131 67 4MB
German Pages 252 [275] Year 2022
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 477 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Lucienne Marie Schlürmann
Das Personalstatut im französischen IPR Ideengeschichte und Methodik des statut personnel
Mohr Siebeck
Lucienne Marie Schlürmann, geboren 1991; Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg und Lyon; Promotionsstudium an der Universität Heidelberg; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg; 2021 Promotion; anschließend Rechtsreferendariat am Hanseatischen Oberlandesgericht.
Zugleich Dissertation Heidelberg 2021. ISBN 978-3-16-161002-8 / eISBN 978-3-16-161003-5 DOI 10.1628/978-3-16-161003-5 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis einschließlich Juli 2021 berücksichtigt werden. Mein herzlichster Dank gilt meinem fachlich wie menschlich so hoch geschätzten Doktorvater, Professor Dr. Marc-Philippe Weller. Seit dem Sommersemester 2012 durfte ich zunächst als studentische und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin Teil seiner „Lehrstuhlfamilie“ in Freiburg und Heidelberg sein. Von Beginn an hat er mit seiner unerschöpflichen Begeisterung für sein Fachgebiet meine Freude am juristischen Arbeiten geweckt. Im Laufe der Zeit hat er durch aufrichtige Wertschätzung erste wissenschaftliche Gehversuche gefördert und schließlich die erfolgreiche Abfassung dieser Arbeit zu jeder Zeit mit Rat und Tat wohlwollend unterstützt. Die in diesen Jahren gesammelten Erfahrungen werden mich auch in Zukunft stets begleiten. Wichtige Denkanstöße zu den theoretischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, für die ich sehr dankbar bin, habe ich außerdem im Rahmen der Haager Akademie (2018) und der Sommerakademie der Studienstiftung in St. Johann (2019) von Professorin Dr. Stéphanie Francq, LL.M. (Berkley) und Professor Dr. Ralf Michaels, LL.M. (Cambridge) erhalten. Professor Dr. Dr. h. c. mult. Erik Jayme, LL.M. (Berkley) danke ich herzlich für die rasche Erstellung des Zweitvotums und wertvolle Hinweise zum Manuskript der Arbeit. Professor Dr. Christoph Kern, LL.M. (Harvard) hat freundlicherweise den Vorsitz der Disputation übernommen. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg gilt mein Dank für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Instituts. Von der Studienstiftung des Deutschen Volkes wurde mir wertvolle ideelle und finanzielle Förderung durch ein Promotionsstipendium zuteil. Die Margot und Friedrich Becke-Stiftung sowie die Studienstiftung ius vivum haben die Drucklegung mit einem großzügigen Kostenzuschuss unterstützt. Neben meinem Doktorvater haben vor allem meine Lehrstuhlkolleginnen und -kollegen in Heidelberg die Promotionszeit zu fachlich wie persönlich bereichernden Jahren gemacht. Mein besonderer Dank gilt PD Dr. Leonhard Hübner,
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Vorwort
MJur (Oxon), Dr. Vanessa Ludwig, LL.M. (Duke) und Dr. Laura Nasse. Neben unzähligen Stunden konstruktiver Diskussion haben sie durch ein offenes Ohr zu jeder und eine Tasse Kaffee zur richtigen Zeit einen wesentlichen Teil zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Wertvolle Korrekturarbeit haben neben ihnen außerdem Franziska Biggel und Dr. Andreas Seidel geleistet. Unverzichtbar für den Abschluss der Arbeit war die moralische Unterstützung meiner Familie. Jan Kuhlen hat mich geduldig und mit motivierendem Zuspruch durch alle Höhen und Tiefen der Forschungsarbeit begleitet. Meine Eltern, Claudia A. und Dr. Dietrich Schlürmann, haben nicht nur meinen gesamten Ausbildungsweg in jeder Hinsicht gefördert, sondern auf zahlreichen Reisen auch meine Affinität zu Frankreich und damit mittelbar dem französischen Recht begründet. Ihnen und meinen Geschwistern Céline, Fabienne und Christoph-Nils danke ich von Herzen für den bedingungslosen Rückhalt, den ich weit über Studium und Promotionszeit hinaus bis heute erfahren darf. Hamburg, im August 2021
Lucienne Marie Schlürmann
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX
Teil 1: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität: Methodische und ideengeschichtliche Entwicklung 17 § 1 Begriff und Inhalt des statut personnel . . . . . . . . . . . . . . . 17 § 2 Der statut personnel im 17. bis 19. Jahrhundert: Vom conflit de coutumes zu den Grundfesten des Staatsangehörigkeitsprinzips . . 26 § 3 Eckpunkte der Entwicklung des statut personnel im 20. Jahrhundert 48
Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung: Analyse des status quo . . . . . . . . . . . . . . . . 71 § 4 Einführung: Herausforderungen für das Personalstatut im postmodernen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 § 5 Internationales Namensrecht: Anerkennung im Ausland erworbener Namenseintragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 § 6 Internationales Eherecht: Begründung und Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 § 7 Internationales Abstammungsrecht: Anerkennung im Ausland durchgeführter Leihmutterschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
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Inhaltsübersicht
Teil 4: Der statut personnel zwischen Frankreich und Europa: Synthese der Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . 169 § 8 Einheit und Diversität der Methodik des statut personnel . . . . . 171 § 9 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 § 10 Gesamtergebnis in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Anhang: Die relevanten Normen des Code civil im französischen Original . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX
Teil 1: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Der Status von Person und Familie im kollisionsrechtlichen Mehrebenensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Rechtsvergleichender Methodendiskurs als Grundlage einer Neuausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 B. Anliegen und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . 8 C. Forschungsstand und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 D. Themeneingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 E. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität: Methodische und ideengeschichtliche Entwicklung 17 § 1 Begriff und Inhalt des statut personnel . . . . . . . . . . . . . . . 17 A. Abgrenzung von Personalstatut und statut personnel . . . . . . 18 B. Inhaltliche Ausgestaltung des statut personnel . . . . . . . . . 20 I. Systembildung im modernen IPR . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Differenzierung nach personaler und territorialer Grundanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Personalistisch geprägtes System . . . . . . . . . . . . . 22 2. Territorialistisch geprägtes System . . . . . . . . . . . . 22
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Inhaltsverzeichnis
3. Mischsystem in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . 23 C. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 § 2 Der statut personnel im 17. bis 19. Jahrhundert: Vom conflit de coutumes zu den Grundfesten des Staatsangehörigkeitsprinzips . . 26 A. Die extraterritoriale Wirkung persönlicher Rechte als Ausgangsfrage der IPR-Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Das französische Kollisionsrecht vor dem Code civil . . . . . . 27 I. Vom Statutenkonflikt in Italien zum conflit de coutumes in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Statutentheorie „à la française“? . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Dumoulin und die Anfänge der Parteiautonomie . . . . . 30 2. D’Argentré und das Territorialitätsprinzip . . . . . . . . 32 III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 C. Der statut personnel im Code civil von 1804 . . . . . . . . . . 36 I. System und Methode des Art. 3 C. civ. . . . . . . . . . . . 37 1. Der kollisionsrechtliche Gehalt der Vorschrift . . . . . . 37 2. Art. 3 Abs. 3 C. civ. als Vorreiter des Staatsangehörigkeitsprinzips? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Die Rechtsprechung als Motor der Entwicklung einer frühmodernen Kollisionsrechtsmethodik . . . . . . . . . . 41 1. Der Fall Busqueta als erster Meilenstein . . . . . . . . . 42 2. Zurückhaltung der Cour de cassation . . . . . . . . . . . 43 D. Einordnung in den europäischen Kontext . . . . . . . . . . . . 44 E. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 § 3 Eckpunkte der Entwicklung des statut personnel im 20. Jahrhundert 48 A. Dialog der Prinzipien in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . 49 I. Historischer Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Grenzen des Staatsangehörigkeitsprinzips . . . . . . . . 49 2. Renaissance territorialistischer Konzepte in der doctrine 50 II. Spiegelung im positiven Recht: Der Fall Rivière . . . . . . 51 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Inhalt und Reichweite der Entscheidung . . . . . . . . . 52 3. Konsequenzen für den statut personnel . . . . . . . . . 54
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a) Symbiose von Staatsangehörigkeits- und Wohnsitzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Trennung von sachrechtlichem und kollisionsrechtlichem Wohnsitzbegriff . . . . . . . . . . . . . . 55 III. Fazit: Der territorialisme tempéré der Rechtsprechung . . . 56 B. Teilkodifikation des statut personnel als Gegenentwurf . . . . 57 I. Erfolglose Versuche einer Gesamtkodifikation . . . . . . . 58 1. Projet Niboyet (1954) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Projet Batiffol (1959) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Projet Foyer (1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 II. Unilateralismus der Reformen von 1972 und 1975 . . . . . 60 1. Inhaltliche Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Abstammungsstatut, Art. 311-14 ff. C. civ. . . . . . . 61 b) Scheidungsstatut, Art. 310 C. civ. a. F. (Art. 309 C. civ. n. F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Ursache des Paradigmenwechsels: changement d’esprit im Personalstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Methodische und systematische Inkohärenzen . . . . 68 b) Spaltung von Legislative und Judikative . . . . . . . 68 C. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung: Analyse des status quo . . . . . . . . . . . . . . . . 71 § 4 Einführung: Herausforderungen für das Personalstatut im postmodernen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 A. Ergebnisvorgabe: Statuskontinuität vermittelt durch Grundfreiheiten und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . 72 B. Konsequenz: Richtungswechsel im europäischen Methodendiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Spezialisierung und Politisierung der Verweisung . . . . . 74 II. Konkretisierung der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . 76 C. Auswirkungen auf den statut personnel: Analyse dreier Brennpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
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§ 5 Internationales Namensrecht: Anerkennung im Ausland erworbener Namenseintragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 A. Ergebnisvorgaben des AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Primärrechtliche Anerkennungspflicht nach Garcia Avello und Grunkin Paul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 B. Der französische Weg: Universelle Anerkennung nach Art. 311-24-1 C. civ., Art. 61-3-1 C. civ. . . . . . . . . . . . . 85 I. Bisherige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Keine verfahrensrechtliche Anerkennung ausländischer Namensfeststellungen durch Registereintrag . . . . . . . 85 2. Unklare Kollisionsnorm für das Namensstatut . . . . . . 87 II. Lösung des Reformgesetzes aus dem Jahr 2016 . . . . . . . 89 1. Art. 311-24-1 C. civ.: Eintragung eines ausländischen Namens bei Ausstellung einer französischen Geburtsurkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Art. 61-3-1 C. civ.: Angleichung der französischen Eintragung bei abweichendem ausländischem Registereintrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 C. Rechtsvergleichende Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. Ausgestaltung des Art. 48 EGBGB . . . . . . . . . . . . . 93 II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Konvergenz in Methodik und Rechtsfolge . . . . . . . . 94 2. Divergenz auf Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . 95 a) Anwendbarkeit auf Sachverhalte mit Drittstaatenbezug 95 b) Qualifizierte Verbindung zum Erwerbsstaat . . . . . . 96 c) Rechtmäßigkeit des Namenserwerbs . . . . . . . . . 98 D. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 § 6 Internationales Eherecht: Begründung und Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 A. Ergebnisvorgaben von AEUV und EMRK? . . . . . . . . . . . 103 I. Andeutung einer primärrechtlichen Anerkennungspflicht in der Rechtssache Coman . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Durchsetzung über politisch aufgeladenes Kollisionsrecht als Mittelweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
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B. Die französische Lösung: Die Sonderanknüpfung des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Entstehungsgeschichte und rechtspolitischer Hintergrund . 108 1. Rechtslage vor 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Das belgische Recht als Vorbild . . . . . . . . . . . . 109 b) Verfassungskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Funktionsweise der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Persönliche oder räumliche Nähe zu einer die Ehe erlaubenden Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Staatsangehörigkeit eines Ehegatten . . . . . . . . . 113 b) Wohnsitz oder Aufenthalt eines der Ehegatten . . . . 114 3. Zwischenfazit: Wirkungen des extensiven Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Im Inland zu schließende Ehe . . . . . . . . . . . . . 117 b) Im Ausland geschlossene Ehe . . . . . . . . . . . . . 118 III. Methodische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Kollisionsnorm mit sachrechtlichen Elementen oder internationale Sachnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Ordre public-Vorbehalt mit verweisungsrechtlichen Elementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Abweichungen von der klassischen ordre publicDogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Entstehungsgeschichte und Telos als Ursache . . . . . 122 3. Entscheidung der Cour de cassation von 2015 . . . . . . 123 a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Entscheidungsgründe der Cour d’appel und der Cour de cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 C. Rechtsvergleichende Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Art. 17b Abs. 4 EGBGB im deutschen Recht . . . . . . . . 129 II. Funktionale Vergleichbarkeit der Methoden bei Divergenz in der Rechtsfolge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 D. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
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§ 7 Internationales Abstammungsrecht: Anerkennung im Ausland durchgeführter Leihmutterschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 A. Ergebnisvorgaben der EMRK nach den Fällen Mennesson und Labassée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 B. Die französische Perspektive: Die Rechtsprechung auf dem Weg zur Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Ausgangslage des französischen Kollisionsrechts . . . . . . 140 1. Internes Verbot der Leihmutterschaft und ordre public international . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Ordre public als Hindernis der verfahrens- und kollisionsrechtlichen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Verfahrensrechtliches Anerkennungshindernis . . . . 141 b) Strukturschwächen der Kollisionsnormen der Art. 311-14 ff. C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. Entwicklungslinie der französischen Rechtsprechung . . . 144 1. Der Fall Mennesson als Ausgangspunkt . . . . . . . . . 144 2. Cour de cassation und EGMR im Dialog . . . . . . . . . 147 a) Interimslösung: Gespaltene Anerkennung und biologische Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Bestätigung der Lösung durch den EGMR . . . . . . 148 3. Paukenschlag der Cour de cassation 2019 . . . . . . . . 149 a) Finale im Fall Mennesson: Vollständige Übertragung als Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Erweiterung der Rechtsprechung: Vollständige Übertragung als Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 4. Zwischenergebnis: Auslandsrechtliche statt biologischer Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 C. Bedeutung der Rechtsprechung für die Anerkennungsmethodik 153 I. Ambiguität der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 155 II. Denaturierung des Art. 47 C. civ. als Konsequenz . . . . . 156 1. De jure: Anerkennung der Beweiskraft und Vermutungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. De facto: Funktionsäquivalent einer Rechtslagenanerkennung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Verdeckung des Auslandsbezugs der Abstammung . . 159 b) Überwiegend gesicherte Rechtsposition des Kindes . 159 c) Zwischenergebnis… . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 d) … mit ungewisser Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . 161
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D. Rechtsvergleichende Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Rechtsprechungslinie des BGH . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 E. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Teil 4: Der statut personnel zwischen Frankreich und Europa: Synthese der Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . 169 § 8 Einheit und Diversität der Methodik des statut personnel . . . . . 171 A. Einerseits: Anerkennungsfreundlichkeit des französischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Rückblick: Erscheinungsformen der Rechtslagenanerkennung im Internationalen Namens- und Abstammungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Mögliche Ursachen der Anerkennungsfreundlichkeit . . . . 175 1. Systematisch: Konsequenz einer engeren Zusammenschau von Verfahrens- und Kollisionsrecht im Anerkennungsregime? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Kerngedanke der These . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Historisch: Präsenz des Grundgedankens der droits acquis 180 a) Ursprung im Territorialitätsgedanken . . . . . . . . . 180 b) In der Doktrin: Pillet und Niboyet . . . . . . . . . . . 182 c) In der Rechtsprechung: Der ordre public attenué . . . 184 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Normativ: Berücksichtigung der EMRK als Baustein einer Anerkennungsmethodik . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Verfassungsrechtliche Bedeutung der EMRK . . . . . 187 b) Konsequenz: Divergenz nationaler Diskurse bei der Integration der EMRK in die IPR-Methodik . . . . . 189 c) Bedeutung für die Anerkennungsmethodik . . . . . . 192 III. Fazit: Anerkennungsfreundlichkeit als Konsequenz des historisch gewachsenen, prinzipienorientierten Verständnisses der Anerkennungsmethodik . . . . . . . . . 193 B. Andererseits: Progressiv-partikularistische Fundamentalisierungstendenzen des Verweisungsrechts . . . . 197
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I. Rückblick: Der ordre public partagé im Internationalen Eherecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Mögliche Ursachen der Entwicklung . . . . . . . . . . . . 201 1. Fortführung einer Tradition sachrechtspolitischer Einflüsse im kodifizierten statut personnel . . . . . . . . 201 2. Spiegelung in der Rechtsprechung: Vom ordre public attenué zum ordre public de rattachement . . . . . . . . 202 III. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 C. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 § 9 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 A. Implikationen für ein „europäisches Personalstatut“ . . . . . . 209 B. Arbeiten an einer neuen IPR-Kodifikation . . . . . . . . . . . 211 § 10 Gesamtergebnis in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Anhang: Die relevanten Normen des Code civil im französischen Original . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. E. a. F. ABl. EU
anderer Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Union/Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AJ Fam. Actualité juridique famille Am. J. Comp. Law American Journal of Comparative Law Anm. Anmerkung Art. Artikel; Article Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BeckOGK beck-online. Großkommentar zum Zivilrecht BeckOK Beck’scher Online-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Begr. Begründer/in BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BOMJ Bulletin Officiel du Ministère de la Justice Brüssel IIb-VO Verordnung (EU) Nr. 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019, ABl. EU Nr. L 2019/178 BT-Drs. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts c. contre CA Cour d’appel Cass. civ. Cour de cassation, chambre civile Cass. Plén. Cour de cassation, assemblée plénière C. C. Conseil constitutionnel C. civ. Code civil C. dip. belge Code de droit international privé belge CE Conseil d’État CF Constitution française CFM Convention entre la république française et le royaume du Maroc relative au statut des personnes et de la famille et à la coopération judiciaire du 10 août 1981
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Abkürzungsverzeichnis
Comm. Commentaire C. proc. civile Code de procédure civile D. Recueil Dalloz DC Décisions du Conseil constitutionnel ders. derselbe DGIR Berichte der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht dies. dieselbe; dieselben DIP/dip. droit international privé Doss. Dossier Dr. fam. Revue Droit de la famille Ed. Edition EG Europäische Gemeinschaft EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ELF European Legal Forum ELR Erasmus Law Review EMRK Europäische Menschenrechtkonvention EPIL Encyclopedia of private international law EU Europäische Union EuErbVO Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Rates vom 4. Juli 2012, ABl. EU 2012 Nr. L 201/107 EuGH Europäischer Gerichtshof EuGrCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union EuGüVO Verordnung (EU) Nr. 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016, ABl. EU 2016 Nr. L 183/1 EuPartVO Verordnung (EU) Nr. 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016, ABl. EU 2016 Nr. L 183/30 EuUnthVO Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008, ABl. EU 2009 Nr. L 7/1 EUV Vertrag über die Europäische Union f./ff. folgende FamFG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fasc. Fascicule Fn. Fußnote FS Festschrift Gaz. Pal. Gazette du Palais GEDIP Groupe européen de droit international privé gem. gemäß GG Grundgesetz Hervorh. d. Verf. Hervorhebung durch die Verfasserin h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber/in Hwb EuPR Handwörterbuch des europäischen Privatrechts IECL International Encyclopedia of Comparative Law IGEC Instruction générale relative à l’état civil
Abkürzungsverzeichnis IPR IPRax i. V. m. IZVR JCl. Civ. JCl. Dr. int. JCP G. JCP N. JDI JEDH Jh IJV JhJb
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Internationales Privatrecht Praxis der Internationalen Privat- und Verfahrensrechts in Verbindung mit Internationales Zivilverfahrensrecht JurisClasseur Civil Code JurisClasseur Droit international Semaine juridique générale (JurisClasseur Périodique) Semaine juridique notariale (JurisClasseur Périodique) Journal de droit international (Clunet) Journal européen des droits de l’homme Jahresheft der Internationalen Juristenvereinigung Osnabrück Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts JJZ Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler JO Sénat Journal Officiel du Sénat JORF Journal Officiel de la République française J. Priv. Int. L. Journal of Private International Law JZ JuristenZeitung KG Kammergericht Berlin lit. littera LPA Les Petites Affiches m. w. N. mit weiteren Nachweisen MüKoBGB Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch n° numéro Nachdr. Nachdruck NamÄndG Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen NJW Neue Juristische Wochenschrift NK BGB NomosKommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Nr. Nummer NZFam Neue Zeitschrift für Familienrecht NZZ Neue Zürcher Zeitung OLG Oberlandesgericht PStG Personenstandsgesetz RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RDC Revue de droit comparé Recueil des cours Recueil des cours de l’Académie de droit international de La Haye Rép. Défrenois Répertoire du Notariat Défrenois Rép. dr. int. Dalloz Répertoire de droit international Rép. min. Réponse ministerielle Rev. crit. DIP Revue critique de droit international privé RIDC Revue internationale de droit compare Rn. Randnummer Rom III-VO Verordnung (EU) 1259/2010 des Rates vom 20.12.2010, ABl. EU 2010 Nr. L 343/10 RTD Civ. Revue trimestrielle de droit civil S. Satz; Seite s. o. siehe oben s. u. siehe unten
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Abkürzungsverzeichnis
StAZ Das Standesamt Syracuse J. Int. Law Syracuse Journal of International Law and Commerce and Commerce TGI Tribunal de grande instance Trav. Com. DIP Travaux du Comité français de droit international privé u. a. unter anderem v. von/vom Verf. Verfasser/in vgl. vergleiche YPIL Yearbook of Private International Law z. B. zum Beispiel ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZPO Zivilprozessordnung ZRG GA Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung
Teil 1
Einleitung1 A. Ausgangspunkt I. Der Status von Person und Familie im kollisionsrechtlichen Mehrebenensystem Das Personalstatut2 scheint mit Blick auf seine Rechtsquellen und seine Methodik3 derzeit wie kaum ein anderes Rechtsgebiet des Internationalen Privatrechts (IPR) bildlich gesprochen „zwischen zwei Stühlen“ zu sitzen. Dabei hat es sich seit jeher dem Ziel der Kontinuität und Rechtssicherheit persönlicher und familiärer Rechtsverhältnisse im grenzüberschreitenden Kontext verschrieben.4 Lange Zeit haben die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen diese Leitprinzipien innerhalb ihrer autonomen IPR-Systeme mithilfe der „klassischen“5 Verweisungsmethode nach dem Vorbild Friedrich Carl v. Savignys6 verwirklicht. 1 Den in dieser Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten des französischen Rechts wird ein deutscher Artikel vorangestellt, dessen Genus sich nach dem im Französischen verwendeten Genus richtet. 2 Zur Begriffsdefinition s. u. S. 15 ff. 3 Der Begriff der Methode wird im IPR nicht einheitlich verwendet. Er bezeichnet einerseits die theoretisch-konzeptionelle Grundausrichtung des Rechtsgebiets (z. B. Verweisungssystem, Anerkennungssystem, better law approach) als „die Methode“ des IPR im weiteren Sinne. Andererseits wird die Ausgestaltung einzelner Techniken des im kontinentaleuropäischen Raum vorherrschenden verweisungsrechtlichen IPR (z. B. Anknüpfungsmoment, Ausweichklauseln, ordre public) als eine „Methode“ des IPR im engeren Sinne bezeichnet. Beide Ausprägungen treffen überdies häufig zusammen. Zur Vereinfachung verwendet die Arbeit deshalb im Folgenden den übergeordneten Begriff der „Methodik“. Wo die Unterscheidung relevant ist und sich die Bedeutung als Methode im weiteren oder engeren Begriffssinne nicht aus dem Kontext von selbst erschließt, ist in der Regel die Methode im weiteren Sinne gemeint. Vgl. zu einer ähnlichen Differenzierung Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 2004, § 3 XI, S. 188. 4 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 297; Hunter-Hénin, Pour une redéfinition du statut personnel, 2004, Rn. 7 f.; Lequette, Recueil des cours 387 (2016), 9, 90; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 72 ff.; Salerno, Re cueil des cours 395 (2018), 13, 23. 5 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 2004, § 3 X, S. 185; Looschelders, in: Staudinger BGB, 2019, Einl. IPR, Rn. 54; Weller, IPRax 2011, 429 ff. 6 Vgl. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, 1849.
