9 - überwiegend verneint10. Diese Ansicht fand auch Eingang in den Entwurf der Expertenkommission11 und in die Regierungsvorlage12 zum IPRG und entsprach dem traditionellen Verständnis des internationalen Vertragsrechts 13. Durch die Globalverweisung des internationalen Vertragsrechts auf das EVÜ in der endgültigen Fassung des IPRG (Art. 57 IPRG)14 dürfte diese Grundhaltung jedoch überholt sein. In seinem Art. 1 I beschränkt das Römische Abkommen zwar seinen Anwendungsbereich auf internationale Verträge, aus Art. 3 III EVÜ 15 lässt sich jedoch entnehmen, dass die Wahl des ausländischen Rechts als „Auslandsberührung" ausreicht16. In der Vergangenheit war diese Frage zwar umstritten, da einzelne Autoren in Art. 3 III EVÜ lediglich einen Hinweis auf die unbestrittene Möglichkeit einer schuldrechtlichen Verwei9
Siehe MüKo (Martiny), 1. Auflage, Bd. 7 (Einführungsgesetz), München 1983, vor Art. 12, Rn. 12 und Staudinger (Firsching), 10. / 11. Auflage, Teil 2 b (Internationales Schuldrecht I), Berlin 1978, vor Art. 12, Rn. 280 - 285 (insbesondere Fn. 282, 284). 10 De Nova., Obbligazioni (dir .int. priv.), in Enc. Dir. XXIX (1979), S. 456 (463 465); ders., Quando un contratto è „internazionale44?, in RDIPP 1978, S. 665 - 680 (insbesondere S. 670 f. (Nr. 4) - deutsche Übersetzung in FS Ferid zum 70. Geburtstag, München 1978, S. 307 - 323); Ballarino, DIP 1, S. 862 f. mit Bezugnahme auf De Nova; ebenso CT (Barel), Art. 25 disp. prel., III. 5. Die Frage war jedoch umstritten (zu den einzelnen Stimmen siehe CT (Barel), Art. 25 disp. prel., III. 5. und Rescingo (Vecchi), Art. 25, Nr. 1. 2.). 11 Art. 55 V: „La sola scelta di un diritto
carattere di internazionalità 12
straniero
non attribuisce
" (siehe RDIPP 1989, S. 942).
Art. 53 V: „La sola scelta della legge straniera non attribuisce
al contratto al contratto
carattere di internazionalità " (siehe Studi Vitta, S. 460). Die unterschiedlichen Regelungen im Gesetzesentwurf und im EVÜ (Hinweis auf Art. 3 III EVÜ) erwähnt auch Forlat Picchio, in Studi Vitta, S. 339. 13 Siehe Art. 1 IV des Haager Kaufrechtsabkommens von 1955; zu dem Abkommen siehe § 14 II. l.a),Fn. 12. 14 Im Einzelnen dazu § 14. 15 Art. 3 III EVÜ: „ Sind alle anderen Teile des Sachverhaltes im Zeitpunkt der Rechtswahl in ein und demselben Staat belegen, so kann die Wahl eines ausländischen Rechts durch die Parteien - sei es durch die Vereinbarung der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts ergänzt oder nicht - die Bestimmungen nicht berühren, von denen nach dem Recht jenes Staates durch Vertrag nicht abgewichen werden kann und die nachstehend „zwingende Bestimmungen" genannt werden. "
Die Vorschrift entspricht dem Art. 27 III EGBGB im deutschen IPR; zur deutschen Umsetzung des EVÜ siehe § 10 I. 4. und § 19 III. 16 Zur deutschen Literatur siehe E Lorenz, Die Rechtswahlfreiheit im internationalen Schuldvertragsrecht, in RIW 1987, S. 569 (II. 1.) und S. 574 (IV. 1.); MüKo (Martiny), Art. 27 EGBGB, Rn. 17 f. (a. A. noch in der 2. Auflage [1990]; ebenda, Rn. 71 f.) und Pal. (Heldrich), Art. 27 EGBGB, Rn. 3; s. a. BT-Drucks. 10 / 503, S. 22 zu Art. 1 (Denkschrift zum deutschen EVÜ-Vertragsgesetz) und BT-Drucks. 10 / 504, S. 77 zu Art. 27 III (zum Entwurf der EGBGB-Reform).
Kap. I : Der Anwendungsbereich des IPRG
68
sung 17 gesehen haben 18 . Aus dem Zusammenhang mit den Absätzen I und II des Art. 3 EVÜ lässt sich jedoch entnehmen, dass es sich bei der in Art. 3 III E V Ü angesprochenen Rechtswahl um eine kollisionsrechtliche Rechtswahl handelt, d. h. der Vertrag dem ausländischen Recht in seiner Gesamtheit unterstellt wird 1 9 . Im Ergebnis ist diese Frage im Vertragsstatut ohne große Bedeutung, da die unterschiedlichen Standpunkte aufgrund der Beschränkung der kollisionsrechtlichen Rechtswahl in Art. 3 I I I E V Ü das ausländische Recht im selben Umfang zur Anwendung bringen 20 . Von Relevanz ist sie nur dann, wenn der Tatbestand einer Norm eine kollisionsrechtliche Rechtswahl fordert, d. h. verlangt, dass der Vertrag dem ausländischen Recht unterstellt wird und man nicht nur schuldrechtlich auf ausländisches Recht verweist 21 . A u f Grund der einheitlichen Auslegung des E V Ü (Art. 18 EVÜ) ist diese Rechtslage in das IPRG zu übernehmen 22 . Diesem Verständnis scheint sich auch die italienische Literatur anzuschließen23.
17
Siehe Fn. 8. Stoll, Bemerkungen zu den Vorschriften über den „Allgemeinen Teil·4 im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des IPR (Art. 3 - 9 , 11 - 12), in IPRax 1984, S. 1; Sandrock, Die Bedeutung des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts für die Unternehmenspraxis, in RIW 1986, S. 841 (846 f.); Kindler, Zur Anknüpfung von Handelsvertreter- und Vertragshändlerverträgen im neuen deutschen IPR, in RIW 1987, S. 660 (661, unter 3. a)); W. Lorenz, Vom alten zum neuen internationalen Schuld vertragsrecht, in IPRax 1987, S. 269 (271); v. Bar, IPR II, § 4, Rn. 418 und Soergel (v. Hoffmann), Art. 27 EGBGB, Rn. 85 m.w.N. Zur Diskussion siehe Junker, Die „zwingenden Bestimmungen" im neuen internationalen Arbeitsrecht, in IPRax 1989, S. 69 (70). 19 Beide Ansichten berufen sich zur Begründung ihres Standpunktes auf den Bericht von Giuliano / Lagarde zum EVÜ, wonach der Art. 3 III EVÜ einen Kompromiss darstellt zwischen einer vollkommenen Rechts wähl freiheit (so die Meinung der englischen Seite) und einem Rechtswahlverbot bei reinen Inlandssachverhalten ( Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 50). Nachdem die Möglichkeit einer schuldrechtlichen Verweisung unstrittigerweise immer besteht (Fn. 8), kann ein Kompromiss nur in einer beschränkten kollisionsrechtlichen Rechtswahl liegen (E. Lorenz (Fn. 16), S. 569). Der Bericht bezieht zwar nicht eindeutig Stellung zu einer der beiden Ansichten, wenn aus ihm jedoch eine Schlussfolgerung gezogen werden kann, dann nur zugunsten der kollisionsrechtlichen Ansicht (i. d. S. auch die Denkschrift zum deutschen Vertragsgesetz zum EVÜ, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 24 zu Art. 3 III). 20 Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen" und neues IPR, in RabelsZ 1990, S. 217 (222) spricht insofern von einer „fruchtlosen" Diskussion. 21 Siehe Junker (Fn. 18), S. 70 zu § 12 AGBG a. F. („ Unterliegt ein Vertrag 18
ausländischem Recht... "). 22 Zur einheitlichen Auslegung von Staatsverträgen allgemein und im Rahmen der Hinweisnormen des IPRG siehe § 18 1.; zur EuGH-Auslegungskompetenz im Hinblick auf das EuGVÜ (nunmehr EuGVÒ) und EVÜ siehe § 19. 23 Siehe Ballarino, DIP 2, S. 592 f. und Mosconi, DIPP I, S. 169 bei der Beschreibung des EVÜ im Rahmen des Art. 57 IPRG; ebenso in der deutschen Literatur zum italienischen IPRG Kindler, in RabelsZ 1997, S. 232.
§ 4 Definition „Internationales Privatrecht" (Auslandsbezug)
69
Dieses Ergebnis ist im Sinne der Vertragsfreiheit auf Gerichtsstandsvereinbarungen übertragbar 24. Dafür spricht auch der Wortlaut des bereits erwähnten Art. 3 III EVÜ 25 .
24 25
Siehe § 16 II. 6. c) aa) (1), Fn. 240 zu Art. 4 IPRG.
Siehe Fn. 15: „ ... - sei es durch die Vereinbarung ausländischen Gerichts ergänzt oder nicht -... ".
der Zuständigkeit
eines
§ 5 Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes Art. 1 IPRG („oggetto della legge") umschreibt den Gegenstand des neuen Gesetzes. Demzufolge behandelt das Gesetz die drei klassischen Gebiete des internationalen Privat- und Verfahrensrechts, nämlich die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Wirkung von ausländischen Entscheidungen im Inland. Trotz des sich daraus ergebenden Kodifkationscharakters des IPRG1 finden manche Spezialgebiete des IPR und IZPR keine Regelung in dem neuen Gesetz. Dies gilt vor allem für die Bereiche des Schieds- und Insolvenzrechts. Das italienische IPRG erreicht insofern nicht die thematische Breite seines schweizerischen „Vorbilds" 2.
I. Allgemeines zur Aufhebung bisheriger Vorschriften Art. 73 IPRG ( „ A b r o g a z i o n e di norme incompatibili") zählt die wesentlichen Bestimmungen des bisherigen IPR und IZPR auf, die durch das neue IPRGesetz außer Kraft getreten sind. Trotz seines vom Kommissionsentwurf 3 abweichenden Wortlautes enthält die Vorschrift jedoch keine abschließende Auflistung der abrogierten Normen. In der Begründung zum Regierungsentwurf 4 wurde klargestellt, dass die ausdrückliche Erwähnung bestimmter Vorschriften die Außerkraftsetzung anderer Normen wegen Unvereinbarkeit mit dem IPRG nicht ausschließt. Dieser Hinweis galt Art. 15 disp. prel. ( „ A b r o g a z i o n e delle leggi"), durch den der allgemeine lex-posterior-Grundsatz im italienischen Zivilrecht normativ verankert wurde. Die Vorschrift nennt als Gründe für die Aufhebung bisherigen Rechts bei der Verabschiedung neuer 1
Siehe dazu §3 II. 1. Dazu Broggini, in SZIER 1996, S. 1 (6). Zum schweizerischen IPRG siehe Artt. 176-194 (Internationale Schiedsgerichtsbarkeit) und Artt. 166- 175 (Insolvenzrecht). 3 In Art. 75 des Entwurfes (siehe RDIPP 1989, S. 946) wurde neben einer ausdrücklichen Auflistung der entsprechenden Vorschriften klargestellt, dass durch das IPRG alle mit dem neuen Gesetz unvereinbaren Normen außer Kraft treten („La 2
presente legge abroga le norme con essa incompatibili e in particolare ... "). 4 Studi Vitta, S. 447 zweiter Absatz zu Art. 74 des Entwurfes (= Art. 73 IPRG), der wörtlich aus dem Kommissionsbericht übernommen wurde.
§ 5 Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes
71
Gesetze - neben der ausdrücklichen Anweisung durch den Gesetzgeber (Art. 15 1. Var. disp. prel.) - die Unvereinbarkeit des früheren Rechts mit dem neuen Recht bzw. den Fall, dass das spätere Gesetz den gesamten Sachbereich des vorangegangenen Gesetzes regelt (Art. 15 2. Var. und 3. Var. disp. prel. - sog. „abrogazione tacita"). Unabhängig davon ist bei der Überprüfung der Weitergeltung bisherigen Rechts die allgemeine lex-specialis-Regel zu beachten5. Die Frage, welche Vorschriften von dieser „stillschweigenden" Aufhebung früheren Rechts betroffen sind, wird im Einzelnen nicht eindeutig zu klären sein und dürfte in Zukunft in Randbereichen zu Rechtsunsicherheiten führen. Unproblematisch zu bejahen ist lediglich die fortdauernde Gültigkeit der „Nachbarvorschriften" der in Art. 73 IPRG erwähnten Normen6.
II. Ausdrücklich aufgehobene Vorschriften gemäß Art 73 IPRG 1. Artt. 17-31
disp. prel.
In erster Linie ersetzt das IPRG die Artt. 17-31 disp. prel. des codice civile, in denen das italienische IPR bisher hauptsächlich geregelt war7. Trotz diverser Diskussionen blieb der in Art. 16 disp. prel. festgesetzte Gegenseitigkeitsgrundsatz („reciprocità") unangetastet, da man in ihm keine Norm des IPR, sondern des allgemeinen Fremdenrechts gesehen hat8.
2. Zivilgesetzbuch
(Gesellschaftsrecht)
Im codice civile selbst sind durch das neue Gesetz nur die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen der Artt. 2505, 2509 c. c. aufgehoben worden9. In den abrogierten Vorschriften wurden die gesellschaftsrechtlichen Gründungsund Sitztheorien derart verbunden, dass diese zu einer sehr umfangreichen
5 Zu den Grundsätzen lex posterior und lex specialis beim Verhältnis von nationalem Recht und internationalen Verträgen siehe § 9. 6 Art. 16 disp. prel.; Artt. 2506 - 2508, 2510 c. c. und Art. 5 c. p. c. (siehe dazu unter II.). 7 Zu den Vorschriften siehe § 3 I. 8 Siehe dazu unter § 7. 9 Zum bisherigen internationalen Gesellschaftsrecht siehe Staudinger (Großfeld), 13. Auflage, Internationales Gesellschaftsrecht, 1993, Rn. 147 und Rahm, Das Internationale Gesellschaftsrecht Italiens (Entwicklung und Reform), Münster 1990.
72
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
Anwendung des italienischen Rechts geführt haben. Vom Grundsatz der Sitztheorie ausgehend hat Art. 2505 c. c. die Anwendung inländischen Rechts auch für im Ausland gegründete Gesellschaften mit Schwerpunkt (Sitz oder Tätigkeit) in Italien festgeschrieben. Für alle in Italien gegründeten Gesellschaften wurde jedoch in Anknüpfung an die Gründungstheorie ebenfalls italienisches Recht zur Anwendung berufen (Art. 2509 c. c.), auch wenn deren Tätigkeitsschwerpunkt sich im Ausland befindet. Im Gegensatz zur Neuregelung des Art. 25 IPRG haben die Vorschriften des codice civile nur „einseitig" die Anwendbarkeit des italienischen Rechts geregelt10. Die Normen werden nunmehr durch Art. 25 IPRG ersetzt, der allgemein das anwendbare Recht für Gesellschaften und juristische Personen bestimmt. Darüber hinaus ist auch der sachliche Anwendungsbereich des Art. 25 IPRG weiter gefasst als derselbe der bisherigen Vorschriften 11. Kollisionsrechtlich haben sich durch die Neuregelung jedoch keine wesentlichen Änderungen ergeben. Das Regel- / Ausnahmeverhältnis zwischen Sitzund Gründungstheorie wurde lediglich gesetzestechnisch umgekehrt. Während Art. 25 I 1 IPRG von der Gründungstheorie ausgeht12, wendet dessen S. 2 für Gesellschaften mit Verwaltungssitz oder Tätigkeitsschwerpunkt in Italien einheimisches Recht an13. Entgegen seiner Vorentwürfe 14 kehrt das Gesetz somit wieder zur Gründungstheorie zurück, was zwar kritisiert wird 15 , jedoch durch die neue Rechtsprechung des EuGH Unterstützung findet 16. Auch an diesem Punkt orientiert sich das IPRG an seinem schweizerischen „Vorbild" (Art. 154 I schweizerisches IPRG)17. Die Rückkehr zur Sitztheorie für im
10
Siehe auch § 3 I., Fn. 17 zum bisherigen Recht.
11
Art. 25 I IPRG: „Le società, la associazioni, le fondazioni ed ogni altro ente, pubblico ο privato, anche se privo di natura associativa, 12
Zum bisherigen Recht siehe Art. 2509 c. c. Zum bisherigen Recht siehe Art. 2505 c. c.; siehe auch § 3 II. 5. a) bb) zum „Heimwärtsstreben" des italienischen Gesetzgebers. 14 Für die Sitztheorie hatten sich die identischen Art. 23 des Kommissionsentwurfes (RDIPP 1989, S. 936) und Art. 25 des Regierungsentwurfes (Studi Vitta, S. 453 f.) ausgesprochen. Die Frage war jedoch bereits im Rahmen der Ausarbeitung der Entwürfe umstritten (Capotorti, in Studi Marano, S. 27 (39 - 41, Nr. 11); kritisiert wurde die Sitztheorie vor allem von Broggini, Sulle società nel diritto intemazionale privato, in Studi Vitta, S. 283 (S. 292 - 294). Zum Kommissionsentwurf siehe auch Ebenroth / Kaiser, Die Reform des Internationalen Gesellschaftsrechts in Italien, in ZVglRWiss. 1992, S. 223-257. 15 I. d. S. Kindler, in RabelsZ 1997, S. 281 - 284. 16 Siehe § 14 III. 2. e), in Fn. 95 zu den Urteilen Centros und Überseering des EuGH. Zu letzterem Urteil siehe in der italienischen Literatur Benedettelli, in RDIPP 2002, S. 879 ff. zitiert nach Jayme / Kohler, in IPRax 2003, S. 495, Fn. 100. 17 Zu einem Vergleich des italienischen und schweizerischen internationalen Gesellschaftsrechts siehe Moor, Das italienische internationale Gesellschaftsrecht (Ein 13
§ 5 Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes
73
Inland tätige Gesellschaften lässt aber weiterhin eine klare Linie und eine Gleichbehandlung von Gesellschaften unabhängig von ihrem Bezug zu Italien vermissen18. Die Artt. 2506 - 2508, 2510 c. c. bleiben demgegenüber geltendes Recht; im Gegensatz zu den aufgehobenen Vorschriften enthalten sie keine Regelungen des Kollisions-, sondern des Fremdenrechts19. Dasselbe gilt für Art. 16 II disp. prel., demzufolge der Gegenseitigkeitsgrundsatz von Absatz I der Norm auch für juristische Personen zur Anwendung kommt20.
3. Zivilprozessordnung
In der Zivilprozessordnung mussten die Artt. 2, 3, 4, 37 II c. p. c. (Zuständigkeit) sowie die Artt. 796 - 805 c. p. c. (Anerkennungsrecht) dem neuen Gesetz weichen21. Die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte wurde in den Artt. 3 - 1 1 IPRG neu geregelt22. Zur Frage der Wirksamkeit ausländischer Urteile und sonstiger behördlicher Akte sowie der internationalen Rechtshilfe (Artt. 796 - 805 c. p. c.)finden sich nunmehr im Titel IV des IPRG (Artt. 64-71) neue Vorschriften; das Inkrafttreten dieses Titels wurde jedoch wiederholt durch Dekrete bis zum 31. 12. 1996 hinausgeschoben23. Zur Anwendung kommt jedoch weiterhin Art. 5 c. p. c., auf den Art. 8 IPRG ausdrücklich verweist24.
Vergleich mit dem schweizerischen IPRG und zu Problemen des schweizerischitalienischen Rechtsverkehrs), Dissertation, Zürich 1997. 18 Siehe § 3 II. 5. a) bb) zum sog. „Heimwärtsstreben". 19 Siehe auch Luzzatto , in Problemi, S. 417 (432 - „disposizioni sul trattamento degli enti stranieri"); ebenso Ebenroth / Kaiser (Fn. 14), S. 251 f. 20 Zu Art. 16 disp. prel. siehe unter § 7. 21 Zu den bisherigen Vorschriften siehe § 16 II. 2. a) (Artt. 2, 3, 4, 37 II c. p. c.) bzw. § 16 I. 2. a) aa) (Artt. 796 - 805 c. p. c.). 22 Ausführlich dazu und zu den Parallelen des neuen Zuständigkeitsrechts zum EuGVÜ siehe § 16 II. 23 Siehe dazu § 6 I. 2. 24 Zu den intertemporalen Vorschriften der Artt. 8, 72 II IPRG siehe § 6 II. 2. b), Fn. 45.
74
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG III. Weitergeltende IPR-Normen außerhalb des neuen Gesetzes
/. Schiedsgerichtsbarkeit
Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit war ursprünglich Gegenstand der Vorentwürfe zum IPRG 25 , wurde jedoch im Anschluss an die Neuregelung der Materie im Schiedsrechtsgesetz vom 5. 1. 199426 ausgegliedert 27. Das neue Gesetz zur Schiedsgerichtsbarkeit hat die bisherigen Bestimmungen der Zivilprozessordnung über das schiedsgerichtliche Verfahren (Artt. 806 - 831 c. p. c.) novelliert und fügte diesen erstmals Sonderregelungen über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit in Italien (Artt. 832 - 838 c. p. c.) bzw. die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (Artt. 839, 840 c. p. c.) hinzu 28 .
25
Sowohl der Kommissionsentwurf (Art. 4 Nr. 4 und Art. 71 - siehe RDIPP 1989, S. 933 bzw. 946) als auch der Regierungsentwurf (Art. 4 Nr. 4 und Art. 69 - siehe Studi Vitta, S. 449 bzw. 464) enthielten zwei Vorschriften zum Einfluss von Schiedsvereinbarungen auf die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte und zur Frage der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche; in beiden Normen wurde auf das New Yorker Schiedsrechtsabkommen von 1958 verwiesen; zu dem Abkommen siehe § 14 III. 2. d) bb), Fn. 70. Zu den schiedsrechtlichen Bestimmungen des schweizerischen IPRG siehe Fn. 2; im Weiteren siehe auch Artt. 180, 181 rumänisches IPRG und Art. 43 - 45 türkisches IPRG. 26 Legge 5. 1. 1994, n. 25: Nuove disposizioni in materia di arbitrato e disciplina dell'arbitrato internazionale, in Gazz. Uff. 17. 1. 1994, n. 12; deutsche Übersetzung in RIW 1995, S. 452 - 456 (Walter ) und in IPRax 1996, S. 225 - 228 (Maglio); zu den Vorschriften s. a. die Übersetzung der Zivilprozessordnung von Bauer u. α , c. p. c., S. 536-567. In deutscher Sprache zu dem Gesetz siehe Bonomi, Die Neuregelung der Schiedsgerichtsbarkeit in Italien, in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 99 - 115 mit umfangreichen Nachweisen zur italienischen Literatur (Fn. 1); Maglio , Reform der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in Italien, in IPRax 1996, S. 217 - 221 und Walter, Neues Recht der Schiedsgerichtsbarkeit in Italien, in RIW 1995, S. 445 - 452. 27 Siehe dazu § Fn. 20. 28 Zum italienischen Schiedsrecht s. a § 14 II. 3. und III. 2. d). Zur Neuregelung des Schiedsrechts in Deutschland siehe Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22. 12. 1997, in BGBl. 1997 I, S. 3224, das seit dem 1. 1. 1998 in Kraft getreten ist; zur Gesetzesbegründung siehe BT-Drucks. 13 / 5274. Zu dem aktuellen deutschen Schiedsrecht nach der Reform siehe Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 3. Auflage, München 1999.
§ 5 Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes
75
2. Insolvenzrecht Auch zum internationalen Insolvenzrecht schweigt das neue Gesetz29. Für die Lösung dieser Fragen wurden die allgemeinen Bestimmungen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen (Artt. 6 4 - 7 1 IPRG) als ausreichend 30 angesehen31. Diese Materie ist nunmehr durch die am 31. 5. 2002 in Kraft getretene EG-Insolvenzverordnung vom 29. 5. 2000 (EulnsVO) auch für Italien geregelt 32. Bis dahin ergab sich die internationale Zuständigkeit in Insolvenzangelegenheiten aus Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Art. 9 1. fall. 33 .
3. Familienrecht
Weitere Bestimmungen des IPR und IZPR finden sich vor allem im Bereich des Familienrechts. Im Anschluss an die ausführlichen familienrechtlichen Regelungen im IPRG stellt sich hier jedoch die Frage der stillschweigenden Aufhebung des bisherigen Rechts (Art. 15 2. Var. und 3. Var. disp. prel.) 34 .
29
Zu den Vorschriften des schweizerischen IPRG siehe in Fn. 2. Das deutsch-italienische Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen vom 9. 3. 1936 (RGBl. 1937 II, S. 145; s. a. Jayme / Hausmann, 10. Auflage, Nr. 186) findet gemäß seinem Art. 12 für Entscheidungen in Konkurs- und Vergleichssachen keine Anwendung. 31 Broggini, in SZIER 1996, S. 6; zweifelnd Kindler, in RabelsZ 1997, S. 233. 32 Verordnung (EG) Nr. 1346 / 2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 29. 5. 2000, in ABl. EG 2000, L 160, S. 1; auch abgedruckt in Jayme / Hausmann, Nr. 260. Zur Verordnungsermächtigung durch den Vertrag von Amsterdam siehe § 16 I. 1., 30
Fn. 4.
Die Verordnung findet gemäß ihrem Artikel 1 II keine Anwendung für Insolvenzverfahren über das Vermögen von Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten; diese Verfahren werden in speziellen Richtlinien geregelt (RL 2001 / 17 / EG vom 19. 3. 2001, in ABl. EG 2001, L 110, S. 28 [Versicherungsunternehmen] und RL 2001 / 24 / EG vom 4. 4. 2001 [Kreditinstitute], in ABl. EG 2001, L 125, S. 15). 33 Siehe dazu § 16 I. 4. c) aa), Fn. 140 und Walter, in ZZP 1996, S. 11. Zum italienischen Insolvenzrecht siehe r. d. 16. 3. 1942, n. 267: Disciplina del fallimento, del concordato preventivo, del Γ amministrazione controllata e della liquidazione coatta amministrativa (kurz „legge fallimentare 44); zu einer deutschen Übersetzung siehe Bauer u. α, fall. Ausführlich zum Verhältnis des Art. 9 1. fall, zum IPRG und zum (zukünftigen) Europäischen Insolvenzabkommen (nunmehr Verordnung (EG) Nr. 1346 / 2000 siehe Fn. 32) Salerno , Legge di riforma del diritto intemazionale privato e giurisdizione fallimentare, in RDIPP 1998, S. 5 - 50. 34 Siehe dazu I.
76
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
Im Eheschließungsrecht enthält der codice civile in seinen Artt. 115 (Ehe eines Inländers im Ausland) und 116 (Ehe eines Ausländers im Inland) c. c. „einseitige" Kollisionsnormen35. Während Art. 115 c. c. durch seine Verweisung auf italienisches Recht mit der entsprechenden Bestimmung des Art. 27 IPRG harmoniert, ergeben sich bei Art. 116 c. c. Konkurrenzprobleme mit dem neuen Recht36. Nachdem jedoch sowohl Art. 115 als auch Art. 116 c. c. allgemein als Eingriffnormen verstanden werden (Art. 17 IPRG)37, geht die Literatur von der Weitergeltung beider Normen aus38. Im Bereich des Scheidungsrechts entstehen erhebliche Rechtsunsicherheiten im Zuständigkeitsrecht, da das IPRG neben einer speziellen Zuständigkeitsnorm (Art. 32 IPRG) gemäß Art. 3 II 2 IPRG auch die örtlichen Zuständigkeitsvorschriften des italienischen Rechts zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit heranzieht. Sofern man also über Artt. 3 I, 32 IPRG hinaus die italienische IZ auch über Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Art. 4 11. sciogl.39 begründen will 4 0 , führt dies zu einer uneingeschränkten Zuständigkeit italienischer Gerichte41. Der Wortlaut des Art. 32 IPRG, der seine ergänzende Funktion zur 35
Siehe auch § 3 I., Fn. 77 zum bisherigen Recht. Art. 116 II c. c. verweist vor allem auf die Ehesehließungsvoraussetzungen des codice civile; die Absätze I und III der Vorschrift enthalten hingegen lediglich Verfahrens Vorschriften (Ehefähigkeitszeugnis und Aufgebot). Zu Art. 27 IPRG siehe § 10 II. 3., in Fn. 132. 37 Saravalle, Com. RDIPP, S. 1048 m.w.N. in Fn. 7 und Ballarino, DIP 2, S. 379 unten. Zu Art. 17 IPRG s. a. § 11 II. 2. e) aa), Fn. 123. 38 Saravalle, Com. RDIPP, S. 1049; Giardina, Com., RDIPP, S. 1274 (Spezialität) und Ballarino, DIP 2, S. 379 unten; a. A. Broggini, Com., NLCC, S. 1503 1. Sp. bei Fn. 9. Für eine Anwendung der Artt. 115, 116 c. c. neben einem neuen IPR-Gesetz hat sich auch Vitta in seinem „progetto" (siehe § 1, Fn. 12) ausgesprochen; in Art. 14 II seines Entwurfes weist er ausdrücklich auf diese Bestimmungen hin (siehe Problemi, S. 264). 39 Zum Scheidungsgesetz siehe § 2 II. 3. 40 Bejahend Ballarino, DIP 2, S. 422; Jayme / Ganz, in IPRax 1996, S. 372 f. und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 233; siehe dazu auch Broggini, Com., NLCC, S. 1503 1. Sp. bei Fn. 10. Attardi , in RDCiv. 1995, S. 737 versucht diese umfassende Zuständigkeit italienischer Gerichte dadurch zu beschränken, dass er für die Zuständigkeit gemäß Art. 4 1. sciogl. eine internationale Zuständigkeit „sulla base ovviamente die normali criteri" fordert. Diese restiktive Auslegung wird jedoch vom Wortlaut des Art. 3 II 2 IPRG nicht gedeckt (ebenso Jayme / Ganz, a.a.O., Fn. 9). Für vermögensrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit Scheidungen, die nicht im Verbund mit der Ehesache geltend gemacht werden, ist darüber hinaus die IZ italienischer Gerichte gemäß Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Art. 12 quater 1. sciogl. zu beachten (< Clerici , Com., RDIPP, S. 1081, Fn. 15). 41 Kritisch bereits während der Entwurfsphase des IPRG Mosconi , Giurisdizione e legge applicabile in materia di divorzio: fra codificazione e legge speciali, in L'unificazione del diritto intemazionale privato e processuale, Studi in memoria di Mario Giuliano, Padua 1989, S. 681 (685 - 687 - „assurdo"). 36
§ 5 Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes
77
allgemeinen Vorschrift des Art. 3 IPRG unterstreicht, spricht für ein derartiges Ergebnis42. Dies dürfte jedoch nicht für die materiellrechtliche Vorschrift des Art. I2 q m n q i e s 1. sciogl. gelten43. Aus der Regelung des Scheidungsgesetzes macht Art. 31 II IPRG nämlich eine allgemeine, d. h. „geschlechtsneutrale"44 Vorschrift und erweitert deren Anwendung auf das Gebiet der Ehetrennung45. Insofern könnte man von einer Abrogation des Art. I2 q u u i q i e s 1. sciogl. gemäß Art. 15 3. Var. disp. prel. ausgehen46. Im Ergebnis ergeben sich jedoch auch bei einer Gültigkeit der Norm keine Unterschiede, da sie ein „Minus" zu Art. 31 II IPRG darstellt. Bei Fragen der „internationale Adoption" gilt es, das Verhältnis zwischen den spezialgesetzlichen Bestimmungen (Artt. 29 - 43 1. adoz.47) und den Adoptionsvorschriften des IPRG (Artt. 3 8 - 4 1 IPRG48) zu klären. Während ζ. T. davon ausgegangen wird, dass die Neuregelungen des IPRG die Vorschriften des Adoptionsgesetzes gemäß Art. 15 disp. prel. außer Kraft gesetzt haben49, sprechen sich andere für ein Nebeneinander der Normen aus, da sich die Regelungen der Artt. 29 - 43 1. adoz. im IPRG wiederfinden 50. Hier ist jedoch nach dem Regelungsgehalt der adoptionsgesetzlichen Bestimmungen zu differenzieren. Nachdem diese weitestgehend Verfahrensfragen behandeln51, ist das Adoptionsgesetz insoweit gemäß Art. 12 IPRG weiterhin anwendbar. Nur sofern das Gesetz die Frage des anwendbaren Rechts regelt (Artt. 30 II 1, 37 1. adoz.), dürfte das IPRG als lex posterior vorgehen52. Systematisch könnte
42
Siehe allgemein unter § 16 II. 5. zum Verhältnis der allgemeinen zu den besonderen Zuständigkeitsvorschriften und dort bei Fn. 213 speziell zu Art. 32 IPRG. 43 Zu der Vorschrift siehe § 2 II. 3., Fn. 37. 44 Zu der Vorschrift siehe § 2 II. 3., Fn. 38, § 3 II. 4. d), Fn. 84 und 5. bb), Fn. 97. 45 Siehe dazu Conetti , Com., NLCC, S. 1180 (Nr. 2 Anfang). 46 I. d. S. Clerici , Com., RDIPP, S. 1077 bei Fn. 25 und Broggini, Com., NLCC, S. 1503 1. Sp. bei Fn. 11. 47 Siehe auch § 2 II. 2. 48 Ähnliche Vorschriften fanden sich bereits in den Artt. 36 - 39 des Kommissionsentwurfes (RDIPP 1989, S. 939); der Regierungsentwurf enthielt hingegen keine speziellen Bestimmungen zum Adoptionsrecht. Zu den Neuregelungen und dem staatsvertraglichen Recht siehe § 10 II. 3., Fn. 131. 49 Broggini, Com., NLCC, S. 1503 unter c). 50 Pocar, Com., RDIPP, S. 909. 51 Z. B. die Antragsvorschriften (Artt. 30 I, 40 1. adoz.) oder die Bestimmungen betreffend die Einreise ausländischer Minderjähriger zu Adoptionszwecken (Artt. 31, 34 - 36 1. adoz.) bzw. die Funktion italienischer Konsulate, sofern die Adoptierenden ihren Wohnsitz nicht in Italien haben (Artt. 40, 41 1. adoz.). 52 Art. 30 II 1 1. adoz. verweist auf die allgemeinen Adoptionsvoraussetzungen des Art. 6 1. adoz.
78
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
man das Adoptionsgesetz zwar als lex specialis einstufen, da es im Gegensatz zu den Artt. 3 8 - 4 1 IPRG nur die Minderjährigenadoption regelt, dies würde jedoch mit Sicherheit dem gesetzgeberischen Willen bei Verabschiedung des IPRG entgegenlaufen 53. Im Anerkennungsrecht ergeben sich keine Probleme, da Art. 41 II IPRG auf die Artt. 32, 33 1. adoz. verweist54. Bei der Frage der internationalen Zuständigkeit kommt hingegen Art. 29 1. adoz. nicht zur Anwendung55.
4. Schiff- und Luftfahrtsrecht
Im Weiteren enthalten die Artt. 5 - 1 4 disp. prel. des codice della navigazione (cod. nav.) Spezialvorschriften für den Bereich des Schiff- und Luftfahrtsrechts, die dem IPRG grundsätzlich vorgehen. Seit dem Inkrafttreten des EVÜ in Italien am 1.4. 199156 werden die Bestimmungen jedoch vom Römischen Abkommen verdrängt 57, soweit sie Fragen des Vertragsrechts behandeln58. Zu beachten ist, dass seit längerem eine Reform des codice della navigazione vorbereitet wird 59 .
Art. 37 1. adoz. beruft italienisches Recht für in Verwahrlosung lebende ausländische Minderjährige zur Anwendung. Sofern es sich dabei um allgemeine Schutzmaßnahmen handelt, kommt das MSA über Art. 42 IPRG zur Anwendung (siehe dazu unter § 12); soweit der Art. 37 1. adoz. auch auf das italienische Adoptionsrecht verweist, dürften die IPRG-Vorschriften zur Adoption Vorrang haben. 53 Siehe § 9 zur Begründung des Vorrangs von Staatsverträgen. 54 Im Kommissionsentwurf wurde auf die Artt. 32, 33 1. adoz. noch ausdrücklich hingewiesen (Art. 39 - siehe RDIPP 1989, S. 939); zu Art. 41 IPRG siehe § 16 II. 2., Fn. 7. 55 Siehe dazu § 16 II. 5., bei Fn. 217. 56 Siehe § \4UFn. 7. 57 Zum Vorrang von Staatsverträgen siehe § 9. 58 I. d. S. Giardina, Com., RDIPP, S. 1275 und Broggini, Com., NLCC, S. 1503 r. Sp. 59 Siehe dazu Carbone , Per una modifica delle disposizioni preliminari del codice della navigazione, in RDIPP 1997, S. 5 - 32 und Bariatti , Com., NLCC, S. 878, Fn. 1 Ende mit m.w.N.
§ 5 Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes
79
5. Zivilprozessordnung
Prozessual sind neben dem IPRG die Bestimmungen der Artt. 142, 143, 204 c. p. c. zu beachten60. Sie regeln Zustellungen (Artt. 142, 143 c. p. c.) und Rechtshilfeersuchen zur Beweiserhebung (Art. 204 c. p. c.) im Ausland61. Die umgekehrten Fälle der Zustellung von Anordnungen ausländischer Gerichte und Behörden in Italien (Art. 71 IPRG) sowie die Durchführung von durch ausländische Gerichte angeordnete Beweisaufnahmen in Italien (Art. 69, 70 IPRG) finden sich hingegen im IPRG. Die Vorschriften der Artt. 802, 803, 805 c. p. c. werden insofern durch das neue Gesetz ersetzt (Art. 73 IPRG)62.
60
Saravalle, Com., NLCC, S. 1486 (Art. 204 c. p. c.) und S. 1491 (Artt. 142, 143 c. p. c.). 61 Art. 142 c. p. c.: Zustellungen an Personen ohne Wohnsitz, Aufenthalt oder Zustellungsbevollmächtigten in Italien; Art. 143 c. p. c.: Zustellungen an Personen mit unbekanntem Wohnsitz und Aufenthalt sowie ohne Zustellungsbevollmächtigten; Art. 204 c. p. c.: Rechtshilfe durch ausländische Behörden und italienische Konsulate bei Beweisaufnahmen im Ausland. 62 Siehe dazu § 161. 2. c).
§ 6 Der zeitliche Anwendungsbereich des Gesetzes I. Das Inkrafttreten des Gesetzes
7. Das allgemeine Inkrafttreten
Gemäß Art. 73 III der italienischen Verfassung sowie Art. 10 1 disp. prel. treten Gesetze 15 Tage nach ihrer Bekanntmachung in der Gazzetta Ufficiale in Kraft, sofern nichts anderes bestimmt ist. Eine derartige Regelung enthält Art. 74 IPRG in seiner ursprünglichen Fassung, demzufolge die Frist auf 90 Tage festgesetzt wurde1. Nach seiner Veröffentlichung am 3. 6. 1995 in der Gazzetta Ufficiale 2 ist das Gesetz somit am 1. 9. 1995 in Kraft getreten3.
2. Das Inkrafttreten
des Titel IV des IPRG
Kurz vor diesem Datum wurde jedoch durch Gesetzesdekret4 das Inkrafttreten des vierten Titels (Artt. 64-71) auf den 1.1. 19965 hinausgeschoben. Dem Art. 74 IPRG hat man insofern einen zweiten Halbsatz angehängt6. 1 Art. 74 IPRG a. F.: „ La presente legge entra in vigore novanta giorni dopo la sua pubblicazione nella Gazzetta Ufficiale della Repubblica italiana. " 2
3
§ 1, Fn. 2.
Wenn Pocar , in IPRax 1997, S. 145 vom 2. 9. 1995 spricht, so ist dies vermutlich ein Versehen; Pocar nennt in II nuovo d. i. p., S. 4 bei Fn. 4 den 1. 9. 1995 als Tag des Inkrafltretens. Ausdrücklich erwähnt wird der 1. 9. 1995 in der aktuellen Fassung des Art. 74 IPRG, nach dessen Änderung durch die in den Fn. 5, 9 erwähnten Dekrete (Art. 74 1. Hs. IPRG: „ La presente legge entra in vigore il 1° settembre 1995;.... "). 4 „Decreti leggi" (d. 1.) sind von der Regierung erlassene Verordnungen mit Gesetzeskraft, die innerhalb von 60 Tagen nach ihrer Veröffentlichung in ein Gesetz umgewandelt werden müssen, da sie ansonsten rückwirkend ihre Gültigkeit verlieren (Art. 77 III 1 cost.). Von Verfassungswegen sind sie für Notfalle vorgesehen (Art. 77 II cost.). Zu den sog. decreti legislativi siehe § 9 I., Fn. 5. 5 Art. 8 II d. 1. vom 28. 8. 1995, n. 361; umgesetzt durch Gesetz vom 27. 10. 1995, n. 437, in Gazz. Uff. 28. 10. 1995, n. 253; s. a. RDEPP 1995, S. 838. 6
Wortlaut: „ ... ; gli articoli dal 64 al 71 entrano in vigore il 1°gennaio 1996. "
§
Der
iche Anwendungsbereich des Gesetzes
81
Damit sollten Schwierigkeiten vermieden werden, die aufgrund der automatischen Wirkung von ausländischen Entscheidungen und Rechtsakten durch die Neuregelungen des Titels von Standes- und Grundbuchämtern bei Registereintragungen befurchtet wurden7. Bis zum Inkrafttreten des Titels IV wollte man insofern entweder in diesem selbst Änderungen vornehmen oder zumindest Ausfiihrungsbestimmungen erlassen, um die auftretenden Fragen zu regeln. Im Anschluss daran wurden von der Regierung zwei Gesetzesentwürfe zur Änderung des Art. 67 I IPRG ausgearbeitet, gemäß derer das besondere Anerkennungsverfahren nach Art. 67 IPRG auch dann Anwendung finden sollte, wenn die Anerkennung des ausländischen Aktes Registereintragungen nötig machen würde8. Die Änderungen sind jedoch vom Parlament nicht verabschiedet worden. Nachdem man auf Grund dieser Änderungsbemühungen versucht hatte, das Inkrafttreten des Titels durch weitere Dekrete zu verzögern9, war schließlich ein weiteres Hinausschieben aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr möglich10, so dass der Titel letztendlich am 31. 12. 1996 in Kraft getreten ist 11 .
7
Siehe dazu Munari, in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 37 f. in Fn. 2 und § 16 I. 2. a) bb) zur automatischen Anerkennung nach neuem Recht. 8 Der erste Entwurf (Senatsvorlage vom 2. 1. 1996 - disegno di legge, η. 2404) enthielt neben einem verfahrensrechtlichen Zusatz in S. 2 vor allem eine Ergänzung des Art. 67 I IPRG („ ... nonché a trascrizione , iscrizione ο annotazione in pubblici registri ,
... " - siehe dazu RDIPP 1996, S. 175 f.; IPRax 1996, S. 366 f. in Fn. 9 und Ballarino, DIP 2, S. 165). Die Auflösung des Parlaments zum Zwecke von Neuwahlen hat die Verabschiedung dieses Entwurfes verhindert. Ein zweiter, der Abgeordnetenkammer am 11.9. 1996 vorgelegter Entwurf (disegno di legge, η. 2200) formulierte aus der erwähnten Ergänzung einen S. 3 des Art. 67 I IPRG unter dem Vorbehalt anderweitiger Regelungen (RDIPP 1996, S. 936 - 938; s. a BariattU Com., NLCC, S. 1505 in Fn. 5). 9 Nach weiteren Verschiebungen auf den 1. 6. 1996, 1. 10. 1996 und 31. 12. 1996 wurde das letzte Dekret schließlich durch Gesetz vom 23. 12. 1996, n. 649 (Gazz. Uff., n. 300 vom 23. 12. 1996; s. a RDIPP 1996, S. 903 und IPRax 1997, S.141) umgesetzt (siehe Fn. 4 zum Verfassungsrecht). 10 Corte cost. 24. 10. 1996, η. 360, in Foro it. 1996, I., Sp. 3269. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass decreti leggi nur in Dringlichkeitsfallen erlassen werden können und nicht wegen fehlender Umsetzung in der von der Verfassung vorgesehen 60-Tagesfrist durch inhaltlich gleichartige Dekrete ersetzt werden können (siehe in Fn. 4). 11
Siehe auch Cass. 17. 7. 1997, n. 6562, in RDIPP 1998, S. 433 zum Inkrafttreten der Artt. 72-74 IPRG. Auf Grund des verspäteten Inkrafttretens des Titels IV wurde durch die Dekrete dem Art. 73 IPRG ein 2. Hs. angehängt, der den bisherigen Artt. 796 - 805 c. p. c. zu einer entsprechend verlängerten Geltungsdauer verholfen hat (Wortlaut bei der letzten Verschiebung: „ ... gli articoli dal 796 all' 805 del codice di procedura civile sono abrogati afar data dal 31 dicembre 1996. "). Munari , in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 37 f.
82
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG II. Der Anknüpfungspunkt für den zeitlichen Anwendungsbereich
1. Die Grundregel des Art 7211. Hs. IPRG
a) Prozessuale Anknüpfung
Das IPRG findet gemäß Art. 72 I 1. Hs. IPRG grundsätzlich für alle nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren Anwendung 12 . Das relevante Ereignis für den zeitlichen Anwendungsbereich des IPRG ist somit - im Gegensatz zu Art. 220 I EGBGB („abgeschlossene Vorgänge") - prozessualer Natur 1 3 . Dem liegt die Absicht zugrunde, dem neuen Gesetz zu unmittelbarer Anwendung zu verhelfen 14 und es grundsätzlich auch für Sachverhalte anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten des IPRG liegen. Mit Blick auf den Vertrauensschutz der Parteien erscheint diese Regelung durchaus bedenklich 15 . Die Expertenkommission begründete sie allerdings - neben dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit - gerade mit dem Vertrauen des Einzelnen auf die Rechtslage
verweist insofern in Fn. 2 zu Recht auf Widersprüchlichkeiten zwischen altem und neuem Recht während des Übergangszeitraumes. Dies galt für das Nebeneinander von Art. 7 IPRG (Aussetzung wegen Rechtshängigkeit) und Art. 796 Nr. 6 c. p. c., da letztere Vorschrift ausländischen Urteilen die Anerkennung versagt hat, sofern ein inländisches Verfahren vor der Rechtskraft des ausländischen Urteile eingeleitet wurde. Das ausländische Urteil konnte somit wegen der parallelen Rechtshängigkeit keine Wirkung entfalten, obwohl das inländische Verfahren wegen der ausländischen Rechtshängigkeit nicht zu Ende gefuhrt wurde. I. E. siehe § 16 I. 2. a) bb) zur Änderung des Art. 796 Nr. 6 c. p. c. durch die Neuregelung des Art. 64 f) IPRG und § 16 II. 7. zu Art. 7 IPRG. 12 Siehe auch Cass. 6. 11. 1996, n. 9655, in RDIPP 1997, S. 948. Das bisherige Recht enthielt keine derartige Übergangsbestimmung. Die Beantwortung dieser Frage oblag insofern der Lehre (Broggini, Com., NLCC, Art. 72, S. 14941. Sp.); siehe dazu im alten Kollisionsrecht Balladore Pallien, DIP (1974), S. 66 - 71 und Ballarino, DIP 1, S. 433 - 436 mit Bezugnahme auf die deutschen Literatur vor der deutschen IPR-Reform. 13 Ebenso Art. 198 schweizerisches IPRG für die Frage des anwendbaren Rechts („Hängigkeit"). Die „Grundnorm" des schweizerischen Übergangsrechtes (Art. 196 I schweizerisches IPRG) orientiert sich jedoch wie das deutsche EGBGB an sachlichen Gesichtspunkten („ ... Sachverhalten und Rechtsvorgängen, die vor Inkrafttreten
dieses
Gesetzes entstanden und abgeschlossen sind, ... "). Zur prozessualen Anknüpfung im Verfahrensrecht siehe auch Art. 54 I EuGVÜ (= Art. 66 I EuGVO). 14 Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 985 zu Art. 74 („immediata applicazione" [Abs. 3], „ampia applicazione della nuova legge" [Abs. 1], „netto favore per la nuova legge" [Abs. 2]); s. a. Fumagalli , Com., RDIPP, S. 1266 und Broggini , Com., NLCC, S. 1496 1. Sp. oben. 15 Zum allgemeinen Rückwirkungsverbot siehe Art. 11 disp. prel. (Zivilrecht), Art. 2 cod. pen. (Strafrecht) bzw. Art. 25 II cost.
§
Der
iche Anwendungsbereich des Gesetzes
83
zum Zeitpunkt des Rechtsstreites16. Schutzwürdig ist jedoch eher das Vertrauen der Beteiligten auf die bestehende Rechtslage zum Zeitpunkt der Entstehung oder Begründung eines Rechts17, als auf dieselbe zum Zeitpunkt dessen gerichtlicher Geltendmachung. Dieser Argumentation bedient sich auch die Kommission bei der Begründung zum zweiten Halbsatz des Art. 72 I IPRG18.
b) Verfahren i. S. d. Art. 72 I 1. Hs., II IPRG Als Verfahren i. S. d. Art. 72 I 1. Hs., II IPRG gilt auch das Anerkennungsverfahren gemäß Artt. 67,68 IPRG19. Auf Grund der Tatsache, dass die Artt. 64 - 7 1 des IPRG erst am 31. 12. 1996 in Kraft getreten sind20, werden die neuen Bestimmungen für Anerkennungsverfahren angewendet, die nach diesem Zeitpunkt eingeleitet worden sind21. Der anzuerkennende Akt kann jedoch vor diesem Datum erlassen worden sein22. Problematisch ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass Art. 72 I 1. Hs. IPRG keine instanzliche Beschränkung enthält. Im Gegensatz zu Art. 198 schweizerisches IPRG, demzufolge sich die Frage der Anwendung von neuem oder altem Recht lediglich im Rahmen der ersten Instanz stellt und im Folgenden für den gesamten Instanzenzug gilt, kann es somit vor italienischen Gerichten zur Anwendung unterschiedlicher Rechtsordnungen in den einzelnen Instanzen kommen23.
16
RDIPP 1989, S. 985; s. a Studi Vitta, S. 446 zu Art. 73 der Regierungsvorlage. Siehe 2. a), bei Fn. 34 zum EGBGB und zum schweizerischen IPRG. 18 RDIPP 1989, S. 985 („adeguatamente tutelata l'aspettativa delle parti"); zu Art. 72 I 2. Hs. IPRG siehe 2. a). 19 Siehe dazu § 161. 2. b). 20 Siehe I. 2. 21 Broggini, Com., NLCC, S. 1500 (Nr. 7) und Giardina , Com., RDIPP, S. 1269. Im Gegensatz dazu bewirkt Art. 199 schweizerisches IPRG eine „sofortige" Anwendung der Anerkennungs- und VollstreckungsVorschriften auch für Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des schweizerischen IPRG bereits anhängig waren. 22 CT (Barel), Art. 72, III und Giardina, Com., RDIPP, S. 1269; s. a. Cass. 25. 7. 1997, n. 6975, in RDIPP 1998, S. 437 (Art. 72 II IPRG betrifft die Anhängigkeit von Verfahren vor italienischen Gerichten und nicht den Zeitpunkt ausländischer Urteile, die in Italien anerkannt werden sollen). S. a die Regelung des Art. 54 II EuGVÜ (= Art. 66 II EuGVO). 23 Insofern kritisch zur gesetzlichen Regelung Broggini, Com., NLCC, S. 1497 1. Sp. 17
84
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG c) Der „Beginn" eines Verfahrens
Bei der Frage, wann solche Verfahren als „begonnen" („iniziati") gelten, kommt gemäß Art. 12 IPRG die italienische Zivilprozessordnung zur Anwendung24. Das italienische Zivilverfahren wird mit der Zustellung der Klage gemäß Art. 137 c. p. c. eingeleitet und dadurch anhängig. Dies ergibt sich vor allem aus der Regelung des Art. 39 III c. p. c., derzufolge sich die zeitliche Reihenfolge von Verfahren zur Bestimmung einer anderweitigen Rechtshängigkeit nach dem Zeitpunkt der Klagezustellung bestimmt25.
2. Ausnahmen vom Grundsatz des Art. 72 I 7. Hs. IPRG
Von dieser grundlegenden Übergangsregelung sieht das Gesetz zwei Ausnahmen vor. Die Anwendbarkeit des IPRG wird zum einen materiellrechtlich für sog. „situazioni esaurite" ausgeschlossen (Art. 72 I 2. Hs. IPRG). Zum anderen genügt es bei der Frage der internationalen Zuständigkeit von italienischen Gerichten, wenn die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen und Vorschriften im Laufe des Prozesses eintreten (Art. 72 II IPRG).
a) „Situazioni esaurite" (Art. 72 12. Hs. IPRG) Nachdem das Gesetz infolge der prozessualen Anknüpfung des 1. Halbsatzes von Art. 72 I IPRG an den Verfahrensbeginn grundsätzlich auf Altsachverhalte Anwendung findet 26, setzt Art. 72 I 2. Hs. IPRG dem eine notwendige27 materiellrechtliche Grenze. Demzufolge unterliegen sog. „situazioni esaurite"28
24
Für alle Ballarino, DIP 2, S. 57 und Broggini, Com., NLCC, S. 1497 1. Sp.
25
Ebenso Ballarino, DIP 2, S. 57 und CT (Barel), Art. 72, II 2.; s. a § 16 II. 7. b)
bb), bei Fn. 383 zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit im italienischen Prozessrecht. 26 Siehe La). 27 Siehe 1. a), Fn. 15 zum Rückwirkungsverbot. 28 Der Kommissionsentwurf sprach noch von „situazioni interamente (vollständig) esaurite" (RDIPP 1989, S. 946 zu Art. 74). In der Regierungsvorlage findet sich diese Formulierung nicht mehr (Studi Vitta, S. 465 zu Art. 73). Broggini, Com., NLCC, S. 1497 r. Sp. spricht in diesem Zusammenhang auch von „diritti acquisti" bzw. „fatti compiuti" und weist darauf hin, dass Lehre und Rechtsprechung von der „unsicheren" Formulierung „situazioni esaurite" in der Vergangenheit häufig Gebrauch gemacht haben.
§
Der
iche Anwendungsbereich des Gesetzes
85
nicht der Anwendung des IPRG. Die Expertenkommission verstand darunter Sachverhalte, deren „Wirkungen sich vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes erschöpft haben" 29 . Damit sollte dem Vertrauensschutz der Parteien Rechnung getragen werden 30 . Ähnlich wie in den grundlegenden Übergangsregelungen des deutschen und schweizerischen Rechts (Art. 220 I EGBGB, Art. 196 I schweizerisches IPRG) erfolgt die Abgrenzung insofern nach materiellen Maßstäben. Die Formulierung des Art. 72 I 2. Hs. IPRG begünstigt jedoch stärker die neue Rechtslage als die dementsprechenden Bestimmungen des deutschen und schweizerischen Kollisionsrechts 31 , auch wenn die deutschen Übersetzungen des IPRG bei den „situazioni esaurite" ebenfalls von „abgeschlossenen Tatbeständen" sprechen 32. Als „abgeschlossen" i .S. d. deutschen und schweizerischen Übergangsrechts wird ein Vorgang bezeichnet, dessen Rechtsfolgen eingetreten sind 33 bzw. dessen anzuwendendes Recht abschließend fixiert wurde 34 , unabhängig davon, ob die entstandenen Rechtswirkungen noch andauern 35. Es gilt der
29
RDIPP 1989, S. 985 zu Art. 74: „ ... hanno esplicato i loro effetti
prima
dell'entrata in vigore della nuova legge "; ebenso Gì ardi na, Com., RDIPP, S. 1268. Zur selben Formulierung im italienischen Text der ursprünglichen Fassung von Art. 196 I schweizerisches IPRG siehe in Fn. 31. 30 Siehe oben unter 1. a). 31 Broggini, Com., NLCC, S. 1497 f. Der Unterschied dieser Formulierungen wird auch durch den im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens geänderten Wortlaut des Art. 196 I schweizerisches IPRG deutlich. Während in der ursprünglichen Fassung der Vorschrift „abgeschlossen" in der italienischen Version des Gesetzes mit „hanno esplicato i loro effetti" übersetzt wurde ( Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 196 199, Rn. 2), verwendete man im endgültigen Text den Begriff „conclusi" ( Volken, a.a.O., S. 1646). Von „situazioni conclusi" spricht man auch bei der italienischen Übersetzung des Art. 220 I EGBGB (siehe Broggini, Com., NLCC, S. 1495 1. Sp.). 32 Kronke, in IPRax 1996, S. 368 (= RabelsZ 1997, S. 361); Bergmann / Fer id / Henrich, Italien, S. 50; Walter, in ZZP 1996, S. 10 und Bauer u. a, c. p. c., S. 773. 33 In diesem Sinne die Vertreter des sachrechtlichen Maßstabes; siehe Nachweise bei Soergel (Schurig), Art. 220, Fn. 4.; ebenso in der schweizerischen Literatur Honsell / Vogt / Schnyder (J ametti Greiner / Geiser), Art. 196, Rn. 9. Siehe jedoch in Fn. 35 zu Dauerschuldverhältnissen. 34 Zu den Vertretern des kollisionsrechtlichen Maßstabes siehe Soergel (Schurig), Art. 220, Fn. 5. 35 Umstritten ist diese Frage im deutschen Recht bei Dauerschuldverhältnissen. Das BAG hat nämlich in einer neueren Entscheidung (BAG 29. 10. 1992, in IPRax 1994, S. 123 [125 f.]) festgestellt, dass bei Dauerschuldverhältnissen, die vor dem Inkrafttreten der IPR-Reform (1.9. 1986) begründet wurden, das neue Recht anzuwenden ist, sofern nach diesem Zeitpunkt eingetretene Teil Wirkungen betroffen sind. Eine derartige Rechtsspaltung schreibt das schweizerische Übergangsrecht in Art. 196 II IPRG ausdrücklich fest, demzufolge bei andauernden Sachverhalten und Dauerschuldverhältnissen zwischen den Wirkungen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten sind (S. 1 - bisheriges Recht), und den späteren Wirkungen (S. 2 - IPRG) unterschieden
86
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
Vertrauensgrundsatz, dass einmal Erworbenes nicht durch gesetzliche Änderungen in seinem Bestand tangiert werden dürfe 36. „Esaurita " i. S. d. Art. 72 I 2. Hs. IPRG ist jedoch eine „Situation" erst dann, wenn sie keinerlei Wirkungen mehr entfaltet 37. Die Ausnahmeregelung ist somit grundsätzlich enger gefasst, um dem IPRG eine möglichst weite Anwendung zu ermöglichen. Im Gegensatz zum schweizerischen und deutschen Recht fallen Rechtsverhältnisse, die vor Inkrafttreten des IPRG begründet wurden, grundsätzlich auch unter das neue Kollisionsrecht38. Auch an diesem Punkt ergeben sich Bedenken im Hinblick auf den Vertrauensschutz39. Wann sich Sachverhalte nun konkret „erschöpft" haben, obliegt der richterlichen Einzelfallprüfung 40. Als Beispiele werden bereits ergangene oder anerkannte Urteile bzw. Fälle von Fristabläufen oder Verjährungen genannt41.
b) Die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte (Art. 72 II IPRG) Für die internationale Zuständigkeit enthält im Weiteren Art. 72 II IPRG eine Ausnahmeregelung zum Grundsatz des Art. 72 I 1. Hs. IPRG42. Demzufolge genügt es zur Begründung der italienischen IZ, dass die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen und43 Vorschriften während des Prozesses eintreten bzw. in Kraft treten. Die Bestimmung ist notwendige Konsequenz des Bestrebens, das IPRG „sofort" zur Anwendung zu bringen. Vertrauensschutzintewird; Giardina, Com., RDIPP, S. 1267 geht demgegenüber davon aus, dass eine derartige Spaltung im italienischen IPRG abzulehnen ist. 36 v. Bar / MankowskU IPR I, § 4, Rn. 175 mit Hinweis auf die Artt. 7 II, 26 V S. 2, 215 EGBGB. 37 Siehe Fn. 29. 38 Broggini, Com., NLCC, S. 1499 (Nr. 4). 39 Allgemein dazu siehe unter 1. a); s. a in Fn. 35 zu Dauerschuldverhältnissen. 40 Ballarino, DIP 2, S. 61 mit Beispielen zu einzelnen Rechtsgebieten (S. 58 - 62); Giardina, Com., RDIPP, S. 1267 f.; zum Übergangsrecht verschiedener Materien s. a Broggini, Com., NLCC, S. 1498 f. (Nr.3). 41 Siehe Hinweis in voriger Fußnote. 42 Im Gegensatz dazu findet sich in Art. 54 I EuGVÜ (= Art. 66 I EuGVO) keine derartige Erweiterungsvorschrift. Art. 197 II schweizerisches IPRG geht hingegen noch weiter als Art. 72 II IPRG und ermöglicht selbst bei einer wegen Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen Klage eine erneute Klageerhebung, sofern die Zuständigkeit schweizerischer Gerichte durch die Neuregelungen des IPRG später begründet wird. 43 Kronkes Übersetzung des Art. 72 II IPRG (IPRax 1996, S. 368) spricht entgegen dem Gesetzeswortlaut nur von den „Voraussetzungen der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften". Anders und zutreffend Jayme, ebenda, S. 357 zur selben Formulierung in Art. 8 S. 2 IPRG bzw. Übersetzung des Art. 72 IPRG von Bauer u. a., c. p. c., S. 773 und De Meo, in Riering, S. 81.
§
Der
iche Anwendungsbereich des Gesetzes
87
ressen werden dadurch nicht verletzt. Eine zu Art. 72 I 1. Hs., II IPRG 44 parallele Regelung findet sich zudem in Art. 8 IPRG beim Zuständigkeitsrecht 45. Als zuständigkeitsbegründende Vorschriften i. S. d. Art. 72 II IPRG kommen neben der allgemeinen Zuständigkeitsnorm des Art. 3 IPRG die Artt. 4 I, 6, 9 - 11 46 IPRG in Betracht; dasselbe gilt für die besonderen Vorschriften der Artt. 22 II, 32, 37, 40, 42, 44, 50 IPRG 47 . Im Gegensatz dazu wird die Zuständigkeit italienischer Gerichte durch die Artt. 4 II, III (Derogation) und 7 (Rechtshängigkeit) IPRG nicht begründet, sondern negiert 48 .
c) „Eingriffsnormen"?
Über diese ausdrücklichen Regelungen des IPRG hinaus will Broggini auch den Vorschriften des Gesetzes, die allgemeine Grundsätze des IPR normativ festlegen, als „imperativen" Normen zu einer sofortigen Anwendung verhelfen 49 . Er begründet dies mit der Absicht des Gesetzgebers, das bestehende Recht „hic et nunc" zu „verbessern", und verweist auf Art. 17 IPRG („Norme di applicazione necessaria" - sog. Eingriffsnormen) sowie die ähnlichen Rege-
44 In anhängigen Verfahren kann im Hinblick auf das Prozessrecht niemals von einer „situazione esaurita" (Art. 72 I 2. Hs. IPRG) gesprochen werden. 45 Art. 8 S. 1 i. V. m. Art. 5 c. p. c. (Zeitpunkt der Klageerhebung - Art. 99 c. p. c.) entspricht nahezu dem Art. 72 I 1. Hs. IPRG („Beginn" des Verfahrens - Art. 137 c. p. c.) als Ausdruck der „perpetuatio iurisdictionis" (s. a. Kommissionsbericht, RDIPP 89, S. 985 zu Art. 74 letzter Absatz [= Art. 72 IPRG]); Art. 8 S. 2 IPRG entspricht Art. 72 II IPRG („favor iurisdictionis"). Siehe auch § 16 II. 6. c) bb) (3) zur perpetuatio fori bei Gerichtsstandsvereinbarungen. Art. 5 c. p. c. wurde durch das IPRG nicht aufgehoben (Art. 73 IPRG - siehe § 5 II. 3.); sein Anwendungsbereich wurde nunmehr über die örtliche und sachliche Zuständigkeit hinaus auch auf die internationale Zuständigkeit erstreckt. Im Gegensatz zum Hinweis des Art. 8 S. 1 IPRG hat Art. 8 des Kommissionsentwurfes die Regelungen des Art. 5 c. p. c. kopiert (RDIPP 1989, S. 933); zur Hinweis- und Kopiermethode bei der „Inkorporation" staatsvertraglichen Rechts siehe § 10 I. 3. und 4. Zur Parallele von IZ und örtlicher Zuständigkeit siehe § 16 II. 4. c) zu Art. 3 II 2 IPRG. 46 Art. 11 IPRG (Geltendmachung der fehlenden IZ) begründet zwar selbst keine Zuständigkeit, dessen Regelung steht jedoch im Zusammenhang mit den Zuständigkeitsvorschriften und ist insofern mit diesen anzuwenden (ebenso Broggini, Com., NLCC, S. 1500 [Nr. 6]); zu der Vorschrift siehe § 16 II. 8. c). 47 Allgemein zu diesem Vorschriften siehe § 16 I. 5. 48 Ballarino, DIP 2, S. 57. Ebenso Broggini, Com., NLCC, S. 1500 (Nr. 6) für Art. 4 II, III IPRG, indem er bei Art. 4 IPRG nur die „accettazione" der IZ (zu dem Begriff siehe § 16 II. 6. c) bb) (1), bei Fn. 273), d. h. die Prorogation und die rügelose Einlassung gemäß Art. 4 I IPRG erwähnt; andererseits will Broggini Art. 7 IPRG der Übergangsvorschrift des Art. 72 II IPRG unterstellen. 49 Broggini, Com., NLCC, S. 1499 (Nr. 5).
88
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
lungen der Artt. 7 EÜV, 34 EGBGB, 18, 19 schweizerisches IPRG50. Abweichend vom Grundsatz des Art. 72 I 1. Hs. IPRG sollen insofern insbesondere die allgemeinen Bestimmungen der Artt. 13-19 IPRG unmittelbar angewendet werden, d. h. auch in bereits anhängigen Prozessen. Broggini verweist auch auf die Zuständigkeitsvorschriften des Gesetzes51, deren sofortige Anwendung wird jedoch größtenteils bereits durch Art. 72 II IPRG gewährleistet52. Diese „großzügige" Interpretation Brogginis zugunsten der Anwendung des IPRG widerspricht jedoch dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, so dass man sich fragen muss, warum der Gesetzgeber seinen von Broggini angenommen Willen nicht in Art. 72 IPRG zum Ausdruck gebracht hat. Nachdem die in den Artt. 13 - 19 IPRG enthaltenen Regelungen allerdings in erheblichem Maße bereits allgemein - auch in Italien - anerkannte IPR-Grundsätze normieren 53, ergeben sich durch die Anwendung des bisherigen Rechts keine wesentlichen Abweichungen. Sofern die genannten Vorschriften allerdings einen innovativen Charakter beweisen (ζ. B. Artt. 13, 16 II IPRG) ist Art. 72 I 2. Hs. („situazioni esaurite") zu beachten, da ansonsten der von der Regelung beabsichtigte Vertrauensschutz ausgehebelt werden würde.
50 51 52 53
Siehe dazu § 11 II. 2. e) aa), bei Fn. 123. Broggini, Com., NLCC, S. 15001. Sp. unten. Siehe oben unter b). Siehe § 3 II. 1., bei Fn. 34 und § 11 II. 2. e).
§ 7 Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.) Wie bereits erwähnt und wie sich dem Art. 73 IPRG im Umkehrschluss entnehmen lässt1, wurde die Gültigkeit des Art. 16 disp. prel. durch die Reform des internationalen Privatrechts nicht berührt2. Obwohl seit langer Zeit sehr kontrovers diskutiert3, ist die Frage der Streichung oder Änderung dieser Bestimmung im Rahmen der Vorarbeiten zum IPRG nicht abschließend erörtert worden, da es sich bei der Vorschrift nach überwiegender Ansicht um eine Regelung des Fremdenrechts und nicht des internationalen Privatrechts handelt4. Auch wenn das Fremdenrecht im Allgemeinen5 und der Gegenseitigkeitsgrundsatz im Speziellen in nationalen Kodifikationen immer in systematischer Nähe zu den Normen des IPR steht6, ist diese Differenzierung in der Sache nicht angreifbar.
I. Allgemeines zur Bestimmung des Art. 16 disp. prel. Art. 16 disp. prel. sieht vor, dass Ausländer (Abs. I) sowie ausländische juristische Personen (Abs. II) die den italienischen Staatsbürgern eingeräumten „diritti civili" nur unter der Bedingung der Gegenseitigkeit (,reciprocità")
1
Siehe §511.1. Pocar, Com., RDIPP, S. 910 oben; Giardim, Com., RDIPP, S. 1272 (Nr. 2) und Broggini, Com., NLCC, S. 1501 f.; s. a. Ballarino, DIP 2, S. 308 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 240. Ausführlich zu Art. 16 disp. prel. nach der IPR-Reform in RDIPP 1997: Laurini , S. 75 - 86; Leanza, S. 87 - 92 und Nascimbene, S. 93 - 96; die drei Aufsätze finden sich auch in SIDI, S. 119 - 142. Im Weiteren zu der Vorschrift siehe Mengozzi, La riforma, S. 83 - 96. 3 Zu ausführlichen Abhandlungen im Verlaufe der Vorarbeiten zum IPRG siehe Focarelli, in RDI 1989, S. 825 - 865 und Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 485 - 498 in Anknüpfung an die Untersuchungen von Calò und Casu aus dem selben Jahr (zitiert in Mengozzi, a.a.O., Fn. 1 und 2); zu kürzeren Erörterungen siehe Lenzi, in Studi Marano, S. 127 (138 - 141) und Clerici, in Studi Vitta, S. 309 (330 - 335). 4 Siehe unter III., Fn. 87. 5 Siehe § 2 II. 1. b) zum Staatsangehörigkeitsrecht. 6 Zum Gegenseitigkeitsgrundsatz in den Vorschriften anderer Staaten siehe Fn. 14; siehe auch Art. 5 II disp. prel. cod. nav. in Fn. 8. 2
90
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
genießen7. Gemäß Art. 16 disp. prel. bleiben jedoch anderweitige Regelungen in Spezialgesetzen vorbehalten 8 . In Anknüpfung an das gleichnamige völkerrechtliche Prinzip 9 nimmt der Gegenseitigkeitsgrundsatz generell eine spiegelbildliche Betrachtung vor, d. h. den Ausländern werden die zivilen Rechte zugebilligt, die auch einem Italiener im Herkunftsland dieses Ausländers zustehen würden. Neuere Stimmen in Rechtsprechung und Literatur legen den Schwerpunkt bei der Anwendung des Art. 16 disp. prel. auf die Frage der Diskriminierung von Italienern im Ausland 10 . Zu vergleichen wäre insofern nicht die Rechtslage in Italien mit derjeni-
7
Art. 16 I disp. prel.: „Lo straniero è ammesso a godere dei diritti civili attribuiti al cittadino a condizione di reciprocità e salve le disposizioni contenute in leggi speciali. Questa disposizione vale anche per le persone giuridiche straniere. "
Die Lehre spricht in diesem Zusammenhang von einer „reciprocità di fatto" bzw. „reciprocità sostanziale " (Gleichstellung im Ergebnis); siehe SB (Giardina), Art. 16 disp. prel., S. 1 0 - 1 2 und Campeis / De Pauli, Il processo, S. 130 f.; Leanza, in RDIPP 1997, S. 89 f.; zu weiteren Nachweisen siehe Focarelli, in RDI 1989, S. 838 in Fn. 31. Demgegenüber stehen die sog. „ reciprocità diplomatica " (Gleichstellung mit Ausländer auf Grund internationaler Abkommen im Rahmen deren Anwendungsbereiches, s. a. Art. 16 I disp. prel.: „ ... salve le disposizioni contenute in leggi speciali. ") und die
„reciprocità legislativa " (substanziell gleiche Rechtslage im Recht eines anderen Staates), wobei zwischen diesen beiden Formen der Gegenseitigkeit oft nicht unterschieden wird. Die Rechtsprechung stellt sich bei der Einstufung des Art. 16 disp. prel. nach diesen Kriterien uneinheitlich dar (Nachweise bei Focarelli, a.a.O., S. 837 f. in Fn. 30); Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 493 f. verweist auf das Urteil Trib. Como 5. 4. 1994 (siehe III. 2., Fn. 71) als Beispiel für die sog. „reciprocità diplomatica". Die in dieser Form vorgenommene Differenzierung erweist sich jedoch in der Sache als wenig hilfreich; von Bedeutung ist eher die Frage, ob Art. 16 disp. prel. eine materielle Gegenseitigkeit fordert oder lediglich ein Diskriminierungsgebot enthält (siehe dazu im Folgenden). 8 Siehe z. B. Art. 5 II disp. prel. cod. nav.; zu der Vorschrift siehe Vitta, DIP I, S. 453 - 456. Zum Schiff- und Luftfahrtsrecht s. a § 5 III. 4. 9 Dazu siehe Verdross / Simma, §§ 64 - 67 und Kimminich / Hobe, Einführung, S. 20 f. und S. 298 - 300. Zu umfangreichen Literaturangaben siehe Focarelli, in RDIPP 1989, S. 825 f. in Fn. 1; der Gegenseitigkeitsgrundsatz im Bereich des IPR ist aus völkerrechtlicher Sicht als Retorsion oder Repressalie zu rechtfertigen (Focarelli, a.&0., S. 828 f. m.w.N. und ausführlich auf S. 839 - 865); siehe dazu auch die Entscheidungen Cass. 29. 1. 1976, n. 279 (Fn. 12), die in Art. 16 disp. prel. „una sorta di ritorsione politica" sieht. Zur Völkerrechtskonformität des Gegenseitigkeitsgrundsatzes siehe auch BVerfG vom 23. 1. 1990, in BVerfGE 81, S. 208 (224). 10 App. Roma 22. 2. 1989, in Giust. civ. 1989,1., S. 1698 bzw. RDIPP 1990, S. 718 in Auszügen; das Gericht verweist ausdrücklich darauf, dass es unerheblich ist, ob dasselbe Recht in der Rechtsordnung des Ausländers besteht. Das letztinstanzliche Urteil zu diesem Fall (Cass. 10. 2. 1993, n. 1681 in nächster Fußnote) hat dieses Verständnis des Art. 16 disp. prel. jedoch revidiert, auch wenn es die Entscheidung sachlich bestätigt hat. Zu dem Urteil des Corte di Appello Roma siehe Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 496. Zu dieser neuen Tendenz siehe CT (Barel), Art. 16 disp. prel., IV. 1.; Laurini, in RDIPP 1997, S. 77 f.; Rescigno (Vecchi), Art. 16 disp. prel., Nr. 3 m.w.N. und Broggini, Com.,
§ 7 Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.)
91
gen in dem entsprechenden ausländischen Staat, sondern die rechtliche Stellung zwischen Italienern und Inländern in diesem Land. Dies würde zu einer erheblichen „Entschärfung" des Art. 16 disp. prel. führen und aus dem bisherigen materiellen einen formellen Gegenseitigkeitsgrundsatz formen, der faktisch einem Diskriminierungsgebot gleichkommt 11 . Der Corte di Cassazione hält demgegenüber an der traditionellen spiegelbildlichen Sichtweise fest, verweist jedoch zusätzlich auf das Kriterium der Diskriminierung. Der Gegenseitigkeitsgrundsatz fordert demzufolge, dass ein gleiches oder ähnliches Recht in der Rechtsordnung des Ausländers anerkannt wird und Italienern in selber Weise eingeräumt wird wie Inländern 12 . Die Beweislast für das Bestehen der Gegenseitigkeit trägt im Falle des Bestreitens der ausländische Kläger 13 .
NLCC, S. 1502 1. Sp. mit Beispielen zum italienisch-schweizerischen Rechtsverkehr. Ähnlich bereits in der Vergangenheit SB (Giardino), Art. 16 disp. prel., S. 11 und in Anknüpfung an diesen Ballarino, DIP 1, S. 569 unten. 11 Zur Unterscheidung zwischen formeller und materieller Gegenseitigkeit siehe Neuhaus, Grundbegriffe, S. 341 in Fn. 943. Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 496 sieht in der Auslegung eine faktische Aufgabe des Gegenseitigkeitsgrundsatzes und eine Hinwendung zu einem reinen Diskriminierungsgebot. Als Regelung einer formellen Gegenseitigkeit ist in Österreich die Bestimmung des § 33 S. 2 ABGB zu verstehen (§ 33 S. 2 ABGB: „Auch müssen die Fremden, um gleiches Recht mit den Eingebornen zu genießen, in zweifelhaften Fällen beweisen, daß der Staat, dem sie angehören, die hierländigen Staatsbürger in Rücksicht des Rechts, wovon die Frage ist, ebenso wie die seinigen behandle. "); siehe dazu die Entscheidung
des Obersten Gerichtshofes vom 25. 10. 1961, in SZ 34 / 160. Schwimann weist jedoch darauf hin, dass diese Bestimmung in der Praxis „außer Übung geraten44 ist; zu einer Ungleichbehandlung von Ausländer kommt es insofern nur noch auf Grund von spezialgesetzlichen Vorschriften (Schwimann, in Rummel, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Auflage, Bd. 1, 1990, zu § 33 ABGB). 12 Grundlegend dazu Cass. 29. 1. 1976, n. 279, in RDIPP 1976, S. 561 (564). Bestätigend in neueren Entscheidungen Cass. 10. 2. 1993, n. 1681, in Giust. civ. 1994, I., S. 1660 = Foro it. 1993, I., Sp. 3067 = RDIPP 1994, S. 560 (zur Vorinstanz siehe vorige Fußnote) und Cass. 19. 6. 1995, n. 6918, in Giust. civ. 1995,1., S. 2650; Laurini, RDIPP 1997, S. 77 f. zitiert in Fn. 6 den Wortlaut des letztgenannten Urteils, führt jedoch als Quelle eine andere Entscheidung zu Art. 16 disp. prel. an. 13 Dies wird damit begründet, dass es sich dabei nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine Tatsachenfeststellung handelt (Cass. 29. 1. 1976, n. 279 [vorige Fußnote]; Trib. Bari 31. 5. 1984, in RDIPP 1986, S. 114 [zu dem Urteil siehe auch Fn. 78] und Trib. Roma 30. J. 1989, in RDIPP 1991, S. 425 = Giur. it. 1990,1. 2., Sp. 734 mit Aufsatz von Calò, Reciprocità: un misleading case? [zu dem Urteil siehe auch Fn. 53]; zu weiteren Rechtsprechungsnachweisen siehe Focarelli, in RDI 1989, S. 838 in Fn. 33 und CT (Barel), Art. 16 disp. prel., IV. 2.). Der italienische Richter kann sich dabei auf Angaben offizieller Stellen des jeweiligen Staates verlassen, ohne dass er das ausländische Recht kennen muss (Laurini, in RDIPP 1997, S. 78 mit Zitat der unveröffentlichten Entscheidung Cass. 20. 12. 1995, n. 12978). Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 495 weist daraufhin, dass die Gerichte bei der Anwendung der bisherigen IPR-Vorschriften (Artt. 1 7 - 3 1 disp. prel.) von einem Kooperationsverhältnis zwischen dem Gericht und den streitenden Parteien ausgegangen sind. Auf Grund des Näheverhältnisses von Art. 16 disp. prel. und dem IPR will Mengozzi diese
92
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
Der durch Art. 16 disp. prel. manifestierte Gegenseitigkeitsgrundsatz soll italienische Bürger im Ausland schützen. Derartige Bestimmungen finden sich auch in Rechtsordnungen anderer Länder14. Eine ähnliche Regelung enthielt das bisherige italienische Prozessrecht in Art. 4 Nr. 4 c. p. c. zur Frage der internationalen Zuständigkeit15. Die Vorschrift des Art. 16 disp. prel. war zwar bereits vor Inkrafttreten der Verfassung am 1. 1. 1948 geltendes Recht16, im Ergebnis füllt sie jedoch den
Grundsätze auch bei der Überprüfung des Gegenseitigkeitsgrundsatzes anwenden und sich insofern von den strengen verfahrensrechtlichen Regeln lösen. Mengozzi befürwortet daher eine Vermutung der Vereinbarkeit des ausländischen mit dem innerstaatlichen Recht (s. a. im Folgenden zur geforderten Beweislastumkehr bei § 33 S. 2 österreichisches ABGB). Die h. Lit. hat sich i. R. d. alten IPR, dafür ausgesprochen, das ausländische Recht als Rechtsfrage von Amts wegen zu ermitteln ( Vitta / Mosconi , Corso 5, S. 133 - 136 mit Darstellung der uneinheitlichen Rechtsprechung; ebenso CT (Barel), Art. 14 IPRG, I. m.w.N.); der Untersuchungsgrundsatz wird nunmehr im neuen IPR gesetzlich geregelt (Art. 14 I IPRG); zum deutschen Prozessrecht siehe § 293 ZPO. Eine ausdrückliche Beweislastregelung zulasten von Ausländern enthält im österreichischen Recht die Parai lei Vorschrift zu Art. 16 disp. prel. (§ 33 S. 2 ABGB - Fn. 11); von der Literatur wird demgegenüber z. T. eine Beweislastumkehr zugunsten der Betroffenen gefordert (Mänhardt, in Geschnitzer; Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 2. Auflage, 1992, S. 122). Der Oberste Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 25. 10. 1961 (Fn. 11) von einer Prüfung der Gegenseitigkeit von Amts wegen. 14 Art. 11 französischer code civil, § 33 S. 2 österreichisches ABGB (siehe in Fn. 11, 13), Art. 14 II portugiesischer codigo civil, § 32 II tschechisch / slowakisches IPRG (Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 32 I - aber Möglichkeit einer Einzelfallentscheidung zu Lasten von Ausländern bei fehlender Gegenseitigkeit) und Art. 1 II albanisches IPRG (Möglichkeit der Einführung von allgemeinen Beschränkungen für Fälle der fehlenden Gegenseitigkeit). Im Art. 6 I des rumänischen IPRG von 1992 wird der Grundsatz der Gegenseitigkeit grundsätzlich abgelehnt; diese Regelung steht jedoch unter dem Vorbehalt besonderer Bestimmungen. Zu den Quellen der IPR-Gesetze siehe Anhang I. Zum Gegenseitigkeitserfordernis in Staatsverträgen siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). Verfassungsrechtlich manifestiert Art. 55 der französischen Verfassung einen Gegenseitigkeitsgrundsatz im Bereich des völkerrechtlichen Vertragsrechts in dem Sinne, dass der durch die Vorschrift erwähnte Vorrang von Staatsverträgen (siehe dazu § 9 I., in Fn. 3) unter dem Vorbehalt der Anwendung des Staatsvertrages durch die Vertragspartner steht; zu der Vorschrift siehe Nachweise bei Focarelli, in RDIPP 1989, S. 826 f. in Fn. 2 mit Hinweis auf ähnliche Vorschriften in den Verfassungen afrikanischer Staaten. 15 Siehe dazu § 16 II. 2. a), Fn. 48. Das bisherige und ebenso das neue italienische IZPR enthalten - im Gegensatz zu § 328 I Nr. 5 ZPO bzw. § 64 e) tschechisch / slowakisches IPRG) - kein Gegenseitigkeitserfordernis im Bereich des Anerkennungsrechts (Art. 797 c. p. c. bzw. Art. 64 IPRG); kritisch zur Regelung des deutschen IZPR Schock, IZVR, Rn. 38 sowie Rn. 872 - 877. 16 Zum Inkrafttreten der Vorschrift siehe § 1, Fn. 6.
§ 7 Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.)
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Gestaltungsspielraum aus, den Art. 10 II cost.17 dem Gesetzgeber bietet. Die Verfassungsgemäßheit der Norm war allerdings in der Vergangenheit ständiger Gegenstand von Diskussionen18. Art. 16 disp. prel. behandelt sog. „diritti civili In Anknüpfung an dieselbe Formulierung in Art. 11 des französischen code civil („droits civils") 19 versteht die Lehre darunter alle „Rechte mit privatem Charakter" und grenzt sie von den „politischen Rechten" öffentlich-rechtlicher Natur ab, die traditionell nur italienischen Staatsbürgern zustehen20. Die Norm betrifft insofern sowohl einzelne dem Zivilrecht entspringende Ansprüche als auch allgemeine Freiheitsrechte des Privatrechts 21. Bestandteil der gemäß Art. 16 disp. prel. Ausländern zugestandenen Rechtsstellung ist neben diesen materiellen Ansprüchen auch eine Rechtswegegarantie zum Schutz derselben22. Anwendung findet Art. 16 disp. prel. für Ausländer (stranieri"). Für Mehrstaater mit italienischer Staatsbürgerschaft gilt die Bestimmung somit nicht. Dies entspricht der italienischen Rechtsprechung23 und wird durch Art. 19 II 2 IPRG nunmehr bestätigt24. Für Mehrstaater ohne italienische
17 Art. 10 II cost.: „ La condizione giuridica dello straniero è regolata dalla legge in conformità delle norme e dei trattati internazionali. Zu der Vorschrift s. a. II. 1., bei Fn. 59 und II. 2 bei Fn. 61.
18
Siehe dazu unter II. 1. Siehe dazu auch Laurini , in RDIPP 1997, S. 82 f. 20 SB (Giardino), Art. 16 disp. prel., S. 8 unter b); Ballarino, DIP 1, S. 564; Rescingo (Vecchi), Art. 16 disp. prel., Nr. 1 Anfang; Focarelli, in RDI 1989, S. 834 m.w.N. zur Literatur und CT (Barel), Art. 16 disp. prel., III. 1. m.w.N. zur Rechtsprechung; zu dem Begriffs, a Leanza, in RDIPP 1997, S. 88 f. 21 Z. B. Vertrags-, Testier- und Berufsfreiheit (siehe CT (Barel), Art. 16 disp. prel., III. 1.); zur Vertragsfreiheit beachte auch Art. 41 I cost, (siehe Kindler, Einführung, § 15, Rn. 3). 22 Cass. 10. 2. 1993, n. 1681, in Foro it. 1993,1., Sp. 3067 (3075). Mit Inkrafttreten der italienischen Verfassung lässt sich dieses Recht auch dem Art. 24 I cost. (Rechtswegegarantie) entnehmen; siehe dazu SB (Giardino), Art. 16 disp. prel., S. 9 f.; Ballarino, DIP 1, S. 570; Rescingo (Vecchi), Art. 16 disp. prel., Nr. 1 Ende m.w.N. Zur Vereinbarkeit des Art. 16 disp. prel. mit Art. 24 cost, siehe II. 1., Fn. 46; im Weiteren siehe vor allem den Hinweis in Fn. 15. 23 Zur ständigen Rechtsprechung siehe für alle Cass. 3. 4. 1970, n. 894, in RDIPP 1971, S. 617 (618 - Anknüpfung an die italienische Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer zusätzlichen Staatsbürgerschaft) und in der jüngsten Vergangenheit Cass. 19. 6. 1995, n. 6925, in RDIPP 1996, S. 545; s. a Vitta / Mosconi, Corso 5, S. 127 und 19
Ballarino, DIP 1, S. 335. 24
Ebenso Art. 5 I 2 EGBGB und Art. 23 I schweizerisches IPRG zur Begründung der schweizerischen IZ.
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Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
Staatsangehörigkeit greift hingegen die Regelung des Art. 16 disp. prel. Auch hier gibt das neue Gesetz in seinem Art. 19 II 1 IPRG die bisherige Rechtslage wieder 25 , derzufolge zur Prüfung des Gegenseitigkeitserfordernisses das Recht des Staates herangezogen wird, zu dem der Ausländer im konkreten Einzelfall die engste Verbindung aufweist 26 . Diese Regelung entspricht darüber hinaus den nach Art. 10 I cost, zu beachtenden allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts 27. Keine Ausländer im Sinne der Vorschrift sind sog. „Italiani non appartenenti alla Repubblica" (Art. 51 II cost.) 28 . Im Weiteren fallen Staatenlose und Flüchtlinge nicht in den Anwendungsbereich des Art. 16 disp. prel., sofern sie sich in Italien aufhalten 29. Dies ergibt sich zum einen aus dem Art. 7 II des New Yorker UN-Abkommens über den Schutz von Staatenlosen vom 28. 2. 1954 30 und des Genfer UN-Flüchtlings-
25
Zur früheren Rechtslage siehe SB (Giardina), Art. 16 disp. prel., S. 8 und Ballarino, DIP 1, S. 336 beide mit Hinweis auf den Fall Nottebohm (Fn. 27). Ebenso Vitta / Mosconi, Corso 5, S. 127 und Balladore Pallien, DIP (1974), S. 85 f. sowie in
der neueren Literatur Focarelli, RDI 1989, S. 833 und CT (Barel), Art. 16 disp. prel., II. з. 26 Die Regelung des Art. 19 II IPRG entspricht den entsprechenden Bestimmungen des Art. 5 I EGBGB, Art. 23 I, II schweizerisches IPRG, Art. 9 I österreichisches IPRG und Art. 4 b), c) türkisches IPRG. Zu Art. 19 I IPRG siehe § 10 II. 3., in Fn. 128. 27 Zum Grundsatz der „effektiven Staatsangehörigkeit" im Völkerrecht siehe das Urteil des IGH vom 6. 4. 1955 (Fall Nottebohm), in ICJ Reports 1955, S. 4 (22 - 26); s. a. Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 1197. Allgemein zum Gegenseitigkeitsgrundsatz im Völkerrecht siehe Fn. 9; zu Art. 10 I cost, siehe unter II. 1. 28 CT (Barel), Art. 16 disp. prel., II 4; Leanza, in RDIPP 1997, S. 90 (Nr. 4); zum Kreis und Status dieser Personengruppe siehe Ballarino, DIP 1, S. 584 - 587 m.w.N. Die sog. „italiani non appartenenti della Repubblica" finden verfassungsrechtlich in Art. 51 II cost. Erwähnung. Gemäß Art. 51 II cost. i. V. m. einfachgesetzlichen Bestimmungen steht ihnen der Zugang zu öffentlichen Ämtern offen; umstritten ist jedoch, ob sie auch Richterämter bekleiden können (siehe dazu CP (Tosi), Art. 51, II. 7. m.w.N.). Darüber hinaus wird ihnen der Erwerb der italienischen Staatsangehörigkeit erleichtert (zum bisherigen Recht siehe Art. 17 II des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1912 [legge 13. 6. 1912, n. 555 - siehe § 2 II. 1. b), Fn. 22]; zum aktuellen Recht siehe и. a. Art. 18 des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1992 [legge 5. 2. 1992, n. 91 - siehe δ 2 II. 1. b), Fn. 27]); sie können zudem nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Anschluss an eine Verurteilung ausgewiesen werden (Ballarino, a.a.O., S. 585). 29 Für alle Focarelli, in RDI 1989, S. 832 f. m.w.N. in Fn. 13. 30 In Italien umgesetzt durch Gesetz vom 1. 2. 1962, n. 306 in Gazz. Uff., n. 142 vom 7. 6. 1962; in Kraft seit dem 3. 2. 1963. Zum deutschen Vertragsgesetz siehe BGBl. 1976 II, S. 473; s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 12. Zu Art. 12 I des Abkommens siehe § 16 II. 4. a), Fn. 88.
§ 7 Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.)
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abkommens vom 28. 7. 1951 31 sowie aus Art. 16 1. cittad. 32 . Sowohl die UNAbkommen als auch das Staatsangehörigkeitsgesetz setzen fur die Gleichstellung von Staatenlosen33 und Flüchtlingen 34 einen rechtmäßigen Aufenthalt derselben voraus. Bei Fehlen eines Aufenthaltes in Italien fordert die italienische Literatur bei der Frage der Anwendung einer bestimmten Norm für Ausländer eine Einzelfallabwägung gemäß der ratio der jeweiligen Vorschrift 35 . Dieser Grundsatz entspricht den Artt. 7 IV 2. Alt. der beiden UN-Abkommen, nach denen im Falle des NichtVorliegens der Voraussetzungen von Art. 7 II der Übereinkommen eine Befreiung vom Erfordernis der Gegenseitigkeit „wohlwollend" zu prüfen ist.
31 In Italien umgesetzt durch Gesetz vom 24. 7. 1954, n. 722 in Gazz. Uff., n. 196 vom 27. 3. 1954; in Kraft seit dem 13. 2. 1955. Zum deutschen Vertragsgesetz siehe
BGBl. 1953 II, S. 559; s. a Jayme / Hausmann, Nr. 10 und Sartorius
II, Nr. 28. Zu
Art. 12 I des Abkommens siehe § 16 II. 4. a), Fn. 88. Ζ. T. wird in der italienischen Literatur für Flüchtlinge auf die Asyl Vorschrift der Verfassung (Art. 10 III cost.) zurückgegriffen (CT (Barel), Art. 16 disp. prel., II. 4.). Die Verfassung geht den internationalen Verträgen zwar vor (siehe § 9 I.), zum einen sind jedoch Flüchtlinge nicht zwingend auch Asylsuchende, zum anderen sagt die Zubilligung von Asyl nichts darüber aus, welche Rechte dem Ausländer zustehen (ebenso im Ergebnis CP (Bin), Art. 10, XI. 2. m.w.N. zur Diskussion). 32 Legge 5. 2. 1992, n. 91 (siehe § 2 II. 1. b), Fn. 27). Die UN-Abkommen sehen in ihren Art. 7 II nach einem gewöhnlichen Aufenthalt von drei Jahren eine Befreiung von jedem Gegenseitigkeitserfordernis vor. Art. 16 1. cittad. bestimmt als Spezialgesetz zu Art. 16 disp. prel., dass Staatenlosen (Abs. I) und Flüchtlingen (Abs. II) die „diritti civili" des italienischen Rechts zustehen. Eine Ausnahme gilt nur für Flüchtlinge, die vom Militärdienst befreit sind (Art. 16 II letzter Hs. 1. cittad.); bei Staatenlosen greift diese Ausnahme nicht (Art. 1611. cittad.). Internationale Verträge gehen dem nationalen Recht zwar grundsätzlich vor (siehe Art. 10 II cost. [Fn. 17: „in conformità ... dei trattati internazionali "] und allgemein unter § 9); die UN-Abkommen finden jedoch gemäß ihren Art. 1 E. (Flüchtlingsabkommen) und Art. 1 II ii) (Staatenlosenabkommen) keine Anwendung, sofern und soweit die betreffenden Personen im Aufenthaltsstaat Inländern gleichgestellt werden. Demzufolge dürfte im Rahmen des Art. 16 disp. prel. („diritti civili") ausschließlich Art. 161. cittad. zu beachten sein. 33 Art. 1611. cittad. („risiede legalmente"). 34 Art. 16 II 1. cittad. („riconosciuto rifugiato"). Zum Flüchtlingsstatus nach Völkerrecht siehe Art. 1 A. des UN-Flüchtlingsabkommens. 35 CT (Barel), Art. 16 disp. prel., II. 4. m.w.N.
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Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG I I . Der begrenzte Anwendungsbereich des A r t 16 disp. prel.
Der Anwendung des Gegenseitigkeitsgrundsatzes werden jedoch im Einzelnen erhebliche Schranken gesetzt 36 . Vorrangig zu beachten sind insofern die italienische Verfassung als höherrangiges Recht 37 , internationale Verträge als leges speciali 38 sowie spezielle Regelungen in rein nationalen Gesetzen39.
1. Die verfassungsrechtliche
Beschränkung des Art. 16 disp. prel
Die Verfassungsmäßigkeit des Art. 16 disp. prel. ist in der italienischen Literatur vielfach diskutiert worden 40 . Überprüft wurde dabei dessen Vereinbarkeit mit den allgemeinen Vorschriften der Artt. 2, 3, 10, 24 cost, und im Speziellen mit Art. 36 cost, im Bereich des Arbeitsrechts. Inzwischen dürfte es jedoch als allgemein anerkannt gelten, dass die Bestimmung zwar nicht verfassungswidrig ist, ihr jedoch durch die Verfassung insofern Grenzen gesetzt werden, als „diritti fondamentali" von Ausländern durch den Gegenseitigkeitsgrundsatz nicht eingeschränkt werden 41 . Nichtsdestotrotz werden nach wie vor vereinzelte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung laut 42 .
36 Z. T. wird insofern angenommen, dass die Vorschrift keine Wirkung mehr entfaltet; siehe Mengozzis Hinweise auf Casu in RDIPP 1994, S. 487 oben und in La riforma, S. 84, Fn. 36. 37 Zum Vorrang der Verfassung siehe § 9 I. 38 Allgemein dazu siehe § 9 II. 39 Siehe dazu auch Art. 16 disp. prel. („leggi speciali" - Fn. 7) und allgemein Art. 10 II cost, („in conformità delle norme" - Fn. 17). 40 Zu den Autoren, die sich für eine Verfassungswidrigkeit des Art. 16 disp. prel. ausgesprochen haben siehe CT (Barel), Art. 16 disp. prel., V. 2. Anfang. 41 Grundlegend Corte cost. 23. 11. 1967, η. 120; in RDIPP 1968, S. 91 (93) = Foro it. 1968, I., Sp. 20 = Giust. civ. 1967, III, S. 277; zu weiteren Urteile siehe nächste
Fußnote. 42 Laurini , in RDIPP 1997, S. 80 (Nr. 3 Ende) ist nach wie vor der Meinung, dass mangels einer klärenden Entscheidung des Corte Costituzionale, die eine Vereinbarkeit des Art. 16 disp. prel. mit der Verfassung umfassend und abschließend prüft, weiterhin Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift bestehen (ähnlich Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 498). Noch weiter als Laurini geht Casu, der den Gegenseitigkeitsgrundsatz durch die jüngste Rechtsprechung als überwunden ansieht (siehe Hinweis von Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 487 auf Casu mit Quellenangabe auf S. 486 in Fn. 2). Dem gilt es jedoch entgegenzuhalten, dass, auch wenn der Verfassungsgerichtshof den Art. 16 disp. prel. bisher nur an einzelnen Vorschriften der Verfassung messen konnte, Rechtsprechung und Literatur doch eine klare Linie verfolgen, die keine ernsthaften Zweifel an der grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift zulassen. Es gilt jedoch zu klären, in welchem Umfang der Gegenseitigkeitsgrundsatz durch die Verfas-
§ 7 Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.)
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In ihrem Art. 2 erkennt die italienische Verfassung die „unverletzlichen Rechte des Menschen" („diritti inviolabili dell'uomo") an. Daraus haben Rechtsprechung 43 und Literatur 44 gefolgert, dass Ausländer in Italien auch bei fehlender Gegenseitigkeit nicht gegenüber Inländern schlechter gestellt werden dürfen, sofern es sich bei den „diritti civili" im Sinne des Art. 16 disp. prel. um unantastbare Menschenrechte handelt 45 . Zu diesen Rechten zählt auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 24 cost. 46. Art. 3 I cost, manifestiert die Gleichheit italienischer Bürger vor dem Recht 47 . Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus entwickelten Rechtsprechung und Lehre jedoch einen allgemeinen Grundsatz, der auch für Ausländer in Italien gilt 4 8 . Ebenso wie Art. 3 GG begründet Art. 3 I cost, lediglich ein Willkürverbot 49 , so dass eine unterschiedliche Behandlung wegen ausländischer
sung einzuschränken ist; insbesondere die Frage, welche Rechte zu den „diritti fondamentali" gehören, dürfte i. E. noch nicht abschließend geklärt sein (siehe Fn. 46). 43 Corte cost. 23. 3. 1968, η. 11, in RDIPP 1968, S. 639 (642); Cass. 10. 2. 1993, n. 1681 (s. a. Fn. 12), in Foro it. 1993,1., Sp. 3067 (3076). 44 Leanza, in RDIPP 1997, S. 88; Giardino, Com., RDIPP, S. 1273 (ders. bereits früher in SB (Giardino), Art. 16 disp. prel., S. 14); CT (Barel), Art. 16 disp. prel., V. 2. und Campeis/De Pauli, Il processo, S. 132. 45 Im Einzelnen zu den von Art. 2 cost, erfassten Rechten siehe CP (D'Alessio), Art. 2, VI. und CT (Borei), Art. 16 disp. prel., V. 2. 46 Cass. 28. 6. 1966, n. 1680, in Giust. civ. 1966,1., S. 1909; Corte cost. 15. 3. 1972, η. 50, in Foro it. 1972, I., Sp. 859 zum Verteidigungsrecht des Art. 24 II cost.; Cass. 10. 2. 1993, n. 1681 (Fn. 43), Sp. 3074 - 3076. Das letzte Urteil des Corte di Cassazione enthält eine Auflistung von verfassungsrechtlichen „diritti fondamentali"; im Anschluss an die Ausführungen des Gerichts ist in der Literatur umstritten, ob die Aufzählung als abschließend anzusehen ist (dagegen Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 497 („elastico ed aperto") mit Hinweis auf die gegenteilige Ansicht von Calò ; für einen abschließenden Charakter wohl auch CT (Barel), Art. 16 disp. prel., V. 2.). Zum Art. 24 cost, als „diritto fondamentale" des Art. 2 cost, siehe CT (Barel), a.a.O.,
V. 2. und 3.; Giardino, Com., RDIPP, S. 1273; Campeis / De Pauli, Il processo, S. 130
und Focarelli, in RDI 1989, S. 835 m.w.N. Siehe dazu und zu Art. 4 Nr. 4 c. p. c. Fn. 22 und vor allem den Hinweis in Fn. 15. Ähnlich auch BVerfG vom 20. 4. 1982 (BVerfGE 60, S. 253 (303 f.)) zum deutschen Verfassungsrecht (Art. 19 IV GG). Demzufolge ist ein angemessener gerichtlicher Rechtsschutz als allgemeiner völkerrechtlicher Grundsatz („menschenrechtlicher Mindeststandard") auch Ausländern zu gewähren. 47 Zum verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz siehe auch § 2 II. 1.; zum Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK siehe 2., Fn. 64. 48 Corte cost. 23. 11. 1967, η. 120 (Fn. 41); s. a. Cass. 10. 2. 1993, η. 1681, in Foro it. 1993, I., Sp. 3067 (3077). SB (Giardino), Art. 16 disp. prel., S. 14 f. m.w.N.; Campeis/De Pauli, Il processo, S. 133 f. m.w.N. in Fn. 23 und Leanza, in RDIPP 1997, S. 88. 49 Corte cost. 23. 11. 1967, η. 120 (Fn. 41). Siehe auch CP (Carovita), Art. 3, IV. 6. m.w.N. zur Rechtsprechung und Literatur.
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Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
Staatsangehörigkeit als sachlicher Grund prinzipiell denkbar ist50. Einer Entscheidung muss insofern eine Einzelfallabwägung vorausgehen, bei der die Motive für die Einfuhrung des Art. 16 disp. prel. einer eingehenden Kontrolle unterzogen werden. In jedem Fall ist ein sachlicher Grund nicht gegeben, wenn „diritti fondamentali" betroffen sind51, so dass zumindest dieselbe Grenze wie im Rahmen des Art. 2 cost, zu ziehen ist. Eine Gleichberechtigung ausländischer Arbeitnehmer wird im Speziellen dem Art 36 cost entnommen52. Darin zeigt sich erneut die arbeiterfreundliche Grundhaltung der italienischen Verfassung53. Gegenstand der Diskussion war im Weiteren Art. 10 cost. In seinem Absatz I spricht die Bestimmung vom Einklang der italienischen Rechtsordnung mit den allgemein anerkannten Normen des internationalen Rechts. Ähnlich wie Art. 25 GG macht die Vorschrift damit das internationale Gewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts zum Bestandteil des italienischen Rechts; sie stehen jedoch ebenso wie im deutschen Recht im Rang unterhalb der Verfassung 54. Der Corte di Cassazione hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass es keine allgemeine Regel des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts gäbe, die den Gegenseitigkeitsgrundsatz verbieten würde55. Dies zeigen auch die Artt. 7 II der UN-Abkommen betreffend Staatenlose und Flüchtlinge56 sowie die Aufnahme von Gegenseitigkeitsklauseln in internationale Konventionen57. Art. 16 disp. prel. verstößt somit nicht per se gegen allgemeines Völkerrecht, wird jedoch durch dieses in seinem Anwendungs50 Leanza, in RDIPP 1997, S. 88; CT (Barel), Art. 16 disp. prel., V. 2. mit Rechtsprechungsnachweisen am Ende von V. 2.; Campeis / De Pauli, Il processo, S. 134. 51 Corte cost. 23. 11. 1967, η. 120 (Fn. 41) und Corte cost. 27. 4. 1988, η. 490, in RDIPP 1989, S. 89 (91). Zu letzterem Urteil siehe auch § 2 II. 1. b), Fn. 23 Ende. 52 Cass. 4. 3. 1988, n. 2265, auszugsweise in RDIPP 1989, S. 714 mit zusätzlichem Hinweis auf die IAO-Konvention, n. 143 und legge 86 / 943 (zu beiden siehe unter II. 3.); zu dem Urteil siehe Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 488, Fn. 7 und ders., La riforma, S. 87; s. a. CT (Barel), Art. 16 disp. prel., V. 4. Zur Funktion des Art. 36 cost. i. R d. Art. 16 disp. prel. siehe auch Corte cost. 23. 3. 1968, η. 11 (Fn. 43). 53
Siehe bereits Art. 1 I cost. („ L ' Italia è una Repubblica democratica , fondata sul
lavoro. ") und Titel III des ersten Teils der Verfassung (Artt. 35 - 47: „rapporti economici"). Zu arbeitsrechtlichen Spezialgesetzen siehe unter 3. 54 Siehe dazu § 8 II. 55 Cass. 10. 2. 1993, n. 1681, in Foro it. 1993, I., Sp. 3067 (3077) mit Besprechung von Calò = RDIPP 1994, S. 560; zu dem Urteil siehe Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 496 f. und Laurini, in RDIPP 1997, S. 79 in Fn. 11. Ebenso Leanza, in RDIPP 1997, S. 87; in diesem Sinne bereits SB (Giardina), Art. 16 disp. prel., S. 13; Campeis / De Pauli, Il processo, S. 133 und Rescigno ( Vecchi), Art. 16 disp. prel., Nr. 3 . 56 Siehe oben unter 1. bei Fn. 30. 57 Leanza, in RDIPP 1997, S. 88; zu den Gegenseitigkeitsklauseln in Staatsverträgen siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a).
§ 7 Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.)
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bereich begrenzt, soweit es allgemein anerkannte Menschenrechte betrifft 58. Insofern gelangt man auch in diesem Zusammenhang zum selben Ergebnis wie über Art. 2 cost. Der zweite Absatz des Art. 10 cost, stellt die verfassungsrechtliche Grundsatznorm zum Fremdenrecht dar, die vor allem durch Art. 16 disp. prel. seine Ausgestaltung findet 59. Der Hinweis des Art. 10 II cost, auf die gesetzlichen Bestimmungen des Ausländerrechts gebietet es jedoch nicht, Fremde den italienischen Staatsbürgern gleichzustellen oder ihren Status zumindest anzugleichen60. Die Vorschrift verweist jedoch auf internationale Verträge und Spezialgesetze, die die Anwendbarkeit des Art. 16 disp. prel. beschränken können. 2. Art. 16 disp. prel. und internationale
Verträge
Wie Art. 10 II cost, klarstellt 61, wird die rechtliche Stellung von Ausländern im Weiteren durch internationale Verträge geregelt. Diese haben als leges speciali Vorrang vor Art. 16 disp. prel. 62. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Diskriminierungsverbot des Art. 12 n. F. (= Art. 6 a. F.) EGV zu nennen. Auf Grund dieser Vorschrift findet Art. 16 disp. prel. in Bezug auf EU-Bürger keine Anwendung63. Ein ähnliches Verbot sieht Art. 14 EMRK 64 vor. Dieses erstreckt sich natürlich nur für die Menschenrechte der EMRK und führt daher - begrenzt auf die 58
Siehe 2., Fn. 64 zu Art. 14 EMRK. Zum Wortlaut der Vorschrift siehe I., bei Fn. 17. 60 Cass. 29. 1. 1976, n. 279 (Fn. 12) und Corte cost. 16. 6. 1995, η. 249, in Giur. cost. 1995, S. 1827. Im Weiteren siehe den „parere" des Consiglio di Stato 30. 7. 1994, in Foro it. 1995, in Gli Stranieri, 1995, Sp. 118 zitiert nach Laurini , in RDIPP 1997, S. 79 in Fn. 12; s. a Leanza., in RDIPP 1997, S. 88 oben und Rescigno (Vecchi), Art. 16 disp. prel., Nr. 3. In diesem Sinne bereits SB (Giardino), Art. 16 disp. prel., S. 13 f. und Ballarino, DIP 1, S. 558; zur Diskussion siehe CP (D'Alessio), Art. 10, VIII. m.w.N. Noch weiter geht die Begründung von Ballarino, DIP 1, S. 570, der Art. 10 II cost, nur für Gleichbehandlung von Ausländern untereinander anwenden will, während Art. 16 disp. prel. die Rechtsstellung von Ausländem derselben von italienischen Staatsbürgern annähern soll. Aus diesem Grund hat Ballarino eine Überschneidung der beiden Vorschriften wegen ihres unterschiedlichen Anwendungsbereiches verneint 61 Siehe I., bei Fn. 17. 62 Zum Vorrang von Staatsverträgen siehe § 9. 63 Siehe dazu auch Corte cost. 16. 6. 1995, η. 249, in Foro it. 1995,1., Sp. 2363. 64 „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" vom 4. 11. 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention), in BGBl. 1952 II, S. 685; s. a. Sartorius II, Nr. 130. In Italien umgesetzt durch Gesetz vom 4. 8. 1955, n. 848; siehe CT (Barel), Art. 16 disp. prel., VI. 2. Zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der 59
100
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
europäische Ebene - zum selben Ergebnis wie Art. 2 cost. Innerhalb Europas ist zudem die Europäische Sozialcharta vom 18. 10. 1961 zu erwähnen65. Auf UN-Ebene werden bestimmte „diritti fondamentali" zudem durch die Internationalen Pakte über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. 12. 1966 gesichert66. Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" vom 10. 12. 194867 stellt hingegen auf Grund ihrer Unverbindlichkeit keine unmittelbare Beschränkung des Gegenseitigkeitsgrundsatzes dar 68. Im Weiteren sind die Art. 7 der UN-Abkommen betreffend Staatenlose bzw. Flüchtlinge ebenso zu berücksichtigen69 wie das Diskriminierungsverbot in Art. 2 des UN-„Übereinkommen über die Rechte des Kindes" vom 20. 11. 198970. Darüber hinaus finden sich ähnliche Regelungen in diversen bilateralen Abkommen71.
3. Spezialregelungen
Vor allem72 im Bereich des Arbeitsrechts hat der italienische Gesetzgeber den Gegenseitigkeitsgrundsatz des Art. 16 disp. prel. durch spezialgesetzliche
italienischen Rechtsprechung siehe Cass. 10. 2. 1993, n. 1681, in Foro it. 1993, I., Sp. 3067 (3077). Zu den Grundrechten der EMRK als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts siehe Art. F II EUV. 65 „Europäische Sozialcharta" vom 18. 10. 1961, in BGBl. 1964 II, S. 1262; s. a Sartorius II, Nr. 115. In Italien umgesetzt durch legge 3. 7. 1965, n. 929; siehe CT (Barel), Art. 16 disp. prel., VI. 3. 66 „Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte" vom 19. 12. 1966, in BGBl. 1973 II, S. 1534 und „Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" vom 19. 12. 1966, in BGBl. 1973 II, S. 1570; zu beiden s. a Sartorius II, Nr. 20 bzw. 21. Beide Abkommen wurden in Italien umgesetzt durch legge 25. 10. 1977, n. 881; siehe CT (Barel), Art. 16 disp. prel., VI. 2. 67 Siehe Sartorius II, Nr. 19. 68 A. A. offensichtlich CT (Barel), Art. 16 disp. prel., VI. 3. Als Resolution der Generalversammlung kommt der Erklärung jedoch keine Bindungswirkung zu (Artt. 11, 13, 14 UN-Charta), wie in der Präambel auch klargestellt wird („Ideal", „bemühen"). 69 Siehe oben unter I., Fn. 30. 70 Siehe § 12 II., Fn. 31. 71 Siehe CT (Barel), Art. 16 disp. prel., VI. 4. In der Entscheidung Trib. Como 5. 4. 1994, in RDIPP 1994, S. 638 hat das Gericht trotz fehlender Gegenseitigkeit i. S. d. Art. 16 disp. prel. die Gleichbehandlung chinesischer Staatsbürger gegenüber Italienern auf Grund eines bilateralen Abkommens zwischen den beiden Staaten bejaht; s. a I., in Fn. 7 zur sog. „reciprocità diplomatica". 72 Zu weiteren Beispielen siehe CT (Barel), Art. 16 disp. prel., VIII.
§ 7 Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.)
101
Regelungen 73 korrigiert. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang die in Art. 36 cost, manifestierten allgemeinen Arbeitnehmerrechte 74 . Über das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft hinaus 75 garantiert Art. 1 des Gesetzes n. 943 vom 30. 12. 1986 76 im Einklang mit der ILO-Konvention Nr. 143 vom 24. 6. 1975 77 auch NichtEU-Bürgern dieselben Rechte als Arbeitnehmer wie Inländern, sofern sie sich rechtmäßig in Italien aufhalten 78 . In einem neueren Urteil hat der Corte Costituzionale diese Gleichbehandlung bestätigt und darüber hinaus das Recht ausländischer Arbeitnehmer auf Familienzusammenführung gemäß Art. 4 I des Gesetzes mit Hinweis auf die Art. 29 (Schutz der Familie) und Art. 30 (Kindeserziehung) cost, betont 7 9 . Zu beachten ist darüber hinaus das sog. „legge Martelli" 8 0 zur rechtlichen Stellung von Asylsuchenden, NichtEU-Bürgern und Staatenlosen. Das Gesetz garantiert den Betroffenen Gleichstellung in Bereichen des Gesellschafts-, 73 Zu älteren Spezialvorschriften, die eine Ungleichbehandlung von Ausländern begründen siehe Ballarino, DIP 1, S. 561 - 563; zu weiteren Quellen siehe Focarelli, in RDI 1989, S. 839 in Fn. 34. 74 Siehe Cass. 4. 3. 1988, n. 2265 (Fn. 52). 75 Siehe 2., Fn. 63 zum allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 12 n. F. (= Art. 6 a. F.) EGV und im Speziellen die Artt. 39 - 48 n. F. (= Artt. 48 - 58 a. F.) EGV zum Arbeitsrecht. 76 Legge 30. 12. 1986, n. 943, in Gazz. Uff. 12. 1. 1987, n. 8 = le leggi, 1987, I, S. 151 - 157: Norme in materia di collocamento e di trattamento dei lavoratori extracomunitari immigrati e contro le immigrazioni clandestine. Siehe dazu Adinolß, La nuova normativa sul collocamento dei lavoratori stranieri, in RDI 1987, S. 74 - 109; siehe auch die Hinweise von Clerici , in Studi Vitta, S. 309 (332); Nascimbene, in RDIPP 1997, S. 95 und CT (Barel), Art. 16 disp. prel., VIII. 1. 77 ILO-Konvention vom 24. 6. 1975, n. 143: Convention Concerning Migrations in Abusive Conditions and the Promotion of Equality of Opportunity and Treatment of Migrant Workers. Das Obereinkommen ist in Italien am 23. 6. 1982 in Kraft getreten; siehe Adinolfi (vorige Fußnote), S. 75 f., Fn. 10, 11. Kritisch zur fehlenden deutschen Umsetzung des Obereinkommens Lörcher, Die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und das Arbeitsrecht der Bundesrepublik, in RdA (Mü), S. 284 (290 unter d.). 78 In dem heftig kritisierten Urteil Trib. Bari 31. 5. 1984 (in RDIPP 1986, S. 114) wurde einem Bürger Burundis die arbeitsrechtliche Gleichstellung mit Italienern noch verwehrt. Dem hat der Corte di Cassazione in einem späteren Urteil im Kern widersprochen (Cass. 4. 3. 1988, n. 2265 [Fn. 52]). 79 Corte cost. 18. 1. 1995, η. 28, in Foro it. 1995, I., Sp. 2068; darüber hinaus verweist das Urteil auf das Aufenthaltsrecht von Ausländem nach Verlust der Arbeit gemäß Art. 11 III legge 86 / 943. Zu dem Urteil siehe auch Nascimbene, in RDIPP 1997, S. 95. 80 D. 1. 30. 12. 1989, n. 416, in Gazz. Uff. 30. 12. 1989, n. 303 = le leggi 1989, I., S. 2690 - 2697; mit Änderungen umgesetzt durch legge 28. 2. 1990, η. 39, in Gazz. Uff. 28. 2. 1990, n. 49 = le leggi 1990, I., S. 321 - 331 (zur Umsetzung von decreti leggi siehe §61. 2., Fn. 4): Norme urgenti in materia di asilo politico, di ingresso e soggiorno dei cittadini extracomunitari e di regolarizzazione dei cittadini extracomunitari ed apolidi già presenti nel territorio dello Stato.
102
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
Handels- und Berufsrechts. Die Artt. 9 VI, 10 I des Gesetzes beseitigen dabei ausdrücklich den Grundsatz der Gegenseitigkeit81.
4. Zusammenfassung
Die Anwendung des Art. 16 disp. prel. wird somit hauptsächlich in zweifacher Hinsicht beschränkt. Zum einen örtlich durch seine Unanwendbarkeit innerhalb der EU gemäß Art. 12 n. F. (= Art. 6 a. F.) EGV, zum anderen sachlich, soweit „diritti fondamentali" betroffen sind (Artt. 2, 10 I cost. bzw. internationale Verträge) und im Bereich des Arbeitsrechts. III. Die Reform des Gegenseitigkeitsgrundsatzes? Obwohl bereits Mancini eine rechtliche Gleichstellung von Ausländern manifestiert hatte (Art. 3 disp. prel. von 1865)82, ist der Gegenseitigkeitsgrundsatz seit Inkrafttreten des heutigen codice civile fester Bestandteil des italienischen Rechts83. Nachdem sich auch Vitta für dessen Streichung ausgesprochen hatte84, wurde die Regelung auch im Parlament als überprüfungsbedürftig erkannt85. Ein Antrag zur Neufassung des Art. 16 disp. prel. im Rahmen der Vorarbeiten zum IPRG zielte daher auf eine zivilrechtliche Gleichstellung von
81 Zu beachten sind darüber hinaus die Artt. 9 III, 10 VII des legge n. 39 / 1990 (vorige Fußnote). Zu dem Gesetz siehe in RDI 1990: Cannizzaro, La nuova disciplina dell'ingresso, del soggiorno e dell'allontanamento degli stranieri, S. 71 - 92; Strozzi , Rifugiati e asilo politico della legge n. 39 del 1990, S. 93 - 104 und Adinolfi , Aspetti innovativi in tema di soggiorno e di trattamento dei cittadini di Stati membri della Comunità europea, S. 105 - 113; zu Hinweisen auf das Gesetz im Rahmen der Besprechung des Art. 16 disp. prel. siehe Clerici , in Studi Vitta, S. 309 (332 f.) und CT (Barel), Art. 16 disp. prel., VIII. 82 Siehe dazu § 3 I., Fn. 13 und Focarelli, in RDI 1989, S. 831 in Fn. 9; zum Wortlaut siehe in Fn. 86. 83 Zum Gegenseitigkeitsgrundsatz siehe in der Vergangenheit Ballarino, DIP 1, S. 563 - 570 und nach Inkrafttreten des IPRG Mengozzi, La riforma, S. 83 - 96 sowie die in den Fn. 2, 3 bereits erwähnten Aufsätze und Kommentare. Als Beispiele für eine Ungleichbehandlung von Ausländern infolge des Art. 16 disp. prel. siehe Trib. Roma 30. 8. 1989 [Fn. 13]; s. a. das inzwischen überholte Urteil des Trib. Bari in Fn. 78. 84 Vitta, in Problemi, S. 639 im Anschluss an Giardina, ebenda, S. 318 f. (= RDIPP 1985, S. 22). Zu Vittas Standpunkt siehe auch Siehr in seinem Bericht zur Tagung von Rom vom 1. / 2. 6. 1984, in RabelsZ 1984, S. 744; zur Tagung siehe § 1, Fn. 13. 85 Kindler, in RabelsZ 1997, S. 240, Fn. 66.
§ 7 Der Gegenseitigkeitsgrundsatz (Art. 16 disp. prel.)
103
Ausländern ab 86 . Die überwiegende Ansicht, dass es sich bei der Vorschrift um eine Bestimmung des Fremdenrechts und nicht des IPR handelt 87 , führte jedoch zu einer Rücknahme des Antrags 88 und zu einer Aussparung dieser Frage bei der Ausarbeitung des IPRG. Formal ist dieser Abgrenzung zwar zuzustimmen, in der Sache lässt sich jedoch der Gegenseitigkeitsgrundsatz kaum mit den Grundgedanken des IPRG (Gleichstellung von Ausländern und ausländischen Rechtsordnungen) vereinbaren 89 . Auch die Rückführung der Staatsangehörigkeitsanknüpfung in dem Gesetz spricht für die „Neutralität" der Rechtsordnung 90 . Der allgemeine ordre public (Art. 16 IPRG) dürfte einen ausreichenden Schutz vor wesensfremden Rechtsordnungen bieten 91 . Dem Anachronismus des Art. 16 disp. prel. Rechnung tragend 92 hat sich eine vom Sozialministerium eingesetzte Kommission zur Neuregelung des Fremdenrechts in einem Entwurf von 1994 für eine grundsätzliche Gleichstellung
86
Wortlaut: „Lo
straniero è ammesso a godere dei diritti
civili
attribuiti
ai
cittadini. " (siehe Kindler, in RabelsZ 1997, S. 240 in Fn. 68); der Wortlaut entspricht dem ehemaligen Art. 3 disp. prel. von 1865 (siehe Fn. 82). 87
SB (Giardino), Art. 16 disp. prel., S. 1 f.; Ballarino, DIP 1, S. 563 f.; Mengozzi,
DIPI, S. 8; Lenzi, in Studi Marano, S. 138 und 140; Kindler, in RabelsZ 1997, S. 240; siehe dazu auch bei Fn. 4. Zur Rechtsprechung siehe App. Milano 23. 1. 1979, in RDIPP 1979, S. 315 (319 f.). Die Norm wird jedoch auch als eine „premessa logico-giuridica" zu den nachfolgenden Bestimmungen des IPR gesehen (siehe SB (Giardino), a.a.O., S. 1 und Laurini , in RDIPP 1997, S. 85; s. a Campeis /De Pauli, Il processo, S. 129; ähnlich Focarelli, in RDI 1989, S. 832 m.w.N. in Fn. 11. Ablehnend Mengozzi, a.a.O., S. 8 - 10; ders. jedoch sich dem allgemeinen Verständnis annähernd in RDIPP 1994, S. 490. Auch die fortdauernde Geltung des § 33 S. 2 ABGB in Österreich (siehe Fn. J1) nach Inkrafttreten des österreichischen IPRG zeigt, dass der Gegenseitigkeitsgrundsatz nicht zum Kollisionsrecht zu zählen ist. 88 Der Antrag wurde innerhalb der Justizkommission des Abgeordnetenhauses gestellt (siehe Kindler, in RabelsZ 1997, S. 240); die Kommission befürchtete wohl bei einer Behandlung dieser Frage eine Überschreitung ihres Mandates (Lenzi, in Studi Marano, S. 139; Clerici, in Studi Vitta S. 309 (330) und Laurini, in RDIPP 1997, S. 85). 89 Der Art. 16 disp. prel. sollte ursprünglich dem Schutz italienischer Emigranten im Ausland dienen. Nachdem Italien inzwischen eher zu einem Einwanderungsland wurde, stellt sich auch deshalb die Frage, ob der Gegenseitigkeitsgrundsatz noch zeitgemäß ist (insofern ablehnend Leanza, in RDIPP 1997, S. 91; befürwortend hingegen Mengozzi, in RDIPP 1994, S. 490 f. zum Schutz der früheren Emigranten). 90 Leanza, RDIPP 1997, S. 92; zu dieser Anknüpfung im IPRG siehe § 3 II. 2. 91 Zu den Parallelen zwischen Gegenseitigkeitsgrundsatz und ordre public siehe Mengozzi, RDIPP 1994, S. 490 f.; allgemein zu Art. 16 IPRG siehe § 11 II. 2. e) bb). 92 Insofern für eine Aufhebung des Gegenseitigkeitsgrundsatzes Leanza, in RDIPP 1997, S. 91 („illogico ed inattuale", „tutto sommato inutile"); Pocar, Com., RDIPP, S. 910 („anacronistico"); Lenzi, in Studi Marano, S. 139 („anacronismo") und Clerici , in Studi Vitta. S. 335 („anacronistico"); s. a Kindler, in RabelsZ 1997, S. 240. Anders Mengozzi, La riforma, S. 96, der in Art. 16 disp. prel. ein sinnvolles Instrument des Gesetzgebers sieht, mit Hilfe dessen die durch das IPRG hervorgerufene Erweiterung des Schutzes von Ausländem ausgeglichen wird
104
Kap. II: Der Anwendungsbereich des IPRG
von Ausländern ausgesprochen, sofern sie sich rechtmäßig in Italien aufhalten93. Eine Ausnahme soll vor allem fur den Immobilienerwerb in Italien gelten, wenn durch diesen kein Erstwohnsitz begründet wird 94 . Der Gegenseitigkeitsgrundsatz soll aber für bestimmte Personen absolut ausgeschlossen und das Ermessen der Verwaltung, diesen anzuerkennen, eingeschränkt werden95. Die Ungleichbehandlung von Ausländern soll damit auf Ausnahmefölle beschränkt werden, in denen nationale wirtschaftliche Interesse zu schützen sind. Diese Tendenz scheint sich auch in der Literatur durchzusetzen96.
93
Nascimbene, in RDIPP 1997, S. 93. Nascimbene, in RDIPP 1997, S. 93 mit weiteren Beispielen. 95 Nascimbene, in RDIPP 1997, S. 93 f. mit Beispielen: Inhaber einer Aufenthaltsgenehmigung, Asylbewerber mit Aufenthaltsgenehmigung und Bürger eines Staates, mit dem Italien einen Vertrag geschlossen hat, der eine Gleichbehandlung ausschließt. 96 Leanza, in RDIPP 1997, S. 92 und Nascimbene, in RDIPP 1997, S. 94; zurückhaltender Laurini , in RDIPP 1997, S. 86 („Einzelfallprüfung"). 94
Kapitel HI
Allgemeines zum IPRG und den Staatsverträgen § 8 Staatsverträge im italienischen Recht (völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen) I. Der völkerrechtliche Dualismus A n Anzilotti 1 anknüpfend folgt die Konzeption der italienischen Verfassung zur Frage des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und nationalem Recht der herrschenden Dualismustheorie 2. Völkerrechtliche Normen müssen demzufolge - sei es durch Transformation 3 oder Vollzugsbefehl 4 - in nationales Recht umgesetzt werden, um zu geltendem innerstaatlichen Recht zu werden 5 . 1 Zu Dionisio Anzilotti siehe Jayme, Dionisio Anzilotti und das deutsche Internationale Privatrecht, in Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft und Lehre im Spiegel der italienischen Rechtskultur während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 1990, S. 297 - 307. Mit Inkrafttreten des neuen IPR-Gesetzes in Italien wurden Anzi lotti s „Corsi 44 zum internationalen Privat- und Prozessrecht erneut veröffentlicht: Dionisio Anzilotti , Corsi di diritto internazionale privato e processuale, herausgegeben von Francesco Salerno, Studi e pubblicazioni della rivista di diritto internazionale privato e processuale, n. 43, Cedam 1996. Zu Anzilotti siehe auch in Fn. 4. 2 Zur Diskussion über die Dualismus- und Monismustheorie aus italienischer Sicht siehe Quadri , DIP, S. 43 - 49 (Nr. 11) und Giuliano / Scovazzi / Treves , DI, S. 539 541 m.w.N. Die Dualismustheorie wird auch Pluralismustheorie („teoria pluralista44) genannt (Capot orti, Corso, S. 179 f.; s. a. Giuliano / Scovazzi / Treves , DI, S. 540). In der Praxis ist der Meinungsstreit ohne große Relevanz, da der Abschluss und die Umsetzung von Staatsverträgen immer der Zustimmung der Legislative bedarf; siehe Meyer-Sparenberg, S. 36 (allgemein) und S. 41 - 46 zur Umsetzung von Staatsverträgen in Deutschland, Osterreich, der Schweiz, Frankreich, Italien und Großbritannien. 3 Zur herrschenden „gemäßigten44 Transformationslehre siehe Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, Tübingen 1967, S. 164 - 171; s. a BVerfGE 1, S. 397 (411) und 6, S. 363 sowie BVerwGE 35, S. 262 (265). In neueren Entscheidungen hat das BVerfG den Theorienstreit offen gelassen und spricht bei Art. 24 I GG von einem „innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl44 (BVerfGE 75, S. 223 [244]). 4 Zur Vollzugslehre siehe Partsch, Thesen der Studienkommission der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, BerDGesVölkR, Heft 6 (1964), S. 158 (These 9) und Steinberger, in HbStR VII, § 173, Rn. 43 m.w.N., Fn. 115. Partsch, a.a.O., S. 19, Fn. 3 und Ipsen, § 73, Rn. 10 erwähnen, dass die Vollzugslehre auf Anzilotti zurückgeht. 5 Siehe dazu in der italienischen Literatur Quadri , DIP, S. 59 - 76 (Nr. 15 und 16).
106
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
Der Rang des Völkerrechts 6 innerhalb der nationalen Rechtsordnung hängt von der Art dieser Umsetzung ab. Diese wird vom nationalen Recht bestimmt, insbesondere der Verfassung. Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht in Deutschland7 verneint auch der italienische Corte Costituzionale8 einen Vorrang des Völkerrechts vor der Verfassung. Dies wird aus dem Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 1 II cost.9) und dem starren Charakter der italienischen Verfassung gefolgert.
II. Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts Die Umsetzung des Völkerrechts erfolgt im italienischen Recht in der gleichen Art und Weise wie in Deutschland. Art. 101 cost, bestimmt, dass sich „die italienische Rechtsordnung den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts anpasst"10. Die Vorschrift erfüllt dieselbe Funktion wie Art. 25 GG 11 . Sie setzt Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts (Art. 38 I b), c) IGH-Statut) automatisch12 in italienisches Recht um, ohne dass es eines eigenständigen Umsetzungsaktes bedarf (sog. „rinvio mobile" / „rinvio
6
non recettizio"
/ „rinvio formale"
12
). Aus Art. 10 I cost, lässt
I. E. siehe dazu unter § 9. BVerfGE 6, S. 363. 8 Corte cost. 18. 6. 1979, η. 48, in Foro it. 1979, I., Sp. 1644 (1646); im Weiteren zur verfassungsrechtlichen Kontrolle von Staatsverträgen siehe § 91, Fn. 2. 9 Art. 1 II cost.: „La sovranità appartiene al popolo, che la esercita nelle forme e nei limiti della Costituzione. " 10 Art. 10 I cost.: „L'ordinamento giuridico italiano si conforma alle norme del diritto internazionale generalmente riconosciute. " Siehe dazu Gaja , Sull'accertamento delle norme internazionali generali da parte della Corte Costituzionale, in RDI 1968, S. 315 - 322 und Condorelli , Il „riconoscimento generale" delle consuetudini internazionali nella costituzione italiena, in RDI 1979, S. 5 - 30 unter Betonung der Parallele zu Art. 4 der Weimarer Reichsverfassung in Deutschland. 11 Ebenso Quadri , DIP, S. 64 (Vergleich von Art. 10 I cost, mit Art. 25 GG und Art. 9 österreichische Verfassung) und Kindler, Einfuhrung, § 5, Rn. 5. Zu Art. 25 GG siehe BVerfGE 6, S. 363; die Vorschrift wird von den Vertretern der Transformationslehre als „Generaltransformator" bezeichnet (Rudolf [Fn. J], S. 262); siehe dazu Ipsen, § 73, Rn. 7. Zu einer ähnlichen Bezeichnung des Art. 10 I cost, in der italienischen Literatur („trasformatore permanente") siehe Crisafulli, Lezioni I, S. 69 und Giuliano / Scovazzi / Treves , DI, S. 552 mit Zitat von Perassi (Fn. 39). Die Bestimmungen entscheiden sich jedoch nicht zugunsten einer bestimmten völkerrechtlichen Theorie (Ipsen, § 73, Rn. 9); zu den Theorien s. o. Fn. 3 und 4. 12 CP (Bin), Art. 10,1. 2. („ ..., adattandosi cosi „automaticamente" ... "). 13 Zu den Begriffen siehe Quadri, DIP, S. 58; Crisafulli, Lezioni I, S. 68 f.; CP (Bin), Art. 10, I. 2.; Pedrazza Golero, Le fonti, S. 23 und S. 26; allgemein Capotorti, 7
§
Staatserträge im i t a l i c h e n Recht
107
sich ein Vorrang dieses allgemeinen Völkerrechts vor einfachen nationalen Gesetzen entnehmen, die somit bei einem Verstoß gegen dieses als verfassungswidrige Gesetze unwirksam sind 14 .
I I I . Die internationalen Verträge Nicht zu diesen allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gehören wie im deutschen Recht - die völkerrechtlichen Verträge (Art. 38 I a) IGHStatut) 15 , sofern sie nicht inhaltlich identische Regelungen enthalten16. Zu deren Umsetzung bedarf es vielmehr eines individuellen Rechtsaktes, d. h. zumeist eines Gesetzes. Im Gegensatz zu Art. 10 I cost, spricht man dabei von einem „rinviofisso", „rinvio recettizio" oder „rinvio materiale" 11. Ähnlich wie im deutschen Recht wird auch in der italienischen Lehre die Frage diskutiert, ob nicht der Grundsatz „pacta sunt servanda" als allgemein anerkannte Regel des Art. 10 1 cost, gilt und über diesen auch internationale Abkommen von der automatischen Umsetzung der Vorschrift erfasst werden. Diese Ansicht wurde in der Vergangenheit vereinzelt vertreten 18, von der italie-
Corso, S. 181 f. Zur Terminologie i. R. d. IPR siehe Exkurs unter § 10 I. 3. a); zur Frage der Vertragsänderungen siehe § 10 I. 4., Fn. 80 und § 11 II. 2. d). 14 Corte cost. 4. 7. 1963, η. 135, in RDI 1963, S. 451 - 457 und Corte cost. 18. 4. 1967, η. 48, in RDI 1967, S. 692 - 694; ebenso in der Literatur Capotorti, Corso, S. 187. Zur Frage, ob verfassungswidrige Gesetze automatisch nichtig sind, siehe § 2 III., Fn. 53. 15 Ständige Rechtsprechung des Corte costituzionale: Corte cost. 22. 12. 1980, η. 188, in Giur. cost. 1980, I., S. 1612 (= RDI 1981, S. 662); Corte cost. 6. 6. 1989, η. 323, in RDI 1989, S. 399 (402); Corte cost. 27. 6. 1989, η. 364, in Giur. cost. 1989,1., S. 1661 (siehe dazu Kindler, in RIW 1991, S. 677); Corte cost. 26. 2. 1993, η. 75, in Giur. cost. 1993, S. 500 f. und Corte cost. 29. 1. 1996, η. 15, in Giur. cost 1996, S. 140. Zu weiteren Nachweisen siehe CP (Bin), Art. 10, I. 3. Zum Kassationshof siehe in
Fn. 19. 16
v. M. (Rojahn), Art. 59, Rn. 37 (automatische Umsetzung von allgemeinem Gewohnheitsrecht über Art. 25 GG, auch wenn dieses in Staatsverträgen fixiert wird, sofern Verträge keine Modifizierung desselben enthalten); ebenso Schweitzer, StaatsR III, 6. Auflage, 1997, Rn. 473; s. a. BVerfGE 18, S. 441 (448) und Kimminich / Hobe, S. 187. 17 Zu den Begriffen siehe Autoren und Hinweise in Fn. 13. 18 Quadri, DIP, S. 63 - 65 auch mit Hinweis auf Art. 25 GG (S. 64). Quadri begründet seine Meinung vor allem mit dem Bestreben der Verfassung, nationales Recht staatsvertragskonform zu gestalten. Zudem geht er davon aus, dass das Parlament sich zu einem internationalen Vertrag nur einmal erklärt und zwar bei der Ratifikationsermächtigung; eines erneuten Tätigwerdens zum Zwecke der Transformation bedürfe es demzufolge nicht (S. 65 oben). Die übrige Literatur bestätigt zwar, dass das „Vertragsgesetz" (so die deutsche verfassungsrechtliche Terminologie) neben der Autorisierung zur Ratifikation auch den Umsetzungsbefehl („ordine di esecuzione") enthält (Conforti,
108
Kap. III: Allgemeines zum PRG und den Staatserträgen
nischen Rechtsprechung jedoch abgelehnt19. Die Literatur unterstützt diese Rechtsprechung inzwischen einheitlich20. Selbst wenn man den Grundsatz „pacta sunt servanda" als allgemeine Regel des Völkerrechts ansieht21, kann der Schlussfolgerung, dass dies zur automatischen Umsetzung internationaler Verträge gemäß Art. 10 I cost, fuhrt, nicht gefolgt werden. Der Grundsatz begründet lediglich die Verpflichtung, geschlossene Verträge einzuhalten. Er erhebt nicht den Inhalt der Verträge selbst zu allgemein gültigen Rechtssätzen22 oder - anders ausgedrückt - eignet sich nicht zur Umsetzung internationaler Verträge in innerstaatliches Recht23. Ansonsten könnten „allgemeine" Grundsätze bereits durch bilaterale Vereinbarungen manifestiert werden. Eine Abgrenzung zwischen völkerrechtlichem Vertragsrecht auf der einen Seite sowie Gewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen auf der anderen Seite, wie sie das Völkerrecht und Art. 38 I des IGH-Statutes vorsehen, wäre somit nicht mehr gewährleistet.
DI, S. 311; Giuliano / Scovazzi / Treves , DI, S. 579), unterstreicht dabei jedoch den selbständigen Charakter dieser Institute (Barile, Lezioni, S. 244, Fn. 27 mit Hinweis auf das britische Recht). Die italienische Literatur betont, dass Quadri für seine Ansicht wenig Unterstützung gefunden hat (Crisafulli, Lezioni I, S. 69 [„una opinione, ... poco seguita in Italia"]; Capotorti , Corso, S. 189 [„rimasta cosi isolata"] und Pedrazza Gol ero. Le fonti, S. 21 [„una tesi rimasta isolata"]). Quadris Meinung diente jedoch ζ. T. als Ansatz für die Begründung eines absoluten Vorranges von Staatsverträgen gegenüber nationalen Gesetzen im innerstaatlichen Recht (siehe dazu § 9 III., Fn. 45); zur selben Argumentation in Deutschland siehe § 9 II. 1., bei Fn. 21. 19 Nachweise zur Rechtsprechung des Corte Costituzionale siehe in Fn. 15. Zum Kassationshof siehe Cass. 8. 6. 1972, n. 1773, in RDI 1973, S. 600 (604) und Cass. 11. 10. 1979, n. 5274, RDIPP 1980, S. 82 (88) unter Hinweis auf den Vorrang von Staats Verträgen nach dem Spezialitätsgrundsatz (siehe Fn. 48). 20 Crisafulli, Lezioni I, S. 69 f.; CP (Bin), Art. 10, I 3 und 4; Conforti, DI, S. 310; Giuliano / Scovazzi / Treves, DI, S. 553 f. und Pedrazza Golero, Le fonti, S. 21; zur neueren Literatur siehe Falcon, Lineamenti di Diritto Pubblico, 6. Auflage, Cedam 1998, Kap. 18., 3 (S. 249 f.). Bei der Ablehnung von Quadris Ansicht (Fn. 18) wird vor allem darauf verwiesen, dass im Rahmen der Vorarbeiten zur Verfassung der Vorschlag (vorgebracht von Ago und Morelli; ausführlich zu deren „relazione" siehe in RDI 1977, S. 334 - 336) verworfen wurde, die in Art. 10 I cost, geregelte automatische Umsetzung des Völkerrechts auch auf Staatsverträge zu erstrecken (siehe dazu Cassese, RDI 1977, S. 47 - 58; Giuliano / Scovazzi / Treves, DI, S. 553, Fn. 42 und Capotorti, Corso, S. 188). 21 Bejahend in Deutschland BVerfGE 31, 145 (177) und in der Literatur v. M. (Rojahn), Art. 25, Rn. 39. Siehe auch die Erwähnung des Grundsatzes in Art. 26 WVK; zur Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) siehe § 9 II. 1., in Fn. 26. 22 CP (Bin), Art. 10, I 4; ebenso in Deutschland BVerfGE 31, 145 (177 f.) sowie in der Literatur v. M. (Rojahn), Art. 25, Rn. 39 und Art. 59, Rn. 37 am Ende sowie Steinberger, HdbStR, Bd VII, § 173, Rn. 9 und 12. 23 MD (Herdegen), Art. 25, Rn. 9.
§
Staatserträge im i t a l i c h e n Recht
109
Internationale Verträge fallen daher im italienischen Recht nicht unter den Art. 10 I cost, und bedürfen einer speziellen Umsetzung in Form eines einfachen „Umsetzungsbefehls" („ordine di esecuzione") oder durch Erlass eines gleichlautenden nationalen Gesetzes („legge di esecuzione")24. Von der Umsetzung zu trennen ist die Frage des völkerrechtlichen Vertragsschlusses. Letzterer findet - ähnlich wie in Art. 59 GG - seine Regelung in den Art. 87 VIII (Ratifikation durch den Präsidenten) und Art. 80 (Bevollmächtigung durch beide Kammern des Parlamentes für bestimmte Verträge) cost.25.
24
Zu den Begriffen Crisafulli, Lezioni I, S. 68 und Pedrazza Golero, Le fonti, S. 23. Der italienische Gesetzgeber setzt Staatsverträge zumeist nur durch einen Anwendungsbefehl um (zum üblichen Wortlaut siehe Conforti , DI, S. 310: „ Piena ed intera esecuzione è data al Trattato X ... ebenso Morelli , Nozioni, S. 88; Barile , Lezioni, S. 244 und Capotorti , Corso, S. 189). Die italienische Literatur erwähnt daher i. d. R. nur den sog. „ordine di esecuzione" (Giuliano / Scovazzi / Treves , DI, S. 578 m.w.N. in Fn. 107; CP (Bin), Art. 80, IV. 1.; Conforti , DI, S. 310; Capotorti, Corso, S. 189; Quadri , DIP, S. 64 und Morelli , Nozioni, S. 88). Im Gegensatz dazu bedienen sich Großbritannien und die skandinavischen Staaten i. d. R. der sog. „Kopiermethode" (siehe § 10 I. 3. b), Fn. 34), d. h. sie formulieren inhaltsgleiche nationale Gesetze. 25 Art. 87 VIII cost.: „(II Presidente della Repubblicca) ... ratifica i trattati internazionali , previa, quando occorra [siehe Art. 80], / 'autorizzazione delle Camere. " Art. 80 cost.: „ Le Camere autorizzano con legge la ratifica dei trattati internazionali che sono di natura politica, ο prevedono arbitrati ο regolamenti giudiziari, ο importano variazioni del territorio od oneri alle finanze ο modificazioni di leggi. "
§ 9 Der Rang der Staatsverträge im innerstaatlichen Recht
I. Grundlagen Wie bereits erwähnt 1, stehen die ins nationale Recht umgesetzten Staatsverträge im Rang nicht über der Verfassung. Sie werden vom Corte Costituzionale insofern stets einer verfassungsrechtlichen Kontrolle unterstellt 2. Nach italienischem Recht kommt ihnen aber auch nicht per se ein verfassungsrechtlicher oder ein sonstiger übergesetzlicher Rang zu 3 . Ihre Stellung in der normativen Ordnung hängt vielmehr von der Form ihrer Umsetzung in innerstaatliches Recht ab4 (legge costituzionale, legge ordinaria oder decreto legislativo 5 ). Theoretisch würde zwar die Möglichkeit bestehen, die Übernahme durch sog. 1
Siehe § 8, Fn. 8. Corte cost. 10. 3. 1966, η. 20, in Giur. cost. 1966, S. 199; Corte cost. 26. 5. 1971, η. 109, in Giur. cost. 1971, S. 1128; Corte cost. 21. 6. 1979, η. 54, in Giur. cost. 1979, I., S. 413; Corte cost. 6. 5. 1985, n. 132, in Giur. cost. 1985, 1., S. 934; Corte cost. 15. 4. 1987, n. 128, in Giur. cost. 1987,1., S. 898 und Corte cost. 27. 6. 1996, η. 223, in Giur. cost. 1996, S. 1918. Ebenso in der deutschen Rechtsprechung BVerfGE 37, S. 271 (279 f.) - „Solange Γ4 - und BVerfGE 73, S. 339 (374 - 376) - „Solange II". Zum Verstoß des Art. 2 I Haager Ehewirkungsabkommen (siehe § 11 II. 2. a), Fn. 27) gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 II GG siehe BGH 17. 9. 1986 , in IPRax 1987, S. 114. 3 Im Gegensatz dazu erlangen Staatsverträge in Frankreich gemäß Art. 55 der französischen Verfassung durch ihre Veröffentlichung innerstaatliche Wirkung (Monismustheorie - s. a Art. 96 I der spanischen Verfassung) und stehen im Rang über den einfachen Gesetzen (s. a § 7 I., in Fn. 14 zum Vorbehalt der Gegenseitigkeit). Die Rechtsprechung interpretiert die Vorschrift jedoch restriktiv; demzufolge soll die Vorschrift lediglich einen Hinweis auf die allgemeine völkerrechtliche Verantwortung Frankreichs zur Beachtung internationaler Verträge darstellen, so dass Staatsverträge von neueren Gesetzen verdrängt werden können (siehe Meyer-Sparenberg, S. 81). 4 Corte cost. 22. 12. 1980, η. 188 und Corte cost. 6. 6. 1989, η. 323, RDI 1989 2
(beide in Fn. 15); s. a Conforti , DI, S. 312; Giuliano / Scovazzi / Treves, DI, S. 580 und
Capotorti , Corso, S. 191. 5 Die sog. decreti legislativi (d. lgs.) stellen im Anschluss an eine parlamentarische Ermächtigung im Form einer Verordnung durch den Staatspräsidenten (decreto del Presidente della Repubblica - abgekürzt d. p. r.) ergangene Rechtsakte der Regierung dar, die im Rang den einfachen Gesetzen gleich stehen (Art. 77 I cost.). Im Gegensatz dazu werden die sog. decreti leggi (Art. 77 II cost.) von der Regierung selbst erlassen und bedürfen zu ihrer Wirksamkeit einer Umwandlung in ein Gesetz innerhalb von 60 Tagen (Art. 77 III cost.); siehe dazu § 6 I. 2., Fn. 4 und Kindler, Einführung, § 5, Rn. 9 II.
§ 9 Der Rang der Staatsverträge im innerstaatlichen Recht
111
Gesetze mit Verfassungsrang (legge costituzionale - Art. 138 cost.)6 durchzuführen, bisher hat sich der Gesetzgeber jedoch in der Praxis bei der Umsetzung von Staatsverträgen nicht dieser Gesetzesform bedient7. Die internationalen Abkommen werden stattdessen - ebenso wie im deutschen Recht8 - in der Regel durch einfache Gesetze (legge ordinaria) umgesetzt und haben deshalb einfachen Gesetzesrang9. Ihr Verhältnis zu den Normen rein nationalen Ursprungs bestimmt sich somit nach den allgemeinen Regeln zum Rangverhältnis von Gesetzen. Insofern ist in erster Linie zu prüfen, ob eine internationale Regelung dieselbe Materie betrifft wie ein dementsprechendes nationales Gesetz und - bei Bejahung dieser Frage - ob das Rangverhältnis gesetzlich geregelt ist10. Ist dies nicht der Fall, bedarf es eines Rückgriffs auf die allgemeinen Grundsätze der leges posteriori bzw. leges speciali11. Rechtslage und Diskussion entsprechen somit denselben wie in Deutschland. Mit Hilfe dieser Grundsätze wird versucht, den internationalen Verträgen Vorrang einzuräumen, was im Ergebnis grundsätzlich als sinnvoll und wünschenswert zu erachten ist. Unproblematisch wird dies über den lex-posteriorGrundsatz12 erreicht, sofern die Umsetzung eines Staatsvertrages einem nationalen Gesetz zeitlich nachfolgt. Problematisch sind hingegen die umgekehrten Fälle. Bei derartigen Sachverhalten bemüht sich sowohl die italienische als auch die deutsche Literatur, den Vorrang des internationalen Rechts über die lex-specialis-Regel zu sichern. Es erscheint jedoch fraglich, ob diesem Grundsatz absolute Geltung eingeräumt werden kann. Allein der staatsrechtliche Ursprung von Normen rechtfertigt zumindest noch nicht deren Einstufimg als leges speciali. Als einfache Gesetze sind sie ebenso zu behandeln wie rein nationale Normen. Eine Klassifizierung als Spezialgesetze bedarf infolgedessen einer Begründung, die ihre Herkunft außer Acht lässt. Somit gilt es zu klären, ob und mit welcher Begründung staatsvertragliche Regelungen als leges speciali Vorrang haben vor nationalem Recht und ob dies uneingeschränkt gilt. 6
Siehe dazu Kindler, Einführung, § 4, Rn. 62 und § 5, Rn. 4. Darauf hinweisend Mosconi, DIPP I, S. 14. 8 BVerfGE 6, S. 309 (363) und 31, S. 145 (178). 9 Conforti , Dl, S. 310 und 312 und Pedrazza Golero, Le fonti, S. 22 f.; s. a. Carbone , Com., RDIPP, S. 913 zum neuen IPR-Gesetz. 10 Eine solche Regelung kann sich in einem nationalem Gesetz (z. B. § 2 AO; § 2 I Nr. 2, II AuslG) oder auch in internationalen Abkommen selbst befinden; siehe v. M. (Rojahn), Art. 59, Rn. 37, der für letztere Fälle auf Doppelbesteuerungsabkommen und Auslieferungsverträge verweist. Zur konstitutiven Wirkung der allgemeinen Hinweisnormen in IPR-Gesetzen siehe § 10 II. 1. 11 Zur italienischen Literatur siehe Conforti , DI, S. 312. 12 Im italienischen Recht ist dieser Grundsatz in Art. 15 disp. prel. ausdrücklich festgelegt. 7
112
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
II. Diskussion in Deutschland zum Vorrang der Staatsverträge auf der Grundlage der lex-specialis-Regel Das gewisse Unbehagen, das die Literatur bei der Einstufung von Staatsverträgen als leges speciali verspürt, zeigt sich u. a. darin, dass bei der Begründung des Vorranges - ebenso wie bei den obigen Ausführungen - zuerst auf den lex-posterior-Grundsatz zurückgegriffen wird 13 , um die Fälle der späteren internationalen Abkommen auszusondern, obwohl die Frage der Spezialität systematisch vor der zeitlichen Rangfolge zu prüfen ist14. Völkerrechtliche Vereinbarungen haben - wie bereits erwähnt15 - nicht per se Vorrang. Solch ein absoluter Vorrang würde es unmöglich machen, internationales Recht durch späteres Landesrecht außer Kraft zu setzen. Gerade um eine solche Abänderung zu gewährleisten, hatte es die Enquête-Kommission zur deutschen Verfassungsreform in ihrem Schlussbericht aus dem Jahre 1976 abgelehnt, Art. 59 II GG in diesem Sinne zu ergänzen16. Der lex-posteriorGrundsatz gilt somit grundsätzlich auch im Falle später erlassenem nationalen Rechts im Verhältnis zufrüheren Staatsverträgen17, sofern nicht auf Grund von Spezialitätsgründen etwas anderes anzunehmen ist. Um diesen lex-specialis-Vorrang internationaler Verträge zu begründen, werden in der deutschen Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich zwei Ansätze verfolgt. Zum einen kommt man zu diesem Ergebnis durch eine dementsprechende Interpretation des gesetzgeberischen Willens, zum anderen auf Grund des begrenzten Anwendungsbereiches der internationalen Verträge.
13 Für alle HdbStR (Tomuschat), § 172, Rn. 35; s. a. BT-Drucks. 10 / 504, S. 36 zu Art. 3 II EGBGB. 14 Ebenso MüKo (Sonnenberger), Art. 3 EGBGB, Rn. 13. 15 Siehe oben unter I. 16 BT-Drucks. 7 / 5924, S. 235: Der Schlussbericht der Enquête-Kommission zur Verfassungsreform von 1976 lehnte die Einfügung eines Satzes la in Art. 59 II GG
(vorgeschlagene Formulierung: „ Gemäß Satz 1 für vollziehbar erklärtes Völkervertragsrecht kann ohne Vertragsänderung weder aufgehoben noch geändert werden. ") mit der
Begründung ab, dass dadurch die Fortbildung des nationalen Rechts verhindert, die Bereitschaft zum Abschluss zwischenstaatlicher Abkommen vermindert und ein Anreiz zur Kündigung von bestehenden Vereinbarungen geschaffen werden würde. 17 Siehe zur verfassungsrechtlichen Literatur v. M. (Rojahn), Art. 59, Rn. 37; zum IPR siehe Soergel (Kegel), vor Art. 3 EGBGB, Rn. 36.
§ 9 Der Rang der Staatsverträge im innerstaatlichen Recht
113
1. Der gesetzgeberische Wille
Der eine Ansatz interpretiert den Willen des Gesetzgebers bei der Verabschiedung eines neuen nationalen Gesetzes dahingehend, dass dadurch im Zweifel bestehende Staatsverträge nicht außer Kraft gesetzt werden sollen. Dies wird damit begründet, dass der Gesetzgeber in der Regel nicht völkervertragswidrig handeln will. Man spricht daher von einer gewohnheitsrechtlichen Vermutung für den Vorrang von Staatsverträgen18. Nur bei anderweitigen Anhaltspunkten soll die staatsvertragliche Regelung nach dem lex-posteriorGrundsatz verdrängt werden. Der Vorrang steht somit unter diesem Vorbehalt. Dies entspricht auch dem Verständnis der Enquête-Kommission19, die von der Möglichkeit der Abänderung internationaler Verträge durch späteres nationales Recht ausgeht. Im Anschluss an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der völkervertragskonformen Auslegung20 wurde dieser Begründungsversuch vom Zivilrecht aufgegriffen 21 und schließlich auch vom BGH 22 vertreten. Inzwischen wird diese Ansicht von der Literatur weitestgehend geteilt23. Unrichtig ist es, in diesem Zusammenhang damit zu argumentieren24, dass sich Deutschland seinen internationalen Verpflichtungen gar nicht entziehen könne. Diese Bindungen sind rein völkerrechtlicher Natur und berühren die Möglichkeit des nationalen Gesetzgebers, nationale Gesetze, die Staatsverträge umsetzen, außer Kraft zu setzen, in keinster Weise (Staatssouveränität, Dualismustheorie25). Die Interpretation der h. M. besagt lediglich, dass der Gesetzgeber im Zweifel nicht völkervertragswidrig handeln will - obwohl er dies 18
Siehe Meyer-Sparenberg, S. 66 f. und ebenso zum schweizerischen Recht auf S. 78-80. 19 Siehe Fn. 16. 20 v. M. (Rojahn), Art. 59, Rn. 38a m.w.N. 21 LG Siegen 6. 6. 1978, in NJW 1978, S. 2456 (Verhältnis des Art. 17 EuGVÜ zu § 38 I ZPO) und OLG München 24. 10. 1978, in FamRZ 1979, S. 153 (Verhältnis des Art. 2 EuGVÜ zu § 621 II 1 ZPO); zu weiteren Urteilen siehe unter 2. 22 BGH 11. 1. 1984, in BGHZ 89, S. 325 (336) = NJW 1984, S. 1302 (1304) = FamRZ 1984, S. 350; später bestätigt in BGHZ 111, S. 199 (204). 23 MüKo {Sonnenberger), Art. 3 EGBGB, Rn. 13; v. Hoffmann, § 1, Rn. 78; Soergel {Kegel), vor Art. 3 EGBGB, Rn. 36; Stein / Jonas {Schlosser), 20. Auflage, § 621, Rn. 18 (in der 21. Auflage begründet Schlosser den Vorrang damit, dass der Art. 3 II EGBGB verallgemeinerungsfähig sei; zu Art. 3 II EGBGB siehe § 10, II. 1., Fn. 108) sowie zum Verfassungsrecht Tomuschat, HbStR, § 172, Rn. 35 bzw. Bernhardt, HbStR, § 174, Rn. 29. 24 In diesem Sinne LG München 10. 6. 1975, in NJW 1975, S. 1606 (Verhältnis des Art. 17 EuGVÜ und § 38 II ZPO); ebenso v. Hoffmann, IPR, § 1, Rn. 75. 25 Zur Dualismustheorie siehe § 8 I.
114
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
innerstaatlich könnte - , da er dadurch zum einen seine völkerrechtlichen Treueund Umsetzungspflichten verletzen würde und sich zum anderen auf völkerrechtlicher Ebene gar nicht auf sein nationales Recht berufen kann (Artt. 27, 46 WVK 26 ). Diese in-dubio-Auslegung hat mit dem völkerrechtlichen pacta-suntservanda-Grundsatz (Art. 26 WVK) nichts zu tun27.
2. Der Anwendungsbereich der Staatsverträge
Der Vorrang von Staatsverträgen als Spezialregelung wird zudem aus der Begrenzung des räumlichen, persönlichen und / oder sachlichen Anwendungsbereiches bzw. des „Anwendungsbereichs hinsichtlich der Staaten"28 von internationalen Abkommen im Gegensatz zu den allgemein gültigen nationalen Regelungen abgeleitet29. Im Falle einer solchen Einschränkung besteht der Vorrang von Staatsverträgen ohne Vorbehalt. Zu beachten ist, dass Begrenzungen des räumlichen sowie des ,Anwendungsbereichs hinsichtlich der Vertragsstaaten" bei allseitigen Abkommen30 nicht gegeben sind. Die Diskussion in der deutschen Rechtsprechung und Literatur zum Rangverhältnis von Staatsverträgen und später in Kraft getretenem nationalen Recht betraf in erster Linie die Verhältnisse von Art. 17 EuGVÜ31 zu § 38 ZPO32, von
26 Das „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge" (WVK) vom 23. 5. 1969 (BGBl. 1985 II, S. 926; s. a. Sartorius II, Nr. 320) kodifiziert bereits geltendes Völkerrechtsgewohnheitsrecht. Insofern gelten dessen Grundsätze - über den zwingenden Anwendungsbereich des Abkommens hinaus (Art. 4 WVK) - auch weitestgehend für den Zeitraum vor dessen Inkrafttreten am 27. 1. 1980 und im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten (Kimminich / Hobe, S. 201; s. a. die letzte Erklärung in der Präambel der
Konvention [„ ... Sätze des Völkergewohnheitsrechts weiterhin für Fragen gelten, die in diesem Übereinkommen nicht geregelt sind"]). Im Weiteren zum WVK s. a. im Exkurs
unter § 15 V. 1. a) zu den völkerrechtlichen Vorbehalten und Fakultativklauseln. 27 Siehe auch Partsch (§ 8 I., Fn. 4), S. 72 - 76; s. a. später unter III., Fn. 45 zur selben Diskussion in der italienischen Literatur. Zu einer ähnlichen Frage (automatische Umsetzung des Völkervertragsrechts durch pacta sunt servanda Grundsatz) siehe § 8 III., Fn. 18. 28 Zu dem Begriff siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). 29
v. Hoffmann,
IPR, § 1, Rn. 78 und Meyer-Sparenberg
S. 70 f.; s. a. BT-Drucks.
10 / 504, S. 36 zu Art. 3 lì EGBGB. 30 Zu den Begriffen der „Allseitigkeit" und „erga omnes" siehe § 11 II. 2. a), Exkurs. 31 Zum EuGVÜ i. R. d. italienischen IPRG siehe allgemein unter § 16 und speziell in § 16 II. 6. zu Art. 17 EuGVÜ (Gerichtsstandsvereinbarungen). Das Abkommen befindet sich seit dem 1. 2. 1973 in Kraft (siehe § 16 II. 3. a), in Fn. 1). 32 In Kraft seit dem 1. 4. 1974 („Gesetz zur Änderung der Zivilprozeßordnung" vom 21.3. 1974, in BGBl. 1974 I, S. 753).
§ 9 Der Rang der Staatsverträge im innerstaatlichen Recht
115
Artt. 2 und 5 Nr. 2 EuGVÜ zu § 621 II ZPO 33 sowie des Minderjährigenschutzabkommens (MSA) 3 4 zu § 621 II ZPO. Der die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen regelnde Art. 17 EuGVÜ 35, nunmehr Art. 23 EuGVO, fand gemäß seinem Wortlaut nur Anwendung, sofern mindestens eine der Vertragsparteien ihren Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten des Abkommens hat. Der räumliche 36 Anwendungsbereich der Regelung war somit begrenzt. Eine weitere Beschränkung 37 ergäbe sich dann, wenn man für die Anwendung des Art. 17 EuGVÜ den Bezug zu einem weiteren Vertragsstaat fordert, was in der Vergangenheit vielfach vertreten wurde 38 . Auch im Verhältnis der Artt. 2 und 5 Nr. 2 EuGVÜ zu § 621 II ZPO kamen die staatsvertraglichen Vorschriften nur bei einem Aufenthalt des Beklagten in einem EuGVÜ-Vertragsstaat zur Anwendung 39. Zudem erfassten sie im Gegensatz zu § 621 II ZPO nur Verfahren in Unterhaltsangelegenheiten (Art. 5 Nr. 2 und Art. 1 II Nr. 1 EuGVÜ). Auch der Anwendungsbereich des MSA ist gegenüber § 621 II ZPO begrenzt 40. Das MSA betrifft im Gegensatz zu § 621 II ZPO nur den Schutz
33 Änderung durch „Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG)44 vom 14. 6. 1976, in BGBl. 1976 I, S. 1421 (1449) und später erneut geändert durch Gesetz vom 25. 7. 1986 zur Neuregelung des internationalen Privatrechts, in BGBl. 19861, S. 1142 (1151). 34 I. E. zum MSA siehe in § 12. 35 Dazu siehe (mit Begründung für den Vorrang der internationalen Regelung in Klammern): Katholnigg, in BB 1974, S. 396 und Putzo, in NJW 1975, S. 503 (beide mit dem Argument, dass Art. 17 EuGVÜ nur die internationale und nicht die örtliche Zuständigkeit regeln würde; siehe jedoch § 16 II. 6. c) dd) (2) zur Begründung von örtlichen Zuständigkeiten); LG München 10. 6. 1975, in NJW 1975, S. 1606 (völkerrechtliche Verpflichtung; zur Ablehnung dieser Argumentation siehe 1., bei Fn. 27); LG Siegen 6. 6. 1978, in NJW 1978, S. 2456 (Interpretation des gesetzgeberischen Willens; s. o. unter 1.); AG Wangen, Urteil 4. 1. 1978, in IPRspr. 1978, Nr. 134, S. 135 (detailliertere Regelung, begrenzter Anwendungsbereich, Interpretation des gesetzgeberischen Willens) und BGH 20. 3. 1980, in NJW 1980, S. 2022 (2023) ohne Begründung (nur mit Hinweis auf die Literatur). 36 Zur Klassifizierung siehe Fn. 44 in Exkurs § 11 II. 2. a). 37 AG Wangen 4. 1. 1978 (Fn. 35) sieht in Art. 17 EuGVÜ zudem eine detailliertere Regelung gegenüber § 38 II ZPO. 38 Zur Diskussion siehe § 16 II. 6. b), Fn. 232. 39 Dazu siehe OLG München 24. 10. 1978, in FamRZ 1979, S. 153 (Interpretation des gesetzgeberischen Willens, siehe 1.) und OLG Karlsruhe 10. 7. 1986, in FamRZ 1986, S. 1226 (1227) mit derselben Begründung. 40 Zum Vorrang des MSA siehe (mit Begründung in Klammern): BGHZ 89, S. 363 (Interpretation des gesetzgeberischen Willens; siehe 1.): Jayme, in FamRZ 1979, S. 21 (Interpretation des gesetzgeberischen Willens; siehe 1.); AG St. Wedel 22. 5. 1989, in FamRZ 1989, S. 1317 (mit der unzutreffenden [siehe Übersicht bei Böhmer / Finger (Siehr), Einf. Nr. 7.5., Rn. 9] Begründung, dass das MSA nur den besonderen Fall des
116
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
Minderjähriger. Darüber hinaus muss die Minderjährigkeit sowohl nach dem Heimat- als auch nach dem Aufenthaltsrecht des Betroffenen bestehen (Art. 12 MSA) und der Minderjährige sich in einem der Vertragsstaaten aufhalten (Art. 13 MSA). Im Einzelnen soll auf das MSA noch später ausfuhrlich eingegangen werden41.
III. Diskussion in Italien zum Vorrang der Staatsverträge Wie bereits erwähnt, entsprechen Rechtslage und Diskussion42 in Italien zur Frage des Vorrangs von Staatsverträgen weitestgehend den selben in Deutschland. Das „ob" des Vorrangs wird grundsätzlich nicht bestritten und von der Expertenkommission zum IPRG betont43. In der Vergangenheit und ζ. T. bis heute zeigen sich Teile der italienischen Literatur bemüht, einen absoluten Vorrang von Staatsverträgen im innerstaatlichen Recht zu begründen. Ähnlich wie in Deutschland44 hat man versucht, dies aus dem Grundsatz pacta sunt servanda i. V. m. Art. 10 I cost, abzuleiten45. Ein anderer Ansatz46 berief sich auf Art. 11 cost.47, in dem die italienische Verfassung - ähnlich wie in Artt. 23, 24 GG - die Grundlage bereitet für die Eingliederung des Landes in internationale Organisationen. Vielfach wollte
Aufenthaltes eines Kindes im Ausland regelt) und OLG Köln 13. 11. 1990, in FamRZ 1991, S. 363 (ohne Begründung). 41 Siehe unter § 12. 42 Zu einer Übersicht siehe CP (Bin), Art. 80, VI.; s. a. Meyer-Sparenberg, S. 82. 43 RDIPP 1989, S. 949, erster Absatz zu Art. 2 (ohne Begründung). 44 Zur deutschen Diskussion siehe II. 1., bei Fn. 27. 45 Siehe Kommentar zu Corte cost. 24. 2. 1964, η. 14 (Fn. 49) von Bon Valsassina, in Giur. cost. 1964, S. 133 (134 - 138) und Sperduti , Lo stato di diritto e il problema dei rapporti fra diritto internazionale e diritto intemo, in Riv. trim. dir. pub. 1982, S. 29 (37 f). Zu Sperduti s. a. Diritto internazionale e diritto intemo, in RDI 1958, S. 188 - 198. Der Ansatz knüpft an Quadris Einschätzung an, den Grundsatz pacta sunt servanda zu den allgemeine anerkannten Regeln des Völkerrechts i. S. d. Art. 10 I cost, zu zählen (siehe § 8 III., Fn. 18); Quadri selbst bejaht den Vorrang der Staatsverträge jedoch aus Spezialitätsgründen (siehe Fn. 48). 46 Siehe Hinweise bei CP (Bin), Art. 80, VI. 1. und Pedrazza Golero, Le fonti, S. 22. Auch Mosconi, DIPP I, S. 14, der sich zur Begründung eines absoluten Vorranges grundsätzlich auf den Spezialitätsgrundsatz beruft (Fn. 48) erwähnt in diesem Zusammenhang Art. 11 cost. 47
Art. 11,2. und 3. Hs. cost.: „L'Italia ... ; consente in condizioni di parità con gli altri Stati , alle limitazioni di sovranità necessarie ad un ordinamento che assicuri la pace e la giustizia fra le Nazioni ; promuove e favorisce le organizzazioni internazionali
rivolte a tale scopo. " Im 1. Hs. des Artikels nimmt Italien - ähnlich dem Art. 26 I GG vom Krieg als Angriffskrieg und als Mittel der internationalen Konfliktlösung Abstand.
§ 9 Der Rang der Staatsverträge im innerstaatlichen Recht
117
man auch dem Akt der Umsetzung von internationalen Verträgen in internes Recht („ordine di esecuzione") einen besonderen verfassungsrechtlichen Charakter zuordnen und dadurch einen absoluten Vorrang des staatsvertraglichen Rechts begründen48. Der Corte Costituzionale hat jedoch schon sehr früh betont, dass im Verhältnis der Staatsverträge zum rein nationalen Recht der lex-posterior-Grundsatz zu beachten ist49. Auch später hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass ein absoluter Vorrang des internationalen Rechts über die Artt. 10 I, 11 cost, nicht zu begründen ist50. In einem neueren Urteil spricht der Verfassungsgerichtshof jedoch von Staatsverträgen als einer Rechtsquelle, die auf eine „atypische" Kompetenz zurückzuführen ist und insofern von einem einfachen Gesetz weder außer Kraft gesetzt noch geändert werden kann51. Was im Einzelnen unter dieser „competenza atipica" zu verstehen ist, bleibt offen und ist durch spätere Entscheidungen zu klären52. Es fallt jedoch auf, dass sich der Gerichtshof in späteren Urteilen darauf beschränkt, die verfassungsmäßige Kontrolle von Staatsverträgen zu bekräftigen 53. Die herrschende Lehre geht grundsätzlich von der Gleichrangigkeit zwischen durch einfache Gesetze umgesetzte Staatsverträge und Gesetzen rein nationalen Ursprungs aus54. Um einen Vorrang der internationalen Abkommen zu begründen, bedient sich die Lehre in weiten Teilen der selben Argumente wie die Rechtsprechung und Lehre in Deutschland. Ähnlich wie der deutsche BGH geht man im Zweifel, d. h. mangels eines entgegenstehenden ausdrück48 Siehe in der Vergangenheit Conforti , in RDIPP 1966, S. 18 f. und ders. ausführlich in Studi in onore di Giorgio Balladore Pallieri, Bd. II, S. 187 - 193 (zu Confortis heutiger Meinung siehe Fn. 55, 56); Quadri , DIP, S. 78 f. und Biscottini , Questioni vecchie e nuove in tema di ordine di esecuzione dei trattati, in RDI 1974, S. 204 - 237 (214 f.), der jedoch auch den gesetzgeberischen Willen betont und die Spezialität des Anwendungsbereiches von Staatsverträgen. Ebenso für einen absoluten Vorrang bei der Diskussion zum IPRG Mosconi , DIPP I, S. 14, der jedoch einräumt, dass der Vorrang von Staatsverträgen unter dem Vorbehalt des ausdrücklichen Änderungswillens des Gesetzgebers bei der Verabschiedung neuer Gesetze steht. 49 Corte cost. 24. 2. 1964, η. 14, in Giur. cost. 1964, S. 129 mit ablehnender Anm. von Bon Valsassina (Fn. 45). 50 Corte cost. 7. 5. 1982, η. 96, in Giust. cost. 1982, I., S. 957; siehe auch Urteile unter § 8 III., Fn. 15. 51 Corte cost. 19. 1. 1993, η. 10, in Giur. cost. 1993, S. 52 (53 [dritter Leitsatz] und
61).
52
Ebenso Capotorti, Corso, S. 191. Siehe Fn. 15 zu Corte cost. 26. 2. 1993, η. 75 und Corte cost. 29. 1. 1996, η. 15. Conforti , DI, S. 316 misst insofern dem Urteil vom 19. 1. 1993 (Fn. 51) keine grundlegende Bedeutung für die Rangfrage bei. 54 Conforti , DI, S. 312; Giuliano / Scovazzi / Treves , DI, S. 580 und Pedrazza Golero, Le fonti, S. 23; ebenso zum IPRG Carbone , Com., RDIPP, S. 914 und S. 916 f. 53
118
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
liehen oder auch konkludenten55 Willens des Gesetzgebers, im Rahmen des Anwendungsbereiches einer Konvention von einem Vorrang der internationalen Normen aus 56 . Daneben wird die Spezialität von Staatsverträgen auch aus deren begrenztem Anwendungsbereich hergeleitet 57.
55
Zu Beispielen eines in italienischen Gesetzen ausdrücklich geäußerten
Änderungswillens des Gesetzgebers siehe Conforti , DI, S. 315; Conforti , a.a.O. geht
jedoch davon aus, dass eine konkludente Derogationsabsicht nur dann anzunehmen ist, wenn sich der Anwendungsbereich des späteren nationalen Gesetzes und des Staatsvertrages absolut decken. 56
Conforti , DI, S. 314 f. (ders. siehe jedoch in voriger
Fußnote bei kongruentem
Anwendungsbereich; zur früheren Meinung von Conforti siehe Fn. 48) und Giuliano /
Scovazzi / Treves, DI, S. 581; ähnlich CP (Bin), Art. 80, VI. 3. („principio di conformità del diritto interno a quello pattizio"). Zum IPRG siehe Bariatti, Com., NLCC, S. 891 („ la legge interna, ... , in mancanza di una esplicita volontà del legislatore deve ritrarsi per fare spazio ali ' applicazione delle norme contenute nelle convenzioni nelle materie
da queste disciplinare "); siehe auch Fn. 48 zu Mosconi, DIPP I, S. 14. 57 Morelli, Elementi, S. 18 unten und CP (Bin), Art. 80, V I („ ... principio di specialità (rat ione mater iae ο ratione per sonar um), ... "); auf diese Argumentation
hinweisend Conforti, DI, S. 314; ebenso i. R. d. IPRG Migliazza, in Problemi, S. 367 370 (insbesondere bei Fn. 25); Carbone, Com., RDIPP, S. 914 („ ... ambito di applicazione ratione materiae e personarum") und S. 917 („ ... ambito ratione mater iae ... ") und Bariatti, Com., NLCC, S. 891 oben („ ... differenti ambiti soggettivi
di applicazione"). Siehe auch als Beispiel die ältere Entscheidung Cass. 15. 7. 1967, in RDIPP 1968, S. 157(158).
§ 10 Die Staatsverträge und das IPRG Die rapide Zunahme von internationalen Verträgen im Rahmen des Internationalen Privatrechts nach dem II. Weltkrieg hat im Laufe der Zeit immer mehr zu einer Überlagerung des autonomen IPR durch multilaterale und bilaterale Abkommen geführt 1. Das Verhältnis und die Harmonisierung von rein nationalem und staatsvertraglichem Recht wurde somit zu einem der Hauptprobleme der neueren IPR-Reformen. Dieser Entwicklung musste natürlich auch das neue italienische IPR-Gesetz Rechnung tragen2, nachdem die bisherigen Bestimmungen der disp. prel. internationale Verträge nicht berücksichtigt hatten.
I. Techniken der Integration von Staatsverträgen in nationales IPR 1. Übersicht
Ältere IPR-Kodifikationen haben grundsätzlich keinerlei Rücksicht auf internationale Verträge genommen, was sich durch deren Struktur und die geringe Bedeutung von Staatsverträgen bedingt hat3. Dies galt auch für die disp. prel. des codice civile und das deutsche EGBGB von 18964. Die IPRVorschrifien neueren Datums5 berücksichtigen hingegen die Zunahme internationaler Abkommen und nehmen sich der dadurch entstandenen Konkurrenzprobleme an. Diese Gesetze enthalten fast ausnahmslos6 eine Bestimmung, die allgemein das Verhältnis von innerstaatlichem und internationalem IPR behandelt.
1
Munari, in JbltR 9 (1996), S. 39 (m.w.N. in Fn. 8) spricht beim bisherigen italienischen IPR von einer „Dichotomie zweier entgegengesetzter Systeme". 2 Siehe dazu vor allem das Dekret vom 8. 3. 1985 zur Einsetzung der Expertenkommission (§ 2, Fn. 6). 3 Im Einzelnen zu den Gründen Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 68 71. 4 Zur Diskussion über eine allgemeine Hinweisnorm i. R. d. EGBGB von 1896 siehe Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 70 f. 5 Zu den europäischen IPR-Gesetzen siehe Anlage I. 6 Im Einzelnen siehe unter 2.
120
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
Darüber hinaus gingen die Gesetzgeber vermehrt dazu über, ihr eigenes nationales Recht den staatsvertraglichen Normen nachzubilden7. Dabei wird vermehrt dazu übergegangen, internationale Regelungen kraft eines Hinweises oder wörtlicher Einstellung wortgetreu in innerstaatliches Recht zu übernehmen8.
2. Das allgemeine Verhältnis von nationalem und internationalem IPR
Nahezu alle europäischen IPR-Gesetze9 enthalten eine allgemeine Vorschrift, die das Verhältnis dieser Gesetze zum staatsvertraglichen IPR betreffen. Lediglich im spanischen, portugiesischen und griechischen IPR, deren Kollisionsvorschriften in das nationale Zivilgesetzbuch integriert wurden10, fehlt eine solche Bestimmung11. Derartige Vorschriften legen entweder fest, dass das nationale Gesetz nur gilt, sofern internationale Verträge nichts anderes bestimmen12, oder erklären, dass diese Verträge durch das nationale Gesetz unberührt bleiben13. Bei letzterer Formulierung ist umstritten, ob die Vorschriften den Vorrang der internationalen Verträge konstitutiv festlegen 14. Im Zweifel wird der Vorrang der Staats7
Siehe unter 3. Siehe unter 4. zu der sog. Hinweis- bzw. Kopiermethode. 9 Auch in der niederländischen IPR-„Skizze" (siehe Anhang I) findet sich eine solche Norm; siehe Boele-Woelki, Kodifikation des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, in IPRax 1995, S. 264-271 (265 f.). 10 Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 70 nennt bei früheren Kodifikationen die Integration der IPR-Normen in das nationale Zivilgesetzbuch als eine Ursache dafür, warum diese Staatsverträge nicht berücksichtigt haben. 11 Zum spanischen und portugiesischen IPR siehe Quellen im Anhang I; zum spanischen Recht siehe jedoch auch in Fn. 17. Die griechischen IPR-Vorschriften (Artt. 4 - 3 3 ZGB) stammen ursprünglich aus dem Jahre 1940, sind jedoch in den Jahren 1982 und 1983 im Bereich des Familienrechts (Gleichberechtigungsgrundsatz - siehe Text in Bergmann / Fer id / Henrich, Griechenland, S. 46 - 48 und Riering, S. 18 - 27) sowie zuletzt im Jahre 1996 überarbeitet worden (siehe dazu Vassilakakis, in IPRax 1998, S. 224). 12 § 2 tschechisch / slowakisches IPRG, Art. 31 albanisches IPR-Gesetz, Art. 1 § 2 polnisches IPRG, § 2 II IPRG der DDR, § 2 ungarische IPR-VO, Art. 3 „jugoslawisches" IPRG und Art. 10 rumänisches IPRG. Zu den Quellen der Gesetze siehe Anhang I. 13 Art. 1 II türkisches IPRG und § 53 österreichisches IPRG; ähnlich Art. 1 II schweizerisches IPRG („vorbehalten") und Art. 3 II 2 deutsches EGBGB für das Verhältnis zum Europarecht (allgemein spricht Art. 3 II 1 EGBGB vom Vorrang völkerrechtlicher Vereinbarungen; siehe dazu II. 1, Fn. 108). Zu den Quellen der Gesetze siehe Anhang I. 14 Siehe dazu unter II. 1. 8
§ 10 Die Staatserträge und das IPRG
121
Verträge jedoch durch den lex-specialis-Grundsatz gewährleistet15. Terminologisch können diese Vorschriften als allgemeine Hinweis- oder Vorbehaltsnormen bezeichnet werden. Neben diesen umfassend wirkenden Vorschriften in den allgemeinen Teilen der IPR-Regelungen findet sich ein allgemeiner16 Hinweis auf internationale Verträge gelegentlich auch in speziellen Materien des IPR17. Das italienische IPRG enthält eine allgemeine Hinweisnorm im Art. 2 I IPRG (sog. rinvio formale) 1*.
3. Die Einarbeitung von staatsvertraglichen
Regelungen in nationales IPR
a) Allgemeines Über diese allgemeinen Vorbehaltsnormen hinaus übernehmen nationale Gesetzgeber immer mehr staatsvertragliche Lösungen in ihr autonomes Recht, um eine Harmonisierung von nationalem und internationalem Recht zu erreichen. Das war und wird um so mehr der Fall sein, je weiter sich der wirtschaftliche und damit auch rechtliche Verkehr in eine internationale Richtung entwickelt. Das sog. „forum shopping" wird dadurch an Bedeutung verlieren. Von einer lediglichen Inspiration durch internationale Normen bis hin zu einer wörtlichen Einstellung des staatsvertraglichen Textes in autonomes nationales Recht (sog. Kopiermethode 19) stehen dem Gesetzgeber dabei alle Stufen
15
Siehe dazu unter § 9. Als Besonderheit enthielt § 4 a I des 7. Kapitels des schwedischen „Gesetzes über gewisse internationale Rechtsverhältnisse betreffend Ehe, Vormundschaft und Adoption" vom 8. 7. 1904 (Originaltext und deutsche Übersetzung in Makarov, Quellen 2, Bd. I, Schweden, S. 21 f.) einen Vorbehalt zugunsten eines speziellen Vertrages (Haager Eheschließungsabkommen von 1902 - siehe § 10 II. 3., in Fn. 131). Die Bestimmung ist durch das Nordische Abkommen zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden vom 6. 2. 1931 (siehe Makarov, Quellen 2, Bd. II, S. 551 -560, Nr. 231) über dieselbe Materie außer Kraft getreten. 17 Art. 12 13 türkisches IPRG und Art. 9 Nr. 9 I und 10 Nr. 4 des spanischen codigo civil. Beispiele in außereuropäischen Gesetzen: Art. 7 iranisches Zivilgesetzbuch (siehe Makarov, Quellen 2, Bd. 1, S. 3 f.; Bergmann / Ferid / Henrich, Iran, S. 16); Art. VII S. 2 des Einleitungstitels des codigo civil Nicaraguas (siehe Bergmann /Ferid/ Henrich, Nicaragua, S. 6). 18 Zur Terminologie siehe Exkurs unter 3. a); Genaueres zu Art. 2 I IPRG siehe II. 1. 19 Terminologie von Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 45 (85), mit Übersicht auf S. 145; im Anschluss an Siehr ebenso Lettieri, in RDI 1987, S. 321 (324). I. E. dazu siehe unter 4. 16
122
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staats Verträgen
der Harmonisierung offen. Die Übergänge gestalten sich fließend, so dass es schwierig erscheint, terminologische Einstufungen vorzunehmen. Sofern der Gesetzgeber die staatsvertraglichen Bestimmungen in ihrer Gesamtheit integrieren will, besteht hierbei neben der Kopiermethode auch die Möglichkeit des Hinweises auf das jeweilige Abkommen im Rahmen einer nationalen Norm (sog. Hinweismethode 20).
Exkurs:
Terminologie zu den Instrumentarien der Harmonisierung (der Begriff des „rinvio")
Terminologisch wird bei einer Übernahme staatsvertraglicher Regelungen oft von einer „Inkorporation" derselben in nationales Recht gesprochen. Dieser Begriff sollte nur dann gebraucht werden, wenn nationales und staatsvertragliches Recht sich materiell decken oder - anders ausgedrückt - internationales Recht zum Bestandteil eines nationalen Gesetzes wird. Der Terminus wird z. T. als Oberbegriff für die oben beschriebenen Hinweis- und Kopiermethoden verwendet21, z. T. wird lediglich die wörtliche Übernahme der Staatsverträge als „Inkorporation" bezeichnet22. In der italienischen Literatur findet sich der Begriff der „Inkorporation" nur vereinzelt, wobei man zu ersterem Verständnis tendiert 23. Vielmehr wird die allgemeine Hinweisnorm des Art. 2 I IPRG24 als rinvio formale (oder generale oder non recettizio / ricettizio 25) und die besonderen Hinweisnormen i. S. d. der Hinweis-
20 Terminologie von Siehr (Fn. 19); zur gewählten Bezeichnung siehe auch Fn. 30. Im Einzelnen zur Hinweismethode siehe unter 4. 21 Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 4 5 - 144 (Übersicht siehe S. 145); in Problemi, S. 501 bezeichnet Siehr jedoch lediglich die Kopiermethode als „incorporazione" (s. a. Zusammenfassung S. 504 f.). 22 Gutachten des Max-Planck-Institut, in RabelsZ 1983, S. 595 - 690 (602, 640 f., 661, 665 - 667) und Staudinger (F. / G. Sturm), Einl. zum IPR, Rn. 324 und 594. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass das deutsche EGBGB nur die Kopiermethode kennt. 23 Baruffi , Com., NLCC, S. 1274 zu Art. 45 (Inkorporation durch „rinvio recettizio") und ebenso Davi , in Studi Vitta, S. 72; ders., in RDI 90, S. 556 - 638 (577). Pocar, in IPRax 1997, S. 157 1. Sp. (bei Fn. 59), bezeichnet die besonderen Hinweisnormen als „inkorporierende Verweisung", vermeidet jedoch i. ü. den Begriff der Inkorporation; in SIDI, S. 234 spricht er vom rinvio ricettizio (sog. Hinweismethode) und im Zusammenhang mit den Artt. 48, 60, 63 IPRG von einer „riproduzione" (zu den Vorschriften siehe unter § 17). A. A. Ballarino, in RDI 1990, S. 525 - 555 (547, Nr. 12) und Barioni, Com., NLCC, S. 891 zu Art. 2; ebenso CT (Costantino), Art. 2,1. 2. und 3. 24 Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 949 zu Art. 2 (rinvio formale); Bariatti, Com., NLCC, S. 890 zu Art. 2 (rinvio generale) und ebenso CT (Costantino), Art. 2, I. 2. 25 Die meisten Autoren verwenden das Wort „recettizio". In Gebrauch sind jedoch beide Schreibweisen (recettizio / ricettizio); von einem „rinvio ricettizio" sprechen der
§ 10 Die Staats Verträge und das IPRG
123
methode26 als rinvio materiale (oder specifico oder recettizio / ricettizio) bezeichnet27. Um Unklarheiten zu vermeiden, soll im Weiteren zum einen von allgemeinen (Art. 2 I IPRG) und besonderen Hinweisnormen (Artt. 3 II 1, 42 I, 45, 57, 59 I IPRG), zum anderen von der Hinweis- bzw. Kopiermethode gesprochen werden. Der in diesem Zusammenhang von der italienischen Literatur verwendete Begriff des „rinvio" 2* ist nicht zu verwechseln mit der kollisionsrechtlichen Rück- und Weiterverweisung (sog. Renvoi), die im italienischen IPR ebenfalls als „rinvio" bezeichnet wird (Art. 13 IPRG 29 ) 30 . Es ist insofern zu unterscheiden zwischen dem „rinvio formale" bzw. „rinvio materiale" als Form der Koordination von nationalem und internationalem Recht sowie der Rückverweisung (sog. „rinvio indietro", „rinvio di ritorno" bzw. „rinvio di primo grado") und Weiterverweisung (sog. „rinvio oltre", „rinvio altrove" bzw. „rinvio di secondo grado"). Beim Renvoi wird jedoch i. d. R. nur schlicht von einem „rinvio" gesprochen. Zu beachten ist zudem, dass die Begriffe „rinvio formale" und „rinvio recettizio" in der italienischen IPR-Literatur noch in einem anderen Zusammenhang auftauchen, nämlich bei der theoretischen Frage des Charakters von Kollisionsnormen im Allgemeinen31.
Kommissionsbericht zu Art. 61 (= Art. 59 IPRG) und Pocar, in SIDI, S. 234; ders., in IPRax 1997, S. 157. Im italienischen Zivilrecht bedeutet der Begriff „empfangsbedürftig" (Conte / Boss, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Teil I, Italienisch-Deutsch, 4. Auflage, München 1993, S. 365 [recettizio] und Sansoni , Wörterbuch der italienischen und deutschen Sprache, Erster Teil, Italienisch-Deutsch, 2. Auflage, 1984, S. 1092 [ricettizio]), im vorliegenden Zusammenhang kann der Begriff des „rinvio recettizio / ricettizio" als „rezipierender Hinweis" übersetzt werden (s. a. Kindler, in RabelsZ 1997, S. 237 - „materielle Rezeption"). 26 Baruffi , Com., NLCC, S. 1274 zu Art. 45; Davi , in Studi Vitta, S. 72; Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 949 zu Art. 2 („recezione materiale"); Bariatti, Com., NLCC, S. 890 zu Art. 2 (rinvio specifico); ebenso CT (Costantino), Art. 2,1. 2. 27 Siehe auch § 8 II. Fn. 13 und III. Fn. 17 zur verfassungsrechtlichen Terminologie. 28 Siehe auch in der deutschen Literatur Gebauer, Grundfragen, S. 290 - 293; ders., in JbltR Bd. 9 (1996), S. 67 - 69. Gebauer geht allerdings fälschlicherweise davon aus, dass der rinvio materiale die internationalen Normen allein in ihrem Zustand zum Zeitpunkt der Inkrafltretung der Hinweisnorm umfasst (Grundfragen, S. 290, Fn. 279 bzw. JbltR, S. 67, Fn. 31 - siehe dazu § 101. 4. Fn 80). 29 Zum Renvoi i. R. d. IPRG siehe § 11 II. 2. e) aa) sowie § 15 V. 2. zum Renvoi i. R. d. der Genfer Kollisionsabkommen zum Wechsel- und Scheckrecht (Art. 59 I IPRG). 30 Darauf weist auch Gebauer, in JbltR Bd. 9 (1996), S. 67 in Fn. 31 hin. Auch Siehr hat in seinen Ausführungen (Fn. 19, 20) aus diesem Grunde von der „Hinweismethode" gesprochen und bei der Bezeichnung der Gesetzestechnik den Begriff der „Verweisung" vermieden (siehe BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 85). 31 Diskutiert wird dabei die Frage, ob Kollisionsnormen lediglich einen formalen Hinweis auf fremdes Recht enthalten („rinvio formale") oder dieses in innerstaatliches
124
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen b) Staatsverträge ohne innerstaatliche Geltung
Als unproblematisch erweist sich die Übernahme der staatsvertraglichen Lösungen, wenn sich das zugrunde liegende Abkommen innerstaatlich nicht in Kraft befindet. Sofern der jeweilige Staat dem Vertrag nicht beigetreten ist, bedient sich der Gesetzgeber dabei des internationalen Rechts lediglich als Inspirationsquelle bei der Ausarbeitung eigener Vorschriften 32 , ebenso wie er sich von Vorbildern anderer nationaler Rechtsordnungen leiten lässt33. Praktizieren lässt sich die Anpassung an staatsvertragliches Recht in diesem Fall nur durch die Formulierung eigener nationaler Kollisionsnormen. Dies kann durch ähnliche oder identische („Kopiermethode") Vorschriften erfolgen. Die Kopiermethode kann darüber hinaus auch als Form der innerstaatlichen Umsetzung internationaler Verträge 34 bzw. zur vorzeitigen Inkraftsetzung derselben dienen35.
Recht rezipieren („rinvio recettizio"). Eine dritte Ansicht geht davon aus, dass die Verweisungen der Kollisionsnormen eigene innerstaatliche Normen mit zum fremden Recht kongruentem Inhalt „produzieren" („rinvio di produzione"). Siehe dazu Balladore Pallien, DIP (1974), S. 19 - 36 und Theiss, Die Behandlung fremden Rechts im deutschen und italienischen Zivilprozeß, München 1990, S. 86 - 97. 32 Zum Einfluss des Haager Güterstandsabkommens vom 14. 3. 1978 (siehe § 10 II. 3., Fn. 132) auf die Kollisionsnormen des deutschen, österreichischen und schweizerischen IPR siehe BT-Drucks. 10 / 504, S. 58 (Art. 15 II EGBGB); Feil, S. 140 f. (§ 19 österreichisches IPRG) und Botschaft, S. 89 (Art. 52 schweizerisches IPRG); zum italienischen IPRG siehe § 10 I. 3. in Fn. 132 zu Art. 30 IPRG. Das Abkommen ist seit dem 1. 9. 1992 für Frankreich, Luxemburg und Niederlande in Kraft (siehe Jayme / Hausmann, nach Nr. 32, Fn. 2; englischer undfranzösischer Text in RabelsZ 1977, S. 554). § 36 II der ungarischen IPR-VO und Art. 26 EGBGB sind dem Haager Testamentsformabkommen nachgebildet; ebenso Art. 31 Jugoslawisches" IPRG (Jugoslawien ist allerdings dem Abkommen beigetreten). Zu dem Abkommen und zu Art. 48 des italienischen IPRG siehe § 17 I. Zum Einfluss des EuGVÜ auf das schweizerische IPRG Botschaft, S. 36 und 143. 33 Zur Berücksichtigung anderer europäischer IPR-Gesetze i. R. d. italienischen Reform siehe § 1, in Fn. 1 und § 2 V.; allgemein zur Beeinflussung nationaler Rechtsordnungen untereinander siehe Siehr, in FS v. Overbeck, S. 237 f. 34 Dies entspricht der Praxis in Großbritannien und den skandinavischen Ländern (siehe dazu in BerDGesVölkR Heft 27 (1986) Siehr, S. 76 mit Beispielen in Fn. 153, 154 und Delbrück, S. 149, bei Fn. 6; s. a. Meyer-Sparenberg, S. 46). Lediglich i. R. d. gemeinschaftsrechtlichen Konventionen (EuGVÜ und EVÜ) haben sich diese Staaten der kontinentalen Tradition der Umsetzung durch bloßes Zustimmungsgesetz angeschlossen. (Delbrück, &&0., Fn. 7, 8 zu Großbritannien und Dänemark). Siehe auch § 15 V. 1., Fn. 96 zur Umsetzung der Genfer Abkommen von 1930 und 1931 über das internationale Wechsel- und Scheckprivatrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 35 Zur vorzeitigen Inkraftsetzung des EVÜ durch einzelne Vertragsstaaten und dessen Übernahme durch Finnland siehe 4., Fn. 58, 59; zur Umsetzung in Deutschland siehe auch § 19 III. 1.