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Teil 1: Einleitung
Paradigmatisch dafür steht im 20. Jahrhundert die Erfolgsgeschichte des Staatsangehörigkeitsprinzips, das sich, zurückgehend auf Pasquale Stanislao Mancini,7 in einer Mehrheit der europäischen IPR-Kodifikationen als Grundanknüpfung persönlicher und familiärer Statusfragen durchgesetzt hat.8 Im 21. Jahrhundert wird die methodische wie systematische Kohärenz des Personalstatus indes aufgebrochen. Nach dem ersten Schritt zur teilweisen Vereinheitlichung des Internationalen Familienrechts der EU durch die Rom IIIVO9 wurden in der letzten Dekade nach und nach die vermögensrechtlichen Fragen des Rechtsgebiets von europäischen Verordnungen abgedeckt.10 Abseits der EuErbVO und der EuUnthVO sind allerdings alle bisherigen Rechtsakte am Einstimmigkeitserfordernis für Maßnahmen des Familienrechts des Art. 81 Abs. 3 AEUV11 gescheitert und lediglich im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit zustande gekommen. Vollkommene Einheitlichkeit der Rechtsanwendung besteht damit in der EU auch in diesen Bereichen noch nicht. In den von den europäischen Verordnungen nicht erfassten Rechtsmaterien, den Lücken des europäischen IPR,12 gelten weiterhin die autonomen Kollisionsregeln der nationalen Rechtsordnungen. Neben Fragen des allgemeinen Teils 7
Mancini, JDI 1874, 221 ff. Basedow, Recueil des cours 360 (2013), 9, 100; Jayme, in: Kulturelle Identität und IPR, 2003, S. 5, 10; Weller, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 897, 900. 9 Verordnung (EG) Nr. 1259/2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts vom 20. Dezember 2010, ABl. EU 2010 Nr. L 343/10 („Rom III-VO“). 10 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18. Dezember 2008, ABl. EU 2009 Nr. L 7/1 („EuUnthVO“); Verordnung (EU) Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vom 4. Juli 2012, ABl. EU 2012 Nr. L 201/107 („EuErbVO“); Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, ABl. EU 2016 Nr. L 183/1 („EuGüVO“); Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, ABl. EU 2016 Nr. L 183/30 („EuPartVO“). 11 Art. 81 Abs. 3 AEUV: „Abweichend von Absatz 2 werden Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug vom Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren festgelegt. Dieser beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments. […].“ 12 Dazu ausführlich die Studie von Kramer/de Rooij/Lazić/Blauwhoff/Frohn, Ein europäischer Rahmen für das internationale Privatrecht, 2012. 8
A. Ausgangspunkt
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zählen dazu die Kernmaterien des Personenstandsrechts wie beispielsweise der Name einer Person, ihre Abstammung und damit verbundene Fragen der Elternschaft sowie das Ehe- und Partnerschaftsrecht ohne vermögensrechtlichen Bezug.13 Die bisherigen europäischen Rechtsakte lassen somit insbesondere die für viele vermögensrelevante Folgen existentielle Vorfrage der Entstehung und Wirksamkeit eines persönlichen oder familiären Statusverhältnisses außen vor.14 An den autonomen Kollisionsnormen, die im Personalstatut als nationale „Lückenfüller“ fungieren, geht die dynamische Europäisierung des IPR trotz dieses „bunt schillernden Flickenteppichs“15 der Rechtsquellen aber nicht spurlos vorbei. Die Anknüpfungsprinzipien der europäischen Kollisionsnormen strahlen teilweise schon auf die nationalen Vorschriften aus.16 Von noch größerer Bedeutung für das autonome IPR der grenzüberschreitenden Statusfragen ist in jüngerer Zeit jedoch der Einfluss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den im AEUV verankerten Grundfreiheiten und der Personenfreizügigkeit gewesen. Ausgehend von der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften im Internationalen Gesellschaftsrecht17 hat das daraus abgeleitete Prinzip der Anerkennung im Ausland begründeter Statusverhältnisse18 über die Personenfreizügigkeit des Art. 21 Abs. 1 AEUV19 Eingang in das Internationale Namensrecht gefunden.20 Die Rechtssache Coman deutet überdies 13 Vgl. Kramer/de Rooij/Lazić/Blauwhoff/Frohn, Ein europäischer Rahmen für das internationale Privatrecht, 2012, Punkt 1.7.2., S. 64 ff.; den Begriff der Lücken verwendet ebenso Jayme, IPRax 2017, 179 ff. 14 Siehe die einschlägigen Bereichsausnahmen in Art. 1 Abs. 2 lit. a) EuErbVO, Art. 1 Abs. 2 lit. b), d) Rom III-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. b) EuGüVO und Art. 1 Abs. 2 lit. b) EuPartVO. 15 So v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 4, Rn. 1 unter Verweis auf Becker, NJW 2011, 1543, 1546. 16 So wurde im deutschen IPR etwa mit Inkrafttreten der EuGüVO und der EuPartVO zum 29.1.2019 die „Kegel’schen Leiter“ in Art. 14 EGBGB zugunsten des Vorrangs des gewöhnlichen Aufenthalts umgekehrt, vgl. Art. 14 EGBGB n. F. durch Gesetz v. 17.12.2018, BGBl. 2018 I, S. 2573. Grundlegend zu den Anknüpfungsprinzipien des europäischen IPR Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im europäischen Kollisionsrecht, 2018; Weller, in: Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 2016, S. 133 ff. 17 EuGH 9.3.1999 – C-212/97 – Centros; EuGH 5.11.2002 – C-208/00 – Überseering; EuGH 30.9.2003 – C-167/01 – Inspire Art. 18 Grundlegend Coester-Waltjen, in: FS Jayme, Band I, 2004, S. 121 ff.; Grünberger, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 2010, S. 81 ff.; Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501 ff.; Lagarde, RabelsZ 68 (2004), 225 ff.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 ff.; Mayer, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 547 ff.; Pamboukis, Rev. crit. DIP 2008, 513 ff.; Romano, Rev. crit. DIP 2006, 457 ff.; sowie die weiteren Nachweise unten Teil 3, Fn. 35. 19 Art. 21 Abs. 1 AEUV: „Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“ 20 EuGH, 2.10.2003 – C-148/02 – Garcia Avello; EuGH, 14.10.2008 – C-353/06 – Grunkin
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Teil 1: Einleitung
an, dass das primärrechtliche Anerkennungsprinzip auf andere Rechtsverhältnisse des Familienrechts ausgeweitet werden kann.21 Verstärkt spielt in diesem Zusammenhang auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine Rolle. Entscheidungen wie die Rechtssachen Wagner c. Luxembourg22 oder Mennesson c. France beziehungsweise Labbasée c. France23 nehmen in den Blick, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Statusanerkennung auf Art. 8 Abs. 1 EMRK24 gestützt werden kann. Aus den Garantien des europäischen Primärrechts und der EMRK kristallisiert sich so ein rechtsquellen- und rechtsordnungsübergreifendes Recht auf Freizügigkeit und Kontinuität der persönlichen und familiären Statusverhältnisse heraus.25 Die auf diesem Wege richterrechtlich ausgestalteten supranationalen Leitprinzipien beginnen derzeit damit, das autonome IPR der Mitglieds- und Konventionsstaaten im Wege einer Art „Fernwirkung“ mittelbar zu harmonisieren. Die europäischen Grundfreiheiten und Menschenrechte geben dem Personalstatut einen immer konkreter werdenden gemeineuropäischen Rahmen vor, der bereits mit dem von Savigny verfolgten Ideal einer „völkerrechtlichen Gemeinschaft der miteinander verkehrenden Nationen“26 verglichen wird.27 Infolgedessen scheinen sie das EU-Sekundärrecht als Rechtsquelle und Motor der Kollisionsrechtsharmonisierung im Personalstatut langsam, aber sicher zu überholen. Die Fernwirkung dieser europäischen Fundamentalrechte hat allerdings im Vergleich zu der Kollisionsrechtsvereinheitlichung durch einen einheitlich-europäischen Rechtsakt einen ambivalenten Charakter. Denn neben den Pluralismus der Rechtsquellen tritt die Frage, wie einheitlich die nationalen Rechtsordnungen die supranationalen Vorgaben der europäischen Gerichte über die IPR-Methodik ihrer nationalen Rechtssysteme umsetzen. Zwar eint das autonome IPR der kontinentaleuropäischen Staatengemeinschaft im Grunde das methodische Fundament Savignys, der mit dem achten Band seines „Systems“28 den entscheiPaul; EuGH, 22.12.2010 – C-208/09 – Sayn Wittgenstein; EuGH, 2.6.2016 – C-438/14 – Bogendorff von Wolffersdorff; EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag. 21 EuGH, 5.6.2018 – C-673/16 – Coman. 22 EGMR, 28.6.2007, n° 76240/01, Wagner et. J. M. W. L. c. Luxembourg. 23 EGMR, 26.6.2014, n° 65192/11, Mennesson c. France und n° 65941/11, Labassée c. France. 24 Art. 8 Abs. 1 EMRK: „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“ 25 Vgl. Guillaumé, L’affaiblissement de l’état-nation et le droit international privé, 2011, Rn. 740: „droit à la mobilité internationale“. 26 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 27. 27 Guillaumé, L’affaiblissement de l’état-nation et le droit international privé, 2011, Rn. 745; Salerno, Recueil des cours 395 (2018), 13, 60. 28 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, 1849.
A. Ausgangspunkt
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denden Beitrag zur Überwindung der zuvor geltenden Statutentheorie geleistet hat.29 Sein IPR-System bestehend aus Verweisungsregeln, die allseitig-abstrakt formuliert und hinsichtlich des Rechtsanwendungsergebnisses neutral sind, prägt das kontinentaleuropäische IPR trotz aller Kritik30 bis heute.31 Allerdings stellt die Rechtsprechung des EuGH und des EGMR zum Anerkennungsprinzip erstmals den Verweisungsmechanismus als Kernelement dieser kontinentaleuropäischen IPR-Methodik ganz grundsätzlich in Frage. Schon seit Beginn der 2000er Jahre wird vor diesem Hintergrund diskutiert, ob das Verweisungssystem des IPR den Anforderungen der Mobilität und Kontinuität privater Rechtsverhältnisse in einer globalisierten Welt noch gewachsen ist.32 Im Fokus des europäischen Methodendiskurses steht deshalb die Frage, ob es – grundlegend oder ergänzend – einer Neuorientierung der IPR-Methoden anhand einer durch das Anerkennungsprinzip vermittelten so genannten Methode der Anerkennung von Rechtslagen bedarf, die den Verweisungsvorgang des herkömmlichen IPR gänzlich ausspart.33 Blieb der Diskurs um die Rechtslagenanerkennung zunächst vorrangig auf die Wissenschaft beschränkt, bildet er sich inzwischen zunehmend und in ganz unterschiedlicher Gestalt in den nationalen Kodifikationen der europäischen Staaten ab.34 Die dynamische Anreicherung des kollisionsrechtlichen Methodenkanons auf supranationaler Grundlage birgt indes gerade für den Kernbereich des Personalstatuts ein erhöhtes Konfliktpotential. Anders als das Internationale Wirtschaftsrecht ist das IPR der persönlichen und familiären Statusfragen rechtspolitisch und
29 Siehe nur Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 473; v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Einl. IPR, Rn. 19; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 751, jeweils m. w. N. 30 Zum Jahrhundertwechsel hatte der strikte Universalismus, der Savignys Konzept zugrunde lag, zunächst von Étienne Bartin und Franz Kahn starke Kritik erfahren, vgl. Bartin, JDI 1897, 225 f.; Kahn, JhJb 30 (1891), 1, 7; später wandte sich vor allem der anglo-amerikanische Rechtskreis im Rahmen der conflicts revolution von Savignys Leitprinzipien ab, vgl. v. Bar/ Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 6, Rn. 81 f. 31 Basedow in: EPIL, 2017, Methods of Private international law, S. 1404; Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 54; Weller, IPRax 2011, 429, 430 f. Savignys System spiegelt sich im Grundsatz auch in den europäisch vereinheitlichten Kollisionsrechtsakten wider, erfährt allerdings unter Berücksichtigung der politischen Agenda und der Prinzipienbindung der Union auch wichtige Modifikationen. Dazu im Einzelnen Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im europäischen Kollisionsrecht, 2018, S. 22 ff. 32 Ausführlich zu den Einflüssen der Globalisierung auf das Personalstatut unten S. 71 ff. 33 Siehe die Nachweise oben Fn. 18. 34 Vgl. in Frankreich die neuen Art. 311-24-1 und Art. 61-3-1 C. civ., dazu unten S. 89 ff. Eine zumindest anerkennungsähnliche Vorschrift kannte zuvor das Schweizer IPRG bezüglich der Anerkennung ausländische Ehen (vgl. Art. 45 Schweizer IPRG vom 18.12.1987, in der Fassung vom 1.1.2021).
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Teil 1: Einleitung
rechtskulturell hoch sensibel.35 Die kollisions- und sachrechtlichen Konzepte der einzelnen Rechtsordnungen sind divers; das staatliche Interesse, die zentralen Elemente der inländischen Rechts- und Wertevorstellungen gegenüber der Anwendung ausländischen Rechts zu verteidigen, ist auch im Angesicht eines Anerkennungsprinzips ungebrochen.36 Noch dazu hat der universelle Geltungsanspruch des Rechts auf Statusfreizügigkeit auf Grundlage von AEUV und EMRK einen geradezu katalysierenden Effekt.37 Die Statuskontinuität und die Vermeidung „hinkender Rechtsverhältnisse“38 waren zwar schon immer ein bedeutendes Anliegen des Internationalen Personen- und Familienrechts.39 Die europäischen Entwicklungen erheben die individualrechtlichen Interessen aber zum neuen Leitprinzip, hinter dem staatliche Ordnungs- und damit verbunden nationale Eigeninteressen der einzelnen Rechtsordnungen in aller Regel zurücktreten.40 In Abwesenheit einer europäisch vereinheitlichten IPR-Theorie stehen die nationalen Gesetzgeber und Gerichte nun weitgehend allein vor der Herausforderung, den von den europäischen Gerichten initiierten „Paradigmenwechsel“41 im autonomen IPR methodisch kohärent nachzuvollziehen. Sowohl EuGH als auch EGMR werden nicht müde zu betonen, dass es sich in ihren Urteilen stets um Leitlinien, um Ergebnisvorgaben für eine grund- oder menschenrechtskonforme Ausgestaltung des nationalen Rechts handelt und die methodische Umsetzung dieser Vorgaben nach wie vor der nationalen Kompetenz überlassen ist.42 So verbleibt den Mitglieds- und Konventionsstaaten zwar ein Ermessensspielraum; sie müssen aber eine hinreichende Balance finden zwischen den in engen Grenzen weiterhin legitimierten nationalen Eigeninteressen und dem universellen Gel35 Dethloff, in: Perspectives for the Unification and Harmonisaton of Family Law in Europe, 2003, S. 37, 59 f.; Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, S. 53; Rude-Antoine, in: Les statuts personnels en droit comparé, 2009, S. 175, 176 f.; allgemeiner zur kulturellen Prägung des Familienrechts Dutta, JZ 2021, 321, 322 f. 36 Vgl. Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, S. 53; Mankowski, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 571, 573. 37 Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 5: „Le droit européen: un catalyseur de permanence.“ 38 Zu diesem Begriff Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 2004, § 2 II, S. 140. 39 Carlier, Autonomie de la volonté et statut personnel, 1992, S. 180; Rabel, Conflict of Laws, Band I, 1958, S. 115 f. 40 Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 757; in ähnliche Richtung Francq, in: Vers un statut européen de la famille, 2014, S. 111, 124. 41 Sonnenberger, in: FS Spellenberg, 2010, S. 371, 372. 42 Vgl. exemplarisch für den EuGH die Rechtssache Freitag, EuGH, 8.6.2017 – C-541/15, Rn. 41 f. und für den EGMR die beratende Stellungnahme im Fall Mennesson c. France, EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Rn. 51; treffend d’Avout, D. 2014, 1806, 1810: „Les droits supranationaux de l’homme fixent parfois le cap, mais les systèmes locaux de droit international privé gardent la maîtrise des moyens techniques.“
A. Ausgangspunkt
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tungsanspruch, den das EU-Primärrecht für Binnensachverhalte, die EMRK sogar für Drittstaatenfälle, entfaltet. Anders als bei früheren Paradigmenwechseln im IPR sind die nationalen Rechtsordnungen heute nicht mehr nur ihren Interessen, sondern auch denjenigen einer sich immer konkreter ausbildenden europäischen Rechtsgemeinschaft verpflichtet. Im Hintergrund dieses neuen Methodendiskurses des IPR steht deshalb immer auch die Frage, ob hinsichtlich der einzelnen Konflikte, die sich in Bezug auf den Grenzübertritt des persönlichen Status stellen, bereits ein rechtspolitischer und sozialgesellschaftlicher europäischer Grundkonsens besteht oder nicht. II. Rechtsvergleichender Methodendiskurs als Grundlage einer Neuausrichtung In diesem Moment, in dem der weitere europäische Vereinheitlichungsprozess hinsichtlich des Personalstatuts stagniert und die indirekte Harmonisierung über supranationales Recht ihren Platz teilweise einnimmt, schlägt die Stunde der Rechtsvergleichung.43 Denn „provinziell[e] Antworten auf globale Fragen“44 entsprechen langfristig nicht den Ambitionen der europäischen IPR-Entwicklung. Zwanzig Jahre nach der (Wieder-)Entdeckung45 der Anerkennungsmethode stellt sich immer weniger die Frage, ob sich im Personalstatut derzeit eine methodische Neuausrichtung vollzieht, sondern vielmehr, wie sich dieser Wandel in den einzelnen Rechtsordnungen konkret abbildet und wo hier Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen. Denn Einigkeit besteht im europäischen Rechtsraum derzeit weder über das Konzept einer Rechtslagenanerkennung an sich, noch über ihre tatbestandliche Umsetzung oder ihr Verhältnis zu anderen Methoden des klassisch-verweisungsrechtlichen IPR.46 Eine Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die Anerkennung von Rechtslagen am Ende selbst als eine Art Kompromisslösung die vollständige Vereinheitlichung der Kollisionsregeln im Personalstatut im europäischen Raum ersetzen kann,47 setzt deshalb voraus, dass bereits ein gemeineuropäisches Verständnis der Methode an sich vorhanden ist. Ein rechtsvergleichender Methodendiskurs unter dem gemeinsamen „Dach“ der Vorgaben des europäischen Rechts kann aufzeigen, wie weit der methodische Konsens der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen derzeit geht und wo nationale Divergenzen den Vereinheitlichungsprozess noch immer blockieren. Er birgt da43 Vgl.