§ 10 Die Staats Verträge und das IPRG
125
Die Hinweismethode macht hingegen bei fehlender innerstaatlicher Geltung des jeweiligen Staatsvertrages keinen Sinn, da ein solcher Hinweis keine Umsetzung des Vertrages in nationales Recht bewirken kann und somit „ins Leere gehen" würde36. Auf Grund der völkerrechtlichen Dualismustheorie37 kann der Gesetzgeber nämlich nur auf Normen verweisen, die Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung sind. Hierin liegt eine der Schwächen der Gesetzestechnik, die bei der innerstaatlichen Außerkrafttretung des Vertrages zum Tragen kommt. Das nationale Recht wird durch die Hinweismethode von „Umständen abhängig gemacht, die nicht allein vom Willen des nationalen Gesetzgebers getragen sind"38. In diesem Fall muss die Regelungslücke durch einen neuen Staatsvertrag und eine dementsprechende Anpassung der Hinweisnorm bzw. durch eine eigene nationale Regelung geschlossen werden39.
c) Staatsverträge mit innerstaatlicher Geltung Bei Staatsverträgen, die innerstaatliche Wirkung entfalten, ist immer der Vorrang der internationalen Normen zu beachten40. Sofern die übernommene Regelung allgemeine Fragen betrifft, die nicht für den jeweiligen Vertrag spezifisch sind, kann der Gesetzgeber daraus allgemeingültige Vorschriften des nationalen Rechts entwickeln, die außerhalb des Anwendungsbereiches der Abkommen zum Tragen kommen41. Bei Kollisionsnormen besteht die Möglichkeit, durch Anlehnung an Staatsverträge spezieller Natur oder Abkommen, die nicht als loi uniforme ausge-
36
Siehe Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 86 f. Siehe dazu unter § 8 I. 38 Siehr (Fn. 36), S. 131 und 138 (These 6. b)). 39 Siehr (Fn. 56), S. 140 (These 10); zu den Vor- und Nachteilen der Hinweis- und Kopiermethode s. a. unter 4., bei Fn. 76. 40 Siehe oben unter 2.; zur Diskussion über den Vorrang der Haager Unterhalts(USTA) und Testamentsformübereinkommen (TestFÜbk.) vor den Artt. 18, 26 EGBGB im deutschen IPR siehe § 19 III. 3. a), in Fn. 145. 41 Siehe Beispiele unter § 11 II. 2. e) zum italienischen IPRG und § 19 III. 4. a) zur Umsetzung des EVÜ in Deutschland. 37
126
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
staltet sind, autonomes innerstaatliches Recht mit „allseitiger" Wirkung zu schaffen 42. Mit der zunehmenden Zahl von erga-omnes-Abkommen ist man vermehrt dazu übergegangen, die staatsvertraglichen Bestimmungen wortgetreu in nationales Recht zu übernehmen, da innerstaatliche Vorschriften neben diesen ohnehin nicht zur Anwendung kommen43. Hierbei kann der nationale Gesetzgeber zwischen der Kopier- und der Hinweismethode wählen, die im Weiteren genauer untersucht werden sollen.
4. Die Hinweis- und Kopiermethode bei innerstaatlich in Kraft befindlichen Staatsverträgen
Sofern ein Gesetzgeber Staatsverträge mit innerstaatlicher Geltung in sein nationales Recht wortgetreu und umfassend einarbeiten will, stehen ihm die Hinweis- und die Kopiermethode44 zur Verfügung. Letztere eignet sich auch für Abkommen ohne innerstaatliche Wirkung 45, was im Folgenden jedoch außer Acht gelassen werden soll. Durch die Kopiermethode wird der Vertragstext (nahezu)46 wörtlich im nationalen Gesetz wiedergegeben, ohne dass der staatsvertragliche Ursprung der Bestimmung dabei offengelegt wird. Bei der Hinweismethode erklärt der Gesetzgeber den dementsprechenden Staatsvertrag lediglich für eine von ihm selbst bestimmte Materie (Anknüpfungsgegenstand) 47 für anwendbar.
42 Zum Schutzlandprinzip des Immaterialgüterrechts siehe Art. 110 I schweizerisches IPRG und § 34 I österreichisches IPRG sowie nunmehr auch i. R. d. italienischen IPRG dessen Art. 54. Ausführlich zum internationalen Immaterialgüterrecht und den einschlägigen Staatsverträgen siehe MüKo (Kreuzer), nach Art. 38 Anh. II. Siehe auch die Parallele des Art. 65 schweizerisches IPRG zu Art. 2 des „Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen" vom 1. 6. 1970 (siehe Botschaft, S. 94 und 99), das seit dem 17. 7. 1976 in der Schweiz in Kraft ist (zum Text des Abkommens siehe die amtliche Schweizer Übersetzung in AS 1976, S. 1546, auch abgedruckt in Jayme / Hausmann, Nr. 183). 43 Allgemein zu allseitigen / erga-omnes-wirkenden Staatsverträgen siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). 44 Zu den Begriffen siehe 3. a), Fn. 19 und 20. 45 Siehe 3. b). 46 Zum Problem der textlichen Abweichungen s. u. bei Fn. 55. 47 Siehe dazu § 11 II. 1.
§ 10 Die Staatserträge und das IPRG
127
Im Rahmen der zeitlich weitestgehend parallel verlaufenden Vorarbeiten zur schweizerischen und deutschen IPR-Reform 48 wurden die Vor- und Nachteile der beiden Gesetzestechniken ausgiebig erörtert. Deutschland hat sich nach heftigen Diskussionen49 in seinem Gesetz zur Neuregelung des IPR vom 25. 7. 198650 für die Kopiermethode entschieden, obwohl vorherige Reform Vorschläge die Hinweismethode bevorzugt hatten 51 . Die Kopiermethode wird bei erga omnes wirkenden Abkommen 52 angewandt (Artt. 18 (USTA), 26 I - III (TestFÜbk.) und 27 - 37 (EVÜ) EGBGB), um die „Überschaubarkeit des Internationalen Privatrechts" zu wahren 53 . In letzterem Fall kommt jedoch das Abkommen (EVÜ) in Deutschland nicht unmittelbar zur Anwendung 54 . Schwierigkeiten ergeben sich bei der Kopiermethode insbesondere dann, wenn das nationale Gesetz gegenüber den Staatsverträgen Abweichungen enthält, die nicht nur redaktioneller Natur sind oder sich durch die Systematik des nationalen Gesetzes bedingen55. Lediglich soweit diese Ände-
48 Siehe dazu die Beiträge zum „Lausanner Kolloquium über den deutschen und schweizerischen Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts" vom 14. / 15. 10. 1983, Schulthess Verlag, Zürich 1984. 49 Kritisch dazu vor allem Matscher / Siehr / Delbrück, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986); die Stellungnahme des Max-Planck-Institut (Fn. 22); zum Vertragsrecht Kohler, in EuR 1984, S. 155 (s. a. § 19 III. 1., Fn. 129) und die Entwürfe in Fn. 51. Zustimmend hingegen Sandrock, in RIW 1986, S. 844. Allgemein zur Diskussion siehe Staudinger (F. /G. Sturm), Einl. zum IPR, Rn. 593 f. und auch Pal. (Heldrich), vor Art. 3 EGBGB, Rn. 16. 50 Zur Quelle siehe in Anhang I; s. a. BT-Drucks. 10 / 504 zum Regierungsentwurf mit Begründung. 51 Vorschläge des deutschen Rates für IPR (zuletzt in Beitzke (Hrsg.); Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personen-, Familien- und Erbrechts, 1981, S. 9 [Kindesunterhalt], S. 13 [Testamentsform]) und Entwurf von Kühne (IPR-Gesetzentwurf von 1980, S. 8 [§ 22 zum Kindesunterhalt] und S. 11 [§ 31 II zur Testamentsform]. Beide Entwürfe verweisen auf das USTAK und das Haager Testamentsformabkommen und erweitern deren Anwendungsbereich auf Kinder ohne Aufenthalt in den Vertragsstaaten des USTAK bzw. auf sonstige Verfügungen von Todes wegen (wie Art. 26 IV EGBGB). Gleiches gilt für den Entwurf des Max-PlanckInstitutes (Fn. 22), das sich bei allen Abkommen, die das EGBGB letztendlich kopiert hat, für die Hi η weismethode ausgesprochen hatte. 52 Zum Begriff der erga-omnes-Staatsverträge siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). 53 Siehe die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 10 / 504, S. 76 zu den Artt. 27 - 37 EGBGB. 54 Ausführlich dazu siehe unter § 19 III. 55 Zu den Abweichungen bei der deutschen EVÜ-Umsetzung siehe § 19 III. 1.,
Fn. 128.
128
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staats Verträgen
rungen durch den Vertrag zugelassen werden56 oder der Gesetzgeber dadurch nur den Anwendungsbereich des Abkommens innerstaatlich erweitert, ohne dieses inhaltlich zu verändern 57, bleiben solche inhaltlichen Änderungen unproblematisch. Neben der Bundesrepublik haben sich auch andere Staaten für ein Kopieren des EVÜ entschieden, um dieses vorzeitig in Kraft zu setzen58. Dabei handelt es sich ausschließlich um Staaten, die noch keine umfassende IPR-Kodifikation besaßen und das EVÜ somit als Teilregelung übernommen haben. Als Nichtvertragsstaat hat auch Finnland das EVÜ kopiert 59. Die Schweiz hat sich im Gegensatz dazu für die Hinweismethode entschieden und von ihr ausgiebigst Gebrauch gemacht60. Auch die „Skizze" eines niederländischen IPR-Gesetzes bedient sich dieser Technik61. Durch die Hinweismethode wird zum einen der staatsvertragliche Ursprung der Regelung deutlich, was vor allem die vertragsautonome Auslegung der Regelungen fordert 62. Zum anderen stellt sie sicher, dass sich der Rechtsanwender des originalen staatsvertraglichen Textes bedient, ohne bei Abweichungen der
56
Art. 26 I Nr. 5 des deutschen EGBGB macht ζ. B. von der durch Art. 3 des Haager Testamentsformabkommens eröffneten Möglichkeit der erweiterten alternativen Anknüpfung (favor negotii) Gebrauch; ebenso die Vorschläge des deutschen Rates für IPR (S. 13) und Art. 31 II des Entwurfes von Kühne (zu beiden siehe Fn. 51). 57 Z. B. Art. 26 IV EGBGB zur Anwendung der Regelungen des Haager Testamentformabkommens auf Erbverträge (s. a. Fn. 74). Zur Anwendung des Art. 48 IPRG auf Erbverträge siehe § 18 I. 2. b). 58 Dänemark mit Wirkung zum 1. 7. 1984 (IPRax 1985, S. 113; siehe Jayme / Kohler, ebenda, S. 69); Luxemburg mit Wirkung zum 1. 9. 1986 (Jayme / Kohler, in IPRax 1988, S. 138 f.) und Belgien (Jayme / Kohler, in IPRax 1989, S. 341) mit Wirkung zum 1. 1. 1988. Allgemein dazu Pirrung, in v. Bar, S. 44 (ausführlich zu Luxemburg auf S. 55 - 57) und Reithmann / Martiny (Martiny), Rn. 4; ders. auch in MüKo (Martiny) vor Art. 27 EGBGB, Rn. 12 a; s. a. Hinweis bei Jayme / Hausmann, Nr. 70, in Fn. 5. Eine vorzeitige Umsetzung wurde anfangs auch in den Niederlanden erwogen (siehe Pirrung, a.a.O., S. 45). Siehe dazu auch 3. b), Fn. 35 und ausführlich zur deutschen Umsetzung des E VU unter § 19 III. 1. In den Vorentwürfen zum italienischen IPRG wurden zunächst autonome nationale Vorschriften zum Vertragsrecht formuliert, die sich zwar am EVÜ orientierten, jedoch auch einige Abweichungen enthielten (siehe § 14 1., Fn. 2). In der endgültigen Fassung des Gesetzes hat sich der Gesetzgeber dann für einen Hinweis auf das römische Abkommen entschieden (Art. 57 IPRG); ausführlich dazu siehe unter § 14. 59 Siehe Hinweis von Siehr, in FS v. Overbeck, S. 213 f., in Fn. 32; allgemein zur Kopiermethode durch Nichtvertragsstaaten siehe 3. b). 60 Beispiele siehe Fn. 72 und 74. 61 Boele-Woelki (Fn. 9), S. 265 unter 1.; zu den Vorschriften siehe Kokkini-Iatridou / Boele- Woelki, in NIPR 1992, S. 485. Zu Quelle der „Skizze" siehe Anhang I. 62 Siehe dazu unter § 181. 1.
§10 Die Staatserträge und das IPRG
129
nationalen Bestimmungen diesen zu übersehen oder über dessen Vorrang zweifeln zu müssen63. Dem schweizerischen Vorbild folgend, hat nunmehr auch der italienische Gesetzgeber die Hinweismethode bevorzugt (Artt. 3 II 1, 42 I, 45, 57, 59 I IPRG - sog. rinvio materiale 64)65. Auch wenn der zunehmende Abschluss von sog. erga-omnes-Staatsverträgen Ausgangspunkt für die Diskussion über die Hinweis- und Kopiermethode war 66, so ist deren Anwendung nicht auf die Einarbeitung dieser Abkommen beschränkt. Der Gesetzgeber kann auch durch die Integration sonstiger staatsvertraglicher Regelungen diese innerstaatlich zu einem loi uniforme „erheben". Dies ist i. R. d. Kopiermethode unbestritten, gilt jedoch auch für die Hinweismethode. Insofern ist der im Zusammenhang mit dem schweizerischen IPRG vertretenen Ansicht zu widersprechen, dass die Hinweismethode sich nur für allseitige Übereinkommen eigne67. Dies zeigt schon das schweizerische IPRG selbst durch die Anwendung der Hinweismethode für das nicht als loi uniforme ausgestaltete MSA (Art. 13 MSA) und die innerstaatliche Aufhebung dieser Beschränkung (Art. 85 II IPRG). Der Grund für diese Einschätzung liegt wohl in der unsauberen Definition von erga-omnes-Verträgen begründet, da man bereits bei einer unbeschränkten Anwendung der Abkommen „hinsichtlich der (Vertrags-)Staaten" von allseitigen Staatsverträgen spricht68. 63 Im deutschen EGBGB ist trotz der eindeutigen Bestimmung des Art. 3 II 1 EGBGB umstritten, ob die Artt. 18, 26 EGBGB von den ihnen zugrunde liegenden staatsvertraglichen Vorschriften im Rahmen deren Anwendungsbereiches verdrängt werden (siehe § 19 III. 3. a), Fn. 145); zu Art. 3 II 1 EGBGB siehe i. E. hier unter II. 1., Fn. 108. Lediglich i. R. d. Artt. 27 - 37 EGBGB (EVÜ) ist diese Frage durch Art. 2 II des deutschen Zustimmungsgesetzes (keine unmittelbare Anwendung des EVÜ) geklärt (siehe § 19 III. I.und3.a)). 64 Zur Nomenklatur siehe Exkurs unter 3. a). 65 Allgemein zu den besonderen Hinweisnormen des IPRG siehe hier unter II. 2. sowie ausführlich in Kapitel IV (Artt. 42 I, 45, 57, 59 I IPRG) und Kapitel V., § 16 II. 4. b) (Art. 3 II 1 IPRG). 66 Siehe 3. c) Ende. 67 Siehe Botschaft, S. 35 („zweite Gruppe von Staatsverträgen"); ebenso Keller, in FS v. Overbeck, S. 279 f. und auf diesen Standpunkt des schweizerischen Gesetzgebers hinweisend Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 73. Auch i. R d. Vorarbeiten zum italienischen IPRG ging Vitta davon aus, dass sich die Hinweismethode „aus praktischen und logischen Gründen" nur für erga-omnes-Verträge eignet (Vitta, Postilla, in Problemi, S. 646, Nr. 3 Ende). Dem widerspricht auch die niederländische „Skizze" zu einem IPR-Gesetz, deren Hinweise sich nicht nur auf allseitige Verträge beziehen; siehe dazu Boele- Woelki (Fn. 9), S. 265 bei Fn. 9. 68 Zur Definition der erga-omnes-Abkommen siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a); die Literatur spricht beim MSA insofern z. T. von einem „Staatsvertrag quasi erga omnes" (siehe Exkurs, a.a.O., Fn. 39). Auch die „Skizze" zu einem niederländischen IPRG
130
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
Selbst das Bestehen einer solchen Beschränkung schließt jedoch den Rückgriff auf die Hinweismethode nicht aus. Nationale Bestimmungen können auch in diesem Fall die Anwendbarkeitsschranken eines Abkommens durch einen allgemeinen Hinweis auf den Vertrag innerstaatlich aufheben 69. Es steht dem Gesetzgeber frei, bei der Ausgestaltung von eigenen IPR-Normen auf andere Regelungen der innerstaatlichen Rechtsordnung zu verweisen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob diese Vorschriften rein nationalen oder staatsvertraglichen Ursprungs sind. Vertragsstaaten eines Abkommens verstoßen dadurch auch nicht gegen ihre internationalen Verpflichtungen. Ob Hinweise auf Staatsverträge, die unter einem „Gegenseitigkeitsvorbehalt"70 stehen, generell oder im Einzelfall sinnvoll sind, ist eine andere Frage. In der Praxis wird sich diese Frage nur in Ausnahmefallen stellen, da neuere Übereinkommen derartige Beschränkungen nicht mehr enthalten71. Bei beiden Gesetzestechniken kann die Einbeziehung des Vertrages entweder rein deklaratorischer Natur sein72 oder auch konstitutiv73 dessen Anwendungsbereich auf konventionsfremde Bereiche ausweiten. Eine solche Erwei-
verwendet die Hinweisnormen nicht nur in Bezug auf erga-omnes-Abkommen (siehe Boele-Woelki (Fn. 9 und 61), S. 265 bei Fn. 9, auch unter Erwähnung des MSA als nicht allseitigen Vertrag). Allgemein zum MSA i. RL d. IPRG siehe § 12. 69 Das Beispiel des Art. 59 I italienisches IPRG im Hinblick auf die Artt. 10 Nr. 2 (W), 9 Nr. 2 (S) trifft nicht ganz diesen Fall, da es sich bei den staatsvertraglichen Vorschriften nicht um feste Beschränkungen des Anwendungsbereiches handelt, sondern um Fakultativklauseln. Der italienische Gesetzgeber hat insofern durch Art. 59 I IPRG keine Beschränkung „hinsichtlich der (Vertrags-)Staaten" aufgehoben, sondern lediglich klargestellt, dass er von der Möglichkeit der Fakultativklauseln keinen Gebrauch machen will (siehe dazu § 15 V. 1.). 70 Zu den Formulierungen infrüheren Staatsverträgen siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a), bei Fn. 27. 71 Siehe dazu Exkurs unter § 11 II. 2. a), bei Fn. 30. 72 Beispiele zur Hinweismethode: Artt. 24 I, 49, 83 I, 85 I, 93 I, 118, 134, 194 schweizerisches IPRG; zur Kopiermethode siehe Art. 18 EGBGB (USTA). Dem Art. 194 schweizerisches IPRG kommt seit der Rücknahme des Vorbehaltes nach Art. I. Abs. III des New Yorker UN-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. 6. 1958 (siehe § 14 III. 2. d) bb), Fn. 70) nur deklaratorische Bedeutung zu (zur Rücknahme siehe den Bundesbeschluss vom 17. 12. 1992, in AS 1993, S. 2434 (2439)). Erweitert wird der Anwendungsbereich des Abkommens jedoch durch dessen sinngemäße Anwendung über Art. 192 II IPRG (Fn. 74). Allgemein zum Einfluss der Hinweisnormen auf konventionale Vorbehalte siehe § 11 II. 2. c). 73 Der Einwand von Keller, in FS v. Overbeck, S. 282, dass der Ausdruck „konstitutive Hinweisnormen" ein contradictio in adjecto sei, ist in der Sache zwar korrekt (ebenso Lüderitz, IPR, S. 26. Fn. 28 zum Begriff der „Hinweisnorm"), die Bezeichnung „Hinweisnormen" sollte jedoch als eingebürgerter Begriff beibehalten werden (siehe dazu Henrich, IntFamR, S. 172 und Jayme, Narrative Normen, S. 10, Fn. 2).
§10 Die Staatserträge und das IPRG
131
terung kann ausdrücklich erfolgen 74 oder sich bei Hinweisnormen aus deren Formulierung ergeben 75. Die Vor- und Nachteile der Hinweis- und Kopiermethode sind bereits angedeutet und i. R. d. Vorarbeiten zur deutschen und schweizerischen IPRReform ausgiebigst erörtert worden 76 . Der Vorteil der Hinweismethode liegt vor allem darin, dass sich der Rechtsanwender immer des staatsvertraglichen Ursprungs der von ihm anzuwendenden Regelung bewusst ist, was vor allem bei Auslegungsfragen von großer Bedeutung sein kann 77 . Zudem verhindert die Gesetzestechnik Abweichungen zwischen den konventionalen und nationalen Bestimmungen 78 . Ein Nachteil der Hinweismethode liegt jedoch in der Abhängigkeit von der völkerrechtlichen Wirksamkeit des Staatsvertrages 79. Dies wirkt sich allerdings nur auf die Frage der Gültigkeit des Vertrages aus. Da die Hinweise die Regelungen internationaler Abkommen generell übernehmen, um sich diesen anzupassen, erfassen sie auch inhaltliche Änderungen einzelner staatsvertraglicher Bestimmungen 80 . Durch die Hinweismethode werden die Übereinkommen grundsätzlich in ihrer aktuellen Fassung adaptiert; ähnlich wie 74 Zur Kopiermethode siehe Art. 26 IV EGBGB (Fn. 57); zur Hinweismethode siehe Artt. 83 II, 85 II, 93 II, 192 II schweizerisches IPRG. 75 Zur EVÜ-Erweiterung auf Grund des Anknüpfungsgegenstandes von Art. 57 italienisches IPRG („vertragliche Schuldverhältnisse") siehe § 14 III. mit Zusammenfassung unter § 14 IV. Die in den Artt. 42 II, 59 II italienisches IPRG angegebenen Ausdehnungen der Anwendungsbereiche des MSA (Art. 42 IPRG) und der Genfer Wechsel- und Scheckrechtsabkommen (Art. 59 IPRG) sind bereits aus der in-ogni-casoFormel zu entnehmen (siehe § 12 IV. bzw. § 15 V. 1. c) aa)); lediglich die in Art. 42 II IPRG festgelegte Bestimmung der Minderjährigkeit allein nach dem Heimatrecht des Betroffenen wirkt konstitutiv (siehe dazu § 12 III. 1.). 76 Siehe auch 3. b), nach Fn. 37 und 3. c), bei Fn. 40; zu einer ausführlichen Untersuchung siehe Siehr, in BerDGesVölkR Heft 27 (1986), S. 45 - 145. 77 Zum Grundsatz der autonomen Auslegung von Staatsverträgen siehe § 181. 1. 78 Siehe vor allem bei Fn. 55 - 57 zu den Abweichungen der deutschen EVÜUmsetzung zum Römischen Abkommen. 79 Siehe dazu 3. b), Fn. 36. 80 Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 90 (Nr. 2). Eine andere Ansicht vertritt Gebauer, in JbltR Bd. 9 (1996), S. 67, Fn. 31 (siehe Fn. 28), der hierbei offensichtlich vom Verfassungsrecht auf das IPR schließt (siehe den Hinweis auf Barile , Istituzioni di diritto pubblico, 6. Auflage, Padua 1991, S. 63). Gebauer übersieht jedoch, dass der Begriff des rinvio materiale / non recettizio im Völkerrecht in einem anderen Zusammenhang verwendet wird, nämlich zur Beschreibung der Umsetzung von Staatsverträgen durch den sog. ordine di esecuzione (siehe § 8 III., Fn. 17). Eine derartige „Transformation" übernimmt internationale Abkommen selbstverständlich nur in ihrer Fassung zum Zeitpunkt der Rezeption; Vertragsänderungen müssen demzufolge extra umgesetzt werden, um innerstaatliche Wirkung zu entfalten (siehe dazu in der italienischen verfassungsrechtlichen Literatur Morelli , Nozioni, S. 92; Crisafulli, Lezioni I, S. 68 f. und Barile , Lezioni, S. 246). Deshalb spricht man dabei auch - im Gegensatz zu Art. 10 I cost, (siehe nächste Fußnote) - von einem „rinvio fisso" („starre Verweisung"; siehe Fn. 17).
132
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
bei Art. 10 I cost.81 kann man insofern auch von einem ,/invio mobile" sprechen82. Im speziellen Fall des italienischen IPRG ergeben sich allerdings dadurch Probleme, dass die Hinweisnormen auf die innerstaatlichen Umsetzungsgesetze zu den Konventionen verweisen83.
5. Die Reform des internationalen
Vertragsrechts
im österreichischen
IPRG
Einen vollständig anderen Weg hat in jüngster Zeit der österreichische Gesetzgeber bei seiner Neuregelung des internationalen Schuldvertragsrechts beschritten84. Durch den Beitritt Österreichs zur EU und damit auch zum EVÜ 85 war es notwendig geworden, das bisherige Vertragsrecht des IPRG (§§ 35, 36, 38 - 44 IPRG) zu reformieren. Die allseitige Anwendung des Römischen Abkommens hätte das nationale Kollisionsrecht ohnehin überflüssig gemacht. Bei der Ausarbeitung der Reform hat der Gesetzgeber ausdrücklich die im deutschen IPR praktizierte Kopiermethode aufgrund der oben geschilderten Nachteile verworfen 86. Man hat sich insofern zwar - ähnlich wie Art. 57 des italienischen IPRG - für einen Hinweis auf das EVÜ entschieden, das Abkommen aber nicht umfassend für alle vertraglichen Schuldverhältnisse zur Anwendung berufen. Vielmehr wurde rein deklaratorisch auf den Staatsvertrag in seinem originären Anwendungsbereich verwiesen und für die übrigen Materien des Vertragsrechts 87 allein die Möglichkeit einer Rechtswahl angeboten
81
Siehe dazu § 8 II, Fn. 13. Die italienische Literatur spricht bei Art. 10 I cost, insofern auch von einem „adattamento continuo"; die allgemeinen Regeln des Völkerrechts werden somit in ihrem aktuellen Zustand in das italienische Recht übernommen (Morelli, Nozioni, S. 96; Crisafulli, Lezioni I, S. 69 und Capotorti , Corso, S. 188). 82 I. d. S. Gaja, in Convegno di Crotone, S. 27; s. a. Jayme / Kohler, in IPRax 1996, S. 379, II. 1. („umfassende und dynamische Verweisung"). 83 Siehe dazu unter § 11 II. 2. d). 84 Siehe dazu Horn / Posch, Kritische Anmerkungen zum Entwurf des BMfl über die Neuordnung des österreichischen internationalen Schuldvertragsrechts, in ZfRV 1998, S. 45 - 52 (zum Entwurf des Justizministeriums); Jayme / Kohler, in IPRax 1998, S. 425 (zur Regierungsvorlage); ausführlich Rudisch, Der Beitritt Österreichs zum Römer Schuldvertragsübereinkommen, in RabelsZ 1999, S. 7 0 - 106 und Heiss / Mayr, Neuerungen im österreichischen internationalen Verfahrens- und Vertragsrecht, in IPRax 1999, S. 305 (308-310). 85 Siehe § 14 I., Fn. 4 zum dritten Beitrittabkommen und zum Inkrafttreten des EVÜ in Österreich. 86 Siehe Rudisch (Fn. 84), S. 83 und Heiss/Mayr (Fn. 84), S. 308 (II. 1.). 87 Siehe § 14 III. 2. zu Art. 1 II EVÜ.
§ 10 Die Staatserträge und das IPRG
133
(§ 35 I österreichisches IPRG n. F.)88. Die objektiven Anknüpfungen wurden ersatzlos gestrichen (§§ 36 - 45 österreichisches IPRG a. F.), wovon nicht nur das Vertragsrecht betroffen war, sondern auch § 37 österreichisches IPRG a. F. zu einseitigen Rechtsgeschäften und § 45 österreichisches IPRG a. F. zur akzessorischen Anknüpfung abhängiger Geschäfte 89. Dies führt dazu, dass außerhalb des EVÜ bei fehlender Rechtswahl auf den allgemeinen Grundsatz der „stärksten Beziehung" gemäß § 1 I österreichisches IPRG zurückgegriffen werden muss90. Auch wenn im Rahmen dieser Generalklausel in der Vergangenheit - parallel zu Art. 4 II EVÜ - vielfach auf die „charakteristische Leistung" abgestellt wurde 91, so kommt die gewählte Regelung doch einer „Nichtnormierung" der objektiven Anknüpfung im Vertragsrecht gleich. Durch die Beibehaltung einer (minimalistischen) eigenständigen nationalen Regelung verhindert der österreiche Gesetzgeber eine Harmonisierung von staatsvertraglichem und innerstaatlichem Recht, was in der Sache zu bedauern ist92. Im Gegensatz zum italienischen IPRG (Art. 57 IPRG) - aber auch zum deutschen EGBGB (Artt. 27 - 37 EGBGB) - gewährt dieser „negative Hinweis" jedoch zumindest Rechtssicherheit im Hinblick auf den Anwendungsbereich der nationalen Vorschriften 93. 88
§ 35 I IPRG n. F. (s. a. Jayme / Kohler [Fn. 84]). „(1) Schuldverhältnisse, die nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens vom 19. Juni 1980 über das auf die vertraglichen Schuldverhältnisse anzuwendende Recht fallen, sind nach dem Recht zu beurteilen, das die Parteien ausdrücklich oder schlüssig bestimmen (§ 11). "
§ 11 österreiches IPRG enthält eine allgemeine Vorschrift zur Rechtswahl. Zum ähnlichen Wortlaut des Mi ni steri aient wurfes siehe Horn / Posch (Fn. 84), S. 52; der Entwurf hat lediglich in einem Zusatz - entsprechend dem Wortlaut des § 35 I 2. Hs. österreichisches IPRG a. F. - den Fall einer sog. „Geltungsannahme" der schlüssigen Rechts wähl Vereinbarung gleichgesetzt. Durch die Streichung der „Geltungsannahme" hat sich die Neuregelung des § 35 I dem Art. 3 I EVÜ angepasst. 89 Siehe auch Jayme / Kohler (Fn. 84). Der vorangegangene Ministerialentwurf wollte noch den § 37 a. F. in geänderter Formulierung sowie den § 45 a. F. aufrecht erhalten. Im Hinblick auf die Streichung des § 37 a F. wird zwar eingeräumt, dass einseitige Rechtsgeschäfte den Bereich des Schuldvertragsrechts nicht betreffen, im Gegensatz zum bisherigen Recht wird jedoch auch hier der Grundsatz der „stärksten Beziehung" in § 1 für ausreichend erachtet; letzteres gilt auch für die Streichung des § 45 (siehe dazu Heiss/Mayr (Fn. 84), S. 308 f., unter 2. c), d)). 90 Insofern kritisch Horn / Posch (Fn. 84), S. 49 f. und allgemein S. 51 f. und im Anschluss daran auch Jayme / Kohler (Fn. 84). 91 Siehe dazu Rudisch (Fn. 84), S. 89. 92 Horn / Posch (Fn. 84), S. 51 (Nr. 4) bevorzugen insofern die vom italienischen Gesetzgeber gewählte Lösung in Art. 57 IPRG; ausführlich dazu siehe unter § 14. 93 Im Gegensatz dazu ergeben sich bei der italienischen und deutschen Regelung Zweifel im Hinblick auf ihren sachlichen Anwendungsbereich; siehe zu Art. 57 IPRG unter § 14 III. und zur analogen Anwendung der Artt. 27 - 36 EGBGB unter § 19 III. 4. b).
134
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staats Verträgen
II. Die Umsetzung der Techniken in das IPRG 1. Die allgemeine Hinweisnorm des Art 21 IPRG
In der allgemeinen Hinweisnorm des Art. 2 I (sog. ,/invio formale" 94) bestimmt das IPRG, dass die fiir Italien in Kraft befindlichen internationalen Verträge durch das Gesetz nicht berührt werden95. Die Regelung wurde durch die Expertenkommission in den Gesetzesentwurf eingestellt96. Der Gesetzgeber wählte dabei eine Formulierung, die in Staatsverträgen97 und anderen nationalen IPR-Gesetzen98 weite Verbreitung findet, jedoch im italienischen Recht neu ist". Die Bestimmung erfüllt zum einen eine Hinweisfunktion. Der das IPRG anwendende Richter soll an internationale Verträge, die dieselbe Materie regeln wie das IPRG, „erinnert" werden100. Darüber hinaus soll durch die Norm klargestellt werden, dass frühere Staatsverträge anwendbar bleiben und nicht durch das neue Gesetz nach der allgemeinen lex-posterior-Regel 101 des Art. 15 disp. prel. aufgehoben werden 102. Die Vorschrift begründet nach ihrem Wortlaut jedoch keinen Vorrang der internationalen Abkommen vor dem IPRG. Auch wenn die Expertenkommis94
Zur Terminologie siehe Exkurs unter I. 3. a), Fn. 24. Art. 2 I IPRG: „Le disposizioni della presente legge non pregiudicano I ' applicazione delle convenzioni internazionali in vigore per l ' Italia . " 96 In Vittas „progetto" (§11., Fn. 12) hatte eine derartige Norm noch gefehlt. 97 Ζ. B. Art. 21 EVÜ, Art. 19 USTA und Art. 57 I EuGVÜ (Art. 71 I EuGVO). 98 Siehe Beispiele unter I. 2., Fn. 13. 99 Bariatti, Com., NLCC, S. 890 f., die selbst die i. R. d. der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (siehe § 5 III. 1.) gewählt Formulierung der Art. 832 II, 840 VI c. p. c. vorzieht („Sono in ogni caso salve le norme stabilite in convenzioni internazionali "). Ein Unterschied zwischen den beiden Formulierungen („salve" „non pregiudicano") ist jedoch schwerlich zu erkennen (siehe Übersetzungen der Schiedsrechtsbestimmungen von Bauer u. a., c. p. c., S. 561 bzw. 567 und Maglio , in IPRax, 1996, S. 225 (227 f. - „unberührt"). 100 Mosconi , DIPP I, S. 11 („ricognitiva e pedagogica"); ebenso Bariatti, Com., NLCC, S. 890 (wie Mosconi) und S. 891 („ ... può ricordare all'interprete la loro esistenza ..."). Lettieri , in RDI 1987, S. 330 f. spricht auch bei den allgemeinen Hinweisnormen von einem „metodo pedagogico parziale" und bei den besonderen Hinweisnormen von einem „metodo pedagogico totale". 101 Zur Anwendbarkeit der lex-posteriore-Regel im Verhältnis von Staatsverträgen zum nationalen Recht siehe § 9, insbesondere § 9 I., Fn. 12. 102 Pesce, in RIW 1995, S. 978, Fn. 15 und Bariatti, Com., NLCC, S. 891 („ ...far salva I ' applicazione delle norme di origine internazionale. "); ebenso die amtliche Begründung zu § 53 österreichisches IPRG (Fn. 107) und die Begründung zum Entwurf von Neuhaus / Kropholler zum deutschen IPR (Fn. 108). 95
§10 Die Staatserträge und das IPRG
135
sion in ihrem Bericht diesen Vorrang erwähnt 103 , so lässt die gewählte Formulierung die Frage offen 1 0 4 . Der Vorrang von Staatsverträgen im italienischen IPR lässt sich somit allein aus den allgemeinen Grundsätzen der leges speciali bzw. leges posteriori ableiten 105 . Gleiches dürfte auch für die entsprechenden Vorschriften des schweizerischen 106 und österreichischem 107 IPRG gelten. Lediglich der Art. 3 II 1 des deutschen EGBGB spricht ausdrücklich von einem Vorrang völkerrechtlicher Vereinbarungen. Trotzdem ist dessen konstitutive Wirkung umstritten 108 .
103 104
Siehe zum Kommissionsentwurf, in RDIPP 1989, S. 949 zu Art. 2. 1 , d. S. Baratti , Com., NLCC, S. 890; Carbone , Com, RDIPP, S. 914; Pocar,
SIDI, S. 231 (ders. spricht jedoch in IPRax 1996, S. 146 von einer Bestätigung des Vorrangs durch Art. 2 I IPRG) und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 234, III. 1. 105 Siehe dazu § 9 I. und insbesondere III. 106
Art. 1 II schweizerisches IPRG: „ Völkerrechtliche
Verträge
sind vorbehalten
Keller, in FS v. Overbeck, S. 278 („rein deklarativ"); ebenso Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 73; a. A. Meyer-Sparenberg, S. 80 mit Hinweis auf die systematische Stellung bei der Regelung des Geltungsbereich des Gesetzes und den gesetzgeberischen Willen. 107 § 53 österreichisches IPRG: „Bestimmungen zwischenstaatlicher Vereinbarungen werden durch dieses Bundesgesetz nicht berührt Auch Siehr, in BerDGesVölkR, Heft
27 (1986), S. 72 spricht der Bestimmung lediglich einen deklaratorischen Charakter zu. A. A. Meyer-Sparenberg, S. 78, der sich auf die amtliche Begründung zum österreichischen IPRG beruft (siehe Feil, S. 272), die die Bedeutung der Vorschrift in der Verhinderung einer „materiellen Derogation" sieht (ebenso Begründung von Schwind zum gleichlautenden § 40 seines IPRG-Entwurfes, in ZfRV 1971, S. 161 (173 [Text] und 245 [Begründung]). Dies bedeutet jedoch nur, dass frühere Staatsverträge durch das neue IPR-Gesetz nicht als lex posteriore außer Kraft gesetzt werden (siehe Fn 102). 108
Die Gesetzesbegründung bezeichnet die Bestimmung - ebenso wie Teile der Literatur (MüKo (Sonnenberger), Art. 3 EGBGB, Rn. 10; v. Hoffmann, IPR, § 1, Rn. 75) - als „bloße Hinweisvorschrift", die die Ansicht der h. M. wiedergibt (BT-Drucks. 10 / 504, S. 36); s. a § 19 III. 3. a). Meyer-Sparenberg, S. 64 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Transformationskompetenz kein über dem Gesetz stehendes Recht schaffen kann. Bei Art. 3 II 1 EGBGB geht es jedoch nicht darum, Staatsverträge als übergesetzliches Recht zu normieren, sondern nur um das Verhältnis eines nationalen Gesetzes (EGBGB) zu einem anderen Gesetz (transformierte Staats Verträge); einer derartiges Verhältnis innerstaatlicher Rechtsnormen kann vom Gesetzgeber in jedem Fall festlegt werden. Im Ergebnis geht Meyer-Sparenberg insofern auch von einer teilweise konstitiutiven Wirkung des Art. 3 II 1 EGBGB aus (siehe im Folgenden). Den Gesetzesmaterialien kann nicht gefolgt werden (i. d. S. Pal. (Heldrich), Art. 3 EGBGB, Rn. 7 [„teilweise konstitutiver Charakter", d. h. beschränkt auf die im EGBGB geregelten Materien]; ebenso Meyer-Sparenberg, S. 68 und Staudinger (Hausmann), Art. 3, Rn. 16 sowie zu den gleichlautenden Bestimmungen ihrer IPR-Entwürfe Kühne, S. 39 f. [Art. 1 - siehe Fn. 51] und Neuhaus / Kropholler [Art. 31; siehe RabelsZ 1980, S. 325 (337)]). Zum einen sind dem Spezialitätsgrundsatz durchaus Grenzen gesetzt (Fn. 110), zum anderen entfaltet die Norm auch dann Wirkung, wenn sie die momentane Rechtslage lediglich wiedergibt. Diese wird dadurch nämlich als geltendes Recht festge-
136
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
Im Ergebnis kann die Frage jedoch dahingestellt bleiben, da die Praxis über den lex-specialis-Grundsatz immer zu einem Vorrang des staatsvertraglichen Rechts gelangt109, obwohl dieser nicht uneingeschränkt gilt 110 .
2. Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 3 II 1, 42 I f 45, 57, 591 IPRG
Besondere Hinweisnormen (sog. rinvio materiale111) enthält das IPRG in zweierlei Form. Zum einen bestimmt der Art. 3 II 1 IPRG, dass der wesentliche Teil der Zuständigkeitsvorschriften des EuGVÜ (Artt. 5 - 1 5 EuGVÜ = Artt. 5 - 1 7 EuGVO) auch für den Fall Anwendung finden, dass der Wohnsitz des Beklagten sich nicht in einem Vertragsstaat des Abkommens befindet 112. Zum anderen erklären die Artt. 42 I, 45, 57, 59 I IPRG internationale Konventionen von wesentlicher Bedeutung für „auf jeden Fall" („in ogni caso") anwendbar. Der Hinweis bezieht sich insofern auf die inhaltlichen113 Regelungen der Abkommen. Über die gesetzgeberische Intention dieser Regelungen besteht zwar weitestgehend Einigkeit, deren Bedeutung und Auswirkungen sind jedoch im Einzelnen noch zu klären 114. Auch die Vorentwürfe zum IPRG haben den Artt. 42 I, 45, 57, 59 I IPRG ähnliche Hinweisnormen enthalten. Nach heftigen Diskussionen115 im schrieben und ändert sich nicht durch ein eventuelles Umschwenken der h. M. Der Rechtsanwender muss sich auf den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift verlassen können und darf nicht auf einen „geheimen Vorbehalt" in den Gesetzesmaterialien verwiesen werden. Auch die neuere Rechtsprechung beruft sich zur Begründung des Vorrangs zumeist auf Art. 3 II 1 EGBGB (OLG Karlsruhe, in FamRZ 1989, S. 896 (897) und OLG Hamm, in FamRZ 1993, S. 111 (113); ebenso Stein / Jonas (Schlosser), 21. Auflage [siehe § 9 II. 1., Fn. 23]). Zur umstrittenen Frage des Vorranges der Artt. 18, 26 EGBGB vor den zugrunde liegenden Staatsverträgen siehe § 19 III. 3. a), Fn. 145, s. a. hier unter I. 4., Fn. 63. 109 Ebenso Meyer-Sparenberg, S. 69. 110 Siehe in § 9. 111 Zur Terminologie siehe Exkurs unter I. 3. a), Fn. 26. 112 1. E. dazu siehe § 16 II. 4. b). 113 Siehe vor allem § 11 II. 2. b) und c) zum zeitlichen Anwendungsbereich und den staatsvertraglichen Vorbehalten. 114 Siehe dazu ausführlich in Kapitel IV. (§ 11 [allgemein] und §§ 12 - 15 zu den einzelnen Hinweisnormen). 115 Zur Diskussion i. R. d. der Tagung von Rom von 1984 (siehe § 1, Fn. 13) über die Frage der allgemeinen und besonderen Hinweisnormen siehe Vitta, Postilla, in Problemi, S. 641 - 646 (Nr. 3); s. a. Lettieri, in Jayme / Mansel, S. 208, Nr. 3 b). Zur Kritik an den Hinweisnormen siehe in Problemi Gaja, S. 598 - 601, Rigaux, S. 609 - 611 und Pocar, S. 612 - 651 sowie Bariatti, S. 607 - 609 (Interpretationsprobleme).
§10 Die Staatserträge und das IPRG
137
Anschluss an Vittas „progetto" hatte sich eine Mehrheit in der Lehre dafür ausgesprochen, die Hinweismethode - ebenso wie in Vittas Entwurf 1 1 6 - nur auf erga-omnes-Verträge 117 anzuwenden 118 . Im späteren Kommissionsentwurf fand sich zusätzlich ein Hinweis auf das New Yorker Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen zum Schiedsrecht von 1958 119 sowie auf das M S A 1 2 0 als Vertrag mit „quasi erga omnes"-Wirkung 121 ; der Hinweis auf das Haager Kaufrechtsabkommen von 1955 122 aus dem progetto Vitta wurde gestrichen 123 . Erst 116
Zum „progetto" Vitta siehe § 1 I., Fn. 12; der Entwurf enthielt folgende Hinweisnormen: Art. 23 I (USTA) und II (USTAK) zum Unter haltsrecht; Vittas Regelung war insoweit klarer, da auch das ältere Abkommen in der Vorschrift Erwähnung findet. Dessen Anwendungsbereich wird nämlich auch durch die „in ogni caso"-Formel des Art. 45 IPRG nicht geschmälert (dazu und zum Verhältnis der Verträge siehe § 13 II.
L).
Art. 40 II zum Haager Kauf rechtsabkommen vom 15. 6. 1955 (zu dem Abkommen siehe § 14 II. 1. a), Fn. 12). Das EVÜ trat erst am 1. 4. 1991 in Kraft (siehe § 14 I., Fn. 7). Nachdem Vittas Entwurf (Art. 3 8 - 4 8 ) und der Kommissionsentwurf (Art. 55 59) noch autonome Bestimmungen über vertraglichen Schuldverhältnisse enthielten, entschied sich die Justizkommission für eine Allgemeinverweisung auf das EVÜ (Art. 57 IPRG). I. E. dazu siehe § 14 I. Art. 51m den Genfer Wechsel- (Abs. II) und Scheckrechtsabkommen (Abs. III) vom
7. 6. 1930 bzw. 19. 3. 1931. In Abs. II 2 sowie Abs. III 2 wird klargestellt, dass Italien von den Fakultativklauseln der Art. 10 (WechselR) bzw. Art. 9 (ScheckR) der Abkommen keinen Gebrauch macht. Das IPRG enthält dementsprechende Vorschrift in Art. 59 I, II (siehe dazu § 15 und speziell § 15 V. 1. zu den Fakultativklauseln der Abkommen). Der Entwurf enthielt noch keine Bestimmungen über das Verfahrensrecht und demzufolge keine Bezugnahme auf das EuGVÜ. Das Verfahrensrecht wurde erst durch den Kommissionsentwurf integriert (siehe § 3 II. 1., bei Fn. 28, 29); die partielle Erweiterung des Anwendungsbereiches des EuGVÜ durch Art. 3 II 1 IPRG erfolgte jedoch erst durch die Überarbeitung der Justizkommission (siehe Fn. 124). Auch das Haager Minderjährigenschutzebkommen (MSA) vom 5. 10. 1961 findet noch keine Berücksichtigung, die Artt. 24, 25 des „progetto Vitta" enthielten diesbezüglich eine eigene Regelung (siehe § 12 I. 2.). Zum Hinweis im Kommissionsentwurf siehe/7«. 120. 117 Zu dem Begriff siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). 118 1, d. S. in Problemi Vitta, Postilla, S. 645 f. und Siehr, S. 498 - 507 (500 f., Nr. 4); zu Siehr siehe vor allem in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 45 - 145 zur Kritik an der im deutschen EGBGB praktizierten Kopiermethode (siehe dazu I. 4., bei Fn. 49). Ebenso Lattieri, in RDI 1987, S. 321 (328 und 330). 119 Siehe dazu § 5 III. \.,Fn. 25. 120 Art. 40 Kommissionsentwurf, in RDIPP 1989, S. 939 f.); i. E. dazu (Art. 42 IPRG) siehe § 12. Das MSA ist jedoch in Italien erst am 23. 4. 1995 in Kraft getreten (siehe § 12,1, Fn. 6); der Hinweis wäre somit zum damaligen Zeitpunkt mangels Wirksamkeit des Abkommens in Italien „ins Leere gegangen" (siehe I. 3. c), Fn. 36). 121 Zu dem Begriff siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a), Fn. 39. 122 Siehe Fn. 116 zu Art. 40 II des „progetto Vitta". 123 Siehe RDIPP 1989, S. 942 f. zu Artt. 55 - 59 des Kommissionsentwurfes.
138
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
in der Endphase des Gesetzgebungsverfahrais wurde schließlich Art. 3 II 1 IPRG (EVÜ) eingefügt 124.
3. An Staatsverträge
angelehnte Normen des IPRG
Neben den ausdrücklichen Hinweisen auf internationale Abkommen hat sich der italienische Gesetzgeber auch bei der selbständigen Formulierung von Vorschriften des IZPR und des IPR vielfach an internationalen Vorgaben orientiert. Im Verfahrensrecht lehnen sich die Vorschriften weitestgehend an die Regelungen des EuGVÜ (nunmehr EuGVO) an; dies gilt in erster Linie für den Bereich der internationalen Zuständigkeit (Artt. 3 - 7 , 11 IPRG)125. Allgemeinen internationalen Standards entspricht auch der Titel IV des neuen IPRG zum Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht sowie zur internationalen Rechtshilfe (Artt. 6 4 - 7 1 IPRG)126. In Art. 3 II 1 IPRG enthält das Gesetz über die kollisionsrechtlichen „in ogni caso"-Vorschriften der Artt. 42 I, 45, 57, 59 I IPRG hinaus eine weitere Hinweisnorm127. Auch im allgemeinen Teil des IPR (Artt. 13-19 IPRG) folgt der Gesetzgeber den internationalen Entwicklungen. Auf entsprechende Parallelen wird an anderer Stelle eingegangen128. Im Bereich des speziellen Kollisionsrechts hat der italienische Gesetzgeber weit verbreitete und bedeutende Abkommen mittels der Hinweismethode in das IPRG übernommen129. Dieser Weg konnte nur dann beschritten werden, wenn der entsprechende Vertrag von Italien ratifiziert und innerstaatlich in Kraft gesetzt wurde 130. Ansonsten verblieb nur die Möglichkeit, eigenständige Kollisionsnormen zu formulieren.
124
Siehe dazu siehe § 1, Fn. 22. Siehe dazu in § 16 II. 126 Siehe Übersicht in § 16 I. 2. 127 Siehe unter 2. mit Hinweis in Fn. 112. 128 Siehe § 11 II. 2. e) zu den Artt. 13, 16 - 18 IPRG. Zu Art. 19 I IPRG (Staatenlose und Flüchtlinge) siehe § 16 II. 4. a) bb), in Fn. 88.; zu Art. 19 II IPRG (Mehrstaatlichkeit) siehe § 7 I., bei Fn. 24, 25. 129 Siehe oben unter 2. 130 Siehe dazu § 10 I. 3. b), bei Fn. 36. 125
§ 10 Die Staatserträge und das IPRG
139
Dabei wurden auf der einen Seite von Staatsverträgen abweichende Regelungen im innerstaatlichen IPR geschaffen 131. Anderseits werden jedoch an zahlreichen Stellen die Parallelen des neuen Kollisionsrechts zu staatsvertrag131 Art. 28 IPRG (Form der Eheschließung) erweist sich mit der alternativen Anknüpfung an das Orts- oder Heimatrecht bzw. das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts als wesentlich liberaler (favor validitatis) als Art. 5 I des Haager Eheschließungsabkommens von 1902 (RGBl. 1904, S. 221; s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 30), das allein auf das Ortsrecht abstellt (das Abkommen entfaltet noch zwischen Italien und Deutschland Wirkung - siehe Bek. vom 24. 12. 1954, in BGBl. 1955 II, S. 1). Auch Art. 2 des Haager Übereinkommens über die Eheschließung und die Anerkennung der Gültigkeit von Ehen vom 14. 3. 1978 (siehe StAZ 1977, S. 202 f. mit Bespr. Böhmer, S. 185 - 187; s. a. Hinweis bei Jayme / Hausmann, Nr. 30, Fn. 2) verweist nur auf das Ortsrecht. Allgemein zu den Formvorschriften des IPRG siehe § 3 II. 4. c).
Auch Art. 34 I IPRG (Legitimation durch nachfolgende Ehe) lässt alternativ die
Anwendung des Heimatrecht des Kindes oder eines Elternteils zu, während Art. 1 I des „Römischen Übereinkommens über die Legitimation durch nachfolgende Ehe" vom 10. 9. 1970 (zur amtlichen österreichischen Übersetzung siehe österreichisches BGBl. 1976, Nr. 102; auch abgedruckt in Jayme / Hausmann, Nr. 52) allein das Heimatrecht von Vater oder Mutter zur Anwendung beruft. Auch wenn das Abkommen, das für Italien seit dem 5. 8. 1978 in Kraft ist (siehe Jayme / Hausmann, Nr. 52, Fn. 1), gemäß seinem Art. 5 S. 1 auch gegenüber Nichtvertragsstaaten anzuwenden ist und insofern „allseitig" wirkt (zu dem Begriff siehe Exkurs in § 11 II. 2. a)), kommt die Neuregelung des IPRG zur Anwendung, da der Satz 2 des Art. 5 andere Regelungen zugunsten einer Legitimation zulässt. Die Artt. 31, 32 IPRG erleichtern durch ihre alternative kollisions- und zuständigkeitsrechtliche Anknüpfung die persönliche
Trennung von Ehegatten sowie die
Auflösung der Ehe erheblich gegenüber dem Haager Abkommen zur Ehescheidung und Trennung von Tisch und Bett vom 12. 6. 1902 (RGBl. 1904, S. 231); zur Anknüpfung in Italien nach bisherigem Recht siehe § 2 II. 3. Der Staatsvertrag wurde in Italien erst mit Wirkung zum 1.6. 1994 gekündigt (RDIPP 1990, S. 1082; s. a Hinweis bei Soergel (Schurig), Art. 17, Rn. 176 und Jayme / Hausmann, nach Nr. 32, Fn. 3); durch Art. 31
IPRG wird nunmehr insbesondere die kumulative Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht und das Recht des „Klageortes" in den Artt. 1 und 2 des Übereinkommens entschärft. Neben der Schwerpunktanknüpfung (Art. 31 I) ermöglicht vor allem die besondere ordre-public-Vorschrift des Art. 31 II IPRG eine Scheidung von Ehegatten im Anschluss an das Scheidungsgesetz von 1970 (siehe § 11 II. 2. e) bb), in Fn. 129). Die Artt. 38 - 41 IPRG zur internationalen Adoption (zu deren Verhältnis zum italienischen Adoptionsgesetz siehe § 5 III. 3., Fn. 47) weichen erheblich von den Vorschriften des Haager Adoptionsabkommens von 1965 (Text siehe BGBl. 1965 II, S. 1145; s. a Jayme /Hausmann, 8. Auflage, Nr. 33) ab, das sich in Italien nicht in Kraft befindet. Das neue Haager Adoptionsabkommen vom 29. 5. 1993 (Text siehe Jayme / Hausmann, Nr. 223 und Staudinger (Henrich), Vorb. Art. 22, Rn. 10 a) enthält keine Regelungen zum anwendbaren Recht und zur internationalen Zuständigkeit (siehe nur die Artt. 36 - 38 zur Rechtsspaltung); lediglich die Artt. 23 - 27 des Abkommens begründen im Gegensatz zu Art. 41 IPRG (siehe § 16 I. 2., Fn. 7) den Grundsatz der automatischen Anerkennung von Adoptionsentscheidungen zwischen den Vertragsstaaten. Das neue Abkommen ist in Italien am 1. 5. 2000 in Kraft getreten (siehe den Statusbericht zu der Konvention, Stand 31. 12. 2003, unter „http^/www.hcch.net/e/ status/stat33e."); zu dem Übereinkommen siehe Marx, Das Haager Übereinkommen über internationale Adoptionen, in StAZ 1995, S. 315 - 320 und Ubersicht bei Kegel / Schurig, IPR, § 20 XII. 4.
140
Kap. III: Allgemeines zum IPRG und den Staatserträgen
liehen Vorgaben sichtbar 132 . Im Einzelnen mag dabei dahingestellt bleiben, inwieweit internationale Abkommen übernommen oder nur allgemeine Grundsätze des IPR kodifiziert wurden. Von einer offensichtlichen Adaption staatsvertraglicher Regelungen kann jedoch bei den Bestimmungen zum Testamentsform- (Art. 48 IPRG) und zum Vollmachtsstatut (Art. 60 IPRG) gesprochen werden; in beiden Fällen ist Italien den entsprechenden Abkommen nicht beigetreten. Das Beispiel des Art. 63 IPRG (Produkthaftung) zeigt allerdings, dass der Gesetzgeber bei „misslungenen" Abkommen auch von konventionalen Vorbildern Abstand genommen hat. Die genannten Vorschriften sollen später genauer untersucht werden 133 .
132 Art. 27 S. 1 IPRG (Eheschließungsvoraussetzungen) entspricht Art. 1 des Haager Eheschließungsabkommens von 1902 (vorige Fußnote Anfang); beachte jedoch darüber hinaus Art. 116 c. c. (siehe § 5 III. 3., Fn. 36). Der 2. Hs. von Art. 1 des Übereinkommens sieht ausnahmsweise einen Renvoi i. R. e. Staatsvertrages vor und entspricht somit auch in diesem Punkt dem neuen Art. 13 IPRG (siehe § 11 II. 2. e) aa), Fn. 118). Dagegen verweist Art. 3 des Haager Eheschließungsabkommens von 1978 (vorige Fußnote) auf das materiellen Recht (Nr. 1) sowie das IPR (Nr. 2) des Ortsrechts. Der Satz 2 des Art. 27 IPRG enthält einen eingeschränkten Vorbehalt zugunsten von in Italien wirksamen Urteilen (s. a. § 3 II. 5. a) bb)); die Artt. 2, 3 des Abkommens legen demgegenüber weitergehende Einschränkungen zugunsten des Ortsrechts der Eheschließung fest.
Art.
30 IPRG erlaubt den Beteiligten von güterrechtlichen
Beziehungen von
Ehegatten in Anlehnung an Art. 3 des Haager Ehegüterabkommens vom 14. 3. 1978 (Text [franz. / engl.] in RabelsZ 1977, S. 554 - 569 mit Bericht von Beitzke, S. 457) erstmalig (bisher Art. 19 disp. prel.; zur Verfassungswidrigkeit des Absatzes I siehe § 2 III., bei Fn. 52) das Heimatrecht bzw. das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes eines Ehegatten zu wählen (Art. 31 I S. 2, II IPRG - s. a. I. 3. b), in Fn. 32 zum deutschen, österreichischen und schweizerischen Recht). Im Gegensatz zur staatsvertraglichen Regelung (Art. 3 I) muss die Rechtswahl jedoch nicht vor Eingehung der Ehe erfolgen (ebenso Art. 15 II EGBGB im deutschen IPR). Für Immobilien kann auch nicht das Ortsrecht gewählt werden (anders Art. 3 IV Ehegüterabkommen und Art. 15 II Nr. 3 EGBGB), so dass die Rechtsspaltung nicht möglich ist; für dingliche Immobilienrechte enthält Art. 30 III 2 IPRG jedoch einen Publizitätsschutz gegenüber Dritten. Auch die „objektiven" Anknüpfungen der Artt. 30 I 1, 29 IPRG (gemeinsames Heimatrecht, ansonsten Schwerpunktanknüpfung) ähneln dem Haager Abkommen (Art. 4 II, III); im Gegensatz zu einem Vorschlag der deutschen Delegation (siehe Beitzke, a.a.O., S. 467) ist in dem Übereinkommen allerdings der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten zur Regelanknüpfung erhoben worden. Das Haager Ehegüterabkommen ist im Übrigen nur in Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden in Kraft getreten. Siehe I. 3. b), Fn. 42 zum Schutzlandprinzip im Immaterialgüterrecht (Art. 54 IPRG). 133 Siehe unter § 17.
Kapitel
IV
Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 1,45, 57,591 IPRG (die „in ogni caso"-Formel)
§ 1 1 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
I. Allgemeine Diskussion
Weitestgehende Einigkeit besteht darüber, dass die in den Artt. 42 I, 45, 57, 59 1 IPRG verwendete Formulierung „in ogni caso" die erwähnten Staatsverträge zu einem „loi uniforme" erheben bzw. - soweit das jeweilige Abkommen schon in diesem Sinne ausgestaltet ist - diesen Charakter bestätigen soll. Den Abkommen soll also im Ergebnis erga-omnes-Wirkung 1 zukommen. Auch der Bericht der Expertenkommission spricht von einer „Überwindung" des Anwendungsbereiches der Konventionen und deren Anwendung erga omnes2. Den Abkommen soll in zweifacher Hinsicht zur Anwendung verholfen werden, nämlich zum einen durch den formalen Hinweis (,/invio formale") des Art. 2 I IPRG i. R. d. originären Grenzen der Verträge und zum anderen durch
1
Zum Begriff siehe Exkurs unter II. 2. a). RDIPP 1989, S. 949 f. zu Art. 2. Auf der einen Seite werden in dem Kommissionsbericht als Grenzen zwar nur dieselben des persönlichen Anwendungsbereiches („limiti soggetivi") erwähnt. Picone, in RDI 1996, S. 337, Fn. 144 (= SIDI, S. 90, Fn. 144) schließt daraus, dass der Gesetzgeber lediglich die Grenzen des persönlichen Anwendungsbereiches aufheben wollte. Auf der anderen Seite sollen gemäß dem Kommissionsbericht durch die besonderen Hinweisnormen die Materien der Abkommen „global geregelt" („globalmente regolata") werden. Unter „global" wird in diesem Zusammenhang - wie aus dem Kontext ersichtlich nicht nur die Erweiterung des räumlichen Anwendungsbereiches gesehen, sondern eine „umfassende" Regelung aller Aspekte der Materie („per tutti quegli aspetti della materia ") verstanden. Dadurch und vor allem durch den abschließenden Hinweis auf die erga-omnes-Anwendung der Verträge klärt die Kommission ihr dargestelltes Verständnis der Normen. Zu einer Auseinandersetzung mit der Begründung des Kommissionsberichtes siehe Broggini, in SZIER 1996, S. 7 f. 2
142
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
den materiellen Hinweis („recezione materiale") der „in ogni caso"-Bestimmungen, die den in den Übereinkommen geregelten Materien über die Grenzen ihres Anwendungsbereiches hinaus kraft gesetzgeberischen Willens zu einer weitergehenden Geltung verhelfen 3. Trotz alledem bleibt die Bedeutung der Formulierung „in ogni caso" in der italienischen Literatur umstritten. Einigkeit besteht lediglich insoweit, dass den Staatsverträgen durch die Bestimmungen die erwähnte erga-omnes-Wirkung zukommt. Die restriktivste Auslegung der Vorschriften geht davon aus, dass der Hinweis für die Staatsverträge, die von sich aus erga-omnes-Wirkung besitzen (Art. 45 IPRG zum USTA, Art. 57 IPRG zum EVÜ), rein deklaratorischer Natur sei und die übrigen Hinweise den Abkommen in Italien zu allseitiger Geltung verhelfen (Art. 42 IPRG zum MSA, Art. 59 IPRG zu den UN-Wechsel· und Scheckrechtsabkommen)4. Diese Interpretation findet Unterstützung im Wortlaut der Bestimmungen. Eine gesetzliche Klarstellung über den erweiternden Charakter der Hinweisnorm enthalten nämlich lediglich die letzteren Vorschriften (Artt. 42 II, 59 II IPRG). Als Minimalkonsens kann also festgehalten werden, dass die Artt. 42, 59 IPRG die in ihnen erwähnten Staatsverträge innerstaatlich zu erga-omnesAbkommen erheben. Genau genommen ist jedoch auch der Hinweis in Art. 59 II IPRG nur deklaratorischer Natur5. Neben der Frage der erga-omnes-Wirkung ist zudem zu klären, ob die Hinweisnormen auch eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches der Konventionen zur Folge haben. Eine solche Erweiterung könnte sich aus den vom italienischen Gesetzgeber gewählten Anknüpfungsgegenständen6 oder aus der „in ogni caso"-Formel selbst7 ergeben. In der Literatur wird die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches der Abkommen weitestgehend bejaht8. In welchem Maße dies der Fall ist, muss 3
Siehe Kommissionsbericht in RDIPP 1989, S. 949. Picone, in RDI 1996, S. 339 = SIDI, S. 92 f.; ders., in Convegno di Crotone, S. 406 f.; ebenso zu diesem Verständnis der Hinweisnormen Bariatti, Com., NLCC, S. 892 1. Sp. zu Art. 2 mit Hinweis auf das schweizerische IPRG (zu diesem siehe § 10 I. 4., Fn. 60). 5 Siehe § 15 V. 1. c) aa) zu Art. 59 II IPRG. 6 Zu den Anknüpfungsgegenständen der Vorschriften siehe unter 2. a). 7 In diesem Sinne Damascelli, in RDI 1997, S. 80 (Nr. 1 Ende). 8 Bariatti, Com, NLCC, S. 893 zu Art. 2; Pocar, in IPRax 1997, S. 146 (sachliche und persönliche Erweiterung); Kindler, in RabelsZ 1997, S. 236 f. (sachlich, zeitlich und „hinsichtlich der Vertragsstaaten"); Treves, Com., RDIPP, S. 1179 (Art. 57 IPRG für Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen); Broggini, in SZIER 1996, S. 7 f. Ablehnend jedoch Picone, in RDI 1996, S. 338 f. = SIDI, S. 91 - 93 im Hinblick auf die Artt. 45, 57 IPRG („narrativo" - S. 339 bzw. S. 93) mit Hinweis auf die ausdrücklichen Regelungen der Artt. 42 II, 59 II IPRG; ebenso Damascelli, in RDI 1997, S. 80 - 102. 4
§ 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
143
für jede Hinweisnorm einzeln untersucht werden9. Schwer nachvollziehbar erscheint hingegen Giardinas Standpunkt10, dahingehend zu differenzieren, ob die Konvention bereits als loi uniforme ausgestaltet ist (dann Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches) oder nicht (dann keine entsprechende Erweiterung). Unabhängig von der erga-omnes-Wirkung11 der Staatsverträge ist darüber hinaus zu bestimmen, ob durch die „in ogni caso"-Hinweisnormen der zeitliche Anwendungsbereich der Übereinkommen innerhalb Italien vorverlegt wurde. Es stellt sich dabei die Frage, in welchem Verhältnis die staatsvertraglichen Vorschriften zum Inkrafttreten der Abkommen zu der übergangsrechtlichen Bestimmung des Art. 72 IPRG stehen12.
II. Bewertung 1. Anknüpfungsgegenstände
Der italienische Gesetzgeber bestimmt, dass für den Schutz Minderjähriger (Art. 42 IPRG), für die Unterhaltsverpflichtungen in der Familie (Art. 45 IPRG), für die vertraglichen Schuldverhältnisse (Art. 57 IPRG) und für das Wechsel- und Scheckrecht (Art. 59 IPRG) die entsprechenden internationalen Konventionen „in jedem Fall" Anwendung finden. Er legt somit in eigenen nationalen Normen fest, für welche Rechtsgebiete (Anknüpfungsgegenstände) die Verträge anzuwenden sind. Die Auslegung der dabei verwendeten Rechtsbegriffe erfolgt grundsätzlich nach der italienischen
9
Siehe dazu die §§ 12-15. Giardina, Les caractères généraux de la réforme, in Rev. crit. 1996, S. 8 f. Ebenso Mosconi , DIPP 1, S. 18 f. der aus diesem Grunde lediglich den sachlichen Anwendungsbereich des EVU durch Art. 57 IPRG erweitert sehen will; Mosconi übersieht dabei zwar, dass auch das USTA (Art. 45 IPRG) bereits von sich aus als erga-omnesAbkommen ausgestaltet ist (so auch die Kritik von Kindler, in RabelsZ 1997, S. 236 in Fn. 47). Im Ergebnis bleibt dies jedoch ohne Wirkung, da Art. 45 IPRG keine sachliche Ausdehnung des USTA bewirkt (siehe § 13 III.). 11 Siehe Exkurs unter II. 2. a). 12 Siehe dazu unter II. 2. b); zu Art. 72 IPRG siehe § 6 II. 10
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
lex fori 13. Durch sie wird der sachliche und ζ. T. auch der persönliche14 Anwendungsbereich der Abkommen auf nationaler Ebene umrissen. Sofern dieser dem des Vertrages entspricht, ist der entsprechende Hinweis rein deklaratorisch, ansonsten wird durch ihn der Anwendungsbereich der Staatsverträge erweitert. Ursprung dieser konstitutiven Wirkung der Hinweisnormen15 sind die Anknüpfungsgegenstände der Vorschriften und nicht die „in ogni caso"Formel16. Auch wenn die Auslegung der Rechtsbegriffe grundsätzlich nach nationalem Recht zu erfolgen hat, so ist doch der internationale Bezug der Hinweisnormen nicht aus dem Auge zu verlieren. Die Anknüpfungsgegenstände des IPRG beinhalten zumindest die Materien, die der jeweilige Staatsvertrag in seiner direkten Anwendung regelt. Um welche Bereiche es sich dabei handelt, ist eine Frage des sachlichen Anwendungsbereiches der Verträge und obliegt somit wie immer bei internationalen Abkommen - der einheitlichen internationalen Auslegung17. Darüber hinaus ist der internationale Charakter der Hinweisnormen dann zu berücksichtigen, wenn es zur sachlichen Kollision zweier Staatsverträge kommt. An der inhaltlichen Abgrenzung der Staatsverträge untereinander kann nämlich auf nationaler Ebene nichts anderes gelten wie im internationalen Bereich. Es war mit Sicherheit nicht vom italienischen Gesetzgeber beabsichtigt, an dem Konkurrenzverhältnis internationaler Abkommen 13
Allgemein dazu Pocar, in SIDI, S. 240; s. a. Ballarino, DIP 2, S. 593 zu Art. 57 („vertragliche Schuldverhältnisse"), der auf die Einhelligkeit dieser Ansicht hinweist; s. a Jayme / Geckler, in IPRax 1996, S. 371 („maßgeblich ist das in der italienischen Kollisionsnorm geregelte Sachgebiet") und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 236 f., der zwar von einer Begriffsbestimmungen „nach dem autonomen IPR" spricht, damit jedoch offensichtlich die lex fori meint und nicht die lex causae. Es handelt sich hierbei um eine Auslegungsfrage, die mit der kollisionsrechtlichen Qualifikation zwar im Zusammenhang steht, sich mit dieser jedoch streng genommen nicht deckt. Ausfuhrlich zur Abgrenzung zwischen Auslegung und Qualifikation siehe § 11 II. 2. a), insbesondere bei Fn. 26. Demgegenüber sah der Art. 1 des „progetto Vitta" (siehe § 1, Fn. 12), der noch eine klarstellende Bestimmung zur Frage der Qualifikation enthalten hat (siehe in Problemi, S. 262 - Art. 1: „Nel determinare il diritto applicabile in base alle disposizioni che seguono, si ha riguardo al significato generale del nostro ordinamento dei concetti ed istituti usufruiti nelle disposizioni stesse. ") in der Qualifikation eher den Auslegungsschritt. 14 Siehe § 12 III. zum Begriff der „Mindeijährigen" i. R. d. Art. 42 IPRG. 15 Auch wenn in der vorigen Fußnote auf die Frage der Minderjährigkeit i. R d. Art. 42 IPRG verwiesen wurde, so fallt die Regelung zur Bestimmung der Minderjährigkeit allein nach dem Heimatrecht des Betroffenen (siehe § 12 III. 1. zu Art. 42 II IPRG) nicht unter die hier erwähnte konstitutive Wirkung der Anknüpfungsgegenstände. Der Anknüpfungsgegenstand des Art. 42 IPRG legt zwar die Anwendung der Vorschrift für den Schutz Minderjähriger fest, sagt jedoch nichts zu der Frage nach welchem Recht die „Vorfrage" der Minderjährigkeit zu beantworten ist. 16 Zur gegenteiligen Ansicht von Damaschelli siehe I., Fn. 7. 17 Siehe dazu § 181.
§ 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
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etwas zu ändern. Dies zeigt sich bei der Abgrenzung des USTA (Art. 45 IPRG) zum E V Ü (Art. 57 I P R G ) 1 8 .
2. Der Begriff „ in ogni caso "
a) Die Anwendung der Verträge „erga omnes"
Die in den Anknüpfungspunkten festgelegten Materien werden kraft gesetzgeberischen Willens für „auf jeden Fall" („in ogni caso") anwendbar erklärt, d. h. ohne die in den Konventionen enthaltenen Begrenzungen 19. Dies soll - wie bereits erwähnt 20 - zu einer Anwendung der Abkommen erga omnes führen. Als Grenzen fungieren lediglich die Formulierungen der Hinweisnormen selbst (Anknüpfungspunkte 21 ) bzw. der Anwendungsbereich des IPRG im Allgemeinen 22 . Der Begriff „ i n ogni caso" bedeutet somit nichts anderes als die Anwendung der Verträge erga omnes.
Exkurs:
Staatsverträge und Kollisionsnormen mit erga-omnes-Wirkung
Was versteht man nun unter einem Staats vertrag bzw. einer Kollisionsnorm mit erga-omnes-Wirkung? Der Terminus ist grundsätzlich gleichzusetzen mit den Begriffen des „loi uniforme" und der „Allseitigkeit". Darunter werden IPR-Normen verstanden, die im Rahmen ihres sachlichen und persönlichen Anwendungsbereiches kollisionsrechtliche Fragen abschließend regeln und somit für anderweitiges nationales oder internationales IPR keinen Raum lassen23. Es dreht sich hierbei um eine Frage des Anwendungsbereiches24. Entscheidend ist dabei, dass die Kollisionsnormen alle 18
Siehe dazu § 13 III. 2. b). Zu den konventionsrechtlichen Vorbehalte siehe 2. c). 20 Siehe oben unter I. 21 Siehe oben unter 1. 22 Zur Begrenzung des zeitlichen Anwendungsbereiches siehe 2. b). 23 Allgemein zur Definition der Begriffe „erga omnes" und „loi uniforme" Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 53; ebenda auch Matscher, S. 14; v. Bar / Mankowski, IPR I, § 1, Rn. 28; Kropholler, IPR, § 9 IV. 3.; Staudinger (F. und G. Sturm), Einl. zum IPR, Rn. 319 - 325 und Keller, in FS v. Overbeck, S. 279 (280, Fn. 4). 24 Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 52 und Bleckmann, Probleme, S. 61 stellen klar, dass es sich dabei um keine Frage von Verträgen zugunsten von Drittstaaten i. S. d. Art. 36 WVK handelt. Allgemein zur Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) siehe § 9 II. 1., in Fn. 26. 19
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Ausiandssachverhalte der sie betreffenden Materie regeln, ohne dass es eines Bezuges zu einem Vertragsstaat des jeweiligen Abkommens bedarf. Innerhalb des nationalen IPR25 steht der Ausdruck „Allseitigkeit" in Abgrenzung zum Begriff der „Einseitigkeit" und behandelt die Frage, ob Kollisionsnormen nur die Reichweite des nationalen Rechts bzw. der nationalen Gerichtsbarkeit bestimmen (einseitig) oder ob sie allgemein die anzuwendende Rechtsordnung festlegen (allseitig). Bei „allseitigen" Kollisionsnormen ist zu unterscheiden, ob die Anwendung der IPR-Normen von einem bestimmten Inlandsbezug abhängt (sog. „unvollkommen allseitige" Kollisionsnormen) oder deren Anknüpfung in jedem Fall gilt (sog. „vollkommen allseitige" Kollisionsnormen)26. Diese terminologische Abgrenzung lässt sich auf Staatsverträge nicht übertragen, da diese niemals die Anwendung einer einzelnen Rechtsordnung („Einseitigkeit" i. S. d. nationalen Kollisionsrechts) regeln. Insofern würde „Einseitigkeit" i. R. e. internationalen Abkommens bedeuten, dass die Anwendung des Vertrages davon abhängt, dass es sich bei dem anzuwendenden Recht um das Recht eines Vertragsstaates handelt. Der Begriff ist in diesem Zusammenhang jedoch ungebräuchlich, vielmehr spricht man in diesem Fall vom Erfordernis der Gegenseitigkeit. In Bezug auf das durch das Abkommen zur Anwendung berufene Recht standen frühen Haager Abkommen27 meist unter dem Erfordernis der Gegenseitigkeit im die oben erwähnten Sinne. Dies war zuletzt beim USTAK von 1956 der Fall28. Im Rahmen der Bemühungen nach dem zweiten Weltkrieg29, internationale Abkommen erga omnes auszugestalten30, erklärte man in ihnen ausdrücklich den Verzicht auf die 25
Im Einzelnen dazu v. Bar / Mankowski, IPR I, S. 13; v. Hoffmann, IPR, § 4 II; MüKo (Sonnenberger), Einl., Rn. 439 - 443; zum bisherigen Recht in Italien siehe § 3 I. bei Fn. //(allgemein) und § 16, II. 2. a) (Zuständigkeit). 26 Siehe v. Bar / Mankowski, IPR I, S. 13 und MüKo (Sonnenberger), Einl., Rn. 442. 27 Art. 8 II Haager Eheschließungsabkommen vom 12. 6. 1902 (siehe § 10 II. 3., in Fn. 131) und Art. 10 Haager Ehewirkungsabkommen vom 17. 7. 1905 (RGBl. 1912, S. 453 (459); s. a. Jayme / Hausmann, nach Nr. 32, Fn. 1). 28 Art. 6 USTAK; zu dem Abkommen siehe § 13 II. 29 Zuvor waren lediglich die Genfer Übereinkommen zum Wechsel- und Scheckprivatrecht als loi uniforme angelegt, sofern die einzelnen Vertragsstaaten bei der Umsetzung der Abkommen nicht von der Möglichkeit der Artt. 10 bzw. 9 der Übereinkommen Gebrauch machen (i. E. dazu siehe unter § 15 V. 1.). 30 Im „acte final" der neunten Sitzung der Haager Konferenzen für Internationales Privatrecht (1960) erklärte man im Rahmen einer Entscheidung über die künftige Haltung zu Modellgesetzen, dass man in Zukunft stets prüfen will, ob nicht auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit verzichtet werden kann (Actes et documents, 9 te Konferenz; Bd. I, Matières diverses, Den Haag 1961, S. 314 f.). Im Anschluss daran wurden seit den 60er Jahren i. R. d. Haager IPR-Konferenzen - und auch i. R. d. EG - fast alle Übereinkommen als loi uniforme ausgestaltet (Beispiele siehe Fn. 31, 33). Ausnahmen bildeten das MSA (sofern man der hier vertretenen Terminologie folgt - siehe Fn. 39 [Vertrag „quasi erga omnes"]) und die prozessrechtlichen Abkommen. Dabei ist zu bedenken, dass internationale Verträge nicht als loi uniforme konzipiert werden können,
§ 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
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Gegenseitigkeit und stellte zusätzlich die Bedeutung dieser Festlegung, nämlich dass das zur Anwendung berufenen Recht auch das Recht eines Nichtvertragsstaates sein darf, klar 31. In neueren Abkommen wird der Begriff der „Gegenseitigkeit" auf Grund seiner Mehrdeutigkeit32 in den verschiedenen Staaten vermieden. Diese enthalten entweder gar keine diesbezügliche Aussage oder es wird deklaratorisch festgestellt, dass der Vertrag auch zur Anwendung gelangt, wenn das bezeichnete Recht das Recht eines Nichtvertragsstaates ist 33 . Bei der Frage der „Gegenseitigkeit" von internationalen Abkommen erfährt deren Anwendungsbereich neben der üblichen Einordnung nach zeitlichem, sachlichem, persönlichem und räumlichem Anwendungsbereich eine zusätzliche Dimension. Diese wird als „Anwendungsbereich hinsichtlich der Staaten"34 oder als „Anwendungsbereich hinsichtlich der Vertragspartner" 35 bezeichnet. Soweit in einem Vertrag nichts anderes festgelegt ist, muss von einem solchen Gegenseitigkeitsverzicht grundsätzlich ausgegangen werden. In diesem Fall wird zumeist schon allein deshalb von einer „loi uniforme" (erga-omnes-Wirkung bzw. allseitiger Vertrag) gesprochen36.
sofern und soweit sie behördliche und/oder gerichtliche Zuständigkeiten begründen oder auf sonstige Weise Fragen der staatlichen Souveränität betreffen; derartige Regelungen können immer nur für und zwischen Vertragsstaaten gelten (z. B. Art. 13 II MSA, Art. 4 I EuGVÜ / EuGVO und Artt. 1 I, 8, 17 I, 20 I Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 1. 3. 1954 [siehe BGBl. 1958 II, S. 577 und Jayme / Hausmann, Nr. 210]). 31 Art. 6 Haager TestFÜbk. (i. E. zu dem Abkommen siehe § 17 I., Fn. 1), Art. 11 Haager Straßenverkehrsabkommen vom 4. 5. 1971 (siehe RabelsZ 1969, S. 342 und Jayme / Hausmann, Nr. 100), Art. 11 Haager Produkthaftungsabkommen vom 2. 10. 1973 (i. E. zu dem Abkommen siehe § 17 III. 1. a), Fn. 183 und Erläuterungen dort unter 2. a)) und Art. 3 USTA (i. E. zu dem Abkommen siehe § 13); s. a. § 10 II. 3., in Fn. 131 zu Art. 5 S. 1 des Römischen Übereinkommens zur Legitimation durch nachfolgende Ehe von 1970. 32 Siehe Berichte von v. Overbeck zu Art. 2 Haager Güterstandsabkommen, in Actes et documents, 13te Konferenz, Bd. II, Régimes matrimoniaux, 1978, S. 329 (332) und Karsten zu Art. 4 Haager Stellvertretungsabkommen, in Actes et documents, 13te Konferenz, Bd. IV, Contraits d'intermédiarires, Den Haag 1979, S. 378 (415, Nr. 151); zu beiden Staatsverträgen siehe nächste Fußnote. Ebenso Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 53 zu Art. 55 der französischen Verfassung. Art. 55 der französischen Verfassung stellt bei der Gegenseitigkeit auf die Anwendung eines Staatsvertrages durch die anderen Mitgliedsstaaten ab (siehe § 7 I., Fn. 14; zu der Bestimmung s. a. § 9 I., Fn. 3); ähnlich Art. XIV des New Yorker Schiedsabkommens von 1958 (siehe § 14 III. 2. d) bb), Fn. 70). Zum Gegenseitigkeitsgrundsatz des Art. 16 disp. prel. im italienischen Recht siehe ausführlich unter § 7. 33 Art. 2 Haager Güterstandsabkommen vom 14. 3. 1978 (§ 10 II. 3., Fn. 132) und Art. 4 Haager Stellvertretungsabkommen vom 14. 3. 1978 (i. E. zu dem Abkommen siehe § 18 II. 1 „Fn. 106). 34 Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 52. 35 Bleckmann, Probleme, S. 61. 36 Siehe zum schweizerischen IPRG Botschaft, S. 35 („erga omnes" - s. a. § 101. 4., Fn. 67) und Keller (Fn. 39). Siehe auch die nichtamtliche Überschrift zu Art. 6
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Richtig an dieser Nomenklatur ist, dass der jeweilige Vertrag innerhalb seines Anwendungsbereiches nationales Recht verdrängt. Zur Begründung dieses Anwendungsbereiches fordern Verträge jedoch ζ. T. auch andere Bezüge zu einem der Vertragsstaaten (Staatsangehörigkeit bzw. Ort des Aufenthaltes, der Lage, der Herkunft oder der Handlung)37. Ein Staatsvertrag sollte erst dann als erga-omnes-Vertrag bezeichnet werden, wenn er auch von diesen Erfordernissen absieht. Ansonsten handelt es sich nicht um eine allseitig wirkende Regelung38. Deshalb wird bei Abkommen, die zwar beim „Anwendungsbereich hinsichtlich der Staaten" keine Beschränkung enthalten, die jedoch sonstige Bezüge zu einem Vertragsstaat fordern, auch von Verträgen „quasi erga omnes"39 bzw. in Anknüpfung an die „nationale" Terminologie40 von „unvollkommen allseitigen" Abkommen41 gesprochen. Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: IPR-Normen kommt dann erga-omnes-Wirkung zu, wenn sie kollisionsrechtliche Fragen einer bestimmten Materie (sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich) abschließend regeln und insbesondere keinen Bezug zu einem Vertragsstaat fordern. Dabei erscheint es z. T. schwierig, die einzelnen Zuordnungskriterien in das übliche Prüfungsschema des Anwendungsbereiches (räumlich, persönlich und sachlich) einzuordnen42. In jedem Fall ist die Frage der Allseitigkeit einer Regelung unabhängig von deren zeitlichem Anwendungsbereich zu prüfen 43 Zur Bejahung einer erga-omnes-Wirkung müssen im Einzelnen folgende Kriterien erfüllt sein: -
Anwendung unabhängig vom Ort, an dem sich Personen aufhalten 44, Gegenstände belegen sind oder Handlungen45 vorgenommen werden (räumliche,r Anwendungsbereich).
TestFÜbk. (Fn. 31) in Jayme / Hausmann, Nr. 60 („Allseitige Anwendung des Übereinkommens"). 37 I. d. S. Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 52 und v. Bar / Mankowski, IPR I, S. 13 („unvollkommen allseitig"); s. a. Volken, Schweiz. IPRG-Komm., Art. 1, Rn. 56 („gegenüber jedermann"). 38 Insofern hat auch Volken, Schweiz. IPRG-Komm., Art. 1, Rn. 55 bei der Auflistung von erga omnes-Verträgen das MSA nicht aufgeführt, trotz der bei der Ausarbeitung des schweizerischen IPRG verwendeten Nomenklatur (Fn. 36). 39 Siehe zur schweizerischen Literatur Keller, in FS v. Overbeck, S. 279 (280, Fn. 5) zum MSA und zum New Yorker schiedsgerichtlichen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen (zu letzterem siehe Fn. 32); Keller / Siehr, § 11 III., S. 79. 40 Siehe oben bei Fn. 26. 41 v. Bar / Mankowski, IPR I, § 3, Rn. 72, Fn. 371 zum MSA; von einem „loi uniforme" sprechen sie demgegenüber nur bei „vollkommen allseitigen" Kollisionsnormen (Fn. 37, 26). 42 Zu einem Beispiel siehe Fn. 44. 43 Siehe auch oben unter I. Ende und i. E. zur Regelung i. R. d. IPRG siehe später unter b). 44 Beispiele zur Aufenthaltsabhängigkeit: Art. 13 I MSA (siehe dazu § 12 IV.) und Art. 9 I Haager Vormundschaftsabkommen vom 12. 6. 1902 (RGBl. 1904, S. 240; s. a.
§ 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
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-
„nationalitätsneutrale" Regelung des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereiches, d. h. Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit46 bzw. Sachen unabhängig von ihrer Herkunft (Waren) oder Registrierung (Schiffe, Luftfahrzeuge) - sog. Zugehörigkeit von Personen und Sachen.
-
die als Ergebnis der kollisionsrechtlichen Prüfung zur Anwendung gebrachte Rechtsordnung darf die jedes beliebigen Staates47, also auch die eines Nichtvertragsstaates sein (sog. „ Anwendung hinsichtlich der Staaten"**).
Die Frage der erga-omnes-Wirkung einer kollisionsrechtlichen Regelung hat mit deren zeitlichem Anwendungsbereich nichts zu tun. Zu trennen ist die Allseitigkeit auch von der Prüfung des sachlichen und persönlichen Anwendungsbereiches der Abkommen, sofern dabei nur „nationalitätsneutrale" Kriterien verwendet werden49.
Jayme / Hausmann, Nr. 53). In der Literatur wird Art. 13 MSA z. T. als Frage des räumlichen (i. d. S. Hüßtege, Internationales Privatrecht, 3. Auflage, S. 78), z. T. als Frage des persönlichen Anwendungsbereiches (Böhmer / Finger (Siehr), Einf. 7.5., Rn. 8) gesehen. 45 Siehe z. B. Art. 8 I Haager Eheschließungsabkommen (Anwendung nur für auf dem Gebiet der Vertragsstaaten geschlossene Ehen); zu dem Abkommen siehe § 10 II. 3., in Fn. 131. 46 Für Beispiele zur Staatsangehörigkeitsabhängigkeit siehe Art. 8 I Haager Eheschließungsabkommen (vorige Fußnote) und Art. 9 I, II des Vormundschaftsabkommens (Fn. 44). Im Gegensatz dazu betont Art. 6 S. 2 1. Hs. TestFÜbk. (Fn. 31) ausdrücklich seine Unabhängigkeit von der Staatsangehörigkeit. 47 Die Frage, ob i. R. d. Rechtswahl nichtstaatliches Recht zur Anwendung gebracht werden kann, wird bei internationalen Handelsverträgen diskutiert (sog. „lex mercatoria"). Zu den Vertretern und Kritikern der „lex mercatori a" siehe Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Auflage, 1995, § 1 IX, S. 92 f. und Staudinger (F. und G. Sturm), Einl. IPR, Rn. 98 f.; s. a. Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 2431 - 2435 und MüKo (Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 230 - 245 m.w.N. Als Grundlage schiedsgerichtlicher Entscheidungen findet dieses „autonome Welthandelsrecht" vermehrt Anerkennung (für alle Staudinger (F. und G. Sturm), a.a.O., Rn. 100 - 103 und MüKo (Sonnenberger), a.a.O., Rn. 240 - 245); vor staatlichen Gerichten wird ihre Anwendung jedoch überwiegend abgelehnt. In diesem Zusammenhang stehen auch die im Jahre 1994 von UNIDROIT veröffentlichten UNIDROIT-Principles; zu diesen siehe Boneil, An international restatement of contract law, The UNIDROIT Principles of Internationale Commercial Contracts, New York 1994 mit Übersetzungen dieser „Grundregeln". Im Weiteren s. a. Wichard, Die Anwendung der UNIDROIT-Prinzipien für internationale Handelsverträge durch Schiedsgerichte und staatliche Gerichte, in RabelsZ 1996, S. 269 - 302 und Boele- Woelki, Die Anwendung der UNIDROIT-Principles auf internationale Handelsverträge, in IPRax 1997, S. 161 - 171. 48 Zur Terminologie siehe Fn. 34, 35. 49 Siehe oben unter I. zur Frage der Anknüpfungsgegenstände.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Auch die italienische Literatur scheint dem Begriff „erga omnes" die im Exkurs dargelegte Definition zugrunde zu legen. Dies zeigt sich bei der Einstufung des MSA als Abkommen ohne erga-omnes-Wirkung50.
b) Die Erweiterung des zeitlichen Anwendungsbereiches (Art. 72 IPRG und die staatsvertraglichen Bestimmungen) Für alle in den IPRG-Vorschriften erwähnten Verträge gleich zu diskutieren ist die Frage, ob der Hinweis auf die internationale Konvention sich auch auf deren zeitlichen Anwendungsbereich bezieht oder insofern Art. 72 IPRG51 greift. Die Abkommen regeln in eigenen Bestimmungen ihren zeitlichen Geltungsbereich mit Blick auf ihr Inkrafttreten im jeweiligen Vertragsstaat52. Die Handlung, auf die dabei abgestellt wird, korrespondiert mit dem Regelungsgehalt der Übereinkommen53. Nachdem das IPRG in seinem Art. 72 I 1. Hs. grundsätzlich eine prozessuale Anknüpfung vornimmt und dem Gesetz dabei in kollisionsrechtlicher Hinsicht zu einer Rückwirkung verhilft 54, divergiert die Anknüpfung des Gesetzes mit den Regelungen der IPR-Abkommen. Vor allem infolge des späten Inkrafttretens von EVÜ und MSA in Italien55, kann es insofern zu einer weiterreichenden Anwendung des IPRG kommen56. Lediglich 50
Franchi , Com. NLCC, Art. 42, S. 1241 bei Fn. 25; CT (iCostantino ), Art. 42,1. 2.; Giardina, in Rev. crit. 1996, S. 8; Picone, in RDI 1996, S. 336 und 339 = S1DI, S. 90 und 93 und Davi , in Studi Vitta, S. 72 in Fn. 44 („inter partes") zu Art. 38 zum Regierungsentwurf (= Art. 42 IPRG); s. a oben unter I., bei Fn. 4 zur allgemeinen Diskussion im Hinblick auf die „in ogni caso"-Formel. 51 Allgemein zu der Vorschrift siehe § 6 II. 52 Ausdrücklich i. d. S. die Artt. 12 USTA, 54 EuGVÜ und 17 EVÜ; ebenso die Vorschriften in Abkommen jüngeren Datums (siehe Art. 100 CISG von 1980 [§ 14 II. 1. a), Fn. 11\ und Art. 41 Haager Adoptionsabkommen von 1993 [§ 10 II. 3., Fn. 1311). Art. 17 MSA und die Artt. 11 bzw. 10 des Wechsel- bzw. Scheckrechtsabkommens sprechen demgegenüber allein vom Inkrafttreten der Abkommens; auch bei diesen ist jedoch auf den jeweiligen Vertragsstaat abzustellen (siehe zu Art. 17 MSA MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Rn. 475 und Staudinger (Kropholler), Vorb. zu Art. 19, Rn. 577 und Rn. 578 zur Differenzierung zwischen Erlass- und Anerkennungsstaat). Siehe auch § 12 IX. 1. zum neuen Haager Kinderschutzabkommen von 1996 (Art. 53 KSÜ). 53 Art. 54 I EuGVÜ (Klage [Abs. I] bzw. Entscheidung [Abs. II]) zu Art. 3 II 1 IPRG, Art. 17 MSA (Maßnahme bzw. Gewaltverhältnis) zu Art. 42 I IPRG, Art. 12 USTA (Unterhalt) zu Art. 45 IPRG, Art. 17 EVÜ (Vertragsschluss) zu Art. 57 IPRG und Artt. 11 bzw. 10 Wechsel- bzw. Scheckrechtsübereinkommen (Ausstellung der Wertpapiere) zu Art. 59 I IPRG. 54 Siehe §6 II. l.a). 55 Siehe § 12 I.; Fn. 6 zum MSA (23. 4. 1995) und § 14 I., Fn. 7 zum EVÜ (1. 4. 1991). 56 Zu beachten ist dabei, dass das MSA auch verfahrensrechtliche Vorschriften enthält (siehe § 12 VII.), so dass i. R. d. IPRG durch Art. 72 II IPRG der Anwendungs-
§ 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
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die Übergangsregelung des verfahrensrechtlichen EuGVÜ zeigt Parallelen zu Art. 72 I 1. Hs. IPRG (Art. 54 I EuGVÜ, nunmehr Art. 66 I EuGVO); im Ergebnis führt jedoch Art. 72 II IPRG auch im Prozessrecht zu einer früheren Anwendung des IPRG57. Von Relevanz ist die Frage der anwendbaren Vorschriften allerdings allein deshalb, weil jede Norm auf das zeitliche Inkrafttreten ihres Regelungswerkes abstellt. Von einem Teil der Literatur werden die konventionsrechtlichen Vorschriften als leges speciali angesehen58, die Art. 72 IPRG verdrängen. Demzufolge soll der „in ogni caso"-Hinweis alle Normen der Abkommen betreffen, so dass sich staatsvertragliches und innerstaatliches Recht auch in zeitlicher Hinsicht decken. Zudem soll die extensive Rückwirkung des Art. 72 I 1. Hs. IPRG vermieden werden59. Als Begründung wird auch Art. 13 IV IPRG herangezogen, der eine ähnliche Lösung für den Fall der Rück- und Weiterverweisung gesetzlich vorschreibt 60. Gesetzessystematisch sind die besonderen Hinweisnormen Bestandteil des IPRG, dessen zeitlicher Anwendungsbereich durch Art. 72 IPRG bestimmt wird. Sofern die Hinweise der Vorschriften jedoch auch die Übergangsregelungen der Abkommen erfassen, würden diese Bestimmungen als leges speciali gegenüber dem Art. 72 IPRG Vorrang haben. Klären lässt sich diese Frage wohl nur mit Blick auf die Intention, die der Gesetzgeber mit den Hinweisnormen verfolgt hat. Durch sie sollen die Regelungen der Abkommen zu einer bereich des Art. 42 IPRG noch weiter vorverlegt wird, sofern man nicht Art. 17 MSA alleine anwenden will. Dies muss dann jedoch für das MSA in seiner Gesamtheit gelten, da eine Differenzierung zwischen Zuständigkeits- (Art. 72 II IPRG) und Kollisionsrecht (Art. 72 I IPRG) nicht hingenommen werden kann. 57 Siehe i. E. § 6 II. 2. b) in Fn. 42. Dies gilt auch für den Bereich des Anerkennungsrechts, auch wenn Art. 54 II EuGVÜ (= Art. 66 II EuGVO) den Anwendungsbereich des EuGVÜ erweitert. Das Abkommen stellt jedoch vom Grundsatz her auch beim Anerkennungsrecht auf die Verfahrenseinleitung der anerzukennenden Entscheidung ab (Art. 54 I EuGVÜ, ebenso Art. 66 I EuGVO) und modifiziert diesen Grundsatz nur durch den Absatz II der Vorschrift. Demgegenüber kommt es im IPRG von vorneherein auf die Verfahrenseinleitung des Anerkennungsverfahrens an; siehe § 6 II. l.b). 58 Pocar, in SIDI, S. 243 f. (allgemein); ders., Le droit des obligations dans le nouveau droit international privé italien, in Rev. crit. 1996, S. 41 (49 f. zu Art. 17 EVÜ); Giardina, Com., RDIPP, S. 1271, Nr. 5 und ders., in Convegno di Crotone, S. 20 mit einem Vergleich der staatsvertraglichen Übergangsregelungen und dem Art. 72 IPRG (S. 17 - 19). Ebenso Damascelli, in RDI 1997, S. 79 und Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 142, in Fn. 24. I. d. S. wohl auch Siehr, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 83, Rn. 44 und Art. 85,
Rn. 83 zu Art. 83 (USTA) und Art. 85 (MSA) des schweizerischen IPRG. 59 Von Relevanz kann dieses Argument nur bei den Abkommen sein, die in Italien erst in jüngster Zeit in Kraft getreten sind (Fn. 55). 60 Pocar, in SIDI, S. 244, Fn. 33; zu Art. 13 IV IPRG siehe hier unter e) aa) und § 15 V. 2.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
„loi uniforme" werden61. Die erga-omnes-Wirkung einer Regelung steht jedoch in keinerlei Zusammenhang zum zeitlichen Anwendungsbereich derselben62. Die Hinweisnormen beziehen sich vielmehr auf die inhaltlichen, d. h. die kollisions- und zuständigkeitsrechtlichen Bestimmungen der jeweiligen Konventionen und nicht auf deren „äußere Rahmenbedingungen" wie ihren zeitlichen Anwendungsbereich63. Es gilt dasselbe wie bei den vom italienischen Gesetzgeber gewählten Anknüpfungsgegenständen, die ebenfalls unabhängig von den Staatsverträgen die von den Hinweisnormen geregelten Materien festlegen 64. Auch der überwiegende Teil der Literatur 65 will ausschließlich die Bestimmung des Art. 72 IPRG anwenden. Dies hat zur Folge, dass auf die staatsvertraglichen Bestimmungen nur bei der direkten Anwendung der Abkommen zurückzugreifen ist (Art. 2 I IPRG). Über diesen ,/invio formale" 66 hinaus erweitern die Hinweisnormen des IPRG den zeitlichen Anwendungsbereich der Verträge, sofern die prozessuale Anknüpfung des Art. 72 I 1. Hs. IPRG zu einer Anwendung des Gesetzes auf einenfrüheren Sachverhalt führt. Diese Möglichkeit besteht in erster Linie im Rahmen des Art. 42 (MSA) und des Art. 57 (EVÜ) IPRG67.
c) Die Vorbehalte der Konventionen Ein ähnliches Problem stellt sich bei der Frage, ob durch die Hinweisnormen der Artt. 45, 57 IPRG die innerhalb der Staatsverträge von Italien erhobenen Vorbehalte68 der Artt. 15 i. V. m. 24 USTA und der Artt. 22 I b) i. V. m. 10 I e) 61
Siehe oben unter a). Siehe Ende des Exkurses unter a). 63 Siehe auch unter c) zu den staatsvertraglichen Vorbehalten. 64 Siehe oben unter I. 65 Allgemein CT (Barel), Art. 72, VI. Zu Art. 17 EVÜ Benedetteli i, Com., NLCC, S. 1382 und 1383 jeweils r. Sp.; Broggini, Com., NLCC, S. 1499 bei Fn. 18; Ballarino, DIP 2, S. 591 f. und Forlati Picchio, in Convegno di Crotone, S. 122. Ebenso zu Art. 12 USTA Baruffi, Com., NLCC, S. 1274 f.; Honorati, Com., RDIPP, S. 1128 und Davi, in Studi Vitta, S. 72, in Fn. 44. 66 Siehe I., nach Fn. 2 zum Kommissionsbericht. 67 Siehe Fn. 55 zum Inkrafttreten der Abkommen in Italien. 68 Ein Vorbehalt gemäß Art. 15 MSA wurde von Italien zwar bei der Unterschrift zum MSA erklärt, jedoch auf Empfehlung der Expertenkommission mit Blick auf die Nichtanerkennung von i. R. d. Art. 15 I MSA erlassenen Maßnahmen (Art. 15 II MSA) bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde nicht aufrechterhalten (siehe Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 967 f. zu Art. 40 [= Art. 42 IPRG]). Die „Vorbehalte" der Artt. 7, 13 I EuGVÜ (= Artt. 8, 15 I EuGVO; nunmehr auch Art. 18 I EuGVO) im Hinblick auf die Artt. 4 , 5 Nr. 5 desselben Abkommens stellen keine Vorbehalte im völkerrechtlichen Sinne dar. Die Frage, ob diese „Vorbehalte" 62
§ 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
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EVÜ) überspielt werden. Eine Sonderrolle kommt den Artt. 10, 2 III, 3 I I I bzw. 9, 2 III, 4 I I I der Genfer Übereinkommen zum Wechsel- bzw. Scheckprivatrecht zu (Art. 59 I IPRG), da es sich bei diesen Bestimmungen um Fakultativklauseln und nicht um Vorbehalte im technischen Sinne handelt. Im Grunde gelten die folgenden Ausführungen jedoch auch für diese Vorschriften 69 . In den Vorbehalten könnte man ebenfalls eine Begrenzung des Anwendungsbereiches des Abkommens sehen, die - in Anknüpfung an die Argumentation i. R. d. zeitlichen Anwendungsbereiches 70 - durch die „ i n ogni caso"Formel aufgehoben wird 7 1 . Im Anschluss an die Gesetzesmaterialien zum IPRG 7 2 lehnt die Literatur 73 diese Einschätzung jedoch überwiegend ab. Der Kommissionsbericht zum IPRG hatte die Rücknahme des Vorbehalts nach Art. 15 USTA auf völkerrechtlicher Ebene gefordert 74 .
innerhalb der Hinweisnorm des Art. 3 II 1 IPRG zur Anwendung kommen, kann jedoch nach denselben Kriterien beantwortet werden, wie bei den hier behandelten Vorbehalten im staatsvertraglichen Sinne; siehe dazu unter § 16 II. 4. b) aa). 69 Im Einzelnen zu den Fakultativklauseln der Abkommen siehe § 15 V. 1. 70 Siehe unter b). 71 In diesem Sinne zu Art. 15 USTA Davi , Studi Vitta, S. 72, in Fn. 44. Ebenso Mosconi , in Convegno di Crotone, S. 71 - 75 (Nr. 8), auch wenn er das Ergebnis selbst als paradox bezeichnet (Nr. 8 Ende). In DIPP I, S. 20 unten verweist Mosconi lediglich auf den anderslautenden Kommissionsbericht (nächste Fußnote). 72 Siehe die Berichte der Expertenkommission (in RDIPP 1989, S. 949) und der Regierungsvorlage (in Studi Vitta, S. 404) zu Art. 2 IPRG: „ ... (tenendo conto evidentamente delle riserve ad essa apposte dall ' Italia ) ... 73 Allgemein Baratta, in Convegno di Crotone, S. 357; Bariatti , Com., NLCC, S. 894 f. m.w.N. in Fn. 23; Boschiero , Appunti, S. 21 f. und Baratta , in Convegno di Crotone, S. 357. Auch Jayme / Geckler , in IPRax 1996, S. 371 sprechen von einem „gewissen Konsens" dahingehend. Speziell zu Art. 15 USTA Baruffi , Com., NLCC, S. 1275; Honorati, Com, RDIPP, S. 1129; Ballarino, DIP 2, S. 496 und CT (Barel), Art. 45, II. 1. Ebenso Siehr, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 83, Rn. 13 zur Parallel Vorschrift des Art. 38 im schweizerischen IPRG. Ebenso zu Art. 22 I b) EVÜ Ballarino, DIP 2, S. 618; Benedettela , Com., NLCC, S. 1383 1. Sp.; CT (Barel), Art. 57, III. 3.; Treves , Com., RDIPP, S. 1184 (Nr. 3 Ende); Forlati Picchio , in Convegno di Crotone, S. 117 und Damascelli, in RDI 1997, S. 98. 74 Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 969, letzter Absatz zu Art. 43 (= Art. 45 IPRG); zu Art. 22 I b) EVÜ konnte sich der Bericht nicht äußern, da zum damaligen Zeitpunkt das internationale Vertragsrecht nicht über einen Hinweis auf das EVÜ geregelt wurde (siehe § 14 I., Fn. 2 zu den autonomen Bestimmungen der Entwürfe). Jayme / Geckler, in IPRax 1996, S. 371, Fn. 12 weisen daraufhin, dass sich bei der Gründungstagung der SIDI auch Davi für eine Rücknahme des Art. 10 I e) EVÜ-Vorbehaltes ausgesprochen hat; ausführlich plädiert Baratta, in Convegno di Crotone, S. 363 - 367 für eine Rücknahme der Vorbehalte.
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Die Vorbehalte bleiben ohne Zweifel auf internationaler Ebene bestehen, solange Italien sie nicht zurücknimmt75. Im Rahmen ihrer direkten Anwendung (Art. 2 I IPRG) ändert das IPRG nichts an deren Wirksamkeit. Die Frage ist lediglich, ob der italienische Gesetzgeber die Vorbehalte durch die nationale „in ogni caso"-Vorschriften innerstaatlich außer Kraft gesetzt hat. In diesem Fall wären die Hinweise der Artt. 45, 57 IPRG allein aus diesem Grunde konstitutiv, obwohl sie sich auf Abkommen beziehen (USTA und EVÜ), die bereits per se erga-omnes-Wirkung entfalten. Gerade bei der erga-omnes-Wirkung liegt - ebenso wie bei der Frage des zeitlichen Anwendungsbereiches76 - wieder die Lösung des Problems. Die Hinweisnormen sollen den Abkommen zur allseitigen Anwendung verhelfen, d. h. der Gesetzgeber wollte nationales Recht an internationale Regelungen angleichen77. Daraus folgt auf der einen Seite, dass Vorbehalte im Rahmen des IPRG nicht anzuwenden sind, sofern sie die erga-omnes-Wirkung der Abkommen auf internationaler Ebene verhindern; auf der anderen Seite darf dies für die Vorbehalte, die die Staatsverträge inhaltlich modifizieren, gerade nicht gelten. Die Hinweisnormen des IPRG erklären die kollisionsrechtlichen Bestimmungen der Übereinkommen zum einheitlichen nationalen Recht, unabhängig davon, ob es sich um Grundsatzanknüpfungen oder um Ausnahmeregelungen - also um „inhaltliche" Vorbehalte - handelt. Ein anderes Verständnis der Hinweisnormen würde zu dem nicht gewünschten Ergebnis fuhren, dass sich nationales und internationales Recht nicht decken. Die Argumentation entspricht somit derjenigen bei der Frage des zeitlichen Anwendungsbereiches78. Es geht um die Frage, ob die staatsvertraglichen Vorschriften die inhaltlichen Regelungen79 der Abkommen ändern. 75
Bar atta, in Convegno di Crotone, S. 354 mit Diskussion zur verfassungsrechtlichen Frage, ob die Erklärung eines Vorbehalts durch die Regierung erfolgen kann oder ob sie eines Parlamentsbeschlusses bedarf (S. 354 f.). Das Gesagte gilt nicht für die Vorschriften der Genfer Übereinkommen zum Wechsel- und Scheckprivatrecht, da es sich dabei um keine Vorbehalte im völkerrechtlichen Sinne handelt (siehe Hinweis in Fn. 69). 76 Siehe oben unter b). 77 Ebenso die Argumentation von Bariatti, Com., NLCC, S. 895 1. Sp. oben bei Fn. 23. Bariatti argumentiert im Weiteren (S. 894 1. Sp.), dass ansonsten die Konventionen „paradoxerweise" im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten einen weiteren Anwendungsbereich hätten als gegenüber Vertragsstaaten. Es handelt sich hierbei um eine Frage des „Anwendungsbereich hinsichtlich der Staaten" (siehe Exkurs unter a)). Dieses Argument (ebenso Baruffi , Com., NLCC, S. 1275 zu Art. 45 mit Hinweis auf Bariatti) läuft jedoch bei den von Italien erklärten Vorbehalten zum USTA und zum EVÜ leer, da beide Abkommen ohnehin erga omnes ausgestaltet sind und somit nicht zwischen Vertrags- und Nichtvertragsstaaten differenzieren (Art. 3 USTA, Art. 2 EVÜ). 78 Siehe b) bei Fn. 63. 79 Bariatti, Com., NLCC , S. 894 1. Sp. unten spricht vom „contenuto sostanziale" der Abkommen.
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Durch den Vorbehalt des Art 15 USTA können die Vertragsstaaten des USTA die kollisionsrechtlichen Normen des Abkommens insofern modifizieren, als sie für den in der Vorschrift beschriebenen Sachverhalt80 - aufgrund dessen engen Bezuges zur eigenen Rechtordnung - das materielle innerstaatliche Recht zur Anwendung berufen. Die Mitgliedstaaten des Haager Unterhaltsabkommens können dadurch von der Grundsatzanknüpfung des Übereinkommens (Artt. 4 - 6 USTA) abweichen. Das durch die staatsvertragliche Regelung begründete Prinzip der Begünstigung des Berechtigten wird dadurch zugunsten eines speziellen ordre public aufgegeben 81. Infolge der obigen Argumentation bleibt der von Italien erklärte „inhaltliche" Vorbehalt auch durch Art. 45 IPRG unberührt 82. Auch die Empfehlung der Expertenkommission, den Vorbehalt des Art. 15 USTA zurückzunehmen83, macht nur dann Sinn, wenn dieser weiterhin Wirkung entfaltet. Schwieriger zu klären ist die Rechtslage bei dem Vorbehalt der Artt. 22 I b) ί V. m. 10 / e) EVlf 4. Es handelt sich dabei um keine kollisionsrechtliche Vorschrift, sondern um eine den Anwendungsbereich des Abkommens betreffende Norm. Sie regelt jedoch den sachlichen Anwendungsbereich des EVÜ und nicht die Frage der erga-omnes-Wirkung des Vertrages 85. Durch die Vorbehaltsmöglichkeit sollen die Mitgliedsstaaten, nach deren innerstaatlichem Recht die Folgen der Nichtigkeit eines Vertrages zum Bereich des außervertraglichen Schuldrechts gehören, die Anwendung des Abkommens insoweit ausschließen können86. Die Erklärung eines Vorbehalt ist somit Ausdruck des eigenen innerstaatlichen Rechtsverständnisses, das allgemein bei der Anwendung des EVÜ gelten soll. Daran will der Art. 57 IPRG nichts ändern. Es würde sich in diesem Fall widersprechen, den Vorbehalt völkerrechtlich aufrechtzuerhalten und gleichzeitig innerstaatlich außer Kraft zu setzen. Ebenso wie bei den „kollisionsrechtlichen" Vorbehalten ist auch bei Vorbehalten, die den sachlichen Anwendungsbereich eines Abkommens betreffen, davon auszu80 Berechtigter und Verpflichteter sind eigene Staatsangehörige und letzterer hat im eigenen Staatsgebiet seinen gewöhnlichen Aufenthalt. 81 Von der Vorbehaltsmöglichkeit haben alle Vertragsstaaten bis auf Frankreich, Japan und Estland Gebrauch gemacht (Jayme / Hausmann, Nr. 41, Fn. 6). Zur deutschen Umsetzung des Vorbehaltes siehe Art. 18 V EGBGB. 82 Zu den Stimmen in der Literatur siehe Fn. 71, 73. 83 Siehe oben Fn. 74. 84 Der Vorbehalt wurde lediglich von Italien und dem Vereinigten Königreich erklärt (Jayme / Hausmann, Nr. 70, Fn. 13). Zum deutschen IPR siehe Art. 32 I Nr. 5 EGBGB. Von der Vorbehaltsmöglichkeit der Artt. 7 I, 22 I a) EVÜ hat Italien keinen Gebrauch gemacht. Die Regelung des Art. 7 I EVÜ kommt insofern über Art. 57 IPRG zur Anwendung (siehe § 11 II. 2. e) aa), bei Fn. 124 zu Art. 17 IPRG). 85 Zur Abgrenzung siehe Ende des Exkurses unter a). 86 Siehe Bericht zum EVÜ von Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 65.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
gehen, dass der italienische Gesetzgeber durch die „in ogni caso"-Formel diese rechtliche Wertung beibehalten will, um den Gleichlauf von nationalem und internationalem Recht zu gewährleisten87. Das fur die Folgen der Nichtigkeit von Verträgen anzuwendende Recht ist somit vom italienischen IPR autonom, d. h. unabhängig vom EVÜ, zu bestimmen. Wie bereits im Bericht von Giuliano / Lagarde zum Römischen Abkommen angedeutet88, unterstellt das italienische Kollisionsrechts diese Fragen traditionell dem außervertraglichen Schuldrecht89. Nach neuem Recht käme nach diesem Verständnis Art. 61 IPRG („obbligazioni nascenti dalla legge") zur Anwendung90. Bereits im Rahmen der alten Rechtslage wurden jedoch Stimmen laut, die das Statut der außervertraglichen Schuldverhältnisse (Art. 25 II disp. prel.) nur in dem (eher theoretischen) Fall anwenden wollen, dass die Rückerstattungsansprüche in keinerlei Verbindung zu einem bestimmten Rechtsverhältnis stehen. Im Übrigen soll akzessorisch an das Statut dieses Rechtsverhältnisses - in diesem Fall also an das Vertragsstatut - angeknüpft
87
Siehe auch Boschiero, Appunti, S.22 oben; zu weiteren Literaturnachweisen siehe
Fn. 73. 88
Siehe bei Fn. 86. Zur Rechtsprechung siehe Trib. Firenze 24. 1. 1969, in RDIPP 1969, S. 532 und App. Milano 21.2. 1984, in Banca borsa 1985,1., S. 188 (mit kritischen Anmerkungen von Radicati Di Brozolo , S. 189) bestätigt durch das letztinstanzliche Urteil Cass. 6. 10. 1989, n. 4006, in Giust. civ. 1990,1, S. 731 = Banca borsa 1990, S. 1 (Ort der Zahlung als Ort des Entstehens des außervertraglichen Schuldverhältnisses [Art. 25 II disp. prel.]) wiederum mit kritischem Kommentar von Radicati Di Brozolo, S. 30 - 32 (s. a. 89
Fn. 91).
Ebenso die h. Lit.: Vitta, DIP III, S. 474 - 480 und De Nova, in Enc. dir., XXIX, Obbligazioni (diritto internationale privato), 1979, S. 498 sowie weitere Nachweise bei Baratta, in Convegno di Crotone, S. 362 in Fn. 25 und Rescingo (Vecchi), Art. 25 disp. prel., Nr. 6, S. 52 f. 90 Bereits die Berichte der Expertenkommission (in RDIPP 1989, S. 981 zu Art. 63 [= Art. 61 IPRG]) und der Regierungsvorlage (in Studi Vitta, S. 441 zu Art. 61) haben unterstrichen, dass man sich mit der Neuregelung des Art. 61 IPRG dem traditionellen Verständnis des bisherigen Art. 25 II disp. prel. anschließen will. Insofern haben sich auch die ersten Kommentatoren des IPRG bei dieser Frage für die Anwendung des Art. 61 IPRG entschieden: Lugato, Com., Corr. giur., S. 1255 bei Fn. 8; Malatesta, Com., RDIPP, S. 1207; Barel, Com., NLCC, S. 1438 r. Sp. und Baratta, in Convegno di Crotone, S. 363 oben. Differenzierend Ballarino, DIP 2, der zwar grundsätzlich auf Art. 61 IPRG zurückgreift (S. 618), aber bei der Rückgabe bestimmter Gegenstände auch das zugrunde liegende Rechtsverhältnis berücksichtigen will, wenn gemäß Art. 61 IPRG der Ort bestimmt wird, an dem das gesetzliche Schuldverhältnis entstanden ist (S. 729 f.). Bei rechtsgrundlosen Zahlungen wendet Ballarino jedoch - in Anlehnung an Cass. 6. 10. 1989, n. 4006 (Fn. 84) - das Recht des Zahlungsortes an. Zu Ballarinos Standpunkt nach bisherigem Recht siehe nächste Fußnote.
§ 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
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werden91. Ein derartiges Verständnis würde zwar dem Römischen Abkommen (Art. 10 I e) EVÜ) und auch zahlreichen nationalen IPR-Regelungen entsprechen92, steht jedoch im Widerspruch zur Aufrechterhaltung des staatsvertraglichen Vorbehaltes93. Im Gegensatz zum EVÜ-Vorbehalt betreffen die Artt. 10 bzw. 9 der Genfer Abkommen zum Wechsel- bzw. Scheckprivatrecht
die Anwendung der Verträge
als loi uniforme. Die „Aufhebung" dieser Beschränkungen durch Art. 59 I IPRG wird durch den zweiten Absatz derselben Vorschrift klargestellt. Die Artt. 2 III, 3 III bzw. 2 III, 4 III der Konventionen stellen demgegenüber „inhaltliche" Regelungen dar, die von der „in ogni caso"-Formel des Art. 59 I IPRG nicht berührt werden. Auf die erwähnten Bestimmungen der Genfer Abkommen soll später noch detaillierter eingegangen werden94. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass durch die „in ogni caso"Hinweisnormen des IPRG die Vorbehalte der jeweiligen Abkommen nur insoweit „überspielt" werden, als diese die erga-omnes-Wirkung der Abkommen für Italien ausschließen. Hierfür bietet das Gesetz nur ein konkretes Beispiel, bei dem die dementsprechende Auswirkung der Formel auch vom Gesetz klargestellt wird (Art. 59 II IPRG). Auch die Ausführungen zum schweizerischen IPRG, das sich ebenfalls der Hinweisnormen bedient, bestätigen dieses Ergebnis95. Die Vorschriften des schweizerischen IPRG, die dem italienischen Gesetz als Vorbild dienten96, erfüllen auch ohne „in ogni caso"-Formel dieselbe Funktion wie die Hinweisnormen des italienischen IPRG.
91 In diesem Sinne Venturini , DIP, S. 295 f. und Ballarino, DIP 1, S. 940; s. a. die Kommentare von Radicati Di Brozolo zur Rechtsprechung in Fn. 89. 92 Zur akzessorischen Anknüpfung im Bereicherungsrecht an das zugrunde liegende Rechtsverhältnis siehe Art. 128 I schweizerisches IPRG, § 46 S. 2 österreichisches IPRG, Art. 105 rumänisches IPRG und Art. 44 portugiesischer codigo civil. In der deutschen Literatur ist man lediglich bei der Leistungskondiktion von einer akzessorischen Anknüpfung ausgegangen (siehe MüKo (Kreuzer), vor Art. 38 I, Rn. 9 m.w.N.). In diesem Sinne ist nunmehr auch die Neuregelung des Art. 38 EGBGB gefasst worden (siehe § 1, Fn. 1). Die Vorschrift knüpft bei der Leistungskondiktion an das zugrunde liegende Rechtsverhältnis an (Absatz I), während im Übrigen auf den Ort des Eingriffes (Absatz II zu Eingriffskondiktion) bzw. des Eintritts der Bereicherung (Absatz III zu Bereicherung in sonstiger Weise) abgestellt wird. 93 Zur Rücknahme der Vorbehalte siehe Stimmen in Fn. 74. 94 Siehe § 15 V. 1. 95 Siehe Siehr (Fn. 73) zu Art. 83 Schweiz. IPRG; s. a § 10 I. 4., Fn 72 zur Rücknahme des „allseitigen" Vorbehalts nach Art. I Abs. III des New Yorker Schiedsabkommens von 1958. 96 Siehe auch § 2 V., Fn. 71 (allgemein) und und § 10 I. 4., bei Fn. 65 (Hinweismethode).
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
d) Die Änderungen der Staatsverträge Die vom italienischen Gesetzgeber gewählte Hinweismethode liefert grundsätzlich den Vorteil, dass Änderungen der Staatsverträge automatisch vom Hinweis des nationalen IPR mit umfasst werden97. Selbst wenn Hinweisnormen dies nicht ausdrücklich klarstellen, lässt ihr Zweck - nämlich die Vereinheitlichung von nationalem und staatsvertraglichem IPR - nur diese Schlussfolgerung zu. Diesem Verständnis hat sich auch die italienische Literatur zum IPRG angeschlossen98. Bei den Normen des italienischen IPRG ergeben sich jedoch dadurch Probleme, dass der Gesetzgeber beim Hinweis auf die Konventionen die italienischen Umsetzungsgesetze erwähnt99. Dadurch soll dem Rechtsanwender offensichtlich der Zugang zu dem staatsvertraglichen Text erleichtert werden. Auf Grund dieser Zitierung werden die Konventionen jedoch allein in der im benannten Umsetzungsgesetz enthaltenen Form inkorporiert. Lediglich Art. 3 II 1 IPRG stellt im Anschluss an die Erwähnung des EuGVÜ-Umsetzungsgesetzes klar, dass das Brüsseler Abkommen samt „späterer für Italien in Kraft befindlicher Änderungen" anzuwenden ist 100 . Die ,Dynamik" des Hinweises wird dadurch ausdrücklich hervorgehoben; die beabsichtigte Hilfestellung zur Auffindung des anzuwendenden konventionalen Textes kann bei einer Vertragsänderung jedoch nicht mehr geliefert werden. Die Intention der Hinweisnormen macht deutlich, dass auch die kollisionsrechtlichen Vorschriften der Artt. 42 I, 45, 57, 59 I IPRG im Ergebnis auf die neueste Fassung der jeweiligen Staatsverträge abzielen, die fur Italien in Kraft ist. Ein Hinweis auf eine innerstaatlich nicht in Kraft befindliche Fassung eines Abkommens würde ohnehin „ins Leere gehen"101. Dies muss trotz der vom Art. 3 II 1 IPRG abweichenden Formulierung der Vorschriften gelten. Aufgrund des Hinweises der Normen auf das bei Verabschiedung des IPRG aktuelle innerstaatliche Umsetzungsgesetz und mangels Hinweises auf spätere
97
Siehe § 10 I. 4., Fn. 80. Siehe dazu in Convegno di Crotone Giardina , S. 3 (allgemein) und Gaja, S. 27 (zu Art. 3 II 1 IPRG). Ebenso Treves , Com., RDIPP, S. 1181 zu Art. 57 IPRG, der richtigerweise auf das Risiko des Außerkrafttretens der Verträge hinweist (siehe dazu § 10 I. 4., Fn. 79). Giardina, a.a.O., S. 5 f. hätte es in diesem Zusammenhang vorgezogen, die Grundsatzregelungen der Staatsverträge in das IPRG aufzunehmen und im Übrigen den Wortlaut der Abkommen in einem Annex dem IPRG anzufügen. 99 Siehe dazu Forlati Picchio , in Convegno di Crotone, S. 124 - 126. 100 Art. 3 II 1 IPRG: „ ..., e successive modificazioni in vigore per l'Italia, ... 101 Siehe § 10 I. 3. b), Fn. 36. 98
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Änderungen der Verträge kann jedoch - im Gegensatz zu Art. 10 I cost. 102 - bei den kollisionsrechtlichen Hinweisnormen nicht von einem „rinvio mobile" gesprochen werden 103 . Um das gewünschte Ziel der Harmonisierung von nationalem und staatsvertraglichem Recht zu erreichen, bleiben somit nur die Möglichkeiten, die Artt. 42 I, 45, 57, 59 I IPRG nach dem Vorbild des Art. 3 II 1 IPRG zu ergänzen 1 0 4 , die Hinweise auf die innerstaatlichen Umsetzungsgesetze ganz zu streichen 105 oder die Hinweisnormen bei einer Änderung der Staatsverträge durch Hinweise auf das neue Umsetzungsgesetz anzupassen. Nachdem die „informatorische" Nennung der nationalen Gesetze mit der Änderung der Abkommen ohnehin obsolet wird und den Rechtsanwender durch die Bezugnahme auf das nicht mehr aktuelle Umsetzungsgesetz verwirrt, sollte man, wie im schweizerischen IPRG, auf einen derartigen Hinweis verzichten und vielmehr in einem Anhang zum IPRG auf die aktuelle Fassung der Konventionen verweisen. Einer Änderung der Hinweisnormen bedarf es in jedem Fall, wenn einer der Staatsverträge nicht nur geändert, sondern von Italien gekündigt oder insgesamt aufgehoben wird 1 0 6 . Die IPRG-Vorschriften würden in diesem Fall auf Abkommen verweisen, die sich innerstaatlich nicht in Kraft befinden 107 . Die 102 103 104 105
IPRG.
Siehe § 8 II., Fn. 13 und § 10 I. 4., Fn. 81, 82. I. d. S. jedoch Gaja (Fn. 98). Siehe Fn. 100. Siehe dazu § 10 I. 4., Fn. 72, 74 zu den Hinweisnormen im schweizerischen
106 A. A. Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 145 f. zu Art. 59 IPRG, der davon ausgeht, dass bei einer Aufhebung oder Kündigung der Genfer Kollisionsabkommen zum Wechsel- und Scheckrecht (zu diesen siehe i. E. unter § 15) auf internationaler Ebene die Staatsverträge kraft Art. 59 I IPRG in Italien weiter Anwendung finden. Er verneint diese Weitergeltung nur, sofern durch eine Kündigung der Verträge eine Missbilligung ihrer Regelungen zum Ausdruck gebracht werden soll. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine Frage der gesetzgeberischen Intention, sondern um eine Frage der Gesetzestechnik (siehe dazu in der nächsten Fußnote). 107 Aus der völkerrechtlichen Dualismustheorie ergibt sich einer Trennung von nationalem und internationalem Recht (siehe § 8 I.). Eine Umsetzung der Verträge in italienisches Recht wird in Form von „Anwendungsbefehlen" und nicht von eigenständigen nationalen Gesetzen vollzogen (siehe § 8 III., in Fn. 24 und i. E. unter §§ 12 - 15 zu den italienischen Zustimmmungsgesetzen der Abkommen.). Sofern Italien allein ein Übereinkommen kündigt, erfolgt dies auf der Grundlage eines entsprechenden nationalen Gesetzes, das das ursprüngliche Zustimmungsgesetz außer Kraft setzt. Darüber hinaus kann eine vollständige Aufhebung der Verträge grundsätzlich nur einvemehmlich zwischen den Vertragsstaaten erfolgen; auch in diesem Fall wird das Zustimmungsgesetz durch ein „Aufhebungsgesetz" abgelöst. Dasselbe gilt bei einer Reform eines Staatsvertrages. Falls ein Staatsvertrag von vorneherein zeitlich begrenzt war und insofern „ausläuft", erstreckt sich auch das anfangliche Zustimmungsgesetz nur auf diesen zeitlichen Rahmen. Die Staatsverträge wären somit in den geschilderten Fällen nicht mehr Bestandteil des innerstaatlichen Rechts. Die Hinweisnormen des IPRG können diese fehlende völkerrechtliche Umsetzung der Abkommen nicht ersetzen.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Hinweise würden insofern „ins Leere gehen"108. Zumindest bei den Artt. 42 I, 45, 57, 59 I IPRG gilt dies auch, wenn der Vertrag durch einen neuen Vertrag ersetzt wird. Das Inkrafttreten der MSA-Reform (= KSÜ) in Italien würde deshalb eine Anpassung des Art. 42 I IPRG erforderlich machen109. Dasselbe gilt für Art. 57 IPRG im Falle der Umwandlung des EVÜ in ein Gemeinschaftsinstrument 110. Im Gegensatz dazu muss Art. 3 II 1 IPRG nach Inkrafttreten der EuGVO111 nicht angepasst werden. Die EuGVO ist - anders als das KSÜ im Verhältnis zum MSA - kein vollständig neuer Vertrag, sondern nur das überarbeitete EuGVÜ in dem neuen rechtlichen „Kleid" einer Verordnung. Diese Überarbeitung des EuGVÜ erfasst der dynamische Verweis des Art. 3 II 1 IPRG ausdrücklich („successive modificazioni" 112). Zusätzlich stellt auch Art. 68 II EuGVO klar, dass Verweise auf das Brüsseler Abkommen als Verweise auf die Verordnung gelten. Da auch diese Regelung als Teil der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung Bestandteil des italienischen Rechts ist, wäre der dynamisch Verweis des Art. 3 II 1 IPRG im konkreten Fall sogar entbehrlich gewesen. Der Art. 68 II EuGVO zeigt somit eine weitere Lösungsmöglichkeit auch für die kollisionsrechtlichen Hinweisnormen. Eine Änderung der Artt. 42 I, 45, 57, 59 I IPRG wäre entbehrlich, wenn der neue Staatsvertrag eine dem Art. 68 II EuGVO entsprechende Regelung enthält. Dies könnte bei der Umwandlung des EVÜ in einen Gemeinschaftsrechtsakt in Betracht kommen113. Neben dem Umstand, dass der Verweis auf das nicht mehr aktuelle Umsetzungsgesetz zu Verwirrung führen kann, stellt sich bei Art. 3 II 1 IPRG noch ein weiteres redaktionelles Problem. Die Vorschrift erklärt die Abschnitte 2 bis 4 des Kapitels II des EuGVÜ für anwendbar, also die Artt. 5 - 1 5 EuGVÜ. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ enthielt dabei eine Regelung zum Gerichtsstand für individuelle Arbeitsverträge. In der EuGVO sind die Zuständigkeiten für diese Verträge nunmehr in einem neuen Abschnitt 5 des Kapitels II geregelt (Artt. 18 - 21 EuGVO). Da dieser neue Abschnitt eine „spätere Änderung" des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ darstellt, erstreckt sich zwar der Hinweis des Art. 3 II 1 IPRG auch auf dessen Vorschriften, der Hinweis wird dadurch jedoch leider noch intransparenter. Er ist nunmehr zu lesen als Hinweis auf die Abschnitte 2 bis 5 des Kapitels II der EuGVO.
108 109 110 111 112 113
Siehe Hinweis in Fn. 101. Siehe § 12 IX. zur Reform des MSA (= KSÜ). Siehe § 14 I., Fn. 8. Siehe § 161. 1 „Fn. 4. Zum Wortlaut siehe Fn. 100. Siehe Fn. 110.
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e) Die allgemeinen IPR-Vorschriften der Staatsverträge Nachdem die kollisionsrechtlichen Staatsverträge, auf die das IPRG verweist (Artt. 42 I, 45, 57, 59 I IPRG), z. T. auch Regelungen zu allgemeinen Fragen des IPR enthalten, gilt es zu klären, in welchem Verhältnis diese Vorschriften zu den Artt. 13-19 des IPRG („disposizioni generali") stehen. Es ist zu prüfen, ob die Hinweisnormen des IPRG auch die allgemeinen Vorschriften der Abkommen im Rahmen ihres staatsvertraglichen Anwendungsbereiches inkorporieren und die Parallelvorschriften der Artt. 13, 16 - 18 IPRG114 insoweit verdrängen.
aa) Allgemeine Diskussion und die Artt. 13, 17, 18 IPRG
Eine ausdrücklich Regelung dieser Frage findet sich lediglich in Art. 13 IV IPRG zum Renvoi. Gemäß der Vorschrift sollen die staatsvertraglichen Lösungen115 dem Art. 13 IPRG vorgehen, der erstmalig im italienischen IPR einen Renvoi zulässt116. Nach der Neuregelung erfolgt nunmehr eine Rückverweisung uneingeschränkt (Art. 13 I b) IPRG) sowie eine Weiterverweisung unter der Voraussetzung der Annahme der Verweisung durch den jeweiligen Drittstaat (Art. 13 I a) IPRG -,/invio oltre accettato"). Im Gegensatz dazu hat im bisherigen Recht Art. 30 disp. prel. die italienischen Kollisionsnormen - entgegen allgemeinen internationalen Standards117 - ausschließlich als Sachnormverweisungen behandelt.
114
Den Artt. 14 (Kenntnis des ausländischen Rechts), 15 (Auslegung und Anwendung des ausländischen Rechts) und 19 (Staatenlose, Flüchtlinge und Mehrstaatlichkeit) entsprechende Vorschriften finden sich nicht in den Staatsverträgen der Hinweisnormen; zu Art. 19 IPRG siehe Hinweise unter § 10 II. 3., in Fn. 128. 115 Siehe in der übernächsten Fußnote zu Artt. 2 I, 3, 4 I MSA (Art. 42 I IPRG), Artt. 4 I, 6, 7, USTA (Art. 45 IPRG) und Art. 15 EVÜ (Art. 57 IPRG) sowie den Hinweis in der nächsten Fußnote auf den Art. 2 I 2 der Genfer Abkommen zum internationalen Wechsel- und Scheckprivatrecht (Art. 59 I IPRG). 116 Allgemein zur Neuregelung des Renvoi siehe - neben der gängigen italienischen Literatur zum IPRG - Bonomi, La loi applicable aux successions dans le nouveau droit international privé italien et ses implications dans les relations italo-suisses, in SZIER 1996, S. 479 (483 - 490) sowie auf deutsch Kappellmann, Der „rinvio" im italienischen Internationalen Privatrecht - Hintergründe und Auswirkungen, in ZfRV 1997, S. 177 — 183; Kindler, in RabelsZ 1997, S. 252 - 254; Maglio / Thorn, , in ZVglRWiss. 1997, S. 348 - 350; Staudinger (Hausmann), Anh. zu Art. 4, Rn. 220, 221 und Pocar, in IPRax 1997, S. 150. Siehe auch unter § 15 V. 2. zum Renvoi in den Genfer Wechsel- und Scheckrechtsabkommen. 117 Siehe dazu ausführlich die einzelnen Länderberichte in Staudinger (Hausmann), Anh. zu Art. 4.
162
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Art. 13 IV IPRG stellt im Grunde eine Selbstverständlichkeit klar, indem er sicherstellt, dass die staatsvertraglichen Sachnormverweisungen nicht durch Art. 13 IPRG i. V. m. den Hinweisnormen des IPRG zu Gesamtverweisungen werden 118. Lediglich die Art. 2 I 2 der Genfer Abkommen zum internationalen Wechsel- und Scheckprivatrecht, auf die Art. 59 I IPRG verweist, enthalten eine begrenzte Rück- und Weiterverweisung, die durch Art. 13 IV IPRG auch im Rahmen des Art. 591 IPRG zur Anwendung kommt119. Der Grundgedanke des Art. 13 IV IPRG lässt sich im Prinzip auf die anderen allgemeinen Vorschriften des IPRG übertragen 120. Der Zweck der Hinweisnormen - nämlich die Harmonisierung von staatsvertraglichem und nationalem IPR - kann nur dann erreicht werden, wenn die Hinweise auch die allgemeinen Vorschriften der Abkommen erfassen 121. Zudem handelt es sich auch bei den Bestimmungen zum „allgemeinen Teil" des Kollisionsrechts um „inhaltliche" Regelungen der Staatsverträge122. Im Ergebnis ist diese Frage von begrenzter Relevanz, da die allgemeinen Vorschriften der Übereinkommen im Kern den Regelungen der Artt. 1 6 - 1 8 IPRG entsprechen. Art. 17 IPRG („norme di applicazione necessaria") übernimmt - ähnlich dem Art. 34 EGBGB - die Regelung des Art. 7 II EVÜ 123 . Die Vorschrift 118
Staatsverträge enthalten zumeist Sachnorm Verweisungen, da Gesamtverweisungen von den Anknüpfungen der Abkommen wegführen und dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung und -Vereinfachung somit entgegenlaufen. In neueren Verträgen wird dies zumeist ausdrücklich geregelt. Die Haager Abkommen verweisen insofern auf „innerstaatliches Recht4' (z. B. Artt. 2 I, 3, 4 I MSA, Artt. 4 1, 6, 7, USTA und Artt. 2 I, 3 I III, 4 des Haager IPR-Kaufrechtsabkommens [zu diesem siehe § 14 II. 1. a), Fn. 12]). Andere Abkommen stejlen gesondert klar, dass sie nur Sachnorm Verweisungen enthalten (z. B. Art. 15 EVÜ). Einige wenige Abkommen lassen im Gegensatz dazu einen Renvoi ausdrücklich zu (siehe nächste Fußnote zu den Genfer Abkommen zum internationalen Wechsel- und Scheckprivatrecht; s. a. Art. 1, 2. Hs. des Haager Eheschließungsabkommens [siehe § 10 II. 3., Fn. 131]). Sofern sich Staatsverträge zur Frage des Renvoi nicht äußern, ist der Charakter ihrer Kollisionsnormen auszulegen. Infolge der oben erwähnten Intentionen beim Abschluss von IPR-Staatsverträgen (Rechtsvereinheitlichung) ist dabei zumeist von Sachnormen auszugehen (Soergel (Kegel), Art. 4, Rn. 30 mit Beispielen; MüKo (Sonnenberger), Art. 4, Rn. 66; Staudinger (Hausmann), Art. 4, Rn. 113 sowie Rn. 116 ff. mit Erläuterungen zu einzelnen Verträgen). 119 Siehe Hinweis in Fn. 116 Ende. 120 I. d. S. Bariatti, in Convegno di Crotone, S. 369 - 375; zweifelnd Forlati Picchio, ebenda, S. 119-122. 121 Siehe auch § 19 III. 4. a) zur Praxis des deutschen Gesetzgebers, allgemeine Vorschriften des EVÜ in das EGBGB zu übernehmen und „vor die Klammer zu ziehen". 122 Siehe oben unter b) und c) zur Argumentation beim zeitlichen Anwendungsbereich und den staatsvertraglichen Vorbehalten. 123 Zu der Vorschrift siehe für alle Migliorino, in Stud. iur. 1998, S. 109-113; Ballarino, DIP 2, S. 619 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 257.
§ 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
163
sichert die Gültigkeit italienischer „Eingriffsnormen" bei der Anwendung ausländischen Rechts. Zur Frage der zwingenden Vorschriften ausländischen Rechts enthält lediglich Art. 7 I EVÜ eine Bestimmung, die über Art. 57 IPRG im internationalen Vertragsrecht allgemein zur Anwendung kommen soll 124 . Die in Art. 18 IPRG („ordinamenti plurislegislativi") gewählte kollisionsrechtliche Lösung bei Staaten ohne einheitliche Rechtsordnungen entspricht den staatsvertraglichen Regelungen des Art. 14 MSA (Art. 42 I IPRG) und des Art. 16 USTA (Art. 45 IPRG)125. Die Bestimmungen stellen für den Fall, dass die Kollisionsnormen des IPRG bzw. der Abkommen auf das Recht eines Staates mit mehreren Teilrechtsordnungen verweisen, primär auf das interlokale oder interpersonale Privatrecht dieses Staates ab (Art. 18 I IPRG) und nehmen mangels derartiger Vorschriften eine Schwerpunktbetrachtung aus der Sicht des Forumgerichts vor (Art. 18 II IPRG). Eine abweichende Regelung enthält hingegen Art. 19 EVÜ, der über Art. 57 IPRG zur Anwendung kommt126 und Art. 18 IPRG für den Bereich des internationalen Vertragsrechts verdrängt. Demzufolge ersetzt das EVÜ grundsätzlich das interlokale Recht eines Mehrrechtsstaates (Art. 19 I EVÜ 127 ), gewährt dem Staat selbst jedoch durch die Fakultativklausel des Art. 19 II EVÜ die Möglichkeit, seine eigenen Rechtsgrundsätze anzuwenden. Ausführlicher soll im Folgenden auf Art. 16 IPRG (ordre public) eingegangen werden.
124
I. d. S. Treves , Com., RDIPP, S. 987; ebenso Kindler, in RabelsZ 1997, S. 258. Dass sich der Hinweis des Art. 57 IPRG auch auf Art. 7 I EVÜ erstreckt, lässt sich auch dem Kommissionsbericht zu Art. 17 IPRG entnehmen (RDIPP 1989, S. 955 zu Art. 15 [= Art. 17 IPRG], zweiter Absatz), der ausdrücklich auf die Regelung der Bestimmung verweist. Gemäß dem Bericht sollen über Art. 7 I EVÜ hinaus Eingriffsnormen einer ausländischen lex causae über Art. 13 (= Art. 15 IPRG) zur Anwendung kommen; für sonstige Eingriffsnormen ausländischen Rechts soll Art. 7 I EVÜ dem Rechtsanwender einen „utile punto di riferimento" bieten (siehe dazu auch Kindler, a.a.O.). 125 Siehe auch Art. 1 II TestFÜbk. (i. E. zu dem Abkommen siehe § 17 I. mit Quellen in Fn. 1). Dieselbe Regelung enthält Art. 4 III des deutschen EGBGB (siehe dazu § 19 III. 4. a), in Fn. 197). 126 I. d. S. Carbone , Com., RDIPP, S. 991; ebenso Kindler, in RabelsZ 1997, S. 258. 127 Zur Parallelvorschrift im deutschen IPR siehe Art. 35 II EGBGB.
164
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
bb) Art. 16 IPRG (ordre public)
Im Anschluss an allgemeine Grundsätze des nationalen und internationalen IPR 128 und die bisherige Bestimmung des Art. 31 disp. prel. regelt das IPRG in seinem Art. 16 die Grundsätze des ordre public129. Im Gegensatz zu Art. 31 disp. prel. ist die Formulierung des Art. 16 I IPRG wesentlich vereinfacht worden. Dadurch soll klargestellt werden, dass die Vor128
Zu internationalen Abkommen siehe Art. 16 EVÜ, Art. 16 MSA, Art. 11 I USTA und Art. 7 TestFÜbk. sowie Art. 15 des Haager Adoptionsabkommens vom 15. 11. 1965 (§ 10 II. 3., Fn. 131) und Art. 10 des Haager Straßenverkehrsabkommens (siehe § 11 II. 2. a), Fn. 31). Zu nationalen IPR-Gesetzen siehe Art. 6 S. 1 deutsches EGBGB (s. a. § 19 III. 4. a), in Fn. 197), Art. 17 schweizerisches IPRG, § 6 österreichisches IPRG, Art. 8 I a), II rumänisches IPRG, Art. 12 III spanischer codigo civil, § 36 tschechisch / slowakisches IPRG, § 7 ungarische IPR-VO, Art. 5 türkisches IPRG, Art. 33 griechisches Zivilgesetzbuch, Art. 6 polnisches IPRG und Art. 22 portugiesisches Zivilgesetzbuch. Neben den allgemeinen ordre public-Klauseln enthalten das schweizerische IPRG und die ungarische IPR-VO spezielle ordre-public-Vorschriften im Anerkennungsrecht (Art. 27 I schweizerisches IPRG, § 73 a) ungarische IPR-VO) und im Schiedsrecht (Art. 190 II e) schweizerisches IPRG - Anfechtung von Schiedentscheidungen). Zu den weiteren Vorschriften des italienischen IPRG siehe in der nächsten Fußnote. Die Ausnahmeklausel des Art. 15 I schweizerisches IPRG bildet hingegen nur ein Korrektiv zugunsten der Rechtsordnung mit dem engsten Bezug zum Sachverhalt und steht nicht im Zusammenhang mit dem ordre public; siehe dazu und zur Frage einer Ausweichkausel im italienischen IPRG § 3 II 3., bei Fn. 55. 129 Neben der allgemeinen ordre-public-Vorschrift des Art. 16 IPRG zur Frage des anwendbaren Rechts berücksichtigt Art. 64 g) IPRG den ordre public im Bereich des Anerkennungs- sowie Artt. 69 IV, 71 III 2 IPRG im Rechtshilferecht; siehe § 16 I. 2. a) bb) und c). Auch diese Regelung entspricht den einschlägigen Staatsverträgen zum Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht (siehe z. B. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ (= Art. 34 Nr. 1 EuGVO), Art. 2 Nr. 5 des Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommens zur Unterhaltspflicht gegenüber Kindern und Art. 5 Nr. 1 des Haager Anerkennungsund Vollstreckungsabkommens zum Unterhaltsrecht (zu den beiden Abkommen siehe § 13 II. 2., Fn. 25), Art. 1 Nr. 3 des Luxemburger CIEC-Übereinkommens über die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen vom 8. 9. 1967 (Jayme / Hausmann, Nr. 182) und Art. V Absatz II b) New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. 6. 1958 (siehe § 14 III. 2. d) bb), Fn. 70). Eine ordre-public-artige Bestimmung findet sich auch in Art. 31 II IPRG im Bereich der Ehetrennung und Scheidung (s. a. § 3 II. 5. a) bb), Fn. 97 und § 5 III. 3., bei Fn. 45). Auch hier kehrt der Gesetzgeber zur eigenen lex fori zurück, sofern die Ehe nach dem anwendbaren ausländischen Recht unauflöslich ist; im Gegensatz zum deutschen (Art. 17 12 EGBGB) und schweizerischen IPR (Art. 61 III IPRG) ist die Anwendung der Regelung nicht auf eigene Staatsangehörige beschränkt. Somit findet die Reform des italienischen Familienrechts auch im IPR ihren Ausdruck. Nachdem bis zum Scheidungsgesetz von 1970 (siehe § 2 II. 3.) die Scheidung der Ehe in Italien verboten war, wurden bis dahin ausländische Scheidungsvorschriften infolge des ordre-publicVorbehaltes von Art. 31 disp. prel. in Italien nicht angewendet (siehe dazu Mosconi, DIPP I, S. 129 f.).
§ 11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
165
schrift nur für den ordre public im Sinne des internationalen Privatrechts zur Anwendung kommt 1 3 0 . Zudem begnügt sich der Art. 16 I IPRG damit, von Verstößen gegen den ordre public zu sprechen und verweist nicht zusätzlich wie Art. 31 disp. prel. auf den im Ergebnis deckungsgleichen Begriff der „guten Sitten" („buon costume") 131 . Im Gegensatz zu den Vorentwürfen zum IPRG 1 3 2 sowie den Vorschriften internationaler Verträge 133 fordert Art. 16 I IPRG keinen „offensichtlichen" („manifestamente") Verstoß gegen den innerstaatlichen ordre-public, um zur Unanwendbarkeit des ausländischen Rechts zu gelangen. Im Ergebnis dürften sich daraus jedoch keine Schlussfolgerungen in Richtung einer weniger restriktiven Anwendung der Vorschrift ergeben 134 . Eine strengere Formulierung der ordre-public-Vorschrift hätte in der Sache nur „erzieherischen" Wert. Der Fachbegriff des „ordre public" spricht im Rahmen des IPR fiir sich und bedarf ohnehin einer näheren Ausgestaltung durch die Rechtsprechung 135 .
130
Infolge der ausschweifenden Formulierung des Art. 31 disp. prel. ist darüber diskutiert worden, ob die Vorschrift nicht auch den „ordine pubblico" des nationalen privaten und öffentlichen Rechts regeln soll (darauf hinweisend der Bericht der Expertenkommission, in RDIPP 1989, S. 954 zu Art. 14 des Entwurfes [= Art. 16 IPRG]; s. a. Vitta, in Problemi, S. 42; Mosconi , DIPP I, S. 128 f. und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 254). Im Rahmen der Kommission wurde erwogen, im Wortlaut des Art. 16 I IPRG insofern von einem „internationalen" ordre public zu sprechen; von dieser Formulierung wurde jedoch abgesehen, da die beschränkte Anwendung der nunmehr einfach gefassten Vorschrift aus dem Gesamtzusammenhang ersichtlich sei (RDIPP 1989, S. 954 - „limite inerente"). Von einem „internationalen" ordre public spricht dagegen ausdrücklich der Art. 22 I des portugiesischen Zivilgesetzbuches. 131 Siehe dazu den Kommissionsbericht in RDIPP 1989, S. 954 f. und Vitta, in Problemi, S. 43. 132 Siehe Art. 3 des „progetto Vitta", in Problemi, S. 262 und die Kommentierung von Vitta, ebenda, S. 43 sowie Art. 14 I des Kommissionsentwurfes, in RDIPP 1989, S. 934. Der Regierungsentwurf entspricht demgegenüber der endgültigen Formulierung des Art. 16 I IPRG (siehe Studi Vitta, S. 451). 133 Siehe Fn. 128; ebenso Art. 6 S. 1 EGBGB, Art. 5 türkisches IPRG. 134 Mosconi, in Studi Vitta, S. 369 - 383 (371 f.); ders., DIPP I, S. 129 und Qualche riflessione in tema d'ordine pubblico nel progetto di riforma e nella convenzione di Bruxelles del 1968, in RDIPP 1992, S. 5 (7); auch Vitta, in Problemi, S. 43 spricht von einer eher „psychologischen" Funktion der Ergänzung „manifesta"; skeptische hingegen Fumagalli, in RDIPP 1993, S. 497, Fn. 7 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 256 (zur Begründung der Skeptik siehe nächste Fußnote). 135 Die neuere Rechtsprechung vor Inkrafttreten des IPRG forderte im Rahmen der ordre-public-Prüfung einen „offensichtlichen" („manifesta incompatibilità") Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, ohne dass Art. 31 disp. prel. eine derartige Formulierung enthalten hat (Cass. 18. 10. 1991, n. 11044, in RDIPP 1993, S. 94). Die skeptischen Stimmen zur endgültigen Fassung des Art. 16 disp. prel. (vorige Fußnote) berufen sich jedoch gerade auf den Umstand, dass der Gesetzgeber trotz dieser Rechtsprechung den
166
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Der Absatz II des Art. 16 IPRG regelt erstmals die Rechtsfolgen eines ordrepublic-Verstoßes. Für den Fall, dass die einschlägige Kollisionsnorm alternative oder subsidiäre Anknüpfung enthält, soll gemäß Art. 16 II 1 IPRG das durch die übrigen Anknüpfungen zur Anwendung berufene Recht gelten. Mangels solcher Anknüpfungen kommt - wie nach bisherigem Recht - italienisches Recht zur Anwendung (Art. 16 II 2 IPRG) 136 . Die Regelung entspricht dem Art. 14 II IPRG für den Fall der Nichtfeststellbarkeit des ausländischen Rechts. Art. 16 II IPRG schwächt die in romanischen Rechtsordnungen traditionelle Anwendung der (materiellen) lex fori im Falle eines ordre-public-Verstoß ab 1 3 7 , indem italienisches Recht nur subsidiär zur Anwendung kommt. Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus spricht man sich ζ. T. auch dafür aus, den Grundsätzen des deutschen IPR folgend 138 zuerst eine Ersatzlösung in der lex causae zu suchen 139 .
Wortlaut des Art. 16 I disp. prel. im Gegensatz zu den Vorentwürfen des Gesetzes (Fn. 732) geändert hat. 136 I. d. S. auch die übrigen nationalen IPR-Vorschriften, die die Rechtsfolgenfrage regeln (Art. 8 II rumänisches IPRG, Art. 5, 2. Hs. türkisches IPRG, § 6 S. 2 österreichisches IPRG, § 7 III ungarische IPR-VO und Art. 22 II portugiesische Zivilgesetzbuch (allerdings subsidär zu einer Ersatzlösung im anwendbaren Recht; siehe Fn. 139). 137 Zur Diskussion i. R d. Art. 31 disp. prel. siehe Vitta, in DIP I, S. 407 - 415 sowie Hinweise von Vitta, in Problemi, S. 43 unten; s. a. Boschiero, Com., NLCC, S. 1061 r. Sp. und in der deutschen Literatur Hinweise von Staudinger (Blumenwitz), Art. 6, Rn. 146, 145 und MüKo (Sonnenberger), Art. 6, Rn. 91 in Fn. 314. Zu einer Erörterung der Frage i. R d. Vorentwürfe zum IPRG siehe Mosconi, Qualche considerazione sugli effetti dell'eccezione di ordine pubblico, in RDIPP 1994, S. 5 - 14. Zur Anwendung der lex fori im Scheidungsrecht siehe in Fn. 129 zu Art. 31 II IPRG. 138 BGH 14. 10. 1992, in BGHZ 120, S. 29 (37) = IPRax 1993, S. 102 unter II. 6. mit Anm. Henrich, S. 83; dadurch soll das „Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs" in die lex causae gewahrt werden. Zu weiteren Nachweisen siehe MüKo (Sonnenberger), Art. 6, Rn. 91 in Fn. 313. 139 Ballarino, DIP 2, S. 296 oben und im Anschluss an diesen auch Kindler, in RabelsZ 1997, S. 256. Eine ausdrückliche Regelung in diese Richtung enthält Art. 22 II portugiesisches Zivilgesetzbuch („die geeignetsten Normen des anwendbaren ausländischen Rechts" - Übersetzung Hartard, in Riering, S. 113). Ablehnend Boschiero, Com., NLCC, S. 1061 f., die jedoch auf die französische Rechtsprechung verweist (Fn. 71), derzufolge die Nichtanwendung der lex causae nur insoweit erfolgt, als der innerstaatliche ordre public dies fordert (s. a Fn. 138 zum „Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs"). Zur begrenzten Wirkung des ordre public s. a App. Milano 17. 12. 1991, in RDIPP 1993, S. 109; zu dem Urteil s. a Mosconi (Fn. 137), S. 7. Mosconi (Fn. 137), S. 6 f. (ders., in DIPP I, S. 133 f. und Com., RDIPP, S. 983 985) spricht sich für eine Einzel fai Ibetrachtung aus („soluzioni meno schematiche"), ohne dass in einer bestimmten Reihenfolge die Lösung in der lex causae oder der lex fori zu suchen ist.
§11 Allgemeines zur Bedeutung der „in ogni caso"-Hinweisnormen
167
Die Ausführungen zu Art. 16 IPRG zeigen, dass es im Ergebnis wohl keinen Unterschied machen wird, ob im Rahmen der Hinweisnormen des IPRG die ordre public Vorschriften der Staatsverträge (Artt. 16 MSA, 11 USTA, 16 EVÜ) oder Art. 16 I IPRG zur Anwendung kommt. Man könnte allerdings erwägen, sich mangels einer Regelung in den Abkommen auch im Rahmen der Verträge der Rechtsfolgenvorschrift des Art. 16 II IPRG zu bedienen 140 . Die Bestimmung kann wohl in diesen Fällen nicht direkt zur Anwendung kommen. Die erstmalige gesetzliche Normierung der Rechtsfolge eines ordre-publicVerstoßes im italienischen IPR wird jedoch zumindest indirekt die Rechtsprechung italienischer Gerichte auch bei der Anwendung der Staatsverträge beeinflussen.
f) Die „Teilfragen" der Geschäftsfähigkeit und der Formwirksamkeit
Aus demselben Grund wie die allgemeinen Bestimmungen der Abkommen werden auch die staatsvertraglichen Normen von den kollisionsrechtlichen Hinweisnormen des IPRG erfasst, die kollisionsrechtliche „Teilfragen" 141 zum
140
I. d. S. Forlati Picchio , in Convegno di Crotone, S. 374. Auf die in der deutschen Literatur z. T. vorgenommene Differenzierung zwischen Teil-, Erst- und Vorfrage i. e. S. soll hier i. E. nicht eingegangen werden (siehe dazu Neuhaus, Grundbegriffe, § 16 (Teilfrage) bzw. § 46 (Vorfrage) und im Anschluss an diesen Kropholler, IPR, § 18 (Teil- und Erstfrage) bzw. § 32 (Vorfrage); siehe auch v. Hoffmann, IPR, § 6, Rn. 42 - 72 und Lüderitz, IPR, Rn. 137 - 143; zusammenfassend zu dieser Diskussion siehe MüKo (Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 495 f.). In der italienischen Literatur nimmt Ballarino, DIP 2, S. 254 - 258 (insbesondere S. 255 f.) dieselbe Differenzierung vor und unterscheidet zwischen questioni preliminari (Vorfrage), questioni parziali (Teilfrage) sowie sog. parti della questione principale (Erstfrage); siehe dazu auch § 13. IV., in Fn. 67. Im Speziellen zu Vorfragen innerhalb des staatsvertraglichen Kollisionsrechts siehe Kropholler, a.a.O., § 32 VI; Sonnenberger, a.a.O., Rn. 522 und Lüderitz, IPR, Rn. 141. Zur Terminologie im italienischen Prozessrecht siehe § 16 II. 8. b), in Fn. 503. Von praktischer Relevanz scheint in diesem Zusammenhang lediglich eine Differenzierung zwischen Teil- und Vorfrage i. e. S. zu sein. In ersterem Fall handelt es sich um eine Rechtsfrage, die niemals isoliert auftreten kann (z. B. Geschäfts-, Delikts- oder Testierfahigkeit oder Formerfordernisse), so dass sie unselbständig anzuknüpfen ist (Sachrecht der Hauptfrage), soweit nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt wird (z. B. Artt. 7, 11 EGBGB; s. a. § 12 III. 1. zu Art. 12 MSA). Vorfragen i. e. S. betreffen hingegen eigenständige Rechtsfragen, die bei der Anwendung einer Kollisionsnorm vorab zu klären sind; siehe z. B. § 13 IV. zur Vorfrage des familienrechtlichen Verhältnisses bei „Unterhaltsverpflichtungen in der Familie". 141
168
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Inhalt haben. Dies gilt fiir Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit 142 und Formwirksamkeit 143. Die Anwendung der staatsvertraglichen Vorschriften kraft der besonderen Hinweisnormen erweist sich neben dem teleologischen Argument der Harmonisierung von nationalem und internationalem Recht auch aus gesetzessystematischen Gründen als unproblematisch. Zum einen verweist nämlich der Art. 23 I 2 IPRG für die Frage der Geschäftsfähigkeit explizit auf den Vorrang von Regelungen spezieller Rechtsgebiete144, zum anderen enthält das IPRG entgegen dem bisherigen Recht - keine allgemeine Formvorschrift 145.
142 Art. 12 MSA (siehe § 12 III. 1.), Art. 11 EVÜ (siehe § 14 III. 2. a)) sowie die Art. 2 der Genfer Abkommen zum internationalen Wechsel- und Scheckprivatrecht (siehe § 15 V. 1. zu den Fakultativklauseln der Vorschriften i. R. d. Art. 59 I IPRG). 143 Art. 9 EVÜ und Artt. 3 bzw. 4 der Genfer Abkommen zum internationalen Wechsel· und Scheckprivatrecht (siehe § 15 V. 1. zu den Fakultativklauseln der Vorschriften 1. R. d. Art. 59 1 IPRG). Die Anwendung des Art. 9 EVÜ setzt voraus, dass die Frage der Formwirksamkeit eines Vertrages im konkreten Fall materieller Natur ist (siehe § 14 III. 2. d) bb) zu Schieds- und Gerichtsstands Vereinbarungen). 144 Siehe § 12 III. 1. zur Frage der Minderjährigkeit i. R. d. MSA. 145 Siehe § 3 II. 4. c).
§ 12 Art. 42 IPRG (Minderjährigenschutz) I. Die Neuregelung des Art 42 IPRG
Ähnlich1 dem schweizerischen IPRG (Art. 85 I, II schweizerisches IPRG) erklärt auch das italienische IPRG in seinem Art. 42 das „Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen" vom 5. 10. 1961 (MSA)2 für den Schutz Minderjähriger („protezione dei minori") für „auf jeden Fall" anwendbar. Obwohl die italienische Ratifikationsermächtigung sowie die Umsetzung des Abkommens bereits im Jahre 1980 erfolgte 3, ließ die endgültige Ratifikation des Vertrages durch Italien mangels notwendiger Durchfuhrungsvorschriften lange auf sich warten. Erst nach deren Erlass4 wurde die Ratifikationsurkunde hinterlegt5, so dass die Konvention gemäß ihrem Art. 20 II am 23. 4. 1995 für
1 Im Gegensatz zu Art. 42 IPRG erweitert das schweizerische IPRG den Anwendungsbereich des Abkommens auch auf den Schutz Volljähriger (s. a. IX. 3. zur Reform des MSA). Das italienische IPRG enthält dafür eigene Regelungen (Artt. 43,44 IPRG). 2 BGBl. 1971 II, S. 219 (französischer und deutscher Text) und BT-Drucks. VI / 947 mit Denkschrift der Bundesregierung, S. 9 - 17; zum deutschen Text s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 54. Ausführlich zu dem Abkommen siehe vor allem den Bericht durch v. Steiger, in Actes et documents, 9. Session, Protection de mineur, S. 219 - 243. 3 Legge 24. 10. 1980, η. 742 in Gazz. Uff. 12. 11. 1980, n. 310; auf dieses Gesetz verweist auch der Gesetzes Wortlaut des Art. 42 IPRG (s. a. § 11 II. 2. d) zur Problematik dieses Verweises). 4 Art. 4 legge 15. 1. 1994, n. 64 in Gazz. Uff. 29. 1. 1994, n. 23; s. a RDIPP 1995, S. 847. Die Durchführungsbestimmungen des Art. 4 betreffen die Artt. 6 - 9 MSA; zu Art. 3 IV des Gesetzes siehe VII. 2., Fn. 118. Art. 3 I desselben Gesetzes enthält Ratifikationsermächtigungen zum Haager Kindesentführungsabkommen, zum Europäischen Sorgerechtsübereinkommen (beide von 1980) und zum Haager Europäischen Heimführungsabkommen von 1970; zu diesen Verträgen siehe unter II. 5 Hinterlegung am 22. 2. 1995; siehe Gazz. Uff. 20. 4. 1995, n. 92.
170
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Italien in Kraft getreten ist6 und seitdem die Regelungen der disp. prel. verdrängt.
1. Die bisherige Regelung des Minderjährigenschutzes
Vor Inkrafttreten des IPRG fand der Minderjährigenschutz seine Regelung in Art. 21 disp. prel. („La tutela e gli altri istituti di protezione degli incapaci... "). Bei den Fragen der elterlichen Gewalt („patria potestà") und der Minderjährigkeit erfolgte nach h. M. 7 eine selbständige Anknüpfung gemäß Art. 20 (Rechtsbeziehungen zwischen Eltern und Kind)8 bzw. Art. 17 I 9 (Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie Rechtsverhältnisse der Familie) disp. prel.
2. Der Minderjährigenschutz
in den Entwürfen
zum IPRG
In seinem ersten Entwurf von 1968 hatte Vitta die bisherige Bestimmung des Art. 21 disp. prel. übernommen und lediglich die Reichweite des Schutzstatuts näher umrissen (Art. 11 Entwurf 1968)10. Erweitert wurde diese Regelung erstmals durch die Artt. 24, 25 in Vittas „progetto" 11 . Vitta differenzierte dabei nach der Art der Schutzmaßnahme in Anlehnung an die im italienischen Zivilrecht bestehenden Rechtsinstitute, Art. 24 progetto unterstellte die „tutela"12 (Vormundschaft) sowie die 6
BGBl. 1995 II, S. 330; s. a. RDIPP 1995, S. 839 (als Datum des Inkrafttretens wird jedoch fälschlicherweise der 22. 4. 1995 angegeben). Zum langen italienischen Ratifikationsweg und zur Reform des Abkommens siehe Bonomi, in RDIPP 1995, S. 607 - 656. Die Tatsache der Ratifikation wird jedoch in der Literatur vereinzelt noch übersehen (siehe Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 226 unten). Zur Reform des Abkommen (= KSÜ) siehe unter IX. 7 Vitta, in Problemi, S. 104, Nr. 27 m.w.N. in Fn. 134 (S. 245); ders., in DIP II, S. 50 bzw. S. 407 f.; Balladore Pallien, DIP (1974), S. 234 und Ballarino, DIP 1, S. 781
- 783. Siehe auch die Hinweise bei Franchi , Com., NLCC, S. 1235 f. und Honor ati, Com., RDIPP, S. 1116. 8 Zum kollisionsrechtlichen Charakter des Art. 3 MSA siehe unter V. 2. b). 9 Ballarino, DIP 1, S. 783 verweist auch auf Art. 17 II disp. prel., obwohl die Vorschrift für Fragen des Familienrechts keine Anwendung findet (siehe letzter Hs. von Art. 17 II disp. prel.). 10 Siehe in Prospettive, S. 263; zum Entwurf von 1968 siehe § 1 ,Fn. 10. Text und Kommentierung der Artt. 24, 25 von Vitta, in Problemi, S. 267 (Text) bzw. S. 104 - 109 (Nr. 27, 28); allgemein zum „progetto" siehe § 1, Fn. 12. 12 Zur „tutela" über Minderjährige („minori") siehe Artt. 343 - 389 c. c.; zur Vormundschaft über Entmündigte („interdetti") siehe Artt. 424 I, 414 c. c. Allgemein zur „tutela" siehe Trabucchi, Istituzioni, Nr. 40 Β.
§ 12 Art. 42 IPRG (Mindeijährigenschutz)
171
„curatela" 13 (Pflegschaft) dem „diritto personale" des Geschäftsunfähigen, d. h. dessem Heimatrecht (Art. 4 I progetto). Die lediglich vorübergehende „Betreuung" (affidamento temporaneo) 14 von Minderjährigen und Volljährigen sowie Eilmaßnahmen (misure di urgenza) zum Schutz derselben sollten gemäß Art. 25 I progetto grundsätzlich 15 durch das Aufenthaltsrecht geregelt werden 16 . Vittas Entwurf hat somit nach der Dauer der Maßnahmen unterschieden, während das IPRG beim Schutz Geschäftsunfähiger zwischen dem Schutz von Minderjährigen (Art. 42 IPRG) und von Volljährigen (Art. 43 IPRG) differenziert 17 . Eine den Artt. 42 - 44 IPRG entsprechende Regelung zum Schutz Geschäftsunfähiger enthielt erstmals der Kommissionsentwurf von 1989 (Artt. 40 - 42) 1 8 . Der Entwurf verwies somit zu einem Zeitpunkt auf das MSA, als dieses in Italien innerstaatlich noch gar nicht in Kraft getreten ist 1 9 . Der Hinweis wäre insofern damals noch ins Leere gegangen 20 . Die Kommission hat hier wohl auf die rechtzeitige Inkraftsetzung des MSA in Italien vertraut.
13 Zur „curatela" über sog. emanzipierte Minderjährige („minori emancipati") siehe Artt. 390 - 396 c. c.; zur Pflegschaft über beschränkt Geschäftsfähige („inabilitati") siehe Art. 424 I, 415 c. c. Zu den „minori emancipati" siehe im Einzelnen unter III. 2. Neben dieser allgemeinen Pflegschaft besteht auch die Möglichkeit von speziellen Pflegschaften für Minderjährige (Artt. 244 IV, 247 II - IV, 264 II, 273 I, 279 III, 320 VII, 321, 356, 360 II sowie Art. 90 i. V. m. 165 c. c.) und beschränkt Geschäftsfähige (Art. 166 c. c.) für bestimmte Einzelmaßnahmen. Allgemein zur „curatela" siehe Trabucchi , Istituzioni, Nr. 40 C. 14 Vitta , in Problemi, S. 109 dachte dabei vor allem an die damals durch die Artt. 2 5 1. adoz. (Adoptionsgesetz von 1983 - siehe § 2 II. 2.) neu geregelte „Überlassung Minderjähriger zur Betreuung" (affidamento dei minori); allgemein dazu Trabucchi , Istituzioni, Nr. 126). Durch das Gesetz wurde das frühere Rechtsinstitut der Pflegkindschaft (affiliazione, Artt. 404-413 c. c.) abgeschafft (Art. 77 1. adoz.); der „affidamento dei minori" wurde bereits vor Inkrafttretens des Adoptionsgesetzes in Art. 404 I 1 c. c. erwähnt. Zu weiteren zeitlich begrenzten Sicherungsmaßnahmen neben dem affidamento dei minori siehe auch Art. 403 c. c. (Mindeijährige) sowie die Artt. 424 II, 419 c. c. (Volljährige). 15 Eine Ausnahme wollte Vitta durch Art. 25 II progetto begründen, demzufolge bei Gütern des Geschäftsunfähigen, die sich im Ausland befinden, zu deren Schutz das Recht des Belegenheitsortes anzuwenden sei. 16 Zu den entsprechenden Regelungen des IPRG siehe Art. 42 i. V. m. Artt. 8, 9 MSA (Minderjährige) bzw. Art. 43 S. 2 (Volljährige). 17 Zum Volljährigenschutz siehe den Hinweis in Fn. 1 auf das schweizerische IPRG und die Reform des MSA. 18 RDIPP 1989, S. 939 f.; entsprechende Bestimmungen befanden sich auch später in den Artt. 3 8 - 4 0 der Regierungsvorlage (siehe Studi Vitta, S. 456 f.). 19 Siehe oben Fn. 6. 20 Siehe § 10 I. 3. b). bei Fn. 36.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
II. Weitere Staatsverträge zum Minderjährigenschutz Als lex specialis zum MSA regelt das Haager Kindesentführungsabkommen vom 25. 10. 1980 (HKÜ) 21 die Fälle des „illegal kidnapping". Gemäß Art. 34 S. 1 HKÜ geht das Abkommen dem MSA vor, sofern Ursprungs- und Aufenthaltsstaat Vertragsparteien beider Staatsverträge sind. Auch materiellrechtlich wird das entführte Kind vor einer voreiligen Sorgerechtsentscheidung des Aufenthaltsstaates im Rahmen des MSA durch Art. 16 HKÜ 22 geschützt. Für Italien ist der Staatsvertrag am 1. 5. 1995 in Kraft getreten23. Ebenso wie das HKÜ behandelt auch das Europäische Sorgerechtsabkommen24 vom 20. 5. 198025 (EuSorgÜ) die Fälle internationaler Kindesentführungen, jedoch lediglich im Hinblick auf das internationale Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht. Zusammen mit dem HKÜ bildet das EuSorgÜ ein „geschlossenes internationales Instrumentarium" 26 zur Bekämpfung von internationalen Kindesentfuhrungen 27. Das Abkommen ist für Italien am 1.6. 1995 in Kraft getreten28. Es schafft im Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht die zwischenstaatliche Übereinkunft, auf die Art. 7 S. 2 MSA verweist 29. Art. 7
21
„Haager Übereinkommen über die zi vil rechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung" vom 25. 10. 1980 (BGBl. 1990 II, S. 207; s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 222). 22 Gemäß Art. 16 HKÜ dürfen Sachentscheidungen über das Sorgerecht nach dem MSA vom Aufenthaltsstaat erst getroffen werden, nachdem die Rückgabe des Kindes gemäß dem HKÜ abgelehnt bzw. innerhalb einer angemessenen Frist kein Rückforderungsantrag gestellt wurde. Zu den Fristen i. R. d. Art. 7 KSÜ (MSA-Reform) siehe IX. 2., in Fn. 139. 23 Siehe RDIPP 1995, S. 858; s. a BGBl. 1995 II, S. 485 (CT (Barel), Art. 42, III 1 spricht fälschlicherweise vom 23. 4. 1995, dem Datum des Inkrafttretens des MSA [siehe Fn. 6]). Umsetzung durch Art. 3 I legge 15. 1. 1994, n. 64 (Fn. 4). Ratifizierung am 22. 2. 1995 (Gazz. Uff. 27. 4. 1995, n. 97). 24 „Luxemburger Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung der Sorgerechtsverhältnisse" vom 20. 5. 1980 (BGBl. 1990 II, S. 220; s. a Jayme / Hausmann, Nr. 184). 25 Ballarino, DIP 2, S. 485, 490 und CT (Barel), Art. 42, III. 3. sprechen fälschlicherweise vom 25. 5. 1980. 26 BT-Drucks. 11 / 5314, S. 37 unter IV. 27 In Deutschland wird dem HKÜ gemäß § 12 des deutschen Ausführungsgesetzes (BGBl. 1990 I, S. 701; s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 222a) im Kollisionsfall grundsätzlich Vorrang eingeräumt vor dem EuSorgÜ, sofern der Antragsteller nicht die Anwendung des Europäischen Übereinkommens begehrt. 28 Siehe RDIPP 1995, S. 848 und BGBl. 1995 II, S. 460. Zur Umsetzung siehe Fn. 4; Ratifikation am 27. 2. 1995 (Gazz. Uff. 28. 3. 1995, n. 73). 29 Zum Verhältnis der Abkommen siehe Staudinger (Kropholler), Vorb. Art. 19 EGBGB, Rn. 594.
§ 12 Art. 42 IPRG (Mindeijährigenschutz)
173
S. 1 MSA (Anerkennungsrecht) kommt somit zwischen Vertragsstaaten des EuSorgÜ nicht zur Anwendung30. Im Weiteren zu beachten ist das New Yorker Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. 11. 198931, das ebenfalls von Italien umgesetzt wurde 32 und am 5. 10. 1991 dort in Kraft getreten ist 33 . Im Gegensatz dazu entfaltet das Haager Europäische Übereinkommen über vom 28. 5. 1970 noch keine Wirkung; es die Heimführung Minderjähriger wurde jedoch von Italien ratifiziert 34. Dasselbe gilt für das Europäische Übereinkommen über die Ausübung von Rechten der Kinder vom 25. 1. 199635.
Vorrang vor dem MSA hat die neue EG-Verordnung über Ehesachen vom 29. 5. 2000 (EheVOf 6, soweit im Zusammenhang mit diesen Ehesachen auch Sorgerechtsentscheidungen getroffen werden (Art. 37 EheVO)37. Dies gilt auch für die noch nicht in Kraft getretene EheV02 (Art. 60 a) EheV02), die jedoch von Ehesachen unabhängige Zuständigkeiten für Sorgerechtsentscheidungen begründen und die EheVO ablösen wird 38 .
30
Siehe Kropholler
(vorige Fußnote) sowie MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Rn. 255
zum Verhältnis der Sätze 1 und 2 des Art. 7 MSA zueinander. Zu Art. 7 MSA siehe VII. 2. 31 BGBl. 1992 II, S. 122; s. a. Sartorius II, Nr. 29 mit Angabe der internationalen Quelle in Fn. 2. Bis zum 1.1. 1998 sind dem Vertrag 176 Staaten beigetreten (MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Rn. 510). Das Abkommen ist am 5. 4. 1992 für Deutschland in Kraft getreten, findet jedoch innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung (Bek. vom 10. 7. 1992, BGBl. 1992 II, S. 990). 32 Legge 27. 5. 1991, n. 176 zitiert nach Franchi, Com., NLCC, S. 1238 in Fn. 12 und CT (Baret), Art. 42, III. 4. beide m.w.N. 33
34
Franchi (vorige Fußnote).
Jayme / Hausmann, Nr. 222, Fn. 4; zur Ratifikationsermächtigung siehe Fn. 4. 35 Siehe dazu MüKo (Siehr), Art. 19, Anh. I, Rn. 511 und Jayme / Hausmann, Nr. 50, Fn. 3. 36 Siehe § 16 II. 3. a), Fn. 60. 37 Zum Wortlaut des Art. 37 EheVO siehe § 16 II. 3. a), in Fn. 63. Kritisch dazu Jayme / Kohler, in IPRax 2000, S. 454 (457 f., unter III. 2.), die vor allem bemängeln, dass die EheVO im Gegensatz zum MSA das anwendbare Recht nicht regelt. Das AG Leverkusen hat in einem solchen Fall auf den „Normzweck" des Art. 2 MSA zurückgegriffen (siehe Jayme / Kohler, in IPRax 2003, S. 492, Fn. 65 zu dem Urteil AG Leverkusen 10. 1. 2002, in FamRZ 2002, S. 1636 f.). Diese Lücke soll durch einen neuen EGRechtsakt zum Scheidungsrecht („Rom III") geschlossen werden (siehe Jayme / Kohler, in IPRax 2002, S. 461, bei Fn. 7). 38 Siehe § 16 II. 3. a), Fn. 64.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
III. Der persönliche Anwendungsbereich (Minderjährige) 1. Die Bestimmung der Minderjährigkeit
Im bisherigen italienischen IPR wurde die Frage der Minderjährigkeit selbständig durch das Heimatrecht des Betroffenen gelöst (Art. 17 I disp. prel.) 39. Das MSA findet demgegenüber gemäß seinem Art. 12 dann Anwendung, wenn die Minderjährigkeit sowohl nach dem Heimat- als auch nach dem Aufenthaltsrecht vorliegt. Innerhalb des IPRG könnte bei der Feststellung der „Minderjährigkeit" als selbständiger Teilfrage 40 an die Staatsangehörigkeit des Betroffenen (Art. 23 11 IPRG) oder parallel zum MSA zusätzlich an dessen Aufenthalt (Art. 42 IPRG i. V. m. Art. 12 MSA) angeknüpft werden. Da die Frage der Minderjährigkeit kein Auslegungsproblem darstellt, kommt die ausschließliche Anwendung des italienischen Rechts als lex fori nicht in Betracht. Auszulegen ist alleine der Anknüpfungsgegenstand von Art. 42 IPRG41, also die Frage, welche Maßnahmen zum Minderjährigenschutz zählen42. Eine selbständige Anknüpfung gemäß Art. 12 MSA hat in jedem Fall dann zu erfolgen, wenn das MSA direkt Anwendung findet (Art. 2 I IPRG), d. h. innerhalb der Grenzen des konventionsrechtlichen Anwendungsbereiches (siehe Artt. 12, 13 MSA). Das MSA regelt insoweit die Frage der Anknüpfung ausdrücklich selbst43. Sofern und soweit der Anwendungsbereich des Abkommens jedoch gemäß Art. 42 IPRG erweitert wird 44 , muss die Lösung dieser Frage im IPRG selbst gefunden werden. Dieses enthält für die Handlungs- und Geschäftsfähigkeit eine eigenständige Kollisionsnorm (Art. 23 I 4 5 IPRG). Ebenso wie die h. M. nach bisherigem Rechts (Art. 17 I disp. prel.), knüpft das IPRG die Volljährigkeit somit grundsätzlich selbständig an, stellt die Vorschrift jedoch unter den Vorbehalt von Regelungen spezieller Rechtsgebiete (Art. 23 I 2 IPRG). Eine solche besondere Bestimmung könnte in Art. 42 I IPRG i. V. m. Art. 12 MSA 39
Siehe unter I. 1. Zu den Begriffen der Teilfrage und der Vorfrage siehe § 11 Π. 2. f), Fn. 141. 41 Allgemein zu den Anknüpfungsgegenständen siehe § 11 II. 1. 42 Siehe dazu unter 2., bei Fn. 57 (emanzipierte Mindeijährige) und unter V. (sachlicher Anwendungsbereich). 43 Allgemein zu Vorfragen bei der Anwendung von Staatsverträgen siehe Literaturhinweise unter § 11 II. 2. f), in Fn. 141. 44 Siehe dazu die Zusammenfassung unter VII. 45 Art. 23 II, III IPRG finden für familienrechtliche Beziehungen keine Anwendung (Art. 23 IV IPRG). Zum deutschen IPR siehe Art. 7 EGBGB. 40
§ 12 Art. 42 IPRG (Mindejährigenschutz)
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gesehen werden. Dafür würde auch die Formulierung des Art. 42 II IPRG sprechen, die auf Art. 12 MSA Bezug nimmt. Da Art. 42 II IPRG jedoch die kumulative Anknüpfung des Art. 12 MSA zu einer einfachen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Betroffenen modifiziert 46, kommt man sowohl über Art. 42 IPRG als auch über Art. 23 I 1 IPRG zur Anwendung des Heimatrechts. Die ausdrückliche Regelung des Art. 42 II IPRG spricht jedoch dafür, dass der Gesetzgeber den Weg über Art. 23 I 2 i. V. m. Art. 42 II IPRG beschreiten wollte47. Im Ergebnis kann die Frage jedoch offen bleiben.
2. Sog. „emanzipierte"Minderjährige
Auch wenn damit geklärt ist, dass die Minderjährigkeit nach dem Heimatrecht des zu Schützenden zu bestimmen ist, stellt sich im Weiteren die Frage, ob Art. 42 IPRG auch auf Minderjährige anzuwenden ist, deren Handlungs- und Geschäftsfähigkeit in einzelnen Bereichen und / oder auf Grund bestimmter Umständefrüher als üblich eingetreten ist. Unproblematisch verneinen lässt sich die Frage dann, wenn der seinem Alter nach eigentlich Minderjährige auf Grund spezieller gesetzlicher Bestimmungen zum unbeschränkt Volljährigen wird (sog. Vollemanzipation)48. Der Minderjährige ist hingegen noch schützenswert, sofern ihm lediglich besondere Geschäfts- (ζ. B. Testier-, Eheschließungs- oder Vaterschaftsanerkennungsfahigkeit bzw. Fähigkeit zum Abschluss von Arbeitsverträgen 49) oder sonstige Handlungsfähigkeiten (z. B. Deliktsfahigkeit 50) zustehen, er aber im Übrigen noch als Geschäftsunfähiger anzusehen ist. Beide Grenzziehungen gelten
46 Im Gegensatz erweitert Art. 85 II schweizerisches IPRG den Anwendungsbereich des MSA dahingehend, dass eine Minderjährigkeit des Betroffenen nach schweizerischem Recht für die innerstaatliche Anwendung des Abkommens ausreicht. 47 Ebenso im Ergebnis Honor ati, Com., RDIPP, S. 1116. 48 § 174 I österreichisches ABGB (Volljährigkeitserklärung durch Gericht ab dem 18. Lebensjahr bei dementsprechender Reife); s. a. diefrühere Bestimmungen der §§ 3 5 BGB (aufgehoben durch Gesetz vom 31.7. 1974, in BGBl. 1974 II, S. 1713) und die durch Bundesgesetz vom 7. 10. 1994, in AS 1995, S. 1126 mit Wirkung zum 1. 1. 1996 aufgehobene Vorschrift von Art. 14 II des schweizerischen ZGB („Heirat macht mündig"). 49 Zum italienischen Recht siehe Art. 84 II c. c. (Eheschließung), Artt. 250 II, 264 II, 284 I Nr. 4 c. c. (Anerkennung und Legitimation von Kindern) und Art. 775 c. c. (Schenkung). Siehe auch Kindler, Einführung, § 9, Rn. 5. 50 Zum italienischen Recht siehe Art. 2046 c. c.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
sowohl für das MSA im Rahmen seines unmittelbaren Anwendungsbereiches51 als auch für Art. 42 IPRG i. V. m. dem MSA. Fraglich ist lediglich die Einordnung der sog. „ Teilgeschäftsfähigkeitdie in verschiedenen romanischen Rechtsordnungen vorgesehen ist52. Auch die Artt. 390 - 397 c. c. des italienischen Sachrechts enthalten eine derartige Regelung („emancipazione" durch Heirat 53). Der Minderjährige wird dabei durch Heirat aus der elterlichen Gewalt entlassen; durch die „emancipazione" soll ihm im Gegenzug die Integration in die neue Familie erleichtert werden. Dem Minderjährigen obliegt dann die ordentliche Verwaltung seines Vermögens (Art. 394 I c. c.), für weitergehende Rechtsgeschäfte bedarf er jedoch weiterhin der Zustimmung eines Pflegers oder des Vormundschaftsgerichts 54. Für das MSA selbst wird davon ausgegangen, dass lediglich der „vollständig Minderjährige" vom Anwendungsbereich des Abkommens erfasst wird 55 . Im Rahmen des IPRG spricht sich die italienische Literatur hingegen dafür aus, den Anwendungsbereich des Abkommens kraft Art. 42 IPRG auf „emanzipierte" Minderjährige zu erweitern 56. Von einer dementsprechenden Intention des italienischen Gesetzgebers ist auch auszugehen. Zu klären sind in diesem Zusammenhang die vom italienischen Gesetzgeber gewählten Anknüpfungsgegenstände, also die Frage, ob der Schutz emanzipierter Minderjähriger unter den „Schutz Minderjähriger" (Art. 42 IPRG) oder unter „Schutzmaßnahmen zugunsten geschäftsunfähiger Volljähriger" (Art. 43 IPRG) fällt. Es handelt sich dabei nicht um die rechtliche Vorfrage des „ob" der Minderjährigkeit 57, sondern um ein Auslegungsproblem, das nach der italienischen lex fori zu lösen ist58.
51 Staudinger (Kropholler), vor Art. 19, Rn. 519 f.; MüKo (Siehr) Art. 19 Anh. I, Rn. 391, 393 f. und ders., in Böhmer / Finger, Nr. 7.5., Art. 12, Rn. 6, 8 f. 52 Frankreich (Artt. 476 - 487 code civil) und Spanien (Artt. 314 - 324 codigo civil) bzw. habilitación (Mündigkeitserklärung) in Kolumbien (Artt. 339-345 codigo civil). 53 Einem Minderjähriger kann nach Vollendung des 16. Lebensjahres auf Antrag das Eingehen einer Ehe durch Beschluss des zuständigen „tribunale" (LG) gestattet werden (Art. 84 II c. c.). Zur „emancipazione" s. a. Kindler, Einführung, § 9, Rn. 6. 54 Im italienischen Recht siehe Artt. 394 II, III, 397 c. c. 55 Siehe Bericht v. Steiger (Fn. 4), S. 238, XI. b) („Mineur complet"); ebenso Staudinger (Kropholler), vor Art. 19, Rn. 521 bzw. 100; v. Bar, IPR II, Rn. 332; Böhmer / Finger (Siehr), Nr. 7.5., Art. 12, Rn. 7 und ders., in MüKo, Anh. zu Art. 19, Rn. 392. 56 Honorati, Com., RDIPP, S. 1115; Franchi, Com., NLCC, S. 1236 1. Sp.; Bonomi, in RDIPP 1995, S. 626 und CT (Barel), Art. 42 II 3 Ende. Ebenso im Grunde Damascelli, in RDI 1997, S. 99; dieser geht jedoch im Anschluss an Droz (Fn. 62) davon aus, dass das MSA bereits selbst den Schutz emanzipierter Minderjähriger erfasst. 57 Siehe dazu unter III. 1., Fn. 42. 58 Siehe auch unter V. zum Anknüpfungsgegenstand des Art. 42 IPRG.
§12 Art. 42 IPRG (Mindeijährigenschutz)
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Da der Betroffene durch die Emanzipation - im Gegensatz zu den Fällen der sog. „Vollemanzipation" - nicht seinen Minderjährigenstatus verliert 59, ist die Frage zugunsten des Art. 42 IPRG zu entschieden, so dass von einer Erweiterung des persönlichen60 Anwendungsbereiches des MSA auszugehen ist. IV. Der räumliche61 Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des MSA wird gemäß Art. 13 I MSA auf Minderjährige beschränkt, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten des Abkommens haben. Diese Begrenzung wird durch die „in ogni caso"-Formel des Art. 42 IPRG aufgehoben, um dem Vertrag zu einer allseitigen Anwendung zu verhelfen 62. Dem Art. 42 II IPRG kommt dabei nur klarstellende Funktion zu, welche jedoch sehr zu begrüßen ist. Im Ergebnis wirkt sich diese Erweiterung nur in den Fällen und in dem Umfang aus, in dem ausnahmsweise eine Heimatzuständigkeit italienischer Behörden gemäß Artt. 4, 5 III MSA besteht63. Die durch Art. 42 IPRG begründete „weltweite" Erstreckung der Konvention ist auch in der Reform des MSA (= KSÜ) vorgesehen64.
V. Der sachliche Anwendungsbereich L Schutzmaßnahmen (Art. 1 MSA)
Der Hinweis des Art. 42 IPRG ändert nichts am sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens. Dessen Anknüpfimgsgegenstand „Minderjährigenschutz" ist ebenso weit zu sehen wie der Begriff der „Schutzmaßnahme" in 59
c. c.).
Das Gesetz spricht insofern von einem „minore emancipato" (ζ. Β. Art. 394 II
60 Systematisch könnte man darin auch eine Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereiches sehen (welche Art von Schutzmaßnahmen fallen unter Art. 42 IPRG), jedoch ist die Erweiterung eher personenspezifisch (auch Schutzmaßnahmen gegen emanzipierte Minderjährige, welcher Art auch immer). Zu den Schwierigkeiten bei der Abgrenzung siehe nächste Fußnote einschließlich Hinweis. 61 Manche sehen in dem unter IV. erörterten Problem eine Frage des persönlichen Anwendungsbereiches (siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a), Fn. 44). 62 Allgemein zur erga-omnes-Wirkung / Allseitigkeit siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). 63 Im Regelfall der Aufenthaltszuständigkeit sind italienische Behörden bereits gemäß Art. 13 I MSA zuständig; zum Zuständigkeitsrecht des MSA siehe VII. 1. 64 Siehe IX. 5.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Art. 1 MSA 6 5 . Er umfasst alle (Einzel 66 -)Maßnahmen 67 des privaten und öffentlichen Rechts zum Schutz der Person und des Vermögens von Minderjährigen 68 . Gemäß dem von italienischen Behörden anwendbaren italienischen Recht (Artt. 2 I, 4 I MSA 6 9 ) fallen darunter die Bestimmungen über 70 die Vormundschaft („tutela dei minori", Artt. 343 - 389 c. c.) und die Pflegschaft („curatela" 71 ) sowie die vorübergehenden Maßnahmen des Art. 403 c. c. und der Artt. 2 - 5 1 . adoz. 72 . Dazu zählen Maßnahmen gemäß Art. 318, S. 2 c. c. („Kindesflucht" aus dem Elternhaus), Art. 330 c. c. (Verwirkung der elterlichen Gewalt), Art. 333 c. c. (Verhalten der Eltern zum Nachteil des Kindes) und Art. 334 c. c. (Entzug der Vermögensverwaltung) einschließlich der damit verbundenen vorläufigen Verfügungen (Art. 336 III c. c.) und Aufsichtsmaßnahmen (Art. 337 c. c.). Im Weiteren sind auch Kindeszuweisungen73 im Rahmen oder nach einer elterlichen Trennung (Art. 155 c. c.) oder Scheidung (Art. 6 1. sciogl.) als „Schutzmaßnahmen" zu verstehen.
65
Honorati, Com., RDIPP, S. 1117, Nr. 3 Ende; Franchi, Com., NLCC, S. 1245 bei
Fn. 40; Ballarino, DIP 2, S. 485 und CT (Barel), Art. 42 II. 6. 66 Das MSA betrifft nicht den allgemeinen Minderjährigenschutz per Gesetz (s. a. Art. 4 h) KSÜ [MSA-Reform; siehe IX.]). Der gesetzliche Schutz greift unabhängig von dem Abkommen (siehe Bericht v. Steiger, S. 224 und Denkschrift der Bundesregierung in BT-Drucks. VI / 947, S. 12 r. Sp. oben [siehe Fn. 4 zu beidem]). 67 Nachdem Art. 1 MSA die Art der Maßnahmen nicht näher umschreibt, enthält Art. 3 KSÜ [MSA-Reform] eine beispielhafte Aufzählung der Einzelmaßnahmen (siehe IX. 4.). 68 Honorati, Com., RDIPP, S. 1117, Nr. 3 Ende zu Art. 42 und Franchi, Com., NLCC, S. 1244, Nr. 5. 69 Nach der h. M. kommt auch i. R. d. Artt. 8, 9 MSA grundsätzlich die lex fori zur Anwendung (für alle Staudinger (Kropholler), Vorb. Art. 19, Rn. 458 bzw. 473 - 475 m.w.N.; MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Rn. 314 bzw. 328). Zu einer den Artt. 8, 9 MSA ähnlichen Vorschrift im Adoptionsrecht (Art. 371. adoz.) siehe § 5 III. 3., in Fn. 52. 70 Zu den Maßnahmen nach italienischem Recht siehe Bonomi, in RDIPP 1995, S. 626 - 629 und Franchi , Com., NLCC, S. 1244, Nr. 5; zum deutschen Recht siehe Staudinger (Kropholler), Vorb. Art. 19, Rn. 38 - 78. 71 Siehe unter III. 2. zur allgemeinen Pflegschaft bei den sog. „minori emancipati" Artt. 390 - 397 c. c.; zur speziellen Pflegschaft bei Minderjährigen siehe I. 2., in Fn. 13. 72 Zu den vorübergehenden Maßnahmen s. a. 1. 2., in Fn. 14 zu Vittas „progetto"; die genannten Vorschriften des Adoptionsgesetzes fallen nicht in den speziellen Bereich der Adoption, da die „Überlassung zur Betreuung" gemäß den Artt. 2 - 5 1 . adoz. nicht zur Vorbereitung einer Adoption dienen (siehe insofern Fn. 79 zum Ausschlusstatbestand des Art. 4 b) KSÜ), sondern allein zum Schutz des Minderjährigen bei fehlendem familiärem Umfeld. 73 Siehe dazu Art. 3 a) KSÜ (= MSA-Reform; siehe IX.); zum deutschen Recht siehe Staudinger (Kropholler), Vorb. Art. 19, Rn. 56; MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Rn. 78, 79 und ders., in Böhmer / Finger, Nr. 7.5., Art. 1, Rn. 62 - 64.