Weller, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung, 2016, S. 218: „[…] ein neues Gebiet der Methodenvergleichung.“ 44 Kohler, in: Internationales Familienrecht für das 21. Jahrhundert, 2006, S. 9, 27. 45 Vgl. Pamboukis, Rev. crit. DIP 2008, 513 ff. 46 So die im Ergebnis berechtigte Kritik von Mansel, in: Liber Amicorum Jayme, 2019, S. 27, 37. 47 Befürwortend exemplarisch Pfeiff, in: La circulation des personnes et de leur statut, 2019, S. 171, 181; ablehnend hingegen Wagner, NZFam 2014, 121, 123.
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Teil 1: Einleitung
rüber hinaus für die Methodik des europäischen IPR im allgemeinen Teil eine Chance.48 Die Problematik der extraterritorialen Wirksamkeit persönlicher Rechtspositionen ist seit jeher das Herzstück der ideengeschichtlichen und methodischen Entwicklung des IPR und bildet somit den Grundstein eines europäischen Methodenkanons.49 Der umfassende Vergleich der autonomen Regelungen im Personalstatut kann so Modellcharakter für einen allgemeinen Teil des europäischen IPR haben. Eine künftige europäische IPR-Methode im Personalstatut setzt in Anbetracht der vielen „heißen Eisen“50 ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft der Mitgliedstaaten voraus. Entscheidend ist deshalb, dass – nicht nur hinsichtlich der verbleibenden Lücken des europäischen IPR – ein umfassendes methodisches Verständnis und eine hinreichende Sensibilität für die möglicherweise abweichende Position einer mitgliedstaatlichen Rechtsordnung geschaffen werden. Zu dieser Vorarbeit, die notwendige Arbeitsgrundlage jedes weiteren Vereinheitlichungsprozesses des „europäischen Personalstatuts“51 ist, möchte diese Arbeit beitragen.
B. Anliegen und Gegenstand der Untersuchung Wie die einleitenden Erwägungen zeigen, gleicht das Personalstatut in seiner Methoden- und Rechtsquellenvielfalt derzeit im übertragenen Sinne eher einer Patchwork-Familie denn einem kohärenten Regelungssystem.52 Die vorliegende Arbeit nutzt daher die Blaupause der europäischen Kollisionsrechtsvereinheit lichung dazu, sich den Harmonisierungsbestrebungen aus einer rechtsvergleichenden Perspektive zu nähern. Denn das Stagnieren des europäischen Vereinheitlichungsprozesses verdeutlicht, wie tiefgreifend die nationalen Differenzen in den grundlegenden Fragen des Internationalen Personen- und Familienrechts noch sind. Die bestehenden Lücken des europäischen IPR im Personalstatut sind deshalb Ausgangspunkt der Untersuchung, die sich der ideengeschichtlichen Entwick48 Noch ist das europäische Recht über das Stadium akademischer Entwürfe nicht hinaus, vgl. Fallon/Lagarde/Poillot Peruzzetto (Hrsg.), Quelle architecture pour un code européen de droit international privé?, 2011; Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 2013. 49 Siehe zu diesem Zusammenhang noch S. 26 f. 50 Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392. 51 Jault-Seseke/Pataut, in: Liber amicorum Kohler, 2018, S. 371. 52 Treffend formulieren in leicht abweichendem Zusammenhang schon Raape/Sturm: „Nichts erschwert die Rechtsanwendung mehr als juristisches patchwork.“, vgl. Raape/Sturm, Internationales Privatrecht I, 1977, § 7 S. 106.
B. Anliegen und Gegenstand der Untersuchung
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lung und der Methodik des Personalstatuts im französischen IPR, des statut personnel, widmet. Das französische Recht bietet sich für ein solches Vorhaben hervorragend an. Das deutsche und das französische Recht teilen sich, von der Statutentheorie bis zur „kopernikanischen Wende“53 Savignys, einen entwicklungsgeschichtlichen Rahmen. Das französische IPR hat wichtige Beiträge zur Ausbildung der kontinentaleuropäischen IPR-Methodik im Allgemeinen und des Personalstatuts im Besonderen geleistet.54 Der berühmte Art. 3 Code civil (C. civ.) markiert den Beginn des Siegeszuges des Staatsangehörigkeitsprinzips im Personalstatut.55 Die allseitige Auslegung der Vorschrift durch die franzö sischen Gerichte hat den Grundstein für die Verweisungsmethode gelegt, die Savigny im Anschluss dogmatisch ausdifferenziert hat.56 Gleichzeitig weist das französische IPR-System bis heute strukturelle Eigenheiten auf, die den Rechtsvergleich besonders interessant machen. Das französische IPR ist anders als in der Mehrheit der europäischen Staaten bis heute nicht umfassend kodifiziert.57 Die höchstrichterliche Rechtsprechung der Cour de cassation spielt deshalb nach wie vor eine tragende Rolle in der Rechtsentwicklung. Gleichwohl hat der französische Gesetzgeber Einzelfragen des statut personnel inzwischen im Code civil geregelt.58 Das Zusammenspiel der Prinzipien, welche die Cour de cassation über 150 Jahre entwickelt hat, und der Teilkodifikationen des französischen Gesetzgebers legen ein beeindruckendes Zeugnis des Methodenpluralismus im modernen und postmodernen59 IPR ab. Nicht zuletzt bekräftigt das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU am 1.1.2021 die Vorreiterrolle, die Deutschland und Frankreich in der fortschreitenden Vereinheitlichung des europäischen Privatrechts einnehmen. Eine Abstimmung ihrer kollisionsrechtlichen Lösungsmodelle im autonomen Recht scheint mithin auch aus rechtspolitischer Perspektive vielversprechend. Den Gegenstand des zweiten Teils der Arbeit bildet auf dieser Grundlage die Frage, welche entwicklungshistorischen Besonderheiten das französische Kolli53
Neuhaus, RabelsZ 15 (1949/50), 364, 366. nur die „Entdeckung“ des renvoi im Fall Forgo (Cass. civ. 24.6.1878, in: Ancel/ Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 7.) sowie der – hierzulande auf Kegel zurückgeführten – Anknüpfungsleiter im Fall Rivière (Cass. civ. 1ère, 17.4.1953, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 26; dazu ausführlich S. 51 ff.); Zu weiteren terminologischen Relikten des französischen Rechts in der modernen IPR-Dogmatik siehe v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 1, Rn. 28. 55 Näher dazu S. 39 ff. 56 Näher dazu S. 41 ff. 57 Vgl. den Überblick bei Wilke, A conceptual analysis of the private international law, 2019, S. 46 ff. 58 Dazu im Einzelnen S. 58 ff. 59 Zu diesem Begriff Jayme, Recueil des cours 251 (1995), 9, 33 ff. sowie unten S. 82 ff. 54 Siehe
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Teil 1: Einleitung
sionsrecht aufweist und in welcher Form diese bis heute auf das Rechtsgebiet des statut personnel einwirken. Ziel ist es, die historischen Entstehungsbedingungen des statut personnel für die spätere Einordnung und den Vergleich der französischen Entwicklungen im aktuellen Recht fruchtbar und damit die Ursachen mancher Besonderheiten des französischen IPR-Systems sichtbar zu machen.60 Diese Analyse legt den Grundstein für den dritten Teil der Arbeit, welcher der Frage nachgeht, wie sich die Methodik des Personalstatuts im autonomen französischen Recht61 in neuerer Zeit, insbesondere unter dem bereits beschriebenen Einfluss der Europäisierung des IPR, entwickelt und welche Auswirkungen dies auf die weitere Vereinheitlichung des Europäischen Internationalen Personen- und Familienrechts haben kann.62 Dabei steht nicht etwa, wie man angesichts der bisherigen Bedeutung der Thematik im rechtsvergleichenden Diskurs vermuten könnte, die Frage um das „richtige“ Anknüpfungskriterium des Personalstatuts im Mittelpunkt.63 Diese „Schlacht“ scheint (weitgehend) geschlagen.64 Denn die Staatsangehörigkeitsanknüpfung verliert gerade durch die Ausdehnung des Anerkennungsprinzips immer weiter an Boden.65 In den Fokus rückt vielmehr die Frage, ob und mit welchen Mitteln das französische IPR dem Leitbild der Anerkennung der Statusfreizügigkeit von Person und Familie Raum gibt und wie es die Vorgaben von EuGH und EGMR konkret umsetzt. Dabei legt die Arbeit die Erkenntnis zugrunde, dass sich die Statusfreizügigkeit zwar auf supranationale Rechtsakte wie das europäische Primärrecht oder die EMRK gründet, den nationalen Rechtsordnungen aber ein Ermessensspielraum dahingehend verbleibt, auf welche Weise und in welchem Maße sie die Statuskontinuität des Einzelnen tatsächlich gewährleisten.66 Welcher Methode des IPR das französische Recht dabei den Vorzug gibt, wird exemplarisch anhand der Analyse dreier Problemkreise des Internationalen Namens-, Abstammungs- und Eherechts erörtert.67 Alle drei Materien bilden den Konflikt von Verweisungs- und Anerkennungsmethode ab 60
Zu der Verbindung rechtshistorischer und rechtsvergleichender Ansätze siehe Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 16; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 1996, S. 8. 61 Wo im Folgenden der Begriff des französischen Rechts verwendet wird, ist er als Oberbegriff für die positivrechtlichen Kollisionsnormen, die französische Rechtsprechung sowie den akademischen Diskurs gemeint. Wo explizit nur die positivrechtlichen IPR-Vorschriften gemeint sind, wird dies gesondert ausgewiesen. 62 S. 71 ff. 63 Zur Konkurrenz von Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt statt aller Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 2017, S. 62 ff., 94 f. m. w. N. 64 Dutta, IPRax 2017, 139 f. 65 Vgl. Lagarde, RabelsZ 68 (2004), 225, 242 f.; Mankowski, IPRax 2017, 130 f. 66 Dazu bereits oben S. 6 f. 67 Im Einzelnen S. 76 ff., S. 98 ff., S. 132 ff.
C. Forschungsstand und Methodik
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und haben deshalb sowohl im deutschen als auch im französischen Recht kürzlich Anlass gegeben, die kollisionsrechtliche Methodik neu beziehungsweise anders auszurichten.
C. Forschungsstand und Methodik Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für das IPR wird in der Fülle an Literatur, die sich dem Thema im Allgemeinen nähert, immer wieder hervorgehoben.68 Dass die Kenntnis des ausländischen Kollisionsrechts das eigene, häufig auf die nationalen Kategorien begrenzte Rechtsdenken bereichert, bedarf daher keiner weiteren Erörterung.69 Gleichwohl sind Arbeiten, die ihren Schwerpunkt auf die Analyse des ausländischen Kollisionsrechts und die Kollisionsrechtsvergleichung legen, in der international-privatrechtlichen Forschungsliteratur nach Einsetzen des Europäisierungsprozesses des IPR immer seltener geworden.70 Mit Blick auf das französische IPR erschweren nicht nur die Sprachbarriere, sondern auch die fragmentarische Kodifikation des Rechtsgebiets und – damit verbunden – die schwierige Zugänglichkeit anderer Rechtsquellen die rechtsvergleichende Forschungsarbeit. Die wenigen Arbeiten der deutschsprachigen Literatur, die Fragen des persönlichen und familiären Status in den Blick nehmen und das französische Recht berücksichtigen, erschließen das französische IPR entweder nur punktuell anhand der jeweils übergeordneten Fragestellung71 oder (beziehungsweise und) sind zumeist älteren Datums, sodass insbesondere die Einflüsse der Europäisierung des Kollisionsrechts durch die Rechtsprechung von EuGH und EGMR noch keine Rolle spielen.72 In der Grundlagenliteratur zu Fragen der IPR-Methodik des all68 Statt aller Rühl, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung, 2016, S. 103, 107 m. w. N. 69 In den autonomen Kollisionsnormen des Personalstatuts ist sie zudem noch praktisch relevant. Der renvoi ist hier anders als im Großteil des vereinheitlichten europäischen IPR nicht per se ausgeschlossen. Das veranschaulichte erst kürzlich ein Beschluss des BGH zum Internationalen Namensrecht, bei dem die Ermittlung der ungeschriebenen französischen Kollisionsregel sachentscheidend war, siehe BGH, 20.2.2019 – XII ZB 130/16, NJW 2019, 2313. Zu dieser Entscheidung noch näher unten S. 98 ff.; zur Konkurrenz von Anerkennungsmethode und renvoi siehe Corneloup, IPRax 2017, 147, 151. 70 Rühl, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung, 2016, S. 103, 123. 71 Sperling, Familiennamensrecht in Deutschland und Frankreich, 2012, S. 100 ff. 72 Basedow, Die Anerkennung von Auslandsscheidungen, 1980, S. 17 ff.; Gesellschaft für Rechtsvergleichung (Hrsg.), Le droit international privé de la famille en France et en Allemagne, 1954 (zweisprachig erschienen); Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 6 ff.
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Teil 1: Einleitung
gemeinen Teils mit starkem Bezug zum Personalstatut, wie etwa der ordre public-Dogmatik oder der Anerkennungsmethode, wird ebenfalls rechtsvergleichend Bezug auf die französische Rechtsordnung genommen.73 Die isolierte Betrachtung einzelner Anknüpfungsfragen dient zumeist allein der Unterstreichung von Forschungsergebnissen zum nationalen Recht. Hierdurch verlieren die Untersuchungen indes notwendigerweise den kontextuellen Zusammenhang zum französischen IPR-System im Ganzen und schaffen insofern keine Sensibilität für die spezifisch französische Herangehensweise an ein Rechtsproblem. Gerade das Gespür für diese national-individuellen Systemzusammenhänge ermöglicht es jedoch erst, die Bedeutung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen im Hinblick auf ein gemeineuropäisches Methodenverständnis des IPR zu bewerten.74 An einer in diesem Sinne umfassend systematischen und methodischen Aufarbeitung des Personalstatuts im französischen Recht, die das Rechtsgebiet überdies in den Kontext der europäischen Entwicklungen setzt, fehlt es bisher. Diesem Ziel hat sich die vorliegende Arbeit verschrieben. Die Untersuchung bewegt sich infolgedessen an einer Schnittstelle von Auslandsrechtsforschung, IPR und Rechtsvergleichung. Sie nutzt dabei einen funktional-integrativen, kontextbezogenen Ansatz.75 Auf eine länderberichtsartige Gegenüberstellung der französischen und deutschen Regelungsmodelle wird vollständig verzichtet. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung und Bewertung des aktuellen französischen Rechtszustands unter punktueller Berücksichtigung seiner historischen, gesellschafts- und rechtspolitischen Kontexte. Rechtsvergleichende Erkenntnisse werden am Ende eines jeden Kapitels fruchtbar gemacht. Dabei gilt stets der Grundsatz: „Rechtsvergleichung macht bescheiden.“76 So sehr sich die Arbeit um das Ablegen einer „deutschen“ Sichtweise auf das 73 Leifeld, Das Anerkennungsprinzip, 2010, S. 144 ff., 164 f.; Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007, S. 34 ff. Eine umfassende rechtsvergleichende Studie aus belgischer Perspektive legte vor einiger Zeit Silvia Pfeiff in französischer Sprache vor, vgl. Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017. 74 Besonders plastisch ist in diesem Zusammenhang die Aussage von Gebauer, JZ 2011, 213, 214: „Das Methodenverständnis und der praktische Umgang mit Kollisionsnormen variiert in Europa heute beträchtlich […]. Die notwendige Herausbildung eines europäischen Methodenverständnisses setzt Kollisionsrechtsvergleichung voraus, um fremdartig Erscheinendes überhaupt nachvollziehen zu können.“ 75 Zur funktionalen Rechtsvergleichung grundlegend Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 1996, S. 33 ff. Den Begriff der integrierten Rechtsvergleichung verdanke ich Ralf Michaels; vgl. dazu Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 707 f. Der Begriff der kontextuellen Rechtsvergleichung geht zurück auf Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, § 3, Rn. 200. 76 Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, § 1, Rn. 62.
D. Themeneingrenzung
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französische Recht bemüht, folgt die Darstellung doch dem Stil einer deutschen Forschungsarbeit.77 So soll auch für den nicht-frankophonen Leser das Interesse an den aktuellen französischen Rechtsentwicklungen geweckt und darüber hinaus der Boden für weitere rechtsvergleichende Arbeiten bereitet werden.
D. Themeneingrenzung Wenngleich die Arbeit in ihrem Untersuchungsgegenstand einen breiten Forschungsansatz verfolgt, um ein größtmögliches Verständnis für die Gesamtzusammenhänge des statut personnel in der französischen IPR-Methodik zu gewährleisten, sind angesichts der Vielfalt denkbarer Problemstellungen des Rechtsgebiets einige Begrenzungen geboten. Die Arbeit beschäftigt sich vorrangig mit dem französischen IPR in einem eng verstandenen Sinne. Das französische droit international privé ist weiter gefasst als das deutsche IPR. Es umfasst neben dem Kollisionsrecht im engeren Sinne (conflit de lois) ebenfalls das Internationale Zivilverfahrensrecht (conflit de juridictions) und das Staatsangehörigkeits- und Fremdenrecht (droit de la nationalité, droit des étrangers).78 Dies wirkt sich teilweise auf die IPR-Methodik aus: Anders als etwa im deutschen Recht trennt das französische Recht häufig weniger strikt zwischen Internationalem Verfahrensrecht (IZVR) und IPR.79 Dogmatische Konzepte wie beispielsweise der ordre public werden somit – aus deutscher Perspektive ohne nähere Begründung – in beiden Rechtsgebieten gleichermaßen fruchtbar gemacht. Im Übrigen verzichtet das französische IZVR formal erst seit dem Jahr 2007 bei der Anerkennung ausländischer Urteile auf eine nachträgliche Wirksamkeitsüberprüfung des Sachverhalts anhand der Kollisionsnormen der lex fori.80 Gerade im Rahmen der Anerkennung ausländischer Statusurteile kam es somit noch lange Zeit auf die Vorschriften des IPR im engeren Sinne an. Sofern die Methodik der Rechtslagenanerkennung, die ein zentraler Bestandteil des dritten Teils der Untersuchung ist, in engem Zusammenhang mit der verfahrensrechtlichen Urteilsanerkennung steht, beschäftigt sich die Arbeit in 77 Zu den unterschiedlichen Stilen des akademischen Diskurses im IPR im deutsch-französischen Vergleich näher Corneloup, in: How European is European Private International Law?, 2019, S. 255 ff. 78 Ausführlich Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 25 ff.; für eine umfassende rechtsvergleichende Analyse des Verhältnisses von IPR und IZVR siehe Mankowski, RabelsZ 82 (2018), 576 ff. 79 Nur eingeschränkt übertragbar ist diese Aussage auf die Methodik der Rechtslagenanerkennung; dazu noch u. S. 175 ff. 80 Vgl. Cass. civ. 1ère, 20.2.2007, n° 05-14.082, Cornelissen.
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Teil 1: Einleitung
dieser Hinsicht formal mit Aspekten des Anerkennungsregimes im französischen IZVR. Im Übrigen beschränken sich die Ausführungen indes auf das IPR nach deutscher Definition. Die Rechtsquellen der Arbeit beschränken sich auf die Kollisionsregeln des autonomen französischen IPR. Bilaterale völkervertragliche Abkommen mit Bezug zum Personalstatut werden nur punktuell berücksichtigt.81 Der zweite Teil der Arbeit pointiert entwicklungshistorische Meilensteine des französischen IPR, deren Spuren sich im heutigen statut personnel wiederfinden. Eine umfassende Aufarbeitung aller historischen Entwicklungen kann im Rahmen dieser Arbeit freilich nicht geleistet werden. Wo die Untersuchung deshalb Details der Rechtshistorie verkürzt darstellt, sei zur weiteren Vertiefung auf das umfangreiche, aktuelle und in rechtsvergleichender Hinsicht ungemein bereichernde Werk Bertrand Ancels verwiesen.82 Entsprechend der Definition des statut personnel im französischen IPR83 beschränkt sich die Arbeit in ihrem Hauptteil auf die nicht-vermögensrechtlichen Rechtsverhältnisse des Personen- und Familienrechts, im Besonderen auf den namens-, abstammungs- und eherechtlichen Status.84 Die aufgezeigten Lücken des europäischen IPR decken sich weitghend mit dieser engen französischen Definition. Im Fokus steht vorrangig die Frage der Begründung und Wirksamkeit dieser Statusverhältnisse, da die vermögensrechtlichen Folgewirkungen bereits größtenteils Gegenstand harmonisierender Kollisionsrechtsakte sind.85 Im Einzelnen nicht behandelt werden Fragen der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die in einer überwiegenden Zahl der Fälle im Zusammenhang mit vertrags- oder deliktsrechtlichen Fragestellungen stehen. Ebenfalls bleiben Fragen zu Geschlecht und Geschlechtsidentität einer Person von der Analyse ausgenommen.86 Außerhalb systematisch einschlägiger Bezugnahmen erfolgt darüber hinaus keine eigenständige Behandlung von Fragen der eingetragenen Lebenspartnerschaft. 81
Eine aktuelle Übersicht über die bilateralen Abkommen Frankreichs findet sich bei Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 534. 82 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017. 83 Vgl. S. 18 ff. 84 Von der Analyse des Internationalen Abstammungsrechts ausgenommen sind Fragen des Adoptionsrechts. Zwar sind die nationalen Regelungen zum anwendbaren Recht auch im Adoptionsrecht noch nicht harmonisiert. Das Rechtsgebiet steht aber angesichts des erfolgreichen Haager Übereinkommens (Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption („HAdoptÜ“)) weniger im Fokus des europäischen Vereinheitlichungsprozesses. Überdies enthält Art. 23 HAdoptÜ eine Vorschrift zur Anerkennung von Auslandsadoptionen. 85 Einer ähnlichen Eingrenzung folgend Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 14. 86 Dazu etwa Schulz, ZEuP 2021, 64 ff.
E. Gang der Untersuchung
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Hier hat sich mit der Anknüpfung an das Registerstatut in den letzten Jahren ein rechtsordnungsübergreifendes Regelungsmodell etabliert, das anders als etwa der Problemkreis der gleichgeschlechtlichen Ehen im europäischen Kontext umfassende Rezeption erfährt.87 Ausgespart wird zuletzt die Thematik der Rechtswahl als subjektive Anknüpfung im Internationalen Familienrecht. Die Rechtsgüter des statut personnel gehören in Frankreich zum Bereich des nicht dispositiven Kollisionsrechts, wodurch sich die Frage einer parteiautonomen Gestaltung der zugehörigen Rechtsverhältnisse dort zumeist (noch) erübrigt.88
E. Gang der Untersuchung Dem Anliegen der Arbeit verbunden, entwicklungshistorische Zusammenhänge und aktuelle methodische Fragestellungen des statut personnel zu verknüpfen, teilt sich die Untersuchung in drei Teile. Im Anschluss an die Einleitung wird im zweiten Teil der Arbeit durch eine Aufarbeitung der begrifflichen und entwicklungsgeschichtlichen Grundlagen des statut personnel ein Grundverständnis für Struktur und Denkweise des französischen Rechts geschaffen. Das erste Kapitel zeigt, dass sich die terminologischen Unterschiede zwischen statut personnel im französischen Recht und Personalstatut im deutschen Recht historisch bedingen (§ 1). Das engere französische Verständnis ist Folge einer Entwicklung, infolge derer sich im französischen Kollisionsrecht Elemente des personal geprägten kontinental-europäischen Rechtsdenkens ebenso wiederfinden wie Spuren territorialistischer IPR-Konzeptionen, die sich später maßgeblich im anglo-amerikanischen Rechtskreis durchgesetzt haben. Die Grundlinien dieser Entwicklung sind Gegenstand des zweiten Kapitels (§ 2). Das dritte Kapitel behandelt die Grundsteinlegung des Staatsangehörigkeitsprinzips im Code civil und dessen Einfluss auf die Methodik des statut personnel im 19. und 20. Jahrhundert. Darin kristallisiert sich eine bemerkenswerte Divergenz von methodischer Herangehensweise und Prinzipien zwischen der französischen Rechtsprechung und dem Ende des 20. Jahrhunderts erstmals aktiv gewordenen französischen Gesetzgeber heraus (§ 3). Aufbauend auf dieser Analyse untersucht der dritte Teil die Methodik des statut personnel im aktuellen französischen Recht. Zu diesem Zweck werden im vierten Kapitel zunächst die allgemeinen Herausforderungen der IPR-Methodik 87 Vgl.
Gruber, IPRax 2021, 39, 42 f. Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 222; Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.274. Zu den Entwicklungen im europäischen Recht aus französischer Perspektive weiterführend Panet/Fulchiron/Wautelet (Hrsg.), L’autonomie de la volonté dans les relations familiales internationales, 2017. 88 Vgl.
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Teil 1: Einleitung
des 21. Jahrhunderts in Erinnerung gerufen, welche die Phänomene der Globalisierung und der Europäisierung des Rechts länderübergreifend mit sich bringen (§ 4). Im Anschluss wird das Zusammenspiel von klassischer Verweisungs- und moderner Anerkennungsmethode im statut personnel anhand dreier paradigmatischer Fragestellungen aus dem Internationalen Namens-, Ehe- und Abstammungsrecht erörtert (§§ 5–7). Die Arbeit legt ihren Schwerpunkt dabei auf drei Brennpunkte, an denen sich die bereits erwähnten Fernwirkungen der Europäisierung des IPR89 besonders plastisch veranschaulichen lassen: die Anerkennung im Ausland erworbener Namenseintragungen, die Begründung und Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen sowie die Anerkennung der Abstammung eines im Ausland durch eine Leihmutterschaft geborenen Kindes. Eine rechtsvergleichende Bewertung am Ende jeden Kapitels widmet sich den Fragen, ob und in welchen Fällen die deutsche und die französische Rechtsordnung methodisch noch unterschiedliche Wege gehen, und, ob und inwieweit diese Unterschiede auch auf Rechtsanwendungsebene divergieren oder aber zu funktional vergleichbaren Ergebnissen führen. Im abschließenden vierten Teil erfolgt die Bewertung der Ergebnisse und ihre Verortung im europäischen Kontext. Dabei werden zunächst mögliche Ursachen für die im zweiten Teil der Arbeit herausgearbeiteten Besonderheiten der Methodik des statut personnel in Frankreich ermittelt (§ 8), bevor ein Ausblick die Untersuchung beschließt (§ 9).
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S. o. S. 4.
Teil 2
Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität: Methodische und ideengeschichtliche Entwicklung § 1 Begriff und Inhalt des statut personnel Die klassische IPR-Methodik kategorisiert grenzüberschreitende Rechtsverhältnisse des gesellschaftlichen Zusammenlebens, indem sie ein Bündel sachrechtlicher Normen durch weit gewählte Systembegriffe (Anknüpfungsgegenstände) einer bestimmten Rechtsordnung mittels Anknüpfung an ein spezifisches Kriterium (Anknüpfungsmoment) zuweist.1 Dabei fällt die Wahl des Anknüpfungsmoments nach den Lehren Savignys idealerweise auf dasjenige Kriterium, das den Schwerpunkt – den „Sitz“ des Rechtsverhältnisses – am besten abbildet.2 Die so ermittelte Gesamtheit der auf ein Rechtsverhältnis (beispielsweise Name, Ehe, Abstammung) anwendbaren materiellen Rechtssätze wird in der deutschen Terminologie als „Statut“ bezeichnet.3 Das Personalstatut ist als Systembegriff und kollisionsrechtliches Konzept des Internationalen Personen- und Familienrechts nahezu allen IPR-Systemen geläufig.4 Die konkrete Verwendung des Begriffs und seine inhaltliche Reichweite divergieren allerdings zwischen den nationalen Rechtsordnungen.5 Auf europäischer oder staatsvertraglicher Ebene fehlt es ebenfalls an einer autonomen Definition.6 Die Definitionen des deutschen Personalstatuts und seines französischen
1
v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 1, Rn. 9; Coester-Waltjen, in: Politik und IPR, 2017, S. 1 f. 2 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 108. 3 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 1, Rn. 18. 4 Vgl. personal status im Englischen, statuto personale im Italienischen, ley personal im Spanischen oder lei pessoal im Portugiesischen; zu den einzelnen Bezeichnungen näher Dutta in: EPIL, 2017, Personal Status, S. 1364 ff.; Rabel, Conflict of Laws, Band I, 1958, S. 109 ff. 5 Siehe nur Carlier, Autonomie de la volonté et statut personnel, 1992, S. 171 ff.; Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 13; Rabel, Conflict of Laws, Band I, 1958, S. 109. 6 Besonders umstritten ist die Auslegung des Begriffs nach wie vor im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 der Genfer Flüchtingskonvention von 1951, dazu näher v. Bar/Mankowski, Internationa-
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
Pendants, des statut personnel, sind sich zwar terminologisch ähnlich, inhaltlich aber nicht vollständig deckungsgleich.7
A. Abgrenzung von Personalstatut und statut personnel Der Begriff des statut personnel beziehungsweise des Personalstatuts ist bereits im juristischen Sprachgebrauch innerhalb der beiden Rechtsordnungen mehrdeutig. So umschreibt er einerseits ein kollisionsrechtliches Konzept, nämlich das „Statut“ als diejenige Rechtsordnung, die das IPR für die persönlichen und familiären Rechtsverhältnisse einer Person zur Anwendung beruft. Andererseits nimmt der Begriff Bezug auf das sachrechtliche Element des „Status“ als individuelle Rechtsstellung einer Person innerhalb einer Rechtsordnung.8 Im deutschen Sprachgebrauch wird explizit zwischen „Status“ und „Statut“ unterschieden. In der deutschen Literatur vorherrschend ist mithin die kollisionsrechtliche Dimension des Begriffs.9 Auf kollisionsrechtlicher Ebene wird in der Regel zwischen einer formellen und einer materiellen Definition des Personalstatuts unterschieden, die sich einerseits am Anknüpfungsmoment, andererseits am Anknüpfungsgegenstand orientiert.10 Nach der formellen Definition bezeichnet das Personalstatut die (eine) Rechtsordnung, die kraft eines bestimmten, mit der Person verbundenen Anknüpfungsmoments (beispielsweise der Staatsangehörigkeit, dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt) für die persönlichen Rechtsverhältnisse des Menschen maßgeblich ist.11 Am Anknüpfungsgegenstand orientiert sich hingegen die Definition des Personalstatuts als „Gesamtheit aller personenbezogenen Statute“, das heißt als Summe derjenigen Sachnormen, die das IPR für Rechtsverhältnisse zur Anwendung beruft, die einer Person „persönlich nahe“ gehen.12 les Privatrecht, Band I, 2003, § 1, Rn. 24 ff.; v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Art. 5 EGBGB, Rn. 6; Heitmann, Flucht und Migration im internationalen Familienrecht, 2020, S. 58 ff. 7 Wie hier Kropholler, Internationales Privatrecht, 2006, § 37 I, S. 261; a. A. v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Art. 5 EGBGB, Rn. 4. 8 Ausführlich zum Statusbegriff aus deutscher Perspektive Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, S. 8 ff.; rechtsvergleichend Ehrenzweig, Recueil des cours 124 (1969), 167, 343 ff. 9 v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Art. 5 EGBGB, Rn. 2 (unter Verweis auf die IPR-Reform 1986, BT-Drs. 10/504, 30); Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 2004, § 13 II, S. 442; Neuhaus, Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 1976, S. 201. 10 Ausführlich Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 41 ff.; Stern, Das Staatsangehörigkeitsprinzip in Europa, 2008, S. 21 ff. 11 So Kropholler, Internationales Privatrecht, 2006, § 37 I, S. 261; Makarov, in: FS IPR-Institut Heidelberg, 1967, S. 115. Ablehnend Schwind, in: FS Lalive, 1993, S. 191, 193. 12 Vgl. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 2004, § 13 II, S. 443. v. Bar/Mankowski,
E. Gang der Untersuchung
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Letztere Auffassung kommt dem französischen Begriff des statut personnel am nächsten. Der französische Sprachgebrauch trennt nicht zwischen den Begriffen „Statut“ und „Status“.13 Diese Ambivalenz zeigt sich in der Vorschrift des – noch nach Tradition der Statutenlehre formulierten – Art. 3 Abs. 3 C. civ., in welcher der statut personnel in Frankreich üblicherweise verortet wird:14 „ […] Les lois concernant l’état et la capacité des personnes régissent les Français, même résidant en pays étranger.“
Demnach ist für „l’état et la capacité d’une personne“ deren Heimatrecht maßgeblich. Dasjenige Recht, das (im Sinne oben genannter formeller Definition) kraft dieser Anknüpfung auf ein persönliches oder familiäres Rechtsverhältnis Anwendung findet, wird als loi personnelle bezeichnet.15 Speziell für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ist überdies der Begriff loi nationale gebräuchlich.16 Diese Differenzierung zwischen statut personnel (in Bezug auf den Anknüpfungsgegenstand) und loi personnelle (in Bezug auf den Anknüpfungspunkt) ist streng genommen sogar präziser als der deutsche Sprachgebrauch. Denn dort wird häufig nicht einheitlich zwischen „Statut“ und „Lex“ getrennt.17 Der Begriff der capacité entspricht der deutschen Geschäftsfähigkeit und gleicht somit der Anknüpfung des Art. 7 EGBGB. Hingegen gibt die deutsche Übersetzung für état d’une personne nur unzureichend wieder, was im Französischen unter diesen juristischen Fachterminus fällt.18 L’état d’une personne ist die Gesamtheit derjenigen Regeln, welche die Identität und den Status einer natürlichen Person innerhalb einer Rechtsordnung ausmachen.19 Darunter fallen tradiInternationales Privatrecht, Band I, 2003, § 1, Rn. 23 differenzieren weitergehend danach, ob nur ein einzelner Anknüpfungsgegenstand (das Personalstatut als „Statut des persönlichen Status“) oder, im Sinne der nachfolgenden Darstellung, eine Summe von Anknüpfungsgegenständen gemeint ist. 13 Cornu, Vocabulaire juridique, 2018, S. 990, leitet den Begriff vom Lateinischen statutum (statuere) ebenso ab wie von status (stare); ebenso Makarov, in: FS IPR-Institut Heidelberg, 1967, S. 115, 116. 14 Zum Inhalt der Vorschrift und ihrer Auslegung im modernen IPR noch näher unten S. 37 ff. 15 Carlier, Autonomie de la volonté et statut personnel, 1992, S. 171. 16 Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 529: „[…] la loi personnelle est donc, en droit positif français la loi nationale.“ 17 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 1, Rn. 18 f. 18 Der Begriff état wird üblicherweise mit „Stand“ im Sinne von Personenstand übersetzt, vgl. Fleck, Wörterbuch Recht, 2013, S. 107. 19 Cornu, Vocabulaire juridique, 2018, S. 421: „Ensemble des éléments qui concourent à identifier et à individualiser chaque personne dans la société (date, lieu de naissance, filiation, nom, domicile, etc.).“
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
tionell persönliche Rechtsverhältnisse wie Name, Geschlecht, Alter, Wohnsitz und Personenstand. Ebenso gehören familiäre Statusverhältnisse wie Abstammung, Ehe und Ehescheidung dazu.20 Die Aussage des Art. 3 Abs. 3 C. civ. ist somit zirkulär: Weil sich die Gesamtheit der Rechtsverhältnisse von état und capacité nach dem Heimatrecht einer Person beurteilen, sind sie Teil des statut personnel, der sich wiederum aber selbst am Heimatrecht einer Person orientiert.21 Die kollisionsrechtliche Kategorie des statut personnel wird folglich mit dem sachrechtlichen Inhalt von état et capacité d’une personne als persönliche Rechtsstellung einer Person verknüpft.22 In dieser Ausprägung erinnert der Begriff daher an die materielle Lesart des Personalstatuts im deutschen Recht.
B. Inhaltliche Ausgestaltung des statut personnel Die inhaltliche Ausgestaltung der Kategorie des Personalstatuts beziehungsweise des statut personnel bedarf ebenfalls einer Klärung. Dazu zählt insbesondere die Frage, welche Rechtsverhältnisse dem jeweiligen Begriff unterfallen und welcher Grundanknüpfung diese Rechtsverhältnisse nach der klassischen IPRMethode unterliegen. I. Systembildung im modernen IPR Personalstatut und statut personnel haben sich als Systembegriffe im heutigen Sinne erst im Laufe des 19. Jahrhunderts mit den ersten Zivilrechtskodifikationen und der Entwicklung des klassischen IPR herausgebildet. Während die im Spätmittelalter vorherrschende Statutentheorie, die auch noch in der frühen Neuzeit Anwendung fand, stets danach fragte, welche Regeln als Teil der statuta personalia „der Person folgen“ und damit auch grenzüberschreitend Geltung beanspruchen,23 verbindet sich in der klassischen IPR-Dogmatik die Frage nach der inhaltlichen Reichweite des Personalstatuts mit dem für die Anknüpfung präferierten Kriterium. Da Savigny die methodische Herangehensweise des IPR umkehrt und nicht mehr an der Sachnorm, sondern am Rechtsverhältnis ansetzt,24 20 Audit, in: JCl. Dr. int.: Synthèse Conflits de lois, 2020, Rn. 16; Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 277; Fadlallah, in: Rép. dr. int.: Statut personnel, 2003, Rn. 4; Teilweise unterscheidet die französische Literatur diesbezüglich zwischen dem statut individuel und dem statut familial, vgl. Devers/Kessler, in: JCl. Dr. int.: Synthèse – État des personnes, 2018, Rn. 3 f. 21 Carlier, Autonomie de la volonté et statut personnel, 1992, S. 167. 22 Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 219. 23 Dazu näher unten S. 27 f. 24 Vgl. statt aller v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 6, Rn. 55.
E. Gang der Untersuchung
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verlagert sich infolgedessen der Konflikt um Inhalt und Reichweite des Personalstatuts. In Frage steht nicht mehr die extraterritoriale Wirkung einer Sachnorm, sondern die richtige Auswahl desjenigen Anknüpfungsmoments, das sich die Verweisungsnorm zu Nutze macht, um den Sitz des Rechtsverhältnisses zu ermitteln.25 Die inhaltliche Ausgestaltung des Personalstatuts wird damit im Sinne der oben genannten Definitionen „formalisiert“. In der Folge entbrennt der wohl bekannteste Streit des IPR um das vorherrschende Leitprinzip des Personalstatuts und die Frage, ob das personale Element der Nationalität oder das territoriale Element des Wohnsitzes (oder des (gewöhnlichen) Aufenthaltes) einer Person am besten den „Schwerpunkt“ persönlicher und familiärer Rechtsverhältnisse abbildet.26 In vielen Rechtsordnungen ist freilich in Zeiten des postmodernen IPR eine Tendenz dahingehend zu beobachten, die persönlichen und familiären Rechtsverhältnisse diversen Sonderanknüpfungen zu unterwerfen.27 Zudem wirkt die fragmentarische EU-Kodifikation auf das autonome IPR des Personalstatuts ein. So versucht etwa die neuere IPR-Gesetzgebung des deutschen Rechts, den Übergang des europäischen IPR zum Aufenthaltsprinzip teilweise auf Ebene des autonomen Rechts nachzuvollziehen.28 Gleichwohl bildet die tradierte Konzeption von Personalstatut und statut personnel noch immer die methodisch-systematische Grundlage des autonomen IPR. Dies gilt nach wie vor insbesondere für die im zweiten Teil dieser Arbeit näher untersuchten Materien des Namens-, Eheund Abstammungsrechts. II. Differenzierung nach personaler und territorialer Grundanknüpfung Die IPR-Systeme der nationalstaatlichen Rechtsordnungen, die sich vor diesem Hintergrund im 19. Jahrhundert herausbilden, werden typischerweise in zwei Gruppen aufgeteilt. Dabei stehen sie in der Regel entweder einer personalisti25
Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 509. Siehe bereits die Nachweise in Teil 1 Fn. 63; Dies ist freilich insofern verkürzt, als dem Staatsangehörigkeitsprinzip ebenfalls ein territoriales Element (die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staatsgebiet) innewohnt; vor Ausbildung der Nationalstaaten war demach immer der Wohnsitz einer Person maßgebend. Herrschend ist aber die Auffassung, dass bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit die Anknüpfung an die Person und nicht deren physische Präsenz auf einem Territorium (wie bei Wohnsitz oder Aufenthalt) im Vordergrund steht, vgl. Hunter-Hénin, Pour une redéfinition du statut personnel, 2004, Rn. 473. 27 Vgl. unten S. 74 ff. 28 Vgl. die Neufassung des Art. 14 EGBGB durch Gesetz vom 17.12.2018 mit Wirkung zum 29.1.2019, BGBl. 2018 I, S. 2573, welche die „Kegel’sche Anknüpfungsleiter“ zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts umkehrt; Looschelders spricht deshalb bereits bezüglich des deutschen IPR von einem „Mischsystem“, siehe ders., in: Staudinger BGB, 2013, Anh. I zu Art. 5 EGBGB, Rn. 16. 26
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schen oder einer territorialistischen IPR-Konzeption nahe und unterscheiden sich dementsprechend in ihrer Grundanknüpfung der statusrelevanten Fragen des Personen- und Familienrechts.29 1. Personalistisch geprägtes System In einem Großteil der kontinentaleuropäischen IPR-Systeme wird dem Personalstatut traditionell ein weiter Anwendungsbereich eingeräumt.30 Neben den klassischen Anknüpfungsgegenständen, wie dem des Personenstands und der Geschäftsfähigkeit, zählen das gesamte Familienrecht einschließlich seiner vermögensrechtlichen Bezüge sowie das Erbrecht zum Personalstatut.31 Üblicherweise werden die so definierten Anknüpfungsgegenstände vorrangig dem Heimatrecht (loi nationale) der Person unterstellt (Staatsangehörigkeitsprinzip).32 Die Anknüpfung an das Heimatrecht berücksichtigt die nationale und kulturelle Identität der Person,33 ihr Interesse an der Kontinuität der persönlichen Statusverhältnisse sowie das hoheitliche Interesse einer klaren Zuordnung der Individuen über die Staatsangehörigkeit.34 Diese IPR-Systeme sind insofern stark von den personalistischen Lehren Mancinis geprägt.35 Den personalistisch geprägten Systemen ist insbesondere das IPR des deutschen EGBGB in seiner Fassung von 1986 zuzurechnen.36 2. Territorialistisch geprägtes System Die gegenteilige Position nehmen die Rechtsordnungen der territorialistisch geprägten IPR-Systeme ein. Dem Personalstatut wird hier traditionell nur ein eng umgrenzter Anwendungsbereich zugesprochen.37 Innerhalb der Kategorie über29
Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 201; Batiffol, in: Choix d’articles, 1976, S. 213; Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 220; Salerno, Recueil des cours 395 (2018), 13, 70 f.; Zu der konzeptionellen Unterscheidung von Personalismus und Territorialismus näher Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 77. 30 Batiffol, in: Choix d’articles, 1976, S. 213 f. 31 Statt aller Bausback, in: Staudinger BGB, 2013, Anh. I zu Art. 5 EGBGB, Rn. 8 m. w. N. 32 Cuniberti, Conflict of Laws, 2017, Rn. 2.2, S. 450; Vignal, in: Mélanges Audit, 2014, S. 713. 33 Jayme, Recueil des cours 251 (1995), 9, 172. 34 Eingehend Stern, Das Staatsangehörigkeitsprinzip in Europa, 2008, S. 39 ff. 35 Vgl. Mancini, JDI 1874, 221 ff.; Zu Mancinis IPR-System ausführlich Jayme, Pasquale Stanislao Mancini, 1980; ders., in: FS Zweigert, 1981, S. 145 ff.; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 15 ff; Nishitani, Mancini und die Parteiautonomie im IPR, 2000, S. 68 ff. 36 Looschelders, in: Staudinger BGB, 2013, Anh. I zu Art. 5 EGBGB, Rn. 11. 37 Audit, Recueil des cours 305 (2003), 9, 178.