§12 Art. 42 IPRG (Mindejährigenschutz)
179
Sehr umstritten 74 ist die Frage, ob gerichtliche oder behördliche Genehmigungen im Rahmen von gesetzlichen Gewaltverhältnissen 75 oder von bereits erteilten Schutzmaßnahmen76 selbständige Schutzmaßnahmen i. S. d. Art. 1 MSA darstellen. Nicht in den Anwendungsbereich des MSA fallen Einzelmaßnahmen, die zwar dem Schutze Minderjähriger dienen, aber einem anderen Sachbereich des Kollisionsrechts unterliegen und somit von dem Abkommen nicht berührt werden 77 . Dies gilt für Fragen der Abstammung (Artt. 33, 35 IPRG 78 ), der Legitimation (Art. 34 IPRG), der Adoption (Artt. 3 8 - 4 1 IPRG) 79 , des Unterhalts (Art. 45 IPRG) 80 , des Namens-81 und des Erbrechts (Artt. 46 - 50 IPRG 82 ).
2. Gesetzliche Gewaltverhältnisse
(Art. 3 MSA)
Auch an der Anwendung des Art. 3 MSA ändert der Art. 42 IPRG nichts 83 . Art. 3 MSA besagt, dass Gewaltverhältnisse, die nach dem Heimatrecht des
74
Staudinger (Kropholler),
Vorb. Art. 19, Rn. 79 - 97; MüKo (Siehr), Art. 19 Anh.
I, Rn. 57; ders., in IPRax 1982, S. 90; Henrich, IntFamR, S. 265 f.; Pal. (Heldrich),
Anh.
zu Art. 24 EGBGB, Rn. 14 m.w.N. und Soergel (Kegel), vor Art. 19, Rn. 23. Zur italienischen Literatur siehe Bonomi, in RDIPP 1995, S. 627 f. Siehr, der sich für eine Anwendung des Abkommens ausspricht, differenziert dabei zwischen dem Erfordernis und der Erteilung der Genehmigungen; ähnlich Bonomi, a.a.O. Die Neuregelung des Art. 3 f) KSÜ (= MSA-Reform; siehe IX.) führt aus, dass Maßnahmen nach dem KSÜ auch die behördliche Aufsicht über die Kindesbetreuung umfassen. Damit ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, ob derartige Aufsichtsakte selbst als Maßnahme i. S. d. Abkommens gelten. 75 Spezielle Pflegschaft: Artt. 320 VII, 321 c. c.; Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern: Artt. 316 III, V, 320 II c. c.; Vermögenssorge über ordentliche Verwaltung hinaus: Art. 320 III - VI c. c. 76 Gerichtliche Kontrolle der Vormundschaft: Artt. 367 II, 371 - 376 c. c. 77 I. E. dazu Böhmer / Finger (Siehr), Nr. 7.5., Art. 1, Rn. 78 - 94 und ausdrücklich die Aufzählung in Art. 4 KSÜ (= MSA-Reform; siehe unter IX. 4.). 78 Siehe auch Art. 4 a) KSÜ; Bonomi, in RDIPP 1995, S. 628 weist jedoch richtigerweise daraufhin, dass Schutzmaßnahmen im Anschluss an die Anerkennung unehelicher Kinder (Art. 252 c. c.) in den Anwendungsbereich des MSA fallen (s. a. MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Rn. 97). Im Gegensatz dazu dürften der Gerichtsentscheidungen im Rahmen der Anerkennung (Artt. 250 IV, 251 II c. c.) dem Art. 35 IPRG unterliegen. 79 Siehe Art. 4 b) KSÜ. Zur Abgrenzung siehe Fn 72. 80 Siehe Art. 4 e) KSÜ. 81 Siehe Art. 4 c) KSÜ. 82 Siehe Art. 4 f) KSÜ. 83 Siehe jedoch Honor ati in Fn. 95.
180
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Minderjährigen bestehen, anzuerkennen sind. Die Vorschrift hat im Zusammenhang mit den sonstigen Bestimmungen des MSA große Rätsel aufgegeben.
a) Art. 3 MSA als zuständigkeitsbeschränkende Norm Zum einen stellt sich die Frage, ob Art. 3 MSA auf Grund seiner Erwähnung in den Zuständigkeitsnormen der Artt. 1, 8 MSA die Aufenthaltszuständigkeit des Art. 1 MSA beschränkt84. Davon geht die Praxis weitestgehend aus (sog. Heimattheorie)85. Dies soll jedoch nicht dazu führen, dass durch die wörtliche Auslegung des Vorbehaltes in Art. 1 MSA die Zuständigkeit der Aufenthaltsbehörden vollkommen ausgeschlossen wird 86. Vielmehr soll ein Eingriff in nach Heimatrecht bestehende Gewaltverhältnisse durch Aufenthaltsbehörden möglich sein, sofern und soweit das Heimatrecht selbst dies zulässt. Demgegenüber lässt die h. Lit. (sog. Anerkennungstheorie)87 die Aufenthaltszuständigkeit gemäß Art. 1 MSA auch für in Gewaltverhältnisse eingreifende Maßnahmen grundsätzlich bestehen88. Zum Wohl des Kindes ist jedoch auf das Heimatrecht des Kindes Rücksicht zu nehmen. Bestehende exlege-Gewaltverhältnisse dürfen insofern nicht ignoriert oder ohne sachlichen Grund aufgehoben werden.
84
Zur Diskussion in Italien siehe Bonomi, in RDIPP 1995, S. 619 - 624 (Nr. 4). Siehe BGH 11.4. 1984, in NJW 1984, S. 2761 = IPRax 1985, S. 40; zu weiteren Nachweisen in der deutschen OLG-Rechtsprechung siehe MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Fn. 136; zur österreichischen Rechtsprechung siehe OGH 26. 9. 1990, in IPRax 1993, S. 415 und OGH 15. 11. 1990, in IPRax 1992, S. 106. Zur zustimmenden Literatur siehe Jayme, in IPRax 1985, S. 23 (zu vorigem BGH-Urteil) und Pal. (Heldrich), Anh. zu Art. 24 EGBGB, Rn. 24. 86 Diese sehr enge Auslegung des Art. 3 MSA war lange Zeit vorherrschend (sog. Schrankentheorie); siehe BGH 20. 12. 1972, in FamRZ 1973, S. 138 sowie Kropholler, in NJW 1971, S. 1721 (1724 f.) und in NJW 1972, S. 371 (372). 87 Zur deutschen Literatur siehe MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Rn. 117 - 120 m.w.N. in Fn. 142 - 146; ders., in Böhmer / Finger, Nr. 7.5., Art. 1, Rn. 105 - 109 und in IPRG-Kommentar, Art. 85, Rn. 16 zur Diskussion in der Schweiz; Henrich, in FS Schwind (65. Geb.), S. 79 (89) und vor allem Staudinger (Kropholler), Vorb. zu Art. 19, Rn. 151-219 (insbesondere Rn. 200 - 202 und weitere Literaturnachweise in Fn. 155); ders. früher anders in voriger Fußnote. Zur Rechtsprechung und der Literatur in der Schweiz sowie in den Niederlanden siehe Hinweise bei Kropholler, a.a.O., Rn. 206. 88 Zur MSA-Reform siehe auch IX. 3., Fn. 156. 85
§ 12 Art. 42 IPRG (Mindejährigenschutz)
181
b) Art. 3 MSA als Kollisionsnorm
Der zweite Streitpunkt dreht sich um die Frage, ob der kollisionsrechtliche Charakter des Art. 3 MSA nur zum Tragen kommt, wenn eine Schutzmaßnahme nach dem MSA angeordnet wird (Vorfragentheorie), oder die Vorschrift im Rahmen des staatsvertraglichen Anwendungsbereiches eine allgemeine Verweisungsnorm für gesetzliche Schuldverhältnisse darstellt, die nationale IPR-Regelungen zum Eltern-Kind-Verhältnis 89 verdrängt (Kollisionsnormtheorie). Während der deutsche BGH die Anwendung des Art. 3 MSA nur auf Vorfragen beschränkt 90 , ist die Literatur in dieser Frage nach wie vor uneins 91 . Auch in den anderen Vertragsstaaten des MSA zeigt sich - abgesehen von Frankreich - keine klare Tendenz zum kollisionsrechtlichen Verständnis des Art. 3 M S A 9 2 . In Italien finden sich nur wenige Stimmen zu dieser Frage. Die bisher h. M . 9 3 hat Art. 3 MSA als umfassende Kollisionsnorm abgelehnt. Auch die Kommentatoren zum IPRG greifen bevorzugt auf Art. 36 IPRG zurück 94 . Die 89
Siehe Art. 36 IPRG in Italien bzw. Artt. 19, 20 EGBGB in Deutschland. BGHZ 111, S. 199 =NJW 1990, S. 3073 = IPRax 1991, S. 254. 91 In der deutschsprachigen Literatur zur Frage, ob Art. 3 MSA eine umfassende Kollisionsnorm darstellt: Pro: Staudinger (Kropholler), vor Art. 19, Rn. 277 - 280 m.w.N.; MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Rn. 158 mit Hinweis auf dasfranzösische IPR (siehe nächste Fußnote)', ders., in IPRax 1987, S. 303 und in Böhmer / Finger, Nr. 7.5., Art. 3, Rn. 1 sowie in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 85, Rn. 29; Henrich, in FS Schwind, S. 79 (86 - 88); ders. differenzierend in IntFamR., S. 244 (Nr. 2 Ende); Schwimann, in ÖJB1. 1976, S. 233 (238); ders., in MüKo, 2. Auflage, Art. 19, Rn. 56, Fn. 142 und Motti, in IPRax 1993, S. 419. 90
Contra: Pal. (Heldrich), Art. 24 EGBGB, Rn. 20, Soergel (Kegel), vor Art. 19,
Rn. 27; Beitzke, in Zfl 1986, S. 537 (540) und Otto, in FamRZ 1988, S. 1134 (1135). 92 Siehe dazu Staudinger (Kropholler), Vorb. zu Art. 19, Rn. 284 f. und Boelck, S. 74 - 78. In Frankreich spricht sich die Literatur einhellig i. S. d. Kollisionsnormtheorie aus; nachdem lediglich der französische Text des Abkommens authentisch ist, wird darin eine Bestätigung der Kollisionsnormtheorie gesehen (siehe vorige Fußnote zu Siehr). 93 Mosconi, La tutela, S. 359 - 361 mit dem Argument, dass das gesetzliche Gewaltverhältnis in Form der elterlichen Gewalt zu sehr im Familienrecht verwurzelt ist, als dass es sich dem Schutzrecht „annähern" könnte (s. a I. 1. zur h. M. nach bisherigem Recht - Artt. 20, 21 disp. prel.); a. A. Bonomi, in RDIPP 1995, S. 620 - 624. Mosconi hat jedoch inzwischen seinen Standpunkt geändert (siehe nächste Fußnote). 94
Franchi , Com., NLCC, S. 1245 1. Sp. und S. 1255 (Nr. 12); Honorati, Com.,
RDIPP, S. 1116 f. und Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 226 unten. Die Literatur beruft sich dabei durchgehend auf die jahrzehntelang vorherrschende Meinung von Mosconi (vorige Fußnote); Mosconi selbst hat jedoch inzwischen mit Hinweis auf die Änderungen im Familienrecht (Sorgerecht nicht mehr allein beim Vater; Gleichberechtigung
182
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Tatsache, dass Art. 36 IPRG im Gegensatz zum bisherigen Art. 20 disp. prel. beim Eltern-Kind-Verhältnis ausdrücklich die elterliche Sorge erwähnt („potestà dei genitori"), hat jedoch keinen Einfluss auf das Verständnis des Art. 3 MSA 95 . Im Ergebnis scheint die Frage im italienischen Recht ohne große Relevanz zu sein96, da auch Art. 36 IPRG auf das Heimatrecht des Minderjährigen abstellt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass das IPRG nunmehr den Renvoi zulässt (Art. 13 IPRG), während die staatsvertraglichen Kollisionsnormen Sachnormverweisungen beinhalten97. Die Anwendung des Art. 36 IPRG führt insofern nicht zwingend zur Anwendung des materiellen Heimatrechts des Minderjährigen. Zu einer endgültigen Klärung der Frage kommt es durch das KSÜ 98 .
3. Fazit
Der sachliche Anwendungsbereich des MSA wird durch Art. 42 IPRG nicht erweitert, sofern man die Einbeziehung des Schutzes sog. emanzipierter Minderjähriger systematisch nicht dem sachlichen Anwendungsbereich zurechnet99.
VI. Der Anwendungsbereich „hinsichtlich der Staaten" Das MSA führt im Ergebnis nur zur Anwendung des Sachrechts seiner Vertragsstaaten. Dies ergibt sich daraus100, dass das Übereinkommen nur Zuständigkeiten von mitgliedsstaatlichen Behörden begründen kann101 und nichtehelicher Kinder) und im Anschluss an Bonomi (vorige Fußnote) seine Meinung geändert (Mosconi , DIPP II, S. 15 und ausführlich in Convegno di Crotone, S. 61 f.). Für eine Verständnis des Art. 3 MSA als umfassende Kollisionsnorm spricht sich auch Ballarino, DIP 2, S. 486 (Mitarbeit von Bonomi [siehe vorige Fußnote] in DIP 2) aus. 95 In diesem Sinne jedoch Honorati, Com., RDIPP, S. 1116 unten, die in der Regelung des Art. 36 IPRG eine Entscheidung des italienischen Gesetzgebers gegen Art. 3 MSA als umfassende Kollisionsnorm sieht. 96 In diesem Sinne Bonomi, in RDIPP, S. 624 und Mosconi , in Convegno di Crotone, S. 62. 97 Allgemein dazu siehe § 11 II. 2. e) aa), in Fn. 118. 98 Siehe IX. 4. 99 Siehe unter III. 2. 100 Im Falle der Aufenthaltszuständigkeit (Artt. 1, 8, 9 MSA) resultiert dies aus den Artt. 2 I, 13 I MSA. Sofern das Abkommen ausnahmsweise eine Zuständigkeit der Heimatbehörden begründet (Artt. 4, 5 III MSA), gilt dies gemäß Art. 13 II MSA nur für Vertragsstaaten. 101 Siehe Fn. 30 im Exkurs unter § 11 II. 2. a).
§12 Art. 42 IPRG (Mindeijährigenschutz)
183
diese grundsätzlich102 ihr eigenes innerstaatliches Recht anzuwenden haben (Artt. 2 I, 4 I MSA 103 ). Eine Beschränkung des Anwendungsbereiches des MSA „hinsichtlich der Staaten"104 wäre insofern ohne Sinn gewesen und fehlt in dem Abkommen. Eine entsprechende Vorschrift findet sich erst im KSÜ 105 . Nachdem auch Art. 42 I IPRG nur die Zuständigkeit italienischer Gerichte begründen kann, ist es bei der Frage des anzuwendenden Rechts (,Anwendungsbereich hinsichtlich der Staaten") ohne Bedeutung, dass die Norm dem MSA zu einer erga-omnes-Anwendung verhilft. Es bleibt im Rahmen des Art. 42 I IPRG bei der Anwendung der italienischen lex fori.
VII. Die internationale Zuständigkeit und Anerkennung ausländischer Maßnahmen Da das MSA auch Regelungen zum IZPR enthält, ist zu prüfen, inwieweit der Hinweis in Art. 42 I IPRG auch diese Vorschriften umfasst.
1. Die internationale Zuständigkeit
Bereits die Überschrift des Art. 42 IPRG („Giurisdizione ... " 1 0 6 ) zeigt107, dass Art. 42 I IPRG auch auf die Zuständigkeitsvorschriften des MSA Bezug nimmt (Artt. 1, 4, 8, 9 MSA). Nachdem sich die Zuständigkeiten des MSA am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes (Art. 1 MSA) bzw. bei den Heimatbehörden (Artt. 4, 5 III MSA) des Minderjährigen auch in Art. 9 IPRG (freiwillige Gerichtsbarkeit) wiederfinden 108, stellt sich nur die Frage, ob Art. 42 I IPRG im Verhältnis zu Art. 9 IPRG als lex specialis anzusehen ist 109 . In diesem Fall 102
Zu Art. 3 MSA siehe V. 2. b). Zur h. M. bei den Artt. 8,9 MSA siehe V. 1., in Fn. 69. 104 Zu dem Begriff siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a), Fn. 34, 35, 48. 105 Siehe IX. 6. zu Art. 20 KSÜ. 106 Wie sich der Veröffentlichung des IPRG in der Gazzetta Ufficiale (siehe § 1, Fn. 2) entnehmen lässt, sind die Überschriften des Gesetzes offizieller Natur. 107 Siehe auch den Wortlaut der Parallelvorschrift im schweizerischen IPRG 103
(Art. 85 I schweizerisches IPRG: „ ... Zuständigkeit Behörden,... ").
der schweizerischen Gerichte und
108 Der Minderjährigenschutz gehört nach italienischem Recht zum Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 9 IPRG); siehe dazu § 16 II. 5., Fn. 216. 109 Allgemein zur Frage der Spezialität der besonderen Zuständigkeitsvorschriften siehe § 16 II. 5.
184
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
würde lediglich Art. 9 3. Var. IPRG (Zuständigkeit bei Anwendung des italienischen Rechts) nicht zum Tragen kommen. Da der Hinweis des Art. 42 I IPRG auf das MSA zum Gleichlauf von nationalem und staatsvertraglichem IPR und IZPR fuhren soll, ist im Ergebnis davon auszugehen, dass die Vorschrift als ausschließliche Zuständigkeitsnorm fungiert. Vor allem fehlt im Art. 42 I IPRG ein Hinweis auf die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften des IPRG im Gegensatz zu anderen besonderen Zuständigkeitsnormen des Gesetzes110. Die IZ italienischer Gerichte besteht somit im Minderjährigenschutz nur gemäß den Vorschriften des MSA. Das IPRG hat an diesem Punkt an der bisherigen Rechtslage nichts geändert.
2. Die Anerkennung ausländischer Maßnahmen
Im Bereich des Anerkennungsrechts sorgt Art. 7 S. 1 im Rahmen des MSA für eine uneingeschränkte Anerkennung von ausländischen Maßnahmen, sofern bei deren Erlass das Zuständigkeitsrecht des Abkommens beachtet wurde 111. Demgegenüber knüpfen die Artt. 64 - 66 IPRG - im Anschluss an internationale Standards - die automatische Anerkennung an weitere Voraussetzungen" 2 . Im Gegensatz zu Art. 85 I schweizerisches IPRG113 findet sich in Art. 42 I IPRG kein Hinweis auf das Anerkennungsrecht des MSA. Vor allem die Systematik des italienischen IPRG spricht gegen die erweiterte Anwendung des Art. 7 S. 1 MSA kraft Art. 42 I IPRG. Im Gegensatz zum Zuständigkeitsrecht114 enthält des Gesetz Vorschriften zur Anerkennung ausländischer Maßnahmen ausschließlich in den Artt. 64 - 66 IPRG115. Die Gesetzessystematik würde insofern dafür sprechen, dass der Hinweis des Art. 42 I IPRG die Regelung des Art. 7 S. 1 MSA nicht umfasst 116.
110
Siehe dazu § 16 II. 5. aa), nach Fn 197. Gemäß Art. 4 I, II legge 15. 1. 1994, n. 64 (Fn. 4) sind in Italien für Anerkennungen und Vollstreckungen die Landgerichte zuständig, in deren Bezirk die Schutzmaßnahmen durchgeführt werden soll. 112 Zum neuen Anerkennungsrecht siehe § 16 I. 2. a) bb). 113 Art. 85 I IPRG: „ ... und die Anerkennung ausländischer Entscheidungen oder Massnahmen... ". 114 Siehe § 16 II. 5. zu den speziellen Zuständigkeitsvorschriften des IPRG. 115 Im Gegensatz dazu finden sich im schweizerischen IPRG auch in den speziellen Bereichen des IPR Regelungen zum Anerkennungsrecht (Artt. 50, 58, 65, 70, 73, 78, 84, 96, 108, 111, 149, 165, 175 schweizerisches IPRG). 116 I. d. S. Franchi , Com., NLCC, S. 1246 (Nr. 6); Ballarino, DIP 2, S. 489; Bonomi, in RDIPP 1995, S. 618 (Nr. 3 Ende) und Damascelli, in RDI 1997, S. 80, in Fn. 4. 111
§ 12 Art. 42 IPRG (Mindeijährigenschutz)
185
Wenn man hingegen den Zweck der vom italienischen Gesetzgeber formulierten Hinweisnormen zu Grunde legt, scheint esfraglich, ob in Italien bei der Anwendung des MSA unterschiedliche Regelungen im Anerkennungsrecht gelten sollen, je nachdem, ob das Abkommen direkt zur Anwendung kommt oder über die „Erweiterungsvorschrift" des Art. 42 I IPRG. Ein derartiges Verständnis der Vorschrift könnte der beabsichtigten Harmonisierung von nationalem und internationalem IZPR zuwiderlaufen 117. Eine erweiterte Anwendung des Art. 7 S. 1 MSA kraft Art. 42 I IPRG würde jedoch dazu führen, dass Italien auch Minderjährigenschutzmaßnahmen von Nichtvertragsstaaten anerkennt, sofern die ausländische Behörde gemäß den MSA-Vorschriften zuständig wäre. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Anerkennungsrecht des MSA auf der Grundlage des durch das MSA vereinheitlichten Minderjährigenschutzrechtes von einer Kooperation von Aufenthalts« und Heimatstaat ausgeht118. Ob dieses Prinzip durch die Anwendung des Art. 7 S. 1 MSA im Rahmen des Art. 42 I IPRG auf das Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten ausgedehnt werden sollte, scheint sehr fraglich 119.
VIII. Zusammenfassung Somit lässt sich festhalten, dass Art. 42 IPRG den Anwendungsbereich des MSA in dreifacher Hinsicht erweitert. Zum einen erstreckt Art. 42 IPRG das Abkommen auf den Schutz sog. emanzipierter Minderjähriger 120 (persönlicher Anwendungsbereich121). Die Minderjährigkeit bestimmt sich nunmehr im Gegensatz zu Art. 12 MSA alleine nach dem Heimatrecht des Betroffenen (Art. 42 II IPRG). Nachdem Italien keinen Vorbehalt gemäß Art. 13 III MSA erklärt hat 122 , greift das Abkommen 117
Für die Einbeziehung des Art. 7 S. 1 MSA Honorati, Com., RDIPP, S. 1119. Allgemein zur behördlichen Zusammenarbeit Stellungnahme v. Steiger (Fn. 2), S. 159; zur Kooperation i. R. d. MSA siehe Artt. 4 I, 5 II zur Verständigungspflicht sowie Art. 6 (Durchführung von Maßnahmen), Art. 10 (Meinungsaustausch) und Art. 11 (Anzeigepflicht). Für Italien beruft Art. 3 IV legge 15. 1. 1994, n. 64 (Fn. 4) das Justizministerium als zentrale Kooperationsbehörde. Zur ausführlichen Neuregelung im neuen KSÜ (= MSA-Reform) siehe IX. 1., Fn. 135. 119 Ablehnend aus diesem Grunde Franchi (Fn. 116); hingegen trotzdem befürwortend Mosconi , in Convegno di Crotone, S. 63 f. 120 Siehe unter III. 2. 121 Zur Veränderung des persönlichen Anwendungsbereiches des Abkommens durch das KSÜ siehe IX. 3. 122 Der Vorbehalt ist nur noch für Luxemburg in Kraft, nachdem er von den Niederlanden, Österreich und Spanien zurückgenommen wurde (Jayme / Hausmann, Nr. 54, Fn. 10; s. a MüKo (Siehr), Art. 19, Anh. I, Rn. 414). Allgemein zur Wirkung von staatsvertraglichen Vorbehalten i. R. d „in ogni caso"-Formeln siehe § 11 II. 2. c). 118
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
bereits in seiner unmittelbaren Anwendung unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Minderjährigen. Räumlich ist das MSA kraft Art. 42 IPRG unabhängig vom Aufenthalt des Minderjährigen anzuwenden. Art. 42 II IPRG kommt in diesem Zusammenhang lediglich ein deklaratorischer Charakter zu. Bereits durch diese Ausdehnung seines Anwendungsbereiches entfaltet das Abkommen in Italien ergaomnes-Wirkung, da der Vertrag selbst keine Beschränkungen „hinsichtlich der Staaten" enthält123. Darüber hinaus wird durch Art. 72 II IPRG auch der zeitliche Anwendungsbereich der Konvention (Art. 17 MSA) erweitert, sofern man Art. 17 MSA nicht als lex specialis versteht124. Dies kann im Einzelfall zu einer „Korrektur" des späten Inkrafttretens des Abkommens in Italien (23. 4. 1995125) führen. Am sachlichen Anwendungsbereich des MSA ändert Art. 42 IPRG nichts126. Der Hinweis des Art. 42 I IPRG erstreckt sich auch auf die Zuständigkeitsvorschriften des MSA (Artt. 1, 4, 8, 9 MSA). Die Regelungen der IZ sind auch im Rahmen des IPRG abschließend, so dass ein Rückgriff auf die allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes entfällt 127. Ob Art. 42 I IPRG auch die anerkennungsrechtliche Vorschrift des Art. 7 S. 1 MSA umfasst, erscheint sehr fraglich und dürfte im Ergebnis abzulehnen sein.
IX. Die Reform des MSA - Inkrafttreten des KSÜ in Italien 1. Entstehung, Regelungsbereiche und Inkrafttreten
des KSÜ
Nachdem dem MSA nur ein sehr geringer Erfolg beschieden war 128 , ist das Abkommen im Rahmen der Haager IPR-Konferenz grundlegend reformiert 123 Siehe VI.; zur erga-omnes-Wirkung von Staatsverträgen siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). 124 Siehe dazu allgemein unter § 11 II. 2. b) und speziell zum MSA dort in Fn. 55, 56. 125 Siehe I., Fn. 6. 126 Siehe oben unter V. 127 Siehe dazu VII. 1. 128 Das MSA wurde nur von 13 Staaten ratifiziert (Jayme / Hausmann, Nr. 54, Fn. 1; zum Inkrafttreten in Italien siehe I., Fn. 6), während z. B. das HKÜ wesentlich stärkere Resonanz gefunden hat (zu den Vertragsstaaten siehe MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. II, Rn. 11 und Jayme / Hausmann, Nr. 222, Fn. 1 ). Zu den Schwächen des MSA siehe zusammenfassend Siehr, in RabelsZ 1998, S. 467.
§ 12 Art. 42 IPRG (Mindeijährigenschutz)
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worden. Im Anschluss an einen Vorentwurf vom 22. 9. 1995129, hat die 18. Tagung der Haager Konferenz in ihrer Sitzung vom 30. 9 . - 19. 10. 1996 ein neues Abkommen ausgearbeitet130, das im Anschluss an die darin enthaltenen Regelungen „Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern" (KSÜ) heißt131. Durch die Zeichnung des Vertrages durch Marokko zum Abschluss der Konferenz wurde das Überkommen mit dem 19. 10. 1996 als Datum versehen132. Wie der Titel des neuen Überkommens bereits zeigt, regelt es nicht mehr den Schutz von „Minderjährigen", sondern von „Kindern" 133 . Neben der Zuständigkeit und dem anwendbaren Recht enthält der neue Vertrag erstmalig Regelungen zum Vollstreckungsrecht 134 und zur behördlichen Zusammenarbeit (Artt. 26 - 39, 45 I KSÜ) 135 . Darüber hinaus wird die im Rahmen des MSA umstrittene Behandlung von gesetzlichen Gewaltverhältnissen geklärt 136. Die in dem Abkommen geregelten Materien werden in dessen Art. 1 I aufgezählt. Das Übereinkommen ist am 1. 1. 2002 in Kraft getreten. Es ersetzt das MSA (Art. 51 KSÜ). Italien hat das Abkommen am 1. 4. 2003 gezeichnet137, jedoch noch nicht ratifiziert. Zeitlich kommt das Abkommen für Maßnahmen zur Anwendung, die nach dem Inkrafttreten desselben im Entscheidungsstaat getroffen wurden (Art. 53 I KSÜ); im Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht
129 Conference de la Haye, Doc. Prel. No. 7, mars 1996, S. 10 - 25 (Text) mit Bericht von Lagarde (S. 32 - 107). Zu Besprechungen siehe Siehr, in FamRZ 1996, S. 1047 1052; Sturm, Zum Vorentwurf eines Übereinkommens über den Schutz von Kindern, in IPRax 1997, S. 10 - 14 und Oberloskamp, Reformüberlegungen zum Haager Minderjährigenschutzabkommen von 1961, in FamRZ 1996, S. 918 - 920 (zugleich Besprechung der Disseration von Boelck, s. u.). Zu Vorüberlegungen im Hinblick auf die Reform siehe Boelck, Reform Überlegungen zum Haager Mindeijährigenschutzabkommen, 1994 und Kropholler, Gedanken zur Reform des Haager Mindeijährigenschutzabkommens, in RabelsZ 1994, S. 1 - 19; s. a Honorati, Com., RDIPP, S. 1114. 130 Zum deutschen Text siehe RabelsZ 1998, S. 502 - 518 und Jayme / Hausmann, Nr. 55; s. a. den französischen Text in Rev. crit. 19%, S. 813 - 829 und in RDIPP 1996, S. 918 - 931. Zu Besprechungen siehe Picone, in RDIPP 1996, S. 705 - 748; Siehr, in RabelsZ 1998, S. 464 - 501 und v. Hoffmann,, IPR, § 8, Rn. 110a 131 Siehe deutsche Übersetzung in voriger Fußnote. 132 Siehr, in RabelsZ 1998, S. 468 f. 133 Siehe dazu unter 3. 134 Siehe unter 5., bei Fn. 168. 135 Zur behördlichen Zusammenarbeit i. R. d. MSA siehe VII. 2., in Fn 118. 136 Siehe unter 4. und 5., Fn. 160. 137 Siehe unter ,,http://www.hcch.net/e/status/stat34e" den Statusbericht zu der Konvention (Stand 31. 12. 2003).
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
kommt es auf die Wirksamkeit des Abkommens zwischen dem Entscheidungsund Anerkennungsstaat an (Art. 53 II KSÜ).
2. Das Verhältnis zu anderen Abkommen
Der Vorentwurf von 1995 enthielt noch keine Bestimmung, die das Verhältnis des neuen Abkommens zu anderen Staatsverträgen festlegt. Dies wurde im Abschlussentwurf von 1996 korrigiert. In Art. 50 KSÜ wird im Einklang mit Art. 34 HKÜ klargestellt, dass das Haager Kindesentfuhrungsabkommen von 1980138 unberührt bleibt. Daneben begründet Art. 7 KSÜ 139 bei Kindesentfüh138
Allgemein zu Art. 34 HKÜ und dem Verhältnis der Abkommen siehe unter II. Art. 7 KSÜ legt fest, dass bei Entführungen aus einem Vertragsstaat die IZ vorerst im Ursprungsland bleibt. Zur Begründung der Aufenthaltszuständigkeit bedarf es neben dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes noch der Zustimmung der Sorgeberechtigten (Art. 7 I a) KSÜ) oder des Fehlens eines Rückforderungsantrag innerhalb eines Jahres ab Kennenmüssen der Entführung und des Emlebens des Kindes (Art. 7 1 b) KSÜ). Dabei knüpft der Entwurf offensichtlich an Art. 12 I, II HKÜ (Einjahresfrist, jedoch ab Verbringung, bzw. Einleben) und Art. 16 HKÜ (kein Rückgabeantrag innerhalb angemessener Frist nach Mitteilung) an. Nach Art. 7 III KSÜ können jedoch bis zur allgemeinen Zuständigkeitsbegründung vom Aufenthaltsstaat Eilmaßnahmen gemäß Art. 11 KSÜ betroffen werden (zum MSA siehe Art. 9 MSA). Vorläufige Maßnahmen durch die Aufenthaltsbehörden gemäß Art. 12 KSÜ stehen hingegen unter dem Vorbehalt des Art. 7 KSÜ; dasselbe gilt für die Regelung des Art. 5 II KSÜ zur Zuständigkeit bei einem Aufenthalts Wechsel des Kindes. Auch Art. 2 I a) EheVO (siehe § 16 II. 3., Fn 60) ergänzt das Kriterium des gewöhnlichen Aufenthaltes des Antragstellers mit einer Jahres- (5. Spstr.) bzw. 6-Monatsfrist (6. Spstr.) für den Aufenthalt; beim 6-monatigen Aufenhalt muss der Antragsteller zusätzlich die Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz im Aufenthaltsstaat haben, damit eine IZ begründet wird. Nachdem diese Zeitkriterien nur zur Bejahung des gewöhnlichen Aufenthalts hinzutreten müssen, wird durch die Regelung der „gewöhnliche" Aufenthalt nicht an einen bestimmten Zeitraum geknüpft; die Vorschrift zeigt jedoch, dass die genannten Fristen als Obergrenzen gedacht sind. Die EheV02, die die EheVO ablösen wird (siehe § 16 II. 3. a), Fn 64), legt bei der Zuständigkeit für die elterliche Verantwortung eine 3-Monats-Frist (rechtmäßiger Umzug - Art. 9) bzw. ebenfalls eine Jahresfrist (Kindesentführung - Art. 10 b)) fest. In der Rechtsprechung wurde als Faustregel für die Begründung eines „gewöhnlichen" Aufenthaltes ein Zeitraum von sechs Monaten gefordert (BGHZ 78, S. 293 (301); zu weiteren Nachweisen auf die folgende OLG-Rechtsprechung siehe Staudinger (Kropholler), vor Art. 19, Rn. 130 und Soergel (Kegel), Art. 5, Rn. 54, Fn. 21); kritisch dazu MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. I, Rn. 28. Allgemein zur Auslegung des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt" siehe § 18 I. 2., bei Fn. 35, 36. Insbesondere die Neuregelung der EheVO zeigt im Ergebnis, dass die Frage, wann ein Aufenthalt als „gewöhnlich" zu bezeichnen ist, nur am Einzelfall beantwortet werden kann. Dem entspricht die neuere Rechtsprechung des EuGH zum „gewöhnlichen Arbeitsort" nach Art. 5 Nr. 2. Hs. EuGVÜ (siehe § 18 I. 2., Fn. 51). Zum entsprechenden Terminus der „residenza" im italienischen Recht siehe § 16 II. 4. a). 139
§ 12 Art. 42 IPRG (Mindeijährigenschutz)
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rungen eine IZ des Ursprungsstaates, sofern dieser Vertragsstaat ist, da das HKÜ keine Regelung der IZ für Sorgerechtsfragen enthält140. Die Neuregelung soll negative Kompetenzkonflikte verhindern, solange nach der Entführung noch kein gewöhnlicher Aufenthalt im Verbringungsstaat begründet wird 141 . Auch sonstige Abkommen sollen gemäß Art. 52 KSÜ unberührt bleiben. Dies gilt für das Europäische Sorgerechtsabkommen von 1980, das als lex specialis vorgehen dürfte 142, und die neue EheVO, die auch dem KSÜ vorgeht (Art. 37 EheVO)143. Darüber hinaus erwähnt bereits die Präambel des KSÜ, dass bei der Formulierung des Abkommens auch das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989144 berücksichtigt wurde; das neue Abkommen verweist insofern vielfach auf die Berücksichtigung des Kindeswohls (Artt. 8 I, 9 I, 10 I b), 23 II d), 33 II KSÜ) 145 . 3. Der persönliche Anwendungsbereich
Das neue Abkommen soll nicht mehr für Minderjährige (Artt. 1, 12 MSA), sondern für „Kinder" Anwendung finden (Art. 2 KSÜ). Ähnlich wie im HKÜ 146 wird dabei autonom eine feste Altersgrenze von 18 Jahren festgesetzt. Der Namen des Vertrages wird dementsprechend angepasst („Schutz von Kindern"). Ein Vorbehalt zulasten von Kindern aus Nichtvertragsstaaten kann im Gegensatz zu Art. 13 III MSA nicht mehr erklärt werden 147.
140 Die Artt. 12, 13 HKÜ behandeln nur die Zuständigkeit für die Frage der Rückführung unabhängig vom Sorgerecht (Art. 19 HKÜ; s. a. MüKo (Siehr), Art. 19 Anh. II, Rn. 65). Insofern wird die Zuständigkeit bisher gemäß Art. 1 MSA bestimmt. 141 Zu Hinweisen auf die negativen Kompetenzkonflikten siehe Boelck, S. 45 und
Oberloskamp (Fn. 129), S. 919. 142 Zum aktuellen Verhältnis der Abkommen s. o. unter II. Nachdem das MSA bis jetzt das Vollstreckungsrecht ungeregelt lässt (Art. 7 S. 2 MSA) enthält das KSÜ in seinem Kapitel IV (Artt. 23 - 28 KSÜ) umfassende Regelungen zum Anerkennungsund Vollstreckungsrecht (s. a. IX. 5. Ende). Insofern kommt es nun zu einer Kollision der Abkommen. 143 Siehe II., bei Fn. 36. Auch die EheV02, die die EheVO ablösen wird (siehe § 16 II. 3. a), Fn. 64), wird dem KSÜ vorgehen (Art. 61 EheV02). Im Zuständigkeitsrecht setzt dies voraus, dass das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat der EheV02 hat (Art. 61 a) EheV02). 144 Siehe Text in RabelsZ 1998, S. 502; zu dem UN-Abkommen siehe II., Fn. 31. 145 Siehe auch Siehr, in RabelsZ 1998, S. 472. 146 Art. 4 S. 2 HKÜ (16 Jahre); s. a § 13 II 1, in Fn. 21 zu Art. 1 IV USTAK (unverheiratet und 21 Jahre). 147 Siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a) zu erga-omnes-Verträgen in der internationalen Abkommenspraxis.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Damit entfällt die Vorfrage der Minderjährigkeit 148. Dem Abkommen unterliegen somit auch sog. emanzipierte Minderjährige 149, sofern sie die gegebene Altersgrenze nicht überschreiten. Dies gilt sogar für Vollemanzipierte, da die Frage der Geschäftsfähigkeit unerheblich wird. Von einer Erstreckung der Konvention auf Volljährige, wie es Art. 85 II des schweizerischen IPRG vorsieht 150, wird jedoch abgesehen151.
4. Der sachliche Anwendungsbereich
In Art. 1 I KSÜ wird der Regelungsbereich des neuen Abkommens zusammenfassend beschrieben. Die Vorschrift wird durch die Artt. 3, 4 KSÜ konkretisiert, die die möglichen Schutzmaßnahmen beispielhaft aufzählen (Art. 3 KSÜ) bzw. klarstellen, welche Fragen vom Abkommen nicht geregelt werden (Art. 4 KSÜ). Änderungen gegenüber dem MSA ergeben sich dadurch nicht 152 . Der alte Streit über den kollisionsrechtlichen Charakter des Art. 3 MSA 153 , wird jedoch im neuen Abkommen zugunsten der Kollisionstheorie entschieden. Die Artt. 16, 17 KSÜ schaffen Kollisionsnormen zur Frage der „elterlichen Verantwortung" (Legaldefinition in Art. 1 II KSÜ). Im Gegensatz zu Art. 3 MSA wird jedoch bei beiden Vorschriften an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes angeknüpft und nicht an dessen Staatsangehörigkeit154. Damit kommt in den meisten Fällen eine einheitliche Rechtsordnung zur Anwendung155. Das
148
Siehe Art. 12 MSA und oben unter III. Siehe III. 2. 150 Boelck, S. 129 weist daraufhin, dass die schweizerische Delegation i. R. d. MSAReform eine dementsprechende Erweiterung des Abkommens vorgeschlagen hatte. 151 Diese Materie regelt nunmehr das Haager Übereinkommen zum Schutz von Erwachsenen vom 13. 1. 2000, das das Haager Abkommen vom 17. 7. 1905 (siehe § 11 II. 2. a), Fn. 27) ersetzen soll. Das neue Übereinkommen ist noch nicht in Kraft getreten; es ist am 22. 12. 2003 von Deutschland, jedoch noch nicht von Italien gezeichnet worden (siehe Statusbericht unter „http://www.hcch.net/e/status/stat35e.html", Stand 31. 12. 2003). 152 Siehe auch unter V. 1., Fn. 77-82 zum Anwendungsbereich des MSA. 153 Siehe V. 2. b). 154 Nach Art. 16 KSÜ bestimmt sich die Zuweisung und das Erlöschen der elterlichen Verantwortung nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts; dasselbe gilt gemäß Art. 17 KSÜ für die Ausübung derselben. Art. 18 KSÜ stellt klar, dass die zuständigen Behörden auch in bestehende Gewaltverhältnisse eingreifen können (siehe dazu auch V. 2. a), Fn. 88). 155 Siehe 5. zum Grundsatz der Aufenthaltszuständigkeit (Fn. 159) und zur Anwendung der lex fori (Fn. 162). 149
§ 12 Art. 42 IPRG (Mindejährigenschutz)
191
neue Abkommen stellt auch klar, dass die gesetzlichen Gewaltverhältnisse die Zuständigkeiten des Vertrages nicht begrenzen156.
5. Der räumliche Anwendungsbereich, der Bezug zu den Vertragsstaaten, die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und das Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht
Der Anwendungsbereich des Abkommens unterliegt keiner der in Art. 13 MSA erwähnten Beschränkungen. Das KSÜ wird dadurch zum allseitigen Vertrag 157, was der Regelung des Art. 42 IPRG in Italien entspricht. Der Entwurf enthält vor allem keine dem Art. 13 I MSA (Minderjährige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Vertragsstaat) ähnliche Regelung. Mangels einer derartigen allgemeinen Bestimmung wird es jedem Bereich des KSÜ gesondert überlassen, die Beziehungen zu den Vertragsstaaten festzulegen 158. Kapitel II regelt die Internationale
Zuständigkeit
der Vertragsstaaten und
geht dabei weiterhin vom Grundsatz der Aufenthaltszuständigkeit aus (Art. 5, 6, 11, 12 KSÜ) 159 . Diese wird nicht durch gesetzliche Gewaltverhältnisse beschränkt. Der im Rahmen des MSA bestehende Streit über die zuständigkeitsbeschränkende Funktion des Art. 3 MSA wird somit im Sinne der Anerkennungstheorie gelöst160. Beim anwendbaren Rechts unterstreicht 161 Kapitel III mit der Benennung der
lex fori das Prinzip des Gleichlaufs von Zuständigkeit und Sachrecht (Art. 15 I KSÜ 162 ). Es handelt sich dabei um eine Sachnorm Verweisung (Art. 21 I KSÜ).
156 157 158
Siehe unten unter 5., Fn. 160. Siehe den Hinweis in Fn. 147. Picone, in RDIPP 1996, S. 709; Siehr, in FamRZ 1996, S. 1048 und ders., in
RabelsZ 1998, S. 470. 159 Art. 5 KSÜ (gewöhnlicher Aufenthalt) und Artt. 6, 11, 12 KSÜ (einfacher Aufenthalt); zu den Artt. 11,12 KSÜ s. a Fn. 139. Ausnahmen vom Grundsatz der Aufenthaltszuständigkeit begründen die Art. 7 (Entführungen - siehe Fn. 139), Art. 8 (Übernahmeersuchen bzw. „Einladung" zur Antragstellung bei ausländischen Behörden), Art. 9 (Abgabeersuchen bzw. „Einladung" zur Antragstellung vor eigenen Behörden) und Art. 10 (Ehegerichte - s. a Art. 15 MSA). Das KSÜ sieht an Stelle des Ansichziehens gemäß Art. 4 I MSA ein Übernahme- bzw. Abgabeersuchen vor und unterstreicht somit die Zusammenarbeit der vertragsstaatlichen Behörden. 160 Siehe V. 2. a). Auch Boelck, S. 10 - 13 hat sich für eine Streichung der Vorbehalte des Art. 3 im Zuständigkeitsrecht ausgesprochen. 161 Zum MSA siehe V. 1., Fn. 69. 162 Ausnahme Art. 15 II: Recht eines Staates zu dem der Fall die engste Verbindung (siehe auch Art. 4 EVÜ).
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Im Anschluss an die umfangreiche Diskussion zu Art. 3 MSA 163 werden die gesetzlichen Gewaltverhältnisse nunmehr ausführlich geregelt164. Die Grundkonstruktion des Entwurfes entspricht somit weitestgehend dem MSA. Das Wegfallen des Art. 13 I MSA bleibt dabei nahezu ohne Wirkung 165. Im Gegensatz zu Art. 7 S. 1 MSA knüpft die Neuregelung des Art. 23 II KSÜ die automatische Anerkennung ausländischer Maßnahmen an weitere
Voraussetzungen als an die Beachtung des durch das Abkommen festgeschriebenen Zuständigkeitsrechts. Das Übereinkommen nähert sich somit internationalen Standards und Art. 64 IPRG an 166 ; das Konkurrenzproblem zwischen dem Anerkennungsrecht des IPRG und dem des Staatsvertrages167 wird dadurch entschärft. Dasselbe gilt auch für das erstmalig in dem Abkommen geregelte Vollstreckungsrecht (Artt. 26 - 28 KSÜ) 168 . 6. Der Anwendungsbereich „ hinsichtlich der Vertragsstaaten
"
Art. 20 KSÜ stellt klar, dass anwendbares Recht auch das Recht eines Nichtvertragsstaates sein kann. Nachdem eine solche Bestimmung i. R. d. MSA nicht notwendig war 169 , entfaltet die Vorschrift in den Fällen des Art. 15 II KSÜ 170 ihre Wirkung, da es nur in diesen zur Anwendung des Rechts eines Nichtvertragsstaates kommen kann. Nachdem das KSÜ insofern keine Beschränkungen „hinsichtlich der (Vertrags)staaten" 1 7 1 enthält, korrespondiert Art. 42 IPRG in diesem Punkt mit dem neuen Staatsvertrag. 163
Siehe V. 2. Siehe unter 4., Fn. 154. 165 Da internationale Abkommen nur die Zuständigkeit der Vertragsstaaten begründen können, ändert das Fehlen des Art. 13 I MSA nichts im Falle der Grundsatzzuständigkeit des Art. 5 KSÜ (gewöhnlicher Aufenthalt). Abweichungen vom MSA können sich dann ergeben, wenn die Zuständigkeit durch den „einfachen" Aufenthalt des Kindes begründet wird (Artt. 6, 11, 12 KSÜ). Auch in den Fällen, in denen keine Aufenthaltszuständigkeit besteht (siehe Fn. 159), bleibt die Streichung des Art. 13 I MSA nahezu ohne Wirkung (bei Art. 7 KSÜ besteht im Aufenthaltsstaat zumeist noch kein gewöhnlicher Aufenthalt [i. E. siehe Fn. 139], die Zusammenarbeit nach den Artt. 8, 9 KSÜ findet nur zwischen Vertragsstaaten statt und Art. 10 KSÜ setzt nach seinem Wortlaut einen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in einem Vertragsstaat voraus). 166 Siehe § 16 II. 2. a) bb) zu den Artt. 64 - 66 des IPRG und Art. 27 EuGVÜ (= Art. 34 EuGVO). 167 Siehe VII. 2. 168 Siehe auch IX. 2., Fn. 142 zum Verhältnis des KSÜ zum EuSorgÜ. 169 Siehe unter VI. 170 Siehe IX. 5., Fn. 162. 171 Zu dem Begriff siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a), Fn. 34, 35. 164
§ 12 Art. 42 IPRG (Mindejährigenschutz)
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7. Die A uswirkungen des KSÜ auf Art. 42 IPRG
Bei Inkrafttreten des KSÜ für Italien wäre Art. 42 IPRG anzupassen.172 In erster Linie müsste der Absatz I der Vorschrift auf das neue Abkommen verweisen. Eine Klarstellung zur Frage, ob der Hinweis auch das Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht des Übereinkommens einschließt, wäre dabei wünschenswert173. Art. 42 II IPRG müsste bei der Anpassung der Vorschrift entfallen, da sich die Frage der Minderjährigkeit nicht mehr stellt und das neue Abkommen per se erga-omnes-Wirkung entfaltet. Darüber hinaus müssten die Artt. 43, 44 IPRG von Art. 42 IPRG neu abgegrenzt werden. Erstere Vorschriften wären dann für „Erwachsene" ab 18 Jahren anzuwenden174.
172 173 174
Siehe allgemein zur Anpassung der Hinweisnormen unter § 11 II. 2. d). Siehe Art. 85 I schweizerisches IPRG in Fn. 107 (VII. 1.) und in Fn 113 (VII. 2.). Siehe IX. 3. zum persönlichen Anwendungsbereich des KSÜ.
§ 13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht) 1. Die Neuregelung des A r t 45 IPRG
Eine weitere Hinweisnorm im Bereich des Familienrechts findet sich in Art. 45 IPRG. Die Vorschrift verweist - wie Art. 83 I schweizerisches IPRG für den Kindesunterhalt - für „Unterhaltsverpflichtungen in der Familie" 1 auf das „Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht" vom 2. 10. 1973 (USTA) 2 . Das gemäß Art. 45 IPRG nunmehr für „auf jeden Fall" anwendbar erklärte Abkommen ist in Italien seit dem 1.1. 1982 in Kraft 3 . Als Staatsvertrag neueren Datums kommt dem Übereinkommen bereits per se erga-omnes-Charakter zu; dies wird durch Art. 3 USTA klargestellt 4. Nachdem im bisherigen italienischen IPR eine eigene Norm zum Unterhaltsrecht fehlte, hat der italienische Gesetzgeber an internationale Standards anknüpfend 5 im IPRG eine eigene Kollisionsnorm für diese Materie formuliert. 1
Zum sachlichen Anwendungsbereich s. u. unter III. Zum Text des Abkommens siehe BGBl. 1986 II, S. 837 und Jayme / Hausmann, Nr. 41; i. W. zum USTA und seinem parallelen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommens (Fn. 25) siehe vor allem den erläuternden Bericht von Verwilghen, in BT 10/258, S. 29-72. 3 Legge 24. 10. 1980, n. 745 (Ratifikationsermächtigung und Umsetzung). Auf dieses Gesetz verweist auch der Wortlaut des Art. 45 IPRG; zu den dadurch entstehenden Problemen bei einer Änderung des Abkommens siehe unter § 11 II. 2. d). Das Abkommen befindet sich auf internationaler Ebene seit 1. 10. 1977 in Kraft; dazu und zur Wirksamkeit in Italien (1. 1. 1982) und in Deutschland (1. 4. 1987) siehe Bek. vom 26. 3. 1987, in BGBl. 1987, II, S. 225. 4 Siehe auch Fn. 31 im Exkurs unter § 11 II. 2. a). 5 Siehe dazu in neueren IPR-Gesetzen Art. 18 EGBGB, Artt. 49, 83 schweizerisches IPRG, Artt. 34, 35 rumänisches IPRG und Art. 9 VII spanischer código civil. Das etwas ältere österreichische IPRG von 1978 enthält keine eigene Unterhaltsrechtsvorschrift; andererseits regelt bereits das tschechisch / slowakische IPRG von 1963 das Unterhaltsrecht ausdrücklich (§§ 24, 25, 39). In der ungarischen IPR-VO von 1979 findet sich im Vertragsrecht eine eigene Regelung zu Unterhaltsverträgen (§ 26 III; i. W. zum Unterhaltsrecht siehe §§ 39, 45, 47); zur Abgrenzung zwischen Vertragsrecht und familiärem Unterhaltsrecht siehe im Folgenden unter III. 2. b). Allgemein zu den europäischen IPR-Gesetzen siehe Hinweise im Anhang I. 2
§13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht)
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Im Rahmen derfrüheren kollisionsrechtlichen Vorschriften wurden Unterhaltsansprüche je nach Einzelfall den jeweils zugrunde liegenden Rechtsverhältnissen zugeordnet6. Anwendung fanden somit vor allem Art. 20 (Eltern-KindVerhältnis) und die Artt. 18,19 (Ehegatten) disp. prel.7. Vorrangig zu beachten waren selbstverständlich auch nach alter Rechtslage die für Italien in Kraft befindlichen internationalen Verträge zum Unterhaltsrecht. Neben dem USTA ist dabei vor allem das „Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht" vom 24. 10. 1956 (USTAK)8 zu nennen, das jedoch mangels allseitiger Wirkung (Art. 6 USTAK) den Art. 20 disp. prel. nur in beschränktem Umfang verdrängen konnte.
II. Das Verhältnis zum USTAK und anderen Staatsverträgen L Das Verhältnis zum USTAK
Auch wenn das jüngere USTA zum familienrechtlichen Unterhaltsrecht im Allgemeinen das ältere USTAK zum Kindesunterhalt im Speziellen weitestgehend verdrängt (Art. 18 I USTA), verbleibt dem Haager Abkommen zum Kindesunterhalt aufgrund der unterschiedlichen Unterzeichnerstaaten der Verträge9 nach wie vor ein - wenn auch geringer - Anwendungsbereich, Im Rahmen dieses Anwendungsbereiches ist das USTAK jedoch gegenüber dem IPRG und damit auch dem Art. 45 IPRG vorrangig zu beachten (Art. 2 I IPRG)10. Auf die Frage des Verhältnisses der beiden Abkommen untereinander findet sich weder in Art. 18 I USTA („in den Beziehungen zwischen den Staaten") noch in der allgemeinen Vorschrift des WVK 11 eine eindeutige Antwort. Die 6
Honor ati, Com., RDIPP, S. 1127 und Baruffi , Com., NLCC, S. 1274. Zur Anwendung des Art. 25 II disp. prel. (außervertragliche Schuldverhältnisse) siehe III. 1., Fn. 45. 8 Zu dem Abkommen siehe BGBl. 1961 II, S. 1013 und Jayme / Hausmann, Nr. 40. Gemäß seinem Art. 8 I (Ratifikation durch 4 Vertragsstaaten) ist das Abkommen am 1. 1. 1962 in Italien - ebenso wie in Deutschland - in Kraft getreten (CT (Barel), Art. 45, II. 2. spricht fälschlicherweise vom 23. 4. 1961); die Ratifikationsermächtigung erfolgte durch Gesetz vom 4. 8. 1960, n. 918 (siehe Barel, a.a.O.). 9 Siehe Art. 18 I USTA: „ ... in den Beziehungen zwischen den Staaten, die Vertragsparteien sind, ... ."; lediglich dem USTAK beigetreten sind Belgien, Liechtenstein und Österreich. 10 Allgemein dazu siehe unter § 9. 11 Siehe Art. 30 IV b) WVK („gegenseitige(n) Rechte und Pflichten"); auch die allgemeine Auslegungsregel des Art. 31 WVK führt in dieser Frage nicht weiter. Aus dem 7
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Literatur stellt bei der Auslegung des Art. 18 I USTA darauf ab, dass beide Abkommen primär an den gewöhnlichen Aufenthalt des Berechtigten anknüpfen (Art. 1 I USTAK, Art. 4 I USTA) 1 2 . Daraus wird geschlossen13, dass das USTAK anwendbar bleibt, sofern das unterhaltsbegehrende Kind seinen Aufenthalt in einem der Staaten hat, der zwar Vertragsstaat des USTAK, jedoch nicht des USTA ist. Diskutiert wird, ob Gleiches auch für den Fall des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsverpflichteten gilt 1 4 . Letzteres dürfte jedoch zu verneinen sein, da dieser Anknüpfungspunkt in den Abkommen nur eine untergeordnete Rolle spielt 15 . Aus demselben Grund ist auch die Staatsangehörigkeit der Beteiligten unerheblich 16. Insofern findet das USTAK nach wie vor Anwendung, sofern das Kind (Legaldefinition in Art. 1 IV USTAK 1 7 ) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Belgien, Liechtenstein oder Österreich 18 hat und das berufene Recht das Recht eines Vertragsstaates ist (Art. 6 USTAK). Zu berücksichtigen ist, dass Italien
Art. 18 I USTA könnte man zwar eine Suspensionsabsicht der Vertragsparteien gemäß Art. 59 II WVK entnehmen, dies klärt jedoch nicht die Bedeutung der in Art. 18 I USTA gewählten Formulierung. Allgemein zum Wiener Vertragsrechtsübereinkommen siehe § 9 II. 1., Fn. 26. 12 Die Abkommen knüpfen subsidiär, d. h sofern kein Unterhaltsanspruch nach dem Ortsrecht des Aufenthaltes des Berechtigten besteht, an das Recht, das durch das IPR der angerufenen Behörde zur Anwendung berufen wird (Art. 3 USTAK) bzw. an das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit von Berechtigtem und Verpflichtetem (Art. 5 USTA, s. a. Art. 7 1. Alt. USTA) an. Zuletzt wird schließlich auf die lex fori der zuständigen Behörde verwiesen (Art. 6 USTA); zur Anwendbarkeit der lex fori sind auch die Fakultativklausel des Art. 2 USTAK und die Vorbehaltsmöglichkeit des Art. 15 USTA zu beachten (zu Art. 15 USTA im IPRG siehe § 11 II. 2. c)), die für die Fälle gelten, dass Berechtigter und Verpflichteter Staatsangehörige des Zuständigkeitsstaates sind und der Verpflichtete seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat. Allgemein zur Abgrenzung zwischen Vorbehalten und Fakultativklauseln siehe Exkurs unter § 15 V. 1. a); im Speziellen zu Art. 2 USTAK siehe dort unter Fn. 113. Auch Vitta, in Problemi, S. 102 spricht bei Art. 2 USTAK von einer „facoltà" der Vertragsstaaten. 13 Henrich, IntFamR, S. 172; Böhmer / Finger (Siehr), Nr. 6.10., Art. 18, Rn. 4; s. a. CT (Barel), Art. 45, II. 2. zur italienischen Literatur. 14 I. d. S. Böhmer / Finger (Siehr), Nr. 6.10., Art. 18, Rn. 5, der auf die Entscheidungsharmonie mit dem Recht und den Gerichten der Staaten verweist, die nur dem USTAK beigetreten sind. 15 Siehe Fn. 12 zu Art. 2 USTAK und Art. 15 USTA. 16 Siehe auch dazu die Artt. 2 USTAK, 15 USTA (Fn. 12) bzw. die subsidiäre Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit in Art. 5 USTA. 17 Siehe dazu in Fn. 21. 18 Siehe Fn. 9.
§13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht)
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von der Fakultativklausel des Art. 2 USTAK 19 zugunsten des eigenen Rechts Gebrauch gemacht hat20. Problematisch erscheint insofern im Zusammenhang mit der neuen Regelung des Art. 45 IPRG die Tatsache, dass das USTAK im Gesetzestext keine Erwähnung findet. Nachdem Vitta in Art. 23 II seines progettos21 noch auf das Abkommen und auf sein allgemeines Verhältnis zum USTA hingewiesen hat, erweckt Art. 45 IPRG den Eindruck, als wenn für Fragen des Unterhaltsrechts immer das Haager Abkommen von 1973 zur Anwendung kommt. Dasselbe gilt für den Art. 83 I des schweizerischen IPRG, der für den Kindesunterhalt ebenfalls allein auf das USTA verweist22. Bei der Formulierung von Hinweisnormal ist jedoch Vorsicht geboten, wenn für die geregelte Materie auch noch andere internationalen Verträge zur Anwendung kommen. In diesem Fall sollte man zumindest - wie im letzten Halbsatz des Art. 57 IPRG23 - auf deren Existenz hinweisen. Im Falle des Art. 45 IPRG kann jedoch eingeräumt werden, dass der Anwendungsbereich des USTAK nur sehr beschränkt ist.
2. Das Verhältnis zu anderen Staatsverträgen
Im Weiteren24 befinden sich für Italien die parallel zum USTAK und USTA abgeschlossenen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen
19 20
in Kraft 25 . Sie
Zu der Vorschrift siehe in Fn. 12. Siehe in Rev. crit. 1985, S. 196 sowie die Hinweise bei Vitta, in Problemi, S. 102
und Jayme / Hausmann, Nr. 40, Fn. 4. 21 Siehe Vitta, in Problemi, S. 267. Vitta erweiterte dabei den sachlichen Anwendungsbereich des USTAK durch den Anknüpfungsgegenstand „ minori " (Minderjährige gemäß Art. 2 I c. c. bis zum 18. Lebensjahr [seit legge 8. 3. 1975, n. 39; vorher bis 21 Jahre]) anstelle des Begriffes „Kind" im Abkommen (selbständige Anknüpfung gemäß Art. 1 IV USTAK: unverheiratet [zu den sog. „emanzipierten Mindeijährigen" siehe § 12 III. 2.] und bis zum 21. Lebensjahr). 22 Das USTAK ist in der Schweiz am 17. 1. 1965 in Kraft getreten (BGBl. 1965 II, S. 40). 23 Siehe dazu § 14 II. 1., bei Fn. 10. 24 Siehe auch Baruffi , Com., NLCC, S. 1277 f., Nr. 3 zu den Abkommen im Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht; ebenso die Entscheidung des App. Milano vom 6. 5. 1994, in RDIPP 1995, S. 447 - 449 zum italienisch-schweizerischen Rechtsverkehr. 25 „Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern" vom 15. 4. 1958 (BGBl. 1961 II, S. 1006; s. a Jayme / Hausmann, Nr. 180); das Abkommen befindet sich für Italien seit dem 1. 1. 1962 in Kraft (legge 4. 8. 1960, n. 918 [Fn. 8]; s. a. Bek. vom 15. 12. 1961, in BGBl. 1962 II, S. 15).
198
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
stehen im selben Verhältnis zueinander wie ihre kollisionsrechtlichen Ausgangsabkommen 26 . Neben diesen Haager Abkommen kann die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen auch nach dem EuGVÜ (nunmehr EuGVO) 2 7 bzw. dem parallelen Lugano Abkommen vom 16. 9. 1988 28 erfolgen. Das EuGVÜ regelt auch die Frage der IZ für Unterhaltsfragen (Art. 5 Nr. 2 bzw. Art. 2 I EuGVÜ / EuGVO 2 9 ). Daneben ist das UN-Rechtshilfeabkommen vom 20. 6. 1956 zum Unterhaltsrecht zu berücksichtigen 30 . Demgegenüber ist das EG-Übereinkommen zum Verfahrensrecht bei Unterhaltsansprüchen vom 6. 11. 1990 bisher nicht in Kraft getreten 31 . Schwieriger erscheint die Abgrenzung des USTA zum EVÜ, soweit sich Unterhaltsverpflichtungen aus vertraglichen Vereinbarungen ergeben. A u f diese Abgrenzung von USTA und dem Römischen Vertragsrechtsübereinkommen soll im Späteren noch genauer eingegangen werden 32 .
„Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen" vom 2. 10. 1973 (BGBl. 1986 II, S. 826; s. a Jayme / Hausmann, Nr. 181); in Italien seit dem 1. 1. 1982 in Kraft (legge 24. 10. 1980, n. 745 [Fn. 3]). 26 Das Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommens von 1973 enthält in seinem Art. 29 eine dem Art. 18 I USTA gleichlautende Vorschrift. 27 Art. 23 des Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommens von 1973 zum Unterhaltsrecht bestimmt, dass der Vertrag andere internationale Übereinkünfte nicht ausschließt, sofern dadurch die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen erreicht werden kann (ähnlich Art. 11 des Abkommens von 1958); von Seiten des EuGVÜ ist in diesem Zusammenhang Art. 57 I, II b) EuGVÜ zu beachten (nunmehr Art. 71 I, II b) EuGVO). Die h. M. leitet daraus eine parallele Anwendung der Haager Abkommen und des EuGVÜ / EuGVO ab (Staudinger (Kropholler), Anh. III zu Art. 18, Rn. 26, 122 und 212; v. Hoffmann, IPR, § 8, Rn. 94 und Baruffi, Com., NLCC, S. 1278). Zum EuGVÜ / EuGVO siehe § 16. 28 Siehe dazu § 16 II. 3. a), Fn. 59. 29 Zur allseitigen Wirkung des Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ / EuGVO gemäß Art. 3 II 1 IPRG siehe § 16 II. 4. b); zu Art. 3 I IPRG, der im italienischen IPRG die „Funktion" des Art. 2 I EuGVÜ / EuGVO übernimmt siehe § 16 II. 4. a). 30 „New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland" vom 20. 6. 1956 (BGBl. 1959 II, S. 150; s. a Jayme / Hausmann, Nr. 220); in Italien in Kraft seit dem 27. 8. 1958 (legge 23. 3. 1958, n. 338); Art. 1 II des Abkommen stellt klar, dass das Übereinkommen anderweitige Rechtsschutzmöglichkeiten des nationalen und internationalen Rechts ergänzt. 31 „Römisches EWG-Übereinkommen über die Vereinfachung der Verfahren zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen" vom 6. 11. 1990 (siehq Jayme / Hausmann, Nr. 221 und Staudinger (Kropholler), Anh. III zu Art. 18, Rn. 278 - 280). Die Notwendigkeit dieses Abkommens neben den Haager Unterhaltsabkommen wird in Frage gestellt (Kropholler, a.a.O., Rn. 280). 32 Siehe III. 2. b).
§ 13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht)
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III. Der sachliche Anwendungsbereich Als Anknüpfungsgegenstand bezeichnet Art. 45 IPRG „alimenti nella famiglia" (Unterhaltsverpflichtungen in der Familie33). Die Auslegung des Begriffs erfolgt grundsätzlich nach nationalem Recht34.
1. Unterhaltspflichten
i. S. d. Art. 1 USTA
In den Anwendungsbereich des Art. 45 IPRG fallen auf jeden Fall die Unterhaltspflichten, die bereits von Art. 1 USTA erfasst werden. Unschädlich ist, dass der Begriff der „alimenti" im italienischen Zivilrecht nur für den sog. „eingeschränkten Unterhalt" in Notlagen verwendet wird 35 , während man den „Vollunterhalt" als „mantenimento" bezeichnet36. Der italienische Gesetzgeber lehnt sich in Art. 45 IPRG an das USTA an. In dessen italienischer Fassung wird in der Überschrift und in Art. 1 des Abkommens „alimenti" als Oberbegriff für Unterhaltsverpflichtungen benutzt37. Art. 45 IPRG erfasst somit alle Unterhaltsverpflichtungen, die auf familienrechtliche Verhältnisse zurückzuführen sind (Art. 1 USTA)38. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das USTA den Bereich der familienrechtlichen Beziehungen weit fasst 39. Im Rahmen des Eherechts werden somit auch der Trennungsunterhalt sowie der nacheheliche Unterhalt von Art. 45 IPRG erfasst 40. Diese richten sich gemäß Art. 8 USTA nach dem für Trennung und Scheidung angewandten Recht. Dabei wird das Sachrecht nicht durch Art. 31 IPRG (persönliche
33
S. 67.
Übersetzung gemäß Siehr, in IPRax 1996, S. 363; ebenso De Meo, in Riering,
34
Siehe allgemein § 11 II. 1. zur Frage der Anknüpfungsgegenstände und im Speziellen zum Begriff der „alimenti" im italienischen Recht im Folgenden unter 1. 35 Artt. 433 - 448, 279 I 2, 129bis I 2 c. c. sowie Art. 560 IV c. p. c. und Art. 47 I. fall. 36 Artt. 143 III, 156, 315, 147, 148, 129bis 1 1, 279 1 1 c. c. 37 Siehe auch Staudinger (v. Bar / Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 73. 38 Allgemein zum sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens siehe den Bericht von Verwilghen (Fn 2), S. 34 - 36 (Nr. 14 - 24) bzw. S. 56 (Nr. 118-121). 39
Verwilghen
(Fn. 2), S. 34 (Nr. 15); s. a. MüKo (Siehr), Art. 18 Anh. I, Rn. 27
(„alle irgendwie gearteten familienrechtlichen Bande"). 40 I. d. S. Honorati, Com., RDIPP, S. 1131 sowie CT (Barel), Art. 45, Π. 3. und Art. 31, II. 1.; a. A. Clerici (nächste Fußnote).
200
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Trennung und Auflösung der Ehe) festgelegt, sondern vielmehr auf das im konkreten Fall zur Anwendung gekommene Recht abgestellt41. Das USTA verweist bei der Bestimmung seines sachlichen Anwendungsbereiches ausdrücklich auf Unterhaltspflichten gegenüber nichtehelichen Kindern (Art. 1 letzter Hs. USTA). Es kommt dabei nicht darauf an, ob das uneheliche Kind formal anerkannt wurde oder nach materiellem Recht anerkannt werden kann42. Dem Art. 45 IPRG unterliegen somit auch Unterhaltsansprüche nicht anerkennungsfähiger Kinder gemäß Art. 279 c. c. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber in bestimmten Fällen eine Anerkennung von Kindern nicht zulassen will 43 , berührt - wie Art. 279 c. c. selbst zeigt - nicht deren unterhaltsrechtliche Behandlung. Im Gegensatz dazu hat die italienische Rechtsprechung44 bisher derartige Unterhaltsansprüche als rein vermögenrechtlich eingestuft und insofern den außervertraglichen Schuldverhältnissen zugeordnet (Art. 25 II disp. prel.) 45. Diese Sichtweise dürfte nunmehr durch die Verweisung des Art. 45 IPRG auf das Haager Unterhaltsabkommen überholt sein.
2. Erweiterung
des sachlichen Anwendungsbereiches des USTA durch Art 45 IPRG?
Ob Art. 45 IPRG den sachlichen Anwendungsbereich des USTA in Italien erweitert, ist z. T. umstritten. Es geht um die Frage, ob der vom italienischen Gesetzgeber gewählte Anknüpfungsgegenstand („alimenti nella famiglia") dem sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens (Art. 1 USTA) entspricht oder darüber hinausgeht.
41 Staudinger (v. Bar / Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 234 m.w.N.; insofern unpräzise Clerici , Com., RDIPP, S. 1076 zu Art. 31, die Art. 31 IPRG für anwendbar hält. 42 Verwilghen (Fn. 2), S. 35 (Nr. 19); s. a. MüKo (Siehr), Art. 18 Anh. I, Rn. 41 und Staudinger (v. Bar / Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 101. 43 Zur Unzulässigkeit der Kindesanerkennung nach italienischem Zivilrecht Art. 251 c. c. (Inzest) bzw. Art. 253 c. c. (Widerspruch zu bestehenden Ehelichkeits- oder Legitimationsverhältnissen). 44 Cass. 18. 12. 1974, n. 4346, in RDIPP 1975, S. 754 (756) und Cass. 31.5. 1969, n. 1950, in RDIPP 1970, S. 107 (110); s. a. Cass. 9. 10. 1978, n. 4480, in RDIPP 1980, S. 56. 45 Allgemein zum Unterhaltsrecht nach bisherigem IPR siehe I., Fn. 7.
§13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht)
201
a) Schenkungs- und Erbrecht Als wenig problematisch erweist sich die Abgrenzung zu den Unterhaltsvorschriften des Schenkungs- und Erbrechts 46. Diese unterliegen nicht dem USTA, da sie nicht aus familienrechtlichen Beziehungen abgeleitet werden47. Die z. T. schwierige und in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich vorgenommene Abgrenzung von Familienrecht und Erbrecht überlässt das Abkommen den nationalen Rechtsordnungen48. Auch die italienische Literatur 49 bezeichnet derartige Unterhaltsansprüche nicht als „alimenti nella famiglia" im Sinne des Art. 45 IPRG. Für sie finden somit die speziellen Kollisionsnormen des Schenkungs- (Artt. 56, 57 IPRG)50 und Erbrechts (Art. 46 IPRG) Anwendung.
b) Vertragliche Unterhaltspflichten Schwieriger wird die Einordnung der vertraglichen Unterhaltspflichten innerhalb der Familie. Zuerst stellt sich die Frage, ob und inwieweit diese bereits unter Art. 1 USTA („Unterhaltspflichten ... , die sich aus Beziehungen der Familie ... ergeben") fallen. Im Rahmen der Beratungen zum USTA entschied man sich dafür, die Frage nicht ausdrücklich zu regeln und die Lösung im Einzelfall den Gerichten zu überlassen51. Freiwillige Unterhaltsverpflichtungen sollen jedoch dann vom USTA geregelt werden, sofern sie eine einfache Bestätigung der gesetzlichen Verpflichtungen darstellen52. Vertragliche Verpflichtungen fallen somit grundsätzlich nicht unter das Abkommen, da sie ihren Ursprung nicht in 46
Zum italienischen Sachrecht siehe Art. 437 c. c. (Schenkung) und Art. 660 c. c. (Erbrecht). 47 Verwilghen (Fn. 2), Nr. 118 i. V. m. Nr. 15 (Schenkungen) bzw. Nr. 23, 24 (Erbrecht); s. a. in der italienischen Literatur Ballarino / Bonomi, Materie escluse, S. 110. 48 Verwilghen (Fn. 2), Nr. 24; siehe dazu MüKo (Siehr), Art. 18 Anh. I, Rn. 51 - 54 sowie Rn. 65. 49 Honorati, Com., RDIPP, S. 1128 (Schenkung und Erbrecht); ebenso CT (Barel), Art. 45, II. 3. zu Schenkungen; s. a. den Hinweis von Ballarino, DIP 2, S. 495 auf den Anwendungsbereich des USTA. 50 Zur Abgrenzung von Schenkungs- und Vertragsrecht siehe § 14 III. 3. 51 Verwilghen (Fn. 2), Nr. 120 (USTA) und Nr. 16, 17 (Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen) mit Hoffnung auf eine einheitliche Rechtsprechung in den Vertragsstaaten. 52 Verwilghen (Fn. 2), S. 34, Nr. 17; dabei wird ausdrücklich an die Kommentierungen zum USTAK und dessen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen angeknüpft.
202
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
dem familienrechtlichen Verhältnis der Beteiligten haben. Diesem Verständnis ist die h. Lit. 53 gefolgt und wendet das USTA auf vertragliche Unterhaltsverpflichtungen nur an, wenn diese die gesetzlichen Pflichten konkretisieren, aufheben (Unterhaltsverzicht) oder - sofern die gesetzlichen Regelungen dies zulassen - abändern. Der Anknüpfungsgegenstand des Art. 45 IPRG ist nicht zwingend mit dem Anwendungsbereich des Art. 1 USTA gleichzusetzen. Im Falle der vertraglichen Verpflichtungen kommt es dabei auf die Abgrenzung des Art. 45 IPRG zur Hinweisnorm des Art. 57 IPRG an. Letztere verweist für „vertragliche Verpflichtungen" auf das Römische Vertragsrechtsübereinkommen (EVÜ) 54 . Das EVÜ selbst schließt Unterhaltsansprüche, die auf einem Familienverhältnis beruhen, ausdrücklich aus seinem Anwendungsbereich aus (Art. 1 II b) EVÜ). Damit wird auf die im USTA geregelten Materien Rücksicht genommen. In den Beratungen zum EVÜ ging man davon aus, dass rein vertragliche Unterhaltsansprüche, die nach der h. M. zum USTA nicht dem Unterhaltsabkommen unterliegen, unter das EVÜ fallen, da sie auf kein familiäres Verhältnis zurückzufuhren sind55. Zudem schließt das EVÜ Unterhaltsansprüche zwischen Familienangehörigen dann nicht von seinem Anwendungsbereich aus, wenn sie ohne eine bestehende Rechtspflicht schuldrechtlich vereinbart werden56. Es stellt sich nunmehr die Frage, ob die Anknüpfungsgegenstände der Artt. 45, 57 IPRG an dieser Abgrenzung etwas geändert haben. Einige Autoren entnehmen dem Art. 45 IPRG - wohl auf Grund der unterschiedlichen Formulierung von Art. 45 IPRG („Unterhaltsverpflichtungen in der Familie") und Art. 1 USTA („Unterhaltspflichten ... aus Beziehungen der Familie") - eine Erweiterung des USTA in Italien zugunsten von vertraglichen Unterhaltspflichten. Wenn man die Anknüpfungsgegenstände der Artt. 45, 57 IPRG nebeneinander stellt, könnte man durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass Art. 45 IPRG als lex specialis vorgeht57. Auch wenn die Auslegung der Anknüpfungsgegen53 MüKo (Siehr), Art. 18 Anh. I, Rn. 55, 56, 61; Staudinger (v. Bar / Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 119; Reithmann / Martiny (Martiny), Rn. 181; v. Bar, IPR II, Rn. 296; v. Hoffmann, IPR, § 8, Rn. 81; Henrich, IntFamR, S. 187 (Nr. 1 Ende) und Coester, in IPRax 1991, S. 132 (133). 54 Ausführlich zu Art. 57 IPRG siehe unter § 14. 55 Bericht von Giuliano / hagarde zum EVÜ, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 42 zu Art. 1 EVÜ; ebenso Reithmann / Martiny (Martiny), Rn. 7 und in der italienischen Literatur Ballarino, DIP 2, S. 495; ders., in Ballarino / Bonomi, Materie escluse, S. 110, bei Fn. 62; a. A. (d. h. Anwendung des USTA statt des EVÜ) Gaudemet-Tallon, in Rev. trim. dr. europ. 1981, S. 215 -285 (236). 56
57
S. 155.
Giuliano / Lagarde (vorige Fußnote).
I. d. S. Honorati , Com., RDIPP, S. 1129, in Fn. 5; ebenso Pocar, in IPRax 1997,
§13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht)
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stände grundsätzlich der italienischen lex fori unterliegt58, ist hier jedoch auf das Verhältnis der Konventionen auf internationaler Ebene Rücksicht zu nehmen. Es lag wohl nicht in der Absicht des Gesetzgebers, eine eigene (italienische) Abgrenzung zwischen dem USTA und dem EVÜ zu schaffen. Vielmehr sollten die Hinweisnormen des IPRG zwar grundsätzlich den Anwendungsbereich der Abkommen erweitern, aber nicht das Verhältnis der Verträge zueinander anders gestalten als i. R. d. direkten Anwendungsbereiches der Übereinkommen (Art. 2 I IPRG). Dadurch würde man die beabsichtigte Angleichung des italienischen IPR an internationales Recht gerade verhindern. Insofern bleibt die Abgrenzung auf internationaler Ebene zwischen dem USTA (vertragliche Unterhaltsverpflichtungen, sofern sie eine Konkretisierung, Aufhebung oder Änderung der gesetzlichen Pflicht darstellen) und dem EVÜ (Unterhaltsverpflichtungen, die gesetzliche Pflichten erweitern oder neue Verpflichtungen begründen) auch für die Artt. 45, 57 IPRG bestimmend. Gleiches gilt im deutschen IPR im Verhältnis zwischen Art. 18 und den Artt. 27 - 37 EGBGB, die ähnliche Anknüpfungsgegenstände aufweisen wie die Normen des italienischen IPRG59. Zur Begründung des „Gleichlaufs" lässt sich im italienischen Recht die Bestimmung des Art. 2 II IPRG (einheitliche Auslegung von internationalen Abkommen) zwar nicht direkt heranziehen, ihr liegt jedoch dasselbe Verständnis zugrunde60.
c) Unerlaubte Handlungen Auch i. R. d. Deliktsrechts kämen Unterhaltszahlungen als adäquate Form des Schadensersatzes dienen61. Da derartige Ansprüche - unabhängig von den beteiligten Personen - nie auf familienrechtlichen Verhältnissen beruhen, kommt das USTA für diese Ansprüche nicht zur Anwendung62. Infolge des vom USTA abweichenden Anknüpfungsgegenstandes des Art. 45 IPRG geht ein Teil der italienischen Literatur 63 auch hier von einer Erweiterung des kon58
Siehe dazu allgemein in § 11 II. 1. Art. 18 EGBGB spricht sogar nur von „Unterhaltsverpflichtungen". Dass es sich dabei allein um familienrechtliche Ansprüche handelt, ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang. Zur Parallelität des sachlichen Anwendungsbereiches von Art. 18 EGBGB und dem USTA siehe für alle MüKo (Siehr), Art. 18, Rn. 9. 60 Siehe dazu § 181.3. 61 Zum deutschen Sachrecht siehe §§ 843 - 845 BGB; siehe aber Fn. 66 zu § 844 II BGB. 62 Verwilghen (Fn. 2), Nr. 15; MüKo (Siehr), Art. 18 Anh. I, Rn. 62 und Staudinger 59
(v. Bar / Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 120; s. a. v. Bar, IPR II, Rn. 296. 63 Honorati, Com., RDIPP, S. 1129 (für Haushaltsmitglieder); ebenso Pocar, in IPRax 1997, S. 155.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
ventionalen Anwendungsbereiches zugunsten von deliktischen Unterhaltsansprüchen zwischen Familienmitgliedern aus. Aus denselben Gründen wie i. R. d. vertraglichen Unterhaltsansprüche64 ist eine solche Erweiterung jedoch abzulehnen. Was für schenkungs- und erbrechtliche Unterhaltsansprüche gilt 65 , bei denen der persönliche Bezug zum Begünstigten noch eine erhebliche Rolle spielt, muss für deliktische Ansprüche, die aus rein zufälligem Kontakt entstehen, erst recht gelten. Unterhaltszahlungen infolge deliktischen Handelns verstehen sich lediglich als eine besondere Form der Schadensersatzleistung; es handelt sich dabei nicht um Unterhaltsansprüche im eigentlichen Sinne. Wer die Anwendung des Art. 45 IPRG in diesem Fall bejaht, müsste diese hingegen ablehnen, sofern der Schadensersatz durch einmalige Zahlung geleistet wird. Von dieser Entscheidung, die in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich gesetzlich gestaltet ist und die im Einzelfall auch durch den Richter erfolgt, kann die Anwendung des Art. 45 IPRG nicht abhängen. Vielmehr ist auf die unerlaubte Handlung als Ursache für den delitktischen Schadensersatzanspruch abzustellen; zur Anwendung kommen daher die Artt. 62, 63 IPRG66.
IV. Die Vorfrage des familienrechtlichen Verhältnisses Da sich die in Art. 45 IPRG erwähnten Unterhaltsverpflichtungen aus familienrechtlichen Verhältnissen ergeben, hängt eine Entscheidung über das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung wesentlich von der Klärung dieser Beziehungen ab. Bei der Lösung dieser Vorfrage 67 bieten sich drei Grundlösungen 64
Siehe oben unter b). Siehe oben unter a). 66 Das Unterhaltsstatut kommt jedoch zur Anwendung, wenn i. R. e. deliktischen Schadensersatzanspruches zu klären ist, ob der Geschädigte einem Dritten zum Unterhalt verpflichtet war. Diese Vorfrage muss selbständig vom Unterhaltsstatut beantwortet werden; siehe dazu auch BGH, in NJW-RR 1987, S. 147 zu § 844 II BGB und österreichischer OGH vom 15. 4. 1993, in ZfRV 1993, S. 246, Nr. 75 zu § 1327 ABGB. 67 Ballarino, DIP 2, S. 496 verneint in diesem Zusammenhang terminologisch das Vorliegen einer Vorfrage i. e. S. (questione preliminare). Nach der von ihm vertretenen Differenzierung (§ 11 II. 2. f), Fn. 141) würde es sich hier um eine „Erstfrage" handeln (s. a bei Fn. 72). Die ohnehin sehr fragwürdige Unterscheidung zwischen Erst- und Vorfrage macht jedoch systematisch noch weniger Sinn bei Staatsverträgen, deren Kollisionsnormen als Sachnorm Verweisungen ausgestaltet sind (siehe dazu § 11 II. 2. e), Fn. 118). Bei Sachnormverweisungen kann es nämlich nicht zur Anwendung des IPR der Hauptfrage kommen, so dass Vorfragen i. e. S. nur im materiellen Recht (lex causae) auftreten können (.Kropholler, IPR, § 32 I. Ende spricht in diesem Fall von einer „materiellrechtlichen" Vorfrage). Die Literatur spricht insofern im vorliegenden Fall einheitlich von einer Vorfrage (s. a Kropholler, aaO., § 47 II. 4. b), der i. 0. zwischen Erstund Vorfrage differenziert [Fn. 141]). Sofern man i. E. doch zur Anwendung des IPR 65
§ 13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht)
205
an68. Die Frage könnte selbständig nach dem IPR der lex fori angeknüpft werden oder unselbständig nach dem IPR bzw. den materiellen Normen des Unterhaltsstatus. Im Falle der unselbständigen Anknüpfung an das Sachrecht des Unterhaltsstatuts wird zudem in Anlehnung an den Wortlaut des Art. 2 II USTA ζ. T. die Ansicht vertreten, dass das Ergebnis der Vorfrage über den Bereich des Unterhaltsrechts hinaus keine Wirkung entfaltet. Im Weiteren befürworten Stimmen in der Literatur eine alternative Anknüpfung an die möglichen Statute zugunsten des Unterhaltsberechtigten69. Diese im Rahmen des Haager Unterhaltsabkommens geführte Diskussion ist unmittelbar auf das Verhältnis des Art. 45 IPRG zu den statusrechtlichen Vorschriften des IPRG zu übertragen. Vorab gilt es festzuhalten, dass das USTA in seinen Artt. 2, 10 Nr. 1 ebenso wie das USTAK das auf Statusfragen anzuwendende Recht grundsätzlich offen lässt70. Aus dem Wortlaut des Art. 2 USTA kann sowohl auf eine selbständige als auch auf eine unselbständige Anknüpfung der Vorfrage geschlossen werden71. Art. 10 Nr. 1 USTA besagt, dass das Unterhaltsstatut auch den Unterhaltsverpflichteten festlegt; dadurch wird jedoch lediglich geklärt, aufgrund welches Statusses (Eltern, Kind, Verwandtschaft) eine Person zum Unterhalt verpflichtet ist. Die weiter gehende Frage, welcher Person im Einzelnen dieser Status zukommt, ist gemäß Art. 10 Nr. 1 USTA nicht zwingend vom Unterhaltsstatut zu bestimmen. Nachdem der Vertragstext keine Anwort auf die Frage liefert, ist aus systematischer Sicht festzustellen, dass es sich bei den Statusverhältnissen nicht um eine Teilfrage handelt72, so dass eine unselbständige Anknüpfung lediglich aus teleologischen Gründen in Betracht gezogen werden kann. Im Gegensatz dazu hat sich die h. M. 73 im Rahmen des USTAK im Anschluss an dessen Art. 1 I - dessen Formulierung der Art. 10 Nr. 1 USTA
des Unterhaltsstatutes gelangt, ist dies allein auf teleologische Erwägungen zurückzuführen (siehe ζ. B. Henrich, IntFamR, S. 182). 68 Auf diese Möglichkeiten verweist auch Verwilghen (Fn. 2), S. 57, Nr. 125 Ende. 69 Eine Obersicht zu den vertretenen Ansichten findet sich bei Staudinger (v. Bar / Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 18 m.w.N. 70 Verwilghen (Fn. 2), S. 57 f., Nr. 126; MüKo (Siehr), Art. 18 Anh. I, Rn. 72, 241; ders., in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 83, Rn. 8 und Staudinger (v. Bar / Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 23. 71 Siehe Staudinger (v. Bar /Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 23 - 25. 72 Zur Differenzierung siehe in Fn. 67 und allgemein § 11 II. 2. f), in Fn. 141. 73 BGHZ 60, S. 247 (251 f.); BGHZ 63, S. 219 (226 f.) und BGHZ 90, S. 129 (142); ebenso in Österreich OGH 6. 10. 1965, in ZfRV 1969, S. 299; in der Schweiz BGE 102, II, S. 128 (129) und in Italien Cass. 31. 5. 1969, n. 1950, in RDIPP 1970, S. 108 (110); zu weiteren Nachweisen siehe Staudinger (v. Bar / Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 26, 27; ebenso v. Hoffmann, IPR, § 8, Rn. 83, 84. In diesem Sinne auch heute noch
206
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 , 45, 57, 591 IPRG
übernommen hat - für eine unselbständige Anknüpfung der Statusfrage entschieden. Auch die Delegierten der Haager Konferenz zum USTA gingen offensichtlich davon aus, dass das Sachrecht des Unterhaltsstatuts zusätzlich über das familienrechtliche Verhältnis der Beteiligen entscheidet74. Im USTA lässt sich eine ausdrückliche Regelung der Statusfrage lediglich dem Art. 8 USTA für den Unterhalt bei der Trennung von Ehegatten oder der Auflösung einer Ehe (Scheidung, Nichtigkeits- oder Ungültigkeitserklärung) entnehmen. In diesen Fällen kommt es innerhalb der Mitgliedsstaaten des Abkommens zu einer akzessorischen Anknüpfung, die jedoch in umgekehrter Richtung verläuft. Unterhaltsrechtliche Fragen sind demzufolge nach dem Statut der Trennung bzw. der Eheauflösung zu lösen. Abgesehen von den Fällen des Art. 8 USTA ist die Frage des anzuwendenden Rechts bei der Bestimmung der familienrechtlichen Verhältnisse nach wie vor umstritten. In der Literatur zeigt sich eine Tendenz, im Anschluss an allgemeine Grundsätze der Vorfragenproblematik eine selbständige Anknüpfung der Frage vorzunehmen75. Vermehrt wird jedoch auch nach der Art des Statusverhältnisses differenziert 76. Die insoweit geführte langjährige Diskussion über die Anknüpfung der Vorfragen hat nunmehr über Art. 45 IPRG auch in das italienische IPRG Eingang gefunden.
V. Zusammenfassung Bei der Anwendung des Art. 45 IPRG darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das USTAK in Italien weiterhin Anwendung findet, auch wenn dessen Anwendungsbereich sdir beschränkt ist77.
Soergel (Kegel), Art. 18, Rn. 88 f. bzw. 167 zur Frage der nichtehelichen Abstammung (i. ü. siehe Fn. 75) und Honorati, Com., RDIPP, S. 1128 uneingeschränkt bei der Anwendung des USTA i. R. d. italienischen IPRG. 74
75
Verwilghen (Fn. 2), S. 58, Nr. 127.
Staudinger (v. Bar /Mankowski), Anh. I zu Art. 18, Rn. 18 - 38 (m.w.N. in Rn. 18 am Ende und Zusammenfassung in Rn. 37 f.); ders., in v. Bar, IPR II, Rn. 302 f; Kropholler, IPR, § 47 II. 4. b) und Soergel (Kegel), Art. 18, Rn. 86, 167 mit Ausnahme der nichtehelichen Abstammung (Fn. 73). Ebenso für eine selbständige Anknüpfung in der italienischen Literatur zum IPRG Ballarino, DIP 2, S. 496 und anknüpfend an diesen CT (Barel), Art. 45, II. 4.; s. a. unter I., Fn. 6, 7 zur Anknüpfung im bisherigen Recht an das zugrunde liegende Rechtsverhältnis. 76 Siehe z. B. MüKo (Siehr), Art. 18 Anh. I, Rn. 250 - 278 und Henrich, IntFamR, S. 181-185. 77 Siehe in II. 1.
§13 Art. 45 IPRG (Unterhaltsrecht)
207
Nachdem dem USTA bereits per se erga-omnes-Charakter zukommt (Art. 3 USTA), ist die Hinweisnorm des Art. 45 IPRG - was die allseitige Wirkung des Abkommens anbelangt - rein deklaratorisch. Auch der sachliche Anwendungsbereich des Abkommens wird durch den vom italienischen Gesetzgeber gewählten Anknüpfungsgegenstand nicht erweitert. Letzteres ist in da Literatur jedoch umstritten. Im Rahmen des Art. 45 IPRG scheint daher lediglich eine Erweiterung des zeitlichen Anwendungsbereiches des USTA (Art. 12 USTA) über Art. 72 I IPRG möglich zu sein78; aufgrund des frühen Inkrafttretens des Abkommens in Italien (1.1. 198279), ist dies jedoch höchst unwahrscheinlich. Der von Italien erklärte Vorbehalt gemäß Art. 15 USTA bleibt durch Art. 45 IPRG unberührt 80.
78
I. d. S. Honorati, Com., RDIPP, S. 1128; Baruffi, Com., NLCC, S. 1274 f. und Davi , in Studi Vitta, S. 72, in Fn. 44. Siehe dazu i. E. unter § 11 II. 2. b). 79 Siehe I., Fn. 3. 80 Siehe dazu i. E. unter § 11 II. 2. c) bei Fn. 80.
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse) I. Die Neuregelung des A r t 57 IPRG Die bisherige Vorschrift des Art. 25 I disp. prel. 1 über die vertraglichen Schuldverhältnisse wird im neuen italienischen IPR-Gesetz durch Art. 57 IPRG ersetzt. Nachdem die Entwürfe der Expertenkommission und des Justizministeriums noch autonome nationale IPR-Vorschriften zum Vertragsrecht enthielten 2 , regelt das Gesetz diese Materie nunmehr durch einen Hinweis 3 auf das „Römische EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht" vom 19. 6. 1980 (EVÜ) 4 . Diese Änderung des IPRG-
1 Art. 25 I disp. prel. hat als einzige Vorschrift des bisherigen Rechts eine Rechtswahl zugelassen (Art. 25 I 2 disp. prel.); allgemein zur Rechtswahl im alten und neuen Recht siehe § 3 I bzw. § 3 II. 4. a). Mangels Rechtswahl hat Art. 25 I 1 disp. prel. das gemeinsame Heimatrecht der Vertragsparteien und hilfsweise das Ortsrecht des Vertragsschlusses zur Anwendung berufen. 2 Zum Kommissionsentwurf siehe dessen Artt. 55 - 59 (RDIPP 1989, S. 942 f.); zu den Artt. 53 - 57 des Regierungsentwurfes siehe Studi Vitta, S. 460 f. Für Literaturnachweise zu den Vorschriften der Entwürfe siehe Gebauer, in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 64, Fn. 10; s. a. De Donatis, L'autonomia delle parti e la scelta della legge applicabile al contratto internazionale, Cedam, Padua 1991. Die Regelungen haben sich zwar weitestgehend an dem EVÜ orientiert (siehe dazu den Kommissionsbericht in RDIPP 1989, S. 975 zu Art. 55 des Kommissionsentwurfes: „ ..., ispirate , ... della Convenzione"), fielen jedoch knapper aus und enthielten einige Abweichungen von den Bestimmungen des Römischen Abkommens (siehe Gebauer, in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 64 f.). Die Entscheidung für eine eigenständige nationale Regelung stieß in der Literatur jedoch auf Kritik (siehe Picchio Forlati, in RDI 1992, S. 269 f. und Baratta, in RDI 1993, S. 118 (130)). Giardina, in Convegno di Crotone, S. 6 oben vermutet, dass die heftige Kritik an der im deutschen EGBGB praktizierten Kopiermethode (siehe § 10 I. 4., bei Fn. 49 sowie § 19 III. 1.) den Gesetzgeber zur Hinweisnorm des Art. 57 IPRG bewogen hat. 3 Zur Neuregelung des internationalen Vertragsrechts im österreichischen IPRG siehe § 101. 5. 4 BGBl. 1986 II, S. 810 (Originalfassung) und BGBl. 1995 II, S. 307 (s. a Jayme / Hausmann, Nr. 70) zur Fassung nach dem zweiten Beitrittsübereinkommens vom 18. 5. 1992. Zum EVÜ siehe den Bericht von Giuliano / hagarde, in BT 10 / 503, S. 33 - 79 (zu weiteren Fundstellen des Berichtes siehe im Literaturverzeichnis). Durch das dritte Beitrittsübereinkommen vom 29. 11. 1996 (ABl. EG 1997, C 15, S. 10 f.; s. a Jayme / Hausmann, Nr. 75) hat das Abkommen keine inhaltlichen Änderungen erfahren. Der Staatsvertrag ist für die neuen Mitgliedsstaaten der EG bereits in Kraft getreten (Schweden: 1. 10. 1998, Österreich: 1. 12. 1998, Finnland: 1. 4. 1999-siehe Jayme / Kohler, in
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
209
Entwurfes in einer späten Phase des Gesetzgebungsverfahrens 5 steht im Zusammenhang6 mit dem Inkrafttreten des EVÜ am 1.4. 19917. Das Abkommen soll gemäß Art. 57 IPRG für vertragliche Verpflichtungen (obbligazioni contrattuali) „auf jeden Fall" Anwendung finden. Das EVÜ soll zukünftig - wie das EuGVÜ - in ein Gemeinschaftsinstrument umgewandelt werden 8. Dies wird eine redaktionelle Anpassung des Art. 57 IPRG erforderlich machen, außer der gemeinschaftliche Rechtsakt enthält eine dem Art. 68 II EuGVO entsprechende Regelung9.
II. Spezielle Regelungen 1. Staatsverträge Bereits der 2. Halbsatz des Art. 57 IPRG stellt klar 10 , dass der Hinweis auf das EVÜ andere Staatsverträge unberührt lässt. Das Gesetz übernimmt damit IPRax 1999, S. 402); zu einer „Panne" bei der Umsetzung in Österreich in Verbindung mit der Novelle des nationalen IPRG siehe Jayme / Kohler, a.a.O., S. 411 und Rudisch (§ 10 I. 5., Fn .84), S. 105 f. Zu den Auslegungsprotokollen zum EVÜ siehe § 19 I., Fn. 1. 5
Siehe § 1, Fn 22. Die anfängliche Entscheidung für eigene nationale Nonnen ist darauf zurückzuführen, dass man sich unsicher war, ob und wann das EVÜ in Kraft treten werde (iGebauer, in JbltR. Bd. 9 (1996), S. 68 mit Nachweisen in Fn. 36). Die vom italienischen Gesetzgeber angewandte Hinweismethode macht nämlich nur Sinn, wenn sich der Staatsvertrag, auf den verwiesen wird, innerstaatlich in Kraft befindet (siehe § 10 I. 3. b), bei Fn. 36). Bei einer vollständigen Übernahme des EVÜ in das IPRG vor Inkrafttreten des Abkommens, hätte sich der italienische Gesetzgeber in Abkehr von der Grundsystematik des IPRG ftir die Kopiermethode entscheiden müssen. Zu den Beispielen eines vorzeitigen Inkraftsetzen des EVÜ in nationales Recht mit Hilfe der Kopiermethode siehe § 10 I. 4., in Fn. 58; allgemein dazu siehe Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 21 (1986), S. 87 - 89. 7 Das Abkommen ist am 1. 4. 1991 allgemein (Art. 29 I EVÜ: Drei Monate nach Hinterlegung der siebten Ratifikationsurkunde) und für Italien (zur Ratifikation und Umsetzung siehe legge 18. 10. 1984, n. 975, in Gazz. Uff. 30. 1. 1985, n. 25) in Kraft getreten (s. a Bek. vom 12. 7. 1991, BGBl. 1991 II, S. 871). 8 Siehe dazu das von der Kommission vorgelegte Grünbuch vom 14. 1. 2003 über die Umwandlung des EVÜ in ein Gemeinschaftsinstrument sowie dessen Aktualisierung (abrufbar unter „httpy/europaeu.int/eurlex/de/com/gpr/2002/com2002_0654de01 .pdf 4); zur Stellungnahme des Max Planck Institutes für ausländisches und internationales Privatrecht zu diesem Grünbuch siehe „http://www.mpipriv-hh.rnpg.de/deutsch/ Forschung/LaufendeProjekte/CommentsGreenPaper.pdf. 9 Siehe § 11 II. 2. d), Fn. 110 und Fn. 113 m den Hinweisnormen des IPRG bei einer Änderung der Staatsverträge. 10 Zum Vorrang von Staatsverträgen siehe § 9. 6
210
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
die Bestimmung des Art. 21 E V Ü und verweist auf speziellere konventionsrechtliche Regelungen.
a) Kaufrecht Zu beachten ist das Wiener Kaufrechtsabkommen vom 11.4. 1980 (CISG) 1 1 , das einheitliches Recht für den Abschluss von internationalen Kaufverträgen sowie die aus diesen entstehenden Rechte und Pflichten schafft (Art. 4 CISG). Der Anwendungsbereich des Abkommens wird durch Art. 1 I CISG festgelegt. Es enthält jedoch materielles Einheitsrecht und kollidiert deshalb nicht mit dem kollisionsrechtlichen EVÜ. Im Gegensatz zu Deutschland findet in Italien das kollisionsrechtliche Haager Kaufrechtsabkommen vom 15. 6. 1955 Anwendung 12 . Als lex specialis für den Bereich des Kaufrechts geht es dem E V Ü vor. Die Novelle des Übereinkommens vom 22. 12. 1986 13 ist bis heute nicht in Kraft getreten 14 . 11
„Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf 4 vom 11. 4. 1980 (BGBl. 1989 II, S. 588; berichtigt in BGBl. 1990 II, S. 1699; zum Text s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 77); die Abkürzung „CISG" beruht auf dem englischen Titel des Abkommens (UN-Convention on Contracts for the International Sale of Goods). Das Übereinkommen ist am 1. 1. 1988 in Kraft getreten. Während Italien zu den ersten Staaten gehörte, die den Vertrag umgesetzt haben (Ratifikation und Umsetzung durch legge 11. 12. 1985, n. 765, in Gazz. Uff. 27. 12. 1985, n. 303), ist das Abkommen in Deutschland erst am 1. 1. 1991 in Kraft getreten (allgemein zum Inkrafttreten des Abkommens siehe BGBl. 1990 II, S. 1477 - 1481). 12 „Haager Übereinkommen betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegljche Sachen anzuwendende Recht" vom 15. 6. 1955 (zur amtlichen schweizerischen Übersetzung siehe AS 1972, S. 1882 sowie in Auszügen Jayme / Hausmann, Nr. 76 und Reithmann / Martiny (Martiny), Rn. 672). Authentisch ist allein die französische Fassung des Vertrages (siehe Rev. crit. 1964, S. 786); zum französischen und deutschen Text s. a. Staudinger (Firsching), 12. Auflage, Vorbem. zu Art. 27 - 37, Rn. 42 b). Das Abkommen ist allgemein und für Italien am 1. 9. 1964 in Kraft getreten (italienische Ratifikation und Umsetzung durch legge 4. 2. 1958, n. 50, in Gazz. Uff. 25. 2. 1958, n. 48); zu dem Abkommen siehe Ballarino, DIP 2, S. 635 - 640. Im Kommissionsbericht zum IPRG ist von einer Kündigung des Abkommens durch Italien die Rede (RDIPP 1989, S. 974 zu Art. 55: „denunciata"); der Vertrag befindet sich jedoch nach wie vor in Italien in Kraft (der spätere Bericht zum Regierungsentwurf enthält keinen Hinweis mehr auf eine evtl. Kündigung [siehe in Studi Vitta, S. 433]). 13 Der Kommissionbericht zum IPRG (RDIPP 1989, S. 974 zu Art. 55) und die italienische Literatur (für alle Benedetelli, Com., NLCC, S. 1388 in Fn. 134) sprechen vom 30. 10. 1985 als Datum des Vertrages. Dies ist der Tag der Beschlussfassung des Abkommens (siehe Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Auflage, 1995, S. 181). 14 Text in RabelsZ 1987, S. 196 (franz. / engl.) und Rev. crit. 1985, S. 773 (franz.). Zum neuen Haager Kaufrechtsabkommen aus italienischer Sicht siehe Boscherio, La nuova convenzione dell'Aja sulla legge applicabile alla vendita internazionale, in RDIPP 1996, S. 507-540.
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
211
Sowohl das CISG als auch das Haager Kaufrechtsabkommen sind als loi uniforme 15 ausgestaltet16.
b) Factoring und Finanzierungsleasing
Ebenso wie das CISG schaffen auch die seit dem 1. 5. 1995 in Italien in Kraft befindlichen UNIDROIT-Übereinkommen von Ottawa über das internationale Factoring und Finanzierungsleasing vom 28. 5. 1988 17 internationales Einheitsrecht für Italien. Der Anwendungsbereich der Verträge wird - ähnlich dem Art. 1 I CISG - in den Art. 2 I (Factoring) bzw. Art. 3 I (Leasing) festgelegt.
15
Zu dem Begriff siehe Exkurs in § 10 I. 3. a). Zum Wiener UN-Kaufrecht siehe Art. 1 III CISG. Das Haager Kaufrechtsabkommen schweigt zwar zu dieser Frage, nachdem das Übereinkommen jedoch keine Beschränkung der allseitigen Wirkung enthält, ist es als loi uniforme anzuwenden (s. a. Exkurs unter § 11 II. 2. a), bei Fn. 33; ebenso im Ergebnis Staudinger (Magnus), Art. 28, Rn. 171). 17 Zum Text des „UNIDROIT-Übereinkommen von Ottawa über das internationale Factoring" vom 28. 5. 1988 siehe RabelsZ 1989, S. 729 (englisch); Jayme / Hausmann, Nr. 78 (deutsch) und RDIPP 1995, S. 550 - 556 (französisch). Ausführlich zu dem Abkommen und seinem Anwendungsbereich siehe Häusler, Das UNIDROIT-Übereinkommen über internationales Factoring (Ottawa 1988) unter besonderer Berücksichtigung seines Anwendungsbereiches, FaM. 1998; Basedow, Internationales Factoring zwischen Kollisionsrecht und Unidroit-Konvention, in ZEuP 1997, S. 615 - 642 (628 f.); Ferrari, Der internationale Anwendungsbereich des Ottawa-Übereinkommens von 1988 über Internationales Factoring, in RIW 1996, S. 181 - 188 und Zaccaria, Internationales Factoring nach Inkrafttreten der Konvention von Ottawa, in IPRax 1995, S. 279 16
-286.
Zum deutschen Text des „UNIDROIT-Übereinkommen von Ottawa über das internationale Finanzierungsleasing" vom 28. 5. 1988 siehe Reithmann / Martiny (Dageförde), Rn. 990 mit Kommentierung bei Rn. 970 - 989; zumfranzösischen Text siehe RDIPP 1995, S. 543-550. Bei den Abkommen sind lediglich die englischen und französischen Texte verbindlich. Beide Abkommen befinden sich seit dem 1. 5. 1995 (Gazz. Uff. 28. 2. 1995, n. 49 und zum Factoringabkommen BGBl. 1998 II, S. 2375) allgemein und für Italien in Kraft (Ratifikation und Umsetzung durch legge 14. 7. 1993, n. 260 (Factoring) bzw. n. 259 (Leasing) in Gazz. Uff. 31.7. 1993, n. 178; auf beide Gesetze weist auch Kindler, Italienische Gesetzgebung zum Handels- und Wirtschaftsrecht in den Jahren 1990 - 1993, in RIW 1994, S. 692 [693, bei Fn. 8, 10] hin). Das Factoringabkommen ist nunmehr auch von Deutschland ratifiziert worden (BGBl. 1998 II, S. 172) und am 1. 12. 1998 in Kraft getreten (BGBl. 1998 II, S. 2375).
212
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG 2. EG-Recht
Auch gemeinschaftsrechtliche Kollisionsnormen, die besondere Bereiche des Vertragsrechts betreffen, gehen dem EVÜ (Art. 20 EVÜ) und damit auch dem Art. 57 IPRG vor.
a) Klauselrichtlinie Die EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen 18 wurde von Italien in den Art. 1469bis — 1469sexties c. c. umgesetzt19. Die Richtlinie enthält in ihrem Art. 6 II eine kollisionsrechtliche Regelung, die sich im codice civile in Art. 1469quinqies V c. c. wiederfindet 20 . Als spezieller Regelung des AGB-Rechts ist dem Art. 1469quinqies V c. c. gegenüber der allgemeinen Bestimmung des Art. 5 EVÜ über Verbraucherverträge Vorrang einzuräumen 21. Die Vorschrift legt jedoch nur einseitig die Anwendung italieni-
18
Richtlinie 93 / 13 / EWG vom 5. 4. 1993, in ABl. EG 1993, L 95, S. 29; zur kollisionsrechtlichen Vorschrift des Art. 6 II der Richtlinie s. a Jayme /Hausmann, Nr. 80. 19 Kapitel XIV b i s des zweiten Titels des vierten Buches des codice civile. Zur Umsetzung siehe Michlitz / Brunetta D'Usseaux, Die Umsetzung der Richtlinie 93/13 in das italienische Recht, in ZEuP 1998, S. 104 - 117 und vergleichend zum deutschen Recht Clan, Auslegung und Transparenzgebot in der Regelung der AGB und der Verbraucherverträge nach italienischem und deutschem Recht, in ZEuP, S. 586 - 592. 20 Die Formulierung des Anknüpfungspunktes in Art. I469 q u , n q i e s V c. c. ist dabei etwas ungenau ausgefallen („un collegamento più stretto" - „engere Verbindung mit Mitgliedsstaat"). Sofern man dem Wortlaut der Vorschrift folgend von einer vergleichenden Abwägung ausgeht, würde man den Sinn der Klauselrichtlinie verkehren. Gemäß der Richtlinie soll innerstaatliches AGB-Recht bei einem engen innerstaatlichen Bezug zur Anwendung kommen; im Ergebnis muss Art. I469 q u , n q i e s V c. c. insofern in diesem Sinne ausgelegt werden (ebenso Saggio , in SIDI, S. 221 f. und Jayme / Geckler, in IPRax 1996, S. 371, in Fn. 14). Dies würde auch der deutschen Umsetzung durch die Neufassung des Art. 12 AGBG entsprechen (Gesetz vom 19. 7. 1996 , in BGBl. 1996 I, S.1013); die Regelung ist nunmehr in Art. 29a EGBGB enthalten. 21 Treves , Com., RDIPP, S. 1186, Fn. 14. Allerdings ist der sachliche Anwendungsbereich des Art. 5 EVÜ auf Verträge über die Lieferung beweglicher Sachen und die Erbringung von Dienstleistungen beschränkt, während die Vorschrift des codice civile für jede Art von Verträgen gilt. Im deutschen Recht soll der neue Art. 29a EGBGB (siehe vorige Fußnote) nachrangig zu Art. 29 EGBGB (= Art. 5 EVÜ) geprüft werden (Pal. (Heldrich\ Art. 29, Rn. 1). Erstere Vorschrift enthält neben Art. 6 II der Klauselrichtlinie auch die kollisionsrechtlichen Regelungen der Timesharing-Richtlinie (RL 94 / 47 / EG, in ABl. EG Nr. L 280, S. 83), der Fernabsatz-Richtlinie (RL 97 / 7 / EG, in ABl. EG Nr. L 144, S. 19) und der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (RL 99 / 44 / EG, in ABl. EG Nr. L 171, S. 12).
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
213
sehen AGB-Rechts fest; im Übrigen - d. h. für den Konsumentenschutz im Ausland - gilt weiterhin Art. 5 EVÜ 22 .
b) Versicherungsverträge Versicherungsverträge fallen bereits gemäß Art. 1 III EVÜ 23 nicht in den Anwendungsbereich des EVÜ, sofern sie Risiken abdecken, die innerhalb der EG bzw. des EWR belegen sind, und es sich nicht um Rückversicherungsverträge handelt (Art. 1 IV EVÜ). Die Regelung dieser Verträge haben die EGMitgliedsstaaten gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien überlassen, die von Italien durch Gesetzesdekrete umgesetzt wurden24. An diesem Vorrang des Gemeinschaftsrechts ändert auch die „in ogni caso"-Formel des Art. 57 IPRG nichts. Der sachliche Anwendungsbereich des Abkommens wird durch sie nicht auf Versicherungsverträge im Allgemeinen erweitert 25.
3. Nationales Recht
Im Bereich des Schiedsvertragsrecht ist neben Art. 57 IPRG der Art. 834 c. p. c. für internationale Schiedsverfahren (Art. 832 c. p. c.) zu beachten26. Die Vorschrift bestimmt das im schiedsgerichtlichen Verfahren anzuwendende
22 Siehe auch zum Verhältnis des Art. 5 EVÜ (= Art. 29 EGBGB) zu Art. 12 AGBG (nunmehr Art. 29a EGBGB) MüKo (Spellenberg), Art. 31, Rn. 24 f. 23 Siehe auch Art. 37 Nr. 4 EGBGB. 24 Richtlinie 92/49 / EWG vom 18. 6. 1992, in ABl. EG 1992, L 228, S. 1 (umgesetzt durch d. lgs. Art. 122, n. 175 vom 17. 3. 1995) und Richtlinie 92 / 96 / EWG vom 10. 11. 1992, in ABl. EG 1992, L 360, S. 1 (umgesetzt durch d. lgs. Art. 108, n. 174 vom 17. 3. 1995). Beide Umsetzungsdekrete finden sich in Gazz. Uff. 18. 5. 1995, n. 56 suppl. ord. zu n. 114; siehe dazu Frigessi di Rattalma, in RDIPP 1996, 19 - 42 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 278, in Fn. 305. Zur deutschen Umsetzung der Richtlinien siehe die Artt. 7 - 1 5 EG W G . 25 Ebenso Treves , Com., RDIPP, S. 1186 und Damascelli, in RDI 1997, S. 92 f. 26 Benedetti , Com., NLCC, S. 1361. Zur Aussonderung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit aus dem Anwendungsbereich des IPRG siehe § 5 III. 1.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 ,45,57,591 IPRG
Recht27. Die vorab zu klärende Frage der Wirksamkeit von Schiedsstandsvereinbarungen richtet sich hingegen in erster Linie nach Art. 57 IPRG28.
III. Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 57 IPRG („vertragliche Verpflichtungen") Da das EVÜ bereits als loi uniforme ausgestaltet ist (Art. 2 EVÜ) 29 , stellt sich neben der Erweiterung des zeitlichen Anwendungsbereiches (Art. 17 EVÜ) durch Art. 72 IPRG30 in erster Linie die Frage, ob der Kreis der „vertraglichen Verpflichtungen" i. S. d. Art. 57 IPRG weiter zu ziehen ist als der sachliche Anwendungsbereich des Abkommens. Das EVÜ findet grundsätzlich für alle schuldvertraglichen Verpflichtungen mit Auslandsbezug31 Anwendung, sofern es seine Anwendbarkeit nicht selbst ausdrücklich ausschließt (Art. 1 II, III EVÜ) 32 . Welche Verpflichtungen als „vertraglich" einzustufen sind, muss im Rahmen des Römischen Abkommens durch einheitliche Auslegung bestimmt werden (Art. 18 EVÜ) 33 . In Art. 57 IPRG ist der Begriff der „obbligazioni contrattuali" hingegen nach der italienischen lex fori auszulegen; im Ergebnis dürften sich dadurch jedoch kaum 27
Gemäß Art. 834 c. p. c. legen die Parteien eines Schiedsverfahrens fest, nach welchem Recht im konkreten Verfahren zu urteilen ist oder ob die Entscheidung nach Billigkeit zu erfolgen hat. Mangels einer solchen Bestimmung ist die Rechtsordnung zugrunde zu legen, zu der der Sachverhalt den engsten Bezug hat. Die Vorschrift entspricht weitestgehend dem Art. VII des Genfer Europäischen Ubereinkommens über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. 4. 1961 (BGBl. 1964 II, S. 426; s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 243), das sich in Italien seit dem 1.11. 1970 in Kraft befindet (Bek. vom 21. 4. 1971, in BGBl. 1971 II, 230). Bei Widersprüchen ist dem Genfer Abkommen jedoch Vorrang einzuräumen (Art. 832 II c. p. c.); zum Anwendungsbereich des Abkommens siehe dessen Art. I Abs. I. 28 Siehe dazu unter III. 2. d). 29 Art. 2 EVÜ stellt für das Abkommen deklaratorisch die unbegrenzte „Anwendbarkeit hinsichtlich der Staaten" klar; zu dem Begriff siehe Exkurs unter § 11 II. 2. a). Im Übrigen fordert das EVÜ lediglich eine „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten" (Art. 1 I EVÜ - siehe übernächste Fußnote zum Erfordernis eines internationalen Sachverhaltes), unabhängig davon, ob es sich dabei um Vertragsstaaten handelt. 30 Siehe § 11 II. 2. b) zum Verhältnis von Art. 72 IPRG zu Art. 17 EVÜ. 31 Zum Auslandsbezug im Vertragsrecht durch Wahl eines fremden Rechts siehe §411. 32 I. d. S. Gaudemet- Talion, in Rev. trim. dr. europ. 1981, S. 241; MüKo (Martiny), vor Art. 27, Rn. 13 und ders., in Reithmann / Martiny, Rn. 6. 33 Der Bericht von Giuliano / hagarde, in BT-Drucks. 10·/ 503, S. 42, Nr. 2 weist auf die Unterschiede in den einzelnen Vertragsstaaten hin. Allgemein zur autonomen Auslegung von Staatsverträgen und zur Rechtsprechung des EuGH siehe § 18 1. 1. und speziell zu Art. 18 EVÜ (= Art. 36 EGBGB) unter § 19 III. 3. c).
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
215
Abweichungen zum Römischen Abkommen ergeben34. Im Folgenden soll jedoch untersucht werden, ob und inwieweit der Anwendungsbereich des EVÜ durch Art. 57 IPRG auf einen der Ausschlusstatbestände des Art. 1 II, III EVÜ ausgedehnt wird.
7. Art. IUI EVÜ Wie bereits erwähnt35 unterliegen die durch Art. 1 III EVÜ von dem Übereinkommen ausgeklammerten Versicherungsverträge nicht dem Art. 57 IPRG. Die umgesetzten europarechtlichen Richtlinien enthalten dafür spezielle Bestimmungen.
2. Art 1 II EVÜ
Die italienische Literatur geht bei Art. 57 IPRG überwiegend davon aus, dass die Vorschrift den sachlichen Anwendungsbereich des Römischen Übereinkommens über Art. 1 II EVÜ hinaus erweitert 36. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass das IPRG für das internationale Vertragsrecht nur die Regelungen des Römischen Abkommens anbietet. Ob und inwieweit die Materien des Art. 1 II EVÜ in den Anwendungsbereich des Art. 57 IPRG fallen, muss für jeden Ausschlusstatbestand des Abkommens einzeln beurteilt werden. Zu beachten ist dabei vor allem, dass die 34
Allgemein zur Auslegung der Anknüpfiingsgegenstände in den Hinweisnormen des IPRG siehe § 11 II. 1. Zur lex-fori-Auslegung bei Art. 57 IPRG siehe Ballarino, DIP 2, S. 593 unten, der daraufhinweist, dass Art. 57 IPRG das EVÜ in Italien auch für Rechtsgeschäfte zur Anwendung bringt, die nach italienischem Recht als vertraglich charakterisiert werden, während dies in anderen Vertragsstaaten des Abkommes nicht der Fall ist. Der Einwand von Damascelli, in RDI 1997, S. 97, dass der Begriff des „Vertrages" im EVÜ und im italienischen Recht gleich definiert wird, trifft zwar im Kern zu, übersieht jedoch Abweichungen zwischen den Vertragsstaaten in Randgebieten (siehe z. B. § 15 II. zu Wertpapieren nach italienischem Recht). 35 Siehe II. 2. b). 36 Ballarino, DIP 2, S. 592 - 595; Treves , Com., RDIPP, S. 1177 - 1180; Mosconi , DIPP I, S. 19; Giardina, in Convegno di Crotone, S. 11 f.; Forlati Picchio , in Convegno di Crotone, S. 123 und ausführlich Benedetelli , Com., NLCC, S. 1375 - 1379. Ablehnend jedoch der umfassende Aufsatz von Damascelli, in RDI 1997, S. 80 - 92. Für die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches des EVÜ spricht auch der Kommissionsbericht zu den autonomen Regelungen der Artt. 55 - 59 des Entwurfes (Fn. 2). Der Bericht stellt klar, dass die Artt. 55 - 59 sich zwar am EVÜ orientieren, jedoch unabhängig vom den sachlichen Grenzen des Abkommens zur Anwendung kommen (RDIPP 1989, S. 975 erster Absatz).
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
in Art. 1 II EVÜ aufgeführten Tatbestände ζ. T. durch internationale Verträge (Art. 1 II g) EVÜ) bzw. in erheblichem Maße durch andere Normen des IPRG geregelt werden. Letzteres hängt damit zusammen, dass die erwähnten Materien gar nicht dem Vertragsrecht zugeordnet werden können (Art. 1 II a), e), f), h) EVÜ) oder das IPRG Bestimmungen des Vertragsrecht enthält, die dem Art. 57 IPRG als Spezialregelungen vorgehen (Art. 1 II b), c) EVÜ).
a) Art. 1 II a) EVÜ (Personenstand sowie Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit) Die in Art. 1 II a) EVÜ vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommenen Fragen des Personenstandes sowie der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit unterliegen nach italienischem wie nach deutschem IPR nicht dem Vertragsstatut. Fragen des Personenstandes37 stehen per se in keinem Zusammenhang zum Vertragsrecht. Zur Rechts- und Handlungsfähigkeit enthält lediglich Art. 11 EVÜ eine Detailregelung38, die jedoch die Selbständigkeit der Teilfrage unterstreicht39. Zu bestimmen ist die Rechts- und Handlungsfähigkeit natürlicher Personen40 nach Artt. 20, S. 1, 23 I 1 IPRG, sofern nicht fur bestimmte Rechtsverhältnisse besondere Vorschriften gelten (Artt. 20, S. 2, 23 I 2 IPRG). Die Regelung des Art. 11 EVÜ, die beim Ausschlusstatbestand des Art. 1 II a) EVÜ vorbehalten bleibt, findet sich im IPRG in der allgemeinen Norm des Art. 23 II IPRG wieder 41. Die Bestimmung enthält eine mit dem Art. 11 EVÜ
37 Der Begriff der Personenstandsfragen ist in Art. 1 II a) EVÜ ebenso zu verstehen wie in Art. 1 II Nr. 1 EuGVÜ (Bericht von Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 43 zweiter Absatz). Zum EuGVÜ siehe den Bericht von Jenard, in BT VI / 1973, S. 59 und ausführlich zu Personenstandsfragen den Bericht von Schlosser, in ABl. EG 1979, C 59, S. 89 (Nr. 51). Art. 1 II Nr. 1 EuGVÜ ist unverändert in die EuGVO übernommen worden (zur EuGVO siehe § 16 I. 1.). Zu allgemeinen Personenstandsfragen im IPRG über das Familienrecht hinaus siehe die Artt. 21, 22, 24 IPRG. 38 Zu einer abschließenden staatsvertraglichen Regelung zur Bestimmung der Geschäftsfähigkeit siehe unter § 12 III. 1. zu Art. 12 MSA. 39 Siehe zum deutschen IPR Art. 7 EGBGB; zum Begriff der Teilfrage siehe § 11 IL 2. f), Fn. 141. Im Gegensatz dazu unterliegt die Geschäftsfähigkeit im common law dem Vertragsstatut (siehe MüKo (Martiny), Art. 37, Rn. 8, Fn. 13 und ders., in Reithmann / Martiny), Rn. 180, in Fn. 536; s. a. Staudinger (Magnus), Art. 37, Rn. 9). 40 Bei juristischen Personen unterliegt die Frage der lex substantiae (Art. 25 II d) IPRG). 41 Zur parallelen Bestimmung im deutschen IPR siehe Art. 12 EGBGB.
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
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identische 42 Vorschrift zum Schutz des Vertrauens des Vertragspartners auf die Geschäftsfähigkeit nach der lex loci contractus 43 . Sie ersetzt den früheren Art. 17 I I disp. prel., der sich jedoch „einseitig" nur auf Rechtshandlungen von Ausländern in Italien bezogen hatte. Entsprechend dem Art. 17 II letzter Hs. disp. prel. kommt Art. 23 I I IPRG nicht im Familien- und Erbrecht zur Anwendung sowie bei Rechtsgeschäften über dingliche Rechte an im Ausland belegenen Immobilien (Art. 23 I V IPRG) 4 4 . Nachdem Art. 11 E V Ü eine „inhaltliche" Regelung des E V Ü darstellt 45 , erstreckt sich der Hinweis des Art. 57 IPRG auch auf diese Vorschrift 46 . Dies fuhrt jedoch aufgrund der allseitigen Wirkung des Abkommens dazu, dass dem Art. 23 II IPRG im Vertragsrecht praktisch kein Anwendungsbereich verbleibt 47 . A u f Grund der inhaltlichen Identität der Vorschriften wirkt sich dies nur beim Ausnahmetatbestand des Art. 23 I V IPRG aus. Art. 23 IV IPRG greift somit nicht im allgemeinen Vertragsrecht 48 im Hinblick auf im Ausland belegene Immobilien (Art. 23 I V 3. Var. IPRG), da es in diesem Fall beim Vertrau-
42 Unschädlich ist der Umstand, dass Art. 23 II IPRG - im Gegensatz zu Art. 11 EVÜ - die Rechtsfähigkeit nicht schützt, da eine fehlende Rechtsfähigkeit natürlicher Personen beim Abschluss eines Vertrages wohl kaum denkbar ist; s. a. MüKo (Spellenberg), Art. 12, Rn. 21 zu Art. 12 EGBGB, der den Wortlaut des Art. 11 E VU übernimmt. 43 Eine ähnliche Regelung findet sich in Art. 23 III IPRG für einseitige Rechtsgeschäfte. 44 In Art. 23 IV IPRG fehlt - im Gegensatz zu Art. 17 II letzter Hs. disp. prel. - eine Erwähnung des Schenkungsrechts. Nachdem Schenkungen als Verträge jedoch grundsätzlich dem Vertragsrecht und somit dem Art. 57 IPRG i. V. m. Art. 11 EVÜ unterliegen (siehe III. 3. b)), hat diese „Auslassung" - vom minimalen Anwendungsbereich des Art. 56 IPRG abgesehen (siehe III. 3. c)) - keine Auswirkung. 45 Siehe unter § 11 II. 2. b) und c) zur Interpretation der „in ogni caso"-Formel. 46 I. d. S. Baruffi, Com., NLCC, S. 1101; Damascelli, in RDI 1997, S. 96; Di Blase, Com., RDIPP, S. 1022 f.; Pocar, in SIDI, S. 237, in Fn. 19 und Maglio / Thorn , in ZVglRWiss. 1997, S. 354. Ballarino , DIP 2, S. 325 f. lässt die Frage offen, verweist jedoch auf die Unvereinbarkeit des IPRG mit dem staatsvertraglichen Recht, sofern Art. 23 IPRG das EVÜ nach dem lex-posteriori-Grundsatz des Art. 15 disp. prel. verdrängen sollte („piccolo vulnus , non grave ma un po' maldestro "). Di Biase, a.a.O., S. 1023 führt als Ursache dieser Ungereimtheit den Umstand an, dass die Vorentwürfe zum IPRG noch nicht auf das Römische Abkommen verwiesen haben (Fn. 2). 47 Siehe Autoren in voriger Fußnote einschließlich Ballarino unter dem Vorbehalt, dass Art. 11 EVÜ Voirang genießt. Die Fälle der unterschiedlichen Auslegung des Vertragsbegriffes im EVÜ und im IPRG, die bei einem weiteren Verständnis von letzterem dem Art. 23 II IPRG einen Anwendungsbereich belassen würden, sind wohl eher theoretischer Natur (siehe dazu Fn. 34 und in Fn. 168 Ende). 48 Bei einseitigen Rechtsgeschäften (Art. 23 III IPRG) kommt Art. 23 IV IPRG hingegen uneingeschränkt zur Anwendung.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 , 45, 57, 591 IPRG
ensschutz des Art. 11 EVÜ bleibt. Bei familien- und erbrechtlichen Verträgen (Art. 23 IV 1. und 2. Var. IPRG) entfaltet die Vorschrift hingegen Wirkung, da diese Materien vom Anwendungsbereich des EVÜ ausgenommen sind (Art. 1 II b) EVÜ).
b) Art. 1 II b) EVÜ (Familien- und Erbrecht) Art. 1 II b) EVÜ schließt Fragen des Familien- und Erbrechts aus dem Anwendungsbereich des Abkommens aus. Das Schenkungsrecht wird in der endgültigen Fassung des Art. 1 II b) EVÜ nicht ausgeklammert49. Auf die Behandlung von Schenkungen im IPRG soll später noch ausführlicher eingegangen werden50 Im Rahmen des Erbrechts könnte eine Anwendung des Art. 57 IPRG lediglich bei Erbverträgen und beim Erbausgleich in Frage kommen. Beide Verträge unterliegen jedoch dem allgemeinen Erbstatut gemäß Art. 46 IPRG51. Im Hinblick auf den Erbausgleich kann dies dem Art. 46 III IPRG ausdrücklich entnommen werden. Sofern über Art. 46 IPRG italienisches Recht als Erbstatut dient, ist zu beachten, dass nach italienischem Recht Erbverträge („patti successori") nicht zulässig sind (Art. 458 c. c.)52. Familienrechtlich regeln die Artt. 30, 31 IPRG vertragliche Ansprüche des Güter- und Scheidungsrechts53. Die vertragliche Gestaltung des gesetzlichen Unterhalts unterliegt - wie bereits dargestellt54 - dem Art. 45 IPRG, sofern nicht über die gesetzliche Verpflichtung hinausgehende Ansprüche begründet werden; in letzterem Fall kommt hingegen Art. 57 IPRG zur Anwendung.
49
Siehe 3. b), Fn. 146. Siehe im Folgenden unter 3. 51 Für alle Treves, Com., RDIPP, S. 1179 unten und Damascelli, in RDI 1997, S. 8. Dies entspricht auch der allgemeinen Meinung zu den bisherigen Bestimmungen der Artt. 23 (Erbrecht), 25 I (Vertragsrecht) disp. prel. (siehe Vitta, DIP III, S. 145 f.). 52 Siehe dazu unter § 17 I., bei Fn. 33. Zum Verbot der Schenkung von Todes wegen gemäß Art. 458 c. c. siehe 3. c), Fn. 162. 53 Siehe auch Damascelli, in RDI 1997, S. 82 - 84. 54 Siehe dazu § 13 III. 2. b). 50
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
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c) Art. 1 II c) EVÜ (Wertpapierrecht) Gemäß Art. 1 II c) EVÜ wird das Wertpapierrecht größtenteils vom Anwendungsbereich des Römischen Abkommens ausgenommen55. Daran ändert auch der Art. 57 für das IPRG nichts56. Vielmehr enthält das Gesetz in seinem Art. 59 eine eigenständige Vorschrift für sog. „handelbare"57 Wertpapiere. Die Bestimmung korrespondiert mit dem Ausschlusstatbestand des Art. 1 II c) EVÜ. Sie verweist für das Wechsel- und Scheckrecht auf die Genfer IPR-Abkommen von 1930 und 1931 (Art. 59 I, II IPRG)58 und formuliert für sonstige handelbare Papiere eine eigene Kollisionsnorm (Art. 59 III IPRG). Aktien im Speziellen sollten hingegen dem Gesellschaftsrechtsstatut des Art. 25 IPRG unterstellt werden59. Auf die Bestimmung des Art. 59 IPRG soll im Späteren noch ausführlich eingegangen werden60. Es ist jedoch zu beachten, dass für das den handelbaren Wertpapieren zugrunde liegende Kausalgeschäft in der Regel Art. 57 IPRG zu Anwendung kommt61. Bei Wertpapieren, denen das Merkmal der „Handelbarkeit" fehlt, bestimmt sich das anzuwendende Recht mangels eines abstrakten Forderungsrechts allein nach diesem Kausalgeschäft 62. d) Art. 1 II d) EVÜ (Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen) Heftig umstritten war bei den Verhandlungen zum Römischen Abkommen der Ausschlusstatbestand des Art. 1 II d) EVÜ, der Schieds- und Gerichts-
55
Zur Begründung siehe den Bericht von Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 43. Demnach seien die Regelungen des EVÜ für das Wertpapierrecht ungeeignet; im Falle der Einbeziehung des Wertpapierrechts hätte es komplizierter Sondervorschriften bedurft. Der Bericht verweist zudem auf die bereits bestehenden Genfer Abkommen zum Wechsel- und Scheckrecht (siehe unter § 15) sowie auf die Tatsache, dass in einigen Mitgliedsstaaten des EVÜ Wertpapiere dem außervertraglichen Schuldrecht unterliegen (siehe unter § 15 II. zum italienischen Recht). Zur dem Art. 1 II c) EVÜ ensprechenden Vorschrift im deutschen IPR siehe Art. 37 Nr. 1 EGBGB. 56 Für alle Celle, Com., NLCC, S. 1404 r. Sp. 57 Zu dem Begriff der „Handelbarkeit" siehe unter § 15 VI. 2. 58 Zu den Abkommen siehe § \5\.,Fn. 6. 59 Siehe § 15 IV. 2., Fn. 74 sowie hier unter 2. e) zum Ausschluss des Gesellschaftsrechts aus dem Anwendungsbereich des EVÜ (Art. 1 II. e) EVÜ). 60 Siehe unter § 15. 61 Siehe § 15 IV. 1. 62 Siehe § 15 VII.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Standsvereinbarungen dem Anwendungsbereich des EVÜ entzieht63. In der Begründung wird vor allem auf die bereits bestehenden Abkommen in diesem Bereich sowie auf den verfahrensrechtlichen Charakter der Vereinbarungen verwiesen. Die Diskussion macht deutlich, dass in den Vertragsstaaten sehr unterschiedliche Standpunkte zur rechtlichen Qualifikation von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen als materielle oder prozessuale Verträge bestanden haben. Der Ausschlusstatbestand ist auch in der italienischen Literatur auf Kritik gestoßen64. Das deutsche EGBGB hat die Regelung bei der Inkorporation des EVÜ nicht übernommen65.
aa) Prozessuale Zulässigkeit und Wirkung
Unstrittig ist, dass Fragen der prozessualen Zulässigkeit und Wirkung von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen nicht dem Vertragsstatut unterliegen. Diese werden vielmehr der verfahrensrechtlichen lex fori unterstellt (Art. 12 IPRG)66. Zur Anwendung kommen deshalb Art. 4 IPRG (Gerichtsstandsvereinbarungen)67 und die Artt. 832 I in V. m. 806, 808 c. p. c. (Schiedsverträge/-klauseln) 68. Diese neuen Regelungen entsprechen weitestgehend den internationalen Bestimmungen in diesem Bereich69.
bb) Form
Bei der Formwirksamkeit der Vereinbarungen sprechen die internationalen IZPR-Übereinkommen dafür, diese Frage verfahrensrechtlich zu qualifizieren 70.
63
Siehe Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 43 f. Giardina, La convenzione comunitaria sulla legge applicabile alle obbligazioni contrattuali e il diritto internazionale privato italiano, in RDI 1981, S. 795 (811 f.) und Ballarino / Bonomi, Materie escluse, S. 105 f Zur deutschen Literatur siehe Gottwald, in FS Henckel, S. 295 (309). 65 Siehe Art. 37 EGBGB. 66 In der italienischen Literatur zur bisherigen Vorschrift des Art. 27 disp. prel. siehe für alle Vitta, DIP III, S. 428 in Fn. 313. 67 Zu Art. 4 IPRG siehe § 16 II. 6. 68 Zum neuen italienischen Schiedsrecht siehe § 5 III. 1. 69 Zu Art. 4 IPRG siehe Art. 17 EuGVÜ / Art. 23 EuGVO (im Einzelnen dazu unter § 16 II. 6.); zu den Artt. 806, 808 c. p. c. siehe die Übereinkommen in der nächsten 64
Fußnote. 70
Zu Gerichtsstands Vereinbarungen siehe Art. 17 I 2 EuGVÜ (= Art. 23 I 3 EuGVO). Das Schiedswesen unterliegt nicht dem EuGVÜ (Art. 1 II Nr. 4 EuGVÜ = Art. 1 II d) EuGVO). Zur Schriftform von Schiedsklauseln und -Verträgen siehe Art. 2 des „New
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
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Im deutschen IPR werden Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen vom BGH als „materielle Verträge über prozessrechtiche Beziehungen" eingestuft 71 . Die Frage, ob es sich dabei eher um materielle Verträge oder um Prozessverträge handelt, bleibt dabei offen und ist nach wie vor umstritten 72 . Die Bestimmung der Form Wirksamkeit von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen erfolgt unterschiedlich. Sofern keine staatsvertragliche Regelung besteht 73 , stellt man bei Gerichtsstandsvereinbarungen auf die prozessuale lex fori ab
Yorker UN-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche" vom 10. 6. 1958 (BGBl. 1961 II, S. 122; s. a Jayme / Hausmann,, Nr. 242; für Italien in Kraft seit dem 1. 5. 1969 [BGBl. 1969 II, S. 1019]; beachte auch die Meistbegünstigungsklausel des Art. VII Abs. I) und Art. 1 II a) des Genfer Europäischen Übereinkommens über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. 4. 1961 (siehe § 14 II. 3., Fn. 27). Art. 832 II c. p. c. stellt den Vorrang der Staatsverträge zum nationalen Schiedsrecht klar. Zum Hinweis des Kommissionsentwurfes und der Regierungsvorlage auf das New Yorker Abkommen von 1958 siehe § 5 III. 1., Fn. 25. 71 So die traditionelle Rechtsprechung zu Gerichtsstands- (BGHZ 49, S. 384 (386); BGHZ 59, S.2 3 (27) = NJW 1972, S. 1622 (1623)) und Schiedsvereinbarungen (BGHZ 40, S. 320 (322) = NJW 1964, S. 591 (592)). Die Frage der materiellen oder prozessualen Qualifizierung lässt der BGH dabei offen; siehe jedoch zur neuen Rechtsprechung in der nächsten Fußnote 72
In der Literatur zeigt sich ein Tendenz zur prozessrechtlichen Qualifizierung. Zur Diskussion siehe MüKo (Martiny), vor Art. 27, Rn. 50 (Gerichtsstandsvereinbarungen) und Rn. 84 (Schiedsvereinbarungen) und Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 2090 2093 (Gerichtsstandsvereinbarungen) und Rn. 2297 f. (Schiedsvereinbarungen). Auch die neuere Rechtsprechung spricht bei Gerichtsstandsvereinbarungen nur noch von „Verträgen über prozeßrechtliche Beziehungen" (BGH NJW 1986, S. 1438 (1439) = IPRax 1987, S. 168 (169); BGH, in NJW 1989, S. 1431 (1432) = IPRax 1990, S. 41 (42)). Im Ergebnis ist die Diskussion ohne große Relevanz (s. a. Hausmann, a.a.O., Rn. 2092 f.), da auf der einen Seite prozessrechtliche Fragen unstrittig vom Verfahrensrecht selbst entschieden werden (siehe aa)) und auf der anderen Seite die Frage des Vertragsschlusses durch das Vertragsstatut beantwortet wird (siehe cc)). Bei letzterem wird die Anwendung materiellen Vertragsrechts jedoch vor allem damit begründet, dass das Prozessrecht keine Vorschriften über den Abschluss von Verträgen enthält (siehe bereits BGHZ 49, S. 384 (387) und BGHZ 59, 23 (27); ebenso Soergel (Kronke), Art. 38 Anh. IV, Rn. 31, Fn. 47 und Schach, IZPR, Rn. 437). Ebenso Gottwald, in FS Henckel, S. 295 (299, Fn. 24), der selbst Gerichtsstandsvereinbarungen zwar als Prozessverträge einstuft, Prozessverträge jedoch als besondere Verträge qualifiziert und somit „zwanglos", d. h. ohne Notwendigkeit einer Lückenfüllung, zur Anwendung des materiellen Vertragsrecht gelangt (siehe aa.0., bei Fn. 26). Von Bedeutung ist der Streitpunkt allein bei der Frage der Formwirksamkeit und dies auch nur bei Schiedsverträgen (Fn. 75, 76), da anknüpfend an Art. 17 EuGVÜ (= Art. 23 EuGVO) zumindest Gerichtsstandsvereinbarungen diesbzgl. unstrittig dem Prozessrecht unterliegen (Fn. 74). 73 Siehe Fn. 70.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
(§ 38 ZPO)74, während bei Schiedsvereinbarungen das materielle Formstatut zugrunde gelegt werden soll (Art. 11 EGBGB)75. Durch diese Differenzierung soll olfensichtlich zum Ausdruck gebracht werden, dass Schiedsvereinbarungen mehr dem materiellen Vertragsrecht zuzurechnen sind als Gerichtsstandsvereinbarungen. Konsequenterweise sollte jedoch die prozessuale Charakterisierung der Formfrage auch auf Schiedsgerichtsvereinbarungen übertragen werden76. Davon scheint auch die italienische Literatur auszugehen, wenn sie bei Schiedsverträgen die Formvorschriften der Artt. 833, 832 I i. V. m. 807, 808 c. p. c. anwendet77. Die Ursache für die Anwendung der prozessualen lex fori könnte zwar auch darin gesehen werden, dass das IPRG keine allgemeine Formvorschrift mehr enthält78, durch eine Erweiterung des Anwendungsbereiches des EVÜ kraft Art. 57 IPRG könnte man bei einer materiellen Einordnung der Frage jedoch auf Art. 57 IPRG i. V. m. Art. 9 EVÜ zurückgreifen 79. Im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung im Rahmen der disp. prel., die sich trotz des Schriftformerfordernisses in Art. 2 c. p. c. 80 auf das allgemeine Formstatut des Art. 26 disp. prel. berufen hat81, stellt man jedoch auf die neuen prozessualen Vorschriften der Zivilprozessordnung ab, die für Schiedsvereinbarungen eine Schriftform fordern (Art. 807 c. p. c.). Es gilt aber zu beachten, dass Art. 4 II IPRG auch die Derogation der italienischen IZ durch Schiedsvereinba74 BGHZ 59, S. 23 (29 f.) und zur neueren Rechtsprechung BGHZ 116, S. 77 (80) = NJW 1993, S. 1070; ebenso Kropholler, EuZPR, Art. 23, Rn. 14 m.w.N. in Fn. 30 und Gottwald, in FS Henckel, S. 303 f. 75 BGH, in WM 1993, S. 2121 (2122) = IPRspr. 1993, Nr. 194; Schütze, S. 57, Rn. 108 m.w.N. in Fn. 61; MüKo (Martiny), vor Art. 27, Rn. 93; Zöller (Geimer), § 1031, Rn. 1; s. a. Nachweise bei Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 2460. Das nationale Schriftformerfordernis des § 1031 ZPO n. F. (= § 1027 ZPO a. F.) kommt somit erst zum Tragen, wenn gemäß Art. 11 EGBGB deutsches Recht angewendet wird. 76 Die unterschiedliche Behandlung von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen wird auch von Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 2461 und MüKo (Martiny), vor Art. 27, Rn. 93 kritisiert. 77 Benedetelli, Com., NLCC, S.1378 bei Fn. 78 und Damascelli, in RDI 1997, S. 87 bei Fn. 22. Auch das schweizerische IPRG regelt die Formwirksamkeit von Schiedsvereinbarungen selbst (Art. 178 I schweizerisches IPRG) und formuliert keine Kollisionsnorm; für die übrigen Wirksamkeitsfragen verweist der Absatz II der Vorschrift auf das dem Hauptvertrags zugrunde liegende Recht bzw. schweizerisches Recht. 78 Siehe dazu § 3 II. 4. c). 79 Der Art. 11 EGBGB stellt die deutsche UmsetzungsVorschrift zu Art. 9 EVÜ dar; zur Umsetzung des EVÜ in Deutschland siehe § 19 III. 1. und insbesondere 4., Fn. 198 zur Art. 11 EGBGB. 80 Siehe § 16 II. 6. a). 81 Siehe unten Fn. 89 zu Cass. 2. 5. 1960, n. 968 und weitere Nachweise bei Picardi (G. Martino), Art. 2, Nr. 4 #B. Siehe dazu auch § 16 II. 6. a) und c) aa) (1) zu Art. 4 IPRG.
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
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rungen vorsieht und dafür nur einen schriftlichen Nachweis verlangt; der Schriftform bedarf es insofern nur zu Beweiszwecken82. An dieser Stelle korrespondiert das IPRG nicht mit dem neuen italienischen Schiedsrecht 83. Bei Gerichtsstandsvereinbarungen dürfte die prozessrechtliche Qualifizierung der Formfrage durch die Neuregelung des Art. 4 IPRG außer Frage stehen84. Die Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung 85 erfolgt hier ausdrücklich kraft gesetzgeberischer Regelung.
cc) Materiellrechtliche
Einigung und Wirksamkeit
Abgesehen von der Frage der Formwirksamkeit haben es die einschlägigen international^i Abkommen dem nationalen IPR überlassen, das anzuwendende Recht zur Feststellung der materiellen Einigung und Wirksamkeit von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen zu bestimmen86. Die deutsche Literatur spricht sich dabei durch - zumindest analoge - Anwendung der Artt. 27 36 EGBGB überwiegend für das Vertragsstatut aus (Art. 31 EGBGB) 87 . 82
Siehe i. E. unter § 16 II. 6. c) bb) (1). Siehe im Gegensatz dazu das schweizerische IPRG. Die dem Art. 4 II italienische IPRG entsprechende Vorschrift des Art. 7 schweizerisches IPRG enthält keine Regelung zur Frage der Form, sondern verlangt nur eine wirksame Schiedsvereinbarung. Die Anforderungen an die Formwirksamkeit sind vielmehr einheitlich dem Art. 178 I schweizerisches IPRG zu entnehmen, der im italienischen Recht dem Art. 807 c. p. c. entspricht (s. a. in Fn. 77). 84 Siehe dazu i. E. § 16 II. 6. c) bb) (1). 85 Siehe Fn. 81. 86 Schlosser lässt in seinem Bericht zum EuGVÜ diese Frage noch offen (ABl. EG 1979, Nr. C 59, S. 125, Nr. 179 Ende). Der Bericht von Giuliano / Lagarde zum EVÜ verweist hingegen bereits auf die mögliche Anwendbarkeit des Vertragsstatutes nach Art. 3 I EVÜ (BT-Drucks. 10 / 503, S. 44, (5) Ende). Der EuGH stellt in seiner späteren Rechtsprechung zum EuGVÜ ausdrücklich klar, dass für Fragen des Vertragsschlusses auf die nationalen Regelungen zurückzugreifen ist (EuGH 10. 3. 1992, Rs. 214 / 89 Powell Duffryn ./. Petereit, Slg. 1992 I, S. 1745 (1775, Nr. 21) = NJW 1992, S. 1671 = 83
RIW 1992, S. 492 (493): „ in Ubereinstimmung mit dem anwendbaren nationalen Recht ... zustandegekommene Gerichtsstandsklause1").
An die „Vereinbarung" eines Gerichtsstandes knüpft jedoch auch Art. 23 EuGVO (= Art. 17 EuGVÜ) gewisse Mindestvoraussetzungen (z. B. Bestimmtheit des Gerichts, Einbezeihung von AGB - siehe Kropholler, EuZPR, Art. 23, Rn. 25). Gemäß Kropholler, a.a.O., Rn. 27 sollen die internationalen Handelsbräuche über den Wortlaut des Art. 23 I 3 Nr. c) EuGVO hinaus auch bei der materiellen Willenseinigung berücksichtigt werden. 87 Der BGH hat sich ursprünglich für die Anwendung der Artt. 27 - 36 EGBGB ausgesprochen (BGHZ 99, S. 207 (209 f.) = NJW 1987, S. 1145 = IPRax 1988, S. 26 zu Rechtswahl- und „GerichtswahTklauseln). In einer späteren Entscheidung wurde diese Frage offen gelassen (BGH, in NJW 1989, S. 1431 (1432) = RIW 1989, S. 136 (138) = IPRax 1990, S. 41 (42)); eine Beurteilung sollte vielmehr nach allgemeinem Richter-
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
In der italienischen Rechtsprechung wurden Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen anfangs rein prozessual qualifiziert und daher umfassend der italienischen lex fori unterstellt (Art. 27 disp. prel.) 88 . Später hat sich allerdings die Überzeugung durchgesetzt, dass es sich bei diesen Vereinbarungen in ihrer „Substanz" um schuldrechtliche Verträge handelt, deren Wirksamkeit materiell zu bestimmen ist. Dies hat zu einer Anwendung des Vertragsstatuts (Art. 25 I disp. prel.) bzw. des Art. 17 (Geschäftsfähigkeit) disp. prel., jedoch auch des materiellen Formstatuts (Art. 26 disp. prel.) geführt 89 , was in der Literatur jedoch auf Kritik gestoßen ist 9 0 .
recht erfolgen, wodurch sich im Ergebnis keine Abweichungen ergeben haben. Das OLG München, in IPRax 1991, S. 46 (48) wendet hingegen die EGBGB-Vorschriften direkt an. Auch die Literatur verweist auf die Artt. 27 - 36 EGBGB (MüKo (Martiny), vor Art. 27, Rn. 50, 56, 74; Soergel (v. Hoffmann), Art. 37, Rn. 8 m.w.N. in Fn. 20; ders. in v. Hoffmann, IPR, § 3, Rn. 75; Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 2217 - 2222 und Gottwald, in FS Henckel, S. 295 [300 - 302]). Dabei wird überwiegend von einer analogen Anwendung der Vorschriften ausgegangen, da in Art. 37 EGBGB zwar der Ausschlusstatbestand des Art. 1 II d) E VU nicht übernommen wurde, die Vorschrift jedoch trotzdem i. S. d. Gemeinschaftsrechts auszulegen ist (Art. 36 EGBGB). Siehe dazu auch unter § 19 III. 3. d), Fn. 191 und 4. b). Die Gegenmeinung will den Begriff der „Vereinbarung" gemäß Art. 17 EuGVÜ (nunmehr Art. 23 EuGVO) autonom aus dem Abkommen ableiten und verweist auf Art. 1 II d) EVÜ als Argument für den prozessualen Charakter derselben (Kohler, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen: Liberalität und Rigorismus im EuGVÜ, in IPRax 1983, S. 265 (268) und im Anschluss daran Jayme / Kohler, in IPRax 1989, S. 342 sowie dies, erneut in IPRax 1991, S. 361 (368) und IPRax 1992, S. 346 (353); ebenso Jayme, Narrative Normen, S. 27). 88 Cass. 23. 5. 1955, n. 1515, in Foro it. 1956, I, Sp. 1152 (1153). Ebenso Morelli, DPCI, S. 46 - 51 (Schiedsvereinbarungen) bzw. S. 173 (Gerichtsstandsvereinbarungen); zu weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung siehe Vitta, DIP III, S. 428, Fn. 315. 89 Siehe zu Schiedsverträgen Cass. 2. 5. 1960, n. 968, in RDI 1960, S. 686 = Foro it. 1960,1., Sp. 736; siehe auch Vitta, DIP III, S. 428 mit Hinweisen auf die weitere Rechtsprechung in den 60er Jahren in Fn. 316 und ebenso Venturini, DIP, S. 216; weitere Nachweise siehe bei G. Martino , in Picardi, Art. 2, Nr. 4, #B und Damascelli, in RDI 1997, S. 87, in Fn. 23. Der Corte di Cassazione hat in erwähntem Urteil erstmalig die Formwirksamkeit von Schiedsverträgen nach dem materiellen Formstatut des Art. 26 disp. prel. und nicht nach der verfahrensrechtlichen lex fori (Art. 27 disp. prel.) beurteilt. Das Gericht begründet dies mit der Einschätzung, dass es sich bei Schiedsverträgen um Rechtsgeschäfte unter Lebenden (Art. 26 I disp. prel.: „forma degli atti tra vivi") handelt, die nicht den Formvorschriften des Prozessrechts unterliegen (Art. 27 disp. prel.: „forma del processo"). 90 Siehe - im Anschluss an die Entscheidung Cass. 2. 5. 1960, n. 968 (vorige Fußnote) - Barile, in RDI 1960, S. 657 - 659 und Durante, in RDI 1960, S. 699, insbeson-
dere 703 f. Zur h. Lit. für eine prozessualen Qualifikation der Frage der Formwirksamkeit siehe die umfangreichen Nachweise bei G. Martino, in Picardi, Nr. 4, #A.
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
225
Im Rahmen des IPRG zeigt sich - abgesehen von der Formfrage 91 - nunmehr ebenfalls eine klare Tendenz zur Anwendung des Vertragsstatuts und damit des Art. 57 IPRG i. V. m. Art. 8 EVÜ 92 . Diesem Verständnis von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen ist unbedingt zu folgen. Die „in ogni caso"-Formel des Art. 57 IPRG bewirkt somit eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches des EVÜ. Die Voraussetzungen eines wirksamen Zustandekommens dieser Vereinbarungen richten sich demzufolge nach dem durch das Römische Abkommen zur Anwendung berufenen Recht (Art. 8 EVÜ). Eine autonome Anknüpfimg erfolgt lediglich für die Fragen der Geschäftsfähigkeit 93 und der Stellvertretung 94.
e) Art. 1 II e) EVÜ (Gesellschaftsrecht) Im Gegensatz zu Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen wird das internationale Gesellschaftsrecht nicht dem Vertragsrecht zugeordnet. Zum Schutz des Rechtsverkehrs besteht im Gesellschaftsrecht keine Rechtswahlfreiheit, so dass die Regeln des Vertragsrechts nicht passen. Vielmehr ist das anwendbare Recht nach der Sitz- oder Gründungstheorie zu bestimmen95. 91
Siehe oben unter bb). Ballarino, DIP 2, S. 594 mit Hinweis auf Art. 37 EGBGB, der den Ausnahmetatbestand des Art. 1 II d) EVÜ nicht übernimmt; ders., auch in Ballarino / Bonomi, Materie escluse, S. 106 zum bisherigen Recht (Art. 25 I disp. prel.); Treves , Com., RDIPP, S. 1179 zu Art. 57 (ebenso mit Hinweis auf Art. 37 EGBGB); Benedetteli i, Com., NLCC, S. 1378, Nr. c) zu Art. 57; Carbone , Com., NLCC, S. 928 1. Sp. zu Art. 4; Mosconi , DIPP I; S. 89 und CT (Barel), Art. 57, III. 1. Ebenso in der deutschen Literatur Gebauer, in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 67. A. A. lediglich Damascelli, in RDI 1997, S. 87 f. mit Hinweis auf die ehemals h. M. (Fn. 88) und auf Luzzatto, Com., RDIPP, S. 955. Den Ausführungen von Luzzatto lässt sich eine derartige Schlussfolgerung jedoch nicht entnehmen. 93 Siehe oben unter a) zu Art. 23 IPRG; ebenso Ballarino, DIP 2, S. 122 oben, allerdings ohne Erwähnung des Art. 23 I 1 IPRG. Abzustellen ist bei Gerichtsstandsvereinbarungen auf die Geschäfts- und nicht auf die Prozessfähigkeit (siehe Gottwald, in FS Henckel, S. 306, Nr. 6 Anfang m.w.N. zu dieser strittigen Frage; ebenso Schach, IZVR, Rn. 446, Fn. 5). Zur Unanwendbarkeit des Art. 23 EuGVO für die Frage der Geschäftsfähigkeit s. a. Kropholler, EuZPR, Art. 23, Rn. 28. 94 Siehe unten unter f) zu Art. 60 IPRG und den Vorschriften zur gesetzlichen Stellvertretung. Zur Anwendung der materiellrechtlichen Vorschriften siehe die Hinweise bei 92
Gottwald und Kropholler
in voriger Fußnote.
95
Zur Diskussion und bisher herrschenden Sitztheorie in Deutschland siehe für alle Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 1538 - 1546 und weitere Nachweise bei Soergel (v. Hoffmann), Art. 37, Rn. 40, Fn. 121. Zum italienischen Recht siehe Hinweis in Fn. 97.
Die Sitztheorie ist jedoch in jüngster Zeit durch die neue Rechtsprechung des EuGH unter Druck geraten. Der Gerichtshof hat es in der Entscheidung EuGH 9. 3. 1999,
226
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Trotz Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft um eine Rechtsvereinheitlichung 96 wird das internationale Gesellschaftsrecht nach wie vor von nationalen Kollisionsnormen bestimmt. Das italienische IPRG enthält insofern in seinem Art. 25 eine eigene Regelung der Materie 97 .
f) Art. 1 I I f) E V Ü (Stellvertretungsrecht)
Nach dem Bericht von Giuliano / Lagarde zum E V Ü kann im Stellvertretungsrecht bei der Frage des Außenverhältnisses der Grundsatz der Privatautonomie „kaum anerkannt werden" 98 . Das Römische Abkommen hat insofern in Art. 1 II f) E V Ü auch diese Materie der Anwendung des Abkommens entzogen 99 . Das Innenverhältnis unterliegt demgegenüber je nach Art der Stellvertretung dem Vertrags-, Gesellschafts- oder Kindschaftsrecht.
Rs. 212 / 97 - Centros Ltd ./. Erhvervsog Selskabsstryrelsen (in NJW 1999, S. 2027 = EuZW 1999, S. 216 = WM 1999, S. 956) i. R. d. Niederlassungsfreiheit nach Artt. 43, 48 n. F. (= Artt. 52, 58 a. F.) EGV dem Grunde nach abgelehnt, den Gläubigerschutz als Rechtfertigung (siehe Art. 46 n. F. [= Art. 56 a. F.] EGV) für eine Nichtanerkennung ausländischer Gesellschaften innerhalb der EG durch die Sitztheorie anzuerkennen. Zu dem Urteil siehe für alle Kindler, Niederlassungsfreiheit für Scheinauslandsgesellschaften?, in NJW 1999, S. 1993 - 2000 und Ebke, Das Schicksal der Sitztheorie nach dem Centros-Urteil des EuGH, in JZ 1999, S. 656 - 661. Die Rechtsprechung fand - im Anschluss an eine Vorlage des VII. BGH-Senats ihre Fortsetzung in der Entscheidung EuGH 5.11. 2002, Rs. 208 / 00 - Überseering BV / Nordic Construction Company Baumanagement GmbH (NCC), in IPRax 2003, S. 65 mit Rezension von Roth, S. 117 - 127 ; zu der Entscheidung s. a, Kindler, in NJW 2003, S. 1073 -1079. Roth und Kindler weisen daraufhin, dass dem Urteil nicht entnommen werden kann, dass die deutsche Sitztheorie europarechtswidrig ist (Roth, a.a.O., bei Fn. 41 und Kindler, aaO., S. 1077); ebenso LG Frankenthal 6. 12. 2002, in NJW 2003, S. 762. Die Gründungstheorie scheint sich jedoch nunmehr in Deutschland durchzusetzen (siehe Jayme / Kohler, in IPRax 2003, S. 495 mit Hinweis auf die Entscheidung des BGH vom 13. 3. 2003, in JZ 2003, S. 525). 96 Zu den gesellschaftsrechtlichen Gemeinschaftsrichtlinien im Anschluss an Art. 44 III g) n. F. (= Art. 54 II g) a. F.) EGV siehe Bleckmann (Bleckmann), EuR, Rn. 1662. Demgegenüber ist das Brüsseler EWG-Übereinkommen vom 29. 2. 1968 zur gegenseitigen Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen (BGBl. 1972 II, S. 370; s. a Jayme / Hausmann, 10. Auflage, Nr. 21) mangels Ratifikation durch die Niederlande nicht in Kraft getreten; auch der Vorschlag zu einer Verordnung über ein einheitliches Statut europäischer Aktiengesellschaften vom 30. 6. 1970 (ABl. EG. 10. 10. 1970, C 124, S. 1) ist nicht umgesetzt worden. 97 Zu Art. 25 IPRG und den bisherigen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des codice civile siehe § 5 II. 2. 98 Bericht von Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 45, Nr. 7. 99 Zur Parallelregelung des deutschen IPR siehe Art. 37 Nr. 3 EGBGB.
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
227
Für die vertragliche Vertretungsmacht (Vollmacht) enthält das IPRG eine eigene Vorschrift (Art. 60 IPRG100). Im Innenverhältnis zwischen Vertretenem und Vertreter greift hingegen das EVÜ über Art. 57 IPRG. Das anzuwendende Recht für die gesetzliche Vertretungsmacht bestimmt sich sowohl im Außen- als auch im Innen Verhältnis nach der Kollisionsnorm des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses101. Die Vertretung juristischer Personen orientiert sich somit am Gesellschaftsrechtsstatut (Art. 25 II f) IPRG), für die Sorge über Minderjährige und geschäftsunfähige Volljährige kommen Art. 36 (elterliche Sorge) und die Artt. 42, 43 IPRG (Vormundschaft, Pflegschaft usw.102) zur Anwendung. Die dem Verfahrensrecht zuzuordnende Prozessvollmacht unterliegt der italienischen lex fori (Art. 12 IPRG)103.
g) Art. 1 II g) EVÜ („trusts") Für das Recht der „trusts" käme eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches des EVÜ durch Art. 57 IPRG in Frage, sofern und soweit man „trusts" schuldrechtlich qualifiziert 104. Die in den verschiedenen Sprachfassungen des Abkommens einheitliche Verwendung des englischen Rechtsbegriffs „trust" in Art. 1 II g) EVÜ macht deutlich, dass der Ausschluss die Rechtsverhältnisse erfassen will, die nach dem Verständnis des common law als „trust" bezeichnet werden105. In Staaten, deren Rechtsordnung die Konstruktion des „trusts" nicht kennen, obliegt es den Richtern, „trust"-Verhältnisse im Rahmen des eigenen IPR einzuordnen. Bei den möglichen Arten von „trusts" sind für die kollisionsrechtliche Einordnung zwei Unterscheidungen zu treffen 106. Zum einen ist zwischen rechts-
100
Im Einzelnen zu der Vorschrift s. u. § 17 II. Zur gesetzlichen Vertretungsmacht von Schiffs- und Flugkapitänen im italienischen Recht nach dem Flaggenprinzip siehe Art. 8 disp. prel. cod. nav. 102 Siehe auch § 12 I. 2., Fn. 14 bzw. V. 1., Fn. 72 zur „vorübergehenden Betreuung". 103 Siehe auch unter h) zum Verfahrensrecht im Allgemeinen und § 17 II. 1., Fn. 99 zur Prozess Vollmacht. 104 Ausführlich zu „trusts" im IPR siehe Czermak, Der express trust im internationalen Privatrecht, Peter Lang, 1986 und Wittuhn, Das internationale Privatrecht des trust, Peter Lang 1987. 105 Siehe Bericht von Giuliano /Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 45, Nr. 8. 106 Zu einer kurzen Übersicht über „trusts" siehe Henrich / Huber, Einführung in das englische Privatrecht, 3. Auflage, Verlag Recht und Wirtschaft GmbH, Heidelberg 2003, 101
228
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
geschäftlichen und gesetzlichen „trusts" zu differenzieren; zum anderen können rechtsgeschäftliche „trusts" zu Lebzeiten des Errichtenden (settlor) entstehen (inter vivos trust) oder kraft letztwilliger Verfügung desselben (testamentary trust).
aa) Kollisionsrechtliche
Einordnung von „ trusts "
Nachdem das Rechtsinstitut des „trust" den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen fremd ist, zeigt man sich dort bemüht, „trusts" auf der Grundlage eigener materiellrechtlicher Grundsätze kollisionsrechtlich zu qualifizieren. Dabei erweist es sich noch als unproblematisch, sog. testametary trusts dem Erbrechtsstatut zu unterstellen107. Bei sog. inter vivos trusts wird in der deutschsprachigen Literatur heftig darüber diskutiert, ob diese dem Vertragsrechts- oder dem Gesellschaftsrechtsstatut zuzuordnen sind108. Der Streitpunkt betrifft nur das Verhältnis zwischen settlor und „Verwalter" (trustee) sowie zwischen trustee und dem Begünstigten (beneficiary) 109. Im Verhältnis zwischen settlor und beneficiary wird wohl zumeist eine Schenkung vorliegen 110. Gegen eine vertragsrechtliche Einstufung wird vor allem angeführt 111, dass „trusts" durch einseitiges Rechtsgeschäft des settlors begründet werden 112. Der „trust" ähnelt in diesem Punkt der Stiftung nach deutschem Recht. Für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation sprechen zudem Art. 5 Nr. 6 und Art. 53 II des EuGVÜ (= Artt. 5 Nr. 6, 60 III EuGVO), die parallel zu den Gesellschaften
§ 7 und Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, München 1997, S. 163. 107 Siehe Czermah (Fn. 104% S. 120- 139. 108 Vertragsrecht: BGH 15. 4. 1959, in RabelsZ 1960, S. 313; BGH 10. 6. 1968, in IPRspr. 1968 / 69, Nr. 160 und BGH 13. 6. 1984, in IPRax 1985, S. 221 sowie in der Literatur v. Bar, IPR II, Rn. 456, 500; Czermah (Fn. 104), S. 196 - 199 und 204 - 210; Kötz, in IPRax 1985, S. 205 f.; Wittuhn (Fn. 104), S. 120 - 130; Reithmann / Martiny (Martiny), Rn. 183 und Staudinger (Magnus), Art. 28, Rn. 354; s. a. das Urteil des schweizerischen BG vom 29. 1. 1970, in BGE 1996 II, S. 79. Gesellschaftsrecht:
Staudinger (Stoll), IntSachR, Rn. 174 m.w.N.; Kegel / Schurig,
IPR, § 17 III. 1. und MüKo (Ebenroth), 2. Auflage, nach Art. 10, Rn. 116. Zum schweizerischen IPRG siehe Vischer, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 150, Rn. 13-18. m.w.N. unter der Voraussetzung, dass der „trust" über eine „ausreichende Organisation" verfügt; zum österreichischen Kollisionsrecht siehe Schwimann, Grundriß, S. 86. 109 Siehe auch Art. 8 des Haager „trust"-Abkommens zum Umfang des „trust"Statuts (Fn. 128). 110
111
Czermah (Fn. 104), S. 210 - 212.
Staudinger (Stoll), IntSachR, Rn. 174; ebenso Damascelli, in RDI 1997, S. 90, der aus diesem Grund eine Anwendung des Art. 57 IPRG ablehnt. 112 Siehe dazu Wittuhn (Fn. 104), S. 11 f.
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
229
(Artt. 5 Nr. 5, 53 I EuGVÜ = Artt. 5 Nr. 5, 60 I EuGVO) auf den Sitz des „trust" abstellen. Im Gegensatz zum EuGVÜ / EuGVO differenziert das EVÜ ausdrücklich zwischen dem Gesellschaftsrecht (Art. 1 II e) EVÜ) und dem Recht des „trusts" (Art. 1 II h) EVÜ). Abweichend von den Gesellschaften stellt der „trust" keine organisatorische Vermögenseinheit mit ausreichender Selbständigkeit dar, die eine Einordnung unter das Gesellschaftsrechtsstatut rechtfertigt 113. Er ähnelt vielmehr eher der Treuhand nach deutschem Recht114. Darüber hinaus sollte an dieser Stelle auch „ergebnisorientiert" gedacht werden. Die allgemeinen Grundsätze des common law, die bei „trusts" primär auf die Rechtswahl des settlors abstellen115, lassen sich nur durch die Anwendung des Vertragsstatuts umsetzen. Dies entspricht auch dem Art. 6 des im Folgenden besprochenen Haager „trust"-Abkommens. Im Einzelnen kann die Qualifikation eines in der eigenen Rechtsordnung unbekannten Rechtsinstituts nie absolut befriedigend erfolgen. In der Regel erscheint jedoch beim „trust" eine vertragsrechtliche Einstufung als vorzugswürdig. Dies schließt nicht aus, dass für bestimmte Formen des „trusts" eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation vorzunehmen ist 116 .
bb) Das Haager trust-Abkommen und das IPRG
Innerhalb des IPRG ist in erster Linie zu berücksichtigen, dass Italien als einziger Staat außerhalb des common law dem Haager „trust"-Übereinkommen vom 1. 7. 1985117 beigetreten ist 118 . Das Abkommen befindet sich seit dem 1. 1. 113
Czermak (Fn. 104), S. 196-199.
114
Siehe Czermak, Wittuhn und Martiny (Fn. 108).
115
Siehe Wittuhn (Fn. 104), S. 27 - 63 mit graphischer Übersicht auf S. 58. Das common law geht gemäß der Darstellung von Wittuhn bei „trusts" vom Grundsatz der Rechtswahl aus; lediglich bei „trusts" über unbewegliches Vermögen wird auf die lex rei sitae abgestellt. 116 Siehe Czermak (Fn. 104), S. 184 f. zum „business trust" und S. 183 zum stiftungsähnlichen „charitable trust". 117 „Haager Übereinkommen über das auf trust anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung" vom 1. 7. 1985. Englischer und französischer Text in RabelsZ 1986, S. 698 - 715 mit Aufsatz von Kötz, S. 562 - 585; deutscher Text in IPRax 1987, S. 55 58. Zu dem Übereinkommen aus italienischer Sicht siehe Luzzatto, „Legge applicabile" e „riconoscimento" di trusts secondo la convenzione dell'Aja del 1° luglio 1985, in RDIPP 1999, S. 5 - 20; i. W. siehe Ballarino, DIP 2, S. 574 - 577 m.w.N. bzw. S. 549. 118 Die italienische Ratifikation des Abkommens wurde von Seiten des common law selbstverständlich begrüßt; siehe Paton / Grosso, The Hague Convention on the Law Applicable to Trusts and their Recognition: Implementation in Italy, in IntCompLQ 1994, S. 654-661.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
1992 für Italien in Kraft 1 1 9 und verdrängt insoweit das IPRG 1 2 0 . Die Konvention entfaltet erga-omnes-Wirkung 121 und unterliegt auch in ihrer zeitlichen Anwendung keiner Beschränkung (Art. 22 I). Die Vertragsstaaten können lediglich im Hinblick auf die Allseitigkeit (Art. 21) 1 2 2 und die zeitliche Geltung des Abkommens dessen Anwendungsbereich durch Vorbehalte begrenzen (Art. 22 II). Der Staatsvertrag behandelt rechtsgeschäftliche „trusts" unter Lebenden und für den Todesfall (Artt. 2 I, 3) 1 2 3 . Die Anwendung auf „testamentary trusts" erstreckt sich jedoch nicht auf erbrechtliche Vorfragen (Art. 4 ) 1 2 4 . Auch sachenrechtliche Fragen unterliegen nicht dem Abkommen (Art. 4) 1 2 5 . Bei der Frage des anzuwendenden Rechts eröffnet das Abkommen im Anschluss an die Grundsätze des common law 1 2 6 dem settlor die Möglichkeit der freien Rechtswahl. Bei fehlender Rechtswahl kommt die Rechtsordnung zur Anwendung, zu der der Sachverhalt die engste Verbindung aufweist (Art. 7). Dasselbe gilt für die Fälle, in denen sich der settlor für eine Rechtsordnung
119 Ratifikationsermächtigung und Umsetzung durch legge 16. 10. 1989, n. 364, in Gazz. Uff. 8. 11. 1989, n. 261; das Abkommen befindet sich im Weiteren für Australien und Großbritannien (jeweils seit 1. 1. 1992) sowie für Kanada (siehe IPRax 1993, S. 202) in Kraft. 120 Siehe Hinweis bei Benedetteli i, Com., NLCC, S. 1378 f., Nr. d); Damascelli, in RDI 1997, S. 91 oben und CT (Barel), Art. 51 I. 2. m.w.N. 121
Arg. ex Art. 21 (nächste Fußnote).
Die dem Grunde nach allseitige Wirkung der Konvention scheint durch Art. 5 des Abkommens eine Einschränkung zu erfahren. Das Obereinkommen soll nach dieser Vorschrift keine Anwendung finden, soweit das durch den Staats vertrag zur Anwendung berufene Recht „trusts" oder die im konkreten Fall vorliegende Art des „trusts" nicht kennt. Das Abkommen beschränkt sich somit dem Grunde nach auf die Fälle, in denen common law anzuwenden ist. Diese Beschränkung wird jedoch faktisch dadurch aufgehoben, dass das Abkommen primär auf die Rechtswahl des settlors abstellt (Art. 6 I) und diese für unwirksam erklärt, sofern durch die Wahl der Ausschlusstatbestand des Art. 5 erfüllt werden würde (Art. 6 II). In diesen Fällen und im Fall einer fehlenden Rechtswahl wird ähnlich dem Art. 4 EVÜ auf die engste Verbindung des Sachverhalts abgestellt (Art. 7). Zudem ist es in der Sache schwer vorstellbar, dass bei der Errichtung eines „trusts" eine Rechtsordnung gewählt wird, die das Institut des „trust" nicht kennt. 122 Gemäß Art. 21 können es sich die Vertragsstaaten vorbehalten, das Anerkennungsrecht der Konvention (Kapital III) nur auf trusts anzuwenden, deren Gültigkeit dem Recht eines Vertragsstaates unterliegt (s. a allgemein im Exkurs unter § 11 II. 2. a, Fn. 34, 35 zur Anwendbarkeit von Staatsverträgen „hinsichtlich der Staaten"). 123 Die Mitgliedsstaaten können jedoch erklären, dass der Vertrag auch für „trusts" gelten soll, die kraft gerichtlicher Entscheidung errichtet werden (Art. 20). 124 Darüber hinaus bleibt gemäß Art. 1 5 I c) zwingendes Erbrecht anwendbar. 125
Art. 4 {„Rechtsgeschäfte
... durch die dem trustee Vermögen übertragen wird"),
Art. 15 I d) (Übertragung von Eigentum und dinglichen Sicherungsrechten). 126 Siehe Fn. 115.
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
231
entscheidet, die das Rechtsinstitut des „trust" allgemein oder in der konkret gewählten Form nicht kennt (Art. 6 II) 127 . Die Anknüpfungen des Haager Abkommens entsprechen somit weitestgehend den Regelungen der Artt. 3, 4 EVÜ. Im Anschluss an das common law zeigt sich der Staatsvertrag bemüht, für den „trust" ein einheitliches Statut zu schaffen 128. Durch die allseitige Wirkung des Haager „trust"-Abkommens verbleibt dem IPRG nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich129. Für erbrechtliche Fragen kann unproblematisch auf die Artt. 46 - 48 IPRG zurückgegriffen werden, soweit das Haager Abkommen Raum für nationales erbrechtliches IPR belässt130. Im Bereich des Sachenrechts131 kommt Art. 51 II IPRG zur Anwendung132. Bei sog. inter vivos trusts ist die Frage deren Qualifikation auch im Rahmen des italienischen IPRG umstritten. Die weite Formulierung des Art. 25 I IPRG dient ζ. T. als Argument für eine gesellschaftsrechtliche Einstufung 133. Gegen die Anwendung des Vertragsrechts wird auch die Einseitigkeit des Gründungsaktes vorgebracht 134. Der überwiegende Teil der Literatur scheint sich jedoch für eine Anwendung des Art. 57 IPRG auszusprechen135. Die Hinweisnorm soll also den Anwendungsbereich des EVÜ auf sog. inter vivos trusts erweitern. Für 127
Siehe dazu in Fn. 121. Zur kollisionsrechtlichen Behandlung von „trusts" im US-amerikanischen und englischen Recht siehe Wittuhn (Fn. 115). Zum Umfang des „trust"-Statuts nach dem Haager Abkommen siehe Art. 8 der Konvention. Das Prinzip eines einheitlichen Statuts wird jedoch durch das Übereinkommen selbst wiederholt durchbrochen. Insbesonders Art. 9 erlaubt es, die Konstituierung und die Verwaltung des „trusts" verschiedenen Rechtsordnungen zu unterstellen; zu den erbrechtlichen und sachenrechtlichen Statuten s. a Fn. 124, 125 zu Art. 4 des Abkommens. 129 Das Haager „trust"-Abkommen findet ζ. B. nur für schriftlich bestätigte „trusts" Anwendung. Abgesehen von dieser wenig relevanten Beschränkung kann der Anwendungsbereich des Abkommens vor allem durch die Einlegung von Vorbehalten gemäß Artt. 21, 22 verkürzt werden (siehe bei Fn. 122). 130 Siehe Fn. 124. 131 Siehe Fn. 125. 132 Siehe dazu § 14 IV. 133 I. d. S. Ballarino, DIP 2, S. 367 und 576. Ballarino verweist darauf, dass Art. 25 I IPRG in seinen Anwendungsbereich auch Unternehmen ohne Verbandscharakter einschließt („privo di natura associativa "). Die gewählte Formulierung des Art. 25 I IPRG sollte jedoch in erster Linie die Einbeziehung von Personengesellschaften (siehe Kindler, in RabelsZ 1997, S. 282, Fn. 330) und Anstalten (Santa Maria, Com., RDIPP, S. 1038, Fn. 6) in den Anwendungsbereich der gesellschaftsrechtlichen Norm sicherstellen. 134 Damascelli, in RDI 1997, S. 90; s. a oben bei Fn. Ill . 135 Benedetteli /, Com., NLCC, S. 1378 f., unter d); s. a. Gebauer, in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 67, Fn. 29. 128
232
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
die Anwendung des Art. 57 IPRG spricht auch der Umstand, dass staatsvertragliches (Artt. 6, 7 Haager ,,trust"-Abkommen) und nationales (Art. 57 IPRG i. V. m. Artt. 3, 4 EVÜ) Kollisionsrecht dadurch am ehesten harmonieren. Im Rahmen des Art. 57 IPRG kann dabei bei der Bestimmung des Rechts mit der engsten Verbindung zum Sachverhalt neben den Auslegungsregeln des Art. 4 EVÜ auf die Kriterien des Art. 7 II des Haager „trust"-Abkommens zurückgegriffen werden. Diese grundsätzliche Einschätzung schließt jedoch nicht aus, dass bei bestimmten Formen des „trusts" die Anwendung des Gesellschaftrechtsstatuts vorzuziehen ist 136 .
h) Art. 1 II h) EVÜ (Beweiserhebung und Verfahren) Der Ausschlusstatbestand des Art. 1 II h) EVÜ ist nach italienischem - und auch deutschem - Recht rein deklaratorischer Natur. Die formelle Beweiserhebung und das Verfahren im Allgemeinen sind dem Verfahrensrecht zuzuordnen und unterliegen deshalb gemäß Art. 12 IPRG der italienischen lex fori. Infolge des Vorbehaltes in Art. 1 II h) EVÜ zugunsten des Art. 14 EVÜ 137 wird die prozessrechtliche lex fori durch die Beweisregelung des Art. 14 II EVÜ ergänzt. Art. 14 I des Römischen Abkommens stellt hingegen klar, dass materielle Beweisregeln dem Vertragsstatut unterliegen.
3. Schenkungsrecht
Als besonders problematisch erweist sich die Einordnung der Schenkungen („donazioni") innerhalb des IPRG. Den Schenkungen hat der italienische Gesetzgeber - anknüpfend an das materielle Recht138 und die bisherige Bestimmung des Art. 24 disp. prel. - eine eigene Bestimmung, ja sogar ein eigenes Kapitel gewidmet (Art. 56 IPRG)139. Schenkungen fallen jedoch grund-
136
Siehe Fn 116. Zum deutschen Recht siehe Art. 32 III EGBGB. 138 Siehe unter a). 139 Die Expertenkommission zum IPRG sah die Einordnung der Schenkungen unter das Vertragsstatut als „non opportuna" an (RDIPP 1989, S. 974 zu Art. 54 [= Art. 56 IPRG] erster Absatz). Im Gegensatz dazu erwähnt Art. 51 II IPRG Schenkungen nicht ausdrücklich; diese fallen vielmehr unter das allgemeine Tatbestandsmerkmal „Vertrag" (Bariatti, Com., 137
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
233
sätzlich auch in den Anwendungsbereich des EVÜ 140 , so dass es zur Kollision zwischen dem Art. 56 IPRG auf der einen Seite sowie dem Römischen Abkommen und dem Art. 57 IPRG auf der anderen Seite kommt.
a) Schenkungen im italienischen Zivilrecht Dem Vorbild desfranzösischen code civil folgend 141 werden Schenkungen im italienischen Zivilrecht in Zusammenhang mit dem Erbrecht gesehen und somit im letzten Titel des zweiten Buches des codice civile zum Erbrecht geregelt (Artt. 769 - 809 c. c.). Diese systematische Einordnung im italienischen Zivilgesetzbuch ist nicht nur historisch bedingt, sondern ist auch Ausdruck des Verständnisses von Schenkungen als vorweggenommene Erbfolge 142. Mit der Zeit hat sich jedoch das Schenkungsrecht vom Erbrecht gelöst und dem Vertragsrecht angenähert143. Auch die Tatsache, dass bereits die disp. prel. neben der erbrechtlichen auch eine eigene schenkungsrechtliche Bestimmung enthielten, ist Ausdruck dieser Entwicklung. Heute ist unstrittig, dass es sich bei Schenkungen um einen besonderen Vertragstyp handelt144, für den auch die Bestimmungen des allgemeinen Schuld- und Vertragsrechts Anwendung finden (Artt. 1173 ff., 1321 ff. c. c. 145 ). Der Vertragscharakter der Schenkungen ergibt sich vor allem aus der Legaldefinition des Art. 769 c. c. („contratto").
NLCC, S. 1358 bei Fn. 78; ebenso Benvenuti , a.a.O., S. 1332 f., bei Fn. 31). Allgemein zu Art. 51 II IPRG siehe unter IV. Zu beachten ist, dass der Ausnahmetatbestand des Art. 23 IV IPRG im Gegensatz zur bisherigen Vorschrift des Art. 17 II disp. prel. Schenkungen nicht mehr erwähnt (siehe dazu 2. a), in Fn. 44). 140 Siehe unten unter b). 141 Zumfranzösischen Schenkungsrecht siehe Hübner-Costantinesco, Einführung in dasfranzösische Recht, 3. Auflage, 1994, S. 172 f. 142 Die Parallele des Erb- und Schenkungsrechts spiegelt sich in den Bestimmungen des Erbrechts zur Anrechnung von Schenkungen (Artt. 552, 555, 559, 560, 562, 563 bzw. 737-751 c. c.) sowie den Parallelen des Schenkungsrechts zum Erbrecht bei der Frage der Anfechtung (Artt. 787, 788 i. V. z. 624, 626 c. c.) und vor allem dem Verbot der Schenkung künftiger Sachen (Art. 771 c. c.) wider; siehe dazu Kindler, Einführung, S. 239, Fn. 34. 143 Siehe auch im Rahmen der Kommentierungen zum IPRG Ballarino, DIP 2, S. 542 oben und Boschiero, Com., RDIPP, S. 1168 zu Art. 56. 144 Trabucchi , Istituzioni, Nr. 407 („contratto speciale"). 145 Siehe vor allem das Konsensualprinzip des Art. 1376 c. c.
234
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG b) Schenkungen i. R. d. EVÜ
Bei den Vorarbeiten zum EVÜ ist anfangs erwogen worden, die Schenkungen vom Anwendungsbereich des Abkommens auszunehmen146. Die Mehrzahl der Delegierten sprach sich jedoch für deren Einbeziehung aus. Schenkungen werden somit als „vertragliche Schuldverhältnisse" i. S. d. Art. 1 I EVÜ vom Abkommen erfasst, sofern sie nicht dem Familien- oder Erbrecht zuzuordnen sind (Art. 1 II b) E V Ü ) 1 4 7 . Die Abgrenzung zu diesen Rechtsgebieten ist wie bei allen Staatsverträgen autonom vorzunehmen (Art. 18 EVÜ) 1 4 8 . Sie erfolgt nach Sachgebieten und nicht in Anknüpfung an die beteiligten Personen, d. h. eine Schenkung unterliegt nicht bereits deshalb dem Familienrecht, weil sie zwischen Familienangehörigen vollzogen wird 1 4 9 . Es muss immer im Einzelfall geklärt werden, ob eine bestimmte Frage des schenkungsrechtlichen Sachverhalts dem Familien- oder Erbrecht zuzuordnen ist oder nicht. Nicht in den Anwendungsbereich des EVÜ fallen 150 somit Schenkungen von Todes wegen 151 und die Frage des Schenkungsverbotes zwischen Ehegatten.
146
Art. 1 II b) des Vorentwurfes von 1972 ( Bericht von Giuliano / Lagarde, in BTDrucks. 10 / 503, S. 42 letzter Absatz). 147 Siehe Giuliano / Lagarde (vorige Fußnote), allgemein zu Art. 1 II b) EVÜ s. o. unter 2. b). 148 Dazu in der italienischen Literatur Ballarino, DIP 2, S. 542 oben; Bariatti, Com., NLCC, S. 1346; Fumagalli , in RDIPP 1993, S. 592 - 595 und CT (Barel), Art. 56,1. 3. Allgemein zur autonomen Auslegung siehe Fn. 33 und § 181. 1. und 2. Auch in der englischen Literatur wird anerkannt, dass „gifts" dem EVÜ unterliegen, obwohl diese im common law mangels „consideration" (Gegenleistung) nicht als Verträge gelten (siehe Dicey & Morris, The Conflict of Laws, Bd. II, 12. Auflage, 1993, S. 1197, bei Fn. 61). In der Schweiz - als Nichtvertragsstaat des EVÜ - unterliegen Schenkungen dem allgemeinen Vertragsstatut gemäß den Artt. 116,117 schweizerisches IPRG (siehe insbesondere Art. 117 III a) schweizerisches IPRG), die den EVÜVorschriften entsprechen (siehe dazu Keller / Kren Kostkiewicz, in Schweiz. IPRGKomm., Art. 117, Rn. 46-51). 149 Siehe Giuliano / Lagarde (Fn. 146) und im Weiteren Fn. 152. 150 Boschiero, Com., RDIPP, S. 1171 erwähnt auch die „Schenkungen in einem Ehevertrag" (ebenso Bariatti, Com., NLCC, S. 1353, bei Fn. 50). Sofern man den Bestandteil eines Ehevertrages als „Schenkung" bezeichnen kann, dürfte klar sein, dass diese der güterrechtlichen Bestimmung des Art. 30 IPRG unterliegt. 151 I. d. S. Bariatti, Com., NLCC, S. 1352 m.w.N. und Fumagalli , in RDIPP 1993, S. 595. Ebenso in der deutschen Literatur für die Anwendung des Erbrechtsstatuts MüKo (Birk), Art. 26, Rn. 154 m.w.N. in Fn. 228, 229; s. a. Nachweise bei Soergel (Schurig), Art. 26, Rn. 44, in Fn. 13, der selbst jedoch im Falle eines deutschen Erbstatuts (und nur dann) die materiellrechtliche Abgrenzung zwischen den §§ 331, 2301 BGB ins Kollisionsrecht übertragen will; differenzierend auch Henrich, in FS Firsching, S. 121 f. je nach dem, ob eine Rechtsfrage vor dem Tod des Versprechenden auftritt (Schenkungsstatut) oder danach (Erbstatut). In der österreichischen Literatur ist die Frage umstritten;
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
235
Abgesehen von der Frage des Schenkungsverbots, die ihren Ursprung im Familienrecht hat, werden Schenkungen zwischen Ehegatten vom EVÜ geregelt 1 5 2 . Ob Schenkungen in Erwartung der Ehe 153 in den Anwendungsbereich des Römischen Abkommens fallen, ist im Rahmen des EVÜ noch nicht abschließend geklärt worden. Nachdem derartige Schenkungen im Hinblick auf eine spätere Ehe erfolgen, scheint es denkbar, sie dem Familienrecht zuzuordnen und gemäß Art. 1 I I b) EVÜ dem Anwendungsbereich des Römischen Abkommens zu entziehen 154 . In einzelnen Rechtssystemen der Mitgliedsstaaten des EVÜ kommt derartigen Schenkungen jedoch kein besonderer Charakter zu, so dass sie als einfache Verträge qualifiziert werden 155 . Die Frage soll an dieser Stelle nicht abschließend untersucht werden. Es ist lediglich festzustellen, dass siehe dazu Schwimann, IPR, S. 92 (schuldrechtlich) und Schwind, IPR, S. 173, Rn. 362 (erbrechtlich bei Schenkungen i. S. d. § 956 S. 1 ABGB und schuldrechtlich bei Schenkungen i. S. d. § 956 S. 2 ABGB). Im Falle des Statutenwechsels durch Änderung der Staatsangehörigkeit des Versprechenden zwischen dem Schenkungsversprechen und seinem Tode wird das Erbstatut zum Zeitpunkt des Versprechens als relevant erachtet (MüKo (Birk), Art. 26, Rn. 156 und Henrich, in FS Firsching, S. 121; ebenso in der italienischen Literatur Ballarino, DIP 2, S. 544). Zu Schenkungen von Todes wegen i. R. d. IPRG siehe c), Fn. 160. 152 Siehe Fn 149; ebenso Bariatti, Com., NLCC, S. 1350 (Fn. 38 m.w.N.); Boschiero, Com., RDIPP, S. 1171; Ballarino, DIP 2, S. 544 f. und CT (Barel), Art. 24
disp. prel., I. 1. (zum alten Recht); a. A. Fumagalli, in RDIPP 1993, S. 595 - 597, der je nach Einzelfall prüfen will, ob eine Schenkung aufgrund des familien- oder erbrechtlichen Verhältnisses erfolgt ist (siehe bei Fn. 16). Zur deutschen Literatur siehe Staudinger (Magnus), Art. 28, Rn. 206 m.w.N.; MüKo (Siehr), Art. 14, Rn. 108 und Soergel (v. Hoff mann), Art. 28, Rn. 161. Ebenso außerhalb des EVÜ in der Schweiz Keller / Kren Kostkiewicz (Fn. 148), Rn. 50.
Art. 781 c. c. hat nach italienischem Recht Schenkungen zwischen Ehegatten ursprünglich verboten. Die Vorschrift wurde jedoch vom italienischen Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt (Corte cost. 27. 6. 1973, η. 91, in Giur. cost. 1973, S. 932). Zu Schenkungsverboten zwischen Ehegatten in anderen Rechtsordnungen siehe Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 1866. Zur Behandlung der Schenkungsverbote i. R. d. IPRG siehe c), Fn. 163. 153 Zum italienischen Recht siehe Art. 785 c. c.; im deutschen Recht ist insofern §1301 BGB zu beachten. 154 I. d. S. Fumagalli, in RDIPP 1993, S. 595. Es erscheint auf den ersten Blick befremdlich, dass Schenkungen zwischen Ehegatten dem EVÜ unterliegen (Fn. 152), während Schenkungen zwischen Verlobten dem Familienrecht zugeordnet werden sollen. Bei Schenkungen in Erwartung der Ehe ist jedoch die Heirat Grundlage der Schenkung, wodurch der familienrechtliche Bezug klar zum Ausdruck kommt. Im Gegensatz dazu ist bei „normalen" Schenkungen zwischen Ehegatten die familienrechtliche Beziehung nicht unbedingt Hauptmotiv für die Schenkung (zu einer Differenzierung siehe Fumagalli in Fn. 152). 155 Siehe Hinweis von Bariatti, Com., NLCC, S. 1351 nach Fn. 43, die sich infolge dessen für eine Anwendung des EVÜ ausspricht, S. 1353, in Fn. 50.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
die Bestimmung des Anwendungsbereiches des gegenüber dem IPRG vorrangigen EVÜ autonom zu erfolgen hat, so dass die Kriterien des italienischen Rechts nicht zu einem abschließenden Ergebnis fuhren 156.
c) Schenkungen i. R. d. IPRG Einigkeit besteht darüber, dass das EVÜ für Schenkungen, die dem Abkommen unterliegen157, also im Rahmen dessen direkten Anwendungsbereiches, dem IPRG vorgeht (Art. 2 I IPRG)158. Italien hat nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich über Art. 23 EVÜ die Anwendung der nationalen IPR-Vorschriften für Schenkungen vorzubehalten159. Im Anwendungsbereich des IPRG stellt sich zum einen die Frage, ob für spezielle Formen von Schenkungen, die eine enge Verbindung zum Familienund Erbrecht aufweisen, auf die IPR-Normen dieser Rechtsgebiete zurückzugreifen ist, zum anderen die Frage, in welchem Verhältnis die Artt. 56, 57 IPRG zueinander stehen. Schenkungen von Todes wegen (sog. „donazioni mortis causa") sollten dem Erbstatut unterstellt werden (Art. 46 IPRG)160. Dies entspricht auch der bisherigen h. M. zu Art. 23 disp. prel. 161. Sofern es nach kollisionsrechtlicher Anknüpfung zur Anwendung italienischen Rechts kommt, ist zu beachten, dass derartige Schenkungen gemäß Art. 458 c. c. nichtig sind162.
156
Zu Schenkungen in Erwartung der Ehe i. R. d. IPRG siehe unter c), bei Fn. 164. Siehe dazu unter b). 158 Für alle Ballarino, DIP 2, S. 542. 159 Zur Diskussion dieser Möglichkeit i. R. d. Vorarbeiten zum IPRG siehe Fumagalli , in RDIPP 1993, S. 603 - 606. 157
160
I. d. S. Bariatti, Com., NLCC, S. 1353 bei Fn. 50; Damascelli, in RDI 1997,
S. 95; Fumagalli, in RDIPP 1993, S. 595 und differenzierend Ballarino, DIP 2, S. 544 (Erbstatut nur für Frage der Zulässigkeit der Schenkung; ähnlich der Schenkung zwischen Ehegatten [siehe b), bei Fn. 152]). A. A. Boschiero, Com., RDIPP, S. 1172, die Art. 56 IPRG für alle Schenkungen anwenden will, die nicht in den Anwendungsbereich des EVÜ fallen. Boschiero schließt aus dem Umstand, dass die Vorschrift ansonsten „unnötig" wäre (siehe Fn. 168), auf die gesetzgeberische Intention, dass auch familienrechtliche und erbrechtliche Schenkungen dem Art. 56 IPRG unterliegen. 161
Vitta, DIP III, S. 210 f. und Ballarino, DIP 1, S. 840; a A. Venturini,
DIP, S. 219.