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wiegt die Anknüpfung an das Wohnsitz- beziehungsweise das Aufenthaltsrecht einer Person (Domizilprinzip).38 Damit wird der Fokus auf die Eingliederung der Person in ihr räumlich-soziales Lebensumfeld und die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung innerhalb eines Territoriums gelegt.39 Die territorialistische Prägung äußert sich überdies häufig in einem engen Verhältnis von Zuständigkeits- und Kollisionsrecht im engeren Sinne.40 Diesem System gehören in erster Linie Rechtsordnungen des Common Law-Kreises an.41 3. Mischsystem in Frankreich Während sich das deutsche Personalstatut, jedenfalls abseits der europäischen Entwicklungen, traditionell dem personalen System zuordnen lässt, ist die Einordnung des französischen statut personnel nicht so eindeutig. Vielmehr findet man in Frankreich ein historisch gewachsenes Mischsystem vor, das Elemente beider Systeme vereint.42 Zwar knüpft Art. 3 Abs. 3 C. civ. den statut personnel in kontinentaleuropäischer Tradition an das Heimatrecht, die loi nationale, an.43 Jedoch beschränken sich die Anknüpfungsgegenstände des statut personnel im engeren Sinne auf den état (insbesondere Name, Alter, Geschlecht), die capacité (Geschäftsfähigkeit) sowie die nicht-vermögensrechtlichen Fragen des Familienrechts, namentlich die Ehe und die Abstammung.44 Die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Person und der Familie (insbesondere das Ehegüterrecht) sowie das Erbrecht werden üblicherweise nicht zum statut personnel gezählt.45 Hierin besteht also eine gewisse Ähnlichkeit zu den Common Law-Systemen.46 Teilweise wird diese Aufspaltung der familiären Rechtsverhältnisse damit begründet, dass die Person ab dem Zeitpunkt ihres Eintritts in eine familiäre Beziehung in Fragen mit vermögensrechtlichen Bezügen nicht mehr isoliert von den 38 Cuniberti, Conflict of Laws, 2017, Rn. 2.1., S. 444; Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict of Laws, 2018, § 4.1, S. 270; Rabel, Conflict of Laws, Band I, 1958, S. 117 f. 39 Vgl. Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 210. 40 Hunter-Hénin, Pour une redéfinition du statut personnel, 2004, Rn. 59; Salerno, Recueil des cours 395 (2018), 13, 71. 41 Audit, Recueil des cours 305 (2003), 9, 169; Batiffol, in: Choix d’articles, 1976, S. 213, 214; Dutta, in: EPIL, 2017, Domicile, habitual residence and establishment, S. 555 f. 42 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 201; Fadlallah, in: Rép. dr. int.: Statut personnel, 2003, Rn. 4 f.; Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 230. 43 Vgl. Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 277. 44 Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 529. 45 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band II, 1983, Rn. 398; Rude-Antoine, in: Les statuts personnels en droit comparé, 2009, S. 175. 46 Batiffol, in: Choix d’articles, 1976, S. 213.
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anderen Familienmitgliedern betrachtet werden könne. Das gemeinsame Wohnsitz- und Aufenthaltsrecht der Familie bilde dann den Schwerpunkt dieser Rechtsverhältnisse besser ab.47 Historisch betrachtet ist die Aufteilung ein Relikt des Ancien Droit48: Das Ehegüterstatut stand als vermögensrechtliche Ehewirkung aufgrund seines vertragsrechtlichen Charakters zur Disposition der Ehegatten oder wurde dem ersten gemeinsamen Wohnsitz der Ehegatten unterstellt.49 Das Erbrecht der Mobiliar- und Immobiliarsachen wurde den statuta realia beziehungsweise statuta mixta zugeordnet.50 Auch nach Überwindung der Statutenlehre unterlagen die vermögensrechtlichen Ehewirkungen noch bis zum Jahr 1992 dem Recht des ersten gemeinsamen Wohnsitzes der Ehegatten nach der Eheschließung.51 Mit dem Haager Übereinkommen von 1978 wurde der Wohnsitz vom gewöhnlichen Aufenthalt abgelöst.52 Das autonome internationale Erbrecht gründete sich bis zum Inkrafttreten der EU-ErbVO auf das Prinzip der Nachlassspaltung, wonach sich die Vererbung von Mobilien (succession mobilière) nach dem Wohnsitz des Erblassers beurteilte und auf die Vererbung von Immobilien (succession immobilière) das Belegenheitsrecht Anwendung fand.53
47 In
diesem Sinne Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 418. Anders Hunter-Hénin, die nach der Disponibilität beziehungsweise Indisponibilität des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses differenziert, siehe Hunter-Hénin, Pour une redéfinition du statut personnel, 2004, Rn. 408 f. 48 Als Ancien Droit bezeichnet man, bezogen auf das Ancien Régime, den Rechtszustand vor der französischen Revolution und dem Inkrafttreten des Code napoléon, s. Cornu, Vocabulaire juridique, 2018, S. 66. Charakteristisch für das Ancien Droit ist die Vielzahl unterschiedlicher Rechtstraditionen, die sich besonders in der Unterscheidung zwischen dem Gewohnheitsrecht im Norden Frankreichs (droit coutumier) und dem geschriebenen Recht im südlichen Frankreich (droit écrit) äußert. 49 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 288; Diese Argumentation geht auf Charles Dumoulin zurück, siehe näher S. 30 ff. 50 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 288. 51 Droz, Recueil des cours 229 (1992), 9, 204; Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 828. 52 Vgl. Art. 4 des Haager Übereinkommens vom 14.3.1978 über das auf die ehelichen Güterstände anzuwendende Recht. Das Abkommen ist nur für Frankreich, Luxemburg und die Niederlande in Kraft getreten. 53 Für das Mobilienerbrecht siehe Cass. civ., 19.6.1939, Lebendan, für das Immobilienerbrecht vgl. Art. 3 Abs. 2 C. civ. und das Grundsatzurteil Cass. civ., 14.3.1837, Stewart, beide in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006 Nr. 18 beziehungsweise Nr. 3; Zum Prinzip der Nachlassspaltung im französischen IPR ausführlich d’Avout, Sur les solutions du conflit de lois en droit des biens, 2006.
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C. Zwischenfazit Der erste Überblick zu Begriff und Inhalt des statut personnel zeigt, dass die Ausrichtung des französischen Systems im autonomen IPR der persönlichen und familiären Rechtsverhältnisse seiner methodischen Grundkonzeption zufolge noch immer eine andere ist als diejenige des deutschen IPR. Die Begriffe des Personalstatuts und des statut personnel sind sich in ihrer terminologischen Verwendung zwar ähnlich. Die inhaltliche Ausgestaltung der Anknüpfungskategorie weicht hingegen voneinander ab. Während das deutsche autonome Recht sich innerhalb der Unterscheidung von personalistischem und territorialistischem Ansatz als ein personalistisches, vom Staatsangehörigkeitsprinzip dominiertes System definieren lässt, findet man im französischen Recht ein Mischsystem vor, in dem die vermögensrechtlichen Rechtsverhältnisse der Familie isoliert betrachtet und nicht dem Staatsangehörigkeitsprinzip unterstellt werden. Das französische Recht zeigt an dieser Stelle eine Durchmischung von traditionellen Lösungen des Ancien Droit und dem modernen Ansatz Mancinis. Die Kernelemente des statut personnel sind folglich weiter gefasst als diejenigen des Personalstatuts im deutschen Recht. Vor diesem Hintergrund findet sich der statut personnel in einer Mittelposition zwischen kontinentaleuropäischer IPR-Tradition und dem Konzept der Common Law-Systeme wieder. Um die Begrifflichkeiten für den deutsch-französischen Rechtsvergleich fruchtbar zu machen, werden die Begriffe Personalstatut beziehungsweise statut personnel im Folgenden in ihrem jeweiligen materiellen Sinne als Systembegriff des IPR genutzt, der beiden Rechtsordnungen bekannt ist: Danach bezeichnen Personalstatut und statut personnel eine Gesamtheit von Rechtsverhältnissen, die Bezug zur Person und ihrer familiären Einbindung in eine Gesellschaft haben und die das IPR kraft seiner Methodik einer oder mehreren Rechtsordnungen zuweist.54 Bezüglich des Anwendungsbereichs umfasst der Begriff in dieser Arbeit lediglich die nicht-vermögensrechtlichen persönlichen und familiären Statusverhältnisse. Insoweit wird dem engeren Begriffsverständnis des französischen statut personnel gefolgt.
54 Ähnlich
Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 13.
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§ 2 Der statut personnel im 17. bis 19. Jahrhundert: Vom conflit de coutumes zu den Grundfesten des Staatsangehörigkeitsprinzips A. Die extraterritoriale Wirkung persönlicher Rechte als Ausgangsfrage der IPR-Methodik Wie die vorstehenden Ausführungen bereits andeuten, ist die unterschiedliche Ausgestaltung der Kategorien von Personalstatut und statut personnel die Folge historischer Entwicklungen, die noch auf die Zeit vor dem Code civil als erster moderner Zivilrechtskodifikation zurückgehen. Diese historischen Zusammenhänge sind für die nationalen IPR-Systeme nach wie vor stil- und systemprägend.55 Wer nachvollziehen will, wie sich die Behandlung persönlicher und familiärer Rechtsverhältnisse in den nationalen Rechtsordnungen entwickelt hat, muss sich die Grundlagen der Entwicklung der allgemeinen IPR-Methodik mit ansehen. Die Methode, die Regelungen der persönlichen Rechtsverhältnisse eines Menschen einer einheitlichen Kategorie zuzuordnen, hat ihren Ursprung in der Statutentheorie des Mittelalters.56 Die Vorstellung, dass personenbezogene Rechte (statuta personalia) ausnahmsweise auch über die Grenzen des Wohnsitzgebiets der Person oder der Gewohnheitsrechte dieses Gebiets hinweg Bestand haben, geht zurück auf die Grundproblematik des IPR als Lösungsansatz für die Kollision verschiedener Rechtsordnungen.57 Wo ein Recht die Person über Gebietsgrenzen hinweg begleitet, stellt sich umgekehrt die Frage der Art und Weise und der Legitimität der Anwendung fremden beziehungsweise ausländischen Rechts auf dem eigenen Territorium.58 Die Einteilung der Rechtsverhältnisse in personenbezogene und nicht-personenbezogene Rechte bestimmt damit auch die Häufigkeit und den Umfang der Einflüsse fremder Rechtssätze auf das eigene Recht. Die folgenden Abschnitte zeichnen vor diesem Hintergrund überblicksartig die Entwicklung des französischen Kollisionsrechts im Allgemeinen und des sta55 Vgl.
Batiffol, Recueil des cours 139 (1973), 75, 80; ferner Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 16. 56 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 217; Bausback, in: Staudinger BGB, 2013, Anh. I zu Art. 5 EGBGB, Rn. 7; Dutta, in: EPIL, 2017, Personal status, S. 1346; Schwind, in: FS Lalive, 1993, S. 191 f. 57 Vgl. Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 218; Stern, Das Staatsangehörigkeitsprinzip in Europa, 2008, S. 21 f.; Zu beachten ist, dass vor der Säkularisierung die persönlichen und familiären Rechtsverhältnisse getrennt zu beurteilen waren, denn für das Familienrecht galt damals das kanonische Recht, siehe Audit, Recueil des cours 305 (2003), 9, 38 (Fn. 37). 58 Lorenz, in: FS W. Lorenz, 2001, S. 357, 367 f.
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tut personnel im Besonderen vor Inkrafttreten des Code civil nach. Dabei spannt sich der Bogen vom späten Mittelalter mit den Werken Dumoulins und d’Argentrés (B.) bis zum 19. Jahrhundert, in dem der französische Code civil mit seinem berühmten Art. 3 C. civ. den Grundstein für das Personalstatut des modernen IPR legt (C.), und zu der Frage, wie sich die Entwicklungen in den europäischen Kontext einbetten (D.).
B. Das französische Kollisionsrecht vor dem Code civil Seinen häufig betonten nationalen Charakter erhält das IPR auf den ersten Blick erst mit Schaffung der großen Zivilrechtskodifikationen des 19. Jahrhunderts. Zuvor ist die Disziplin durch das gemeinsame römisch-rechtliche Fundament des ius commune und die Lehren der Statutentheorie, der Frühform des heutigen IPR, in einer Art „gemeineuropäischer“ Wissenschaft vereint.59 Vollständig in nationale Rechtsordnungen trennen lässt sich die Ideengeschichte des IPR und seiner Methodik mithin im europäischen Raum nicht.60 Dennoch kann man in der mittelalterlichen Statutentheorie maßgeblich drei Schulen – die italienische, die französische und die niederländische – unterscheiden, die zwar aufeinander aufbauen, aber im methodischen Grundverständnis durchaus voneinander abweichen, da sie die Eigenheit eines jeden Herrschaftsgebiets in der Rechtsanwendung berücksichtigen.61 So trifft die Statutentheorie in Frankreich auf andere rechtspolitische Gegebenheiten als in ihrem Ursprungsland Italien. Die daraus entstandene Prägung beeinflusst die im 19. Jahrhundert nachfolgende Entwicklung der nationalen Kollisionsrechtssysteme ganz entscheidend.62 I. Vom Statutenkonflikt in Italien zum conflit de coutumes in Frankreich Die Vorläufer des heutigen IPR finden ihren Ursprung im späten Mittelalter in den unabhängigen Handelsstädten Norditaliens.63 Die dort verbreiteten ver59
Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287, 292; Zum Ziel der Einheitlichkeit in der mittelalterlichen Doktrin näher Barile, Recueil des cours 116 (1965), 305, 312 ff. 60 Gebauer, JZ 2011, 213, 213 f. 61 Vgl. Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287, 328: „Toutes les Écoles statutaires montrent un caractère national.“ 62 Lainé, Droit international privé, Band I, 1888 (Nachdr. 1970), S. 31; Loussouarn/Bourel/ Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 134 a. E. 63 Die als italienische Schule bezeichnete Doktrin wird im 13. und 14. Jh. von Bartolus de Saxoferrato (1314–1357) und Baldus de Ubaldis (1327–1400) geprägt, siehe v. Hein in: MüKo BGB, 2020, Einl. IPR, Rn. 12 m. w. N.; Zu den folgenden Entwicklungen im Ansatz bereits Weller/Schlürmann, in: Mélanges Witz, 2018, S. 891 ff.
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
schriftlichten Stadtgesetze (statuta) werden Namensgeber für die Statutentheorie, welche die mittelalterlichen Rechtsgelehrten als Lösungsansatz zur Kollision verschiedener Statuten entwickeln.64 Die florierende Wirtschaftslage der nord italienischen Städte begünstigt den regen Austausch von Personen und Waren und befördert gleichzeitig Fälle von Statutenkollisionen.65 Die Perspektive der Rechtsgelehrten öffnet sich deshalb für die Frage, wann eigene Statuten auch außerhalb des eigenen Stadtgebiets wirken können.66 Die Statutentheorie überwindet somit zwar das strenge Territorialitätsprinzip des frühen Mittelalters.67 Anders als das moderne IPR-System setzt die Statutenlehre jedoch methodisch stets am Rechtssatz selbst an, dessen Anwendung in Frage steht, nicht wie Savigny an einem abstrakt bestimmten Rechtsverhältnis.68 Bereits in der italienischen Statutentheorie finden sich erste Ansätze dazu, bei der Beurteilung der Anwendungswilligkeit der Rechtssätze zwischen personalen (statuta personalia), realen (statuta realia) und gemischten (statuta mixta) Rechtssätzen zu unterscheiden.69 Damit ist der Konflikt um den Umfang und den Inhalt der jeweiligen Kategorie geboren. Eine einheitliche dogmatische Grundlage für ein auf diese Weise geordnetes „Kollisionsrecht“ bildet sich aus den Werken der italienischen Gelehrten jedoch noch nicht heraus.70 Diese ist der Verdienst des Franzosen Bertrand d’Argentré, auf dessen Lehren noch einzugehen sein wird.71 Im mittelalterlichen Frankreich feiert die italienische Doktrin ebenfalls einige Erfolge.72 Auf französischem Territorium ist die Rechtsquellensituation zur Hochzeit der italienischen Schule allerdings anders gelegen als in Oberitalien. Im Gegensatz zu den italienischen Stadtstatuten, die sich ein gemeinsames römisch-rechtliches Fundament teilen, herrscht in Frankreich vielerorts ein striktes Feudalsystem vor.73 Vor allem der Norden des Landes ist in eine Vielzahl von 64 Zur Zweideutigkeit des Begriffs im rechtshistorischen Sinne Boosfeld, ZRG GA 136 (2019), 76 ff. 65 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 2004, § 3 III, S. 166. 66 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 148. 67 Das frühmittelalterliche Territorialitätsprinzip im Sinne der ausschließlichen Anwendung der lex fori ist wiederum nicht zu verwechseln mit dem kollisionsrechtlichen Territorialiätsprinzip, dass d’Argentré im späten Mittelalter prägt; dazu sogleich S. 32 ff. 68 Boosfeld, ZRG GA 136 (2019), 76, 86. 69 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 217 m. w. N. Im Einzelnen umstritten, siehe Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 142. 70 Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 120. 71 S. 32 ff. 72 Ausführlich zu einigen französischen Vertretern der italienischen Schule Lainé, Droit international privé, Band I, 1888 (Nachdr. 1970), S. 207 ff. 73 Olivier-Martin, Histoire du droit français, 1948 (Nachdr. 1984), Rn. 92 ff.
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eigenständigen Gewohnheitsrechten (coutumes) geteilt.74 Die coutumes unterscheiden sich im Einzelnen deutlich voneinander und zeichnen sich durch einen strikt territorialen Geltungsanspruch aus. Größtenteils fehlt der Einfluss des jus commune als verbindendes Element.75 Die französische Krone steht dem römischen Recht als Ausdruck des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation ablehnend gegenüber.76 Der Territorialitätsgedanke, das heißt der Herrschaftsanspruch des eigenen Rechts auf dem eigenen Herrschaftsgebiet, bleibt vor diesem Hintergrund in Frankreich deutlich stärker ausgeprägt als in Italien.77 Der italienische Statutenkonflikt wird so zum französischen conflit de coutumes. II. Statutentheorie „à la française“? Der Einfluss französischer Autoren auf die Statutentheorie beginnt mit dem Übergang von der eher unsystematischen Gründungszeit in Italien zur Entstehung echter dogmatischer Schulen ab dem 16. Jahrhundert.78 Vor allem zwei Rechtsgelehrte, Charles Dumoulin und Bertrand d’Argentré, haben maßgebliche Beiträge zur Entwicklung der kollisionsrechtlichen Dogmatik in Frankreich und im europäischen Raum geleistet.79 Die Ansichten der beiden Autoren spiegeln die Zweiteilung der Lehre des französischen Privatrechts zu dieser Zeit wider:80 Auf der einen Seite stehen die Royalisten als Anhänger eines vereinheitlichten französischen Gewohnheitsrechts nach römisch-rechtlicher Tradition. Auf der anderen stehen die Feudalisten als Verfechter einer grundsätzlichen Souveränität der einzelnen coutumes unabhängig von einem gemeinen Recht.81 74
Meijers, Recueil des cours 49 (1935), 543, 636. Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 144; Boosfeld, ZRG GA 136 (2019), 76, 87; Olivier-Martin, Histoire du droit français, 1948 (Nachdr. 1984), Rn. 78. 76 Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 1977, S. 64. 77 Siehe Lainé, Droit international privé, Band I, 1888 (Nachdr. 1970), 30 ff., 269 ff.; Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 115. 78 Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287, 314. Ob die französische Schule des 16. Jahrhunderts als Gegenbewegung zur römisch-rechtlich geprägten italienischen Doktrin als eigene „französischen Statutentheorie“ zu bezeichnen ist, ist umstritten: dafür Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287, 287, 321; kritisch Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 205 f. 79 Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 121. 80 Das häufig zitierte Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden wird allerdings häufig überspitzt dargestellt. D’Argentrés Hauptwerk zur Coutume de Bretagne erschien erst knapp zwanzig Jahre nach dem Tod Dumoulins; beide Gelehrten lernten sich nie persönlich kennen, siehe Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 217; ebenso kritisch Lainé, Droit international privé, Band I, 1888 (Nachdr. 1970), S. 313 f. 81 Lainé, Droit international privé, Band I, 1888 (Nachdr. 1970), S. 314. 75
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
1. Dumoulin und die Anfänge der Parteiautonomie Der Pariser Anwalt Charles Dumoulin (1500–1566) steht paradigmatisch für den Übergang von der italienischen zur französischen Schule.82 Der dogmatisch eigenständige Bedeutungsgehalt seiner Arbeit ist rechtshistorisch indes umstritten.83 Sein methodischer Ansatz folgt zunächst der italienischen Schule nach dem Vorbild von Bartolus und Baldus.84 Dumoulin steht der Anwendung fremder coutumes offen gegenüber und bevorzugt einen weiten Anwendungsbereich der extraterritorial wirkenden statuta personalia.85 Sein Werk bringt vor diesem Hintergrund weniger methodische Neuerung als das von d’Argentré.86 Nachhaltigen Ruhm erlangt Dumoulin nicht durch seine allgemein-kollisionsrechtliche Abhandlung,87 sondern durch ein Rechtsgutachten, das Consilium Nr. 53,88 zum ehelichen Güterrecht.89 Infrage stand dort das Eigentum der in Paris wohnhaften Ehegatten Ganey (beziehungsweise der jeweiligen Erben) an Landgütern im Mâconnais in der Nähe von Lyon. Die Immobilien hatte zwar ursprünglich der Ehegatte Ganey allein erworben. Da zwischen den Ehegatten aber eine Gütergemeinschaft bestand, konnten die Immobilien im Wege einer gegenseitigen Schenkung von Todes wegen auch Teil des Vermögens der Ehefrau geworden sein. Allerdings war die Gütergemeinschaft als gesetzlicher Güterstand nur im damaligen Pariser Gewohnheitsrecht, der Coutume de Paris, vorgesehen. Dem am Belegenheitsort der Immobilien geltenden droit écrit war die Gütergemeinschaft unbekannt, es galt grundsätzlich Gütertrennung. Als Vor82
Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 1977, S. 69 ff. Zum Gesamtwerk, Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, 1955; Gebauer, ZEuP 2016, 928 ff.; Thireau, Charles DuMoulin (1500–1566), 1980. 83 Gebauer, JZ 2011, 213, 217 f. 84 Ancel, Rev. crit. DIP 2011, 21 ff.; Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 122; Ein wichtiger Unterschied ist, dass Dumoulin von einem vereinheitlichen Recht der coutumes im Sinne eines einheitlichen Gewohnheitsrechts ausging und nicht von der einheitlichen Geltung des römischen Rechts, vgl. Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, 1955, S. 88 f. 85 Lainé, Droit international privé, Band I, 1888 (Nachdr. 1970), S. 240 f. 86 Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287, 320; Lainé, Droit international privé, Band I, 1888 (Nachdr. 1970), S. 223 f.; kritisch Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 220; Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, 1955, S. 110. 87 Dumoulin, in: Caroli Molinaei opera, Band III, 1681, S. 554 ff.; französischer Abdruck bei Ancel, Rev. crit. DIP 2011, 21 ff. 88 Originalabdruck: Dumoulin, in: Caroli Molinaei opera, Band III, 1681, S. 963 ff. (Consilium LIII); eine französische Übersetzung mit wertvollen Kommentierungen findet sich bei Ancel/Muir Watt, in: Mélanges Courbe, 2008, S. 1, 5 ff. 89 Fallbeschreibung nach Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 211 ff.; Gebauer, ZEuP 2016, 928, 942 f.
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frage zu klären war damit – nach moderner Terminologie – das auf die Schenkung anwendbare Güterstatut. Vor Dumoulins Consilium war das Eigentum an Immobilien Teil des Realstatuts, es galt die lex rei sitae.90 Dumoulin vertritt in seinem Consilium dagegen die Ansicht, die eheliche Gemeinschaft unterliege dem Recht am Ort des ersten ehelichen Wohnsitzes der Ehegatten, mithin der Coutume de Paris. Diese erstrecke sich auch extraterritorial auf die im Mâconnais belegenen Immobilien der Ehegatten.91 Revolutionär ist Dumoulins dogmatische Begründung dieser Regel: In Abwesenheit einer expliziten Vereinbarung über die eheliche Gemeinschaft stelle die Ehe zumindest einen stillschweigenden Gemeinschaftsvertrag (contrat tacite de société) dar. Maßgeblich für das anwendbare Recht sei daher die Auslegung dieses (gegebenenfalls konkludent geäußerten) Willens.92 Da die Ehegatten Ganey die Gemeinschaft an ihrem Wohnsitz begründet hätten, gelte die Vermutung, dass dies unter stillschweigender Einbeziehung der dort geltenden Cou tume de Paris geschehen sei.93 Die Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsvertrag wirken für Dumoulin – wie alle vertraglichen Obligationen nach römisch-rechtlicher Tradition – in personam und damit extraterritorial.94 Dumoulin bleibt in der Stoßrichtung also dem bartolistischen System treu. Jedoch findet die Coutume de Paris nicht aus sich heraus, sondern als kodifizierter, präsumtiver Parteiwille Anwendung, sofern ein solcher Wille explizit nicht feststellbar ist.95 Er dreht das Abhängigkeitsverhältnis von Person und Recht folglich um;96 ein Ansatz, welcher der strengen Statu-
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Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, 1955, S. 202 m. w. N. Die vollständige Herleitung findet sich in den §§ 3 ff. Consilium Nr. 53 bei Ancel/Muir Watt, in: Mélanges Courbe, 2008, S. 1, 7 ff. 92 Einschränkend ist anzumerken, dass Dumoulin das anwendbare Recht beziehungsweise die einschlägige coutume nicht der vollständigen Wahlfreiheit der Ehegatten überlässt, sondern auf den ersten Ehewohnsitz zurückführt, vgl. Ancel/Muir Watt, in: Mélanges Courbe, 2008, S. 1, 4 (Fn. 10). 93 Vgl. § 3 Consilium Nr. 53, übersetzt von Ancel/Muir Watt, in: Mélanges Courbe, 2008, S. 1, 7: „parce que [la société] procède et est établie du consentement même et véritable des parties, lesquelles, en effet d’avoir contracté simplement dans le lieu de leur domicile, sont réputées être engagées et convenues selon les mœurs et la coutume notoire de ce lieu, à moins qu’elles n’en aient stipulé autrement […].“ 94 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 212. 95 Dumoulin, Conclusiones (Fn. 87), übersetzt von Ancel, Rev. crit. DIP 2011, 21, 28: „[…] la vérité est que le droit est, tacitement, dans l’esprit des contractants.“ 96 Vgl. § 4 Consilium Nr. 53, übersetzt von Ancel/Muir Watt, in: Mélanges Courbe, 2008, S. 1, 8: „Il faut reconnaître que lorsque la coutume s’incorpore au contrat, elle n’y vient pas en tant que lex publia ou droit coutumier, […], mais en tant qu’élément du contrat […] voulue, incluse et stipulée par les contractants.“ 91
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tentheorie bis dato fernlag und sich erst viel später umfassend durchsetzte.97 Nach einem Aufenthalt in Tübingen erscheint 1553 Dumoulins Werk Conclusiones98, in dem er dieses Prinzip verallgemeinert. Er gilt seither als Begründer des Grundgedankens der Parteiautonomie und der Disponibilität von Rechten im Kollisionsrecht.99 Die von Dumoulin begründete Anknüpfungsregel galt im französischen Recht bis zum Eintritt des Haager Übereinkommens über das auf die Ehegüterstände anwendbare Recht im Jahr 1978 fort.100 Trotz des innovativen Lösungsansatzes fehlt es Dumoulins kollisionsrechtlichem Vorgehen an einer überzeugenden dogmatischen Grundlage.101 Diesen Schritt leistet wenig später der wohl gewichtigste Vertreter der französischen Schule, Betrand d’Argentré. 2. D’Argentré und das Territorialitätsprinzip Bertrand d’Argentré (1519–1590) entwirft wenige Zeit nach Dumoulin ein territorialistisch geprägtes Gegenkonzept zu der italienischen Schule. Er gilt deswegen als methodischer Erneuerer, wenn nicht sogar Begründer einer „französischen“ Statutenlehre.102 Als „Verteidiger einer feudalen und partikularistischen Staatsauffassung“103 entfernt er sich auf dogmatischer wie rechtspolitischer Ebene deutlich von den Ansichten Dumoulins. Die berühmteste kollisionsrechtliche Abhandlung d’Argentrés erscheint im Jahr 1584 als Art. 218 seiner Kommentierung der Coutume de Bretagne.104 Die Bretagne ist damals eine streng feudal organisierte Provinz mit hohen Unabhängigkeits- und Souveränitätsbestrebungen.105 Für d’Argentré stellt der Konflikt 97 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 215 und ders., Rev. crit. DIP 2011, 21, 24 ff., der hierin die bedeutendste Abweichung Dumoulins von der italienischen Schule sieht. 98 S. o. Fn. 87; zu der Tübinger Zeit näher Gebauer, JZ 2011, 213, 216 ff.; ders., ZEuP 2016, 928, 944 ff. 99 Strittig, dafür Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 213; Gebauer, JZ 2011, 213, 218 f.; a. A. Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, 1955, 110 ff, 121. 100 Ancel/Muir Watt, in: Mélanges Courbe, 2008, S. 1, 4 f. 101 Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 123. 102 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 6, Rn. 23; Mayer/Heuzé/ Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 65; kritisch wiederum Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 206; Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 1977, S. 89 f., insbesondere Fn. 20. 103 Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, 1955, S. 67. 104 d’Argentré, Commentarii in patrias Britonum, 1664; französischer Abdruck bei Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 253 ff. D’Argentré unterscheidet sich von seinen Vorgängern schon dadurch, dass er nicht die Rechtssätze des gemeinen Rechts kommentiert, sondern das lokale Gewohnheitsrecht. 105 Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 125.
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verschiedener coutumes deshalb einen Souveränitätskonflikt (conflit de souve raintés) dar, der seiner IPR-Theorie eine öffentlich-rechtliche Prägung gibt.106 Das von ihm entworfene Regelungskonstrukt des Kollisionsrechts ist partikularistisch ausgerichtet;107 die Anwendung der Coutume de Bretagne ist vorrangiges Ziel.108 Anders als die italienische Statutenlehre ist d’Argentrés Konzeption insofern weniger offen für die Anwendung fremder coutumes.109 D’Argentrés kollisionsrechtliches Konzept ist dreigeteilt und besticht durch seine Einfachheit: Die Rechtssätze einer coutume sind grundsätzlich territorial; ihr Geltungsanspruch beschränkt sich auf das ihr zugrundeliegende territoriale Herrschaftsgebiet.110 Rechtssätze bezüglich der realia haben deshalb allein territoriale Wirkung (territorialité-réalité). Lediglich die Rechtssätze bezüglich der personalia haben extraterritoriale Wirkung (personnalité-extraterritorialité).111 D’Argentré belässt es aber nicht bei dieser Einteilung der Rechtssätze. Er stellt erstmals auch Regeln zur Systematisierung und Hierarchisierung dieser Kategorien auf: Der Anwendungsbereich der personalen Rechte bleibt in der territorialen Grundkonstruktion d’Argentrés äußerst begrenzt.112 Denn hier droht durch die Extraterritorialität die Anwendung fremder coutumes auf dem eigenen Territorium.113 Personal sind daher lediglich diejenigen Rechte, welche die Existenz und den Status der Person ohne jeden Bezug zu realen Rechten betreffen.114 Die Kategorie der Immobiliarsachenrechte interpretiert d’Argentré hingegen so ex106
Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 221; Rass-Masson, Les fondements du droit international privé européen, 2015, Rn. 103. 107 Vgl. die treffende Definition des particularisme von Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 424: „Avec le particularisme, le problème du conflit de lois est perçu et traité, dans une perspective ptoléméenne, par chaque ordre juridique de son propre point de vue et pour son propre comte, comme si l’ensemble de l’univers se réglait sur lui.“ 108 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 221. 109 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 147. 110 d’Argentré, Commentarii in patrias Britonum, 1664, Nr. 11, übersetzt von Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 257: „Au-delà des limites de son territoire, le pouvoir est une personne privée […] là où s’achève le pouvoir s’achèvent la juridiction et la compétence, car les statuts au-delà de leurs territoires sont sans utilité, car personne ne peut contraindre au-delà de son territoire, ce qui est la définition du territoire.“ 111 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 221; kritisch zum Begriff der Extraterritorialität d’Argentrés Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 66. 112 d’Argentré, Commentarii in patrias Britonum, 1664, Nr. 8, übersetzt von Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 256 : „Bref, pour que les statuts soient personnels, il faut qu’ils disposent simplement de l’état de la personne, hors de tout mélange de choses immobilières et abstraction faite de toute matière réelle.“ 113 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 219. 114 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 221, denenzufolge in d’Argentrés Konzeption auch die Rechtsfähigkeit (beispielsweise Minderjähriger) bezüglich spezieller Rechtsgeschäfte schon nicht mehr Teil der lex personalia waren.
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tensiv wie möglich. Ihnen kommt der Vorrang vor allen personalen Rechten zu.115 Entscheidend ist für ihn der Zugriff der öffentlichen Hand auf die im Territorium befindlichen Personen und Güter, nicht der gerechte Ausgleich von Privatinteressen oder gar die Kontinuität persönlicher Rechtsverhältnisse.116 Auch für die dritte Kategorie, die Rechtsverhältnisse mit personalen und realen Bezügen (statuta mixta), gilt deswegen im Zweifel die Vermutung zugunsten der Realität des Rechts.117 An dieser Stelle unterscheidet sich das System d’Argentrés maßgeblich von der italienischen Schule und dem Ansatz Dumoulins, der ein Überwiegen der personalen Rechte annimmt.118 D’Argentré bringt mit seiner konsequenten Einteilung der Rechtsverhältnisse erstmals eine umfassende logische Ordnung in die Statutentheorie, die bis dato weniger an ein System als an eine Sammlung einzelfallorientierter Lösungen erinnert.119 Er passt sie dem zu damaliger Zeit noch immer vorherrschenden Feudalcharakter und der Diversität der coutumes in Frankreich an. In Frankreich selbst ist d’Argentrés Konzept erst zum Ende des Ancien Régime hin erfolgreich.120 Zunächst erlischt nach d’Argentrés Tod der Glanz der französischen Schule.121 In anderen autonomen Regionen wie Flandern oder Holland und bis in den angelsächsischen Raum hinein fällt seine Theorie aber früh auf fruchtbaren Boden.122 Dort entwickelt sich auf dieser Grundlage der territoriale Ansatz der niederländischen Schule, dessen theoretisches Fundament mithin maßgeblich 115
d’Argentré, Commentarii in patrias Britonum, 1664, Nr. 5, übersetzt von Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 255: „[…] les auteurs scolastiques se trompent souvent et, de manière absurde, attribuent à la personne ce qui a été établi en vue et en considération der la chose, alors même qu’en espèce il est clair que l’agent importe moins que la matière.“ 116 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 225; Die italienische Schule zeichnet hingegen ein sozial-gesellschaftlicher Rechtsansatz aus, vgl. Gutzwiller, Re cueil des cours 29 (1929), 287, 324. 117 d’Argentré, Commentarii in patrias Britonum, 1664, Nr. 6, zitiert nach Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 255 f. 118 Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287, 324. 119 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 221: „Il y a là un système complet: classification des lois en deux catégories, prépondérance de l’une d’elles et définition de la catégorie à interpréter restrictivement. Pour la première fois un auteur donnait non seulement des rattachements mais une vue d’ensemble des qualifications.“ 120 Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 131 f.; Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 67. 121 Im 18. Jahrhundert trugen zwar weitere französische Autoren, wie beispielsweise Froland, Boullenois, Bouhier, Coquille, Lebrun oder Ricard zur weiteren Ausbildung der Statutentheorie bei. Methodisch knüpfen sie aber in erster Linie an das bereits erarbeitete Fundament der italienisch-französischen Schule und die Klassifizierung d’Argentrés an, vgl. Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 227. 122 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 147; Wenig überraschend zählen
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auf d’Argentré zurückzuführen ist.123 Nach dem Niedergang der Statutentheorie wird der Territorialitätsgedanke d’Argentrés in Kontinentaleuropa teilweise noch von der Rechtsprechung sowie später von den Kritikern eines internationalistisch ausgerichteten IPR in Stellung gebracht.124 III. Zwischenfazit Die französische Kollisionsrechtsgeschichte des späten Mittelalters prägt der Konflikt autonomer Gewohnheitsrechte, der conflit de coutumes. Dieser weicht von der ursprünglichen Kollision unabhängiger italienischer Stadtstatuten insofern ab, als in Frankreich lokale Partikularrechte aufeinandertreffen, die zwar unter einer zentralen politischen Herrschaftsmacht stehen, denen aber das rechtliche Fundament des ius commune weitgehend fehlt. Dieser strukturpolitische Unterschied bildet sich vor allem in der territorialistischen Konzeption d’Argentrés und der ihm nachfolgenden niederländischen Schule ab. Hingegen bleibt Dumoulins methodischer Einfluss als Anhänger der traditionellen italienischen Doktrin auf die „Entdeckung“ der Parteiautonomie beschränkt. Die wesentliche Errungenschaft der französischen Schule ist mithin die Systematisierung und Hierarchisierung der Rechtsanwendungsregeln des mittelalterlichen Statutenkollisionsrechts. D’Argentré verhilft der Dreiteilung der Rechtsverhältnisse in statuta personalia, statuta realia und statuta mixta zum Durchbruch. Maßgeblicher Unterschied von traditioneller italienischer Schule und Territorialitätsprinzip nach d’Argentré ist die Gewichtung von lex personalia und lex realia: In d’Argentrés System gilt der grundsätzliche Vorrang der Realität der Rechte. Die Territorialität wird zur Regel, die Extraterritorialität zur Ausnahme. Die Ausprägung von Personalität und Territorialität innerhalb eines IPR Systems entscheidet seitdem darüber, welcher Raum den personalen Rechten und ihrer extraterritorialen Wirkung in einer Rechtsgemeinschaft gegeben wird. D’Argentrés Territorialismus scheint in das französische Verständnis des Kollisionsrechts bis heute insofern einzuwirken, als die Ausdehnung des statut personnel noch immer weniger weit ist als es in anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen im Kreise der Personalsysteme der Fall ist.125 Letztlich setzt sich sein Konzept in der französischen Lehre aber nicht vollumfänglich durch. demnach vor allem die Common Law-Länder bis heute zu den territorial geprägten IPR-Systemen, s. o. S. 23 ff. 123 Im Einzelnen dazu v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 6, Rn. 30 ff. 124 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 223; näher zu der Renaissance des territorialistischen Ansatzes im französischen IPR des 20. Jahrhunderts unten S. 49 ff. 125 S. o. S. 25.
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Zum Ende des Ancien Régime und zu Beginn der Kodifikationszeit ist eine Zweiteilung in die Anhänger der traditionell-italienischen Statutentheorie und die Anhänger der territorialen Lehren d’Argentrés zu verzeichnen.126 Die Einordnung des französischen IPR-Systems als ein Mischsystem zwischen personalistischer und territorialistischer Konzeption ist Ausdruck dieser Entwicklungen.