Zu weiteren Nachweisen siehe CT (Barel), Art. 24 disp. prel., I. 2. 162 Grundlage des Verbots ist der Umstand, dass die Schenkungen von Todes wegen ihrem Wesen nach frei widerruflich sind; dies sei jedoch nicht mit dem Verständnis von der Schenkung als bindenden Vertrag vereinbar (siehe dazu Henrich, in FS Firsching, S. 112, bei Fn. 5). Siehe auch 2. b), Fn. 52 zum allgemeinen Verständnis der letztwilli-
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
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Für die Frage des Schenkungsverbotes zwischen Ehegatten findet die güterrechtliche Bestimmung des Art. 30 IPRG Anwendung 1 6 3 . Dasselbe gilt nach h. M . 1 6 4 für Schenkungen in Erwartung der Ehe (sog. „donazioni obnuziali" oder „donazioni propter nuptias" - Art. 785 c.c.); diese Frage war in der Vergangenheit jedoch umstritten 165 . Aufgrund des staatsvertraglichen Vorrangs des E V Ü kommt es jedoch bei donazioni obnuziali entscheidend darauf an, ob sie dem E V Ü unterliegen 166 . Im Verhältnis der Artt. 56, 57 IPRG zueinander ist der schenkungsrechtlichen Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers und gemäß dem Verständnis der Schenkungen als spezielle Verträge im italienischen Recht Vorrang einzuräumen 167 . Nachdem jedoch das E V Ü in seinem direkten Anwendungsbereich dem IPRG vorgeht und die über Art. 1 I I b) E V Ü vom Anwendungsbereich des E V Ü ausgenommenen Schenkungen des Familien- und Erbrechts weitestgehend speziellen Bestimmungen des IPRG unterliegen, fallt es schwer, für Art. 56 IPRG einen sachlichen Anwendungsbereich zu finden 168. Zur
gen Verfügungen als widerrufbare Handlungen, das im Verbot von Erbverträgen zum Ausdruck kommt (Art. 458 c. c.). Das Verbot der „donazioni mortis causa" fallt nicht in den ordre public des italienischen Rechts (i. d. S. Vitta / Mosconi , Corso 5, S. 286 und Venturini , DIP, S. 218 f. sowie Bariatti, Com., NLCC, S. 1353, m.w.N. in Fn. 51 zum IPRG; a. A. in der Vergangenheit Balladore Ρ altieri, DIP (1974), S. 337 f.). Die Frage der Einordnung derartiger Schenkungen kann sich somit bei der Anwendung einer ausländischen lex causae stellen (zu einer rechtsvergleichenden Übersicht siehe Henrich, a.a.O., S. 111115). 163
I. d. S. Ballarino, DIP 2, S. 544 f.; a Α. Boschiero (Fn 160). Zum Ausschluss aus
dem Anwendungsbereich des EVÜ siehe b), Fn. 152. 164
Fumagalli , in RDIPP 1993, S. 595; CT (Barel), Art. 56,1. 3. Ende; Damascelli, in
RDI 1997, S. 95 und Bariatti, Com., NLCC, S. 1353, bei Fn. 50, die jedoch - abgesehen von dieser Diskussion in Italien - in erster Linie für eine Anwendung des EVÜ plädiert (Fn. 155); a Α. Boschiero (Fn. 160). Ebenso im bisherigen Recht (s. a nächste Fußnote) gegen das allgemeine Schenkungsstatut (Art. 24 disp. prel.) Vitta, DIP III, S. 211 f. Die Rechtsprechung hat eine Verbindung der donazioni obnuziali zum Familienrecht insofern bejaht, als sie zwar nicht infolge der Scheidung aber infolge der Nichtigkeit einer Ehe auch von der Nichtigkeit der Schenkung ausgegangen ist; siehe erstmals Cass. 13.3. 1976, n. 904, in Foro it. 1976,1., S. 946 (weitere Nachweise bei Bariatti, aaO., in Fn. 42). 165 Für die Anwendung des Schenkungsrechts Venturini, DIP, S. 218, Fn. 1; zu den Literaturmeinungen i. R. d. disp. prel. s. a CT (Barel), Art. 24 disp. prel., I. 2. 166 Siehe oben unter b), Ende. 167
Ausdrücklich Boschiero (Fn. 160); Damascelli, in RDI 1997, S. 94; For lati
Picchio, in Convegno di Crotone, S. 118; Pocar , in SIDI, S. 242, Fn. 29 und ders., in IPRax 1997, S. 156, Nr. 3 Ende. 168 Ebenso Villani, Com., Corr. giur., S. 1251 und Maglio / Thorn, in ZVglRWiss 1997, S. 375, Nr. V. 2. Ende; s. a die Begründung von Boschiero in Fn. 160 für den Vorrang des Art. 56 IPRG gegenüber den Artt. 30, 46 IPRG. Auch Vitta spricht schon i. R. d. bisherigen Rechts nach Inkrafttreten des EVÜ im Jahre 1991 davon, dass das
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Begründung eines Anwendungsbereiches verweist die Literatur auf die seltenen Fälle einseitiger Rechtsgeschäfte schenkungsrechtlicher Natur 1 6 9 . Ein realer Anwendungsbereich verbleibt dem Art. 56 IPRG lediglich in zeitlicher Hinsicht. Dies ergibt sich daraus, dass Art. 72 I IPRG - über die staatsvertragliche Vorschrift des Art. 17 E V Ü hinaus - das IPRG auch für Verträge zur Anwendung beruft, die vor dem 1. 4. 1991 (Inkrafttreten des EVÜ) geschlossen worden sind, sofern es nach dem Inkrafttreten des IPRG (1.9. 1995) zu einem Verfahren in dieser vertraglichen Angelegenheit kommt (Art. 72 I 1. Hs. IPRG) und keine „situazione esaurita" (Art. 72 I 2. Hs. IPRG) vorliegt 1 7 0 .
Abkommen dem Art. 24 disp. prel. seinen Anwendungsbereich nimmt („per cosi dire svuotata dalla Convenzione di Roma"). Theoretisch ließen sich Fälle denken, in denen aufgrund der autonomen Auslegung des EVÜ bestimmte Schenkungen gemäß Art. 1 II b) EVÜ nicht in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen, während die italienische Dogmatik sie infolge entgegengesetzter Auslegung nicht dem Familien- oder Erbrecht, sondern dem allgemeinen Schuldstatut unterstellt. Bei Berücksichtigung der Interferenzen zwischen europäischem und nationalem Kollisionsrecht ist diese Überlegung jedoch wohl eher theoretischer Natur; s. a. bei Fn. 34 zum Begriff des „Vertrages" nach dem EVÜ und dem italienischen Recht. 169 Bariatti, Com., NLCC, S. 1352 f. spricht dabei vom einseitigen Schenkungsversprechen („donazione promissoria") und vom Schenkungsverzicht („rinunzia abdicati va"). Auch Boschiero, Com., RDIPP, S. 1170 unten und S. 1172 unten sowie Fumagalli in RDIPP 1993, S. 594 erwähnen in diesem Zusammenhang „Schenkungen ohne vertraglichen Charakter" ohne Beispiele zu nennen. Als Ausnahme vom vertraglichen Charakter der Schenkungen (Art. 769 c. c.) sieht das Gesetz lediglich die sog. donazioni obnuziali vor (Art. 785 I c. c. ["siperfeziona
senza bisogno che sia accettata"]); diese
fallen jedoch nach h. M. ohnehin in den Anwendungsbereich des Art. 30 IPRG (siehe bei Fn. 164). Bei Schenkungsversprechen war nach bisherigem Recht umstritten, ob diese dem Schenkungs- (Art. 24 disp. prel.) oder dem Vertragsstatut (Art. 25 I disp. prel.) unterliegen. Im Anschluss an eine frühe Entscheidung des Trib. Torino 27. 7. 1948, in Giur. it. 1949, I. 2., S. 273 (zitiert nach Vitta, DIP III, S. 206, Fn. 315), in der Schenkungsversprechen als ein gegenüber „normalen" Schenkungen eigenständiges Rechtsinstitut eingestuft wurden, die nicht dem allgemeinen Schenkungsstatut (Art. 24 disp. prel.), sondern Art. 25 I disp. prel. zuzuordnen sind, blieb diese Frage in der Literatur umstritten (Vitta, a.a.O.; Mengozzi, DIPI, S. 148 f. und Balladore Pallien, DIP (1974), S. 337;
s. a. Nachweise bei Bariatti, Com., NLCC, S. 1348, in Fn. 28). Unabhängig von dieser Diskussion i. R. d. disp. prel. können jedoch Schenkungsversprechen nur dann nichtvertraglicher Natur sein, wenn sie einseitig erklärt werden und nicht Bestandteil eines (Vor-)Vertrages sind. In diesem Fall entfalten sie keine Bindungswirkung (siehe Art. 1987 c. c. zur Unverbindlichkeit von einseitigen Versprechen im Allgemeinen und Cass. 18. 12. 1975, n. 4153, in Giust. civ. 1976,1, S. 726 zu Schenkungsversprechen im Speziellen). Das Versprechen steht in diesem Fall lediglich als „Absichtserklärung" im Raum. Die Anwendung des Art. 56 IPRG kommt nur in diesen wohl seltenen Fällen in Frage (siehe dazu Bariatti, Com., NLCC, S. 1348, Nr. 4 Ende). Art. 56 IPRG müsste insoweit dem Art. 58 IPRG („promessa unilaterale") als Spezialvorschrift vorgehen (differenzierend jedoch Bariatti, a.a.O.). 170 Siehe dazu § 11 II. 2. b) und i. E. zu Art. 72 IPRG unter § 6 II.
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
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Nur in diesen - wohl seltenen - Fällen dürfte dem Art. 56 IPRG infolge seines Vorranges vor Art. 57 IPRG ein Anwendungsbereich verbleiben. Kollisionsrechtlich wirkt sich der Regelfall der Anwendung des EVÜ anstelle des Art. 56 IPRG insofern aus, als in Art. 3 EVÜ im Gegensatz zu Art. 56 II IPRG die Rechtswahlmöglichkeit nicht eingeschränkt ist und es mangels Rechtswahl gemäß Art. 4 I, II EVÜ zu einer Schwerpunktbetrachtung kommt und nicht wie in Art. 56 I IPRG auf das Heimatrecht des Schenkers abgestellt wird. Im Hinblick auf die Formwirksamkeit der Schenkung ergeben sich dem Grunde nach keine Abweichungen, da sowohl Art. 9 EVÜ 171 als auch Art. 56 III IPRG alternativ die lex causae oder das Ortsrecht zur Anwendung beruft 172; Unterschiede ergeben sich lediglich durch die unterschiedliche lex causae.
IV. Verfügungsgeschäfte Aus sachenrechtlicher Sicht ist im Rahmen des internationalen Vertragsrechts Art. 51 II IPRG zu beachten. Die Vorschrift bestimmt, dass der Erwerb und der Verlust von dinglichen Rechten zwar grundsätzlich der sachenrechtlichen lex rei sitae gemäß Art. 51 I IPRG unterliegt, dies soll jedoch unter anderem dann nicht gelten, wenn der dingliche Rechtserwerb von einem Vertrag abhängt. Zur Anwendung kommt insofern das Vertragsstatut des Art. 57 IPRG. Art. 51 II IPRG scheint auf den ersten Blick - dem materiellen Konsensualprinzip des italienischen Rechts folgend (Art. 1376 c. c.) - bei der Erfüllung von Verträgen vollständig auf die Anwendung der sachenrechtlichen lex rei sitae zu verzichten. Die Gesetzesmaterialien erklären hingegen, dass durch die Bestimmung die bisherigen kollisionsrechtlichen Grundsätze von Rechtsprechung und Literatur zur Abgrenzung von Vertrags- und Sachenrechtsstatut bestätigt werden sollen173. Demzufolge regelt das Vertragsstatut das Zustandekommen und die Wirkung des Verpflichtungsvertrages, während das Sachenrechtsstatut die dinglichen Folgen dieser Vereinbarung festlegt 174. Das italieni171
Zur Anwendung des Art. 9 EVÜ i. R. d. Art. 57 IPRG siehe § 11 II. 2. f), in
Fn. 143. 172 Nachdem Art. 13 II b) IPRG bei Form vor schritten den Renvoi ausschließt, kommt in beiden Fällen das jeweilige Sachrecht zur Anwendung; zu den Sachrechts Verweisungen in Staatsverträgen siehe § 11 II. 2. e), Fn. 118. 173 Siehe dazu den Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 972 zu Art. 49 (= Art. 51 IPRG), Absatz III. 174 Siehe dazu in der Vergangenheit Cass. 1. 10. 1980, n. 5338, in RDIPP 1981, S. 928 = Foro it. 1981,1., Sp. 1608 und Cass. 21. 2. 1956, n. 488, in Giust. civ. 1956,1., S. 1065 sowie in der Literatur Vitta, DIP III; S. 37 m.w.N. in Fn. 93 und Ballarino, DIP 1,S. 834 f.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
sehe IPR geht somit - entgegen den Grundsätzen des eigenen materiellen Rechts - von einer Trennung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft aus. Dieses Verständnis ist dem Art. 51 II IPRG leider nur schwerlich zu entnehmen. Die Vorschrift wird jedoch allgemein im Sinne der bisherigen Rechtslage verstanden175. Dieses Ergebnis harmoniert in jedem Fall mit den kollisionsrechtlichen Grundsätzen der Rechtsordnungen, die ebenso wie das italienische Recht materiell kein Trennungsprinzip kennen176. Das Konsensualprinzip kommt nur dann zum Tragen, wenn dieses im materiellen Recht des Belegenheitsstaates verankert ist (Art. 51 I IPRG), da das Sachenrechtsstatut über die Frage des Eigentumsübergangs entscheidet.
V. Zusammenfassung Der sachliche Anwendungsbereich des EVÜ wird durch den Art. 57 IPRG auf die Frage des Zustandekommens und der Wirksamkeit von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen erweitert 177. Dasselbe gilt für sog. „inter vivos trusts", sofern diese nicht ausnahmsweise als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren sind. Für die Anwendung des Art. 57 IPRG auf derartige „trusts" bleibt jedoch nur ein sehr begrenzter Spielraum, da in Italien vorrangig das Haager „trust"-Übereinkommen von 1985 zu beachten ist 178 . Für das Schenkungsrecht wirkt der Hinweis des Art. 57 IPRG nur deklaratorisch, d. h. Schenkungen fallen nur im Rahmen des direkten Anwendungsbereiches des EVÜ unter das Abkommen. Darüber hinaus gelten die besonderen Vorschriften des Familien- und Erbrechts (Artt. 46,30 IPRG). Die Bestimmung des Art. 56 IPRG kommt nur dann zur Anwendung, wenn man schenkungsrechtlichen Rechtsgeschäften ausnahmsweise keinen Vertragscharakter zubilligt bzw. in zeitlicher Hinsicht über Art. 72 IPRG179.
175 1, d. S. Ballarino, DIP 2, S. 554 f., Luzzatto, Com., RDIPP, S. 1154 und Adam,, Com., Corr. giur., S. 1252. Siehe auch Pocar, in IPRax 1997, S. 156 r. Sp.; Maglio / Thorn , in ZVglRWiss 1997, S. 369 f. m.w.N. und der Hinweis von Jayme / Geckler, in EPRax 1996, S. 372 zu einem Beitrag Carbones auf dem Gründungstag der SIDI. 176 Siehe Hinweise bei Maglio / Thorn, , in ZVglRWiss 1997, S. 369, in Fn. 120 zu Frankreich, Belgien und Spanien. 177 Siehe III. 2. d). 178 Siehe III. 2. g). 179 Siehe III. 3. c).
§ 14 Art. 57 IPRG (Vertragliche Schuldverhältnisse)
241
Eine entsprechende Erweiterung des zeitlichen Anwendungsbereichs des Abkommens bewirkt Art. 72 I IPRG über die Grenzen des Art. 17 EVÜ hinaus180.
180
Siehe allgemein § 11 II. 2. b) und hier unter III. 3. c), bei Fn. 170.
§ 15 A r t . 59 I P R G (Wertpapierrecht)
I. Die Neuregelung des A r t 59 IPRG
M i t Art. 59 IPRG erhält das italienische IPR erstmalig 1 eine eigenständige Regelung zum Wertpapierrecht („titolo di credito") 2 . Die Bestimmung behandelt die „handelbaren" Wertpapiere, die Art. 1 I I c) E V Ü vom Anwendungsbereich des EVÜ ausschließt3. Sie findet nur für Verpflichtungen Anwendung, die sich aus der Handelbarkeit der Papiere ergeben. Für Wechsel4 und Schecks (l'assegno) erklärt Art. 59 I IPRG 5 die „Genfer Übereinkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Wechsel- (W) bzw. Scheckprivatrechts (S)" vom 7. 6. 1930 bzw. 19. 3. 19316 für „auf jeden Fall" („in ogni caso") anwendbar. Die Bedeutung der „ i n ogni
1
Zum bisherigen Recht siehe unter III. Neben dem italienischen IPRG finden sich spezielle wertpapierrechtliche Vorschriften im rumänischen IPRG (Artt. 57 - 59 [Wertpapiere allgemein] und Artt. 127 - 138 [Wechsel und Scheck]), im schweizerischen IPRG (Art. 106 zu Warenpapieren), in § 28 der ungarischen IPR-VO und in Art. 10 III des spanischen codigo civil. Allgemein zu den IPR-Gesetzen siehe in Anhang I. 3 Siehe § 14 III. 2. c); zum deutschen IPR siehe Art. 37 Nr. 1 EGBGB. Ein ähnlicher Ausschlusstatbestand findet sich in den internationalen Abkommen zum einheitlichen Kaufrecht (siehe VI. 2. a), in Fn. 199). 4 Art. 59 I IPRG erwähnt sowohl gezogene Wechsel (la cambiale) als auch Eigenwechsel (il vaglia cambiario). 5 Im Einzelnen dazu unter V. 6 Wechselrecht: r. d. 1. 25. 8. 1932, n. 1130, in Gazz. Uff. 16. 9. 1932, n. 215, umgewandelt durch legge 22. 12. 1932, n. 1946. Scheckrecht: r. d. 1. 24. 8. 1933, n. 1077, in Gazz. Uff. 29. 8. 1933, n. 200, umgewandelt durch legge 4. 1. 1934, n. 61. Allgemein zur Umwandlung der decreti leggi in formelle Gesetze siehe § 6 I. 2., Fn. 4. Zur amtlichen deutschen Übersetzung (authentisch sind nur derfranzösische und der englische Text) siehe RGBl. 1933 II, S. 444 (W) und 594 (S); auch abgedruckt in Baumbach / Hefermehl, WG / SchG, S. 470 (W), und 694 (S) sowie in Staudinger (Firsching), 11. Auflage, 1978, vor Art. 12 EGBGB, Rn. 593 (W) und 595 (S). Die Übereinkommen sind am 1. 1. 1934 allgemein und auch für Italien in Kraft getreten (RGBl. 1933 II, S. 974 (W) und 975 (S)). 2
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
243
caso"-Formel wird durch Art. 59 II IPRG klargestellt. Durch die Neuregelung kommen die Abkommen nunmehr auch in Italien allseitig zur Anwendung7. Materiellrechtlich sind die Genfer Übereinkommen zum einheitlichen Wechsel- und Scheckgesetz vom 7. 6. 1930 bzw. 19. 3. 1931 sowie die Übereinkommen über das Verhältnis der Stempelgesetze zum Wechsel- bzw. Scheckrecht vom 22. 6. 1933 im italienischen Wechsel- (legge sulla cambiale 1. camb.) bzw. Scheckgesetz (legge sull'assegno - 1. ass.) umgesetzt worden8. Das von UNICITRAL ausgearbeitete New Yorker UN-Übereinkommen über internationale gezogene Wechsel und internationale Eigenwechsel vom 9. 12. 1988 ist im Gegensatz dazu noch nicht in Kraft getreten9. Die sonstigen „handelbaren"10 Wertpapiere unterliegen gemäß Art. 59 III IPRG 11 dem Ortsrecht ihrer Emission12 (Hauptverpflichtungen) bzw. ihrer Ausstellung (Nebenverpflichtungen). Im italienischen materiellen Recht sind diese Papiere in den allgemeinen Vorschriften des codice civile über Wertpapiere geregelt (Artt. 1992 - 2027 c. c.)13. Das IPRG folgt somit weitestgehend dem Reform Vorschlag von Vitta (Art. 51 „progetto Vitta" 14 ). Im Gegensatz zu Art. 59 III IPRG knüpfte Vitta
7
Siehe unter V., insbesondere V. 1. c) aa). Wechselgesetz: r. d. 14. 12. 1933, n. 1669, in Gazz. Uff. 19. 12. 1933, n. 292; Scheckgesetz: r. d. 21. 12. 1933, n. 1736, in Gazz. Uff. 29. 12. 1933, n. 300. Die Übereinkommen über das Verhältnis der Stempelgesetze zum Wechsel- / Scheckrecht, bei denen lediglich der Art. 1 von sachlicher Bedeutung ist, wurden in Form von „abgabenrechtlichen Bestimmungen" in das Wechsel- und Scheckrecht integriert (Artt. 104, 105 1. camb. bzw. 118, 119 1. ass.; s. a. V. 3., bei Fn. 186 zu Art. 104 I 2 1. camb. / Art. 118 I 2 1. ass.). Zu einer deutschen Übersetzung der Gesetze siehe Bauer u. a., NebG, Vili. 1. (1. camb.) und VIII. 2. (1. ass.). 9 Das Abkommen soll ein für den internationalen Verkehr bestimmtes neues Wertpapier schaffen; siehe dazu im Einzelnen Carsten Schütz, Die UNICITRAL-Konvention über Internationale Gezogene Wechsel und Internationale Eigenwechsel vom 9. Dezember 1988, Berlin 1992 sowie Liesecke, Der internationale Wechsel, in WM 1973, S. 442 - 459 und Morawitz, IntWechsR, S. 28 und 41 - 44. Der Kommissionsbericht zum italienischen IPRG weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass ein Inkraftsetzen des UNICITRAL-Abkommens evtl. eine Revision der Genfer Kollisionsabkommen erfordern würde; siehe RDIPP 1989, S. 980 oben zu Art. 61 (= Art. 59 IPRG). 10 I. E. zur Frage der „Handelbarkeit" siehe unter VI. 2. 11 I. E. dazu siehe VI. 12 Siehe II., Fn. 20 zur „Emissionstheorie" und VI. 3. zur strittigen Frage des Anknüpfungspunktes von Art. 59 III 1 IPRG. 13 Zu den Vorschriften siehe unter II., Anfang und VI. 2. c). 14 Vitta, in Problemi, S. 273 (Text) und S. 210 - 213 (Begründung). 8
244
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
jedoch bei den „sonstigen Wertpapieren" an den Ort der Unterschrift an (Art. 51 I „progetto Vitta") 15 .
II. Die Rechtsnatur der Wertpapiere nach italienischem und deutschem Recht Der italienische codice civile regelt das allgemeine Wertpapierrecht in einem eigenen Titel des Schuldrechts (Artt. 1992 - 2027 c. c.). Die Materie wird als eigenständiges Rechtsgebiet bezeichnet16, die systematische Stellung der Vorschriften macht jedoch deren Nähe zu den einseitigen Rechtsgeschäften deutlich 17 . Diesem Verständnis hat sich die zivilrechtliche Literatur auch in der Sache angeschlossen. Der Begründungstatbestand einer wertpapierrechtlichen Verpflichtung stellt somit keinen Vertrag oder den Rechtsschein eines Vertrages dar wie im deutschem Recht18, sondern ein einseitiges Rechtsgeschäft des Ausstellers19. Umstritten war lediglich, ob die wertpapierrechtliche Erklärung bereits durch die Ausstellung eines Wertpapiers („teoria della creazione") oder erst durch dessen Ausgabe („teoria della emissione") vollendet wird 20. Diese Frage war vor allem im Rahmen des IPR von Bedeutung, da die anzuwendende 15
Siehe unter II. und III. zur „Kreationstheorie". Systematisch hat Vitta diese Regelung, die im IPRG als „Auffangtatbestand" ausgestaltet ist (Art. 59 III IPRG), als allgemeinen Grundsatz vorangestellt. Darüber hinaus erwähnte Vitta im Rahmen seiner Hinweise auf die Genfer IPR-Abkommen (siehe Art. 51 II, III „progetto Vitta") ausdrücklich die Artt. 10 (W) und 9 (S), deren Beschränkung aufgehoben werden sollte, während Art. 59 II IPRG die entsprechenden Tatbestände der Vorschriften anfuhrt (siehe dazu unter V. 1.). In seinem früheren Entwurf von 1968 (siehe § 1, Fn. 10) hat Vitta noch von einem Hinweis auf die Genfer Abkommen abgesehen und in den Artt. 24 - 26 des Entwurfes (siehe Prospettive, S. 265 f.) Wertpapiere im Allgemeinen dem Recht des Unterschriftsortes (Art. 24) sowie im Speziellen Wechsel dem Recht des Zahlungs- bzw. Unterschriftsortes (Art. 25) und Schecks dem Recht des Zahlungsortes (Art. 26) unterstellt. 16 Siehe auch Trabucchi , Istituzioni, § 220, S. 541 im „Kleingedruckten" („una distinta fonte di obbligazioni "). 17 Die Artt. 1992 - 2027 c. c. (V. Titel des vierten Buches des codice civile) befinden sich außerhalb des Vertragsrechts (II. und III. Titel des vierten Buches) und regeln die Wertpapiere im Anschluss an einseitige Rechtsgeschäfte (Artt. 1987 - 1991 c. c. IV. Titel des 4. Buches). Dementsprechend wurden sie auch im Rahmen des IPR nicht vertraglich qualifiziert; siehe dazu unter III., insbesondere in Fn. 37 zum Verhältnis der Artt. 58, 59 IPRG. 18 Siehe im Folgenden zum deutschem Recht. 19 SB (Fiorentino) Art. 1992 - 2002, S. 19 - 27 (Nr. 10-12), insbesondere S. 25 27 (Nr. 12) mit umfangreichen Nachweisen. 20 Fiorentino (vorige Fußnote), S. 25 - 27 (Nr. 13) m.w.N., der sich selbst für die Kreationstheorie ausspricht.
§15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
245
Kollisionsnorm des Art. 25 II disp. prel. (außervertragliche Schuldverhältnisse) das Ortsrecht des Begründungstatbestandes zur Anwendung berufen hat21. Anders als im italienischen Recht verstehen die Rechtsordnungen der meisten anderen europäischen Länder einschließlich der common law Staaten Wertpapiere als vertragliche Schuldverhältnisse22. Dies gilt auch für das deutsche Recht. Zur Begründung von wertpapierrechtlichen Verpflichtungen bedarf es nach h. M. in der deutschen Literatur neben dem einseitigen Ausstellungsakt (Skriptur) auch eines Vertrages zwischen dem Aussteller und dem Nehmer des Papiers (sog. Begebungsvertrag23 - Vertragstheorie) oder zumindest eines zurechenbar veranlassten Rechtsscheins eines solchen Vertrages (Rechtsscheintheorie) 24. Die Kreationstheorie in ihrer reinen Form (Verpflichtung durch Ausstellung des Wertpapieres) wird nicht mehr vertreten. Durch die Weiterentwicklung der Vertragstheorie zur Rechtsscheintheorie und der Kreationstheorie25 haben sich die Wertpapierrechtstheorien im deutschen Recht weitestgehend angenähert. Insofern gilt es als unstrittig, dass eine wertpapierrechtliche Verpflichtung neben der Skriptur auch einer (vertraglichen) Begebung oder eines dementsprechenden Rechtsscheines bedarf, unabhängig davon, ob man erst darin den eigentlichen Verpflichtungstatbestand sieht (Vertragstheorie) oder von einem mehrstufigen Entstehungstatbestand spricht26. Im Ergebnis geht es bei dieser Diskussion um die Frage, in welcher Handlung der Schwerpunkt des Verpflichtungstatbestandes (Skriptur oder Begebung) liegt. Materiellrechtlich kann dies zumeist dahingestellt bleiben27. Im Bereich des IPR ist diese Frage
21
Zu diesem Streit siehe Vitta, DIP, III, S. 453 f. und ders., in Problemi, S. 211 (m.w.N. in Fn. 301 auf S. 258); s. a Celle, Com., NLCC, S. 1398, bei Fn. 3, 4. Im Einzelnen dazu unter III., Fn. 39. 22 Daraufhinweisend Ballarino, DIP 2, S. 714 bzw. 723 f. und Malatesta, in RDIPP 1992, S. 888 f. zum englischen Recht; s. a Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 153. Auch der Bericht von Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 43 zum EVÜ weist auf die unterschiedliche rechtliche Behandlung der Wertpapiere innerhalb der Gemeinschaft hin (s. a § 14 III. 2. c), Fn. 55). 23 Der Vertrag stellt zugleich das dementsprechende Verfügungsgeschäft dar und ist insofern zweiteilig (Baumbach/Hefermehl, WG / SchG, Einl. WG, Rn. 28). 24 So die h. M. in Deutschland (Baumbach/ Hefermehl, WG / SchG, WPR, Rn. 25 30 und Einl. WG, Rn. 27 m.w.N. sowie Einl. SchG, Rn.16). 25 Ulmer, in FS Raiser, S. 236 als Vertreter der Kreationstheorie erkennt an, dass die Skriptur allein noch keine Verpflichtung begründet und insofern ein „mehrgliedriges Rechtsgeschäft" notwendig ist. Baumbach / Hefermehl, WG / SchG, WPR, Rn. 26 erwähnen zudem die Emissions-, Eigentums- und Redlichkeitstheorie als Formen der Kreationstheorie. 26 Ulmer (vorige Fußnote); ebenso MüKo (Hüffer), vor § 793, Rn. 29, der darin jedoch keine Ausformung der Kreationstheorie sieht. 27 Für eine Übersicht zu den Wertpapierrechtstheorien in der neueren deutschen Literatur siehe Baumbach / Hefermehl (Fn. 24); Gursky, Wertpapierrecht, 2. Auflage, 1997, S. 15 - 20 und MüKo (Hüffer), vor § 793 BGB, 3. Auflage, 1997, Rn. 22 - 29.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
jedoch bei der Suche nach dem relevanten Anknüpfungspunkt von Bedeutung, sofern man wie Art. 25 I disp. prel. auf den Ort der schuldrechtlichen Verpflichtung abstellt. Im Rahmen des Kollisionsrechts geht es nämlich weniger um den Zeitpunkt der Entstehung der schuldrechtlichen Verpflichtung 28 als vielmehr um eine Schwerpunktsbetrachtung29.
III. Die Wertpapiere im italienischen IPR nach bisherigem Recht Die seit dem 1.1. 1934 in Italien in Kraft befindlichen Genfer IPR-Abkommen waren zwar im Verhältnis zu den bisherigen Regelungen der disp. prel. des codice civile vorrangig zu beachten30, neben den Staatsverträgen verblieb jedoch auch dem nationalen italienischen IPR ein erheblicher Anwendungsbereich. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Konventionen bei weitem nicht alle kollisionsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Wechseln und Schecks abdecken31. Auch die englischen und französischen Originaltitel der Abkommen32 machen dies deutlich. An diesem Umstand hat sich durch den „in ogni caso"-Hinweis des Art. 59 I IPRG selbstverständlich nichts geändert. Es gelten dabei dieselben Grundsätze wie im deutschen IPR. Zum anderen kam den Genfer Übereinkommen nach bisherigem Verständnis in Italien - im Gegensatz zum deutschen Recht - keine allseitige Wirkung zu. Nach h. M. haben nämlich die Artt. 10 (W), 9 (S) die Anwendung der konventionalen Regelungen vor Inkrafttreten des IPRG räumlich und „hinsichtlich der Staaten" beschränkt33. Die disp. prel. hatten insofern auch die dadurch entstehenden Regelungslücken zu schließen.
28 Zur Begründung der Kreationstheorie wird jedoch zumeist auch auf die Anknüpfungen der Genfer IPR-Abkommen (siehe III., Fn. 41) verwiesen (siehe Ulmer und Hüffer unter Fn. 26). 29 Zur akzessorischen Anknüpfung im deutschem IPR an das verbriefte Recht siehe VI., Fn. 193. 30 Siehe § 9 zum Vorrang von Staatsverträge. 31 Zu den einzelnen Rechtsverhältnissen im Wertpapierrecht siehe unter IV. 32 Zum Wechselrecht: „Convention for the settlement of Certain Conflicts of Law in Connection with Bills of Exchange and Promissory Notes" bzw. „Convention destinée à régler certains conflicts en matière de lettres de change et de billets à orde" (siehe Nations-Journal Officiel 1930 II, 2, S. 1042 f.; zitiert nach Morawitz, IntWechsR, S. 18, Fn. 46). 33 Im Einzelnen dazu siehe V. 1. b) aa).
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
247
Neben Wechseln und Schecks kam das nationale Recht für sonstige Wertpapiere uneingeschränkt zur Anwendung. Für vertragliche Rechtsverhältnisse im Wertpapierrecht gilt jedoch seit dem 1. 4. 1991 das E V Ü 3 4 . Das italienische IPR hat Wertpapiere als einseitige Rechtsgeschäfte qualifiziert 35 . Im Gegensatz zum deutschen IPR 3 6 hat man daraus die Anwendbarkeit des Art. 25 II disp. prel. (außervertragliche Schuldverhältnisse) abgeleitet 37 . Bei der Frage nach der rechtsbegründenden Handlung i. S. d. Vorschrift 38 hat sich die Literatur 39 für den Ort der „creazione" („Kreationstheorie"), d. h. den Ort der Ausstellung ausgesprochen. Daran anschließend entschied sich auch Vitta in Art. 51 I seines „progettos" fur den Ort der Unterschrift (= Ausstellungsort) als Anknüpfungspunkt 40 . Dieser Grundsatz korrespondiert auch mit der Mehrzahl der Kollisionsnormen der Genfer IPR-Abkommen 41 . Im Gegensatz dazu 34 Siehe IV. 1. zu den Kausalverhältnissen im Wertpapierrecht und speziell VII. zu den nicht handelbaren Wertpapieren. Zum Inkrafttreten des EVÜ siehe unter § 14 I. 35 Siehe auch IL, bei Fn. 17 zum materiellen Recht. 36 Innerhalb des deutschen IPR unterliegen einseitige Rechtsverhältnisse dem Vertragsstatut; siehe dazu Soergel (v. Hoffmann), Art. 28, Rn. 24 bzw. 521 f. und Staudinger (Magnus), Art. 28, Rn. 74 und Rn. 598 zur Auslobung. Ebenfalls Keller / Kren-Kostkiewicz, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 117, Rn. 128. 37 In der Literatur war dies unstrittig: Vitta, DIP III, S. 452; Balladore Pallien, DIP (1974), S. 343; Ballarino, DIP 1, S. 951 bzw. 960; Venturini , DIP, S. 265; Monaco , L'efficacia 2, S. 320 und Arangio-Ruiz, La cambiale, S. 131 - 146. Lediglich die Rechtsprechung entschied sich anfangs für eine vertragliche Qualifikation (Art. 25 I disp. prel.): Cass. 29. 1. 1964, n. 237, in RDI 1964, S. 644 und weitere Nachweise zur früheren Rechtsprechung bei Vitta, DIP III, S. 454, in Fn. 39. I. R. d. IPRG handelt es sich bei Art. 59 IPRG insofern systematisch gesehen um eine Spezialvorschrift zu Art. 58 IPRG („promessa unilaterale"); s. a. VI. 3., Fn. 241 zur parallelen Anknüpfung der Artt. 58, 59 III 1 IPRG. Der Aufbau des codice civile (siehe IL, Fn. 17) setzt sich insofern in dem neuen IPR-Gesetz fort. Dies wird durch Vittas Entwurf von 1968 (siehe § 1, Fn. 10) unterstrichen, der in einem eigenen Kapitel zu den einseitigen Rechtsgeschäften auch die Wertpapiere geregelt hat (Art. 24 - siehe Prospettive, S. 265). 38 Siehe II, bei Fn. 21. 39 Vitta, DIP III, 453 f.; Ballarino, DIP 1, S. 960 und Balladore Pallien, DIP (1974), S. 343 sowie weitere Nachweise bei Celle, Com., NLCC, S. 1398, Fn. 3. Ebenso in der jüngeren Rechtsprechung App. Mil. 5. 3. 1996, in RDIPP 1996, S. 343 (siehe hingegen Fn. 57 zur früheren Rechtsprechung). Zur Kreationstheorie s. a. IL, in Fn. 20 zu Fiorentino im materiellen Recht. 40 Siehe I., Fn. 15. 41 Siehe Artt. 2 II, 3 I, II, 4 II, 5, 6 (W) und Artt. 2 II, 3 II, 4 I, II, 5, 6 (S) zur Anknüpfung an den Ort der Unterschrift / Ausstellung („sottoscrizione" / „creazione"). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der italienische Text des Art. 6 (W) auf die Emission des Wechsels als Grundlage für den Erwerb der Kausalforderung verweist („ ... acquista il credito che ha dato luogo all 1emissione del titolo. " - zum italienischen Text siehe CT (Barel), Art. 59, S. 82). Die entsprechende Vorschrift des deutschen Rechts (Art. 95 WechselG) spricht hingegen bei der Grundforderung zum Wechsel von der „seiner Ausstellung zugrunde liegenden Forderung". Der Formulierung der
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
beruft der „Auffangtatbestand" des Art. 59 III 1 IPRG das Recht des Ausgabeortes (Emission) zur Anwendung42. Subsidiär zu den Genfer IPR-Abkommen (Artt. 2, 3 (W), 2, 4 (S)43) haben die Artt. 17, 26 disp. prel. die Fragen der Rechtsfähigkeit und der Form Wirksamkeit von wertpapierrechtlichen Erklärungen geregelt44. Da die Staatsverträge die sachenrechtlichen Probleme des Eigentums und des Besitzes an Wertpapieren nicht behandeln, kam zudem Art. 22 disp. prel. zur Anwendung45. Unabhängig von den besonderen wertpapierrechtlichen Rechtsverhältnissen waren die zugrunde liegenden Kausalverhältnisse rechtlich einzuordnen und entsprechend anzuknüpfen 46. Auf die einzelnen Rechtsverhältnisse soll im Folgenden im Zusammenhang mit dem aktuellen Recht näher eingegangen werden.
IV. Die Rechtsverhältnisse im Wertpapierrecht (Wertpapiere betreffende Bestimmungen des IPRG neben dem Art. 59 IPRG) Der Art. 59 IPRG regelt im Allgemeinen ebenso wie die Genfer IPRAbkommen im Speziellen das wertpapierrechtliche Kollisionsrecht nicht umfassend 47, sondern lediglich Fragen des Wertpapierrechtstatuts und auch diese nicht abschließend. Im Wertpapierrecht sind grundsätzlich drei Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: Das Kausal Verhältnis, das Wertpapierrechtsstatut und das Wert-
italienischen Fassung scheint insofern die Emissiontheorie zugrunde zu liegen. Beim Text des Wechselrechtsabkommens gilt es zu beachten, dass lediglich der französische und der englische Text als staatsvertraglich verbindlich anzusehen sind (siehe I., in Fn. 6). 42 Siehe dazu VI. 3. 43 Siehe auch allgemein § 11 II. 2. f) zu den Teil fragen der Geschäftsfähigkeit und der Form in den internationalen Abkommen, auf die das IPRG verweist. 44 Vitta, DIP III, 456 f.; Balladore Pallien,, DIP (1974), S. 345 f.; Ballarino,, DIP 1 , S. 951 f. und 961; Arangio-Ruiz, La cambiale, S. 159 (Art. 17 disp. prel.) und S. 201 (Art. 26 disp. prel.) und Monaco, L'efficacia 2, S. 320 f. Zum Verhältnis der staatsvertraglichen Vorschriften zu den Bestimmungen der disp. prel. infolge der „Vorbehaltsmöglichkeiten" der Abkommen siehe unter V. 1. b) bb). 45 Vitta, DIP III, S. 456 und Balladore Pallien, DIP (1974), S. 343 f.; siehe auch IV. 3. zum Wertpapiersachstatut. 46 I. d. R. Art. 25 I disp. prel. (Vertragsrecht); siehe im Folgenden unter IV. 1. 47 Siehe III. zum bisherigen italienischen IPR.
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
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papiersachstatut48. Bei Warenpapieren ist zusätzlich das Warensachstatut zu beachten.
1. Die Kausalverhältnisse
Die Kausalverhältnisse (Valuta- bzw. Deckungsverhältnis) bilden die schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfte, die der Ausstellung von Wertpapieren zugrunde liegen. Diese Grundgeschäfte bestimmen, ob es zur Wertpapierhingabe kommt und zu welchem Zweck49. Eine derartige Vereinbarung kann auch nachträglich, d. h. nach Wertpapierausstellung, erfolgen. Die Kausalgeschäfte sind unabhängig von den mit ihnen im Zusammenhang stehenden Wertpapieren zu beurteilen und kollisionsrechtlich anzuknüpfen. Sie werden nicht vom Ausschlusstatbestand des Art. 1 II c) EVÜ erfasst 50 und unterliegen in den überwiegenden Fällen dem Vertragsstatut des Art. 57 IPRG51. Bei Mitgliedschaftspapieren kommt hingegen das Gesellschaftsrechtsstatut des Art. 25 IPRG zur Anwendung52. Das Vertragsstatut gilt auch für Verträge über den Kauf von Wertpapieren 53. Es handelt sich dabei um einfache Kaufverträge, deren Verpflichtungen sich nicht aus der Handelbarkeit der Wertpapiere ergeben (Art. 1 II c) EVÜ) 54 . Für
48
Zur Unterscheidung von Wertpapierrechts- und Wertpapiersachstatut siehe Staudinger (Stoll), IntSachenR, Rn. 412 - 416 und MüKo ÇKreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 117-120. 49 Ζ. B. zur Erfüllung (erfüllungshalber oder an Erfüllungs Statt) bzw. Sicherung oder als Schenkung. 50 Siehe oben unter § 14 III. 2. c) und im Folgenden unter VI. 2. b) sowie den Bericht von Giuliano / Lagarde zum EVÜ, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 43. Die Literatur schließt sich dem an (für alle v. Bar, in FS W. Lorenz, S. 291; zur italienischen Literatur siehe Malatesta, in RDIPP 1992, S. 896 f.); a. Α. lediglich Basedow, Kollisionsrechtliche Aspekte der Seerechtsreform von 1986, in IPRax 1987, S. 333 - 341 (340), der über den Wortlaut des Art. 37 Nr. 1 EGBGB (= Art. 1 II c) EVÜ) hinaus auch die kausalen Frachtverträge vom Anwendungsbereich der Artt. 27 ff. EGBGB (= EVÜ) ausnimmt und insofern den Art. 6 EGHGB anwendet. 51 Zu den relevanten Verträgen nach materiellem italienischen Recht siehe u. a. Art. 1470 c. c. (Kaufvertrag), Art. 1813 c. c. (Darlehen) und Artt. 1703, 1709 c. c. (entgeltlicher Auftrag - Geschäftsbesorgung); s. a. oben unter § 14 III. 3. zur Schenkung. 52 Zum Wertpapierrechtsstatut bei Mitgliedsschaftspapieren siehe im Folgenden unter 2., bei Fn. 74. 53 Siehe Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 43. Ebenso v. Bar, in FS W. Lorenz, S. 291 f.; Soergel (v. Hoffmann), Art. 28, Rn. 334; Reithmann / Martiny (Martiny), Rn. 176 Ende und Staudinger (Magnus), Art. 37, Rn. 51. 54 Siehe dazu allgemein unter VI. 2. b).
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
diese finden weder das materiellrechtliche CISG (Art. 2 d) CISG 5 5 ) noch das Haager IPR-Abkommen betreffend internationale Kaufverträge (Art. 1 II) 5 6 Anwendung.
2. Das Wertpapierrechtsstatut
Das Wertpapierrechtsstatut stellt das Statut des verbrieften Rechts dar, d. h. - im Gegensatz zum Kausalgeschäft - die Verpflichtungen „aus" dem Wertpapier. Diese Verpflichtungen können schuldrechtlicher, sachenrechtlicher oder gesellschaftsrechtlicher Natur sein 57 . Ein vom Kausalgeschäft unabhängiges Wertpapierrechtsstatut existiert nur bei sog. „handelbaren" Wertpapieren 58. Dieses Statut bestimmt auch den Charakter des Papiers 59. Insofern kommt das Wertpapierrechtsstatut nur hypothetisch bei der Qualifikation des Dokuments zur Anwendung, sofern das Wertpapier als Ergebnis dieser Bestimmung als ,glicht handelbar" einzustufen ist 60 . Diesen Bereich des Wertpapierrechts regeln die Genfer IPR-Abkommen (Wechsel und Scheck) und Art. 59 des IPRG (handelbare Wertpapiere). Außerhalb der Genfer IPR-Abkommen 61 bestimmt jedoch Art. 23 IPRG das anzuwen-
55 Zu der Vorschrift s. a. unter VI. 2. a), Fn. 199. Zur Umsetzung des CISG ins italienische Recht siehe § 14 II. 1. a), Fn. 11. 56 Im Ausschlusstatbestand von Art. 1 II des Haager IPR-Kaufrechtsabkommens wird ergänzend erläutert, dass der Ausschluss von Wertpapierkäufen nicht fur Warenpapiere gilt (Art. 1 II 2 des Abkommens). Dadurch wird klargestellt, dass es sich beim Kauf mittels Warenpapieren trotz der Traditionsfunktion des Papiers um einen echten Warenkauf handelt und nicht um einen Kauf von Wertpapieren (siehe dazu Dölle, Die 7. Haager Konferenz, in RabelsZ 1952, S. 161 - 2 1 1 [168 f.]); allgemein zu Warenpapieren siehe im Folgenden unter IL, bei Fn. 65. Zu dem Kaufrechtsabkommen § 14 II. 1. a),
Fn. 12. 57
Siehe VI., Fn. 193 zum Wertpapierrechtsstatut nach deutschem IPR. Siehe unter VII. zu nicht handelbaren Wertpapieren. Im Falle des deutschen Rechts als Wertpapierrechtsstatut kommt somit bei nicht „handelbaren" Rektapapieren (siehe dazu VI. 2. c)) dem Grunde nach kein eigenständiges Wertpapierrechtsstatut zum Tragen. Dies erweist sich jedoch als unschädlich, da das deutsche IPR beim Wertpapierrechtsstatut ohnehin akzessorisch an das Grund Verhältnis anknüpft (siehe Hinweis in 58
voriger Fußnote). 59 Das Wertpapierrechtsstatut nimmt die Einstufung des Dokumentes als Inhaber-, Order- oder Rektapapier vor (MüKo (Kreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 118 m.w.N. in Fn. 551; v. Bar, in FS W. Lorenz, S. 273 (Fn. 2) und 285 (Fn. 55) und Staudinger (Stoll), IntSachR, Rn. 412) und entscheidet damit auch über die Frage der „Handelbarkeit" (siehe dazu i. E. unter VI. 2. a). 60 Siehe auch in Fn. 74; zu einem ähnlichen Fall im Vertragsrecht bei der Prüfung des Vertragsschlusses siehe Art. 8 I EVÜ (= Art. 31 I EGBGB). 61 Siehe III., Fn. 43 (bisheriges Recht) zu den Vorschriften der Genfer Abkommen.
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
251
dende Recht bei der Frage der Wertpapierrechtsfähigkeit 62. Auch über die Formwirksamkeit von wertpapierrechtlichen Erklärungen entscheiden bei Wechseln und Schecks die speziellen Vorschriften der Artt. 3 (W), 4 (S) über das anwendbare Recht. Bei sonstigen handelbaren Wertpapieren unterliegen Formfragen als Teilfragen dem Art. 59 III IPRG63, da das IPRG keine allgemeine Formvorschrift mehr enthält64. In den Anwendungsbereich des Art. 59 III IPRG fallen in erster Linie Warenpapiere („titoli rappresentativi di merci" - Art. 1996 c. c.) 65 , durch die dingliche Herausgabeansprüche an Waren verbrieft werden66. Neben den Wertpapierstatuten ist zudem das Sachstatut der Ware zu beachten, das durch die sachenrechtlichen Vorschriften der Artt. 51, 52 IPRG bestimmt wird. Dieses Warensachstatut (lex rei sitae) ist vom Wertpapiersachstatut (lex cartae sitae)67 zu unterscheiden68. Dem Warensachstatut obliegt die Frage, ob die Verfügung über das Papier zu einer Rechtsänderung im Hinblick auf die Ware führt (Traditionsfunktion) 69. Es entscheidet insofern über die Einstufung des Dokuments als Warenpapier70. Im Gegensatz dazu orientiert sich die Verfügung über die Urkunde selbst an dem Wertpapiersachstatut. Das Wertpapierrechtsstatut
62 Zum Verhältnis des Art. 23 IPRG zu den Bestimmungen der Genfer IPR-Abkommen siehe V. 1. c) bb). 63 Siehe § 11 II. 2. f), Fn. 141 zur Behandlung von Teilfragen. 64 Siehe § 3 II. 4. c) zum Fehlen einer allgemeinen Form Vorschrift im IPRG; zur Anwendung des Art. 26 disp. prel. nach bisherigem Recht siehe III., Fn. 44. Zur Auswirkung der fehlenden allgemeinen Form Vorschrift auf die Fakultativklauseln der Art. 3 III (W), 4 III (S) siehe V. l.c) bb). 65 Siehe VI. 2. c) Ende, bei Fn. 236; zum Haager IPR-Kaufrechtsabkommen und Warenpapieren siehe 1., in Fn. 56. 66 Nachdem durch Warenpapiere ein dinglicher Herausgabeanspruch verbrieft wird, kommt nach deutschem IPR (siehe VI., Fn. 193 zum Grundsatz der Anknüpfung das verbriefte Recht) die lex rei sitae der Ware (Warensachstatut) zur Anwendung (siehe Staudinger (Stoll), IntSachenR, Rn. 370, 415 und MüKo (Kreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 124, bei Fn. 578). Zu Warenpapieren im schweizerischen IPRG siehe die ausdrückliche Bestimmung des Art. 106 schweizerisches IPRG. 67 Siehe im Folgenden unter 3. 68 Art. 106 II schweizerisches IPRG bestimmt hingegen, dass das Wertpapiersachstatut auch die dinglichen Rechte an der Ware (Warensachstatut) regelt. 69 Siehe dazu im deutschen IPR RGZ 119, S. 215 (216); Kreuzer (Fn. 66), Rn. 69;
Stoll (Fn. 66), Rn. 370, 415; Kegel / Schurig, IPR, § 19 II., S. 665 (oben) und v.
Hoffmann, IPR, § 12, Rn. 14. Zum schweizerischen IPR siehe Art. 106 I schweizerisches IPRG. 70
I. d. S. Stoll (Fn. 66), Fn. 415.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
bestimmt, inwiefern der damit verbundene Rechts- und Besitzerwerb an der Urkunde zum Erwerb des Herausgabeanspruchs fuhrt 71. Umstritten ist innerhalb der italienischen Literatur die Anknüpfimg von Wertpapieren, die Gesellschaftsanteile verbriefen („titoli di partecipazione"). Die Diskussion dreht sich dabei vor allem um Aktien und die Frage, ob für diese das Wertpapierrechtsstatut des Art. 59 III IPRG oder das Gesellschaftsrechtsstatut des Art. 25 IPRG zur Anwendung kommt72. Traditionell spricht sich die italienische Literatur wie bei allen Wertpapiern so auch bei Aktien für eine selbständige Anknüpfung aus. Nach bisherigem Recht kam somit auch bei diesen Art. 25 II disp. prel. zur Anwendung und nicht die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des IPR73. Die weite Fassung des Gesellschaftsrechtsstatutes, die durch Art. 25 II IPRG zum Ausdruck kommt, und die kausale Verbindung zwischen der Aktie und dem in ihr verbrieften Mitgliedschaftsrecht legt jedoch die Anwendung des Art. 25 IPRG nahe74. Insbesondere Art. 25 II g) IPRG, der die Anwendung des Gesellschaftsrechtsstatuts für die Fragen des Erwerbes und des Verlustes der Gesellschafterstellung und den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten vorschreibt, spricht für dieses Ergebnis.
71 Kreuzer (Fn. 66), Rn. 124; siehe allgemein unter VI. 2. b), Fn. 219 zur Anwendung des Wertpapierrechtsstatuts für die Frage, ob das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier folgt. 72 Zur Neuregelung des Art. 25 IPRG siehe § 5 II. 2. 73 Siehe Hinweise von Celle, Com., NLCC, S. 1408, Nr. 10, bei Fn. 51 und Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 156. Zur Anwendung des Art. 25 II disp. prel. für das Wertpapierrechtstatut nach altem Recht s. o. unter III.; zum internationalen Gesellschaftsrecht nach bisherigem und neuem Recht siehe Hinweis in voriger Fußnote. 74 I. d. S. Ballarino, DIP 2, S. 364 f., 722 und 725 sowie CT (Barel), Art. 59, V. 3.; zu dieser Ansicht scheint auch Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 157 f., bei Fn. 59 zu tendieren (s. a. VI., Fn. 193 zur akzessorischen Anknüpfung im deutschen IPR). A. A. Celle, Com., NLCC, S. 1409 (Nr. 10) und Damascelli, in RDI 1997, S. 84 bei Fn. 15 unter Bezugnahme auf die h. M. zum bisherigen Recht (vorige Fußnote). Celle, a.a.O., bei Fn. 58 lehnt das zugunsten des Gesellschaftsstatuts vorgebrachte Argument der Kausalität von Aktien und dem in ihnen verbrieften Mitgliedsschaftsrecht mit Hinweis auf die ebenfalls „kausalen" Warenpapiere ab. Im italienischen Recht werden sowohl Mitgliedschafts- als auch Warenpapiere als „kausale" Papiere bezeichnet (siehe Trabucchi , Istituzioni, §§ 305, 316). Die „Kausalität" der Warenpapiere besteht jedoch nur insofern, als aus ihnen die Art des Kausalgeschäftes erkennbar ist (sog. „typenbestimme Wertpapiere"; siehe Hueck / Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Auflage, 1986, § 2 VI. 1. und Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Auflage, 1987, § 5 I 2. und 4.). Dieser Umstand ändert nichts an der Abstraktheit des verbrieften Herausgabeanspruches. Zur Kausalität von Mitgliedschaftspapieren siehe in der italienischen Literatur Trabucchi, a.a.O. und Zatti / Colussi, Lineamenti di diritto privato, 2. Auflage, 1989, Cap. 31, Nr. 3; zur deutschen Literatur für alle Baumbach / Hefermehl, WG / SchG, WPR, Rn. 8.
§15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
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3. Das Wertpapiersachstatut
Das Wertpapiersachstatut behandelt Wertpapiere in sachenrechtlicher Hinsicht. Anzuwenden ist dabei grundsätzlich gemäß Art. 51 IPRG das Recht des Lageortes des Papiers (lex cartae sitae) 75 . Für im Transit befindliche Wertpapiere gilt die spezielle Bestimmung des Art. 52 IPRG (res in transitu), die das Recht des Bestimmungsortes zur Anwendung beruft 76 . Abzustellen ist jeweils auf den Zeitpunkt der Vollendung des Erwerbstatbestandes (ζ. B. Übergabe, Indossament)77. Ein „nicht handelbares" Papier ist jedoch nicht selbständig übertragbar 78. Bei ihnen kann lediglich das verbriefte Recht abgetreten werden. Insofern erscheint es fraglich, ob für diese Wertpapiere ein vom Hauptstatut 79 gesondertes Wertpapiersachstatut zu ermitteln ist 80 . Dies ist von Bedeutung für die Feststellung, ob infolge der Zession des verbrieften Rechts das Recht am Papier dem Recht
75 Siehe auch Ballarino, DIP 2, S. 715 oben und 726 f. sowie CT (Barel), Art. 59, V. 4.; s. a. III., Fn. 45 zur Anwendung des Art. 22 disp. prel. nach bisherigem Recht. 76
Ballarino, DIP 2, S. 728.
Der Kommissionsbericht zum IPRG will die Anwendung des Art. 52 IPRG auch auf die zum Transport von Waren eingesetzten Verkehrsmittel („mezzi di trasporto") erstrecken; siehe RDIPP 1989, S. 972 zu Art. 50 (= Art. 52 IPRG). Dies wird von der Literatur einhellig abgelehnt und vielmehrrichtigerweise das Ortsrecht der Registrierung oder des regelmäßigen Standortes des Transportmittels zur Anwendung berufen, da zu diesem die engste Verbindung besteht (Benvenuti, Com., NLCC, S. 1335; Luzzatto, Com., RDIPP, S.1158; Ballarino, DIP 2, S. 573 und CT (Barel), Art. 52, I. 4.). Für Schiffe und Luftfahrzeuge greift jedoch die Spezialvorschrift des Art. 6 disp. prel. cod. nav., die dem „Flaggenprinzip" (Ort der Registrierung) folgt (siehe dazu Ballarino, DIP 2, S. 571). Auch die deutsche Literatur spricht sich für das Recht des Zulassungs- oder Registrierungsortes aus, wendet für private Kraftfahrzeuge jedoch die lex rei sitae an (ausführlich dazu Staudinger (Stoll), IntSachenR, Rn. 373 - 411 und MüKo (Kreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 131 - 175). Für Luft-, Wasser- und Schienenfahrzeuge ist dies nunmehr in Art. 45 I EGBGB ausdrücklich geregelt (zusammenfassend v. Hoffmann, § 12, Rn. 41 f.). 77 MüKo (Kreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 120. 78 Siehe unter VI. 2. zum Begriff der „Handelbarkeit". 79 Nachdem bei „nicht handelbaren" Papieren kein eigenständiges Wertpapierrechtsstatut besteht (siehe 2., Fn. 58), ist als „Hauptstatut" hier das Statut des verbrieften Rechts gemeint. Da das deutsche IPR beim Wertpapierrechtsstatut an das verbriefte Recht anknüpft (siehe VI., Fn. 193), ist dies der Literatur nicht immer klar zu entnehmen. 80 Für ein eigenes Wertpapiersachstatut Staudinger (Stoll), IntSachenR, Rn. 413; a. A. MüKo (Kreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 118 (bei Namenspapieren besteht mangels Verkehrsschutz kein Bedürfiiis für eine gesonderte lex cartae sitae, so dass diese auch in sachenrechtlicher Hinsicht dem Wertpapierrechtsstatut unterstehen) und v. Bar, in FS W. Lorenz, S. 294.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
aus dem Papier folgt. Im Ergebnis ist die Annahme eines Wertpapiersachstatuts zu bejahen. Es geht bei der Frage nicht um die wertpapierrechtliche Qualifikation des Papiers81, die nach dem Wertpapierrechtsstatut zu erfolgen hätte82, sondern vielmehr um die sachenrechtliche Frage, ob das „dingliche" Recht am Papier dem „schuldrechtlichen" Recht aus dem Papier folgt 83. Diese Rechtsfolge gehört jedoch nicht zwingend zu einem ,glicht handelbaren" Wertpapier und ist somit kein wertpapierrechtliches Qualifikationsproblem. Die Qualifikation des Dokuments nach dem Wertpapierrechtsstatut ist jedoch bei der Frage des gutgläubigen Erwerbes („acquisto a non domino") von Bedeutung („ob"), da mangels eines gutgläubigen Forderungserwerbes ein Erwerb von einem Nichtberechtigten nur bei „handelbaren" Papieren in Betracht kommt. Die Frage unter welchen Voraussetzungen ein solcher Erwerb erfolgen kann („wie"), ist hingegen sachenrechtlich zu qualifizieren 84, so dass die Voraussetzungen des Wertpapiersachstatuts heranzuziehen sind85. Diese gelten unabhängig davon, ob das Wertpapierrechtsstatut strengere oder geringere Anforderungen an den gutgläubigen Erwerb von Wertpapieren stellt86.
V. Die Genfer Abkommen zum internationalen Wechsel- und Scheckprivatrecht (Art 591, I I IPRG) Art. 59 I IPRG verhilft den kollisionsrechtlichen Vorschriften der Genfer IPR-Abkommen über das Wechsel- und Scheckprivatrecht zu einer allseitigen
81 I. d. S. jedoch v. Bar (vorige Fußnote): Das Wertpapierrechtsstatut entscheidet über Qualifikation von Urkunden (siehe Hinweis in nächster Fußnote), so dass dasselbe gilt wie im umgekehrten Fall (siehe dazu Hinweis in Fn. 83). 82 Siehe dazu 2. bei Fn. 59. 83 Siehe dazu im deutschen Recht § 952 II BGB; zur Anwendung des Wertpapierrechtsstatuts für den umgekehrten Fall (Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier) siehe VI. 2. b), Fn. 219. 84 Zum deutschen Recht siehe in erster Linie die §§ 932 - 936 BGB (insbesondere § 935 II BGB zu Wertpapieren); zum italienischen Recht siehe Artt. 1153 - 1157 c. c. und speziell für Wertpapiere Art. 1994 c. c. 85 I. d. S. Ballarino, DIP 2, S. 726 für die Anwendung des Art. 51 IPRG beim gutgläubigen Erwerb von Wertpapieren. Zur deutschen Literatur siehe MüKo (Kreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 120, 122 und Staudinger (Stoll), IntSachenR, Rn. 418. 86 S toll (vorige Fußnote) und Kreuzer (vorige Fußnote), Rn. 118, bei Fn. 554. Zum Fall des strengeren Schuldstatuts siehe die alte Entscheidung des schweizerischen BG 14. 11. 1899, in ZBJV 1900, S. 255 = ZIR (= NiemeyersZ) 1900, S. 316. Zum umgekehrten Fall siehe die Entscheidung Picker ν London and County Banking Co. 7. 3. 1887, in 18 QBD, 515 zitiert nach Stoll, a.a.O.; s. a. Raape, IPR, S. 625 und Beispiel bei Ferid, IPR, § 7, Rn. 97.
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
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Anwendung („in ogni caso")87. Dies wird durch den Absatz II der Vorschrift klargestellt88. Neben dieser unstrittigen und bedeutendsten Konsequenz der Norm ergeben sich durch den Hinweis des Art. 59 I IPRG auf die Genfer IPR-Abkommen weitere Detailfragen zu den „Vorbehalten" der Übereinkommen (siehe 1.), zum Renvoi (siehe 2.) und zum Vollstreckungsrecht (siehe 3.). Der Anwendungsbereich des Art. 59 I IPRG („Wechsel" und „Schecks") ist rein dogmatisch nach der italienischen lex fori zu bestimmen89; auch in diesem Punkt dürften sich die Genfer Abkommen jedoch auf das nationale IPR auswirken. Vor allem infolge der umfangreichen Vereinheitlichung des materiellen Rechts durch die Genfer Übereinkommen zum einheitlichen Wechsel- und Scheckgesetz90 sollte die Frage, ob die Anknüpfungspunkte des Art. 59 I IPRG nach der lex fori oder autonom auszulegen ist, ohne nennenswerte Bedeutung sein91.
1. Die „ Vorbehalte " 92 der Konventionen
Der in den Genfer Kollisionsabkommen erwähnten innerstaatlichen Anwendungspflicht der Vertragsstaaten (Art. 1 [W, S]) ist Italien lediglich durch einfache Zustimmungsgesetze und Veröffentlichungen der staatsvertraglichen Texte in der Gazzetta Ufficiale (Gesetzblatt) nachgekommen93, ohne dass sich der italienische Gesetzgeber zu den möglichen „Vorbehalten" der Konventionen geäußert hat94. Auch Frankreich ist bei der Umsetzung der Verträge in die87
Zum Begriff der Allseitigkeit und der „in ogni caso"-Formel im Allgemeinen siehe § 11 II. 2. a). 88 Im Einzelnen dazu siehe V. 1. c) aa). 89 I. d. S. Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 142; siehe allgemein § 11 II. 1. zu den Anknüpfungsgegenständen der Hinweisnormen. Siehe auch unter V. 3., bei Fn. 184 zum Vollstreckungsrecht (Art. 63 II 1. camb. / Art. 55 II 1. ass.). 90 Siehe I., Fn. 8. Zu den Mitgliedstaaten der Genfer Abkommen siehe Baumbach / Hefermehl, WG / SchG, Anh. 7 WG bzw. Anh. 2 SchG. 91 Ähnlich Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 142 f.; allerdings mit Hinweis auf die ausführliche Untersuchung von Stella Richter, in Banca borsa 1996, I., S. 111. Bei den meisten Kommentatoren zu Art. 59 I IPRG wird diese Frage mangels Relevanz nicht diskutiert. 92 Zur Frage, ob es sich bei den erwähnten Vorschriften der Abkommen um Vorbehalte im technischen Sinne handelt siehe a) mit Exkurs. 93 Siehe I., Fn. 6. 94 Kritisch insofern Bigiavi , Direzione e fonte dell'obbligazione cambiaria, convenzione ginevrina sui confitti, scioglimento delle „riserve", in RDI 1968, S. 5 - 52 (52 - „confusione indescrivibile e un stato d'incertezza intollerabile").
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
sem Sinne verfahren 95. Im Gegensatz dazu haben andere Mitgliedsstaaten die konventionalen Vorschriften in ihr nationales Wechsel- und Scheckrecht eingearbeitet und sich dadurch zu den „Vorbehalten" erklärt 96. Bei der Umsetzung der materiellrechtlichen Genfer Abkommen zum einheitlichen Wechsel- und Scheckgesetz in ein nationales Wechsel- und Scheckgesetz97 hat der italienische Gesetzgeber hingegen zu den staatsvertraglichen Vorbehalten Stellung beziehen müssen98.
a) Vorbehalte oder Fakultativklauseln? Die Genfer IPR-Abkommen enthalten drei Formen von „Vorbehaltsmöglichkeiten". Zum einen betreffen die Artt. 10 (W) und 9 (S) die Frage der allseitigen Anwendung der Staatsverträge. Die Mitgliedsstaaten können bei der Umsetzung der Übereinkommen in nationales Recht deren Anwendungsbereich räumlich (jeweils Nr. 1) und / oder „hinsichtlich der Staaten" (jeweils Nr. 2) begrenzen. In diesen Fällen gelten die kollisionsrechtlichen Bestimmungen der Abkommen nur für die auf dem Gebiet der Vertragsstaaten eingegangenen Wechsel- und Scheckverbindlichkeiten bzw. nur, sofern durch sie das Recht eines Vertragsstaates zur Anwendung gebracht wird. Darüber hinaus eröffiien die Artt. 2 III, 3 III (W) und 2 III, 4 III (S) „Vorbehaltsmöglichkeiten" im Hinblick auf eigene Staatsangehörige99. Es handelt sich 95
Siehe Morawitz, IntWechsR, S. 17, Fn. 45. Für diesen Weg haben sich Deutschland (Artt. 9 1 - 9 8 WechselG, Artt. 60 - 66 ScheckG), Österreich (Artt. 91-98 WechselG, Artt. 60 - 66 ScheckG) und die Schweiz (Artt. 1086 - 1095 bzw. 1138 - 1142 OR) entschieden; siehe dazu auch § 19 III. 1., 96
Fn. 126. 97
Siehe I., Fn. 8. Zu den von Italien erklärten Vorbehalten siehe Hinweise in RGBl. 1933 II, S. 975 (W) und S. 976 (S). 99 Die Artt. 2 (W, S) betreffen die Wechsel- und Scheckrechtsfähigkeit. Die Absätze III der Vorschriften eröffiien die Möglichkeit, die gegenüber der Grundsatzanknüpfung der Artt. 2 I (W, S - Staatsangehörigkeit) subsidiären Anknüpfung (favor negotii) der Artt. 2 II (W, S) an das Ortsrecht der wertpapierrechtlichen Verpflichtungserklärung für eigene Staatsangehörige auszuschließen. Die Artt. 3 (W), 4 (S) behandeln die Formwirksamkeit der Verpflichtungserklärungen. Gemäß ihren Absätzen III können die Vertragsstaaten zugunsten eigener Staatsangehöriger eigenes Recht zur Anwendung berufen, sofern die Erklärungen gegenüber einem anderen Staatsangehörigen abgegeben wurden und nach der grundsätzlichen Anknüpfung der Artt. 3 I, II (W), 4 I, II (S) an das Recht des Erklärungsortes ungültig wären. 98
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dabei um Möglichkeiten, die staatsvertraglich vorgesehene kollisionsrechtliche Anknüpfung zu modifizieren, also um inhaltliche Regelungen der Abkom100 w men . Die Übereinkommen enthalten im Weiteren „Vorbehalte" in Bezug auf deren Anwendung in den Kolonien und völkerrechtlichen Protektoraten bzw. Mandaten der Vertragsstaaten (Artt. 19 (W), 18 (S)). Diese sind aus heutiger Sicht allerdings ohne Relevanz. Im Gegensatz zu den Vorbehalten der anderen für „in ogni caso" anwendbar erklärten Abkommen (Artt. 23 MSA, 24 USTA, 22 EVÜ) 101 schweigen die Vorschriften der Genfer Abkommen zur Frage der Notwendigkeit (ausdrückliche Erklärung?) und des Zeitpunktes (auch nach Inkrafttreten der Abkommen für das jeweilige Land?) einer „Vorbehaltserklärung". Infolgedessen ist zu klären, ob es sich bei diesen Bestimmungen um formelle Vorbehalte i. S. d. Völkerrechts (Artt. 1 9 - 2 3 WVK 1 0 2 ) handelt. An dieser Stelle ist zwischen staatsvertraglichen Vorbehalts- und Fakultativklauseln zu unterscheiden. Sofern man bei den genannten Vorschriften der Genfer Abkommen von Vorbehaltsklauseln ausgeht, würde das bisherige Schweigen des italienischen Gesetzgebers dazu führen, dass diese „Vorbehalte" für Italien keine Wirkung entfalten. Exkurs:
Der Unterschied zwischen Vorbehalten und Fakultativklauseln
Bei Vorbehalten im völkerrechtlichen Sinne handelt es sich um „einseitige (empfangsbedürftige) Erklärungen, durch die ein Staat bezweckt, die Rechtswirkungen einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern" (Art. 2 I d) WVK). Das zukünftige oder bestehende
100 101 102
Siehe § 11 II. 2. c) zu inhaltlichen Vorbehalten i. R. d. Hinweisnormen des IPRG. Siehe dazu § 11 II. 2. c). Zum „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge" (WVK) siehe § 9 II.
1., Fn. 26.
Die WVK stellt zwar eine Fixierung des Völkergewohnheitsrechts dar, aber vor allem bei der Frage der Vorbehalte bestanden zum Zeitpunkt der Zeichnung des Übereinkommens eine Vielzahl von umstrittenen Fragen. Auch wenn die WVK erst seit ihrem Inkrafttreten und nur zwischen den Mitgliedsstaaten zwingende Wirkung entfaltet (Art. 4 WVK), haben sich doch Praxis und Lehre im Laufe der Zeit allgemein den Lösungen der WVK angeschlossen (i. E. dazu Kühner, S. 109 - 113). Im Folgenden werden insofern weitestgehend die Bestimmungen der Konventionen zugrunde gelegt, auch wenn sonstiges Völkerrechtsgewohnheitsrecht dabei nicht außer Acht zu lassen ist (siehe auch letzte Erklärung der Präambel zur WVK und unten in Fn. 105).
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Vertragsverhältnis soll demzufolge modifiziert werden (s. a. Art. 21 I WVK zur Änderungswirkung von Vorbehalten)103. Gemäß der WVK bedürfen sowohl die Erklärung und Rücknahme von Vorbehalten als auch deren ausdrückliche Annahme bzw. der Einspruch gegen diese der Schriftform (Art. 23 I, IV WVK) 104 . Rechtlich gesehen ist der Zeitpunkt der Vorbehaltserklärung unerheblich, auch wenn die Artt. 2 I d), 19 1. Hs. WVK davon ausgehen, dass Vorbehalte spätestens beim endgültigen Vertragsschluss erklärt und angenommen werden müssen105.
103
Die Vorbehaltserklärung stellt somit ein neues Vertragsangebot an die anderen Vertragsstaaten dar, das grundsätzlich der Annahme bedarf (Art. 20 WVK). Im Gegensatz zu privatrechtlichen Verträgen wird der den Vorbehalt anbringende Staat jedoch bereits dann Mitgliedstaat des Abkommens (zu den Theorien siehe Kühner, S. 104-109 und Müller, S. 23 - 28), wenn nur eine der Vertragsparteien den Vorbehalt annimmt (Art. 20 IV c) WVK - Ausdruck der sog. relativen Theorie), sofern dies nicht dem Zweck des Vertrages widerspricht (Art. 20 II WVK - sog. absolute Theorie) oder anders vereinbart wurde (Art. 20 I WVK). Die Annahme kann auch konkludent erfolgen und wird nach dem Ablauf von zwölf Monaten fingiert (Art. 20 V WVK). Der Vertrag kommt in der geänderten Form zwischen dem den Vorbehalt erklärenden und den diesen annehmenden Staaten zustande (Art. 21 I WVK). Die Änderung greift nicht gegenüber den Staaten, die infolge eines Einspruches nicht zugestimmt haben (Artt. 21 III, 20 IV b) 1. Hs. WVK). Diese können auch insgesamt dem Inkrafttreten des Vertrages zwischen ihnen und dem den Vorbehalt anbringenden Staat widersprechen (Art. 20 IV b) 2. Hs. WVK). Mit der Erklärung des Vorbehaltes begehrt ein Staat eine Ausnahmestellung im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung. Im Gegensatz zu zivilrechtlichen Verträgen können die Vertragspartner jedoch unterschiedlich reagieren (Annahme oder Ablehnung), ohne dass das Vertragsangebot dadurch insgesamt abgelehnt wird und die Mitgliedschaft des den Vorbehalt anbringenden Staates scheitert. Die Vertrags Verhältnisse werden in diesem Fall unterschiedlich ausgestaltet. Abweichend vom Privatrecht besteht auch die Möglichkeit, den Vorbehalt jederzeit zurückzunehmen, ohne dass es einer Zustimmung der Staaten bedarf, die den Vorbehalt angenommen haben (Art. 22 I WVK). Mangels anderweitiger Vereinbarung handelt es sich auch hier um eine empfangsbedürftige Erklärung (Art. 22 III a) WVK). Diese Abweichung vom Konsensprinzip wird von der WVK und der einheitlichen Staatenpraxis akzeptiert, um die Rechtsvereinheitlichung weiter zufördern (zur diesbzgl. Staatenpraxis siehe Kühner, S. 233 - 235; zur ζ. T. abweichenden Literatur siehe Nachweise bei Müller, S. 137, Fn. 449 und Kühner, S. 230, Fn. 673). 104 Zur Annahme und zum Einspruch gegen Vorbehalte sowie zu deren Rücknahme siehe in der vorigen Fußnote. 105 Vorbehalte sind demzufolge bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrages oder beim Beitritt zu einem Vertrag anzubringen (Artt. 2 I d) bzw. 19, 1. Hs. WVK). Müller, S. 19 sieht darin ein unbedingtes Merkmal von Vorbehalten und ein Abgrenzungskriterium zwischen Vorbehalts- und Fakultativklauseln (s. a. Fn. 116, 124, 125). Die Vertragsparteien sind jedoch frei, ihre Vertragsbeziehungen jederzeit zu ändern, so dass ein Vorbehalt zu jedem Zeitpunkt des bestehenden Vertragsverhältnisses angebracht und angenommen werden kann (i. d. S. Kühner, S. 21 f. mit Beispielen aus der Staatenpraxis (Fn. 106); s. a. Art. I Abs. III, IV der Genfer Übereinkommen zum einheitlichen Wechsel- bzw. Scheckgesetz (s. u. Fn. 123 Ende)).
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
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Abgesehen von diesen allgemeinen Grundsätzen zu völkerrechtlichen Vorbehalten besteht auch die Möglichkeit, dass Staatsverträge - abweichend von den Artt. 19 23 WVK - die Einlegung von Vorbehalten eigenständig regeln (sog. Vorbehaltsklauseln) 106. Derartige Klauseln können Vorbehalte absolut verbieten, generell zulassen oder lediglich bestimmte Vorbehalte ausschließen oder erlauben (s. a Art. 19 a), b) WVK) 107 . Im Falle der Zulassung von Vorbehalten bedarf es - sofern nichts anderes bestimmt wurde - keiner Annahme derselben (Art. 201 WVK), da diese bereits in der Einigung über die Vorbehaltsklausel enthalten ist. Der Vorbehalt muss jedoch auch in diesem Fall schriftlich erklärt werden (Art. 23 I WVK) 108 . Hierin liegt der Unterschied zu den sog. Fakultativ- 109 oder Optionsklauseln in Staats Verträgen110. Diese räumen den Vertragsparteien das Recht ein, für sich selbsttätig den Anwendungsbereich des Abkommens einzuschränken oder von gewissen Bestimmungen abweichende Regelungen zu treffen. Ähnlich wie bei Vorbehaltsklauseln ist diese Gestaltungsmöglichkeit bereits Bestandteil der vertraglichen Einigung. Durch Fakultativklauseln wird den Vertragsstaaten jedoch ein eigenständiges Optionsrecht zugestanden, das im Gegensatz zu Vorbehalten das vertragliche Rechtsverhältnis nicht ändert. Dieser dogmatische Unterschied führt dazu, dass die Vertragsparteien dieses Recht nicht nur jederzeit in Anspruch nehmen können, sondern dies auch ohne Erklärung gegenüber den anderen Mitgliedstaaten erfolgen kann111. In diesen Punkten (Erklärung und deren Zeitpunkt) kann in Staatsverträgen allerdings auch etwas anderes vereinbart werden. Zumeist bestimmen nämlich Fakultativklau-
Hier zeigt sich, dass die WVK keine abschließende Regelung enthält (siehe § 9 II. 1., in Fn. 26). Man kann zwar fragen, ob in diesem Fall der Begriff „Vorbehalt" noch passend ist, rechtlich gesehen ist der Zeitpunkt der Erklärung jedoch unerheblich. 106 Auch die WVK berücksichtigt diese Möglichkeit und unterstreicht dadurch ihren dispositiven Charakter (Artt. 19 a), b), 20 I bzw. 20 IV, V, 22 WVK - „sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht ") 107
Zu Beispielen dazu siehe Kühner, S. 118-121. Art. 23 WVK ist im Gegensatz zu den anderen Vorschriften der WVK zu staatsvertraglichen Vorbehalten nicht dispositiv ausgestaltet; ebenso Kühner, S. 237. 109 Der Begriff ist aus der französischen Literatur abgeleitet faculté^ - siehe Kropholler, IntEinhR, S. 95, Fn. 8).; s. a. bei Fn. 118, 119, 122 zurfranzösischen und italienischen Fassung der Genfer Kollisionsabkommen. 110 Siehe dazu Kühner, S. 50 - 52; Müller, S. 18 f. und Droz, Les réserves et les facultés dans les Conventions de la Haye de droit international privé, in Rev. crit. 1969, S. 381 - 424 (382 f.), insbesondere S. 383 zur Abgrenzung von Vorbehalts- und Fakultativklauseln. Ebenso Bleckmann, Probleme, S. 46 f.; Kropholler, IntEinhR, S. 95 und 108
Verdross / Simma, S. 472 (§ 738). 111 Eine Erklärung ist dann nicht entbehrlich, wenn sich aus der Natur der Materie etwas anderes ergibt. Ζ. B. macht die Unterwerfung unter die judikative Gewalt eines internationalen Gerichtes nur dann Sinn, wenn sie auch ausdrücklich - zumindest dem Gericht gegenüber - erklärt wird. Insofern fordert auch die Fakultativklausel des Art. 36 II IGH-Statut eine dementsprechende Erklärung, die beim UN-Generalsekretariat zu hinterlegen ist (Art. 36 IV IGH-Statut).
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sein, dass ein Gebrauchmachen von der in ihnen vorgesehenen Optionsmöglichkeit einer Erklärung bedarf 112. In der Praxis erweist es sich bei älteren Abkommen ζ. T. als schwierig, eine Abgrenzung zwischen Vorbehalts- und Fakultativklauseln vorzunehmen. Ausgangspunkt der Differenzierung ist in erster Linie der Wortlaut der Bestimmungen. Während man bei Vorbehaltsklauseln meist von der Möglichkeit des Vorbehalts spricht („réserve"), begnügen sich Fakultativklauseln mit der Feststellung, dass Vertragsstaaten entsprechende Erklärungen abgeben können113. Diese textliche Unterscheidung wird in neueren Abkommen konsequent durchgehalten und zeigt sich insbesondere bei Abkommen, die beide Klauselarten enthalten114. Im Gegensatz dazu lässt der Wortlaut der älteren Genfer Kollisionsabkommen zum Wechsel- und Scheckrecht einen solch eindeutigen Schluss nicht zu 115 . Sofern eine staatsvertragliche Vorschrift eine Erklärung der Mitgliedsstaaten fordert, lässt es sich sachlich jedoch sehr schwer feststellen, ob es sich im konkreten Fall um die Zulassung eines Vorbehalts handelt (Vorbehaltsklausel), der schriftlich zu erklären ist (Art. 23 I WVK), aber keiner Annahme bedarf (Art. 20 I WVK), oder um eine Möglichkeit der selbsttätigen Modifikation oder Präzisierung des Staatsvertrages (Fakultativklausel), die kraft staatsvertraglicher Regelung erklärt werden muss. Der Umstand, dass die entsprechende Erklärung vor Inkrafttreten des Abkommens zu
112 Siehe Beispiele in nächster Fußnote und die Haager Abkommen von 1973 (Fn. 117). Das materiellrechtliche Straßburger Europäische Obereinkommen über die Adoption von Kindern vom 24. 4. 1967 (BGBl. 1980 II, S. 1094; s. a Hinweis bei Jayme / Hausmann, vor Nr. 53, Fn. 4) enthält ζ. B. sowohl Fakultativklauseln, die keine Erklärung fordern (Artt. 5 II 2. Hs, 7 II, 10 II [„die Rechtsordnung kann vorsehen"]), als auch solche die dies tun (Art. 23 II [Erklärung]; Art. 24 [Notifikation]). 113 „ erklären " („déclarer"): Art. 2 USTAK (zu dem Abkommen siehe § 13 I., Fn. 8); Artt. 15 II, 16 II, 17 II, 18 1 des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18. 3. 1970 (BGBl. 1977 II, S. 1472; s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 212) und Art. 22 des Haager Übereinkommens über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen vom 1. 6. 1970 (siehe § 10 I. 3. c), Fn. 42); s. a. die Haager '73er-Abkommen in Fn. 117. Bzw. „notifizieren": Art. 30 II des Haager Übereinkommens über den Zivilprozeß vom 1. 3. 1954 (siehe § 11 II. 2. a), Fn. 30); Art. 9 II USTAK; Art. 24 II des Europäischen Adoptionsabkommens (vorige Fußnote) und Art. 27 III EVÜ. 114 Z..B. USTAK (Art. 2, 9 II [Fakultativklauseln], Art. 11 [Vorbehaltsklausel]); Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 25. 11. 1965 (Artt. 12 - 15 i. V. m. 20 [Vorbehaltsklauseln]; Art. 19 [Fakultativklausel] - franz. Text in RabelsZ 1966, S. 743; s. a Hinweis bei Jayme / Hausmann, Nr. 150, Fn. 3); Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß von 1954 (vorige Fußnote; Art. 30 II [Fakultativklausel, aber Einspruchsmöglichkeit wie bei Vorbehalten (Art. 30 III)]; Art. 32 [Vorbehaltsklausel]); MSA (Artt. 22 bzw. 23); USTA (Artt. 23 bzw. 24) und das EVÜ (Art. 22 bzw. Art. 27 II, III). 115 1. E. zu diesen siehe nach dem Exkurs.
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erfolgen hat, ist dabei als absolutes Abgrenzungskriterium ungeeignet116, der Zeitpunkt kann jedoch als Indiz für eine Vorbehaltsklausel dienen. Die Praxis orientiert sich bei staatsvertraglichen Vorbehaltsklauseln i. d. R. an den Vorgaben der Artt. 2 I d), 191 WVK. Es gilt jedoch zu beachten, dass auch Fakultativklauseln zur Erklärung über die Optionsausübung oft auf einen Zeitpunkt vor dem endgültigen Vertragsschluss abstellen117.
Auf der Grundlage dieser allgemeinen Abgrenzung zwischen Vorbehaltsund Fakultativklauseln erweist sich die Einstufung der inhaltlichen Bestimmungen der Art. 2 III, 3 III (W) und Artt. 2 III, 4 III (S) als unproblematisch. Sowohl der Wortlaut der französischen Originalfassung („faculté") 118 als audi die offizielle italienische Übersetzung („facoltà") 119 sprechen für die Annahme von Fakultativklauseln 120 . Die Vorschriften fordern zudem keinerlei Erklärung der Vertragsstaaten, wodurch das Ergebnis der wörtlichen Auslegung bekräftigt wird 1 2 1 . Als schwieriger stellt sich die Auslegung der Artt. 10 (W), 9 (S) dar, die den Anwendungsbereich der Abkommen betreffen. Die Originaltexte sprechen davon, dass sich die Vertragsstaaten „die Möglichkeit / das Recht vorbehalten", die Abkommen für die dementsprechenden Sachverhalte nicht anzuwenden (franz.: „réserve la faculté"; engl.: „reserves the right") 1 2 2 . Der Wortlaut 116
I. d. S. jedoch Müller, S. 19 (s. ο. in Fn. 105). Siehe ζ. Β. die drei Haager Übereinkommen vom 2. 10. 1973 (12te Sitzung der Haager Konferenz): Art. 43 des Übereinkommens über die internationale Verwaltung von Nachlässen vom 2. 10. 1973 (in RabelsZ 1975, S. 104 [englisch /französisch]; s. a. Hinweis bei Jayme / Hausmann, Nr. 60, Fn. 1 zum Inkrafttreten des Abkommens aufgrund der Teilung der Tschechoslowakei), Art. 19 des Übereinkommens über das auf die Produkthaftpflicht anzuwendende Recht (siehe § 17 III. 1. a), Fn. 183) und Art. 32 des Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (siehe § 13 II. 2., Fn. 25). Ebenso Art. 19 Haager Gerichtsstandsübereinkommen (Fn. 114), Art. 24 Europäisches Adoptionsübereinkommen (Fn. 112) und Art. 30 Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen vom 1.2. 1971 (in AmJCompL 1967, S. 362. Siehe auch Hinweis bei Jayme / Hausmann, vor Nr. 180, Fn. 4) sowie Art. 23 USTA und Art. 22 MSA. 118 RGBl. 1933 II, S. 600 und 602 zum Scheckrechtsabkommen; englischer Originaltext: „may refuse / prescribe"; authentisch sind gleichberechtigt der englische und französische Text. 119 Zum italienischen Text siehe CT (Barel), Art. 59,1. (W) und II. (S). 120 Ebenso Kropholler, IntEinhR, S. 95 zu Art. 4 III (S). 121 Siehe oben Exkurs bei Fn. 108 (zu Vorbehaltsklauseln - Art. 23 I WVK) und Fn. 111 (zu Fakultativklauseln). 122 Italienische Übersetzung: „ riserva la facoltà deutsche Übersetzung: „ behält es 117
sich vor".
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(réserve faculté) der Vorschriften lässt somit eine Interpretation in beide Richtungen zu. Nachdem jedoch auch hier keine Erklärung der Mitgliedstaaten gefordert wird 1 2 3 , ist auch bei diesen Bestimmungen von Fakultativklauseln auszugehen124. Auch die Artt. 19 (W) und 18 (S) stellen territoriale Fakultativklauseln dar 1 2 5 , sind jedoch heutzutage ohne Relevanz 126 .
b) Die Rechtslage vor Inkrafttreten des IPRG
Auch die h. M. in Italien hat die genannten Vorschriften der Genfer IPRAbkommen als Fakultativklauseln verstanden. Es wurde darauf verwiesen, dass es sich bei den Bestimmungen nicht um „Vorbehalte im technischen Sinne"
123 Die Vorschrift des Art. I Abs. II S. 1 der materiellen Abkommen zum einheitlichen Wechsel- und Scheckgesetz („ ... Vorbehalte(n) ... die ... im Zeitpunkt der Ratifi-
kation oder des Beitritts anzuzeigen (sind). "; zu den Übereinkommen siehe I., Fn. 8) ist
nicht auf die IPR-Abkommen übertragbar. Bei den Bestimmungen der Anlage II der Verträge, auf die sich die Vorschrift bezieht, handelt es sich nach dem Wortlaut des Art. I um Vorbehaltsklauseln („reservations" bzw. „réserves"; siehe RGBl. 1933 II, S. 544 zum einheitlichen Scheckgesetz), auch wenn deren Text diesen Schluss nicht zulässt. Im Gegensatz dazu folgert Müller, S. 185 aus dem Art. I Abs. II S. 1 der materiellrechtlichen Abkommen und deren engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zu den Kollisionsübereinkommen zum Wechsel- und Scheckrecht, dass es sich bei den IPR-Vorschriften auch um Vorbehaltsklauseln handelt. Auf Grund der Parallelität der Verträge kann jedoch aus der unterschiedlichen Ausgestaltung der Bestimmungen (Erklärung bei materiellen Abkommen; keine Erklärung bei Kollisionsabkommen) eher das Gegenteil geschlossen werden. Die Abs. III und IV des Art. I der materiellen Einheitsabkommens zeigen, dass Vorbehalte auch nach dem Abschluss eines Staats Vertrages möglich sind (allgemein dazu siehe in Fn. 105). Müller, der dem widerspricht (Fn. 105), weist den Vorschriften der Anlage II der Einheitsabkommen auf Grund dieser Regelung eine Doppel funktion zu. Er bezeichnet sie als Vorbehaltsklauseln für den Zeitraum vor der rechtlichen Bindung an die Verträge und später als Fakultativklauseln (Müller, S. 182 f.). Bei dieser „künstlichen" Aufspaltung zeigt sich, dass Müller den Begriff des Vorbehalts zu eng definiert. 124 Siehe Hinweis in Fn. 121. Ebenso für die Qualifizierung als Fakultativklauseln Bleckmann, Probleme, S. 46. Fn. 192; a. A. Müller, S. 185 (Fn. 105); s. a. unten in Fn. 130 zu einem neueren Urteil des Corte di Cassazione. 125 Müller, S. 187 spricht auch hier bei den Abs. I der Vorschriften von Vorbehaltsklauseln, da die entsprechenden Erklärungen nur vor Inkrafttreten der Abkommen erfolgen können (siehe zur Argumentation von Müller in Fn. 105, 116). Die Abs. II und III versteht er demzufolge als Fakultativklauseln, da sie eine Ausdehnung der Abkommen ermöglichen; bei den Haager Abkommen von 1973 (Fn. 117) ging Müller bei ähnlichen Bestimmungen von Fakultativklauseln aus (Müller, S. 21, Fn. 71). 126 Siehe oben nach Fn. 100.
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handelt127, so dass es den Vertragsparteien freistehe, die Verträge auf die eine oder andere Art und Weise anzuwenden. Diese Sichtweise ist Voraussetzung der Annahme, dass trotz des Schweigens des italienischen Gesetzgebers zu diesen Bestimmungen128 sowohl die Einschränkungen der Artt. 2 III, 3 III (W) und Artt. 2 III, 4 III (S) als auch der Artt. 10 (W), 9 (S) in Italien innerstaatliche Wirkung entfalten.
aa) Artt. 10 (IV), 9 (S)
Mangels einer staatsvertraglichen Verpflichtung zur allseitigen Anwendung der Genfer IPR-Abkommen ging die italienische Literatur 129 überwiegend von einer begrenzten Wirkung der Staatsverträge gemäß den Artt. 10 (W), 9 (S) aus, auch wenn die jüngste Rechtsprechung dem widersprochen hat 130 . Die Übereinkommen sollen demzufolge nur soweit zur Anwendung kommen, als internationales Recht dies erfordert. In dieser Einschätzung der Lehre ist erneut das früher stark ausgeprägte „Heimwärtsstreben" des italienischen Kollisionsrechts zum Ausdruck gekommen131.
127 Siehe zu den Artt. 10 (W) 9 (S) erstmals Arangio-Ruiz, La cambiale. S. 6 - 16 und im Folgenden Picone, in RDI 1996, S. 336 f. in Fn. 143; Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 138 und Celle , Com., NLCC, S. 1399, in Fn. 8 Anfang. Im Weiteren siehe im Folgenden zur h. M. nach bisheriger Rechtslage. Α. A. jedoch Treves , Com., RDIPP, S. 1194 in Fn. 2. 128 Siehe bei Fn. 93. 129 Vitta, DIP III, S. 461 f.; Ballarino, DIP 1, S. 957; Arangio-Ruiz, La cambiale, S. 5 - 20 (weitere Nachweise zu demselben bei Treves , Com., RDIPP, S. 1195, Fn. 3) und Monaco, L'efficacia 2, S. 321. Ebenso in der Vergangenheit Cass. 1. 4. 1946, n. 351, in Foro it. 1944 - 46, I., Sp. 858; siehe jedoch in der nächsten Fußnote zur neuen Rechtsprechung. A. A. Treves , in Giuliano / Pocar / Treves, Codice delle convenzioni, S. 796 f. und Bigiavi (Fn. 94), S. 44 - 52; ebenso Maglio / Thorn , in ZVglRWiss 1997, S. 380, die sich allerdings auf die Mindermeinung von Treves berufen (Fn. 197). 130 Cass., 10. 3. 1993, n. 2894, in RDIPP 1995, S. 684 (dritter Absatz des Tenors zu Art. 10 [W]) und S. 690 (Begründung) = Foro it. 1994, I., Sp. 149. Das Urteil sieht in dem Art. 10 (W) eine Vorbehaltsklausel (riserva), von der Italien keinen Gebrauch gemacht hat. Die Abkommen kommen somit auch gegenüber Nichtvertragsstaaten zur Anwendung. Das Urteil verweist dabei auf die Artt. 1 Nr. 1, 47, 63 1. camb., die allerdings lediglich die internationalen Bezüge der Materie aufzeigen (Sprache, Währung, Ausstellung im Ausland) ohne sich zum Kreis der Staaten zu äußern, für die diese Regelungen gelten. Es handelt sich dabei nicht um Vorschriften, die den Anwendungsbereich des Wechselgesetzes festlegen. Zu dem Urteil s. a. unter 3., in Fn. 179; 181, 183, 184 sowie allgemein zu Art. 63 II 1. camb. unter 3. 131 Allgemein dazu siehe unter § 3 II. 5. a) bb).
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Im Gegensatz dazu hat sich die h. M. in Frankreich bei derselben Problematik 1 3 2 für eine erga-omnes-Wirkung der Verträge entschieden, da nur der Gesetzgeber die Anwendung der Konventionen beschränken könne133.
bb) Artt. 2 III, 3 III (W) und Artt. 2 ///,
4 III (S)
Parallel zu den Artt. 10 (W), 9 (S) hat sich die italienische Literatur auch bei den „inhaltlichen" Fakultativklauseln der Verträge (Artt. 2 III, 3 III (W) und Artt. 2 III, 4 III (S) 134 ) dafür ausgesprochen, dass der italienische Gesetzgebers von deren Möglichkeit der Modifikation der staatsvertraglichen Regelungen Gebrauch gemacht hat 135 . Der Gesetzgeber habe durch seine allgemeinen Vorschriften zur Handlungsfähigkeit (Art. 17 disp. prel.) und zur Form (Art. 26 disp. prel.) die Optionen dieser Vorschriften genutzt und, soweit es die Artt. 2 III, 3 III (W) und Artt. 2 III, 4 III (S) zulassen, die staatsvertraglichen Bestimmungen durch eigenes nationales Kollisionsrecht ersetzt136. Es erscheint zwar höchst zweifelhaft, ob sich aus den allgemeinen Vorschriften des nationalen IPR ein derartiger spezifisch auf den Bereich des Wechsel- und Scheckrechts bezogener Wille des Gesetzgebers entnehmen lässt137, im Ergebnis ist die h. M. aber von einer innerstaatlichen Umsetzung der Fakultativklausel ausgegangen. Die von der Literatur entwickelte Begründung für diese Rechtslage erweist sich bei den Bestimmungen über die Wechsel- und Scheckrechtsfähigkeit noch als unproblematisch, da zum einen der Art. 2 III (W, S) nur die Anwendung des Art. 2 II (W, S) für eigene Staatsangehörige ausschließt und nicht auf ein bestimmtes materielles Recht hinweist138 und zum anderen sowohl der Art. 2 I (W, S) als auch der Art. 17 I disp. prel. an die Staatsangehörigkeit angeknüpft haben. Bei italienischen Staatsangehörigen kam es somit ausschließlich zur Anwendung des Heimatrechts (Art. 2 I (W, S), Art. 17 I disp. prel. 139), bei Aus132 133
Siehe oben Fn. 95. Morawitz, IntWechsR, S. 17, Fn. 45 mit Nachweisen aus der französischen Litera-
tur. 134
Zum Inhalt der Vorschriften siehe a), in Fn. 99. Allgemein Vitta, DIP III, S. 462 f. und Balladore Pallien, DIP (1974), S. 351 sowie zum Wechselabkommen Ballarino, DIP 1, S. 961 f. und Monaco, L'efficacia 2, S. 322. 136 Vitta, DIP III, S. 462 f; Monaco, L'efficacia 2, S. 322 und Arangio-Ruiz, La cambiale, S. 167 f. zu Art. 17 disp. prel. (anders zu Art. 26 disp. prel. - siehe dazu unten Fn. 145). 137 Siehe unten Fn. 145 zu Art. 26 disp. prel. und c) bb), bei Fn. 160 zum neuen Recht. 138 Zur Vorschrift des Art. 2 III (W, S) siehe Hinweis in Fn. 138. 139 Art. 17 II disp. prel. kommt nur bei Ausländern zur Anwendung; zu der Vorschrift siehe § 14 III. 2. a), bei Fn. 43. Bei Ausländem ist jedoch Art. 2 II (W, S) vorrangig zu 135
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ländern subsidiär auch zur Anwendung des Recht des Handlungsortes (Art. 2 II (W, S) 140 ). Als schwieriger stellt sich die Argumentation der Literatur bei der Frage der Formgültigkeit der wertpapierrechtlichen Erklärungen dar, nachdem Art. 26 disp. prel. alternative Anknüpfungen enthält, während die Artt. 3 III (W), 4 III (S) nur eine Anknüpfung an das nationale Recht erlauben. Sofern Art. 26 disp. prel. als Ausdruck der Gebrauchmachung von der Optionsmöglichkeit der staatsvertraglichen Vorschriften zu verstehen sein soll 141 , kann das nur für den in den konventionalen Bestimmungen beschriebenen Sachverhalt gelten (Erklärung eines Italieners im Ausland gegenüber einem Italiener) und zur Anwendung des italienischen Rechts führen 142, unabhängig davon, welche andere Anknüpfung der Art. 26 I disp. prel. eröffnet. Zu beachten ist jedoch, dass keine der Anknüpfungsvarianten des Art. 26 I disp. prel., die zur Anwendung des Heimatrechtes fuhren (Art. 26 I 3. Var. und 4. Var. disp. prel.), auf wertpapierrechtliche Verpflichtungen passen143. Auch deshalb144 ist in Frage zu stellen, ob die allgemeine Vorschrift des Art. 26 disp. prel. im obigen Sinne zu verstehen ist 145 . Wenn man von einer Wirksamkeit der Fakultativklauseln ausgeht, ergibt sich die Geltung der lex fori für italienische Staatsangehörige146 eher aus den Bestimmungen der Artt. 3 III (W), 4 III (S) selbst.
beachten (s. a nächsten Fußnote); Art. 2 III (W, S) kommt nur bei eigenen Staatsangehörigen zur Anwendung. 140 Die Vorschrift entspricht im Kern dem Art. 17 II disp. prel., nur dass die Vorschrift der disp. prel. allein die italienische lex loci actus zur Anwendung beruft, während Artt. 2 II (W, S) allgemein auf den Handlungsort abstellt (s. a § 14 III. 2. a) zur Neuregelung des Art. 23 II IPRG). 141 Siehe Fn. 136. 142
I. d. S. Vitta, DIP III, S. 463; Balladore Pallien, DIP (1974), S. 351 und Monaco,
L'efficacia 2, S. 322; a Α. Arangio-Ruiz (Fn. 145). 143 Art. 26 I 3. Var. disp. prel. betrifft Verfügungen; Art. 26 I 4. Var. disp. prel. betrifft Verträge. Wertpapiere sind jedoch nach italienischem Recht, das als lex fori für die Auslegung der Rechtsbegriffe in Art. 26 disp. prel. anzuwenden ist, einseitige Rechtsgeschäfte (s. ο unter II. und III.). 144 Siehe oben bei Fn. 137. 145 Kritisch insofern Arangio-Ruiz, La cambiale, S. 212. Dieser entnimmt den Artt. 25 II, 26 I disp. prel. eine Anwendung der lex loci actus, was der Anknüpfung der Artt. 3 I, II (W), 4 I, II (S) entspricht. Der Gesetzgeber habe keine Norm erlassen, die eine Regelung i. S. d. Artt. 3 III (W), 4 III (S) enthält, so dass das Recht des Handlungsortes auch für wertpapierrechtliche Erklärungen von Italienern gegenüber Italienern im Ausland gelte. 146 Siehe a), in Fn. 99 zu den staatsvertraglichen Bestimmungen.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
c) Die Rechtslage i. R. d. IPRG
aa) Artt 10 (W), 9 (S)
Die nach bisherigem Recht bestehende Unklarheit im Hinblick auf die Wirkung der Artt. 10 (W), 9 (S) ist im IPRG zugunsten einer allseitigen Anwendung der Abkommen beseitigt worden. Durch die „in ogni caso"-Formel des Art. 59 I IPRG hat sich der Gesetzgeber für eine erga-omnes-Wirkung der Konventionen entschieden147. Dies wird in dem Absatz II der Vorschrift lediglich klargestellt. Die Artt. 10 (W), 9 (S) entfalten somit spätestens mit Inkrafttreten des IPRG keinerlei Wirkung mehr 148. Es handelt sich dabei nicht um eine Erweiterung des staatsvertraglichen Anwendungsbereiches. Vielmehr hat sich der italienische Gesetzgeber lediglich eindeutig und endgültig dafür ausgesprochen, von den Fakultativklauseln der Abkommen keinen Gebrauch zu machen149. Die grundsätzlich als loi uniforme ausgestalteten Abkommen sollen nunmehr auch in Italien als solche angewendet werden.
bb) Artt 2 III, 3 III (W) und Artt 2 III, 4 III (S)
Da die Fakultativklauseln der Artt. 2 III, 3 III (W) und Artt. 2 III, 4 III (S) „inhaltliche" Regelungen der Genfer IPR-Abkommen darstellen150, werden diese durch Art. 59 IPRG nicht berührt 151. Wie bereits mehrfach erwähnt, betrifft die in Art. 59 I IPRG verwendete „in ogni caso"-Formel nur den
147
Siehe dazu den Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 979, zu Art. 61 (= Art. 59 IPRG); Treves , Com., RDIPP, S. 1194; Celle, Com., NLCC, S. 1399 f. (Nr. 2); Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 134 - 139; Damascelli , in RDI 1997, S. 80; Picone , in RDI 1996, S. 336 bei Fn. 143 und CT (Barel), Art. 59, IV. 1.
Allgemein zur Bedeutung der „in ogni caso"-Formel siehe § 11 II. 2. 148 Zur ausdrücklichen Erwähnung der Vorschriften in Art. 51 des „progetto" Vitta siehe I., in Fn. 15. Dadurch dass Art. 59 II IPRG lediglich die Sachverhalte der Artt. 10 (W), 9 (S) anführt und nicht die Vorschriften selbst, erweist sich die Hinweisnorm des Art. 59 I IPRG als weniger abhängig von den Genfer Kollisionsabkommen. Im unwahrscheinlichen - Falle einer Überarbeitung der Abkommen müsste nämlich Art. 59 II IPRG nicht angepasst werden, da der in ihr beschriebene Sachverhalt nach wie vor gilt, unabhängig davon, ob und in welchen Vorschriften die Genfer Abkommen eine entsprechende Beschränkung enthalten. In diesem Sinne s. a. die Formulierung des Art. 42 II IPRG und § 11 II. 2. d) im Allgemeinen zu den Änderungen der Abkommen, auf die das IPRG verweist. 149 Ähnlich Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 138 und CT (Barel), Art. 59, IV. 1. 150 Siehe a), bei Fn. 100. 151 Ebenso Treves, Com., RDIPP, S. 1196.
§15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
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Anwendungsbereich der Abkommen und fuhrt zur allseitigen Anwendung derselben152. Insofern müsste nach neuem Recht davon ausgegangen werden, dass die h. M. von der innerstaatlichen Wirksamkeit der Vorschriften ausgeht, sofern das IPRG eine entsprechende allgemeine Regelung zur Frage der Handlungsfähigkeit bzw. der Form enthält153. Für den Fall der Handlungsfähigkeit ist dies zu bejahen. Die allgemeine Vorschrift des Art. 23 I 1 IPRG zur Handlungsfähigkeit knüpft ebenso wie Art. 17 I disp. prel. und im Einklang mit Artt. 2 I 1 (W, S) an die Staatsangehörigkeit des Erklärenden an. Im Gegensatz zum bisherigen Recht formuliert jedoch Art. 23 III IPRG bei einseitigen Rechtsgeschäften 154 eine Gutglaubensvorschrift, deren Anwendung nicht wie Art. 17 II disp. prel. auf Ausländer beschränkt ist 155 und die ebenso wie Art. 2 II (W, S) die lex loci actus hilfsweise (favor negotii) zur Anwendung beruft. Im Gegensatz zu den staatsvertraglichen Normen ist bei Art. 23 III IPRG das Recht des Handlungsortes jedoch nur im Falle der Gutgläubigkeit des Betroffenen anzuwenden. Die Art. 2 (W, S) eröffnen jedoch über die Fakultativklauseln der Absätze III keinen Weg zu einer eigenständigen Regelung156. Die Abkommen ermöglichen vielmehr lediglich die Wahl zwischen einer ausschließlichen Anwendung des Heimatrechts und einer ergänzenden Anwendung des Ortsrechts in Bezug auf eigene Staatsangehörige. Insofern erscheint es bedenklich, wenn die italienische Literatur den Art. 23 III IPRG für die Wechsel» und Scheckfähigkeit italienischer Staatsangehöriger anwenden will 1 5 7 . Man könnte zwar aus der Möglichkeit des Art. 2 III (W, S), die lex loci actus des Art. 2 II (W, S) zu derogieren, schließen, dass auch - als „Minus" - eine beschränkte Anwendung des Ortsrecht über Art. 23 III IPRG zulässig sein muss158, dies würde jedoch dazu führen, dass man erneut zwischen Inländern und Ausländern differenziert, was dem Grundgedanken der Vorschrift, die im Gegensatz zum bisherigen Art. 17 II disp. prel. gerade eine Gleichbehandlung aller festschreibt, widerspricht. Das Verständnis der italienischen Literatur, aus den allgemeinen Vorschriften des Kollisionsrechts auf die innerstaatliche Wir-
152
Siehe allgemein unter § 11 II. 2. Siehe b) bb), bei Fn. 136 zum bisherigen Recht. 154 Siehe oben unter II. zur Einstufung von Wertpapieren als einseitige Rechtsgeschäfte nach italienischem Recht. 155 Siehe dazu b) bb), in Fn. 139. 156 Zur Regelung der Art. 2 III (W, S) siehe a), in Fn. 99. 157 1. d. S. Celle, Com., NLCC, 1401 1. Sp. und Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 148 f. 158 Radicati di Brozolo (vorige Fußnote). 153
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
kung der Fakulativklauseln zu schließen, ist auch an dieser Stelle in Frage zu stellen159. Im Hinblick auf die Form der wertpapierrechtlichen Erklärungen (Artt. 3 (W), 4 (S)), ist zu beachten, dass das IPRG im Gegensatz zu Art. 26 disp. prel. im bisherigen Recht keine allgemeine Kollisionsnorm zur Bestimmung des Formstatuts enthält. Vielmehr wird die Frage in den einzelnen Rechtsgebieten speziell geregelt160. Sofern die h. M. nach alter Rechtslage den Art. 26 disp. prel. als Ausdruck der Umsetzung der konventionalen Fakultativklauseln angesehen hat 161 , müsste man dieser Argumentation folgend im Rahmen des IPRG vom Gegenteil ausgehen162 und als Formstatut immer das Recht des Unterschriftsortes zur Anwendung berufen (Artt. 3 I, II (W), 4 I, II (S)). Im Anschluss an die unsichere Rechtslage163, die auch nach neuem Recht im Hinblick auf die „materiellen" Fakultativklauseln der Genfer Kollisionsabkommen besteht, wäre jedoch eine ausdrückliche Stellungnahme des Gesetzgebers zu dieser Frage zu begrüßen.
2. Rück- und Weiterverweisung
(Art. 212 (W, S) und Art. 13 IPRG)
Als Besonderheit für Staatsverträge164 ordnet Artt. 2 I 2 (W, S) einen Renvoi (italienisch ,/invio" 165 ) bei der Frage der Wechsel- und Scheckfahigkeit an. Die Vorschrift behandelt166 sowohl die Rückverweisung (,/invio indietro") als auch die Weiterverweisung (,/invio oltre"). In beiden Fällen kommt es jedoch nur zu einem Renvoi ersten Grades, d. h. die Rück- bzw. Weiterverweisung ist einmal zulässig und iuhrt zur Anwendung des entsprechenden materiellen Rechts. Der Renvoi greift nur im Rahmen der Grundsatzanknüpfung des Artt. 2 I 1 (W, S) an die Staatsangehörigkeit des Erklärenden und notwendigerweise nur wenn
159 Siehe dazu b) bb), bei Fn. 137 (allgemein) sowie Fn. 145 zur Ansicht von Arangio-Ruiz zum Formstatut. 160 Siehe allgemein unter § 3 II. 4. c). 161 Sieheb) bb). 162 1, d. S. Celle, Com., NLCC, S. 1402 (Nr. 3 Ende) und Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 150. 163 Siehe bereits Bigiavi in Fn. 94. 164 Zum Grundsatz der Sachnorm ver Weisungen in Staatsverträgen siehe § 11 II. 2. e) aa), in Fn. 118. 165 Zur Terminologie siehe Exkurs unter § 10 I. 3. a). 166 Zur italienischen Literatur siehe Arangio-Ruiz, La cambiale, S. 166; zur deutschen Literatur siehe Baumbach/Hefermehl, Art. 91 WG (= Art. 2 [W, S]), Rn. 3.
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das IPR des Heimatrechtes selbst nicht auch an die Staatsangehörigkeit anknüpft 167 . Nachdem das bisherige italienische IPR den Renvoi abgelehnt hat (Art. 30 disp. prel.) 1 6 8 , kam dieser nur im Rahmen von internationalen Verträgen zum Tragen 169 , sofern diese ausnahmsweise eine Gesamtverweisung (Kollisionsverweisung) vorsehen. Ein solcher Fall findet sich in den Artt. 2 I 2 (W, S) innerhalb des von den Vorschriften gesteckten Rahmens 170 . Das IPRG lässt den Renvoi nunmehr grundsätzlich z u 1 7 1 , wovon bei den Vorschriften über außervertragliche Schuldverhältnisse (Artt. 58 - 63 IPRG) jedoch eine Ausnahme gemacht wird (Art. 13 II c) IPRG) 1 7 2 . Über Art. 13 I V IPRG 1 7 3 kommt allerdings auch im Rahmen des Art. 59 I IPRG der Renvoi in den Grenzen des Art. 2 12 (W, S) zum Tragen 174 .
167
Insofern kommt es nur dann zu einem Renvoi, wenn der Heimatstaat nicht Mitgliedsstaat der Genfer IPR-Abkommen ist. 168 Siehe § 11 II. 2. e) aa), bei Fn. 116. 169 Allgemein dazu Vitta, in Problemi, S. 39 oben. 170 Siehe dazu Vitta, DIP III, S. 462; Ballarino, DIP 1, S. 962 oben; Balladore Pallien, DIP (1974), S. 351; Monaco, L'efficacia 2, S. 322 und Arangio-Ruiz, La cambiale, S. 166. Vitta, a.a.O. will infolge der Fakultativklausel des Art. 2 III (W, S) die Anwendung des Art. 2 I 2 (W, S) auf Ausländer beschränken („ ... relativamente ai soli stranieri , l'institut ο del rinvio, ... "), übersieht jedoch, dass Art. 2 III (W, S) nur die Anwendung des Art. 2 II (W, S) verhindert (siehe in Fn. 99), den Art. 2 I (W, S) allerdings unberührt lässt. Der Renvoi kommt somit unabhängig von der Staatsangehörigkeit der sich Verpflichtenden zum Tragen. Insofern verweist Arangio-Ruiz, a.a.O. ausdrücklich auf die Anwendung des Renvoi für italienische Staatsangehörige (auch die übrigen Autoren differenzieren nicht nach der Staatsangehörigkeit). 171 Siehe Hinweis in Fn. 168. 172 Als Rechtfertigung für diesen Ausschluss verweist Boschiero, Appunti, S. 195 (dies., auch in ZfRV 1996, S. 147) auf die Rechtswahlmöglichkeiten im außervertraglichen Schuldrecht (siehe Art. 13 II a) IPRG zum Ausschluss des Renvoi i. F. e. Rechtswahl), auf das Erfordernis, die vom Gesetzgeber vorgesehenen Anknüpfungen zu erhalten, da diese ein bestimmtes materielles Ziel verfolgen (Interessenschutz), auf die Unvereinbarkeit des Renvoi mit der Schwerpunktanknüpiung („collegamento più stretto") und die abweichenden Anknüpfungen in anderem IPR-Gesetze. Zu denselben Argumenten s. a. Munari, Com., NLCC, S. 1030, r. Sp. und CT (Barel), Art. 13, III. 3. Kritisch zu diesem absoluten Ausschluss des außervertraglichen Schuldrechts: Boschiero, a.a.O. und Munari, Com., NLCC, S. 1031. 173 I. E. dazu siehe § 11 II. 2. e) aa). 174 Boschiero, Appunti, S. 197 und Munari, Com., NLCC, S. 1035.
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG 3. Art. 63 III. camb. /Art. 55 III. ass. (ausländische Wechsel / Schecks als Vollstreckungstitel)
Bei der Umsetzung der materiellen Genfer Übereinkommen zum einheitlichen Wechsel- und Scheckgesetz in nationale italienische Gesetze175 hat der Gesetzgeber den staatsvertraglichen Bestimmungen einige Sondervorschriften hinzugefügt. Eine Regelung, die sich in anderen nationalen Gesetzen nicht findet 176 , enthalten die inhaltsgleichen Art. 63 1. camb. / Art. 55 1. ass., die die Wirkung von Wechseln bzw. Schecks als Vollstreckungstitel („titolo esecutivo") festlegen. Deren zweiter Absatz regelt im Speziellen, dass neben „inländischen"177 Wechseln / Schecks (Art. 63 I 1. camb. / Art. 55 I 1. ass. i. V. m. Art. 474 II Nr. 2 c. p. c.) auch im Ausland emittierte („emesso") Wechsel bzw. Schecks als Vollstreckungstitel im Inland gelten, sofern ihnen nach dem Recht des Ausgabeortes (Emissionsortes) eine solche Wirkung zukommt178. Während die Artt. 4 (W), 5 (S) der Genfer Kollisionsabkommen die materiel lrechtlichen Wirkungen der wertpapierrechtlichen Verpflichtungen betreffen, behandeln die Bestimmungen des Wechsel- und Scheckgesetzes die prozessuale Frage der Vollstreckbarkeit derselben in Italien179. Da es sich bei den Papieren nicht um „öffentliche" Urkunden handelt, kommen die Vollstreck-
175
Siehe oben unter I., Fn. 8. Siehe 1., in Fn. 96 zu den deutschen und österreichischen Wechsel- und Scheckgesetzen sowie zum schweizerischen Obligationenrecht. 177 Bei der Differenzierung wird auf den Emissionsort des Papieres abgestellt. 178 Allgemein zu den Bestimmungen siehe Morelli , DPCI, S. 524 - 528; zu den Vorschriften i. R. d. IPRG siehe Treves , Com., RDIPP, S. 1196 (Nr. 3) und Celle, Com., NLCC, S. 1402 (Nr. 4 Ende). 179 Morelli , DPCI, S. 25 und Treves , Com., RDIPP, S. 1196. In der Literatur war in der Vergangenheit strittig, ob es sich bei den Artt. 63 II 1. camb./ 55 II 1. ass. um Kollisionsnormen handelt, die umfassend auf ausländisches Recht verweisen, oder um Vorschriften des IZPR, die sich für einen Teilbereich des Verfahrensrechts an der Funktion des Wertpapiers im ausländischen Recht des Emissionsortes orientieren (zur Diskussion siehe Morelli , a.a.0, S. 25 - 28, insbesondere Literaturhinweise auf S. 27, Fn. 1). Der Wortlaut der Vorschriften spricht klar für ihren rein prozessualen Charakter. Celle, Com., NLCC, S. 1402, Fn. 24 bezeichnet zwar den Art. 63 1. camb. nach wie vor als „ norma specifica di diritto internazionale privato verweist aber auf das Urteil Cass. 10. 3. 1993, n. 2894, in dem der Kassationshof gemäß Art. 27 disp. prel. die prozessuale lex fori anwendet (Fn. 181). Im Ergebnis dürfte durch die Neuregelung des Art. 59 I IPRG die kollisionsrechtliche Natur der Art. 63 II 1. camb. / Art. 55 II 1. ass. nicht mehr zur Diskussions stehen. Dasselbe gilt für die Art. 104 I 2 1. camb. / Art. 11812 1. ass. (zu diesen siehe bei Fn. 186). Diskutabel ist höchstens die Frage, ob bei der Qualifikation von Wertpapieren als „Wechsel / Scheck" i. S. d. Art. 63 II 1. camb. / Art. 55 II 1. ass. materielles italienisches und ausländisches Wertpapierrecht zur Anwendung kommt (siehe im Folgenden bei 176
Fn. 184).
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barkeitsvorschriflen der Artt. 68 i. V. m. 67 IPRG180 nicht zur Anwendung. Vielmehr stehen die Art. 63 II 1. camb. bzw. Art. 55 II 1. ass. auf Grund ihres prozessualen Charakters im Zusammenhang mit Art. 12 IPRG181, der das Verfahrensrecht der lex fori unterstellt 182. Die italienische lex fori legt mittels der Art. 63 II 1. camb. / Art. 55 II 1. ass. fest, ob und inwieweit Wechsel und Schecks in Italien als Vollstreckungstitel dienen. Die Vorschriften unterstellen dabei eine Teilfrage des IZPR - nämlich die Wirkung von im Ausland emittierten Papieren als Vollstreckungstitel im Inland - dem Prozessrecht des Emissionsortes183. Daraus folgt, dass die Frage, ob bei dem Dokument ein Wechsel / Scheck vorliegt, nicht nur nach der lex emissionis zu bejahen sein muss, sondern auch nach italienischem Recht (Artt. 1, 2 1. camb. bzw. 1. ass.)184. Bei der Anwendung italienischen Rechts handelt es sich dabei um eine Auslegung der in den Art. 63 II 1. camb. / Art. 55 II 1. ass. verwendeten Begriffe „Wechsel / Scheck" nach der lex fori. Auf Grund der weitreichenden materiellen Rechtsvereinheitlichung durch die Genfer Abkommen dürften sich dabei jedoch keine Abweichungen ergeben185. Der Umstand, dass die Art. 63 II 1. camb./ Art. 55 II 1. ass. die Anwendung der italienischen lex fori für das Verfahrensrecht unberührt lassen, ist hingegen
bei den Art. 104 12 1. camb. / Art. 118 I 2 l. ass.1* 6 von Bedeutung. Diese
180
Der Begriff der „öffentlichen Urkunde" in Art. 68 IPRG entspricht demselben in Art. 2699 c. c. (siehe zur Kommentierung des Art. 68 IPRG Bariatti, Com., RDIPP, S. 1252 und Maresca, Com., NLCC, S. 1485). Zu Art. 68 IPRG siehe § 16 I. 2. b). 181 Ebenso Treves , Com., RDIPP, S. 196; s. a. Cass. 10. 3. 1993, n. 2894 (Fn. 130), S. 684 zumfrüheren Art. 27 disp. prel. 182 Zu Art. 12 IPRG siehe § 16 II. 3. b), Fn. 70. 183 Ob das ausländische Recht dadurch in das italienische Verfahrensrecht inkorporiert wird und die Vorschriften somit keine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 12 IPRG darstellen (i. d. S. Morelli , DPC1, S. 26 (Nr. 16 Anfang) zum alten Recht des Art. 27 disp. prel.) oder ob das italienische Recht für prozessuale Fragen ausnahmsweise auf ausländisches Recht verweist, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben. Die Feststellung, ob ein Wechsel / Scheck nach dem Recht des Emissionsortes als Vollstreckungstitel gilt, obliegt nach neuerer Rechtsprechung dem italienischen Richter; siehe Cass., 10. 3. 1993, n. 2894 (Fn. 130), S. 684 (vierter und fünfter Absatz des Tenors) und S. 691 (Begründung). 184 Morelli, DPCI, S. 25 - 28 (insbesondere S. 25, Fn. 2) und Cass., 10. 3. 1993, n. 2894 (Fn. 130), S. 691. 185 Siehe oben bei Fn. 96. 186 Durch diese Vorschriften hat der italienische Gesetzgeber von der Fakultativklausel des Art. 1 II 2 des Genfer Übereinkommens über das Verhältnis der Stempelgesetze zum Wechsel- / Scheckrecht (s. ο. I., Fn. 8) Gebrauch gemacht. In Deutschland ist hingegen das Wechselsteuergesetz (= Stempelgesetz) einschließlich der Wechselsteuer-DVO durch Art. 4 I Nr. 2 b) und d) des Finanzmarktförderungs-
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„abgabenrechtlichen Bestimmungen" verhindern allgemein die Funktion von Wechseln / Schecks als Vollstreckungstitel (Art. 474 II Nr. 2 c. p. c.), wenn findie Wertpapiere nicht rechtzeitig Stempelgebühren entrichtet worden sind. Ob die Vollstreckungswirkung der Papiere dabei über Art. 63 II 1. camb. / Art. 55 II 1. ass. in Verbindung mit dem ausländischen Prozessrecht festgestellt wurde oder allein nach inländischem Recht187, ist unerheblich. Die Art. 104 I 2 1. camb. / Art. 118121. ass.finden somit auch auf im Ausland emittierte Papiere Anwendung188.
VI. Art 59 I I I (sonstige „handelbare" Wertpapiere) Neben dem Hinweis in Art. 59 I IPRG auf die Genfer IPR-Abkommen zum internationalen Wechsel- und Scheckrecht enthält der Absatz III des Art. 59 IPRG eine autonome nationale Kollisionsnorm für „sonstige Wertpapiere". Auch diese Regelung betrifft lediglich die Frage des Wertpapierrechtsstatuts 189. Zur Anwendung berufen wird in erster Linie das Ortsrecht der wertpapierrechtlichen Emission (Art. 59 III 1 IPRG). Für „Nebenverpflichtungen" soll hingegen selbständig an den Ort der Unterschrift angeknüpft werden (Art. 59 III 2 IPRG)190. Art. 59 III IPRG behandelt die „anderen handelbaren Wertpapiere", die Art. 1 II c) EVÜ vom Anwendungsbereich des Römischen Vertragsabkommens ausschließt191. Dies ergibt sich aus der Abgrenzung zum EVÜ und wird von der Literatur einhellig bestätigt192. Der italienische Gesetzgeber hat insofern den Bereich des Wertpapierrechts, den das EVÜ dem nationalen IPR zur autonomen Regelung überlassen hat, gesetzlich normiert 193.
gesetzes vom 22. 2. 1990 mit Wirkung zum 1. 1. 1992 aufgehoben worden (BGBl. 1990 I, S. 266 [282]). 187 Siehe bei Fn. 177. 188 Morelli , DPCI, S. 25 (Fn. 2) und S. 27 (Fn. 2) sowie CCT (Ricci), Art. 474, V. 1. und Picardi (Lombardi); Art. 474, Nr. 3. 1. mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Corte di Cassazione. 189 Siehe dazu oben unter IV. 2. 190 I. E. zu den Anknüpfungen des Art. 59 III IPRG und insbesondere zur umstrittenen Regelung des Art. 59 III 1 IPRG siehe unter 3. 191 Zu Art. 1 II c) EVÜ siehe § 14 III. 2. c). 192 Siehe Celle, Com., NLCC, Art. 59, S. 1404 f. (Nr. 7); Benedetelli, Com., NLCC, Art. 57, S. 1377 und CT (Barel), Art. 9, V. 1. 193
Im Gegensatz dazu bleibt es im deutschen Recht beim von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Gewohnheitsrecht (Reithmann / Martiny (Martiny), Rn. 176). Das Wertpapierrechtsstatut wird demzufolge wie das verbriefte Recht angeknüpft (e. M.: BGHZ 108, S. 353 (356); Staudinger (Stoll), IntSachenR, Rn. 412, 415; MüKo
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Dass Art. 59 III IPRG nur von „sonstigen Wertpapieren" spricht und den Begriff der „Handelbarkeit" vermeidet, hängt wohl damit zusammen, dass zum einen Wertpapiere nach italienischem Sachrecht grundsätzlich „handelbar" sind 1 9 4 und zum anderen der Terminus der „Handelbarkeit" im italienischen Recht unbekannt ist. Der Begriff stammt aus dem englischen Recht („negotiable instruments") 195 .
7. Staatsverträge
Der Anwendungsbereich des Art. 59 III IPRG wird insbesondere im Bereich des internationalen Transportrechts erheblich durch internationale Abkommen geschmälert (Art. 2 I IPRG) 1 9 6 . Gemeinschaftsrechtlich ist dabei auf die EG-Kompetenz zur gemeinsamen Verkehrspolitik gemäß Artt. 70 - 80 n. F. (= Artt. 74 - 84 a. F.) EGV zu verweisen. Darüber hinaus ist das internationale Transportrecht von einer Reihe von materiellrechtlichen Einheitsabkommen geprägt, die Vorschriften zu Warenpapieren 197 enthalten. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vor allem die sog. Haager Visby-Regeln zum Recht der Konnossemente198.
CKreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 119; MüKo (Martiny), Art. 37, Rn. 35, Fn. 83 und v. Hoffmann, IPR, § 12, Rn. 14). Es richtet sich je nach Art dieses Rechts nach dem Schuldrechts- (Forderungen), dem Sachenrechts- (dingliche Rechte) oder dem Gesellschaftsrechtsstatut (Aktien). Trotz des Ausschlusstatbestandes des Art. 37 Nr. 1 EGBGB kann i. R. d. bei Regelungslücken durch analoge Anwendung der Artt. 27 - 36 EGBGB auf die Rechtsgedanken des EVÜ zurückgegriffen werden, was insbesondere für die Frage der Rechtswahlmöglichkeit gilt (BGHZ 99, S. 207 (210); v. Bar, in FS W. Lorenz, S. 287 - 289; Soergel (v. Hoffmann), Art. 37, Rn. 39 und MüKo (Martiny), Art. 37, Rn. 38, Fn. 95; s. a. Mankowski, Neue internationalprivatrechtliche Probleme des Konnossements, in TransportR 1988, S. 410 - 420 (413)). 194 Nach italienischem Recht sind - im Gegensatz zum deutschen Recht - auch Rektapapiere „handelbar"; dazu und zu den „uneigentlichen Wertpapieren" siehe unter 2. c). 195 Siehe dazu unter 2. a). 196 Siehe auch Hinweise bei Malatesta, in RDIPP 1992, S. 903; Treves, Com., RDIPP, S. 1197 und Maglio / Thorn, in ZVglRWiss 1997, S. 380, Fn. 200. 197 Zu dem Begriff der „Warenpapiere" siehe IV. 2, bei Fn. 66. 198 „Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über Konnossemente" (Haager-Regeln) vom 25. 8. 1942 (RBG1. 1939, II, S. 1049) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 23. 2. 1968 (sog. Visby-Regeln); deutscher Text abgedruckt in Prüßmann / Rabe, Seehandelsrecht, 3. Auflage, 1992, Anh. III. C. zu § 663 b HGB. Das Abkommen ist für Italien am 22. 11. 1985 in Kraft getreten (Gazz. Uff. 5. 9. 1985, n. 209 - s. a. Maglio / Thorn, in ZVglRWiss 1997, S. 381, in Fn. 200). Die Visby-Regeln sollen durch die sog. Hamburg-Regeln ersetzt werden (Art. 31 der Hamburg-Regeln begründet insofern ein Pflicht der Mitgliedsstaaten, die Visby-Regeln zu kündigen). Das „Ubereinkommen der Vereinten Nationen über die Beförderung von
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Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG 2. Der Anwendungsbereich des Art. 59 III IPRG („handelbare Wertpapiere" i. S. d. Art. I Ile) EVÜ)
a) Autonome Auslegung des Begriffs der „handelbaren Wertpapiere"?
Der in Art. 1 II c) EVÜ verwendete Terminus des „handelbaren Wertpapiers" entspringt dem englischen Recht (,negotiable instruments") 199 . Dabei kommt es entscheidend auf den Begriff der „Handelbarkeit" an 2 0 0 . Gemäß dem Bericht von Giuliano / Lagarde zum EVÜ wird die Frage, ob ein Papier als „handelbar" einzustufen ist, nicht vom Abkommen selbst geregelt, sondern obliegt dem vom IPR der lex fori zur Anwendung berufenen materiellen Recht (lex causae)201. Neben umfangreicher Zustimmung 202 hat diese Einschätzung auch erhebliche Kritik hervorgerufen. Die ablehnenden Stimmen verweisen auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung der vom EVÜ verwendeten Rechtsbegriffe (Art. 18 EVÜ) und verweisen auf eine
Gütern auf See" von 1978 (sog. Hamburg-Regeln - deutscher Text in TranspR 1992, S. 436 - 442 mit Aufsatz Mankowski, S. 301 - 313) befindet sich seit dem 1. 11. 1992 in Kraft und regelt nicht nur Konnossemente, sondern allgemein Transportdokumente im Seefrachtbereich. Wie die meisten europäischen Länder ist Italien diesem Abkommen jedoch noch nicht beigetreten (Hinweis bei Malatesta, in RDIPP 1992, S. 903, in Fn. 73; s. a Prüßmann / Rabe, a.&0., Anh. IV. A. § 663 b HGB zu den Mitgliedsstaaten des Abkommens). 199 Ebenso der französische („instrument négociable") und italienische Text („strumenti negoziabile") des EVU. Dieselbe Formulierung beinhaltet der englische Originaltext des CISG im Ausschlusstatbestand des Art. 2 d). Die deutsche Übersetzung des CISG spricht hingegen - im Gegensatz zum EVÜ - nur von „Wertpapieren" (zu dem Abkommen mit Quellenangaben siehe § 14 II. 1. a), Fn. 11). Der Begriff der „negotiable instruments" findet sich auch in den Vorläuferabkommen zum CISG (Art. 5 I a) ULIS (= EKG); Art. 1 VI a) ULFIS (= EAG)) sowie in Art. 4 d) des „New Yorker Übereinkommen über die Veijährungsfrist beim internationalen Kauf beweglicher Sachen" vom 13. 6. 1974 (zum Text siehe RabelsZ 1975, S. 342 (346)). 200 Von untergeordneter Bedeutung ist die Frage, ob das nationale Recht das jeweilige Dokument als „Wertpapier" einstuft. Dies ist auch dem Bericht von Giuliano / Lagarde zum EVÜ zu entnehmen, der allein die Frage der „Handelbarkeit" bespricht (BT-Drucks. 10 / 503, S. 43, (4) Ende); s. a. unter c), bei Fn. 231 zu den „uneigentlichen Wertpapiern" nach italienischem Recht. 201 Bericht von Giuliano / Lagarde, in BT Drucks. 10 / 503, S. 43, Nr. (4) Ende. 202 v. Bar, in FS W. Lorenz, S. 285; Soergel (v. Hoffmann), Art. 37, Rn. 35 und Staudinger (Magnus), Art. 37, Rn. 45. Ebenso Plender, The European Contracts Convention, 1991, S. 65 unter 4.17.; differenzierend (siehe Fn. 206) MüKo (Martiny), Art. 37, Rn. 35 m.w.N. (im Gegensatz zur Vorauflage - Fn. 204). Als wünschenswert bezeichnet auch Malatesta, in RDIPP 1992, S. 890 - 894 (Nr. 2) eine Auslegung nach nationalem Recht, er sieht jedoch in Art. 18 EVÜ eine Indiz für eine autonome Auslegung (S. 894, Nr. 2 Ende).
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zukünftige Auslegungskompetenz des EuGH zum Römischen Abkommen203. Der Begriff der „Handelbarkeit" soll insofern gemeinschaflsrechtlich ausgelegt werden 204. Eine autonome Bestimmung des Terminus erscheint insbesondere angebracht, weil es hierbei um die Festlegung des Anwendungsbereiches des EVÜ geht205. An diesem Punkt ist jedoch zu differenzieren 206: Der obigen Kritik ist insofern beizupflichten, als Rechtsbegriffe des EVÜ autonom auszulegen sind (Art. 18 EVÜ) 207 . Dies gilt für die Definition des vom Übereinkommen verwendeten Begriffes der „handelbaren Wertpapiere". Was darunter abstrakt zu verstehen ist, muss gemeinschaftsrechtlich bestimmt werden. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedsstaaten des Römischen Abkommens dieser Terminusfremd ist. Die Frage, ob ein konkretes Wertpapier jedoch dieser Definition entspricht und welche Verpflichtungen von dieser „Handelbarkeit" betroffen sind, kann im Einzelnen nur durch die Anwendung materiellen Rechts festgestellt werden208. Nachdem sich bis heute keine „internationalen Wertpapiere" im Umlauf befinden 209, sind Wertpapiere nach wie vor das „Geschöpf einer nationalen
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Siehe dazu unter § 19 I. 1. Schultsz, The Concept of Characteristic Perfomance and the Effect of the E. E. C. Convention of Carriage Goods, in North (Hrsg.), Contract Conflicts, 1982, S. 188 mit Hinweis auf die zukünftige Auslegungkompetenz des EuGH zum EVÜ (s. u. in § 19). Dafür spricht sich dem Grunde nach auch die Literatur in Italien aus: Celle, Com., NLCC, S. 1404 m.w.N. in Fn. 29; Benedetteli i, Com., NLCC, S. 1376; Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 153 f. m.w.N. in Fn. 46 und Ballarino , DIP 2, S. 721 sowie ders. bereits früher in Ballarino / Bonomi, Materie escluse, S. 98; s. a Fn. 202 zu Malatesta. Auch die italienische Literatur differenziert jedoch an dieser Stelle (Fn. 206). Anknüpfend an Schultsz hat auch MüKo (Martiny), 2. Auflage; Art. 37, Rn. 16 ursprünglich eine einheitliche Auslegung durch den EuGH befürwortet („ nach Möglich204
keit sollte der EuGH... einen einheitlichen Begriff entwickeln"',
ders. auch in Reithmann
/ Martiny, Rn. 176 Ende), während Martiny in der 3. Auflage zum MüKo nur noch von einer Möglichkeit spricht („könnte") und sich im Übrigen für die hier vertretene Differenzierung ausspricht (Fn. 202, 206). 205 Allgemein dazu siehe § 18 I. 1., bei Fn. 14. 206 Ebenso MüKo (Martiny), Art. 37, Rn. 35 (zur Vorauflage siehe Fn. 204) und in der italienischen Literatur Ballarino, DIP 2, S. 721: (autonome Auslegung des Begriffs „negotiable instruments") und S. 722, letzter Absatz des „Kleingedruckten" (Einstufung im Einzelfall) sowie Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 154. 207 Siehe dazu § 18 I. 1. 208 Dies lässt sich auch dem Bericht von Giuliano / Lagarde entnehmen (Fn. 200, 201), der erst auf die Frage der Handelbarkeit eingeht und dann für die Einstufung des konkreten Dokuments das IPR des Gerichtsstandes anwendet. 209 Siehe allerdings I., Fn. 9 zum UNICITRAL-Übereinkommen von 1988.
276
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Rechtsordnung"210. Das materielle Wertpapierrecht ist jedoch - abgesehen vom Wechsel- und Scheckrecht211 - in den Rechtssystemen der Vertragsstaaten des EVÜ unterschiedlich ausgeformt. Insofern können bestimmte Gruppen von Wertpapieren nach dem Recht des einen Staates als „handelbar" gelten, nach dem Recht eines anderen Staates jedoch nicht 212 . Die „Handelbarkeit" eines Wertpapiers kann somit nur mit Hilfe des im konkreten Fall anwendbaren Wertpapierrechtsstatuts ermittelt werden, das durch das IPR der lex fori, also in Italien gemäß Art. 59 III IPRG zu bestimmen ist 213 . Dem würde auch eine zukünftige Auslegungskompetenz des EuGH über das EVÜ nicht entgegenstehen, wie auch die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs zum EuGVÜ zeigt214. Eine einheitliche Auslegung von Staatsverträgen erweist sich immer dann als problematisch, wenn die Klärung des im Vertragstext verwendeten Rechtsbegriffes der Anwendung materiellen Rechts bedarf und sich dieses in den jeweiligen Mitgliedsstaaten nicht deckt. Im Einzelnen wird auf die Frage der Auslegung der Staatsverträge im Rahmen des IPRG noch später eingegangen215. Genau genommen handelt es sich bei der Frage, ob im konkreten Fall ein „handelbares Wertpapier" gegeben ist, gar nicht um eine Auslegung des staatsvertraglichen Terminus. Nach der abstrakten Bestimmung des Begriffs der „Handelbarkeit" gibt es nämlich nichts mehr auszulegen. Vielmehr erfolgt an diesem Punkt lediglich eine Subsumtion des nationalen Sachrechts unter die autonome, aber abstrakte Definition des Terminus216.
210
Staudinger (Stoll), IntSachenR, Rn. 412 Ende. Siehe I., bei Fn. 8 zum einheitlichen Wechsel- und Scheckgesetz. Es ist jedoch zu beachten, dass Spanien als Vertragsstaat des EVÜ den Genfer Abkommen nicht beigetreten ist (zu den Mitgliedsstaaten siehe Baumbach / Hefermehl, WG / SchG, Anh. 7 zu WG und Anh. 2 zu SchG). 212 Siehe unter c) zu den Rektapapieren nach italienischem und deutschem Recht. 213 Siehe IV. 2., Fn. 59. 214 Siehe unter § 18 1. 1., insbesondere Fn. 8 zur Entscheidung EuGH, 6. 10. 1976, Rs. 12 / 76 - Tessili ./. Dunlop zur Bestimmung des „Erfüllungsortes" gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ In dem Urteil hat sich der EuGH „in Ermangelung jeder Vereinheitlichung des anwendbaren materiellen Rechts" gegen eine autonome Bestimmung des „Erfüllungsortes" ausgesprochen und dessen Festlegung der lex causae überlassen. Zum Begriff des „Erfüllungsortes" s. a. § 18 I. 2. b) aa). 2.5 I. E. dazu siehe § 181. I.und2. 2.6 Siehe dazu i. E. unter § 18 I. 2. 211
§15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
277
b) Der Begriff der „Handelbarkeit" und der Umfang des Ausschlusses vom Anwendungsbereich des EVÜ Infolge seines Ursprunges ist der Begriff der „Handelbarkeit" („negotiable") in Anlehnung an das englische Recht auszulegen. Der Terminus umschreibt Dokumente, durch die nicht nur ein bestehendes Recht (Grund- / Kausalforderung) verbrieft, sondern ein abstraktes Forderungsrecht begründet wird, das unabhängig von der Grundforderung besteht. Dieses Recht muss neben die Forderung aus dem Kausalverhältnis treten 217 und insofern selbständig wie eine Ware übertragbar sein218. Im Falle einer solchen Übertragung entscheidet das Wertpapierrechtsstatut darüber, ob das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier folgt 219. „Handelbare" Wertpapiere können nach eigenen wertpapierrechtlichen Regeln übertragen werden, die „im Interesse der Verkehrsfähigkeit besonders ausgestaltet" sind220. Diese Besonderheiten und ihre Selbständigkeit gegenüber den Grundverhältnissen der Wertpapierausstellung rechtfertigen es, die „handelbaren Wertpapiere" gemäß Art. 1 II c) EVÜ aus dem Anwendungsbereich des Abkommens auszunehmen. Unabhängig davon kann die Kausalforderung grundsätzlich auch mittels Zession abgetreten werden. Das Wertpapierrechtsstatut bestimmt, ob dies mög-
217 218
Zur Frage der Kausalität bei Aktien siehe IV. 2., in Fn. 74. v. Bar, in FS W. Lorenz, S. 285 f. und Mankowski (Fn. 193), S. 412, bei Fn. 24;
ebenso in der italienischen Literatur Ballarino, DIP 2, S. 23 („nasce un nuovo rapporto obbligatorio ") und Malatesta, in RDIPP 1992, S. 896 f. 2,9
Staudinger (Stoll), IntSachenR; Rn. 417; MüKo (Kreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 120; Soergel (v. Hoffmann), Art. 37, Rn. 35 und ders. in v. Hoffmann, IPR, § 12, Rn. 14. Bei der umgekehrten Frage, ob bei einer Zession der Grundforderung das Recht am Papier dem Recht aus dem Papier folgt siehe Fn. 222. Zur Übernahme der Formel „das Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier" durch die italienische Literatur siehe Ballarino, DIP 2, S. Ill (Anfang des „Kleingedruckten"). 220 Siehe BT-Drucks. 10 / 504, S. 84 zu Art. 37 Nr. 1 EGBGB ( = Art. 1 II c) EVÜ); ebenso BGHZ 99, S. 207 (209) = NJW 1987, 1145 = IPRax 1988, S. 26. Dabei ist an die Möglichkeit des gutgläubigem Erwerbes, die Beschränkung von Einwendungen und die Rechtsscheinhaftung zu denken (s. a. Soergel (v. Hoffmann), Art. 37, Rn. 36 bei Fn. 103). Umstritten ist in der deutschen Literatur die Frage, ob der Ausschluss des Art. 37 Nr. 1 EGBGB alle Verpflichtungen erfasst, die bei der speziellen Übertragungsform des Papiers mit übergehen oder lediglich die „im Interesse der Verkehrsfähigkeit besonders ausgestalteten" Verpflichtungen (siehe voriger Absatz). Um eine „unnatürliche" Aufspaltung des Wertpapierrechtsstatutes zu verhindern, ist die erstere Sichtweise vorzuziehen (siehe dazu v. Bar, FS W. Lorenz, S. 286; Soergel (v. Hoffmann), Art. 37, Rn. 37 und Mankowski (Fn. 193), S. 412).
278
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
lieh ist 2 2 1 . Sofern dies bejaht wird, entscheidet das Wertpapiersachstatut darüber, ob das Recht am Papier dem Recht aus dem Papier folgt 2 2 2 .
c) „Handelbare Wertpapiere" nach deutschem und italienischem materiellen Recht
Sofern Wertpapiere dem deutschen Sachrecht unterliegen ist der Begriff der „handelbaren Wertpapiere" weitestgehend mit Inhaber- und Orderpapieren gleichzusetzen 223 , da diese durch Besitzübergabe (§§ 929 ff. BGB) bzw. Indossament (Artt. 11 WechselG, 14 ScheckG) selbständig übertragen werden können (Wertpapiere i. e. S. 2 2 4 ). Es kommt insofern auf die Abstraktheit der Forderungsrechte an 2 2 5 . Durch die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbes (§§ 932 ff. BGB, 366 HGB bzw. Artt. 16 II WechselG, 21 ScheckG) und die Beschränkung von Einwendungen (§§ 796 BGB, 364 I I HGB bzw. Artt. 17 WechselG, 22 ScheckG) wird die Umlauffahigkeit von Inhaber- und Orderpapieren gesteigert. Für Rektapapiere (Namenspapiere) gilt dies hingegen nicht (Wertpapiere i. w. S.) 2 2 6 . Bei diesen kann nach deutschem Recht lediglich die Grundforde221
Staudinger (Stoll), IntSachR, Rn. 417 m.w.N. In der deutschen Literatur ist bei Inhaberpapieren umstritten, ob neben der wertpapierrechtlichen Übertragung (§§ 929 ff. BGB) auch eine Abtretung der Kausal forderung (§§ 398 if. BGB) zulässig ist (dafür Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Auflage, § 2 II. 1. b) m.w.N. und Baumbach / Hefermehl, WG / SchG, WPR, Rn. 31 ; dagegen die bisher h. M. Pal. (Heinrichs), 222
§ 398 BGB, Rn. 8).
Zu dieser umstrittenen Frage siehe in IV. 3., Fn 83; zum umgekehrten Fall siehe
Fn. 219. 223 Insofern spricht Art. 37 Nr. 1 EGBGB im Gegensatz zu Art. 1 II c) EVÜ nicht von „anderen Wertpapieren" sondern im Anschluss an die deutsche materielle Rechtslage nur von „anderen Inhaber- oder Orderpapieren" (siehe dazu BT-Drucks. 10 / 504, S. 84). Die deutsche Umsetzung des EVÜ in den Artt. 27 - 37 EGBGB (siehe dazu § 19 III. 1.) erweist sich insofern an diesem Punkt als nicht vertragsgetreu (a. A. Soergel (v. Hoffmann), Art. 37, Rn. 35, bei Fn. 96, der darin keine sachliche Änderung sieht). Sofern nämlich das Wertpapierrechtsstatut, das die Frage der „Handelbarkeit" zu klären hat (siehe unter IV. 2., Fn. 59), Rektapapiere als „handelbare Wertpapiere" versteht (siehe im Folgenden zum italienischen Recht), gelangt man über Art. 1 II c) EVÜ zur Anwendung des nationalen Wertpapierrechtsstatuts; gemäß Art. 37 Nr. 1 EGBGB müsste hingegen das Vertragsstatut angewendt werden (Artt. 27 - 37 EGBGB = EVÜ). 224 Diese werden insofern auch als „Verkehrspapiere" (MüKo (Kreuzer), nach Art. 38 Anh. I, Rn. 118) oder „Wertpapiere öffentlichen Glaubens" (Baumbach / Hefermehl, WG / SchG, WPR, Rn. 10) bezeichnet. 225 Siehe oben unter b). 226 Ebenso zu Art. 2 d) CISG (Fn. 199) nach deutschem, englischem und französischem Recht v. Caemmerer / Schlechtriem (Herber), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht (CISG), 2. Auflage, München 1995, Art. 2, Rn. 29.
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
279
rung übertragen werden (§§ 398 ff. BGB). Das Wertpapiersachstatut entscheidet dann, ob das Recht am Papier dem Recht aus dem Papier folgt 227 . Nach italienischem materiellen Recht sind Inhaber- („titoli al portatore" -
Artt. 2003 - 2007 c. c.) und Orderpapiere („titoli all'ordine" - Artt. 2008 2020 c. c. bzw. Art. 15 1. camb. / Art. 17 1. ass.) ebenso ausgestaltet wie im deutschen Recht. Im Gegensatz zum deutschen Recht erfolgt jedoch auch bei Rekta-/ Namenspapieren („titoli nominativi") die Übertragung nach besonderen wertpapierrechtlichen Vorschriften. Das Papier kann insofern durch Namensanmerkung und Registrierung (Art. 2022 c. c.) oder durch Indossament (Art. 2023 c. c.) übertragen werden. Zudem gelten auch für Rektapapiere die allgemeinen Vorschriften über die Beschränkung von Einwendungen (Art. 1993 c. c.) und den gutgläubigen Erwerb (Art. 1994 c. c.). Das verbriefte Recht wird somit auch bei diesen Papieren durch das Wertpapier selbständig verkörpert („incorporazione")228. Infolgedessen sind Namenspapiere nach italienischem Recht als „handelbare Wertpapiere" i. S. d. Art. 1 II c) EVÜ zu qualifizieren 229, wie insbesondere die Anwendung der allgemeinen wertpapierrechtlichen Vorschriften des codice civile zeigt (Artt. 1993, 1994 c. c.) 230 . Etwas anderes gilt nach italienischem Recht bei qualifizierten Legitimationspapieren231, den sog. uneigentlichen Wertpapieren („titoli impropri"). Wie durch ihre Bezeichnung bereits zum Ausdruck gebracht wird, stellen sie dem Grunde nach keine Wertpapiere dar, da sie kein selbständiges Recht begrün-
227
Siehe dazu b), bei Fn. 222; zum umgekehrten Fall siehe b), Fn. 219. 1. d. S. Malatesta, in RDIPP 1992, S. 895, bei Fn. 34; s. a. Ballarino, DIP 2, S. 723 und 725. Allgemein zu Namenspapieren siehe Trabucchi , Istituzioni, § 307, Nr. 3. 228
229
230
Siehe Malatesta (vorige Fußnote).
Im Gegensatz zur deutschen Literatur erfolgt im italienischen Recht eine Differenzierung zwischen Wertpapieren i. e. S. und i. w. S. somit nicht nach der Handelbarkeit der Papiere („Umlauffähigkeit"). Eine derartige Unterscheidung wird vielmehr danach getroffen, ob Papiere Geldforderungen (Wechsel, Schecks usw.) und Gattungsschulden (Wertpapiere i. e. S.) oder Rechte an bestimmten Sachen (Warenpapiere) bzw. bestimmte Rechtsstellungen (Mitgliedschaftspapiere wie Aktien - Artt. 2346 ff. c. c.) verbriefen (Wertpapiere i. w. S.); siehe dazu SB (Fiorentino), vor Artt. 1992 - 2002, Nr. 42). 231 Nach deutschem Recht stellen qualifizierte Legitmationspapiere eine besondere Form der Rektapapiere dar (Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Auflage, § 28) und sind insofern auch nicht als „handelbar" einzustufen (s. o. zu den Rektapapieren im deutschen Recht). Unstrittig nicht zu den „handelbaren" Papiern zählen sog. „einfache" Legitimationsurkunden („documenti di legittimazione" - Art. 2002 1. Var. c. c.); siehe Celle, Com., NLCC, S. 1404, Fn. 31 und Damascelli, in RDI 1997, S. 84, bei Fn. 14.
280
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
den232. Vielmehr soll durch sie lediglich die Übertragung des verbrieften Rechts erleichtert werden (Art. 2002, 2. Var. c. c.). Beim Versicherungsschein („polizza di assicurazione") mit Order- oder Inhaberklausel (Art. 1889 c. c.) ist insofern die Form der Übertragung entsprechend den Order- bzw. Inhaberpapieren ausgestaltet (Artt. 1889 I i. V. m. 2008, 2011 bzw. 2003 c. c.), die allgemeinen Vorschriften über Wertpapiere finden jedoch keine Anwendung (Art. 2002, 2. Var. 233 c. c.). Insofern können insbesondere Einwendungen gegen uneigentliche Wertpapiere unbeschränkt geltend gemacht werden (Art. 1993 c. c.) und besteht keine Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbes (Art. 1194 c. c.). Ihre Übertragung wirkt wie eine einfache Zession (Art. 1889 I c. c.). Durch sie wird somit kein abstraktes Forderungsrecht begründet234, so dass nicht von „handelbaren" Wertpapieren gesprochen werden kann235. Der Anwendungsbereich des Art. 59 III IPRG erstreckt sich vor allem auf sog. Warenpapiere („titoli rappresentativi di merci" - Art. 1996 c. c.) 236 . Auch wenn der Kommissionsbericht bei der Bestimmung des Anwendungsbereiches der Vorschrift ausschließlich diese erwähnt 237, greift der Absatz III des Art. 59 IPRG auch bei sonstigen „handelbaren" Wertpapieren wie z. B. Anlagepapieren („titoli di investimento")238.
232
Trabucchi , Istituzioni, § 316. Gemäß Art. 2002, 1. Var c. c. gilt dies auch für die einfachen Legitimationspapiere („documenti di 1 egitimazione" - zu diesen siehe Fn. 231). 234 Siehe oben unter b) zur Definition des Begriffs der „Handelbarkeif 4. 235 Α. A. Malatesta, RDIPP 1992, S. 895 bei Fn. 37 zum Versichungsschein („polizza di assicurazione") mit Hinweis auf dessen Übertragbarkeit parallel zu Order- bzw. Inhaberpapieren (Art. 1889 c. c.). 236 Allgemein zu Warenpapiern s. ο. IV. 2., bei Fn. 65. Zu deren Bedeutung siehe deren ausdrückliche Erwähnung im Kommissionsbericht des IPRG (nächste Fußnote) sowie deren ausführliche Besprechung in den Kommentierung bei Celle, Com., NLCC, S. 1405 - 1408 und den Hinweis von Damascelli, in RDI 1997, S. 84, bei Fn. 15. Zu Warenpapieren nach italienischem Recht siehe an Order ausgestellte Frachtbriefe („lettera di vettura") und Ladescheine („ricevuta di carico") gemäß Artt. 1684, 1691 c. c. bzw. Lagerscheine („fede di deposito" - Artt. 1790, 1792 c. c.) und Pfandscheine („nota di pegno" - Artt. 1791, 1792 c. c.); Konnossemente („polizza di carico" - Artt. 460 II, 463 cod. nav. bzw. „polizza ricevuta per l'imbarco" (Empfangskonnossement) Artt. 460 I, 463 cod. nav.), die als Order-, Inhaber- oder Rektapapiere ausgestaltet werden können (Art. 464 cod. nav.); dasselbe gilt für Lieferscheine („ordine di consegna" Art. 466 cod. nav.) und Luftfrachtbriefe („lettera di trasporto aereo" Artt. 961,962 cod. nav.). 237 RDIPP 1989, S. 980 zu Art. 61 (= Art. 59 IPRG). 233
238
Ballarino , DIP 2, S. 725 und CT (Barel), Art. 59, V. 2.
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
281
3. Die Anknüpfungen des Art. 59 III IPRG
Obwohl sich die h. M. im Rahmen des alten Rechts für die Kreationstheorie ausgesprochen hatte239, entschied sich der italienische Gesetzgeber in Art. 59 III 1 IPRG bei den wertpapierrechtlichen Hauptverbindlichkeiten für die Anwendung des Ortsrechts der wertpapierrechtlichen Emission240. Lediglich alle sonstigen Verpflichtungen unterliegen dem Recht ihres Begründungsortes (Art. 59 III 2 IPRG)241; gemäß der vormals herrschenden Kreationstheorie ist damit der Ort ihrer Ausstellung gemeint (= Unterschriftsort). Durch diese Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenverpflichtungen bestätigt das Gesetz das von der Literatur ausgearbeitete Prinzip der Unabhängigkeit der einzelnen wertpapierrechtlichen Verpflichtungen 242. Trotz des klaren Wortlauts des Art. 59 III 1 IPRG bleibt die Anknüpfung der Vorschrift in der Literatur umstritten. Auslöser dafür sind die widersprüchlichen Ausführungen der Expertenkommission zu Art. 59 III 1 IPRG. In ihrem Bericht hat die Kommission nämlich den Begriff der „Emission" dem Begriff der „Kreation" gleichgesetzt243. Nachdem sich die Kommission in ihrer Begründung zu Art. 59 III IPRG zudem auf die alte Rechtslage unter dem Art. 25 II disp. prel. 244 beruft und diese in dem neuen Gesetz übernehmen will, spricht sich die Literatur im Rahmen des Art. 59 III 1 IPRG ζ. T. für die
239
Siehe III., Fn. 39.
240
Art. 59 III 1 IPRG: „ ... legge dello Stato in cui il titolo è stato emesso. "
Die deutschen Übersetzungen zum IPRG erweisen sich hierbei als uneinheitlich und z. T. unrichtig. In der Sache korrekt ist es, vom Ortsrecht der „Begebung" (= Aushändigung) zu sprechen (siehe Kronke, in IPRax 1996, S. 366 und RabelsZ 1997, S. 358; daran anknüpfend Pocar, in IPRax 1997, S. 158 und Maglio / Thorn , in ZVglRWiss 1997, S. 380). Da der Begriff der „Begebung" jedoch in der deutschen Literatur zumeist im Zusammenhang mit dem zur Begründung der wertpapierrechtlichen Verpflichtung notwendigen Begebungsvertrag verwendet wird (siehe II., Fn. 23), könnte dies zu Missverständnissen im Hinblick auf das italienische Verständnis von Wertpapieren als einseitige Rechtsgeschäfte führen (s. o. unter IL, Fn. 17 und III., Fn. 35). Authentischer ist es insofern auch in der deutschen Übersetzung vom Ort der „Emission" zu sprechen (De Meo, in ZfRV 1996, S. 59 und ders., in Riering, S. 73: „emittiert"). Unzutreffend ist es jedoch das Ortsrecht der Ausstellung zur Anwendung zu berufen (Bauer u. a., NebG, S. 765; ebenso Aufsatz von Pesce, in RIW 1995, S. 981, V. 3.), da dies der Kreationstheorie entspricht. 241 Die Regelung entspricht somit der allgemeinen Bestimmung des Art. 58 IPRG zu einseitigen Rechtsgeschäften; siehe III., in Fn. 37. 242 Zum bisherigen Recht siehe Vitta, DIP III, S. 454 unten m.w.N. in Fn. 40. 243 RDIPP 1989, S. 980 zu Art. 61 (= Art. 59 IPRG), Absatz 3: „ ... il diritto dello Stato in cui il titolo è stato emesso (e cioè la legge del luogo di creazione dei vari titoli ), 244
Siehe dazu unter III.
282
Kap. IV: Die besonderen Hinweisnormen der Artt. 42 I, 45, 57, 591 IPRG
Anwendung des Rechts des Unterschriftsortes aus245. Dies solle dem gesetzgeberischen Willen entsprechen und mit den Genfer IPR-Abkommen korrespondieren 246. Dem widerspricht jedoch der eindeutige Wortlaut des Art. 59 III 1 IPRG, der eine Auslegung zugunsten des Ortsrechts der Ausstellung nicht zulässt247. Dies steht auch nicht im Gegensatz zum bisherigen Art. 25 II disp. prel., der das Ortsrecht der Rechtsbegründung zur Anwendung beruft. Der italienische Gesetzgeber hat sich lediglich durch seine Normierung entgegen der h. M. für die Emission als Begründungstatbestand entschieden. Der angesprochene Streitpunkt dürfte sich jedoch nur in Einzelfällen auswirken, da Ausstellungs(Kreation) und Ausgabeort (Emission) in der Regel zusammenfallen.
VII. Nicht handelbare Wertpapiere Nicht „handelbare" Wertpapiere verkörpern gemäß den obigen Ausführungen248 kein abstraktes Forderungsrecht, sondern verbriefen lediglich den Anspruch aus dem der Ausstellung des Papiers zugrunde liegenden Kausalverhältnisses. Eine eigenständige schuldrechtliche Anknüpfung des Papiers ist demzufolge nicht gerechtfertigt, so dass sie keinem eigenen Wertpapierrechtsstatut unterliegen249. Der Art. 59 IPRG findet somit keine Anwendung. Die Papiere unterliegen vielmehr dem Recht des Kausalgeschäftes zwischen Aussteller und Empfanger 250, also zumeist dem Art. 57 IPRG i. V. m. dem EVÜ 251 . Bei einer Abtretung des verbrieften Rechts greift dann Art. 12 EVÜ. Neben dem Grundverhältnis ist lediglich das Wertpapiersachstatut zu bestimmen, das darüber entscheidet, ob das Papier das Schicksal des ihm zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses teilt („Recht am Papier folgt dem Recht aus dem Papier") 252. 245
Celle, Com., NLCC, S. 1403 mit Hinweis (Fn. 27 bis ) auf eine unveröffentlichte Entscheidung des Tribunale Livorno vom 2. 4. 1995 zum alten Recht; ebenso Treves , Com., RDIPP, S. 1197. 246 Celle, Com., NLCC, S. 1403; zu den dementsprechenden Anknüpfungen der Genfer Abkommen s. o. \.,Fn. 41. 247 Ebenso für das Recht des Emissionsortes Ballarino, DIP 2, S. 724 und CT (Barel), V. 4.; s. a. Fn. 240 zu den deutschen Übersetzungen des Art. 59 II 1 IPRG. 248 Siehe unter VI. 2. b). 249 Siehe IV. 2., Fn. 58. 250 Zu den Kausal Verhältnissen siehe unter IV. 1. 251 I. d. S. Malatesta, in RDIPP 1992, S. 896; Benedetelli, Com., RDIPP, S. 1377, bei Fn. 72 und Celle, Com., NLCC, S. 1404, r. Sp. 252 Zu dieser strittigen Frage siehe IV. 3., bei Fn. 80 und VI. 2. b), Fn 222.
§ 15 Art. 59 IPRG (Wertpapierrecht)
283
VIII. Zusammenfassung Art. 59 IPRG enthält eine eigenständige Regelung zur Bestimmung des Wertpapierrechtsstatuts. Die Vorschrift kommt insofern nur bei „handelbaren" Wertpapieren zur Anwendung. Für Wechsel und Schecks verweist der Abs. I der Vorschrift auf die Genfer Kollisionsabkommen zum internationalen Wechsel- und Scheckrecht. Durch diesen Hinweis und die Klarstellung in Art. 59 II IPRG kommen die Abkommen nunmehr auch in Italien allseitig zur Anwendung. Art. 59 III IPRG regelt das Wertpapierrechtsstatut für sonstige handelbare Wertpapiere. Das Statut bestimmt auch, ob ein Dokument als Wertpapier gilt und „handelbaren" Charakter besitzt. Der Satz 1 des Art. 59 III IPRG knüpft dabei für wertpapierrechtliche Hauptverpflichtungen an den Ort der Emission des Papieres an. „Nicht handelbare" Wertpapiere orientieren sich hingegen allein am Statut des zugrunde liegenden Kausalverhältnisses. Zur Anwendung kommt insofern in der Regel Art. 57 IPRG i. V. m. dem EVÜ.
Kapitel V
Die Anlehnung von IPRG-Normen an staatsvertragliche Regelungen
§ 16 Verfahrensrecht
I. Übersicht
1. Das Zuständigkeitsrecht
Gerade im Bereich des Zuständigkeitsrechts zeigen sich erhebliche Parallelen des IPRG zum „Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen" (EuGVÜ) vom 27. 9. 19681, die insbesondere in der Hinweisnorm des Art. 3 II 1 IPRG deutlich werden. Darüber hinaus lassen vor allem die Artt. 4 (Gerichtsstandsvereinbarungen) und 7 (Rechtshängigkeit) IPRG mit ihrer - im Gegensatz zum bisherigen Recht - liberalen Grundhaltung gegenüber ausländischen Gerichtsständen die Vorbildfunktion des Brüsseler Abkommens erkennen. Nachdem das EuGVÜ die Bereiche des Familien- und
1 BGBl. 1972 II, S. 774 (Originalfassung) i. d. F. des dritten Beitrittsübereinkommens vom 26. 5. 1989 (BGBl. 1994 II, S. 519; s. a Jayme / Hausmann, 9. Auflage, Nr. 72 bzw. Nr. 74 - 76 zu den ersten drei Beitrittsabkommen). Das Abkommen befindet sich seit dem 1. 2. 1973 (Bek. vom 12. 1. 1971, in BGBl. II, S. 60) im Verhältnis zu den damaligen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft in Kraft. Im Einzelnen zu dem Abkommen siehe die Berichte von Jenard, in ABl. EG 5. 3. 1979, C 59, S. 1 65 (= BT-Drucks. VI / 1973, S. 52 - 104) und von Schlosser, in ABl. EG 5. 3. 1979, C 59, S. 71 -151 (= BT-Drucks. 10/61, S. 31-83). Das vierte Beitrittsabkommen vom 29. 11. 1996 (ABl. EG 15. 1. 1997, C 15, S. 1) hat sachlich keine Änderungen gebracht. Das Abkommen einschließlich seines Auslegungsprotokolls ist in den neuen Mitgliedsstaaten der EG inzwischen in Kraft getreten (Österreich: 1. 12. 1998; Schweden: 1.1. 1999; Finnland: 1. 4. 1999 - siehe Jayme / Kohler, in IPRax 1999, S. 402); zum Auslegungsprotokoll siehe § 19 I., Fn. I.
§ 16 Verfahrensrecht
285
Erbrechts weitestgehend2 ausgeklammert hat (Art. 1 II Nr. 1 EuGVÜ), enthält das italienische IPRG für diese Materien besondere Zuständigkeitsvorschriften (Artt. 22 II, 32, 37, 40, 42, 44, 50 IPRG). A u f das Zuständigkeitsrecht des IPRG und vor allem dessen Harmonisierung mit dem EuGVÜ soll im Folgenden näher eingegangen werden 3. Das EuGVÜ ist mit Wirkung zum 1. 3. 2002 durch die „Verordnung (EG) Nr. 44 / 2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen" vom 22. 12. 2000 (EuGVO) 4 abgelöst und reformiert worden. Aufgrund dessen soll im Folgenden bei der Darstellung der Rechtslage nicht mehr vom EuGVÜ, sondern von der EuGVO gesprochen werden. Es werden jedoch noch die jeweiligen Vorschriften beider Abkommen genannt.
2. Die Grundzüge des Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts sowie der internationalen Rechtshilfe
Auch das Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht des IPRG ist selbstverständlich allgemeinen Standards des IZPR und damit auch dem Brüsseler Abkommen angepasst worden 5. In diesem Bereich würde es wohl aufgrund der 2
Eine Ausnahme bildet lediglich der Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ (= Art. 5 Nr. 2 EuGVO) zum Unterhaltsrecht. 3 Siehe dazu unter II. 4 ABl. EG 16. 1. 2001, Nr. L 12, S. 1; auch abgedruckt in Jayme / Hausmann, Nr. 160. Die Verordnung ist mit Wirkung zum 1. 3. 2002 für die Mitgliedstaaten der EG - mit Ausnahme Dänemarks (siehe Art. 1 III EuGVO) - in Kraft getreten und ersetzt ab diesem Zeitpunkt das EuGVU zwischen diesen Staaten (Art. 68 I EuGVO). Zur Kommentierung siehe vor allem Kropholler, EuZPR und Schlosser, EuZPR; zu den wesentlichen inhaltlichen Änderungen des EuGVÜ durch die EuGVO siehe Kropholler, a.aO., Einl. Rn. 60 ff. Der Vertrag von Amsterdam vom 2. 10. 1997 (siehe BGBl. 1998 II, S. 386) hat erstmalig die rechtliche Grundlage dafür geschaffen, Regelungen des europäischen Zivilprozessrechts im Wege einer EG-Verordnung umzusetzen (Artt. 61 c), 65 EGV Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen). Von dieser Möglichkeit haben die Mitgliedsstaaten erstmalig bei der EulnsVO (siehe § 5 III. 2., Fn. 32), der EheVO (siehe II. 3. a), Fn. 60) und mit „Verordnung (EG) Nn 1348 / 2000 des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedsstaaten44 (EuZVO - ABl. EG 2000, L 160, S. 37; auch abgedruckt in Jayme / Hausmann, Nr. 224) jeweils vom 29. 5. 2000 Gebrauch gemacht. Später ist auch die „Verordnung (EG) Nr. 1206 / 2001 des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen44 vom 28. 5. 2001 (EuBVO - ABl. EG 2001, L 174, S. 1 ; auch abgedruckt in Jayme / Hausmann, Nr. 225) auf der selben Rechtsgrundlage ergangen. 5 Siehe dazu in der deutschsprachigen Literatur Walter, in ZZP 1996, S. 21 - 27.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
„Allgemeingültigkeit" der normierten Grundsätze zu weit gehen, von einer „Anlehnung" an das damals geltende EuGVÜ zu sprechen. Dies gilt vor allem für den nunmehr verankerten Grundsatz der automatischen Anerkennung von ausländischen Entscheidungen. Die Anerkennungsvoraussetzungen des Art. 64 IPRG orientieren sich eher am bisherigen Recht (Art. 797 c. p. c.). Die Neuerungen sollen insofern im Folgenden nur kurz skizziert werden. Das Gesetz behandelt im später in Kraft getretenen Titel IV 6 die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Italien (Artt. 64 - 68 IPRG) sowie Fragen der internationalen Rechtshilfe (Artt. 6 9 - 7 1 IPRG). Eine Spezialregelung zum Anerkennungsrecht enthält zudem Art. 41 IPRG für den Bereich des Adoptionsrechts, die neben den allgemeinen Vorschriften (Art. 41 I i. V. m. Artt. 64 - 66 IPRG) auch auf die besonderen Bestimmungen des Anerkennungsrechts im nationalen italienischen Adoptionsgesetz verweist (Art. 41 II IPRG)7. Demgegenüber kommt Art. 7 S. 1 MSA im Rahmen des Art. 42 IPRG nicht zur Anwendung8; die Vorschrift ist jedoch ebenso wie andere Staatsverträge zum Anerkennungsrecht innerhalb ihres originären Anwendungsbereiches vorrangig zu beachten9.
a) Das Anerkennungsrecht aa) Bisheriges Recht
Nach bisherigem Recht erforderte die Anerkennung ausländischer Entscheidungen - wie im romanischen Rechtskreis traditionell üblich10 - gemäß Art. 796 I c. p. c. ein spezielles Klageverfahren (sog. Delibationsverfahren). Daneben bestand die Möglichkeit einer Inzidentanerkennung, die jedoch nur im anhängigen Verfahren Wirkung entfaltet hat (Art. 799 c. p. c.). In beiden Fällen verdeutlichen die strengen Anerkennungsvoraussetzungen (Art. 797 c. p. c.) das Bestreben, die Anerkennung ausländischer Urteile gering zu halten.
6
Siehe §6 1.2. Siehe § 5 III. 3., in Fn. 54. 8 Siehe § 12 VII. 2. 9 Beachte dazu neben der EuGVO und dem Art. 7 MSA die Haager Anerkennungsund Vollstreckungsabkommen zum Unterhaltsrecht (siehe § 13, II. 2., Fn. 25), das entsprechende Europäische Übereinkommen zum Sorgerecht (siehe § 12 II. 2., Fn. 24) sowie die zahlreichen bilateralen Abkommen (siehe hier unter II. 7. b) aa), Fn. 378). Zum Bereich der Rechtshilfe s. u. unter c). 10 Siehe Geimer, Das Anerkennungsrecht gemäß Art. 26 Abs. 2 des EWG-Übereinkommens vom 27. September 1968, in JZ 1977, S. 145 bei Fn. 4 bis 7 zum Anerkennungsrecht Italiens, Frankreichs, Luxemburgs und Belgiens. 7
§ 16 Verfahrensrecht
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Darüber hinaus konnte gemäß Art. 798 c. p. c. im Rahmen des Delibationsverfahrens auf Antrag des Beklagten eine Überprüfung der Sachentscheidung erfolgen („riesame del merito della causa"), sofern die Anerkennung eines ausländischen Versäumnisurteils begehrt wurde. Dies hat es einem Beklagten mit gewöhnlichem Aufenthalt in Italien ermöglicht, sich dem ausländischen Verfahren zu verweigern, da er eine Überprüfung der Entscheidung innerhalb des Anerkennungsverfahrens erreichen konnte. Die Überprüfung der Säumnis nach Art. 797 I Nr. 3 c. p. c., die sich im neuen Recht in Art. 64 c) IPRG wiederfindet, wurde somit ihres Zweckes beraubt11.
bb) Die Neuregelung
Im neuen Anerkennungsrecht des IPRG12 ist die Missbrauchsmöglichkeit des Art. 798 c. p. c. abgeschafft worden. Dies entspricht dem Nachprüfungsverbot der Artt. 36,45 II EuGVO (= Artt. 29, 34 III EuGVÜ). Die Neuregelung schreibt erstmalig im italienischen IZPR und parallel zu den Artt. 33 I, 34, 35 EuGVO (Artt. 26 I, 27, 28 EuGVÜ) die automatische Anerkennung von ausländischen Entscheidungen und Maßnahmen fest (Artt. 64 - 66 IPRG). Auch eine Inzidentanerkennung ist - entsprechend dem Art. 33 III EuGVO (Art. 26 III EuGVÜ) - weiterhin möglich (Art. 67 III IPRG). Art. 64 IPRG übernimmt größtenteils die Regelungen des bisherigen Art. 797 c. p. c. 13 . Gesetzestechnisch formuliert die Vorschrift - ebenso wie Art. 797 c. p. c. - Anerkennungsvoraussetzungen, die kumulativ gegeben sein müssen; demgegenüber bestimmt Art. 34 EuGVO (= Art. 27 EuGVÜ) - und im Anschluss an dieses auch § 328 I ZPO im deutschen Recht - alternative Versagensgründe. Modifiziert wurde im neuen Recht lediglich die Nr. 6 des bisherigen Art. 797 I c. p. c., die in Fällen der Streitgegenstandsidentität dem ausländischen Verfahren die Anerkennung verweigert hat, sofern ein entsprechendes inländisches Verfahren vor Rechtskraft des ausländischen Urteils eingeleitet wurde. Diese Regelung eröffnete eine weitere Missbrauchsmöglichkeit, da die Anerkennung eines ausländischen Urteils durch die Anhängigmachung eines Parallelverfahrens in Italien und die gleichzeitige Rechtsmitteleinlegung im 11 Siehe dazu Broggini , Riconoscimento ed esecuzione delle sentenze civile straniere nel ius comune italiano, in RDIPP 1993, S. 833 (851 f.) und im Anschluss an diesen
Walter , in ZZP 1996, S. 23. 12 Zu dem neuen Anerkennungsrecht siehe v. d. Heyde, Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Italien gemäß Artt. 64 - 66 IPRG - ein Zeichen internationaler Öffnung, in IPRax 2000, S. 441 - 444. 13 § 328 I der deutschen ZPO hat demgegenüber die Regelungen des damaligen Art. 27 EuGVÜ weitestgehend übernommen; siehe dazu vor allem in Fn. 19.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
ausländischen Prozess verhindert werden konnte. Demgegenüber stellt Art. 64 f) IPRG nunmehr darauf ab, welches Verfahren zuerst „begonnen" („inizio") 14 wurde15. Neben dieser Abweichung in der Regelung der Anerkennungsvoraussetzungen bewirken die neuen Zuständigkeitsvorschriften in Verbindung mit Art. 64 a) IPRG - der Art. 797 I Nr. 1 c. p. c. 16 in das neue Recht übernimmt - eine Erleichterung der Urteilsanerkennung. Die Vorschrift beinhaltet - wie § 328 I Nr. 1 der deutschen ZPO - das Spiegelbildprinzip des internationalen Anerkennungsrechts17. Demzufolge sind ausländische Urteile dann anzuerkennen, wenn das ausländische Gericht nach den Vorschriften des italienischen Verfahrensrechts, d. h. sofern man (hypothetisch) italienisches IZPR anwenden würde, international zuständig war. Durch die Neuregelung des Zuständigkeitsrechts im Sinne einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit ausländischer fori 18 ist diese seit langem bestehende Anerkennungsvoraussetzung in erheblichem Maße in ihrem Gehalt verändert worden. Das Spiegelbildprinzip findet sich in der EuGVO nur in eingeschränktem Maße wieder. Art. 35 I EuGVO (= Art. 28 I EuGVÜ) sieht es nur für die Zuständigkeiten nach Artt. 8 - 17, 22 EuGVO (= Artt. 7 - 1 6 EuGVÜ) vor. Im Übrigen, d. h. im Rahmen der allgemeinen Zuständigkeit nach Art. 2 I EuGVO (= Art. 2 I EuGVÜ), kann die Zuständigkeit des Gerichts im Ausgangsstaat nicht überprüft werden. Dies kann auch nicht auf Umwegen über die Bejahung eines ordre-public-Verstoßes erreicht werden, da Art. 35 III 2. Hs. EuGVO (= Art. 28 III 2. Hs. EuGVÜ) die Zuständigkeitsvorschriften allgemein der „öffentlichen Ordnung" entzieht. Die übrigen Anerkennungsvoraussetzungen des Art. 64 IPRG enthalten ebenfalls erhebliche Übereinstimmungen mit dem Art. 34 EuGVO (= Art. 27 EuGVÜ)19; dasselbe gilt für die Erleichterung der Anerkennung gemäß 14 Zum „Beginn" des Verfahrens im italienischen Recht siehe § 6 II. 1. c) zum ähnlichen Wortlaut in Art. 72 I IPRG. 15 Siehe auch unter II. 7. a), bei Fn. 355 zur Ergänzung des Art. 7 IPRG (Rechtshängigkeit) durch Art. 64 f) IPRG. 16 Nachdem im bisherigen Recht eine fast uneingeschränkte italienische Zuständigkeit bestanden hat (siehe unter II. 2. a)), war diese Anerkennungsvoraussetzung nahezu immer gegeben. 17 Siehe dazu in der deutschen Literatur MüKo-ZPO (Gottwald), § 328; Rn. 58 ff.
und v. Bar / Mankowski, IPR I, § 5, Rn. 122 - 129. 18
Siehe unten in II. 2. b). Art. 64 b) IPRG regelt ähnlich dem Art. 34 Nr. 2 EuGVO (s. a. § 328 I Nr. 2 deutsche ZPO) die Verletzung rechtlichen Gehörs als Fall des prozessualen ordre publics; Art. 64 c) IPRG erwähnt in diesem Zusammenhang zusätzlich den ordnungsgemäßen Erlass von Versäumnisurteilen. Art. 64 d) IPRG fordert über die EuGVO hinaus die Rechtskraft der anzuerkennenden Entscheidung im Ausgangsstaat. Im Brüsseler Abkommen wurde dieses Erfordernis bewusst nicht aufgestellt, um einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren (siehe 19
§ 16 Verfahrensrecht
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Artt. 65, 66 IPRG20. Im Einzelnen entsprechen sie jedoch allgemeinen GrundSätzen des IZPR 21 , die bereits in den alten Vorschriften der Zivilprozess-
ordnung zu finden waren.
Kropholler, EuZPR, Art. 32, Rn. 21); der Schuldner wird nur durch Artt. 37, 46 EuGVO (= Artt. 30, 38 EuGVÜ) geschützt. Das deutsche Recht übernahm zwar die Regelungen des EuGVÜ (§ 328 I ZPO), aus § 723 II 1 ZPO wird jedoch auch für die Anerkennung die Notwendigkeit einer rechtskräftigen Entscheidung gefordert (MüKo-ZPO (Gottwald),
§ 328, Rn. 49).
Art. 64 e) IPRG regelt - ähnlich Art. 34 Nr. 3 EuGVO (= Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ) und § 328 I Nr. 3 ZPO - den Fall der Unvereinbarkeit der anzuerkennenden Entscheidung mit einem inländischen rechtskräftigen Urteil. Im Gegensatz zum italienischen Recht lässt auch hier die EuGVO die Frage der Rechtskraft der Entscheidung im Anerkennungsstaat offen (siehe Kropholler, EuZPR, Art. 34, Rn. 53). Art. 27 Nr. 5 EuGVÜ enthielt zusätzlich eine Regelung, die den „Vorrang" einer anerkennungsfahigen früheren Entscheidung aus einem Nichtvertragsstaat festschreibt; die Nachfolgevorschrift des Art. 34 Nr. 4 EuGVO erstreckt diesen Vorrang auch auf Entscheidungen aus einem anderen Mitgliedsstaat. Art. 64 g) IPRG fordert - entsprechend Art. 34 Nr. 1 EuGVO (= Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ) und allgemeiner Grundsätzen des Anerkennungsrechts - die Vereinbarkeit der anzuerkennenden Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates (ordre public); zum allgemeinen ordre public in Art. 16 IPRG siehe § 11 II. 2. e) bb). Zu Art. 64 a), f) IPRG s. o. im Text. 20 Die Bestimmungen regeln die Anerkennung gestaltender Entscheidungen (Urteile oder behördliche Maßnahmen) hinsichtlich der Handlungs- und Rechtsfähigkeit von Personen, des Bestehens von familienrechtlichen Beziehungen oder von Persönlichkeitsrechten (Art. 65 IPRG) sowie Maßnahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 66 IPRG); siehe dazu Walter, in ZZP 1996, S. 24 f. und II. 5., bei Fn. 200 zur freiwilligen Gerichtsbarkeit im italienischen Recht. Neben einem ordre-public-Vorbehalt - dabei werden prozessual ausdrücklich die wesentlichen Verteidigungsrechte angesprochen fordert Art. 65 IPRG zur Anerkennung in Italien, dass die Maßnahme auf Grundlage des Rechts getroffen wurde, das nach den italienischen Kollisionsnormen zur Anwendung berufen wird. Dabei ist es unerheblich, ob die anzuerkennende Entscheidung in der Sache getroffen wurde oder selbst eine Maßnahme eines Drittstaates anerkannt hat. Die Vorschriften lehnen sich insoweit an die vielfach kritisierte Regelung des Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ an, der für die in Art. 1 II Nr. 1 EuGVÜ vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommenen Materien ebenso eine kollisionsrechtliche Lösung vorsieht (zur Kritik siehe MüKo-ZPO (Gottwald), IZPR, Art. 27 EuGVÜ, Rn. 40 m.w.N.); in der EuGVO ist diese Regelung ersatzlos gestrichen worden (Art. 34 EuGVO). Im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit forderte Art. 801 c. p. c. im bisherigen Recht ebenfalls ein Delibationsverfahren (Art. 796 c. p. c.) und das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen (Art. 797 c. p.c.). Im deutschen Recht enthält § 16 a FGG eine Parallelbestimmung zu § 328 I ZPO; lediglich das Gegenseitigkeitserfordernis des § 328 I Nr. 5 ZPO ist dabei nicht übernommen worden. 21 Siehe auch die Artt. 25 - 27 des schweizerischen IPRG als Beispiel für Regelungen eines Nichtvertragsstaates der EG.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
b) Das Vollstreckungsrecht Das Delibationsverfahren nach bisherigem Recht22 hat nicht nur zur Anerkennung, sondern auch zur Vollstreckbarkeit der ausländischen Maßnahmen gefuhrt. Es wurde somit nicht zwischen diesen beiden Schritten unterschieden, vielmehr hat das Gesetz allgemein von der „Wirksamkeit" („efficacia") der Entscheidungen gesprochen (Artt. 796, 797 c. p. c.). Dieses Verständnis spiegelt sich auch im IPRG wider, wenn die Überschrift des Titels IV von der „efficacia" ausländischer Urteile und Rechtsakte spricht. Eine vollstreckungsrechtliche Vorschrift enthielt das alte Recht lediglich in Art. 804 c. p. c. für ausländische öffentliche „Vertragsurkunden". Letztere Regelung findet sich im neuen Recht in Art. 68 IPRG wieder, die jedoch auf öffentliche Urkunden im Allgemeinen erweitert wird. Die Vorschrift erklärt für diese Urkunden das Delibationsverfahren nach Art. 67 IPRG für anwendbar und entspricht insofern dem Art. 57 EuGVO (= Art. 50 EuGVÜ). Art. 67 IPRG sieht - parallel zu Art. 38 EuGVO (= Art. 31 EuGVÜ) - für die „Durchführung" („attuazione") anerkannter Entscheidung ein besonderes Delibationsverfahren vor 23. Gemäß der Vorschrift kann bei einem Bestreiten der Anerkennung und in Fällen der Zwangsvollstreckung die Feststellung beantragt werden, dass die Anerkennungsvoraussetzungen der Artt. 64 - 66 IPRG vorliegen.
c) Die internationale Rechtshilfe Die Artt. 6 9 - 7 1 IPRG regeln Fragen der internationalen Rechtshilfe. Zu verweisen ist auch hier auf die vorrangigen internationalen Verträge Italiens24. Die Vorschriften des IPRG regeln von ausländischen Gerichten oder Behörden angeordnete Beweisaufnahmen in Italien (Artt. 69, 70 IPRG) bzw. die Zustellung ausländischer Entscheidungen in Italien (Art. 71 IPRG). Der umgekehrte Fall des Rechtshilfeersuchens von italienischer Seite an einen anderen Staat ist hingegen in der italienischen Zivilprozessordnung geregelt25. 22
Siehe oben unter a) aa). Zur beabsichtigen Änderung des Art. 67 I IPRG siehe § 6 I. 2., bei Fn. 8. 24 Zu den mulitlateralen Abkommen siehe das Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß von 1954 (siehe § 11 II. 2. a), Fn. 30), das Haager Zustellungsabkommen von 1965 (BGBl. 1977 II, S. 1453; s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 211), das Haager Abkommen zur Beweisaufnahme von 1970 (§ 15 V. 1. a), Fn. 113), die EuZVO und die EuBVO (zu den beiden letzteren Abkommen siehe § 161. 1., Fn. 4). 25 Siehe § 5 III. 5., Fn. 61. 23
§ 16 Verfahrensrecht
291
Die Vorschriften des IPRG übernehmen weitestgehend die bisherigen Bestimmungen der Artt. 802, 803, 805 c. p. c. 26 . Für Fragen der Beweiserhebung stellt Art. 69 IV IPRG klar, dass auch im italienischen Prozessrecht nicht vorgesehene Beweismittel angeordnet werden können27, sofern sie nicht dem italienischen ordre public widersprechen. Die Regelung geht insofern über Art. 14 des Haager Zivilprozessabkommens, Art. 9 des Haager Beweisaufhahmeabkommens und Art. 10 III EuBVO28 hinaus, die ebenso wie Art. 69 V 2 IPRG lediglich die Durchführung der Beweisaufnahme in besonderen Formen auf Antrag des ersuchenden Gerichts vorsehen. Letztere Regelung findet sich auch in Art. 71 III IPRG, der ergänzend zum bisherigen Art. 805 c. p. c. den Art. 5 I, II des Haager Zustellungsabkommens29 in das IPRG inkorporiert.
II. Die internationale Zuständigkeit 1. Terminologie
Terminologisch wird im italienischen Prozessrecht zwischen den Begriffen der „giurisdizione" und der „competenza" unterschieden30. Ersterer beschreibt die Fragen der internationalen Zuständigkeit31 und der nationalen Gerichtsbarkeiten32. Das IPRG bezeichnet die internationale Zuständigkeit (IZ) nunmehr in seinem Titel II (Artt. 3 - 1 2 IPRG) als „giurisdizione italiana". Der Begriff der „competenza" betrifft demgegenüber die sachliche („competenza
26 Siehe dazu Walter, in ZZP 1996, S. 26 f. (Nr. 8). Bei Beweisaufnahmen nimmt jedoch Art. 69 III IPRG vom früheren Erfordernis der Anhörung der Staatsanwaltschaft (Art. 802 I c. p. c.) Abstand. Bei Rechtshilfeersuchen auf diplomatischem Wege sieht zudem Art. 69 IPRG die Möglichkeit der Bestellung eines Bevollmächtigen für die an der Beweisaufnahme interessierte Partei (Art. 802 II c. p. c.) nicht mehr vor. 27 Im Rahmen des Art. 802 I c. p. c. war diese Frage umstritten; siehe CCT
(Rampazzi Gonet\ Art. 802, Nr. 2, 3 und Walter
(vorige
Fußnote) zum Beispiel der
Entnahme einer Blutprobe. 28 Zu den ersten beiden Abkommen siehe Fn. 24; zur EuBVO siehe 1., Fn. 4. 29 Zu dem Abkommen siehe Fn. 24. 30 Zu den Begriffen siehe den Wortlaut des Art. 5 c. p. c. und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 241. 31 Siehe unter 2. a) zu den Artt. 2 - 4 c. p. c. des bisherigen Rechts. 32 Siehe z. B. zur Zivilgerichtsbarkeit („giurisdizione civile") Art. 1 c. p. c.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
per materia e valore") und örtliche („competenza per territorio") Zuständigkeit italienischer Gerichte33. Im Bereich des Vollstreckungsrechts bezeichnet das IPRG allerdings die Anerkennungszuständigkeit als „competenza giurisdizionale" (Art. 64 a) IPRG)34. Das neue Gesetz übernimmt dabei die Formulierung des bisherigen Rechts (Art. 797 I Nr. 1 c. p. c.). Die italienische Literatur spricht im Gegensatz dazu in diesem Zusammenhang von da* „competenza internazionale"35.
2. Die Grundzüge des bisherigen und des neuen Rechts
a) Die internationale Zuständigkeit nach bisherigem Recht Die IZ italienischer Gerichte war nach bisherigem Recht nur fragmentarisch in den Artt. 2 - 4 c. p. c. normiert 36. Ergänzend zu diesen Zuständigkeitsvorschriften regelte Art. 37 II c. p. c. die Frage der Geltendmachung einer fehlenden internationalen Zuständigkeit37. Die genannten Bestimmungen sind durch das IPRG außer Kraft gesetzt worden (Art. 73 IPRG)38. Das bisherige internationale Zuständigkeitsrecht Italiens wurde von zwei Grundsätzen geprägt. Zum einen ging man grundsätzlich von der Unbegrenztheit der italienischen
IZ aus. Als Ausdruck des „Heimwärtsstrebens" wurden ausländische fori insofern nicht als gleichwertig anerkannt39. Die Zuständigkeit italienischer Gerichte
33 Zur Zuständigkeit der Zivilgerichte siehe die Artt. 7 - 1 7 (sachliche Zuständigkeit) bzw. 18 - 30 c. p. c. (örtliche Zuständigkeit). Bei der sachlichen Zuständigkeit spricht die italienische Zivilprozessordnung in der Überschrift zu den Artt. 7 - 17 c. p. c. von der „competenza per materia" und der „competenza per valore". Man differenziert insofern zwischen den Zuständigkeiten, die durch den Gegenstand der Klage bestimmt werden (Sachzuständigkeit) und den Zuständigkeiten kraft Streitwerts (Wertzuständigkeit). Bei letzteren Zuständigkeiten wird der Streitwert gemäß den Artt. 10-15, 17 c. p. c. festgelegt. 34 Zu der Vorschrift siehe unter I. 2. a) bb), bei Fn. 16. 35 Migliazza, in Studi Vitta, S. 363 - 367 und Moresca , Com., NLCC, S. 1471 (Nr. 2); s. a. zum bisherigen Recht Picardi (R. Martino ), Art. 797, Nr. 1 und CCT
(Rampazzi Gönnet), Art. 797, II. 1. 36 Zum bisherigen Recht siehe Attardi , in RDCiv. 1995, S. 727 - 729; Ballarino, DIP 2, S. 99 f.; Luzzatto, in Studi Vitta, S. 151 f. und ders, in Com., RDIPP, S. 924 f. 37 Siehe unter 8. c) zum neuen Art. 11 IPRG. 38 Siehe §5 II. 3. 39 Siehe auch allgemein unter § 3 II. 5. a) aa), bei Fn. 90.
§ 16 Verfahrensrecht
293
konnte nur in engen Grenzen derogiert werden (Art. 2 c. p. c.) 40 und bestand unabhängig von der Rechtshängigkeit desselben Anspruchs vor einem ausländischen Gericht (Art. 3 c. p. c.)41. Ausländische Urteile bedurften zudem eines Delibationsverfahrens, um in Italien Wirkung zu entfalten (Art. 796 c. p. c.)42. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung haben - abweichend von IZPR-Standards der letzten Jahrzehnte - nicht allgemein den Bereich der italienischen IZ umschrieben, sondern sie lediglich vom Grundsatz ihrer Unbegrenztheit ausgehend gegenüber Ausländern eingeschränkt43. Art. 4 c. p. c. regelte insofern die eingeschränkte Zuständigkeit italienischer Gerichte bei ausländischen Beklagten. Damit wäre auch das zweite Hauptmerkmal der bisherigen Regelungen umschrieben, nämlich die Differenzierung
nach der Staatsangehörigkeit
des
Beklagten. Dies ergibt sich aus der Zuständigkeitsbegrenzung des Art. 4 c. p. c. für Klagen gegen Ausländer. Im Gegensatz dazu ging man bei Klagen gegen italienische Staatsbürger grundsätzlich von einer uneingeschränkten Zuständigkeit der italienischen Gerichte aus44. Eine der wenigen von der Literatur entwickelten Ausnahmen betraf dingliche Streitigkeiten über im Ausland belegene Immobilien45 und beruhte auf einem Verständnis, das sich auch in Art. 4 Nr. 1 c. p. c. bei ausländischen Beklagten und nunmehr allgemein in Art. 5 des IPRG niedergeschlagen hat46. Im Prinzip wurde jedoch für die Frage der IZ allein auf die Person des Beklagten abgestellt („actor sequitur forum rei" 47 ), so dass Ausländer gegenüber italienischen Staatsangehörigen unbegrenzt als Kläger auftreten konnten48. 40
I. E. zum neuen und alten Recht siehe unter 6. I. E. zum neuen und alten Recht siehe unter 7. 42 Siehe oben unter I. 2. a). 43 Siehe auch Pocar unter b), in Fn. 54. 44 Cass. 3. 2. 1986, n. 669, in Foro it. 1986, I., Sp. 2830; Morelli , DPCI, S. 108 f.; Campeis / De Pauli, Il processo, S. 54 und Giuliano , La giurisdizione, S. 105 f. mit Betonung der Ausnahmen, S. 106-109. 45 Siehe Hinweis bei Picardi (G. Martino ), Art. 4, Nr. 3 m.w.N.; gemäß Ballarino, DIP 2, S. 99 f. sollte diese Abweichung nur in Ausnahmefällen gelten. 46 Siehe dazu unter 8. a). Zum Streitpunkt im neuen Recht zum Klägergerichtsstand gemäß Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Art. 18 II c. p. c. siehe unter 4. c) bb). 48 Rechtsprechung und h. M. sahen im Gegenseitigkeitsgrundsatz des Art. 16 disp. prel. (siehe dazu unter § 7) keine Begrenzung der „Klagebefugnis" von Ausländern (Cass. 3. 2. 1986, n. 669 [Fn. 44]; Campeis / De Pauli,, Il processo, S. 129, in Fn. 12; Giuliano , La giurisdizione, S. 128 f. und Vitta / Mosconi , Corso 5, S. 8; s. a. Picardi (G. Martino ), Art. 4, Nr. 2 m.w.N. auch zu den ablehnenden Stimmen). Begründet wurde dies mit dem rein materiellen Gehalt des Art. 16 disp. prel. (zu den „diritti civili" des Art. 16 disp. prel. siehe § 7 I., bei Fn. 19), der die Frage der Zuständigkeit nicht berührt (siehe jedoch § 7 I., Fn. 22 zur Rechtsweggarantie). Eine unbegrenzte Klagemöglichkeit von Ausländern ergebe sich zudem aus der Rechts weggarantie des Art. 24 I 41
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Bei einem Vergleich des bisherigen Rechts und den Neuregelungen des IPRG fällt auf, dass zahlreiche Kriterien des alten Rechts bei der Bestimmung der italienischen IZ im Falle von ausländischen Beklagten (Art. 4 c. p. c.) sich im neuen Gesetz als allgemeine Zuständigkeitsmerkmale wiederfinden 49 .
b) Die Grundzüge der Neuregelung
Bereits der Kommissionsbericht musste mit Bezugnahme auf das EuGVÜ und das Lugano-Abkommen 50 feststellen, dass sich insbesondere die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Beklagten nach bisherigem Recht nicht mehr mit den modernen Grundsätzen des IZPR vereinbaren lässt 51 . Die italienische IZ wird somit in den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften des IPRG im Anschluss an allgemeine internationale Standards 52 - nach territorialen Kriterien bestimmt. In Abkehr von der Nationalität der Beteiligten richtet sich die Aufmerksamkeit verstärkt auf den zu lösenden Rechtsstreit. Eine Anknüp-
cost. (Cass. 11. 4. 1981, n. 2112, in RDIPP 1983, S. 345; zur Literatur siehe Picardi (G. Martino ), a.a.O.; s. a. § 7 I., Fn 22 zum Verhältnis des Art. 16 disp. prel. zu Art. 24 I cost.). Der Gegenseitigkeitsgrundsatz kam jedoch gemäß Art. 4 Nr. 4 c. p. c. bei beklagten Ausländern zur Anwendung (zur Unterscheidung der Art. 4 Nr. 4 c. p. c. / Art. 16 disp. prel. siehe Campeis / De Pauli, La procedura 1, S. 68 f.; zur Streichung des Art. 4 Nr. 4 c. p. c. im neuen Recht siehe nächste Fußnote). 49 Art. 4 Nr. 1 c. p. c. spiegelt sich in den Artt. 3 I, 4 I, 5 IPRG wieder. Die Regelung des Art. 4 Nr. 2 c. p. c. zur erbrechtlichen Zuständigkeit findet sich neben weiteren Kriterien in den Art. 50 IPRG bzw. Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Art. 22 c. p. c. wieder (siehe 5., bei Fn. 220 und 4. c) aa), Fn. 141). Die Zuständigkeit für Schuld Verhältnisse gemäß Art. 4 Nr. 2 c. p. c. wird im IPRG der EuGVO überlassen (siehe 4. c) zu Art. 3 II 1 IPRG); Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Art. 20 c. p. c. greift insofern nicht (siehe 4. c) aa), in Fn. 141). Eine besondere Zuständigkeit ftir im Inland befindliche Immobilien (Art. 4 Nr. 2 c. p. c.) enthält das IPRG nicht mehr; zu im Ausland belegenen Immobilien siehe Hinweis in Fn. 46. Bei der Zuständigkeit aufgrund Sachzusammenhangs (Art. 4 Nr. 3 c. p. c.) geht die h. M. nach neuem Recht davon aus, dass sich der Hinweis des Art. 3 II 2 IPRG auch auf die Bestimmungen der Art. 31 - 36 c. p. c. bezieht, die eine Zuständigkeit kraft Zusammenhangs begründen (siehe unter 4. c) cc)). Das IPRG nimmt jedoch von der Zuständigkeit „kraft Gegenseitigkeit" gemäß Art. 4 Nr. 4 c. p. c. Abstand; zum allgemeinen Gegenseitigkeitsgrundsatz im Zuständigkeitsrecht siehe vorige Fußnote. 50 Die allgemeinen Zuständigkeitsnormen der Staatsverträge (jeweils Art. 2 I) stellen beide klar, dass der durch sie begründete Beklagtengerichtsstand „ohne Rücksicht auf... (die) Staatsangehörigkeit" des Beklagten besteht; zu den Abkommen siehe unter 3. a). 51 RDIPP 1989, S. 950 zu Art. 3 zweiter Absatz. 52 Art. 2 EuGVO (= Art. 2 EuGVÜ), Art. 2 LugÜbk. und Art. 2 schweizerisches IPRG; zur Parallelität von IZ und örtlicher Zuständigkeit nach deutschem Recht siehe c) aa), Fn. 137.
§ 16 Verfahrensrecht
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fang an die Staatsangehörigkeit findet sich allerdings - neben anderen Kriterien - nach wie vor in den speziellen Zuständigkeitsnormen des IPRG (Artt. 9, 22 II a), 32, 37,40 I a), 44 II, 50 a) IPRG). Als Selbstverständlichkeit kann es angesehen werden, dass das IPRG nunmehr die Gleichwertigkeit ausländischer Gerichtsstände anerkennt53. Die Überschrift des Titel II des Gesetzes spricht somit vom Bereich („ambito") der IZ, während die bisherigen Vorschriften der Zivilprozessordnung lediglich die dem Grunde nach unbeschränkte italienische Gerichtsbarkeit begrenzt haben54. Aus diesem Verständnis ergibt sich die Zulassung einer Derogation der italienischen IZ (Art. 4 II IPRG), die Berücksichtigung von ausländischen Rechtshängigkeiten (Art. 7 IPRG) und der Grundsatz der automatischen Anerkennung ausländischer Entscheidungen (Art. 64 IPRG). Die neuen Bestimmungen orientieren sich weitestgehend an den Regelungen des EuGVÜ (Artt. 3 - 7 , 11 IPRG). Im Gegensatz zum bisherigen Recht, das streng zwischen den Fragen der IZ und der örtlichen Zuständigkeit unterschieden hat, begründet das IPRG als Neuerung im italienischen IZPR einen partiellen Gleichlauf zwischen IZ und örtlicher Zuständigkeit (Art. 3 II 2 und Art. 9 IPRG)55. Durch das Nebeneinander der Absätze I und II des Art. 3 auf der einen Seite sowie z. T. auch56 der allgemeinen (Artt. 3, 9 IPRG) und speziellen Zuständigkeitsvorschriften (Artt. 22 II, 32, 37, 40, 42, 44, 50 IPRG) auf der anderen Seite bleibt es jedoch auch nach neuem Recht bei einer sehr umfangreichen Zuständigkeit italienischer Gerichte57.
3. Übersicht zur internationalen Zuständigkeit nach dem IPRG
a) Internationale Abkommen Vorrangig gegenüber dem nationalen Recht sind auch bei der Frage der IZ internationale Verträge im Rahmen ihres originären Anwendungsbereiches zu
53
Zur Kritik an der bisherigen Rechtslage siehe Luzzatto, in Studi Vitta, S. 151-
155. 54 Siehe Pocar, Il nuovo d. i. p., S. 19 und ders., in IPRax 1997, S. 147 1. Sp.; im Einzelnen dazu s. o. unter a). 55 Zu Art. 3 II 2 IPRG siehe unter c). 56 I. E. siehe dazu unter 5. 57 Luzzatto, Com., RDIPP, S. 925 spricht sogar von einer weitergehenden italienischen IZ als nach altem Recht.
296
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
beachten (Art. 2 I IPRG). Dies gilt insbesondere für die EuGVO58 und das Parallelabkommen von Lugano vom 16. 9. 198859. Im Familienrecht ist zudem mit Wirkung zum 1. 3. 2001 die „Verordnung (EG) Nr. 1347 / 2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten" vom 29. 5. 2000 (EheVO) in Kraft getreten60. Zur Frage der IZ enthält die Verordnung Regelungen über die Zuständigkeit bei Scheidungen, Trennungen von 58
Siehe I. 1., Fn. 4. „Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen" vom 16. 9. 1988 (BGBl. 1994 II, S. 2660; s. a. Jayme / Hausmann, Nr. 152). Das Abkommen ist zwischen den Mitgliedsstaaten der EG und der EFTA parallel zum EuGVÜ geschlossen worden. Durch den Beitritt der EFTA-Staaten Österreich, Finnland und Schweden zur EG und damit zum EuGVÜ (siehe 4. Beitrittsabkommen zum EuGVÜ unter I. 1., Fn. 1) hat das Luganer Abkommen zunächst an Bedeutung verloren; inzwischen ist auch Polen dem Abkommen beigetreten (BGBl. 2000 II, S. 1246). Das LugÜbk. findet nur noch bei einem Beklagtenwohnsitz in Island, Norwegen, der Schweiz oder Polen bzw. einer Zuständigkeit deren Gerichte über Artt. 16, 17 LugÜbk. (= Artt. 22, 23 EuGVO) Anwendung (siehe Art. 54 b II a) LugÜbk.). Der Abschluss des Revisionsabkommens zur Anpassung des LugÜbk. an die EuGVO steht noch aus (siehe Jayme / Kohler, in IPRax 2003, S. 492). Das Fehlen eines Hinweises auf das Lugano-Abkommen in Art. 3 II 1 IPRG erweist sich als wenig gravierend (insofern jedoch kritisch Gebauer, Grundfragen, S. 295 f.). Im Gegensatz zur Hinweisnorm des Art. 45 IPRG (siehe § 13 II. 1. zur Nichterwähnung des USTAK) erklärt Art. 3 II 1 IPRG das EuGVÜ zum einen nicht iür „auf jeden Fall" anwendbar, zudem decken sich das EuGVÜ und das Lugano-Übereinkommen inhaltlich. Dies gilt auch für die EuGVO, sobald das LugÜbk. an die Verordnung angepasst wurde. 60 Siehe ABl. EG vom 30. 6. 2000, L 160, S. 19; auch abgedruckt in Jayme / Hausmann, Nr. 161. Zur Verordnungsermächtigung durch den Vertrag von Amsterdam siehe 59
I. \.,Fn. 4.
Nach einem Vorentwurf der „Groupe européen de droit international privé" für ein Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Familien- und Erbrechtssachen (zum französischen Text siehe IPRax 1994, S. 67 - 69 mit Einleitung von Jayme, S. 67; ebenso RDIPP 1993, S. 1079 - 1083 mit einem Bericht zu dem Entwurf von Lagarde, S. 1083 - 1090 und Rev. crit. 1993, S. 841 - 845; zu dem Entwurf siehe auch Jayme / Kohler, in IPRax 1994, S. 405 [406, Nr. 3]) hat man sich in der EheVO letztendlich auf den Bereich des Eherechts und die mit diesem im Zusammenhang stehenden Sorgerechtsentscheidungen beschränkt (siehe bereits Hinweis voη Jayme / Kohler, in IPRax 1995, S. 344, Nr. 4). Im Anschluss daran ist das „Übereinkommen aufgrund von Artikel K. 3 des Vertrages über die Europäische Union über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen" vom 28. 5. 1998 mit Bericht von Borrâs einschließlich eines Protokolls zur Auslegungskompetenz des EuGH im Hinblick auf das Abkommen gezeichnet worden (ABl. EG 16. 7. 1998, C 221). Das Abkommen ist jedoch nicht in Kraft getreten, sondern auf Grundlage der neuen Gemeinschaftskompetenzen (Artt. 61 c), 65 EGV - siehe I. 1., Fn. 4) mit geringfügigen Änderungen in eine Verordnung umgewandelt worden.
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Ehegatten und Ungültigkeitserklärungen einer Ehe einschließlich der damit verbundenen Sorgerechtsentscheidungen (Artt. 2 - 6 EheVO). Es handelt sich dabei um ausschließliche Zuständigkeiten (Art. 7 EheVO), die nur dann Raum für die Anwendung nationalen Rechts lassen, wenn durch sie keine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaates begründet wird (Art. 8 I EheVO). Der Anwendungsbereich des Art. 32 IPRG wird dadurch in erheblichem Maße eingeschränkt61. Dies gilt für die Artt. 37, 42 IPRG nur insoweit, als Sorgerechtsentscheidungen im Zusammenhang mit obigen Ehesachen getroffen werden, da die EheVO entsprechende Zuständigkeiten nur als Annexzuständigkeit begründen62. Im Hinblick auf Art. 42 IPRG, der auf das MSA verweist, wird dies auch durch Art. 37 EheVO betont63. Die noch ,junge" EheVO wird bereits zeitnah durch die neue Verordnung (EG) Nr. 2201 / 2003 des Rates vom 27. 11. 2003 (EheV02) abgelöst64. Die EheV02 tritt zwar bereits am 1. 8. 2004 in Kraft, die wesentlichen Regelungen der Verordnung gelten aber erst ab dem 1.3. 2005 (Art. 72 EheV02). Sie übernimmt weitestgehend die Regelungen der EheVO, begründet jedoch neben einer Annexzuständigkeit (Art. 12 EheV02) auch von Ehesachen unabhängige Zuständigkeiten für Sorgerechtsentscheidungen (Artt. 8 - 1 1 EheV02). Der Anwendungsbereich der Artt. 37, 42 IPRG wird dadurch noch weiter geschmälert. Spezielle Zuständigkeitsregelungen finden sich auch65 im MSA (Artt. 1,4 1, 8, 9 MSA) 66 und im CMR 67 (Art. 31). Als Beispiel für ein bilaterales Abkom61
Bei den „Restzuständigkeiten" gemäß Art. 8 I EheVO verweist der Bericht von Borrâs (Fn. 60) im Hinblick auf Italien auf die Artt. 3, 4, 32, 37 IPRG; zu den Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 4 IPRG) siehe unter 6. c) aa) (3), Fn. 267. 62 Ebenso der Bericht von Borrâs (Fn. 60), S. 42, Nr. 44; zu den besonderen Zuständigkeitsvorschriften des IPRG siehe unter 5. 63 Art. 37 EheVO: „Diese Verordnung hat in den Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten soweit Vorrang vor den nachstehenden Übereinkommen, als diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind " Die anschließende
Aufzählung dieser Übereinkommen erwähnt unter anderem das MSA und das KSÜ (zum KSÜ siehe § 12 IX). Zur Kritik an dieser Regelung siehe § 12 II., in Fn. 37. Auch die EheV02 (siehe nächste Fußnote) wird dem MSA (Art. 60 a) EheV02) und dem KSÜ (Art. 61 EheV02) vorgehen. 64 Verordnung (EG) Nr. 2201 / 2003 des Rates vom 27. 11. 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347 / 2000, in ABl. EG, L 338, S. 1 - 19. 65 Zu weiteren Beispielen Soergel (Kronke), Anh. IV zu Art. 38, Rn. 101 - 108. 66 Zu den Zuständigkeitsregeln des MSA und der Hinweisnorm des Art. 42 I IPRG s. o. unter § 12 VII. 1. 67 „Genfer Übereinkommen über den Beforderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr" vom 19. 5. 1956 (BGBl. 1961 II, S. 1120); zu Art. 31 CMR s. a Jayme / Hausmann, Nr. 153.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
men wäre Art. 17 III des „Niederlassungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien" vom 22. 7. 186868 zu nennen.
b) Die Zuständigkeitsregelungen des IPRG Außerhalb des Anwendungsbereiches von Staatsverträgen kommen die nationalen Zuständigkeitsvorschriften der Titel II und III des IPRG zur Anwendung69. Eine allgemeine Regelung der italienischen IZ enthält der Titel II des IPRG in seinen Artt. 3 - 1 1 . Ergänzend zu diesen Vorschriften bestimmt Art. 12 IPRG in Anknüpfung an das bisherige Recht (Art. 27 disp. prel.) und den allgemeinen lex-fori-Grundsatz des IZPR70, dass italienische Gerichte im Rahmen von Prozessen ihr eigenes Verfahrensrecht anzuwenden haben. Bei der Zuständigkeit differenziert das Gesetz zwischen dem streitigen Verfahren (Artt. 3 - 5 IPRG - „giurisdizione contenziosa"), dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 9 IPRG - „giurisdizione volontaria") und dem einstweiligen Rechtsschutz (Art. 10 IPRG - „materia cautelare"). Die weiteren Vorschriften regeln spezielle Fragen wie die inzidente Prüfung von Vorfragen (Art. 6 IPRG)71, die Bedeutung einer ausländischen Rechtshängigkeit (Art. 7 IPRG)72, den Zeitpunkt für die Bestimmung der IZ (Art. 8 IPRG)73 und die Geltendmachung einer fehlenden internationalen Zuständigkeit (Art. 11 IPRG)74. Über diese allgemeinen Bestimmungen hinaus begründet das IPRG - ähnlich dem schweizerischen IPRG - in seinem Titel III besondere Zuständigkeitsvorschriften zu speziellen Bereichen des Kollisionsrechts (Artt. 22 II, 32, 37, 40, 42 I, 44, 50 IPRG). Diese erklären z. T. ausdrücklich, dass durch sie über 68
Siehe dazu Ballarino, DIP 2, S. 539 f.; zum deutschen Wortlaut des Übereinkommens siehe Fe rid / Fir sc hing, Internationales Erbrecht, Band V, Länderbericht Schweiz, Texte I Nr. 6. 69 Siehe auch die klarstellenden Hinweise in Art. 4 I EuGVO (= Art. 4 I EuGVÜ) und Art. 8 I EheVO. 70 Zum lex-fori-Prinzip im internationalen Verfahrensrecht siehe BGH, in NJW 1985, S. 552 (553) = IPRax 1985, S. 224 mit Anm. Henrich, S. 207 f. = FamRZ 1984, S. 1001 sowie in der Literatur MüKo (Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 397 m.w.N.; Soergel (Kronke), Art. 38 Anh. IV, Rn. 124 m.w.N.; v. Hoffmann, IPR, § 3, Rn. 5 und die Dissertation von Jaeckel, Die Reichweite der lex fori im internationalen Prozeßrecht, Berlin 1995. Siehe auch § 17 II. 1., Fn. 99 zur Prozess Vollmacht. 71 Siehe 8. b). 72 Siehe 7. 73 Siehe § 5 II. 2. b), Fn. 45. 74 Siehe 8. c).
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die allgemeinen Vorschriften der Artt. 3, 9 IPRG hinaus weitere Zuständigkeiten italienischer Gerichte festgeschrieben werden (Artt. 37, 44 IPRG). Sofern ein solcher Hinweis auf die allgemeinen Zuständigkeitsnormen jedoch fehlt (Artt. 22 II, 40 I, 42, 50 IPRG) oder nur den Art. 3 IPRG umfasst (Artt. 32, 40 II IPRG), muss deren Verhältnis zu den Bestimmungen des Titels II im Einzelnen überprüft werden. Die folgenden Ausführungen zur internationalen Zuständigkeit im IPRG beziehen sich in erster Linie auf die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften und deren Parallele zum EuGVÜ (nunmehr EuGVO). Ergänzend soll die Frage der Konkurrenz der allgemeinen und besonderen Zuständigkeitsnormen im IPRG untersucht werden75.
4. Art. 3 IPRG
Die Vorschrift des Art. 3 IPRG führt auch nach neuem Recht zu einer sehr weiten Zuständigkeit italienischer Gerichte. Diese Zuständigkeit kann alternativ durch die Absätze I und II der Bestimmung begründet werden.
a) Art. 3 I IPRG aa) Anknüpfungen und Anwendungsbereich
In Art. 3 I IPRG übernimmt der Gesetzgeber Teile des bisherigen Art. 4 Nr. 1 c. p. c. 76 und baut sie zu einer allgemeinen Zuständigkeitsnorm aus. Die italienische IZ ist demzufolge gegeben, wenn ein „domicilio" oder eine „residenza" des Beklagten sich in Italien befindet bzw. der Beklagte in Italien einen Vertreter bestellt hat, der im Sinne des Art. 77 c. p. c. ermächtigt ist, vor Gericht aufzutreten. Der letzte Halbsatz des Art. 3 I IPRG stellt darüber hinaus klar, dass eine italienische IZ auch kraft einer anderen gesetzlichen Bestimmungen bestehen kann. Der Anwendungsbereich des Art. 3 I IPRG wird jedoch durch die EuGVO als vorrangige staatsvertragliche Regelung erheblich eingeschränkt. Die Vorschrift greift nur außerhalb des sachlichen Anwendungsbereiches des Abkommens (Art. 1 II EuGVO = Art. 1 II EuGVÜ) und sofern - mit Ausnahme des
75 76
Siehe 5. Siehe auch 2. a), in Fn 49.
300
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Art. 22 EuGVO (= Art. 16 EuGVÜ) 7 7 - der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Vertragsstaat besitzt (Art. 4 I EuGVO = Art. 4 I EuGVÜ). Letzteres fuhrt dazu, dass die Wohnsitzanknüpfung des Art. 3 I IPRG nur außerhalb der EuGVOMaterien zur Anwendung kommt.
bb) Die Bestimmung der Anknüpfungen: Insbesondere der Begriff des „ Wohnsitzes" im internationalen Recht Die bereits im Art. 4 Nr. 1 c. p. c. enthaltenen Anknüpfungen des Art. 3 I 1 IPRG dürften im neuen IPRG zu keinen größeren Unklarheiten führen. Die Begriffe des „domicilio" und der ,residenza" sind nach der italienischen lex fori auszulegen und zu bestimmen 78 ; bei ersterer Anknüpfung gilt entsprechendes im Rahmen des Artt. 2 I, 59 EuGVO (Artt. 2 I, 52 EuGVÜ). Zu Grunde zu legen sind insofern die Legaldefinitionen des Art. 43 c. c. 7 9 . Als „domicilio" wird der Ort verstanden, an dem eine Person den Schwerpunkt ihrer Angelegenheiten und Interessen hat (Art. 43 I c. c.); die „residenza" liegt kraft gesetzlicher Definition am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes (Art. 43 I I c. c. „dimora abituale") 80 . Im internationalen Bereich entstehen bei der Anknüpfung an den „gewöhnlichen Aufenthalt" („residenza") 81 keine grundlegenden Schwierigkeiten. Zu be-
77
Siehe dazu b) aa). Für alle Broggini, Com., NLCC, S. 907 und Ballarino, DIP 2, S. 103; ebenso bereits zum bisherigen Recht Morelli , DCPI, S. 101. Siehe dazu allgemein unter § 18 I. 2., Fn. 35, 36. 79 Für alle Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 215 oben und Ballarino, DIP 2, S. 103. 80 Zu den Begriffen siehe Trabucchi , Istituzioni, § 48 und in der deutschen Literatur Kindler, Einführung, § 9, Rn. 21 - 24. 81 Die Übersetzungen des IPRG sind an dieser Stelle nicht immer genau. Während Jayme, in IPRax 1996, S. 356; De Meo, in Riering, S. 43 und Walter, in ZZP 1996, S. 4 „residenza" richtigerweise mit „gewöhnlicher Aufenthalt" übersetzen, sprechen Bauer u. a., c. p. c., S. 733 und Pesce, in RIW 1995, S. 978 f., Fn. 19 in diesem Zusammenhang vom „Wohnsitz". Letztere übernehmen folglich in Bezug auf die Wohnsitzanknüpfung den italienischen Terminus in ihre Übersetzung („Domizil"). Die Mangelhaftigkeit dieser Übersetzung lässt sich auch der italienischen Fassung des Art. 20 schweizerisches IPRG entnehmen, die „domicilio" mit „Wohnsitz" gleichsetzt (Art. 20 I a), II IPRG) und - entsprechend dem Art. 43 II c. c. - den gewöhnlichen Aufenthalt mit „dimora abituale" übersetzt. Sofern in internationalen Verträgen an den „gewöhnlichen Aufenthalt" angeknüpft wird, spricht der italienische Text von einer „residenza abituale" (ζ. B. Artt. 1 MSA, 4 I USTA, 4 II, 5 II, III, IV b) EVÜ). Nachdem der Begriff „residenza" im italienischen Recht bereits kraft Definition den „gewöhnlichen Aufenthalt" umschreibt (Art. 43 II c. p. c.) hat „abituale" dabei nur klarstellende Funktion; der staatsvertragliche Text wird dadurch möglichst wortgetreu umgesetzt. Im Rahmen des IPRG fällt auf, dass diese Formulierung in Art. 42 II bei der Erweiterung des Anwendungsbereiches des MSA 78
§ 16 Verfahrensrecht
301
rücksichtigen ist lediglich, dass nach h. M. - im Gegensatz zum deutschen Recht82 - zur Begründung des Aufenthaltes ein entsprechender Wille des Betroffenen gefordert wird 83. Zudem ist im Einzelfall zu bestimmen, ob der Aufenthalt bereits als ein „gewöhnlicher" bezeichnet werden kann84. Dabei kann ebenso wie bei der Bestimmung des „domicilio" auf die nationale Rechtsprechung zu Art. 43 c. c. zurückgegriffen werden. Nachdem der „domicilio" den „sede principale" des Betroffenen darstellt, hat jede Person im Gegensatz zum deutschen Wohnsitzrecht (§ 7 II BGB) - dem Grunde nach nur einen „domicilio"85. Dies schließt jedoch nicht aus, dass für bestimmte Rechtsverhältnisse ein „besonderer Wohnsitz" („domicilio speciale" oder „domicilio elettivo") begründet wird, sofern das Gesetz dies zulässt (Art. 47 c. c.). Sowohl beim „domicilio generale" (Art. 43 I c. c.) als auch beim „domicilio speciale" hängt dessen Begründung - ebenso wie der „gewöhnliche Aufenthalt" - vom Willen des Betroffenen ab. Für Minderjährige und Entmündigte besteht ein gesetzlicher Wohnsitz („domicilio legale") am Wohnsitz ihrer Eltern bzw. ihres Vormundes (Art. 45 II, III c. c.)86. Der Begriff des „domicilio" bereitet somit im Rahmen des autonomen nationalen IZPR (Art. 3 I IPRG) und auch IPR keine Probleme. Schwierigkeiten entstehen erst dann, wenn der Terminus in internationalen Verträgen oder in nationalen Vorschriften, die nach dem Verständnis von Staatsverträgen auszulegen sind, verwendet wird.
(siehe dazu § 12 III. 1 und IV.) übernommen wird, während man bei den übrigen Vorschriften des Gesetzes (Fn. 88) nur von der „residenza" spricht. Neben dem „gewöhnlichen Aufenthalt" findet im italienische Recht vereinzelt auch der Begriff des „schlichten Aufenthalts" („dimora") Anwendung; zur Literatur siehe in der vorigen Fußnote. Die „dimora" begründet z. B. gemäß Art. 18 12. Hs. c. p. c. subsidiär zum „domicilio" und zur „residenza" - den allgemeinen Gerichtsstand für natürliche Personen; zu Art. 18 II c. p. c. siehe auch c) bb). 82 Der BGHZ 78, S. 293 (295) spricht insofern im Zusammenhang mit Art. 13 I MSA beim gewöhnlichen Aufenthalt von einem „faktischen Wohnsitz"; s. a. v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 24 und Kegel/Schurig, 83
IPR, § 13 III. 3. a).
Siehe Literaturhinweise in Fn. 80. Kindler, Einführung, § 9, Rn. 22 erwähnt insofern zurecht, dass die Grenzen zwischen „domicilio" und „residenza" im italienischen Recht verschwimmen. 84 Siehe dazu im staatsvertraglichen Bereich § 12 IX. 1., in Fn. 139 und allgemein §181. 2., Fn. 35, 36. 85 Ebenso die ausdrückliche Regelung von Art. 20 II 1 des schweizerischen IPRG. 86 Siehe auch § 2 II. 1. a), Fn. 18 zum gesetzlichen Wohnsitz der Ehefrau am Wohnsitz ihres Gatten nach bisherigem Recht (Art. 45 I c. c. a. F.).
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Exkurs: Die Anknüpfung an den „domicile / domicilio" bzw. „Wohnsitz" im internationalen Recht Während in den Zuständigkeitsvorschriften der EuGVO - die über Art. 3 II 1 IPRG größtenteils in das italienische IZPR inkorporiert wurden87 - noch in erster Linie an den „Wohnsitz" angeknüpft wird, zeigt sich in jüngster Zeit eine deutliche Abkehr der nationalen und staatsvertraglichen IPR- und IZPR-Vorschrift en von der Verwendung dieser Anknüpfung. In neueren Regelungen wird vielmehr verstärkt auf den „gewöhnlichen Aufenthalt" abgestellt, was auch für das italienische IPRG gilt 88 . Ursache dieser Tendenz ist die unterschiedliche Definition des Terminus „Wohnsitz" bzw. „domicile" in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen89. Wie die Kommentierungen zum EuGVÜ (EuGVO) zeigen, bestehen dabei dem Grunde nach zwei Grundverständnisse des Begriffes. Während die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen auf die Verbindung einer Person mit einem bestimmten Ort abstellen90, begreift das anglo-amerikanische Recht das „domicile" als Verbindung des Einzelnen 87
Siehe dazu im Folgenden unter b). Zur Anknüpfung an die „residenza" im italienischen IPRG siehe die Artt. 19 I, 22 II b), 28, 30 I, 38 I, 39, 40 I a), 42 I (i. V. m. MSA), II, 45 (i. V. m. Art. 4 USTA), 46 II, 48, 50 d), 56 II, 57 (i. V. m. Art. 4 II, 5 II, III, IV b) EVÜ), 62 II.; siehe dazu auch in 88
Fn. 81.
Im Gegensatz dazu wird an den „domicilio" nur noch dann angeknüpft, wenn das nationale Recht staatsvertraglichen Vorgaben nachgebildet wurde. Dies gilt für den Bereich des Zuständigkeitsrecht im Anschluss an das EuGVÜ (Artt. 3 I, II 1, 50 d) IPRG), ebenso wie für das Kollisionsrecht. Im Kollisionsrecht findet sich die „domicilio"-Anknüpfung in den Artt. 48, 63 IPRG, die sich beide an internationale Standards anlehnen (siehe § 17 II. bzw. III. zur Orientierung des Art. 48 an dem Haager TestFÜbk. bzw. Art. 63 an den allgemeinen Entwicklungen des Produkthaftungsrechts). Auch im deutschen Kollisionsrecht findet sich - mit Ausnahme des Art. 26 I Nr. 3 EGBGB, der sich ebenso wie Art. 48 IPRG an das Haager TestFÜbk. anlehnt - keine Wohnsitzanknüpfung mehr. Entsprechendes gilt für Art. 19 I IPRG, dessen Anknüpfung dem Artt. 12 I des Genfer Flüchtlings- bzw. des New Yorker Staatenlosenabkommen (siehe § 7 I., Fn. 30, 31) entspricht; siehe in Fn. 95 zum Wohnsitzbegriff in den Abkommen. Der Kommissionsbericht verweist in seiner Begründung zu Art. 19 IPRG ausdrücklich auf diese Vorschriften (RDIPP 1989, S. 956 zu Art. 17 [= Art. 19 IPRG]); ebenso Clerici , Com., RDIPP, S. 998 - 1001, der sogar von einer „Inkorporation" der staatsvertraglichen Regelungen spricht (S. 1000). Das bisherige Recht enthielt bereits in Art. 29 disp. prel. eine Bestimmung zur Frage der Staatenlosigkeit. 89 Siehe zum EuGVÜ den Bericht von Schlosser, in ABl. EG 5. 3. 1979, C 59, S. 95 f. sowie aktuell zur EuGVO Kropholler, EuZPR, Art. 59, Rn. 1 - 3 mit Hinweis (Rn. 6, Fn. 9) auf die rechtsvergleichende Übersicht von Biilow / Böckstiegel / Schlafen, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 52, Anm. 5. 90 Dies gilt auch für den Begriff des „domicilio" im italienischen Recht (siehe Kindler, Einführung, § 9, Rn. 21); ebenso im französischen Recht („domicile" - siehe Firsching/v. Hoffmann, Internationales Privatrecht, 5. Auflage, § 5 C. I. 2., Rn. 64) und weitere Hinweise in Fn. 80.
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mit einem bestimmten Rechtsgebiet91. Auch wenn die britische und irische Rechtsordnung i. R. d. EuGVÜ von ihrem „domicile"-Begriff Abstand genommen haben92 und die kontinentaleuropäischen Gründungsstaaten der EWG in ihren Rechtsordnungen denselben „Vorstellungskern" 93 des Terminus haben, so bestehen doch nach wie vor Abweichungen in der Definition des Begriffes 94. Sofern Staatsverträge insofern zur Feststellung des „Wohnsitzes" auf das jeweilige nationale Ortsrecht verweisen (Art. 59 EuGVO (= Art. 52 EuGVÜ), Art. 1 III TestFÜbk.95), obliegt es diesem somit nicht nur, den Wohnsitz zu bestimmen (Subsumtion), sondern auch - i. R. d. 91
Siehe den Bericht von Schlosser (Fn. 86), Nr. 71, 72; MüKo (Sonnenberger), Einl. IPR. Rn. 659 und Kropholler, IPR, § 37 I 2. a) auch zum US-amerikanischen Recht. Ausführlich Henrich, Der Domizilbegriff im englischen internationalen Privatrecht, in RabelsZ 1960, S. 456 - 495 und Graswann, Die Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile in den USA als Voraussetzung der deutschen Zuständigkeit, in FamRZ 1964, S. 345 (346 - 349); zusammenfassend v. Hoffmann, IPR, § 5 C. I. 2., Rn. 65 (England) und Rn. 66 (USA) mit Hinweis auf die Nähe zur Staatsangehörigkeitsanknüpfung. Zu den gescheiterten Vereinheitlichungsbestrebungen des Europarats siehe Rev. crit. 1973, S. 847 - 849 = ÖJZ 1974, S. 144 - 151. 92 Zu der „Bitte" an Großbritannien und Irland, beim Beitritt zum EuGVÜ bei der Übernahme des Abkommen von ihrem traditionellen Verständnis abzuweichen und sich dem „Begriffskern" des „Wohnsitzes" in den Gründungsstaaten der EWG anzupassen, siehe den Bericht von Schlosser (Fn. 89), Nr. 73. Beide Ländern haben insofern bei der Umsetzung des EuGVÜ den Begriff des „domicile" für die Zwecke des Abkommens dem Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes" angenähert bzw. durch diesen vollständig ersetzt (siehe Kropholler, EuZPR, Art. 59, Rn. 3). 93 Siehe den Bericht von Schlosser (Fn. 89), Nr. 71 letzter Absatz. 94 Siehe Nachweise in Fn. 89. 95 Zu letzterem siehe auch Art. 26 I 2 EGBGB zur Übernahme des TestFÜbk. ins deutsche IPR; der Begriff des „Wohnsitzes" orientiert sich somit in Deutschland an den § § 7 - 1 1 BGB. Im Gegensatz dazu geht man in Deutschland bei den Artt. 12 I der Genfer Flüchtlings· bzw. Staatenlosenabkommen (Fn. 88) infolge der grundsätzlichen Abneigung gegen die Wohnsitzanknüpfung überwiegend davon aus, dass der Begriff des „Wohnsitzes" i. S. d. „gewöhnlichen Aufenthaltes" zu verstehen ist (BT-Drucks. 7 / 4170, S. 33, 35 zum Staatenlosenabkommen und BT-Drucks. 10 / 504, S. 41 zur Begründung der EGBGB-Reform [Art. 5 II EGBGB] sowie in der Literatur Pal. (Heldrich), Anh. zu Art. 5 EGBGB, Rn. 27; Kropholler, IPR, § 37 II. 2. und trotz kritischer Anmerkungen im Ergebnis ebenso Staudinger (Blumenwitz), Art. 5, Rn. 490). Dies wird damit begründet, dass es die Abkommen mangels einer eigenen Definition der Begriffe den Vertragsstaaten überlassen haben, die verwendeten Termini zu definieren. In der Sache ist dies zwar zutreffend, dies bedeutet jedoch lediglich, dass ebenso wie bei den zivilrechtlichen Abkommen der Begriff des „Wohnsitz" nach deutschem Recht zu definieren ist und erlaubt keine Ersetzung des Anknüpfungspunktes durch einen anderen. Dies wird auch durch das rechtspolitische Ziel der Fortführung der Anknüpfung des Art. 29 EGBGB a. F. in Art. 5 II EGBGB (siehe Blumenwitz, a.aO.) nicht gerechtfertigt. Insofern entspricht Art. 19 I IPRG (Fn. 88) eher einer Übernahme der in den Staatsverträgen verwendeten Anknüpfungen „domicile" und „residence" (siehe BGBl. 1953 II, S. 559 (565) zum englischen und französischen Text des Flüchtlingsabkommens).
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
kontinentaleuropäischen Verständnisses - die Bedeutung des Begriffes im Einzelnen festzulegen (Auslegung)96. Im Gegensatz zur EuGVO hat die Anknüpfung an den Wohnsitz in der EheVO97 nur geringe Bedeutung. Der Begriff wird - entgegen Art. 59 EuGVO (= Art. 52 EuGVÜ) - in Art. 2 II EheVO98 i. S. d. britischen und irischen Rechts, d. h. als Beziehung zu einer bestimmten Rechtsordnung, legaldefiniert und auch nur im Zusammenhang mit diesen Staaten und deren Rechtsordnungen verwendet (Artt. 2 I a) letzter Spstr. und b), 7 b) und 8 II EheVO). Dieses Verständnis wurde für den Bereich der Ehesachen als geeigneter angesehen. Es wird jedoch in dem Begleitbericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Bedeutung des Terminus nur für die Anwendung des Abkommens gelten soll und keine Allgemeingültigkeit für andere Verträge beansprucht99. Um diese besondere Definition hervorzuheben, wird auch im deutschen Text der EheVO der Begriff „domicile" verwendet und in Anführungsstriche gesetzt.
Auf Grund der Tatsache, dass nach italienischem Zivilrecht eine Person sowohl mehrere „domicilii" („generale" und „speciale") als auch mehrere „residenze" haben kann, ist davon auszugehen, dass es für die Begründung der italienischen IZ ausreicht, wenn der Beklagte eine(n) domicilio / residenza in Italien besitzt. Der Wortlaut des Art. 3 I IPRG („domiciliato ο residente in Italia") lässt nicht auf irgendeine Beschränkung schließen, auch wenn die Erwähnung des Art. 47 c. c. („domicilio speciale") im bisherigen Art. 4 Nr. 1 c. p. c. in der neuen Vorschrift keine Wiederholung findet 100. Dafür spricht auch der Umstand, dass außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVO eine IZ für „domicilii speciali" auch über Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Art. 30 c. p. c. begründet werden kann. Bei der Formulierung der Anknüpfungen in Art. 3 I IPRG hat der Gesetzgeber leider juristische Personen nicht berücksichtigt 101 . Im Ergebnis ist dies jedoch unschädlich, da auch im Rahmen des Art. 3 I IPRG der Sitz der juristi-
96 Zu der Unterscheidung i. E. siehe unter § 18 I. 2. a) und konkret zum Wohnsitzbegriff dort unter b) bb). 97 Siehe 3. a), Fn. 60. 98 Ebenso Art. 3 II der zukünftigen EheV02 (siehe § 16 II. 3. a), Fn. 64). 99 Bericht von Borrâs (Fn. 60), S. 39, Nr. 34. 100 Ebenso Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 215 oben zu den „domicilii speciali" gemäß Art. 47 c. c.; zur Parallele der alten und neuen Zuständigkeitskriterien s. a. unter 2. a), Fn. 49. Balena, a.a.O. geht jedoch davon aus, dass im Falle eine Wahl des „domicilio" i. R. e. Vertrages eine Gerichtsstandsvereinbarung anzunehmen ist, so dass eine Zuständigkeit über Art. 4 I IPRG zu bejahen ist (siehe dazu unter 6.). 101 Siehe im Gegensatz dazu Art. 63 IPRG zur Produkthaftung; i. E. zu Art. 63 IPRG siehe unter § 17 III.
§ 16 Verfahrensrecht
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sehen Person als deren „Wohnsitz" gelten muss 102 . Diese Lösung wird durch das Vorbild des Art. 53 EuGVÜ 1 0 3 und die h. M. zum bisherigen Art. 4 Nr. 1 c. p. c. 1 0 4 bestätigt 105 . Bei unselbständigen Niederlassungen soll eine italienische Zuständigkeit nur bejaht werden, wenn ihnen gemäß Art. 3 13. Var. IPRG ein Vertreter im Sinne des Art. 77 c. p. c. voransteht 106 . Sofern Art. 3 I IPRG abschließend auf andere gesetzliche Vorschriften verweist, sind damit in erster Linie spezialgesetzliche Regelungen der IZ gemeint 107 . Der Gesetzgeber stellt dadurch - ähnlich wie bei Art. 2 I IPRG im Hinblick auf internationale Abkommen 108 - klar, dass diese Zuständigkeiten nicht gemäß Art. 15 disp. prel. durch das IPRG außer Kraft gesetzt werden. Ob sich dieser Hinweis auch auf die speziellen Zuständigkeitsvorschriften des Titel III des IPRG bezieht, kann bei der Frage des Verhältnisses dieser Bestimmungen zu Artt. 3, 9 IPRG von Bedeutung sein 109 .
102
Luzzatto,, Com., RDIPP, S. 931 f.; Broggini, Com., NLCC, S. 907 und Ballarino, DIP 2, S. 104. 103 Bei der Frage, wo sich der Sitz der juristischen Person befindet, hatte Art. 53 I 2 EuGVÜ auf das IPR des jeweiligen Gerichtsstaates verwiesen. Aufgrund der unterschiedlichen Theorien der Mitgliedsstaaten zur Anknüpfung im internationalen Gesellschaftsrecht (siehe § 5 II 2 und insbesondere § 14 III 2. e)) enthält die Nachfolgevorschrift des Art. 60 I EuGVO nunmehr eine autonome alternative Anknüpfung (satzungsmäßiger Sitz, Sitz der Hauptverwaltung oder Sitz der Hauptniederlassung), die sich an Art. 48 IEGV orientiert. 104 Giuliano , La giurisdizione, S. 112-115; Cass. 5. 12. 1966, η. 2830, in Giur. civ. 1967, I., S. 972 und Hinweis bei Luzzatto,, Com., RDIPP, S. 932, Fn. 18; a. A. jedoch Morelli , DPCI, S. 135 - 140. 105 Sofern man nicht bereits durch Auslegung des Art. 3 I IPRG zu diesem Ergebnis gelangt, lässt sich dies dogmatisch aus der Vorschrift des Art. 46 c. c. ableiten, die ähnlich wie Art. 53 EuGVÜ - den Sitz („sede") von juristischen Personen dem „domicilio" oder der „residenza" von natürlichen Personen gleichsetzt. Zur selben Anknüpfung führt auch der Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Art. 19 c. p. c., wenn man davon ausgeht, dass die Vorschrift des Art. 3 II 2 IPRG auch auf die allgemeinen Gerichtsstände der Zivilprozessordnung Bezug nimmt; zu dieser strittigen Frage siehe unter c) bb). 106 Ballarino,, DIP 2, S. 104 f. und Luzzatto, Com., RDIPP, S. 932. Dies kann auch aus Art. 19 12 c. p. c. abgeleitet werden; zu der Vorschrift s. a. in der vorigen Fußnote. 107 Zu Beispielen siehe Broggini, Com., NLCC, S. 907 f. und Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 213 unten. Siehe dazu auch unter 5. a), bei Fn. 196. Dies wird auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der letzte Halbsatz des Art. 3 I IPRG allgemein auf anderweitige gesetzliche Regelungen verweist („della legge") und nicht allein auf andere Bestimmungen des IPRG (siehe z. B. Artt. 9, 13 IV IPRG („dalla / la presente legge"). 108 Siehe dazu § 10 II. 1 „Fn. 102. 109 Siehe dazu unter 5., bei Fn. 195; Broggini, Com., NLCC, S. 907 interpretiert den Hinweis sehr weit und lässt auch internationale Verträge darunter fallen. Da diese bereits als leges speciali dem Art. 3 IPRG vorgehen (siehe allgemein dazu unter § 9), kann diese Frage im Ergebnis dahingestellt bleiben.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
b) Art. 3 II 1 IPRG aa) Übersicht zu Art 3 II 1 IPRG
Eine Neuerung gegenüber den Vorentwürfen zu dem Gesetz enthält das IPRG in seinem Art. 3 II 1. Die Vorschrift erweitert den Anwendungsbereich der besonderen Zuständigkeitsnormen der Artt. 5 - 21 110 EuGVO (= Artt. 5 15 EuGVÜ) auf Fälle, in denen der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat besitzt. Die Bestimmungen der EuGVO gelten somit in Italien als „allseitige" Vorschriften unabhängig von den Grenzen des räumlichen Anwendungsbereiches des Abkommens. Der italienische Gesetzgeber normiert somit sein nationales Recht, auf das Art. 4 I EuGVO (= Art. 4 I EuGVÜ) verweist, ergänzend zu Art. 3 I IPRG durch einen Hinweis auf die internationalen Vorschriften. Die Begrenzung der Verweisung auf die besonderen Zuständigkeitsnormen der Artt. 5 - 2 1 EuGVO (= Artt. 5 - 1 5 EuGVÜ) bedingt sich zum einen dadurch, dass sich der Gesetzgeber im Hinblick auf die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Abkommens (Art. 2 I EuGVO = Art. 2 I EuGVÜ) in Art. 3 I IPRG für eine eigenständige Regelung entschieden hat, zum anderen besteht die durch Art. 22 EuGVO (= Art. 16 EuGVÜ) begründete ausschließliche Zuständigkeit ohnehin „ohne Rücksicht auf den Wohnort" des Beklagten111. Im Gegensatz zur endgültigen Fassung des IPRG enthielten die Vorentwürfe zu dem Gesetz keine Bezugnahme auf das EuGVÜ 112 , was dazu geführt hätte, dass neben den Gerichtsständen des Art. 3 I IPRG eine Parallelität von örtlicher Zuständigkeit und IZ für Streitigkeiten aller Art bestanden hätte (Art. 3 II der Entwürfe = Art. 3 II 2 IPRG)113. Diese Regelung hätte den Umfang der IZ italienischer Gerichte noch um ein vielfaches ausgeweitet. Insbesondere im Hinblick auf einen möglichen allgemeinen Klägergerichtsstand gemäß Art. 3 II IPRG-Entwürfe i. V. m. Art. 18 II c. p. c. 114 ist diese Regelung auf erhebliche Kritik gestoßen115. Die Vorschrift des Art. 3 II 1 IPRG wurde insofern durch 1,0 Zur Erstreckung des Verweises in Art. 3 II 1 IPRG auf die neuen Artt. 1 8 - 2 1 EuGVO siehe § 11 II. 2. d) am Ende. 111 In Bezug auf Art. 22 EuGVO stellt auch Art. 4 I EuGVO klar, dass die nationalen Regelungen der IZ nur „vorbehaltlich der Artikel 22 und 23" gelten. 112 Zum Kommissionsentwurf siehe RDIPP 1989, S. 932; zum Ministeriumsentwurf siehe in Studi Vitta, S. 448. 113 Siehe dazu unter c). 1,4 Zur strittigen Frage der Anwendbarkeit der allgemeinen Gerichtsstände (Artt. 18, 19 c. p. c.) i. R. d. Art. 3 II 2 IPRG unter c) bb). 115 Insbesondere Starace , in Studi Vitta, S. 262 f. und ders., Com., Corr. giur., S. 1236 f. nach Inkrafttreten des Gesetzes (s. a c) bb), in Fn. 150).
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die Justizkommission des Abgeordnetenhauses in das neue Gesetz eingefügt 116. Sie trägt zum einen erheblich zur Harmonisierung von staatsvertraglichem und nationalem Recht bei 117 und beschränkt zudem die Anwendung der örtlichen Zuständigkeitsvorschriften innerhalb der IZ (Art. 3 II 2 IPRG)118. Die Hinweisnorm des Art. 3 11 1 IPRG kommt selbstverständlich nur für die Sachgebiete der EuGVO (Art. 1 EuGVO = Art. 1 EuGVÜ) zur Anwendung (Art. 3 II 1 letzter Hs. IPRG); im Übrigen greift der Satz 2 von Art. 3 II IPRG. Die Verweisung des Art. 3 II 1 IPRG auf die besonderen Zuständigkeitsvorschriften der EuGVO bringt für die dort gewährten Anknüpfungen keine neuen Probleme mit sich. Zu beachten ist jedoch, dass die Vorschriften im Einzelnen in ihrem neuen nationalen Zusammenhang zu sehen sind, so dass manche Formulierung oder Regelung der EuGVO nicht in das IPRG übernommen werden können.
bb) Die Vorbehalte der Artt. 8, 151, 181 EuGVO
Unproblematisch ist davon auszugehen, dass die Vorbehalte in den Artt. 8, 15 I EuGVO (= Artt. 7, 13 I EuGVÜ) im Hinblick auf Art. 4 EuGVO (= Art. 4 EuGVÜ) innerhalb des IPRG nicht zum Tragen kommen119. Dies gilt auch für den selben Vorbehalt in dem neuen Art. 18 I EuGVO. Die Klarstellung des Art. 4 EuGVO, dass außerhalb des Anwendungsbereiches des Abkommens (kein Wohnsitz des Beklagten in Vertragsstaat) nationales Recht zur Anwendung kommt, wird im Rahmen einer nationalen Zuständigkeitsvorschrift und durch die Neuregelung des Art. 3 II 1 IPRG hinfallig. Die Vorbehalte der Artt. 8, 15 I, 18 I EuGVO in Bezug auf Art. 5 Nr. 5 EuGVO (= Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ) bleiben demgegenüber auch innerhalb des Art. 3 II 1 IPRG wirksam. Es handelt sich bei Art. 5 Nr. 5 EuGVO nämlich im Gegensatz zu Art. 4 IPRG um „inhaltliche" Regelungen der EuGVO120. In der Sache sind die „Vorbehalte" der Artt. 8, 15 I, 18 I EuGVO keine Vorbehalte im völkerrechtlichen Sinne121, sondern staatsvertragliche Regelungen, die die Vor1,6
Siehe § 1 I, Fn. 22. Allgemein zum „europäischen Zivilprozessrecht" siehe Kropholler, EuZPR, Einl. Rn. 1 ff. 118 Insofern positiv zur Neuregelung Ballarino, DIP 2, S. 109 f.; s. a. unter c) aa), Fn. 135 zu Art. 3 II 2 IPRG nach der Einfügung des neuen Satzes 1 in Art. 3 II IPRG. U9 Broggini, Com., NLCC, S. 908; Luzzatto, Com., RDIPP, S. 935 (Nr. 3 Ende); Pocar, Il nuovo d. i. p., S. 22 f.; ders., in IPRax 1997, S. 147 f.; Boschiero, Appunti, S. 110 f. und Starace , Com., Corr. giur., S. 1235. 120 Zur Differenzierung zwischen inhaltlichen Regelungen und Bestimmungen, die den Anwendungsbereich des Abkommens betreffen, siehe im Folgenden unter cc). 121 Siehe dazu unter § 15 V. 1. a). 117
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Schriften der EuGVO voneinander abgrenzen. Im Ergebnis lassen sich die allgemeinen Ausführungen zu den staatsvertraglichen Vorbehalten im Rahmen der IPRG-Hinweisnormen122 jedoch auf die hier behandelte Frage übertragen. Es ist insofern zu differenzieren zwischen „inhaltlichen" Vorbehalten (Art. 5 Nr. 5 EuGVO) und solchen, die lediglich den Anwendungsbereich des Abkommens erfassen (Art. 4 EuGVO).
cc) Artt. 13, 17, 21 EuGVO
Umstritten ist in der italienischen Literatur jedoch die Frage, ob die Verweisung des Art. 3 II 1 IPRG auch die Bestimmungen der Artt. 13, 17 EuGVO (= Artt. 12, 15 EuGVÜ) einschließt, die für Versicherungs- und Verbrauchersachen die Möglichkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 23 EuGVO = Art. 17 EuGVÜ) einschränken (s. a. Art. 23 V EuGVO = Art. 17 III EuGVÜ). Abgelehnt wird dies mit Hinweis auf die allgemeine Prorogationsvorschrift des Art. 4 IPRG123. Wenn man den Zweck der Artt. 13, 17 EuGVO berücksichtigt (Schutz des Schwächeren), sollten jedoch die Bestimmungen auch im Rahmen des IPRG zur Anwendung kommen124. Auch der Hinweis des Art. 3 II 1 IPRG will die inhaltlichen Regelungen des EuGVÜ - und nunmehr der EuGVO übernehmen, während die Vorbehalte der Artt. 8, 15 I, 18 I EuGVO zu Art. 4 EuGVO die Frage des Anwendungsbereiches der EuGVO betreffen 125. Die Beschränkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß der Artt. 13, 17 EuGVO machen allerdings nur dann Sinn, wenn sie für alle Zuständigkeiten in Versicherungs- und Verbrauchersachen gelten, d. h. auch dann, wenn diese durch Art. 3 I IPRG begründet werden 126. Die Artt. 8 - 1 7 EuGVO (= Artt. 7 15 EuGVÜ) stellen zwar im Rahmen des Abkommens ausschließliche Zuständigkeitsregelungen dar 127, dies gilt jedoch nach der Systematik des IPRG nicht 122
Siehe oben unter § 11 II. 2. c). Starace , Com., Corr. giur., S. 1235. 124 Insofern für die Anwendung der Art. 12, 15 EuGVÜ (= Artt. 13, 17 EuGVO) Broggini, Com., NLCC, S. 908; Pocar, Il nuovo d. i. p., S. 23 f.; ders., in IPRax 1997, S. 148 und CT (Costantino ), Art. 3, VI. 5. Ende (wenn Costantino von den Artt. 13, 15 der EuGVÜ spricht, so ist dies wohl lediglich ein Druckfehler). 125 Zu verweisen ist insofern auf die allgemeinen Auslührungen unter § 11 II. 2. b) und c) zum Verständnis der „in ogni caso"-Formel; s. a. hier unter bb). 126 Sofern die Artt. 13, 17 EuGVO von Abweichungen „von den Vorschriften dieses Abschnitts" sprechen, bezieht sich dies i. R. d. IPRG auf alle objektiven Zuständigkeiten gemäß Art. 3 I, II 1 IPRG. 127 Bericht von Jenard zu Art. 7 EuGVÜ, in BT-Drucks. VI / 1973, S. 76 Ende („selbständig und erschöpfend"); Kropholler, EuZPR, vor Art. 8, Rn. 1 sowie Schlosser, EuZPR, Art. 8, Rn. 1 und Art. 15, Rn. 1. Die Nichtanwendung des Art. 2 EuGVO (= Art. 2 EuGVÜ) bleibt jedoch im Rahmen der EuGVO ohne Wirkung, da die Artt. 8 123
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im Verhältnis zu Art. 3 I IPRG, der neben dem Art. 3 II IPRG zur Anwendung kommt 1 2 8 . Wenn man diese Systematik des Art. 3 IPRG beibehält, müssen die Artt. 13, 17 EuGVO auch im Rahmen des Art. 3 I IPRG angewendet werden. Die Vorschriften der EuGVO beschränken somit umfassend die allgemeine Prorogationsvorschrift des Art. 4 IPRG 1 2 9 . Dies bedeutet, dass unabhängig davon, ob eine italienische IZ fiir Versicherungs- und Verbrauchersachen über Art. 3 I oder II 1 IPRG begründet wird, deren Derogation gemäß Artt. 4 II IPRG nur in den Grenzen der Artt. 13, 17 EuGVO erfolgen kann. Dasselbe gilt für den umgekehrten Fall, dass die objektiven Zuständigkeitsvorschriften keine italienische IZ gewähren; auch dann kann eine italienische Zuständigkeit kraft Vereinbarung nur gemäß Art. 4 I IPRG i. V. m. Artt. 13, 17 EuGVO geschaffen werden. Die obigen Ausführungen müssen auch fiir den neuen Art. 21 EuGVO gelten, der - wie die Artt. 13, 17 EuGVO - im neuen Abschnitt 5 des Titels II der EuGVO 1 3 0 die Möglichkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen bei individuellen Arbeitsverträgen beschränkt. Eine entsprechende Regelung enthielt bisher Art. 17 V EuGVÜ. Systematisch mag dieses Ergebnis fraglich erscheinen, da es sich nur rechtfertigen lässt, wenn man auch vor dem Inkraflttreten der EuGVO den Art. 17 V EuGVÜ im Rahmen des IPRG anwendet, obwohl Art. 3 II 1 21 EuGVO (= Artt. 7 - 1 5 EuGVÜ) zumindest auch auf den Beklagtenwohnsitz abstellen (Artt. 9 I a), 12 I, 16 I, II EuGVO). Die Artt. 10, 11 I EuGVO stellen neben diesem lediglich zusätzliche Gerichtsstände zur Verfügung. 128 Siehe dazu den Wortlaut des Art. 3 II 1 IPRG: „La giurisdizione sussiste inoltre (= außerdem, darüber hinaus)... Die Frage der Ausschließlichkeit einer nationalen IZ-Regelung ist innerhalb der objektiven Zuständigkeitsvorschriften nur von Relevanz, wenn eine bestimmte Vorschrift keine IZ der eigenen Gerichte begründet. Es ist dann zu klären, ob die Zuständigkeit der eigenen Gerichte evtl. über eine andere Zuständigkeitsnorm geschaffen werden kann. Sofern eine Zuständigkeit der innerstaatlichen Gerichte bejaht wird, stellt sich grundsätzlich die Frage ihrer Ausschließlichkeit nicht mehr, da die Zuständigkeit fremdstaatlicher Gerichte im nationalen IZPR nicht interessiert und auch gar nicht geregelt werden könnte. Von Bedeutung ist die Ausschließlichkeit einer objektiven Zuständigkeit nur im Falle von Gerichtsstandsvereinbarungen, soweit das innerstaatliche IZPR vorschreibt, dass bei einer ausschließlichen Zuständigkeit eine entsprechende Parteivereinbarung unzulässig ist (siehe unter 6. c) aa) (3) zu dieser Frage). Sofern Gerichtsstands Vereinbarungen im konkreten Fall möglich sind, ist im Falle einer Derogation zudem zu klären, ob diese selbst eine ausschließliche Zuständigkeit begründen (siehe dazu unter 6. c) dd) (1)). 129 Siehe dazu auch unter 6. c) aa) (3). 130 Dieser Abschnitt wird vom Hinweis des Art. 3 II 1 IPRG mit erfasst (siehe dazu § 11 II. 2. d) am Ende). Er begründet - im Gegensatz zur bisherigen Regelung für individuelle Arbeitsverträge in Art. 5 Nr. 1 EuGVU - ebenfalls ausschließliche Zuständigkeiten (siehe dazu auch Fn. 127); auch hier ist jedoch die Nichtanwendbarkeit des Art. 2 EuGVO ohne Relevanz, da Art. 19 Nr. 2 EuGVO nur zusätzliche Gerichtsstände zur Verfügung stellt und die Artt. 19, 20 EuGVO im Übrigen wie Art. 2 EuGVO auf den Beklagtenwohnsitz abstellen.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
IPRG nicht auf diese Vorschrift verweist. Im Ergebnis muss man jedoch auch diese Regelung - wie die Artt. 13, 17 EuGVO - als immanente Schranke des Art. 4 IPRG sehen. Die Gleichbehandlung des Art. 21 EuGVO und der Artt. 13, 17 EuGVO wird dadurch unterstrichen, dass Art. 23 V EuGVO (= Art. 17 III EuGVÜ) neben den Artt. 13, 17 EuGVO nunmehr auch den Art. 21 EuGVO aufführt.
dd) Die Begründung von örtlichen Zuständigkeiten
Durch den Hinweis des Art. 3 II 1 IPRG stellt sich zudem die Frage, ob die Bestimmungen der EuGVO, die infolge ihres Wortlautes („Gericht des Ortes") neben der IZ auch die örtliche Zuständigkeit regeln 131, im Rahmen des Art. 3 II 1 IPRG dieselbe Wirkung entfalten. Für eine solche Interpretation spricht - wie im Rahmen der EuGVO - die von den anderen Zuständigkeitsnormen („Gerichte des (Vertrags)Staates") abweichende Formulierung dieser Vorschriften, die durch den Hinweis des Art. 3 II 1 IPRG in das italienische IPRG übernommen wird. Auf der anderen Seite regelt der Titel II des IPRG im Allgemeinen und die Vorschrift des Art. 3 II 1 IPRG im Speziellen ausdrücklich nur die IZ („giurisdizione italiana")132. Die unterschiedliche Formulierung der Vorschriften führt nicht zwingend dazu, dass durch den Hinweis auch ihre Funktion auf internationaler Ebene in vollem Umfang in das nationale Gesetz übernommen wurde. Es kommt insofern darauf an, ob der Gesetzgeber durch die Verweisung auch örtliche Zuständigkeiten geregelt wissen wollte, soweit diese den EuGVONormen entnommen werden können. Die Möglichkeit des Gleichlaufes von örtlicher Zuständigkeit und IZ erkennt das neue italienische IZPR grundsätzlich an (Art. 3 II 2 IPRG). Das Beispiel des Art. 3 II 2 IPRG zeigt auch, dass es unschädlich ist, wenn eine Wohnsitzanknüpfung nach Art. 3 I IPRG nur eine IZ italienischer Gerichte begründet, während sie bei Art. 3 II IPRG auch zu einer 131
Übereinstimmend wird dies für die Bestimmungen des Abschnitts 2 des 2. Titels des Abkommens (Artt. 5 - 7 EuGVO [= Art. 5 - 6a EuGVÜ]) angenommen (Bericht von Jenard, in BT-Drucks. VI / 1973, S. 69 zu Artt. 5 und 6 EuGVÜ; ebenso Kropholler, EuZPR, vor Art. 2, Rn. 3 m.w.N.); eine Ausnahme bildet jedoch der „Trustgerichtsstand" des Art. 5 Nr. 6 („vor den Gerichten des Vertragsstaates"). Im Hinblick auf die Vorschriften der Abschnitte 3 und 4 (Artt. 8 - 1 7 EuGVO [Artt. 7 - 1 5 EuGVÜ]) ist je nach Wortlaut der Normen zu differenzieren (s. a. Schlosser, EuZPR, Art. 8, Rn. 1 und Art. 15, Rn. 1). örtliche Zuständigkeiten begründen insofern lediglich die Artt. 9 I Nr. 2 und 10 EuGVO („Gericht des Ortes"); z. T. anders Schlosser, a.a.O. Dies gilt auch für den neuen Abschnitt 5 (Artt. 18-21 EuGVO), der in Art. 19 Nr. 2 EuGVO („Gericht des Ortes") auch die örtliche Zuständigkeit regelt. 132 Zur Terminologie siehe unter 1.
§ 16 Verfahrensrecht
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örtlichen Zuständigkeit führen kann. Mit Blick auf die Absicht des Gesetzgebers, durch Art. 3 II 1 IPRG eine Harmonisierung von staatsvertraglichem und nationalem Recht herbeizuführen, sollte man - trotz des Wortlautes des Art. 3 II 1 IPRG („giurisdizione") - davon ausgehen, dass die Vorschrift die örtliche Zuständigkeit im selben Umfang regelt, wie diese von den Artt. 5 - 2 1 EuGVO (Artt. 5 - 1 5 EuGVÜ) festgelegt wird 133 .
c) Art. 3 II 2 IPRG aa) Übersicht zu Art. 3 II 2 IPRG
In Abkehr von der bisherigen Tradition des italienischen IZPR begründet Art. 3 II 2 IPRG erstmalig einen Gleichlauf der IZ mit der örtlichen Zuständigkeit des italienischen Prozessrechts für Sachgebiete, die gemäß Art. 1 II EuGVO (= Art. 1 II EuGVÜ) nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Nachdem der Anwendungsbereich dieser Regelung durch die Einfügung des Art. 3 II 1 IPRG gegenüber den Vorentwürfen wesentlich eingeschränkt wurde 134, findet dieser Neuerung nunmehr auch in der Literatur Anklang135. Eine ähnliche Regelung enthält Art. 9 IPRG für den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit 136. Das IPRG verbindet somit das traditionelle italienische System der autonomen Festlegung der IZ (Art. 3 I, II 1 IPRG) mit den Grundsätzen des deutschen IZPR von der Parallelität von IZ und örtlicher Zuständigkeit (Art. 3 II 2 IPRG)137. Der Art. 3 II 2 IPRG, der sich über Art. 3 II 1 IPRG negativ durch den Anwendungsbereich der EuGVO definiert (Art. 1 II EuGVO = Art. 1 II EuGVÜ), erstreckt sich primär auf das Familien- und Erbrechts (Art. 1 II a) 133 I. d. S. Pocar,, Il nuovo d. i. p., S. 24 f. und ders., in IPRax 1997, S. 148; a Α. Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 220 infolge des Wortlautes der Vorschrift („La
giurisdizione sussiste ... "). 134
Siehe dazu b) aa), bei Fn. 116.
135
Mosconi, DIPP I, S. 52 und Campeis / De Pauli, in Giust. civ. 1995, II, S. 495 -
509 (498); weiterhin kritisch Starace, Com., Corr. giur., S. 1236 und Luzzatto, Com., RDIPP, S. 935. 136
Art. 9 IPRG: „ ... , oltre che nei casi ... in cui è prevista la competenza per territorio... 137
Zur Besprechung dieser Neuregelung in der Regierungsvorlage siehe in Studi Vitta siehe Luzzatto, S. 160 f.; Starace, S. 245 f. und S. 259 - 263 zur Kritik (siehe b) aa), Fn. 115) und Migliazza, S. 363 f. zur Verbindung der beiden Systeme. Das deutsche IZPR geht von der Indizwirkung der örtlichen Zuständigkeit fiir die internationale Zuständigkeit aus (für alle Soergel (Kronke), Anh. IV zu Art. 38 EGBGB, Rn. 20 mit umfangreichen Nachweisen). Zu einer rechtsvergleichenden Untersuchung der beiden Anknüpfungssysteme siehe Giuliano, La giurisdizione, S. 10-22 (Nr. 6, 7).
312
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
EuGVO = Art. 1 II Nr. 1 EuGVÜ) 1 3 8 . Für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die allgemeine Vorschrift des Art. 9 IPRG zu beachten. Nachdem die besonderen Zuständigkeitsvorschriften des IPRG in erster Linie erb- und familienrechtliche Zuständigkeiten regeln, stellt sich allein bei Art. 3 II 2 sowie Art. 9 IPRG die Frage der Kollision zwischen den allgemeinen und speziellen Vorschriften des IPRG 1 3 9 . Neben den spezialgesetzlichen Bestimmungen der örtlichen Zuständigkeit 140 bezieht sich Art. 3 II 2 IPRG vor allem auf die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften des Verfahrensrechts (Artt. 18 - 30 c. p. c.). Die Bestimmungen der Zivilprozessordnung werden jedoch weitestgehend durch die Anwendung der EuGVO und die speziellen Zuständigkeitsnormen des IPRG verdrängt 141 .
138
Siehe auch Mosconi , DIPP I, S. 52. Siehe dazu unter 5. 140 Siehe z. B. § 5 III. 2., Fn. 33 zu Artt. 9, 24 1. fall. 141 Die Materie des Art. 20 c. p. c. (Schuldverhältnisse) wird von Art. 3 II 2 IPRG nicht geregelt; zur Anwendung kommt vielmehr Art. 3 II 1 IPRG i. V. m. der EuGVO. Dasselbe gilt für Art. 211 c. p. c. (dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen), der weitestgehend von Art. 22 Nr. 1 EuGVO (= Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ) verdrängt wird. Die Regelung korrespondiert mit Art. 5 IPRG (siehe unter 8. a)). Ein Anwendungsbereich verbleibt hingegen Art. 21 II c. p. c. (Besitzschutzklagen bzw. „Klage auf Unterlassung einer Bauführung und wegen eines drohenden Schadens" [zum italienischen Recht siehe Artt. 1168 - 1172 c. c., 688, 691, 703 - 705 c. p. c.]), sofern bewegliche Sachen betroffen sind und der Beklagte keinen Wohnsitz in in einem Migliedsstaat besitzt (Art. 2 I, 4 I EuGVO). Art. 22 c. p. c. (Erbrecht) wird von Art. 50 IPRG verdrängt, der jedoch dessen Anknüpfungen enthält (siehe 5., Fn. 220). In den Anwendungsbereich der EuGVO (Art. 22 Nr. 2 und Art. 2 EuGVO = Art. 16 Nr. 2 und Art. 2 EuGVÜ) fällt wiederum die Materie des Art. 23 c. p. c. (Gesellschaftsrecht), so dass Art. 3 II 2 IPRG nicht zum Tragen kommt. Das Vormundschaftsrecht gemäß Art. 24 c. p. c. unterliegt der ausschließlichen Zuständigkeitsnorm des Art. 42 I IPRG i. V. m. dem MSA (siehe 5., Fn. 215). Bei der Zuständigkeit für Streitigkeiten über Vermögensverwaltungen hängt die Anwendung des Art. 24 c. p. c. davon ab, welchem Rechtsgebiet die Verwaltungen zuzuordnen sind. Im Falle einer erbrechtlichen Vermögensverwaltung (im italienischen Recht siehe Artt. 528, 641 c. c.) oder einer Verwaltung wegen Verschollenheit (siehe Art. 52 c. c.) sind die besondern Zuständigkeitsvorschriften des IPRG (Art. 50 bzw. Art. 22 II - siehe dazu unter 5.) vorrangig anzuwenden; im güterrechtlichen Bereich (Artt. 180 - 184, 217 c. c.) kommt hingegen Art. 24 c. p. c. mangels einer Spezi al regel ung im IPRG zum Tragen. Verdrängt werden die Artt. 26, 27 c. p. c. (Zwangsvollstreckung) durch Art. 22 Nr. 5 EuGVO (= Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ) im Rahmen des Anwendungsbereiches der EuGVO; im Übrigen kommen die Vorschriften zur Anwendung (s. a. Ballarino, DIP 2, S. 112 zu 139
Art. 27 c. p. c. - „opposizione all'esecuzione forzata").
Luzzatto, Com., RDIPP, S. 936
geht demgegenüber offensichtlich davon aus, dass der Hinweis auf die Bestimmungen der örtlichen Zuständigkeiten sich nicht auf die „ZwangsvollStreckungszuständigkeit" bezieht. Bereits die Existenz der Artt. 26, 27 c. p. c. belegt jedoch das Gegenteil; es ist nämlich zu unterscheiden zwischen der Vollstreckbarkeitserklärung einer ausländischen
§ 16 Verfahrensrecht
31
Zudem ist fraglich, ob der Hinweis auch die allgemeinen Gerichtsstände der Artt. 18, 19 c. p. c. mitumfasst 142. Ausgeschlossen ist in jedem Fall die Anwendbarkeit der Artt. 28, 29 c. p. c. (Gerichtsstandsvereinbarungen) 143. Neben den Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit ist außerdem klärungsbedürftig, ob die Artt. 3 1 - 3 6 IPRG zur Zuständigkeit kraft Sachzusammenhang vom Hinweis des Art. 3 II 2 IPRG erfasst werden144.
bb) Der allgemeine Klägergerichtsstand
nach Art. 18 II c. p. c.
Wie bereits im Rahmen der Vorentwürfe 145 so stößt auch im IPRG selbst insbesondere der durch Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Art. 18 II c. p. c. begründete allgemeine Klägergerichtsstand auf erhebliche Kritik, da dieser für Beklagte ohne Wohnsitz oder Aufenthalt in Italien den allgemein anerkannten „actor sequitur forum rei"-Grundsatz ins Gegenteil verkehrt 146. Insofern legen Teile der Literatur 147 die Reichweite der Verweisung des Art. 3 II 2 IPRG einschränkend aus. Sie soll nur für die besonderen Gerichtsstände der Zivilprozessordnung gelten und nicht fiir die allgemeinen Vorschriften der Artt. 18, 19 c. p. c. Die allgemeinen internationalen Gerichtsstände sollen vielmehr durch Art. 3 I IPRG bereits abschließend geregelt sein. Zudem wolle der Gesetzgeber durch die Übernahme der Regelungen der EuGVO exorbitante Gerichtsstände gerade verhindern. Systematisch und teleologisch gesehen ist diese Argumentation in jedem Fall schlüssig. Der Satz 2 des Art. 3 II IPRG bildet einen „Auffangtatbestand" zum Satz 1 der Vorschrift, der ebenfalls nur auf die besonderen Gerichtsstände der EuGVO verweist. Zudemfinden sich die Gerichtsstände der Artt. 18, 19 c. p. c. abgesehen vom Klägergerichtsstand des Art. 18 II c. p. c. alle in Art. 3 I
Entscheidung gemäß Art. 67 IPRG (siehe I. 2. b)) und der Zuständigkeit für die Durchführung der Vollstreckung gemäß Art. 3 II 2 IPRG i. V. m. Artt. 26,27 c. p. c. Auch die Zuständigkeit nach Art. 30 c. p. c. (Wahldomizil) wird durch Art. 2 I EuGVO (= Art. 2 I EuGVÜ) im Anwendungsbereich des Abkommens verdrängt (siehe a) aa), bei Fn. 77); zu Art. 30 c. p. c. siehe auch 6. c) aa) (2), in Fn. 248. 142 Siehe dazu im Folgenden unter bb). 143 Siehe dazu unter 6. c) aa) (2). 144 Siehe im Folgenden unter cc). 145 Siehe oben b) aa), Fn. 115. 146 Siehe dazu in der deutschen Literatur Kindler, in RabelsZ 1997, S. 243 f. 147 Ballarino, DIP 2, S. I l l ; Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 217 und Luzzatto , Com., RDIPP, S. 936, am Ende der Fn. 29 im Anschluss an die Ausführungen von Starace (Fn. 150) zur möglichen Verfassungswidrigkeit des Klägergerichtsstandes; ebenso in der deutschen Literatur Kindler (vorige Fußnote).
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
IPRG wieder 148 . Lediglich der Wortlaut des Art. 3 II 2 IPRG sowie dessen Entstehungsgeschichte149 spricht gegen diese Interpretation der Vorschrift, so dass die italienische Literatur überwiegend von der Anwendung des Art. 18 II c. p. c. ausgeht 150 . Dafür spricht auch die Begründung zum Kommissionsentwurf von 1989 151 .
cc) Die Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs (Artt. 31 - 36, 102, 105 - 107 c. p. c.) (1) Die Einbeziehung der Vorschriften der Zivilprozessordnung Im Weiteren wird in der Literatur die Frage diskutiert, ob die Verweisung des Art. 3 II 2 IPRG auch die Vorschriften der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs (Artt. 31 - 36 c. p. c.: „competenza per ragione di connessione")152 in den Bereich der IZ übernimmt. In den Vorentwürfen zum IPRG wurde die Einbeziehung dieser Bestimmungen noch ausdrücklich in Art. 3 II 2 IPRG erwähnt („ ... ,anche per connessione, ... " ) 1 5 3 . Die Tatsache, dass diese Einfügung in der endgültigen Fassung des Art. 3 IPRG fehlt, lässt jedoch nicht zwin-
148
Im IPRG nicht geregelt ist lediglich der Fall, dass „domicilio" und „residenza" des Beklagten unbekannt sind (Art. 18 I c. p. c. stellt in diesem Fall auf den Aufenthalt des Beklagten ab) bzw. sogar dessen schlichter Aufenthalt unbekannt ist (Klägergerichtsstand gemäß Art. 18 II c. p. c.). Bei der Nichtanwendung der Artt. 18, 19 c. p. c. wären diese Sachverhalte nicht normiert. Balena (vorige Fußnote) will insofern in letzterem Fall die Vorschrift des Art. 18 II c. p. c. analog anwenden und zwar als allgemeinen Grundsatz über die Materien des Art. 3 II 2 IPRG hinaus. 149 Siehe bei b) aa) zur Diskussion während der Ausarbeitung des Gesetzes. 150 Broggini, Com., NLCC, S. 910 1. Sp.; Attardi , in RDCiv. 1995, S. 732; Pocar, II nuovo d. i. p., S. 26 und ders., in IPRax 1997, S. 148; siehe auch die Berichte von Jayme / Geckler, in IPRax 1996, S. 371, Fn. 8 und Jayme / Ganz, ebenda, S. 372, Fn. 8. Ebenso Starace, Com., Corr. giur., S. 1237 jedoch mit Hinweis auf die mögliche Verfassungswidrigkeit der unterschiedlichen Behandlung von Personen mit bzw. ohne „domicilio / residenza" innerhalb der EU (Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 cost.). 151 Der Kommissionsbericht diskutiert die Frage, ob die allgemeinen Kriterien des „domicilio" und der „residenza" des Art. 3 I IPRG überflüssig sind, da sie auch über die Vorschriften der örtlichen Zuständigkeit zur Anwendung kommen (siehe RDIPP 1989, S. 950). Damit wird auf Art. 18 I c. p. c. Bezug genommen. 152 Zu den Vorschriften aus rechts vergleichender Sicht siehe Schröder, Internationale Zuständigkeit, 1971, § 8, S. 558 - 564 (563 f.) und Spellenberg, Örtliche Zuständigkeit kraft Sachzusammenhang, in ZVglRWiss 1980, S. 89 - 131 (110 - 120). 153 Siehe RDIPP 1989, S. 932 zum Kommissionsentwurf.
§ 16 Verfahrensrecht
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gend auf das Gegenteil schließen154. Der Gesetzgeber könnte hier eine aus seiner Sicht überflüssige Klarstellung ausgespart haben155. Systematisch gesehen trennt die Zivilprozessordnung die Vorschriften der örtlichen Zuständigkeit (Artt. 18 - 30 c. p. c.) von den Artt. 31 - 36 c. p. c. Auch sachlich sind Zuständigkeiten kraft Zusammenhangs weder der örtlichen noch der sachlichen Zuständigkeit zuzuordnen156. Bei einer «igen Auslegung des Art. 3 II 2 IPRG müsste man insofern davon ausgehen, dass der Art. 3 II 2 IPRG nur auf die Bestimmungen der örtlichen Zuständigkeit im eigentlichen Sinne Bezug nimmt (Artt. 18-27, 30 c. p. c.). Auf der anderen Seite enthält jedoch auch Art. 3 II 1 IPRG i. V. m. Art. 6 EuGVO - als „Spiegelbild" zu Art. 3 II 2 IPRG - eine Regelung der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs157. Eine ähnliche Bestimmung fand sich auch in Art. 4 Nr. 3 1. Var. c. p. c. nach bisherigem Recht 158 . Um den Gleichlauf von staatsvertraglichem und nationalem Recht zu gewährleisten sowie zur Wahrung der Kontinuität im nationalen IZPR, spricht sich die Literatur überwiegend dafür aus, die Vorschriften des codice civile über die Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs dem Grund nach in die Verweisung des Art. 3 II 2 IPRG einzubeziehen159. Parallel zur Diskussion im Rahmen des bisherigen Art. 4 Nr. 3 c. p. c. 160 besteht jedoch auch bei der Anwendung des Art. 3 II 2 IPRG Uneinigkeit darü-
154
I. d. S. jedoch Luzzato, Com., RDIPP, S. 937 (s. a Fn. 156, 159). I. d. S. Broggini, Com., NLCC, S. 910; zu ähnlichen Beispielen siehe § 11 II. 2. e) bb), bei Fn. 133 zu Art. 16 IPRG („manifestamente") und § 17 III. 4. d) bb), in Fn. 338 zu Art. 63 IPRG („amministrazione centrale"). 156 Ebenso Luzzato, Com., RDIPP, S. 937 zur Begründung seiner ablehnenden Haltung (Fn. 159). Zur örtlichen Zuständigkeit siehe Art. 31 I („giudice territorialmente competente ") und Art. 33 („a norma degli articoli 18 e 79") c. p. c.; zur sachlichen Zuständigkeit siehe die Bezugnahmen der Artt. 31 I, II, 32, 34, 35, 36 auf die Wertzuständigkeit („competenza per valore" - siehe dazu 1., in Fn. 33). 157 Zu einem Vergleich der Artt. 31 - 36 c. p. c. mit dem Art. 6 EuGVO siehe im Folgenden unter (2). 158 Art. 4 Nr. 3 c. p. c.: „se la domanda è connessa con altra pendente davanti al giudice italiano ,... 159 I. d. S. Ballarino , DIP 2, S. 112 f.; Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 218; Broggini , Com., NLCC, S. 910 und Attardi , RDCiv. 1995, S. 732 sowie mit Einschränkungen (siehe Fn. 164) Starace , in Studi Vitta, S. 248 und ders., Com., Corr. giur., S. 1236 f.; a. A. Luzzato, Com., RDIPP, S. 936 - 938 (zur Begründung siehe Fn. 154, 156) und Walter, in ZZP 1996, S. 18. Ausführlich zur Frage der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs siehe Di Blase, Com., NLCC, S. 910 - 918. 160 Am engsten interpretierte Morelli , DPCI, S. 124 f. die Fälle der Zuständigkeit kraft Zusammenhangs. Die IZ italienischer Gerichte sollte demzufolge nur dann beste155
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
ber, welche Bestimmungen der Prozessordnung zu diesen Vorschriften zu zählen sind. Wenn man der Diskussion zu Art. 4 Nr. 3 c. p. c. folgt, unterliegen dem Art. 3 II 2 IPRG unbedingt die Fälle der Artt. 31 - 3 3 , 36 c. p. c.; dasselbe dürfte auch für Art. 102 c. p. c. 1 6 1 und die Artt. 105 - 107 c. p. c. gelten 162 . Umstritten ist hingegen vor allem 1 6 3 die Anwendung der Art. 34 c. p. c. (Vorfragen - „questioni pregiudiziali") und Art. 35 c. p. c. (Aufrechnung - „compensazione"). In Anlehnung an die h. M. und st. Rspr. zu Art. 4 Nr. 3 c. p. c. spricht sich auch im Rahmen des Art. 3 I I 2 IPRG die Mehrzahl der Autoren dafür aus, dass die Fälle der Artt. 34, 35 c. p. c. eine italienische IZ begründen 164 . Zumin-
hen, wenn es durch die Vorschriften über die Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs zu einer Erweiterung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts kommt (Artt. 31 - 33, 36 c. p. c.). Die Verweisungsvorschriften der Artt. 34, 35 c. p. c. sollten insofern nicht zur Anwendung kommen. Nach dem weitesten Verständnis des Art. 4 Nr. 3 c. p. c. (Campeis / De Pauli, La procedura 2, S. 125 f.) kam die Vorschrift bei allen Zuständigkeiten aufgrund Sachzusammenhangs zur Anwendung, auch wenn dies nur zu einer Verbindung von Verfahren führt; neben den Artt. 31 - 36 c. p. c. sollte insofern eine italienische IZ auch im Falle der sog. „connessione impropria" (Art. 103 12. Hs. c. p. c. (fakultative Streitgenossenschaft) und Art. 104 c. p. c. (Klagehäufung ohne Sachzusammenhang)) bestehen. Zu unterscheiden sind dabei die beiden Alternativen des Art. 103 I c. p. c.; der 1. Hs. steht im Zusamenhang mit Art. 33 c. p. c. (siehe (2), bei Fn. 172) und betrifft die Streitgenossenschaft kraft Sachzusammenhangs (litisconsorcio proprio), während der 2. Hs. der Vorschrift darüber hinaus eine Streitgenossenschaft bei zumindest partieller Streitgegenstandsidentität ermöglicht (sog. litsconsorcio improprio). Die Rechtsprechung (Cass. 15. 1. 1987, n. 246, in Foro it. 1987,1., Sp. 2816 (2822); Cass. 17. 2. 1983, n. 1194, in Giust. civ. 1983, I, S. 1459 = RDIPP 1984, S. 324) und h. Lit. (Giuliano , La giurisdizione, S. 86 f.; weitere Nachweise bei Picardi (G. Martino ), Art. 4, Nr. 6) beschränkte die Anwendung des Art. 4 Nr. 3 c. p. c. auf die sog. „connessione propria" (Artt. 31 - 36 c. p. c.) und die Beitritts Vorschriften der Artt. 105 - 107 c. p. c. (zu letzteren Vorschriften siehe vor allem Cass. 18. 10. 1976, n. 3544, in Giur. civ. 1977,1., S. 99 (101)), d. h. auf die Fälle, in denen durch das Zuständigkeitsrecht der „simultaneus processus" sichergestellt werden soll. Einigkeit bestand dahingehend, die italienische IZ auch in den Fällen der notwendigen passiven Streitgenossenschaft (Art. 102 c. p. c. - litisconsorcio necessario passivo) zu erweitern (Cass. 14. 7. 1986, n. 4541, in Foro it. 1987,1., Sp. 3107; Cass. 5. 9. 1989, n. 3837, in Nuova giur. civ. comm. 1990, I., S. 229 (231); Morelli , DPCI, S.125; Giuliano , La giurisdizione, S.91 und Campeis / De Pauli, La procedura 2, S. 126 f.). Eine Übersicht zum bisherigen Recht bieten Picardi (G. Martino ), Art. 4, Nr. 6; Campeis / De Pauli, La procedura 2, S. 121 - 126; dies., Il processo, S. 64 - 67 und Di Blase, Com., NLCC, S.911. 161 Ebenso Ballarino, DIP 2, S. 113 unten. 162 Ebenso CT (Costantino ), Art. 3, II. 8. 163 Darüber hinaus sprechen sich Starace, in Studi Vitta, S. 248; ders., Com., Corr. giur., S. 1236 und CT (Costantino ), Art. 3, II. 8. auch für die Einbeziehung der Artt. 103 I 2. Hs., 104 c. p. c. aus (s. a. Autoren in Fn. 160 zu Art. 4 Nr. 3 c. p. c.). 164
Ballarino, DIP 2, S. 112 f.; Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 218 f.; Broggini,
Com., NLCC, S. 910 und Di Blase, Com., NLCC, S. 917; a. A. Starace, in Studi Vitta, S. 248 und im Anschluss an diesen auch CT (Costantino ), Art. 3, II. 8.
§ 16 Verfahrensrecht
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dest im Hinblick auf Art. 34 c. p. c. erscheint dies jedoch aufgrund der Neuregelung des Art. 6 IPRGfraglich zu sein165. Bei der Anwendung der Artt. 31 - 36 c. p. c. im Rahmen des Art. 3 II 2 IPRG ist zu beachten, dass sich die Vorschriften auf die internationale und nicht mehr - gemäß ihrem Wortlaut - auf die örtliche und sachliche Zuständigkeit 166 beziehen. Die in den Artt. 34, 35 c. p. c. vorgesehene Rechtsfolge der Verweisung kommt insofern im Rahmen der internationalen Zuständigkeit nicht in Betracht, da aufgrund der staatlichen Souveränität über die eigene Gerichtsbarkeit eine Verweisung an ausländische Gerichte im IZPR nicht denkbar ist 167 .
(2) Parallelen der Artt. 31 - 36 c. p. c. zu Art. 6 EuGVO Wie bereits erwähnt 168, finden sich den Artt. 31 - 36 c. p. c. ähnliche Regelungen auch in Art. 6 EuGVO. Die Erstreckung des Hinweises in Art. 3 II 2 IPRG auf die Artt. 31 - 36 c. p. c. führt insofern zu einer Angleichung der familien- und erbrechtlichen IZ (Art. 3 II 2 IPRG) an die schuldrechtliche Zuständigkeit gemäß Art. 6 EuGVO (Art. 3 II 1 IPRG)169. Art. 32 c. p. c. betrifft wie Art. 6 Nr. 2 EuGVO (= Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ) die Fälle von Gewährleistungsklagen170. Im Gegensatz zur staatsvertraglichen 165
Siehe dazu unter 8. b). Siehe oben bei in Fn. 156. 167 Siehe auch (2), Fn. 188 zu Art. 35 c. p. c. 168 Siehe (1), bei Fn. 157. 169 Siehe dazu Di Blase, Com., NLCC, S. 917 f., Nr. 6 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 245. Zu rechtsvergleichenden Untersuchungen im Hinblick auf die Regelungen der Art. 6 Nr. 1 und Nr. 2 EuGVÜ siehe Geimer, Fora connexitatis - Der Sachzusammenhang als Grundlage der internationalen Zuständigkeit, in WM 1979, S. 350 (351 - 361). Es gilt jedoch zu beachten, dass Art. 6 EuGVO (= Art. 6 EuGVÜ) bei Versicherungsund Verbrauchersachen (Artt. 8 - 1 7 EuGVO [= Artt. 7 - 1 5 EuGVÜ]) nicht zur Anwendung kommt, da letztere Vorschriften eine ausschließliche Zuständigkeit begründen (s. o. b) cc), Fn. 127) ; es greifen insofern die besonderen Vorschriften dieser Materien (Artt. 9 I c), 11 I, III, 12 II, 16 II EuGVO). Siehe dazu Kropholler, EuZPR, Art. 6, Rn. 3. 170 Das Institut der Gewährleistungsklage entspringt den romanischen Rechtsordnungen (rechtsvergleichend dazu im Hinblick auf die Anerkennung gemäß § 328 I Nr. 1 ZPO Geimer, Anerkennung und Vollstreckbarerklärung französischer Garantieurteile in der Bundesrepublik Deutschland, in ZZP 1972, 196 - 206; s. a. denselben in voriger Fußnote). Den deutschsprachigen Rechtsordnungen ist diese Klageform fremd; an ihrer Stelle wird mit der Figur der Streitverkündung gearbeitet. Auf Grund eines von Deutschland, Österreich und der Schweiz (später auch Spanien) erklärten Vorbehalts (Art. V der Protokolle zum EuGVÜ vom 27. 9. 1968, in BGBl. 1972 II, S. 808 bzw. zum LugÜbk. vom 16. 9. 1988, in BGBl. 1994 II, S. 2693) gilt die Zuständigkeitsvorschrift des Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ / LugÜbk. insofern nicht vor den Gerichten dieser Staaten. 166
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Bestimmung formuliert Art. 32 c. p. c. jedoch kein Missbrauchsverbot; zur Verhinderung der „Zuständigkeitserschieichung" sollte man jedoch auch im Rahmen des italienischen Prozessrechts von einer derartigen Zuständigkeitsschranke ausgehen171. Eine dem Art. 33 c. p. c. entsprechende Vorschrift enthielt Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ zur Frage der passiven Streitgenossenschaft. Für eine einheitliche Zuständigkeit fordert Art. 33 c. p. c. einen Zusammenhang der Streitgegenstände i. S. d. Art. 40 c. p. c. 172 . Dasselbe wurde bisher auch - über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - im Rahmen des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ angenommen; Art. 22 III EuGVÜ sollte insofern analog angewendet werden 173. Daran anknüpfend fordert der neue Art. 6 Nr. 1 EuGVO nunmehr für eine passive Streitgenossenschaft ausdrücklich eine „enge Beziehung" der jeweiligen Klagen. Das in Art. 6 Nr. 2 EuGVO (= Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ) erwähnte Missbrauchsverbot soll sowohl bei Art. 33 c. p. c. 174 als auch bei Art. 6 Nr. 1 EuGVO (= Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ)175 gelten. Art. 34 c. p. c. begründet eine Zuständigkeit fur die Klärung von Vorfragen. Auch dies entspricht der Rechtsprechung zum EuGVÜ, derzufolge die Zuständigkeitsvorschriften des Abkommens auch dann gelten, wenn eine Vorfrage ein Rechtsgebiet berührt, das gemäß Art. 1 II EuGVÜ (= Art. 1 II EuGVO) vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgeschlossen ist 176 . Ob Art. 34 c. p. c. über Art. 3 II 2 IPRG zur Anwendung kommt, bleibt jedoch fraglich 177.
Diese Sonderregelung ist für Deutschland und Österreich in die EuGVO übernommen worden (Art. 65 I EuGVO). Zu den Vorbehalten siehe Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 6, Rn. 36 und Kropholler, EuZPR, Art. 6, Rn. 19 - 25. 171 Siehe auch die Rechtsprechung des Corte di Cassazione zu Art. 33 c. p. c. in der Fn. 174. 172 Siehe auch in Fn. 160 zu Art. 103 I 1. Hs. c. p. c.; zur Vorschrift des Art. 40 c. p. c. siehe 7 a) cc), bei Fn. 369. 173 E. M. (siehe Bericht von Jenard, in BT-Drucks. VI / 1973, S. 73 zu Art. 6 Nr. 1); bestätigt durch EuGH 27. 9. 1988, Rs. 189 / 87 - Kalfelis ./. Schröder, Slg. 1988, S. 5565 (5586 - Nr. 20) = NJW 1988, S. 3088 mit Anm. Geimer, S. 3089 = IPRax 1989, S. 288 mit Anm. Gottwald, S. 272. 174 Cass. 23. 7. 1955, n. 2384 und Cass. 21.7. 1967, n. 1897, zitiert nach Geimer / Schütze, Int. Urt. Bd. I Hb. 1, S. 381 f. in Fn. 19. 175 1, d. S. der italienische Corte di Cassazione (Cass. 8. 8. 1989, η. 3657, RDIPP 1990, S. 685 und S. 693 f. zu den Entscheidungsgründen) und die h. Lit. in Deutschland (Kropholler, EuZPR, Art. 6, Rn. 15 und Geimer / Schütze, Int. Urt. I 1, S. 381 f., die jedoch darauf hinweisen, dass es bei ordnungsgemäßer Bestimmung des Zusammenhang in der Praxis kaum zu Missbrauchsfällen kommen kann). 176 EuGH 25. 7. 1991, Rs. 190 / 89 - Marc Rieh ./. Società Italiana Impianti, Slg. 1991, I - S. 3855 (3901 - 3903, insbesondere Nr. 26 - 28); siehe auch Kropholler, EuZPR, Art. 1, Rn. 17. 177 Siehe Hinweis in Fn. 165.
§ 16 Verfahrensrecht
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Auch Art. 36 c. p. c. (Widerklage) findet in Art. 6 Nr. 3 EuGVO (= Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ) eine Entsprechung in der EuGVO178. Die (Prozess-)179Aufrechnung als Kriterium der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs (Art. 35 c. p. c.) wird in Art. 6 EuGVO (= Art. 6 EuGVÜ) nicht erwähnt. Nach der Rechtsprechung des EuGH180 soll Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ (Widerklage) für die Frage der Aufrechnung keine Anwendungfinden. Vielmehr geht der Gerichtshof davon aus, dass diese als bloßes Verteidigungsmittel jederzeit geltend gemacht werden kann, ohne dass es dafür einer internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die Aufrechnungsforderung bedarf. Nach Ansicht des EuGH richtet sich jedoch die Frage, welche Verteidigungsmittel vorgebracht werden können und unter welchen Voraussetzungen, nach dem nationalen Prozessrecht181. Diese Verweisung auf das innerstaatliche Recht kann jedoch nicht die Frage der internationalen Zuständigkeit betreffen; die EuGVO wirkt insofern abschließend. Die Rechtsprechung des BGH 182 , die bei der Prozessaufrechnung die Zuständigkeitsfrage im Hinblick auf die Aufrechnungsforderung stellt, kann somit bei der Klärung der internationalen Zuständigkeit nicht greifen. Anderenfalls würde man die Jurisdiktion des EuGH unterlaufen, welche die Aufrechnung als Verteidigungsmittel und nicht als Zuständigkeitsfrage qualifiziert 183. Das abgesehen von der Bestimmung der IZ anzuwendende nationale Recht regelt die sonstigen Fragen der Aufrechnung und entscheidet über deren Qualifikation als materiell- oder prozessrechtlich. Nachdem die Aufrechnung im italienischen Recht allein als materiellrechtliches 178
Zur Widerklage im italienischen Zivilprozessrecht siehe Artt. 167 II, 171 II c. p. c. Das Institut der Prozessaufrechnung ist dem italienischen Recht unbekannt; die Frage des Rechtskraftumfanges wird jedoch von der Rechtsprechung ähnlich wie im deutschen Prozessrecht (§ 322 II ZPO) behandelt (siehe dazu Kindler, Einführung, § 14, Rn. 16 und ders., in IPRax 1996, S. 16 [20 f.]). Die prozessuale Frage der Reichweite der Rechtskraft italienischer Urteile richtet sich nach der italienischen lex fori (siehe unter 7. b) ee), Fn. 472 zur Rechtsprechung des EuGH). 180 EuGH 13. 7. 1995, Rs. C-341 / 91 - Danvaern Produktion ./. Schuhfabrik Otterbeck, Slg. 1995, I - S. 2053 = NJW 1996, S. 42 = EuZW 1995, S. 639 mit Anm. 179
Gelmer, S. 640 = ZZP 1996, S. 373 mit Anm. Mankowski, S. 376 - 394 = IPRax 1997,
S. 114 mit Anm. Philip, S. 97. Im Ergebnis zustimmend Kropholler, EuZPR, Art. 6, Rn. 44 f.; kritisch dazu Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 6, Rn. 67 und 69 f. und Schock, IZVR, Rn. 355. 181 EuGH (vorige Fußnote), I - S. 2077 (Nr. 18). 182 BGH 12. 5. 1993, in NJW 1993, S. 2753 = EuZW 1993, S. 576 = IPRax 1994, S. 115 mit Anm. Geimer, S. 8 2 - 85. Der BGH hat die Frage zum damaligen Zeitpunkt nicht dem EuGH vorgelegt, da er ,.fur vernünftige Zweifel" an der von ihm vorgenommenen Auslegung keinen Anlass gesehen hat (siehe in NJW, S. 2755). 183 Ebenso Mankowski (Fn. 180), S. 381 f. und Gebauer, Internationale Zuständigkeit und Prozeßaufrechnung, in IPRax 1998, S. 79 (84 - 86); a. A. Jayme / Kohler, in IPRax 1995, S. 349 und Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 6, Rn. 71.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Verteidigungsmittel gesehen wird 184 , bestimmen sich die Voraussetzungen der Aufrechnung 185 vor italienischen Gerichten nach dem vom EVÜ zur Anwendung berufenen Recht (Art. 57 IPRG i. V. m. Art. 10 I d) EVÜ). Eine der EuGVO entsprechende Regelung enthält Art. 35 c. p. c. Sie eröffnet fiir den Fall der Überschreitung der „Wertzuständigkeit"186 und einer „leicht zu klärenden" Klageforderung („facilmente accertabile") die Möglichkeit der Verweisung an das fiir die Aufrechnungsforderung sachlich zuständige Gericht nach eigener Entscheidung über die Hauptforderung. Sofern diese Voraussetzungen fehlen, ist der Rechtsstreit gemäß Art. 34 c. p. c an das höhere Gericht zu verweisen (Art. 35 2. Hs. c. p. c) 187 . Im Umkehrschluss ergibt sich daraus der Grundsatz, dass über Aufrechnungs- und Klageforderung gemeinsam zu entscheiden ist. Dies gilt im Rahmen der IZ uneingeschränkt, da zwischen Gerichten verschiedener Staaten weder eine Wertzuständigkeit noch eine Verweisung zur Diskussion steht188. Das Gericht entscheidet insofern über beide Forderungen mit Rechtskraftwirkung (Artt. 35 letzter Hs., 34 c. p. c.) 189 . Im Gegensatz zu den aufgezeigten Parallelen zur EuGVO geht die Annexzuständigkeit für „akzessorische Klagen" gemäß Art. 31 c. p. c. weiter als die Zuständigkeitsregelungen der EuGVO. In der Praxis scheint diese Vorschrift jedoch ohne große Bedeutung zu sein190.
184
Siehe oben in Fn. 179. Zu den Aufrechnungsvoraussetzungen nach materiellem italienischen Recht (Artt. 1241- 1252 c. c.) siehe Kindler, Einführung, § 14, Rn. 15 - 18. 186 Zur Terminologie s. o. unter 1., Fn. 33. 187 Wie sich dieser Regelung entnehmen lässt, stellt die Prozessaufrechnung eine spezielle Form der Vorfrage i. S. d. Art. 34 c. p. c. dar. Zur Aufrechnung als Vorfrage siehe auch Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 6, Rn. 70. 188 Siehe dazu allgemein bei (1), bei Fn. 166. 189 CCT (Parimbelli), Art. 35, III. 1. und Liebmann, Manuale, S. 65. Siehe auch Fn. 179 zur Rechtskraftwirkung der Aufrechnung. 190 Ballarino, DIP 2, S. 113 unter Hinweis auf den Umstand, dass die „Akzessorietät" gemäß Art. 31 c. p. c. eine Identität der Streitgegenstände erfordert; siehe dazu Picardi 0Coluzzi), Art. 31, Nr. 1. 185
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§ 16 Verfahrensrecht 5. Die speziellen Zuständigkeitsvorschriften
des Titels III des IPRG
a) Allgemeines zum Verhältnis der besonderen zu den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften Ähnlich wie das schweizerische IPRG191 enthält auch das italienische IPRG neben den allgemeinen Zuständigkeitsnormen spezielle Vorschriften, die die Zuständigkeit italienischer Gerichte für besondere Bereiche des IPR festlegen (Artt. 22 II, 32, 37, 40, 42, 44, 50 IPRG). Diese Vorschriften betreffen nur Materien, die gemäß Art. 1 II a) EuGVO (= Art. 1 II Nr. 1 EuGVÜ) vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen wurden. Ein erheblicher Teil dieser Normen behandelt Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit („giurisdizione volontaria"). Es entstehen somit Konkurrenzprobleme mit den allgemeinen Vorschriften des Art. 3 I, II 2 (Streitverfahren) sowie des Art. 9 (freiwillige Gerichtsbarkeit) IPRG. Die Frage, welche Verfahrensart im Einzelnen vorliegt, ist nach italienischem Prozessrecht zu entscheiden (Art. 12 IPRG)192. Im Gegensatz zu seinem schweizerischen Vorbild, dessen allgemeine Zuständigkeitsvorschrift ausdrücklich als „Auffangnorm" konzipiert ist 193 , ergeben sich im italienischen IPRG erhebliche Unsicherheiten, was das Verhältnis der allgemeinen zu den besonderen Bestimmungen anbelangt. Die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Art. 3 I IPRG für die streitige Gerichtsbarkeit stellt Zuständigkeiten nach anderweitigen gesetzlichen Regelungen dem Grunde nach gleichwertig neben die Zuständigkeitskriterien des Art. 3 IPRG194. Im Gegensatz zu Art. 9 IPRG („presente legge") beschränkt sich Art. 3 I IPRG nicht auf anderweitige Bestimmungen des IPRG, sondern lässt den Umfang dieser Verweisung offen. Die Literatur geht davon aus, dass sich der Hinweis des Art. 3 I IPRG sowohl auf die besonderen Zuständigkeits-
191 Artt. 41 I, IL, 43, 46, 47, 51, 59, 60, 66, 67, 71, 75, 76, 79, 80, 85 - 88, 97, 98, 109, 112- 115,127, 129- 131, 151 - 153,167 schweizerisches IPRG. 192 Siehe Cass. 12. 5. 1979, n. 2727, in Foro it. 1979, I, Sp. 1369 zum bisherigen Art. 801 c. p. c. (Vollsteckbarkeitserklärung von ausländischen Verfügungen im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit - siehe dazu I. 2.a) bb), in Fn. 20 Ende) und weitere Nachweise bei CCT (Rampazzi Gonet), Art. 801, II.; ebenso im deutschen IZPR Geimer, IZPR, Rn. 2882. Allgemein zu Art. 12 IPRG siehe 3. b), bei Fn. 70. 193 Siehe dazu die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Art. 2 schweizerisches IPRG
(„Sieht dieses Gesetz keine besondere Zuständigkeit vor, ... : "). 194 Art. 3 letzte Var. IPRG: „ ... e negli altri casi in cui è prevista dalla legge".
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Vorschriften des IPRG195 als auch auf die spezialgesetzlichen Vorschriften 196 bezieht. Der Wortlaut des Art. 3 I IPRG spricht somit dafür, dass die Zuständigkeiten nach den besonderen Bestimmungen des Titels III neben dieselben des Art. 3 IPRG treten, sofern sie Materien betreffen, die nach italienischem Prozessrecht durch streitige Verfahren zu lösen sind. Dasselbe lässt sich auch dem Art. 9 IPRG für den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit entnehmen197. Die Wortlaute der besonderen Zuständigkeitsvorschriften stehen jedoch im Widerspruch zu diesem Verständnis. Sie legen zwar teilweise fest, dass sie über die Artt. 3, 9 IPRG (Artt. 37, 44 I IPRG) bzw. über den Art. 3 IPRG (Artt. 32, 40 II) hinaus weitere Zuständigkeiten begründen. Im Übrigen fehlt jedoch ein Hinweis auf die allgemeinen Vorschriften des IPRG (Artt. 22 II, 40 I, 42, 44 II, 50 IPRG). Daraus müsste geschlossen werden, dass die Artt. 3, 9 IPRG nur dann neben den speziellen Bestimmungen des Titels III zur Anwendung kommen, wenn die letzteren Vorschriften dies ausdrücklich vorsehen198. Als problematisch erweist sich diese Einschätzung jedoch bei den Vorschriften, die nur auf Art. 3 IPRG verweisen (Artt. 32, 40 II IPRG), obwohl die in ihnen geregelten Materien zumindest teilweise dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterliegen. Wenn man dieser wortgetreuen Auslegung folgt, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass der Gesetzgeber im Rahmen dieser Normen zwischen dem streitigen Verfahren und dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit differenzieren wollte, d. h. nur für ersteres Verfahren die allgemeine Norm des Art. 3 zur Anwendung bringt 199. Diese Unterscheidung wird jedoch dadurch erschwert, dass der Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit mangels ausdrück195
Luzzatto, Com., RDIPP, S. 927; Broggini, Com., NLCC, S. 907 (der jedoch zuweit geht, wenn er den Hinweis auch auf Staatsverträge bezieht - siehe 4. b) aa), in Fn. 109); Annibale , Riforma, S. 30 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 242 oben; ebenso der Kommissionsbericht in seiner Begründung (RDIPP 1989, S. 950). 196 Siehe 4. a) bb), Fn. 107. 197 Art. 9 IPRG: „ ... , oltre (über ... hinaus) che nei casi specificamente contemplati dalla presente legge ... Siehe dazu Pocar, in IPRax 1997, S. 148 und Kindler , in RabelsZ 1997, S. 250. 198 1. d. S. grundsätzlich Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 225 - 227; ebenso Honorati , Com., NLCC, S. 973 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 250 zum Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 9 IPRG); weitere Nachweise in Fn. 205. 199 Siehe zu Art. 32 IPRG Clerici , Com., RDIPP, S. 1079 (bei Fn. 7 und 8), die die einvernehmliche Ehetrennung gemäß Artt. 150 II, 158 c. c., 711 c. p. c. zum Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit zählt (keine Anwendung des Art. 9 IPRG mangels Hinweis); dagegen soll die Scheidung auf gemeinsamen Antrag der Ehegatten (Art. 4 I 2, XIII1. sciogl.) als streitiges Verfahren gelten (siehe in Fn. 7). Siehe dazu unter b), Fn.
211 212.
Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 226 geht hingegen bei Art. 40 II IPRG davon aus, dass die Anwendung des Art. 9 IPRG trotz fehlender Erwähnung in der besonderen Zuständigkeitsnorm nicht ausgeschlossen ist.
§ 16 Verfahrensrecht
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licher Regelung im italienischen Recht nicht klar umschrieben ist 200 . Das bisherige italienische Recht verwendet den Begriff lediglich in Art. 801 c. p. c. 201 bzw. Art. 32 disp. att. Man geht zwar überwiegend davon aus, dass die „nichtöffentlichen Verfahren' 4202 gemäß Art. 737 - 742bis c. p. c. („procedimento in camera di consiglio") Materien der freiwilligen Gerichtsbarkeit behandeln203, auch dies gilt jedoch nicht durchgehend. Vielmehr ist immer im Einzelfall zu entscheiden, ob eine Angelegenheit einvernehmlich bzw. im Rahmen des behördlichen Verfahrens erledigt oder durch streitiges Verfahren mit richterlichem Urteilsspruch beendet wird 204 . Trotz des Wortlautes der Artt. 3, 9 IPRG und der Abgrenzungsprobleme, die sich bei den Artt. 3 2, 40 II IPRG ergeben, spricht sich die Literatur überwiegend für das Verständnis der speziellen Vorschriften als ausschließliche Zuständigkeitsnormen aus, sofern und soweit diese nicht auf die allgemeinen Vorschriften der Artt. 3, 9 IPRG verweisen205. Dies entspricht der Regelung im schweizerischen IPRG206. Die besonderen Zuständigkeitsvorschriften sollen zu dieser Frage im Folgenden einzeln behandelt werden.
200 Ausführlich dazu Campeis / De Pauli, Il processo, S. 287 - 302 und Satta , DPC, §§ 496 - 512; s. a. Liebmann,, Manuale, S. 29 f. 201 Zu der Vorschrift siehe I. 2. a) bb), in Fn. 20 Ende. 202 Obersetzung gemäß Bauer u. a , c. p. c., S. 499. 203 Attardi, in RDCiv. 1995, S. 754; Comoglio / Ferri / Taruffo, S. 494 - 498; Fazzalari, in Enc. Dir. XIX (Giurisdizione volontaria - dir.proc.civ.), S. 331; Satta, DPC, § 497; Liebmann, Manuale, S. 29 und ausführlich Campeis/De Pauli, Il processo, S. 287 - 302. Siehe auch Luise, in Picardi, Art. 801 c. p. c., Nr. 3 m.w.N. zur h. M. beim ehemaligen Art. 801 c. p. c. (zu der Vorschrift siehe Hinweis in Fn. 201). Im Einzelnen zu den Materien siehe die Artt. 706 - 736 c. p. c. bzw. die Artt. 313, 336 II c. c. und die Artt. 33, 38 III disp. att. 204 Siehe Hinweis bei Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 225, Fn. 66 unter Berufung auf Proto Pisani, in RDCiv. 1990, S. 394 (433, Nr. 11); abstrakt zu den Merkmalen der „giurisdizione volontaria" siehe Comoglio / Ferri / Taruffo, S. 491 - 494. Siehe auch die Literaturhinweise in Fn. 200 und Fn. 211 zur Differenzierung zwischen einvernehmlicher und gerichtlicher Trennung. 205 Siehe oben in Fn. 198; im Weiteren ebenso Franchi, Com., NLCC, S. 1226 zu Art. 40 und S. 1248 zu Art. 42; Deli , Com., NLCC, S. 1317 zu Art. 50 und Mosconi, DIPP 1, S. 52 in Fußnote. Α. A. Ballarino, DIP 2, S. 315 f. zu Art. 22 II IPRG und im Anschluss an diesen auch Cafari Panico, Com., NLCC, S. 1094, bei Fn. 9bis. 206 Siehe Fn. 193.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
b) Die besonderen Zuständigkeitsvorschriften im Einzelnen Bei den Rechtsgebiete des Art. 22 IPRG (Verschollenheit, Abwesenheit,
Todesvermutung) handelt es sich um Fragen der freiwilligen Gerichtsbarkeit 207. Die Zuständigkeitsregelung des Art. 22 II IPRG verweist zwar nicht auf die allgemeine Vorschrift des Art. 9 IPRG, da die Anknüpfungen des Art. 22 II IPRG jedoch die Kriterien des Art. 9 IPRG mit umfassen 208, kann in diesem Fall das Konkurrenzproblem weitestgehend dahingestellt bleiben. Relevant wird es lediglich für die Frage, ob die Vorschriften der Artt. 48, 58 c. c. zur örtlichen Zuständigkeit über Art. 9 IPRG209 neben Art. 22 II IPRG zur Anwendung kom210 w men . Nachdem der Art. 32 IPRG (Nichtigkeit, Anfechtung, Trennung und Scheidung der Ehe) lediglich einen Hinweis auf Art. 3 IPRG enthält, kommt bei Materien, die in den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit fallen, Art. 9 IPRG neben der besonderen Zuständigkeitsnorm nicht zur Anwendung. Dies gilt vor allem für die einvernehmliche - im Gegensatz zur gerichtlichen Trennung von Ehegatten211. Scheidungen werden demgegenüber nach überwiegendem Verständnis auch dann der streitigen Gerichtsbarkeit zugeordnet, wenn sie auf gemeinsamen Antrag erfolgen 212. Insofern greifen - aufgrund der 207 Siehe dazu bereits den Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 937 zu Art. 20 (= Art. 22 IPRG); ebenso Ballarino, DIP 2, S. 315 und Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 225 sowie zum bisherigen Recht Campeis / De Pauli, Il processo, S. 294 - 297 und Satta, DPC, § 505. Zum „procedimento in camera di consiglio" (Fn. 203) in diesem Bereich siehe Artt. 721 731 c. p. c.; zum materiellen Recht siehe Artt. 48 - 73 c. c. 208 Während Art. 9 IPRG in seiner letzten Anknüpfung von der Anwendung des italienischen Rechts spricht, lässt Art. 22 II IPRG eine Rechtswirkung auf die italienische Rechtsordnung ausreichen; im Übrigen stimmen die Anknüpfungen der Vorschriften überein. 209 Siehe c) aa), Fn. 136 zur Verweisung des Art. 9 IPRG auf die Bestimmungen der örtlichen Zuständigkeit. 2,0 Sofern dies zu bejahen ist, werden die Anknüpfungen des Art. 22 II durch die Wohnsitzanknüpfting der Artt. 48, 58 c. c. ergänzt; die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt findet sich auch in Art. 22 II b) IPRG. 211 Bei der Trennung von Ehegatten (Art. 150 c. c.) wird zwischen der einvernehmlichen (Art. 711 c. p. c. - freiwillige Gerichtsbarkeit) und der gerichtlichen Trennung (Artt. 706 - 710 c. p. c. - streitiges Verfahren) differenziert (s. a. Campeis / De Pauli, II processo, S. 291 f.; dies., La procedura 2, S. 398 - 401; Comoglio / Ferri / Taruffo, S. 510 und Satta , DPC, § 502); s. a Clerici in Fn. 199. In ersterem Fall wird die Trennung nach Scheitern eines richterlichen Versöhnungsversuches lediglich vom Gericht bestätigt („omologazione" - Art. 711 IV c. p. c.). 212 Die Scheidung auf gemeinsamen Antrag erfolgt - im Gegensatz zur einvernehmlichen Trennung (vorige Fußnote) - durch richterliches Urteil (Art. 4 XIII1. sciogl.); zur Einstufung als streitiges Verfahren s. a Clerici in Fn. 199. Die Scheidung wird insofern bei der Aufzählung der Materien der freiwilligen Gerichtsbarkeit zumeist nicht erwähnt (siehe Literaturhinweise in Fn. 200). Die Frage ist jedoch umstritten; a. Α. Campeis / De
§ 16 Verfahrensrecht
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Erwähnung in Art. 32 IPRG - die zusätzlichen Zuständigkeiten des Art. 3 IPRG. Infolge der Parallelität zwischen IZ und örtlicher Zuständigkeit über Art. 3 II 2 IPRG ist neben Art. 32 IPRG die spezialgesetzliche Regelung des Art. 4 1. sciogl. zu beachten, was - unglücklicherweise - zu einer uneingeschränkten Zuständigkeit italienischer Gerichte führt 213. Der Anwendungsbereich des Art. 32 IPRG wird jedoch durch die EheVO erheblich geschmälert214. Auch die Artt. 40 I (Adoption) und 42 (Minderjährigenschutz) 215 IPRG enthalten mangels Erwähnung der allgemeinen Bestimmungen ausschließliche Zuständigkeitsregelungen. In beiden Fällen handelt es sich um Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit 216. Im Bereich des Adoptionsrechts dürfte die Neuregelung des IPRG den Art. 29 I 1. adoz. verdrängen. Die Vorschrift des Adoptionsgesetzes regelt zwar neben der IZ auch die örtliche Zuständigkeit italienischer Jugendgerichte bei internationalen Adoptionen, aufgrund der Nichterwähnung des Art. 9 IPRG in Art. 40 I IPRG kann eine italienische IZ jedoch auch nicht über Art. 29 I 1. adoz. als örtliche Zuständigkeitsvorschrift begründet werden217. Die Bestimmung greift somit allein bei der Frage der örtlichen Zuständigkeit218. Im Gegensatz zu den Voraussetzungen einer Adoption verweist Art. 40 II IPRG für die persönlichen und vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten auf Art. 3 IPRG; die Aussparung des Art. 9 IPRG mag dabei etwas irritieren 219. Pauli, La procedura 2, S. 401, bei Fn. 149 und Comoglio / Ferri / Taruffo, S. 510, die die Scheidung auf gemeinsamen Antrag auch der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuordnen. 213 Siehe § 5 III. 3., bei Fn. 40. Gemäß Art. 23 I des Gesetzes von 1987 zur Reform des Scheidungsrechts (siehe § 2 II. 3., Fn. 36) gilt die Zuständigkeitsvorschrift auch für die Feststellung der Trennung von Ehegatten (Clerici , Com., RDIPP, S. 1080 (bei Fn. 11); s. a Jayme, FamRZ 1988, S. 790 (792, Nr. 2. b)). Die Allzuständigkeit gemäß Art. 4 11. sciogl. dürfte somit über Art. 3 II 2 IPRG auch bei gerichtlichen Trennungen (Fn. 211) gelten 214 Siehe 3. a), Fn. 61. Sofern die Literatur zudem auf den Vorrang der Zuständigkeitsregelung in Art. 5 des Haager Scheidungsabkommens von 1902 verweist (Attardi , in RDCiv. 1995, S. 737; s. a. Campeis / De Pauli, La procedura 2, S. 402 oben), wird übersehen, dass das Abkommen inzwischen von Italien gekündigt worden ist (siehe § 10 II. 3., in Fn. 131). 215 Siehe i. E. unter § 12 VII. 1. und siehe 4. c) aa), in Fn. 141 zu Art. 24 c. p. c. 216 Siehe für alle Comoglio / Ferri / Taruffo, S. 512 f. zum Mindeijährigenschutz und Attardi , in RDCiv. 1995, S. 737 zur Adoption (Art. 40 IPRG) ebenso wie zur Abstammung (Art. 37 IPRG). Zur Durchführung im „procedimento in camera di consiglio"4 (siehe a), bei Fn. 203) siehe zum Minderjährigenschutz Art. 732 c. p. c. und zur Adoption Art. 313 I c. c. (Erwachsene) sowie Art. 25 11. adoz. (Mindeijähriger). 217 Zu den Artt. 32, 33 1. adoz. zum Anerkennungsrecht (Art. 41 II IPRG) siehe § 16 I. 2., Fn. 7. 218 Ebenso Cqfari Panico , Com., RDIPP, S. 1106. 219 Der Gesetzgeber scheint insofern die Wirkungen der Adoption der streitigen Gerichtsbarkeit zuzurechnen, was sehr zweifelhaft erscheint. Balena geht insofern trotz des Wortlautes von einer Anwendung des Art. 9 IPRG neben dem Art. 40 II IPRG aus
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Der Ausschließlichkeitscharakter des Art. 50 IPRG fiir den Bereich des Erbrechts führt lediglich zur Unanwendbarkeit des „Vertreterkriteriums" gemäß Art. 3 I IPRG. Im Übrigen finden sich die Regelungen der Artt. 3, 9 IPRG in den umfangreichen alternativen Anknüpfungen des Art. 50 IPRG wieder 220. In den Art. 37, 44 IPRG ist das Konkurrenzproblem durch einen Hinweis auf die Artt. 3, 9 IPRG ausdrücklich zugunsten eines Nebeneinanders der allgemeinen und besonderen Vorschriften gelöst. Die Ausführungen zeigen, dass zwar in den meisten Fällen das Verhältnis der allgemeinen und besonderen Zuständigkeitsvorschriften des IPRG gelöst werden kann, aber insbesondere in den Artt. 32, 40 IPRG Unsicherheiten verbleiben.
6. Art. 4 IPRG (Gerichtsstandsvereinbarungen
und rügelose Einlassung)
a) Bisheriges Recht Vom Grundsatz der Unbegrenztheit der italienischen Zuständigkeit ausgehend221 hat Art. 2 c. p. c. bisher eine Derogation der italienischen Gerichtsbarkeit nur in engen Grenzen zugelassen. Gemäß Art. 2 c. p. c. waren Gerichtsstands- oder Schiedsvereinbarungen222 zugunsten eines ausländischen forums nur bei Streitigkeiten über Schuldverhältnisse zulässig. Im Anschluss an die Differenzierung des früheren Rechts nach der Staatsangehörigkeit der Beteiligten erlaubte die Vorschrift zudem nur Vereinbarungen zwischen Ausländern bzw. zwischen einem Ausländer und einem Italiener, der weder „domicilio" noch „residenza" in Italien besitzt223. Zur Wirksamkeit der Derogation hat Art. 2 c. p. c. zudem eine schriftliche Vereinbarung gefordert. Trotz des im „prozessualen" Art. 2 c. p. c. festgelegten Schriftformerfordernisses war in der Vergangenheit umstritten, ob die Frage der Formwirksamkeit (siehe a), Fn. 199); zumeist wird jedoch lediglich darauf verwiesen, dass der Gleichlauf von ius und forum in der zusätzlichen Anknüpfung des Art. 40 II IPRG sich auch in Art. 9 IPRG wiederfindet (siehe Cqfari Panico , Com., RDIPP, S. 1106 unten und Franchi , Com., NLCC, S. 1228 unter Nr. 6). Dies ändert jedoch nichts daran, dass die anderen Anknüpfungen des Art. 9 IPRG durch die Normierung ausgeschlossen wurden. 220 Dies gilt auch für die Anknüpfungen des Art. 22 c. p. c.; siehe 4. c) aa), in Fn. 141. 221
Allgemein dazu s. o. unter 2. a).
222
Art. 2 c. p. c.: „ ... convenzionalmente derogata a favore di una giurisdizione straniera, né di arbitri che pronuncino ali ' estero ,... 223
Zu den Begriffen des „domicilio" und der,residenza" siehe unter 4. a).
§ 16 Verfahrensrecht
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von Derogationsvereinbarungen prozessual zu qualifizieren und somit nach der italienischen lex fori zu bestimmen ist. Inzwischen dürfte sich jedoch dieses Verständnis durchgesetzt haben, das durch die Neuregelung des Art. 4 IPRG untermauert wird 224 . Die Frage der Prorogation der italienischen Zuständigkeit hat sich nach bisherigem Recht nur bei ausländischen Beklagten gestellt, da die Zivilprozessordnung von einer uneingeschränkten IZ italienischer Gerichte gegenüber beklagten Inländern ausgegangen ist 225 . Eine derartige Regelung enthielt Art. 4 Nr. 1 c. p. c., der als Ausdruck des „Heimwärtstrebens" - im Gegensatz zu Art. 2 c. p. c. - an die „Annahme" („accettazione")226 der italienischen Gerichtsbarkeit keine weiteren Anforderungen gestellt hat. Die Prorogationsfeindlichkeit des italienischen Prozessrechts zeigt sich auch im rein innerstaatlichen Bereich 227. Art. 6 c. p. c. stellt als Grundsatz das Verbot der Derogation von objektiven Zuständigkeiten auf, sofern gesetzlich nichts anderes geregelt wird. Vereinbarungen über die örtliche 228 Zuständigkeit sind insofern gemäß Art. 28 c. p. c. in bestimmten Fällen unzulässig229, bedürfen der Schriftform (Art. 29 I c. p. c.) 230 und begründen mangels ausdrücklicher Vereinbarung keine ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichtes (Art. 29 II c. p. c.) 231 .
224
Zur Diskussion s. o. unter § 14 III. 2. d) bb) und hier unter c) aa) (1). Siehe dazu unter 2. a). 226 Zum Begriff der „accettazione" siehe unter c) bb) (1), bei Fn. 273. 227 Zur Anwendung der Vorschriften bei der Vereinbarung eines bestimmten örtlich und sachlich zuständigen Gerichts bei internationalen Sachverhalten siehe unter c) dd) 225
(2).
228
Sachliche Zuständigkeiten können demgegenüber allein durch fehlende Rüge der Unzuständigkeit (Art. 38 I c. p. c.) „abgeändert" werden; zur rügelosen Einlassung im internationalen Bereich siehe c) bb) (4). 229 Gemäß Art. 28 c. p. c. sind Gerichtsstandsvereinbarungen vor allem im Falle des Beitritts der Staatsanwaltschaft zum Zivilprozess (Art. 70 c. p. c.) sowie bei Zwangsvollstreckungen (Artt. 26, 27 c. p. c.) und Besitzschutzklagen (Art. 21 II c. p. c.) unzulässig; zu den Artt. 21 II, 26, 27 c. p. c. siehe 4. c) aa), Fn. 141. Zu weiteren Prorogationsverboten siehe Art. 413 VI c. p. c. im Arbeitsrecht (s. a c) aa) (3), in Fn. 266) und die Artt. 9, 24, 161, 187, 195 1. fall, zum Insolvenzrecht. 230 Siehe im Gegensatz dazu unter c) bb) (2) zur „provata per iscritto" in Art. 4 IPRG. 231 Zur Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarung i. R. d. Art. 4 IPRG siehe c) dd) (1).
32
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen b) Internationale Abkommen
Diese restriktive Regelung des nationalen Rechts wurde durch internationale Verträge in erheblichem Umfang verdrängt, was im Folgenden auch für die Neuregelung des Art. 4 IPRG gilt (Art. 2 I IPRG). Für Gerichtstandsvereinbarungen sind die Artt. 23, 24 EuGVO (= Artt. 17, 18 EuGVÜ) zu beachten. Im Rahmen des EuGVÜ ist zu Art. 17 EuGVÜ - und auch zur Anwendbarkeit des EuGVÜ im Allgemeinen - diskutiert worden, ob die Vorschrift nur dann anzuwenden ist, wenn der Sachverhalt Bezüge zu zwei Mitgliedsstaaten des Abkommens aufweist 232 . Diese Frage ist nunmehr durch den Erwägungsgrund Nr. 8 der Präambel der EuGVO geklärt 233 . Für die Anwendung des Art. 23 EuGVO - und der Verordnung insgesamt - genügt der Bezug des Sachverhaltes zu einem Mitgliedsstaat. Die EheVO 2 3 4 ermöglicht im Gegensatz zur EuGVO keine Vereinbarung über die Zuständigkeit für Ehesachen.
232
Eine Übersicht zum damaligen Meinungsstand bei dieser Frage in den verschiedenen Vertragsstaaten bietet .Samtleben, Europäische Gerichtsstandvereinbarungen und Drittstaaten - viel Lärm um nichts?, Zum räumlichen Anwendungsbereich des Art. 17 1 EuGVÜ / LugÜ, in RabelsZ 1995, S. 670 (696 f.); s. a. Kropholler, EuZPR, Art. 23, Rn. 4 - 9 . Die überwiegende Ansicht im Schrifttum (siehe Nachweise bei Samtleben, &a.O., Fn. 133 und Kropholler, a.a.O., Fn. 7) ließ es im Anschluss an den Wortlaut des Art. 17 I EuGVÜ ausreichen, wenn eine Partei ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat und ein mitgliedschaftliches Gericht prorogiert wird, auch wenn in beiden Fällen derselbe Staat betroffen ist (i. d. S. auch MüKo-ZPO (Gottwald), IZPR, Art. 17 EuGVÜ, Rn. 7; ebenso nunmehr im Rahmen der EuGVO Kropholler, EuZPR, Art. 23, Rn. 5 mit Hinweis auf die neue Rechtsprechung des EuGH (Fn. 8); zur italienischen Literatur siehe Bariatti, Sull'interpretazione dell'Art. 17 della Convenzione di Bruxelles del 27 settembre 1968, RDIPP 1986, S. 819 - 842 (837 f.)). Die deutsche Rechtsprechung setzte für die Anwendung des Art. 17 I EuGVÜ jedoch den Bezug zu zwei Vertragsstaaten voraus, da das Abkommen den Rechtsverkehr zwischen diesen Staaten regeln wolle (BGH, in IPRax 1990, S. 41 (42) und in IPRax 1992, S. 377 (378) und OLG München, in IPRax 1991, S. 46; ebenso Samtleben, a.a.O., S. 700 - 702 und weitere Nachweise bei Kropholler, a.a.O., Fn. 11). Die Frage (Bezug zu zwei Vertragsstaaten) wurde auch bei der Bestimmung des Anwendungsbereiches des EuGVÜ im Allgemeinen diskutiert (siehe dazu Kropholler, EuZPR, vor Art. 2, Rn. 6 - 8). 233 Jayme / Kohler, in IPRax 2000, S. 459, bei Fn. 62 weisen daraufhin, dass sich der jüngsten Rechtsprechung des EuGH dazu nichts entnehmen lässt (EuGH 13. 7. 2000, Rs. C-412 / 98 - Group Josi Reinsurance Company, Slg. 2000,1, S. 5925 = NJW 2000, S. 3121= IPRax 2000, S. 520). 234 Zu der Verordnung siehe 3. a), Fn. 60. Die Annexzuständigkeit für Sorgerechtsentscheidungen setzt - in Fällen, in denen das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Forumstaat der Ehesache hat - jedoch voraus, dass die Ehegatten diese Zustän-
§ 16 Verfahrensrecht
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Im Bereich des Schiedsrechts ist Italien zudem Mitglied einer Reihe von internationalen Übereinkünften 235. Der nachfolgend besprochene Art. 4 IPRG findet für die Schiedsvertragsvereinbarungen hingegen nur in begrenztem Umfang Anwendung236. Die folgende Untersuchung des Art. 4 IPRG soll vor allem die Parallelen der Vorschrift zur staatsvertraglichen Regelung der Artt. 23, 24 EuGVO (= Artt. 17, 18 EuGVÜ) aufzeigen.
c) Die Neuregelung des Art. 4 IPRG
aa) Der Anwendungsbereich der Vorschrift
(1) Allgemeines Art. 4 IPRG behandelt die Zuständigkeit italienischer Gerichte nach „subjektiven" Kriterien, d. h. infolge von Gerichtsstandsvereinbarungen oder rügeloser Einlassung des Beklagten. Der Gesetzgeber orientiert sich dabei in
weiten Teilen an den Vorschriften der Artt. 23, 24, EuGVO (= Artt. 17, 18 EuGVÜ), weicht jedoch in einigen Punkten von den staatsvertraglichen Normen ab. Art. 4 IPRG betrifft grundsätzlich nur Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit237. Ähnlich wie im Rahmen der EuGVO238 erfordert dies keinen Bezug des Sachverhalts zu Italien239. Darüber hinaus kann der Auslandsbezug auch durch die Derogation der italienischen IZ hergestellt werdigkeit „anerkennen" (Art. 3 II b) EheVO). Zur Frage der Gerichtsstandsvereinbarungen s. a. c) aa) (3), Fn 267 und c) cc) (1), Fn 319. 235 Siehe Hinweise unter § 14 III. 2. d), in Fn. 70. 236 Siehe c) aa) (1), Fn. 244. 237 Zum Einfluss der Vereinbarungen auf die örtliche Zuständigkeit siehe unter dd)
(2).
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Siehe b), Fn. 232 zum Erfordernis des Bezuges zu zwei Vertragsstaaten. Ballarino, DIP 2, S. 120 f. (Prorogation der italienischen IZ gemäß Art. 4 I IPRG bei Sachverhalten ohne Bezug zu Italien); s. a. Carbone , Com., NLCC, S. 927, Nr. 8 1. Sp. unten und ebenso in der deutschen Literatur Geimer, IZPR, Rn. 1745 (Prorogation ohne Inlandsbezug). Art. 5 III des schweizerischen IPRG bestimmt, dass schweizerische Gerichte eine Prorogation derselben nicht zurückweisen dürfen, sofern gewisse Mindestanforderungen an den Inlandsbezug gegeben sind. Auf die notwendige Internationalität des Rechtsverhältnisses zur Anwendung des Art. 5 verweist ausdrücklich Art. 1 I schweizerisches IPRG für das Gesetz im Allgemeinen; im italienischen IPRG fehlt eine derartige Einschränkung (siehe unter § 4 I.). 239
3
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
den240. Nur bei reinen Inlandssachverhalten greifen allein die Vorschriften der Zivilprozessordnung 241. Ebenso wie Art. 23 EuGVO (= Art. 17 EuGVÜ) regelt Art. 4 IPRG allein die Zulässigkeit, Form und prozessuale Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen 242. Aus der systematischen Stellung der Vorschrift und deren Parallele zu Art. 23 EuGVO wird deutlich, dass der Gesetzgeber Formfragen prozessual qualifiziert 243. Die Fragen der materiellen Einigung und Wirksamkeit unterliegen hingegen dem Vertragsstatut, also gemäß Art. 57 IPRG den Regelungen des EVÜ. Die Geschäftsfähigkeit bestimmt sich grundsätzlich nach dem Heimatrecht der Vertragsparteien (Art. 23 I 1 IPRG). Ähnlich dem Art. 23 EuGVO244 unterliegen Schiedsgerichtsvereinbarungen grundsätzlich nicht dem Art. 4 IPRG245. Für diese findet vielmehr die Neuregelung des internationalen Schiedsvertragsrechts in Italien Anwendung246. Art. 4 II IPRG erwähnt lediglich die Möglichkeit, die italienische Zuständigkeit durch Schiedsgerichtsvereinbarungen zu derogieren. Die Regelung harmoniert jedoch nicht uneingeschränkt mit den Bestimmungen des Schiedsrechts, das die Voraussetzungen von Schiedsvereinbarungen festlegt 247.
(2) Die Artt. 28,29 c. p. c. und das Verhältnis des Art. 4 IPRG zu den objektiven Zuständigkeitsvorschriften Nach dem Wortlaut des Art. 4 I IPRG kommt die Vorschrift nur dann zur Anwendung, wenn eine Zuständigkeit italienischer Gericht nicht bereits gemäß Art. 3 IPRG besteht. Damit bringt der Gesetzgeber den „Hilfscharakter" der Zuständigkeitsbegründung kraft Parteiwillens gegenüber den objektiven Zuständigkeiten zum Ausdruck. Aus dieser Abgrenzung zwischen objektiver und subjektiver Zuständigkeitsbegründung lässt sich schließen, dass der Hin240 Ballarino, DIP 2, S. 124 (Derogation der italienischen IZ gemäß Art. 4 II IPRG auch ohne internationalen Sachverhalt); ebenso in der deutschen Literatur Geimer, IZPR, Rn. 1760 - 1761a (Derogation ohne Auslandsbezug). Allgemein dazu siehe unter §411. 241 Zu diesen siehe a), bei Fn. 227-231. 242 Ausführlich zu diesen Fragen s. o. unter § 14 III. 2. d). 243 Siehe Hinweis unter a), Fn. 224. 244 Gemäß Art. 1 II d) EuGVO findet die Verordnung für das Schiedsrecht keine Anwendung. 245 Siehe im Gegensatz dazu § 5 III. 1., Fn. 25 zum Art. 4 Nr. 4 der Vorentwürfe zum IPRG. 246 Siehe dazu § 5 III. 1. und § 14 III. 2. d). 247 Siehe § 14 III. 2. d) bb), Fn. 83 zur Formfrage; siehe jedoch cc) (2), Fn. 314 zur Übereinstimmung bei der Frage der Schiedsfahigkeit.
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weis des Art. 3 II 2 IPRG sich nicht auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung über Gerichtsstandsvereinbarungen (Artt. 28, 29 c. p. c. 248 ) bezieht. Vielmehr verweist Art. 3 II 2 IPRG auf die Regelungen des nationalen Prozessrechts, die nach objektiven Kriterien eine örtliche Zuständigkeit begründen und nicht streng formell auf die Bestimmungen über die „örtliche Zuständigkeit" (Artt. 18 - 30 c. p. c. - „della competenza per territorio" 249). Infolge der Subsidiarität des Art. 4 IPRG wäre die Vorschrift ansonsten faktisch funktionslos. Vor allem im Hinblick auf das Schriftformerfordernis des Art. 29 I c. p. c. würde dies zu einer Konterkarierung des Art. 4 IPRG führen 250. Die Artt. 28, 29 c. p. c. können jedoch bei der Auslegung des Art. 4 IPRG hilfsweise herangezogen werden251. Abgesehen von seiner unterstützenden Funktion bei der Auslegung des Art. 3 II 2 IPRG bleibt jedoch der in Art. 4 I IPRG erwähnte „Hilfscharakter" der Vorschrift im Ergebnis ohne Wirkung. Im Falle einer bestehenden objektiven Zuständigkeit italienischer Gerichte bedarf es ohnehin keiner Zuständigkeitsbegründung kraft Parteivereinbarung mehr; in diesem Fall erlaubt Art. 4 II IPRG jedoch eine Derogation derselben. Außer der unstrittigen Anwendung des Art. 4 IPRG neben Art. 3 IPRG stellt sich lediglich die Frage des Verhältnisses von Art. 4 IPRG zu den besonderen Zuständigkeitsvorschriften des Titels III 2 5 2 . Nachdem den letzteren Vorschriften - im Gegensatz zu Art. 3 IPRG253 - teilweise ein Ausschließlichkeits-
248 Gemäß Art. 30 c. p. c. besteht ein Gerichtsstand des Beklagten auch an einem von ihm gewählten „Domizil" („domicilio elettivo" - Art. 47 c. c.; siehe dazu 4. a) bb)). Darin liegt jedoch keine Gerichtsstands Vereinbarung, da das „Domizil" nicht zur Begründung der Zuständigkeit gewählt wird, sondern vielmehr das Gesetz an einer derartige Wahl - aus welchem Grunde sie auch immer erfolgt ist - gemäß Art. 30 c. p. c. einen Beklagtengerichtsstand knüpft. Zu Art. 30 c. p. c. siehe 4. c) aa), in Fn. 141. 249 CT (Costantino ), Art. 3, III. 1. verweist insofern bei Art. 3 II 2 IPRG auf die Artt. 20 - 27 c. p. c. 250 Zum Erfordernis des schriftlichen Nachweises in Art. 4 IPRG siehe bb) (2); beachte jedoch den Hinweis in Fn. 247 m den Disharmonien im Schiedsvertragsrecht. Zu Art. 29 I c. p. c. siehe a), Fn. 230; siehe darüber hinaus in Fn. 229 zu den Prorogations verboten in Art. 28 c. p. c. und zu einer ähnlichen Diskussion unter dd) (2) zur Vereinbarung von örtlichen Zuständigkeiten. 251 Siehe zu Art. 28 c. p. c. unter (3), bei Fn. 266 zur Frage der Zulässigkeit von Gerichtsstands Vereinbarungen bei ausschließlichen Zuständigkeiten; s. a. im Hinblick auf Art. 29 II c. p. c. unter dd) (1), Fn. 328 zur Ausschließlichkeitswirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen 252 Zu diesen Vorschriften siehe unter 5. 253 Sofern Art. 3 II 2 IPRG auf Vorschriften verweist, die eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit begründen (z. B. Artt. 21 - 24 c. p. c.) führt dies aufgrund des Nebeneinanders von Absatz I und II des Art. 3 IPRG nicht zu einer ausschließlichen IZ; siehe auch 4. b) cc), Fn. 127 zu den Artt. 8 - 1 7 EuGVO.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Charakter zukommt254, muss geklärt werden, ob Gerichtsstandsvereinbarungen daneben möglich sind. Im Bereich es Eherechts (Art. 32 IPRG) ist zu berücksichtigen, dass die EheVO keine Gerichtsstandsvereinbarungen zulässt255. Nach überwiegender Ansicht steht Art. 4 IPRG jedoch neben den besonderen Zuständigkeitsnormen, sofern sein Absatz I eine fehlende Zuständigkeit nach den Vorschriften des Titels III überwinden kann256. Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass auch im Falle einer bestehenden italienischen Zuständigkeit nach den besonderen Zuständigkeitsvorschriften eine Derogation derselben über Art. 4 II IPRG möglich ist. Im Anschluss an die Vorschrift des Art. 23 V EuGVO (= Art. 17 III EuGVÜ) soll dieses Ergebnis noch einmal überprüft werden.
(3) Gerichtsstandsvereinbarungen bei ausschließlichen objektiven Zuständigkeiten Die Frage, ob ausschließliche internationale Zuständigkeiten kraft Vereinbarung modifiziert werden können, wird gemäß Art. 23 V EuGVO (= Art. 17 III EuGVÜ) im Anwendungsbereich der Verordnung weitestgehend verneint. Für die Zuständigkeiten des Art. 22 EuGVO (= Art. 16 EuGVÜ) werden Gerichtsstandsvereinbarungen ausgeschlossen; bei den ausschließlichen Zuständigkeiten 257 für Versicherungs- und Verbrauchersachen wird deren Zulässigkeit einschränkt (Artt. 13, 17 EuGVO = Artt. 12, 15 EuGVÜ). Dies gilt nunmehr auch fur die neuen ausschließlichen Zuständigkeiten für individuelle Arbeitsverträge (Art. 21 EuGVO)258. Im Hinblick auf die Artt. 13, 17, 21 EuGVO wurde bereits ausgeführt, dass die Vorschriften der Artt. 8 - 2 1 EuGVO zwar im Rahmen des IPRG keine ausschließlichen Zuständigkeiten begründen, die Beschränkungen der Artt. 13, 17, 21 EuGVO jedoch innerhalb des Gesetzes umfassende Wirkung entfalten 259.
254
Zur Relevanz des Ausschließlichkeitscharakters siehe 4. b) cc), in Fn. 128. Siehe b), Fn. 234. 256 Siehe dazu den Kommissionsbericht in RDIPP 1989, S. 950, Art. 4 erster Absatz; ebenso Luzzatto, Com., RDIPP, S. 938 in Fn. 35; Ballarino, DIP 2, S. 422 zu Art. 32 IPRG und Conetti , in Stud. iur. 1998, S. 654 („Giurisdizione italiana"); a. A. Attardi , in RDCiv. 1995, S. 737. Auch im Rahmen des schweizerischen IPRG kommt Art. 5 IPRG (Gerichtsstandsvereinbarungen) neben den besonderen Zuständigkeitsvorschriften (siehe 5., Fn. 191) zur Anwendung (Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 5, Rn. 2). 257 Zur Ausschließlichkeit der Zuständigkeiten gemäß den Abschnitten 3 und 4 von Titel II der EuGVO (Artt. 8-17) siehe 4. b) cc), Fn. 127. 258 Siehe ebenfalls 4. b) cc), Fn. 130. 259 Siehe dazu unter 4. b) cc). 255
§ 16 Verfahrensrecht
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Die ausschließlichen Zuständigkeiten des Art. 22 EuGVO (= Art. 16 EuGVÜ) haben allseitige Wirkung, so dass sie das IPRG in vollem Umfang verdrängen 260. Das Verbot des Art. 23 V EuGVO (= Art 17 III EuGVÜ) kommt insofern voll zum Tragen; seine Anwendung wird auch nicht durch die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 23 I EuGVO (Prorogation von mitgliedsstaatlichen Gerichten) eingeschränkt261. Art. 23 V EuGVO findet somit für die Materien des Art. 22 EuGVO in Italien uneingeschränkt Anwendung, unabhängig von der Nationalität des für zuständig erklärten Gerichts. Außerhalb der Sachbereiche der EuGVO zeigt sich bei der autonomen Auslegung des Art. 4 IPRG gemäß den Vorschriften der italienischen Zivilprozessordnung 262, dass Art. 28 c. p. c. zwar Gerichtsstandsvereinbarungen in Einzelfallen für unzulässig erklärt 263, dieses Verbot sich jedoch nur auf bestimmte Streitigkeiten und nicht allgemein auf die Fälle der ausschließlichen Zuständigkeit eines Gerichtes erstreckt 264. Die ausschließlichen Zuständigkeitsvorschriften der Artt. 21 - 24 c. p. c. sind somit nach italienischem Prozessrecht abdingbar265. Infolge des Schweigens des Art. 4 IPRG zu dieser Frage ist bei der Neuregelung des IPRG von dem selben Verständnis auszugehen. Gerichtsstandsvereinbarungen sind insofern außerhalb der EuGVO nur in den gesetzlich bestimmten Fällen ausgeschlossen (Artt. 6, 28 c. p. c.) 266 . Die EheVO schließt
260
Siehe dazu 4. b) aa). I. E. zur Begründung siehe Kropholler, EuZPR, Art. 23, Rn. 83 m.w.N. in Fn. 194; MüKo-ZPO (Gottwald), IZPR, Art. 17 EuGVÜ, Rn. 12 und Schlosser, EuZPR, Art. 23, Rn. 30. 262 Siehe unter § 18 II. zur Auslegung der IPRG-Normen, die an internationale Vorschriften anknüpfen. Art. 4 IPRG orientiert sich zwar am Grundgedanken des EuGVÜ, weicht jedoch im Einzelnen durchaus von diesem ab. Weder in seinem Text noch in den Gesetzesmaterialien zu Art. 4 IPRG zeigen sich Bezugnahmen auf das Brüsseler Abkommen (erwähnt wird das EuGVÜ im Kommissionsbericht zum IPRG lediglich i. R. d Art. 3 IPRG bei der Abkehr von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung siehe RDIPP 1989, S. 950, zu Art. 3, zweiter Absatz). 263 Siehe a), Fn. 229. 264 Im Gegensatz dazu siehe § 40 II 1 ZPO zum deutschen Prozessrecht; s. a. Art. 154 des rumänischen IPRG. Bei Art. 5 des schweizerischen IPRG war i. R. d. des Gesetzgebungsverfahrens auch darüber diskutiert worden, ob die Gerichtsstandsvereinbarungen bei ausschließlichen Gerichtsständen ausgeschlossen werden sollen (Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 5, Rn. 12); im Ergebnis hat man sich jedoch allein für eine Beschränkung mit Blick auf den Streitgegenstand entschieden („ vermögensrechtliche Ansprüche " - siehe cc) (2), Fn. 316). 265 CCT (Buzzoni), Art. 21 - 24, jeweils Rn. 1 m.w.N. 266 I. d. S. auch Ballarino, DIP 2, S. 124 f. unter Hinweis auf Art. 413 c. p. c. und dessen Derogationsverbot in Absatz VI (Fn. 229). Zum nationalen Prozessrecht siehe a), vor Fn. 228 zu Art. 6 c. p. c. 261
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
zum Beispiel in ihrem Anwendungsbereich
Gerichtsstandsvereinbarungen
(4) Sonstiges Ebenso wie im Rahmen des Art. 23 EuGVO (= Art. 17 EuGVÜ) 2 6 8 sollten auch bei der Anwendung des Art. 4 IPRG Gerichtsstandsvereinbarungen im Hinblick auf ihre Missbräuchlichkeit überprüft werden 269 . Diese Beschränkung der Vertragsfreiheit kann auch hier als immanente Grenze des Art. 4 IPRG gesehen werden 270 . Trotz fehlender Klarstellung in Art. 4 IPRG dürfte es als Selbstverständlichkeit angesehen werden, dass Gerichtsstandsvereinbarungen sich auf bestimmte Rechtsverhältnisse 271 beziehen müssen (siehe Art. 23 I EuGVO, Art. 29 I c. p. c. 2 7 2 ). Wie bei allen Verträgen bedarf es einer Konkretisierung dieser Parteivereinbarung.
267 Siehe b), Fn. 234. Der Bericht von Borras zur EheVO (siehe 3. a), Fn. 60) verweist bei der Anwendung des nationalen Recht außerhalb des Geltungsbereiches des Abkommenes (Art. 8 I EheVO - „Restzuständigkeiten") u. a auf Art. 4 IPRG (siehe 3. a), in Fn. 61). Auch dies unterstreicht die Anwendung des Art. 4 IPRG neben den besonderen Zuständigkeitsnormen. 268 Kropholler, EuZPR, Art. 23, Rn. 86 - 89 und MüKo-ZPO (Gottwald), IZPR, Art. 17 EuGVÜ, Rn. 55. 269 Siehe auch 4. b) cc) zu den Schutzvorschriften der Artt. 13, 17, 21 EuGVO und Art. 1469bis III Nr. 19 c. c. zur Benachteiligung des Verbrauchers durch Gerichtsstandsvereinbarungen in AGB-Klauseln, die nicht das Gericht seiner „residenza" oder seines „domicilio elettivo" für zuständig erklären (zur Umsetzung der sog. „Klauselrichtlinie" in italienisches Recht siehe § 14 II. 2. a)). Zur Frage des Missbrauchs s. a Carbone , Com., NLCC, S. 927, Nr. 8 (Anfang) zum Gutglaubenschutz bei einer Prorogation ausländischer Gerichte mit Ausschließlichkeitswirkung. 270 Zu einer ausdrücklichen Regelung siehe Art. 5 II schweizerisches IPRG. Siehe auch die Missbrauchssperre in Art. 15 des nicht in Kraft getretenen „Haager Übereinkommens über einheitliche Regeln betreffend die Gültigkeit und die Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen" vom 25. 11. 1965, die jedoch bewusst nicht in das EuGVÜ übernommen wurde (Kropholler, EuZPR, Art. 23, Rn. 88 und MüKo-ZPO (Gottwald), IZPR, Art. 17 EuGVÜ, Rn. 54); zum Text des Abkommens siehe RabelsZ 1966, S. 743 (französisch) und AmJCompL. 1964, S. 629 (englisch). 271 Zur sachlichen Beschränkung der Derogation auf disponible Rechte siehe cc) (2); zur Bestimmung des Gerichts siehe dd) (2) zur Frage der örtlichen Zuständigkeit. 272 Ebenso § 40 I ZPO und Art. 5 I schweizerisches IPRG.
§ 16 Verfahrensrecht bb) Art 41 IPRG (Prorogation
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und rügelose Einlassung)
(1) Allgemeines In seinem ersten Absatz regelt Art. 4 IPRG die,Annahme" („accettazione") der italienischen Gerichtsbarkeit. Wie aus dem bisherigen Art. 4 Nr. 1 c. p. c. ersichtlich wird, hat das italienische IZPR mit dem Begriff der „ accettazione " sowohl die Fragen der Prorogation als auch der rügelosen Einlassung umschrieben. Letztere galt dabei als Form der konkludenten Prorogation 273. Im Anschluss an Artt. 23, 24 EuGVO (= Artt. 17, 18 EuGVÜ) differenziert die Neuregelung erstmalig zwischen den beiden Rechtsinstituten274. Die Regelung des Art. 4 I IPRG entspricht weitestgehend dem bisherigen Recht für die ,Annahme" der italienischen Zuständigkeit durch Ausländer (Art. 4 Nr. 1 c. p. c.) 275 und entwickelt daraus eine allgemeine Norm. Im Gegensatz zu den Bestimmungen des deutschen und schweizerischen Rechts (§ 40 II 1 ZPO, Art. 5 I schweizerisches IPRG)276 enthält die Vorschrift keine sachliche Beschränkung der Prorogation. Nachdem sich der Gesetzgeber insofern großzügiger zeigt als bei der Derogation277, schlägt an dieser Stelle wieder das alte „Heimwärtsstreben" des italienischen IZPR durch 278.
(2) Der schriftliche Nachweis der Prorogation Für die Prorogation sieht Art. 4 I IPRG - im Gegensatz zum Schriftformerfordernis des bisherigen Art. 2 c. p. c. 279 - lediglich einen schriftlichen Nachweis („provata per iscritto") der Vereinbarung vor 280 . Dasselbe bestimmt Art. 4 II IPRG für die Derogation der italienischen Zuständigkeit281. Der Gesetzgeber 273 Picardi (G. Martino ), Art. 4, Nr. 4 mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen; s. a. Walter, in ZZP 1996, S. 14. Zum nationalen Prozessrecht siehe a), in Fn. 228 zu Art. 38 I c. p. c. 274 Während der Wortlaut des Art. 4 I IPRG lediglich bei der Prorogation von einer „accettazione" der internationalen Zuständigkeit spricht, verwendet die Überschrift des Art. 4 IPRG den Ausdruck noch als Oberbegriff. 275 Siehe a), Fn. 226. 276 Genauer siehe unter cc) (2). 277 Siehe unter cc) (2) zur Beschränkung der Derogation auf Streitigkeiten über disponible Rechte. 278 Siehe 2. a) zum bisherigen Prozessrecht und allgemein unter § 3 II. 5. a) bb). 279 Siehe dazu unter 2. a). 280 Zur Schriftform als WirksamkeitsVoraussetzung im aktuellen Recht siehe Art. 807 I c. p. c. für Schiedsverträge und -klausein (siehe § 14 III. 2. d) bb), bei Fn. 81) und Art. 29 I c. p. c. für nationale Gerichtsstandsvereinbarungen (siehe a), bei Fn. 230). 281 Siehe dazu unter cc) (1).
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
fordert somit die Schriftform der Vereinbarung lediglich zu Beweiszwecken („forma scritta ad probationem") und nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung („forma scritta ad substantiam")282. Der Zeugenbeweis ist insofern gemäß Art. 12 IPRG, Art. 2725 I c. c. zumeist ausgeschlossen283. Die gewählte Regelung der Formfrage zeigt eine deutliche Anlehnung des italienischen Gesetzgebers an die sog. „halbe Schriftlichkeit" des Art. 23 I 2 a) 2. Alt. EuGVO (Art. 17 I 2 a) 2. Alt. EuGVÜ). Eine parallele Normierung findet sich auch in § 38 II 2 ZPO 284 sowie in der ausfuhrlichen Formulierung des Art. 5 I 2 schweizerisches IPRG. Die EuGVO geht jedoch an diesem Punkt noch weiter, wenn sie auch formelle Gepflogenheiten der Parteien und allgemeine Handelsbräuche berücksichtigt (Art. 23 I 2 b), c) EuGVO = Art. 17 12 b), c) EuGVÜ). Umstritten war im Rahmen des bisherigen Art. 2 c. p. c. die Anwendung der Artt. 1341, 1342 c. c. 285 . Gemäß der Absätze II dieser Vorschriften bedürfen Gerichtsstandsvereinbarungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bzw. Formblättern oder Vordrucken einer gesonderten schriftlichen Annahme. Die Diskussion stand im Zusammenhang mit der Frage, ob die Formwirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen materiell oder prozessual zu qualifizieren ist 286 . Innerhalb des Art. 4 IPRG wird die Anwendbarkeit der Artt. 1341 II, 1342 II c. c. von der italienischen Literatur überwiegend verneint 287. Dies lässt sich
282
1, d. S. die einheitliche italienische Literatur im Anschluss an den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift: Carbone , Com., NLCC, S. 920; Luzzatto, Com., RDIPP, S. 940; Attardi , in RDCiv. 1995, S. 734 und Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 216; ebenso Kindler, in RabelsZ 1997, S. 246; anders lediglich Walter, in ZZP 1996, S. 14. Zur Differenzierung des codice civile zwischen „forma ad probationem" (Artt. 1659 II, 1888 I, 1908 II, 1928 I, 1967, 2556 I, 2581 II, 2596 I c. c.) und „forma ad substantiam" siehe Kindler, Einführung, S. 99, Fn. 23; allgemein dazu Zweigert / Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Auflage, Tübingen 1996, § 27 II (S. 362 - 365). 283 Carbone , Com., NLCC, S. 920 und Luzzatto, Com., RDIPP, S. 940 f.; s. a. Kindler, in RabelsZ 1997, S. 246, bei Fn. 104. Art. 2725 I c. c. bestimmt, dass für Rechtshandlungen, die eines schriftlichen Nachweises bedürfen, der Zeugenbeweis ausgeschlossen ist, sofern die entsprechende Urkunde nicht verloren wurde (Art. 2725 I letzter Hs. i. V. m. Art. 2724 Nr. 3 c. c.). 284 Zur Anlehnung des § 38 II 2 ZPO an Art. 17 EuGVÜ siehe den Bericht des Rechtsausschusses in BT-Drucks. 7 / 1384, S. 4. 285 Siehe Picardi (G. Martino), Art. 2, Nr. 4 m.w.N. und Hinweise bei CTT (Buzzoni), Art. 2, Rn. 7. 286 Siehe dazu § 14 III. 2. d) bb). 287 Carbone, Com., NLCC, S. 920; Luzzatto, Com., RDIPP, S. 940; Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 216 (zu Art. 4 I IPRG) und Sp. 227, Fn. 76 (zu Art. 4 II IPRG); Mosconi , DIPP 1, S. 53; Starace , Com., Corr. giur., S. 1237 und CT (Costantino), Art. 4, II 4 (zu Art. 4 II IPRG); s. a. Kindler, in RabelsZ 1997, S. 246, bei Fn. 106. A. A.
§ 16 Verfahrensrecht
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zum einen damit begründen, dass das Schriöformerfordernis des Art. 4 IPRG im Gegensatz zu den Bestimmungen des codice civile - nur Beweiszwecken dient. Zum anderen entspricht dieses Verständnis auch der Neuregelung des Art. 833 I c. D. C. zum internationalen Schiedsrecht288. die ebenfalls die Anwendung der Artt. 1341, 1342 c. c. für internationale Schiedsklauseln, die gemäß Artt. 832 I, 808, 807 c. p. c. der Schriftform bedürfen, ausschließt. Der Gesetzgeber knüpfte dabei an die Rechtsprechung der Corte di Cassazione zum internationalen Schiedsrecht an 289 .
(3) Der Zeitpunkt von Gerichtsstandsvereinbarungen (perpetuatio fori) Der auch im italienischen Zivilprozessrecht geltende Grundsatz der perpetuatio fori (Art. 5 c. p. c.) greift neben den innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften auch bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit290. Dies wird nunmehr durch den auf Art. 5 c. p. c. verweisenden Art. 8 S. 1 IPRG klargestellt291. Ausschlaggebend für die Bestimmung der Zuständigkeit ist somit grundsätzlich der Zeitpunkt der Klageerhebung (Art. 99 c. p. c.). Der Satz 2 des Art. 8 IPRG lässt es jedoch ausreichen, dass die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen während des Verfahrens eintreten292. Insofern wird - ähnlich dem deutschen Prozessrecht293 - der perpetuatio-fori-Grundsatz eng ausgelegt. Er gilt insofern nur zugunsten der italienischen IZ. Durch eine Gerichtsstandsvereinbarung im Laufe eines Prozesses kann somit die italienische Zuständigkeit zwar begründet werden, ein Ausschluss derselben ist jedoch nicht möglich294.
Attardi , in RDCiv. 1995, S. 734, Fn. 9 mit Hinweis auf die umstrittene Frage i. R. d. bisherigen Art. 2 c. p. c. 288 Siehe dazu § 5 III. 1. 289 Zum Genfer Abkommen von 1961 (siehe § 14 II. 3., Fn. 27) Cass. 15. 10. 1992, n. 11261, in Foro it. 1992, I., Sp. 3283 f.; ebenso zu Art. II des New Yorker Abkommens von 1958 (siehe § 14 III. 2. d) bb), Fn. 70) Cass. 17. 3. 1982, n. 1727, in RDIPP 1983, S. 615 und Cass. 9. 10. 1984, n. 5028, in RDIPP 1985, S. 625. Zu den Abkommen und ihren Form Vorschriften siehe § 14 III. 2. d), in Fn. 70. 290 Zu Art. 5 c. p. c. im Bereich der IZ siehe Morelli , DPCI, S. 162 - 164 und Giuliano , La giurisdizione, S. 165 - 168. Ebenso im deutschen Recht BAG, in JZ 1979, S. 647 (648) mit Anm. Geimer zu § 261 III Nr. 2 ZPO; differenzierend Stein / Jonas (Schumann), § 261, Rn. 86, 88. 291 Siehe auch § 6 II. 2. b), zur Parallelregelung des Art. 72 IPRG zum intertemporalen Recht. 292 Siehe auch Art. 72 II IPRG (vorige Fußnote). 293 Für alle Thomas / Putzo (Reichold), § 261, Rn. 17. 294 Carbone , Com., NLCC, S. 9291. Sp.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Im Gegensatz zu Gerichtsstandsvereinbarungen kommt es jedoch bei der rügelosen Einlassung auf den Zeitpunkt der ersten Verteidigung des Beklagten
(4) Die rügelose Einlassung Im Anschluss an Art. 24 EuGVO (= Art. 18 EuGVÜ) erwähnt Art. 4 I IPRG erstmals im italienischen IZPR ausdrücklich die Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung296. Die Vorschrift harmoniert mit der Regelung des Art. 11 S. 1 IPRG, die für den Einwand der fehlenden Zuständigkeit italienischer Gerichte durch den Beklagten fordert, dass dieser die italienische IZ nicht „angenommen" („accettato"297) hat 298 . Aus Art. 11 S. 1 IPRG ist zu entnehmen, dass die Annahme der italienischen IZ auch stillschweigend erfolgen kann299. Das Zusammenspiel der Artt. 4, 11 IPRG zeigt, dass nach neuem Recht eine einseitige Annahme der italienischen Zuständigkeit vor Prozessbeginn die Zuständigkeit italienischer Gerichte nicht begründen kann300, was nach bisherigem Recht (Art. 4 Nr. 1 c. p. c.) umstritten war 301 . Gemäß Art. 4 I IPRG hat die Zuständigkeitsrüge im ersten Gegenvorbringen des Beklagten zu erfolgen. Der Gesetzgeber beendet dadurch die nach bisherigem Recht (Artt. 4 Nr. 1, 37 II c. p. c.) bestehenden Zweifel im Hinblick auf den notwendigen Zeitpunkt des Beklagtenvorbringens 302. Im Gegensatz zur 295
Siehe dazu i. W. unter (4). Zum bisherigen Rechts siehe (1), bei Fn. 273. 297 Zum Begriff der „accettazione" siehe den Hinweis in der vorigen Fußnote. 298 Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 216; ebenso Ballarino, DIP 2, S. 122, der klarstellt, dass die Formulierung des Art. 4 I IPRG („compaia nel processo") die „costituzione in giudizio del convenuto" meint (s. a. nächste Fußnote zum Wortlaut des Art. 11 S. 1 IPRG). Zur „costituzione" (Einlassung) des Beklagten nach italienischem Zivilprozessrecht siehe Art. 166 c. p. c. Im Einzelnen zu Art. 11 IPRG siehe unter 8. c). 299 Art. 11 S. 1 IPRG: „ ... conventuto costituito che non abbia espressamente ο tacitamente accettato la giurisdizione italiana. " Ebenso Art. 37 II 2 c. p. c. nach bisherigem Recht (siehe Giuliano , La giurisdizione, S. 53 f. und weitere Literaturnachweise bei Picardi (G. Martino ), Art. 4, Nr. 4); i. d. S. auch zu Art. 24 EuGVO (= Art. 18 EuGVÜ) Kropholler, EuZPR, Art. 24, Rn. 7, 8. 300 I. d. S. Attardi , in RDCiv. 1995, S. 753; a A. Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 215 f. 301 Im Rahmen des Art. 4 Nr. 1 c. p. c. (siehe a), Fn. 226) ging man davon aus, dass die italienische IZ auch vor Prozessbeginn einseitig „angenommen" werden kann ( Giuliano , La giurisdizione, S. 54 unten; auf diese frühere Rechtslage hinweisend Attardi und Balena, a.a.O.). La China, DPC, S. 164 wollte Art. 4 Nr. 1 c. p. c. nur für die vorprozessuale „accettazione" anwenden und Art. 37 II c. p. c. für dieselbe im Gerichtsverfahren; als Beispiel erwähnt er jedoch nur Gerichtsstands Vereinbarung. 302 Die neuere Rechtsprechung hat sich bisher grundsätzlich - wie nunmehr Art. 4 I IPRG - für das erste Vertei dungs vorbringen als Zeitpunkt der Rüge ausgesprochen 296
§ 16 Verfahrensrecht
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EuGH-Rechtsprechung zu Art. 18 EuGVÜ303 will die italienische Literatur bei der Anwendung des Art. 4 I IPRG einen Vorbehalt der Zuständigkeitsrüge nicht zulassen304.
cc) Art. 4 II, III IPRG (Derogation)
(1) Derogation durch Prorogation Die Derogation der italienischen IZ kann gemäß Art. 4 II IPRG nur durch gleichzeitige Prorogation eines anderen Gerichtsstands erfolgen. Das italienische Recht verbietet somit - im Gegensatz zur h. M. bei Art. 23 EuGVO (= Art. 17 EuGVÜ) 305 - die isolierte Derogation. Damit entfallt auch die Frage, ob durch Gerichtsstandsvereinbarungen auf jeglichen Rechtsschutz verzichtet werden kann306. Allein aufgrund dieser Derogation durch Prorogation ist es schon notwendig, dass die Vereinbarungen eines schriftlichen Nachweises („provata per iscritto") bedürfen 307. Im Anschluss daran fordert Art. 4 III IPRG für die Wirksamkeit einer Derogation eine Annahme der Rechtssache durch das prorogierte Gericht. Eine (Cass. 22. 11. 1984, n. 5985, in Foro it. 1985,1., Sp. 2687; Cass. 18. 10. 1990, n. 10156, in Giust. civ. 1990, I., S. 2251); im Gegensatz dazu sah es die h. Lit. im Rahmen des Art. 4 Nr. 1 c. p. c. als ausreichend an, wenn sich die stillschweigende Annahme aus dem gesamten Verhalten des ausländischen Beklagten ergibt ( Vitta / Mosconi , Corso 5, S. 11; weitere Nachweise bei Picardi (G. Martino ), Art. 4, Nr. 4; i. d. S. früher auch Cass. 10. 11. 1977, n. 4836, in Giust. civ. 1978,1., S. 44). Auch Starace , in Studi Vitta, S. 256 und Carbone , Com., NLCC, S. 929 r. Sp. weisen auf diese „Interpretationszweifel" bei der Anwendung des bisherigen Art. 37 II c. p. c. hin. 303 EuGH 24. 6. 1981, Rs. 150 / 80 - Elefanten Schuh ./. Jacqmain, Slg. 1981, S. 1671; EuGH 22. 10. 1981, Rs. 27 / 81 - Rohr ./. Ossberger, Slg. 1981, S. 2431 (Leitsatz); EuGH 31.3. 1982, Rs. 25 / 81 - CHW ./. GJH, Slg. 1982, S. 1189 (1190 Leitsatz Nr. 3) und EuGH 14. 7. 1983, Rs. 201 / 82 - Gerling ./. Amministrazione del tesoro dello Stato, Slg. 1983, S. 2503 (2517 - Nr. 21). Siehe auch Kropholler , EuZPR, Art. 24, Rn. 10 ff. 304 Carbone , Com., NLCC, S. 929 r. Sp.; ebenso Starace , in Studi Vitta S. 256 mit Hinweis (Fn. 25) auf Art. 167 II c. p. c., demzufolge die Widerklage ausgeschlossen ist, sofern sie nicht im ersten Verteidigungsvorbringen erhoben wird. Siehe auch Art. 11 S. 1 IPRG zum Grundsatz der vom Beklagten vorzubringenden Zuständigkeitsrüge (siehe 8. c)). 305 Auch wenn der Wortlaut des Art. 23 I EuGVO (= Art. 17 I EuGVÜ) nur den Fall der Prorogation mit Derogationseffekt erwähnt, so geht die h. M. doch davon aus, dass die Regelung auch für isolierte Derogationen anzuwenden ist (siehe Kropholler, EuZPR, Art. 23, Rn. 15 m.w.N. in Fn. 30 und MüKo-ZPO (Gottwald), IZPR, Art. 17 EuGVÜ, Rn. 10). 306 Ebenso Carbone , Com., NLCC, S. 923, bei Fn. 18, der auf diese umstrittene Frage im Rahmen des bisherigen Art. 2 c. p. c. hinweist. 307 Siehe oben unter bb) (2).
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Zuständigkeitsvereinbarung der Parteien zulasten der italienischen Gerichtsbarkeit ist somit von den italienischen Gerichten nicht zu beachten, wenn das berufene Gericht seine IZ ablehnt oder „aus welchem Grund auch immer" 308 („comunque") nicht in der Sache entscheiden kann. Durch diese Regelung sollen negative Kompetenzkonflikte vermieden werden. Italienische Gerichte haben sich daher mangels einer Entscheidung durch ausländische Gerichte auf Antrag der Parteien der betreffenden Streitigkeit erneut anzunehmen, auch wenn sie sich selbst zuvor fiir unzuständig erklärt haben309.
(2) Disponible Rechte Sachlich erlaubt Art. 4 II IPRG eine Derogation italienischer Gerichte nur fiir Streitigkeiten über disponible Rechte („diritti disponibili"). Die Formulierung nimmt Bezug auf die materielle Vorschrift des Art. 1966 II c. c. 310 , die für die Vergleichsfahigkeit von Rechtsstreitigkeiten eine Verfügungsbefugnis der Parteien über den Streitgegenstand voraussetzt311. Die Neuregelung knüpft zwar an den Grundgedanken des bisherigen Art. 2 c. p. c. an („schuldrechtliche Streitigkeiten") 312, erweist sich jedoch als wesentlich liberaler. Diskutiert wurde im Rahmen des Art. 1966 II c. c. vor allem die Frage, ob vermögensrechtliche Ansprüche aus nicht dispositiven Statusverhältnissen zu den „diritti disponibili" zählen. Dies ist in der italienischen Literatur grundsätzlich bejaht worden 313.
308
Zu dieser Übersetzung von „comunque" siehe De Meo, in Riering, S. 45; ähnlich Bauer u. a., c. p. c., S. 735 („aus irgendeinem Grund"); Walter, in ZZP 1996, S. 5 („jedenfalls") und Jayme, in IPRax 1996, S. 357 („ ... auch dann, wenn ... "). In Bergmann / Fer id / Henrich, Italien, S. 43 wird „comunque" hingegen gar nicht übersetzt. Im Ergebnis kommt die freie Übersetzung De Meos dem Sinngehalt der Vorschrift am nächsten (s. a. die Kommentierung von Carbone , Com., NLCC, S. 924 1. Sp. - „per qualsiasi motivo"). 309 I. d. S. der Kommissionsbericht zu Art. 4 III IPRG, in RDIPP 1989, S. 951, Ende des zweiten Absatzes zu Art. 4 IPRG. 3,0 E. M.: Carbone , Com., NLCC, S. 924, Nr. 6; Luzzatto, Com., RDIPP, S. 941 und Mosconi , DIPP I, S. 53; ebenso Kindler, in RabelsZ 1997, S. 247. 311 Art. 1966 II c. c.: „ ... diritti, ... , sono sottratti alla disponibilità delle parti. Siehe auch Art. 2113 I c. c. zum Arbeitsrecht und Fn. 314 zum Schiedsrecht. 312 Siehe 2. a) zum bisherigen Recht. 313 Rescingo (ιCoculo), Art. 1966, Nr. 4 mit Hinweis auf Cass. 24. 12. 1955, n. 3938; ebenso i. R. d. Art. 4 II IPRG Carbone , Com., NLCC, S. 925 f. Zu beachten ist jedoch, dass Ansprüche auf uneingeschränkten Unterhalt („alimenti" zum Begriff siehe § 13 III. 1., Fn. 35) gemäß Art. 447 I c. c. nicht abgetreten werden können (i. E. dazu siehe Rescingo (Coculo), a.a.O. mit Hinweis auf Cass. 18. 10. 1955, n. 3255).
§ 16 Verfahrensrecht
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Ebenso wie im Schiedsrecht 314 stellt der Gesetzgeber auch hier auf die Dispositionsbefugnis der Parteien ab. Art. 4 II IPRG, der auch die Derogation der italienischen IZ durch Schiedsvereinbarungen erwähnt, harmoniert somit an diesem Punkt mit dem neuen italienischen Schiedsrecht 315. Im Gegensatz dazu beschränken das deutsche und schweizerische Recht die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen allgemein auf vermögensrechtliche Ansprüche (§ 40 II 1 ZPO, Art. 5 I schweizerisches IPRG) 3 1 6 . Welche Rechte im Einzelnen dispositiver bzw. vermögensrechtlicher Natur sind, muss im Ergebnis von der lex causae bestimmt werden 317 . Von dem dabei erzielten Resultat hängt es ab, welcher der Begriffe enger zu sehen ist. Die EuGVO enthält in ihrem Art. 23 (= Art. 17 EuGVÜ) demgegenüber keine sachliche Beschränkung für Gerichtsstandsvereinbarungen. Die Anwendung der Verordnung im Allgemeinen ist jedoch für nichtvermögensrechtliche Ansprüche weitestgehend ausgeschlossen worden (Art. 1 II EuGVO = Art. 1 II EuGVÜ), da diese grundsätzlich nicht der Privatautonomie unterliegen 318 . Durch diese Eingrenzung des sachlichen Anwendungsbereiches kommen die genannten Einschränkungskriterien (vermögensrechtlich, disponibel) ähnlich
314 Bei der Frage der Schiedsfahigkeit orientiert sich der italienische Gesetzgeber auch weiterhin primär an der Vergleichsfähigkeit des Streitgegenstandes (Art. 806 c. p. c.). Luzzatto, Com., RDIPP, S. 941 (bei Fn. 39) geht insofern davon aus, dass die bisherige Literatur und Rechtsprechung zum Schiedsrecht grundsätzlich im Rahmen des Art. 4 II IPRG übernommen werden kann. 315 Siehe allerdings § 14 III. 2. d) bb), bei Fn. 83 zur Abweichungen bei der Frage der Formwirksamkeit; allgemein zum neuen italienischen Schiedsrecht siehe § 5 III. 1. 316 Ebenso zum deutschen Schiedsrecht die Neuregelung des § 1030 I ZPO n. F. (S. 1 - „vermögensrechtliche Ansprüche"); eine Paralle zur Vergleichsfahigkeit besteht jedoch nach wie vor gemäß Absatz I S. 2 der Vorschrift bei nichtvermögensrechtlichen Ansprüchen. Allgemein zum neuen deutschen Schiedsrecht siehe § 5 III. 1., in Fn. 28. Das neue deutsche Schiedsrecht orientiert sich dabei an der schiedsrechtlichen Vorschrift des Art. 177 I schweizerisches IPRG; siehe Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 13 / 5274, S. 34 (auch abgedruckt in Schütze (Fn. 28 unter § 5 III. 1.), S. 243). Im Gegensatz dazu knüpfte das bisherige deutsche Schiedsrecht ebenso wie das italienische Recht an die Vergleichsfähigkeit von Streitigkeiten an (§ 1025 I ZPO a. F.). 317 Siehe unter § 18 I. 2. zur Differenzierung zwischen Auslegung und Subsumtion. Die Feststellung der Disponibilität eines Rechts kann nur mittels des anwendbaren Rechts erfolgen; einer Auslegung des Begriffs (Rechte, über die der Einzelne verfügen kann) bedarf es wohl nicht. Demgegenüber muss der Begriff des „vermögensrechtlichen Anspruches" im Einzelnen definiert werden (zum deutschen Recht siehe BGHZ 13, S. 5 (7 f.); 14, S. 72 (74); 35, S. 302 (304 f.); zum schweizerischen Recht siehe Volken, Schweiz. IPRG-Komm., Art. 5, Rn. 11 und Schnyder, IPRG, S. 22 f.). 318 Siehe Bericht von Jenard, in BT-Drucks. VI / 1973, S. 59 unter IV.; darauf hinweisend Kropholler, EuZPR, Art. 1, Rn. 16. Insofern entzieht Art. 1 II a) EuGVO zwar das Familienrecht weitestgehend der EuGVO, Art. 5 Nr. 2 EuGVO macht jedoch für den vermögensrechtlichen Unterhaltsanspruch eine Ausnahme.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
zum Tragen. Insofern fallt es auch auf, dass die EheVO keine Vorschrift über freie Gerichtsstandsvereinbarungen enthält319. In diesem Zusammenhang ist jedoch noch einmal darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zur Derogation die Prorogation der italienischen Gerichtsbarkeit gemäß Art. 4 I IPRG nicht sachlich beschränkt wurde 320.
dd) Die Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen
(1) Begründung von ausschließlichen Zuständigkeiten Nach dem Wortlaut des Art. 17 11 EuGVÜ führten Gerichtsstandsvereinbarungen im Rahmen des Brüsseler Abkommen zu einer ausschließlichen Zuständigkeit des prorogierten Gerichtes. Infolge der Privatautonomie im Vertragsrecht war hingegen bereits im Rahmen des EuGVÜ allgemein anerkannt, dass die Parteien auch anderes vereinbaren können321. Sofern dies in der Abrede nicht eindeutig zum Ausdruck kommt, sei jedoch im Zweifel von einer ausschließlichen Zuständigkeit auszugehen322. Diese Vermutung wird nunmehr in Art. 23 I 2 EuGVO ausdrücklich festgeschrieben. Da nationale Zuständigkeitsnormen nur die Kompetenzen der eigenen Gerichte regeln können, stellt sich die Frage der Ausschließlichkeitswirkung von Zuständigkeitsvereinbarungen im Rahmen des Art. 4 IPRG nur bei der Derogation der italienischen IZ 3 2 3 . Es gilt zu klären, ob eine entsprechende Vereinbarung die Zuständigkeit der italienischen Gerichte verhindert. Die Vorentwürfe zum IPRG normierten diese Frage parallel zur EuGVO. Art. 4 II 2 IPRG der Entwürfe bestimmte insofern, dass mangels eines anderweitigen Willens der Parteien die Prorogation eines ausländischen Gerichts die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte ausschließt324. Diese Vor-
319
Siehe b), Fn. 234. Siehe bb)(l), bei Fn. 277. 321 Kropholler, EuZPR, 6. Auflage, Art. 17, Rn. 98 m.w.N. in Fn. 182 und MüKoZPO (Gottwald), Art. 17 IZPR, Rn. 69. 322 Der Gerichtshof betonte in seiner Rechtsprechung den von Art. 17 1 1 EuGVÜ aufgestellten Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit; siehe EuGH 17. 1. 1980, Rs. 56 / 79 - Zeiger ./. Salinitri I, Slg. 1980, S. 89 (96 - Nr. 4) = NJW 1980, S. 1218 (Leitsatz) = IPRax 1981, S. 89 mit Anm. Spellenberg, S. 75 = auf Italienisch in RDIPP 1980, S. 290. 323 Zur Relevanz der Ausschließlichkeitsfrage bei nationalen Regelungen der IZ siehe 4. b) cc), in Fn. 128. 324 Art. 4 II 2 des Kommissionsentwurfes, in RDIPP 1989, S. 933 und der Senatsvorlage, in Studi Vitta, S. 449: „ L ' indicazione di un giudice straniero , salva la 320
§ 16 Verfahrensrecht
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schrift wurde in der endgültigen Fassung des Gesetzes gestrichen. Daraus kann gefolgert werden, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen des Art. 4 IPRG grundsätzlich für eine konkurriernde IZ italienischer Gerichte ausspricht325. Dies würde auch dem nationalen Zivilprozessrecht entsprechen (Art. 29 II c. p. c.), das mangels eines ausdrücklichen anderslautenden Willens von einer lediglich besonderen Zuständigkeit kraft Vereinbarung ausgeht326. Alle Regelungen dieser Frage zeigen jedoch, dass die Übereinkunft immer auf den Willen der Beteiligten zu untersuchen ist 327 . Insofern wird aus Gerichtsstandsvereinbarungen zumeist die Absicht abzuleiten sein, ausschließlich das benannte Gericht für zuständig zu erklären. Sofern man - im Anschluss an Art. 29 II c. p. c. 328 - nicht so weit gehen will, und - im Gegensatz zur EuGVO - mangels der ausdrücklichen Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit eine solche verneint, führt dies erneut zu einer umfassenderen Zuständigkeit der italienischen Gerichte.
(2) Begründung von örtlichen Zuständigkeiten Dem Willen der Parteien überlässt das EuGVO auch die Frage, ob Gerichtsstandsvereinbarungen329 neben der IZ zusätzlich die örtliche Zuständigkeit eines mitgliedsstaatlichen Gerichts begründen. Gemäß Art. 23 I EuGVO (= Art. 17 I EuGVÜ) können die Beteiligten die Zuständigkeit „eines Gerichtes" vereinbaren (örtliche Zuständigkeit und IZ) oder nur allgemein von „Gerichten eines Mitgliedsstaates" (nur IZ) 330 . Im Gegensatz dazu spricht Art. 4 I IPRG331 nur von einer Prorogation der italienischen IZ („giurisdizione") 332. Auch die systematische Stellung der diversa volontà delle parti , esclude la giurisdizione
italiana.
Eine identische Regelung
enthält Art. 5 13 schweizerisches IPRG. 325 1, d. S. Carbone , Com., NLCC, S. 928 1. Sp. 326 Siehe a), Fn. 231. 327 Beachte auch zum Gutglaubensschutz Carbone in Fn. 269 unter aa) (4). 328 Siehe auch unter aa) (3), bei Fn. 266 zur Berücksichtigung des Art. 28 c. p. c. bei der Frage der Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen trotz ausschließlicher „objektiver" Zuständigkeit. 329 Zur selben Frage bei Art. 3 II 1 IPRG siehe 4. b) cc). 330 Siehe auch EuGH 9. 11. 1978, Rs. 23 / 78 - Meeth ./. Glacetal, Slg. 1978, S. 2138 und den Schlussantrag des Generalanwalts Capot orti, S. 2145 f. zur Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung bestimmt genug ist, wenn sie die Gerichte eines Vertragsstaates für zuständig erklärt. Dass im Rahmen des Art. 17 EuGVÜ die Zuständigkeit eines konkreten Gericht begründet werden kann, obwohl das EuGVÜ grundsätzlich nur die IZ regelt, wird dabei als Selbstverständlichkeit angenommen. 331 Anders Art. 5 I 1 schweizerisches IPRG („einen Gerichtsstand"). 332 Zur Terminologie siehe unter I.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Bestimmung im Titel II des IPRG lässt darauf schließen, dass sich über die Vorschrift keine örtliche Zuständigkeit eines italienischen Gerichts begründen lässt. Dies würde für den Regelfall, dass die Vertragsparteien neben der IZ auch die örtliche Zuständigkeit festlegen wollen, zu dem Ergebnis führen, dass über Art. 4 IPRG hinaus - auch die Voraussetzungen der Artt. 28, 29 c. p. c. erfüllt sein müssen333. Dadurch würden die in Art. 28 c. p. c. enthaltenen Beschränkungen für Gerichtsstandsvereinbarungen 334 sowie das Schriftformerfordernis des Art. 29 I c. p. c. 335 in den meisten Fällen zur Anwendung kommen und Art. 4 IPRG aushebeln. Insofern sollte auch im Rahmen des Art. 4 IPRG, d. h. bei internationalen Sachverhalten336, zugelassen werden, dass die Vertragsparteien die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichtes festlegen, ohne dass dies durch die nationalen Prorogationsvorschriften eingeschränkt wird. Ansonsten müsste man bei konsequenter Anwendung der Vorschriften zum nationalen Prozessrecht Vereinbarungen über sachliche Zuständigkeiten grundsätzlich verbieten (Art. 6 c. p. c.) 337 . Unterstützend kann auch der Wortlaut von Absatz II des Art. 4 IPRG herangezogen werden, der im Gegensatz zum ersten Absatz der Vorschrift von der Derogation zugunsten eines ausländischen Richters („giudice straniero") spricht.
7. Art. 7 IPRG (ausländische Rechtshängigkeit)
a) Übersicht aa) Bisheriges Recht
Als Ausdruck der Ablehnung ausländischer fori hat die bisherige Vorschrift des Art. 3 c. p. c jeden Einfluss ausländischer Rechtsstreitigkeiten auf die internationale Zuständigkeit italienischer Gerichte abgelehnt338. Die Literatur 333
Zu den Vorschriften siehe a), Fn. 229 - 231. Siehe a), Fn. 229. 335 Siehe im Gegensatz dazu unter bb) (2) zu dem von Art. 4 IPRG geforderten schriftlichen Nachweis der Vereinbarung. 336 Siehe dazu aa) (1), bei Fn. 237-240. 337 Siehe a), in Fn. 228. 338 Zu Art. 3 c. p. c. und allgemein zum bisherigen Recht s. o. unter 2. a). Kritisch zur Regelung des Art. 3 c. p. c. mit Hinweis auf die staatsvertraglichen Regelungen Per assi, Il regolamento della litispendenza in alcune convenzioni internazionali, in RDI 1953, S. 357-366. Im alten codice civile von 1865 fehlte eine Vorschrift zur internationalen Rechtshängigkeit; es wurde insofern erwogen, den Art. 104 c. p. c. zum nationalen Rechtsverkehr analog anzuwenden (siehe Consolo , in RDI 1997, S. 7). Die Zivilprozessordnung von 1865 erwies sich in jedem Fall insofern als offener gegenüber ausländischen Verfahren 334
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rechtfertigte diese Regelung damit, dass die Gerichte zum Zeitpunkt einer zu treffenden Aussetzungs- bzw. Unzuständigkeitsentscheidung nicht in der Lage wären vorherzusehen, ob das zukünftige ausländische Urteil die Voraussetzungen einer Delibation (Art. 797 c. p. c.) erfüllen w i r d 3 3 9 . Ehrlicher wäre es wohl gewesen einzuräumen, dass man die eigene Zuständigkeit nicht durch ausländische Verfahren begrenzt sehen w i l l 3 4 0 . Das vorgetragene Argument würde nämlich dem Grunde nach auch bei den Anerkennungsvoraussetzungen des Art. 64 IPRG greifen, die dem bisherigen Recht weitestgehend entsprechen 341 . Ergänzt wurde Art. 3 c. p. c. durch Art. 797 Nr. 6 c. p. c. im Bereich des Anerkennungsrechts 342 . Diese Missachtung ausländischer Rechtshängigkeiten stand im Widerspruch zu einer Reihe von internationalen Verträgen 343 sowie dem IZPR der meisten anderen europäischen Staaten 344 . Eine dem Art. 3 c. p. c. entsprechende Regelung findet sich lediglich in Art. 156 des rumänischen IPRG.
als ausländische Urteile automatisch anerkannt wurden (siehe Consolo , a.a.O., S. 8 zu Art. 941 c. p. c. 1865). Auch hier zeigt sich der Rückschritt durch die Kodifikationen der 40er Jahre (codice die procedura 1940) gegenüber ihren Vorgängern; s. a. unter § 7 III. (Anfang) zu Art. 16 disp. prel. (reciprocità) im Gegensatz zu Art. 3 disp. prel. von 1865. 339 Morelli , DPCI, S. 169 f., der ergänzend ausführt, dass eine Anerkennungsprüfung auch der Natur einer Rechtshängigkeitskontrolle nicht entsprechen würde. Allgemein zur Argumentation nach bisherigem Recht siehe Consolo , in RDI 1997, S. 8 - 14; zu Art. 3 c. p. c. siehe auch Giuliano , La giurisdizione, S. 175 - 177. Zum Delibationsverfahren nach bisherigem Recht siehe I. 2. a) aa). 340 I. d. S. Campeis/De Pauli, Il processo, S. 111. 341 Siehe dazu i. E. unter I. 2. a) bb). 342 Siehe I. 2. a) bb), bei Fn. 14 und hier bei Fn. 355 zur Neuregelung des Art. 64 f) IPRG. 343 Siehe dazu unter b) aa). 344 Zu den ausdrücklichen Regelungen siehe Art. 9 I schweizerisches IPRG und § 65 ungarische IPR-VO; zur Orientierung des französischen IZPR an Art. 21 EuGVÜ siehe die Entscheidung des französischen Kassationshofes 26. 11. 1974, in Rev. crit. 1975, S. 491. Auch nach deutschem Prozessrecht ist die ausländische Rechtshängigkeit einer Streitsache nach e. M. von Amts wegen zu beachten: BGH, in NJW 1986, S. 2195 und in NJW 1987, S. 3083 mit Anm. Geimer, S. 3085 f.; zur Literatur MüKo-ZPO (Patzina), § 12, Rn. 75 bzw. (Luke), § 261, Rn. 74 und Zöller (Geimer), IZPR, Rn. 96 sowie ausführlich Dohm, S. 236 - 309, der die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeiten nicht aus § 261 III Nr. 1 ZPO (Rechtshängigkeit), sondern aus der analogen Anwendung des § 148 ZPO (Aussetzung wegen Präjudizialität - siehe dazu unter c)) ableitet. Voraussetzung der Rechtshängigkeitssperre ist ebenso wie i. R d. IPRG eine Anerkennungsprognose der deutschen Gerichte; siehe dazu unter b) cc) (2).
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
bb) Die Neuregelung des Art. 7 IPRG und das ergänzende Anerkennungsrecht
Dieser Rechtszustand wurde durch Art. 7 I, II IPRG korrigiert 345. Der Gesetzgeber hat dadurch sein nationales Recht weitestgehend an Art. 27 EuGVO (= Art. 21 EuGVÜ) angeglichen346. Parallelen zeigen sich vor allem auch zu Art. 9 des schweizerisches IPRG. Der Argumentation zum bisherigen Art. 3 c. p. c. im Hinblick auf die fragliche Anerkennung des ausländischen Urteils 347 wurde durch das Erfordernis einer Anerkennungsprognose und der Aussetzung als Rechtsfolge anstelle einer Unzuständigkeitserklärung der Kern m m n
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genommen . In Absatz III des Art. 7 IPRG behandelt der Gesetzgeber den Fall der Präjudizwirkung von im Ausland rechtshängigen Entscheidungen für gleichzeitige Verfahren vor italienischen Gerichten. Diese Regelung knüpft an Art. 28 EuGVO (= Art. 22 EuGVÜ) an und findet eine Parallele in der speziellen Vorschrift des Art. 11 II EheVO349. Durch die Neuregelung des Art. 7 IPRG werden ausländische fori grundsätzlich als gleichwertig anerkannt350; Doppelprozesse sollen dadurch im Sinne der Prozessökonomie verhindert werden351. Die Vorschrift gilt unabhängig davon, ob das Prozessrecht des ausländischen Gerichtes eine entsprechende Bestimmung enthält352. Analog zum bisherigen Recht353 wird Art. 7 IPRG durch die Regelungen des Anerkennungsrechts ergänzt354. Abweichende Entscheidungen sollen dadurch nicht nur auf Zuständigkeitsebene, sondern auch über das Anerkennungsrecht verhindert werden, sofern diefrühere Rechtshängigkeit eines identischen italie-
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Siehe i. E. unter b). Im Einzelnen zu den Abweichungen von Art. 27 EuGVO siehe b) cc). Siehe aa), Fn. 339. Zur Anerkennungsprognose siehe b) cc) (2); zur Aussetzung als Rechtsfolge siehe
b) bb), Fn. 389. 349 Siehe dazu unter c). 350 Allgemein dazu s. o. unter 2. b). 351 Ebenso der Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 951 zu Art. 7 IPRG. 352 Di Blase, Com., NLCC, S. 949 r. Sp.; kritisch dazu Consolo , in RDI 1997, S. 43 („difetto"). Dieser Grundsatz begründet keine Ausnahme vom Gegenseitigkeitserfordernis des Art. 16 disp. prel., da letzterer keine prozessualen Rechte schützt (siehe 2. a), in Fn. 48). 353
Siehe aa), Fn. 342. Zum Zusammenhang zwischen Rechtshängigkeit und Anerkennung siehe allgemein Schack, 1ZVR, Rn. 748 (Anerkennung der Rechtshängigkeit als „Vorstufe der Urteilsanerkennung") und Dohm, S. 31 f. Siehe auch b) cc) (2) zur Anerkennungsprognose in Art. 7 IPRG und b) dd) zur Begründung des EuGH für seine weite Auslegung des Streitgegenstandsbegriffes. 354
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nischen Verfahrens von ausländischen Gerichten missachtet oder übersehen wurde. Entsprechenden ausländischen Urteilen wird gemäß Art. 64 f) IPRG in Italien die Anerkennung verweigert 355. Der Schutz des italienischen Anerkennungsrechts vor divergierenden Entscheidungen geht damit noch weiter als in der EuGVO. Die Verordnung versagt nämlich ausländischen Urteilen nur die Anerkennung, sofern bereits unvereinbare Entscheidungen im Inland bestehen (Art. 34 Nr. 3 EuGVO (= Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ), ebenso Art. 64 e) IPRG356); dasselbe gilt im Rahmen der EheVO (Art. 15 I c), II e) 357 EheVO). Dadurch wird jedoch nicht verhindert, dass ein ausländisches Urteil anerkannt wird, obwohl ein Verfahren in derselben Sache im Anerkennungsstaat zwar früher eingeleitet, aber noch nicht zum Abschluss gebracht wurde 358. Dieser Gefahr hat Art. 64 f) IPRG jedoch einen Riegel vorgeschoben359. Im Gegensatz dazu versucht die EuGVO zwar widersprechende Entscheidungen zu verhindern (Art. 34 Nr. 3 EuGVO), entscheidet sich jedoch im Übrigen zugunsten der Freizügigkeit von Urteilen innerhalb der Gemeinschaft, auch wenn ein Verstoß gegen Art. 27 EuGVO (= Art. 21 EuGVÜ) vorliegt. Auf diesem Weg wird eine Verfahrensverschleppung im Anerkennungsstaat über das Anerkennungsrecht „sanktioniert".
cc) Rechtshängigkeit, Präjudizialität und Zusammenhang von anderen Verfahren nach italienischem Prozessrecht
Im Verhältnis der italienischen Gerichte untereinander finden sich in der italienischen Zivilprozessordnung ähnliche Bestimmungen, die im Anschluss an den lex-fori-Grundsatz des Art. 12 IPRG zur Auslegung der neuen IZPRVorschriften herangezogen werden können360.