C. Der statut personnel im Code civil von 1804 Das 19. Jahrhundert ist das Zeitalter der großen Zivilrechtskodifikationen.127 Allen voran steht der revolutionäre Code civil.128 Er führt im französischen Privatrecht die Rechtseinheit herbei, die schon Dumoulin vorschwebte.129 Auch für das IPR entstehen durch diese Kodifikationswelle neuartige Rechtsquellen.130 Gutzwiller zieht hieraus drei wichtige Konsequenzen:131 Das zuvor universale Denkkonstrukt der gemeineuropäischen Statutentheorie auf Grundlage des ius commune zerfällt endgültig in die einzelnen nationalen Kollisionsrechtssysteme. Die Kernfrage des Rechtsgebiets verlagert sich damit weg von der Kollision lokaler Gewohnheitsrechte oder Statuten ausgebildet von Rechtsprechung und Lehre hin zu einem echten Gesetzeskonflikt, einem conflit de lois im wörtlichen Sinne. Vor diesem Hintergrund treten die Unterschiede der jeweiligen Rechtsordnungen und Rechtskulturen deutlicher zutage; die partikularistischen Strömungen innerhalb der IPR-Theorie erfahren mithin eine Aufwertung.132 Für die lex personalis bedeutet die Kodifikation des IPR ebenfalls eine Zäsur: Mit Schaffung der Nationalstaaten und der Staatsangehörigkeit als Zuordnungskriterium zu diesen Staaten ist ein neues Anknüpfungsmoment des IPR geboren. Es wird sich auf dem europäischen Kontinent im Laufe der Zeit in unterschiedlich starker Ausprägung als Regelanknüpfung für die persönlichen und familiären Rechtsverhältnisse der Person durchsetzen.133 Die Säkularisierung des
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Foyer, in: Mélanges Ancel, 2018, S. 593, 609. Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287, 332. 128 Cuniberti, Grands systèmes de droit contemporains, 2019, Rn. 57. 129 Gamillscheg, Der Einfluss Dumoulins, 1955, S. 5, 90 ff. 130 Zum Kollisionsrecht im bayerischen Codex Maximilianeus und dem Allgemeinen Preußischen Landrecht näher v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 6, Rn. 42 f.; Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 2017, S. 98. 131 Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287, 334; ähnlich Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 426. 132 Ancel spricht von der „diversification des systèmes positifs“, siehe Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 515. 133 Stern, Das Staatsangehörigkeitsprinzip in Europa, 2008, S. 29. 127
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Rechts, die mit der Aufklärungszeit einhergeht,134 führt überdies dazu, dass dem Personalstatut das Familienrecht, das zuvor in weiten Teilen zum kanonischen Recht zählte, als weiterer Anwendungsbereich zugerechnet wird.135 I. System und Methode des Art. 3 C. civ. So klar Gutzwiller den Bruch zwischen alter und neuer IPR-Tradition mit der Jahrhundertwende beschreibt, spiegelt sich dies im Code civil selbst auf den ersten Blick nicht wider. Zum Kollisionsrecht enthält der Code civil in seiner Ursprungsfassung nur einige rudimentäre Vorschriften, die im für damalige Zeiten ausgefeilten und kohärent konstruierten System dieses Werkes wie ein Fremdkörper erscheinen.136 Paradigmatisch dafür steht der berühmte Art. 3 C. civ., der die Zentralvorschrift des französischen IPR bildet.137 Er lautet in seiner bis heute unveränderten Fassung: „Les lois de police et de sûreté obligent tous ceux qui habitent le territoire. Les immeubles, même ceux possédés par des étrangers, sont régis par la loi française. Les lois concernant l’état et la capacité des personnes régissent les Français, même résidant en pays étranger.“
Für den entwicklungsgeschichtlichen Kontext des statut personnel sind zwei Aspekte der Vorschrift von Bedeutung: Die Norm gibt als eine der ersten Anlass zu einem Methodenwandel weg von der Statutentheorie hin zu einem modernen IPR; sie gilt gleichzeitig als Vorreiter des kollisionsrechtlichen Staatsangehörigkeitsprinzips. 1. Der kollisionsrechtliche Gehalt der Vorschrift Der kollisionrechtsmethodische Aussagegehalt des Art. 3 C. civ. war von Beginn an umstritten.138 Den Kern des Diskurses bildet die Frage, ob die Vorschrift lediglich das bereits bekannte System der Statutentheorie kodifiziert oder ob 134 Bezüglich des Eherechts dazu etwa Conrad, ZRG GA 67 (1950), 336, 339; Viollet, Histoire du droit civil français, 1905 (Nachdr. 1966), S. 400 f. 135 Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 1, Rn. 6; Audit, Recueil des cours 305 (2003), 9, 38 (Fn. 37). 136 Vgl. Brocher, JDI 1881, 5: „Quand on compare les règles de droit international privé contenues dans le Code civil français, avec les problèmes qu’elles doivent résoudre, on est frappé du contraste qui existe entre le petit nombre des premières et l’infinie multitude des seconds.“; Loussouarn, in: Liber amicorum Droz, 1996, S. 191. Zu späteren Kodifikationsversuchen s. u. S. 58 ff. 137 Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 1. 138 Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287; 337; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 7 f.; ausführlich zur Entstehungsgeschichte Lainé, Rev. crit. DIP 1905, 21 ff.
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der Gesetzgeber sich durch den mehrdeutigen und lückenhaften Wortlaut mehr oder weniger bewusst von der Statutenlehre abgewendet hat.139 Die Vorarbeiten zum Code civil lassen in diesem Zusammenhang keine eindeutigen Rückschlüsse zu.140 Tatsächlich besitzt Art. 3 C. civ. im Hinblick auf Wortlaut und Systematik einen ambivalenten Charakter: So regelt Abs. 1 den im Inland geltenden Vorrang der Ordnungs- und Sicherheitsgesetze, der entweder als erster kodifizierter ordre public-Vorbehalt interpretiert werden kann oder aber als bloße Niederlegung des bereits bekannten Territorialitätsprinzips im Sinne d’Argentrés und der nachfolgenden niederländischen Schule.141 Gleichzeitig vermittelt die klassische Differenzierung zwischen Personal- und Realstatut in den Absätzen 2 und 3 den Eindruck, die Vorschrift sei ein Relikt der alten Statutentheorie.142 Die Norm bestimmt darüber hinaus allein die territoriale Ausdehnung des französischen Rechts.143 Art. 3 Abs. 3 konkretisiert in diesem Sinne, dass sich das französische Recht auch auf französische Staatsbürger außerhalb des französischen Staatsgebiets erstreckt. Dies erinnert an die ausnahmsweise extraterritoriale Wirkung personaler Rechte in der Konzeption d’Argentrés.144 Zur Anwendung fremden Rechts im Inland oder zum Status ausländischer Personen im Inland trifft die Norm hingegen keine Aussage. Gegen einen bewussten Paradigmenwechsel sprechen überdies die politischen Umstände der Entstehungsgeschichte: Die dynamischen Entwicklungen der Französischen Revolution stellten die Ausarbeitung des Code civil unter Zeitdruck, sodass die Neuordnung einer komplexen Materie wie derjenigen des IPR, das zuvor über mehrere Jahrhunderte lang in einem mehr oder weniger uneinheitlichen und zersplitterten Zustand überdauert hatte, nicht im Vordergrund stand.145 Während außerdem die innerfranzösischen Konflikte der coutumes durch die Rechtseinheit beseitigt waren, waren hingegen die internationalen Konflikte zwischen den neu entstehenden Rechtsordnungen noch von unerhebli139 Für einen Paradigmenwechsel Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 527 f.; Lainé, Rev. crit. DIP 1905, 21 ff.; Nolde, Recueil des cours 55 (1936), 299, 314; Weiss, Traité, Band III, 1912, S. 150 ff.; für die Kodifizierung der Statutentheorie Foyer, in: Mélanges Ancel, 2018, S. 593, 609; Vareilles-Sommières, La synthèse du DIP, 1897 (Nachdr. 1972), S. 186 ff. 140 Ausführlich zu den Vorentwürfen Korkisch, in: FS Dölle, Band II, 1963, S. 87, Lainé, Rev. crit. DIP 1905, 21, 24 ff. 141 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 527. 142 Nolde, Rev. crit. DIP 1927, 361, 364. 143 Batiffol, La capacité civile, 1929, S. 74. 76. 144 S. o. S. 33 f. 145 Lainé, Rev. crit. DIP 1905, 21, 22 f.; Stern, Das Staatsangehörigkeitsprinzip in Europa, 2008, S. 30.
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cher Bedeutung.146 Dies führte zu einem nur geringen Interesse des Gesetzgebers daran, das Kollisionsrecht überhaupt zu kodifizieren. Es bestand schlichtweg keine dringende Notwendigkeit für die Schaffung eines umfassenden Regelungssystems des IPR.147 Im Vordergrund stand vielmehr der politische Anspruch, der Souveränität der neu gegründeten Nation und ihrer Personalhoheit über die Staatsbürger Ausdruck zu verleihen.148 Letztlich können die Hintergründe der methodischen Ausrichtung des Art. 3 C. civ. nicht mehr vollständig aufgeklärt werden.149 Der französische Gesetzgeber schien sich des Konfliktpotentials der Vorschrift und ihrer methodischen Neuerungen nicht bewusst gewesen zu sein; es ist angesichts der politischen Lage zweifelhaft, ob er überhaupt eine echte Kollisionsregel schaffen wollte.150 Diese – bewusste oder unbewusste – Nachlässigkeit der Legislative ebnete etwas später der französischen Rechtsprechung den Weg, die infolgedessen zum Motor der IPR-Entwicklung in Frankreich wurde.151 2. Art. 3 Abs. 3 C. civ. als Vorreiter des Staatsangehörigkeitsprinzips? Der Streit um die methodische Grundkonzeption von Art. 3 C. civ. zieht allerdings die Frage nach sich, ob Art. 3 Abs. 3 C. civ. eine bewusste Abweichung der Grundanknüpfung des statut personnel vom zuvor herrschenden Wohnsitzprinzip hin zur Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit darstellt.152 Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 C. civ. ist mehrdeutig: So nimmt die Norm auf die Eigenschaft einer Person als französischer Staatsbürger („Les lois concernant l’état et la capacité des personnes régissent les Français…“) ebenso Bezug wie auf ihren Aufent-
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Batiffol, Recueil des cours 97 (1959), 431, 500; Weiss, Traité, Band III, 1912, S. 152. Korkisch, in: FS Dölle, Band II, 1963, S. 87, 99; Lainé, Rev. crit. DIP 1905, 21, 23. 148 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 10; de Winter, Recueil des cours 127 (1969), 357, 369. 149 Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 1, 2; Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 229. 150 So Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 273; Lainé, Rev. crit. DIP 1905, 21, 26 f. und 58: „Le résultat en est que l’on prend pour bases du droit international privé de la France les bases de l’ancienne théorie des statuts, mais sans consacrer cette théorie elle-même, sans faire de telle règle un principe, de telle autre règle une exception, sans réduire non plus les lois à quelques classes rigoureusement limitées.“ 151 Vgl. Donnedieu de Vabres, Rev. DIP 1906, 684, 686: „Sans doute, les auteurs du Code civil n’ont voulu consacrer aucun système. Leur incertitude à cet égard laisse à la jurisprudence la liberté la plus complète.“ 152 Allein auf diesen Aspekt abstellend Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 7 ff; Schneider, Le domicile international, 1973, S. 21 ff.; de Winter, Recueil des cours 127 (1969), 357, 369 ff. Wie hier Lainé, Rev. crit. DIP 1905, 21, 54. 147
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
haltsort („… même résidant en pays étranger“).153 Zudem verschwimmen nach allgemeiner Auffassung die Grenzen von Staatsangehörigkeits- und Domizilbegriff in der Ursprungsfassung des Code civil ebenso wie in Rechtsprechung und Lehre noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts.154 So kann der Begriff les Français zu damaliger Zeit auch in dem Sinne verstanden werden, dass jede Person gemeint ist, die ihren Wohnsitz in Frankreich hat.155 Denn in der zuvor herrschenden Statutenlehre im Einflussgebiet der feudalen coutumes war der Bedeutungsgehalt des Wohnsitzes doppeldeutig: Er war sowohl Ausdruck der geographischen Zugehörigkeit (appartenance) als auch der persönlichen Verbundenheit (allége ance) der Person zu einem Personenverbund.156 Der so verstandene domicile (d’origine) deckte sich damals noch weitgehend mit dem so genannten domicile of origin, das sich später im angelsächsischen Raum als Grundanknüpfung durchgesetzt hat.157 Mit dem Entstehen der Nationalstaaten übernimmt indes die Staatsangehörigkeit die Funktion des Domizils und verschiebt den Schwerpunkt auf die Komponente der persönlichen Zugehörigkeit zu einer Nation.158 Die Staatsangehörigkeit ist demnach im Ursprung mehr funktionales Äquivalent beziehungsweise „historisches Kontinuum“159 des Wohnsitzes als ein konkurrierendes Anknüpfungskriterium. Sie ist in ihrem Ausgangspunkt als Ausdruck der juristischen Bindung einer Person an eine politische Einheit ein natürliches Substitut des Wohnsitzes.160 Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts verschmälert sich der Bedeutungsgehalt des Wohnsitzes dahingehend, dass er nicht mehr die sachrechtliche Zugehörigkeit zu einem Territorium im Ganzen, sondern zu einem ganz bestimmten Ort des Territoriums bestimmt.161 153
Hervorh. d. Verf. Laube, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit, 1961, S. 14 f.; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 8 f.; Auch Savigny geht noch von einer Geltung des Domizilprinzips im französischen Recht aus siehe v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 162. 155 So Schneider, Le domicile international, 1973, S. 22 f. 156 Batiffol, Recueil des cours 97 (1959), 431, 498 f.; Hammje, in: Rép. dr. int.: Domicile, 2003, Rn. 2. 157 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 198; Ralser, in: JCl. Dr. int.: Domicile et résidence, 2017, Rn. 8. 158 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 528. 159 Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 2017, S. 99; in ähnliche Richtung Schneider, Le domicile international, 1973, S. 25. 160 Eingehend Lainé, Rev. crit. DIP 1905, 21, 54 f. „Il était, en outre, tout naturel que la loi nationale, […], prît la place qu’avait tenue dans l’ancienne France la loi du domicile. […] la loi nationale se substitua d’elle-même, en matière d’état et de capacité, aux divers lois domiciliaires.“ Ebenso Batiffol, La capacité civile, 1929, S. 63. 161 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 213 (Fn. 35); Batiffol, Recueil des 154 Ausführlich
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Bezüglich der Grundanknüpfung des statut personnel legen die entstehungsgeschichtlichen Hintergründe von Art. 3 C. civ. also ebenfalls nahe, von einem unbewussten Systembruch auszugehen. Es ist zu unterstellen, dass der französische Gesetzgeber angesichts der neu geschaffenen Rechtseinheit wie selbstverständlich davon ausging, das für alle Franzosen einheitliche Recht finde auf alle Franzosen auch gleichermaßen Anwendung.162 Seine Motive lagen mithin außerhalb des Kollisionsrechts.163 Ein Paradigmenwechsel von einem territorialen zu einem personalen IPR-System ist darin allenfalls angelegt, nicht jedoch bewusst vollzogen. Zu seiner vollen Blüte gelangt das Staatsangehörigkeitsprinzip erst durch die mannigfaltige Rezeption des Code civil und der IPR-Theorie Mancinis im ausgehenden 19. Jahrhundert.164 Es bleibt festzustellen, dass Art. 3 C. civ. eine Norm hybriden Charakters ist: Sie bedient sich in ihrer äußeren Form der veralteten Statutentheorie, lässt in ihrer Unvollständigkeit jedoch Raum für methodische Innovation. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass schließlich die französischen Gerichte für das methodische Fundament des französischen IPR im Allgemeinen und des statut personnel im Besonderen verantwortlich zeichnen. II. Die Rechtsprechung als Motor der Entwicklung einer frühmodernen Kollisionsrechtsmethodik Die französische Rechtsprechung hat in Zeiten der Statutentheorie praktisch keine systembildende Rolle gespielt.165 Dies ändert sich, als die Lückenhaftigkeit des neu geschaffenen Code civil im Hinblick auf kollisionsrechtliche Fragen eine Auslegung des Art. 3 C. civ. notwendig macht. Die Entwicklung der Rechtsprechung dieser Zeit, wird in der französischen Literatur allerdings unterschiedlich beurteilt: Nach H. Donnedieu de Vabres greifen die zwischen 1804 und 1840 ergangenen Urteile vor allem auf das System d’Argentrés und den Territorialismus der niederländischen Schule zurück, in dem durch den Vorrang und die extensive Interpretation der Realstatuten in der Regel das französische Recht zur Anwendung kommt.166 Diese partikularistische Auffassung rührt Ancel zufolge jedoch weniger aus einer bewussten Systempräferenz der Gerichte als aus der cours 97 (1959), 431, 500; Zum kollisionsrechtlichen Wohnsitzbegriff im französischen Recht s. u. S. 55 ff. 162 Batiffol, Recueil des cours 97 (1959), 431, 499. 163 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 11. 164 Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 15. 165 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 238. Eine der wenigen Gesamtdarstellungen der Rechtsprechungsentwicklung stammt von Delaume, Les conflits de lois à la veille du Code civil, 1947. 166 Donnedieu de Vabres, Rev. DIP 1906, 684, 686: „Au mouvement humanitaire et libéral
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gebotenen Zurückhaltung angesichts des Schweigens des Gesetzestextes des Code civil.167 Tatsächlich findet im Laufe der Jahre lediglich in den unterinstanzlichen Urteilen eine bemerkenswerte Öffnung hin zu einem universalistisch ausgestalteten Kollisionsrecht statt. Die daraus resultierende Zwiegespaltenheit der Methodik des statut personnel zwischen den Gerichten der Unterinstanzen und der Zurückhaltung der Cour de cassation zeichnen der Fall Busqueta vor der Cour de Paris und seine Folgen eindrücklich nach. 1. Der Fall Busqueta als erster Meilenstein Den ersten, frühen Meilenstein für die Methodik des statut personnel setzt in dieser diffusen Entwicklung der Fall Busqueta, der im Jahr 1814 von der Cour de Paris entschieden wird.168 Die Amerikanerin Styles heiratete 1809 den ehemaligen spanischen Mönch Busqueta. Nachdem die wahre Vergangenheit des Ehemannes nach der Heirat ans Licht gekommen war, beantragte sie vor dem französischen Gericht ihres Wohnsitzes die Scheidung. Ihre Ehe sei nach dem spanischen Heimatrecht ihres Ehegatten nichtig, da das spanische Recht ihrem Ehegatten als ehemaligem Kleriker die Ehefähigkeit abspreche. Die Cour de Paris schloss sich dieser Argumentation an, unterstellte die Frage der Ehefähigkeit von Herrn Busqueta dem spanischen Recht und erklärte die Ehe auf dieser Grundlage für nichtig. Die Entscheidung der Cour de Paris im Fall Busqueta ist in zweifacher Hinsicht bedeutsam: Zunächst statuiert sie zum ersten Mal seit Einführung des Code civil die Staatsangehörigkeit als maßgebliches Kriterium für die Ehescheidung als Teil des statut personnel. Zum anderen übernimmt sie das Prinzip, anders als der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 C. civ. suggeriert, auch für in Frankreich wohnhafte Ausländer. Auf diese finde auch innerhalb Frankreichs ihr Heimatrecht Anwendung.169 Obwohl die Entscheidung Art. 3 Abs. 3 C. civ. in der Urteilsbegründung nicht explizit nennt,170 verleiht sie der Vorschrift so einen allseitigen Cha-
de la Révolution française a succédé une veritable exaspération du sens national.“ In dieselbe Richtung Gutzwiller, Recueil des cours 29 (1929), 287, 337. 167 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 530. 168 Cour de Paris, 13.6.1813, Busqueta, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006 Nr. 1. 169 Cour de Paris, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 1: „Considérant qu’il ne peut y avoir de mariage qu’entre personnes que la loi en rend capables; que cette capacité, comme tout ce qui intéresse l’état civil, se règle par le statut personnel qui affecte la personne et la suit, en quelque lieu qu’elle aille et se trouve; […].“ 170 Tatsächlich etabliert erst die Entscheidung Rivière der Cour de cassation Art. 3 Abs. 3 C. civ. als Rechtsgrundlage; dazu unten S. 51 ff.
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rakter.171 Sie antizipiert damit im Ansatz bereits die wesentlichste Eigenschaft der Kollisionsnormen, die später den Kern des Kollisionsrechtssystems von Savigny bilden.172 Die Rechtfertigung dieses Ergebnisses ist für die damalige Zeit ebenfalls revolutionär: Denn, so das Gericht, eine andere Lösung führe zu einer „alliage monstrueux“, einer Ehe, die in einem Staate wirksam, in einem anderen unwirksam sei.173 Die ratio der Entscheidung stellt, in Abweichung zu den hoheitlichen Begründungsansätzen des Territorialismus, explizit auf das individuelle Interesse der Parteien an der Stabilität ihrer persönlichen Rechtsbeziehungen über Landesgrenzen hinweg ab.174 In moderner Terminologie ist hier folglich bereits im Jahr 1814 die Rede von einem „hinkenden Rechtsverhältnis“. 2. Zurückhaltung der Cour de cassation Ein anderes Bild zeichnet sich allerdings in der höchstrichterlichen Rechtsprechung dieser Zeit ab. Die Cour de cassation übt sich zunächst in äußerster Zurückhaltung hinsichtlich der Anwendung ausländischen Rechts im Inland durch eine allseitige Anwendung des Art. 3 Abs. 3 C. civ.175 Noch im Jahr 1833 bestreitet das Gericht in der Rechtssache Bonar c. d’Hervas, dass die Anwendbarkeit eines fremden Rechts als Heimatrecht einer der Parteien eine Frage sei, welche die Cour zu beurteilen habe.176 Art. 3 Abs. 3 C. civ. sei keine Aussage über das Personalstatut in Frankreich wohnhafter Ausländer zu entnehmen.177 Die Cour hält sich hier strikt an die ihr zugewiesene Rolle als Wächterin über die Einhaltung des französischen Rechts im wortwörtlichen Sinne.178 171 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 644. Die Verallseitigung einseitig formulierter Kollisionsregeln haben deutsche Gerichte knapp einhundert Jahre später für einige Vorschriften des EGBGB in seiner Fassung von 1.1.1900 übernommen, siehe v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Einl. IPR, Rn. 23 m. w. N. 172 Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 1, Rn. 1. 173 Cour de Paris, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 1: „Admettre le système de Busqueta ce serait, par un alliage monstrueux, reconnaître un mariage valable dans un État et nul dans l’autre.“ Busqueta berief sich auf den zu dieser Zeit noch geltenden Art. 13 C. civ. a. F. (domicile de droit), der für Ausländer die Geltung der Bürgerrechte vorsah, insofern ihr domicile in Frankreich belegen war. Der Vorschrift wurde, wie die Cour de Paris ebenfalls feststellte, indes kein kollisionsrechtlicher Gehalt beigemessen. 174 Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 533. 175 Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 13 f.; Batiffol, La capacité civile, 1929, S. 117 f. 176 Cass. req., 17.7.1833, S. 1833.1.407. 177 Cass. req., 17.7.1833, S. 1833.1.407: „Si l’article 3 déclare que les lois concernant l’état et la capacité des personnes régissent les Français même résident en pays étranger, il ne contient aucune disposition analogue en faveur des étrangers résidant en France, d’où il résulte que l‘arrêt attaqué ne peut avoir violé cet article.“ 178 Ähnlich Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 1, 3.