355 Siehe I. 2. a) bb), bei Fn 14 zur Neuregelung dieser Anerkennungsvoraussetzung gegenüber dem bisherigen Art. 796 Nr. 6 c. p. c. 356 Siehe dazu I. 2. a) bb), in Fn. 19. 357 Art. 15 II e) EheVO verweigert bei Sorgerechtsentscheidung die Anerkennung nur bei einer späteren unvereinbaren Entscheidung im Anerkennungsstaat. Der Bericht von Borr äs (3. a), Fn. 60), S. 52 r. Sp. verweist in seiner Begründung darauf, dass frühere Entscheidungen bereits im Rahmen der Entscheidung aus Anlass der Ehescheidung berücksichtigt worden sein müssen. 358 Insbesondere bei der langen Verfahrensdauer in Italien ist es durchaus nicht auszuschließen, dass ein später eingeleitetes ausländisches Verfahren früher zum Abschluss kommt als das Parallelverfahren in Italien. 359 Ebenso im deutschen Prozessrecht § 328 I Nr. 3 2. Alt. ZPO; zu einer ähnlichen Regelung s. a. b) aa), in Fn. 375 m den Haager Unterhaltsabkommen. 360 Siehe unter b) dd) zur Frage, ob sich der Streitgegenstandsbegriff in Art. 7 I IPRG an Art. 27 EuGVO oder an der nationalen Bestimmung des Art. 39 c. p. c. orientiert.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Probleme der Rechtshängigkeit werden im nationalen Prozessrecht in Art. 39 c. p. c. geregelt361. Die Vorschrift unterscheidet362 zwischen den Fällen der vollständigen Streitgegenstandsidentität (Art. 39 I c. p. c. - „litispendenza") mit der Folge eines abweisenden Prozessurteils363 und der „teilweisen Identität"364 (Art. 39 II c. p. c. - „continenza"), bei der den Parteien eine Ausschlussfrist zur Fortsetzung des Rechtsstreites vor dem erstbefassten Gericht gesetzt wird 365 . Die Vorschrift entspricht somit den Artt. 7 I, II IPRG, 27 EuGVO, 11 I, III, EheVO auf internationaler Ebene366. Sofern keine Streitgegenstandsidentität besteht, ordnet Art. 295 c. p. c. parallel zum deutschen § 148 ZPO 367 - für den Fall der Abhängigkeit eines Verfahrens von dem Ergebnis eines anderen Prozesses (Präjudizialität) die Aussetzung des laufenden Verfahrens an. Eine entsprechende Regelung für den internationalen Bereich findet sich nunmehr in Art. 7 III IPRG sowie in Art. 11 II EheVO. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis des Art. 7 III IPRG zu dem Art. 6 des Gesetzes368. Den Einfluss von anderen nationalen Prozessen auf ein laufendes Verfahren zieht Art. 40 c. p. c. - ähnlich dem § 147 ZPO im deutschen Recht369 - noch weiter, sofern diese im Zusammenhang („connessione") stehen370. Die Vorschrift nimmt Bezug auf die Fälle der „connessione propria" in den Artt. 31 36 c. p. c. 371 und ermöglicht eine nachträgliche Verbindung von Rechtsstreitig-
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Siehe dazu in der deutschen Literatur Isenburg-Epple, S. 173 f. und Lüpfert, S. 102 f. 362 Siehe dazu i. E. unter b) dd) zur Streitgegenstandsproblematik. 363 Attardi , in RDCiv. 1995, S. 747, Fn. 28 m.w.N. 364 Zur Einordnung der „continenza" siehe b) dd), in Fn. 449. 365 Soferm diese Frist versäumt wird, „erlischt" das zweite Verfahren (Art. 50 II c. p. c.), was - ähnlich einem Prozessurteil - jedoch eine erneute Klage nicht ausschließt (Art. 3101c. p. c.). 366 Siehe oben unter bb). 367 Siehe auch aa), in Fn. 344 zur analogen Anwendung des § 148 ZPO bei Rechtshängigkeitsproblemen auf internationaler Ebene und c) aa), Fn. 475 zu § 148 ZPO im internationalen Bereich. 368 Siehe dazu i. E. unter c) bb). 369 § 147 ZPO ermöglicht allerdings eine Verbindung nur bei Klagen, die vor demselben Gericht anhängig sind; für derartige Fälle enthält das italienische Prozessrecht in Art. 274 c. p. c. eine eigene Vorschrift. Zum Begriff des „rechtlichen Zusammenhangs" in § 147 ZPO siehe Lüpfert, S. 77 - 79. 370 Zu der Vorschrift in der deutschen Literatur siehe Lüpfert, S. 68-73. 371 Cass. 5. 6. 1984, n. 3397, in Giust. civ. 1984, I., S. 3331 und weitere Nachweise bei CCT (Parimbelli), Art. 40, I. 2.; zu den Vorschriften siehe 4. c) cc). Nicht von Art. 40 c. p. c. soll jedoch der Art. 33 c. p. c. erfasst werden (Picardi (Coluzzi), Art. 40 Nr. 1 m.w.N.); die Vorschrift wird insofern im Wortlaut des neuen Art. 40 III c. p. c. ausgenommen. In den Bereich des Art. 40 c. p. c. fällt auch nicht die sog. „connessione
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keiten, die - entgegen der Möglichkeit des Zuständigkeitsrechts in den Artt. 31 - 36 c. p. c. - nicht in einem gemeinsamen Verfahren anhängig gemacht wurden. Die Rechtsfolge entspricht dem Art. 39 II c. p. c. (Art. 40 I c. p. c.) 3 7 2 ; es kommt somit auch hier grundsätzlich zu einer Verbindung der Verfahren. Die Vorschrift gleicht dem Art. 28 EuGVO (= Art. 22 EuGVÜ), auch wenn sich die Vorschrift der Verordnung beim Begriff der Konnexität eher am Verständnis des belgischen und französischen Rechts orientiert hat 3 7 3 .
b) Art. 7 I, II IPRG (Rechtshängigkeit)
aa) Internationale Bestimmungen zur ausländischen Rechtshängigkeit Die Anwendung des Art. 7 I, II IPRG zur Rechtshängigkeit derselben Angelegenheit vor ausländischen Gerichten wird neben dem bereits erwähnten Art. 27 EuGVO (= Art. 21 EuGVÜ) und dem identischen 374 Art. 21 LugÜbk. auch durch spezielle multilaterale Abkommen begrenzt 375 . Auch Art. 11 I, III EheVO enthält inzwischen eine dem Art. 27 EuGVO nahezu wortgleiche Regelung 376 . Über die Rechtsgebiete dieser Übereinkommen hinaus 377 bestehen impropria" (Parimbelli, a.a.O. und Col uzzi, a.a.O. beide m.w.N.); zu dieser siehe 4. c) cc), in Fn. 160. 372 1. E. dazu siehe Lüpf er t, S. 180 f.; siehe jedoch b) dd), Fn. 454 zur Beschränkung der Verbindungsmöglichkeit durch Art. 40 II c. p. c. 373 Siehe Kropholler, EuZPR, Art. 28, Rn. 5 und die rechtsvergleichende Untersuchung von Lüpfert, S. 57 - 86. 374 Art. 21 EuGVÜ wurde durch Art. 8 des dritten Beitrittsabkommens zum EuGVÜ (BGBl. 1994 II, S. 519; s. a Jayme / Hausmann, 9. Auflage, Nr. 76) an die Bestimmung des LugÜbk. angeglichen. Gemäß Art. 21 I EuGVÜ a. F. hatte sich das angerufene Gericht für unzuständig zu erklären; eine Aussetzung des Rechtsstreits, wie Art. 21 I EuGVÜ n. F. und Art. 27 EuGVO es vorsehen, konnte (fakultativ) nur auf Antrag erfolgen (Art. 21 II EuGVÜ a. F.). Zum Art. 21 EuGVÜ a. F. siehe dessen Wortlaut in BGBl. 1972 II, S. 774 und die Kommentierung in MüKo-ZPO (Gottwald), 1. Auflage, IZPR, Art. 21 EuGVÜ. 375 Art. 31 II CMR (siehe § 16 II. 3. a), Fn. 67); Art. 12 des Haager Übereinkommens über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen vom 1. 6. 1970 (§ 10 I. 3. c), Fn.42).
Darüber hinaus verweigern die beiden Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen zum Unterhaltsrecht von 1958 und 1973 (siehe dazu § 13 II. 2., Fn. 25) eine Entscheidunganerkennung nicht nur bei einer widersprechenden innerstaatlichen Entscheidung (Art. 2 Nr. 4, S. 1 bzw. Art. 5 Nr. 4), sondern auch bei der Rechtshängigkeit derselben Klage vor eigenen Behörden (Art. 2 Nr. 4, S. 2 bzw. Art. 5 Nr. 3); s. a unter a), Fn. 355 zu Art. 64 f) IPRG. 376 Zur EheVO siehe 3. a), Fn. 60. 377 Zum Vorrang der EuGVO gegenüber den bilateralen Verträgen siehe deren Artt. 69, 70 (= Artt. 55, 56 EuGVÜ); zum Vorrang der EheVO siehe deren Artt. 38, 39.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
zwischen Italien und einigen europäischen Staaten bilaterale Anerkennungsund Vollstreckungsabkommen, die Vorschriften zur Frage der doppelten Rechtshängigkeit enthalten 378 .
bb) Parallelen zu AH. 27 EuGVO Die Neuregelung des Art. 7 I, I I IPRG deckt sich weitestgehend mit der Bestimmung des Art. 27 EuGVO (= Art. 21 EuGVÜ). Beide Vorschriften behandeln die Rechtshängigkeit im Rahmen der streitigen Gerichtsbarkeit und nicht die Einrede der Schiedshängigkeit379. Auch durch die Inanspruchnahme von einstweiligem Rechtsschutz werden die Bestimmungen nicht berührt 380 .
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Zum deutsch-italienischen Rechtsverkehr siehe Art. 11 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 9. 3. 1936 (RGBl. 1937 II, S. 145; s. a. Jayme / Hausmann, 9. Auflage, Nr. 93). Zu weiteren bilateralen Abkommen Italiens siehe Giuliano / Pocar / Treves , S. 1052 (Art. 12 italienisch-österreichisches Abkommen vom 16. 11. 1971); S. 1057 (Art. 14 italienisch-belgisches Abkommen vom 6. 4. 1962), S. 1066 (Art. 19 italienisch-französisches Abkommen vom 3. 6. 1930), S. 1075 (Art. 9 italienisch-niederländisches Abkommen vom 17. 4. 1959) und SR 0.276.194.541, S. 3 zu Art. 8 des italienisch-schweizerischen Abkommens vom 3. 1. 1933. Die Vorschrift des italienisch-französischen Abkommens betrifft dabei den weiteren Fall der zusammenhängenden Klagen; zur Konnexität siehe a) cc), bei Fn. 370 und unter c). Die Verträge enthalten auch im Anerkennungsrecht zu Art. 64 e), f) IPRG entsprechende Vorschriften (zu Art. 64 f) IPRG siehe a) aa), Fn. 355. Allgemein zum Anerkennungsrecht im IPRG siehe I. 2. a) bb)); siehe dazu den Vertrag mit Belgien (Art. 1 Nr. 5), Österreich (Art. 7 Nr. 5); Frankreich (Art. 1 Nr. 5), Niederlanden (Art. 1 Nr. 3), Schweiz (Art. 1 Nr. 2) und Deutschland (Art. 4 IV). Zu den Verträgen s. a. Perassi (Fn. 338) und Consolo , in RDI 1997, S. 14 - 17. Eine Auflistung der bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen zwischen den EG-Staaten enthält zudem Art. 69 EuGVO (= Art. 55 EuGVU). 379 Zu Art. 7 I IPRG siehe CT (Costantino ), Art. 7, I. 6.; zu Art. 21 EuGVÜ siehe Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 21, Rn. 21. Zum Schiedsrecht siehe Art. 4 des Genfer Schiedsprotokolls von 1923 (RGBl. 1925 II, S. 47 sowie Jayme / Hausmann, Nr. 240), Art. II Absatz 3 des UN-Schiedsabkommens von 1958 (siehe § 14 III. 2. d) bb), Fn. 70) und Art. VI Absatz 1, 3 und 4 des Genfer Europäischen Übereinkommens von 1961 (siehe § 14 II. 3., Fn. 27). Zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit eines internationalen Schiedsverfahrens siehe die ausdrückliche Regelung in Art. 181 schweizerisches IPRG. 380 Zum IPRG siehe CT (Costantino), Art. 7,1. 7. Das IPRG regelt die Zuständigkeit der italienischen Gerichte für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ausdrücklich in Art. 10 IPRG („materia cautelare"). Im Rahmen der EuGVO stellt Art. 31 EuGVO (= Art. 24 EuGVÜ) klar, dass die Zuständigkeit mitgliedschaftlicher Gerichte gemäß der Verordnung durch die Anrufung von Gerichten eines anderen Staates zum Erlass von einstweiligen Maßnahmen nach deren lex fori nicht berührt wird; auch aus Art. 27 I EuGVO („Klagen") lässt sich dessen Unanwendbarkeit für den einstweiligen Rechtsschutz ableiten.
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Der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit 381 („pendenza" 382 ) wurde im Rahmai des Brüsseler Abkommens nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 21 EuGVÜ 3 8 3 durch das Verfahrensrecht des jeweiligen Gerichts bestimmt 384 . Klagen vor italienischen Gerichten werden insofern dem lex-fori-Grundsatz des internationalen Verfahrensrechts folgend (Art. 12 IPRG) durch die Zustellung der Klageschrift rechtshängig (Art. 39 III i. V. m. Artt. 137-151 c. p. c.). Insofern konsequent stellt Art. 7 II IPRG klar, dass die entscheidende Frage, ob das ausländische Verfahren früher eingeleitet wurde, nach dem Prozessrecht des ausländischen forums zu bestimmen ist 3 8 5 . Dies ermöglicht es dem Beklagten, gegebenenfalls eine gegen ihn gerichtete und nach der lex fori noch nicht
Zu einer Konkurrenz zwischen einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und dem entsprechenden Hauptsacheverfahren kann es - neben diesen systematischen Argumenten - auch insofern nicht kommen, als infolge des unterschiedlichen Rechtsschutzzieles kein identischer Streitgegenstand besteht; siehe dazu in der italienischen Rechtsprechung die Entscheidung Trib. Latina 19. 4. 1994, in RDIPP 1994, S. 857. 381 Die deutschen Fassungen internationaler Verträge sprechen zwar grundsätzlich von „Anhängigkeit" (siehe Art. 27 I EuGVO und die Abkommen in Fn. 375 mit Ausnahme von Art. 2 Nr. 4, S. 2 des Übereinkommens zum Kindesunterhalt), darunter ist jedoch „Rechtshängigkeit" im Sinne des deutschen Zivilprozessrechts zu verstehen (zu Art. 21 I EuGVÜ siehe BGH 9. 10. 1985, in NJW 1986, S. 662 = IPRax 1987, S. 314 (315) mit Anm. Jayme, S. 295; auch EuGH 7. 6. 1984, Rs. 129 / 83 - Zeiger ./. Salinitri II, Slg. 1984, S. 2397 spricht nur von Rechtshängigkeit). 382 Die Begriffe der „pendenza" in Art. 7 I IPRG und der „litispendenza" in Art. 39 I c. p. c. decken sich. Gemeint ist dabei die Rechtshängigkeit im Sinne des deutschen Prozessrechts. Das italienische Zivilprozessrecht differenziert im Gegensatz zum deutschen Recht nicht zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit einer Klage. Entscheidender Zeitpunkt zur „Einleitung" des Verfahrens ist allein die Zustellung der Klageschrift (s. a. § 6 II. 1. c) zu Art. 72 I 1. Hs. IPRG). Ebenso wie Art. 39 III c. p. c. legt auch Art. 643 III c. p. c. für Mahnverfahren die Zustellung als Zeitpunkt der Rechtshängigkeit fest. 383 EuGH 7. 6. 1984, Rs. 129 / 83 (Fn. 381), S. 2397 (Leitsatz); der Gerichtshof geht dabei davon aus, dass die Verfahrensformalie der Rechtshängigkeit nicht durch Art. 21 EuGVÜ geregelt und vereinheitlicht werden soll, da diese eng mit der nationalen Organisation des Gerichtsverfahrens verknüpft ist; bestätigt durch EuGH 8. 12. 1987, Rs. 144 / 86 (Fn. 430), Nr. 12. Ebenso die Berichte von Jenard, in BT-Drucks. VI / 1973, S. 86 Anfang und Schlosser, in BT-Drucks. 10 / 61, S. 67 (Nr. 182) sowie BGH 9. 10. 1985 (Fn. 381). Ebenso BGH, in NJW 1987, S. 3083 zum deutsch-schweizerischen Rechtsverkehr. A. A. Dohm, S. 106-115; kritisch auch Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 21, Rn. 8 und 41 m.w.N. sowie Kropholler, EuZPR, 6. Auflage, Art. 21, Rn. 12 - 14. 384 Dasselbe gilt im Rahmen des schweizerischen IPRG (Volken, in Schweiz. IPRGKomm, Art. 9, Rn. 15); Art. 9 II schweizerisches IPRG legt lediglich den Zeitpunkt der „Anhängigmachung" vor schweizerischen Gerichten einheitlich fest und beseitigt somit die Unterschiede des kantonalen Prozessrechts für den Bereich des IZPR (Volken, a.a.O., Rn. 16). Zu den unterschiedlichen prozessrechtlichen Vorschriften der EG-Staaten siehe Dohm, S. 116 - 124; zum Eintritt der Rechtshängigkeit im Verfahrensrecht der Schweiz, Deutschlands, Österreichs, Frankreichs, Italiens, des Vereinigten Königreichs und der USA siehe Wittibschlager, S. 114 - 123. 385 Siehe auch den Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 952 oben.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
rechtshängige Klage durch eine „Gegenklage", ζ. B. auf negative Feststellung, zu blockieren386. Durch den neuen Art. 30 EuGVO387, der abweichend von der Rechtsprechung zu Art. 21 EuGVÜ nunmehr auf europäischer Ebene eine automome und damit einheitliche Definition der ,Anhängigkeit" geschaffen hat, soll dies verhindert werden. Auf der Rechtsfolgenseite hat 388 das angerufene Gericht sowohl nach der staatsvertraglichen als auch nach der nationalen Regelung bei einem früheren Verfahren mit identischem Streitgegenstand vor einem ausländischen Gericht das eigene Verfahren auszusetzen (Art. 7 I 1 IPRG, Art. 27 I EuGVO)389. Da die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts vom italienischen (zweitbefassten) Gericht nicht zu überprüfen ist 390 , wird im internationalen Rechtsverkehr im Gegensatz zu Art. 39 I c. p. c. 391 - der Rechtsstreit nicht unmittelbar durch Prozessurteil beendet392. Erst wenn die Zuständigkeit des ausländischen (erstbefassten) Gerichtes mittels Entscheidung feststeht, ist die Klage vor dem italienischen (zweitbefassten) Gericht abzuweisen (arg. ex Art. 7 I 2 IPRG393; Art. 27 II EuGVO); ansonsten muss der Rechtsstreit fortgesetzt werden (Art. 7 I 2 IPRG)394. Letzteres gilt - abweichend von der EuGVO - auch, wenn sich die ursprüngliche Anerkennungsprognose395 als unrichtig erweist (Art. 7 I 2
386 Das Tribunale de grande instance Paris hat diese Praxis in einer Entscheidung vom 9. 3. 2001 als missbräuchlich bewertet und die frühere Rechtshängigkeit einer in Italien erhobenen Klage nicht berücksichtigt (siehe Jayme / Kohler, in IPRax 2002, S. 468, Fn. 88). 387 Ebenso Art. 11 IV EheVO, der in Art. 16 der EheV02 übernommen wird. 388 Fakultativ ist die Aussetzung des Verfahrens hingegen gemäß Art. 12 des Haager Anerkennungsabkommens für Ehescheidungen bzw. -trennungen (Fn. 375). 389 Anders noch der Art. 7 I des Kommissionsentwurf, in RDIPP 1989, S. 933, der sich - wohl an der damals aktuellen Fassung des Art. 21 I EuGVÜ (Fn. 374) anknüpfend - für eine Unzuständigkeitserklärung ausgesprochen hat. Im Gegensatz dazu ordnet Art. 9 I schweizerisches IPRG wie die endgültige Fassung des italienischen Gesetzes eine Aussetzung des Verfahrens an; Volken, in Schweiz. IPR-Komm., Art. 9, Rn. 24 weist jedoch auf die bilateralen Vollstreckungsabkommen der Schweiz mit Belgien, Liechtenstein, Österreich und Schweden hin, die eine Klageabweisung vorsehen. 390 Zu Art. 21 EuGVÜ siehe EuGH vom 27. 6. 1991, Rs. 351 / 89 - Overseas Union ./. Hampshire Insurance, Slg. 1991,1 - S. 3317 (Leitsatz) = NJW 1992, S. 3221 = IPRax
1993, S. 34 mit Anm. Rauscher / Gutknecht, S. 21; s. a. Geimer / Schütze, EuZVR,
Art. 21, Rn. 17 und Kropholler, EuZPR, Art. 27, Rn. 19. 391 Siehe a) cc), Fn. 363. 392 Im Gegensatz dazu ordnet § 65 der ungarischen IPR-VO eine Verfahrenseinstellung bzw. Klageabweisung an. 393 Im Ergebnis ebenso Attardi, in RDCiv. 1995, S. 748. 394 Ebenso zum deutschen Prozessrecht Kropholler, EuZPR, Art. 27, Rn. 24. 395 1. E. dazu unter cc) (2).
§ 16 Verfahrensrecht
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IPRG) 3 9 6 bzw. im ersten Prozess kein Sachurteil gelallt wird 3 9 7 . Die neue Verhandlung ist von den Parteien zu beantragen (Art. 7 I 2 IPRG, Art. 297 I c. p. c.) 3 9 8 . Auch im Falle der Klageabweisung soll es zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kommen, so dass das Verfahren durch Prozessurteil beendet wird399. Bei der Formulierung der Streitgegenstandsidentität übernimmt Art. 7 I IPRG den Wortlaut der italienischen Fassung von Art. 21 I EuGVÜ ( „ i l medesimo oggetto e il medesimo titolo") 4 0 0 ; die selbe Formulierung enthält nunmehr Art. 27 EuGVO. Das Anerkennungsrecht beschreibt die Identität des Verfahrensgegenstandes hingegen allein mit dem Ausdruck „medesimo oggetto" (Art. 64 f) IPRG) 4 0 1 . Im nationalen Recht spricht Art. 39 I c. p. c. von „derselben Sache / Rechtsstreitigkeit" („stessa causa"). Daraus könnte gefolgert werden, dass der Streitgegenstandsbegriff des Art. 7 IPRG ebenso weit zu fassen ist wie derselbe der EuGVO. Die Frage soll später ausführlich erörtert werden 402 .
396 Ebenso zu Art. 9 schweizerisches IPRG Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 9, Rn. 26; im Umkehrschluss lässt sich das auch dem Absatz 3 der Vorschrift entnehmen, die beim Bestehen einer Anerkennungsmöglichkeit eine Klageabweisung im späteren schweizerischen Verfahren anordnet. 397 Zu Art. 7 IPRG siehe Attardi , in RDCiv. 1995, S. 747 und CT (Costantino ), Art. 7, II. 3., der sich für die analoge Anwendung des Art. 50 c. f>. c. (Fortführung des Rechtsstreites) ausspricht; ebenso Dohm, S. 137 zu Art. 21 EuGVÜ und Geimer, IZPR, Rn. 2722 zum deutschen IZPR. Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 9, Rn. 26 geht darüber hinaus davon aus, dass das Gericht für den Fall eines Nachweises, dass in dem ausländischen Verfahren in absehbarer Zeit kein Urteil zu erwarten ist, zu prüfen hat, ob die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht eine Fortsetzung des schweizerischen Verfahrens gebietet. Ähnlich BGH 10. 10. 1985 (Fn. 417), S. 1015 (keine Fortführung des ausländischen Verfahrens oder Rechtsschutz aus sonstigen Gründen unzumutbar verzögert). 398 Im Rahmen der EuGVO hängt diese Frage vom jeweiligen Prozessrecht des forum ab; vor italienischen Gerichten fordert insofern auch hier Art. 297 I c. p. c. zur Fortsetzung des Rechtsstreits einen Parteiantrag. 399 Attardi, in RDCiv. 1995, S. 748 verweist als Begründung daraufhin, dass im alternativen Fall des Erlöschens („estinzione") des Verfahrens der Kläger auf den Kosten des Verfahrens sitzen bleiben würde (Artt. 310 IV, 90 c. p. c.). 400 Ebenso die französische und niederländische Fassung des Art. 21 EuGVÜ; der deutsche Wortlaut spricht hingegen nur von „Klagen wegen desselben Anspruches", was in der Sache jedoch keinen Unterschied macht. Die Entscheidung EuGH 6. 12. 1994, Rs. 406 / 92 (Fn. 430), Nr. 38 weist darüber hinaus daraufhin, dass auch die englische Fassung des Art. 21 EuGVÜ - ebenso wie der deutsche Wortlaut - nicht zwischen „Gegenstand" und „Grundlage" des Anspruches unterscheidet, aber trotzdem wie die übrigen Sprachfassungen zu verstehen ist. 401 Ebenso Art. 797 Nr. 6 c. p. c. im bisherigen Recht. 402 Siehe unter dd).
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
cc) Unterschiede zu Art. 27 EuGVO
Art. 7 I IPRG weicht jedoch in zwei wesentlichen Punkten von der Regelung des Art. 27 EuGVO (= Art. 21 EuGVÜ) ab. Zum einen ist nach italienischem Recht die Rechtshängigkeit vor einem ausländischen Gericht nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag einer der Parteien zu beachten. Zum anderen fordert Art. 7 I IPRG von den italienischen Gerichten eine Prognose dahingehend, ob die ausländische Entscheidung in Italien Wirkung entfalten kann.
(1) Parteiantrag Verwundern mag die Entscheidung des italienischen Gesetzgebers, die ausländische Rechtshängigkeit nur bei einer einredeweisen Geltendmachung („sia eccepita") zu berücksichtigen. Dies widerspricht nahezu allen Regelungen zur Frage der entgegenstehenden Rechtshängigkeit403. Nur die meisten bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen fordern einen Parteiantrag 404. Im Anschluss an das nationale Prozessrecht (Art. 297 I c. p. c.) bedarf es auch zur Fortsetzung des Verfahrens (Art. 7 12 IPRG) eines Parteiantrages405. Die Tatsache, dass die endgültige Fassung des Art. 7 I IPRG an diesem Punkt von den Vorentwürfen des Gesetzes abweicht406, stieß in der italienischen Literatur auf erhebliche Kritik 407 . Wenn man sich den Zusammenhang
403 Zum internationalen Rechtsverkehr siehe die staatsvertraglichen Vorschriften der Art. 27 I EuGVO, Art. 31 II CMR und Art. 12 des Haager Anerkennungsabkommens bei Ehescheidungen bzw. -trennungen (zu den beiden letzteren Abkommen siehe Fn. 375) sowie die nationalen Regelungen in Art. 9 I schweizerisches IPRG und § 65 ungarische IPR-VO. Zum nationalen Rechtsverkehr siehe Art. 39 I c. p. c.; § 261 III Nr. 1 deutsche ZPO und §§ 233, 240 III österreichische ZPO; s. a. Wittibschlager, S. 9, Fn. 51 zum schweizerischen Recht. Consolo , in RDI 1997, S. 5, in Fn. 1 verweist darauf, dass die anderweitige Rechtshängigkeit nur in Frankreich und Dänemark nicht von Amts wegen verfolgt wird. 404 Siehe dazu die Vorschriften der Verträge mit Belgien, Deutschand, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz in Fn. 378; der italienisch-österreichische Vertrag (Fn. 378) fordert hingegen keine Geltendmachung der anderweitigen Rechtshängigkeit. Dohm, S. 229 f. will allerdings i. R. d. Art. 11 des deutsch-italienischen Abkommens entgegen dem Wortlaut der Vorschrift - im Anschluss an die Grundsätze des deutschen Prozessrechts eine Berücksichtigung der Rechtshängigkeit von Amts wegen vornehmen; der BGH, in IPRax 1984, S. 152 (153 f.) hat diese Frage mangels Relevanz offen gelassen. Zu weiteren Verträgen mit deutscher Beteiligung siehe Dohm, S. 229, Fn. 100. 405 Siehebb), bei Fn. 398. 406 Siehe RDIPP 1989, S. 933 zu Art. 7 des Kommissionsentwurfes. 407 Attardi, un'impiegabile
in RDCiv. 1995, S. 749, in Fn. 29 („un'anomalia risultante da modifica del corrispondente testo del Progetto"), der insofern eine
Auslegung der Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut anregt; ablehnend zu diesem Vor-
§ 16 Verfahrensrecht
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zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft jedoch vor Augen hält 408 , so fallt auf, dass das italienische Prozessrecht im Gegensatz zum deutschen Prozessrecht auch die entgegenstehende Rechtskraft („cosa giudicata") nur kraft parteilicher Einrede verfolgt 409. Bei einem Unterlassen des Einwandes dürfte der Beklagte mit diesem spätestens bei Abschluss des ersten Verhandlungstermins präkludiert sein (Art. 183 c. p. c.), sofern ihm nicht bereits eine Ausschlussfrist für einenfrüheren Zeitpunkt gesetzt wurde (Art. 180 II 2 c. p. c.) 410 . Es mag zwar durchaus eingeräumt werden, dass italienische Gerichte von einem rechthängigen Verfahren im Ausland ohnehin nur durch die Parteien erfahren können411, dies betrifft; jedoch allein die Frage der Amtsermittlung und bedingt noch kein Antragserfordernis. Letzteres fuhrt jedoch dazu, dass die Parteien übereinkommen können, sowohl den späteren Prozess in Italien als auch denfrüheren Prozess im Ausland zu führen. Der im italienischen Verfahren Unterlegene könnte bei einem für ihn günstigeren Urteil im ausländischen Verfahren dieses in Italien anerkennen lassen, es sei denn das italienische Urteil erwächst vorher in Rechtskraft (Art. 64 e) IPRG). Die Rechtskraft des italienischen Urteils kann er allerdings durch Einlegung eines Rechtsmittels verhindern; auf diesem Weg kann jedoch auch die andere Partei eine Anerkennung der ausländischen Entscheidung blockieren (Art. 64 d) IPRG). Im Ergebnis kommt es damit zu einem „Wettlauf ' der beiden Verfahren im Hinblick auf die Rechtskräftigkeit der beiden Urteile. Die Konkurrenz der beiden Prozesse wird somit auf die Ebene des Anerkennungsrecht verlagert. Dies sollte jedoch gerade durch Art. 7 IPRG verhindert werden. Dieses Problem versucht die Literatur zu umgehen, indem sie den Art. 64 f) IPRG - entgegen seinem Wortlaut - auch auf die Fälle anwendet, in denen das italienische Verfahren später eingeleitet wird und es wegen fehlender Einrede nicht zu einer Aussetzung kommt412. Abgesehen vom eindeutigen Wortlaut der schlag Consolo , in RDI 1997, S. 51 wegen des eindeutigen Wortlautes. Kritisch zum Antragserfordernis auch Conetti , in Stud. iur. 1996, S. 722, Nr. 99 (Litispendenza). 408 Siehe dazu dd), bei Fn. 438 und ee), bei Fn. 469. 409 Siehe Satta , DPC, Nr. 121 a) und Picardi (Prestipino), Art. 324, Nr. 7; ebenso Koch, Unvereinbare Entscheidungen i. S. d. Art. 27 Nr. 3 und 3 EuGVÜ und ihre Vermeidung, Frankfurt a. M. 1993, S. 120 (Nr. 4). In der Literatur ist dies jedoch kritisiert worden (siehe Nachweise bei Picardi , a.a.O.). 410 I. d. S. Consolo , in RDI 1997, S. 51 ; s. a. c) cc), Fn. 494 zur analogen Anwendung des Art. 40 II c. p. c. im Rahmen des Art. 7 III IPRG. 411 Di Blase, in Convegno di Crotone, S. 196, Fn. 1 weist insofern auf die Tatsache hin, dass es dem italienischen Richter schwer fallen dürfte, ohne einen Antrag der Parteien vom ausländischen Verfahren Kenntnis zu erlangen; s. a. Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 21 EuGVÜ, Rn. 48 zum Beibringungsgrundsatz im Brüsseler Abkommen. Darüber hinaus unterstellt Di Balse, a.a.O. das Motiv des Gesetzgebers, durch das Antragserfordernis die Neuerung des Art. 7 IPRG in seiner Wirkung abzuschwächen. 412 1 , d. S. Attardi, in RDCiv. 1995, S. 774 f. und Consolo , in RDI 1997, S. 52 f.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Vorschrift würde man durch eine derartige Auslegung zum einen den in Art. 64 f) IPRG verankerten Prioritätsgrundsatz ins Gegenteil verkehren 413 und zum anderen die Konkurrenzfrage nicht wie gewünscht bei der Zulässigkeit von Verfahren behandeln. Es würde daher weiterhin zu Doppelprozessen kommen. Die Notwendigkeit eines Antrages bleibt somit in jedem Fall ein Mangel des Art. 7 I IPRG, so dass die Forderung nach einer amtlichen Berücksichtigung in der Sache zu begrüßen ist 414 .
(2) Anerkennungsprognose Dem Zusammenhang zwischen Rechtshängigkeits- und Urteilsanerkennung415 trägt der italienische Gesetzgeber in Art. 7 I IPRG durch das Erfordernis einer Anerkennungsprognose Rechnung. Die Vorschrift begründet insofern die richterliche Pflicht zu überprüfen, ob die ausländische Entscheidung in derselben Rechtssache „für die italienische Rechtsordnung Wirkung entfalten könnte"416. Die Einrede der Rechtshängigkeit zur Verhinderung von abweichenden Urteilen in Italien wird dadurch auf die Fälle beschränkt, in denen derartige Kollisionen überhaupt auftreten können, nämlich bei der Anerkennung des ausländischen Urteils in Italien. Die Aussetzung erfolgt somit gemäß Art. 7 I 1 IPRG nur bei einer vom Gericht selbst vorzunehmenden positiven Anerkennungsprognose417. Die Richter haben dabei die Wahrscheinlichkeit der in der Zukunft liegenden Anerkennung des ausländischen Urteils einzuschätzen418. Durch den in diesem Zusammenhang bestehenden Beurteilungsspielraum kommt es an dieser Stelle zu einer richterlichen Wertungsentscheidung, die im Hinblick auf einige Anerkennungsvoraussetzungen zumeist nur schwer zu treffen ist. Erst im Anschluss an diese Prognose kann die zwingende Rechtsfolge der Verfahrensaussetzung eintreten. Sofern sich die Beurteilung des Gerichts nicht bestätigen sollte, ist das Verfahren gemäß Art. 7 I 2 IPRG fortzusetzen; andernfalls ist die Klage als unzulässig abzuweisen419. Der Wortlaut des Art. 27 I EuGVO (= Art. 21 I EuGVÜ) fordert demgegenüber keine derartige Prognose. In ihr ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal 413 4,4 415
Siehe auch a) bb), Fn. 359 zur Parai lei Vorschrift des § 328 I Nr. 3 2. Alt. ZPO. Siehe Attardi in Fn. 407. Siehe a) bb), bei Fn. 354.
416
Art. 7 I 1 IPRG: „ ... il giudice italiano ... ritiene che il procedimento straniero possa produrre effetto per l ' ordinamento italiano ,... 417 Zum neuen Anerkennungsrecht siehe unter a) bb) und allgemein unter I. 2. a) bb). Ebenso iür das nationale deutsche IZPR (§ 261 III Nr. 1 ZPO) BGH 10. 10. 1985, in EWiR 1985, S. 1015. 418 Siehe dazu Ballarino, DIP 2, S. 128 und Pocar, in IPRax 1997, S. 149. 419 Siehe oben unter bb), bei Fn. 399.
§ 16 Verfahrensrecht
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der Vorschrift zu sehen, hat die Rechtsprechung und Literatur in Deutschland abgelehnt420. Neben dem Wortlautargument wird dies vor allem mit dem Grundsatz der ipso iure Anerkennung ausländischer Entscheidungen (Art. 33 I EuGVO = Art. 26 I EuGVÜ) und der daraus abzuleitenden größtmöglichen Freizügigkeit der Urteile mitgliedschaftlicher Gerichte begründet421. Das Argument der automatischen Urteilsanerkennung ist jedoch eher verfahrensrechtlicher Natur und betrifft die Schnelligkeit der Anerkennung; sie ändert nichts an dem Bestehen der Anerkennungshindernisse der Artt. 34, 35 EuGVO (= Artt. 27, 28 I EuGVÜ). Letztere ziehen eine ähnliche Grenze für die Freizügigkeit von Urteilen wie das nationale IZPR (Artt. 64, 65 IPRG)422. Durch Art. 27 EuGVO (= Art. 21 EuGVÜ) soll vielmehr allein die Durchführung eines „unnötigen" zweiten Prozesses und das Wirksamwerden von sich widersprechenden Entscheidungen in einem Vertragsstaat verhindert werden. Die Frage stellt sich jedoch nur bei einer Anerkennung des ausländischen Urteils. Der Grundgedanke der Anerkennungsprognose ist somit prinzipiell zu begrüßen. Die Überprüfung einer Anerkennung kann jedoch im Hinblick auf einige Anerkennungsvoraussetzungen nicht im Voraus getroffen werden; darüber hinaus besteht die Gefahr, dass zum Zeitpunkt der negativen Aussetzungsentscheidung bestehende Anerkennungshindernisse später wegfallen. Der Wert einer solchen Prognose wird somit zu Recht bezweifelt 423, so dass neben dem
420
BGH 8. 2. 1995, in NJW 1995, S. 1758 (1759) = RIW 1995, S. 413 = EuZW 1995, S. 378 = IPRax 1996, S. 192, in Nr. 4 der Entscheidungsgründe; ebenso Kropholler, EuZPR, Art. 27, Rn. 18; Geimer /Schütze, EuZVR, Art. 21, Rn. 16 m.w.N.; Schach, IZVR, Rn. 761; Isenburg-Epple, S. 87 - 90 und ausführlich Dohm, S. 150-161. Ebenso in der schweizerischen Literatur Wittibschlager, S. 128 zu Art. 21 LugÜbk. In der italienischen Literatur hat sich in der Vergangenheit Carbone, L'efficacia delle sentenze straniere nelle convenzioni multilaterali dell'Aja e di Bruxelles, in RDIPP 1969, S. 7 - 22 (14 - 16) für eine Anerkennungsprognose i. R. d. Art. 21 EuGVÜ ausgesprochen. Die von Carbone erwähnte Gefahr der Unzulässigkeitsabweisung trotz Fehlens einer anerkennungsfähigen Entscheidung wurde durch die neue Fassung des Art. 21 EuGVÜ, der den Grundsatz der Klageabweisung aufhebt (Fn. 374), entschärft. 421
422
Kropholler
(vorige Fußnote).
Siehe dazu I. 2.a)bb). 423 Eingehend weist Dohm, S. 152 - 158 auf die Möglichkeit hin, dass sich die Anerkennungshindernisse der Art. 27 Nr. 1, 2, 4, 5 und Art. 28 I EuGVÜ im Verlaufe des Verfahrens ändern können; eine Prognose im Hinblick auf Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (unvereinbare Entscheidungen) ist zudem zum Zeitpunkt der Zuständigkeitspüfung noch gar nicht möglich. Auch Consolo, in RDI 1997, S. 54 - 59 erwähnt bei den Anerkennungsvoraussetzungen des Art. 64 IPRG, dass der Fall des Art. 64 e) IPRG (= Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ = Art. 34 Nr. 3 EuGVO) zum relevanten Zeitpunkt noch nicht überprüft werden kann; dasselbe nimmt er richtigerweise auch für Art. 64 g) IPRG (= Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ = Art. 34 Nr. 1 EuGVO - öffentliche Ordnung) an.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
klaren Wortlaut des Art. 27 EuGVO die h. M. im Ergebnis zu begrüßen ist. Der EuGH hat sich zu dieser Frage bisher nicht geäußert424. Auf jeden Fall hat sich der italienische Gesetzgeber im Rahmen des Art. 7 I IPRG für eine Anerkennungsprognose entschieden, auch wenn das neue Anerkennungsrecht den Bestimmungen der EuGVO ähnelt. Dadurch wird unterstrichen, dass Rechtshängigkeiten bei Gerichten außerhalb der EG denselben bei mitgliedschaftlichen (Art. 27 EuGVO) oder gar innerstaatlichen Gerichten (Art. 39 I c. p. c.) nicht gleichzusetzen sind425. Das italienische Recht befindet sich damit in einer Linie mit dem autonomen IZPR anderer Staaten426 sowie den meisten bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen427. Eine Ausnahme bildet Art. 11 des italienisch-deutschen Vertrages; die in Art. 1 I des Abkommens vorgesehene Zuständigkeitsprüfung erfüllt jedoch teilweise diesselbe Funktion428.
dd) Der Streitgegenstandsbegriff
(„ il medesimo oggetto e il medesimo titolo ")
Wie bereits erwähnt 429, hat der italienische Gesetzgeber bei der Umschreibung des Streitgegenstandes in Art. 7 I 1 IPRG den Wortlaut des Art. 21 I EuGVÜ (= Art. 27 EuGVO) in seiner italienischen Fassung übernommen. Daraus könnte geschlossen werden, dass die Neuregelung an das weite Verständnis des EuGH 430 von der Identität des Verfahrensgegenstandes anknüpfen will.
424
Das von Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 21, Rn. 16 zitierte Urteil EuGH 27. 6. 1991, Rs. 351 / 89 (Fn. 390) enthält dazu keine Stellungnahme. 425 Siehe Kropholler, EuZPR, Art. 27, Rn. 18 und Schock, IZVR, Rn. 761 zur Argumentation i. R. d. Art. 27 EuGVO (= Art. 21 EuGVÜ). 426 Art. 9 I schweizerisches IPRG und § 65 ungarische IPR-VO; ebenso die ständige deutsche Rechtsprechung (BGH, in NJW-RR 1994, S. 642; 1992, S. 642 sowie NJW 1987, S. 3083 und NJW 1986, S. 2195). Siehe auch die „Vollstreckungsprognose" in Art. 31 II CMR (Fn. 375) zum staatsvertraglichen Recht. 427 Eine Anerkennungsprognose fordern die italienischen Verträge mit Österreich und Belgien; dasselbe gilt für die meisten Abkommen mit deutscher Beteiligung (siehe Dohm, S. 210, Fn. 12). Eine Ausnahme bildet das italienisch-deutsche Anerkennungsund Vollstreckungsabkommen (nächste Fußnote). Auch Art. 19 des itali enisch-französischen Vertrages verlangt keine derartige Prognose, die Vorschrift regelt jedoch den weiteren Bereich von zusammenhängenden Rechtsstreitigkeiten. Zu den italienischen Abkommen siehe aa), Fn. 378. 428 Siehe dazu Dohm, S. 223 und Geimer / Schütze, Int. Urt., Bd. I Hb. 2, S. 1648, Fn. 4. 429 Siehe bb), Fn. 400. 430 EuGH 8. 12. 1987, Rs. 144 / 86 - Gubisch ./. Palumbo, Slg. 1987, S. 4871 = NJW 1989, S. 665 = IPRax 1989, S. 157 = auf Italienisch in RDIPP 1988, S. 566 und EuGH 6. 12. 1994, Rs. 406 / 92 - Tatry ./. Maciej Rataj, Slg. 1994, I, S. 5439 = NJW 1995,
§ 16 Verfahrensrecht
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(1) Die Rechtsprechung des EuGH Bei der Frage nach demselben „Gegenstand" („oggetto") bzw. derselben „Grundlage" („titolo") 431 von Rechtsstreitigkeiten legt der Gerichtshof ersteren weit aus. Der EuGH verweist zwar bei der Bestimmung des „Gegenstandes" ähnlich wie das deutsche Zivilprozessrecht (Rechtsschutzziel)432 - auf den Zweck der Klage, stellt jedoch im Gegensatz zu den meisten nationalen Prozessordnungen nicht formell auf den Klageantrag433, sondern auf den „Kernpunkt" der Streitigkeit ab 434 . Ausländischen Verfahren wird insofern durch eine weite Definition des Streitgegenstandes ein verstärkter Einfluss auf die Durchführung eines inländischen Verfahrens eingeräumt. Der Gerichtshof unterstreicht dabei das allgemeine Ziel des Art. 21 EuGVÜ (= Art. 27 EuGVO), die Nichtanerkennung eines Urteils gemäß Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (= Art. 34 Nr. 3 EuGVO) zu vermeiden und insofern die Führung von Parallelprozessen zu verhindern 435. Konkret hat der Gerichtshof in den beiden einschlägigen Urteilen die Anspruchsidentität zwischen einer negativen Feststellungsklage und einer Leistungsklage im Hinblick auf dasselbe schuldrechtliche Rechtsverhältnis unabhängig von der Reihenfolge der Klagen bejaht436. Dieses Verständnis ist auch dem Art. 27 EuGVO zu Grunde zu legen437.
S. 1883 = JZ 1995, S. 616 mit Anm. P. Huber, S. 603 - 611= IPRax 1996, S. 108 mit Anm. Schach, S. 80 = auf Italienisch in RDIPP 1995, S. 485. Zusammenfassend zu den Urteilen aus italienischer Sicht siehe Consolo , in RDI 1997, S. 21 - 30. 431 EuGH 8. 12. 1987, Rs. 144 / 86 (Fn. 430), Nr. 14, 15 und EuGH 6. 12. 1994, Rs. 406 / 92 (Fn. 430), Nr. 38 - 44. Zu den verschiedenen sprachlichen Fassungen siehe bb), in Fn. 400. 432 Siehe in Fn. 451. 433 Ausführlich zur formalen Betrachtungsweise der nationalen Rechtsordnungen innerhalb der EG-Staaten Isenburg-Epple, S. 157 - 195 (zusammenfassend S. 193); zur deutschen Rechtsprechung siehe Hinweis in voriger Fußnote. 434 EuGH 8. 12. 1987, Rs. 144/86 (Fn. 430), Nr. 16, 17 (Wirksamkeit des Vertrages als „Kernpunkt") und EuGH 6. 12. 1994, Rs. 406 / 92 (Fn. 430), Nr. 43, 44 (Bestehen der Haftung als „Mittelpunkt" beider Verfahren; Leistungsklage insofern als „natürliche Folge" der Feststellungsklage). Ablehnend Dohm, S. 74 - 95 (lex fori-Auslegung) und Isenburg-Epple, S. 212-214 (autonome, aber enge Auslegung anhand formaler Kriterien wie in nationalen Verfahrensrechten); ausführlich zu den zustimmenden und ablehnenden Stimmen in der deutschen Literatur siehe Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 21, Rn. 29. Zum jüngsten Schrifttum siehe in Fn. 438. Zustimmend in der italienischen Literatur Campeis / De Pauli, La procedura 2, S. 217 - 219. 435 EuGH 8. 12. 1987, Rs. 144 / 86 (Fn. 430), Nr. 8, 9. Zum Zusammenhang von Rechtshängigkeit und Urteilsanerkennung siehe a) bb), bei Fn. 354. 436 Der Fall Gubisch behandelte den Fall der negativen Feststellungsklage zur Wirksamkeit eines Kaufvertrages im Anschluss an eine Leistungsklage auf Kaufpreiszahlung; der Fall Tatry betraf den umgekehrten Fall der vorangegangenen negativen Feststellungsklage zur Frage einer schadensersatzrechtlichen Haftung vor der Leistungsklage auf eben diesen Schadensersatz. Zu den Urteilen siehe Fn. 430.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Infolge dieser Rechtsprechung ergeben sich erhebliche Divergenzen zwischen den Streitgegenständen im Rahmen der Rechtshängigkeit (EuGH) und der Rechtskraft (nationale Rechtsordnungen)438. Dies kann zu einer Beendigung des Verfahrens beim zweitbefassten Gericht fuhren, ohne dass abzusehen ist, ob die identische Rechtsfrage im früher eingeleiteten Prozess rechtskräftig entschieden wird. Nachdem Art. 27 EuGVO (= Art. 21 EuGVÜ) als Rechtsfolge der anderweitigen Rechtshängigkeit keine unmittelbare Klageabweisung mehr vorsieht 439, sondern eine Aussetzung des Verfahrens, ist diese Gefahr zwar abgeschwächt worden, eine Unzuständigkeitserklärung erfolgt jedoch nach wie vor, sobald die Zuständigkeit des erstbefassten Gerichts feststeht (Art. 27 II EuGVO)440. Um einen ausreichenden und effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, müsste bei dieser Entscheidung der Rechtskraftumfang des Urteils beim Erstgericht berücksichtigt werden, wie es der EuGH in seiner neuesten Rechtsprechung vormacht441. Es dürfte jedoch schwierig werden, eine derartige „Rechtskraftprognose" zum Zeitpunkt der Zuständigkeitsentscheidung vorzu-
BGH, in NJW 1995, S. 1758 hat in einem dem Fall Tatry des EuGH ähnlichen Sachverhalt (Lei stungskl age nach Feststellungsklage) diese Rechtsprechung zu Art. 21 EuGVÜ angenommen, auch wenn die deutsche nationale Rechtsprechung vom Grundsatz des Vorranges der Leistungs- vor der Feststellungsklage ausgeht (siehe in Fn. 451). Die Unterschiede in der Rechtsprechung wiederholt erneut BGHZ 134, 201 = NJW 1997, S. 870(872). Auch die italienische Rechtsprechung hat die vom EuGH vorgenommene Auslegung bekräftigt (Cass. 12. 12. 1988, n. 6756, in RDIPP 1990, S. 134 und Cass. 15. 10. 1992, η. 11262, in RDIPP 1994, S. 93). 437 MüKo-ZPO (Gottwald), Art. 27 EuGVO, Rn. 1. 438 Kritisch insofern im jüngsten Schrifttum die Beiträge zur Tagung der Vereinigung der Zivilprozessrechtslehrer in Leipzig am 2. 4. 1998 von Rüßmann, in ZZP 1998, S. 399 (404 - 427) und Walker, ebenda, S. 429 (434 - 454) sowie den Tagungsbericht von Heiderhoff, ebenda, S. 455 - 462. Dabei wird betont, dass der weite Streitgegenstandsbegriff des EuGH vor allem mit der nach nationalem Recht zu bestimmenden Rechtskraft kollidiert. Zum Zusammenhang von Rechtskraft und Rechtshängigkeit s. a. die neueste EuGH-Rechtsprechung unter ee) und die kritische Besprechung dazu von Adolphsen (Fn. 469), S. 249 - 263 zu dieser Unstimmigkeit. Siehe dazu auch MüKoZPO (Gottwald), IZPR, Art. 21 EuGVÜ, Rn. 9. Zu weiteren Stimmen zur EuGHRechtsprechung siehe in Fn. 434. Zur Feststellung des Rechtskraftumfanges nach nationalem Recht siehe ee), Fn. 472; zu einer rechtsvergleichenden Untersuchung zur materiellen Rechtskraft siehe Koch (Fn. 438), S. 90 - 148. 439 Siehe aa), in Fn. 3 74 zu Art. 21 EuGVÜ a F. 440 Siehe i. E. zu den Rechtsfolgen der Rechtshängigkeit bb), bei Fn. 389, 393. Zur Zuständigkeitsprüfting in einem erstbefassten italienischen Verfahren siehe cc) (1), bei Fn. 410 m den Präklusionsvorschriflen des italienischen Prozessrechts. 441 Siehe unter ee), Fn. 469 zur Frage der Parteiidentität.
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nehmen442. Zudem würde man damit „durch die Hintertür" den nationalen Streitgegenstandsbegriff wieder in Art. 27 EuGVO einführen. Insofern ist das durch die Rechtssprechung des EuGH entstehende Rechtsschutzdefizit wohl hinzunehmen, was jedoch im Ergebnis vielfach den Kläger dazu zwingen wird, unter erneuter Tragung des Kostenrisikos beim Zweitgericht ein wiederholtes Verfahren anzuberaumen, sofern die Rechtskraftwirkung der Erstentscheidung sein Klageziel nicht mitumfasst. Es bleiben insofern Bedenken, ob eine derart unterschiedliche Definition des Streitgegenstandes in den Bereichen der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft akzeptiert werden kann. Aktuell ist allerdings die Existenz dieser EuGH-Rechtsprechung als Faktum hinzunehmen und bei der Anwendung des Art. 7 I IPRG zu berücksichtigen.
(2) Der Streitgegenstand im italienischen Prozessrecht Im Gegensatz zur Judikatur des EuGH geht Art. 39 I c. p. c. für die Rechtshängigkeit („litispendenza") im Rahmen des nationalen italienischen Prozessrechts443 von einer engen Definition des Streitgegenstandsbegriffes („stessa causa") aus. Gegenstand (petitum) und Grundlage (causa petendi) von Rechtsstreitigkeiten müssen sich vollständig decken. An die Kongruenz des Klagegegenstandes werden dabei hohe Anforderungen gestellt444. Identität besteht im Gegensatz zur Rechtsprechung des EuGH - insbesondere nicht zwischen Leistungs- und Feststellungsklagen, da durch sie unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen begehrt werden445. Eine partielle Rechtshängigkeit nach Art. 39 II c. p. c. 446 liegt dagegen vor, wenn der Antrag (petitum) des einen Verfahrens in dem des anderen Verfah442
Dies gilt insbesondere dann, wenn man den weiten Streitgegenstandsbegriff in Art. 7 I IPRG übernimmt und somit eine Rechtskraftprüfung bei Verfahren auch in Staaten außerhalb der EG vornehmen muss. Zu den Schwierigkeiten einer Prognose siehe auch den ähnlichen Fall der Anerkennungsprognose unter cc) (2). 443 Siehe unter a) cc). 444 Eine Übersicht der italienischen Rechtsprechung bietet Picardi (Pistacchio), Art. 39, Nr. 3; allgemein zum Streitgegenstandsbegriff im italienischen Prozessrecht Liebmann, S. 184 - 187 (Nr. 87); Sorace, in Enc. Dir., XXIV, Litispendenza (dir. proc. civ.), S. 840 (847 - 853, Nr. 3) und zusammenfassend Isenburg-Epple, S. 169 - 174. 445 Siehe zum sog. petitum immediato (unmittelbarer Antrag) Picardi (Pistacchio), Art. 39, Nr. 3; Liebmann, S. 186 und Isenburg-Epple, S. 170 f. Die italienische Lehre differenziert beim Gegenstand der Klage (petitum) zwischen dem Antrag an das Gericht (petitum immediato), eine bestimmte Entscheidung / Maßnahme zu erlassen (identità del provvedimento chiesto), und dem Begehren gegenüber der Gegenpartei (petitum mediato) zur Leistung eines bestimmten Rechtsgutes (identità del bene domandato). Sofern einer dieser beiden Anträge vom anderen abweicht, fehlt es bereits an der Identität der Streitgegenstände. 446 Siehe a) cc), bei Fn. 362.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
rens enthalten ist, so dass lediglich ein quantitatives Minus gegeben ist 4 4 7 . Derartige Fälle unterliegen im Rahmen des IPRG auch dem Anwendungsbereich des Art. 7 I IPRG 4 4 8 . Dies entspricht dem - jedoch umstrittenen - Verständnis der „continenza" (Art. 39 II c. p. c.) als Unterfall der „litispendenza" (Art. 39 I c. p. c.) 4 4 9 . Über die Rechtsfigur der „continenza" dürfte man im italienischen Prozessrecht zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie im deutschen Verfahrensrecht 450 . Einer negativen Feststellungsklage steht somit eine vorangegangene Leistungsklage aus demselben Rechtsverhältnis entgegen 451 . Z. T.
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Cass. 15. 10. 1992, n. 11262, in RDIPP 1994, S. 96. Ebenso Picardi (Pistacchio),
Art. 39, Nr. 8 und 10; CCT ÇPar imbelli ), Art. 39, II. 2. und Fabi, in Enc. Dir. IX,
Continenza di cause, S. 649 f.; s. a Isenburg-Epple, S. 174 und Lüpfert, S. 103. Die Rechtsprechung hat Art. 39 II c. p. c. jedoch lange Zeit auch bei einer Teilidentität der causae petendi angewendet (Cass. 5. 6. 1984, n. 3397, in Giust. civ. 1984, I., S. 3331 (3336); zu weiteren Nachweisen siehe Picardi (Pistacchio ), Art. 39, Nr. 9 und CCT (Parimbelli), Art. 39, II. 4.). In späteren Urteilen ist der Corte di Cassazione allerdings von dieser Rechtsprechung abgerückt (Cass. 16. 4. 1992, n. 4683 und Cass. 11.6. 1993, n. 6536 zitiert nach Picardi (Pistacchio), Art. 39, Nr. 9). 448 1, d. S. Di Blase, Com., NLCC, S. 951 und dies. in Convegno di Crotone, S. 204; a. A. CT (Costantino ), Art. 7, I. 4. Erstere spricht sich i. R d. Art. 7 I IPRG für eine Auslegung i. S. d. Art. 21 EuGVÜ (= Art. 27 EuGVO) aus; Costantino will hingegen lediglich den Regelungsbereich des Art. 39 I c. p. c. übernehmen (zu beiden siehe Fn. 457 bzw. Fn. 461). Zur Teilidentität i. R d. Art. 21 EuGVÜ siehe Geimer /Schütze, EuZPR, Art. 21, Rn. 35. 449 Zu Nachweisen zur uneinheitlichen Rechtsprechung des Corte di Cassazione siehe Picardi (Pistacchio), Art. 39, Nr. 8; der Kassationshof tendiert jedoch ebenso wie die h. Lit. verstärkt zur Nähe von „continenza" und „litispendenza", so dass erstere als „teilweise Rechtshängigkeit" bezeichnet wird (Fabi, in Enc. Dir. IX, Continenza di cause, S. 650 und Nachweise bei Pistacchio, a.a.O.; s. a. CCT (Parimbelli), Art. 39, II. 1.). Siehe auch Lüpfert, S. 104 zu dieser wegen den unterschiedlichen Rechtsfolgen der Absätze I und II des Art. 39 c. p. c. und der gleichen Rechtsfolge in Artt. 39 II, 40 c. p. c. strittigen Frage; zu den Rechtsfolgen siehe a) cc) und hier in Fn 454. 450 I. d. S. Consolo, in RDI 1997, S. 48 mit Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH. 451 Das deutsche Prozessrecht geht im Verhältnis der Leistungsklage zu einer negativen Feststellungsklage von einer Streitgegenstandsidentität aus, sofern erstere Klage früher erhoben wurde (BGH, in NJW 1989, S. 2064 f. m.w.N.; ebenso MüKo-ZPO (Luke), Art. 261, Rn. 65 und Stein / Jonas (Schumann), Art. 261, Rn. 62, bei Fn. 111). Die Feststellungsklage wird insofern als ein Minus zur Leistungsklage eingestuft; abgestellt wird jedoch - im Gegensatz zu Art. 39 II c. p. c. im italienischen Recht - auf die Identität des Rechtsschutzziels der Klagen und nicht auf den formellen Antrag. Im umgekehrten Fall der vorangegangenen Feststellungsklage besteht jedoch keine Streitgegenstandsidentität im Verhältnis zu einer früheren Leistungsklage (BGH, in NJW 1989, S. 2064; ebenso Lüke, a.a.O., Rn. 66 und Schumann, a.a.O., bei Fn. 113); vielmehr soll der Feststellungsklage dadurch das Feststellungsinteresse entzogen werden (siehe BGH 11. 12. 1996 (Fn 436) und Hinweise zu h. M. von Lüke, a.a.O., Rn. 66 und Schumann, a.a.O., Fn. 114 (letzterer i. E., a.a.O., § 256, Rn. 126), die beide dieser Ansicht jedoch widersprechen). Zur Kritik am späteren Wegfall des Feststellungsinteresses siehe in Fn. 465.
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wird im italienischen Prozessrecht jedoch bei einem derartigen Sachverhalt sehr formalistisch auf die Verfahrensanträge abgestellt 452 , ohne das Klageziel im Auge zu behalten. Der Streitgegenstand wird dadurch unnötig eingeengt. Sofern die italienische Rechtsprechung den Anwendungsbereich des Art. 39 II c. p. c. auf Fälle einer sog. „pregiudizialità logica" ausdehnt 453 , wird dies dem Rechtsinstitut der „continenza" nicht gerecht. Nachdem das Motiv fiir diese Erweiterung 454 auf internationaler Ebene nicht von Relevanz ist, sollte man zumindest in derartigen Fällen Art. 7 I I I IPRG bzw. Art. 28 EuGVO (= Art. 22 EuGVÜ) anwenden 455 .
(3) Der Streitgegenstandsbegriff in Art. 7 I IPRG Bei der Klärung der Frage, in welchem Sinne der Streitgegenstandsbegriff des Art. 7 I IPRG zu verstehen ist, gilt es zunächst festzuhalten, dass es sich bei der Vorschrift um eine selbständige nationale Regelung handelt, deren Rechtsbegriffe nach der italienischen lex fori auszulegen sind 4 5 6 . Dies führt jedoch
Auch i. R. v. Art. 9 schweizerisches IPRG verneint das schweizerische Bundesgericht eine Identität zwischen einer negativen Feststellungsklage und einer späteren Leistungsklage (BGE 105, II, S. 223); ablehnend Wittibschlager, S. 82 - 86. 452 Die italienischen Regierung ist in ihrer Stellungnahme zu EuGH 8. 12. 1987, Rs. 144 / 86 (Fn. 430), Slg. 1987, S. 4865 gemäß nationalem Recht von einem Fall der Konnexität ausgegangen und hat sich insofern auch i. R. d. EuGVÜ ftir die Anwendung des Art. 22 ausgesprochen. Auch Broggi, in Giust. civ. 1988, I., S. 2166 verneint in seiner Kommentierung zu dem Urteil das Bestehen einer „continenza" nach italienischem Verständnis und verweist vielmehr auf Art. 34 c. p. c. (ebenso Isenburg-Epple, S. 175 f.). Broggi, a.a.O. geht im Fall Gubisch (zum Sachverhalt siehe Fn. 436) nicht von einem Minus der späteren Feststellungsklage aus, da durch diese die Unwirksamkeit des Vertrages festgestellt werden sollte und nicht die Vertragsauflösung; nur bei letzterer sieht er die Existenz eines Vertrages als Voraussetzung für das Feststellungsurteil. Er spricht insofern im vorliegenden Fall von einer „pregiudizialità in senso logico" der beiden Verfahren (siehe nächste Fußnote zur Rechtsprechung). 453 Picardi (Pistacchio), Art. 39, Nr. 10 und CCT (Parimbelli), Art. 39, II. 3. beide m.w.N. zur Rechtsprechung; s. a. Lüpfert, S. 103. Im Einzelnen dazu siehe Menchini, in Enc. Dir. XLIII, Sospensione (processo civile di cognizione), S. 8 f. 454 Lüpfert, S. 103, bei Fn. 82 verweist darauf, dass der Grund für diese Ausdehnung darin liegt, dass die Verfahrensverbindung i. R. d. Art. 40 c. p. c. - im Gegensatz zu Art. 39 II c. p. c. - nur im eingeschränkten Umfang möglich ist. Art. 40 II c. p. c. beschränkt die Verbindungsmöglichkeit zeitlich auf die erste gerichtliche Verhandlung und sachlich auf die Fälle, in denen die Verfahrenslage eine einheitliche Entscheidung noch erlaubt; zur analogen Anwendung der Vorschrift im internationalen Bereich siehe c) cc), Fn. 494. 455
Ebenso Consolo , in RDI 1997, S. 50. Allgemein dazu siehe § 18 II.; ebenso die Rechtsprechung und h. Lit. zu Art. 9 I schweizerisches IPRG (Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 9, Rn. 10 und Wittib456
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
nicht zwingend dazu, dass Art. 7 I IPRG entsprechend dem nationalen Prozessrecht (Art. 39 1 c. p. c.) zu interpretieren ist. Durch eine weitere Auslegung des Streitgegenstandsbegriffes könnte vielmehr dem internationalen Charakter des Art. 7 I IPRG und dessen Anlehnung an Art. 21 EuGVÜ (nunmehr Art. 27 EuGVO) Rechnung getragen werden. Für eine entsprechende Auslegung des Art. 7 I IPRG würde vor allem der mit Art. 27 EuGVO identische Wortlaut der Vorschrift zur Umschreibung der Streitgegenstandsidentität sprechen457. Zudem ergeben sich durch die zur EuGVO parallele Ausgestaltung des Anerkennungsrechts im IPRG dieselben Probleme wie im Rahmen der EuGVO458. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der weite Streitgegenstandsbegriff des EuGH im Kontext des Gemeinschaftsrechts zu sehen ist. Die Auslegung des Gerichtshofes basiert auf der Wertung, den Verfahren in den anderen Mitgliedsstaaten einen (ungewöhnlich) hohen Einfluss auf eigene Prozesse einzuräumen459. Es erscheint insofern höchst fraglich, ob der italienische Gesetzgeber dieses Verständnis - das selbst innerhalb der Gemeinschaft auf große Kritik gestoßen ist 460 - im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten der EG übernehmen wol Ite 461 . Es muss abgewartet werden, ob sich die italienische Rechtsprechung im Rahmen des Art. 7 I IPRG dem Verständnis des EuGH anschließen wird. Erwogen wird die Übernahme des weiten Verfahrensgegenstandsbegriffs in nationales Prozessrecht auch außerhalb Italiens462. Eine einheitliche Auslegung schlager, S. 79 m.w.N. zur Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts) sowie zum deutschen nationalen IZPR Stein / Jonas (Schumann), § 261, Rn. 12. 457 Insofern für eine parallele Auslegung Di Blase, Com., NLCC, S. 950; dies., in Convegno di Crotone, S. 202 f.; Ballarino, DIP 2, S. 128 und im Anschluss an diesen auch Kindler, in RabelsZ 1997, S. 251. Pocar, in IPRax 1997, S. 149 ist hingegen der Meinung, dass infolge der Tatsache, dass Art. 7 IPRG dem Art. 21 EuGVÜ nachempfunden wurde, nicht „notwendigerweise" die Auslegungen des EuGH zu übernehmen sind. 458 Im Rahmen der Rechtshängigkeit ist vor allem die Parallele zwischen Art. 34 Nr. 3 EuGVO (= Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ) und Art. 64 e) IPRG zu beachten. Zu Art. 34 Nr. 3 EuGVO im Zusammenhang mit Art. 27 EuGVO siehe bei Fn. 435. 459 Siehe bei Fn. 434. 460 Siehe in Fn. 434. 461 Insofern für eine Auslegung i. S. d. nationalen Rechts Luzzatto, Com., RDIPP, S. 946; Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 230 oben; CT (Costantino), Art. 7, I. 3. (wie Art. 39 I c. p. c.); Consolo, in RDI 1997, S. 45 und Munari, in JbltR 9 (1996), S. 46 f. 462 Siehe zum österreichischen Prozessrecht Böhm, Der Streitgegenstandsbegriff des EuGH und seine Auswirkungen auf das österreichische Recht, in Bajons / Mayr / Zeiler (Hrsg.), Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano, Wien 1997, S. 141 (155 - 159) und für das deutsche Verfahrensrecht Zeuner, Zum Verhältnis zwischen internationaler Rechtshängigkeit nach Art. 21 EuGVÜ und Rechtshängigkeit nach den Regeln der ZPO, in FS Lüke, S. 1003 (1016). Siehe auch den Art. 2.2.2.3. der „Vorschläge zum europäi-
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des Begriffes im Rahmen der EuGVO und der nationalen IZPR-Regelungen ist im Ergebnis anzustreben. Dies bedingt sich bereits durch die Disharmonien zwischen den Fragen der Rechtshängigkeit (EuGVO) und Rechtskraft (nationales Prozessrecht)463. Über den Weg zu einer solchen Vereinheitlichung kann im Einzelnen zwar trefflich gestritten werden, solange der EuGH seine Rechtsprechung jedoch aufrechterhält 464, werden sich die nationalen Verfahrensordnungen im Zugzwang befinden 465. Das Ergebnis dieser Auslegung bestimmt - parallel zum Verhältnis der Artt. 27, 28 EuGVO (= Artt. 21, 22 EuGVÜ) die Abgrenzung zwischen den Absätzen I, II (pendenza) des Art. 7 IPRG auf der einen und des Absatzes III (pregiudizialità) der Vorschrift auf der anderen Seite466.
ee) Die Parteiidentität
Die Frage der Identität der beteiligten Personen hat bisher keine schwerwiegenden Probleme aufgeworfen. Klargestellt wurde lediglich, dass es dabei nicht auf die prozessuale Rolle der Parteien als Kläger oder Beklagter ankommt, sondern auf die Identität der betroffenen Personen467.
sehen Zivilprozeßrecht", in ZZP 1996, S. 350, der sich an Art. 21 EuGVÜ orientiert („ même objet et la même cause" - zum selben Wortlaut in Art. 21 EuGVÜ siehe Hinweis in Fn 400). Die „Vorschläge" gelten als Modellentwürfe mittels derer die Mitgliedsstaaten der EG ihr nationales Zivilprozessrecht überprüfen und gegebenenfalls ersetzen sollen; siehe dazu die Berichte von Roth, in ZZP 1996, S. 271 - 313 und Schilken, ebenda, S. 315 - 336. 463 Siehe bei Fn. 438. 464 Allgemein zur BindungsWirkung der EuGH-Urteile siehe § 19 II. 4. 465 Zu Vorschlägen einer Angleichung des nationalen Rechts siehe Fn. 462; s. a. Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 21, Rn. 30. Eine Angleichung der nationalen Verfahrensordnungen an die bisherige Rechtsprechung des EuGH wird jedoch in der deutschen Literatur insofern erwogen, als man das von der Rechtsprechung aufgezeigte Verhältnis von negativer Feststellungs- und späterer Leistungsklage (in Fn. 451) in Frage stellt. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang, dass die Feststellungsklage nachträglich für unzulässig erklärt werden soll (Rüßmann, S. 414 und Walker, S. 454 [beide in Fn. 438] sowie Adolphsen [Fn. 469], S. 262); zur Kritik s. a. Lüke und Schumann (beide in Fn. 451). 466 Siehe auch bei Fn. 449 zur Einordnung der „continenza" (Art. 39 II c. p. c.) und unter c) zu Art. 7 ΠΙ IPRG. 467 Zu Art. 21 EuGVÜ (= Art. 27 EuGVO) siehe EuGH 6. 12. 1994, Rs. 406 / 92 (Fn. 430), Rn. 31; Kropholler, EuZPR, Art. 27, Rn. 4; MüKo-ZPO (Gottwald), IZPR, Art. 21 EuGVÜ, Rn. 11 und ausführlich Dohm, S. 146 - 150. Ebenso zu Art. 7 I IPRG Di Blase, Com., NLCC, S. 950, Nr. 3 Anfang und zu Art. 9 des schweizerischen IPRG
Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 9, Rn. 11.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Die neueste Rechtsprechung des EuGH stellt bei der Frage der Parteiidentität erstmals 468 auf die Rechtskraft der betreffenden Urteile ab 4 6 9 . Verschiedene Personen können demzufolge als einheitliche Partei im Sinne des Art. 27 EuGVO (= Art. 21 EuGVÜ) angesehen werden, sofern das Urteil, das gegen den einen ergeht, Rechtskraft gegenüber dem anderen entfaltet 470 . Der EuGH trägt insofern dem Zusammenhang zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft Rechnung 471 . Es gilt jedoch zu beachten, dass der Umfang der Rechtskraft einer Entscheidung nach der lex fori des Urteilsstaates zu bestimmen ist 4 7 2 .
c) Art. 7 III IPRG (Präjudizialität)
aa) Vergleichbare
Regelungen
In seinem Absatz III regelt Art. 7 IPRG den Fall der Präjudizwirkung 473 ausländischer Entscheidungen und eröffnet italienischen Gerichten ebenfalls die Möglichkeit einer Verfahrensaussetzung. Die Vorschrift lehnt sich an Art. 28 I EuGVO (= Art. 22 I EuGVÜ - Zusammenhang) an und findet eine Parallele in 468 Bisher hat der EuGH i. R. d. Rechtshängigkeitsprüfung den Rechtskraftumfang der Entscheidungen unberücksichtigt gelassen; bei der Frage der Unvereinbarkeit in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ (= Art. 34 Nr. 3 EuGVO), der im Zusammenhang mit Art. 21 EuGVÜ (= Art. 27 EuGVO) zu sehen ist (siehe Fn 435), wurde darauf abgestellt, ob sich die materiellrechtlichen Ergebnisse der Urteile widersprechen (EuGH 4. 2. 1988, Rs. 145 / 86 - Hoffmann ./. Krieg, Slg. 1988, S. 645 (668 - Nr. 22). 469 EuGH 19. 5. 1998, Rs. 351 / 96 - Drouot ./. CMI u. a., Nr. 19, in EuZW 1998, S.443 = EWS 1998, S. 261 = ZZPInt. 1998, S. 246 - 249 mit kritischer Besprechung
von Adolphsen, S. 249 - 363. Zu dem Urteil s. a. Henssler / Dedek, in EWiR 1998,
S. 499. 470
EuGH 19. 5. 1998, Rs. 351 / 96 (vorige Fußnote), Rn. 19. Zur Rechtskrafterstreckung in der deutschen ZPO siehe die §§ 325 I, 636a, 638 S. 2 , 640h, 856 IV ZPO. 471 Siehe dazu dd), bei Fn 438. 472 EuGH 4. 2. 1988, Rs. 145 / 86 (Fn. 468), S. 666 (Nr. 11) verweist richtigerweise darauf, dass die Wirkungen eines ausländischen Urteils i. R. d. Anerkennung (Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ = Art. 34 Nr. 3 EuGVO) - d. h. auch der Umfang seiner Rechtskraft sich nach dem Prozessrecht des Erlassstaates richtet. In der neuen Rechtsprechung des EuGH (Fn. 469) wird ζ. T. eine Abweichung von diesem Verständnis gesehen (i. d. S. Adolphsen [Fn. 469], S. 251, bei Fn. 10>; der Gerichtshof verweist zwar in der Sache systemkonform auf die Prüfung durch das nationale Gericht (EuGH 19. 5. 1998, Rs. 351 / 96 [Fn. 469], Nr. 23) nimmt jedoch im konkreten Fall wegen der „Offensichtlichkeif 4 der Frage (Nr. 23: „scheint es somit nicht möglich zu sein") eine eigene Beurteilung des Falles vor. Zur gelegentlichen Überschreitung seiner Kompetenzen durch den EuGH, trotz Unterstreichung der ZuständigkeitsVerteilung zu den nationalen Gerichten s. a. § 18 I. 2. b) aa), bei Fn. 59. 473 Zur Abgrenzung zu Art. 39 II c. p. c. („continenza") siehe a) cc), Fn 453.
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Art. 11 II EheVO 474 . Auch im deutschen IZPR spricht sich die h. M. bei der Präjudizialität ausländischer Entscheidungen für eine Aussetzung gemäß § 148 ZPO aus 475 . Im schweizerischen IPRG wird erwogen, die Rechtshängigkeitsvorschrift von Art. 9 schweizerisches IPRG - entgegen ihrem Wortlaut - auch für zusammenhängende Klagen anzuwenden476. Im bisherigen italienischen IZPR wurde der Sachzusammenhang von Verfahren nur einseitig zugunsten der italienischen IZ berücksichtigt (Art. 4 Nr. 3 c. p. c.) 4 7 7 . Neben der EuGVO enthält zudem das italienisch-französische Vollstreckungsabkommen eine entsprechende Regelung 478 . Im nationalen Prozessrecht behandeln Art. 40 c. p. c. („connessione") und Art. 295 c. p. c. („sospensione necessaria") 479 Fälle des Zusammenhangs und der Präjudizialität.
474 Art. 11 II EheVO schreibt eine Verfahrensaussetzung des später befassten Gerichts vor, sofern Anträge auf Scheidung, Trennung oder Ungültigerklärung einer Ehe vor dem Gericht eines anderen Mitgliedsstaates bereits gestellt sind, ohne das eine Identität der Streitgegenstände angenommen werden kann. Der Bericht von Borräs (Fn. 60), Nr. 54 spricht dabei von „abhängigen Verfahren"; zu dem Abkommen siehe 3. a), Fn. 60. 475 OLG Frankfurt 12. 11. 1985, in NJW 1986, S. 1443 und Stein / Jonas {Roth), § 148, Rn. 140 - 144; ebenso Zöller {Greger), § 148, Rn. 6 und Thomas / Putzo {Reichold), § 148, Rn. 4. Dies soll jedoch nur soweit gelten, als der Justizgewährungsanspruch durch eine derartige Verzögerung nicht unzumutbar beeinträchtigt wird (OLG Frankfurt, a.a.O.); ebenso einschränkend Geimer, IZPR, Rn. 2714, der darüber hinaus (Rn. 2715) eine Aussetzung nur dann bejaht, wenn das ausländische Gericht infolge seines eigenen IPR voraussichtlich dieselbe lex causae anwenden wird, weil die ausländische Entscheidung nur dann „hilfreich" sein kann (umgekehrt Consolo in der italienischen Literatur - Fn. 485). BGH 10. 10. 1985 {Fn. 417), S. 1015 wendet darüber hinaus auch im Falle der Streitgegenstandsidentität § 148 ZPO analog an; demzufolge steht es im Ermessen des Gerichts zu entscheiden, ob die Klage abzuweisen oder das Verfahren erst einmal auszusetzen ist. 476
Wittibschlager,
Rn. 6, 7.
S. 106 f.; a. A. wohl Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 9,
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Art. 4 c. p. c.: „Lo straniero può essere convenuto davanti ai giudici della Repubblica ... „) se la domanda è connessa con altra pendente davanti al giudice italiano ,
Allgemein zu Art. 4 c. p. c. siehe 2. a), Fn. 49. 478 Siehe b) aa), in Fn. 378 m Art. 19 des italienisch-französischen Anerkennungsund Vollstreckungsabkommens. 479 Zu beiden Vorschriften siehe unter a) cc). Bei Art. 295 c. p. c. betont die italienische Literatur im Anschluss an Attardi (siehe Menchini {Fn. 453), S. 13-15 [Nr. 6]), dass „dipendenza" i. S. d. Vorschrift als Präjudizialität zu verstehen ist (zu den Stimmen in der Literatur siehe Menchini, a.a.O., S. 12, Fn. 63 und Picardi {Santagada), Art. 295, Nr. 3).
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
bb) Einordnung im IPRG
Art. 7 III IPRG bildet in gewisser Weise - ebenso wie Art. 28 EuGVO im Verhältnis zu Art. 27 EuGVO - einen ,Auffangtatbestand" für den Fall der fehlenden Partei- oder Streitgegenstandsidentität. Sein Anwendungsbereich hängt daher grundlegend von der Auslegung des Art. 7 I IPRG ab 480 . Abzugrenzen ist Art. 7 III IPRG jedoch auch von Art. 6 IPRG, der für Vorfragen eine Zuständigkeit von italienischen Gerichten zur Inzidentprüfung begründet481. Nachdem Art. 7 III IPRG - ebenso wie Art. 28 EuGVO - als Rechtsfolge für den internationalen Bereich notwendigerweise eine Aussetzung des Verfahrens vorsieht, geht es um die Frage, wann eine solche vorzunehmen ist (Art. 7 III IPRG) und wann das italienische Gericht die relevante Frage Inzident selbst entscheiden kann (Art. 6 IPRG). Da eine Aussetzung im Rahmen des Art. 7 III IPRG - im Gegensatz zu Art. 295 c. p. c. und in Übereinstimmung mit Art. 28 EuGVO - nur fakultativ zu erfolgen hat, stehen dem Gericht grundsätzlich beide Möglichkeiten zur Verfügung. Die Literatur zu Art. 295 c. p. c. verweist jedoch auf die Abneigung der zivilrechtlichen Praxis gegen das Instrument der Aussetzung, da diese eine Verzögerung des Verfahren mit sich bringt. Die Vorschrift wird demzufolge insoweit eng ausgelegt, als eine Aussetzung nur dann erfolgen kann, wenn eine gleichzeitige Klärung der Rechtsfragen durch eine Inzidentprüfung oder eine Verfahrensverbindung (Artt. 34, 40, 274 482 c. p. c.) nicht in Betracht kommt483. Daraus könnte für das IPRG abgeleitet werden, dass die Inzidentprüfung nach Art. 6 IPRG im Regelfall der Aussetzung gemäß Art. 7 III IPRG vorzuziehen ist 484 . In der Sache sollte jedoch bei der Ermessensentscheidung je nach Einzelfall gemäß prozessökonomischen und materiellrechtlichen Gesichtspunkten über die Aussetzung entschieden werden485. Im Rahmen der sachrechtlichen Prüfung ist - ähnlich wie 480
Auch im nationalen italienischen Prozessrecht wird davon ausgegegangen, dass eine Aussetzung nach Art. 295 c. p. c. im Falle der Rechthängigkeit gemäß Art. 39 c. p. c. nicht in Betracht kommt (Mene hi ni [vorige Fußnote], S. 6 - 9, Nr. 3). 481 Siehe dazu unter 8. b). 482 Zu Art. 274 c. p. c. siehe a) cc), in Fn. 369. 483 Picardi (.Santagada), Art. 295, Nr. 3 mit Hinweis auf Cass. 11.5. 1989, n. 1719; Menchini (Fn. 453), S. 32 - 36 (Nr. 15). Siehe auch bei der Kommentierung zum IPRG Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 234, Fn. 99 und Di Blase, Com., NLCC, S. 951 f. mit Beispielen zur Unmöglichkeit der Verbindung (S. 965 - verschiedene Instanzen, Präklusion der Verbindung, ausschließliche Zuständigkeiten). 484 I. d. S. Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 233 f. und Di Blase, Com., NLCC, S. 965 1. Sp.; a. A. Consolo , Com., NLCC, S. 944, Nr. 6 Ende und ders., in RDI 1997, S. 69, der in Art. 7 III IPRG eine im Verhältnis zu Art. 6 IPRG spezielle Vorschrift sieht (i. E. zu Consolo siehe in der nächsten Fußnote). 485 Consolo, in RDI 1997, S. 69 f. will insofern prüfen, ob das ausländische Urteil in nächster Zeit zu erwarten ist und dieses anerkannt werden kann, bevor im inländischen Verfahren ein eigenes Urteil ergeht. Eine Aussetzung soll jedoch auch dann erfolgen,
§ 16 Verfahrensrecht
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bei der Rechtshängigkeit nach Art. 7 I IPRG und im Rahmen des Art. 28 EuGVO486 - zu untersuchen, ob sich durch eine eigene Inzidentprüfimg die Gefahr von widersprechenden Entscheidungen ergibt, so dass dem ausländischen Urteil eine Anerkennung über Art. 64 e) IPRG versagt werden müsste. Diese Abwägungen sind sowohl allgemein bei der Aussetzungsfrage zu treffen als auch bei der Abgrenzung zu Art. 6 IPRG und entsprechen den Grundsätzen im Rahmen des Art. 28 EuGVO.
cc) Vergleich mit Art. 28 EuGVO
Die Berücksichtigung ausländischer Verfahren wird in Art. 7 III IPRG grundsätzlich enger gesteckt als in der EuGVO.
Zum einen ist der Begriff des „Zusammenhangs" (Art. 28 III EuGVO = Art. 22 III EuGVÜ) weiter zu sehen als die „Präjudizialität" nach Art. 7 III IPRG. Eine Aussetzung nach der staatsvertraglichen Vorschrift setzt keine Abhängigkeit des inländischen Verfahrens von einer im ausländischen Prozess zu treffenden Entscheidung voraus, sondern lediglich die Gefahr von sich widersprechenden Entscheidungen, die sich nicht unbedingt gegenseitig ausschließen müssen487. Der EuGH betont dabei die grundsätzlich weite Auslegung des Begriffes 488 und verfolgt das Ziel einer Harmonisierung der innerhalb der Gemeinschaft erlassenen Urteile. Zum anderen verlangt Art. 7 III IPRG wie Absatz I der Vorschrift bei der Rechtshängigkeitseinrede eine Anerkennungsprognose durch das italienische Gericht 489. In Übereinstimmung mit Art. 28 EuGVO liegt die Aussetzungsentscheidung im Rahmen des Art. 7 III IPRG im Ermessen der italienischen Gerichte, während Art. 295 c. p. c. im nationalen Bereich eine entsprechende Verpflichtung
wenn für die präjudizielle Frage im ausländischen Recht eine andere Rechtsordnung zur Anwendung kommt als nach italienischem IPR (umgekehrt Geimer im deutschen IZPR - Fn. 475). 486
Zur Rechtshängigkeit siehe b) dd), bei Fn. 435 zu Artt. 21, 27 Nr. 3 EuGVÜ (= Artt. 27, 34 Nr. 3 EuGVO); zu den Abwägungskriterien bei Art. 28 EuGVO (= Art. 22 EuGVÜ) siehe Kropholler, EuZPR, Art. 28, Rn. 10 (Arbeits- und Kostenaufwand, Verfahrensdauer, Beweisnähe, Parteiinteresse, Zuständigkeit des Erstgerichts, Anerkennungsfahigkeit). 487 EuGH 6. 12. 1994, Rs. 406 / 92 (Fn. 430), Nr. 53, 58. Zur Unterscheidung s. a die Abgrenzung zwischen § 147 (rechtlicher Zusammenhang) und § 148 (Präjudizialität) ZPO im deutschen Prozessrecht (für alle Thomas / Putzo (Re ichold), § 148, Rn. 3). 488 EuGH 6. 12. 1994, Rs. 406 / 92 (Fn. 430), Nr. 53. 489 Siehe dazu unter b) cc) (2); ebenso das deutsche IZPR i. R. d. § 148 ZPO (Fn. 475).
3
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
vorsieht 490. Diese Regelung ermöglicht eine Abwägung unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie491. Abweichend von Art. 7 I IPRG492 bedarf die Aussetzung keines Antrags der Parteien. Auch dies entspricht dem Art. 28 EuGVO, der einen Antrag lediglich für die Unzuständigkeitserklärung gemäß Art. 28 II EuGVO vorsieht. Art. 7 III IPRG erlaubt zudem die Aussetzung auch dann, wenn sich das ausländische Verfahren bereits in der Rechtsmittelinstanz befindet 493. In der Literatur wird jedoch die analoge Anwendung der Präklusionsregelung in Art. 40 II c. p. c. erwogen494. Art. 22 I EuGVÜ hatte im Gegensatz zu Art. 7 III IPRG verlangt, dass beide Verfahren im ersten Rechtszug anhängig sind. Diese Einschränkung ist im Art. 28 I EuGVO aufgehoben worden. Die Voraussetzungen der Verfahrensaussetzung nach Art. 7 III IPRG sind jedoch in einigen Punkten auch weiter gefasst als im Rahmen des Art. 28 EuGVO. Im Gegensatz zur staats vertraglichen Vorschrift fordert der Wortlaut des Art. 7 III IPRG keinefrühere Rechtshängigkeit des ausländischen Verfahrens 495. Allerdings spielt das voraussichtliche Ende des ausländischen Verfahrens bei der Ermessensentscheidung des Gerichts eine Rolle. Trotz des Wortlautes der Vorschrift wird jedoch ζ. T. auch beim Absatz III des Art. 7 IPRG vom Prioritätsgrundsatz ausgegangen496. Abweichungen ergeben sich zudem auf der Rechtsfolgenseite. Infolge des präjudiziellen Charakters der ausländischen Entscheidung sieht Art. 7 III IPRG als Rechtsfolge lediglich die Möglichkeit der Aussetzung vor; eine Unzuständigkeitserklärung (Art. 28 II EuGVO) kann nicht erfolgen.
490 Trotz des Wortlautes von Art. 295 c. p. c. hat man in der Praxis die Verfahrensverbindung vorgezogen (siehe bb), Fn. 483); im deutschen Recht ist die Aussetzung ebenfalls nur fakultativ (§ 148 ZPO). 491 Siehe oben bb), bei Fn. 485. 492 Siehe b) cc)(l). 493 Di Blase, Com., NLCC, S. 965 f. 494 Di Blase, Com., NLCC, S. 966 1. Sp. Die Präklusion greift gemäß Art. 40 II c. p. c. auch für ein gerichtliches Tätigwerden von Amts wegen; zu der Vorschrift siehe in Fn. 454. Zur selben Frage beim Antrag nach Art. 22 II EuGVÜ (nunmehr Art. 28 II EuGVO) siehe Lüpfert, S. 148 f.; zur Präklusion mit der Rechtshängigkeitseinrede siehe b) cc)(l),F/î. 410. 495 1, d. S. Consolo, , in RDI 1997, S. 67 (Nr. 10); ebenso die h. M. im deutschen IZPR (siehe Geimer, IZPR, Rn. 2713). 496 I. d. S. der Bericht der Kommission, in RDIPP 1989, S. 952. Ebenso Di Blase, Com., NLCC, S. 965 r. Sp., die jedoch im Gegensatz zur Rechtshängigkeit (siehe b) bb), bei Fn. 384) nicht auf den Zeitpunkt der Klagezustellung, sondern auf die Einreichung der Klageerwiderung („comparsa di risposta" - Art. 167 c. p. c.) abstellt, da der Klagegegenstand erst zu diesem Zeitpunkt bestimmt werden kann.
§ 16 Verfahrensrecht 8. Weitere Parallelen des Zuständigkeitsrechts
31 zur EuG VO
a) Art. 5 IPRG (Dingliche Klagen über im Ausland belegene Immobilien) Im Anschluss an Art. 4 Nr. 1 .c. p. c. schließt Art. 5 IPRG die Zuständigkeit italienischer Gerichte für dingliche Klagen aus, sofern sie im Ausland belegene Immobilien betreffen. Nachdem diese Regelung im bisherigen Recht nur die Zuständigkeiten des Art. 4 Nr. 1 c. p. c. ausgeschlossen hat, gilt sie nunmehr wie sich aus der systematischen Stellung der Vorschrift ergibt - für die italienische IZ im Allgemeinen, d. h. auch fiir die „subjektiven" Zuständigkeiten gemäß Art. 4 IPRG497. Die Bestimmung des Art. 5 IPRG harmoniert zudem mit der örtlichen Zuständigkeit gemäß Art. 21 I c. p. c., die im internationalen Bereich jedoch von Art. 22 Nr. 1 EuGVO (= Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ) verdrängt wird 498 . Letztere Vorschrift zeigt erneut eine Parallele des IPRG zur EuGVO. Im Gegensatz zu Art. 5 IPRG begründet Art. 22 Nr. 1 EuGVO jedoch eine ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts des Belegenheitsortes nicht nur für dingliche Klagen, sondern auch für Miet- und Pachtverhältnisse an unbeweglichen Sachen499. Eine Unzuständigkeit italienischer Gerichte gemäß Art. 5 IPRG ist zu jeder Zeit eines Verfahrens von Amts wegen zu beachten (Art. 11 S. 2 IPRG)500.
b) Art. 6 IPRG (Vorfragen) Ähnlich der Inzidentprüfung im Anerkennungsrecht (Art. 67 III IPRG)501 bestimmt Art. 6 IPRG eine Zuständigkeit italienischer Gericht für Vorfragen, 497
Ebenso der Kommissionsbericht, RDIPP 1989, S. 951 und Malatesta, Com., NLCC, S. 933 r. Sp. 498 Siehe 4. c) aa), in Fn 141. 499 Bei Miet- und Pachtverhältnissen über Immobilien nur zum vorübergehenden privaten Verbrauch begründet Art. 16 Nr. 1 b) EuGVÜ jedoch inzwischen (eingefügt durch Art. 6 des dritten Beitrittsabkommens zum EuGVÜ [Fn. 1]) zusätzlich einen Beklagtengerichtsstand, sofern Eigentümer und Mieter / Pächter natürliche Personen sind und den Wohnsitz im selben Vertragsstaat haben; anders dagegen Art. 16 I b) LugÜ, der nur fordert, dass keine der angesprochenen Parteien ihren Wohnsitz im Belegenheitsstaat haben. Durch Art. 22 Nr. 1 EuGVO ist der Art. 161 a) EuGVÜ geringfügig abgeändert worden; nach der neuen Regelung muss der Eigentümer keine natürliche Person sein, um einen zusätzlichen Beklagtengerichtsstand zu begründen. 500 Siehe unter c). 501 Siehe I. 2. a) bb).
32
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
die grundsätzlich nicht der italienischen IZ unterliegen. Sofern die amtliche Überschrift dabei von „questioni preliminari" spricht 502, ist dies terminologisch nicht ganz korrekt. Vielmehr werden die in Art. 6 IPRG behandelten vorgreiflichen Rechtsverhältnisse im italienischen Prozessrecht als „questioni pregiudiziali (in merito)" bezeichnet503. Der Regelungsbereich der Vorschrift entspricht somit Art. 34 c. p. c. 504 , demzufolge das zuständige Gericht - ähnlich dem § 256 II ZPO im deutschen Recht - auf Antrag oder kraft Gesetzes durch Zwischenfeststellung mit Rechtskraftwirkung über „präjudizielle Fragen" entscheidet. Die inzidente Prüfung gemäß Art. 6 IPRG erfolgt hingegen von Amts wegen, insbesondere ergeht jedoch im Hinblick auf die vorgreifliche Frage keine rechtskräftige Entscheidung. Dies entspricht der Rechtslage im Rahmen der EuGVO505. Aufgrund der Abweichungen zwischen dem Art. 6 IPRG und dem Art. 34 c. p. c. erscheint es durchaus fraglich, ob sich der Hinweis des Art. 3 II 2 IPRG auf letztere Vorschrift erstreckt. Vielmehr sollte im internationalen Bereich Art. 6 IPRG als Spezialregelung vorgehen506.
502
Siehe auch die Begründung zum Kommissionsbericht in RDIPP 1989, S. 951. Als „questioni preliminari" bezeichnet man materielle „Vorfragen" im Rahmen desselben Streitgegenstandes (Artt. 187 II, 279 II Nr. 2 2. Alt. c. p. c. - sog. „questioni preliminari in merito "), die der eigentlichen Sachprüfung „vorgeschaltet" werden (z. B. Verjährung, Rechtsfähigkeit). Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich insofern bereits aus seiner Zuständigkeit in der Sache. Kollisionsrechtlich würde man dabei von sog. „Teilfragen" sprechen (siehe § 12 III. 1., in Fn. 141). Demgegenüber behandelt Art. 34 c. p. c. sog. „ questioni pregiudiziali in merito ", d. h. die Klärung von selbständigen Rechtsverhältnissen oder Rechten, die nicht zum Streitgegenstand gehören (s. a. den Hinweis in Art. 420 IV c. p. c. - „ed altre pregiudiziali"). Kollisionsrechtlich handelt es sich hierbei um Vorfragen i. e. S. (siehe § 12 III. 1., in Fn. 141). Von letzteren sind sog. „ questioni pregiudiziali attenti al processo " (Artt. 187 III, 276 II, 279 II Nr. 2 1. Alt. c. p. c.) zu unterscheiden; der Begriff steht für verfahrensrechtliche Prozess Voraussetzungen. Zur Terminologie siehe Garbagnati, in Enc. Dir., Bd. XXXVIII, Questioni pregiudiziali (diritto processuale civile) S. 69 - 77; zum IPRG siehe Consolo , Com., NLCC, S. 937. Die Unterscheidung wird jedoch nicht immer konsequent verfolgt (siehe Hinweis von Garbagnati, a.a.O., S. 70 und die Gleichsetzung der Begriffe durch Ballarino, DIP 2, S. 254), so dass auch als Oberbegriff von „questioni preliminari" i. w. S. gesprochen wird (Consolo, a.a.O.). 504 Consolo (vorige Fußnote) sowie Luzzatto, Com., RDIPP, S. 943; Attardi , in RDCiv. 1995, S. 740 und Balena, in Foro it. 1996, V., Sp. 219; s. a. Kindler, in RabelsZ 1997, S. 245. 505 Siehe dazu 4. c) cc), Fn. 176. 506 Zur anderslautenden h. M. siehe 4. c) cc), Fn. 164. 503
§ 16 Verfahrensrecht
3
c) Art. 11 IPRG (Der Einwand der fehlenden Gerichtsbarkeit) Die Vorschrift des Art. 11 IPRG ersetzt die bisherige Bestimmung des Art. 37 II c. p. c. (Art. 73 IPRG)507, deren Regelungen sie z. T. 508 übernimmt. Der Satz 2 des Art. 11 IPRG findet in der Verordnung seine Entsprechung in den Artt. 25, 26 I, II EuGVO (= Artt. 19, 20 I, II EuGVÜ). Nach der Vorschrift des italienischen IPRG hat eine gerichtliche Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen in den Fällen der Säumnis des Beklagten509 (ähnlich Art. 26 II EuGVO) oder des Ausschlusses der italienischen IZ (ähnlich Artt. 25, 26 I EuGVO) zu erfolgen. Im Übrigen ist die fehlende Zuständigkeit gemäß Art. 11 S. 1 IPRG vom Beklagten zu rügen. Dies erfordert eine Konstituierung des Beklagten mit der Gefahr der rügelosen Einlassung510. Die Regelung harmoniert - wie bereits erwähnt - mit der rügelosen Einlassung nach Art. 4 I IPRG511.
507
Siehe § 5 II. 3. Zu den Abweichungen siehe Pocar, in IPRax 1997, S. 149 r. Sp. 509 Siehe dazu Art. 291 c. p. c.; an diesem Punkt ist De Meo, in Riering, S. 47 in seiner (ansonsten sehr guten) Ubersetzung eine Ungenauigkeit unterlaufen, wenn er von einem „taubstumm(en)" („contumace") Beklagten spricht. 510 Siehe auch Walter, in ZZP 1996, S. 17, Nr. 4. 5,1 Siehe 6. c) bb) (4). 508
§ 17 Die Kollisionsnormen I. Art 48 IPRG (Testamentsform) /. Die Neuregelung des Art. 48 IPRG
Durch Art. 48 IPRG übernimmt der italienische Gesetzgeber fast vollständig die Regelung von Art. 1 I des „Haager Übereinkommens über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht" (TestFÜbk.) vom 5. 10. 19611 in sein nationales IPR-Gesetz2. Abweichend von seiner sonstigen Gesetzestechnik und von Art. 93 des schweizerischen IPRG - jedoch ähnlich wie der deutsche Gesetzgeber in Art. 26 EGBGB - wird das Abkommen weitestgehend „kopiert" 3. Diese Gesetzestechnik war deshalb notwendig, weil sich der Staatsvertrag in Italien nicht in Kraft befindet 4. Der Gesetzgeber folgt mit Art. 48 IPRG seiner allgemeinen Linie, Formstatute speziell zu bestimmen5. Im Gegensatz dazu wurde bisher das für die Form von Testamenten anzuwendende Recht anhand der allgemeinen Formvorschrift des Art. 26 I disp. prel.6 ermittelt. Auf eine derartige allgemeine Vorschrift hat 1 Zum deutschen Text siehe BGBl. 1965, II, S. 1145 sowie Jayme / Hausmann, Nr. 60 und Staudinger (Dörner), Vorb. zu Art. 25 f. EGBGB, Rn. 46 - 116 mit Erläuterungen; zur deutschen Denkschrift siehe BT-Drucks. IV / 2880, S. 10 - 16. Authentisch ist allein derfranzösische Originaltext des Abkommens; siehe dazu Actes et Documents, 9 te Konferenz, Bd. III ,1961 mit Bericht von Batiffol, S. 159 - 174. Trotz seines frühen Entstehens ist das Abkommen bereits allseitig ausgestaltet (Art. 6); siehe dazu § 11 II. 2. a), bei Fn. 31. Es enthält aber zahlreiche Vorbehaltsmöglichkeiten zu den kollisionsrechtlichen Vorschriften (Art. 9 - 12); allgemein zu staatsvertraglichen Vorbehalten siehe unter § 15 V. 1. a). Zu den Mitgliedsstaaten des Übereinkommens siehe Soergel (Schurig), Art. 26, Rn. 49. 2 Der Kommissionsbericht weist ausdrücklich auf diese „Übernahmeabsicht" des Gesetzgebers hin (RDIPP 1989, S. 971 zu Art. 46 [ = Art. 48 IPRG]). Eine ähnliche Regelung enthielt Art. 28 I des „progetto" Vittas (siehe in Problemi, S. 268; allgemein zum „progetto" Vitta siehe § 1 ,Fn. 12). 3 Zur sog. Kopiermethode siehe § 10 I. 3. und 4. 4 Siehe dazu unter § 10 II. 3. sowie § 10 I. 3. b), Fn. 36 zur Notwendigkeit der Umsetzung eines Staatsvertrages im Falle der Hi η weismethode; konkret zu Art. 48 IPRG siehe Boschiero, Appunti, S. 24. Im Einzelnen zu den Gründen der Nichtratiflkation des Abkommens durch Italien s. u. unter 3., Fn. 84. 5 Siehe § 3 II. 4. c). 6 Siehe auch § 3 II. 4. c), in Fn. 67 zu Art. 9 I disp. prel. des codice civile von 1865.
§ 17 Die Kollisionsnormen
375
das neue Gesetz verzichtet und folgt damit auch hier dem Vorbild des schweizerischen IPRG7. Im Anschluss an die allgemeine Praxis in nationalen8 und internationalen9 IPR-Formvorschriften enthält der Art. 48 IPRG alternative Anknüpfungen, um im Sinne des Günstigkeitsprinzips (favor validitatis) eine weitestmögliche Wirksamkeit von Testamenten sicherzustellen10. Dabei wurde im Anschluss an das Haager Testamentsformabkommen die Anzahl der Alternativen gegenüber demfrüheren Art. 26 I disp. prel. deutlich erhöht.
2. Der Anknüpfungsgegenstand („forma del testamento ")
Auch wenn die Vorschrift des Art. 48 IPRG offensichtlich und auch vom Gesetzgeber beabsichtigt11 von einer Ausnahme abgesehen die Anknüpfungen des Haager Testamentsformabkommens übernimmt, handelt es sich dabei doch um eine autonome nationale Kollisionsvorschrift. Die Auslegung des Anknüpfungsgegenstandes der Norm („forma del testamento") hat somit nach der italienischen lex fori zu erfolgen 12.
a) Allgemeine Abgrenzung aa) Die Abgrenzung zu den Artt. 46, 47 IPRG im Allgemeinen
Bei der Bestimmung des Anwendungsbereiches des Art. 48 IPRG muss die Vorschrift vom allgemeinen Erbstatut des Art. 46 IPRG abgegrenzt werden. Es
7
Siehe § 3 II. 4. c), in Fn. 69. Zum italienischen IPR siehe die bisherige Regelung des Art. 26 I disp. prel. Und § 3 II. 4.c) zu den Form Vorschriften des IPRG, die alle alternative Anknüpfungen enthalten; zu den Bestimmungen anderer IPR-Gesetze siehe § 3 II. 4. c), Fn. 69; 70. Allgemein zur Tendenz von alternativen Anknüpfungen im IPRG siehe unter § 3 II. 3. 9 Siehe dazu § 3 II. 4. c), Fn. 75. 10 Der Kommissionsbericht spricht in diesem Zusammenhang von einem „principio di liberale toleranza " (RDIPP 1989, S. 971 letzter Absatz zu Art. 46 [ = Art. 48 IPRG]); ebenso Deli, Com., NLCC, S. 1302. 11 Siehe oben Fn. 2. 12 Zur Auslegung von Rechtsbegriffen siehe allgemein unter § 18 I. 2.; zur Auslegung der an Staatsverträge angelehnten Vorschriften des IPRG siehe § 18 II. Zu den Anknüpfungsgegenständen der „in ogni caso"-Hinweisnormen siehe unter § 11 II. 2. 8
376
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
geht um die Differenzierung zwischen den Aspekten der „forma" (Art. 48 IPRG) und der „sostanza" (Art. 46 IPRG) von Testamenten13. Als zur Form gehörig bezeichnet die Literatur abstrakt alle Fragen der Testamentserstellung, die zur Gültigkeit des vom Erblasser zum Ausdruck gebrachten testamentarischen Willens führen 14. Dazu müssen15 neben den allgemeinen Bestimmungen zur Form von Testamenten (Schriftform, Eigenhändigkeit) die Regelungen über die Art und den Ort der Unterschrift, die Angaben von Zeit und Ort der Erklärung, die Einschaltung von Notaren oder die Anwesenheit von Zeugen16 gezählt werden17. Im Gegensatz dazu fallen die Fragen der Durchführung der Beurkundung, der Kontrolle und der Verwahrung sowie der abschließenden Eröffnung des Testamentes in den Anwendungsbereich des allgemeinen Erbstatuts (Art. 46 IPRG), da sie nicht die Erklärung des letzten Willens betreffen, sondern dessen rechtliche Wirksamkeit. Ein Abgrenzungsbeispiel gewährt auch Art. 5 S. I 1 8 TestFÜbk., der Vorschriften über die Beschränkung einer dem Grunde nach zulässigen Testamentsform bei bestimmten persönlichen Eigenschaften des Erblassers (Alter, Staatsangehörigkeit usw.)19 dem Formstatut zuweist20. Dies entspricht dem aufgezeigten Verständnis der italienischen Literatur zur Abgrenzung zwischen „forma" und „sostanza", da auch die angesprochenen Regelungen die Erklärung der letztwilligen Verfügung betreffen. In Bezug auf das Alter des Erblassers bedeutet dies nicht, dass das Formstatut auch die Frage der Testierfahigkeit 13
Siehe dazu im bisherigen Recht - insbesondere zu den gemeinschaftlichen Testamenten - Vitta, DIP III, S. 155 - 160 sowie Ballarino, DIP 1, S. 794 f. und ders. ausführlich in Forma, S. 169 - 182; zum IPRG siehe Deli , Com., NLCC, S. 1303 f. (allgemein) und S. 1306 - 1308 (gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag) sowie Ballarino, DIP 2, S. 524 f. (gemeinschaftliches Testament). 14 Vitta, DIP III, S. 156; weitere Nachweise bei Deli, Com., NLCC, S. 1303, Fn. 9 und 13. 15 Siehe dazu Vitta, DIP III, S. 156 und Deli , Com., NLCC, S. 1303 f.; beide mit Hinweis auf Migliazza, Successioni (Diritto internationale privato), in Noviss. dig. XVIII (1971), S. 862 - 893 (881). Zur frühen Rechtsprechung siehe Trib. Roma 28. 12. 1949, in Foro it. 1950,1., Sp. 949. 16 I. d. S. ausdrücklich Art. 5 S. 2 TestFÜbk. (= Art. 26 III 2 EGBGB) zu den notwendigen Eigenschaften der Zeugen. 17 Ähnlich in der deutschen Literatur Staudinger (.Dörner), Vorb. zu Art. 25 f. EGBGB, Rn. 91. 18 Zu Satz 2 der Vorschrift siehe Fn. 16. 19 Siehe dazu im deutschen Erbrecht § 2247 IV BGB, der eigenhändige Testamente von Minderjährigen für unwirksam erklärt (s. a § 2233 I BGB). Zur Beschränkung der Testamentsform im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers siehe den inzwischen aufgehobenen Art. 992 des niederländischen Bürgerlijk Wetboek (siehe dazu BGH 12. 1. 1967, in NJW 1967, S. 1177 und in der italienischen Literatur Ballarino, DIP 2, S. 523). 20 Siehe zum deutschen IPR Art. 26 III 1 EGBGB.
§ 17 Die Kollisionsnormen
377
regelt21. Vielmehr betreffen die in Art. 5 S. 1 TestFÜbk. angesprochenen Bestimmungen die eingeschränkte Zulässigkeit bestimmter Testamentsformen, ohne dass die Testierfähigkeit dadurch dem Grunde nach berührt wird. Zur Bestimmung der Testierfahigkeit enthält Art. 47 IPRG eine eigene Vorschrift 22. Allerdings kann die Anwendung von unterschiedlichen Statuten (Testierfahigkeits- und Formstatut) durchaus zu „Kollisionsproblemen" fuhren. In diesen Fällen muss der Erblasser zur Wirksamkeit eines Testaments in einer bestimmten Form die Anforderungen beider Statute (Artt. 47,48 IPRG) erfüllen.
bb) Das Formstatut des Testamentswiderrufs
Ebenso wie das Haager Abkommen in seinem Art. 2 I und das deutsche IPR in Art. 26 II EGBGB so geht auch die italienische Literatur davon aus, dass die Form des Widerrufs eines Testamentes durch eine erneute letztwillige Verfügung23 auch dem testamentarischen Formstatut unterliegt24. Trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung im neuen IPR-Gesetz soll die Vorschrift des Art. 48 IPRG zumindest analog angewendet werden25. Da Art. 48 IPRG für den Widerrufssachverhalt erneut zur Anwendung gebracht wird, kann es dabei infolge der alternativen Anknüpfungen der Norm zur Anwendung einer vom Formstatut der Errichtung abweichenden Rechtsordnung kommen26.
21
Siehe dazu Staudinger (Dörner), Vorb. zu Art. 25 f., Rn. 96 mit umfangreichen Nachweisen zur einhelligen Literatur. 22 Im deutschen IPR ist umstritten, ob die Testierfähigkeit durch das spezielle Erbstatut (Art. 25 EGBGB - wohl h. M.) oder das allgemeine Statut zur Rechts- und Geschäftsfähigkeit (Art. 7 EGBGB) bestimmt wird; siehe Soergel (Schurig), Art. 26, Rn. 27 mit umfangreichen Nachweisen. Die Anwendung des allgemeinen Erbstatuts ist im Umkehrschluss dem Art. 26 V 2 EGBGB (kein Verlust der Testierfahigkeit durch Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit) zu entnehmen, der im Zusammenhang mit Satz 1 der Vorschrift (Verweisung auf das „Errichtungsstatur 4) steht. 23 Widerruf durch Testament („Widerrufstestament") oder durch Errichtung eines neuen Testaments; zum italienischen Recht siehe Art. 680 1. Alt bzw. Art. 682 c. c. 24 In Art. 29 II letzter Hs. seines „progetto' s" hat Vitta für die Frage der Form Wirksamkeit der Änderung oder des Widerufs eines Testaments durch Willensakt des Erblassers Art. 28 „progetto" (Fn. 2) entsprechend angewandt (siehe in Problemi, S. 268 [Text] und Kommentierung S. 128 [Ende Nr. 33]); im Anschluss an diesen ebenso Deli, Com., NLCC, S. 1302, in Fn. 5 zu Art. 48 IPRG (analoge Anwendung). Zur Anwendung des allgemeinen Erbstatutes nach bisherigem Recht (Art. 23 disp. prel.) für den Widerruf und die Änderung von Testamenten Vitta, DIP III, S. 146. 25
26
Siehe Deli in voriger Fußnote.
Art. 2 II TestFÜbk. (= Art. 26 II 2 EGBGB) ermöglicht darüber hinaus die Anwendung des Errichtungsformstatuts für die Form des Widerrufe; diese Erweiterung wird in den Fällen relevant, in denen sich der Anknüpfungssachverhalt (Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt des Erblassers) zwischen Testamentserrichtung und -widerruf ändert.
378
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Die Vorschriften des Haager Übereinkommens und des deutschen IPR gelten nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur für die Testamentsaufhebung durch letztwillige Verfügung. Mangels einer ausdrücklichen Regelung dieser Frage im italienischen IPRG wäre eine analoge Anwendung des Art. 48 IPRG für andere Formen der Testamentsbeseitigung27 denkbar. Dies setzt jedoch eine Aufhebung des Testaments kraft erblasserischen Willens voraus28 und gilt somit nicht für gesetzliche Widerrufsfiktionen 29. Fraglich erscheint auch, ob bei einem konkludenten Widerruf eines Testaments Art. 48 IPRG zur Anwendung kommt30. Bei der Änderung eines Testaments sollte hingegen auf Art. 48 IPRG zurückgegriffen werden31; es dürfte keinen Unterschied machen, ob eine letztwillige Verfügung durch ein neues Testament widerrufen wird oder ob der Erblasser die Änderung seines Willens in der ursprünglichen Urkunde selbst dokumentiert.
cc) Gemeinschaftliche
Testamente und Erbverträge
Als problematisch erweist sich die Frage, ob gemeinschaftliche Testamente („testamenti congiuntivi") und Erbverträge („patti successori") in den Anwendungsbereich des Art. 48 IPRG fallen. Nach materiellem italienischen Recht sind diese beiden Formen der Verfügungen von Todes wegen - ähnlich wie in anderen romanischen Rechtsordnungen32 - unzulässig (Artt. 589, 458, Satz 2, 635 [gemeinschaftliches Testament] bzw. Art. 458 S. 1 [Erbvertrag] c. c.). Diese Regelung ist Ausdruck des Verständnisses von letztwilligen Verfügungen als jederzeit widerruflichen Rechtsakten, das sich bereits in der gesetzlichen Definition des Testaments widerspiegelt (Art. 587 I c. c.: „atto revocabile") 33 . Infolge dieser eigenen materiellen Rechtslage hat der italienische
27
Zum deutschen Recht siehe § 2255 (Vernichtung) bzw. § 2256 (Rücknahme aus amtlicher Verwahrung) BGB; zum italienischen Recht siehe Artt. 680 2. Alt. (notarieller Widerruf), 684 (Vernichtung), 686 (Veräußerung oder Umgestaltung des Erbguts) und 687 (Geburt von Kindern) c. c. 28 Siehe Fn. 24 zum „progetto" Vitta. 29 Siehe Fn. 27 m Art. 687 c. c. 30 Vitta, in Problemi, S. 128 f. wollte auch in diesen Fällen Art. 29 seines „progettos" (Fn. 24) zur Anwendung bringen; ebenso wohl Deli (Fn. 24) zu Art. 48 IPRG. Als Beispiel für einen konkludenten Widerruf hat Vitta auf Art. 686 c. c. (Fn. 27) verwiesen; dazu muss auch der Fall der Testamentsvernichtung (Fn. 27) gezählt werden. 31 A. A. Staudinger (Dörner), Vorb. Art. 25 f., Rn. 73 zu Art. 2 TestFÜbk. 32 Siehe unter b) aa), in Fn. 47 zum gemeinschaftlichen Testament. 33 Siehe den Hinweis von Vitta, DIP III, S. 158 f., in Fn. 181 auf die früheste Rechtsprechung des Corte di Cassazione und OLG Frankfurt a. M., in IPRax 1986, S. 111 (112) mit Anm. Grundmann, S. 95 - 97 zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments durch italienische Ehegatten in Deutschland; s. a. Kindler, Einführung, § 18,
§ 17 Die Kollisionsnormen
379
Gesetzgeber davon abgesehen, diese Rechtsinstitute trotz ihrer Bedeutung im internationalen Rechtsverkehr kollisionsrechtlich zu regeln. Die Anknüpfung von Formfragen im Hinblick auf gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge soll deshalb im Folgenden genauer untersucht werden. In beiden Fällen stellen sich zwei Fragen zur Abgrenzung zwischen den Artt. 48, 46 IPRG. Zum einen ist die Zulässigkeit derartiger Verfügungen von Todes wegen zu klären, zum anderen ist - sofern ein dementsprechendes Verbot verneint werden kann - das Formstatut der Verfügungen zu bestimmen.
b) Gemeinschaftliche Testamente Die im italienischen Recht gemäß Art. 589 c. c. verbotenen gemeinschaftlichen Testamente werden von der italienischen Literatur einhellig nicht als besondere Form eines Testaments behandelt, sondern als autonom zu behandelndes Rechtsinstitut im Rahmen des Erbrechts 34. Ihre Einstufung im bisherigen IPR war höchst umstritten35. Ζ. T. hat man sich dafür ausgesprochen, die Feststellung des Verbotes von gemeinschaftlichen Testamenten der Frage der Formwirksamkeit von Testamenten zuzuordnen (Art. 26 disp. prel.) 36. Die h. M. hat dem jedoch widersprochen und das allgemeine Erbstatut zur Anwendung gebracht (Art. 23 disp. prel.) 37. Hingewiesen wird auch auf Stimmen, die - ähnlich dem deutschen IPR38 - auf den Charakter des Verbotes im Erbstatut abstellen39. Ein anderer Ansatz wollte das Erbstatut und das Formstatut vergleichend gegenüberstellen und gemeinschaftliche Testamente nur zulassen, wenn die Rechtsordnungen miteinander korrespondieren, d. h. derartige Testamente nach beiden Statuten erlaubt sind40.
Rn. 20 und bereits oben unter § 14 III. 2. b), Fn. 52. Siehe auch § 14 III. 3. c), Fn. 162 zum Verbot der Schenkung von Todes wegen. 34 Zum bisherigen Recht siehe Vitta, DIP III, S. 159; Ballarino, DIP 1, S. 795 und ders. ausführlich in Forma, S. 169 - 182. Zum IPRG siehe Ballarino, DIP 2, S. 525 und Deli, Com., NLCC, S. 1307, Fn. 37 m.w.N. 35 Zur Diskussion siehe Vitta, DIP III, S. 157 - 159 mit Nachweisen in Fn. 177 180 und Ballarino, DIP 1, S. 793 - 795. 36
Insbesondere Balladore Pallien, DIP (1974), S. 288 f.
37
Vitta, DIP III, S. 159 und Monaco, L'efficacia 2, S. 245.
38
Siehe aa), bei Fn. 43. 39 Siehe Ballarino, Forma, S. 169 bei Fn. 112 und ders. in DIP 1, S. 794 oben. 40 I. d. S. Ballarino, DIP 1, S. 794 - 796 und ders. ebenso i. R d. IPRG in DIP 2, S. 525.
380
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
aa) Die Zulässigkeit gemeinschaftlicher
Testamente
Sowohl das Haager Testamentsformabkommen als auch das deutsche IPR erstrecken den Anwendungsbereich des von ihnen bestimmten Formstatuts ausdrücklich auch auf gemeinschaftliche Testamente (Art. 4 TestFÜbk., Art. 26 I EGBGB41). Geregelt wird dadurch jedoch ausschließlich die Form der Testamente und nicht die Frage ihrer Zulässigkeit, die vom rein nationalen IPR zu beantworten ist42.
(1) Die Zulässigkeitsfrage im deutschen IPR Die Qualifikation eines Zulässigkeitverbotes obliegt nach h. M. in Deutschland dem Recht des Staates, der ein dementsprechendes Verbot erlassen hat43. Andere sprechen sich hingegen für eine lex-fori-Qualifikation aus, bei der jedoch die Funktion des Verbots in dem jeweiligen Land zu berücksichtigen ist 44 . Trotz dieser unterschiedlichen Ansätze ergeben sich im Ergebnis keine Abweichungen45. Ausgangspunkt der Bestimmung des „Zulässigkeitsstatutes" ist nach einhelliger Ansicht im deutschen IPR das Erbstatut. Allein darin liegt bereits eine 41 Art. 4 TestFÜbk.: „ Dieses Übereinkommen ist auch auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwenden, die zwei oder mehrere Personen in derselben Urkunde errichtet haben " Art. 26 EGBGB: „ Eine letztwillige Verfügung ist, auch wenn sie von mehreren Personen in derselben Urkunde errichtet wird,...
42 Bericht von Batiffol (Fn. 1), S. 167; Ferid, Die 9. Haager Konferenz, in RabelsZ 1962, S. 411 (423 f.) und Staudinger (Firsching), 12. Auflage, vor Artt. 24 - 26, Rn. 437. Im Gegensatz dazu hat sich Scheucher, Das Haager Testamentsabkommen, in ZfRVgl. 1964, S. 216 (218) dafür ausgesprochen, auch die Frage der Zulässigkeit von gemeinschaftlichen Testamenten dem Art. 4 des Haager Abkommens zuzuordnen. 43 v. Hoffmann, IPR, § 9, Rn. 38; MüKo (Birk), Art. 26, Rn. 70 (jedoch auch kritisch in Rn. 100 - siehe Fn. 48); Pal. (Heldrich), Art. 25 EGBGB, Rn. 14 und Soergel (Schurig), Art. 26, Rn. 23 m.w.N. 44 Staudinger (Dörner), vor Art. 25 f., Rn. 87 und ausführlich in Art. 25, Rn. 308 -
317; Ferid (Fn. 42), S. 423.
v. Bar, IPR II, Rn. 381, Fn. 156 will hingegen die Funktion des Verbots im jeweiligen materiellen Recht nicht berücksichtigen und qualifiziert die Verbote nach der deutschen lex fori durchgehend „sachlich" (s. a. in Fn. 48). 45 I. d. S. MüKo (Birk), Art. 26, Rn. 70; Grundmann (Fn. 33), S. 95; zu Soergel (Schurig) siehe vorige Fußnote; auch die Beispiele von Staudinger (Dörner), vor Art. 25 f., Rn. 88 f. zeigen im Ergebnis seine Übereinstimmung mit der h. M., auf die er selbst bei Art. 25, Rn. 307 verweist. Auch Soergel (Schurig), Art. 26, Rn. 23, in Fn. 36 erwähnt, dass sich die unterschiedlichen Ansätze aus Missverständnissen in der Literatur ergeben.
§ 17 Die Kollisionsnormen
381
erste Qualifikation der Frage als nicht zum Formstatut gehörend. Sofern das Erbstatut jedoch ein Verbot des gemeinschaftlichen Testaments vorsieht, ist festzustellen 46, ob dieses eine materielle Wertung beinhaltet oder lediglich als Formvorschrift zu verstehen ist 47 . In ersterem Fall bleibt es bei der Anwendung des Erbstatuts und damit bei einer Unzulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments. In zweiterem Fall ist auf das Testamentsformstatut der lex fori „weiterzuverweisen", das dann die Frage der Zulässigkeit zu beantworten hat. Aufgrund der alternativen Anknüpfungen in den Formstatuten führen die formellen Verbote wohl im Ergebnis zumeist zu einer Zulässigkeit und Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments. Diese Verbote haben damit faktisch keine Bedeutung48. Hintergrund dieses Verständnisses ist der Umstand, dass das deutsche Recht das Verbot des gemeinschaftlichen Testaments nicht kennt. Insofern ist, wie bei der Qualifizierung vonfremden Rechtsinstituten, die Funktion des Verbotes im jeweiligen Erbstatut zu überprüfen 49. Dogmatisch bleibt es deshalb bei einer lex-fori-Qualifikation bei der jedoch das ausländische Recht in das deutsche Kollisionsrecht eingeordnet wird 50.
(2) Die Zulässigkeitsfrage im italienischen IPR Dieselbe Qualifikationsfrage stellt sich im italienischen IPR anders dar, da das materielle Recht ein entsprechendes Verbot kennt und dieses im materiellen Recht als zur „Substanz" gehörend einzustufen ist51. Daraus könnte mittels einer lex-fori-Qualifikation auf eine uneingeschränkte Anwendung des Erbstatutes (Art. 46 IPRG) für die Zulässigkeitsfrage geschlossen werden, ohne dass 46
So die nahezu einhellige Meinung in der Literatur; a. A. lediglich v. Bar (Fn. 44). Materieller Natur sind die Verbote im italienischen (siehe a), Fn. 33), griechischen (siehe Ferid / Firsching, Internationales Erbrecht, Bd. III, Griechenland, Rn. 72, 73), portugiesischen (dazu Jayme, in IPRax 1982, S. 210 und 1983, S. 308) und jugoslawischen (siehe OLG Zweibrücken, in FamRZ 1992, S. 608 [609]) Recht. Um formelle Vorschriften handelt es sich imfranzösischen, niederländischen, schweizerischen, spanischen und argentinischen Recht; zur Diskussion imfranzösischen Recht siehe Riering, Das gemeinschaftliche Testament deutsch-französischer Ehegatten, in ZEV 1994, S. 225 (227 f.). Im Einzelnen dazu Staudinger (Dörner), Art. 25 EGBGB, Rn. 312. Zu den Vorschriften s. a. Lange / Kuchinke, Lehrbuch des Erbrechts, 3. Auflage, München 1989, §22 I. 2., in Fn. 5. 48 Siehe insofern auch die ablehnende Haltung von v. Bar (Fn. 44), der allein das Erbstatut anwenden will; kritisch zur Anwendung des Formstatutes auch MüKo (Birk), Art. 26, Rn. 100. 49 Zur funktionalen Qualifikation siehe § 18 I. 2., bei Fn. 32. 50 Eingehend dazu Staudinger (Dörner), Art. 25, Rn. 308 - 311. 51 Siehe a), Fn. 33. 47
382
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Art. 48 IPRG zur Anwendung kommt. Dadurch würde man jedoch den jeweiligen Charakter des Verbotes in den einzelnen Rechtsordnungen völlig außer Acht lassen; deshalb sollte auch hier die Regelung des Erbstatutes untersucht werden52. Ausgangspunkt der Zulässigkeitsprüfung ist in jedem Fall - entsprechend der h. M. zum bisherigen Recht53 - das allgemeine Erbstatut gemäß Art. 46 IPRG54. Wenn man dabei die Grundsatzanknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers (Art. 46 I IPRG) und die materielle Natur des Verbotes im italienischen Recht55 berücksichtigt, führt dies für italienische Staatsangehörige nach wie vor 56 zur Unwirksamkeit auch von im Ausland errichteten gemeinschaftlichen Testamenten. Im Rahmen der Staatsangehörigkeitsanknüpfung ergibt sich darüber hinaus das Problem der Anknüpfung bei Beteiligten verschiedener Nationalität. In diesem Fall muss eine Zulässigkeit der Testamentserrichtung nach beiden Rechtsordnungen verlangt werden, sofern das Dokument beidseitige Verfügungen enthält57. Dies kann zur kumulativen Prüfung des Erbstatuts des einen Beteiligten (Art. 46 IPRG) und des Formstatuts des anderen Beteiligten führen (Art. 48 IPRG), wenn das nationale Recht des letzteren ein formelles Verbot vorschreibt. Eine grundlegende Änderung bringt hier jedoch die Neuregelung des Art. 46 II 1 IPRG, die erstmals im italienischen IPR im Erbrecht eine Rechtswahl zulässt. Demzufolge kann der Erblasser das Testament dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthaltes unterstellen58. Italienische Staatsangehörige können somit nach neuem Recht zumindest im Ausland gemeinschaftliche Testamente errichten, sofern das Aufenthaltsrecht dies zulässt oder lediglich ein Verbot 52 Insofern für eine Berücksichtigung der Art des Verbotes Deli, Com., NLCC, S. 13071. Sp. unten; s. a. Ballarino (Fn. 40) zur Gegenüberstellung der Statute. 53 Siehe Fn. 37. 54 Ebenso Deli in Fn. 52. 55 Siehe Fn. 47 und insbesondere nach Fn. 33 zur jederzeitigen Widerrufbarkeit von letztwilligen Verfügungen. Im Einzelnen dazu Grundmann (Fn. 33), S. 96 f. 56 Zum alten Recht (Art. 23 disp. prel.) siehe Vitta, DIP III, S. 160 und Grundmann (Fn. 33), S. 96 f. 57 I. d. S. Pal. (Heldrich), Art. 25 EGBGB, Rn. 13 und v. Bar, IPR II, Rn. 381 sowie MüKo (Birk), Art. 26, Rn. 100 und zu zweiseitigen Erbverträgen in Rn. 134. Ebenso die ausdrückliche gesetzliche Regelung in Art. 95 III des schweizerischen IPRG . Staudinger (Dörner), Art. 25, Rn. 301 will hingegen das Erbstatut für jeden Verfügenden gesondert prüfen, so dass es für den Fall, dass nur eines der Statute gemeinschaftliche Testamente verbietet, nicht zwingend zu einer Unzulässigkeit des gesamten Testamentes kommt. Vielmehr hat nach Ansicht von Dörner in diesem Fall das Statut des anderen Beteiligten über die Auswirkungen des Verbots auf seine Verfügung zu entscheiden (Rn. 305; ebenso in Fn. 65 zur Formwirksamkeit). 58 Siehe allgemein zur Erweiterung der Rechtswahlmöglichkeiten durch das IPRG unter § 3 II. 4. a).
§ 17 Die Kollisionsnormen
383
formeller Natur enthält, so dass über Art. 48 IPRG eine Zulässigkeit des Testamentes erzielt werden kann59.
bb) Die Formwirksamkeit
gemeinschaftlicher
Testamente
Im Falle der Zulässigkeit des gemeinschaftlichen Testaments gemäß Artt. 46,48 IPRG richtet sich die Frage der formellen Anforderungen an das zu errichtende Dokument nach den möglichen Formstatuten des Art. 48 IPRG60. Trotz des autonomen Charakters des Rechtsinstitutes61 handelt es sich nach italienischem Recht auch bei gemeinschaftlichen Testamenten um Testamente (Art. 589 c. c.)62. Im Anschluss an das Haager Abkommen63 sollte insofern trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung - wie in Art. 4 TestFÜbk. auf Art. 48 IPRG zurückgegriffen werden. Ebenso wie bei der Frage der Zulässigkeit64 sind auch hier bei verschiedenen Nationalitäten der Beteiligten die Formstatute jedes Verfügenden zu überprüfen 65.
c) Erbverträge Trotz der Bedeutung von Erbverträgen im IPR enthält das italienische IPRG auch für diese keine eigenständige Regelung. Ebenso wie gemeinschaftliche Testamente so ist auch eine Verfügung von Todes wegen durch Erbverträge im materiellen italienischen Recht unzulässig (Art. 458 S. 1 c. c.)66. Nach der Ansicht Vittas bestand deshalb kein Bedarf für eine eigenständige Regelung über Erbverträge 67. Deren kollisionsrechtliche Anknüpfung wird vielmehr der Rechtsprechung und Literatur zur Klärung überlassen. Im Gegensatz dazu 59
Gemäß Art. 46 II 2 IPRG muss jedoch der Erstverstorbene im Todesfall seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch in dem Staat haben, dessen Recht bei Errichtung des Testamentes gewählt wurde. Es ist zu beachten, dass es bei einer Rechtswahl nicht zu einem Renvoi kommt (Art. 13 II a) IPRG). 60 Ebenso Deli , Com., NLCC, S. 1307. 61 Siehe oben bei Fn. 34. 62 Deli (Fn. 60) spricht sich insofern für ein „Überdenken" des Verständnisses von gemeinschaftlichen Testamenten als autonome Rechtsinstitute aus. 63 Zur Vorbildfunktion des Haager Abkommens siehe 1., Fn. 2. 64 Siehe aa), Fn. 57. 65 Die h. M. (Fn. 57) plädiert auch hier für eine kumulative Anwendung der Formstatute; siehe Soergel (Schurig), Art. 26, Rn. 7; a. A. Staudinger (Dörner), Art. 26, Rn. 40 zu Erbverträgen (s. a. Fn. 57). 66 Siehe dazu oben nach Fn. 32. 67 Vitta, in Problemi, S. 125 f.
384
Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen
haben die Schweiz und Deutschland den Anwendungsbereich des Haager Testamentformabkommens, das selbst die Form von Erbverträgen nicht regelt 68, ausdrücklich auf Erbverträge erweitert (Art. 93 II schweizerisches IPRG, Art. 26 IV EGBGB). Die Frage des „ob" einer speziellen Vorschrift zu einem bestimmten Rechtsinstitut sollte jedoch nicht vom eigenen Sachrecht abhängig gemacht werden, sondern vielmehr von dessen Bedeutung im internationalen Rechtsverkehr. Insofern ist das Fehlen einer eigenen Erbvertragsvorschrift im IPRG zu bedauern69. In der Vergangenheit war im Rahmen des italienischen IPR höchst umstritten, ob nachfremden Recht zulässige Erbverträge gegen den italienischen ordre public verstoßen (Art. 31 disp. prel.) 70. Diese Frage dürfte inzwischen im Anschluss an die allgemeine Entwicklung des internationalen Privatrechts zu verneinen sein und wird auch aktuell in der Literatur nur noch am Rande angesprochen71. Insbesondere besteht keine Veranlassung, Erbverträge anders zu behandeln als gemeinschaftliche Testamente, deren Unzulässigkeit im materiellen Recht aus denselben Motiven abgeleitet wird 72 . Bei der Einstufung von Erbverträgen im Rahmen des IPRG ist zuerst festzustellen, dass es sich bei diesen zwar um Verträge handelt, sich deren erbrechtlicher Charakter jedoch als prägendes Merkmal durchsetzt. Erbverträge unterliegen demzufolge nicht dem Vertragsstatut73. Diese Einschätzung lässt sich den internationalen Abkommen zum Vertrags- (Art. 1 II b) 1. Spstr. EVÜ 74 ) sowie zum Erbrecht 75 entnehmen. Dem widerspricht auch nicht die Tatsache, dass das Haager Testamentformabkommen Erbverträge von seinem Anwendungsbereich ausschließt, da der Staatsvertrag mit Testamenten nur einen Teilbereich des Erbrechts regeln will.
68
Siehe Bericht von Batiffol (Fn. I), S. 168; ebenso die deutsche Denkschrift zu dem Abkommen in BT-Drucks. IV / 2880, S. 11 1. Sp. und S. 13 r. Sp. 69 Ebenso kritisch Picone, in Studi Marano, S. 95 („grave mancanza") zum Kommissionsentwurf; s. a. Deli, Com., NLCC, S. 1307 f., in Fn. 40. 70 Siehe dazu Vitta, DIP III, S. 146, Fn. 146 - 148. Zum ordre public nach bisherigem und neuen Recht siehe § 11 II. 2. e) bb). 71 Ballarino, DIP 2, S. 510 f. setzt die Vereinbarkeit von Erbverträgen mit dem ordre public ausdrücklich voraus; ders. ebenso bereits in DIP 1, S. 852 oben und in Forma, S. 175 zu gemeinschaftlichen Testamenten. Bei der ausführlichen Kommentierung von Deli, Com., NLCC, S. 1307 f. wird diese Frage nicht mehr diskutiert. 72 Siehe oben bei Fn. 32. 73 So bereits zum bisherigen Recht Vitta, DIP III, S. 145, Fn. 144. 74 Siehe dazu § 14 III. 2. b). 75 Das Haager Erbrechtsabkommen von 1989 (siehe 4., Fn. 94) enthält ein eigenes Kapital zu Erbverträgen (Artt. 8-21).
§ 17 Die Kollisionsnormen
385
Auf Grund der lex-fori-Auslegung der Anknüpfungspunkte des IPRG76 ist dieses Verständnis zwar nicht zwingend auf das nationale italienische IPR zu übernehmen, die angestrebte Harmonie zwischen nationalem und internationalem Kollisionsrecht sowie der Umstand, dass auch der codice civile das Verbot von Erbverträgen im Rahmen des Erbrechts regelt (Art. 458 S. 1 c. c.), unterstreicht jedoch diese Einordnung des staatsvertraglichen Rechts77. Die Frage der Zulässigkeit von Erbverträgen ist grundsätzlich auf die gleiche Art und Weise zu klären wie bei gemeinschaftlichen Testamenten78. Ausgangspunkt ist somit das Erbstatut des Art. 46 IPRG, das zuerst die Verbotsfrage zu beantworten hat. Sofern man die Natur eines Verbotes in der jeweiligen Rechtsordnung berücksichtigt79, stellt sich spätestens bei formellen Verboten die Frage, ob Art. 48 IPRG auch für Erbverträge Anwendung findet. Aus dem Fehlen einer ErweiterungsVorschrift im Gegensatz zum schweizerischen und deutschen IPR könnte im Umkehrschluss auf die Unanwendbarkeit des Art. 48 IPRG geschlossen werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil dem italienischen Gesetzgeber sowohl die internationale Bedeutung der Erbverträge als auch deren Regelungen im ausländischen IPR bekannt sein mussten. Wie sich jedoch den Vorarbeiten zum IPRG entnehmen lässt, lag der Grund für das Fehlen einer eigenen Regelung zu Erbverträgen wohl eher im eigenen Sachrecht80. Auch die Literatur scheint eher zu einer (analogen) Anwendung des Art. 48 IPRG parallel zu den ausdrücklichen Regelungen des deutschen und schweizerischen IPR zu tendieren81. Insofern wären auch bei Erbverträgen die Artt. 46, 48 IPRG unter Berücksichtigung des Charakters eines möglichen gesetzlichen Verbotes voneinander abzugrenzen. Im Falle der Zulässigkeit wäre im Anschluss daran ebenso wie bei gemeinschaftlichen Testamenten die Formwirksamkeit des Erbvertrages über Art. 48 IPRG zu bestimmen.
76
Siehe dazu § 11 II. 1. zu den Hinweisnormen des IPRG sowie allgemein zur lex fori-Auslegung unter § 18 I. 2. und II. 77 Deli, Com., NLCC, S. 1308 beruft sich bei seiner Begründung für die Anwendung des Erbrechts allein auf die internationalen Verträge. 78 Staudinger (Dörner), Art. 25, Rn. 339; zu den gemeinschaftlichen Testamenten siehe oben unter b). 79 Siehe b) aa), bei Fn. 52. 80 Siehe oben in Fn. 67 zu Vitta. 81 I. d. S. Deli, Com., NLCC, S. 1308, Nr. 3 Ende.
386
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen 3. Die Anknüpfungspunkte des Art. 48 IPRG
Die alternativen Anknüpfungen des Art. 48 IPRG enthalten sieben Wahlmöglichkeiten82. Der Gesetzgeber übernimmt damit alle Anknüpfungspunkte des Art. 1 I TestFÜbk. mit Ausnahme der lex-rei-sitae-Anknüpfung im Buchstaben e) der staatsvertraglichen Vorschrift 83. Art. 1 I Buchstabe e) TestFÜbk., der für unbewegliches Vermögen auf dessen Ortsrecht verweist, kann zu einer Spaltung des Formstatuts fuhren. Dies würde nach Ansicht des Gesetzgebers gegen das in Italien herrschende erbrechtliche Universalitätsprinzip verstoßen. Darin lag sowohl der Grund für die Nichtratifikation des Übereinkommens durch Italien als auch für die Aussparung dieser Anknüpfung in Art. 48 IPRG84. Im Gegensatz zum deutschen Recht85 orientiert sich der italienische Gesetzgeber im Übrigen streng an den Anknüpfungen des Art. 1 I TestFÜbk. Von der Möglichkeit, weitere Rechtsordnungen als Testamentformstatut zu bestimmen (Art. 3 TestFÜbk.), wird kein Gebrauch gemacht. Zur Regelung des Art. 1 II TestFÜbk. betreffend Teilrechtsordnungen im Falle der Staatsangehörigkeitsanknüpfung ist auf die allgemeine Norm des Art. 18 IPRG zu verweisen. Beide Vorschriften überlassen die Bestimmung des anzuwendenden Rechts dem interlokalen Privatrecht der zur Anwendung beru-
82
Zu beachten ist, dass sich die temporäre Differenzierung (Zeitpunkt der Testamentserrichtung oder des Todes) sowohl bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit als auch im Rahmen der Wohnsitz- und Aufenthaltsanknüpfung zum Tragen kommt. Aus den deutschen Übersetzungen des IPRG geht dies nicht immer unzweifelhaft hervor. Der italienische Originalwortlaut macht dies jedoch deutlich. Zudem kann nur auf diese Art und Weise von einer Übernahme der Anknüpfungen des Haager Testamentformabkommens gesprochen werden. Zum Verständnis der Begriffe „domicilio" und „residenza" siehe § 16 II. 4.a) bb) zu Art. 3 I IPRG. 83 Dies entspricht im deutschen IPR dem Art. 26 I Nr. 1 bis 3 EGBGB. 84 Siehe Kommissionsbericht, in RDIPP 1989, S. 971 zu Art. 46 (= Art. 48 IPRG) im Anschluss an Vittas Entwurf (Art. 28 I „progetto" Vitta - Fn. 2); s. a. Boschiero, Appunti, S. 24, Fn. 40; Deli , Com., NLCC, S. 1366, bei Fn. 32; Clerici , Com., RDIPP, S. 1146 und Pocar, in SIDI, S. 235. Das Abkommen wurde zwar von Italien gezeichnet, aber aus dem erwähnten Grund nicht ratifiziert. Für die Übernahme der Anknüpfung in Art. 1 I e) TestFÜbk. tendiert hingegen Ballarino, in Studi Vitta, S. 35 (Nr. 12 Ende). 85 Deutschland hat von der durch Art. 3 TestFÜbk. eröffneten Möglichkeit in Art. 26 I Nr. 5 EGBGB Gebrauch gemacht und zusätzlich auf das allgemeine Erbstatut (Art. 25 EGBGB) zum Zeitpunkt des Todes oder der testamentarischen Verfügung verwiesen.
§ 17 Die Kollisionsnormen
387
fenen Rechtsordnung und stellen nur mangels solcher Regelungen auf das Recht mit der engsten Verbindung zum Sachverhalt ab86.
4. Weitere Staatsverträge
zum Erbrecht
Neben dem Art. 48 IPRG ist auch das „Washingtoner UN-Übereinkommen über ein einheitliches Recht der Form eines internationalen Testaments" vom 26. 10. 197387 zu beachten, das in Italien am 16. 11. 1991 in Kraft getreten ist88. Das einheitsrechtliche Abkommen stellt im Bereich des materiellen Erbrechts eine zusätzliche Testamentsform zur Verfugung (sog. „Internationales Testament"). Im Gegensatz zum Haager IPR-Übereinkommen sind ihm jedoch nur wenige Staaten beigetreten89. Das Washingtoner Abkommen sieht nur Einzeltestamente vor (Art. 2) und entspricht somit dem italienischen Verständnis von der jederzeitigen Widerrufbarkeit letztwilliger Verfugungen 90. Darüber hinaus ist Italien dem „Baseler Europäischen Übereinkommen über die Errichtung einer Organisation zur Registrierung von Testamenten" vom 16. 5. 197291 beigetreten. Es befindet sich in Italien seit dem 26. 12. 1981 in Kraft 92. Das „Haager Übereinkommen über die internationale Verwaltung von Nachlässen" vom 2. 10. 1973 wurde in Italien lediglich gezeichnet, aber nicht ratifiziert 93. Das „Haager Übereinkommen über das auf die Rechtsnachfolge
86
Siehe dazu § 11 II. 2. e) aa), bei Fn. 125. Zum italienischen Text siehe RDIPP 1991, S. 1105; zu dem Abkommen siehe Deli, Com., NLCC, S. 1308 f. (Nr. 4). Zu einer inoffiziellen deutschen Übersetzung siehe Staudinger (Firsching), 12. Auflage, vor Art. 24 - 26, Rn. 401; s. a. Staudinger (Dörner), 13. Auflage, vor Art. 25 f., Rn. 142 - 147 (mit englischem Text) und v. Bar, IPR II, S. 289, Fn. 267. 88 Legge 29. 11. 1990, n. 387, in Gazz. Uff. 21. 12. 1990, n. 297 = RDIPP 1991, S. 1105. 89 Siehe Jayme / Hausmann, vor Nr. 60, Fn. 4; Deutschland ist nicht Vertragsstaat. 90 Siehe 2. a), bei Fn. 32 zum Verbot von Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten im italienischen Recht. 91 Zum italienischen Text siehe RDIPP 1982, S. 172; Deutschland hat das Abkommen gezeichnet, aber nicht ratifiziert (Jayme / Hausmann, vor Nr. 60, Fn. 3). Zum Abkommen siehe Staudinger (Dörner), 13. Auflage, Vorb. Art. 25 f, Rn. 148 - 152 (mit englischem Text). 92 Legge 25. 5. 1981, n. 307 gemäß CT (Barel), Art. 48, III. 1.; s. a Jayme / 87
Hausmann, vor Nr. 60, Fn. 3. 93
Zu dem Abkommen siehe § 15 V. La), Fn. 117.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
von Todes wegen anwendbare Recht" vom 1. 8. 1989 ist weder von Italien gezeichnet worden noch allgemein in Kraft getreten94.
II. Art. 60 IPRG (Vollmacht) 1. Die Neuregelung des Art. 60 IPRG (Anwendungsbereich und Rechtsvergleichung)
Ebenso wie im deutschen Recht und im Rahmen von internationalen Verträgen95 so differenziert auch die italienische Rechtsordnung im Stellvertretungsrecht zwischen dem Innen- und Außenverhältnis. Art. 60 IPRG regelt dabei die gewillkürte Stellvertretung („rappresentanza volontaria" - Vollmacht) im Außenverhältnis96. Deren Innenverhältnis unterliegt hingegen in der Regel dem Vertragsstatut des Art. 57 IPRG, d. h. dem EVÜ 97 . Unabhängig davon ist darüber hinaus das Statut des vom Vertreter gegenüber Dritten vorgenommenen Rechtsgeschäfts zu bestimmen (Geschäftsstatut) 98. Die Prozessvollmacht („procura alle liti") wird nicht von Art. 60 IPRG geregelt, sondern fällt in den Bereich des Verfahrensrechts. Gemäß Art. 12 IPRG kommt insofern das italienische Prozessrecht als lex fori zur Anwendung (Art. 83 c. p. c.)99. Dabei bestimmt der zweite Absatz des Art. 83 c. p. c. die 94 Zu den Unterzeichnerstaaten siehe Jayme / Hausmann, vor Nr. 60, Fn. 2; zum französischen Text des Abkommens siehe Rev. crit. 1988, S. 807. Zu dem Abkommen s. a. 2. c), in Fn. 75. 95 Zu Art. 1 II f) EVÜ s. u. § 14 III. 2. f). Zu beachten ist vor allem die Differenzierung im Haager Stellvertretungsabkommen von 1978 (Fn. 106), in dem das Innenverhältnis zwischen Vertretenem und Vertreter in den Artt. 5 — 10 (Kapitel II) sowie das Außen Verhältnis zwischen Vertretenem und Drittem in den Artt. 11 — 15 (Kapitel III) getrennt geregelt ist; siehe dazu den Bericht zu dem Abkommen von Karsten (Explanatory Report), in Actes et Documents, 13te Sitzung, Bd. IV, Contracts d'intermédiaires, S. 378 (S. 380 - 383, Nr. 9 - 20). Zur Differenzierung siehe auch das Genfer Abkommen von 1983 (Fn. 106), das nur das Außenverhältnis behandelt. 96 Zur gesetzlichen bzw. gesellschaftsrechtlichen Stellvertretung siehe § 14 III. 2. f). 97 Siehe dazu § 14 III. 2. f); zum Gleichlauf zwischen dem anwendbaren Recht für das Grundgeschäft zwischen Vertreter und Vertretenem und dem Vollmachtsstatut siehe 3. b), Fn. 153. 98 Siehe jedoch unter 2., bei Fn. 131 zur akzessorischen Anknüpfung des Vollmachtsstatuts an das Statut des vom Vertreter abgeschlossenen Rechtsgeschäftes nach h. M. zum bisherigem Recht. Zur Abkehr von diesem Grundsatz siehe unter 3. a). 99 Ausführlich dazu Pettinato, Com., NLCC, S. 1431 - 1433 (Nr. 8) und Ballarino, DIP 2, S. 712 f. Siehe auch den Kommissionsbericht in RDIPP 1989, S. 980 zu Art. 62, zweiter Absatz; zu Art. 62 des Kommisionsentwurfes siehe 3. a), Fn. 134. Zu Art. 12 IPRG s. a. § 16 II. 3. b), Fn. 70.
§ 17 Die Kollisionsnormen
389
formellen Anforderungen an Prozessvollmachten 100 . Art. 75 c. p. c. regelt demgegenüber die allgemeine Frage der Prozessfähigkeit. Art. 60 IPRG betrifft nicht den Fall des rechtsgeschäftlichen Handelns mittels Boten („nuncio" oder lat. „nuncius"). Es handelt sich nach der italienischen Literatur hierbei um ein Problem der Formgültigkeit der Handlung des Erklärenden (= Geschäftsherr), so dass das Formstatut des vom Boten vorgenommenen Geschäftes zur Anwendung kommt 1 0 1 . Die Frage der Geschäftsfähigkeit des Vertreters unterliegt wie nach bisherigem Recht dem allgemeinen Statut der Handlungsfähigkeit, also gemäß Art. 23 I 1 IPRG dem Heimatrecht des Vertreters 102 .
Ebenso für das deutsche IPR BGH 26. 4. 1990, in NJW 1990, S. 3088 = IPRax 1991, S. 247 mit Anm. Ackermann,, S. 220. 100 Gemäß Art. 83 II c. p. c. müssen Prozess Vollmachten in öffentlicher Urkunde oder als beglaubigte Privaturkunde vorliegen. Im Ausland ausgestellt Prozessvoll machten bedürfen grundsätzlich der sog. „Legislation", d. h. der förmlichen Bestätigung ihrer Echtheit durch eine öffentliche Behörde (siehe Campeis / De Pauli, La procedura 2, S. 91 f. unter Hinweis auf die Artt. 15, 17 des Gesetzes n. 15 vom 4. 1. 1968 - Norme sulla documentazione amministrativa, il rilascio di copie, la legalizzazione di firme); siehe dazu auch Pettinato , Com., NLCC, S. 1432, Fn. 98. Im Rahmen folgender internationaler Vorschriften ist eine Legislation jedoch nicht erforderlich: Das „Haager Obereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legislation" vom 5. 10. 1961 (in Italien umgesetzt durch Gesetz vom 20. 12. 1966, n. 1253 [siehe Ballarino, DIP 2, S. 713], zum deutschen Text siehe Jayme / Hausmann, Nr. 250) bestimmt, dass Urkunden aus einem Vertragsstaat (Art. 1) von der Legislation befreit werden (Art. 2); gemäß Art. 3 des Abkommens kann jedoch die Anbringung einer Apostille verlangt werden (Art. 3 I). Das Übereinkommen wird ergänzt (siehe Art. 1 III a) zur Unanwendbarkeit des Haager Abkommens für Urkunden, die von diplomatischen oder konsularischen Vertretern ausgestellt wurden) durch das „Londoner Europäische Übereinkommen zur Befreiung der von diplomatischen oder konsularischen Vertretern errichteten Urkunden von der Legislation" vom 7. 6. 1968 (siehe Jayme / Hausmann, Nr. 251 ). Über diese Staatsverträge hinaus hebt Art. 56 EuGVO (= Art. 49 EuGVÜ) zwischen den EG-Mitgliedsstaaten alle Förmlichkeiten für Prozessvollmachten auf, auch der Apostille. 101 Pettinato, , Com., NLCC, S. 1428 in Fn. 75 und Ballarino,, DIP 2, S. 707. 102 Ebenso der Kommissionsbericht in RDIPP 1989, S. 980 zu Art. 62 seines Entwurfes (Fn. 134); die Frage der Geschäftsfähigkeit ist auch gemäß Art. 2 a) des Haager Stellvertretungsabkommens vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen worden. Zu Art. 23 IPRG siehe § 14 III 2. a) und § 15 V. 1. c) bb). Nachdem es sich bei der Vollmachterteilung auch nach italienischem Recht um ein einseitiges Rechtsgeschäft handelt, ist vor allem Art. 23 III IPRG zu beachten, der das Vertrauen des Geschäftspartners auf die Geschäftsfähigkeit nach dem Recht des Handlungsortes schützt. Zum bisherigen Recht siehe 2., bei Fn. 125 zu Art. 17 disp. prel.
390
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Durch Art. 60 IPRG erhält das Vollmachtsstatut erstmalig eine eigene Bestimmung im italienischen IPR, so dass ein lang anhaltender Streit in der Literatur über die Anknüpfung der Vollmacht („procura") sein Ende gefunden hat 1 0 3 . In seinem Absatz I enthält die Vorschrift eine Grundsatzanknüpfung an den Geschäftssitz des Vertreters bzw. den Ort der hauptsächlichen Ausübung der Vollmacht 1 0 4 . Diese Anknüpfungspunkte harmonieren in ihren Grundzügen 105 mit Art. 11 des „Haager Übereinkommens über das auf Vertreterverträge und die Stellvertretung anwendbare Recht" vom 14. 3. 1978 106 . In einigen Punkten weicht die italienische Regelung jedoch vom Staatsvertrag ab. Art. 60 I IPRG entspricht vielmehr den Vollmachtsbestimmungen des schweizerischen 103
Siehe dazu unter 2. 1. E. dazu siehe 3. b) und c). 105 Pocar, in SIDI, S. 235 spricht von einer „substanziellen Übernahme" der staatsvertraglichen Anknüpfungen; ähnlich Pettinato , Com., NLCC, S. 1415 („ratio 104
ispiratrice 106
delle soluzioni adottate della convenzione dell 'Aja del 1978 ").
Actes et Documents, 13te Konferenz, Bd. IV, Contracts d'intermédiaires, S. 371 376 mit Bericht von Karsten (Fn. 95); ebenso abgedruckt (engl. / franz.) in RabelsZ S. 80 - 115. Das Abkommen 1979, S. 176 - 189 mit Aufsatz von Müller-Freienfels, befindet sich seit dem 1. 5. 1992 in Kraft und gilt aktuell für Argentinien, Frankreich, die Niederlande und Portugal (siehe Jayme / Hausmann, vor Nr. 70, Fn. 1). MüKo (iSpellenberg), vor Art. 11, Rn. 172, Fn. 458 geht fälschlicherweise davon aus, das der Vertrag durch Art. 60 IPRG in Italien in Kraft getreten ist. Zu weiteren Quellen und Literatur zu dem Staatsvertrag siehe Pettinato , Com., NLCC, S. 1414 f., Fn. 24; zum Abkommen aus italienischer Sicht siehe Davi , in RDI 1995, S. 597 - 676. Das Übereinkommen ist gemäß seinem Art. 4 als loi uniforme ausgestaltet. Zur Vereinheitlichung des Sachrechts siehe das „Genfer Übereinkommen über die Stellvertretung auf dem Gebiet des internationalen Warenkaufs" vom 17. 2. 1983, in Rev. dr. unif. 1983 I - II, S. 133 ff. bzw. 137 ff. (zitiert nach Jayme / Hausmann, Nr. 77, Fn. 4) und RDIPP 1983, S. 414 - 422 (französisch). Das Abkommen ist noch nicht in Kraft getreten (siehe Jayme / Hausmann, a.a.O.), jedoch von Italien bereits umgesetzt (legge 11. 12. 1985, n. 767) und ratifiziert worden (siehe Pettinato, Com., NLCC, S. 1415, Fn. 25). Es regelt nur das Außenververhältnis des Vertretenen zu Dritten für den Bereich des Kaufrechts. Im Einzelnen zu dem Abkommen siehe Stöcker, Das Genfer Übereinkommen über die Vertretung beim internationalen Warenkauf, in WM 1983, S. 778 - 785 sowie in der italienischen Literatur Davi, a.a.O., S. 656 - 666 (Nr. 9) und Trombetta- Panigadi (Fn. 137), S. 946 - 956; i. W. zur italienischen Literatur siehe Trombetta-Panigadi, Com., RDIPP, S. 1203 m.w.N. unter Fn. 14 und Pettinato, Com., NLCC, S. 1415, Fn. 25. Zur materiellrechtlichen Vereinheitlichung innerhalb der EG für das Recht des Handelsvertreters siehe die EG-Richtlinie 86 / 653 / EWG vom 18. 12. 1986 zur „Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter" (ABl. EG 31. 12. 1986, L 382, S. 17 - 21), zur Richtlinie siehe Ankele, in DB 1987, S. 569 - 571. Die Umsetzung erfolgte in Italien durch d. lgs. 10. 9. 1991, n. 303 (siehe Ballarino, DIP 2, S. 706) und in Deutschland durch Gesetz vom 23. 10. 1989, das sich seit dem 1. 1. 1990 in Kraft befindet (BGBl. 1989 I, S. 1910 1912); zur deutschen Regelung siehe Kindler, in RIW 1990, S. 359 und Kuther, in NJW 1990, S. 304.
§ 17 Die Kollisionsnormen
391
(Art. 126 II IPRG) und portugiesischen (Art. 39 I, III codigo civil 107 ) IPR 108 . Demgegenüber übernimmt Art. 95 des rumänischen IPRG nahezu unverändert die Vorschriften des Haager Abkommens109. In Art. 60 II IPRG regelt der Gesetzgeber eigenständig die Form zur Übertragung der gewillkürten Vertretungsmacht und knüpft damit an den Grundsatz der speziellen Formstatute im IPRG an 110 . Die Frage, ob ein Vertreter mit bzw. im Rahmen seiner Vertretungsmacht gehandelt hat, unterliegt unproblematisch dem Vollmachtsstatut. Demgegenüber regelt das Geschäftsstatut, ob bei dem vom Vertreter abgeschlossenen Geschäftes eine Vertretung zulässig ist (höchstpersönliche Geschäfte). Sofern das Bestehen einer Vollmacht für das abgeschlossene Geschäft zu verneinen ist, ist jedoch das anzuwendende Recht für die Haftung des falsus procurator gegenüber Dritten (potentieller Geschäftspartner) zu klären. Während das Haager Stellvertretungsabkommen (Art. 15) sowie das schweizerische (Art. 126 IV IPRG) und rumänische (Art. 96 IPRG) Kollisionsrecht das Vollmachtsstatut auch in diesem Fall zur Anwendung bringen, fehlt in Art. 60 IPRG eine Regelung dieser Problematik111. Nach materiellem italienischen Recht fällt diese Frage in den Bereich der vorvertraglichen Haftung 112.
107 Art. 39 III des portugiesischen codigo civil stellt lediglich - im Gegensatz zum schweizerischen und italienischen IPRG - bei der gewerblichen Stellvertretung auf die positive Kenntnis des „Dritten" vom Geschäftssitz und nicht auf sein Kennenmüssen ab; siehe Übersetzung von Hartard, in Riering, S. 119. Beim Vollmachtsstatut nach portugiesischem IPR ist jedoch zu beachten, dass das Haager Stellvertretungsabkommen von Portugal ratifiziert wurde (siehe vorige Fußnote), so dass aufgrund der erga-omnesWirkung des Staatsvertrages (Art. 4) die nationale Regelung faktisch ohne Anwendungsbereich bleibt. 108 Zu weiteren nationalen IPR-Regelung zum Vollmachtsstatut siehe 3. c), Fn. 162 (Spanien) und 4., Fn. 173 (Österreich, Spanien). 109 Lediglich bei den Voraussetzungen für die Anwendung des Rechts des Handlungsortes weicht Art. 95 rumänisches IPRG etwas von den Regelungen des Art. 11 II des Haager Abkommens ab. Allerdings entspricht Art. 98 rumänisches IPRG dem Art. 13 des Abkommens zur Handlung des Vertreters mittels Femmeldeeinrichtungen und Art. 99 rumänisches IPRG dem Art. 11 III des Abkommens (zu letzterem siehe unter 3. b) zum Stellvertreter mit mehreren Geschäftssitzen). 110 Siehe dazu § 3 II. 4. c); s. a. Art. 2 b) des Haager Stellvertretungsabkommens, der allgemein Formfragen aus dem Anwendungsbereich des Abkommens ausschließt. Ausführlich zu Art. 60 II IPRG siehe unter 5.; zur Anwendung des Art. 26 disp. prel. nach bisherigem Recht siehe unter 2., Fn. 124. 111 Siehe jedoch 2., Fn. 129 zu Art. 50 II des „progetto" Vitta 112 Trombetta-Panigadi, Com., RDIPP, S. 1202, bei Fn. 9. Zur gesetzlichen Regelung siehe Art. 1398 c. c.
392
Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen
Im Rahmen des IPR 113 ist ihre Einstufung jedoch höchst umstritten. Die einen wenden das Vollmachtsstatut an 114 , andere hingegen das Geschäfts- oder Deliktsstatut115. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauenschutzes des Dritten und der engsten Beziehung kommen als anzuwendendes Statut nur das Vollmachtsstatut bzw. das Geschäftsstatut in Betracht. Nachdem sich das IPRG und seine Kommentatoren jedoch weitestgehend an das Haager Stellvertretungsabkommen anlehnen, wird man sich in der Zukunft wohl fur das Vollmachtsstatut aussprechen116. Weitestgehende Einigkeit besteht hingegen darüber, dass die Fragen der Genehmigung des vom falsus procurator abgeschlossenen Geschäfts durch den Vertretenen und des Widerrufsrechts des Dritten vom Geschäftsstatut zu beantworten ist 117 . Auffällig ist, dass sich die Vorschrift des Art. 60 IPRG im Kapitel XI des 3. Titels des IPRG über die außer vertraglichen Schuldverhältnisse wiederfindet, obwohl die Vollmachtserteilung gegenüber Dritten noch keinerlei Schuldverhältnis begründet118. Diese systematische Einordnung hängt wohl vor allem mit 113 Ebenso im deutschen IPR; siehe Nachweise bei MüKo (Spellenberg), vor Art. 11, Rn. 225, Fn. 619: Für das Statut des vom Vertreter abgeschlossenen Geschäftes v. Bar, IPR II, Rn. 593 und Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 1773. Für das Vollmachtsstatut Kropholler,
IPR, § 41 I. 3.; Soergel (Lüderitz),
Anh. Art. 10, Rn. 102 und Pal. (Heldrich), Anh. 32
EGBGB, Rn. 3. Zur Anwendung des Vollmachtsstatutes (§ 49 österreichischen IPRG - Fn. 173) im österreichischen IPR siehe OGH 9. 7. 1986, in ZfRV 1987, S. 205. 114 Davi, in RDI 1995, S. 612 f., Fn. 18 zum bisherigen Recht. 115 Für das Geschäftsstatut Starace, La rappresentanza, S. 125 bei Fn. 108 und ders. in Starace / De Bellis, Rappresentanza (Diritto Internazionale Privato), in Enc. Dir. XXXVIII, S. 498 (Nr. 7); weitere Nachweise bei Trombetta-Panigadi, Com., RDIPP, S. 1202, Fn. 10 und 11 und Pettinato, Com., NLCC, S. 1430, Fn. 85 und 86. 116 I. d. S. bereits Ballarino, DIP 2, S. 712 oben. 117 Trombetta-Panigadi, Com., RDIPP, S. 1202 und Pettinato, Com., NLCC, S. 1430 bei Fn. 87.1. d. S. bereits in der Vergangenheit Starace , La rappresentanza, S. 121-123 (Genehmigung) und S. 125 bei Fn. 109 (Widerruf) sowie ders. in Starace / De Bellis (Fn. 115), S. 498, Fn. 7. Α. A. Ballarino, DIP 2, S. 711 unten (Vollmachtsstatut). Ebenso in der deutschen Literatur Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 1770, 1772. Zu weiteren Nachweisen zu dieser umstrittenen Frage (Vollmachts- oder Geschäftsstatut) siehe MüKo (Spellenberg), vor Art. 11, Rn. 225, Fn. 615 (Genehmigung) und Fn. 618 (Widerrufsrecht) sowie Soergel (Lüderitz), Anh. Art. 10, Rn. 102, 103. 1,8 Ebenso Ballarino, DIP 2, S. 705 und Kindler, in RabelsZ 1997, S. 279. Diese Tatsache war auch Anknüpfungspunkt für die Kritik an Vittas Anwendung des Art. 25 II disp. prel zur Bestimmung des Vollmachtsstatuts (siehe 2., Fn. 128). In Vittas Entwurf von 1968 (siehe § 1, Fn. 10) wurde die Vollmacht in einem eigenen Kapitel zu einseitigen Rechtsgeschäften geregelt (Art. 23 - siehe in Prospettive, S. 265); Miele, in Prospettive, S. 379 hat sich demgegenüber für eine Einordnung in den Bereich des Personenrechts („stato e capacità delle persone") ausgesprochen. In seinem
§ 17 Die Kollisionsnormen
393
dem Vorbild von Vittas progetto (Art. 50 II) und der vom ihm vertretenen Anwendung des Art. 25 II disp. prel. im bisherigen Recht zusammen 119 . Sie führt jedoch zum Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung (Art. 13 II c) IPRG) im Stellvertretungsrecht 120, was im Ergebnis der staatsvertraglichen Regelung 121 und auch der h. M. in der deutschen Literatur entspricht 122 .
2. Die Vollmacht nach bisherigem Recht
Mangels einer eigenständigen Regelung war die kollisionsrechtliche Anknüpfung der gewillkürten Vertretungsmacht vor Inkrafttreten des IPRG in der italienischen Literatur - ebenso wie in anderen Ländern 123 - sehr umstritten. Gesetzliche Regelungen existierten lediglich andand der allgemeinen Vorschriften der disposizioni preliminari für die speziellen Fragen der Form für die Vollmachtserteilung (Art. 26 I disp. prel.) 124 und der Geschäftsfähigkeit des Vertreters (Art. 17 I disp. prel.) 125 .
„progetto" (siehe § 1, Fn. 12) hat Vitta das Kapitel über die einseitigen Rechtsgeschäfte gestrichen und beim außervertraglichen Schuldrecht eingeordnet (zur Regelung siehe Hinweis in nächster Fußnote). 119 Siehe dazu 2., bei Fn. 128, 129; auch Kindler, in RabelsZ 1997, S. 279 sieht den Grund diese Systematik darin. 120 Zum Renvoi im IPRG siehe § 11 II. 2. e) aa) und § 15 V. 2. 121 Zum Ausschluss der Gesamt Verweisung in Staatsverträgen siehe § 11 II. 2. e) aa), in Fn. 118. 122 Die Frage des Renvoi wird in der deutschen Literatur i. R. d. Vollmachtsstatutes nur selten diskutiert. Die Stimmen dazu sprechen sich jedoch gegen einen solchen aus und verweisen dabei auf die - entsprechend dem Vertragsrecht (Art. 15 EVÜ) ausdifferenzierte Regelung des Vollmachtsstatutes, die durch eine weitere Verweisung nicht modifiziert werden soll (Kropholler, IPR, § 41 I. 4. und Soergel (Lüderitz), Anh. Art. 10, Rn. 112). Beim gesetzlich nicht geregelten Vollmachtsstatut wird insofern davon ausgegangen, dass ein Renvoi „dem Sinn der Verweisung widerspricht" (Art. 4 I 1 2. Hs. EGBGB). 123 Hierzu Müller-Freienfels (Fn. 106), S. 101 - 106; Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht im IPR, 1979, S. 21 - 93 (rechtsvergleichend); Steding, Die Anknüpfung der Vollmacht im internationalen Privatrecht, in ZVglRWiss. 1987, S. 25 (32 - 4 1 mit einer rechts vergi eichenden Übersicht zu den gesetzlichen Regelungen) und Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht, 1990, S. 278 - 281. Die Vielzahl der möglichen Anknüpfungen wurden schon früh von Rabeis, Vertretungsmacht für obligatorische Rechtsgeschäfte, in RabelsZ 1929, S. 807 (812) beschrieben. 124 Zur Neuregelung des Art. 60 II IPRG siehe unter 3. c). 125 Zur entsprechenden Anwendung des Art. 23 IPRG nach neuem Recht siehe 1.,
Fn. 102.
394
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Für die allgemeine Anknüpfung der Vollmacht lassen sich aus der Vielzahl der in diesem Zusammenhang vertretenen Meinungen 126 zwei Tendenzen entnehmen 127 . Zum einen knüpfte insbesondere Vitta durch Anwendung des Art. 25 II disp. prel. (außervertragliche Schuldverhältnisse) an das Ortsrecht der Vollmachtserteilung an 1 2 8 und nahm diese Anknüpfung auch in Art. 50 II 1. Hs. 1 2 9 seines „progetto" auf 1 3 0 . Zum anderen ging im Gegensatz dazu die h. M . 1 3 1 davon aus, dass keine der Normen der disposizioni prelimari in der
126
Balladore Pallieri, DIP 2, S. 154 - 156 hat sich anfangs (später siehe in Fn. 131) für die Anwendung des nationalen Rechts des Vertretenen ausgesprochen, da er in der Vertretungsmacht eine Analogie zur Geschäftsfähigkeit (Art. 17 I disp. prel.) gesehen hat, die eine Möglichkeit („facoltà") zum Vertragsschluss mit Dritten beinhaltet. Kritisch dazu Starace , La rappresentanza, S. 62 - 64 und 67 sowie ders. in Starace / De Bellis (Fn. 7/5), S. 493 (Nr. 3 Ende). Weiller, Sulla procura esterna, in Riv. not. 1956, S. 546 - 549 (548 f.) entschied sich als einziger für die Anwendung des Vertragsstatuts (Art. 25 I disp. prel.), da er den Begriff des „vertraglichen Schuldverhältnisses" weit ausgelegt hat. Diesem rechnete er alle Rechtsverhältnisse zu, die sich auf Verträge beziehen. Durch die Anwendung der 3. Var. des Art. 25 I disp. prel. (Rechtswahl) gelangte er zur Anwendung des Rechts des Ortes, an dem die Vollmacht nach dem Willen des Vertretenen ausgeübt werden soll; zur selben Anknüpfung nach deutscher Rechtsprechung siehe 3. b), Fn. 152. Ebenso das österreichische IPRG (siehe 3. c), Fn. 167). Zur Diskussion i. R. d. Entwurfes von Vitta aus dem Jahre 1968 (siehe § 1, Fn. 10) siehe in Prospettive ν. Overbeck, S. 410 (Nr. 29 - Recht des Wirkungslandes); Miele, S. 379 und Rigata, S. 422.
Zu diesem Meinungsstreit im italienischen Recht siehe Vitta, DIP III, S. 448 und ausführlich Pettinato , Com., NLCC, S. 1410- 1412; siehe auch Jayme (Fn. 117), S. III i. R. d. Besprechung zu Starace, La rappresentanza (Fn. 117). 127 Trombetta-Panigadi, Com., RDIPP, S. 1198; s. a. Kindler, in RabelsZ 1997, S. 279, Fn. 307, 308. 128 Vitta, in Problemi, S. 208 - 210 m.w.N. zur Diskussion; ders. in DIP III, S. 449 und in Vitta / Mosconi, Corso 5, S. 322 f. sowie Venturini, DIP, S. 261; zu weiteren Autoren siehe Trombetta-Panigadi, Com., RDIPP, S. 1198, Fn. 1. Die Kritik der h. M. an dieser Ansicht berief sich vor allem darauf, dass durch die Vollmachtserteilung noch kein „Schuldverhältnis" i. S. d. Art. 25 II disp. prel. entstehen würde (i. d. S. Starace, La rappresentanza, S. 64 f.); siehe dazu auch oben bei Fn. 118. 129 Im zweiten Halbsatz des Art. 50 II seines Entwurfes knüpfte Vitta für das Innenverhältnis (Verantwortung des Vertreters gegenüber dem Vertretenen) und die Haftung des Vertreters gegenüber Dritten an das Recht des Handlungsortes an. 130 Vitta, in Problemi, S. 273. 131 Starace , La rappresentanza, S. 76 ff. (insbesondere 88 f.); ders. in Starace / De Bellis, (Fn. 115), S. 493 (Nr. 4); Ballarino, DIP 1, S. 699 unter iii), der für gewerbliche Vertreter jedoch auf deren Sitzrecht verweist (siehe Fn. 133); Balladore Pallien, DIP (1974), S. 340 - 343 (341) im Anschluss an Starace (zur früheren Ansicht von Balladore Pallien siehe oben Fn. 126); Cassoni, I contratto collegati nel diritto intemazionale privato, in RDIPP 1979, S. 23 (25); Parente, La disciplina dell'agire rappresentativo nella Convenzione di Roma sulla legge applicabile alle obbligazioni contrattuali, in RDIPP 1993, S. 341 (353) und Davi, in RDI 1995, S. 604 f. m.w.N. in Fn. 12.
§ 17 Die Kollisionsnormen
395
Lage sei, das Vollmachtsstatut abschließend zu regeln, und berief das Recht des vom Vertreter vorgenommenen Rechtsgeschäfts zur Anwendung. Die Vollmacht sei untrennbar mit diesem Hauptgeschäft verbunden und insofern akzessorisch an das Geschäftsstatut anzuknüpfen. Auch die einzigen Gerichtsurteile zu diesem Thema haben sich im Sinne der h. M. für eine unselbständige Anknüpfung ausgesprochen132. Nur wenige Autoren haben wie Art. 60 I 1 IPRG bei gewerblichen Vertretern auf den Geschäftssitz derselben abgestellt133.
3. Art. 601 IPRG (Die Anknüpfungen des Vollmachtsstatuts)
a) Die Grundzüge der Neuregelung (selbständige Anknüpfung und Interessenausgleich) In Abkehr von allen bisher vertretenen Ansichten hatten sich der Kommissionsentwurf und der Regierungsentwurf zum IPRG134 erstmalig für eine Parteiautonomie im Stellvertretungsrecht ausgesprochen und sekundär das Sitzrecht des Vertreters zur Anwendung berufen. Die Entwürfe entschieden sich somit
Auch in der deutschen Literatur hat man sich in der Vergangenheit weitgehend iür eine unselbständige Anknüpfung ausgesprochen; siehe Hinweis in MüKo (Spellenberg), vor Art. 11, Rn. 208, Fn. 538, der diese Ansicht heute noch vertritt (a.a.O., Rn. 229 241). 132 Trib. Casale Monferrato 20. 7. 1977, in Dir. marit. 1978, S. 106 und App. Torino 15. 11. 1978, in Dir. marit. 1979, S. 240; beide Urteile zitiert nach Pettinato , Com., NLCC, S. 1412, Fn. 16 und Starace / De Bellis (Fn. 115), S. 493, Fn. 16. Siehe auch App. Napoli 22. 3. 1980, in RDIPP 1981, S. 796 und Cass. 9. 10. 1984, n. 5028, in RDIPP 1985, S. 625. In früheren Urteilen wurde hingegen die kollisionsrechtliche Anknüpfung der Vollmacht von den Gerichten nicht geprüft und unterschiedslos italienisches Recht angewendet; siehe Hinweis von Starace, La rappresentanza, S. 41, Fn. 19. 133 Ballarino, DIP 1, S. 698 f. unter ii) für gewerbliche Stellvertreter (im Übrigen folgt Ballarino der h. M. - [Fn. 131]); Monaco, L'efficacia 2, S. 340 und Vischer, in Prospettive, S. 524, Nr. 8 b). 134 Zum Kommissionsentwurf siehe RDIPP 1989, S. 944 zu Art. 62 (= Art. 60 IPRG); zu den Regelungen der Entwürfe siehe unter 4. und die Besprechung von Lenzi, in Studi Marano, S. 127 (130 - 132). Zur Senatsvorlage siehe Studi Vitta, S. 461, Art. 60. Die Entwürfe entschieden sich für die Rechts wähl, obwohl das Stellvertretungsrecht gerade deshalb aus dem EVÜ ausgeklammert wurde, weil der Grundsatz der Privatautonomie hier „kaum anzuerkennen" sei; siehe dazu unter § 14 III. 2. f). Allgemein zur Rechtswahl im Stellvertretungsrecht siehe unter 4.
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Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen
ebenso wie Vitta 135 und entgegen der bisher h. M. 1 3 6 fiir eine selbständige Anknüpfung des Vollmachtsstatuts137. Auch in der endgültigen Fassung des Art. 60 IPRG, die erst in der Schlussphase des Gesetzgebungsverfahrens entstanden ist 138 , folgte der Gesetzgeber diesem Verständnis. Im Anschluss an die bereits bestehenden Regelungen in anderen IPR-Gesetzen139 und internationalen Verträgen hat der Gesetzgeber dem Vollmachtsstatut zur Selbständigkeit verholfen 140. Die Anknüpfungspunkte wurden jedoch gegenüber den Vorentwürfen grundlegend geändert. Neben der Abkehr von der akzessorischen Anknüpfung der Vollmacht haben die Auswahl der geeigneten Anknüpfungspunkte und die Voraussetzungen ihrer Anwendung eine Berücksichtigung der speziellen Gegebenheiten des Stellvertretungsrechts bedurft. Zum einen erfordert das Dreipersonenverhältnis ein besonderes Maß an Rechtssicherheit im Sinne einer Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts für die Beteiligten (Vertretener, Vertreter und Geschäftspartner) 141. Dies kann durch „a priori"-Anknüpfungen sichergestellt werden 142. Zum anderen musste bei der Frage des anzuwendenden Rechts ein Interessenausgleich zwischen den im Außenverhältnis Verpflichteten (Vertretener und Geschäftspartner) gefunden werden143.
135
Siehe 2., Fn. 128. Siehe oben unter 2., Fn. 131. 137 Zu einer rechtsvergleichenden Übersicht zu dieser Frage siehe TrombettaPanigadi, L'unificazione del diritto in materia di contratti internazionali di intermediazione e di rappresentanza, in Studi Mario Giuliano (siehe § 5 III. 3., Fn. 41), S. 917-962(919-926). 138 Pettinato , Com., NLCC, S. 1413, Fn. 18; ebenso Kindler, in RabelsZ 1997, S. 279 (bei Fn. 310, 311), der zudem erwähnt, dass die endgültige Fassung der Bestimmung vom Plenum ohne erkennbare Diskussion verabschiedet wurde. 139 Siehe 1., bei Fn. 107, 109 zu den Vorschriften des schweizerischen, portugiesischen und rumänischen IPR. Ausführlich zur Diskussion im deutschen IPR siehe MüKo (Spellenberg), vor Art. 11, Rn. 207 - 245; zum deutschen IPR siehe auch b), bei Fn. 151, 152 und c), bei Fn. 168. 140 Zur Diskussion i. R. d. Haager Stellvertretungsabkommens siehe den Bericht von Karsten (Fn. 95), S. 397 f., Nr. 70 - 73. Siehe auch 1., in Fn. 95 zur Differenzierung in dem Abkommen sowie Kropholler, DPR, § 41 I. 1. c). 141 Der Vertretene bedarf dieses Vertrauensschutzes, da er bei Geschäftsabschluss nicht beteiligt ist. Der Vertreter und die jeweiligen Dritten benötigen Klarheit im Hinblick auf den Umfang der Vertretungsmacht des Vertreters. Siehe dazu den Bericht von Karsten zum Haager Stellvertretungsabkommen (Fn. 95), S. 3%, Nr. 65. 142 Allgemein zur Frage der „a priori" oder „a posteriori" Anknüpfungen siehe § 3 II. 3. 143 Siehe auch Ballarino, DIP 2, S. 709. 136
§ 17 Die Kollisionsnormen
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b) Art. 6011 IPRG Art. 60 I 1 IPRG knüpft in Übereinstimmung mit Art. 11 I des Haager Stellvertretungsabkommens für den Bereich der gewerblichen Stellvertretung an den Geschäftssitz des Vertreters an 144 . Voraussetzung für die Anwendung von Satz 1 des Art. 60 I IPRG ist ein berufsmäßiges Tätigwerden des Vertreters („a titolo professionale") 145, unabhängig davon, ob er mit einer General- oder Einzelvollmacht handelt146. Die gewählte Anknüpfung stellt einen Kompromiss zwischen den Interessen des Vertretenen und des „Dritten" dar, da das aus deren Sicht neutrale Recht des Vertreters zur Anwendung kommt147. Infolge der i. d. R. problemlosen Bestimmbarkeit dieses Geschäftssitzes 148 wird auch dem Rechtssicherheitserfordernis Rechnung getragen. Zum weiteren Schutz des Geschäftspartners fordert die neue Regelung im Gegensatz zur staatsvertraglichen Bestimmung zusätzlich eine Erkennbarkeit des Geschäftssitzes für den „Dritten". Das Haager Abkommen enthält einen ähnlichen Gutglaubensschutz nur im Einzelfall in Form einer offengelegten Stellvertretung (Art. 11 II a) 149 ). Der Nachteil dieses Erkennbarkeitserfordernisses liegt allein darin, dass das anzuwendende Recht dadurch zumeist nicht „a priori" - zumindest nicht zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung - zu bestimmen ist. Die Vorschrift entspricht den Regelungen des schweizerischen und des portugiesischen IPR (Art. 126 II schweizerisches IPRG, Art. 39 III portugiesischer codigo civil) 150 . Sowohl die Anknüpfung an den Geschäftssitz des Vertreters als auch deren Einschränkung für die Fälle der Nichterkennbarkeit deckt sich auch mit der deutschen Rechtsprechung und Literatur zum kaufmännischen
144 Siehe auch zur subsidiären Anknüpfung des Kommissions- sowie des Regierungsentwurfes unter a), Fn. 134; zur selben Ansicht i. R. d. bisherigen Rechts siehe Ballarino und Monaco unter Fn. 133. 145 Zum Begriff des „Unternehmers" („imprenditore") im italienischen Recht (Art. 2082 c. c.) im Gegensatz zum Kaufmannsbegriff des Art. 1 HGB im deutschen Recht siehe Kindler, Einführung, § 12, Rn. 2 und 3. 146 Ballarino, DIP 2, S. 709; ebenso Pettinato , Com., NLCC, S. 1423, in Fn. 56. Siehe auch Art. 1 III des Haager Stellvertretungsabkommens („ ... whether he acts
regularly or occassionally. "). 147
Siehe dazu auch den Bericht von Karsten zum Haager Stellvertretungsabkommen
(Fn. 95), S. 399, Nr. 77. 148
Siehe auch Ballarino, DIP 2, S. 709 f. und zum deutschen IPR v. Caemmerer, Die Vollmacht für schuldrechtliche Geschäfte im deutschen internationalen Privatrecht, in RabelsZ 1959, S. 201 -218 (205 f.). 149 Art. 11 II a) des Haager Stellvertretungsabkommens knüpft an das Recht des Handlungsortes an, sofern der Vertretene dort seinen Geschäftssitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Vertreter im Namen des Vertretenen handelt. 150 Siehe auch Art. 1 II CISG zur Erkennbarkeit von Niederlassungen.
398
Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen
Vertreter mit selbständiger Niederlassung151. Das deutsche IPR weicht in diesem Fall von seiner Regelanknüpfung an das Recht des Landes, in dem die Vollmacht ihre Wirkung entfalten soll („Wirkungsland") 152, ab. Die Anknüpfung des Art. 60 I 1 IPRG hat zur Folge, dass es häufig zum Gleichlauf des Vollmachtsstatuts mit dem auf das Grundgeschäft zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen (Innenverhältnis) anzuwendenden Recht kommen wird (Art. 57 IPRG i. V. m. Art. 4 II 2 EVÜ) 153 . Offen lässt die Bestimmung des Art. 60 I 1 IPRG das anzuwendende Recht bei mehrfachem Geschäftssitz des Vertreters.
Art. 11 III des Haager Stellver-
tretungsabkommens knüpft in diesem Fall an den Geschäftssitz an, zu dem die Rechtshandlung des Vertreters die engste Beziehung hat. Daneben wäre es auch denkbar, den Hauptsitz des Vertreters zu bestimmen und das entsprechende Ortsrecht anzuwenden. Letztere Lösung scheint im Hinblick auf den Vertrauensschutz des Geschäftspartners bedenklich; zudem wird für den Dritten in der Regel nur ein Sitz des Vertreters erkennbar sein. Der (erkennbare) Hauptsitz könnte lediglich bei ständigen Geschäftsbeziehungen herangezogen werden. In der Regel dürfte die Anknüpfung des Haager Übereinkommens ein interessengerechtes Ergebnis liefern 154. Durch das Erfordernis der Erkennbarkeit in Art. 60 I 1 IPRG ist aber zumeist eine Einzelfallabwägung vorzunehmen155.
151 BGH 26. 4. 1990 (Fn. 99); Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 1730 m.w.N. zur Rechtsprechung; Pal. (Heldrich), Anh. zu Art. 32 EGBGB, Rn. 2; v. Hoffmann, IPR, § 7, Rn. 50-51 und ausführliche Nachweise bei Soergel (Lüderitz), Art. 10 Anh., Rn. 94, Fn. 8. Die Erkennbarkeit wurde bereits von v. Caemmerer (Fn. 148), S. 207 gefordert. 152 BGHZ 64, S. 183 (192 f.) und BGH 13. 5. 1982, in NJW 1982, S. 2733; zu weiteren Nachweisen siehe Soergel (Lüderitz), Anh. Art. 10, Rn. 98, Fn. 16. Zur Anknüpfung der deutschen Rechtsprechung s. a. unter c), Fn. 165; zur h. Lit. im deutschen Recht siehe c), Fn. 168. 153 Siehe 1., Fn. 97 zur Anwendung des Art. 57 EVÜ i. V. m. dem EVÜ für das Innenverhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem. Gemäß Art. 4 II 2 EVÜ hat mangels Rechtswahl (Art. 3 EVÜ) für den Fall, dass der Vertragspartner, der die charakteristische Leistung des Vertrages zu erbringen hat (Vertreter), den Vertrag i. R. e. gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, der Vertrag im Zweifelsfall die engste Verbindung mit dem Recht des Geschäftssitzes des Leistungserbringers. Siehe auch zum Handelsvertreter den Bericht von Giuliano / Lagarde zum EVÜ, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 36 (53); ebenso Pal. (Heldrich), Art. 28 EGBGB, Rn. 15 und Soergel (v. Hoffmann), Art. 28, Rn. 255 - 261 m.w.N. unter Fn. 138. 154
155
I. d. S. Ballarino, DIP 2, S. 709.
Siehe die Differenzierung von Pettinato, Com., NLCC, S. 1425 f. Gemäß Pettinato soll bei Erkennbarkeit nur eines Geschäftssitzes dessen Ortsrecht angewendet werden; sofern mehrere erkennbar sind, gilt die Regelung des Art. 1 III des Haager Abkommens (engste Verbindung). Für den Fall, dass es sich für den „Dritten" als sehr schwer herausstellt, einen Geschäftssitz des Vertreters festzustellen, soll das Ortsrecht des Sitzes gelten, zu dem der „Dritte" die engste Verbindung hat, d. h. von dem aus der Vertreter hauptsächlich gehandelt hat. Durch diese Differenzierung vermischt Pettinato
§ 17 Die Kollisionsnormen
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Unklar bleibt bei Art. 60 I IPRG die Anknüpfung für den Fall, dass der Vertreter zwar in Ausübung seiner berufsmäßigen Tätigkeit handelt, aber keinen eigenen Geschäftssitz gemäß Satz 1 der Vorschrift („propria sede di affari") besitzt. Bei einer wörtlichen Auslegung der Vorschrift müsste bei diesem Sachverhalt nicht Satz 1, sondern Satz 2 der Bestimmung (Recht des Handlungsortes) zur Anwendung kommen. Art. 12 des Haager Abkommens156 und Art. 126 III des schweizerischen IPRG legen für diese Fälle jedoch fest, dass der Sitz des Vertretenen als Sitz des Vertreters gilt. Vorab ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass Art. 60 I 1 IPRG zwar von einem „eigenen" Geschäftssitz des Vertreters spricht, dies aber nicht bedeutet, dass der Vertreter im Verhältnis zum Vertretenen selbständig sein muss (z. B. Handelsvertreter). Die Vorschrift gilt demzufolge auch fur abhängige Vertreter, solange sie im Rahmen ihres Anstellungsverhältnisses, also berufsmäßig tätig werden. Dabei sollte auch die Stellung des Vertreters im Unternehmen des Vertretenen außer Acht bleiben, da eine derartige Differenzierung für den „Dritten" nicht erkennbar ist 157 . Die Frage der Selbständigkeit stellt sich insofern allein im Hinblick auf den Geschäftssitz, d. h. Art. 60 I 1 IPRG kommt unproblematisch zur Anwendung, sofern ein nichtselbständiger Vertreter im Ausland eine Niederlassung des Vertretenen betreibt und von dieser aus tätig wird 158 . Offen bleibt allein der Fall, in dem der angestellte Vertreter keinen „eigenen" Geschäftssitz hat, seine Vollmacht jedoch überwiegend in einem vom Geschäftssitz des Vertretenen abweichenden Staat ausübt159. Das Haager Stellvertretungsabkommen sowie die ausdrückliche Regelung des schweizerischen IPRG stellen in diesen Fällen auf den Geschäftsitz des Vertretenen ab undfingieren an diesem den Geschäftssitz des Vertreters 160. Dieses Verständnis sollte - unter großzügiger Auslegung des Wortlautes von Art. 60 I 1 IPRG - für das italienische IPR übernommen werden 161. Bei der Abgrenzung zwischen den Anknüpfungen an den Geschäfisdie Regelungen der Sätze 1 und 2 des Art. 60 I IPRG; zu Art. 60 I 2 IPRG siehe im Folgenden unter c). 156 Siehe dazu i. E. den Bericht von Karsten (Fn. 95), S. 399 f., Nr. 78. 157 Ebenso in der deutschen Literatur Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 1729. 158
159
I. d. S. Hausmann (vorige Fußnote), Rn. 1730.
Sofern die Ausübung der Vollmacht überwiegend in dem Land erfolgt, in dem der Vertretene seinen Geschäftssitz innehat, ist es unerheblich, ob des Recht dieses Staates als Recht des Handlungsortes (Art. 60 I 2 IPRG) oder als Recht des Geschäftssitzes (Art. 60 I 1 IPRG) zur Anwendung kommt. 160 Siehe oben bei Fn. 156. 161 I. d. S. Ballarino, DIP 2, S. 709; ebenso in der deutschen Literatur Reithmann / Martiny (Hausmann), Rn. 1729 und Kropholler, IPR, § 41 I. 2. c). Diese Auslegung lässt sich auch der Forderung entnehmen, das Abkommen für Italien zu ratifizieren, „um einige Aspekte zu klären, die Art. 60 in seiner Kürze ungelöst läßt" (siehe Pocar, in IPRax 1997, S. 158, bei Fn. 72 und ders. in II nuovo d. i. p., S. 64).
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Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen
sitz (Art. 60 I 1 IPRG) und den Handlungsort (Art. 60 I 2 IPRG) kommt es dann allein auf die Frage der „Berufsmäßigkeit" der Vollmacht an.
c) Art. 60 12 IPRG Ebenso wie Art. 11 II des Haager Stellvertretungsabkommens und die Vorschriften des schweizerischen, portugiesischen und rumänischen IPR 162 knüpft Art. 60 I 2 IPRG neben dem Sitzrecht des Vertreters an das Recht des Ortes an, an dem die Vollmacht hauptsächlich ausgeübt wird (sog. Gebrauchs-, Handlungs- oder Tätigkeitsort). Das Ortsrecht des Tätigwerdens des Vertreters ist nach italienischem Recht und den Vorschriften des schweizerischen und portugiesischen IPR immer dann maßgebend, wenn die Voraussetzungen des Art. 60 I 1 IPRG nicht gegeben sind, d. h. der Vertreter nicht in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit gehandelt hat oder sein Geschäftssitz für den Vertragspartner nicht erkennbar war. Im Gegensatz dazu skizziert Art. 11 II des Haager Abkommens - sowie der diesem nachgebildete Art. 95 des rumänischen IPRG163 - über den Fall der Stellvertretung ohne eigenen Geschäftssitz (Art. 11 II d)) hinaus ganz spezifische Sachverhalte, bei denen die Anknüpfung an das Recht des Handlungsortes als sachdienlich erscheint (Schwerpunkt des Rechtsgeschäfts). Durch diese staatsvertragliche Regelung wird die Bestimmung des anzuwendenden Rechts erheblich kompliziert. Die Anknüpfung an den Gebrauchsort ist zwar im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts problematisch, dies erweist sich jedoch aufgrund der Tatsache, dass es sich bei einer nichtgewerblicher Stellvertretung i. d. R. um Einzelakte des Vertreters im Namen des Vertretenen handelt, als weniger gravierend 164. Der Tätigkeitsort dürfte auch in diesen Fällen zumeist „a priori" erkennbar sein. Im Hinblick auf einen Interessenausgleich zwischen dem Vertretenen und dem „Dritten" erscheint die Anknüpfung an den Handlungsort - mangels eines Geschäftssitzes des Vertreters - am ehesten angebracht. Zum einen kann der Vertretene grundsätzlich den Ort der Tätigkeit seines Vertreters bestimmen; zum anderen besteht auch für den „Dritten" durch
162
Art. 126 II schweizerisches IPRG, Art. 39 I portugiesischer codigo civil und Art. 95 rumänisches IPRG; zu den Vorschriften siehe bei Fn. 107, 109. Von einer einvernehmlichen Bestimmung des Vollmachtsstatutes abgesehen (siehe 4., Fn. 173) knüpft Art. 10 IX 1. Hs. spanische codigo civil bei der Vollmacht allein an den Gebrauchsort an. 163 Siehe oben unter 1., Fn. 109. 164 Ebenso Ballarino, DIP 2, S. 711.
§ 17 Die Kollisionsnormen
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seine Beteiligung an dem vom Vertreter vorgenommenen Rechtsgeschäft (Vertragsschluss / Erklärungsadressat) ein enger Bezug zu diesem Ortsrecht. Das nach deutscher Rechtsprechung grundsätzlich maßgebende Recht des vom Vertretenen beabsichtigten Wirkungslandes165 bleibt sowohl i. R. d. IPRG als auch beim Haager Abkommen unberücksichtigt. Eine derartige „subjektive" Anknüpfung enthält auch166 § 49 II des österreichischen IPRG167. Das italienische IPRG trägt auch an diesem Punkt dem Verkehrsschutz zugunsten des „Dritten" Rechnung, da es auf den Ort der tatsächlichen und nicht der beabsichtigten Vollmachtsausübung abstellt. Die Neuregelung entspricht somit der h. Lit. in Deutschland168.
4. Die Rechtswahl
Im Gegensatz zu den Vorentwürfen der Kommission und des Senates169 sowie zum Haager Stellvertretungsabkommen lässt Art. 60 I IPRG keine Wahl des Vollmachtsstatuts zu. Nach den Entwürfen zum IPRG hätte eine Rechtswahl allein vom Vertretenen vorgenommen werden können, ohne dass dies dem „Dritten" gegenüber hätte angezeigt werden müssen oder dieser hätte zustimmen müssen. Das Haager Stellvertretungsübereinkommen erlaubt eine Rechtswahl, lediglich unter formal erschwerten Bedingungen (Art. 14). Sie muss in schriftlicher Form durch dai Vertretenen oder „Dritten" erfolgen und vom jeweils anderen ausdrücklich (nicht unbedingt schriftlich) bestätigt werden. Zu beachten ist, dass das Stellvertretungsrecht aus dem EVÜ gerade deshalb ausgeklammert wurde (Art. 1 II f) EVÜ), weil man dieses nicht dem Grundsatz der Privatautonomie unterstellen wollte 170 . In der deutschen Literatur 171 wird die Rechtswahlmöglichkeit dennoch dem Grunde nach anerkannt, jedoch vielfach - ähnlich wie i. R. d. Haager Abkom165
Siehe b), Fn. 152. I. d. S. auch Weiller in Italien zum bisherigen Recht (siehe 2., Fn. 126). 167 Als Auffangtatbestand knüpft § 49 III österreichisches IPRG jedoch an den Ort der tatsächlichen Ausübung der Vollmacht an. 168 v. Hoffmann, IPR, § 7, Rn. 50-51 m.w.N. (Fn. 118) und Kropholler, IPR, § 41 I. 2. a); weitere Nachweise bei Soergel (Lüderitz), Anh. Art. 10, Rn. 93, Fn. 6, der sich jedoch selbst der Rechtsprechung (Fn. 152) anschließt (a.a.O., Rn. 98 bei Rn. 18). 169 Siehe dazu 3. a), Fn. 134. 170 Siehe unter § 14 III. 2. f). 171 Zum Meinungsstand siehe MüKo (,Spellenberg), vor Art. 11, Rn. 190-201 und M. Schäfer, Das Vollmachtsstatut im IPR - einige neuere Ansätze in kritischer Würdigung, in RIW 1996, S. 189- 193 (190 f.). 166
402
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
mens - dadurch beschränkt, dass der „Dritte" vom Vollmachtsstatut zumindest Kenntnis erlangen oder diesem zustimmen muss172. Auch die kollisionsrechtlichen Regelungen anderer Staaten entscheiden sich vielfach zugunsten der Privatautonomie und fordern dabei in der Regel eine Erkennbarkeit der Rechtswahl für den Geschäftspartner 173. Sofern man dem Verkehrsschutz durch eine Vereinbarung der Verpflichteten (Vertretener und „Dritter") oder eine Zustimmung des jeweils anderen Rechnung trägt, ist eine Rechtswahlfreiheit im Stellvertretungsrecht zu begrüßen. Die Zulassung der Rechtswahl würde weder der Rechtssicherheit der Beteiligten noch dem Interessenausgleich zwischen diesen widersprechen 174. Es erscheint nicht einsichtig, warum in diesem überwiegend vertraglichen Bereich die Privatautonomie vollkommen ausgeschlossen werden soll. Eine ausdrückliche Vereinbarung, wie es das Haager Abkommen vorsieht, sollte jedoch aufgrund der Beteiligung von drei Personen gefordert werden; dabei dürfte eine Schriftform entbehrlich sein und eine ausdrückliche Übereinkunft genügen. Unabhängig von der Ausgestaltung einer Rechtswahlregelung erweist sich das italienische IPR durch sein absolutes Rechtswahlverbot in jedem Fall als zu rigide und seine Orientierung am schweizerischen IPRG in diesem Punkt als verfehlt 175.
5. Art. 60 II IPRG
(Formstatut)
Nachdem der Kommissionsentwurf die Formgültigkeit der Vollmacht dem allgemeinen Vollmachtsstatut unterstellt hatte176, folgt der italienische Gesetz-
172 v. Hoffmann, § 7, Rn. 55 m.w.N. und MüKo (Spellenberg), vor Art. 11, Rn. 191 mit Hinweis auf Art. 27 11 EGBGB (= Art. 3 I 1 EVÜ) und Rn. 193 - 196. 173 § 49 I österreichisches IPRG fordert eine Erkennbarkeit der vom Geschäftsherr vorgenommenen Rechtswahl für den Vertragspartner (in Anlehnung daran ebenso § 53 I liechtensteinisches IPRG). Art. 10 XI 2. Hs. spanischer codigo civil spricht von einer „ausdrücklichen Unterwerfung" (Übersetzung von Peuster, in Riering, S. 273); im Übrigen zum spanischen IPR siehe 3. c), Fn. 162. Zur Zulässigkeit der Rechtswahl in der englischen, französischen und belgischen Literatur siehe Nachweise bei MüKo
(Spellenberg), vor Art. 11, Rn. 191, in Fn. 504. 174
Siehe dazu auch den Bericht von Karsten zum Haager Stellvertretungsabkommen (Fn. 95), S. 396 f, Nr. 66 - 69 und in italienischer Literatur Trombetta- Ρanigadi (Fn. 137), S. 942 f. 175 Ebenso Pettinato, Com., NLCC, S. 420 (bei Fn. 44, 45 und vor allem in Fn. 45). 176 Art. 62 des Kommissionsentwurfes (Fn. 134) enthält keine Regelung der Formfrage. Der Kommissionsbericht (RDIPP 1989, S. 980 letzter Absatz zu Art. 62 [= Art. 60 IPRG]) führt insofern aus, dass die Frage der Formwirksamkeit vom Vollmachtsstatut selbst zu beantworten ist. Lenzi, in Studi Marano, S. 132 hat sich hingegen dafür
§ 17 Die Kollisionsnormen
403
geber in der endgültigen Fassung des Art. 60 IPRG seiner Linie der speziellen Normierung von Formstatuten177. Während das Haager Vertretungsabkommen gemäß seinem Art. 2 b) für die Form der Vollmachtserteilung keine Anwendung findet, knüpft Art. 60 II IPRG alternativ („favor validitatis") an das Recht des Vollmachtsstatuts gemäß Absatz I und des Ortes der Vollmachtserteilung an 178 . Der Gesetzgeber übernimmt damit die Bestimmung des Art. 9 I EVÜ 179 in das Stellvertretungsrecht. Auf Grund der Tatsache, dass das Vollmachtsstatut zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung zumeist noch nicht zu bestimmen ist (Erkennbarkeit des Geschäftsitzes gemäß Art. 60 I 1 bzw. des Handlungsortes gemäß Art. 60 I 2 IPRG), liegt der Vorteil der zusätzlichen Anknüpfung durch die zweite Alternative des Art. 60 II IPRG darin, dass wenigstens eine Rechtsordnung zur Verfügung steht, die von Anfang an zu einer formalen Gültigkeit der verliehenen Vollmacht führen kann180. Materiellrechtlich regelt Art. 1392 c. c. die Form der Vollmacht („forma di procura") im italienischen Recht und fordert - im Gegensatz zu § 167 II BGB im deutschen Recht - eine Erteilung der Vollmacht in der für den mittels der Vollmacht abzuschließenden Vertrag vorgeschriebenen Form. Nachdem die Funktion dieser Vorschrift in der Vergangenheit in der italienischen Literatur umstritten war, soll nur zur Klarstellung darauf hingewiesen werden, dass es sich dabei - ebenso wie bei § 167 II BGB - um keine kollisionsrechtliche Bestimmung handelt, die den Anwendungsbereich des Art. 60 II IPRG beeinflusst 181. Die Norm kommt erst dann zur Anwendung, wenn der Rechtsanwender im Rahmen der alternativen Anknüpfungen des Art. 60 II IPRG auf italienisches Sachrecht zurückgreift.
ausgesprochen, das Formstatut des Vertragsrechts (Art. 59 des Kommissionsentwurfes) anzuwenden. 177 Siehe dazu unter § 3 II. 4. c). 178 Die letztere Anknüpfung an den Ort der Vollmachtserteilung entspricht Vittas allgemeinem Ansatz zum Vollmachtsstatut nach bisherigem Recht (siehe 2., Fn. 128). 179 Siehe auch Art. 11 I EGBGB, der die Regelung des EVÜ übernimmt; siehe § 19 III. 1. zur Inkorporation des EVÜ in das deutsche EGBGB. 180 Siehe auch Ballarino,, DIP 2, S. 712. 181 Ballarino,, DIP 2, S. 712. Ebenso bereits nach bisherigem Recht im Hinblick auf Art. 26 I disp. prel. Starace , La rappresentanza, S. 117 (Nr. 10 Ende); Ballarino, Forma, S. 240 (Fn. 246) und S. 460 f.; Vitta,, DIP III, S. 451 f.; Balladore Pallien, DIP (1974), S. 342 f. und Venturini, , DIP, S. 264. Im Anschluss an eine frühere Diskussion dieser Frage haben die genannten Autoren übereinstimmend betont, dass für den Fall, dass die Voraussetzungen des Art. 1392 c. c. nicht erfüllt werden, auf eine andere Rechtsordnungen zurückgegriffen werden kann, die von Art. 26 I disp. prel. zur Anwendung berufen wird
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Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen
III. Art. 63 IPRG (Produkthaftung) 1. Die Eigenständigkeit der Produkthaftung dem allgemeinen Deliktsrecht
gegenüber
a) Die Produkthaftung im IPR Die materiellrechtliche Entwicklung im Bereich der Produkthaftung und die Internationalisierung der Wirtschaft verursachte im Verlaufe der letzten Jahrzehnte eine enorme Zunahme von Produkthaftungsfällen mit internationalem Bezug. Vor allem in den USA machte sich der Anstieg derartiger IPR-Fälle in den 60er und 70er Jahren bemerkbar 182. Dies hat die Haager Konferenz zum Internationalen Privatrecht dazu veranlasst tätig zu werden und führte zum „Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht" vom 2. 10. 1973183, der ersten IPR-Regelung im Bereich der internationalen Produkthaftung. Das Abkommen wurde in wesentlichen Punkten dem „Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfölle anzuwendende Recht" vom 4. 5. 1971184 - der ersten Haager Konvention zum Deliktsrecht - nachgebildet. Aufgrund der komplexen Regelung der Produkthaftung im Haager Übereinkommen von 1973 brachte der Staatsvertrag jedoch eine Vielzahl von rechtlichen Unsicherheiten mit sich185, die dem Abkommen nur einen sehr geringen Erfolg beschieden haben186.
182
Siehe dazu Saravalle, Responsabilità, S. 142 - 185 (Nr. 6 - 8). Zum englischen undfranzösischen Originaltext siehe RabelsZ 1973, S. 594 - 605 mit Aufsatz von W. Lorenz, S. 317 - 356; ders. zu dem Abkommen auch in RabelsZ 1993, S. 195 - 205. Derfranzösische Text des Abkommens findet sich zudem in Rev. crit. 1972, S. 818 und in RDIPP 1972, S. 901; zur italienischen Literatur über das Abkommen siehe De Nova, in RDIPP 1973, S. 297 - 336. Für eine inoffizielle deutsche Übersetzung siehe Schmidt-Salzer, in Schmidt-Salzer / Hollmann, Bd. 1, S. 86 - 92; auch abgedruckt in MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 197a; Soergel (Lüderitz), Art. 38, Rn. 61 (Ubersetzung der Kollisionsnormen des Abkommens) und Staudinger (v. Hoffmann), Art. 40, Rn. 80. Im Einzelnen zu den Anknüpfungen des Abkommen siehe unter 2. a). 184 Zu dem Abkommen siehe § 11 II. 2. a), Fn. 31. Weder Italien noch Deutschland sind Vertragsstaat; zu dem Übereinkommen s. a. 4. a), Fn. 255, 256. 185 Siehe dazu in der italienischen Literatur De Nova, in RDIPP 1973, S. 326 (die zitierten Artt. 3 - 5 entsprechen den Artt. 4 - 6 des Abkommens) und im Einzelnen zur Kritik unter c) cc). 186 Zu den Vertragsstaaten siehe Jayme / Hausmann, vor Nr. 100, Fn. 1 und aktuell unter „http://www.hcch. net/e/status/stat22e". Italien hat das Abkommen zwar am 6. 2. 1975 gezeichnet, aber nicht ratifiziert; siehe auch MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 197, Fn. 658 und Staudinger (v. Hoffmann), Art. 40, Rn. 80. 183
§ 17 Die Kollisionsnormen
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Eine eigenständige Anknüpfung zur Produkthaftung enthält nunmehr auch der Art. 4 des Vorschlages für eine „Rom II"-Verordnung vom 22. 7. 2003187. Gemäß Art. 27 I des Vorschlages soll die Verordnung am 1. 1. 2005 in Kraft treten. Nationale IPR-Gesetze gingen erst sehr spät dazu über, für den Bereich der Produkthaftung eigene Normen zu entwickeln. Nach dem schweizerischen und rumänischen Kollisionsrecht (Art. 135 schweizerisches IPRG und Art. 114 rumänisches IPRG) gilt dies nunmehr auch für das italienische IPRG (Art. 63). Die Neuregelung des außervertraglichen Schuldrechts im deutschen EGBGB enthält demgegenüber keine spezielle Vorschrift zur Produkthaftung (Artt. 40 42 EGBGB)188. Da das Haager Produkthaftungsabkommen von Italien zwar gezeichnet, aber nicht ratifiziert worden ist 189 , hat der italienische Gesetzgeber auch in diesem Bereich eine eigenständige nationale Regelung geschaffen. Die Auslegung der in ihr verwendeten Rechtsbegriffe erfolgt somit nach der italienischen lex fori 190 . Aufgrund des Ausschlusses des Renvoi im Bereich des außervertraglichen Schuldrechts durch Art. 13 II c) IPRG kommen die Regelungen des Haager Produkthaftungsabkommens auch nicht kraft einer kollisionsrechtlichen Gesamtverweisung zur Anwendung191.
b) Die abzuwägenden Interessen bei der Auswahl der Anknüpfungspunkte Durch die selbständige Regelung des Produkthaftungsrechts soll den Besonderheiten dieses Rechtsgebietes gegenüber dem allgemeinen Deliktsrecht Rechnung getragen werden. Dabei gilt es abzuwägen zwischen dem Schutz des Verbrauchers vor Schäden infolge mangelhafter Produkte und dem Interesse des Produzenten an einer Vorhersehbarkeit möglicher Haftungsdimensionen 187 „Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das für ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht" („Rom II") vom 22. 7. 2003, KOM (2003) 427, 2003 / 0168 (COD); siehe auch Jayme / Kohler, in IPRax 2003, S. 494 m.w.N. in Fn. 90. Zu den Regelungen des Vorschlages siehe 2. c). 188 Zu den Anknüpfungen im schweizerischen, rumänischen und deutschen IPR siehe unter 2. b); zu den Quellen der IPR-Gesetze siehe im Anhang I. In der Gesamtkodifikation Liechtensteins von 1996 fehlt eine derartige Bestimmung; das IPRG Liechtensteins folgt insoweit dem österreichischen IPRG als seinem Vorbild (siehe dazu ebenfalls in Anhang I). 189 Siehe dazu Fn. 186. Zu Staatsverträgen im Bereich des Deliktsrechts, denen Italien beigetreten ist, siehe Staudinger (v. Hoffmann ), 13. Auflage, Art. 38, Rn. 41. 190 Im Einzelnen dazu siehe unter 4. c) aa). 191 Zur Frage des Renvoi im deutschen internationalen Deliktsrecht siehe zusammenfassend MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 23 - 29.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
zur frühzeitigen Kostenkalkulation und Versicherung auftretender Risiken. Der Schutz des „schwächeren" Verbrauchers kann durch die Einräumung einer weitgehenden Rechtswahlmöglichkeit gewährleistet werden, so dass das anwendbare Recht einen möglichst nahen Bezug zum erlittenen Schaden hat und der Geschädigte das für ihn günstigste Recht wählen kann. Über das allgemeine Interesse des Produzenten hinaus, gerade einen derartig umfangreichen Verbraucherschutz zu verhindern, liegt diesem vor allem daran, mit Hilfe von „a priori"-Anknüpfungen 192 (ζ. B. Recht seines Geschäftssitzes oder des Kaufortes) sein unternehmerisches Risiko im Voraus erkennen und damit minimieren und berechnen zu können.
c) Die Produkthaftung im materiellen Recht Im Gegensatz zum Kollisionsrecht ist die Emanzipation des Produkthaftungsrechts vom allgemeinen Deliktsrecht im materiellen Recht wesentlich weiter fortgeschritten. Dies gilt insbesondere im Bereich der Europäischen Gemeinschaft, deren Produkthaftungsrichtlinie zu einer weitestgehenden Vereinheitlichung des Sachrechts der Mitgliedstaaten geführt hat 193 . Über die EG hinaus orientierten sich auch die damaligen Mitgliedsstaaten der EFTA bei der Ausgestaltung ihres Produkthaftungsrechts an der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie194. Durch diese materiellrechtliche Vereinheitlichung hat das IPR insoweit an Bedeutung verloren, als mögliche Anknüpfungen des IPR zur Anwendung des Rechts eines dieser Staaten fuhren 195. Es gilt jedoch zu beachten, 192
Allgemein dazu siehe § 3 II. 3. Siehe Richtlinie des Rates vom 25. 7. 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (RL 85 / 374 / EWG in ABl. EG 1985, L 210, S. 29 - 33). Eine Übersicht zur Umsetzung der Richtlinie findet sich in Hill-Arning / Hoffmann, S. 31. Zur Umsetzung der Richtlinie in Italien siehe d. p. r. 24. 5. 1988, n. 244, in Gazz. Uff. 23. 6. 1988, n. 146. Eine Gegenüberstellung der Richtlinie und des italienischen Umsetzungsdekrets in deutscher und italienischer Sprache bietet Schmidt-Salzer / Hollmann, Bd. 2, 3. A S. 11 - 27. Allgemein zur Produkthaftungsrichtlinie siehe Schmidt-Salzer / Hollmann, Bd. 1. 194 Dies galt für Finnland, Island, Liechtenstein, Norwegen, Österreich, Schweden und die Schweiz (siehe dazu die Länderberichte in Hill-Arnig / Hoffmann; für eine Übersicht siehe auch Rochaix, IntProdHaft, S. 48). Liechtenstein hat zwar ein entsprechendes nationales Gesetz entworfen, dessen Inkrafttreten aber von einem Beitritt zum EWR abhängig gemacht (Art. 14 des Gesetzes über die Produktehaftpflicht). Der Beitritt ist nicht erfolgt, da die Schweiz nach einer Volksabstimmung dem EWR ferngeblieben ist; dem hat sich Liechtenstein angeschlossen, um seine bestehende Zollunion mit der Schweiz nicht zu gefährden. Siehe dazu 193
Hill-Arnig/ Hoffmann, S. 110. 195
Zu dieser Vereinheitlichung siehe auch Soergel (Lüderitz), Art. 38, Rn. 59 und 60.
§ 17 Die Kollisionsnormen
407
dass der Bereich der Produkthaftung im Kollisionsrecht weiter zu fassen ist als die materielle Regelung der EG-Richtlinie. Dem Art. 63 IPRG unterliegen nämlich alle außervertraglichen Ansprüche infolge fehlerhafter Produkte, auch wenn sie aus allgemeinem Deliktsrecht abgeleitet werden196. Das über die Gemeinschaftsrichtlinie hinausgehende Deliktsrecht einschließlich der spezialgesetzlichen Gefahrdungshaftung deckt sich jedoch in den nationalen Rechtsordnungen keineswegs197, so dass die kollisionsrechtliche Anknüpfung auch innerhalb Europas von Bedeutung bleibt. Anders als die Richtlinie der EG entfaltet die im Rahmen des Europarates ausgearbeitete „Europäische Konvention zur Produkthaftung bei Körperschäden und Tod" vom 27. 1. 1977198 keine Wirkung. Das Abkommen ist bis heute nicht in Kraft getreten.
2. Die Anknüpfungen des Haager Produkthaftungsabkommens, anderer nationaler IPR-Gesetze und des Vorschlages für eine „Rom II "-Verordnung
a) Das Haager Produkthaftungsabkommen 199 Die kollisionsrechtlichen Vorschriften des als loi uniforme ausgestalteten (Art. 11) Haager Produkthaftungabkommens (Artt. 4 - 7 ) enthalten eine sehr komplexe Regelung der Materie, die zum einen allgemein als zu kompliziert angesehen wird und im Speziellen mit der umfassenden Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten dem Haftenden eine unvorhersehbare Bezugnahme liefert 200.
196
Siehe 4. c) bb) zum Anwendungsbereich des Art. 63 IPRG. Siehe ebenfalls unter 4. c) bb) Ende und ausführlich Hill-Arning / Hoffmann, Produkthaftung in Europa (siehe Literaturverzeichnis). 198 Abgedruckt in Auszügen (deutsch / englisch) bei Schmidt-Salzer / Hollmann, Bd. 1, S. 67; siehe dazu im Entwurfsstadium W. Lorenz, Der Entwurf einer Europäischen Konvention über die Produkthaftpflicht, in RIW 1975, S. 246 - 253. 199 Zu den Quellen des Abkommens siehe 1. a), Fn. 183. 200 Zur Komplexität der Regelung siehe im Folgenden die kumulativen Anknüpfungen der Artt. 4, 5 des Abkommens und deren umstrittenes Verhältnis zueinander; kritisch insofern Drobnig (Fn. 212), S. 312; Vischer, in FS Moser, S. 132 und weitere Nachweise bei Wandt, IntProdH, § 1, Rn. 51 sowie Lörtscher, in ZVglRWiss. 1989, S. 81, Fn. 64 zur ebenfalls von dem Abkommen abweichenden Regelung des schweizerischen IPRG. Siehe auch 1. b) zur Vorhersehbarkeit der Anknüpfungen und allgemein unter 1. a), bei Fn. 186 zum geringen Erfolg des Abkommens. 197
408
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Zum einen liefern die Art. 4 und 5 des Vertrages ein kompliziertes System von kumulativen Anknüpfungen, deren Verhältnis zueinander umstritten ist 201 . Art. 4 knüpft dabei an den Verletzungsort, Art. 5 an den Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes des unmittelbar Geschädigten an. Sofern keiner der in den Artt. 4, 5 erwähnten kumulativen Sachverhalte gegeben ist, beruft Art. 6 des Übereinkommens das Recht des Hauptgeschäftssitzes des Haftenden zur Anwendung, sofern nicht der Geschädigte seinen Anspruch auf das Recht des Verletzungsortes stützt. Unsicherheiten entstehen darüber hinaus dadurch, dass sich das Abkommen - wie sich aus den Materialien zu diesem ergibt 202 - bei der Anknüpfung an den „Verletzungsort" 203 („place of injury") in den Artt. 4 und 6 nicht zugunsten des Handlungs- oder Erfolgsortes entschieden hat. Die Klärung dieser Frage wurde der Praxis überlassen. Ein begrenztes Wahlrecht für den Geschädigten sieht das Abkommen lediglich im Rahmen der subsidiären Anknüpfung des Art. 6 vor. Der Staatsvertrag erlaubt jedoch keine parteiautonome Rechtswahl204. Gemäß Art. 7 kommen die Grundsatzanknüpfungen an den Verletzungsort bzw. den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten nicht zum Tragen, wenn der Inanspruchgenommene vernünftigerweise nicht voraussehen konnte, dass sein Produkt in dem betreffenden Staat in den Handel gelangen wird. Sofern dem Haftenden dieser Nachweis gelingt, kommt gemäß Art. 6 das Recht seines Geschäftssitzes zur Anwendung. Durch diese Vorhersehbarkeitsklausel wird dem Vertrauensschutz des Produzenten Rechnung getragen205. Die Anforderung an den Entlastungsbeweis ist gegenüber den nationalen Regelungen (fehlende Zustimmung) in Art. 7 des Staatsvertrages zwar formell höh«· angesetzt (Unvorhersehbarkeit), im Ergebnis dürften sich dadurch jedoch keine erheblichen Abweichungen ergeben206.
201 Umstritten ist dabei, ob Art. 5 („Notwithstanding the provision of Articel 4") zusätzliche Anknüpfungen zu Art. 4 anbietet oder als lex specialis den Art. 4 verdrängt (für Vorrang des Art. 5: Stoll, in FS Kegel (1977), S. 128 m.w.N. zur Diskussion in Fn. 57 und MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 198, Fn. 662; differenzierend W. Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 344-346). Unproblematisch ist hingegen die subsidiäre Anwendung des Art. 6 ("Where neither of the laws designated in Articles 4 and 5 applies , ... ") gegenüber den Artt. 4 und 5 des Abkommens. 202 Siehe dazu W Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 341. 203 Siehe dazu die inoffiziellen Übersetzungen der Abkommens unter 1. a), Fn. 183. 204 Nach dem erläuternden Bericht von Reese zu dem Abkommen soll diese Frage vom Kollisionsrecht des forums beantwortet werden (siehe Wandt, IntProdH, Rn. 46, Fn. 99). 205 Siehe dazu unter 1. b). 206 Siehe dazu im Einzelnen unter 4. d) cc), insbesondere bei Fn. 360.
§ 17 Die Kollisionsnormen
409
b) Andere nationale IPR-Gesetze
Die Regelungen des schweizerischen (Art. 135 IPRG) und des rumänischen (Art. 114 IPRG) Kollisionsrechts entfernen sich im Gegensatz zum Haager Abkommen vom „Tatortprinzip" des allgemeinen Deliktsrechts. Während Art. 135 I a) schweizerisches IPRG auf die Niederlassung bzw. den gewöhnlichen Aufenthalt des Schädigers abstellt, bringt Art. 114 I a) rumänisches IPRG das Recht des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltes des Verbrauchers zur Anwendung. Ansonsten decken sich die Regelungen und eröffnen dem Geschädigten die Option, das Recht des Erwerbsortes des Produktes zu wählen (Art. 135 I b) schweizerisches IPRG, Art. 114 I b) rumänisches IPRG), wobei dem Haftenden jeweils die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises eingeräumt wird 2 0 7 . Beide IPR-Gesetze enthalten zudem eine spezielle ordre-public-Klausel, die eine Leistungsverpflichtung des Haftenden nach fremdem Sachrecht auf die Leistungen des nationalen Produkthaftungsrechts begrenzt (Art. 135 I I schweizerisches, Art. 116 rumänisches IPRG 2 0 8 ). 207
Zum Entlastungsbeweis des Haftenden siehe unter 4. d) cc). Art. 135 II schweizerisches IPRG: „ ... keine weitergehenden Leistungen zugesprochen werden, als nach schweizerischem Recht für einen solchen Schaden zuzusprechen wären Art. 116 rumänisches IPRG: „ ... Gerichte können ... Schadensersatzansprüche ... lediglich im Rahmen des rumänischen Rechts in Schadensersatzfragen zuerkennen" (Übersetzung in Riering (Hrsg.), S. 177). Die Regelung des schweizerischen IPRG wurde durch Art. 38 EGBGB a. F. angeregt (siehe Hinweis zu den Gesetzesmaterialien bei Wandt, IntProdHafl, S. 75, Fn. 70 und Lörtscher, in ZVglRWiss. 1989, S. 86, Fn. 87); durch die Reform des außervertraglichen Schuldrechts im deutschen EGBGB (siehe bei Fn. 2lì) ist diese lange Zeit kritisierte Vorschrift des deutschen IPR außer Kraft getreten. Durch Art. 135 II schweizerisches IPRG soll der zu gewährende Ersatzanspruch auf den effektiv erlittenen Schaden begrenzt bleiben und vor allem die Geltendmachung eines extensiven „punitive damage" nach amerikanischem Recht verhindert werden (ausfuhrlich zu der Vorschrift siehe Lörtscher, a.a.O., S. 84 - 97). Umstritten ist dabei, ob durch die Regelung bestimmte, dem schweizerischen Recht fremde Haftungsgrundlagen wie der „punitive damage" ausgeschlossen werden oder ob lediglich eine Beschränkung der Anspruchshöhe erfolgen soll (Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 135, Rn. 52 für quantitative Beschränkung; ebenso Vischer, in FS Moser, S. 142 und Schräder, IPRG, S. 123; zur Diskussion s. a. Wandt, IntProdHafl, S. 75, Rn. 80). In jedem Fall geht es nicht darum, eine bestimmte Höchstgrenze festzusetzen; vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, ob der nach ausländischem Recht festgestellte Betrag über die Kompensation hinaus noch weitere Ziele verfolgt (Prävention, Strafcharakter u. ä.). Das Einfügen dieser Beschränkung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen, da sie dem Grundsatz der Gleichberechtigung der nationalen Rechtsordnungen widerspricht (siehe Rochaix, IntProdHafl, S. 169). Zur Zweckorientierung der Haftungsbeschränkung siehe im Folgenden bei Fn. 216 die Neuregelung des Art. 40 III des deutschen EGBGB; siehe auch c) am Ende zu Art. 24 des Vorschlages für eine „Rom II"-Verordnung. 208
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Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen
Abgesehen von dieser ordre-public-Klausel entspricht Art. 135 schweizerisches IPRG weitestgehend 209 der Regelung des Art. 63 im italienischen IPRG. Alle nationalen Spezialregelungen zum Produkthaftungsrecht stellen die angebotenen Rechtsordnungen zur Wahl des Geschädigten. Die Möglichkeit einer uneingeschränkten Rechtswahl kraft Vereinbarung zwischen Geschädigtem und Haftendem eröffnen die Bestimmungen jedoch nicht 2 1 0 . Einen anderen Weg hat in jüngster Zeit die Neuregelung des außervertraglichen Schuldrechts im deutschen EGBGB beschritten 211 . Die einschlägigen Vorschriften des internationalen Deliktsrechts enthalten im Gegensatz zum italienischen IPRG keine besondere Bestimmung zum Produkthaftungsrecht (Artt. 40 - 42 EGBGB) 2 1 2 . Dies gilt auch für das niederländische IPR-Gesetz vom 11.4. 2001 zum Deliktsrecht 213 . Im deutschen IPR kommt auch für Fälle der Produkthaftung - ähnlich dem Haager Produkthaftungsabkommen - grundsätzlich das Tatortprinzip des allgemeinen Deliktsrechts zum Tragen (Art. 40 I EGBGB). Auffällig sind dabei die Parallelen zur entsprechenden Norm des italienischen IPRG (Art. 62 IPRG) 2 1 4 . Im Gegensatz zu Art. 62 IPRG wird jedoch im deutschen Recht bei 209 Art. 135 I a) Schweiz. IPRG knüpft lediglich an den gewöhnlichen Aufenthalt (ital. Fassung „dimora abituale") des Schädigers an, während Art. 63 IPRG dessen „domicilio" als relevant erachtet. Dem Begriff der „amministrazione" in Art. 63 IPRG kommt zudem ein anderer Anwendungsbereich zu als der „Niederlassung" (ital. Fassung „stabile organizzazione") in Art. 135 I b) schweizerisches IPRG. Im Einzelnen zu den Anknüpfungspunkten s. u. unter 4. d) bb). 210 Zum Haager Produkthaftungsabkommen siehe 2. a), in Fn. 204. Im schweizerischen IPRG ist umstritten, ob im Rahmen der Produkthaftung über Art. 135 IPRG hinaus auf die Rechtswahl Vorschrift des allgemeinen Deliktsrechts (Art. 132 IPRG - Wahl des schweizerischen Rechts als lex fori durch nachträgliche parteiliche Vereinbarung) zurückgegriffen werden kann (i. d. S. Vischer, in FS Moser, S. 134 oben sowie Heini, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 132, Rn. 1 und Volken, ebenda, Art. 135, Rn. 47 mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien) oder ob dies bei den deliktischen Spezialvorschriften der Artt. 134 - 139 IPRG ausgeschlossen ist (zu weiteren Nachweisen siehe Wandt, IntProdHafl, S. 72, in Fn. 43). Im Gegensatz dazu ist beim italienischen IPRG von einer strengen Trennung zwischen dem allgemeinen Deliktsstatut (Art. 62 IPRG) und dem speziellen Art. 63 IPRG zum Produkthaftungsrecht auszugehen (siehe 4. a) sowie 4. b), bei Fn. 261). 211 Zu dem Gesetz siehe Kap. I, in Fn. 1. 212 Im Gegensatz dazu hat Drobnig, Produktehaftung, in v. Caemmerer, Vorschläge und Gutachten zur Refom des deutschen internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse, Tübingen 1983 für eine eigene Vorschrift zur Produzentenhaftung plädiert und in Absatz I seines Vorschlages (zum zweiten Absatz siehe Fn. 278) auf S. 337 dem Geschädigten das Sitzrecht des Herstellers, das Ortsrecht des Schadenseintritts oder das Recht am Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten zur Wahl gestellt. 213 Zu den Regelungen siehe Kramer, in IPRax 2002, S. 540 f. 214 Siehe dazu unter 4. a).
§ 17 Die Kollisionsnormen
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der Tatortanknüpfung das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort umgedreht. Art. 40 I EGBGB knüpft insofern „objektiv" an den Ort der deliktischen Handlung an (Satz 1) und eröffnet dem Geschädigten die Möglichkeit, das Recht des Erfolgsortes zu wählen (Satz 2). Ähnlich dem Art. 62 II des italienischen IPRG verweist Art. 40 II EGBGB bei einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von Schädiger und Geschädigten auf das Ortsrecht derselben. Im Gegensatz zu Art. 62 II IPRG und zur bisherigen Rechtsprechung und Literatur im deutschen Recht215 erfolgt diese Anknüpfung unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Beteiligten. Eine Parallele zu den speziellen ordre-public-Vorschriften des schweizerischen und rumänischen IPRG216 findet sich im deutschen IPR nunmehr ausführlich in Art. 40 III Nr. 1, Nr. 2 EGBGB, der klarstellt, dass auch nach ausländischem Recht nur Schadensersatz zu Kompensationszwecken zugesprochen werden kann. Die spezielle Ausweichklausel des Art. 41 EGBGB217 verweist zudem auf die Maßgeblichkeit einer „wesentlich engeren Verbindung" des Sachverhaltes aus einer „besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Beziehung" (Art. 40 II Nr. 1 EGBGB). Aus dieser Regelung kann die bisher umstrittene akzessorische Anknüpfung an ein vorhandenes Vertragsstatut abgeleitet werden 218. Aufgrund der fehlenden speziellen Vorschrift zur Produkthaftung greift nunmehr im deutschen IPR auch für Fälle der Produkthaftung - abweichend von den besonderen Produkthaftungsbestimmungen des Haager Abkommens und nationaler IPR-Gesetze - der Grundsatz der parteiautonomen Rechtswahl nach Eintritt des Schadensereignisses (Art. 42 EGBGB)219.
215 Zur bisherigen Rechtsprechung und Literatur im Anschluss an die durch die Neuregelung des außervertraglichen Schuldrechts in Deutschland aufgehobenen Rechtsanwendungsverordnung von 1942 siehe 4. a), in Fn. 253. 216 Siehe dazu oben in Fn. 208. 217 Siehe dazu auch § 3 II. 3., Fn. 57. 218 Siehe dazu MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 65 bei Fn. 220; zur akzessorischen Anknüpfung im italienischen Recht siehe unter 4. c) bb). 219 Siehe auch Art. 132 des schweizerischen IPRG; zur Frage, ob diese Vorschrift auch im Rahmen des Produkthaftungsrechts zur Anwendung kommt siehe unter 2. b),
Fn. 210.
Die Rechtswahl im internationalen Deliktsrecht ist auch nach der bisherigen Rechtsprechung und Literatur in Deutschland als zulässig erachtet worden. Während die Rechtsprechung nur Fälle einer nachträglichen Rechtswahl behandelt hat (BGHZ 98, S. 263 (274) = NJW 1987, S. 592 und BGH NJW-RR 1988, S. 534 = IPRax 1988, S. 306), sprach sich die h. Lit. in der Vergangenheit auch für die Möglichkeit einer Rechtswahl vor Eintritt des Schadensereignisses aus (siehe Nachweise bei MüKo (Kreuzer),
Art. 38, Rn. 61, Fn. 194).
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Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen
c) Der Vorschlag für eine „Rom II"-Verordnung 220 Auch der Vorschlag für eine „Rom II"-Verordnung vom 22. 7. 2003 enthält neben der allgemeinen deliktischen Anknüpfung (Art. 3) eine besondere Vorschrift zur Produkthaftung (Art. 4). Sie knüpft - wie Art. 5 des Haager Produkthaftungsabkommens 221 und Art. 114 a) des rumänischen IPRG222 - an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten an. Der Haftende hat jedoch auch hier die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises. Weist er nach, dass das Produkt ohne seine Zustimmung223 in dem Land des gewöhnlichen Aufenthaltes des Geschädigten in Verkehr gebracht wurde, kommt das Recht am Ort seines gewöhnlichen Aufenthaltes zur Anwendung. Bei Gesellschaften steht dem Aufenthaltsort der Ort der Hauptniederlassung bzw. - sofern das schädigende Ereignis oder der Schaden anlässlich des Betriebes einer anderen Niederlassung eingetreten ist - der Ort dieser Niederlassung gleich (Art. 19 I). Bei beruflich tätig gewordenen Privatpersonen ist dies der Ort ihrer beruflichen Niederlassung (Art. 19 II). Die Anknüpfungen in Art. 4 des Vorschlages gelten jedoch nur unbeschadet der Absätze 2 und 3 des Artikels 3. Sollten also Geschädigter und Haftender bei Schadenseintritt ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben (Art. 3 II) oder der Sachverhalt eine „offensichtlich engere Verbindung" mit einem anderen Staat aufweisen (Art. 3 III), gelten deren Rechtsordnung. Im Gegensatz zu allen bisherigen Abkommen und nationalen Gesetzen, die besondere IPR-Vorschriften zur Produkthaftung enthalten224, sieht der Vorschlag für eine „Rom II"-Verordnung auch im Bereich der Produkthaftung die Möglichkeit einer nachträglichen, aber uneingeschränkten Rechtswahl vor
220
Zu dem Vorschlag siehe 1. a), Fn. 187. Siehe a). 222 Siehe b). 223 Der Vorschlag stellt durch das Erfordernis der Zustimmung geringere Anforderungen an dem Entlastungsbeweis als das Haager Produkthaftungsabkommen (siehe a), am Ende); im Regelfall dürften die Regelungen jedoch zum selben Ergebnis führen (siehe 4. d) cc), insbesondere bei Fn. 360). 224 Das Haager Produkthaftungabkommen sieht keine parteiautonome Rechtswahl vor (siehe a), bei Fn. 204); die nationalen IPR-Gesetze beschränken die Rechtswahl auf die „objektiv" angebotenen Rechtsordnungen (siehe allgemein b), Fn. 210 und d) aa) zu Art. 63 IPRG). Nur das deutsche IPR (siehe b) am Ende zu Art. 42 EGBGB) und Art. 6 des niederländischen Gesetzes vom 11.4. 2001 (siehe b), Fn. 213) erlauben im Ergebnis die freie Rechtswahl auch im internationalen Produkthaftungsrecht. Beide Gesetze enthalten jedoch keine speziellen Vorschriften zur Produkthaftung. Vielmehr findet - wie im Vorschlag für eine „Rom II"-Verordnung - die allgemeine Vorschrift zur Rechtswahl im Deliktsrecht auch für den Bereich der Produkthaftung Anwendung. 221
§ 17 Die Kollisionsnormen
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(Art. 10 1). Art. 10 I des Vorschlages schließt diese freie Rechtswahl im außervertraglichen Schuldrecht nur bei Ansprüchen wegen der Verletzung der Rechte an geistigem Eigentums (Art. 8) aus. Zudem bleibt - ähnlich dem Art. 3 III EVÜ - in Fällen, in denen - über die Rechtswahl hinaus - alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt des Schadenseintritts in einem Staat belegen sind, die Anwendung nicht abdingbarer Bestimmungen dessen Rechtsordnung unberührt (Art. 10 II). Des selbe gilt für zwingende Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, wenn der Sachverhalt ausschließlich in der Gemeinschaft belegen ist und das Recht eines Drittstaates gewählt wurde (Art. 10 III). Unabhängig vom anzuwendenden Recht sind bei der Feststellung der Haftung die Sicherheits- und Verhaltensregeln am Ort und zum Zeitpunkt des Eintritts des schädigenden Ereignisses zu berücksichtigen (Art. 13)225. Auf der Rechtsfolgenseite legt Art. 24 des Vorschlages - ähnlich dem Art. 40 III Nr. 1, Nr. 2 EGBGB226 - fest, dass eine über den Ausgleich des entstanden Schadens hinausgehende Entschädigung, die vom anwendbaren Recht zugesprochen wird, mit der öffentlichen Ordnung der Gemeinschaft nicht vereinbart ist. Entschädigungen mit Straf- oder Präventionscharakter verstoßen insoweit gegen den gemeinschaftsrechtlichen ordre public. Die Rom Ii-Verordnung soll selbstverständlich als loi uniforme ausgestaltet sein227 und enthält reine Sachnormverweisungen (Art. 20) 228 .
225
Siehe dazu 4. c) ee). Siehe b), bei Fn. 216 (EGBGB) und Fn. 208 zum schweizerischen und rumänischen IPRG. 227 Siehe Art. 2 (auch Anwendung des Rechts eines Nicht-Mitgliedsstaates) und 226
Art. 3 I („ ... unabhängig davon, in welchem Staat das schädigende Ereignis eintritt und in welchem Staat oder welchen Staaten die indirekten Schadensfolgen festzustellen sind ... "). 228
Zu beachten ist, dass die Verordnung den internationalen Abkommen, die spezielle Bereiche des außervertraglichen Schuldrechts regeln, nicht vorgehen, sondern diese unberührt lassen soll (Art. 25 des Vorschlages). Die Erläuterungen des Vorschlages erwähnen dabei neben dem Haager Abkommen für Straßenverkehrsunfälle ausdrücklich auch das Haager Produkthaftungsabkommen. Die Mitgliedsstaaten, in denen das als loi uniforme ausgestaltete Produkthaftungsabkommen in Kraft ist (siehe 1. a), Fn. 186), müssten dieses Abkommen kündigen, um Art. 4 der Rom II-Verordnung zur Anwendung zu verhelfen. Da Italien das Abkommen nicht ratifiziert hat, stellt sich diese Frage in Italien nicht. Vor dem Hintergrund der Bemühungen, ein einheitliches Kollisionsrecht in der Gemeinschaft zu schaffen, mag diese Regelung verwundem. Im Gegensatz dazu legt die EheVO fest, dass ihre Regelungen dem MSA und dem KSÜ vorgehen (siehe § 12 II., Fn. 37- MSA - und DC., Fn. 143 - KSÜ).
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Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen 3. Internationale Produkthaftung nach bisherigem italienischen Recht und die Vorentwürfe zum IPRG
a) Bisheriges Recht
Nach der Anknüpfung des Art. 25 I I disp. prel. (außervertragliche Schuldverhältnisse) unterlag das Deliktsrecht und damit auch das Produkthaftungsrecht bisher dem Ortsrecht der Entstehung des deliktischen Anspruches 229 . Dies führte im Falle des Auseinanderfallens von Handlungs- und Erfolgsort (sog. Distanzdelikte) zu der üblichen Diskussion im internationalen Deliktsrecht über den Ort, mit dem der Haftungstatbestand am engsten in Verbindung steht 230 . Die italienische Rechtsprechung war dabei bemüht, möglichst zur Anwendung des eigenen nationalen Rechts zu gelangen („Heimwärtsstreben") 231 . Es zeigte sich zwar eine Tendenz zur Anknüpfung an den Erfolgsort, dies war jedoch eher darauf zurückzuführen, dass der Erfolgsort in den konkreten Fällen in Italien belegen war 2 3 2 . Auch in der Literatur ist die Frage umstritten geblie229
Siehe dazu in der deutschen Literatur Kindler, in JbltR Bd. 4 (1991), S. 91 - 97. Die Regelung des Art. 25 II disp. prel. entspricht im Grunde der deliktischen Anknüpfung im deutschen IPR vor der Neuregelung des Art. 40 EGBGB; an Stelle des „Entstehungsortes" (Art. 25 II disp. prel.) sprach man im deutschen Recht vom „Tatort". Im Rahmen des Tatortprinzipes steht dem Geschädigten nach bisherigem deutschen Kollisionsrecht ein Wahlrecht zwischen dem Recht des Handlungs- oder des Erfolgsortes zu (Günstigkeitsprinzip). Zum deutschen IPR vor der Neuregelung der Artt. 40 42 EGBGB siehe Staudinger (v. Hoffmann), 13. Auflage, Art. 38, Rn. 121 m.w.N. (allgemeines Deliktsrecht) und Rn. 452 - 454 (Produkthaftungsrecht) sowie MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 12 - 19 (allgemeines Deliktsrecht) und Rn. 200 - 203 (Produkthaftungsrecht); ebenso zum Produkthaftungsrecht BGH 17. 3. 1981, in NJW 1981, 1606 = IPRax 1982, S. 13. Zur ausdrücklichen Festschreibung des Günstigkeitsprinzips in anderer IPR-Gesetze siehe 4. d) aa), in Fn. 331; zur Neuregelung des außervertraglichen Schuldrechts in Deutschland s. o. unter 2. b). 231 Cass. 15. 7. 1976, n. 2786, in RDIPP 1977, S. 96 ließ es für die Anwendung des italienischen Rechts ausreichen, wenn sich entweder der Handlungs- oder der Erfolgsort in Italien befindet; zum „Heimwärtsstreben" der italienischen Rechtsprechung siehe auch die Entscheidungen Cass. 13. 3. 1980, n. 1696, in Giust. civ. 1980, I, S. 1914 (zu dem Urteil s. a Fn. 286 und Grunsky, in RIW, S. 269 f.) und App. Roma 6. 9. 1983, in Foro it. 1983, I, Sp. 2838 (zur Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ; zu dem Urteil s. a. Fn. 282). Zu den Urteilen siehe Kindler, in JbltR, Bd. 4 (1991), S. 93 - 96; allgemein zum Heimwärtsstreben des bisherigen Rechts siehe § 3 II. 5. a) bb). Auch in der deutschen Rechtsprechung hat das Tatortprinzip und der Umstand, dass die Gerichte über in Deutschland entstandene Schäden zu entscheiden hatten, durchgehend zur Anwendung des deutschen Rechts geführt (siehe W. Lorenz, in RabelsZ 1993, S. 196, Fn. 70). 232 In diesem Sinne die Urteile Cass. 13. 3. 1980, n. 1696 und App. Roma 6. 9. 1983 {vorige Fußnote). Die Entscheidung Cass. 15. 7. 1976 (vorige Fußnote) neigt im Übrigen eher zur Anknüpfung an den Handlungsort. 230
§ 17 Die Kollisionsnormen
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ben, der Erfolgsort wurde aber auch hier bevorzugt233. Diese Tendenz hat sich nunmehr auch in der allgemeinen deliktsrechtlichen Bestimmung des Art. 62 IPRG niedergeschlagen234.
b) Die Vorentwürfe zum IPRG Mit Art. 55 seines „progetto" 235 entwickelte Vitta erstmalig im italienischen IPR eine eigene Kollisionsnorm für das Gebiet der Produkthaftung. Die darin enthaltenen Anknüpfungen finden sich größtenteils auch in der geltenden Regelung des Art. 63 IPRG wieder. Abgesehen von kleineren Abweichungen236 forderte Art. 55 I „progetto" jedoch für die Anknüpfung an den Erwerbsort zusätzlich, dass an diesem auch der Schaden „verursacht" worden ist 237 . Die übereinstimmenden Vorschriften des Kommissions- (Art. 65) 238 und des Regierungsentwurfes (Art. 63) 239 verwiesen hingegen einleitend auch für den Bereich der Produkthaftung auf die Vorschrift des allgemeinen Deliktsrechts240 (jeweils S. 1). Darüber hinaus haben die Sätze 2 der Bestimmungen dem Geschädigten zusätzliche Rechtsordnungen zur Wahl gestellt; die Formulierung der Sätze 2 deckte sich exakt mit der endgültigen Regelung des Art. 63 IPRG.
233 Balladore Pallien, DIP (1974), S. 357 - 359 begründete seine Bevorzugung des Erfolgsortes mit der ergebnisorientierten Ausrichtung des Zivilrechts im Gegensatz zum handlungsorientierten Strafrecht. Dem hat sich später (Tendenz bereits in Vitta, DIP III, S. 506) auch Vitta angeschlossen (Vitta / Mosconi, Corso 5, S. 329). Ballarino, DIP 1, S. 930 - 932 sprach sich hingegen für eine Beurteilung der Sachlage im Einzelfall aus. In der Vergangenheit hat jedoch Monaco, L'efficacia 2, S. 354 f. die Anknüpfung an den Handlungsort bevorzugt; zu weiteren Nachweisen zu dieser Streitfrage siehe Kindler, JbltR. Bd. 4 (1991), S. 92. Zur Diskussion im Rahmen von Vittas Entwurf von 1968 (siehe § 1, Fn. 10) siehe in Prospettive De Nova, S. 294; Ehrenzweig, S. 302 f.; Venturini , S. 511 f. und Wengler, S. 530 f. 234 Siehe dazu 4. a). 235 Siehe in Problemi, S. 274. 236 Im Gegensatz zu Art. 63 IPRG („domicilio") knüpfte Vitta an die „residenza" des Produzenten an (Art. 55 I progetto); zur Abgrenzung zwischen „domicilio" und „residenza" siehe § 16 II. 4. a) bb). Im Rahmen des Entlastungsbeweises nach Art. 55 II progetto wird zudem auf die Zustimmung des Produzenten zum Verkauf oder zur Nutzung des Produkts im jeweiligen Staat abgestellt, während Art. 63 IPRG von der Zustimmung zur Inverkehrbringung spricht. I. E. zu den Anknüpfungen des Art. 63 IPRG siehe unter 4. d). 237 Art. 55 I progetto: „ ... Stato in cui il prodotto é stato venduto ed ha causato danni". 238 Siehe in RDIPP 1989, S. 944. 239 Siehe in Studi Vitta, S. 462. 240 Zu diesen Anknüpfungen des Art. 62 IPRG siehe 4. a).
416
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Die Anknüpfungen der Entwürfe entsprachen damit weitestgehend den Kollisionsnormen des Haager Produkthaftungsabkommens 241, auf das sich die Erläuterungen zu den Vorschriften auch ausdrücklich berufen haben242. Im Gegensatz zum Haager Übereinkommen enthielten die zur Wahl stehenden Alternativen der Entwürfe jedoch „einfache" Anknüpfungen und haben nicht verschiedene Anknüpfungspunkte zu einem komplizierten kollisionsrechtlichen System verbunden243. Ebenso wie der Staatsvertrag hätten die vielfachen alternativen Anknüpfungen der Entwürfe einen sehr umfangreichen Verbraucherschutz gewährleistet244, weshalb sie auch im Verlaufe des weiteren Gesetzgebungsprozesses kritisiert und letztendlich modifiziert worden sind245.
4. Die Regelung des Art. 63 IPRG
a) Das allgemeine Deliktsstatut des Art. 62 IPRG Im Gegensatz zu den Vorentwürfen des Gesetzes246 hat der Gesetzgeber im IPRG das Produkthaftungsrecht vom allgemeinen Deliktsstatut des Art. 62 IPRG vollständig abgekoppelt. Zum einen fehlt in Art. 63 IPRG ein Hinweis auf die allgemeine Vorschrift, zum anderen unterscheiden sich die Anknüpfungen des Art. 63 IPRG in Abkehr vom Tatortprinzip grundlegend von denen des Art. 62 IPRG. Durch die Neuregelung des allgemeinen Deliktstatuts hat der Gesetzgeber die anhaltende Diskussion in diesem Bereich über die zu wählenden Anknüpfungspunkte beendet247. Sie entspricht weitestgehend der aktuellen deutschen Rechtslage248. Primär kann der Geschädigte im Allgemeinen Deliktsrecht zwischen dem Recht des Erfolgsortes (Art. 62 I 1 IPRG) und dem Recht des Handlungsortes (Art. 62 I 2 IPRG) wählen. Mangels einer entsprechenden Rechtswahl kommt das Ortsrecht des Schadenseintritts (Erfolgsort) zu Anwendung249. Hier folgt 241
Siehe dazu 2. a). Zum Kommissionsentwurf siehe RDIPP 1989, S. 982 zu Art. 65 (= Art. 63 IPRG). 243 Siehe Hinweis in Fn. 241 zu dem Anknüpfungssystem des Haager Abkommens. 244 Zur Interessenabwägung siehe 1. b). 245 Siehe dazu unter 4. b). 246 Siehe oben unter 3. b). 247 Zur Diskussion i. R. d. Art. 25 II disp.prel. s. o. unter 3. a). 248 Siehe dazu unter 2. b) zu Art. 40 EGBGB. 249 An diesem Punkt weicht die Regelung vom deutschen IPR (siehe 2. b), bei Fn. 214) ab. 242
§ 17 Die Kollisionsnormen
417
der Gesetzgeber der früheren Tendenz zur Anknüpfung an den Erfolgsort 250. Bei dem durch Art. 3 II 1 IPRG in Italien für „allseitig" erklärten Zuständigkeitsrecht251 (Art. 5 Nr. 3 EuGVO) dürfte es hingegen im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH bei der Zuständigkeit der Gerichte am Handlungsund am Erfolgsort bleiben252. Abweichend von dieser grundsätzlichen Regelung entwickelte der Gesetzgeber - übereinstimmend mit dem deutschen IPR 253 und ergänzend zu den Vorentwürfen des Gesetzes - eine Auflockerung des Deliktsstatutes für den Fall der gemeinsamen Staatsangehörigkeit von Schädiger und Geschädigtem, sofern sich deren „residenza"254 in ihrem Heimatstaat befindet. Für diesen Sachverhalt bringt Art. 62 II IPRG das Heimatrecht der Beteiligten zur Anwendung, da zu diesem der engste Bezug besteht. In Anknüpfung an diese Vorschrift erscheint esfraglich, ob infolge der ausdrücklichen Regelung des Art. 62 II IPRG weitere Ausnahmen vom allgemeinen Deliktsstatut möglich sind. Dies gilt insbesondere für den Bereich des Straßenverkehrsrechts, da das Haager Straßenverkehrsabkommen255 in Italien keine Anwendung findet. Der Staatsvertrag knüpft zwar in Übereinstimmung mit Art. 62 I IPRG grundsätzlich an den Ort des Unfalls an (Art. 3), beruft sich jedoch für bestimmte Sachverhalte auf das Recht der Registrierung der beteiligten Fahrzeuge (Art. 4) 256 .
250
Siehe 3. a), Fn. 233. Siehe dazu § 16 II. 4. b). 252 St. Rspr. des Gerichtshofs zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bestätigt durch EuGH 19. 9. 1995, Rs. 364 / 93 - Marinari./. Lloyds Bank, Slg. 1995,1 - S. 2719 = JZ 1995, S. 1107 = IPRax 1997, S.331. Obwohl die erste Entscheidung des Gerichtshofs bereits aus dem Jahre 1976 stammt, hat sich das Urteil Trib. Roma 15. 3. 1978, in RDIPP 1979, S. 96 (4. Leitsatz) noch für die alleinige Erheblichkeit des Handlungsortes ausgesprochen; später ist der Corte di Cassazione jedoch der EuGH-Rechtsprechung gefolgt (siehe Nachweise bei Kropholler, EuZPR, Art. 5, Rn. 74, in Fn. 159). 253 Ausgehend von der Rechtsanwendungs-VO vom 7. 12. 1942 (RGBl. 1942 I, S. 706) entwickelte die deutsche Rechtsprechung und Literatur (siehe BGH 5. 10. 1976, in NJW 1977, 496 und BGH 8. 1. 1985, in NJW 1985, S. 1285 sowie in der Literatur MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 70 - 88 und Soergel (Lüderitz), Art. 38, Rn. 25 -30) eine allgemeine Auflockerung des Deliktsstatuts durch Anknüpfung an die gemeinschaftliche Staatsangehörigkeit und den gemeinsamen Aufenthalt der Beteiligten. 254 Zu dem Begriff siehe § 16 II. 4. a) bb). 255 Siehe oben unter 1. a), Fn. 184. 256 Ähnliches gilt im deutschen IPR; zur Zusammenfassung der deutschen Rechtsprechung siehe MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 118. 251
418
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
b) Allgemeines zur Neuregelung des Art. 63 IPRG Die verbraucherfreundliche Regelung im Entwurf der Expertenkommission zum Produkthaftungsrecht wurde insbesondere von Saravalle erheblich kritisiert 257. der die Unterbewertung der schutzwürdigen Interessen des Haftenden258 rügte. Der Gesetzgeber hat im Anschluss daran - in Abkehr von den Vorentwürfen 259 und entsprechend den Bestimmungen des schweizerischen und rumänischen IPRG260 - eine strikte Abtrennung des Produkthaftungsrechts vom allgemeinen Deliktsrechts vollzogen. Art. 63 IPRG übernimmt nunmehr den Satz 2 aus den Produkthaftungsbestimmungen der Vorentwürfe als alleinige Regelung; der Hinweis auf das allgemeine Deliktsstatut (Satz 1 der Entwürfe) ist gestrichen worden. Da es sich bei der Vorschrift des Art. 63 IPRG um eine Spezialregelung handelt, kann auch nicht - im Gegensatz zum materiellen Recht - hilfsweise auf das allgemeine Deliktsstatut des Art. 62 IPRG zurückgegriffen werden 261. Dies wird auch durch die Streichung des Satzes 1 der Vorentwürfe deutlich. Der Geschädigte kann demzufolge zwischen dem Recht des „domicilio" bzw. des Verwaltungssitzes des Produzenten und dem Ortsrecht des Erwerbes des jeweiligen Produktes wählen. Die letzte dieser Alternativen (Recht des Erwerbsortes) steht dem Geschädigten jedoch nicht zur Wahl, sofern der Schädiger nachweisen kann, dass das Produkt ohne sein Einverständnis in das Land des Erwerbsortes eingeführt wurde (sog. „Entlastungsbeweis")262. Der Gesetzgeber entscheidet sich somit ausschließlich für „vorhersehbare" Anknüpfungspunkte. Die Befürworter dieser Regelung sehen darin einen Ausgleich der Interessen des Schädigers (Vorhersehbarkeit) und des Geschädigten (Wahlrecht)263. In der Literatur ist dieser im Verhältnis zum Haager Produkt257 Saravalle, Responsabilità, S. 209 - 229; ders. nunmehr in Com., NLCC, S. 1456, Nr. 3 Ende. 258 Allgemein dazu s. o. unter 1. b). 259 Siehe 3. b). 260 Siehe dazu unter 2. b). 261 Siehe unter a) zur Abtrennung des Produkthafiungs- vom allgemeinen Deliktsstatut. Im schweizerischen IPRG ist die Möglichkeit eines Rückgriffes auf die Kollisionsnorm des allgemeinen Deliktsrechts (Art. 132 Schweiz. IPRG) jedoch umstritten (siehe 2. b), in Fn. 210). 262 Im Einzelnen zu den Anknüpfungen siehe unten d). 263 Saravalle (Fn. 257); ebenso Boschiero, Appunti, S. 67 f., die jedoch die Ansicht vertritt, dass man über die Anknüpfungen des Art. 63 IPRG in der Regel zur Anwendung desselben Rechts gelangt wie über die Bestimmung des allgemeinen Deliktsstatuts (Art. 62 IPRG). Zu den abzuwägenden Interessen im internationalen Produkthaftungsrecht siehe 1. b).
§ 17 Die Kollisionsnormen
419
haftungsrecht begrenzte Verbraucherschutz auf erhebliche Kritik gestoßen264. Er entspricht jedoch der allgemeinen Tendenz anderer nationaler IPRGesetze265.
c) Der Anwendungsbereich des Art. 63 IPRG aa) Die Qualifikation
lex fori oder lex causae
Da es sich bei der Vorschrift des Art. 63 IPRG um eine autonome nationale Vorschrift handelt, erfolgt die Auslegung der in der Norm verwendeten Rechtsbegriffe grundsätzlich nach der italienischen lex fori 266. Dies gilt in erster Linie für den Anknüpfungsgegenstand (,Responsabilità per danno da prodotto"), d. h. für die Frage, welche Ansprüche nach italienischen IPR dem Produkthaftungsrecht unterliegen 267, jedoch auch für die in Art. 63 IPRG festgelegten Anknüpfungspunkte 268. Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer eventuellen Haftung sind jedoch von dem durch die Vorschrift des Art. 63 IPRG zur Anwendung berufenen Recht zu bestimmen (lex causae). Art. 8 des Haager Produkthaftungsabkommens sowie Art. 142 I des schweizerischen IPRG weisen ausdrücklich auf diesen Umstand hin. Die Bestandteile des jeweiligen Haftungstatbestandes können nicht aus verschiedenen Rechtsordnungen zusammengesetzt werden, sondern sind einheitlich der lex causae zu entnehmen. Dazu zählen Fragen der Aktiv- und Passiv264 Pocar, Com., RDIPP, S. 1218 und ders. in IPRax 1997, S. 159; gemäß Pocar erfüllt der Art. 63 IPRG nicht den Anspruch einer Verbraucherschutzvorschrift, sondern dient vielmehr den Bedürfhissen des Produzenten. Ebenso kritisch Ballarino, DIP 2, S. 703 f. und Conetti , Il danno da prodotto nel diritto internazionale privato, in Stud. iur. 1996, S. 163. 265 Siehe dazu unter 2. b). 266 Siehe bereits oben unter 1. a), Fn. 190. 267 Siehe im Folgenden unter bb) zum Anwendungsbereich des Art. 63 IPRG; s. a. § 11 II. 1. zu den Anknüpfungsgegenständen der Hinweisnormen des IPRG und § 18 II. allgemein zur Auslegung der Kollisionsnormen. Ebenso zu Art. 135 des schweizerischen IPRG Vischer, in FS Moser, S. 134 (zur Anwendung der lex causae für die Haftungsvoraussetzungen siehe S. 135 - 138, insbesondere S. 135 und bei Fn. 63) und Rochaix, IntProdHafl, S. 156 - 158; a. A. Volken, Schweiz. IPRG-Komm., Art. 135, Rn. 10 (lex causae), der jedoch im Ergebnis wieder zur lex-fori-Auslegung gelangt (Rn. 11). 268 Zu den Anknüpfungspunkten des Art. 63 IPRG siehe im Folgenden unter d); zum schweizerischen IPRG siehe Vischer (vorige Fußnote), S. 139-141.
420
Kap. V: Die Anlehnung an staats vertragliche Regelungen
legitimation (Geschädigter / Haftender) 269, der geschützten Produkte270, der allgemeinen Haftungsvoraussetzungen (Deliktsfahigkeit 271, Verschulden) und der Rechtsfolgen der Haftung (Art und Umfang der Ansprüche)272. Lediglich im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtswidrigkeit der haftungsrelevanten Handlung ist zu klären, ob und welche Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften über die lex causae hinaus zu beachten sind273.
bb) Die Ansprüche der Produkthaftung (Der Anwendungsbereich des Art. 63 IPRG)
Bei der nach der lex fori zu bestimmenden Frage des Anwendungsbereiches des Art. 63 IPRG ist zunächst zwischen den vertraglichen Ansprüchen zwischen dem Verkäufer eines Produkts und dem Geschädigten (Art. 57 IPRG) und der deliktischen Haftung des Produzenten und anderer Einstandspflichtiger zu differenzieren (Art. 63 IPRG). Diese Abgrenzung ist auch dem Art. 1 II des Haager Produkthaftungsabkommen zu entnehmen. Die missverständlich formulierte Vorschrift negiert die Anwendung des Übereinkommens in den Fällen, in denen der in Anspruch Genommene dem Geschädigten Eigentum oder Besitz an dem mangelhaften Produkt verschafft hat. In wörtlicher Anwendung dieser Vorschrift wird daraus ζ. T. auf den Ausschluss von vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen gegenüber dem Verkäufer eines Produkts geschlossen, so dass der Staatsvertrag negativ - d. h. durch Ausschluss dieser Sachverhalte aus seinem Anwendungsbereich - von einer akzessorischen Anknüpfung des Delikts- an das Vertragsstatut ausgehe274. Die Materialien zu dem Haager Übereinkommen zeigen jedoch, dass durch die Vorschrift des Art. 1 II allein eine Abgrenzung des Abkommens zum Vertragsrecht erfolgen sollte, insbesondere mit Rücksicht auf 269
Siehe unten cc). Siehe unten dd). 271 Siehe Art. 23 I 2 IPRG zur Bestimmung der Handlungsfähigkeit nach den Besonderheiten des Deliktsrechts; i. d. S. auch die Literatur (Pocar, Com., RDIPP, S. 1221 oben, 1216 und Saraval le, Com., NLCC, S. 1450, Fn. 56), die jedoch auf die Vorschrift des Art. 20 Satz 2 IPRG zur Rechtsfähigkeit verweist. Zur Anwendung des Deliktsstatutes siehe auch Art. 142 I des schweizerischen IPRG . 272 Ζ. B. die Fragen des Schmerzensgeldes (allgemeines Deliktsrecht), der Selbstbeteiligung bei Sachschäden (Art. 9 b) der EG-Produkthaftungsrichtlinie = Art. 11 II italienisches Produkthaftungsdekret = §11 deutsches ProdHaftG) und evtl. Haftungshöchstbeträge nach nationalem Recht (z. B. § 10 deutsches ProdHaftG; siehe dazu in Fn. 289). Zur EG-Produkthaftungsrichtlinie und deren Umsetzung in italienisches Recht siehe 1. c), Fn. 193. 273 Siehe unter ee). 274 I. d. S. Wandt, IntProdH, § 1, Rn. 37. 270
§ 17 Die Kollisionsnormen
421
das Haager Kaufrechtsabkommen von 1955 275 . Vielmehr ist ein Vorschlag der deutschen Delegation auf Festschreibung einer akzessorischen Anknüpfung bei den Beratungen zu dem Übereinkommen ausdrücklich abgelehnt worden 2 7 6 . Unabhängig von der Regelung dieser Frage im Haager Produkthaftungsabkommen ist bei der Anwendung des Art. 63 IPRG - ebenso wie bei der allgemeinen deliktischen Haftung des Art. 62 IPRG - die Frage der Akzessorität von Vertrags- und Deliktsstatut nach italienischen IPR-Grundsätzen zu beantworten. Wie die Beratungen zum Haager Produkthaftungsabkommen gezeigt haben, wird eine akzessorische Anknüpfung des Delikts- an das Vertragsstatut oder umgekehrt in den meisten europäischen Staaten abgelehnt 277 . Die deutsche Literatur hat sich in der Vergangenheit - entgegen der eigenen Rechtsprechung - überwiegend dafür ausgesprochen, deliktische Ansprüche an dem Vertragsstatut zu orientieren 278 . Eine solche akzessorische Anknüpfung ist nunmehr
275
W. Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 317 (328 f.); ders. in RabelsZ 1993, S. 199 f.;
MüKo {Kreuzer),
Art. 38, Rn. 197 b); Volken, in Schweiz. IPR-Komm., Art. 135, Rn. 9
und Saravalle, Responsabilità, S. 293 - 296. Zu dem Haager Kaufrechtsabkommen siehe § 14 II. 1. a), Fn. 12. In Abgrenzung zur vertraglichen Gewährleistung stellt Art. 2 b) des Produkthaftungsübereinkommens zudem klar, dass Schäden am Produkt selbst nicht von der Regelung des Abkommens erfasst werden. Einfacher und klarer als der Wortlaut des Produkthaftungsabkommens ist der Art. 1 I des Haager Straßenverkehrsabkommens („außervertragliche zivilrechtliche Haftung"); zu dem Abkommen siehe 1. a), Fn. 184. 276 W. Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 330 - 333; ebenso Saravalle, Responsabilità, S. 293. Zum Wortlaut des Vorschlages siehe W. Lorenz, a.a.O., in Fn. 45 bzw. Saravalle, a.a.O., in Fn. 70. Ebenso später W. Lorenz, in RabelsZ 1993, S. 199 f. 277 Neben der deutschen Literatur und dem schweizerischen IPRG (siehe im Folgenden) wird eine akzessorische Anknüpfung auch in Österreich und den Niederlanden vertreten (siehe dazu Staudinger (v. Hoffmann), 13. Auflage, Art. 38, Rn. 27 bzw. 39); zu Österreich s. a. das Urteil OGH 29. 10. 1987, in IPRax 1988, S. 363 zu einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (siehe in Fn. 286) und weitere Nachweise bei Rochaix, IntProdH, S. 154 zur Literatur. Zu beachten ist jedoch, dass in einigen Staaten die Geltendmachung von deliktischen neben vertraglichen Ansprüchen nicht in Betracht kommt (siehe W. Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 332 und Staudinger (v. Hoffmann ), 13. Auflage, Art. 38, Rn. 36 zu Frankreich; ausführlich dazu Rochaix, IntProdH, S. 69 f.). Die Frage der akzessorischen Anknüpfung stellt sich somit in diesen Ländern nicht; vielmehr ist bei der nach der lex fori vorzunehmenden Qualifikation zu entscheiden, ob die geltendgemachten Ansprüche vertraglicher oder deliktischer Natur sind. 278 Für eine Übersicht zur h. Lit. und zur ablehnenden Rechtsprechung siehe Staudinger (v. Hoffmann), 13. Auflage, Art. 38, Rn. 135 (allgemeines Deliktsrecht) und 459 (Produkthaftungsrecht); MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 65 und Kropholler, IPR, 3. Auflage, 1997, § 53 V. 3., der sich entschieden für die akzessorische Anknüpfung ausgesprochen hat. Siehe auch den Absatz II von Drobnigs Vorschlag zu einer eigenständigen ProdukthaflungsVorschrift (siehe 2. b), Fn. 212). Zur ablehnenden
422
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
über Art. 41 II Nr. 1 EGBGB möglich279. Auch das schweizerische IPRG verweist beim allgemeinen Deliktsrecht (Art. 133 III) und für Ansprüche wegen unlauteren Wettbewerbs (Art. 136 III i. V. m. Art. 133 III) auf die Anwendung des Vertragsstatutes. Für den Bereich der Produkthaftung (Art. 135) hat das schweizerische IPRG jedoch keine akzessorische Anknüpfung vorgesehen280. Im italienischen IPR hat sich die akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts bisher nicht durchgesetzt281. Das IPRG enthält insofern keine Regelung dieser Frage. Während die Rechtsprechung eine Anlehnung des Delikts- an das Vertragsstatut bisher ausdrücklich abgelehnt hat 282 , finden sich in der Literatur erste Bemühungen, das Vertragsverhältnis der Beteiligten bei der Auswahl des außervertraglichen Produkthaftungsstatutes zu berücksichtigen283. Derartige Ansätze sind jedoch noch weit entfernt von einer akzessorischen Anknüpfung im eigentlichen Sinne. Es ist insofern zu unterscheiden zwischen Schäden am Produkt (Mängel), die in den Bereich der vertraglichen Haftung fallen (s. a. Art. 2 b) des Haager Produkthaftungsabkommens), und Schäden, die das Produkt an Personen oder anderen Sachen verursacht (Mangelfolgeschäden). Inwieweit MangelfolgeRechtsprechung siehe zuletzt BGHZ 132, S. 105 = NJW 1996, S. 1411 = IPRax 1997, S. 187. 279 Siehe dazu oben unter 2. b), bei Fn. 218; sowie Staudinger (v. Hoffmann), Art. 40, Rn. 102 (differenzierend - siehe auch Rn. 91 zum Meinungsstand nach altem Recht) und Kropholler, IPR, § 53 V. 3. Zur entsprechenden Regelung in Art. 5 des niederländischen Gesetzes vom 11. 4. 2001 siehe Kramer, in IPRax 2002, S. 540 f.; zu dem Gesetz siehe § 17 III. 2. b),Fn. 213. 280 Der Bundesratsentwurf zum schweizerischen IPRG hatte ursprünglich eine akzessorische Anknüpfung auch für den Bereich der Produkthaftung vorgesehen (Artt. 131 III, 129 III IPR-Entwurf - siehe Volken, Schweiz. IPRG-Komm., Art. 135, Rn. 49 und Rochaix, IntProdH, S. 157), die Vorschrift jedoch in der Endfassung des Gesetzes gestrichen. Im Anschluss daran ist eine akzessorische Anknüpfung für die Produkthaftung abzulehnen (Heini, in Schweiz. IPR-Komm., Art. 133, Rn. 14; Vischer, in FS Moser, S. 141; Rochaix, a.a.O. und weitere Nachweise bei Staudinger (v. Hoffmann), 13. Auflage, Art. 38, Rn. 32). Die Literatur versucht jedoch ζ. T. über die Ausnahmeklausel des Art. 15 IPRG zum selben Ergebnis zu gelangen (Vischer, a.a.O.; Rochaix, a.a.O., S. 160; i. d. S. wohl auch Volken, Schweiz. IPR-Komm., Art. 135, Rn. 49); zu Art. 15 schweizerisches IPRG siehe § 3 II. 3., Fn. 52. 281 Siehe ausführlich zu dieser Frage Saravalle, Responsabilità, S. 291 - 297. 282 Siehe App. Roma 6. 9. 1983 (Fn. 231), Sp. 2844; siehe dazu auch Kindler, in JbltR, Bd. 4 (1991), S. 96 f. 283 Gestri, Alcune questioni in tema di responsabilità contrattuale ed extracontrattuale, in RDIPP 1988, S. 53 (65) spricht sich bei der Abwägung zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort im Deliktsrecht dafür aus, den Ort zu wählen, mit dem der Sachverhalt die „prägnantere" Verbindung aufweist. Sofern eine dieser Rechtsordnungen auch parallel bestehende vertragliche Beziehungen der Beteiligten regelt, soll nach Gestri diese zur Anwendung kommen. Diese Einschätzung von Gestri hat im Folgenden Unterstützung gefunden (siehe Saravalle, Responsabilità, S. 297 - „interessante").
§ 17 Die Kollisionsnormen
423
Schäden auch im Rahmen eines Vertragsverhältnisses ersetzt werden, wird vom Vertragsstatut entschieden. Unabhängig voneinander obliegt es dem Vertragsund dem Deliktsstatut zu bestimmen, welche Schäden im Einzelnen ersetzt werden. Es handelt sich dabei um eine Frage der Rechtsfolgen der jeweiligen Haftung, die von der lex causae des Vertrages bzw. der deliktischen Handlung zu beantworten ist 2 8 4 . Schwierigkeiten ergeben sich in den Grenzbereichen zwischen Vertrags- und Deliktsrecht, wie der Haftung aus culpa in contrahendo 285 oder Verträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 2 8 6 . Bei dieser Abgrenzung 284
Siehe dazu oben unter aa) und Art. 142 I im schweizerischen IPRG; zu letzterem s. a. Vischer, in FS Moser, S. 138 bei Fn. 63. 285 Die deutsche Rechtsprechung hat sich bei Ansprüchen aus c. i. c. einheitlich für die Anwendung des Vertragsstatutes ausgesprochen (siehe Nachweise bei Staudinger (v. Hoffmann), Vorbem. zu Art. 40, Rn. 9). Dem ist die Literatur weitestgehend gefolgt (siehe Nachweise bei Staudinger (Magnus), Art. 32, Rn. 117 f., der sich in Rn. 120 auch selbst für die umfassende Anwendung des Vertragsstatutes ausspricht). Teile der Literatur unterscheiden hingegen zwischen vertraglichen Beratungs- und Aufklärungspflichten (Vertragstatut) und allgemeinen Obhutspflichten (Deliktstatut); siehe dazu v. Hoffmann, a.a.O., Rn. 10 f., MüKo (Spellenberg), Art. 32, Rn. 44 und weitere Nachweise bei Staudinger (Magnus), Art. 32, Rn. 119. Ebenso differenzierend i. R. d. schweizerischen IPR Heini, Schweiz. IPRG-Komm., vor Art. 132 - 142, Rn. 6 - 9. Im materiellen italienischen Recht wird die vorvertragliche Haftung - trotz ihrer systematischen Stellung im Vertragsrecht (Artt. 1337, 1338 c. c.) - überwiegend deliktisch qualifiziert (siehe Cass. 11. 5. 1990, n. 4051 in Foro it. 1991, I, Sp. 184 und Kindler, Einführung, § 15, Rn. 14). Auf Kritik ist die jüngste Entscheidung des EuGH zu Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVÜ gestoßen, in der der Gerichtshof eine Klage auf Schadensersatz wegen ungerechtfertigtem Abbruchs von Vertrags Verhandlungen als deliktsch qualifiziert hat (siehe Jayme / Hausmann, in IPRax 2003, S. 490 m.w.N. zu EuGH 17. 9. 2002, Rs. C-334 / 00 Tacconi). 286 Für eine deliktische Qualifikation im schweizerischen IPR (Anwendung des Art. 135 Schweiz. IPRG) siehe Lörtscher, in ZVglRWiss. 1989, S. 82 f., sofern „es sich um funktional der außervertraglichen Produkthaftpflicht äquivalente Ansprüche handelt"; ebenso Rochaix, IntProdHafl, S. 156 mangels direkter vertraglicher Beziehungen. In Österreich war diese Frage und die Qualifikation der Produkthaftung im Allgemeinen lange Zeit umstritten gewesen, bis durch das Urteil OGH 29. 10. 1987 (Fn. 277) festgestellt wurde, dass bei fehlenden vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten - im Konkreten bei der Haftung über die Konstruktion des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter - im Falle von durch Produktmängeln verursachten Schäden das allgemeine Deliktsstatut zur Anwendung kommt (§ 48 I österreichisches IPRG); zu dem Urteil und der Diskussion in der Literatur siehe Staudinger (v. Hoffmann), 13. Auflage, Art. 38, Rn. 27; Wandt, IntProdH, § 3 Rn. 100 - 102; und Rochaix, IntProdH, S. 148 f. Für das italienische IPR kann eine deliktische Einordnung aus dem Urteil Cass. 13. 3. 1980, n. 1196 (Fn. 231) gefolgert werden; der Kassationshof verweist in der Entscheidung Geschädigte, die nicht Vertragspartei sind, allein auf Ansprüche des Deliktsrechts (zu dem Urteil siehe Grunsky, in RIW 1981, S. 269 f.). Im Rahmen des Haager Produkthaftungsabkommens spricht man sich jedoch im Anschluss an dessen Art. 1 II (s. o. bei Fn. 274) überwiegend für eine Ausklammerung der Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus dem Anwendungsbereich des
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
handelt es sich um ein Qualifikationsproblem, das von der italienischen lex fori zu lösen ist. Sofern der außervertragliche Charakter eines Anspruchs festgestellt ist, regelt Art. 63 IPRG alle Ansprüche infolge mangelhafter Produkte, unabhängig davon auf welcher materiellen Rechtsgrundlage sie beruhen 287 . Vor allem die Abtrennung des Produkthaftungsstatutes vom allgemeinen Deliktsstatut macht deutlich, dass ein Rückgriff auf Art. 62 IPRG nicht möglich ist 2 8 8 . Anwendung findet Art. 63 IPRG somit nicht nur für das verschuldensunabhängige Produkthaftungsrecht 289 , sondern auch für Haftungsansprüche aus allgemeinem Deliktsrecht 290 oder speziellen Regelungen zur produktbezogenen Gefàhr-
Abkommens aus (W. Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 329; Stoll, in FS Kegel, S. 133 und Kegel / Schurig, IPR, § 18 IV b) [S. 647]). 287 Dies wird auch dadurch deutlich, dass sowohl Art. 55 „progetto" Vitta (siehe 3. b), Fn. 235) als auch Art. 135 schweizerisches IPRG (siehe 2. b)) zu einem Zeitpunkt entworfen wurden, als das materielle Recht Italiens bzw. der Schweiz noch kein spezielles Produkthaftungsrecht gekannt haben (siehe 1. c), Fn. 193, 194 zur EGProdukthaftungsrichtlinie und dem sich an der Richtlinie orientierenden materiellen schweizerischen Recht). 288 Siehe unter 4. a) sowie 4. b), bei Fn. 261. Im Gegensatz dazu ist im schweizerischen IPRG die Anwendung der allgemeinen deliktsrechtlichen Rechtswahlvorschrift im Produkthaftungsrecht umstritten (siehe 2. b), Fn. 210). 289 Art. 13 der EG-Produkthaflungsichtlinie 85 / 374 (= § 15 II deutsches ProdHaflG = Art. 15 I italienisches Produkthaftungsdekret) verweist ausdrücklich auf das nebeneinander des Produkthaftungsrechts i. e. S. mit den sonstigen HaftungsVorschriften. § 15 I deutsches ProdHaflG erwähnt in diesem Zusammenhang speziell die Gefahrdungshaftung des deutschen Arzneimittelrechts (§ 84 AMG); Art. 15 II des italienischen Produkthaftungsdekretes verweist ausdrücklich auf die spezialgesetzliche Haftung für Nuklearschäden. Darüber hinaus führen die Artt. 16 I, 10 II der EG-Richtlinie auch innerhalb des gemeinschaftsrechtlichen Produkthaftungsrechts zu Abweichungen der nationalen Rechtsordnungen. Art. 16 I der Richtlinie ermöglicht es den Vertragsstaaten einen Haftungshöchstbetrag für Schäden infolge von Tod oder Körperverletzung festzusetzen; von dieser Option hat der deutsche Gesetzgeber durch § 10 ProdHaflG Gebrauch gemacht, während z. B. das italienische Produkthaftungsdekret keine derartige Beschränkung enthält. Art. 10 II der Richtlinie verweist für die in der Praxis bedeutenden Fragen der Verjährungshemmung und -Unterbrechung auf die Regelungen des nationalen Rechts. 290 Das gemeinschaftsrechtliche Produkthaftungsrecht erfasst insbesondere keine Schäden wegen Verletzung der nachträgliche Produktbeobachtungs- und Rückrufpflicht, Schäden an gewerblich genutzten Sachen bzw. sog. „weiterfressende" Mängelschäden am Produkt selbst sowie Ansprüche auf Schmerzensgeld; s. a. Lörtscher, in ZVglRWiss. 1989, S. 82 zu Art. 135 schweizerisches IPRG. Zum deutschen Recht siehe die allgemeine deliktische Haftung nach §§ 823, 831 BGB. Im italienischen Recht siehe Artt. 2043 (deliktische Generalklausel), 2049 (Gehilfenhaftung) c. c.; zum schweizerischen Obligationenrecht siehe Artt. 41, 55 OR. Allgemein zum materiellen Produkthaftungsrecht in Europa siehe Hill-Arning / Hoffmann, Produkthaftung in Europa (siehe Literaturverzeichnis).
§ 17 Die Kollisionsnormen
425
dungshaftung 291 , die u. U. weitergehende Pflichten und Ansprüche begründen. Die Voraussetzungen eines Produkthaftungsanspruches werden von der durch Art. 63 IPRG zur Anwendung berufenen lex causae bestimmt 2 9 2 . Im Gegensatz zu Art. 115 des rumänischen IPRG wird der Anwendungsbereich des Produkthaftungsstatuts auch nicht auf den Verbraucherschutz beschränkt. Art. 63 IPRG kommt somit auch bei Schäden im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des Geschädigten zur Anwendung 293 .
cc) Die Beteiligten (Verpflichteter/
Geschädigter)
Im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich des Art. 63 IPRG ist die Person des Verpflichteten zu klären. Der Anknüpfungsgegenstand der Vorschrift ist diesbezüglich neutral gefasst 294 ; lediglich im Rahmen der Anknüpfungspunkte findet sich der Begriff des „Produzenten" 295 . Die Bestimmung des Haftpflichtigen obliegt der lex causae 296 . Im Gegensatz zum Haager Produkthaftungsabkommen (Art. 3 ) 2 9 7 definiert Art. 63 IPRG den Auch das Haager Produkthaftungsabkommen differenziert nicht nach der Art der außervertraglichen Anspruchsgrundlage (siehe dazu W. Lorenz, in RabelsZ 1993, S. 198). Das Abkommen betrifft jedoch nicht Schäden am Produkt selbst, sofern sie nicht im Zusammenhang mit anderen Schäden stehen (Art. 2 b) - s. o. zu den „weiterfressenden" Schäden); zur Begrenzung der Haftung in zeitlicher Hinsicht siehe in Fn. 297. 291
Siehe in Fn. 289 zur spezialgesetzlichen Haftung für atomare und arzneimittelrechtliche Schäden. 292 Siehe dazu c) aa). 293 Ebenso im Rahmen des schweizerischen IPR Volken, in Schweiz. IPR-Komm., Art. 135, Rn. 18-22. 294 Ebenso Art. 4 des Vorschlages für eine „Rom II"-Verordnung („ ... Person, deren Haftung geltend gemacht wird,... "); zu dem Vorschlag siehe 1. a), Fn. 187. 295 Siehe unten bei d) bb) bzw. cc) zum Verwaltungssitz des „Produzenten" bzw. zum Entlastungsbeweis durch den „Produzenten". Art. 135 I b) schweizerisches IPRG verwendet hingegen den neutralen Begriff des „Schädigers". Die Bestimmung der Haftpflichtigen obliegt nach Art. 142 I schweizerisches IPRG der lex causae. Das rumänische IPRG erwähnt i. R. d. Entlastungsbeweise des Art. 114 b) neben dem Fabrikanten und Produzenten auch ausdrücklich die Haftung der Lieferanten (siehe Obersetzung in Riering). 296 Siehe oben unter aa) und Pocar, Com., RDIPP, S. 1219 („ ... responsabilità, indipendentemente dalla qualità della persona ... "). Zur ausdrücklichen Regelung des schweizerischen IPRG siehe vorige Fußnote. 297 Die Vorschrift legt dabei einen sehr weiten persönlichen Anwendungsbereich des Obereinkommens fest. Es gilt auch für die Haftung von Reparateuren, Lagerhaltern, Gehilfen und Mitarbeitern des Produzenten, die als Beteiligte am Prozess der Produktherstellung haften (Art. 3 Nr. 4). Zeitliche Trennlinie ist dabei das Inverkehrbringen des Produkts (Wandt, IntProdH, § 1, Rn. 39 - siehe Fn. 290 zur nachträglichen Produktbeobachtung). Durch diesen weiten Anwendungsbereich wird gewährleistet, dass das
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Kreis der Haftenden nicht selbst. Vor allem kann aus der Formulierung der Anknüpfungspunkte nicht geschlossen werden, dass die Bestimmung nur für Ersatzansprüche gegen Produzenten gilt, da sie die Produkthaftung in ihrer Gesamtheit erfasst. Am Beispiel der EG-Produkthaftung wird dieses Ergebnis von der italienischen Literatur bestätigt298. Art. 63 IPRG ist demnach neben der Haftung von Produzenten299 auch für Ersatzansprüche gegen Importeure bzw. „Scheinimporteure" und Lieferanten 300 anzuwenden. Im Ergebnis wäre es in der Tat nicht tragbar, Importeure und Lieferanten den nicht vorhersehbaren Anknüpfungen des Art. 62 IPRG zu unterstellen, während man dem tatsächlichen Produzenten den „Schutz" des Art. 63 IPRG gewährt 301. Der Kreis der Haftpflichtigen wird zwar von der Literatur anhand des der EG-Richtlinie entsprechenden italienischen Produkthaftungsdekrets bestimmt302, so dass der Eindruck einer lex-foriQualifikation entsteht. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Bestimmung der Verpflichteten nach der lex causae auch zur Haftung von Erzeugern von Naturprodukten, Reparateuren oder Lagerbetreibern führen kann, wenn das anwendbare Recht dies vorschreibt 303. Dasselbe gilt für die Person des Geschädigten, auch dessen Bestimmung obliegt der lex causae304. Dies gilt auch für Ansprüche von mittelbar Geschädigten bzw. von unbeteiligten Dritten (sog. bystanders), die der Kollisi-
Abkommen in persönlicher Hinsicht alle Produkthaftungsansprüche nach nationalem Recht abdeckt. Das Übereinkommen steckt dabei nur den äußeren Rahmen für mögliche Haftungsansprüche ab; welche Personen im konkreten Fall einstandspflichtig sind, kann jedoch auch im Rahmen des Haager Abkommens nur von der anzuwendenden lex causae bestimmt werden (s. a. Art. 8 Nr. 7 des Abkommens zur Haftung des Geschäftsherrn für seine Gehilfen und Mitarbeiter). 298 Saravalle, Com, NLCC, S. 1454; Ballarino, DIP 2, S. 704; Pocar, Com., RDIPP, S. 1219 und CT (Barel), Art. 63, III.
299 Als Produzent gelten gemäß Art. 3 I - III italienisches Produkthaftungsdekret (= Art. 3 I EG-Produkthaftungsrichtlinie) die Hersteller von End- und Teilprodukten sowie der Grundstoffe (Art. 3 I), die Verarbeitenden von landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Art. 3 II) und sog. „Scheinproduzenten" (Art. 3 III). Die deutsche Literatur spricht bei letzteren (siehe § 4 12 deutsches ProdHaflG) von sog. „Quasiherstellern". Da es sich dabei jedoch um Personen handelt, die sich als Produzent / Hersteller ausgeben, erscheint der Begriff des „Scheinproduzenten / -herstellers" als passender. 300 Siehe Art. 3 IV und Art. 4 italienisches Produkthaftungsdekret (= Art. 3 II, III EGProdukthaftungsrichtlinie). 301 Siehe 1. b) zum Schutz der Produzenteninteressen (Vorhersehbarkeit) und 4. b) im konkreten zu Art. 63 IPRG. 302 Saravalle, Com., NLCC, S. 1454. 303 Siehe auch Art. 3 Nr. 2 und Nr. 4 des Haager Produkthaftungsabkommens
(Fn 297). 304
Siehe auch Art. 8 Nr. 6 des Haager Produkthaftungsabkommens.
§ 17 Die Kollisionsnormen
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onsnorm ebenfalls unterliegen 305 . Als problematisch erweist sich der Kreis der Drittgeschädigten nur im Rahmen der Anknüpfung an den Erwerbsort, da sie zu diesem zumeist in keinerlei Beziehung stehen. Hierbei geht es jedoch um ein Anknüpfungsproblem und nicht um die Frage der Anspruchsberechtigung 306 .
dd) Die Produkte Der Anwendungsbereich des Art. 63 IPRG ist auch sachlich nicht auf die Haftung für eine bestimmte Art von Produkten beschränkt. Vielmehr obliegt es dem anzuwendenden Recht zu entscheiden, welche Anspruchsgrundlagen vor Schäden durch welche Produkte schützen. Ähnlich wie bei der Frage des Haftenden, so steckt auch hier Art. 2 a) des Haager Produkthaftungsabkommens seinen Anwendungsbereich weit ab. Entsprechend kann Art. 63 IPRG theoretisch auch für Schäden durch landwirtschaftliche Rohprodukte oder unbewegliche Sachen zur Anwendung kommen, sofern und soweit nach nationalem Recht für deren Fehlerhaftigkeit zu haften ist 3 0 7 .
305
Saravalle, Com., NLCC, S. 1458 bei Fn. 44. Ebenso zu Art. 135 schweizerisches IPRG Lörtscher, ZVglRWiss. 1989, S. 84; Wandt, IntProdHaft, § 2, Rn. 76 m.w.N. in Fn. 54 und Rochaix, IntProdHaft, S. 165 m.w.N.; a. A. Vischer, in FS Moser, S. 139 f. und Stoll, in FS Kegel (1977), S. 129 f., die beide den Erwerbsort bei der Haftung gegenüber Dritten als ungeeignet ansehen und vielmehr auf die Tatortanknüpfung des allgemeinen Deliktsrechts (Art. 133 schweizerisches IPRG) abstellen (ebenso in der deutschen Literatur Staudinger (v. Hoffmann), Art. 40, Rn. 92 am Ende und Rn. 96). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Rochaix, a.a.O., S. 166 über die Ausnahmeklausel des Art. 15 I schweizerisches IPRG, indem er dem Geschädigten im Rahmen seines Wahlrechts anstelle des Erwerbsortes das Recht des „Unfallortes" zur Verfügung stellt. Im Ergebnis kann die Diskussion etwas abgeschwächt werden, wenn man auch bei der Anwendung der Erwerbsortanknüpfung dem Umstand Rechnung trägt, dass der Dritte das Produkt nicht erworben hat (siehe Hinweis in nächster Fußnote). 306 Siehe dazu unter d) cc), bei Fn. 347. 307 In diesem Sinne hat auch Art. 2 a) des Haager Produkthaftungsabkommens seinen Anwendungsbereich geregelt; den Mitgliedsstaaten wurde jedoch im Hinblick auf landwirtschaftliche Naturprodukte ein Vorbehaltsrecht eingeräumt (Art. 16 I Nr. 2). Auch Vischer, in FS Moser, S. 136 überträgt diesen Anwendungsbereich auf die Bestimmung des Art. 135 schweizerisches IPRG. Das materielle EG-Produkthaflungsrecht als mögliches anzuwendendes Recht schließt jedoch unbewegliche Sachen und landwirtschaftliche Naturprodukte vom eigenen Produktbegriff aus (Art. 2 der EG-Produkthaftungsrichtlinie = Art. 2 italienisches Produkthaftungsdekret = § 2 deutsches ProdHaftG). Bei Sachschäden ist zu beachten, dass das Produkt für den persönlichen Gebrauch gestimmt gewesen sein muss (Art. 11 1 b) italienisches Produkthaftungsdekret = Art. 9 b) der EG-Produkthaftungsichtlinie = § 1 1 2 des deutschen ProdHaftG). Zur weitergehenden Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht siehe bb), Fn. 290.
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Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
ee) Die Sicherheits- und Verhaltensvorschriften
Im internationalen Deliktsrecht wird allgemein anerkannt, dass bei der Beurteilung der Haftung neben den Sicherheits- und Verhaltensvorschriften des Deliktstatuts auch diejenigen des Handlungsortes308 zumindest zu berücksichtigen sind309. Diese sind bei der Frage der Fehlerhaftigkeit des Produkts310 sowie bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Handelns und eines u. U. notwendigen Verschuldens des in Anspruch Genommenen zu beachten. Sofern diese Regelungen nur berücksichtigt werden sollen, handelt es sich dabei nicht um eine Sonderanknüpfung an örtliche Sicherheitsvorschriften; vielmehr sind diese lediglich bei der Anwendung des Deliktsstatutes in die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit der Ware sowie die Überprüfung der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens mit einbeziehen 3 ". In welchem Umfang derartige Vorschriften zu beachten sind, bestimmt das Deliktsstatut bei der Untersuchung der Pflichtverletzung.; dadurch wird dem potentiell Haftenden 308
Ζ. B. Sicherheitsstandards bei Produkten und Verkehrsregeln bei Straßenverkehrsunfall en. 309 Von einer Berücksichtigung sprechen Art. 9 Haager Produkthaftungsabkommen, Art. 7 Haager Straßenverkehrsabkommen, Art. 142 II schweizerisches IPRG und nunmehr auch Art. 13 des Vorschlages zur Rom Ii-Verordnung (zu letzterem siehe 2. c), bei Fn. 225). Zum österreichischen IPR siehe Schwimann, IPR, S. 63. Art. 9 des Haager Produkthaftungsabkommens lautet (Übersetzung von SchmidtSalzer [Fn. 183]): „ Der Anwendung der Artikel 4, 5 und 6 schließt nicht aus, daß Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften des Landes berücksichtigt werden, in dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde. "
Zu der Vorschrift siehe auch Fn. 315. Weiter gehen in diesem Zusammenhang § 33 I der ungarischen IPR-VO („ Hinsichtlich der Frage, ob die schädigende Handlung durch die Verletzung von Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften begangen worden ist, ist auf das Recht abzustellen, das am Ort der schädigenden Handlung gilt "; Übersetzung von Benkö / Peuster, in Riering, S. 383), Art. 110 rumänisches IPRG („ ... sind in jedem Fall zu beachten", Übersetzung in
Rierring (Hrsg.), S. 175) und Art. 45 Nr. 3 port, codigo civil („ ..., vorbehaltlich derjeni-
gen Vorschriften des Ortsstaates, die unterschiedslos fur alle Personen angewandt werden müssen" - Übersetzung von Hartard, in Riering, S. 123).
Auch im deutschen IPR verweist BGHZ 119, S. 137 (140) für die Frage der Rechtswidrigkeit des Verhaltens im Straßenverkehr allein auf die Vorschriften des Ortsrechts; ebenso Stoll, in v. Caemmerer (Fn. 212), S. 180. Im Weiteren zum deutschen IPR siehe in Fn. 311. 310 Zum Begriff der Fehlerhaftigkeit siehe Art. 6 der EG-Produkthaftungsrichtlinie (= Art. 5 des italienischen Produkthaftungsdekrets = § 3 des deutschen ProdHaflG). 311 Siehe Fn. 309 zum Haager Produkthaftungsabkommen sowie zur deutschen Literatur MüKo (Kreuzer), Art. 38, Rn. 290 mit umfangreichen Nachweisen zur einschlägigen Rechtsprechung und Staudinger (v. Hoffmann), Art. 40, Rn. 103; ebenso im schweizerischen IPRG (siehe Fn. 309 zu Art. 142 II) Heini, in Schweiz. IPR-Komm., Art. 142, Rn. 18.
§ 17 Die Kollisionsnormen
429
zumindest ein gewisser Vertrauensschutz in die Anwendung des für ihn vorhersehbaren Produkthaftungsstatuts gewährt312. Etwas anderes gilt, wenn der Gesetzgeber eine kollisionsrechtliche Anknüpfung an den Handlungsort vorsieht 313. In diesem Fall kann es zu einer Spaltung zwischen dem Haftungsstatut und dem Statut der einzuhaltenden Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften kommen. Entgegen der anderslautenden Regelung in Art. 9 des Haager Produkthaftungsabkommens 314 haben sich die wenigen Stimmen in Italien zum bisherigen Recht für diese kollisionsrechtliche Lösung ausgesprochen315. Ob sich diese Ansicht trotz der Neuregelung des Art. 63 IPRG im Rahmen des neuen Gesetzes durchsetzen wird, ist abzuwarten. Im Produkthaftungsrecht stellt sich jedoch die Frage, welcher Ort als „Handlungsort" zu verstehen ist. Wegen der Kundenorientiertheit des Produkthaftungsrechts ist dabei auf den Ort des Inverkehrbringens des Produkts abzustellen316. Im Gegensatz zu den Sicherheitsvorschriften am Marktort sind diejenigen am Ort der Herstellung für den Käufer ohne Interesse. Selbst wenn es sich dabei um produktbezogene Regeln handelt, die bei der Herstellung zu berücksichtigen sind, so richtet sich der Vertrauensschutz des Erwerbers doch auf die örtlichen Sicherheitsbestimmungen und nicht auf dieselben eines u. U. entlegenen Herstellungslandes317.
312
Zur Vorhersehbarkeit der Anknüpfungen des Art. 63 IPRG siehe 4. b). Siehe Fn. 309, insbesondere § 33 I der ungarischen IPR-VO. 314 Zum Wortlaut der Vorschrift siehe in Fn. 309. 315 1, d. S. Ferrari Bravo, Responsabilità civile e diritto internazionale privato, Napoli, 1973, S. 164 - 166 zum Straßenverkehrsrecht und im Anschluss an diesen auch Saravalle, Responsabilità, S. 86 - 96 mit Bezugnahme auf die allgemeinen Bestimmungen zu den „Eingriffnormen" (Art. 7 EVÜ und Art. 19 schweizerisches IPRG). Im Rahmen des Haager Produkthaftungsabkommens hat sich hingegen De Nova, in RDIPP 1973, S. 329 dafür ausgespochen, den Art. 9 ganz zu streichen und bei der Frage der Verantwortlichkeit des Produzenten auf eine richterliche Abwägung zu vertrauen. Die Vorschrift des Art. 9 war bei der Ausarbeitung des Übereinkommens höchst umstritten; durch die gewählte Formulierung („berücksichtigen") war man bemüht, den Gerichten genügend Spielraum bei der Beurteilung der Einzelfälle zu geben (siehe dazu W. Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 349-351). 316 Siehe in Fn. 309 zum Wortlaut von Art. 9 des Haager Produkthaftungsabkommens. Zum materiellen Recht s. a. Art. 7 der EG-Produkthaftungsrichtlinie (= Art. 6 des italienischen Produkthaftungsdekrets = § 1 II des deutschen ProdHaftG), der dem Hersteller die Haftung für das Inverkehrbringen seines Produktes auferlegt. Art. 7 des italienischen Produkthaftungsdekrets definiert darüber hinaus den Begriff des „Inverkehrbringens". 317 Zur Diskussion im schweizerischen IPR (Art. 142 II schweizerisches IPRG) siehe Rochaix, IntProdHaft, S. 170- 172 m.w.N. 313
430
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Ähnlich wie bei der Erwerbsortanknüpfung 318 sollte jedoch zugunsten des in Anspruch Genommenen auch in diesem Zusammenhang auf die Vorhersehbarkeit des Produktexports in bestimmte Länder abgestellt werden. Dies gilt unabhängig von der Anknüpfung des Produkthaftungsstatuts, also auch bei einer Anknüpfung an den Sitz des Haftenden. Es würde dabei wohl zu weit gehen, einen Entlastungsbeweis in Form von konkreten Maßnahmen zur Verhinderung des Importes zu fordern, wie es bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung an den Erwerbsort erfolgt 319. Vielmehr ist nach dem Einzelfall zu entscheiden, welche Sicherheitsstandards der in Anspruch Genommene im Hinblick auf den geplanten oder vermeintlichen Verbreitungsraum des Produkts berücksichtigen musste. Sofern man imter dem „Handlungsort" den Ort des Inverkehrbringens der Ware versteht, ist die Frage der getrennten kollisionsrechtlichen Anknüpfung für Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften im Produkthaftungsrecht noch einmal zu überdenken. Das aufgeworfene Problem stellt sich bei der Anknüpfung an den „domicilio" bzw. den Verwaltungssitz des Haftenden 320, da im Übrigen das Recht des Marktortes ohnehin umfassend zur Anwendung kommt. Wie aber bereits ausgeführt 321, besteht für den Erwerber einer Ware im Hinblick auf die Sicherheitsstandards des Herstellungsortes kein schutzwürdiges Interesse; dasselbe hat auch für das Ortsrecht des Verantwortlichen zu gelten. Insofern erscheint es durchaus angebracht, mittels einer Sonderanknüpfung für Verkehrs· und Sicherheitsvorschriften allein auf die Bestimmungen des (vorhersehbaren) Marktortes abzustellen322.
d) Die Anknüpfungspunkte des Art. 63 IPRG Bei den Anknüpfungspunkten des Art. 63 IPRG handelt es sich ausschließlich um Sachnorm Verweisungen (Art. 13 II c) IPRG)323. Ihre Auslegung erfolgt nach der italienischen lex fori 324 .
318
Siehe d) cc) zum Entlastungsbeweis des Art. 63 IPRG. Ähnlich W. Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 350 f. zu Art. 9 des Haager Produkthaftungsabkommens. Lorenz weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bei der Frage, welche Sicherheitsvorschriften in welchem Umfang zu berücksichtigen sind, in den einzelnen Ländern unterschiedliche Auffassungen bestehen; es obliege insofern den Gerichten, im Einzelnen darüber zu entscheiden. 320 Siehe dazu d) bb). 321 Siehe bei Fn. 317. 322 1, d. S. auch Drobnig(Fn. 212\ S. 336 f. 323 Zur Begründung siehe § 15 V. 2., in Fn. 172. 324 Siehe c) aa). 3,9
§ 17 Die Kollisionsnormen
431
aa) Die Rechtswahl Der Geschädigte kann zwischen den von Art. 63 IPRG zur Verfügung gestellten Rechtsordnungen wählen. Eine parteiautonome Rechtswahl lässt die Vorschrift ebenso wie im allgemeinen Deliktsrecht (Art. 62 IPRG) auch nicht nachträglich zu 3 2 5 . Im Gegensatz zu Art. 62 IPRG lässt Art. 63 IPRG jedoch offen, welches Recht bei einer fehlenden Wahl des Geschädigten zur Anwendung kommt 3 2 6 . Der Richter hat deshalb bei einem Prozess im Rahmen der ersten Anhörung das gewählte Recht zu erfragen 327 . Im Fall des Unterbleibens der Rechtswahl 328 hat man sich ζ. T. für eine Nichtigkeit der Klage ausgesprochen 329; andere Stimmen erlegen dem Richter die Verpflichtung auf, das Recht mit der engsten 325
Siehe im Gegensatz dazu den Art. 42 EGBGB des neu gefassten außervertraglichen Schuldrechts im deutschen IPR, der mangels spezieller Regelung für den gesamten Bereich des Deliktsrechts - also auch im Produkthaftungsrecht - zur Anwendung kommt (siehe dazu 2. b), Ende). Eine entsprechende Vorschrift enthält auch der Art. 6 des niederländischen Gesetzes vom 11. 4. 2001 (siehe 2. b), Fn. 213). Art. 132 des schweizerischen IPRG lässt hingegen lediglich die Wahl der lex fori zu; zur Diskussion, ob diese Bestimmung im Produkthaftungsrecht greift, siehe 2. b), Fn. 210. Art. 10 I des Vorschlages für eine Rom II-Verordnung möchte zukünftig eine freie nachträgliche Rechtswahl auch im internationalen Produkthaftungsrecht zulassen (siehe
2.c».
326
Siehe 4. a) zum „Vorrang" des Erfolgsortes bei Art. 62 IPRG; auch die übrigen Vorschriften des IPRG, die eine beschränkte Rechtswahl zulassen (Artt. 30 12, 46 II, III, 56 II IPRG; siehe dazu § 3 II. 4. a)), enthalten eine „objektive" Grundsatzanknüpfung für den Fall, dass keine Rechtswahl erfolgt. 327 Ballarino, DIP 2, S. 704; Saravalle, Com., NLCC, S. 1460 und ders., Responsabilità, S. 215 oben. 328 Für den Fall, dass der Geschädigte das Recht des Erwerbsorts wählt, dem Schädiger der Entlastungsbeweis gelingt (siehe cc)) und der Geschädigte im Anschluss daran keine erneute Rechtswahl vornimmt, kann der Richter unproblematischerweise als einziges „verbleibendes" Recht des Art. 63 IPRG das Rechts des „domicilio" bzw. des Verwaltungssitzes des Schädigers anwenden (siehe bb)); ebenso Saravalle, Com., NLCC, S. 1460. 329 Saravalle, Com., NLCC, S. 1459 f.; ebenso zu Art. 135 schweizerisches IPRG Rochaix, IntProdHaft, S. 163, der von einer fehlenden Prozessvoraussetzung ausgeht. Saravalle verweist dabei auf Art. 164 IV c. p. c., der eine Klage für nichtig erklärt, sofern deren Gegenstand nicht ausreichend bestimmt (Art. 163 III Nr. 3 c. p. c.) oder die Klage anderweitig unbestimmt ist bzw. die Tatsachen des geltend gemachten Anspruches nicht vorgetragen wurden (Art. 163 III Nr. 4 c. p. c.). Es ist in diesem Zusammenhang jedoch zu beachten, dass Art. 163 III Nr. 4 c. p. c. zwar neben den streiterheblichen Tatsachen auch einen Vortrag der rechtlichen Grundlagen des Anspruches fordert, Art. 164 IV c. p. c. allerdings nur bei einem fehlenden Tatsachen vortrag eine Nichtigkeit der Klage vorsieht. Saravalle, a.a.O. spricht darüber hinaus davon, dass die Bestimmung des anzuwendenden Rechts Voraussetzung für die gerichtliche Entscheidung ist, und insofern eine Klage schon aus diesem Grunde unzulässig ist, unabhängig davon, ob die Klage als unbestimmt zu bezeichnen ist; er qualifiziert somit die Rechtswahl des Geschädigten als Prozessvoraussetzung (ähnlich Rochaix, a.a.O.).
432
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Beziehung zum Sachverhalt anzuwenden330. Für die Befürwortung des im deutschen IPR bisher herrschenden Günstigkeitsprinzip 331 finden sich in der italienischen Literatur keine Anhaltspunkte. Es entspricht zwar dem Wortlaut des Art. 63 IPRG, dass die Wahl des anzuwendenden Rechts allein durch den Geschädigten erfolgen kann 332 , aus da* fehlenden Rechtswahl eine Nichtigkeit der Klage abzuleiten, dürfte jedoch im Ergebnis zu weit gehen. Durch diese Rechtsfolge würde das Wahlrecht des Geschädigten zu einer Pflicht werden, die den Laien bereits im Vorfeld immer zur Hinzuziehung eines juristischen Spezialisten zwingt und einem enormen Druck aussetzt. Dies widerspricht auch dem in Art. 14 IPRG erwähnten Grundgedanken der Amtsermittlung 333 . Sofern man auf der anderen Seite vermeiden will, dass die Gerichte durch Anwendung des Günstigkeitsprinzipes eine rechtsvergleichende Untersuchung vornehmen müssen 334 , sollte der Richter aus den in Art. 63 IPRG angebotenen Rechtsordnungen diejenige auswählen, die
330
In diesem Sinne CT (Barel), Art. 63, II. 2. Siehe 3. a), Fn. 230; zur Diskussion siehe W. Lorenz, in v. Caemmerer (Fn. 212), S. 113 - 117 und Drobnig, ebenda, S. 326, 335 (beide ablehnend) sowie zusammenfassend Staudinger (v. Hoffmann), 13. Auflage, Art. 38 EGBGB, Rn. 453 f. und Rn. 119 f., der sich selbst für das Günstigkeitsprinzip im Produkthaftungsrecht ausgesprochen hat (Rn. 469); ebenso MüKo (Kreuzer), Art. 38 EGBGB, Rn. 203. Mit der Neuregelung des außervertraglichen Schuldrechts ist dem Günstigkeitsprinzip eine Absage erteilt worden. Der Geschädigte kann nunmehr gemäß Art. 40 I 2 EGBGB anstelle des Rechts des Handlungsortes das Recht des Erfolgsortes wählen (siehe 2. b), bei Fn. 214). Eine Wahl zwischen mehreren Handlungsorten ist nicht möglich; vielmehr ist in solchen Fällen der Schwerpunkt der Handlung zu ermitteln (siehe Staudinger (v. Hoffmann), Art. 40, Rn. 20 f.). Zur ausdrücklichen Regelung des Günstigkeitsprinzipes in anderen Rechtsordnungen siehe § 32 II ungarische IPR-VO; Art. 28 I jugoslawisches IPRG und im Hinblick auf die Person des Haftpflichtigen Art. 45 II des portugiesischen codigo civil. Gegen das Günstigkeitsprinzip lässt sich vor allem einwenden, dass der Geschädigte durch das Unterlassen der Rechtswahl den Richter als „Gutachter" einsetzen kann. Das Produkthaftungsrecht dient zudem nicht allein dem „schwachen" Verbraucher, sondern greift auch im rein kaufmännischen Geschäftsverkehr (siehe c) bb) am Ende zum Anwendungsbereich des Art. 63 IPRG). Zudem handelt es sich um ein Wahlrecht des Geschädigten, von dem dieser auch keinen Gebrauch machen kann, evtl. rechtliche Nachteile aber dann in Kauf nehmen muss. 332 In diesem Sinne ebenso zu Art. 135 des schweizerischen IPRG Volken, in Schweiz. IPR-Komm., Art. 135, Rn. 42. 333 Art. 14 IPRG regelt zwar ausdrücklich nur den Grundsatz der Ermittlung des bereits feststehenden Rechts, die Vorschrift zeigt jedoch, dass Rechtsfragen grundsätzlich von Amts wegen zu ermitteln sind. Wenn eine rechtsvergleichende Untersuchung von allen Beteiligten - auch aus Kostengründen - gescheut wird, kann das nicht allein zu Lasten des Klägers gehen. 334 Zur Scheu der deutschen Rechtsprechung vor dieser Aufgabe siehe Drobnig, Produktehaftung, in v. Caemmerer (Fn. 212), S. 303; siehe dazu auch in voriger 331
Fußnote.
§ 17 Die Kollisionsnormen
433
den engsten Bezug zu dem Sachverhalt aufweist 335. Sofern dies zur Anwendung einer für den Kläger ungünstigeren Rechtsordnung fuhrt, hat er dies aufgrund der unterlassenen Rechtswahl selbst zu verantworten. In der Praxis wird diese Frage vermutlich nur von geringer Relevanz sein, da sich der Kläger im Zweifelsfall nicht dem Risiko einer Klageabweisung aussetzen wird, auf das von Seiten des Gerichts wohl hinzuweisen ist.
bb) „ Domicilio " bzw. Verwaltungssitz
des Verpflichteten
Als weitestgehend unproblematisch erweisen sich die Anknüpfungen an den „domicilio" 336 bzw. den Verwaltungssitz („amministrazione") des Haftpflichtigen. Letztere Anknüpfung umschreibt parallel zur Anknüpfung des Art. 25 I 2 1. Alt. IPRG im Gesellschaftsrecht 337 den effektiven Verwaltungssitz338. Dadurch dass der italienische Gesetzgeber - im Gegensatz zu Art. 135 I a) schweizerisches IPRG - nicht von der Niederlassung des Produzenten spricht, sondern von seinem Verwaltungssitz, differenziert Art. 63 IPRG bei seinen Anknüpfungen zwischen natürlichen („domicilio") und juristischen Personen bzw. Vereinen („amministrazione")339. Die Regelung des schweizerischen IPR unterscheidet hingegen zwischen gewerblichen (Niederlassung) und nichtgewerblichen (gewöhnlicher Aufenthalt) Schädigern340.
335
Zur weiten Verbreitung der Schwerpunktbetrachtung im IPRG siehe unter § 3
II. 3. 336
Zu dem Begriff siehe § 16 I. 4. a) bb). Siehe zum internationalen Gesellschaftsrecht im IPRG unter § 5 II. 2. 338 I. d. S. Saravalle, Com., NLCC, S. 1456 f. und CT (Barel), Art. 63, II. 4. Bei dem Begriff der „amministrazione" wurde der vom Kommissionsentwurf verwendete Zusatz „centrale" (siehe RDIPP 1989, S. 944, Art. 65) bereits im Regierungsentwurf (siehe in Studi Vitta, S. 462) weggelassen; Saravalle, a.a.O., in Fn. 34 sieht darin einen überflüssige Ergänzung. Der Begriff der „amministrazione centrale" findet sich in der italienischen Fassung des Art. 4 II 1 EVÜ (siehe nächste Fußnote). 339 Ebenso Saravalle, Com., NLCC, S. 1456. Die Differenzierung entspricht dem Art. 4 II 1 EVÜ im Vertragsrecht (s. a. vorige Fußnote); das Römische Abkommen wendet die Unterscheidung jedoch nur für den nichtgewerblichen Bereich an. Für den gewerblichen Bereich verweist der Staatsvertrag auf die Niederlassung des Handelnden (Art. 4 II 2 EVÜ). 340 Siehe dazu Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 135, Rn. 28 - 32; siehe auch 2. b), in Fn. 209 zu den Unterschieden der italienischen und schweizerischen Regelung bei den Anknüpfungen. Zur Legaldefinition der „Niederlassung" siehe die Artt. 20 I c) (natürliche Personen), 21 III (juristische Personen) schweizerisches EPRG. 337
434
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
cc j Der Erwerbsort
Als Erwerbsort i. S. d. Art. 63 IPRG gilt grundsätzlich der Ort des Inverkehrbringens des Produkts341. Im Falle der Weiterveräußerung kommt es auf den Ort des letzten Erwerbes an 342 . Der Begriff des Erwerbes („acquistato") ist jedoch nicht auf Kaufverträge im materiellrechtlichen Sinne („vendita" Art. 1470 c. c.) beschränkt, sondern umschreibt alle Rechtsverhältnisse, durch die der Geschädigte mit dem Produkt in Kontakt kommt (Miete, Leasing, Verwahrung, Leihe usw.)343. Als „ E r w e r b s o r t " gilt in diesen Fällen der Ort des ersten Kontaktes mit dem Produkt 344. In diesem Zusammenhang stellt sich das Problem der Schädigung von unbeteiligten Dritten (sog. innocent bystanders). Diese kommen zwar materiell-
rechtlich als Geschädigte in Frage 345, da sie jedoch in keinerlei Verbindung zum Ort des Erwerbes stehen, erscheint es fraglich, ob sie auch das Recht des Erwerbsortes wählen können. Zur Abgrenzung zwischen unmittelbar und mittelbar Geschädigten knüpft das Haager Produkthaftungsabkommen insofern beim Aufenthaltsort (Artt. 4 a) und Art. 5) bzw. beim Erwerbsortes (Artt. 4 c) und 5 b)) lediglich an erstere („directly suffering") an 346 . Da der Wortlaut des Art. 63 IPRG jedoch keine Differenzierung vornimmt, geht die italienische Literatur von der uneingeschränkten Anwendung des Art. 63 IPRG auch für
341
Saravalle, Com., NLCC, S. 1458; CT (Barel), Art. 63, II. 5. und Pocar, Com.,
RDIPP, S. 1220. Zum Inverkehrbringen siehe auch unter c) ee) zur Frage, welche Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften der Haftende zu beachten hat. 342 Saravalle, Com., NLCC, S. 1458 bei Fn. 45; ebenso Rochaix, IntProdH, S. 164 zu Art. 135 I schweizerisches IPRG und Stoll, in FS Kegel (1977), S. 132, bei Fn. 72 zum Haager Produkthaftungsabkommen. Konkret stellt Vischer, in FS Moser, S. 139 auf den Ort der dem Erwerb zugrunde liegenden Willenserklärung ab; der Ort der Übergabe der Ware soll demnach unerheblich sein. 343 Saravalle, Com., NLCC, S. 1458; ebenso Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 135, Rn. 35; Vischer, in FS Moser, S. 139 und Rochaix, IntProdH, S. 164 zum schweizerischen IPR. 344 Siehe auch zum schweizerischen IPR Rochaix, IntProdH, S. 165 und Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 135, Rn. 36 sowie Rn. 34 zur allgemeinen Rechtfertigung der Anknüpfung an den Erwerbsort als Ort der erstmaligen „Berührung" mit dem schädigenden Produkt. 345 Siehe dazu unter c) cc), insbesondere in Fn 305 zur rechtlichen Einordnung dieser Frage. 346 Die deutschen Übersetzungen sind an diesem Punkt nicht ganz korrekt, wenn sie nur einfach von der „geschädigten Person" sprechen (siehe 1. a), Fn. 183 zur Übersetzung in MüKo).
§ 17 Die Kollisionsnormen
435
Drittgeschädigte aus347. Dies ist in der Sache zwar zu begrüßen, es muss jedoch überlegt werden, ob dann nicht - ähnlich wie bei Personen in einem vertraglichen Benutzungs- oder Besitzverhältnis348 - als „Erwerbsort" der Ort zu gelten hat, an dem der Geschädigte (zufallig) mit dem Produkt in Berührung gekommen ist und nicht der Erwerbsort des letzten „Erwerbers", der u. U. gar nicht selbst geschädigt wurde. Um auch bei der Anknüpfung an den Erwerbsort dem Verpflichteten die Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts zu gewährleisten349, eröffnet Art. 63 IPRG ihm die Möglichkeit zu beweisen, dass er der Verbringung des Produkts in das Erwerbsland nicht zugestimmt hat (sog. ,prova liberatoria " Entlastungsbeweis). Der Verantwortliche soll durch die Regelung davor geschützt werden, mit einer Rechtsordnung konfrontiert zu werden, mit der er nicht rechnen musste350. Diese Form des Vertrauensschutzes findet sich auch in den anderen Regelungen der internationalen Produkthaftung. Während Art. 7 des Haager Produkthaftungsabkommens auf diese Weise die Anknüpfung an den Verletzungsbzw. den Aufenthaltsort des Geschädigten einschränkt351, erstreckt sich der Entlastungsbeweis bei den nationalen Vorschriften - ebenso wie bei Art. 63 IPRG - auf die Erwerbsortsanknüpfung (Art. 135 I b) schweizerisches IPRG, Art. 114 b) rumänisches IPRG)352. Im Gegensatz zum Haager Abkommen und in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der anderen nationalen IPRG fordert Art. 63 keine Unvorhersehbarkeit der Inverkehrbringung der Ware im Erwerbsland, sondern lediglich den Beweis einer fehlenden entsprechenden Zustimmung. Nachdem man im Rahmen des Haager Abkommens sehr schnell geneigt war, von einer Vorhersehbarkeit auszugehen353, scheint durch die Regelung des Art. 63 IPRG auf den ersten Blick der Vertrauensschutz der Haftenden verbessert worden zu sein.
347
Ballarino, DIP 2, S. 704 f. und Saravalle, Com., NLCC, S. 1458 bei Fn. 44. Zur
Diskussion i. R. d. Art. 135 schweizerisches IPRG siehe c) cc), in Fn 305. 348 Siehe oben bei Fn. 343f. 349 Siehe allgemein zur Interessenlage der Beteiligten unter 1. b). 350 Zum schweizerischen IPRG siehe Wandt, IntProdH, § 2, Rn. 79 mit Nachweis zu den Gesetzesmaterialien (Fn. 64). 351 Siehe dazu unter 2. a); der Kommissionsbericht zum IPRG verweist in seiner Begründung ausdrücklich auf den Art. 7 des Haager Produkthaftungsabkommens (siehe in RDIPP, S. 982 zu Art. 65 [= Art. 63 IPRG] Ende). 352 Siehe dazu unter 2. b). 353 Siehe W Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 347 f. und Drobnig (Fn. 212), S. 324. Am Vertrieb beteiligte Personen sollen z. B. immer damit rechnen müssen, dass sich der Fehler eines Produkts an einem Ort auswirkt (siehe 2. a) zur Anknüpfung an den Erfolgsort im Haager Übereinkommen), an dem das Produkt nicht vertrieben wurde (i. d. S. Stoll, in FS Kegel (1977), S. 130 und Rochaix, IntProdHaft, S. 162).
436
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
Dieser Abweichung vom staatsvertraglichen Text wird jedoch durch die Möglichkeit einer konkludenten Zustimmung seine Wirkung genommen. Nachdem ein ausdrückliches Ausfuhrverbot des in Anspruch Genommenen im Rahmen seiner internen Vertriebsorganisation oder in Form einer Vereinbarung von Vertriebsverboten mit seinen Abnehmern wohl in der Regel nicht vorliegt, ist zu beweisen, dass der Vertrieb der Ware im Land des Erwerbsortes zumindest konkludent missbilligt wurde. Dies wird von der italienischen Literatur einhellig befürwortet 354. Auch die Stimmen zum schweizerischen IPRG verweisen auf die strengen Anforderungen an den Entlastungsbeweis355. Streng genommen erstreckt sich die Beweislast zwar nicht auf ein Verbot der Inverkehrbringung, sondern lediglich auf das Fehlen einer entsprechenden Zustimmung, bei der weltweiten Orientierung der Märkte müssen jedoch schon bestimmte Indizien der konkludenten Inverkehrbringung eines Produkts im Erwerbsland entgegenstehen356. Nachzuweisen sind insofern konkrete Maßnahmen, die dem Vertrieb der Waren im jeweiligen Erwerbsland zuwiderlaufen 357. Insbesondere international tätigen Konzernen wird es schwerfallen, ein konkludentes Einverständnis zu Exporten zu widerlegen358. Vor allem innerhalb der EG und der EFTA ist wohl in der Regel davon auszugehen, dass Ware in den Umlauf geht359. Dies zeigt, dass sich die Grenze zwischen dem von Art. 63 IPRG geforderten Einverständnis und der Nichtvorhersehbarkeit im Sinne des Haager Produkthaftungsabkommens in der Praxis wohl verwischen wird 360 . Dem Grunde nach ist dies auch zu befürworten, da es nur darum geht, den Haftenden vor einer „unvorhersehbaren" Rechtsordnung zu bewahren361. Ob die strengen Anforderungen an den Entlastungsbeweis, die in der Literatur zum schweizerischen IPRG aufgestellt worden sind, bei der Anwendung des Art. 63 354
Saravalle,
Com., NLCC, S. 1458 r. Sp.; Pocar, Com., RDIPP, S. 1220 und
CT (Barel), Art. 63, II. 6. 355 Volken, in Schweiz. IPRG-Komm., Art. 135, Rn. 45; Vischer, in FS Moser, S. 140
und Rochaix, IntProdH, S. 162. Die Gesetzesmaterialien gehen hingegen von geringeren Anforderungen aus und beziehen sich allein auf die Kennntnis des Haftenden (siehe Nachweis bei Wandt, IntProdH, § 2, Rn. 79, Fn. 66). 356 Ζ. B. Vertriebsstrukturen, Sicherheitsstandards eines bestimmten Landes (s. a. c) ee) zu den einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften), begrenzte Werbung oder Fassung der Beschreibungen nur in bestimmter Sprache. 357 Siehe Beispiele bei Saravalle, Com., NLCC, S. 1458 r. Sp.; s. a. die Stimmen zum schweizerischen IPRG in Fn. 350, 355. 358 Auch W. Lorenz, in RabelsZ 1973, S. 348 weist im Rahmen des Haager Produkthaftungsabkommens daraufhin, dass i. d. R. die Einwirkungsmöglichkeiten des Produzenten auf die Verbreitung seiner Ware gering sind, so dass er damit rechnen muss, dass diese überall in den Handel gebracht wird. 359 Pocar, Com., RDIPP, S. 1220; ebenso Wandt, IntProdH, § 2, Rn. 79, Fn. 67. 360 Pocar, Com., RDIPP, S. 1220. 361 Siehe 1. b) zu den schutzwürdigen Interessen der Beteiligten.
§ 17 Die Kollisionsnormen
437
IPRG übernommen werden, muss im Einzelnen abgewartet werden. Die ersten Stimmen zu der Vorschrift scheinen sich jedoch in diese Richtung zu bewe-
IV. Zusammenfassung Die Beispiele der Artt. 48, 60, 63 IPRG zeigen, wie sich der italienische Gesetzgeber bei seiner autonomen Normierung des IPR an bereits bestehenden Regelungen orientiert 363. Während sich die Artt. 48, 60 IPRG die Haager IPRÜbereinkommen zur Testamentsform bzw. zum Stellvertretungsrecht zum Vorbild genommen haben, lehnt sich Art. 63 IPRG an bereits bestehende Regelungen anderer IPR-Gesetze an und entfernt sich bewusst vom Haager Produkthaftungsabkommen. Art. 48 IPRG übernimmt umfassend die Anknüpfungspunkte des Haager Testamentformabkommens mit Ausnahme der lex-rei-sitae-Anknüpfung für unbewegliches Vermögen. Die Ablehnung dieser Anknüpfung war auch der Grund für die Nichtratifizierung des Staatsvertrages durch den italienischen Gesetzgeber364. Art. 60 IPRG regelt mit dem Vollmachtsstatut einen Bereich des IPR, der nach wie vor international höchst umstritten ist 365 . Dies gilt auch für die Regelungen des einschlägigen Haager Stellvertretungsabkommens, die mit schwachen und wechselnden Beschlüssen verabschiedet wurden 366. Obwohl dem Übereinkommen nur wenig Erfolg beschieden war, hat sich der italienische Gesetzgeber bei der Regelung des Vollmachtsstatuts in Art. 60 IPRG doch in erheblichem Maße an diesem orientiert. Er hat sich dabei jedoch noch enger an andere nationale IPR-Vorschriften angelehnt367.
Auf noch weitere Ablehnung ist das Haager Übereinkommen zur Produkthaftung gestoßen. Nachdem sich die Vorentwürfe zum IPRG noch an dem Haager Produkthaftungsabkommen orientiert haben, ist der Gesetzgeber mit der endgültigen Fassung des Art. 63 IPRG der Tendenz anderer nationaler Kollisi362 363 364 365
249.
366
Siehe Hinweise in Fn. 354. Siehe auch § 10 II. 3. Ende. Siehe I. 3. Zum deutschen IPR siehe für alle MüKo (Spellenberg), vor Art. 11, Rn. 169 -
Der Haager Konventionsentwurf über das auf die Siehe dazu Müller-Freienfels, Stellvertretung anwendbare Recht, in RabelsZ 1979, S. 80 - 115. 367 Siehe dazu unter II. 1.; zu den wenigen Vertragsstaaten des Haager Stellvertretungsabkommens siehe dort in Fn. 106.
438
Kap. V: Die Anlehnung an staatsvertragliche Regelungen
onsnormen jüngeren Datums gefolgt, die den Bereich der Produkthaftung ebenfalls unabhängig vom allgemeinen Deliktsstatut geregelt haben368. Das Produkthaftungsstatut wurde demzufolge vom Tatortprinzip des allgemeinen Deliktsstatuts abgetrennt und den Interessen der Produzenten und sonstigen Verpflichteten durch eine eigenständige Anknüpfung verstärkt Rechnung getragen369. Sobald jedoch die als loi uniforme ausgestaltete Rom II-Verordnung 370 in Kraft tritt, wird Art. 63 IPRG praktisch bedeutungslos.
368
Siehe III. 2. b). Zur Abtrennung des Produkthaftungsstatuts siehe III. 4. b); zur Interessenabwägung siehe III. 1. b). 370 Siehe III. 2. c), Fn. 227. 369
Kapitel VI
Die Auslegung von Staatsverträgen und die EuGH-Zuständigkeit § 18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R. d. IPRG I. Die Auslegung der Staatsverträge und der besonderen Hinweisnormen (Artt. 3 I I 1, 42 1, 45, 57, 591 IPRG)
I. Allgemeines zur Auslegung von Staatsverträgen (Art. 2 II IPRG) und die Rechtsprechung des EuGH
Wie bereits mehrfach erwähnt, sind Staatsverträge grundsätzlich autonom auszulegen, d. h. gemäß dem Zweck der Verträge und durch vergleichende Heranziehung der Rechtsordnungen der Vertragsstaaten1. Dies bedingt sich notwendigerweise aus ihrem völkerrechtlichen Charakter. Staaten verpflichten sich durch den Abschluss internationaler Verträge nicht nur zur Umsetzung derselben2, sondern auch zur vertragsgemäßen und effektiven innerstaatlichen Durchführung der Übereinkommen3. Zum Bestandteil dieser Verpflichtung zählt auch die vertragskonforme und damit einheitliche Anwendung und Auslegung der
1 BGHZ 52, S. 216 = NJW 1976, S. 1583. Ausführlich dazu Kropholler, IntEinhR, S. 235 ff., 258 ff. und Meyer-Sparenberg, S. 101 - 118; zusammenfassend Staudinger (Hausmann), Art. 3, Rn. 33; MüKo (,Sonnenberger), Einl. Rn. 281; Kropholler, IPR, § 9 V. 1. und Pal. (Heldrich), vor Art. 3 EGBGB, Rn. 7 und Rn. 28. 2 Allgemein zur völkerrechtlichen Dualismustheorie siehe § 8 I. 3 Siehe dazu auch Art. 26 WVK, der die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge nach Treu und Glauben festschreibt (pacta sunt servanda) sowie die Artt. 27, 46 WVK, die den völkerrechtlichen Grundsatz normieren, dass sich ein Vertragsstaat bei der Nichteinhaltung eines Vertrages nicht auf sein innerstaatliches Recht berufen kann (s. a. vorige Fußnote zur Dualismustheorie im Völkerrecht). Im Einzelnen zur Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) siehe § 9 II. 1., Fn. 26.
440
Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Verträge 4. Im Zweifelsfall ist deshalb davon auszugehen, dass die Vertragsstaaten diese Verpflichtung auch zum Bestandteil ihres nationalen Rechts machen5. In einigen neueren IPR-Verträgen wird dies deklaratorisch festgehalten 6. Das Bestreben nach einer einheitlichen Auslegung von internationalen Abkommen stößt jedoch dann an Grenzen, wenn es zur Bestimmung eines in einem Staatsvertrag gebrauchten Begriffes der Anwendung nationalen Rechts bedarf und sich dieses zwischen den Vertragsstaaten nicht deckt. Als Beispiel ist auf die Ausführungen zum Begriff des „handelbaren Wertpapiers" nach Art. 1 II c) EVÜ zu verweisen 7 . Im Rahmen der EuGH-Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang der Begriff des „Erfüllungsortes" in Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ (= Art. 5 Nr. 1 EuGVO) zu nennen, der nach dem Verständnis des Gerichtshofes ebenfalls nach der lex causae zu bestimmen ist 8 . Art. 5 Nr. 1 4
Siehe dazu Artt. 3 1 - 3 3 WVK und Matscher, in BerDGesVölkR, Heft 27 ( 1986), S. 20 sowie ausführlich Meyer-Sparenberg, S. 101 - 119. 5 Siehe auch unter § 9 II. 1. zum vergleichbaren Fall des gesetzgeberischen Willen zum Vorrang von Staatsverträgen. 6 Siehe Art. 18 EVÜ (im Einzelnen zu Art. 18 EVÜ und zur entsprechenden deutschen Vorschrift des Art. 36 EGBGB siehe § 19 III. 3. c)), Art. 7 I CISG (zu dem Abkommen siehe § 14 II. 1. a), Fn. 11), Art. 7 des ΝY-Verjährungsabkommens zum internationalen Warenkauf (siehe RabelsZ 1975, S. 342 (346 f.); s. a. Hinweis bei Jayme / Hausmann, Nr. 77, Rn. 3) und Art. 6 I des Haager Stellvertretungsabkommens (siehe §1711. 1 „Fn. 106).
Zur Auslegungskompetenz des EuGH für die EuGVO und das EVÜ siehe § 19 I. Zum Lugano Abkommen siehe „Protokoll Nr. 2 über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens" vom 16. 9. 1988 (Jayme / Hausmann, Anhang zu Nr. 152); in dem Protokoll verpflichten die Vertragsstaaten ihre nationalen Gerichte, den Entscheidungen aus anderen Vertragsstaaten Rechnung zu tragen und durch gegenseitigen Informationsaustausch eine einheitliche Anwendung des Abkommens zu fördern. Zur Unzuständigkeit des EuGH siehe § 19 II. 1. b), Fn. 33. 7 Siehe § 15 IV. 2. a). 8 EuGH 6. 10. 1976, Rs. 12 / 76 - Tessili ./. Dunlop, Slg. 1976, S. 1473 = NJW 1977, S. 491 f. mit Anm. Geimer, S. 492 f. = auf Italienisch in RDIPP 1977, S. 171 und RDI 1977, S. 608; zu dem Urteil s. a. unter § 15 IV. 2. a), in Fn. 214. Zu weiteren Beispielen siehe in Fn. 15. Vor der Tessili ./. Dunlop-Entscheidung des EuGH haben sich die italienischen Gerichte für die Bestimmung des Erfüllungsortes nach der italienischen lex fori ausgesprochen. Siehe Hinweise bei Pocar, Jurisdiction and Enforcement of Judgements, in RabelsZ 1978, S. 405 (417 - Fn. 46) und Franchi , La Convenzione di Bruxelles sulla competenza giurisdizionale e l'esecuzione delle sentenze nei rapporti italiani-tedeschi, in RDIPP 1976, S. 712 (717 f.); s. a. Hinweis bei Walter , in ZZP 1996, S. 13. In Deutschland hat das OLG Oldenburg 14. 11. 1975, in NJW 1976, S. 1043 (1044) eine autonome Bestimmung des Erfüllungsortes befürwortet. Nach der Entscheidung Tessili ./. Dunlop haben sich die nationalen Gerichte einheitlich der Rechtsprechung des EuGH angeschlossen. Für Italien siehe erstmalig Cass. 9. 5. 1983, n. 3146, in RDIPP 1984, S. 543 (zu dem Urteil siehe Jayme, in IPRax 1985, S. 303); zu weiteren Entscheidungen des Corte di Cassazione sowie der französischen und niederländischen Rechtsprechung siehe Kropholler, EuZPR,
§ 18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R. d. IPRG
441
EuGVÜ selbst zeigt jedoch bereits 9, dass auch innerhalb einer Norm immer im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine autonome Qualifikation vorzunehmen ist. In Einzelfällen schreiben Staatsverträge auch eine Bestimmung der von ihnen verwendeten Rechtsbegriffe nach nationalem Recht vor 10 . Als erste Bestandsaufnahme lässt sich also festhalten, dass bei internationalen Verträgen grundsätzlich eine autonome Auslegung der in den Abkommen verwendeten Rechtsbegriffe vorzunehmen ist. Ebenso wie im nationalen IPR erfolgt die Bestimmung der verwendeten Termini nach dem Willen desjenigen, der die Normen geschaffen hat, also bei Staatsverträgen nach dem Rechtsverständnis, das dem Vertrag zugrunde gelegt wurde 11 . Der Grundsatz der
6. Auflage, Art. 5, Rn. 21, in Fn. 56. Zur deutschen Rechtsprechung siehe BGH 28. 3. 1979, in R1W 1979, S. 710 (711); BGH 16. 1. 1981, in NJW 1981, S. 1905 und BGH 31. 1. 1991, in NJW 1991, S. 3095 (3096). Auch nach einer erneuten Vorlage dieser Frage durch denfranzösischen Kassationshof (zur Vorlage siehe Rev. crit. 1998, S. 117) hat der EuGH - entgegen dem Antrag des Generalanwaltes - die Tessi Ii-Rechtsprechung bestätigt (EuGH 28. 9. 1999, Rs. 440 / 97 - Groupe Concorde, Slg. 1999,1 - S. 6307 = IPRax 2000, S. 399ff.). Zur Bestimmung des „Erfüllungsortes" siehe auch unter 2. b) aa). 9
Die Bedeutung der Formulierung „ Vertrag
oder Ansprüche aus einem Vertrag"
aus Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ ist gemäß der Rechtsprechung des EuGH autonom zu bestimmen: EuGH 22. 3. 1983, Rs. 34 / 82 - Peters ./. ZNAV, Slg. 1983, S. 987 (Leitsatz Nr. 1) = RIW 1983, S. 871 = IPRax 1984, S. 85 mit Anm. Schlosser, S. 65 = auf Italienisch in RDIPP 1983, S. 896; EuGH 8. 3. 1988, Rs. 9 / 87 - Arcado ./. Haviland, Slg. 1988, S. 1539 (Leitsatz) = NJW 1989, S. 1424 = RIW 1988, S. 987 (Leitsatz) = IPRax 1989, S. 227 mit Anm. Mezger, S. 207 = auf Italienisch in RDIPP 1989, S. 167 und EuGH 10. 3. 1993, Rs. 214 / 89 - Powell Duffryn ./. Petereit, Slg. 1992,1 - S. 1745 (1774 - Nr. 14); dabei kann auch auf Art. 10 EVÜ zurückgegriffen werden (siehe Urteil Arcado ./. Haviland, a.a.O., S. 1555 [Nr. 15]). Ebenso autonom auszulegen ist der Begriff des „ Arbeitsvertrages " in Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ unter Rückgriff auf Art. 6 EVÜ: EuGH 26. 5. 1982, Rs. 133 / 81 - Ivenel ./. Schwag, Slg. 1982, S. 1891 (1899 - 1901) = RIW 1982, S. 908 = IPRax 1983, S. 173 mit Anm. Mezger, S. 153 = auf Italienisch in RDI 1983, S. 900; EuGH 15. 1. 1987, Rs. 266 / 85 - Shenavai ./. Kreischer, Slg. 1987, S. 239 (253 - 256) = NJW 1987, S. 2155 und EuGH 9. 1. 1997, Rs. 388 / 95 - Rutten ./. Cross Medical, in Slg. 1997,1 - S. 57 (58 - Leitsatz) = NJW 1997, S. 2668. Zur letzten Entscheidung s. a. 2. b) aa), Fn. 51. 10 Die Standardbeispiele sind die Bestimmung von Wohn- bzw. Geschäflssitz nach dem jeweiligen Ortsrecht (Artt. 59, 60 EuGVO (= Artt. 52, 53 EuGVÜ) und Art. 1 III TestFÜbk. - siehe dazu auch den Exkurs unter § 16 II. 4. a) bb) und hier unter 2. b) bb)) sowie die Feststellung der Staatsangehörigkeit nach dem Recht jedes einzelnen Staates aufgrund der jeweiligen Staatensouveränität (unstr.: für alle Kropholler, IPR, § 1 VI. 1.; v. Hoffmann,
IPR, § 5 Α. IV., Rn. 37 und Kegel / Schur ig, IPR, § 13 II. 4.); siehe dazu
unter 2. a), Fn. 35 - 37. Im Weiteren siehe Art. 1 III 2 EVÜ (= Art. 37 Nr. 4, S. 2 EGBGB) für die Frage der Risikobelegenheit bei Versicherungsverträgen. 11 Siehe dazu im Folgenden unter 2.
442
Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
vertragsautonomen Auslegung wird vor allem in der Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ 1 2 und der Literatur zum EVÜ 1 3 wiederholt betont. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Rechtsbegriff den Anwendungsbereich eines Staatsvertrages in seiner Gesamtheit oder einzelnen Vorschriften desselben festlegt 14. Sofern es jedoch zur Klärung eines Terminus der Anwendung mate12 Dies betont auch der EuGH in seiner Rechtsprechung zum EuGVÜ: EuGH 19. 1. 1993, Rs. 89 / 91 - Shearson ./. TVG, Slg. 1993,1 - S. 139 (186 - N r . 13) = NJW 1993, S. 1251 = auf Italienisch in RDIPP 1993, S. 761; EuGH 13. 7. 1993, Rs. 125 / 92 Mulox ./. Geels, Slg. 1993, I - S. 4075 (4102 - Nr. 10, 11) = IPRax 1997, S. 110 mit Anm. Holl, S. 88 = in Rev. crit. 1994, S. 569 mit Anm. Lagarde = auf Italienisch in RDIPP 1994, S. 432; EuGH 9. 1. 1997, Rs. 383 / 95 - Rutten ./. Cross Medical (Fn. 9), S. 74 f. (Nr. 12, 13); EuGH 20. 3. 1997, Rs. 295 / 95 - Farell ./. Long, Slg. 1997, I S. 1683 (1704 - Nr. 12, 13) = auf Italienisch in RDIPP 1997, S. 788 und EuGH 3. 7. 1997, Rs. 269 / 95 - Benincasa ./. Dentalkit, Slg. 1997, I - S. 3767 (3794 - Nr. 12) = RIW 1997, S. 775. Zurückhaltender äußerte sich der Gerichtshof noch in EuGH 8. 10. 1976, Rs. 12 / 76 - Tessili ./. Dunlop (Fn. 8), Slg. 1976, S. 1473 (Leitsatz 2); der EuGH hat in der Entscheidung von einer Abwägung zwischen einer autonomen und einer innerstaatlichen Auslegung gesprochen, von denen keiner per se Vorrang einzuräumen ist; ebenso EuGH 8. 12. 1987, Rs. 144 / 1986 - Gubisch ./. Palumbo, Slg. 1987, S. 4861 (4873 - Nr. 7) = NJW 1989, S. 665 = RIW 1988, S. 818 mit Anm. Linke = IPRax 1989, S. 157 mit Anm. Schock, S. 139 = auf Italienisch in RDIPP 1988, S. 566. 13 Bericht von Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks. 10 / 503, S. 70. Für alle MüKo (Martiny), Art. 36, Rn. 6 in der deutschen Literatur und Mignolli, in Sacerdoti / Frigo, S. 229 (241 f. - Übertragung der EuGVÜ-Praxis auf das EVÜ) in Italien. Der Art. 18 EVÜ (= Art. 36 EGBGB) stellt dies ausdrücklich klar (s. o. Fn. 6 mit Hinweis). 14 Zu einer autonomen Auslegung siehe z. B.:
Art. 1 I EuGVÜ („Zivil-
und Handelssachen"): EuGH 14. 10. 1976, Rs. 29 / 76 -
LTU ./. Eurocontrol, Slg. 1976, S. 1541 (Nr. 3, 4) = NJW 1977, 489 = RIW 1977, S. 40 = auf Italienischen in RDIPP 1977, S. 183 und RDI 1977, S. 617; EuGH 22. 2. 1979, Rs. 133 / 78 - Gourdain ./. Nadler, Slg. 1979, S. 733 (Nr. 3) = NJW 1979, S. 1772 (Leitsatz) = RIW 1979, S.273 = auf Italienisch in RDIPP 1979, S. 542 und RDI 1981, S. 137; EuGH 16. 12. 1980, Rs. 814 / 79 - Niederlande ./. Rüffer, Slg. 1980, S. 3807 (Nr. 7, 8) = RIW 1981, S. 711 = IPRax 1981, S. 169 mit Anm. Schlosser, S. 154 = auf Italienisch in RDIPP 1981, S. 1040 und EuGH 21. 4. 1993, Rs. 172 / 91 - Sonntag ./. Waidmann, Slg. 1993,1-S. 1963 (1996-Nr. 18) = NJW 1993, S. 2091 = IPRax 1994, S. 37 mit Anm. Heß, S. 10 = EuZW 1993, S. 417 = JZ 1994, S. 252. Ausführlich zur Auslegung des Begriffes siehe Soltész , Der Begriff der Zivilsache im Europäischen Zivilprozeßrecht, Frankfurt a. M. 1998. Zu den neuen Entscheidungen des EuGH zum Begriff der „Zivil- und Handelssachen" (EuGH 14. 11. 2002, Rs. C-217 / 00 - Baten und EuGH 15. 5. 2003, Rs. C-266 / Ol - Préservatrice foncière), die die EurocontrolRechtsprechung fortführen, siehq Jayme / Hausmann, in IPRax 2003, S. 489, unter 5 a). Art. 11 EVÜ („vertragliche
Schuldverhältnisse "): Dazu Ballarino / Bonomi, Materie
escluse, S. 89 mit Hinweis auf die EuGH-Rechtsprechung zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ und Lagarde, Le nouveau droit international privé des contrats après l'entrée en vigeur de la Convetion de Rome au 19 juin 1980, in Rev. crit., 1991, S. 287 (293); zu Art 5 Nr. 1
EuGVÜ („ Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" bzw. „Arbeitsvertrag") s. o. Fn. 9. Artt. 5 Nr. 5, 8 //, 13 II EuGVÜ = Artt. 5 Nr. 5, 9 II, 15 II EuGVO („ Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung"), siehe dazu
§ 18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R. d. IPRG
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riellen Rechtes bedarf, spricht man sich tendenziell für eine Auslegung nach nationalem Recht aus 15 . In diesen Fällen erscheint es allerdings fraglich, ob es sich überhaupt noch um eine Frage der Auslegung handelt 16 . Auch Art. 2 II IPRG erwähnt die völkerrechtliche Verpflichtung des Rechtsanwenders, bei der Anwendung von Staatsverträgen, deren internationalen Charakter zu berücksichtigen ( „ ... terrà conto ... " 1 7 ) und dabei insbesondere deren einheitliche Auslegung sicherzustellen 18. Der Bestimmung kommt jedoch ledig-
EuGH 22. 11. 1978, Rs. 33 / 78 - Somafer ./. Saar-Ferngas AG, Slg. 1978, S. 2183 (Leitsatz) = RIW 1979, S. 56 = auf Italienisch in RDIPP 1979, S. 142 = RDI 1981, S. 132. Zu Art. 8 EuGVO/Art.
7 EuGVÜ („ Versicherungssache")
vor Art. 8, Rn. 5 m.w.N. in Fn. 9.
Der Begriff des „ Verbrauchers"
siehe Kropholler,
EuZPR,
wird in Art. 13 I EuGVÜ (= Art. 15 I EuGVO)
legaldefiniert. Eine solche Definition fehlt zwar in Art. 5 I EVÜ, der Verbraucherbegriff wird jedoch auch hier autonom bestimmt; im Gegensatz dazu enthält die deutsche „Umsetzungsnorm" zu Art. 5 I EVÜ (= Art. 29 I EGBGB) dieselbe Legaldefinition wie Art. 13 I EuGVÜ. 15 Siehe oben (Fn. 7 und 8) zu den Begriffen des „ handelbaren Wertpapiers " und des „ Erfüllungsortes
Ähnliches gilt nach h. M. für die Frage, ob es sich bei einem Gegenstand um eine „ bewegliche / unbewegliche" Sache handelt (Artt. 6 Nr. 4, 9, 13 I Nr. 1 und 3, 16 Nr. 1 a) EuGVÜ (= Artt. 6 Nr. 4, 10, 15 I a), 22 Nr. 1 EuGVO), Art. 5 I EVÜ). Die Bestimmung soll dabei nach der lex rei sitae erfolgen (MüKo (Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 254 zum EVÜ [Art. 29 I EGBGB] und Kropholler, EuZPR, Art. 22, Rn. 11 zur EuGVO); der EuGH hat dazu nach keine Stellung bezogen. Auch i. R. d. nationalen deutschen IPR wird darüber diskutiert, ob der Begriff des „ unbeweglichen Vermögens " (Artt. 15 II Nr. 3, 25 II EGBGB) der lex fori (i. d. S. MüKo (Siehr), Art. 15, Rn. 31 m.w.N. in Fn. 43; ebenso Kropholler, IPR, § 45 IV. 4. c) bei der Rechtswahlmöglichkeit des Art. 15 II Nr. 3 EGBGB entgegen seinen allgemeinen Ausführungen unter § 16 II. 1. („Kleingedrucktes") und seiner Ansicht i. R. d. EuGVÜ) oder der jeweiligen lex rei sitae (i. d. S. Soergel (Schurig), Art. 15, Rn. 22 m.w.N. in Fn. 31; ders., ebenda, Art. 25, Rn. 80 mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen) zu entnehmen ist. Im Gegensatz dazu will der EuGH den Begriff des „dinglichen Rechts" (Artt. 6 Nr. 4, 16 Nr. 1 a) EuGVÜ (= Artt. 6 Nr. 4, 22 Nr. 1 EuGVO), s. a Art. 4 III EVÜ) autonom bestimmen (EuGH 10. 1. 1990, Rs. 115 / 88 - Reichert ./. Dresdner Bank, Slg. 1990,1 - S. 27 (Leitsatz) = RIW 1991, S. 331 = IPRax 1991, S. 45 = auf Italienisch in RDIPP 1990, S. 185 und EuGH 17. 5. 1994, Rs. 294 / 92 - Webb ./. Webb, Slg. 1994, I - S. 1717 = IPRax 1995, S. 314 mit Anm. Kaye, S. 286 = auf Italienisch in RDIPP 1994, S. 663); ebenso MüKo (Martiny), Art. 28, Rn. 56 a; Geimer / Schütze, EuZVR, Art. 16, Rn. 49 und v. Bar, IPR II, Rn. 518. Für die Anwendung der lex rei sitae sprechen sich hingegen Soergel (v. Hoffmann), Art. 28, Rn. 73; MüKo (Sonnenberger), a.a.O. und Schlosser, in IPRax 1991, S. 29 f. aus. 16 Siehe unter § 15 IV. 2. a) zum Begriff der „handelbaren Papiere" und allgemein im Folgenden unter 2. 17 Ebenso der Kommissionsbericht zum IPRG in RDIPP 1989, S. 949 zu Art. 2 („valorizzati") 18 Auch der Kommissionsbericht erwähnt die Rechtsprechung anderer Vertragsstaaten und des EuGH zum EuGVÜ (RDIPP 1989, 949 zu Art. 2, zweiter Absatz).
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
lieh eine erinnernde und „erzieherische" Funktion zu 19 . Über den Wortlaut des Art. 2 II IPRG hinaus sind Vorlageentscheidungen des EuGH im Ausgangsrechtsstreit nicht nur zu berücksichtigen, sondern für das vorlegende Gericht verbindlich20.
2. Auslegung und Subsumtion
a) Begriffbestimmung und Abgrenzung (Die kollisionsrechtliche „Qualifikation") Bereits das Beispiel des Begriffs der „Handelbarkeit" in Art. 1 II c) EVÜ hat gezeigt, dass im Einzelnen zwischen der Auslegung eines Terminus und der Subsumtion des konkreten Sachverhaltes unter die erzielte Definition zu unterscheiden ist21. In diesem Zusammenhang steht auch der Begriff der kollisionsrechtlichen „Qualifikation", dessen Verständnis im Einzelnen umstritten ist22. Mit den folgenden Ausfiihrungen soll gezeigt werden, dass die Anwendung der lex causae von geringfügigen Ausnahmen abgesehen23 nur bei dem Subsumtionschritt in Betracht kommt. Zu differenzieren ist zwischen der Auslegung eines in einer Norm des IPR oder IZPR verwendeten Rechtsbegriffes und der Subsumtion des Sachverhaltes unter das erzielte Auslegungsergebnis24. Innerhalb des Subsumtionsschrittes ist des Weiteren zu unterscheiden zwischen der rechtlich einordnenden Subsumtion und der reinen Sachverhaltssubsumtion wie im materiellen Recht.
19 Bariatti, Com., NLCC, S. 900, Nr. 4 zu Art. 2 („ricognitiva e pedagogica") mit Hinweis aui Mosconi, DIPP I, S. 15; ebenso Kindler, in RabelsZ 1997, S. 238, Nr. 3. 20 Siehe § 19 II. 3. zur Bindungswirkung der Vorabentscheidungen des EuGH. 21 Siehe oben unter § 15 IV. 2. a). 22 Zur kollisionsrechtlichen Qualifikation siehe die Dissertationen von Grundmann, Qualifikation gegen die Sachnorm, München 1985; Heyn, Die „Doppel-" und „Mehrfachqualifikation" im IPR, Frankfurt a. M. 1986 und Weber, Die Theorie der Qualifikation, Tübingen 1986. 23 I. E. zur Anknüpfung an den „Wohnsitz" siehe b) bb). 24 Zu beachten ist insofern auch der Wortlaut des Art. 18 EVÜ (= Art. 36 EGBGB), der von einer „einheitlichen Auslegung und Anwendung" der staatsvertraglichen Vorschriften spricht; mit „Anwendung" wird insofern auf den Subsumtionsschritt hingewiesen. Zur Unterscheidung siehe Neuhaus, Grundbegriffe, § 13 I (S. 114) und im Anschluss an diesen Kropholler, IPR, § 15 I. 3.; ebenso Heyn (Fn. 22), S. 1 7 - 2 9 und sehr anschaulich Dörner, in StAZ 1988', S. 346 - 348.
§ 18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R. d. IPRG
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Terminologisch ist umstritten, ob mit dem Begriff der „Qualifikation" (oder auch „Charakterisierung" bzw. „Klassifizierung" 25) der Auslegungs- und / oder der Subsumtionsschritt zu bezeichnen ist. Wenn man den Ursprung des kollisionsrechtlichen Terminus zugrunde legt, müsste man allein den Subsumtionsvorgang als „Qualifikation" umschreiben26. In diesem Fall kann man jedoch als Qualifikation nur den „einordnenden" Subsumtionsvorgang verstehen, bei dem eine aufgrund des Sachverhaltes formulierte Rechtsfrage „charakterisiert" und insofern einer bestimmten Norm zugewiesen wird („Qualifikation i. e. S."); die reine Tatsachensubsumtion ist dabei auszuklammern27. Dem Grunde nach könnte auch bei der Auslegung von einer „Qualifikation" der verwendeten Rechtsbegriffe gesprochen werden28. In jedem Fall stehen Auslegung und Subsumtion in einem engen Zusammenhang zueinander29. Im Ergebnis ist es unerheblich, welcher der beiden Prüfungsschritte als „Qualifikation" definiert wird oder ob der Terminus als Oberbegriff für den Gesamtprozess der Auslegung und Subsumtion verwendet wird 30 , entscheidend ist allein, dass zwischen den beiden Teilakten unterschieden wird.
25 Siehe v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 138, Fn. 602 mit Hinweis auf die englische Terminologie; s. a. Weber (Fn. 22), S. 201. 26 Neuhaus, Grundbegriffe, § 13 I (S. 114) und Kropholler, IPR, § 15 I. 3. beide in Anknüpfung an Bartin; ebenso Dörner, in StAZ 1988, S. 348; Meyer-Sparenberg, S. 129; MüKo (Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 445 - 450; v. Hoffmann, IPR, § 6, Rn. 1
und Raape, IPR, S. 107 f.
Siehe jedoch § 11 II. 1., in Fn. 13 zur Definition der Qualifikation in Art. 1 des „progetto Vitta". 27 Siehe Fn. 35-39 zu den Anknüpfungsgegenständen. 28 Für die Qualifikation als Auslegungsschritt siehe Fer id IPR, § 4, Rn. 6; Kegel / Schurig, IPR, § 7 I. und Soergel (Kegel), vor Art. 3, Rn. 111, 116. 29
Siehe zu Art. 18 EVÜ (Fn. 6) den Bericht von Giuliano / Lagarde, in BT-Drucks.
10 / 503, S. 70 zu Art. 18 EVÜ („Das Problem der Qualifikation, für welche das Übereinkommen ... keine besondere Regel vorsieht, ist im Sinne dieses Artikels [Art. 18 EVÜ] zu lösen"); s. a. allgemein Kropholler, IPR, § 15 I. 3. („Die Subsumtion unter einen Rechtssatz bedeutet im Zweifelsfall zugleich eine Auslegung dieses Rechtssatzes, ... ")
und dessen Hinweis auf Bartin in Fn. 5 ( "définition ou qualification, c ' est la même chose"). Auch Kropholler, der grundsätzlich die Unterscheidung der beiden Schritte betont (Fn. 24), verwendet in seiner Kommentierung zur EuGVO die Begriffe „Auslegung" und „Qualifikation" synonym (siehe Kropholler, EuZPR, Art. 1, Rn. 3 - 5 und die Verweisung im Sachregister unter „Qualifikation" auf die allgemeinen Ausführungen zur Auslegung des Abkommens - siehe Kropholler, a.a.O., Einl., Rn. 41). In weiten Teilen der Literatur wird nicht zwischen den beiden Instituten differenziert (siehe ζ. B. Staudinger (Magnus), Vorbem. zu Art. 27-37, Rn. 40 f.). 30 Für die Verwendung als Oberbegriff Lüderitz, IPR, Rn. 125; auch v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7 verstehen in Rn. 138 die Qualifikation als Auslegungs Vorgang, während sie in Rn. 179 beim „Gegenstand der Qualifikation" den Subsumtionsschritt erwähnen; im letzteren Sinne auch Pal. (Heldrich), vor Art. 3 EGBGB innerhalb von Rn. 27. Auch der BGH scheint den Terminus „Qualifikation" als Obergriff zu verwenden (BGH 21. 10. 1997, in NJW 1993, S. 385 (386) und BGH 21. 9. 1995, in
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Diese Differenzierung zwischen Auslegung und Subsumtion ist in allen Bereichen eines kollisonsrechtlichen Tatbestandes vorzunehmen, in dem Rechtsbegriffe verwendet werden (Anknüpftmgsgegenstand und Anknüpfungspunkt). Dasselbe gilt auch für Zuständigkeitsnormen des internationalen Verfahrensrechts. Im Anschluss an die Auslegung der Anknüpfungsgegenstände wird die sich aus dem Sachverhalt und der (vermeintlichen) lex causae ergebende Rechtsfrage der einschlägigen Kollisions- oder Zuständigkeitsnorm zugeordnet (sog. „einordnende" Subsumtion). Insofern kommt an dieser Stelle die lex causae erstmals zum Tragen31. Es kommt jedoch nicht zur Anwendung derselben, sondern lediglich durch die lex causae zur Ermittlung der Rechtsfrage, die zu subsumieren ist. Die Notwendigkeit, Rechtsfragen zu subsumieren ergibt sich daraus, dass im Anwendungsbereich von Vorschriften des IPR und IZPR Sammelbegriffe für eine bestimmte Rechtsmaterie verwendet werden („Systembegriffe"), so dass - im Gegensatz zum materiellen Recht, bei dem jedem Rechtsbegriff ein bestimmter Gehalt zugewiesen wird - keine reine Tatsachensubsumtion erfolgen kann. Nachdem in diesem Stadium der Prüfung die lex causae noch gar nicht feststehen kann, ist dabei zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine bestimmte Rechtsordnung als lex causae zur Anwendung kommt (Kollisionsnormen) bzw. eine Zuständigkeitsnorm des IZPR greift. Dabei ist die Funktion eines bestimmten Rechtsinstitutes im ausländischen oder eigenen Recht zu ermitteln und gegenüberzustellen („funktionale Qualifikation") 32. An dieser Stelle finden auch die oben
NJW 1996, S. 54 f.). Zu den Schwierigkeiten bei der Differenzierung s. a. MeyerSparenberg, S. 119 und 129.
Auch in der schweizerischen Literatur sprechen Keller / Siehr, § 34 I. 2. bei der Qualifikation von einem „speziellen Problem der Subsumtion gekoppelt mit den dazugehörenden Auslegungsfragen"; in der Sache wird dabei der gesamte Auslegungsund Subsumtionsvorgang als Qualifikation bezeichnet (a.a.O., § 341. 2., III. 1. c)). Im italienischen IPR werden Auslegung und Subsumtion zusammenfassend bei der Frage der „Qualifikation" behandelt (Ballarino, DIP 2, S. 224 - 231); dabei wird das Qualifikationsproblem in erster Linie als Auslegungsproblem gesehen (siehe Vitta, DIP I, S. 307 und Mosconi, DIPP I, S. 99). 31 Siehe dazu allgemein Kropholler, IPR, § 15 II. 3. Ende („Die Qualifikation erfordert dann ein Hin- und Herwandern des Blickes vom Sachverhalt zur Kollisionsnorm und zu den in Betracht kommenden Sachnormen"). Ähnlich Dörner, in StAZ 1988, S. 349 („ ... ein Lebensvorgang gewissermaßen normbezogen zugespitzt, ... "), der je-
doch an diesem Punkt der Prüfung die (hypothetische) lex causae noch unberücksichtigt lässt. Das Beispiel der „handelbaren Wertpapiere" (Fn. JJ) hat jedoch gezeigt, dass sich eine Rechtsfrage oft erst durch die Untersuchung des materiellen Rechts ergibt. 32 Siehe dazu Neuhaus, Grundbegriffe, S. 129 - 131; Kropholler, IPR, § 17; MüKo (Sonnenberger), Einl. DPR, Rn. 465 m.w.N. in Fn. 1142 und Pal. (Heldrich), Einl. vor Art. 3 EGBGB, Rn. 27; zur Rechtsprechung s. a. BGHZ 47, S. 324 = NJW 1967, S. 2109 zur Trennung von Tisch und Bett nach italienischem Recht. Während die h. M.
§ 18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R. d. IPRG
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geschilderten Fälle der Bestimmung der „Handelbarkeit" eines Wertpapiers mittels des Wertpapierrechtsstatutes 33 sowie der Charakterisierung des gesetzlichen Verbotes von gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen ihre Einordnung 34. Im Gegensatz dazu werden bei den Anknüpfungspunkten - wie bei Vorschriften des materiellen Rechts - lediglich Fakten subsumiert bzw. Rechtsverhältnisse festgestellt (sog. Tatsachensubsumtion)35. Dabei „entfallt" oftmals der vorangehende Auslegungsschritt, weil sich die verwendeten Begriffe von selbst erklären 36. Sofern Anknüpfungspunkte lediglich Fakten angeben, entstehen keine Rechtsfragen. Die Bestimmung eines Rechtsverhältnisses obliegt hingegen der Rechtsordnung, von der es beherrscht wird 3 7 . Zur Abgrenzung von der „einordnenden" Subsumtion kann das Vorliegen eines derartigen Rechtsverhältnisses als Faktum behandelt werden 38 , so dass bei Anknüpfungspunkten allgemein von einer Tatsachensubsumtion gesprochen werden kann 39 .
die Funktion eines Rechtsinstitutes oder einer Norm aus dem Blickwinkel des jeweiligen materiellen Rechts untersucht, setzen Kegel / Schurig, IPR, § 7 III. 3. mit ihrem teleologischen Verständnis bei der jeweiligen Kollisionsnorm an, indem sie die Ziele und Interessen einer Kollisionsnorm zu bestimmen versuchen. Im Ergebnis dürften sich daraus jedoch keine Abweichungen von der h. M. ergeben (i. d. S. auch Dörner, in StAZ 1988, S. 351 f.). 33 Siehe unter § 15 IV. 2. a). 34 Siehe § 17 I. 2. b) aa), Fn. 49. 35 Der „gewöhnliche Aufenthalt" oder der „Tatort" als Anknüpfung sind reine Tatsachen; die Begriffe sind jedoch auslegungsbedürftig (siehe nächste Fußnote). Die Anknüpfung an die „Staatsangehörigkeit" oder den „Erfüllungsort" betreffen Rechtsverhältnisse; bei ihnen ist lediglich zu prüfen nach welchem Recht sie zu bestimmen sind. 36 Die in der vorigen Fußnote angesprochenen Rechtsverhältnisse (Staatsangehörigkeit und Erfüllungsort) sind dem Grunde nach nicht auslegungsbedürftig; s. a. im Folgenden unter b), Fn. 58 zum Erfüllungsort. Dagegen ist beim Faktum des Aufenthaltes zu bestimmen, ab wann dieser als „gewöhnlich" bezeichnet werden kann (siehe dazu § 12 IX. 1., in Fn. 139; s. a allgemein Meyer-Sparenberg, S. 192 f. und im Folgenden unter b), Fn. 51 zum „gewöhnlichen Arbeitsort" nach Art. 5 Nr. 1 2. Hs. EuGVÜ); beim „Verletzungsort" (Tatort) ist auszulegen, ob es sich dabei um den Handlungs- oder den Erfolgsort handelt (siehe dazu § 17 III. 2. a) [Haager Produkthaftungsabkommen], 3. a) [Art. 25 II disp. prel.] und 4. a) [Art. 62 IPRG]). 37 Siehe 1., Fn. 10 (nationales Staatbürgerschaftsrecht bei der „Staatsangehörigkeit") und Fn. 8 (lex causae beim „Erfüllungsort" - siehe ausführlich unter b) aa)). Ähnliches gilt für den „Wohnsitz", der vom entsprechenden Ortsrecht festgelegt wird (Fn. 10); der Begriff des Wohnsitzes ist jedoch zusätzlich auslegungsbedürftig (siehe b) bb)). 38 Siehe Dörner, in StAZ 1988, S. 349 r. Sp. zur Staatsangehörigkeit. 39 Insofern weisen v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 138richtigerweise daraufhin, dass Qualifikationsfragen nur bei den Anknüpfungsgegenständen und auf der Rechtsfolgenseite (Verweisungsziel) auftreten. Dies setzt voraus, dass man unter „Qualifikation" lediglich die „einordnende" Subsumtion versteht (siehe bei Fn. 25 - 30).
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Die angesprochenen Probleme setzen sich bei Kollisionsnormen auf der Rechtsfolgenseite fort.
Im Falle einer Gesamtnormverweisung wiederholt sich der angesprochene Auslegungs- und Subsumtionsprozess im Rahmen der Kollisionsnormen des zur Anwendung berufenen IPR (sog. „Qualifikation zweiten Grades"40). Dadurch kann es zu einem Renvoi kraft abweichender Qualifikation kommen41. Nachdem Staatsverträge durchgehend Sachnormverweisungen enthalten42, kann bei ihnen ein derartiger Fall nicht auftreten. Bei Sachnormverweisungen erfolgt hingegen - nach allgemeiner Meinung in der deutschen Literatur - keine erneute Qualifikation des Sachverhaltes. Somit beantworten die materiellen oder prozessualen Normen des zur Anwendung berufenen Rechts die Rechtsfragen, die als zur Kollisionsnorm der lex fori gehörig eingestuft wurden. Dabei kommen alle Vorschriften zur Anwendung, die nach ihrer Funktion geeignet sind, die aufgeworfene Frage zu beantworten, unabhängig davon, in welchem Bereich die Systematik des anzuwendenden Rechts diese Vorschriften einordnet43. Zusammenfassend lässt sich daher Folgendes festhalten: Rechtsbegriffe einer Kollisionsnorm bzw. einer Zuständigkeitsvorschrift des internationalen Verfahrensrechts sind nach dem Rechtsverständnis des „Gesetzgebers" auszulegen, der einen bestimmten Terminus benutzt44, d. h. bei nationalen Vorschriften nach der lex fori und bei Staatsverträgen nach den all40 Kropholler, IPR, § 15 I. 4. weist jedoch daraufhin, dass der Begriff uneinheitlich verwendet wird. 41 Siehe dazu für alle Kropholler, IPR, § 24 II. 1. a) und MüKo (Sonnenberger), Art. 4, Rn. 36. 42 Siehe § 11 II. 2. e) aa), in Fn. 118. 43 Siehe Fn. 32 zur funktionalen Qualifikation. Als Standardbeispiel dient der Fall der prozessrechtlichen Einordnung der Verjährung durch das angloamerikanische Recht (RGZ 145, S. 121 (126 - 130) und BGH 9. 6. 1960, in NJW 1960, S. 1720 (1721)). Infolge der funktionalen Betrachtungsweise führt das Verständnis des Verjährungsproblems als materiellrechtliche Frage aus der Sicht der deutschen lex fori nicht dazu, dass die prozessualen Vorschriften des anglo-amerikanischen Rechts, die die Frage der Veijährung beantworten, nicht zur Anwendung kommen. Die lex fori legt vielmehr die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung für die - aus deutscher Sicht - materielle Lösung des Einzelfalls einschließlich der Veijährungsfrage fest, unabhängig davon in welchem Bereich dieser Rechtsordnung die dadurch entstehenden Fragen ihre Anwort finden. Anders noch das Urteil RGZ 7, S. 21, das insofern heftiger Kritik ausgesetzt war (siehe Quellen in RGZ 145, S. 128 und Darstellung durch v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7, Rn. 148, im „Kleingedruckten"). 44 Siehe dazu in der deutschen Rechtsprechung und Literatur BGHZ 29, S. 137(139) und BGHZ 44, S. 121 (124) sowie Neuhaus, Grundbegriffe, S. 123 und Kropholler, IPR, § 16 I.; zur italienischen Literatur siehe Mosconi , DIPP I, S. 100 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Corte di Cassazione zur lex-fori-Qualifikation des nationalen IPR.
§18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R d. IPRG
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gemeinen Rechtsgrundsätzen der Vertragsstaaten bzw. - sofern bestimmbar nach den im Einzelfall dem Vertrag zugrunde gelegten Grundsätzen. Dies gilt sowohl bei den Rechtsbegriffen, die den Anwendungsbereich einer Norm festlegen (Anknüpfungsgegenstand), als auch für Anknüpfungspunkte, sofern diese Rechtsbegriffe enthalten, die einer Auslegung bedürfen. Die Anwendung der lex causae ist bei diesem Prüfungsschritt ausgeschlossen. Im Anschluss an eine derartige „Definition" ist die Anwendbarkeit der Vorschrift im konkreten Fall durch einen Vergleich des Sachverhaltes und der sich aus diesem ergebenden Rechtsfrage mit dem durch die Auslegung ermittelten Anwendungsbereich der Norm zu bestimmen („einordnende Subsumtion"). Nach wohl h. M. liegt hierin der eigentliche QualifikationsVorgang 45. Auch diesem Prüfimgsschritt liegt das Verständnis des „Verfassers" der Vorschrift zugrunde. An dieser Stelle kann jedoch erstmalig die (hypothetische) lex causae mit ihren Rechtsinstituten ins Spiel kommen, sofern die zu subsumierende Rechtsfrage nur unter Anwendung von materiellem Recht gestellt werden kann. Insbesondere bei der lex fori unbekannten Rechtsinstituten ist die Regelung der lex causae zu untersuchen und zu bewerten („funktionale Qualifikation"), um sie unter die Sammelbegriffe der eigenen Kollisionsnormen zu subsumieren. Davon zu unterscheiden ist die reine Tatsachensubsumtion unter die Anknüpfungspunkte einer Kollisionsnorm oder einer Zuständigkeitsnorm des IZPR. Dazu zählt auch die Feststellung eines bestimmten Rechtsverhältnisses (Staatsangehörigkeit, Erfüllungsort), das als „Tatsache" behandelt werden kann. Dies kann nur durch die Anwendung des entsprechenden Sachrechts erfolgen, so dass die lex causae des Rechtsverhältnisses zum Tragen kommt.
b) Insbesondere: Die Begriffe des „Erfüllungsortes" und des „Wohnsitzes"
aa) Der „Erfüllungsort"
gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVO
Auf der Grundlage dieser - zugegebenermaßen - sehr theoretischen Ausführungen und aus Anlass der Neuregelung in der EuGVO soll hier noch einmal der Begriff des „Erfüllungsortes" in Art. 5 Nr. 1 EuGVO / EuGVÜ untersucht werden. Wie bereits erwähnt46, geht der EuGH in ständiger Rechtsprechung zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ davon aus, dass die Bestimmung des „Erfüllungsortes" nach der
45 46
Siehe Fn. 26. Siehe I., Fn. 8.
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
lex causae zu erfolgen hat. Diese richtige Einschätzung47 wurde ζ. T. mit Blick auf den 2. Hs. der Vorschrift zum „Erfüllungsort" im Arbeitsrecht in Frage gestellt48. Art. 5 Nr. 1 2. Hs. EuGVÜ lieferte jedoch keine Konkretisierung des 1. Hs., also den „Erfüllungsort" für Arbeitsverträge, sondern hat lediglich abweichend von der Anknüpfung an den Erfüllungsort den gewöhnlichen Arbeitsort als Anknüpfungspunkt für die gerichtliche Zuständigkeit in Arbeitssachen festgelegt. Im Gegensatz zu 1 Hs. wurde insofern ein einheitlicher Gerichtsstand fiir alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis am Ort der vertragscharakteristischen Leistung begründet49. Wie bei den Anknüpfungen an den „gewöhnlichen Aufenthalt" 50, so ist auch hier nach der Rechtsprechung des EuGH auf den Mittelpunkt der Berufstätigkeit abzustellen51. Diese Feststellung ist für die Auslegung des Anknüpfungspunktes dem Grunde nach ausreichend52, so dass die Bestimmung dieses Mittelpunktes im Einzelfall dem Ausgangsgericht überlassen werden sollte53. Der Gerichtshof ist dem zwar in seinem theoretischen Ansatz gefolgt, hat es sich jedoch im Anschluss an die Sachverhaltsangaben des vorlegenden Gerichtes54 nicht „verkneifen" können, den Gerichtsstand im konkreten Fall zu bestimmen55. Die Trennung im Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ zwischen Hs. 1 („Erfüllungsort") und Hs. 2 („gewöhnlicher Arbeitsort") findet sich in Art. 5 Nr. 1 EuGVO nicht mehr, da die Gerichtsstände für Arbeitsverträge nunmehr in einem neuen Abschnitt der EuGVO geregelt sind (Artt. 1 8 - 2 1 EuGVO). Im neuen Art. 5 Nr. 1 a) EuGVO wird die bisherige Regelung des Art. 5 Nr. 1 1. Hs. EuGVÜ übernommen, in Buchstabe b) wird jedoch - vorbehaltlich einer anderweitigen Vereinbarung - für Kaufverträge der Lieferort und für Dienstleistungen der 47
Siehe a), Fn. 35-37. Siehe Schach, Entscheidungszuständigkeiten in einem weltweiten Gerichtsstandsund Vollstreckungsübereinkommen, in ZEuP 1998, S. 931 (937 f.), der sich für einen streitgegenstandsbezogenen „prozessualen Erfüllungsort" ausspricht und auf den 2. Hs. des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ verweist, der nach seiner Einschätzung den „Erfüllungsort" für Arbeitsverhältnisse selbst definiert. 49 Siehe dazu Kropholler, EuZPR, 6. Auflage, Art. 5, Rn. 26. 50 Siehe Fn. 35, 36. 51 EuGH 9. 1. 1997, Rs. 383 / 95 - Rutten ./. Cross Medical (Fn. 9), I - S. 79 (Leitsatz) und I - S. 77 (Erwägungsgrund Nr. 23). Zu der Entscheidung s. a. IPRax 1999, S. 365 - 367 mit kritischer Kommentierung von Mankowski, S. 332 - 338. Zum neuesten Urteil EuGH 27. 2. 2002. Rs. 37 / 00 - Weber siehe Jayme / Kohler, in IPRax 2002, S. 466, bei Fn. 69. 52 Siehe § 12 IX. 1., in Fn. 139 und a), Fn. 36 zur Bestimmung des „gewöhnlichen Aufenthaltes" nach dem konkreten Einzelfall. 53 In diesem Sinne auch der Schlussantrag des Generalanwaltes Jacobs, Slg. 1997,1 - S. 69, Nr. 40 zu EuGH (Fn. 51). 54 Zur Verpflichtung der Ausgangsgerichte, den Sachverhalt des Rechtsstreites zu beschreiben siehe § 19 II. 1. b), Fn. 37. 55 EuGH (Fn. 51), Nr. 25 - 27. 48
§ 18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R. d. IPRG
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Leistungsort als Erfüllungsort bestimmt. Erfolgt die jeweilige Leistung nicht, wird auf den Ort abgestellt, an dem die Leistung hätte erbracht werden müssen. Dieser (hypothetische) Erfüllungsort kann - wie im Rahmen des EuGVÜ - nur durch die lex causae, also durch das Vertragsstatut, bestimmt werden. Für sonstige Verträge gilt die allgemeine Vorschrift des Buchstaben a) (siehe Buchstabe c)). Ähnlich der Regelung in Art. 5 Nr. 2. Hs. EuGVÜ für Arbeitsverträge sollen die im Buchstaben b) festgelegten Erfüllungsorte einen einheitlichen Gerichtsstand für alle Ansprüche aus den genannten Vertragstypen begründen56. Im Buchstaben b) des Art. 5 Nr. 1 EuGVO wird der lex causae ein Teil der „Tatsachensubsumtion"57, nämlich die gesetzliche Bestimmung des Erfüllungsortes, entzogen und durch eine autonome Regelung ersetzt. Es handelt sich hierbei nicht um einen Fall der autonomen Auslegung, da der tatsächliche Erfüllungsort als Faktum nicht auslegungsbedürftig ist58. Nur wenn es nicht zur Leistung kommt, ist der (vereinbarte) Erfüllungsort nach wie vor hypothetisch nach der lex causae zu bestimmen. Die Rechtsprechung des EuGH zum Begriff des „gewöhnlichen Arbeitsortes" 59 hat gezeigt, dass der Gerichtshof die Grenzen zwischen Auslegung und Subsumtion nicht immer klar zieht, auch wenn er im theoretischen Ansatz die Verteilung der Kompetenz nationaler Gerichte (Rechtsanwendung) und seiner eigenen Zuständigkeit (Auslegung) hervorhebt 60. Obwohl der Auslegungs- und Subsumtionsschritt im Einzelfall nicht immer klar zu trennen ist 61 , wird der Umstand, dass die Ausgangsgerichte zur Prüfung der Erforderlichkeit ihrer Vorlage den Sachverhalt darzustellen haben62, vom EuGH wiederholt dazu genutzt, auch den Subsumtionsvorgang vorzunehmen63.
56
Text.
57
I. d. S. Jayme / Köhler, in IPRax 1999, S. 405 mit Hinweis auf den französischen
Siehe dazu oben unter a), bei Fn. 39. Siehe a), Fn. 36; eine Auslegung würde zu dem Ergebnis kommen, dass der Erfüllungsort der Ort ist, an dem eine Leistung zu erfüllen ist. 59 Siehe Fn. 55. 60 Siehe dazu die Grundsatzentscheidung EuGH 27. 3. 1963, Rs. 28 - 30 / 62. Da Costa u. a../. Niederländische Finanzverwaltung, Slg. 1963, S. 63 (81). Siehe dazu auch unter § 19 II. 1. b) und zu weiteren Urteilen Dauses, S. 81, Fn. 293. 61 Siehe allgemein unter a), Fn. 29 und zur Rechtsprechung des EuGH Dauses, S. 81 f. und Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, S. 271 -274. 62 Siehe § 19 II. l.b% Fn. 37. 63 Als Beispiel ist auf die in arbeitsrechtlicher Hinsicht berühmt gewordene „Christel-Schmidf'-Entscheidung des EuGH zu verweisen (EuGH 14. 4. 1994, Rs. 392 / 92 - Christel Schmidt ./. Sparkasse Bordesholm, Slg. 1994, I - S. 1311), in der der Gerichtshof die Anwendung der Richtlinie 11 ! 187 / EWG für den konkreten Sach58
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Kap. VI: Die Auslegung von Staats Verträgen und die EuGH-Zuständigkeit
bb) Der Begriff des „ Wohnsitzes "
Während bei der Feststellung des „Erfüllungsortes" die aufgestellte These, dass die lex causae nur beim Subsumtionsvorgang in Betracht kommt64, bestätigt wird, bildet der Begriff des „Wohnsitzes" im Rahmen der EuGVO eine geringfügige Abweichung von diesem Grundsatz. Wie bereits ausgeführt 65, wird die Bestimmung des „Wohnsitzes" in der EuGVO (Art. 59 EuGVO = Art. 52 EuGVÜ) und auch in anderen Staatsverträgen den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen überlassen. Demzufolge kommt - ähnlich wie bei der Bestimmung der Staatsangehörigkeit66 - nationales Recht als „Ortsrecht" zur Anwendung. Im Gegensatz zur Staatsangehörigkeitsanknüpfung bleibt es jedoch beim „Wohnsitz" nicht bei einer Tatsachensubsumtion67 mittels innerstaatlichen Rechts; vielmehr hat das anzuwendende Recht mangels einer einheitlichen Begriffsbestimmung in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten68 auch die Auslegung des Terminus zu erbringen. Dies ergibt sich zumindest aus dem Wortlaut des Art. 59 EuGVO und ist in der Literatur vielfach kritisiert worden69. Die Mitgliedsstaaten haben zwar versucht, diesen misslichen Umstand durch Zugrundelegung des kontinentaleuropäischen Wohnsitzbegriffes abzuschwächen, eine vollständige Harmonisierung konnte jedoch auch dadurch nicht hergestellt werden70. Im begrenzten Umfang verbleibt somit eine „Auslegungskompetenz" bei den nationalen Rechtsordnungen. In der EheVO wird der Begriff des „domicile" nunmehr im Sinne des britischen und irischen Rechts verwendet, aber auch nur als Anknüpfungspunkt zu diesen Rechtsordnungen (Art. 2 II EheVO)71. Die Einheitlichkeit des Terminus dürfte somit eher gewährleistet sein als bei der EuGVO, die eine Vielzahl von kontinentaleuropäischen Verständnissen des Begriffs in sich vereinigt. verhalt bejaht hat (a.a.O., I - S. 1327, Nr. 20). Insofern kritisch Joost, Betriebsübergang und Funktionsausgliederung, in FS Wlotzke, 1996, S. 683 (697) und M. Schmidt, Privatrechtsangl eichende EG-Richtlinien und nationale Auslegungsmethoden, in RabelsZ 1995, S. 569 (596 f.). Demgegenüber begrüßt Franzen (Fn. 61), S. 274 dem Grunde nach die praktizierte „zweckdienliche Auslegung" durch den EuGH, die den nationalen Gerichten ausreichende Vorgaben zur Entscheidung des Einzelfalles gibt. 64 Siehe oben unter a). 65 Siehe Exkurs unter § 16 II. 4. a) bb) und hier unter 1., in Fn. 10. 66 Siehe 1., in Fn. 10 und 2. a), in Fn. 35-37. 67 Zum Begriff siehe a), bei Fn. 39. 68 Siehe dazu den Bericht von Jenard, in BT-Drucks. VI / 1973, S. 63 f. und den Exkurs in § 16 II. 4. a) bb). Zu verweisen ist auch auf die Ausführungen der EuGH in der Entscheidung Tessili ./. Dunlop zum „Erfüllungsort" (siehe § 15 IV. 2. a), in Fn. 214). 69 70 71
Kropholler, EuZPR, Art. 59, Rn. 3 m.w.N. in Fn. 3 und Schach, IZVR, Rn. 245. Siehe Exkurs in § 16 II. 4. a) bb), bei Fn. 89 - 94. Siehe Exkurs in § 16 II. 4. a) bb), Fn. 99.
§ 18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R d. IPRG
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3. Die Auslegung der Staatsverträge L R. d besonderen Hinweisnormen des IPRG
Bei der Auslegung der Staatsverträge, auf die die Hinweisnormen des IPRG verweisen, ist zu differenzieren zwischen dem originären Anwendungsbereich der Konventionen (Art. 2 I IPRG) und deren erweiterter Anwendung kraft der IPRG-Vorschriften. Der bereits erwähnte Art. 2 II IPRG72 findet nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nur in ersterem Fall Anwendung. Im Übrigen bilden die Hinweisnormen autonome nationale Regelungen, deren Auslegung vom Willen des nationalen Gesetzgebers abhängt73 (staatliche Souveränität74). Auch die völkerrechtliche Verpflichtung zur einheitlichen Auslegung ist nicht zwingend auf nationale Normen internationalen Ursprungs zu übertragen. Der ausdrücklichen Erwähnung der einheitlichen Auslegung in Art. 2 II IPRG und der Intention des italienischen Gesetzgebers im Zusammenhang mit den besonderen Hinweisnormen des IPRG kann jedoch entnommen werden, dass sich die italienischen Gerichte bei der Anwendung der Abkommen im Rahmen ihres durch die Artt. 3 II 1, 42, 45, 57, 59 IPRG erweiterten Anwendungsbereiches auch an der einheitlichen Auslegung der Verträge zu orientieren haben. Da durch diese Hinweisnormen ein Gleichlauf von nationalem und internationalem IPR erreicht werden soll75, ist bei ihrer Anwendung das Auslegungsmaterial der Staatsverträge zugrunde zu legen. Darüber besteht auch in der italienischen Literatur Einigkeit76. Es gilt dasselbe wie im deutschen IPR bei der Auslegung der durch die Artt. 18, 26, 27 - 37 EGBGB inkorporierten Staatsverträge77. Ob dies durch eine analoge Anwendung des ohnehin nur deklaratorischen Art. 2 II IPRG erreicht wird oder dem staatsvertragfreundlichen Gesamtbild des 72
Siehe 1., bei Fn. 17. Siehe auch MüKo (Sonnenberger), Einl., Rn. 282 Ende und i. E. dazu unter § 19 III. (Deutschland) bzw. § 19 IV. (Italien). 74 Zum Dualismus zwischen Völkerrecht und nationalem Recht siehe § 8 I. 75 Siehe § 11 II. 2. a) zur „in ogni caso"-Formel der Kollisionsnormen. 76 Luzzatto, Com., RDIPP, S. 933 f. zu Art. 3 (zum EuGVÜ); Treves , Com., RDIP, S. 1182 zu Art. 57 (zum EVÜ); Pocar, IPRax 1997, S. 146 zu EuGVÜ; ders. in SIDI, 239 f. (einheitliche Auslegung kraft gesetzgeberischen Willens, nicht gemäß Art. 2 II IPRG); Starace , Com., Corr. giur., S. 1236 (zum EuGVÜ); Boschiero, in ZfRV 1996, S. 144; Davi , in Studi Vitta, S. 77 f.; CT {Costantino), Art. 2, II. 3. und Radicati di Brozolo, in Convegno di Crotone, S. 139 f. (zu Art. 59 IPRG); ebenso in der deutschen Literatur Kindler, in RabelsZ 1997, 239 (Nr. 3). Im Weiteren siehe in § 19 IV. 2., Fn. 259 zur Übernahme der EuGH-Rechtsprechung. 77 Für alle Pal. (Heldrich), vor Art. 3 EGBGB, Rn. 7, 8 und MüKo (,Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 254; zu Art. 36 EGBGB (= Art. 18 EVÜ) siehe unter § 19 III. 3. c). 73
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
IPRG zu entnehmen ist, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben. In jedem Fall ergibt sich aus dem IPRG - also aus dem nationalen Recht - eine Verpflichtung des Rechtsanwenders, die einheitliche Auslegung der Staatsverträge auch dann sicherzustellen, soweit diese über ihren originären Anwendungsbereich hinaus in Italien zur Anwendung kommen. Auf die Frage, ob die italienischen Gerichte i. R. d. Art. 3 II 1 IPRG (EuGVO) und für die Zukunft i. R. d. Art. 57 IPRG (EVÜ) an die EuGH-Rechtsprechung gebunden und insofern zur Vorlage an den EuGH berechtigt sind, wird später noch detailliert eingegangen78.
II. Die Auslegung von an staatsvertragliche Regelungen angelehnten Bestimmungen des IPRG Anders zu beurteilen sind die Fälle, in denen sich der italienische Gesetzgeber staatsvertraglicher Bestimmungen lediglich als Modell für eigene nationale Regelungen bedient hat79. Der Gesetzgeber begründet dadurch selbständiges nationales Recht, dessen Bezug zum internationalen Recht nicht mit dem der besonderen Hinweisnormen vergleichbar ist. Das staatsvertragliche Recht soll dadurch nicht zwingend mitsamt seiner Auslegung in das nationale Recht übernommen werden, sondern dient dem Grunde nach lediglich als „Inspiration". Es gilt dasselbe, wie wenn ein Gesetzgeber Regelungen anderer Staaten als Vorbild nimmt. Die entsprechenden Bestimmungen des IPRG sind somit grundsätzlich nach nationalem italienischen Recht auszulegen. Im Rahmen des Verfahrensrechts 80 kommt insbesondere den EuGH-Entscheidungen zum EuGVÜ / EuGVO keine Bindungswirkung zu 81 . Auch wenn die staatsvertragliche Vorlage den Rechtsanwender nicht zur autonomen Interpretation der Vorschriften i. S. d. Abkommen zwingt, so kann dieser sich aber bei der Klärung von mit den Verträgen identischen Rechtsfragen an den internationalen Auslegungsmaterialien orientieren und diese eventuell übernehmen. Es ist im Einzelfall zu überprüfen, ob sich das von internationaler Seite vorgenommene Verständnis durch die Integration der staatsvertraglichen Norm in ein zwischenstaatliches Rechtssystems bedingt oder auch 78
Siehe allgemein unter § 19 und speziell unter § 19 IV. zum italienischen Recht. Siehe dazu in Kapitel V. 80 Siehe unter § 16. 81 Allgemein zur Bindungswirkung siehe § 19 II. 3.; zur EuGH-Kompetenz i. R. d. IPRG siehe § 19 IV., bei Fn. 230. Bei den Artt. 4, 7 IPRG ist zudem dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich der italienische Gesetzgeber für Gerichtsstands Vereinbarungen und die Frage der Rechtshängigkeit im Gegensatz zum Zuständigskeitsrecht (Art. 3 II 1 IPRG) gerade nicht für einen Hinweis auf die Regelungen des EuGVÜ entschieden hat. 79
§18 Die Auslegung der Staatsverträge i. R. d. IPRG
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für die Parallelvorschrift im nationalen IPR Anwendung finden kann. Die Frage kann insofern nicht einheitlich beantwortet werden; vielmehr ist zwischen den Grundsätzen des jeweiligen Staatsvertrages und des italienischen Rechtssystems abzuwägen und insbesondere die Intention des Gesetzgebers in Betracht zu ziehen. Exemplarisch soll in diesem Zusammenhang auf die obigen Ausführungen zur Frage des Streitgegenstandes im Rahmen des Art. 7 IPRG verwiesen werden82.
82
Siehe § 16 II. 7. b) dd).
§ 19 Die Auslegungskompetenz des E u G H i. R . d. E u G V O und des E V Ü
I. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und Problemstellungen bei der Auslegung der EuGVO und des E V Ü
1. Die Auslegungsprotokolle
und Art. 68 EGV
Die Mitgliedstaaten der EG hatten dem EuGH durch sog. Protokolle die Kompetenz zur Auslegung des EuGVÜ und des EVÜ zugewiesen1. Im Gegensatz zum EuGVÜ-Auslegungsprotokoll, das am 1. 9. 1975 in Kraft getreten ist, entfalten die Auslegungsprotokolle zum EVÜ mangels Ratifikation des zweiten Protokolls durch Belgien bisher noch keine Wirkung 2 .
1
Protokoll zum EuGVÜ: „Luxemburger Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof vom 3. 6. 1971 mit Bericht von Jenard (ABl. EG 5. 3. 1979, C 59, S. 66 70 = BT-Drucks. VI / 3294, S. 18 - 20); in Kraft seit dem 1. 9. 1975 (Bek. vom 21. 7. 1975; BGBl. 1975 II, S. 1138; zum Inkrafttreten siehe Art. 8 des Protokolls). Zur Fassung des Protokolls nach dem dritten Beitrittsübereinkommen siehe ABl. EG 3. 10. 1989, L 285, S. 7 bzw. BGBl. 1994 II, S. 531; s. a Jayme / Hausmann, 9. Auflage, Nr. 73. Durch das vierte Beitrittsübereinkommen (siehe § 16 II. 3., Fn. I) ist das Protokoll sachlich nicht geändert worden. Zum Auslegungsprotokoll des parallelen Luganoabkommens siehe § 181. 1., in Fn. 6 Ende. Protokolle zum EVÜ: „Erstes Brüsseler Protokoll betreffend die Auslegung des am 19. 6. 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuld Verhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften" (ABl. EG 20. 2. 1989, L 48, S. 1 bzw. BGBl. 1995 II, S. 916; s. a Jayme / Hausmann, Nr. 71) und „Zweites Brüsseler Protokoll zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung des am 19. 6. 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuld Verhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften" (ABl. EG 20. 2. 1989, L 48, S. 17 bzw. BGBl. 1995 II, S. 923, s. a Jayme / Hausmann, Nr. 72) jeweils vom 19. 12. 1988 mit Bericht von Tizzano (ABl. EG 3. 9. 1990, C 219). Zum Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens zum EVÜ und den Auslegungsprotokollen siehe § 14 I., Fn. 4. 2 Die Protokolle zum EVÜ wurden zuletzt von Deutschland (deutsches Zustimmungsgesetz vom 16. 11. 1995 [siehe BGBl. 1995 II, S. 914]; s. a BT-Drucks. 13 / 669 [Regierungsentwurf mit Begründung] und 13/1761 [Rechtsausschuss]; im Einzelnen zu dem Gesetz siehe unter III. 3. d)), Frankreich (siehe Jayme / Kohler, in IPRax 1997,
§19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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Der Grund, warum man sich beim EVÜ - im Gegensatz zum EuGVÜ - für die Unterzeichnung von zwei Protokollen entschieden hat, lag im geringen Bezug des Abkommens zum Gemeinschaftsrecht. Nachdem der aus der Zuständigkeitsübertragung resultierende Souveränitätsverlust der Mitgliedsstaaten i. R. d. EuGVÜ eine Anknüpfung im Gemeinschaftsrecht gefunden hatte (Art. 220 4. Spstr. EWGV [= Art. 293 EGV n. F.]), ergaben sich beim EVÜ dadurch Probleme, dass man von einem derartigen Gemeinschaftsbezug des Abkommens abgesehen hatte und dieses unabhängig von Art. 220 EWGV 3 als eigenständiger völkerrechtlicher Vertrag abschlossen worden ist 4 . Da die Zuständigkeitsübertragung somit keinen gemeinschaftsrechtlichen Charakter aufwies, stellte sich für Irland ein verfassungsrechtliches Problem 5, das man durch den Abschluss zweier Protokolle zu lösen versuchte 6.
S. 398) und Dänemark (siehe Jcyme / Kohler, in IPRax 2001, S. 511, unter 2.) ratifiziert zum Stand der Ratifizierung siehe „http://ue.eu.int/accords/default.asp"). Zum Beitritt )sterreichs, Finnlands und Schwedens siehe den Hinweis am Ende der vorigen Fußnote. Es fehlt noch die Ratifikationen des zweiten Protokolls durch Belgien (siehe in Fn. 6 zum Inkrafttreten der Protokolle). 3 BT-Drucks. 10 / 503, S. 21 (Nr. 3, 4 - Denkschrift der Bundesregierung) und ebenda, S. 37 (Nr. 3) und S. 73 zu Artt. 27 - 33 (Bericht von Giuliano / Lagarde) zum EVÜ. Das EVÜ sollte anfangs auch auf Art. 220 1. und 4. Spstr. EWGV begründet werden, wovon man später abgesehen hat, um Drittstaaten den Beitritt zu ermöglichen und für das Inkrafttreten nicht auf die Ratifikation aller Mitgliedstaaten angewiesen zu sein (Bleckmann (deGroot / Schneider), EuR, Rn. 1347). Das EVÜ enthält jedoch keine Bestimmung über den Beitritt von Drittstaaten (siehe lediglich Art. 27 (Geltungsbereich für Mitgliedstaaten) und Art. 28 (Auflage zur Ratifikation durch Mitgliedstaaten)). Ein Beitritt könnte insofern nur durch ein eigenes Übereinkommen des Beitrittsstaates mit den Mitgliedsstaaten erfolgen (i. d. S. auch der Bericht von Giuliano / Lagarde, a.a.O., S. 73). Zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge über den Bereich des Art. 293 EGV n. F. hinaus i. R. d Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) siehe Artt. K3 II c) i. V. m. K l EUV; zu einer möglichen Auslegungskompetenz des EuGH siehe auch S. 3 des Art. K3 II c) EUV. 4 Auch bei den Verträgen i. S. d Art. 293 EGV n. F. handelt es sich um völkerrechtliche Verträge (Bleckmann (deGroot / Schneider), EuR, Rn. 1340 und Streinz, EuR, Rn. 424), an denen sich jedoch alle EG-Mitgliedstaaten beteiligen müssen (als Beispiel kann auf das an Art. 293, 3. Spstr. EGV n. F. anknüpfende EWGAnerkennungsabkommen im Bereich des Gesellschaftsrechts verwiesen werden [siehe § 14 III 2. e), in Fn. 96], dessen Inkrafttreten an der fehlenden Ratifikation durch die Niederlande gescheitert ist) und denen keine Drittstaaten beitreten können (Bleckmann (deGroot / Schneider), EuR, Rn. 1338). Die Selbständigkeit zeigt sich auch dadurch, dass mit Beitrittsstaaten zur EG auch für die Abkommen nach Art. 293 EGV n. F. eigene Beitrittsübereinkommen unterzeichnet werden (siehe Fn. 1). 5 Gemäß der Auslegung des Art. 34 I 1 der irischen Verfassung dürfen andere Gerichte nicht mit Fragen befasst werden, die in die Zuständigkeit nationaler Gerichte fallen (siehe Bericht von Tizzano (Fn. 1), S. 9, Nr. 25). 6 Das erste Protokoll regelt die Vorlageverfahren mitsamt ihren Voraussetzungen und bedarf - ebenso wie das EVÜ selbst (Art. 29 I EVÜ) - lediglich der Ratifikation durch sieben Vertragsstaaten (Art. 6 I 1 erstes Prot.). Durch das zweite Protokoll soll
Î
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Parallel zum EuGVÜ ist auch im Zusammenhang mit dem (nicht in Kraft getretenen) EG-Abkommen für Ehe- und Sorgerechtssachen von 1998 - das später in die EheVO mündete - ein entsprechendes Auslegungsprotokoll 7 gezeichnet worden, aber auf Grund des Wandels im europäischen Zivilprozessrecht nicht in Kraft getreten. Dieser Wandel hat sich durch die Umsetzung des europäischen IZPR mittels gemeinschaftsrechtlicher Verordnungen auf Grundlage der Artt. 61 c), 65 EGV vollzogen 8 . Auch die geplanten neuen kollisionsrechtlichen Regelungen sollen zukünftig mittels Verordnung umgesetzt werden 9 . Für zivilrechtliche Abkom-
dem EuGH die Auslegungszuständigkeit übertragen werden. Es bedarf der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten (Art. 2 zweites Prot.), da dadurch die Kompetenz eines Gemeinschaftsorgans erweitert wird. Aufgrund dieser Erweiterung hängt das Inkrafttreten des ersten Protokolls auch von demselben des zweiten Protokolls ab (Art. 6 II 2 erstes Protokolls; siehe dazu Tizzano (Fn. /), S. 8, Nr. 17 und S. 15, Nr. 36). Diese Konstruktion ermöglicht es, dass Irland oder ein anderer Mitgliedsstaat durch die Nichtratifikation des ersten Protokolls die Anrufung des EuGH durch eigene nationale Gerichte ausschließen kann, ohne die Auslegungskompetenz des EuGH insgesamt zu verhindern. Irland hat insofern bisher als einziger Vertragsstaat nur das zweite Protokoll ratifiziert. Trotz eines solchen möglichen Ausschlusses der Vorlage für die Gerichte einzelner Vertragsstaaten haben die Urteile des EuGH natürlich auch für diese Gerichte eine „indirekte" Wirkung (siehe Art. 18 EVÜ und Tizzano (Fn. /), S. 11, Nr. 29) sowie i. E. zur „Präjudizwirkung" der EuGH-Urteile unter II. 3. b)). Zu den Protokollen siehe Pirrung,, in v. Bar, S. 67 (Nr. 4); Jayme / Kohler, in IPRax 1989, S. 343 und Soergel (v. Hoffmann ), Art. 36, Rn. 17; im Italienischen siehe Mignolli, in Sacerdoti / Frigo, S. 229 (233 f.). 7 Zur EheVO und deren Vorentwürfen siehe § 16 II. 3. a), Fn. 60\ zum Text des Protokolls siehe ABl. EG 16. 7. 1998, C 221, S. 20 - 22. Im Gegensatz zu seinen Vorgängerprotokollen hätte das Protokoll zu seinem Inkrafttreten nur der Ratifikation von drei Mitgliedsstaaten bedurft (Art. 9 III). Dies war dadurch möglich geworden, dass man die Zuständigkeitsübertragung an den EuGH - der alle Mitgliedsstaaten zustimmen müssen - bereits durch Art. 45 des EG-Abkommens selbst vorgenommen hatte. Auf diesem Wege konnte auf der einen Seite die komplizierte Konstruktion mit zwei Protokollen wie beim EVÜ vermieden werden, auf der anderen Seite sollte jedem Vertragsstaat die Möglichkeit bleiben, die Anrufung des EuGH durch eigene Gerichte zu verhindern (siehe zu dieser Problematik in Fn. 6). Darüber hinaus sollte die Regelung (Ratifizierung durch nur drei Vertragsstaaten) ein frühestmögliches Inkrafttreten des Auslegungsprotokolls sichern. Dieselbe Gesetzestechnik wurde auch im Rahmen des „Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union" vom 26. 5. 1997 angewandt (Text in IPRax 1997, S. 459 - 463 mit Aufsatz von J. Meyer, S. 401 - 404); dieses Abkommen wies in seinem Art. 17 dem EuGH die Zuständigkeit zur Auslegung des Vertrages gemäß dem noch auszuarbeiteten Protokoll zu. Auch dieses Abkommen ist nicht in Kraft getreten; seine Regelungen sind vielmehr in die EuZVO (siehe § 16 I. 1., Fn. 4) übernommen worden. 8 §161. 1., in Fn.4. 9 Siehe § 14 I., Fn. 8 zum Grünbuch für das EVÜ („Rom I"); das Grünbuch favorisiert auch für diese Umwandlung die Rechtsform der Verordnung (siehe Ziffer 2.5
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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men, die auf Grundlage der Artt. 61 c), 65 EGV geschlossen werden, begründet nunmehr Art. 68 I EGV eine Auslegungszuständigkeit des EuGH. Gemäß Art. 68 I EGV findet das gemeinschaftsrechtliche Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 n. F. = Art. 177 a. F. EGV) mit der Maßgabe Anwendung, dass nur letztinstanzliche Gerichte zur Vorlage berechtigt, aber auch verpflichtet sind (ähnlich Art. 234 III EGV). Mit Inkrafttreten der EuGVO hat diese Regelung das Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ abgelöst. Gleiches ist im Falle der Umwandlung des EVÜ in einen Gemeinschaftsakt zu erwarten. Da dieser Gemeinschaftsakt jedoch nur für neue Verträge Anwendungfinden kann, bleibt es wichtig, dass für „Altfalle" die Auslegungsprotokolle zum EVÜ in Kraft treten, da diese Fälle weiterhin dem EVÜ unterliegen10.
2. Die Vorlageverfahren
Sowohl die Protokolle zum EVÜ als auch Art. 68 EGV im Hinblick auf die EuGVO sehen zwei Verfahren zur Vorlage von Auslegungsfragen an den EuGH vor. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass Gerichte in schwebenden Gerichtsverfahren den EuGH um Auslegung der Abkommen ersuchen. Für die EuGVO kommt dabei nunmehr das Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV direkt zur Anwendung, jedoch modifiziert durch Art. 68 I EGV. Die Protokolle zum EVÜ sehen - wie in der Vergangenheit das Protokoll zum EuGVÜ - ein ähnliches Verfahren vor, dass dem Vorabentscheidungsverfahren nachgebildet wurde (Art. 2 erstes EVÜ-Prot.). Um eine „Vorlageflut" einzudämmen11, hatte man bereits in den Protokollen die Vorlageberechtigung - im Gegensatz zu Art. 234 II n. F. (= Art. 177 II a. F.) EGV - auf die obersten Gerichte der Mitgliedsstaaten sowie Rechtsmittelgerichte beschränkt (Art. 2 erstes EVÜ-Prot., ebenso bisher Art. 2 EuGVÜ-Prot.). Art. 68 I EGV geht noch weiter und berechtigt jetzt nur noch die letztinstanzlichen nationalen Gericht dazu, dem EuGH Fragen zur Auslegung der EuGVO vorzulegen. Die Vorlagen zum EVÜ sind rein fakultativ (Art. 2 erstes EVÜ-
des Grünbuches). Zum Vorschlag für eine Verordnung zum außervertraglichen Schuldrecht („Rom ΙΓ) siehe § 17 III. 1. a), Fn. 187. Aufgrund der bisherigen Vorbilder muss man auch bei der geplanten Neuregelung des Scheidungsrechts („Rom III") davon ausgehen, dass sie im Wege einer Verordnung umgesetzt werden soll (siehe § 12 II., in Fn. 37). 10 Auch das Grünbuch zum EVÜ (siehe § 14 I., Fn. 8) betont die Bedeutung der EVÜ-Protokolle für „Altfälle" (siehe Ziffer 2.3 des Grünbuches). 11 Siehe Bericht von Jenard zum EuGVÜ (Fn. 7), Nr. 11.
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Prot.) 12. Im Gegensatz dazu müssen Auslegungsfragen zur EuGVO von den letztinstanzlichen Gerichten dem EuGH vorgelegt werden (Art. 68 I EGV). Im Übrigen entsprechen die Verfahren dem Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV. Dies ergibt sich bei Art. 68 I EGV bereits durch seinen Verweis auf diese Vorschrift, bei den EVÜ-Protokollen vor allem durch die ergänzende Heranziehung des Gemeinschaftsrechts (Art. 4 erstes EVÜ-Prot.)13. Die Entscheidungen sind im Rahmen des jeweiligen Ausgangsrechtsstreites verbindlich14. Neben dem Vorabentscheidungsverfahren haben bereits die Protokolle zum EuGVÜ und zum EVÜ die Möglichkeit einer abstrakten Vorlage von zuständigen Stellen geschaffen, sofern rechtskräftige Entscheidungen nationaler Gerichte von der Auslegung des EuGH oder nationaler Gerichte anderer Mitgliedsstaaten, die i. R. d. des Vorabentscheidungsverfahren vorlageberechtigt sind, abweichen (Art. 3 erstes EVÜ-Prot., ebenfalls bisher Art. 4 EuGVÜProt.). Der Gerichtshof hat in diesen Fällen zu der aufgeworfenen Auslegungsfrage Stellung zu beziehen. Das Verfahren lehnt sich an die im romanischen Recht bekannte „Klage im Interesse des Gesetzes" („pourvoi dans l'intérêt de la loi") an15. Vorlageberechtigt sind die Generalstaatsanwälte der obersten nationalen Gerichtshöfe oder jede andere vom jeweiligen Vertragsstaat benannte Stelle (Art. 3 III erstes EVÜ-Prot., ebenso bisher Art. 4 III EuGVÜ-Prot.)16. Da die Vorlage im Anschluss an eine rechtskräftige Entscheidung erfolgt, dienen die Urteile des EuGH in diesem Zusammenhang nur einer künftigen einheitlichen Auslegung der Abkommen. Ein ähnliches Verfahren zur Auslegung der EuGVO sieht nunmehr Art. 68 III EGV vor. Es setzt jedoch im Gegensatz zu den Regelungen der Protokolle keine abweichende rechtskräftige Entscheidung voraus, vielmehr kann die Auslegungsfrage grundsätzlich jederzeit gestellt werden. Vorlageberechtigt sind der Rat, die Kommission oder ein Mitgliedsstaat. Die Entscheidungen, die der EuGH im Anschluss an einen Antrag gemäß Art. 68 III EGV fallt, sind von nationalen Gerichten zu beachten; auf rechtskräftige Urteile dieser Gerichte haben selbstverständlich auch diese Entschei12 Zu den Gründen, warum man sich i. R. d. Beratungen zu den EVÜ-Protokollen allein für fakultative Vorlagen entschieden hat, siehe den Bericht von Tizzano (Fn. /), S. 10 f., Nr. 26 - 29. Im Rahmen des EuGVÜ bestand hingegen für oberste Gerichte eine Vorlagepficht (Art. 3 I EuGVÜ-Protokoll). 13 Siehe auch unter II., bei Fn. 22. 14 Zur Verbindlichkeit siehe unten II. 2. b) (Kleinwort-Benson-Entscheidung) und allgemein unter II. 3. 15 Siehe dazu Kropholler, EuZPR, 6. Auflage, Einl. 19; zum italienischen Recht siehe Art. 363 c. p. c. („ricorso nell'interesse della legge"). 16 In Art. 3 des deutschen Zustimmungsgesetzes vom 7. 8. 1972 zum EuGVÜProtokoll bestellte Deutschland allein den Generalbundesanwalt beim BGH zum Vorlageberechtigten (BGBl. 1972 II, S. 845); zu den EVÜ-Protokollen bestimmt Art. 3 des deutschen Zustimmungsgesetzes (BGBl. 1995 II, S. 914) lediglich, dass die zuständigen Stellen vom Bundesminister der Justiz zu benennen sind.
§19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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düngen keinen Einfluss (Art. 68 III 2 EGV). Die Möglichkeit der abstrakten Vorlage ist jedoch bisher in der Praxis ohne Bedeutung17.
3. Problemstellungen i. R. d deutschen EGBGB und des italienischen IPRG im Hinblick airfdie Auslegungskompetenz des EuGH
Sowohl im Rahmen des deutschen EGBGB als auch des italienischen IPRG ergeben sich in Verbindung mit den EVÜ-Protokollen und Art. 68 I EGV Zuständigkeitsprobleme für die Fälle, in denen das EVÜ bzw. die EuGVO nicht unmittelbar Anwendung finden. Im deutschen Recht gilt dies für das EVÜ, weil zum einen das Abkommen in Deutschland nicht unmittelbar gilt und zum anderen die dem EVÜ entsprechenden Vorschriften der Artt. 27 - 37 EGBGB auch für Materien analog angewendet werden, die vom Anwendungsbereich des Abkommens ausdrücklich ausgenommen sind. Darüber hinaus stellt sich das Problem, dass einzelne Bestimmungen des EVÜ, die allgemeine Probleme des IPR behandeln, aus den Artt. 27 - 37 EGBGB ausgeklammert worden sind. Die Schwierigkeiten des deutschen IPR im Hinblick auf die analoge Anwendung der Artt. 2 7 - 3 7 EGBGB entsprechen den Fragen, die durch das italienischen IPRG aufgeworfen werden. Im italienischen IPRG wird sowohl der Anwendungsbereich der EuGVO (Art. 3 II 1 IPRG) als auch des EVÜ (Art. 57 IPRG) autonom erweitert 18. Im Gegensatz zum deutschen Recht erfolgt die Ausdehnung jedoch durch ausdrückliche gesetzliche Normierungen. Bevor auf diese Fragen im Einzelnen eingegangen wird 19 , soll die Rechtsprechung des EuGH zu ähnlich gelagerten Fällen untersucht werden.
II. Die EuGH-Rechtsprechung zum Vorabentscheidungsverfahren Dem Europäischen Gerichtshof sind im Rahmai des Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV wiederholt Auslegungsfragen zum Gemeinschaftsrecht vorgelegt worden, obwohl dieses im Ausgangsrechtsstreit nicht zur Anwendung gekommen ist. Im Zusammenhang mit der 17 Kropholler, EuZPR, 6. Auflage, Einl. 19; Soergel (v. Hoffmann), Art. 36, Rn. 20; Dauses, S. 42 und MüKo (Martiny), Art. 36, Rn. 27; s. a im Italienischen Mignolli, in Sacerdoti / Frigo, S. 229 (238 Nr. 6 Ende). 18 Siehe § 16 II. 4. b) (EuGVO) und § 14 (EVÜ). 19 Siehe dazu unter III. (Deutschland) und IV. (Italien).
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
oben aufgezeigten Problematik des deutschen und italienischen IPR20 hat neben dieser Rechtsprechung zu Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV insbesondere das Urteil Kleinwort-Benson des EuGH vom 28. 3. 199521 Aufsehen erregt, in dem über eine Vorlage im Rahmen des Auslegungsprotokolls zum EuGVÜ entschieden wurde. Nachdem die Vorabentscheidungsverfahren der Protokolle zum EuGVÜ und EVÜ dem Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV nachgebildet wurden22 und insofern im Grundverständnis der Verfahren keinerlei Unterschiede bestehen, gelten die innerhalb des Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV aufgestellten Grundsätze auch bei Vorlagen im Rahmen der Protokolle, wie umgekehrt die Kleinwort-Benson-Entscheidung auch für das Verfahren nach dem EGV Wirkung entfaltet 23.
7. Allgemeines zum Vorabentscheidungsverfahren
a) Der Auslegungsgegenstand Als Auslegungsgegenstände kommen im Rahmen der Vorlagen nur Gemeinschaftsrecht (Art. 234 n. F. [= Art. 177 a. F.] EGV) bzw. die einschlägigen zivilrechtlichen Abkommen (Auslegungsprotokolle und Art. 68 I EGV) in Betracht. Dies geht eindeutig aus den Bestimmungen über das Vorabentscheidungsverfahren hervor (Art. 234 I n. F. [= Art. 177 I a. F.] EGV a. F., Art. 1 erstes EVÜ-Prot. und bisher Art. 1 EuGVÜ-Prot.) und bedingt sich zwingend aus der Funktion des EuGH als supranationales Gericht und der Kompetenzverteilung zu den nationalen Gerichten. Auch aus der Formulierung des Art. 2 des ersten Auslegungsprotokolls zum EVÜ lässt sich nichts anderes ableiten24. Es besteht insofern Einigkeit darüber, dass der Gerichtshof auch im Rahmen der Protokolle niemals nationales Recht auslegt25.
20
Siehe unter I. 3. Im Einzelnen zu der Entscheidung s. u. unter 2. b). 22 Siehe dazu oben I. 2., bei Fn. 13. Die Abweichungen betreffen nur die Fragen der Vorlageberechtigung (nur für Rechtsmittelgerichte) und der Verpflichtung zur Vorlage. 23 Ebenso zur Kleinwort-Benson-Entscheidung Generalanwalt Tesauro (siehe 2. b), Fn. 52), S. 625, Nr. 17 und S. 631 (Nr. 27) und Holl, in IPRax 1996, S. 176 (bei Fn. 12). 24 Siehe dazu III. 3. b). 25 Für alle zu den EVÜ-Protokollen: Soergel (v. Hoffmann, ), Art. 36, Rn. 22; Kropholler, in Stoll, S. 174 und Kohler, EuR 1984, S. 155 (170); s. a. die Erklärung der deutschen Delegation zu Art. 2 des ersten Auslegungsprotokolls zum EVÜ (III. 3., Fn. 156). Zum EuGVÜ-Protokoll siehe Kropholler, EuZPR, 6. Auflage, Einl., Rn. 23. 21
§19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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b) Die Entscheidungserheblichkeit Ausgangspunkt der folgenden Diskussion26, ob dem EuGH nur dann eine Auslegungszuständigkeit zukommt, wenn das auszulegene Recht im Ausgangsfall Anwendung findet, ist die Frage der Entscheidungserheblichkeit der vom Gerichtshof begehrten Auslegung. Gemäß Art. 68 I EGV 27 und Art. 2. erstes EVÜ-Prot. besteht eine Vorlageberechtigung nur für den Fall, dass nationale Gerichte eine Auslegung durch den Gerichtshof für das von ihnen selbst zu treffende Urteil für erforderlich halten. Der EuGH hat im Anschluss an diesen Wortlaut wiederholt betont, dass die Einschätzung der Entscheidungserheblichkeit den innerstaatlichen Gerichten obliegt28. Nur diese könnten über die Zweckmäßigkeit der Vorlage im konkreten Verfahren entscheiden, wobei ihnen ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht. Zudem würde eine Prüfung der Entscheidungserheblichkeit durch den EuGH dazu führen, dass dieser nationales Recht untersucht29, was vor allem im Widerspruch zu der i. R. d. Vorabentscheidungsverfahrens vorgegebenen Zuständigkeitsverteilung zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten stehen würde. Gerade durch den Versuch, diese im nationalen Ausgangsfall angesiedelte Frage der Erforderlichkeit zu klären, würde der Gerichtshof den Rahmen seiner begrenzten Zuständigkeitsermächtigung überschreiten30. Auch das Beispiel der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien (Art. 249 III n. F. [= Art. 189 III a. F.] EGV), die innerstaatlich grundsätzlich keine unmittelbare Anwendung finden, zeigt, dass die Auslegungskompetenz des Gerichtshofes keine unmittelbare Anwendung der auszulegenden Norm voraussetzt (Art. 234 I b) n. F. [= Art. 1771 b) a. F.] EGV). 26
Siehe unter 2. Ebenso Art. 234 II n. F. (= Art. 177 II a. F.) EGV. 28 EuGH 20. 5. 1976, Rs. 111 / 75 - Mazzalai ./. Ferovia del Renon, Slg. 1976, S. 657 (666); EuGH 5. 10. 1977, Rs. 5 / 77 - Tedeschi ./. Denkavit, Slg. 1977, S. 1555 (1573); EuGH 14. 2. 1980, Rs. 53 / 79 - ONPTS ./. Damiani, Slg. 1980, S. 273 (281); EuGH 30. 4. 1986, Rs. 209 - 213 / 84, Ministrére public ./. Asjes u. a., Slg. 1986, S. 1425 (1460); EuGH 12. 6. 1986, Rs. 98, 162 und 258 / 85 - Bertini./. Regione Lazio, Slg. 1986, S. 1885 (1897) und EuGH 3. 3. 1994, Rs. 332, 333 und 335 / 92 - Eurico Italia u. a../. Risi, Slg. 1994,1 - S. 726 (734); s. a. Urteil Foglia II (Fn. 31), S. 3062 und Urteil Dzodzi (Fn. 43), S. 3793 f., Rn. 34, 39. Siehe auch Bleckmann (Bleckmann), EuR, Rn. 931 f. m.w.N 29 Dauses, S. 98 m.w.N. unter Fn. 360. 30 Siehe insofern unter IV. 1., bei Fn. 249 zur Ablehnung des in der italienischen Literatur vertretenen Argumentes, dass durch eine Auslegungskompetenz des EuGH i. R d. Artt. 3 II 1, 57 IPRG die Zuständigkeit des Gerichtshofes erweitert werden würde. Siehe dazu auch die Argumentation von Tesauro in der Rechtssache KleinwortBenson (siehe 2. a), Fn. 39) und allgemein zur begrenzten Ermächtigung des EuGH unter 4. 27
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Der EuGH hat diesem Ermessensspielraum der nationalen Gerichte im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Vorlage jedoch Grenzen gesetzt, sofern die Inanspruchnahme des Gerichtshofes rechtsmissbräuchlich erscheint. Dies sei dann der Fall, wenn der Ausgangsfall der Vorlage lediglich konstruiert 31 oder die vorgelegte Frage aus sonstigen Gründen nur hypothetischer Natur sei. Vor allem mit dem Einwand, dass Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV dem EuGH keine Beratungsfunktion zuweist, hat der Gerichtshof die Beantwortung allgemeiner und hypothetischer Fragen als „Gutachter" verweigert 32. Insbesondere im Gutachten von 1991 zur Vorlagefähigkeit des parallel zum EuGVÜ abgeschlossenen LugÜ lehnt der Gerichtshof eine Tätigwerden ohne Bindungswirkung der von ihm gewährten Auslegung ab33. In den Vordergrund wird dabei der Entscheidungshilfecharakter des Vorabentscheidungsverfahrens gestellt und die Zusammenarbeit der nationalen Gerichte mit dem EuGH betont34. Ähnlich wie bei der Funktionsverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Verfassungsgerichten 35 kommt hierbei das Kooperationsverhältnis zwischen dem EuGH und den innerstaatlichen Gerichten zum Tragen. Dies entspricht dem Grundgedanken des Art. 10 n. F. (= Art. 5 a. F.) EGV 36 , der die Mitgliedsstaaten und die Gemeinschaft zur loyalen Zusammenarbeit verpflichtet. Insofern haben die staatlichen Gerichte den EuGH in ihrer Vorlagebegründung soweit über den Ausgangsrechtsstreit zu
31
EuGH 11. 3. 1980, Rs. 104 / 79 - Foglia I ./. Novello, Slg. 1980, S. 745 und EuGH 16. 12. 1981, Rs. 244 / 80 - Foglia II ./. Novello, Slg. 1981, S. 3045 (3062 3064), Rn. 1 4 - 2 1 (zu dem Urteil s. a. in der italienischen Literatur die Besprechung von Tizzano, in Foro it. 1982, IV., Sp. 308 - 315). Dauses, S. 106 f. (mit Rechtsprechungsnachweisen in Fn. 392) verweist darauf, dass der EuGH in späteren Urteilen den Einwand des fiktiven Rechtsstreites nicht weiter verfolgt hat. Im Urteil Dzodzi (Fn. 43), I - S. 3793, Rn. 40 weist der Gerichtshof jedoch erneut auf diese Einschränkung hin. 32 Siehe Urteile in den Fn. 28; 31 und im Weiteren EuGH 16. 7. 1992, Rs. 83 / 91 Meilicke ./. ADV / Orga AG, Slg. 1992, I - S. 4919 (4933 - 4935). Zur Bindungswirkung siehe die Entscheidung Kleinwort-Benson unter 2. b) und allgemein unter 3. a). 33 EuGH 14. 12. 1991 - Gutachten 1/91, Slg. 1991,1 - S. 6084 (6109, Nr. 61). Zum Auslegungsprotokoll des Lugano-Abkommens siehe § 181. 1., in Fn. 6 Ende. 34 Urteil Meilicke (Fn. 32), S. 4933; Urteil Foglia II (Fn. 31), S. 3062 und Urteil Dzodzi (Fn. 43), S. 3793 f.; Rn. 33, 39. Allgemein dazu Dauses, S. 47 f. 35 Siehe dazu das „Maastricht-Urteil" des BVerfG 12. 10. 1993, in NJW 1993, S. 3074, Leitsatz 7. Zu dem Urteil siehe Zuck, Das Gerede vom gerichtlichen Kooperationsverhältnis, in NJW 1994, S. 978 und Zuleeg, Die Rolle der rechtsprechenden Gewalt in der europäischen Integration, in JZ 1994, S. 1; im Weiteren zu der Entscheidung siehe 3. a), in Fn. 86. 36
Dauses, S. 107, bei Fn. 394.
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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informieren, dass es ihm möglich ist, über die Frage der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme seiner Gerichtsbarkeit zu befinden 37.
2. Die EuGH-Rechtsprechung zu Vorlagen, bei deren Ausgangsverfahren die Auslegungsgegenstände keine direkte Anwendung finden
a) Die „Dzodzi-Rechtsprechung"
Bei Zugrundelegung dieser allgemeinen Grundsätze des Vorabentscheidungsverfahrens erscheint es auf den ersten Blick naheliegend, dass die Bejahung der Erforderlichkeit einer Vorlage die Anwendbarkeit der auszulegenden staatsvertraglichen Vorschrift im Ausgangsfall voraussetzt. Von der Notwendigkeit dieses Umstandes gehen bis heute überwiegend die Generalanwälte des EuGH aus 38 . Sie verweisen dabei auf die begrenzte Ermächtigung des Gemeinschaftsrechts 39 und insbesondere auf die allgemeinen Grundsätze zur
37 EuGH 16. 7. 1992, Rs. 343 / 90 - Dias ./. Altändega de Porto, Slg. 1992, I S. 4673 (4709 f., Rn. 19, 20); EuGH 26. 1. 1993, Rs. 320 / 90, 321 / 90 und 322 / 90 Telemarsiabruzzo SpA u. a. ./. Circostel u. a., Slg. 1993,1 - S. 393 (426, Nr. 6) und im Anschluss daran die Beschlüsse vom 19. 3. 1993, Rs. 175 / 92 - Pretore von Genua ./. Banchero, Slg. 1993,1 - S. 1085 (1090, Rn. 4); EuGH 26. 4. 1993, Rs. 386 / 92 - Monin Automobiles ./. Maison du deux-roues, Slg. 1993,1 - S. 2049 (2053, Rn. 6), und EuGH 9. 8. 1994, Rs. 378 / 93 - La Pyramide SARL, Slg. 1994,1 - S. 399 (4008, Rn. 14); s. a. Urteil Meilicke (Fn. 32), S. 4933; Urteil Foglia II (Fn. 31), S. 3062 f. Eine dementsprechende Klarstellung enthalten auch Art. 2 II des deutschen Zustimmungsgesetzes zu den EVÜ-Auslegungsprotokollen (siehe I. 1., Fn. 2) und Art. 2 Satz 2 des deutschen Zustimmungsgesetzes zum EuGVÜ-Auslegungsprotokoll (BGBl. 1972 II, S. 845). 38 Siehe Schlussanträge des General an waltes Mancini , in Thomasdünger (Fn. 42), Slg. 1985, S. 3003; des Generalanwalts Darmon, in Dzodzi, Slg. 1990,1 - S. 3780, Nr. 11 und in Gmurzynska-Bscher, Slg. 1990, I - S. 4010, Nr. 8 (zu beiden Urteilen siehe Fn. 43); des Generalanwalts Tesauro, in Kleinwort-Benson (siehe 2. b), Fn. 52), I S. 626 (Nr. 19) und I - S. 630 (Nr. 25) und des Generanwalts Jacobs, in Leur-Bloem und Giloy (siehe 2. c), Fn. 72), Slg. 1997,1 - S. 4165 (4179 - 4189, zusammenfassend in Nr. 75). Als erster weist Mancini, a.a.O. darauf hin, dass der Gerichtshof ansonsten in der Sache das im Ausgangsfall anzuwendende innerstaatliche Recht zu beurteilen habe; Mancini vermischt dadurch jedoch die Frage des Auslegungsgegenstandes und die Frage der Erforderlichkeit der Vorlage (s. o. unter 1.). 39 Tesauro, in Kleinwort-Benson (siehe 2. b), Fn. 52), I - S. 630 (Nr. 25) verweist auf die begrenzte Zuständigkeit des EuGH kraft Zuweisung; zum Grundsatz der begrenzten Ermächtigung siehe unter 4.
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
missbräuchlichen Inanspruchnahme des Gerichtshofes als „unverbindlicher Gutachter"40. Diesem Verständnis hat sich der EuGH mit Recht nicht angeschlossen, auch wenn sich der Gerichtshof im Einzelfall sehr großzügig mit der Bejahung seiner Zuständigkeit gezeigt hat41. Nachdem der EuGH anfangs den Einwand der Nichtanwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts im Ausgangsfall noch mit dem einfachen Hinweis auf die Überprüfung der Erforderlichkeit allein durch das vorlegende Gericht abgetan hatte42, ist der Gerichtshof in der Rechtssache Dzodzi und in daran anknüpfenden Entscheidungen auch aus Zweckmäßigkeitserwägungen dem Auslegungsersuchen nachgekommen. Durch die Rechtsprechung des Gerichts sollte eine einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts gewährleistet werden43. Im Einzelnen bezieht sich der EuGH jedoch auch in diesem Zusammenhang auf die allgemeinen Grundsätze der Erforderlichkeitsprüfung durch die Ausgangsgerichte und deren Einschränkungen44. Diese schließen jedoch nicht aus, dass die Auslegung von Gemeinschaftsrecht fur den Fall gewährt wird, dass die im Ausgangsfall anwendbaren nationalen Vorschriften auf das Gemeinschaftsrecht verweisen45. Auf der anderen Seite schließt der Gerichtshof seine Zuständigkeit aus, sofern offensichtlich ist, dass die auszulegende Bestimmung nicht
40 Tesauro, in Kleinwort-Benson (siehe 2. b), Fn. 52), I - S. 628 (Nr. 23) und ausführlich Jacobs, in Leur-Bloem und Giloy (siehe 2. c), Fn. 72), Slg. 1997,1 - S. 4183 f. (Nr. 60, 61); im Einzelnen zu den Argumenten von Jacobs siehe unter 2 c). 41 Zu einer Übersicht siehe die Ausführungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts Tesauro, in Kleinwort-Benson (siehe 2. b), Fn. 52), I - S. 623 - 625 (Nr. 12 - 15) und des Generanwalts Jacobs, in Leur-Bloem und Giloy (siehe 2. c), Fn. 72), Slg. 1997,1 - S. 4172 - 4176 (Nr. 24 - 35); s. a. Holl, in IPRax 1996, S. 174 f. und Kohler, in ZEuP 1996, S. 452 (454, Fn. 15). 42 EuGH 26. 9. 1985, Rs. 166 / 84 - Thomasdünger J. OFD Frankfurt a M., Slg. 1985, S. 3009, Nr. 11. 43 EuGH 18. 10. 1990, Rs. 297 / 88 und 197 / 89 - Dzodzi ./. Belgischer Staat, Slg. 1990,1 - S. 3763 (3793 f., insbesondere Nr. 37 zum „ öffentlichen Interesse [an]...
einheitlicher Auslegung ... , damit künftige
unterschiedliche
Auslegungen verhindert
werden. "); ebenso EuGH 8. 11. 1990, Rs. 231 / 89 - Gmurzynska-Bscher ./. OFD Köln, Slg. 1990, I - S. 4003 (4017 f.); EuGH 25. 6. 1992, Rs. 88 / 91 - Federconsorzi ./. AIMA, Slg. 1992,1 - S. 4035 (4064, Nr. 7). Zu letzterem Urteil siehe auch bei Fn. 48. Im Gegensatz zur Ansicht des Generalanwalts Darmon in den Rechtsachen Dzodzi und Gmurzynska-Bscher (Fn. 38) entsprach in der Rechtssache Federconsorzi der Schlussantrag des General an waltes van Gerven dem späteren Urteil des EuGH; siehe auch 2. c), Fn. 73 zur Differenzierung des Generalanwaltes Jacobs in den Rechtssachen Leur-Bloem und Giloy. 44 EuGH 18. 10. 1990 - Dzodzi (Fn. 43), Nr. 34, 40 - 42. 45 EuGH 18. 10. 1990 - Dzodzi (Fn. 43), Nr. 36; ebenso EuGH 24. 1. 1991, Rs. 384 / 89 - Tomatis und Fulchiron, Slg. 1991,1 - S. 128 (Leitsatz 1).
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
467
anwendbar sein kann46. Die Bedeutung dieses Standpunktes wird vom Gerichtshof später dadurch verdeutlicht, dass er selbst von den Grundsätzen der sog. „Dzodzi-Rechtsprechung" spricht47. Nach der Rechtsprechung des EuGH sollen diese Grundsätze nicht nur gelten, sofern nationales Recht auf Gemeinschaftsrecht verweist, sondern auch in den Fällen, in denen vertragliche Bestimmungen dieses zum Bestandteil einer Vereinbarung machen48. Dieser Sachverhalt lag auch der Rechtssache Fournier zugrunde. In diesem Urteil ist der Gerichtshof jedoch noch einen Schritt weiter gegangen, indem er dem nationalen Gericht eine Auslegung von Gemeinschaftsrecht gewährt hat, obwohl er selbst von der Unverbindlichkeit seiner Auslegung fiir das innerstaatliche Gericht ausgegangen ist49. Der Gerichtshof ist in dieser Entscheidung von seinen bisherigen Grundsätzen, in denen er für die Zulässigkeit eines Auslegungsersuchens die Verbindlichkeit seiner Interpretation gefordert hatte50, abgewichen. Abgesehen von der Entscheidung Fournier hat der Gerichtshof bis dahin eine weitestgehend einheitliche Linie verfolgt, indem er bei der Zulässigkeitsprüfung einer Vorlage den Umstand, dass das auszulegende Recht im Ausgangsfall nicht zur Anwendung kommt, weitestgehend außer Acht lässt und den nationalen Gerichten im Rahmen der Erforderlichkeitskontrolle zur Berücksichtigung zuweist. Eingeschränkt wird dieser Grundsatz allein durch eine Missbrauchsprüfung, wobei insbesondere darauf abgestellt wird, dass der EuGH mangels Verbindlichkeit seiner Auslegung nicht zur Auskunfts- oder Gutachterinstitution degradiert werden darf. Überraschen mag im Rahmen dieser Missbrauchsprüfung lediglich die Ausführung im Urteil Dzodzi zur fehlenden
46
EuGH 18. 10. 1990 - Dzodzi (Fn. 43), Nr. 40; ebenso EuGH 26. 9. 1985 Thomasdünger (Fn. 42), Nr. 11. 47 Siehe 2. c), Fn. 84 zu den Rechtssachen Leur-Bloem (Fn. 69) und Giloy (Fn. 70). 48 EuGH 25. 6. 1992, Rs. 88 / 91 - Federconsorzi (Fn. 79); siehe insofern unter 2. c), in Fn. 73 zur Differenzierung des Generalanwaltes Jacobs in den Rechtssachen LeurBleom und Giloy. 49 EuGH 12. 11. 1992, Rs. 73 / 89 - Fournier ./. van Werven, Slg. 1992,1 - S. 5621 (5658 f., Nr. 22, 23); auch der Generalanwalt Jacobs weist in seinem Schlussantrag darauf hin, dass die Auslegungen von nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften abweichen können (ebenda, I - S. 5647, Nr. 20). Im Gegensatz zu seinem Standpunkt in den späteren Rechtssachen Leur-Bloem und Giloy (siehe 2. c), Fn. 72) folgt Jacobs hier der Rechtsprechung des EuGH und verweist auf die vorangegangenen Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher (Fn. 43 - ebenda, I - S. 5646, Nr. 19); später nimmt Jacobs jedoch in seinem Schlussantrag zu den Sachen Leur-Bloem und Giloy eine Differenzierung vor (siehe in Fn. 73). Zur Entscheidung Fournier s. a. in ZEuP 1996, S. 126 - 130 (Tenor und Auszüge aus der Begründung) mit Anm. von Wandt, S. 130- 134. 50 Siehe unter 1. b), bei Fn. 33.
468
Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Zuständigkeit bei einer „offensichtlichen" Unanwendbarkeit der auszulegenden Vorschrift 51.
b) Die Kleinwort-Benson-Entscheidung An diese Rechtsprechung knüpft der EuGH in seiner Kleinwort-Benson Entscheidung52 an und liefert eine eingehende Konkretisierung seines Standpunktes53. In dieser ersten Entscheidung zu dem aufgeworfenen Problem im Rahmen der EuGVÜ-Auslegung verweist der Gerichtshof erneut darauf, dass seine Entscheidungen im Vorabentscheidungsverfahren nicht „bloß beratende Bedeutung haben" und insofern immer verbindlich sein müssen54. Der vorliegende Fall betraf eine Regelung des interlokalen Rechts im Bereich des Vereinigten Königreiches, die den Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVÜ nahezu wörtlich übernommen hatte. Der EuGH hat seine Zuständigkeit nach dem Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ aus zweierlei Gründen verneint. Zum einen weist der Gerichtshof daraufhin, dass die nationale Bestimmung „keineswegs eine unmittelbare und unbedingte55 Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht enthält, ... , sondern sich darauf beschränkt, das Übereinkommen als Muster zu nehmen ... " 5 6 . Aufgrund der bestehenden Abweichungen in der Wortwahl und der Eröffnung der Möglichkeit einer Änderung der Norm durch das nationale Recht57 seien die Vorschriften des EuGVÜ nicht durch das natio-
51
Siehe Fn. 46; in den späteren Entscheidungen Kleinwort-Benson (siehe b), bei Fn. 63), Leur-Bloem und Giloy (siehe c), bei Fn. 80) wird davon Abstand genommen. 52 EuGH 28. 3. 1995, Rs. 346 / 93 - Kleinwort-Benson Ltd. ./. City of Glasgow District Council, Slg. 1995,1 - S. 615 (Leitsätze) und I - S. 633 - 642 mit Schlussantrag des Generalanwalts Tesauro, I - S. 617 - 632. Die Entscheidung ist auch abgedruckt in IPRax 1996, S. 190 - 192 mit Besprechung von Holl, S. 174 - 177 und auf Italienisch in RDIPP 1995, S. 773 sowie Foro it. 1996, V., Sp. 365 - 379 mit Besprechung von Mari. Zur Entscheidung siehe auch Jayme / Kohler, in IPRax 1995, S. 343 (347) und Kohler, in ZEuP 1996, S. 452 - 476 (454 f.) sowie Bariatti, Com., NLCC, S. 896 f. zu Art. 2. Zur Entscheidung im Ausgangsrechtsstreit siehe Jayme / Kohler, in IPRax 1998, S. 417 (423 unter 3. c) (ii)). 53 Im Gegensatz dazu sieht Holl, in IPRax 1996, S. 176 f. in der Entscheidung ein Kehrtwende der EuGH-Rechtsprechung. 54 Tenor und Erwägungsgrund Nr. 20 - 24 (insbesondere Nr. 24); ebenso der Schlussantrag des General an waltes Tesauro, I - S. 628 - 630, Nr. 23 - 25 (insbesondere Nr. 25). 55 Zu einer ähnlichen Formulierung bei der Frage der Verbindlichkeit siehe in Fn. 67. 56 57
Erwägungsgrund Nr. 16. Erwägungsgründe Nr. 17 und 18.
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
469
naie Recht „anwendbar gemacht worden"58. Im Rahmen dessen erwähnt der EuGH jedoch ausdrücklich die Möglichkeit, den staatsvertraglichen Bestimmungen auch „außerhalb des Geltungsbereiches dieses Übereinkommens (EuGVÜ)"59 zur Anwendung zu verhelfen und dadurch eine Zuständigkeit des Gerichtshofes zu begründen. Der Gerichtshof knüpft insofern unmittelbar an seine Rechtsprechung zu Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV an, in der er betont, dass das auszulegende Recht nicht unbedingt im Ausgangsverfahren zur Anwendung kommen muss60. Dem hat wie bereits in früheren Verfahren der Generalanwalt in seinem Schlussantrag widersprochen61 und gefordert, dass sich der EuGH von seiner „Dzodzi-Rechtsprechung" distanzieren möge62. Eine Abweichung vom Urteil Dzodzi lässt sich der Kleinwort-Benson-Entscheidung auch entnehmen, jedoch in entgegengesetzter Richtung. Der Gerichtshof scheint nämlich sein bisheriges Verständnis der Unzuständigkeit bei „offensichtlich" fehlender Anwendbarkeit des auszulegenden Rechts63 nicht weiter zu verfolgen. Neben der fehlenden „Anwendbarmachung" des Gemeinschaftsrechts begründet der EuGH in Übereinstimmung mit dem Schlussantrag des Generalanwaltes seine Unzuständigkeit vor allem damit, dass seine Entscheidung im konkreten Fall unverbindlich wäre. Eine Bindungswirkung bestünde zum einen nicht nach dem Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ, da der Staatsvertrag im Ausgangsrechtsstreit nicht anzuwenden ist 64 , zum anderen auch nicht nach nationalem Recht, da das innerstaatliche Gericht die Auslegung des Gerichtshofes nach eigenem Recht lediglich zu berücksichtigen hätte65. Im Umkehrschluss kann aus dieser Argumentation gefolgert werden, dass es zur Bejahung der Entscheidungserheblichkeit im Sinne der EuGH-Rechtsprechung ausreicht, wenn die Entscheidung nach nationalem Recht verbindlich ist66. Der Gerichtshof
58
Erwägungsgrund Nr. 19, ebenso Nr. 16. Erwägungsgrund Nr. 19. 60 Siehe a), Fn. 45 zum Urteil Dzodzi. Zur Parallelität des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV und den Protokollen s. o. unter I. 2. und unter II., bei Fn. 22, 23. 61 Siehe oben unter a), Fn. 38. 62 Tesauro (Fn. 52), S. 631, Nr. 27; der Generalanwalt verweist dabei in Fn. 34 auf die einschlägige Rechtsprechung zur notwendigen Information über den Ausgangsrechtsstreit zur Prüfung des Verfahrensmissbrauches (siehe 1. b), Fn. 37); siehe ebenso Generalanwalt Jacobs, in den Rechtssachen Leur-Bloem und Giloy (siehe c), Fn. 75). 63 Siehe a), Fn. 46. 64 Erwägungsgrund Nr. 23. 65 Erwägungsgründe Nr. 20, 21. 66 A. A. Generalanwalt Tesauro (Fn. 52), I - S. 628, Nr. 23, der der Meinung war, dass eine nationale Norm, die eine Verbindlichkeit von EuGH-Urteilen vorsieht, von einem nationalen Gesetzgeber nicht wirksam erlassen werden kann. 59
470
Kap. VI: Die Auslegung von Staats Verträgen und die EuGH-Zuständigkeit
betont somit das Erfordernis der formellen Verbindlichkeit67 seiner Entscheidung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens, um seine Zuständigkeit zu begründen68.
c) Die Rechtssachen Leur-Bloem und Giloy Diese aufgezeigte Rechtsprechung hat der EuGH in zwei weiteren Urteilen zu Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV aus dem Jahre 1997 fortgeführt. Der Rechtssache Leur-Bloem lag der Fall zugrunde, dass der niederländische Gesetzgeber eine gemeinschaftsrechtliche Richtlinie derart umgesetzt hatte, dass die Regelungen des Gemeinschaftsrechts über ihren originären Anwendungsbereich hinaus auch für rein innerstaatliche Sachverhalte Anwendung finden 69. Der Fall Giloy betrifft § 21 II des deutschen UStG, der eine Bestimmung des EG-Zollkodex sinngemäß für anwendbar erklärt 70. Im Anschluss an die früheren Ausführungen seiner Kollegen71 hat der Generalanwalt Jacobs in seinem einheitlichen Schlussantrag zu beiden Rechtssachen die Zulässigkeit der Vorlagen entschieden abgelehnt72. Er vertrat dabei allgemein die Ansicht, dass in den Fällen, in denen der nationale Gesetzgeber Gemeinschaftsrecht über dessen ursprünglichen Anwendungsbereich hinaus in innerstaatliches Recht überträgt, vom Gerichtshof keine Auslegung des Gemeinschaftsrechts gewährt werden könne73. Dem EuGH fehle es insofern an
67
Erwägungsgrund Nr. 20: „ ... Gericht des betreffenden Vertragsstaates ... nicht verpflichtet ... die Auslegung ..., die ... der Gerichtshof gegeben hat, absolut und
unbedingt anzuwenden " Zu einer ähnlichen Formulierung s. o. Fn. 55. 68 Siehe dazu im Einzelnen unter 3. a). 69 EuGH 17. 7. 1997, Rs. 28 / 95 - Leur-Bloem ./. Inspecteur der BelastingdienstOndernemingen Amsterdam 2, Slg. 1997,1 - S. 4161 - 4208. 70 EuGH 17. 7. 1997, Rs. 130 / 95 - Giloy ./. Hauptzollamt Frankfurt a. M.-Ost, Slg. 1997,1-S. 4295-4314. 71 Siehe a), Fn 38. 72 Schlussanträge des General an waltes Jacobs, Slg. 1997,1 - S. 4165 - 4189. 73 Schlussanträge, Nr. 80; Jacobs spricht in diesem Fall von einer „horizontalen*4 Wirkung des Gemeinschaftsrechts. Sofern hingegen Gemeinschaftsrecht im Rahmen seines vorgesehenen Anwendungsbereiches in nationales Recht umgesetzt wird, kann nach Ansicht von Jacobs eine Auslegung desselben vom Gerichtshof selbst dann gewährt werden, wenn dies nur entfernte Auswirkungen auf nationales Recht hat, sofern diese Auswirkungen aus der Sicht des Gemeinschaftsrecht vorhersehbar war und insofern dem Regelungszweck desselben entsprechen (sog. „vertikale" Wirkung). Jacobs erwähnt in diesem Zusammenhang die Sachverhalte in den Rechtssachen Federconsorzi und Fournier (siehe a), Fn. 43 bzw. Fn. 49), bei denen mittels vertraglicher Vereinbarung auf Gemeinschaftsrecht verwiesen worden ist (Schlussanträge, Nr. 77, 80).
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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der Möglichkeit, die Vorschriften in ihrem nationalen Kontext auszulegen74. Jacobs verweist in diesem Zusammenhang wie bereits sein Kollege Tesauro in der Sache Kleinwort-Benson auf die einschlägige Rechtsprechung zur notwendigen Information über den Ausgangsrechtsstreit zur Prüfung des Verfahrensmissbrauches75. Der Generalanwalt übersieht jedoch die vorgegebene Kompetenzverteilung zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten. Abgesehen von der Missbrauchskontrolle durch den Gerichtshof im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfimg ist der Kontext des Ausgangsfalles für die Auslegung durch den EuGH ohne Relevanz. Jacobs fordert darüber hinaus den Gerichtshof nicht nur auf, von seiner „Dzodzi-Rechtsprechung" abzurücken76, sondern greift vor allem den vom EuGH in der Entscheidung Kleinwort-Benson aufgestellten Grundsatz der unmittelbaren und unbedingten Verweisung scharf an. Er sieht in diesem ein willkürliches und unpraktikables Abgrenzungskriterium zur Bestimmung der Zuständigkeit des Gerichtshofes 77. Wie zu erwarten war, hat sich der Gerichtshof den Ausführungen des Generalanwaltes nicht angeschlossen. Er betont vielmehr erneut seine Grundsätze aus der „Dzodzi-Rechtsprechung" und dem Urteil Kleinwort-Benson78. In zwei Punkten relativiert bzw. präzisiert der EuGH jedoch seine Anmerkungen aus den vorangegangenen Entscheidungen. Zum einen spricht er bei der Frage des Verfahrensmissbrauchs entgegen seinem Urteil in der Sache Dzodzi nicht mehr vom Fall der offensichtlichen Unanwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts 79, sondern - wohl unter Berücksichtigung der Sachverhalte, in denen nationales Recht auf Gemeinschaftsrecht verweist - nur noch davon, dass eine Vorlage dann unzulässig sei, wenn Gemeinschaftsrecht „weder unmittelbar noch mittelbar anzuwenden ist" 80 . Die Unstimmigkeit in der „Dzodzi-Rechtsprechung" wird dadurch behoben.
74
Schlussanträge, Nr. 50, 52 - 56, 71 und zusammenfassend in Nr. 75. Schlussanträge, Nr. 51; zu Tesauro siehe b), Fn. 62. Zur einschlägigen Rechtsprechung siehe 1. b), Fn. 37. 76 Schlussanträge, Nr. 77. 77 Schlussanträge, Nr. 67 - 74. Bei der Prüfung der Verbindlichkeit der Auslegung nach den Grundsätzen der Kleinwort-Benson-Entscheidung verneint Jacobs diese in der Sache Leur-Bloem (Nr. 63), während er in der Sache Giloy von einer Bindungswirkung ausgeht (Nr. 72). 78 Zur Sache Leur-Bloem siehe Erwägungsgründe Nr. 24 - 29; in der Sache Giloy siehe die Erwägungsgründe Nr. 20 - 28. 79 Siehe a), Fn. 46. 80 Erwägungsgründe Nr. 26 (Leur-Bloem) und Nr. 22 (Giloy); trotz dieser geringfügigen - jedoch wichtigen - Abweichung bezieht sich der EuGH bei seinen Ausführungen auf das vorangegangene Dzodzi-Urteil (siehe vorige Fußnote). 75
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Darüber hinaus fehlt in der Bezugnahme des Urteils auf die Grundsätze der Entscheidung Kleinwort-Benson die dort aufgestellte Forderung einer unmittelbaren und unbedingten Verweisung81. Der Gerichtshof betont ausdrücklich die oben erwähnten Besonderheiten der Rechtssache Kleinwort-Benson, die zu einer Unzulässigkeit der Vorlage geführt haben. Neben den Abweichungen des nationalen Rechts vom Gemeinschaftsrecht („Muster") wird dabei der Schwerpunkt der Betrachtung auf die Frage der Verbindlichkeit der zu gewährenden Auslegung gelegt82. Der EuGH unterstreicht erneut, dass es zur Zulässigkeit einer Vorlage genügt, wenn nationales Recht auf Gemeinschaftsrecht verweist, ohne dass letzteres im Ausgangsfall zur Anwendung kommt83. Der Gerichtshof verweist in diesem Zusammenhang auf die Grundsätze der „Dzodzi-Rechtsprechung" und differenziert im Gegensatz zum Generalanwalt Jacobs nicht zwischen einer Bezugnahme auf Gemeinschaftsrecht durch nationales Recht oder durch vertragliche Bestimmungen84.
3. Allgemeines zur Bindungswirkung
von Vorabentscheidungen
a) Die Bindungswirkung im Ausgangsverfahren Über die Wirkung der Vorabentscheidungen85 im Ausgangsverfahren enthalten der EGV und die Auslegungsprotokolle zu den zivilrechtlichen Abkommen keine Bestimmungen. Aus dem Zweck des Verfahrens lässt sich jedoch eine Verbindlichkeit der Entscheidungen für die nationalen Ausgangsgerichte entnehmen86. Dies gilt für alle Gerichte, die in der betreffenden Sache zu entschei81
Erwägungsgründe Nr. 29 (Leur-Bloem) und Nr. 25 (Giloy). Siehe vorige Fußnote. 83 Erwägungsgründe Nr. 25, 27, 34 (Leur-Bleom) und Nr. 21, 23 (Giloy). 84 Erwägungsgründe Nr. 27 (Leur-Bleom) und Nr. 23 (Giloy); zum Generalanwalt Jacobs siehe in Fn. 73. 85 Im Gegensatz dazu werden die Wirkungen der Aufsichtsklage (Artt. 226, 227 n. F. [= Artt. 169, 170 a. F.] EGV), der Nichtigkeitsklage (Art. 230 n. F. [= Art. 173 a. F.] EGV) und der Untätigkeitsklage (Art. 232 n. F. [= Art. 175 a. F.] EGV) im Gemeinschaftsvertrag ausdrücklich geregelt (Art. 228 n. F. [= Art. 171 a. F.] EGV Aufsichtsklage; Artt. 23 Κ 233 η. F. [= Artt. 174, 176 a. F.] EGV - Nichtigkeitsklage und Art. 233 n. F. [= Art. 176 a F.] EGV- Untätigkeitsklage). 86 Darüber besteht Einigkeit in der Literatur und Rechtsprechung: Zu Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV: Streinz, EuR, Rn. 566 und Dauses, S. 148; zur deutschen Rechtsprechung siehe Stettner, in AöR 1986, S. 537 (589); zu EuGVO/ EuGVÜ: Schlosser, in NJW 1977, S. 462 und Kropholler, EuZPR, Einl., Rn. 38; zum EVÜ: Bericht von Tizzano (Fn. 1); S. 11, Nr. 27, der ausführt, dass im Rahmen der 82
§19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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den haben87. Wie in der Rechtsprechung des EuGH betont wird, stellt die Verbindlichkeit der Entscheidung ein unabdingbares Merkmal des Vorabentscheidungsverfahrens dar 88. Sofern jedoch eine erstmalige Auslegung durch den EuGH nach Meinung des nationalen Gerichtes noch Zweifel offengelassen hat, kann zum Zwecke der Klarstellung eine erneute Vorlage erfolgen 89. Die Bindungswirkung erweist sich dann als unproblematisch, wenn die auszulegende Norm des Gemeinschaftsrechts im Ausgangsfall unmittelbar Anwendung findet. Die Verbindlichkeit des Urteils ergibt sich dann aus der Natur des Vorabentscheidungsverfahrens, d. h. aus dem Gemeinschaftsrecht selbst. Im Falle der Unanwendbarkeit der auszulegenden Norm im Ausgangsverfahren kann die Verbindlichkeit der Auslegung nur aus dem nationalen Recht abgeleitet werden. Wie sich der oben dargestellten Rechtsprechung entnehmen lässt, genügt dem EuGH offensichtlich eine solche Bindung kraft innerstaatlichen Rechts zur Begründung seiner Zuständigkeit90. Dies macht auch Sinn, weil es hierbei allein um die Frage der Erforderlichkeit der Vorlage geht. Aus welcher Rechtsgrundlage sich diese ergibt, ist im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens ohne Bedeutung. Zudem obliegt die Prüfung der Erheblichkeit grundsätzlich den nationalen Gerichten91, so dass es folgerichtig erscheint, dass die Verbindlichkeit zumindest auch dem innerstaatlichen Recht entnommen werden kann. Es muss sich hierbei jedoch um eine formelle Bindung handeln, d. h. die vom Gerichtshof gewährte Auslegung muss „absolut und unbedingt"92 fiir die im Ausgangsfall anzuwendende nationale Norm gelten. Es genügt nicht, wenn das zuständige innerstaatliche Gericht die Entscheidung des EuGH lediglich
Beratungen zu den EVÜ-Protokollen der Vorschlag, dem EuGH nur eine beratende Funktion zukommen zu lassen, auf entschiedene Ablehnung gestoßen ist. Das „Maastricht-Urteil" des BVerfG (Fn. 35) betont, dass eine Bindungswirkung für das BVerfG dann entfällt, wenn die „Auslegung ... in ihrem Ergebnis ... einer Vertragserweiterung /gleichkommt]" (Leitsatz 6). In diesem Fall würde der EuGH seine begrenzte Ermächtigung (Art. 5 I n. F. [= Art. 3 b I a. F.] EGV, Art. E EUV, Art. 23 I 2 GG) überschreiten. 87 I. E. siehe Dauses, S. 148 f. 88 Siehe oben 1. b), bei Fn. 33 und allgemein unter 2. b) und 2. c) zu den Rechtssachen Kleinwort-Benson, Leur-Bleom und Giloy. 89 Siehe dazu die Entscheidung Foglia II zur Klarstellung der Entscheidung Foglia I (zu beiden Urteilen siehe Fn. 31); ebenso EuGH vom 24. 6. 1969, Rs. 29 / 68 - Milch-, Fett- und Eierkontor./. Hauptzollamt Saarbrücken, Slg. 1969, S. 165 (178). 90 Siehe vor allem unter 2. b) zur Kleinwort-Benson Entscheidung (Fn. 66). 91 Siehe dazu im Einzelnen unter 1. b). 92 Siehe 2. b), in Fn. 67 zur Kleinwort-Benson Entscheidung.
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
„zu berücksichtigen"93 hätte. Nur so wird der Funktion des EuGH als Organ der Rechtsprechung ausreichend Rechnung getragen. Genau an diesem Punkt liegen die Probleme und Fragestellungen, die das deutsche EGBGB und das italienische IPRG aufwerfen und auf die später noch genauer eingegangen wird 94 .
b) Die „Präjudizwirkung" der Vorabentscheidungen Die Vorabentscheidungen des EuGH entfalten außerhalb des Ausgangsverfahrens keine formelle Bindungswirkung95. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass nationale Gerichte den Auslegungen der Urteile zumeist folgen 96. Neben dieser Praxis verdeutlicht auch die Rechtsprechung des EuGH, dass seinen Urteilen zumindest eine faktische Bindungswirkung zuteil wird. Zum einen entfallt nämlich die Vorlageverpflichtung der nationalen Gerichte nach Art. 234 III n. F. (= Art. 177 III a. F.) EGV dann, wenn bereits ein EuGHUrteil oder gar eine gesicherte Rechtsprechung zur betroffenen Frage vorliegt und das nationale Gericht diese Auslegung übernimmt97. Dies schließt jedoch nicht die Möglichkeit der Vorlage aus, denn das Vorabentscheidungsverfahren 93 Siehe 2. b), bei Fn. 65 zur Kleinwort-Benson-Entscheidung (Leitsatz und Erwägungsgrund Nr. 21). 94 Allgemein zu den Problemstellungen siehe I. 3.; im Einzelnen zur Lösung der Fragen siehe unten III. (EGBGB) und IV. (IPRG). 95 Für alle Dauses, S. 153 und Schlosser, in NJW 1977, S. 462. 96 zu Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV: Dauses, S. 153 - 156 (insbesondere S. 154 oben) spricht von einer „Präjudizwirkung* 4 und „Leitfunktion 44 der Entscheidungen; zu EuGVO / EuGVÜ: Kropholler, EuZPR, Einl., Rn. 38; zu den EVÜ-Protokollen: der Bericht von Tizzano (Fn. 7), S. 11, Nr. 29 spricht von einem „Überzeugungseffekt* 4 der Urteile, geht jedoch zu weit, wenn er von ihrer „allgemeinen Anwendbarkeit*4 ausgeht, sofern darunter eine formelle Allgemeinverbindlichkeit verstanden werden soll. Eine solche lässt sich auch nicht aus der Entscheidung entnehmen, auf die sich der Bericht bezieht (verbundene Rs. 9 / 77 und 10 / 77, Bavaria Fluggesellschaft und Germanair./. Eurocontrol, Slg. 1977, S. 1517 [1525 f.]). Insofern spricht der Bericht auch richtigerweise von einer indirekten Wirkung der Urteile für Mitgliedsstaaten ohne Vorlagemöglichkeit (zur Möglichkeit der Mitgliedsstaaten, die Vorlage durch eigene Gerichte zu verhindern siehe I. 1., Fn. 6 zum „irischen Problem44). Die Leitbildfunktion der Urteile ergibt sich im Rahmen des EVÜ bereits durch Art. 18 EVÜ (einheitliche Auslegung); zu der Vorschrift siehe i. E. unter III. 3. c). Zu einem Beispiel der „Präjudizwirkung44 siehe § 18 I. 1., Fn. 8 zum Begriff des „Erfüllungsortes 44 in Art. 5 Nr. 1 EuGVO / EuGVÜ. 97 EuGH 6. 10. 1982, Rs. 283 / 81 - CILFIT ./. Ministero della sanità, Slg. 1982, S. 3415 (3429 f.) = NJW 1983, S. 1257 im Anschluss und zur Beschränkung der französischen „acte clair44-Theorie (siehe dazu Dauses, S. 113 - 117 und Bleckmann, EuR, Rn. 928; ähnlich bereits die Entscheidung Da Costa (nächste Fußnote), S. 81.
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gestattet es „den nationalen Gerichten immer, dem Gerichtshof Auslegungsfragen erneut vorzulegen, wenn sie dies für angebracht halten"98. Dadurch soll die Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts sichergestellt werden99. Sofern sich der EuGH jedoch im Rahmen der erneuten Vorlage seinerfrüheren Rechtsprechung anschließt, beschränkt er sich in der Regel darauf, auf die vorangegangene Interpretation zu verweisen100. Auf der anderen Seite kommen die nationalen Gerichte für den Fall, dass sie von der EuGH-Rechtsprechung abweichen wollen, nicht umhin, die relevante Frage erneut vorzulegen. Ansonsten würden sie ihr Ermessen im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfimg 101 wohl fehlerhaft ausüben. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob das innerstaatliche Gericht im Falle der Bejahung der Erforderlichkeit zur Vorlage verpflichtet ist (Art. 68 I EGV und Art. 234 III n. F. [= Art. 177 III a. F.] EGV) oder nicht (Art. 234 II n. F. [= Art. 177 II a. F.] EGV, Art. 2 erstes EVÜ-Prot.), denn auch im Falle einer erneuten Ermessensentscheidung zum „ob" der Vorlage dürfte das Gericht nicht zu einem anderen Ergebnis kommen102. Dies entspricht auch dem Grundgedanken des Art. 10 n. F. (= Art. 5 a. F.) EGV und dem angesprochenen Kooperationsverhältnis zwischen den innerstaatlichen Gerichten und dem EuGH103. Die nationalen Gerichte haben in diesem Punkt die Kompetenzzuweisung an den EuGH zu beachten. Es lässt sich somit mit der Verpflichtung der nationalen Gerichte zur einheitlichen Auslegung104 und dem Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens (Rechtssicherheit und -einheit) nicht vereinbaren, wenn Gerichte der Mitgliedsstaaten von der Rechtsprechung des EuGH abweichen, ohne erneut eine EuGHEntscheidung einzuholen. In dieser Hinsicht sind die innerstaatlichen Gerichte in ihrer Ermessensfreiheit bei der Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit und dem „ob" der Vorlage beschränkt.
98
EuGH 27. 3. 1963, (Fn. 60- Da Costa), Slg.1963, S. 63 (81). Demselben Zweck dient auch das abstrakte Vorlageverfahren gemäß Art. 3 erstes EVÜ-Protokoll und Art. 68 III EGV (s. o. unter I. 2.). 100 Entscheidung Da Costa (Fn. 60), S. 82; im Weitere« siehe EuGH 29. 4. 1964, Rs. 24 / 64 - Dingemans ./. Sociale Verzekeringsbank, Slg. 1964, S. 1373 (1391 unter III.); EuGH 14. 4. 1968, Rs. 13 / 6 - Becher ./. Hauptzollamt München, Slg. 1968, S. 281 (293); EuGH 7. 2. 1985, Rs. 186 / 83 - Bötzen u. a../. Rotterdamsche Droogdok, Slg. 1985, S. 519 (527 - Nr. 9) und EuGH 25. 2. 1987, Rs. 168 / 68 - Procureur général ./. Rousseau, Slg. 1987, S. 995 (1002 - Nr. 6). Diese Praxis wird heute ausdrücklich durch Art. 104 § 3 VerfO des Gerichtshofes in der Änderungsfassung vom 15. 5. 1991 bestätigt (ABl. EG 1991, L 176, S. 1). 101 Siehe dazu oben unter 1. b). 102 I. d. S. auch Schlosser, in NJW 1977, S. 462 („sicherlich ermessensmissbräuchlich") und Dauses, S. 155 (bei Fn. 576). 103 Siehe oben unter 1. b), bei Fn. 36. 104 Siehe § 19 I. 1. 99
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Dies zeigt, dass der EuGH auch außerhalb des Ausgangsverfahrens die nationalen Gerichte durch seine Auslegungen trotz fehlender formeller Verbindlichkeit zumindest faktisch bindet. Diese Bindungswirkung ist nicht zu verwechseln mit den oben erwähnten Fällen der Nichtanwendbarkeit des auszulegenden Gemeinschaftsrechts im Ausgangsverfahren 105. Die faktische Bindung entspringt zum einen dem Gemeinschaftsrecht; zum anderen ist ihr im Anschluss an die gemeinschaftsrechtliche Loyalitätsverpflichtung ein fester Rahmen gegeben. Im Gegensatz dazu entscheidet bei der Inkongruenz zwischen auszulegendem und anzuwendendem Recht allein das nationale Recht, ob und inwieweit eine Bindungswirkung besteht oder die Auslegung lediglich zu berücksichtigen ist 106 . Die Literatur vergleicht diese faktische Bindungswirkung mit der präjudiziellen Wirkung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im kontinentaleuropäischen civil law 107 . Sie entspricht allerdings nicht der formalen Bindung an Obergerichte im anglo-amerikanischen case law.
4.
Zusammenfassung
Die Nichtanwendbarkeit des vom EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens auszulegenden Gemeinschaftsrechts im nationalen Ausgangsverfahren führt nicht per se zur Unzulässigkeit einer EuGH-Vorlage108. Dieser Umstand ist bei der Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der erbetenen Auslegung für das Urteil im Ausgangsrechtsstreit zu berücksichtigen. Aus der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem EuGH und den mitgliedschaftlichen Gerichten109 ergibt sich, dass die Einschätzung der Erforderlichkeit grundsätzlich den nationalen Gerichten obliegt. Der dabei bestehende Ermessensspielraum der streitentscheidenden Gerichte stößt nach der Rechtsprechung des EuGH an seine Grenzen, sofern eine Entscheidungserheblichkeit „offensichtlich" nicht besteht110; die Anrufung des Gerichtshofes wäre in einem solchen Fall rechtsmissbräuchlich. Dies gilt insbesondere, sofern die vom Gerichtshof gewährte Auslegung für das nationale Gericht bei der Anwendung 105
Siehe oben unter 2. Siehe 2. b), bei Fn. 65 zur Entscheidung und Kleinwort-Benson und III. 3. c) zu Art. 36 EGBGB. 106
107
108
Dauses, S. 155, bei Fn. 578 und Schlosser, in NJW 1977, S. 462, IV. 1. Ende.
Siehe zuletzt die Entscheidungen Leur-Bloem und Giloy (siehe 2. c), Fn. 83); zur gegenteiligen Ansicht der Generalanwälte siehe 2. a), Fn. 38. 109 Zum Grundsatz der begrenzten Ermächtigung für Gemeinschaftsorgane siehe das Maastrichturteil des BVerfG unter 3. a), in Fn. 86. 110 EuGH 16. 7. 1992, Rs. 343 / 90 - Dias (Fn. 37), Rn. 20.
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
477
des im Ausgangsfalls anzuwendenden Rechts keine Bindungswirkung entfaltet. Ansonsten würde man den EuGH zum Gutachter innerstaatlicher Gerichte „degradieren", was der Funktion des Gerichtshofs als Rechtsprechungsorgan widersprechen würde 111. Die geforderte Verbindlichkeit der Rechtsprechung muss formeller Natur sein und kann sich in den Fällen der Unanwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts im Ausgangsfall nur aus dem nationalen Recht ergeben112. Das innerstaatliche Recht hat zu bestimmen, ob die vom EuGH gewährte Auslegung für das im Ausgangsfall anzuwendende Recht „absolut und unbedingt"113 greift. Dies erfordert, dass das auszulegende Gemeinschaftsrecht - zumindest mittelbar 114 innerstaatlich „anwendbar gemacht worden ist" 115 . Dies kann durch eine „unmittelbare und unbedingte Verweisung" 116 oder durch eine wörtliche Übernahme des Gemeinschaftsrechts 117 erfolgen. Dieses Kriterium der nationalen Anwendbarmachung dürfte jedoch als Bestandteil der allgemeinen Verbindlichkeitsprüfung zu sehen sein118. Die Zulässigkeit einer Vorlage steht und fallt somit mit der Frage der formellen Bindung des vorlegenden Gerichtes an die vom EuGH zu gewährende Auslegung.
III. Die Problematik des EVÜ i. R. d. deutschen EGBGB 1. Die Inkorporation
des EVÜ in das EGBGB
Im Rahmen seiner umfassenden IPR-Reform von 1986119 inkorporierte der deutsche Gesetzgeber noch vor Inkrafttreten des EVÜ 120 die Bestimmungen des 111
Siehe allgemein unter 1. b) und unter 2. b) zur Entscheidung Kleinwort-Benson. Siehe 2. b), bei Fn. 66 Entscheidung Kleinwort-Benson und allgemein unter 3. a). 113 Erwägungsgrund Nr. 20 der Entscheidung Kleinwort-Benson (s. 2. b), in Fn. 67). 114 Siehe 2. c), Fn. 80 zu den Entscheidungen Leur-Bleom und Giloy. 115 Entscheidung Kleinwort-Benson, Erwägungsgründe Nr. 19 und 16 (siehe 2. b), Fn. 58) und Hinweis in voriger Fußnote zu den Entscheidungen Leur-Bloem und Giloy. 116 Entscheidung Kleinwort-Benson, Erwägungsgrund Nr. 16 (siehe 2. b), Fn. 56). 117 Siehe III. 3. c), bei Fn. 166 zu den Artt. 27 - 37 EGBGB. 118 Dies zeigen auch die Schwerpunkte in der Begründung des EuGH zu den Rechtsachen Leur-Bloem und Giloy; siehe unter 2. c). 119 Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25. 7. 1986 (BGBl. 1986 I, S. 1142); zur Begründung siehe BT-Drucks. 10 / 504. Die neuen Artt. 3 - 3 8 , 220 EGBGB sind am 1. 9. 1986 in Kraft getreten. 120 Das Abkommen ist auf internationaler Ebene am 1.4. 1991 in Kraft getreten (siehe § 14 I. 1., Fn. 7); zur ebenfalls vorzeitigen innerstaatlichen Inkraftsetzung des EVÜ durch Dänemark, Luxemburg und Belgien siehe § 10 I. 4., Fn. 58. 112
478
Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Abkommens in das deutsche Recht (Artt. 27 - 37 EGBGB) 1 2 1 . Die Neuregelung enthielt jedoch einige Abweichungen vom staatsvertraglichen Text 1 2 2 . Gleichzeitig wurde im deutschen Zustimmungsgesetz zum E V Ü im Gegensatz zur Umsetzung des USTA (Art. 18 EGBGB) und des TestFÜbk. (Art. 26 EGBGB) 1 2 3 von der unmittelbaren innerstaatlichen Anwendung des Vertrages abgesehen (Art. 1 II des Zustimmungsgesetzes) 124 . Diese Form der Umsetzung der staatsvertraglichen Bestimmungen war mit Sicherheit nicht per se vertragswidrig 125 . Der deutsche Gesetzgeber hat sich zwar bei der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge zumeist für eine „Transformation" durch bloßes Zustimmungsgesetz entschieden 126 , die Art und Weise, wie einem internationalen Abkommen zur innerstaatlichen Geltung verholfen wird, bleibt jedoch den Vertragsstaaten selbst überlassen. Diese sind lediglich verpflichtet, die Bestimmungen eines Übereinkommens möglichst vertrags121
Die Einstellung des EVÜ in ein nationales Gesetz hatte noch vor dem deutschen Referentenentwurf ein Entwurf des luxemburgischen Justizministeriums geplant, der sich jedoch nicht durchsetzen konnte (siehe Pirrung, in v. Bar, S. 55 - 57). Luxemburg hat das Abkommen allerdings vorzeitig in Kraft gesetzt (siehe Hinweis in voriger Fußnote). 122 Siehe unten den Hinweis in Fn. 128. 123 Zur Diskussion über den Vorrang der Staatsverträge gegenüber den Artt. 18, 26 EGBGB siehe 3. a), in Fn. 145. 124 Gesetz vom 25. 7. 1986, in BGBl. 1986 II, S. 809; zur Begründung siehe BT-Drucks. 10/503. 125 Auch der Bericht von Giuliano / Lagarde zum EVÜ (BT-Drucks. 10 / 503, S. 73 zu Artt. 27 - 33) spricht ausdrücklich von der Möglichkeit jedes Vertragsstaates, „ das vorliegende Übereinkommen in Kraft zu setzen, indem er ihm entweder unmittelbare Gesetzeskraft verleiht oder indem er dessen Bestimmungen in geeigneter Form in seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften aufnimmt ". Sachlich ergibt sich dies bereits aus den Grundsätzen des allgemeinen Völkerrechts (siehe § 18 I. 1., bei Fn. 3). Die Ausführungen von Giuliano / Lagarde haben insofern nur klarstellende Funktion und weisen dabei auch auf die Notwendigkeit einer effektiven und vertragsgetreuen Umsetzung hin („geeigneter Form"). Ebenso Nolte , in IPRax 1985, S. 71 (72) mit Hinweis auf die Praxis im Vereinigten Königreich (siehe dazu auch § 10 I. 3. b), Fn. 34); Junker, in RabelsZ 1991, S. 674 (689 -691); Pirrung, in v. Bar, S. 21 (40 f.); Soergel (v. Hoffmann), vor Art. 27, Rn. 12; ders. in v. Hoffmann, IPR, § 1, Rn. 80 und ausführlich Meyer-Sparenberg, S. 47 - 59. Zu den zweifelnden Stimmen vor der Reform siehe in Fn. 129. 126 Siehe dazu Meyer-Sparenberg, S. 36 - 41. Die Ausnahme bildet neben dem EVÜ die Inkorporation der Haager IPR-Abkommen zum Wechsel- und Scheckrecht in das deutsche Wechsel- und Scheckgesetz (siehe § 15 V. 1., Fn. 96); Meyer-Sparenberg, S. 40 spricht zwar davon, dass der Fall der Wechsel- und Scheckrechtsabkommen nicht mit dem Römischen Abkommen zu vergleichen ist, da die Artt. 1 (W, S) ausdrücklich einen innerstaatlichen Anwendungsbefehl enthalten, die Vorschriften erwähnen jedoch lediglich deklaratorisch die Pflicht der Vertragsstaaten, die Staatsverträge innerstaatlich anwendbar zu machen, unabhängig von der Art und Weise der Umsetzung. Dies wird auch durch die praktizierte Übernahme des italienischen Gesetzgebers deutlich (siehe § 15 V. 1., bei Fn. 93).
§19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
479
getreu umzusetzen 127 . Hierbei könnten sich auf Grund der Abweichungen der Artt. 27 - 37 EGBGB vom Vertragstext des E V Ü 1 2 8 Bedenken ergeben 129 , die jedoch an dieser Stelle nicht weiter untersucht werden sollen 1 3 0 . Die deutsche Umsetzung des E V Ü darf inzwischen als von den anderen Mitgliedstaaten akzeptiert gelten 131 und ist als Faktum hinzunehmen 132 . Auch die einheitliche internationale Auslegung 133 des E V Ü scheint durch Art. 36 EGBGB (= Art. 18 E V Ü 1 3 4 ) ausreichend gesichert zu sein. Die fehlende innerstaatliche Anwendung des Römischen Abkommens wirft lediglich im Hinblick auf eine zukünftige Auslegungskompetenz des EuGH Schwierigkeiten auf. Die Völkerrechtskonformität der deutschen Umsetzung wäre insbesondere dann fraglich, wenn dadurch den deutschen Gerichten in Zukunft eine EuGHVorlage verwehrt bleiben würde 1 3 5 . Die Kritik an der Art der deutschen Umsetzung des E V Ü hat vor allem an diesem Punkt angesetzt 136 .
127
Siehe allgemein unter § 181. 1. Siehe dazu die Empfehlung der EG-Kommission vom 15. 1. 1985, in ABl. EG 1985, L 44, S. 42 (43) = IPRax 1985, S. 178 f.; die Vorschriften des EGBGB und des EVÜ wurden im Regierungsentwurf des deutschen Zustimmungsgesetzes zu den EVÜProtokollen gegenübergestellt (s. u. unter c) dd)); siehe i. E. zu den Abweichungen des Art. 36 (s. u. 3. c), Fn. 171) und Art. 37 Nr. 1 (§ 15 VI. 2. c), in Fn. 223) EGBGB. 129 Die Umsetzung wurde während der Ausarbeitung der Reform ζ. T. als völkerrechtlich bedenklich angesehen. Siehe dazu das Gutachten des Max-PlanckInstitutes, in RabelsZ 1983, S. 595 - 690 (595, 602, 604, 640, 651, 665) und Kohler, in EuR 1984, S. 155 (insbesondere S. 168-171 und zusammenfassend auf S. 172 f.). Zur Diskussion s. a Hinweis in nächster Fußnote. 130 Zur Diskussion, ob diese Form der Umsetzung einer einfachen Invollzugsetzung oder einer Hinweisnorm wie im schweizerischen - und nunmehr auch im italienischen IPRG - vorzuziehen ist und zu den Vor- und Nachteilen der in Deutschland praktizierten Kopiermethode siehe unter § 10 I. 4., insbesondere nach Fn. 49. 131 Siehe auch unter 3. c), bei Fn. 181. 132 Ebenso Pirrung, in v. Bar, S. 21 (52 f.); s. a. Soergel (v. Hoffmann), vor Art. 27, Rn. 14, der Pirrungs Ausführung zitiert. 133 Allgemein zur einheitlichen Auslegung von Staatsverträgen siehe § 18 I. 1. 134 Zum abweichenden Wortlaut der Vorschriften siehe 3. c), Fn. 171. 135 Ein Verstoß gegen die staatsvertraglichen Verpflichtungen ließe sich insbesondere aus der Zweiten Gemeinsamen Erklärung der EVÜ-Vertragsstaaten vom 19. 6. 1980 bei der Verabschiedung des Abkommens ableiten. In dieser verpflichten sich die Staaten, die Möglichkeit zu prüfen, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bestimmte Zuständigkeiten zu übertragen und gegebenenfalls über den Abschluss eines derartigen Übereinkommens zu verhandeln (BT-Drucks. 10 / 503, S.20). Darüber hinaus würde Deutschland nach Ratifikation der EVÜ-Protokolle (siehe I. 1., Fn. 2) auch gegen seine aus dem Abschluss der Protokolle entstandene Durchführungspflicht verstoßen. 136 In der Empfehlung der EG-Kommission vom 15. 1. 1985 (Fn. 128) wurde die Ansicht vertreten, dass durch die Art der Umsetzung eine zukünftige EuGHZuständigkeit im Verhältnis zu Deutschland „praktisch wirkungslos" wäre (ABl. EG 1985, L 44, S. 42 (43)); auch Kohler, in EuR 1984, S. 155 - 173 (171) sprach davon, 128
480
Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit 2. Die
Problemstellung
Infolge der Unanwendbarkeit des EVÜ in Deutschland137 ergibt sich das bereits dargestellte138 Problem der fehlenden Identität zwischen auszulegendem und anzuwendendem Recht139. Für den Fall des Inkrafttretens der Auslegungsprotokolle zum EVÜ und der dadurch begründeten Auslegungskompetenz des EuGH sind für Deutschland zwei Problemkreise zu klären. 1. Wären die EuGH-Urteile für die deutschen Gerichte verbindlich und sind die deutschen Gerichten selbst vorlageberechtigt? 2. Wie weit reicht diese Bindungswirkung im Falle der Bejahung der ersten Frage? Gilt die Verbindlichkeit der Urteile auch für die aus den Artt. 27 - 37 EGBGB ausgegliederten Regelungen des EVÜ und die Fälle der analogen Anwendung der Artt. 27 - 37 EGBGB? Sollte das EVÜ auf Grundlage der Artt. 61 c), 65 EGV in einen Gemeinschaftsakt umgewandelt werden, würde sich zumindest die Frage für die Zukunft nicht mehr stellen. Die Regelungen des Abkommens wären dann in dass die Umsetzung mit der Verpflichtung der Zweiten Gemeinsamen Erklärung (vorherige Fußnote) unvereinbar wäre. 137 Siehe Fn. 124. 138 Siehe allgemein I. 3. (Problemstellungen) und vor allem unter II. zur Rechtsprechung des EuGH. Die Literatur geht zwar ζ. T. davon aus, dass es über Art. 36 EGBGB im Ergebnis doch zu einer Anwendung der EVÜ-Normen kommt; siehe v. Hoffmann, Empfiehlt es sich das EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in das deutsche IPR-Gesetz zu inkorporieren?, in IPRax 1984, S. 10(12) sowie Nolte , in IPRax 1985, S. 71 (76) (EGBGB als „leere Hülse" zurückbleibend) und Junker, in RabelsZ 1991, S. 694 f. (im Zweifel EVÜ anzuwenden); ähnlich Kegel (Fn. 145). Dem widerspricht jedoch die gegebene Rechtslage. Der Originaltext des EVÜ kann lediglich als Auslegungsmaterial des EGBGB im Rahmen des Art. 36 EGBGB dienen. Im Einzelnen zu Art. 36 EGBGB siehe unter 3. c). 139 Ein vergleichbares Problem ist auch im Rahmen des EuGVÜ durch den Beitritt des Vereinigten Königreiches und Irlands aufgetreten (siehe dazu den Bericht von Schlosser zum ersten EuGVÜ-Beitrittsübereinkommen [siehe Jayme / Hausmann, 9. Auflage, Nr. 74] in ABl. EG 5. 3. 1979, C 59, S. 144 [Nr. 256]). In beiden Ländern erfolgt die Umsetzung von Staatsverträgen traditionell durch eigenen Normen (siehe § 10 I. 3. b), Fn. 34).
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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Deutschland unmittelbar anwendbar und der EuGH gemäß Artt. 68 I, 234 EGV zu deren Auslegung befugt 140. Diese neue Rechtslage würde jedoch nicht für Verträge gelten, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechtsaktes geschlossen werden. Für diese Verträge könnte eine Auslegungskompetenz des EuGH nur über die EVÜ-Auslegungsprotokolle begründet werden141. Die oben gestellten Fragen bleiben also selbst nach der beabsichtigten Umwandlung des EVÜ für eine beachtliche Anzahl von Verträgen von Bedeutung. Sie sollen daher im Folgenden eingehend untersucht werden (3. und 4.); im Anschluss daran wird auch kurz die Rechtslage nach Umwandlung des EVÜ dargestellt (5.).
3. Die zukünftige Auslegungszuständigkeit des EuGH im Falle der unmittelbaren Anwendung der Artt. 27-37 EGBGB
Zur Begründung einer zukünftigen Auslegungskompetenz des EuGH in den Fällen, in denen das deutsche IPR-Vertragsrecht (Artt. 27 - 37 EGBGB) direkt zur Anwendung kommt, scheinen drei Wege offenzustehen.
a) Die Aufhebung von Art. 1 II des deutschen Zustimmungsgesetzes zum EVÜ Der offensichtlich einfachste Weg wäre es, den Art. 1 II des deutschen Zustimmungsgesetzes zum EVÜ 142 , der die unmittelbare Anwendung des Abkommens in Deutschland verhindert, aufzuheben, wie es die Literatur vielfach gefordert hat 143 . Dieser Schritt wurde auch von offizieller Seite in Erwägung gezogen144, jedoch nicht vollzogen. Im Falle einer Streichung des Art. 1 II Zustimmungsgesetz würden fiir das Vertragsrecht die Normen des EVÜ unmittelbar zur Anwendung kommen
140
Siehe § 19 I. 1., Fn. 9 und im Folgenden unter 5. zur neuen Rechtslage. Siehe § 19 I. 1., Fn. 10. 142 Zu dem Zustimmungsgesetz s. o. Fn. 124. 143 Pirrung, in v. Bar, S. 69 f.; Everting, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 176 und Jayme / Kohler, in IPRax 1989, S. 343 f.; siehe auch die Empfehlung der Kommission zur deutschen EVÜ-Umsetzung (Fn. 128). 144 Bülow (zuständiger Leiter der öffentlichrechtlichen Abteilung des Justizministeriums) hat von dieser Möglichkeit gesprochen, jedoch primär erwogen, eine „entsprechende Anpassung in dem Vertragsgesetz zu den [EVÜ-]Protokollen" vorzunehmen (siehe BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 181); im späteren Zustimmungsgesetz (siehe I. 1., Fn. 2) fehlt jedoch eine derartige „Anpassung". 141
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
(Art. 3 II 1 EGBGB)145, so dass unproblematischerweise eine Zuständigkeit des EuGH zur Auslegung der staatsvertragl ich en Bestimmungen mit der notwendigen Verbindlichkeit der Auslegung kraft Gemeinschaftsrecht gegeben wäre. Aufgrund der weitestgehenden Deckung der Artt. 27 - 37 EGBGB mit dem EVÜ würden nur in Grenzfallen Probleme im Hinblick auf das anzuwendende Recht und seine Auslegung entstehen. Im Kollisionsfall müsste dem EVÜ Vorrang eingeräumt werden (Art. 3 II 1 EGBGB)146. Zu klären wären dann lediglich die Fälle der analogen Anwendung der Artt. 27 - 37 EGBGB sowie der Vorschriften des EVÜ, die im EGBGB zu allgemeinen Vorschriften „ausgebaut" wurden 147. Nach der ausgiebigen Diskussion über die Streichung und der fortdauernden Gültigkeit des Art. 2 II auch nach Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes zu den EVÜ-Protokollen darf es jedoch als ziemlich unwahrscheinlich angesehen werden, dass es in absehbarer Zeit zu einer Aufhebung der Vorschrift kommt. Die Zuständigkeit des EuGH bei Inkrafttreten der EVÜ-Protokolle muss somit nach aktueller Rechtslage auf einem anderen Wege begründet werden.
145 Der Versuch von Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Auflage, 1995, § 1 IV. 1. a), S. 10 f., den Vorrang des EVÜ bereits nach aktueller Rechtslage über Art. 36 EGBGB herzuleiten (zu einem ähnlichen Ansatz siehe in Fn. 138), ist aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage abzulehnen; die gesetzgeberische Entscheidung durch Art. 1 II des deutschen Zustimmungsgesetzes kann nicht über Art. 36 EGBGB korrigiert werden (ebenso Meyer-Sparenberg, S. 76 f.). Zu Art. 36 EGBGB siehe unter c). Diese Frage ist im Zusammenhang mit den Artt. 18, 26 EGBGB, die das USTA (Art. 18 EGBGB) bzw. das TestFÜbk. (Art. 26 EGBGB) in das EGBGB inkorporieren, nach wie vor umstritten: Für den Vorrang der Staatsverträge sprechen sich MüKo (Birk), Art. 26, Rn. 3 m.w.N. in Fn. 3; MüKo (Siehr), Art. 18, Rn. 1 und Jayme, in IPRax 1986, S. 265 f. aus; a. A. Soergel (Schurig), Art. 26, Rn. 3 m.w.N.; differenzierend Pal. (Heldrich), Art. 3 EGBGB, Rn. 8 (Vorrang der Staatsverträge wird nur verletzt, soweit EGBGB von diesen abweicht, was jedoch im Ergebnis einer Vorranggewährung gleichkommt). Zur Diskussion und weiteren Nachweisen siehe Meyer-Sparenberg, S. 72 - 76. Die Rechtslage spricht jedoch eindeutig für den Vorrang der Staats Verträge gegenüber den Artt. 18, 26 EGBGB (siehe allgemein unter § 9 II. zum Vorrang von Staatsverträgen und im Speziellen unter § 10 II. 1., Fn. 108 zu Art. 3 II 1 EGBGB). Insofern erscheint es durchaus nicht als polemisch, wenn Siehr, a.a.O. die gegenteilige Ansicht als „falsch" bezeichnet. 146 Zu einem Beispiel siehe § 15 VI. 2. c), in Fn. 223 zu Art. 37 Nr. 1 EGBGB. 147 Siehe zweite Problemstellung unter 2. mit Lösung unter 4.
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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b) Die Begründung der Auslegungszuständigkeit durch das erste EVÜ-Auslegungsprotokoll Auslegungsgegenstand einer EuGH-Vorlage kann gemäß Art. 1 des ersten EVÜ-Protokolls zum EVÜ nur das Abkommen einschließlich seiner Beitrittsübereinkommen und das erste Protokoll selbst sein148. Die Artt. 27 - 37 EGBGB können weder durch ein deutsches Zustimmungsgesetz149 noch durch ein Ausführungsgesetz 150 zu den EVÜ-Protokollen zu Gegenständen der Auslegung werden. Daran ändert auch der Wortlaut der Artt. 2 und 3 I des ersten Auslegungsprotokolls zum EVÜ nichts151. Die Vorschriften erweitern nicht den durch den Art. 1 des Protokolls festgelegten Bereich der Auslegungsgegenstände, auch wenn der Bericht von Tizzano darin eine „ungewöhnliche Präzisierung" des Art. 1 sieht152. In der Bemühung, die Schwierigkeiten zu lösen, die die deutsche Umsetzung des EVÜ im Hinblick auf eine zukünftige EuGH-Zuständigkeit mit sich bringt, hat die deutsche Delegation im Rahmen der Beratungen zu den EVÜ-Protokollen eine vom Auslegungsprotokoll des EuGVÜ abweichende Formulierung in den Artt. 2 und 3 I des ersten EVÜ-Protokolls vorgeschlagen, die von den anderen Vertragsstaaten akzeptiert wurde 153. Diese Bestimmungen verweisen deshalb im Gegensatz zu den Artt. 3 I und 4 I des Auslegungsprotokolls zum EuGVÜ nicht auf das Abkommen selbst, sondern eröffnen die Vorlagemöglichkeit für „eine Frage, die ... sich auf die Anwendung von Regelungen bezieht, die in den in Art. 1 genannten Übereinkommen enthalten sind, ..." (Art. 2 erstes EVÜ-Prot.) 154.
148
Siehe dazu II. 1. a) zu den Auslegungsgegenständen. Zu diesem siehe I. 1., Fn. 2 und i. E. unter d). 150 Zur Relevanz eines Ausführungsgesetzes siehe auch Kohler, in EuR 1984, S. 169. 151 Jayme / Kohler, in IPRax 1995, S. 348 sehen richtigerweise in dem „redaktionellen Trick" keine Lösung des Zuständigkeitsproblems. 152 Bericht von Tizzano (Fn. 7), S. 12 (Nr. 33). 153 Siehe dazu den Bericht von Tizzano (Fn. 7), S. 13 (Nr. 33). 154 Zu der Formulierung siehe die Besprechungen von Pirrung, in v. Bar, S. 67, Nr. 3 b); Jayme / Kohler, in IPRax 1995, S. 348; Kropholler, in Stoll, S. 173 und Soergel (v. Hoffmann), Art. 36, Rn. 22; sie lehnt sich an den Wortlaut des Art. 36 EGBGB an („Regelungen"). Art. 2 I Nr. 1 des deutschen Zustimmungsgesetzes zu den EVÜ-Protokollen (siehe unter d)) wiederholt diese Formulierung, verlangt jedoch, dass die zugrunde liegende Vorschrift des Übereinkommens bezeichnet wird. 149
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Was darunter zu verstehen ist, lässt sich dem Wortlaut der Bestimmungen nur schwerlich entnehmen155. Die Bedeutung der Formulierung wird durch die Erklärung der deutschen Delegation im Zusammenhang mit der von ihr vorgeschlagenen Formulierung etwas klarer 156. Demzufolge soll durch den Wortlaut klargestellt werden, dass eine Vorlagefrage sich auf eine nationale Norm beziehen kann, die mit dem Auslegungsgegenstand inhaltsgleich ist. Damit wird einer Selbstverständlichkeit Ausdruck verliehen, die sich bereits aus der Rechtsprechung des EuGH zum Vorabentscheidungsverfahren ergibt, nämlich dass Auslegungsgegenstand und anzuwendendes Recht nicht identisch sein müssen157. Der Gerichtshof entscheidet somit auch über die Auslegung des Abkommens, sofern das im konkreten Fall anzuwendende Recht dieses „umsetzt ... oder [ihm] entspricht" 158. Gleiches lässt sich der Begründung des Regierungsentwurfes zum deutschen Zustimmungsgesetz zu den EVÜ-Protokollen entnehmen, die ausdrücklich klarstellt, dass dem EuGH lediglich „Fragen zur Auslegung des Übereinkommens, nicht solche zum nationalen Recht unterbreitet werden" können159. Der Wortlaut der Artt. 2, 3 I des ersten Auslegungsprotokolls zum EVÜ hat somit lediglich deklaratorische Bedeutung. Eine Ausdehnung der Auslegungskompetenz des EuGH auf nationale Normen, die den Vorschriften des EVÜ entsprechen, könnte allein durch eine Änderung des Art. 1 des Protokolls begründet werden. Theoretisch erscheint es zwar möglich, die Auslegung von nationalem Recht mit internationalem Ursprung auf supranationale Gerichte zu übertragen, dies würde jedoch der grundlegenden Kompetenzverteilung zwi155
Wenn man den Begriff „Regelungen" formell i. S. v. „Bestimmung" oder „Vorschrift" sieht, kommt die Formulierung einer direkten Verweisung auf die Auslegungsgegenstände des Art. 1 des Protokolls gleich. Bei einem materiellen Verständnis würden alle Vorschriften darunter fallen, die dem EVÜ inhaltlich entsprechen, und damit auch die Artt. 27 - 37 EGBGB und der Art. 57 des italienischen IPRG. Richtigerweise ist wohl von letzter Ansicht auszugehen; die abweichende Formulierung vom EuGVÜ-Protokoll macht auch nur so einen Sinn. I. d. S. auch die Erklärung der deutschen Delegation im Bericht von Tizzano (nächste Fußnote) und das deutsche Zustimmungsgesetz zu den EVÜ-Protokollen (BT-Drucks. 13 / 669, S. 6 r. Sp.). 156 Siehe die Zitierung der Erklärung im Bericht von Tizzano (Fn. 7), S. 13, Nr. 33: „Bezieht sich eine Frage unmittelbar auf die Auslegung einer innerstaatlichen Vorschrift, die eine Regelung einer der in Artikel 1 genannten Übereinkünfte in nationales Recht umgesetzt hat oder ihr entspricht, so kann die mittelbar damit verbundene Frage zur Auslegung der der Vorschrift zugrundeliegenden Regelung dem
Gerichtshof vorgelegt werden. " Durch die Zitierung im Begleitbericht von Tizzano ist die Erklärung bei der Auslegung des Protokolls heranzuziehen (Artt. 31 II oder 32 WVK); zur Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) siehe § 8 II. 1., Fn. 26. 157 Siehe oben unter II. zur Rechtsprechung des EuGH. 158 Siehe zur Erklärung der deutschen Delegation in Fn. 156; ähnlich das Urteil Kleinwort-Benson unter II. 2. b), bei Fn. 56. 159 BT-Drucks. 13 / 669, S. 6 r. Sp.; zum Zustimmungsgesetz siehe Hinweis in Fn. 149.
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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sehen dem EuGH und den Gerichten der Mitgliedstaaten sowie dem funktionellen Verständnis des Vorabentscheidungsverfahrens widersprechen 160. Auch wenn das EVÜ seine Grundlage nicht in dem Art. 293 n. F. (= Art. 220 a. F.) EGV findet 161, so ist dessen Nähe zum Gemeinschaftsrecht doch offensichtlich und die Parallelität der Verfahren nach dem ersten EVÜ-Protokoll und nach Art. 234 n. F. (= Art. 177 a. F.) EGV zu bewahren162. Eine entsprechende Änderung von Art. 1 des ersten EVÜ-Protokolls scheint somit - vor allem wenn man den langen Prozess einer solchen einvernehrmlichen Vertragsänderung berücksichtigt - ausgeschlossen zu sein.
c) Die Zuständigkeit infolge der Bindungswirkung von EuGH-Entscheidungen Im Rahmen der aktuellen Rechtslage ließe sich die Zuständigkeit des EuGH für Vorlagen deutscher Gerichte zum EVÜ lediglich über die Verbindlichkeit seiner Entscheidungen bei der Anwendung der Artt. 27 - 37 EGBGB herleiten 163 . Eine solche formelle Bindungswirkung müsste durch nationales deutsches Recht begründet werden 164. Das vom Gerichtshof in der Entscheidung Kleinwort-Benson aufgestellte, jedoch im Ergebnis weniger relevante165 Kriterium der „innerstaatlichen Anwendbarmachung"166 des EVÜ erftillen die Artt. 27 - 37 EGBGB ohne Zweifel. Der Unterschied zwischen einer „unmittelbaren und unbedingten Verweisung" i. S. d. Entscheidung Kleinwort-Benson167 und einer wörtlichen Übernahme von Gemeinschaftsrecht in nationales Recht ist rein gesetzestechnischer Natur 168. Ausgangspunkt der Verbindlichkeitsprüfung ist Art. 36 EGBGB, der den Art. 18 EVÜ mit partiellen Abweichungen in deutsches Recht umsetzt. Auch 160
Siehe dazu II. 1. b) und Zusammenfassung unter II. 4. Siehe I. 1. 162 Siehe I. 2. und II., bei Fn. 23. 163 Siehe unter II. zur Rechtsprechung des EuGH (Zusammenfassung in II. 4.). 164 Siehe II. 2. b), bei Fn. 66 und II. 3. a), bei Fn. 90. 165 Siehe II. 2. c) zu den Folgeentscheidungen Leur-Bleom und Giloy und Zusammenfassung in II. 4. 166 Siehe II. 2. b), Fn. 58 zur Entscheidung Kleinwort-Benson. 167 Siehe II. 2. b), bei Fn. 56. 168 Siehe dazu den Bericht von Giuliano / Lagarde zur Umsetzung des EVÜ unter III. 1., in Fn. 125 und die Zusammenfassung in II. 4., bei Fn. 117\\. d. S. auch Kohler, in ZEuP 1996, S. 452 (455). Siehe auch allgemein unter § 10 I. 3. und 4. zu den sog. Hinweis- und Kopiermethoden bei der Inkorporation von staatsvertraglichem Recht. 161
486
Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
die deutsche Literatur bezieht sich sowohl bei der Verneinung 169 der Bindungswirkung als auch bei deren Bejahung 170 zumeist auf Art. 36 EGBGB. Die ζ. T. unterschiedliche Formulierung der Vorschriften 171 ändern nichts daran, dass sie im selben Sinne zu verstehen sind 172 . Trotz ihres zurückhaltenden Wortlautes (Art. 18 EVÜ [„Wunsch"], Art. 36 EGBGB [„berücksichtigen"] 173 ) weisen die Bestimmungen auf die völkerrechtliche Verpflichtung hin, Staatsverträge einheitlich auszulegen174. Die Vorschriften stellen deklaratorisch klar, dass diese Verpflichtung nach dem Willen der Vertragsstaaten (und im Falle des Art. 36 EGBGB des deutschen Gesetzgebers) zum Bestandteil des nationalen Rechts werden soll. Bei einem Fehlen dieser Normen könnte dasselbe bereits konklu-
169
Köhler, in EuR 1984, S. 155 - 173 (168 - 170); ders. in Jayme / Kohler, in IPRax
1989, S. 343 (siehe aber differenzierend unter Fn. 179); Ebke, in v. Bar, S. 91; Holl, in IPRax 1996, S. 176 und Kropholler, IntEinhR, S. 281. 170 Soergel (v. Hoffmann ), Art. 36, Rn. 23 (sinngemäß aus Art. 36 EGBGB; i. W. siehe in Fn. 182); Junker, in RabelsZ 1991, S. 674 (695); Pirrung, in v. Bar, S. 54 (kaum über Art. 36 EGBGB hinausgehende Bindung) und MüKo (Martiny), Art. 36, Rn. 29 (Bindungswirkung jedoch primär wegen des deutschen Beitritts zu den Auslegungsprotokollen). Auch die Erklärung der deutschen Delegation zu den EVÜProtokollen (siehe b), Fn. 156) und die Begründung des deutschen Zustimmungsgesetzes zu denselben (BT-Drucks. 13 / 669, S. 6) haben auf Art. 36 EGBGB verwiesen. 171 Art. 36 EGBGB spricht nur von einem „berücksichtigen" der einheitlichen Auslegung, während gemäß Art. 18 EVÜ derselben „Rechnung zu tragen ist"; andererseits verleiht Art. 18 EVÜ lediglich dem „Wunsch" nach einer einheitlichen Auslegung Ausdruck. Art. 18 EVÜ orientiert sich an Art. 7 I CISG (siehe Reithmann / Martiny (Martiny), Rn. 16); zu Art. 7 I CISG s. a. § 18 I. 1., bei Fn. 6). Der Regierungsentwurf zur IPR-Reform hatte ursprünglich die Formulierung des Art. 18 EVÜ wortgetreu übernommen (zur Entstehungsgeschichte des Art. 36 EGBGB siehe Staudinger (Reinhart), 12. Auflage, Art. 36, Rn. 23 - 26). Im Anschluss an die umfangreiche Kritik an der praktizierten Kopiermethode (siehe unter 1., Fn. 129) entschied sich der Rechtsausschuss des Bundestages letztendlich für eine aus seiner Sicht strengere Version der Vorschrift (siehe nächste Fußnote). Eine Gegenüberstellung der Entwürfe findet sich in Pirrung, Internationales Privat- und Verfahrensrecht nach dem Inkrafttreten der Neuregelung des IPR, Köln, Bundesanzeiger 1987, S. 49 f. 172 1, d. S. auch Sandrock, in RIW 1986, S. 844 und im Anschluss an diesen MüKo (Martiny), Art. 36, Rn. 7, die davon ausgehen, dass in Art. 36 EGBGB das schwächere „berücksichtigen" durch das stärkere „sollen" kompensiert wird und die Vorschrift insofern im Ergebnis dem Art. 18 EVÜ entspricht. Der Rechtsausschuss des Bundestages (BT-Drucks. 10 / 5632, S. 38 r. Sp. unter Nr. 1) war hingegen der Meinung, dass durch das Gebot in Art. 36 EGBGB („soll") die Verpflichtung zur einheitlichen Auslegung stärker ausgeprägt wird als in Art. 18 EVÜ („Wunsch"); ebenso Staudinger (Reinhart), 12. Auflage, Art. 36, Rn. 27, 43 - 49 und Soergel (v. Hoffmann), Art. 36, Rn. 2. Zu den Formulierungen siehe vorige Fußnote. 173 Zu den Wortlauten siehe Fn. 171. Auch das in der Rechtssache Kleinwort-Benson zur Anwendung gekommene Gesetz sprach lediglich von einer Pflicht zur Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung (siehe II. 2. b), Fn. 65). 174 Staudinger (Reinhart), 12. Auflage, Art. 36, Rn. 27 ist hingegen der Ansicht, dass Art. 36 EGBGB über die völkerrechtliche Verpflichtung zur Umsetzung des EVÜ hinausgeht.
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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dent aus dem Abschluss des Römischen Abkommens abgeleitet werden175. Die abweichenden Formulierungen der beiden Vorschriften sollten insofern im Ergebnis außer Acht gelassen werden. Im Rahmen dieser einheitlichen Auslegung kommt der Rechtsprechung des EuGH als einziger supranationaler Quelle zwar eine zentrale Bedeutung zu, neben ihr stehen dem Rechtsanwender jedoch auch andere Auslegungsmaterialien zur Verfugung (Begleitbericht zum EVÜ, Gerichtsentscheidungen in anderen Vertragsstaaten usw.). Es dürfte zwar nach Inkrafttreten der EVÜ-Protokolle für deutsche Gerichte schwer zu begründen sein, warum sie im Rahmen des Art. 36 EGBGB von einer Rechtsprechung des EuGH abweichen, eine formelle Bindung an EuGH-Urteile lässt sich jedoch aus der Vorschrift selbst nicht ableiten176. Die Vorschrift kann höchstens als Indiz fiir einen entsprechenden, später konkret zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Willen dienen177. Eine Verbindlichkeit zukünftiger EuGH-Urteile für deutsche Gerichte im Rahmen der Artt. 27 - 37 EGBGB lässt sich somit lediglich konkludent aus dem Gesamtzusammenhang des gesetzgeberischen Handelns in Kenntnis der Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens ableiten. Aus dem Verhalten der deutschen Delegation beim Abschluss der EVÜ-Protokolle178 und vor allem aus dem deutschen Zustimmungsgesetz zu denselben ist zu folgern, dass Deutschland sich an eine zukünftige EuGH-Rechtsprechung binden will 1 7 9 . Der deutsche Gesetzgeber hat sich durch sein Zustimmungsgesetz der verbindlichen Rechtsprechung des EuGH unterworfen. Diese „Selbstverpflichtung" erstreckt sich in jedem Fall auf die Artt. 27 - 37 EGBGB im Rahmen des originären Anwendungsbereiches des EVÜ; ob sie noch weiter geht, soll an späterer Stelle geklärt werden180. 175 Siehe allgemein unter § 18 I. 1., bei Fn. 5 zur autonomen Auslegung von Staatsverträgen. 176 I. d. S. die Stimmen in Fn. 169. 177 Siehe dazu im Folgenden bei Fn. 179; zu einer ähnlichen Wirkung des Art. 2 II IPRG im italienischen IPRG siehe unter IV. 2. 178 Siehe unter b) zum Wortlaut des ersten Auslegungsprotokolls auf Antrag der deutschen Delegation. 179 Ähnlich Nolte , in IPRax 1985, S. 76 mit Hinweis auf eine ähnliche Verfahrensweise beim Benelux-Gerichtshof; ebenso MüKo (Martiny), Art. 36, Rn. 29, der im Ergebnis davon spricht, dass „diese Bindungswirkung... sich gegen die Bestimmung des Art. 1 Abs. 2 EVU-Zustimmungsgesetz durchsetzt] 44. Auch Jayme / Kohler, in IPRax 1995, S. 348 weisen daraufhin, dass der deutsche Gesetzgeber durch Art. 36 EGBGB und das Zustimmungsgesetz der „EuGH-Rechtsprechung eine Art ΒindungsWirkung beilegen wollte44, sie zweifeln jedoch in Anbetracht der Kleinwort-Benson-Entscheidung (siehe II. 2. b)) an der Anerkennung solcher „Reparaturversuche 44 durch den EuGH. 180 Siehe unten unter 4.
488
Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Dies wird auch durch die Art und Weise der deutschen EVÜ-Umsetzung nicht verhindert. Aus der Erklärung der deutschen Delegation i. R. d. EVÜBeratungen und der Annahme der von deutscher Seite vorgeschlagenen Formulierung 181 der Art. 2, 3 I des ersten Protokolls lässt sich schließen, dass die deutsche Umsetzung des EVÜ von den anderen Mitgliedsstaaten endgültig als vertragsgemäß akzeptiert wird. Wenn diese Praxis jedoch als völkerrechtskonform anzusehen ist, kann sie nicht fiir sich zur Unzuständigkeit des EuGH im Falle des Inkrafttretens der Protokolle führen 182. In jedem Fall ist davon auszugehen und zu hoffen, dass der EuGH nach Inkrafttreten der EVÜ-Protokolle von einer Verbindlichkeit seiner Urteile fiir deutsche Gerichte nach nationalem Recht ausgeht und insofern im Anschluss an seine Rechtsprechung Vorlagefragen von deutschen Gerichten zur Auslegung des EVÜ annehmen wird. Zu bedauern ist jedoch nach wie vor, dass durch die gegebene Rechtslage eine EuGH-Zuständigkeit weiterhin umstritten bleibt. Nachdem seit Inkrafttreten des EVÜ kein Bedarf mehr besteht, die Inkorporation der Artt. 27 - 37 EGBGB anders zu behandeln als die der Artt. 18, 26 EGBGB183, wäre insofern eine Streichung des Art. 1 II des deutschen Zustimmungsgesetzes zum EVÜ 184 zumindest aus Klarstellungsgründen zu begrüßen.
d) Das deutsche Zustimmungsgesetz zu den EVÜ-Protokollen In Art. 2 des deutschen Zustimmungsgesetzes zu den EVÜ-Protokollen185 werden die deutschen Gerichte bei einer Vorlage an den EuGH verpflichtet, die ,Auslegungsfrage darzulegen" und die auszulegende EVÜ-Norm zu bezeichnen. Im Rahmen der auszulegenden Vorschriften wird differenziert zwischen den Regelungen des EVÜ, die in das EGBGB eingegangen sind (Art. 2 I Nr. 1) und den sonstigen Vorschriften, die nach Art. 1 des ersten EVÜ-Protokolls vorlagefähig sind (Art. 2 I Nr. 2). Bei der Formulierung des Art. 2 I Nr. 1 hat der deutsche Gesetzgeber Krophollers Vorschlag186 aufgegriffen und - abweichend von Art. 2 Satz 1 des 181
Siehe oben unter b). Soergel (v. Hoffmann), Art. 36, Rn. 23 schließt schon aus der übereinkommenskonformen Umsetzung des EVÜ auf die Bindungswirkung einer EuGH-Auslegung, leitet sie jedoch im Übrigen sinngemäß aus Art. 36 EGBGB ab (s. o. in Fn. 170). 183 Zu den Artt. 18, 26 EGBGB s. a. 3. a), in Fn. 145 zur Diskussion über den Vorrang der Staatsverträge. 184 Siehe dazu oben unter a). 185 Zur Quelle siehe. I. 1., Fn. 2. 186 Kropholler, in Stoll, S. 174. 182
§19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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Zustimmungsgesetzes zum EuGVÜ-Protokoll 187 - die Formulierung des Art. 2 des ersten EVÜ-Protokolls übernommen 188 . Art. 2 I Nr. 2 des Vertragsgesetzes bezieht sich auf die Vorschriften des EVÜ, deren Regelungen nicht in das EGBGB übernommen wurden sowie auf die Auslegung der Beitrittsabkommen zum EVÜ und das erste Auslegungsprotokoll selbst (Art. 1 b), c) erstes EVÜ-Prot.). Im Hinblick auf die Vorschriften des Abkommens ist Nr. 2 von Art. 2 I des Zustimmungsgesetzes nur für den Art. 1 II a), b), d), g), h) EVÜ von Relevanz 189 , dessen Regelungen nicht in den Art. 37 EGBGB übernommen worden sind 190 . Durch die Bestimmung des Art. 2 I Nr. 2 des Vertragsgesetzes will der Gesetzgeber offensichtlich zum Ausdruck bringen, dass er sich auch bei der Auslegung der genannten Ausschlusstatbestände an die Rechtsprechung des EuGH gebunden fühlt 1 9 1 .
Der Regierungsentwurf bezieht sich in seiner Begründung ausdrücklich auf den Vorschlag Kropholler s (BT-Drucks. 13 / 669, S. 6). Kropholler hat darüber hinaus auch eine Ergänzung des Art. 36 EGBGB in Erwägung gezogen (S. 175), um die Vorlagemöglichkeit deutscher Gerichte klarzustellen (Art. 36 II EGBGB: „Auslegungsfragen, die sich auf die in diesem Übereinkommen enthaltenen Regelungen beziehen, können dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Maßgabe des Ersten Auslegungs-
protokolls vom 19. 12.1988 vorgelegt werden. "). Dieser Vorschlag fand in der Literatur ζ. T. Zustimmung (Junker, in RabelsZ 1991, S. 674 (695); Soergel (v. Hoffmann), Art. 36, Rn. 23 [zusätzliche Klarstellung der Bindungswirkung] und Staudinger (Reinhart), 12. Auflage, Art. 36, Rn. 79). Eine derartige Erweiterung des Art. 36 EGBGB kommt jedoch - wie Kropholler richtigerweise bemerkt hat - bei der aktuellen Rechtslage nicht in Betracht, da mangels Inkrafttretens der EVÜ-Protokolle (siehe L I . ) noch keine EuGH-Zuständigkeit im Hinblick auf das EVÜ besteht. 187 BGBl. 1972 II, S. 845. 188
Art. 2 I Nr. 1 Zustimmungsgesetz: „ ... Frage eine Regelung betrifft, die in einem Übereinkommen nach Artikel 1 des Ersten Protokolls enthalten ... ." Zum Wortlaut des
EVÜ-Protokolls siehe b), bei Fn. 154. 189 Die übrigen Vorschriften des EVÜ, die nicht in das EGBGB übernommen worden sind (siehe dazu BT-Drucks. 13 / 669, S. 7 - Anhang zur tabellarischen Übersicht [Fn. 193]), sind entweder i. R. d. des EGBGB überflüssig (Art. 2 EVÜ zur allseitigen Wirkung), betreffen einen von Deutschland erhobenen Vorbehalt (Artt. 7 I, 22 I a) EVÜ), den zeitlichen Anwendungsbereich (Art. 17 EVÜ; siehe hingegen zum deutschen IPR Art. 220 I EGBGB) oder einen für Deutschland zum Zeitpunkt der Übernahme des EVÜ irrelevanten Sachverhalt (Art. 19 II EVÜ rein interlokalen Konflikten - siehe dazu MüKo (Martiny), Art. 35, Rn. 17). 190 Zu den Vorschriften siehe i. E. unter § 14 III.2 . 191 Soergel (v. Hoffmann), Art. 37, Rn. 8 geht im Zusammenhang mit Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 1 II d) EVÜ) ohnehin davon aus, dass die Ausschlusstatbestände des Art. 1 II EVÜ aufgrund der einheitlichen Auslegung des Abkommens (Art. 36 EGBGB) auch in Art. 37 EGBGB enthalten sind; die Artt. 27 - 37 EGBGB kommen nach seiner Ansicht jedoch analog zur Anwendung. Schack, IZPR, S. 173 will demgegenüber die Artt. 27 - 36 EGBGB bei Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen direkt anwenden. Die h. M. spricht sich für eine analoge Anwendung der EGBGB-Vorschriften aus; siehe dazu § 14 III. 2. d), Fn. 87 und hier unter 4. b).
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Neben der Formulierung des Art. 2 I Nr. 1 wurde auch die Anregung Krophollers 192 umgesetzt, eine Gegenüberstellung der EVÜ- und EGBGBBestimmungen für die Praxis zu entwerfen, um den Gerichten die Angabe der den EGBGB-Vorschriften zugrunde liegenden Normen des EVÜ sowie den Vergleich der Bestimmungen zu erleichtern 193. Der Gesetzgeber stellte im Rahmen seiner Kommentierung zu dem Vertragsgesetz auch klar, wann eine Vorlage unzulässig sei, obwohl die auslegungsbedürftigen Bestimmungen des EGBGB aus dem EVÜ stammen194. Darauf soll im Folgenden detaillierter eingegangen werden.
4. Die Auslegungszuständigkeit des EuGH für aus den Artt. 27 - 37 EGBGB ausgegliederte Regelungen des EVÜ und die Fälle der analogen Anwendung der Artt. 27-37 EGBGB
a) Die ausgegliederten Regelungen des EVÜ Aus vereinzelten Vorschriften des EVÜ, die allgemeine Fragen des IPR regeln, hat der deutsche Gesetzgeber bei der Ausarbeitung seiner IPR-Reform von 1986195 allgemeingültige Normen entwickelt. Da es sich dabei um Bestimmungen handelt, die zumeist generell anerkannte Grundsätze des IPR normieren, ist es im Einzelnen nicht eindeutig nachvollziehbar, inwieweit der Gesetzgeber hierbei Vorschriften des EVÜ umgesetzt hat oder sich lediglich neben anderen Rechtsquellen auch durch das Abkommen inspirieren ließ. Dies lässt sich am ehesten anhand des Gesetzesmaterials zur IPR-Reform nachvollziehen. Für die Anwendung der allgemeinen Vorschriften des EGBGB ist die Frage des Ursprungs der Normen zwar irrelevant, für ihr Auslegung und eine entsprechende Kompetenz des EuGH für die Zukunft ist sie jedoch von Bedeutung. Der Wortlaut des Art. 36 EGBGB („ ... für vertragliche Schuldverhältnisse geltenden Vorschriften dieses Kapitels [= Artt. 3 - 38]...") macht deutlich, dass sich das Gebot der einheitlichen Auslegung auch auf die Vorschriften des EGBGB bezieht, die im ersten (Artt. 3 - 6 EGBGB) und zweiten (Artt. 7 - 1 2 EGBGB) Abschnitt des zweiten Kapitels des Gesetzes Regelungen des EVÜ „vor die Klammer ziehen". Dies wird auch in der Literatur allgemein
192
Kropholler, in Stoll, S. 174 f. und ebenso Pirrung, in v. Bar, S. 68. BT-Drucks. 13 / 669, S. 7 mit tabellarischer Übersicht der EGBGB- und EVÜVorschriften. 194 BT-Drucks. 13 / 669, S. 6; im Einzelnen dazu siehe unten d). 195 Siehe 1., Fn. 119. 193
§19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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erkannt 196. Um welche Vorschriften es sich dabei im Einzelnen handelt, ist jedoch nicht eindeutig zu bestimmen. Als Grundlage kann dabei die Begründung zum EGBGB dienen197, die allerdings auch nicht zu einer endgültigen Aufklärung beitragen kann. Allgemein anerkannt wird lediglich, dass die Vorschriften der Artt. 3 I S. 1, 6 S. 1, 11 I - IV 1 9 8 und 12 S. 1 EGBGB auf EVÜNormen zurückzuführen sind199. Eine gemeinschaftsrechtliche Auslegung dieser Vorschriften kann jedoch nur dann erfolgen, wenn diese Bestimmungen im Rahmen des Vertragsrechts zur Anwendung kommen200. Dies lässt sich audi der erwähnten Formulierung des Art. 36 EGBGB entnehmen201 und kann theoretisch dazu führen, dass die Normen unterschiedlich auszulegen sind, je nachdem in welchem Zusammenhang sie angewendet werden. Aufgrund der allgemeinen Grundsätze, die diese Vorschriften enthalten, ist es in der Praxis allerdings schwerlich vorstellbar, dass es dabei zu wesentlichen Abweichungen im Verständnis der Normen kommt. Da die Zuständigkeit des EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens eine Verbindlichkeit seiner Auslegung für das im Ausgangsrechtsstreit 196 Siehr, in BerDGesVölkR, Heft 27 (1986), S. 125; MüKo (.Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 254; MüKo (Martiny), Art. 36, Rn. 10 und Soergel (v. Hoffmann), Art. 36, Rn. 3. 197 BT-Drucks. 10 / 504, S. 35 f. (Art 3 l II EGBGB gemäß Artt. 1 I [Art. 3 I 1], 15 [Art. 3 12], 20 [Art. 3 II 2] und 21 [Art. 3 II 1] EVÜ), S. 39 (zu Art. 4 III EGBGB siehe in Fn. 199), S. 42 f. (Art. 6 S. 1 EGBGB wurde zwar mit Hinweis auf zahlreiche nationale und internationale Vorschriften als „fester Bestandteil der völkervertraglichen Praxis" bezeichnet [s. a. unter § 11 II. 2. e) bb), Fn. 128], die konkrete Formulierung der ordre-public-Vorschrift wurde jedoch an Art. 16 EVÜ angelehnt), S. 48 f. (auch durch Art. 11 EGBGB sollte eine „weit verbreitete Regelung" in das EGBGB übernommen werden; angeknüpft wurde jedoch hauptsächlich an Art. 9 EVÜ, was sich insbesondere an der Kommentierung zu Art. 11 V EGBGB zeigt, der ergänzend zu den EVÜ-Regelungen ein „dingliches Formstatut" begründet), S. 50 (Art. 12 1 1 EGBGB soll die Bestimmung des Art. 11 EVÜ übernehmen). 198 MüKo (Martiny), Art. 36, Rn. 10 und Soergel (v. Hoffmann), Art. 36, Rn. 3 vertreten die Ansicht, dass nur die Absätze II - IV des Art. 11 EGBGB auf dem EVÜ beruhen. Die Anknüpfungen des Art. 9 I EVÜ finden sich jedoch exakt in Art. 11 I EGBGB wieder, der diese lediglich über das Vertragsrecht hinaus verallgemeinert. Dies geht auch aus der Gegenüberstellung der EGBGB- und EVÜ-Vorschriften im Vertragsgesetz zu den EVÜ-Protokollen (Fn. 193) hervor. Zu Art. 11 V EGBGB siehe vorige
Fußnote. 199 MüKo {Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 254 sieht auch in Art. 4 III EGBGB eine auf das EVÜ zurückgehende Vorschrift. Die Bestimmung steht jedoch gerade im Gegensatz zu Art. 19 EVÜ und knüpft vielmehr an die Regelungen der Art. 14 MSA, Art. 1 II TestFÜbk. und Art. 16 USTA an (s. & unter § 11 II. 2. e) aa), bei Fn. 125). Art. 19 EVÜ wurde hingegen durch Art. 35 II EGBGB umgesetzt. 200 E. M.: MüKo (Martiny), Art. 36, Rn. 10; MüKo (Sonnenberger), Einl. IPR,
Rn. 254 und Sandrock, in RIW 1986, S. 844.
201 Außerhalb des Vertragsrechts können EuGH-Urteile lediglich als „allgemeine Rechtsquelle" herangezogen werden.
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
anzuwendende Recht erfordert 202 und sich diese im deutschen internationalen Vertragsrecht vor allem aus dem deutschen Zustimmungsgesetz zu den EVÜProtokollen ergibt 203, ist zur Prüfung der EuGH-Kompetenz das entsprechende Vertragsgesetz heranzuziehen. Nachdem dieses bei der Gegenüberstellung der EGBGB- und EVÜ-Vorschriften 204, durch die „die Suche nach der im Vorlagebeschluss zu bezeichnenden Vorschrift ... erleichert werden" 205 soll, auch Normen des allgemeinen Teils im EGBGB anführt (Artt. 3 I 1, II, 6, 11 I - IV, 12 EGBGB), ist davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber gerade für diese Bestimmungen eine Verbindlichkeit der EuGH-Entscheidungen begründen will. Entgegen seiner Begründung zum Entwurf des EGBGB206 nimmt der Gesetzgeber dabei richtigerweise die Vorschrift des Art. 3 I 2 EGBGB von seiner Auflistung aus207. Die Bestimmung stellt in keinster Weise eine „Umsetzung" des Art. 15 EVÜ dar. Während Art. 15 EVÜ im Anschluss an die übliche Praxis bei Staatsverträgen208 klarstellt, dass es sich bei den Kollisionsnormen des EVÜ um Sachnormverweisungen handelt, liefert Art. 3 I 2 EGBGB eine allgemeingültige Legaldefinition der Sachnormverweisung, ohne eigenen Regelungsinhalt. Eine Umsetzung des Art. 15 EVÜ erfolgt vielmehr durch Art. 35 I EGBGB. Als nicht ganz korrekt erweist sich die gesetzgeberische Gegenüberstellung bei Art. 6 EGBGB (ordre public), da sie die Vorschrift in ihrer Gesamtheit anführt. Hierbei kann nur der Satz 1 des Art. 6 EGBGB gemeint sein209, da der EuGH mit Sicherheit keine Auslegung des Grundrechtsbegriffs in Art. 6 S. 2 EGBGB liefern kann. In der Sache enthält der Satz 2 des Art. 6 EGBGB jedoch nur eine Präzisierung des allgemeinen ordre public.
b) Die analoge Anwendung der Artt. 27 - 37 EGBGB Vereinzelte Materien, die gemäß Art. 1 II EVÜ vom Anwendungsbereich des Römischen Übereinkommens ausgenommen wurden, unterliegen trotz die202
Siehe II. mit Zusammenfassung unter II. 4. Siehe oben unter 3. c). 204 Siehe 3. d), Fn. 193. 205 BT-Drucks. 13 / 669, S. 6 Ende. 206 Siehe in Fn. 197. 207 BT-Drucks. 13 / 669, S. 7 (tabellarische Übersicht); der Vollständigkeit halber wird jedoch Art. 3 I 2 EGBGB (ebenso wie Art. 6 S. 2 EGBGB) i. R d. anschließenden Wortlautgegenüberstellung erwähnt. 208 Siehe § 11 II. 2. e) aa), Fn. 118. 209 Siehe auch Fn. 197 zur Begründung des EGBGB. 203
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
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ses Ausschlusses zumindest partiell dem Vertragsrecht 210. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Art. 37 EGBGB i. S. d. Art. 1 II EVÜ zu interpretieren ist und die in der nationalen Vorschrift fehlenden Ausschlusstatbestände des Staatsvertrages in Art. 37 EGBGB hineinzulesen sind211, schließt dies nicht eine analoge Anwendung der Artt. 27 - 36 EGBGB aus, sofern infolge der „staatsvertraglichen Auslegung" des Art. 37 EGBGB Regelungslücken entstehen212. Die schuldvertraglichen Vorschriften des EGBGB enthalten autonome nationale Bestimmungen zum internationalen Vertragsrecht, die trotz ihres Ursprungs im EVÜ allgemein und umfassend das Vertragsstatut nach deutschem IPR regeln. Im deutschen Recht finden die Artt. 27 - 35 EGBGB somit für Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen (Art. 1 II d) EVÜ) 213 und ζ. T. für „trusts" (Art. 1 II g) EVÜ) 214 zumindest analoge Anwendung. Insofern zeigt sich auch an dieser Stelle die Parallelität dieses deutschen Auslegungsproblems mit den Fragestellungen im Rahmen des Art. 57 IPRG215. Wie bei den ausgegliederten Regelungen des EVÜ 216 so ist auch hier bei der Prüfung der EuGH-Zuständigkeit die Verbindlichkeit einer begehrten Auslegung zu untersuchen. Dem Grunde nach muss für eine analoge Anwendung der Artt. 27 - 35 EGBGB dasselbe gelten wie für den ausdrücklichen Anwendungsbereich der Vorschriften 217. Dies gilt insbesondere, weil im Einzelfall nicht abschließend zu klären ist, ob die Anwendung der Vorschriften direkt oder analog erfolgt 218. Die Begründung zum deutschen Zustimmungsgesetz für die EVÜ-Protokolle führt hingegen aus, „daß Auslegungsfragen nur im - gegenüber dem EGBGB teilweise engeren - Anwendungs- bzw. Geltungsbereich des Schuldvertragsübereinkommens nach seinen Artikeln 1, 22, 29 vorgelegt werden dürfen" 219. Aus der Erwähnung des Art. 1 EVÜ könnte die Absicht abgeleitet werden, dass 210
Siehe auch unter § 14 III. 2. Siehe dazu 3. d),Fn. 191. 212 MüKo (Martiny), Art. 37, Rn. 6, 7; MüKo (Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 256; v. Bar, in FS W. Lorenz, S. 275 und Mankowski, Zur Analogie im internationalen Schuldvertragsrecht, in IPRax 1991, S. 305 (312). 213 Siehe dazu § 14 III. 2. d), Fn. 87 und hier unter 3. d), Fn. 191. 214 Siehe dazu § 14 III. 2. g), Fn. 108. 215 Siehe § 14 III. 2. d), g) zur Erweiterung des EVÜ-Anwendungsbereiches durch Art. 57 IPRG auf Gerichtsstand- und Schiedsvereinbarungen und auf „trusts" (Zusammenfassung unter § 14 V.); zur Parallelität der Fragestellungen siehe I. 3. (Problemstellungen) und IV. (IPRG). 216 Siehe 4. a). 217 Siehe 3. c). 218 Siehe Hinweis in Fn. 213 zu Schieds- und Gerichtsstandvereinbarungen. 219 BT-Drucks. 13 / 669, S. 6 r. Sp. 211
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
sich der deutsche Gesetzgeber für den Bereich der analogen Anwendung der Artt. 27 - 35 EGBGB nicht der Rechtsprechung des EuGH unterwerfen will. Dieses Ergebnis wäre jedoch in höchstem Maße unbefriedigend und würde die Bemühungen des Gesetzgebers für eine einheitliche Auslegung der Vorschriften 220 konterkarieren. Zudem spricht die Erläuterung zum Gesetz dafür, dass die Verfasser des Gesetzesentwurfes lediglich davon ausgegangen sind, dass der EuGH ein entsprechendes Auslegungsersuchen ablehnen würde („vorgelegt werden dürfen"). Dem ist in der Sache unbedingt zu widersprechen. Durch die Anwendung der Artt. 27-35 EGBGB fiir Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen bzw. „trusts" ist das staatsvertragliche Recht über seinen originären Anwendungsbereich hinaus zumindest mittelbar anwendbar gemacht worden, wie es der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung gefordert hat 221 . Gegen die vom EuGH fiir erforderlich gehaltene Bindungswirkung einer möglichen Entscheidung spricht höchstens der zitierte - jedoch sehr interpretationsfähige - Bericht zum deutschen Vertragsgesetz. Dem gegenüber steht das stetige Bemühen der deutschen Vertreter, eine umfassende Zuständigkeit des Gerichtshofes für die Auslegung des EVÜ zu begründen. Insofern kann nicht angenommen werden, dass die Vorlage deutscher Gerichte in diesem Bereich als missbräuchlich eingestuft werden kann222. Im Ergebnis ist an dieser Stelle zu hoffen, dass der EuGH auch bei einer analogen Anwendung des deutschen internationalen Vertragsrechts im Ausgangsfall eine Vorlage deutscher Gerichte zur Auslegung des EVÜ zulassen wird. Die Voraussetzungen dazu dürften nach dem Gesamtkontext zum EVÜ, seinen Protokollen und dem Willen des deutschen Gesetzgebers vorliegen.
5. Die Rechtslage nach Umwandlung des EVÜ in ein Gemeinschaftsinstrument
Nach der geplanten Umwandlung des EVÜ in ein Gemeinschaftsinstrument, ist der EuGH nach Maßgabe der Artt. 68 I, 234 EGV für die Auslegung von dessen Vorschriften zuständig. Dies gilt nur fiir Verträge, die ab Inkrafttreten des neuen Rechtsaktes geschlossen werden.223 Diese Auslegungskompetenz ist unproblematisch, soweit die Regelungen des neuen Rechtsaktes unmittelbar
220 Siehe 3. b) zur Formulierung des ersten Auslegungsprotokolls auf Antrag der deutschen Delegation. 221 Siehe II. 2. c), Fn. 80 zu den Entscheidungen Leur-Bloem und Giloy und II. 2. b), Fn. 58 zur Entscheidung Kleinwort-Benson. 222 Siehe dazu allgemein unter II. 1. b) und die Zusammenfassung der EuGH-Rechtsprechung unter II. 4., bei Fn. 110. 223 Siehe III. 2. am Ende.
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
495
Anwendung finden. Die oben unter 3. geführte Diskussion wird für diese Verträge hinfällig. Ob und inwieweit dies auch für die - oben unter 4. behandelten - ursprünglich ausgegliederten Regelungen des EVÜ und für die Fälle, in denen bisher von einer analogen Anwendung der Regelungen ausgegangen wird, gilt, bleibt abzuwarten. Die Umwandlung des EVÜ wird vermutlich mittels einer Verordnung erfolgen 224, die unmittelbar gilt und - im Gegensatz zu einer Richtlinie vom deutschen Gesetzgeber nicht mehr in deutsches Recht umgesetzt werden muss (Art. 249 EGV). Der Gesetzgeber wird also diese Fragen nicht durch den Umsetzungsakt klären können. Die ursprünglich ausgegliederten Regelungen des EVÜ betreffen allgemeine und nicht für das Vertragsrecht spezifische Grundsätze des IPR 225 . Wird das EVÜ in eine Verordnung umgewandelt, wird die Verordnung vermutlich für den Bereich des Vertragsrecht diese allgemeinen Regelungen weiterhin enthalten. Im Anwendungsbereich der Verordnung - also im Vertragsrecht - unterliegen diese Vorschriften dann unproblematisch der Auslegungskompetenz des EuGH. Die entsprechenden Regelungen der Artt. 3 - 1 2 EGBGB finden dann fiir das Vertragsrecht keine Anwendung mehr; deren Auslegung kann deshalb nicht durch den EuGH erfolgen. Im Ergebnis gelangt man damit zur selben Rechtslage wie vor der Umwandlung des EVÜ. Nur wenn die allgemeinen Regelungen im Rahmen des Vertragsrechts zur Anwendung kommen, ist der EuGH für deren Auslegung zuständig226. Inwieweit deutsche Gerichte diese Auslegung auch für die Artt. 3 - 1 2 EGBGB heranziehen werden, bleibt abzuwarten. Schwieriger zu lösen werden die Fälle sein, in denen bisher im deutschen Recht die Regelungen des EVÜ - also die Artt. 27 - 37 EGBGB - analog angewendet werden. Sollten die Artt. 27 - 37 EGBGB nach Umwandlung des EVÜ in eine Verordnung ersatzlos gestrichen werden, müsste zuerst geklärt werden, welche Vorschriften für diese Fälle Anwendung finden. Auch diese Frage könnte durch eine analoge Anwendung der Verordnung gelöst werden. Sollte diese Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften durch einen Rechtsakt des deutschen Gesetzgebers herbeigeführt werden, wären diese Vorschriften audi für diese Fällen innerstaatlich anwendbar im Sinne der EuGH-Rechtsprechung. Es wäre zu wünschen, dass der deutsche Gesetzgeber dann auch klarstellt, dass er sich insoweit auch an diese Rechtssprechung gebunden fühlt. Der Auslegungskompetenz des EuGH wäre dann gegeben. Sollte hingegen die analoge Anwendung der Verordnung - wie bisher im Rah224 225 226
Siehe § 19 I. 1., Fn. 9. Siehe 4. a). Siehe zur bisherigen Rechtslage 4. a), Fn. 200.
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
men des EVÜ - nur von der Rechtsprechung oder gar nur von der Literatur „herbeigeführt" werden, wäre eine Verbindlichkeit der EuGH-Rechtsprechung für diese Fälle weiterhin fraglich. Es wäre daher wünschenswert, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Umwandlung des EVÜ in einen Gemeinschaftsrechtsakt durch einen eigenen Rechtsakt oder eine Stellungnahme deutlich macht, dass die EuGH-Rechtsprechung auch für diese Fälle verbindlich sein soll.
IV. Die Auslegungskompetenz des EuGH bei der Anwendung von Art. 3 II 1 IPRG und Art. 57 IPRG Wie bereits ausführlich dargelegt227, führen die Artt. 3 II 1 und 57 IPRG zu einer gegenüber dem originären Anwendungsbereich der Abkommen erweiterten innerstaatlichen Anwendung der EuGVO und des EVÜ für Italien. Die Frage der Auslegungskompetenz des EuGH für den Fall, dass die Regelungen der Staatsverträge insoweit kraft konstitutivem nationalen IPR zur Anwendung kommen, ähnelt der Problemstellung des deutschen IPR im Zusammenhang mit der analogen Anwendung der Artt. 27 - 36 EGBGB228. Im Hinblick auf das EVÜ wird sich im italienischen IPR durch die geplante Umwandlung des Abkommens in ein Gemeinschaftsinstrument bei dieser Frage nichts ändern229. Demgegenüber ist die Auslegungskompetenz des EuGH bei Vorschriften des IPRG, die sich lediglich an die Parallelbestimmungen der EuGVO anlehnen230, unproblematisch zu verneinen. In diesen Fällen würde eine Interpretation der EuGVO-Bestimmungen durch den Gerichtshof nämlich keine Bindung für die Auslegung des nationalen Rechtes entfalten 231.
227 Siehe § 16 IL 4. b) (Art. 3 II 1 IPRG) bzw. § 14 III. mit einer Zusammenfassung unter V. (Art. 57 IPRG). 228 Siehe oben unter III. 4. b) zum deutschen IPR und allgemein unter I. 3. zu den Problemstellungen. 229 Zum deutschen IPR siehe III. 5. 230 Ebenso Pesce, in RIW 1995, S. 979, Fn. 23 im Hinblick auf Art. 4 IPRG mit Bezugnahme auf das EuGH-Urteil Kleinwort-Benson; der Erwägungsgrund Nr. 21 der Entscheidung wird dabei jedoch nicht korrekt zitiert. Zu den Vorschriften siehe § 16, insbesondere in § 16 II. 6. zu Art. 4 IPRG (Gerichtsstandsvereinbarungen) und II. 7. zu Art. 7 IPRG (Rechtshängigkeit). 231 Siehe i. E. unter § 18 II. und zur EuGH-Rechtsprechung unter § 19 II.
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
497
1. Die italienische Literatur zur Frage der Auslegungskompetenz des EuGH
Im Anschluss an das Inkrafttreten des IPRG ist die bestehende (EuGVO) bzw. zukünftige (EVÜ) Zuständigkeit des EuGH in den oben beschriebenen Fällen in der Literatur höchst kontrovers diskutiert worden. Den im Folgenden beschriebenen Stimmen lässt sich jedoch eine Tendenz in Richtung einer Auslegungskompetenz des Gerichtshofes entnehmen232. Diesem schließt sich auch - jedoch im Tenor zurückhaltend - die Mehrzahl der deutschen Kommentatoren zum italienischen IPRG an 233 . Die Befürworter einer solchen Auslegungskompetenz berufen sich vor allem auf das Urteil Kleinwort-Benson des Gerichtshofes 234 und gehen davon aus, dass die Hinweisnormen des IPRG die vom EuGH aufgestellten Anforderungen erfüllen 235. Auch die deutschsprachige Literatur zum IPRG ist der Meinung, dass die Entscheidung einer Zuständigkeit des EuGH zumindest nicht entgegensteht236. Darüber hinaus wird in der italienischen Lehre die EuGH-Kompetenz aus dem Sinn der Hinweisnormen abgeleitet und - ähnlich wie der EuGH in seiner „Dzodzi-Rechtsprechung"237 - zweckorientiert argumentiert. Eine Zuständigkeit soll aufgrund der Notwendigkeit der einheitlichen Auslegung der staatsvertraglichen Regelungen bestehen, was durch Art. 2 II IPRG unterstrichen würde 238.
232 Sofern CT (Barel) Art. 57, III. 6. den ablehnenden Standpunkt als den herrschenden bezeichnet, ist dem zu widersprechen. Bezeichnenderweise führt Barel selbst nur die Meinung von Treves als Beleg an, wogegen er für die gegenteilige Ansicht auf Mari und Giardina verweist. 233 Gebauer, in JbltR Bd. 9 (1996), S. 73 f.; Walter, in ZZP 1996, S. 14 und Jayme/ Kohler, in IPRax 1996, S. 379 (II. 1.); ablehnend jedoch Kindler, in RabelsZ 1997, S. 238 bei Fn. 57. Deutlich und überzeugend für eine EuGH-Zuständigkeit haben sich Kropholler / v. Hein, S. 624 - 629 ausgesprochen. 234 Siehe oben unter II. 2. b). 235 Gaja, in RDI 1995, S. 757 f.; Pocar, in FS Droz, S. 366 f.; Mari, in Foro it. 1996, IV., Sp. 378 f.; Giardina, in Convegno di Crotone, S. 13, Fn. 20 und CT (ιCostantino ), Art. 3, VI. 10.; zweifelnd jedoch Benedetelli, in Com, NLCC, S. 1362, in Fn. 13. Auf der anderen Seite offenbart auch Luzzatto (Fn. 243) Zweifel an seiner ablehnenden Haltung aufgrund der Kleinwort-Benson-Entscheidung. 236 Siehe Gebauer und Jayme / Kohler, klar für die Erfüllung der vom EuGH geforderten Kriterien sprechen sich Walter und Kropholler / v. Hein aus (zu allen siehe in Fn. 233). 237 Siehe oben unter II. 2. a). 238 Bariatti, Com., NLCC, S. 898 zu Art. 2 (Sicherstellung der einheitlichen Auslegung der staatsvertraglichen Normen, unabhängig davon unter welchen Bedingungen sie zur Anwendung kommen; mit Hinweis auf die „Dzodzi-Rechtsprechung" [siehe II. 2. a)] und den Grundgedanken des Art. 2 II IPRG); Starace, Com., Corr. giur., S. 1236 (Zweck des Art. 3 II 1 IPRG, untermauert durch Art. 2 II IPRG); ders. auch in Rev. crit.
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Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Sehr fragwürdig ist hingegen eine aus der Systematik der EuGVO abgeleitete zusätzliche Argumentation für die EuGH-Zuständigkeit im Rahmen des Art. 3 II 1 IPRG, die an Art. 4 I EuGVO (= Art. 4 I EuGVÜ) anknüpft 239. Demzufolge soll die Beschränkung des Anwendungsbereiches der EuGVO auf Beklagte mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten - mit Ausnahme des Art. 22 EUGVO (= Art. 16 EuGVÜ) - und die Verweisung auf nationales Zuständigkeitsrecht bei einem Fehlen dieser Voraussetzung (Art. 4 I EuGVO) durch die „Rückverweisung" des Art. 3 II 1 IPRG auf das Gemeinschaftsrecht aufgehoben worden sein240. Art. 3 II 1 IPRG gewährt insofern keine Ausdehnung des staatsvertraglichen Anwendungsbereiches, sondern stellt lediglich den „ursprünglichen" allseitigen Anwendungsbereich des Abkommens wieder her. Nach diesem Verständnis soll es sich bei Art. 3 II 1 IPRG i. V. m. den Bestimmungen der EuGVO um originäres Gemeinschaftsrecht handeln, so dass sich in der Sache kein Zuständigkeitsproblem des EuGH ergibt, da das auszulegende Recht dem anzuwendenden entspricht. Dem kann in der Sache jedoch nicht gefolgt werden241. Sofern Staaten den Anwendungsbereich eines internationalen Vertrages ausdrücklich beschränken, kann nicht die Rede davon sein, dass die staatsvertraglichen Bestimmungen dem Grunde nach als universell anwendbare Regelungen angelegt worden sind. Im Konkreten wird vor allem übersehen, dass auf internationaler Ebene die Gründe für die Eingrenzung des Anwendungsbereiches durch Art. 4 I EuGVO im Bereich der Rechtshängigkeit und des Vollstreckungsrechts liegen242. Die Stimmen in der Literatur, die eine Zuständigkeit des EuGH für die beschriebenen Sachverhalte ablehnen, verweisen vor allem auf den rein nationalen Charakter der IPRG-Vorschriften 243, auch wenn diese auf internationales
1996, S. 73; Pocar (Fn. 235), S. 367 (zwar Kompetenzüberschreitung des EuGH, aber im Sinne einer einheitlichen Auslegung zu begrüßen); ebenso Gaja (Fn. 235), S. 757 f. Forlati Picchio, in Convegno di Crotone, S. 129 f. verweist in Anlehnung an Kaye (ebenda, S. 47 - 54 und Zusammenfassung, S. 55 - 58) neben dem Bedürfnis nach einheitlicher Auslegung auf die allgemeine politische Notwendigkeit und Tendenz, die europäische Integration zu stärken. 239 Siehe dazu auch Kropholler / v. Hein, S. 626 f. 240 Siehe dazu Mari (Fn. 235), Sp. 375 - 378 (insbesondere Sp. 377) und im Anschluss an diesen auch Bariatti, Com., NLCC, S. 899. Mari beruft sich jedoch auch auf das Vorliegen der in der Entscheidung Kleinwort-Benson geforderten Kriterien (a.a.O., Sp. 378 f.) und bejaht die Zuständigkeit des EuGH unabhängig von der von ihm vertretenen systematischen „Konstruktion" (a.a.O., Sp. 379, Nr. 10 Anfang). 241 Ebenso im Ergebnis Kropholler / v. Hein, S. 626 f. 242 Siehe dazu den Bericht von Jenard zum EuGVÜ, in ABl. EG 5. 3. 1979, C 59, S. 20 f. zu Art. 4 EuGVÜ; s. a. Kropholler, EuZPR, Art. 4, Rn. 3 zur Frage der Rechtshängigkeit. 243 I. d. S. Luzzatto, Com., RDIPP, S. 934, der jedoch aufgrund des Urteils Kleinwort-Benson auch Zweifel an seinem Verständnis äußert. Auch in der deutschen
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
499
Recht Bezug nehmen. Insofern wird eine formale Bindung der nationalen Gerichte an die Rechtsprechung verneint 244 , auch wenn es als wünschenwert angesehen wird, dass die italienischen Gerichte sich an den Auslegungen des EuGH orientieren 245 . Es wird in diesem Zusammenhang vor allem davon ausgegangen, dass der Gerichtshof durch die Annahme einer solchen Vorlage seine ihm zustehenden Kompetenzen überschreiten würde 2 4 6 . Eine derartige Zuständigkeitserweiterung bedürfe jedoch einer Vereinbarung aller Vertragsstaaten 247 . Von einer Kompetenzerweiterung gehen ζ. T. auch die Befürworter einer Vorlagemöglichkeit aus 2 4 8 . Wie durch die Rechtsprechung des EuGH bereits belegt wurde 2 4 9 , handelt es sich bei der aufgeworfenen Diskussion nicht um eine Frage der Zuständigkeitserweiterung. Eine solche Kompetenzübertragung würde in der Tat einer zusätzlichen Vereinbarung durch die Mitgliedsstaaten der EG bedürfen und ist aufgrund der Ausrichtung des Vorabentscheidungsverfahrens nicht zu erwarten 2 5 0 . Der vorliegende Streitpunkt betrifft jedoch allein die Frage der Erforder-
Literatur verweist Kindler (Fn. 233) auf den Umstand, dass nationales Recht nicht vorlagefahig ist (s. o. unter II. 1. a)) und verneint insofern im Anschluss an das Kleinwort-Benson Urteil des EuGH die Möglichkeit einer Vorlage; Kindler verkennt jedoch an diesem Punkt die Rechtsprechung des EuGH, die ausdrücklich darauf hinweist, dass sich auszulegenes und anzuwendendes Recht nicht decken müssen (siehe II. 2. b), bei Fn. 59 [Kleinwort-Benson] und II. 2. c), Fn. 83 [Leur-Bloem, Giloy]). 244 Broggini, Com., NLCC, S. 909 bei Fn. 11. Luzzatto (vorige Fußnote) spricht von einer fehlenden ΒindungsWirkung „des Staates" i. R. d. Art. 3 II 1 IPRG an die Rechtsprechung des EuGH; dies ist in der Sache korrekt, weil keine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung Italiens zur einheitlichen Auslegung besteht. Es geht hier jedoch um eine Verpflichtung der Gerichte aus nationalem Recht, die diesen vom italienischen Gesetzgeber auferlegt wird (siehe Hinweise in voriger Fußnote auf die Rechtsprechung des EuGH. 245
Siehe Broggini in voriger Fußnote.
246
I. d. S. Treves , Com., RDIPP, S. 1183 f. unter Ablehnung von Gajas Standpunkt (Fn. 235); ebenso Boschiero, Appunti, S. 40 mit Hinweis auf die Arbeitsüberlastung des EuGH und die Teilung der Kosten für den Gerichtshof zwischen den Mitgliedstaaten, so dass eine „Kompetenzerweiterung" einer Vereinbarung bedürfe; dieselbe ebenso in ZfRV 1996, S. 144 r. Sp. 247 Siehe Boschiero und Treves in voriger Fußnote; ebenso Mosconi , DIPP II, S. 134, der sich zudem auf die Weigerung des EuGH zur Auslegung in der Sache KleinwortBenson beruft, ohne die Besonderheiten dieses Einzelfalles ausreichend zu würdigen; ders. bereits ablehnend in Convegno di Crotone, S. 75 f. nach einer „prima lettura". Auch Holl, in IPRax 1996, S. 76 verweist - wohl im Anschluss an den Generalanwalt Tesauro in der Sache Kleinwort-Benson (siehe II. 2. a), Fn. 39) - in seinem Kommentar zu der Entscheidung auf die begrenzte „Zuständigkeit kraft Zuweisung". 248
Pocar (Fn. 235), S. 367 und Gaja (Fn. 255), S. 758; auch Gebauer (Fn. 233%
S. 74 bei Fn. 57 hat eine Ausdehnung des EuGVÜ-Protokolls auf entsprechende Vorlagen befürwortet. 249 Siehe oben unter II. 250 Siehe auch oben unter III. 3. b), bei Fn. 160.
500
Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
lichkeit einer Vorlage durch italienische Gerichte und damit im Zusammenhang stehend die Prüfung der Verbindlichkeit einer vom EuGH begehrten Ausle-
2. Die Lösung der Streitfrage?
Die Zulässigkeit einer EuGH-Vorlage durch italienische Gerichte innerhalb des Art. 3 II 1 bzw. im Rahmen der konstitutiven Wirkung des Art. 57 IPRG hängt allein an der Frage der Verbindlichkeit einer begehrten Auslegung für das Ausgangsgericht. Sofern diese Verbindlichkeit nach nationalem italienischen Recht zu bejahen ist, wäre der Gerichtshof nach seiner bisherigen Rechtsprechung gezwungen, dem nationalen Gericht eine Auslegung der staatsvertraglichen Bestimmungen zu gewähren. Auch wenn man darüber hinaus eine innerstaatliche Anwendbarmachung der konventionalen Vorschriften fordert 252, so ist dieses Gebot des EuGH durch die Artt. 3 II 1, 57 IPRG in vorbildlicher Art und Weise vom italienischen Gesetzgeber umgesetzt worden. Eine „unmittelbarere) und unbedingtere) Verweisung"253 als in den italienischen Hinweisnormen ist wohl kaum denkbar. Eine formelle Verbindlichkeit nach nationalem italienischen Recht kann sich im Gegensatz zum deutschen Recht nicht aus den italienischen Zustimmungsgesetzen zu den Protokollen des EuGVÜ und EVÜ ergeben, da diese lange vor der gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten der Hinweisnormen254 verabschiedet worden sind255. Auch über Art. 2 II IPRG lässt sich eine formelle Verbindlichkeit von EuGH-Urteilen nicht herleiten 256; es gilt insofern dasselbe wie für Art. 36 EGBGB257.
251
Siehe zusammenfassend unter II. 4. Der eigenständige Gehalt dieses Merkmals erscheint aufgrund der neueren Rechtsprechung des EuGH zumindest fraglich; siehe II. 2. c), Fn 81 und zusammenfassend unter II. 4, bei Fn. 118. 253 Siehe II. 2. b), Fn. 56 zur Entscheidung Kleinwort-Benson. 254 Zur Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten von Hinweisnormen in den Artt. 3 II 1 und 57 IPRG siehe § 1, in Fn. 22. 255 Zum EuGVÜ-Protokol 1 siehe legge 19. 5. 1975, n. 180 (Hinweis bei Pocar, in RDIPP 1978, S. 281, Fn. 1); zu den EVÜ-Protokollen siehe legge 7. 1. 1992, n. 54 (Hinweis bei BenedetellU Com., NLCC, S. 1362 zu Art. 57, Fn. 12 und Mignolli, in Sacerdoti / Frigo, S. 239 oben) mit Wirkung zum 9. 12. 1992 (s. a. Jayme / Kohler, in IPRax 1993, S. 368, Nr. 3). 256 Ebenso Bariatti und Starace (beide Fn. 238); s. a allgemein unter § 18 I. 1. und 3. zu Art. 2 II IPRG. 257 Siehe unter III. 3. c). 252
§ 19 Die Auslegungskompetenz des EuGH i. R. d. EuGVO und des EVÜ
501
Der Art. 2 II IPRG kann jedoch als Indiz für das allgemeine Verhältnis des IPRG zu den internationalen Abkommen und deren Auslegung dienen258. Insbesondere durch die besonderen Hinweisnormen des IPRG wollte der Gesetzgeber eine Harmonisierung von nationalem und internationalem Recht herbeiführen. Durch die Übernahme von staatsvertraglichen Bestimmungen in nationales IPR sollten gewisse, von den internationalen Abkommen belassene Regelungslücken durch identisches innerstaatliches Recht geschlossen werden. Der beabsichtigte Gleichlauf der zwischenstaatlichen und internen Rechtsordnungen kann dabei nur durch eine einheitliche Auslegung der gemeinsam verwendeten Rechtsbegriffe gewährleistet werden. Hier greift der Grundgedanke des Art. 2 II IPRG. Es ist insofern davon auszugehen, dass der italienische Gesetzgeber durch die Adaption des staatsvertraglichen Rechts in den Artt. 3 II 1, 57 IPRG auch die Auslegung der Bestimmungen der Abkommen übernehmen wollte 259 . Darüber hinaus ist wohl auch anzunehmen, dass sich der Gesetzgeber durch diese Normierung der Rechtsprechung des EuGH unterwerfen wollte. In jedem Fall kann von einer „mittelbaren Anwendung" des staatsvertraglichen Rechts gesprochen werden, wie es der Gerichtshof in seiner jüngsten Rechtsprechung fordert 260. Selbst wenn die formelle Verbindlichkeit der EuGH-Auslegung bezweifelt werden kann, ist doch zu bedenken, dass die Frage der Verbindlichkeit sich allein im Rahmen der Missbrauchsprüfung stellt261. Im Rahmen der Artt. 3 II 1, 57 IPRG kann jedoch mit Sicherheit nicht davon ausgegangen werden, dass die Erforderlichkeit einer Vorlage für die Entscheidung im Ausgangsfall „offensichtlich" nicht besteht262. Im Sinne einer einheitlichen Auslegung, die auch von den Kritikern einer Auslegungskompetenz als wünschenswert erachtet wird, ist zu hoffen, dass der EuGH sich diesem Verständnis des IPRG nicht verschließen und Auslegungsersuchen italienischer Gerichte positiv gegenüber stehen wird. Die Annahme solcher Vorlagen lässt sich wie gezeigt mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes und dem Wesen des Vorabentscheidungsverfahrens vereinbaren. Es bedarf dafür keiner weiteren Vereinbarung zwischen den Vertragsstaaten der EG.
258
Siehe auch Bariatti und Starace (beide Fn. 238). Siehe dazu unter § 18 I. 3., insbesondere in Fn. 76 zur italienischen Literatur. Zur deutschen Literatur siehe ebenso Jayme / Kohler, in IPRax 1995, S. 347 1. Sp. (unter III. 2.) und Gebauer, in JbltR, Bd. 9 (1996), S. 72 unter c); letzterer auch in Grundfragen, S. 298. 260 Siehe II. 2. c), Fn. 80 zu den Entscheidungen Leur-Bloem und Giloy. 261 Siehe dazu unter II. l.b). 262 Siehe dazu die Zusammenfassung der EuGH-Rechtsprechung unter II. 4., Fn. 110. 259
502
Kap. VI: Die Auslegung von Staatserträgen und die EuGH-Zuständigkeit
Selbst wenn der EuGH jedoch eine Auslegung der EuGVO oder des EVÜ in diesem Zusammenhang ablehnen sollte, sind dadurch noch keine gravierenden Harmonisierungsdefizite für Italien zu befürchten. Sowohl der italienische Gesetzgeber als auch die italienischen Gerichte haben sich in der Vergangenheit als sehr „europafreundlich" erwiesen, so dass ein eigener italienischer Weg nicht zu befürchten ist. Zudem dürften die Gerichte im vorliegenden Fall durch die gesetzliche Normierung zu einer ,3efolgung" der EuGH-Rechtsprechuung gezwungen sein. Durch die erweiterte Möglichkeit einer eigenen EuGH-Vorlage könnten die Gerichte jedoch in ihren Bemühungen unterstützt werden. Eine Klarstellung des Gesetzgebers zur umfassenden Verbindlichkeit der EuGH-Rechtsprechung wäre insofern zu begrüßen.
Kapitel
VII
Zusammenfassung
Das neue italienische IPRG liefert die seit langem angestrebte Reform des überalterten italienischen IPR und IZPR. Dass diese Novelle notwendig war und zu begrüßen ist, darf als Selbstverständlichkeit dieser Zusammenfassung vorangestellt werden. Zu bedauern ist jedoch, dass der ebenfalls als überholt anzusehende Gegenseitigkeitsgrundsatz des Art. 16 disp. prel. aus formalen Gründen bei der Reform ausgespart wurde und nach wie vor Bestandteil des italienischen Fremdenrechts ist1. Die Vorschrift steht im deutlichen Widerspruch zur Öffnung des nationalen Rechts gegenüber ausländischen Rechtsordnungen und Gerichtsbarkeiten, die durch das IPRG nunmehr begründet wird. Gelungen sind hingegen die Bemühungen des Gesetzgebers, das neue Kollisionsrecht und internationale Verfahrensrecht an die wesentlichen internationalen Verträge anzupassen.
I. Die Hinweisnormen des IPRG
Zu begrüßen ist vor allem die Entscheidung des Gesetzgebers für die sog. Hinweismethode beim Gleichlauf von nationalem und internationalem Recht (Artt. 3 II 1, 42 I, 45, 57, 59 I IPRG)2. Zum einen wird dadurch das IPRG „schlanker" und zum anderen werden Abweichungen der Normtexte vermieden, deren internationaler Ursprung transparent gemacht und die einheitliche Auslegung der Vorschriften sichergestellt3. Die durch die Gesetzestechnik aufgeworfene Frage, in welchem Umfang die Hinweise den jeweiligen Staatsvertrag „inkorporieren", lässt sich durch Auslegung der Hinweisnormen nach ihrem Sinn und Zweck lösen4. Die Gesetzes1 2 3 4
Siehe dazu in § 7. Zu den Vorschriften siehe ausführlich in den §§ 11-15. Siehe dazu § 10 I. 4. Ende. Siehe dazu allgemein in § 11 II. 2.
504
Kap. VII: Zusammenfassung
materialien bieten dabei allerdings wenig Unterstützung. Eine klarstellende Übersicht zu den im Rahmen der jeweiligen Hinweisnorm anzuwendenden Vorschriften der Staatsverträge wäre an dieser Stelle wünschenswert5. Zu bedauern ist auch, dass der Gesetzgeber in den Hinweisnormen das italienische Umsetzungsgesetz zu dem jeweiligen Abkommen benannt und die Vorschriften dadurch unflexibel gestaltet hat6. Lediglich Art. 3 II 1 IPRG verweist auf das EuGVÜ einschließlich seiner „Modifikationen"; der Hinweis erstreckt sich daher nunmehr auf die EuGVO. Dass die Hinweisnormen von den anderen Bestimmungen des IPRG abgegrenzt werden müssen7, liegt in der Natur der Sache und hat nichts mit der Frage zu tun, in welcher Form man Staatsverträge in das Gesetz integriert. Dabei gibt Art. 56 IPRG (Schenkungsrecht) neben dem Art. 57 IPRG (Vertragsrecht) gewisse Rätsel auf 8. Gesetzestechnisch sind die Hinweisnormen des IPRG in jedem Fall zu begrüßen.
II. An Staatsverträge angelehnte Vorschriften des IPRG 1. Das Verfahrensrecht
Das internationale Verfahrensrecht ist im IPRG einem grundlegenden Wandel unterzogen worden. Im Gegensatz zum bisherigen Recht werden ausländische fori nunmehr dem Grunde nach als gleichwertig anerkannt9. Dass dies nicht uneingeschränkt gilt, sondern der Gesetzgeber auch darauf achtet, dem Rechtssuchenden einen ausreichenden Rechtsschutz zu gewähren, entspricht allgemeinen Standards des IZPR10.
5
Als Beispiel für eine solche Unterstützung des Rechtsanwenders sei auf die Gegenüberstellung der EVÜ-Vorschriften und Bestimmungen des EGBGB im deutschen Zustimmungsgesetz zu den EVÜ-Auslegungsprotokollen verwiesen (siehe dazu § 19 III. 3. d) Ende). 6 Siehe dazu § 11 II. 2. d). 7 Siehe insbesondere § 13 III. 2. zum Unterhaltsrecht (Art. 45 IPRG) und § 14 III. 2. und 3. zum Vertragsrecht (Art. 57 IPRG). 8 Siehe § 14 III. 3. 9 Für eine Übersicht siehe § 16 I.; zu den Grundzügen des Zuständigkeitsrechts siehe § 16 II. 2. b). 10 Siehe § 16 II. 7. b) cc) (2) zur Anerkennungsprognose bei der Berücksichtigung der internationalen Rechtshängigkeit.
Kap. VII: Zusammenfassung
Hervorzuheben sind vor allem die Parallelen zur EuGVO, die durch die Hinweisnorm des Art. 3 II 1 IPRG besonders deutlich werden11. Aber auch die übrigen Vorschriften des Zuständigkeitsrechts orientieren sich an den internationalen Vorschriften 12. Zu bedauern ist, dass der italienische Gesetzgeber das Verhältnis der besonderen zu den allgemeinen Zuständigkeitsnormen im IPRG nicht eindeutig geregelt hat13.
2. Das Kollisionsrecht
Anlehnungen an internationale Abkommen finden sich auch in den Kollisionsnormen des IPRG14. Als Beispiele dafür sind die Artt. 48, 60 IPRG untersucht worden. In dem neuen Gesetzfinden sich jedoch auch Fälle, in denen der Gesetzgeber sich bewusst von staatsvertraglichen Vorgaben entfernt. Dies wird bei dem Art. 63 IPRG zum Produkthaftungsrecht besonders deutlich, da sich die entsprechende Vorschrift in den Vorentwürfen zum IPRG noch an dem Haager Produkthaftungsabkommen orientiert hat.
III. Die Auslegung der Staatsverträge und die EuGH-Zuständigkeit Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsverständnisse der Mitgliedsstaaten eines multilateralen Abkommens sind Staatsverträge autonom nach dem vereinbarten oder in den Vertragsstaaten vorherrschenden Verständnis von Rechtsbegriffen auszulegen. Dies führt im Laufe der Jahre unweigerlich zu Diskussionen, da sich die Auslegungsfragen bei Abschluss der Verträge nicht abschließend klären lassen. Zu diesem Zweck haben die Mitgliedsstaaten der EG für die gegenseitigen zivilrechtlichen Abkommen dem EuGH - parallel zum originären Gemeinschaftsrecht - eine Zuständigkeit zur Auslegung der Abkommen zugewiesen. Es dürfte zwar unstrittig sein, dass dies zu begrüßen ist, die Urteile werfen jedoch erhebliche Probleme auf, sofern sich der EuGH bei seiner Auslegung von den nationalen Rechtsordnungen entfernt 15.
11
Im Einzelnen zu der Vorschrift siehe § 16 II. 4. b). Siehe § 16 II 6. - 8. 13 Siehe dazu § 16 II. 5. 14 Siehe dazu in § 17. 15 Siehe § 16 II. 7. b) dd) zum Streitgegenstandsbegriff bei der internationalen Rechtshängigkeit. 12
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Kap. VII: Zusammenfassung
Bei der Auslegungskompetenz des EuGH im Hinblick auf die EuGVO und EVÜ stellt sich durch die Erweiterung des Anwendungsbereiches der Abkommen mittels der Artt. 3 II 1, 57 IPRG die Frage des Umfangs der Zuständigkeit des Gerichtshofes 16. Es zeigen sich dabei Parallelen zu den Artt. 27 - 37 EGBGB im deutschen internationalen Vertragsrecht, die das EVÜ in deutsches Recht inkorporieren, ohne dass das Abkommen in Deutschland unmittelbar Anwendung findet. Ob italienische Gerichte dem EuGH Fragen zur Auslegung der Abkommen auch vorlegen dürfen, wenn diese Abkommen im Ausgangsfall nur kraft der Artt. 3 II 1, 57 IPRG zur Anwendung kommen, bleibt umstritten, sollte jedoch im Ergebnis zu bejahen sein. Der italienische Gesetzgeber könnte diese Diskussion beenden, indem er klarstellt, dass er sich auch in diesen Fällen an die Rechtsprechung des EuGH binden will.
16
Siehe dazu im Einzelnen unter § 19.
Anhang I: IPR-Regelungen europäischer Staaten* Im Rahmen der Vorarbeiten zum italienischen IPRG beschäftigte sich der Gesetzgeber eingehend mit den bis dahin bestehenden IPR-Regelungen anderer europäischer Staaten (siehe § 2 V.); siehe im Folgenden in zeitlicher Reihenfolge: TSCHECHOSLOWAKEI: IPR-Gesetz vom 4. 12. 1963 (deutsche Übersetzung: Makarov, Quellen 3, S. 292 - 305; Staudinger {Firsching), 12. Auflage, vor Art. 27 37, Rn. 26 (Auszüge); Bergmann / Ferid / Henrich, Tschechische Republik, S. 36 43 (Auszüge); Riering, S. 298 - 337); nach der Teilung des Staates gilt das Gesetz sowohl in der Tschechischen Republik als auch in der Slowakei (siehe Bergmann / Ferid / Henrich Slowakische Republik, S. 6 und Riering, a.a.O.). In der Tschechischen Republik ist darüber hinaus das Gesetz vom 1.11. 1994 zum Schiedsverfahrensrecht zu beachten (siehe IPRax 1995, S. 410), das auch im internationalen Bereich gilt. ALBANIEN: IPR-Gesetz vom 21. 11. 1964 (Makarov, a.a.O., S. 22 - 27; Bergmann / Ferid / Henrich, Albanien, S. 84 - 87), das sich weitestgehend an das tschechoslowakische IPRG von 1963 anlehnt. POLEN: IPR-Gesetz vom 12. 11. 1965 {Makarov,
a.a.O., S. 184 - 195; Staudinger
{Firsching), a.a.O., Rn. 25 (Auszüge); Bergmann / Ferid / Henrich, Polen, S. 36 -
38; Riering, a.a.O., S. 94 - 107). PORTUGAL: Artt. 14 - 65 codigo civil vom 25. 11. 1966 i. d. F. vom 25. 11. 1977 {Makarov,
a.a.O., S. 196 - 217; Bergmann / Ferid / Henrich, Portugal, S. 36 - 41;
Staudinger {Firsching), a.a.O., Rn. 25 (Auszüge); Riering, a.a.O., S. 108 - 131); zur Neufassung des portugiesischen IZPR mit Annäherung an das EuGVÜ siehe Jayme / Kohler, in IPRax 1997, S. 385 (392, Nr. 6 m.w.N.), zum bisherigen IZPR dies., in IPRax 1988, S. 133 (135). DDR: IPR-Gesetz vom 5. 12. 1975 {Makarov, a.a.O., S. 76 - 81; Staudinger (Firsching), a.a.O., Rn. 23 f). Das Gesetz ist durch die deutsche Wiedervereinigung mit Wirkung zum 3. 10. 1990 außer Kraft getreten (Art. 230 II EGBGB; Art. 8 Einigungsvertrag); zum Übergangsrecht siehe Art. 236 EGBGB. SPANIEN: Artt. 8 - 1 2 (IPR) und 13 - 16 (interlokales Recht) codigo civil i. d. F. 31.5. 1974; Artt. 49, 50, 107 codigo civil i. d. F. vom 7. 7. 1981 {Makarov, a.a.O., S. 258 - 271 (Artt. 8 - 16), ebenso RabelsZ 1975, S. 725 - 737; Bergmann / Ferid/ Henrich, Spanien, S. 13 - 16; Riering, a.a.O., S. 264 - 297; geändert durch Gesetz vom 15. 10. 1990 zur Durchsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes {Mangold, in IPRax 1992, S. 399 f. mit Aufsatz von Gonzälez-Beilfuß, S. 396 - 399); zum spanischen IZPR und dessen Parallelen und Abweichungen zum EuGVÜ siehe Jayme / Kohler, in IPRax 1988, S. 133 (136). Umfangreiche Literaturangaben zu den Gesetzen finden sich bei MüKo {Sonnenberger), Einl. IPR, Rn. 292.
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Anhang I: IPR-Regelungen europäischer Staaten
ÖSTERREICH: IPR-Gesetz vom 15. 6. 1978 (öst. BGBl. 1978, Nr. 304; Riering, a.a.O., S. 82 - 93; s. a. RabelsZ 1979, S. 375 - 385); zum Text des österreichischen IPRG und den Erläuterungen zur Regierungsvorlage siehe Feil (Literaturverzeichnis). Zur Reform des internationalen Schuldvertragsrechts im Anschluss an den Beitritt österreiches zum EVÜ siehe unter § 10 I. 5. UNGARN: Gesetzesverordnung Nr. 13 / 1979 vom 31. 5. 1979 über das internationale Privatrecht (in JbOstR 1979, S. 473 - 494; Staudinger (Firsching), a.a.O., Rn. 28; Bergmann / Ferid/ Henrich, Ungarn, S. 31 - 35 (Auszüge); Riering, a.a.O., S. 364 -
409). TÜRKEI: IPR-Gesetz vom 20. 5. 1982 (Bergmann / Ferid/ Henrich, Türkei, S. 50 - 55; Riering, a.a.O., S. 338 - 363; s. a. in IPRax 1982, S. 252 - 255; RabelsZ 1983, S. 131 - 140 und ZfRV 1982, S. 173 - 189). JUGOSLAWIEN: IPR-Gesetz vom 15. 7. 1982, in IPRax 1983, S. 6 - 13 mit Aufsatz von Firsching, S. 1 - 5. Das Gesetz gilt heute uneingeschränkt für und zwischen den ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens (siehe Staudinger (F. Sturm / G. Sturm), Einl. IPR, Rn. 474). BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. Artt. 3 - 38, 220 EGBGB i. d. F. vom 25. 7. 1986 (BGBl. 1986 I, S. 1142 - 1155); zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. 9. 1994 (BGBl. 1994 I, S. 2494). Das bisher nicht kodifizierte außer vertragliche Schuldrecht und Sachenrecht ist nunmehr durch das „Gesetz zum Internationalen Privatrecht fiir außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen" vom 21.5. 1999 normiert worden (BGBl. 1999 II, S. 1026 f.). SCHWEIZ: IPR-Gesetz vom 18. 12. 1987 (in IPRax 1988, S. 376 - 388 und RDIPP 1989, S. 196 - 237; s. a Staudinger (Firsching), a.a.O., Rn. 107 und Riering, a.a.O., S. 210-262). Darüber hinaus hat auch RUMÄNIEN inzwischen sein IPR kodifiziert: IPR-Gesetz vom 22. 9. 1992, in RabelsZ 1994, S. 534 - 572 mit Aufsatz, S. 465 - 522; Riering, a.aO., S. 132 - 209 und Bergmann / Ferid / Henrich, Rumänien, S. 44h - 54 (Auszüge). Zu
dem Gesetz s. a. den Aufsatz von Leonhardt, in IPRax 1994, S. 156 - 159. Ein noch jüngeres IPR-Gesetz hat LIECHTENSTEIN: IPR-Gesetz vom 19. 9. 1996 (umfassende Kodifikation mit Ausnahme des Gesellschaftsrechts) und Gesetz vom 30. 10. 1997 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts (zum Gesellschaftsrecht), abgedruckt in IPRax 1997, S. 364 - 371 mit Aufsatz von Kohler, S. 309 311 und auszugsweise in Bergmann / Ferid / Henrich, Liechtenstein, S. 62 - 66; das
IPR-Gesetz lehnt sich in weiten Teilen an das österreichische IPRG an. Auch die NIEDERLANDE bereiten eine umfassende IPR-Kodifikation vor, die in ein eigenes Buch des Zivilgesetzbuches aufgenommen werden soll. Der erste Vorentwurf des Justizministerium („Skizze") stammt aus dem August 1992 (Text in NIPR 1992, S. 452 - 476 mit Aufsatz von Kokkini-Iatridou
/ Boele-Woelki,
S. 477 - 550), ein
zweiter Vorentwurf des Ministeriums wurde im Mai 2001 veröffentlicht (siehe Kramer, in IPRax 2002, S. 538, Fn. 6). In dem neuen Buch des Zivilgesetzbuches sollen alle bisherigen Vorschriften des niederländischen IPR zusammengefasst und harmonisiert werden (siehe Kramer, a.a.O., S. 537 f.). Diese Vorschriften befinden sich bisher in Spezialgesetzen für die jeweilige Materie; zum Gesetz vom 11. 4. 2001 über das kollisionsrechtliche Deliktsrecht siehe auch § 17 III. 2. b), Fn. 213.
Anhang II: Übersicht zu multilateralen Staatsverträgen (in zeitlicher Reihenfolge ihrer Unterzeichnung mit Angabe der Hauptfundstelle) Haager Abkommen zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze auf dem Gebiet der Eheschließung vom 12. 6. 1902: § 10, Fn. 131. Haager Abkommen zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze und der Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet der Ehescheidung und Trennung von Tisch und Bett vom 12. 6. 1902: § 10, Fn. 131. Haager Abkommen zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige vom 12. 6. 1902: § 11, Fn. 44. Haager Abkommen betreffend den Geltungsbereich der Gesetze in Ansehung der Wirkungen der Ehe auf die Rechte und Pflichten der Ehegatten in ihren persönlichen Beziehungen und auf das Vermögen der Ehegatten vom 17. 7. 1905: § 11, Fn. 27. Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln im Handelsverkehr vom 24. 9. 1923: § 16, Fn. 379. Genfer Übereinkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Wechselprivatrechts vom 7. 6. 1930: § 15, Fn. 6; ausführlich zu dem Abkommen siehe in §15. Genfer Übereinkommen zum einheitlichen Wechselgesetz vom 7. 6. 1930: § 15, Fn. 8. Genfer Übereinkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Scheckprivatrechts vom 19. 3. 1931: § 15, Fn. 6; ausführlich zu dem Abkommen siehe in § 15. Genfer Übereinkommen zum einheitlichen Scheckgesetz vom 19. 3. 1931: § 15, Fn. 8. Übereinkommen über das Verhältnis der Stempelgesetze zum Wechsel- bzw. Scheckrecht vom 22. 6. 1933: § 15, Fn. 8. Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über Konnossemente vom 25. 8. 1942 (Haager-Regeln) mit Änderungsprotokoll vom 23. 2. 1968 (sog. Visby-Regeln): § 15, Fn. 198. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948: § 7, Fn. 67. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950: § 7, Fn. 64. Genfer UN-Flüchtlingsabkommen vom 28. 7. 1951: § 7, Fn. 31. New Yorker UN-Abkommen über den Schutz von Staatenlosen vom 28. 2. 1954: § 7, Fn. 30. Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 1. 3. 1954: § 11; Fn. 30. Haager Übereinkommen betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche Sachen anzuwendende Recht vom 15. 6. 1955: § 14, Fn. 12.
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Anhang II: Übersicht zu multilateralen Staatsverträgen
Genfer Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) vom 19. 5. 1956: § 16, Fn. 67. New Yorker UN-Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland vom 20. 6. 1956: § 13, Fn. 30. Haager Übereinkommen über das auf Unterhalts Verpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (USTAK) vom 24. 10. 1956: § 13, Fn. 8. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15. 4. 1958: § 13, Fn. 25. New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. 6. 1958: § 14, Fn. 70. Genfer Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. 4. 1961: § 14, Fn. 27. Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Mindeijährigen (MSA) vom 5. 10. 1961: § 12, Fn. 2; ausführlich zu dem Abkommen siehe in § 12. Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht (TestFÜbk.) vom 5. 10. 1961: § 17, Fn. 1; ausführlich zu dem Abkommen siehe in § 171. Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legislation vom 5. 10. 1961: § 17, Fn. 100. Europäische Sozialcharta vom 18. 10. 1961: § 7, Fn. 65. Haager Übereinkommen über die behördliche Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Anerkennung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Annahme an Kindes Statt vom 15. 11. 1965: § 10, Fn. 131. Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. 11. 1965: § 16, Fn. 24. Haager Übereinkommen über einheitliche Regeln betreffend die Gültigkeit und die Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen vom 25. 11. 1965: § 15, Fn. 114. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966: § 7, Fn. 66. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. 12. 1966: § 7, Fn. 66. Straßburger Europäisches Übereinkommen über die Adoption von Kindern vom 24. 4. 1967: § 15, Fn. 112. Luxemburger CIEC-Übereinkommen über die Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen vom 8. 9. 1967: § 11, Fn. 129. Brüsseler EWG-Übereinkommen zur gegenseitigen Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen vom 29. 2. 1968: § 14, Fn. 96. Londoner Europäisches Übereinkommen zur Befreiung der von diplomatischen oder konsularischen Vertretern errichteten Urkunden von der Legislation vom 7. 5. 1968: § 17, Fn. 100.
Anhang II: Übersicht zu multilateralen Staatsverträgen Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) vom 27. 9. 1968: § 16, Fn. 1. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) vom 23. 5. 1969: § 9, Fn. 26. Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18. 3. 1970: § 15, Fn. 113. Haager Europäisches Übereinkommen über die Heimführung Minderjähriger vom 28. 5. 1970: § 12, Fn. 34. Haager Übereinkommen über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen vom 1. 6. 1970: § 10, Fn. 42. Römisches Übereinkommen über die Legitimation durch nachfolgende Ehe vom 10. 9. 1970: § 10, Fn. 131. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen vom 1.2. 1971: § 15, Fn. 117. Haager Abkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4. 5. 1971: § 11, Fn. 31. Baseler Europäisches Übereinkommen über die Errichtung einer Organisation zur Registrierung von Testamenten vom 16. 5. 1972: § 17, Fn. 91. Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht vom 2. 10. 1973: § 17, Fn. 183; ausführlich zu dem Abkommen siehe in § 17 III. Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (USTA) vom 2. 10. 1973: § 13, Fn. 2; ausführlich zu dem Abkommen siehe in § 13. Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2. 10. 1973: § 13, Fn. 25. Haager Übereinkommen über die internationale Verwaltung von Nachlässen vom 2. 10. 1973: § 15, Fn. 117. Washingtoner UN-Übereinkommen über ein einheitliches Recht der Form eines internationalen Testaments vom 26. 10. 1973: § 17, Fn. 87. New Yorker Übereinkommen über die Veijährungsfrist beim internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 13. 6. 1974: § 15, Fn. 199. ILO-Konvention vom 24. 6. 1975, n. 143: Convention Concerning Migrations in Abusive Conditions and the Promotion of Equality of Opportunity and Treatment of Migrant Workers: § 7, Fn. 77. Europäische Konvention zur Produkthaftung bei Körperschäden und Tod vom 27. 1. 1977: § 17, Fn. 198. Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Beförderung von Gütern auf See (sog. Hamburg-Regeln) vom 31. 3. 1978: § 15, Fn. 198. Haager Übereinkommen über das auf Ehegüterstände anzuwendende Recht vom 14. 3. 1978: § 10, Fn. 132. Haager Übereinkommen über die Eheschließung und die Anerkennung der Gültigkeit von Ehen vom 14. 3. 1978: § 10, Fn. 131.
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Anhang II:
bersicht zu multilateralen Staatsverträgen
Haager Übereinkommen über das auf Vertreterverträge und die Stellvertretung anwendbare Recht vom 14. 3. 1978: Kap. V, Fn. 106; ausfuhrlich zu dem Abkommen siehe in § 17 II. Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) vom 11.4. 1980: § 17, Fn. 11. Luxemburger Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung der Sorgerechtsverhältnisse vom 20. 5. 1980: § 12, Fn. 24. Römische EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) vom 19. 6. 1980: § 14, Fn. 4; ausführlich zu dem Abkommen siehe in § 14. Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. 10. 1980: § 12, Fn. 21. Genfer Übereinkommen über die Stellvertretung auf dem Gebiet des internationalen Warenkaufs vom 17. 2. 1983 : § 17, Fn. 106. Haager Übereinkommen über das auf trust anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung vom 1. 7. 1985: § 14, Fn. 117. Haager Übereinkommen betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche Sachen anzuwendende Recht vom 22. 12. 1986: § 14, Fn. 14. UNIDROIT-Übereinkommen von Ottawa über das internationale Factoring vom 28. 5. 1988: § 14, Fn. 17. UN IDRO IT-Übereinkommen von Ottawa über das internationale Finanzierungsleasing vom 28. 5. 1988: § 14, Fn. 17. Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. 9. 1988: § 16, Fn. 59. New Yorker UN-Übereinkommen über internationale gezogene Wechsel und internationale Eigenwechsel vom 9. 12. 1988: § 16, Fn. 9. Haager Übereinkommen über das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbare Recht vom 1. 8. 1989: § 17, Fn. 94. UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. 11. 1989: § 12, Fn. 31. Römisches EWG-Übereinkommen über die Vereinfachung der Verfahren zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen vom 6. 11. 1990: § 13, Fn. 31. Haager Adoptionsabkommen vom 29. 5. 1993: § 10, Fn. 131. Europäisches Übereinkommen über die Ausübung von Rechten der Kinder vom 25. 1. 1996: § 12, Fn. 35. Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und den Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. 10. 1996 (KSÜ): § 12, Fn. 131; ausführlich zum dem Abkommen siehe in § 12 IX. Haager Übereinkommen zum Schutz von Erwachsenen vom 13 1. 2000: § 12, Fn. 151. Verordnung (EG) Nr. 1346 / 2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 29. 5. 2000 (EulnsVO): § 5, Fn. 32.
Anhang II: Übersicht zu multilateralen Staatsverträgen Verordnung (EG) Nr. 1347 / 2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten vom 29. 5. 2000 (EheVO): § 16, Fn. 60. Verordnung (EG) Nr. 1348 / 2000 des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedsstaaten vom 29. 5. 2000 (EuZVO): § 16, Fn. 4. Verordnung (EG) Nr. 44 / 2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. 12. 2000 (EuGVO): § 16, Fn. 4. Verordnung (EG) Nr. 1206 / 2001 des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen vom 28. 5. 2001 (EuBVO): § 16, Fn. 4. Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das für ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II") vom 22. 7. 2003: § 17, Fn. 187. Verordnung (EG) Nr. 2201 / 2003 des Rates vom 27. 11. 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347 / 2000 (EheV02): § 16, Fn. 64.
Literaturverzeichnis
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Italienische Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen und IPR-Gesetz / Codice di Procedura Civile con leggi complementari e legge sul diritto intemazionale privato, zweisprachige Ausgabe, 2. Auflage, Athesia, Bozen / Innsbruck 1996; zit.: Bauer u. a., c. p. c.
-
Nebengesetze zum Italienischen Zivilgesetzbuch / Leggi complementari al Codice civile, zweisprachige Ausgabe, Athesia, Bozen 1993; zit.: Bauer u. a., NebG.
Bauer / König / Kreuzer. Italienisches Konkursrecht und andere Insolvenzverfahren / Fallimento ed altre procedure concorsuali, zweisprachige Ausgabe, 2. Auflage, Athesia, Bozen 1988; zit. : Bauer u. a, fall. Bergmann, Alexander / Ferid, Murad / Henrich Dieter: Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Landesabschnitt Italien, deutsche Übersetzung des italienischen IPRGesetzes in Auszügen, Beck, Frankfurt a. M / Berlin, 2000, S. 42g - 50. De Meo, Francesco: in Riering (Hrsg.): IPR-Gesetze in Europa, deutsche Übersetzung des italienischen IPR-Gesetzes (Nr. 3 b) sowie der Art. 1 6 - 3 1 disp. prel. und Art. 115, 116, 2505 - 2510 c. c. (Nr. 3 a), zweisprachige Textausgabe, Beck / Stämpfli, München/Bern 1997. -
Gesetz vom 31. Mai 1995, nr. 218 - Reform des italienischen internationalen Privatrechts, Übersetzung des italienischen IPR-Gesetzes, in ZfRV 1996, S. 54 - 60.
Jayme / Siehr / Kronke: Deutsche Übersetzung des italienischen IPR-Gesetzes, beidsprachige Textausgabe in IPRax 1996, S. 356 - 369 und deutscher Text in RabelsZ, 1997, S. 344-362. Maglio , Valentina: Deutsche Übersetzung der neuen Bestimmungen über die Schiedsgerichtsbarkeit, in IPRax 1996, S. 225 - 228. Walter, Gerhard: Reform des internationalen Zivilprozeßrechts, in ZZP 1996, S. 3 - 28 mit deutscher Übersetzung der zivilprozessual relevanten Bestimmungen des italienischen IPR-Gesetzes, S. 4 - 10. -
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Sach- und Personenverzeichnis (Seitenzahlen der Hauptfundstellen)
Adoptionsgesetz 42 Allseitigkeit 145 Anerkennungsrecht 287 Anwendungsbereich des IPRG 65-88 - Definition „IPR" 65 - sachlich 70 - zeitlich 80 Auslegung 439-502 - besondere Hinweisnormen 455 - Qualifikation 444-449 - Subsumtion 444-449 - von Staatsverträgen 439 Auslegungskompetenz EuGH 456-502 - Auslegungsprotokolle 456 - EVÜ in Deutschland 477^96 - im Rahmen des IPRG 496-502 - Vorabentscheidungsverfahren 461 - Vorlageverfahren 459
Gegenseitigkeitsgrundsatz 89 Gerichtsstands vereinbar ungen 219-225, 326-344 Geschäftsfähigkeit 167,216 Geschlechtsneutrale Anknüpfung 59 Gesellschaftsrecht 71,225 Gesetzliche Gewaltverhältnisse 179 Gleichheitsgrundsatz 39, 59 Handlungsfähigkeit 216 Heimwärtsstreben 63 H in weismethode 122-131 Hinweisnormen 134-138, 141-283 - allgemeine 134-136 - besondere 136-138, 141-283 Inkrafttreten des IPRG 80 „in ogni caso"-Formel 141-168 Insolvenzrecht 75
Beweiserhebung 232 Charakter des IPRG 50 Corte Costituzionale 44 Derogation 339-342 Domicilio 300 Dualismus 105 Entstehungsgeschichte des IPRG 34 Erbrecht 201,218 Erfüllungsort 449^51 Erga-omnes-Wirkung 145 EuGVO 285, 456 EVÜ 208-241, 456, 477-496 Factoring 211 Fakultativklauseln 256-262 Familiengesetz 39 Familienrecht 75,218 Familienrechtliche Verhältnisse 204 Finanzierungsleasing 211 Form Vorschriften 59
Kaufrecht 210 Klauselrichtlinie 212 Kopiermethode 121-131 KSÜ 186-193 Loi uniforme 145 Luftfahrtsrecht siehe Schiff- und Luftfahrtsrecht Mancini 50 Minderjährigenschutz 169-193 MSA 169-193 Österreichisches IPRG 132 Ordre public 164 Personenstand 216 Präjudizialität 367-371 Privatautonomie 58 Produkthaftung 404-437 - Haager Produkthaftungsabkommen 407
Sach- und Personenverzeichnis
531
- nationale IPR-Gesetze 409 - „Rom II"-Verordnung 412 Prorogation 335-338
Unterhaltsrecht 194-207 USTA 194-207 USTAK 195
Qualifikation siehe Auslegung
Verfahrensrecht 284-373 Verfügungsgeschäfte 239 Versicherungsverträge 213,215 Vertragliche Schuldverhältnisse 208-241 Vitta 34 Vollmacht 388^03 Vollstreckungsrecht 290 Vorabentscheidungsverfahren 461—476 - Auslegungsgegenstand 462 - Β indungsWirkung 472 - Entscheidungserheblichkeit 463 - EuGH-Rechtsprechung 465 Vorbehalte 153,255-268,307 Vorfragen 371
Rechtsfähigkeit 216 Rechtshängigkeit 344-371 Rechtshilfe 290 Residenza 300 Rinvio 122 Rückverweisung 123,161,268 Rügelose Einlassung 326, 338 Scheidungsgesetz 43 Schenkungsrecht 201,232-239 Schiedsgerichtsbarkeit 74 Schiedsstandsvereinbarungen 219-225 Schiff- und Luftfahrtsrecht 78 Schutzmaßnahmen für Minderjährige 177 Staatsangehörigkeitsanknüpfung 55 Staatsangehörigkeitsgesetz 40 Staatsverträge 105-140 - im italienischen Recht 105 - und das IPRG 119 - Vorrang 110-118 Stellvertretungsrecht 226, 388^103 Streitgegenstand 358-365 Subsumtion siehe Auslegung Testamentsform 374-388 - Erbverträge 383 - Gemeinschaftliche Testamente 379 Trusts 227-232
Weiterverweisung 123,161,268 Wertpapiere 219,242-283 - handelbare Wertpapiere 272-280 - Kausal Verhältnis 249 - Rechtsnatur 244-246 - Wertpapierrechtsstatut 250 - Wertpapiersachstatut 253 Wohnsitz 300,452 Zivilprozessordnung 73, 79 Zuständigkeitsrecht 285,291-373 - Sachzusammenhang 315 - spezielle Zuständigkeitsnormen 321