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Erst langsam und sehr zögerlich scheint der Kassationshof anschließend seine rigide Auslegung des Art. 3 Abs. 3 C. civ. aufzubrechen. Dies geschieht methodisch allerdings noch lange Zeit auf einer statutentheoretischen Grundlage.179 Die bekannten Entscheidungen Bulkey180 und Lizardi181 begründen die Anknüpfung des statut personnel an das Heimatrecht für Nicht-Franzosen mit Ansätzen der Theorie der wohlerworbenen Rechte und der comitas aus der niederländischen Schule des ausgehenden 18. Jahrhunderts.182 Im Gegensatz zu der privatistischen Auffassung der Cour de Paris im Fall Busqueta wird die Anknüpfung an das Heimatrecht hier nicht als individualschützendes Momentum oder als Ausdruck einer Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen im Sinne Savignys verstanden, sondern als Ventil für den Respekt des Souveränitätsprinzips und der eigenen wie fremden hoheitlichen Interessen.183
D. Einordnung in den europäischen Kontext Wie das Vorstehende überblicksartig zeigt, liegen die Wurzeln des heutigen französischen Kollisionsrechts zum Personalstatut zwar im Code civil von 1804 begründet. Historisch betrachtet bleibt Art. 3 C. civ. allerdings hinter dem Ruhm zurück, der ihm bis heute nachgesagt wird.184 Der Aufbruch des methodischen Gerüstes der Statutentheorie und der Wechsel vom Domizil- zum Staatsangehörigkeitsprinzip sind in Frankreich keineswegs Resultat einer geradlinigen Entwicklung, sondern vielmehr das Ergebnis hybrider Kasuistik auf Grundlage eines lückenhaften Gesetzesmaterials. 179
Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 533 f.; Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 639. 180 Cass. civ. 28.2.1860, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 4. 181 Cass. req. 16.1.1861, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 5. 182 So heißt es in der Entscheidung Bulkey (Fn. 180): „[…] que celles-ci [les lois personnelles, Anm. d. Verf.], qui régissent l’état et la capacité des personnes, suivent les Français, même résidant en pays étranger, et suivent également en France l’étranger qui y réside. – Que c’est donc par les lois de son pays, par les faits accomplis dans ce pays conformément à ses lois, que doit être appréciée la capacité de l’étranger pour contracter mariage en France ; […].“ Hervorh. d. Verf.; Zur Theorie der wohlerworbenen Rechte im Zusammenhang mit der Anerkennungsmethode noch näher u. S. 180 ff. Der Leitsatz der Entscheidung Lizardi (Fn. 181) lautet hingegen: „Attendu que si le statut personnel dont la loi civile française assure les effets aux Français résidant en pays étranger, peut, par réciprocité, être invoqué par les étrangers résidant en France, […].“ (Hevorh. d. Verf.). 183 Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 1, 5 f. 184 Schneider, Le domicile international, 1973, S. 25.
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Die vollständige Befreiung von der statutentheoretisch geprägten Methodik erreicht erst Savigny185 auf Grundlage der Arbeiten Carl Georg v. Wächters (1797–1880)186.187 Savigny „privatisiert“ und „entpolitisiert“188 die kollisionsrechtliche Theorie. Ausgehend von der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen (communauté juridique) verfolgt das IPR Savignys vorrangig das Ziel einer räumlichen Gerechtigkeit.189 Staatliche Interessen und materiell-rechtliche Gerechtigkeit kommen erst auf Ebene des zur Anwendung berufenen Sachrechts zum Zuge.190 In Frankreich schließen sich die unterinstanzliche Rechtsprechung und die Wissenschaft Savignys methodischem Fundament zügig an,191 wenngleich der dahinterstehende universalistische Ansatz etwa mit Étienne Bartin auch prominente Kritik erfährt192. Bartin bezweifelt, dass ein internationaler Entscheidungseinklang jemals erreicht werden kann. Das IPR sei, so sein berühmtester Ausspruch, lediglich eine „Projektion des inländischen Rechts auf internationaler Ebene“193.194 Die maßgebliche methodische Entwicklung des Personalstatuts ist allerdings Mancini zu verdanken, welcher der Staatsangehörigkeit der Person als Regel anknüpfung des Rechtsgebiets zum Durchbruch verhilft.195 In Mancinis IPRTheorie ist die Staatsangehörigkeit Dreh- und Angelpunkt jeder Ausprägung internationalen Rechts.196 Dies führt im IPR zu der konsequenten Abkehr vom Domizil- und einer Hinwendung zum Staatsangehörigkeitsprinzip, dessen Anwendungsbereich Mancini so extensiv wie möglich interpretiert.197 Obwohl sein 185
v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, 1849. v. Wächter, AcP 24 (1841), 230 ff. und AcP 25 (1842), 1 ff., 161 ff., 361 ff. 187 Zum Verhältnis der Arbeiten Wächters und Savignys ausführlich v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 6, Rn. 53 ff. 188 Neuhaus, AcP 160 (1961), 493, 498. 189 Looschelders, in: Staudinger BGB, 2019, Einl. IPR, Rn. 58. 190 Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 751. 191 Donnedieu de Vabres, L’ évolution de la jurisprudence française, 1905, S. 3 f., 580 f.; Gutzwiller, Der Einfluß Savignys, 1923, S. 141. 192 Bartin, JDI 1897, 225 ff.; ders., Principes, Band I, 1930, § 77, S. 191 f. Ausführlich dazu v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 6, Rn. 72; Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 357–7. 193 Bartin, Principes, Band III, 1935, § 461, S. 384: „[…] on part de l’idée que toute règle de conflit n’est […] que la projection, sur le plan du conflit des lois, de l’institution de droit interne […].“ 194 Häufig ist seither im französischen IPR von einer méthode savigniano-bartinien die Rede, vgl. Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 1 (Fn. 3). 195 Jayme, Pasquale Stanislao Mancini 1980, 1 f.; Nishitani, in: EPIL, 2017, Mancini, Pasquale Stanislao, S. 1199; Weller, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 897, 900. 196 Mancini, JDI 1874, 221, 291, 296 und 298. 197 Vgl. Mancini, JDI 1874, 221, 294 f.; näher Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 154; kritisch Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 232. 186
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grundlegendes IPR-System sich letztlich nicht durchzusetzen vermag,198 begründet er damit den Siegeszug der Staatsangehörigkeitsanknüpfung in den Rechtsordnungen der Civil Law-Tradition.199 Die Lehren Mancinis werden auch in Frankreich rezipiert.200 Das Staatsangehörigkeitsprinzip schlägt sich indes im positiven, mangels Kodifikation von der Rechtsprechung dominierten französischen Recht weit weniger umfassend nieder als in den neu geschaffenen Kodifikationen Italiens201 oder Deutschlands202.203 Denn den Nationalisierungsprozess hat das französische Recht den letztgenannten Rechtsordnungen um mehrere Jahrzehnte voraus. Im Gegensatz zum deutschen oder italienischen Recht fehlt dem „Staatsangehörigkeitsprinzip“ des Art. 3 Abs. 3 C. civ. zwar ein IPR-theoretisches Fundament. Die französische Rechtsprechung hatte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts jedoch ein – freilich recht undogmatisch wirkendes – Gerüst gefertigt, um mit der Norm umzugehen.204 Im Vermögensrecht der Familie hatte man angesichts des Schweigens des Code civil die Traditionen des Ancien Droit schlichtweg beibehalten.205 Im Ergebnis zeigen diese Entwicklungen eine weitere Ausprägung des französischen statut personnel als eine Art Mischsystem und zwar im Hinblick auf seine Rechtsquellen und seine Methodik: Die Kombination aus lückenhafter Kodifikation und einer Rechtsprechung, die sich teils auf statutentheoretische Ideale, teils auf Vorläufer eines modernen IPR im Savignyschen Sinne gründet, lässt das System fragmentarisch und wenig kohärent erscheinen. Das unvollständige Bild des Art. 3 Abs. 3 C. civ. wird erst durch Savignys Methodik und Mancinis Konzept der nazionalità dogmatisch vollendet.206 Das französische Recht selbst bleibt dem auf dieser lückenhaften Grundlage entstandenen Rechtsprechungssystem aber zunächst weiterhin verhaftet.207 198
Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 27 f. Eine Übersicht über die Rechtsordnungen, die das Staatsangehörigkeitsprinzip rezipiert haben, findet sich bei Rabel, Conflict of Laws, Band I, 1958, S. 121 ff. sowie bei Raape/Sturm, Internationales Privatrecht I, 1977, S. 115 m. w. N. 200 Anhänger Mancinis in Frankreich sind etwa A. Weiss, F. Despagnet und J. Valéry, vgl. Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 155. 201 Codice civile vom 25.6.1865 (in Kraft seit 1.1.1866); dazu Jayme, Pasquale Stanislao Mancini 1980, S. 7 f. 202 Siehe das EGBGB vom 18.8.1896 (in Kraft seit 1.1.1900); dazu Mankowski, IPRax 2017, 130, 136 f.; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 30 ff. 203 So im Ergebnis Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 449; Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 157 a. E. 204 Siehe soeben S. 41 ff. 205 Audit, in: Mélanges Foyer, 2008, S. 50. 206 Ähnlich Braga, Staatsangehörigkeitsprinzip oder Wohnsitzprinzip?, 1954, S. 18; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 14 f. 207 Mansel bezeichnet Art. 3 Abs. 3 C. civ. in diesem Zusammenhang treffend als „Kristal199
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E. Zusammenfassung in Thesen 1. Der Statutenkonflikt, der Ausgangspunkt der mittelalterlichen Statutentheorie als Vorläuferin der modernen IPR-Methodik ist, findet sich in Frankreich im Konflikt der Gewohnheitsrechte, dem conflit de coutumes, wieder. 2. Den französischen coutumes fehlt das verbindende Element des jus commune. Ihr territorialer Geltungsanspruch ist dementsprechend deutlich ausgeprägter als derjenige der oberitalienischen Statuten. 3. Bertrand d’Argentré ist durch seine Kommentierung der Coutume de Bre tagne die Gallionsfigur der französischen Statutenlehre geworden. Er folgt einem strikt territorialistischen Ansatz zur Lösung des conflit de coutumes. Darin stehen personale Rechte, die extraterritoriale Wirkung entfalten, stets „im Schatten“208 realer Rechte, die territorial wirken und grundsätzlich Vorrang genießen. D´Argentré legt damit den Grundstein für die territorialistischen IPR-Theorien, auf denen sich die holländische Schule und ihr nachfolgend die Kollisionsrechte des Common Law-Rechtskreises aufbauen. 4. Der Code civil markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Methodik des Personalstatuts im modernen IPR. Die Vorschrift des Art. 3 C. civ. proklamiert aus sich heraus zwar noch keine bewusste Aufgabe der mittelalterlichen Statutentheorie. Allerdings legt ihr Abs. 3 mit der Grundregel der extraterritorialen Geltung personaler Rechte das Fundament für das kontinentaleuropäische Staatsangehörigkeitsprinzip. 5. Der fragmentarische Charakter des Art. 3 C. civ. ist Ursache der immensen Bedeutung, welche die Rechtsprechung für die französische IPR-Methode bis heute genießt. Allerdings bleibt die höchstrichterliche Rechtsprechung der Cour de cassation im Lauf des 19. Jahrhunderts noch lange Zeit den statutentheoretischen Ansätzen verhaftet. Hingegen erweist sich die unterinstanzliche Rechtsprechung als wahrer Motor einer frühmodernen, allseitigen IPR-Methodik nach dem Vorbild Savignys. 6. Die richterrechtlichen Wurzeln des französischen IPR und die Spaltung der Rechtsprechung zwischen dem Erbe der Statutentheorie einerseits und dem ambivalenten Charakter des Art. 3 C. civ. andererseits sind Ursache dafür, dass sich das Staatsangehörigkeitsprinzip Mancinis im Vergleich zum italienischen oder deutschen Recht im französischen IPR weniger stark durchgesetzt hat. 7. Die Einordnung des statut personnel als Mischsystem zwischen personalistischer und territorialistischer Prägung lässt sich vor diesem Hintergrund auf lisationspunkt“ und Wegbereiter des Staatsangehörigkeitsprinzips von Mancini, vgl. ders., Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität, 1988, S. 15. 208 Hunter-Hénin, Pour une redéfinition du statut personnel, 2004, Rn. 56.
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zwei entwicklungshistorische Besonderheiten des französischen Rechts zurückführen: erstens auf die historische Präsenz der territorialistischen IPRTheorie d’Argentrés; zweitens auf die hybride Rechtsquellensituation zwischen dem fragmentarisch kodifizierten Staatsangehörigkeitsprinzip in Art. 3 Abs. 3 C. civ. und der methodischen Unentschlossenheit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwischen statutentheoretischem Ansatz des Ancien Droit und verweisungsrechtlichem System der Moderne. 8. Die methodischen und ideengeschichtlichen Schnittmengen, die sich der statut personnel bis heute nicht nur mit der kontinentaleuropäischen Methodik, sondern auch mit der IPR-Tradition des Common Law-Rechtskreises teilt, lassen sich folglich eindeutig auf entwicklungsgeschichtliche Hintergründe zurückführen.
§ 3 Eckpunkte der Entwicklung des statut personnel im 20. Jahrhundert Der methodische Diskurs im Personalstatut des 20. Jahrhunderts ist geprägt vom Widerstreit zwischen Staatsangehörigkeits- und Domizilprinzip.209 Blickt man auf die Entwicklung des statut personnel nach dem zweiten Weltkrieg findet sich diese Zweiteilung darin wieder: Nach ihrer zuvor zurückhaltenden Position gibt die Cour de cassation in dem Grundsatzurteil Rivière210 erstmals ein klares Bekenntnis zur allseitigen Auslegung des Art. 3 Abs. 3 C. civ. und dessen Anknüpfung an das Heimatrecht der Person ab. Das strikte Staatsangehörigkeitsprinzip weicht das Gericht durch eine teilweise Renaissance des Domizilprinzips auf und schafft somit die Grundlage für einen Dialog beider Leitprinzipien (A.).211 Gleichzeitig tritt der französische Gesetzgeber erstmals auf den Plan. Nach mehreren erfolglosen Versuchen einer Gesamtkodifikation erschafft er Regeln zum Internationalen Abstammungs- und Scheidungsrecht, die das von der Rechtsprechung austarierte Anknüpfungssystem ins Wanken bringen und so zum Wiederaufleben eines territorialistisch und partikularistisch inspirierten Denkens im statut personnel beitragen (B.).
209 Vgl. grundlegend Braga, Staatsangehörigkeitsprinzip oder Wohnsitzprinzip?, 1954; Cassin, Recueil des cours 34 (1931), 655 ff.; Francescakis, in: Trav. Com. DIP 1962–1964, 1964, S. 291 ff.; Laube, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit, 1961; Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 2017, S. 94 ff.; de Winter, Recueil des cours 127 (1969), 357 ff.; jeweils m. w. N. 210 Cass. civ. 1ère, 17.4.1953, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 26; dazu sogleich ausführlich S. 51 ff. 211 Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 1 („changement de paradigme“).
E. Gang der Untersuchung
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A. Dialog der Prinzipien in der Rechtsprechung Die Innovationskraft, die man der im Einzelnen noch zu analysierenden RivièreRechtsprechung für den statut personnel in Frankreich zuspricht, wird erst deutlich, wenn man sich zuvor die dogmatischen und ideologischen Grundkonflikte des statut personnel in der Nachkriegszeit und deren Rezeption in der französischen IPR-Doktrin vor Augen hält. I. Historischer Ausgangspunkt 1. Grenzen des Staatsangehörigkeitsprinzips Nach dem Siegeszug von Mancinis Staatsangehörigkeitsprinzip im ganz überwiegenden Teil der kontinentaleuropäischen Staaten stellen in den Zwischenkriegsjahren verschiedene sozio-politische Phänomene in Frankreich die Legitimität eines strikt verstandenen Personalitätsprinzips in Frage: Auf der einen Seite führen massive Migrationsbewegungen in das Land zwischen den Weltkriegen zu einer Häufung von Fällen, in denen es kraft Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit zur Anwendung ausländischen Rechts im Inland kommt.212 Auf der anderen Seite verstärken Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht, die es Ehefrauen erlauben, bei der Heirat ihre unter Umständen ausländische Staatsangehörigkeit zu behalten,213 den altbekannten Konflikt der Konkurrenz verschiedener Staatsangehörigkeiten (conflit de nationalités) zwischen Ehegatten mit unterschiedlichen Heimatrechten.214 Das personalistische Konzept Mancinis stößt hier beides Mal an seine Grenzen: So stellt sich einmal aus gesellschaftspolitischer Sicht die Frage, ob die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in migrationsstarken Staaten nicht dem Integrationsgedanken zuwiderläuft.215 Darin ähnelt die französische Problematik erneut dem anglo-amerikanischen IPR, in dem sich gerade deshalb das domicile-Konzept umfassend durchgesetzt hat.216 Bei der Konkurrenz mehrerer Heimatrechte zeigt sich hingegen das struk-
212 Cassin, Recueil des cours 34 (1931), 655, 732; Francescakis, in: Trav. Com. DIP 1962– 1964, 1964, S. 291, 296; Rabel, Conflict of Laws, Band I, 1958, S. 164. 213 Siehe Loi du 10 août 1927 sur la nationalité, ausführlich dazu Lagarde, in: Rép. dr. int: Nationalité, 2013, Rn. 413 ff. 214 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 208; Batiffol, Recueil des cours 97 (1959), 431, 508. 215 Vgl. allgemein Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 637; Heitmann, Flucht und Migration im internationalen Familienrecht, 2020, S. 117; Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 2017, S. 67 f.; Weller, DGIR 49 (2018), 247, 257 f. 216 In diese Richtung auch Batiffol, Recueil des cours 97 (1959), 431, 506 f.
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turelle Defizit der Staatsangehörigkeitsanknüpfung in Fällen, in denen Rechtsordnungen verschiedener Nationalitäten innerhalb einer Familie kollidieren.217 Von alledem profitiert die bis dato eigentlich im Verschwinden begriffene Anknüpfung an den Wohnsitz (domicile). Das Domizilprinzip zeigt sich in der Lage, die genannten Schwächen des Staatsangehörigkeitsprinzips auszugleichen.218 Funktional verkörpert es nicht mehr allein die territoriale Rückbindung der Person an ein Staatsgebiet, sondern dient fortan als Integrationsmoment, als Verbindung einer Gemeinschaft von Bewohnerinnen und Bewohnern eines Staatsgebiets abseits der Exklusivität ihrer Staatsangehörigkeit. Zugleich führt es häufiger zur Anwendung der von einigen Stimmen als vorzugswürdig empfundenen französischen lex fori.219 Darüber hinaus bietet es für die Fälle des strukturellen Versagens der Staatsangehörigkeitsanknüpfung ein geeignetes Hilfskriterium. 2. Renaissance territorialistischer Konzepte in der doctrine Gemeinsam ist den beiden genannten Phänomenen die Betonung der Schwächen eines zu strikt verstandenen Personalitätsprinzips. Vor diesem Hintergrund erstarkt zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine Strömung in der französischen IPRDoktrin, die als moderner Territorialismus bezeichnet werden kann.220 Ihre Anhänger lehnen sich an die Territorialitätsgedanken d’Argentrés221 an und befürworten für das Personalstatut eine Rückkehr zur Anknüpfung an den Wohnsitz.222 Eine solche Rückbesinnung auf territorialistische Prinzipien findet sich zunächst etwa bei Gabriel de Vareilles-Sommières223 und gewinnt dann in gemäßigter Form die Zustimmung vieler weiterer französischer Autoren wie beispielsweise Paul Lerebours-Pigeonnière.224 Extrem ausgeprägt ist der Gedanke einer Renaissance des Territorialismus bei Jean-Paulin Niboyet. Seinen Lehren wohnt eine starke national-politische Aufladung inne. Die Aufgabe französischer Kollisionsnormen sei, so Niboyet, in erster Linie die Wahrung französischer Interessen.225 217
Mankowski, IPRax 2017, 130, 133; Nishitani, Recueil des cours 401 (2019), 143, 253. Cassin, Recueil des cours 34 (1931), 655, 744 ff.; de Winter, Recueil des cours 127 (1969), 357, 407 ff. 219 So etwa Francescakis, in: Trav. Com. DIP 1962–1964, 1964, S. 291, 297: „[…] on est en faveur du rattachement au domicile et on désire que le domicile conduise le plus souvent à l’application de la loi française.“ 220 Ausführlich Francescakis, in: Trav. Com. DIP 1962–1964, 1964, S. 291, 296 ff. 221 S. o. S. 32 ff. 222 Explizit Laube, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit, 1961, S. 86 ff.; in dieselbe Richtung Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 163. 223 Vareilles-Sommières, La synthèse du DIP, 1897 (Nachdr. 1972), S. IV, 14 ff. 224 Vgl. Lerebours-Pigeonnière, Précis, 1954, Rn. 235, 239; im Übrigen Cassin, Recueil des cours 34 (1931), 655, 732 m. w. N. 225 Niboyet, Cours, 1949, Rn. 448: „[…] le droit international privé est une discipline de 218
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Im Gegensatz zu Italien, Deutschland oder Polen sei Frankreich Immigrationsnicht Emmigrationsland und eine Rückkehr zum Domizilprinzip deswegen unumgänglich.226 Das französische Kollisionsrecht habe sich aus diesem Grund den territorialistisch geprägten Ansätzen des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika anzuschließen und zum Domizilprinzip zurückzukehren.227 II. Spiegelung im positiven Recht: Der Fall Rivière Die territorialistischen Strömungen der Nachkriegszeit haben sich im positiven französischen Recht nicht durchsetzen können.228 Sie legen mit ihrer Kritik am streng verstandenen Staatsangehörigkeitsprinzip indes den Grundstein für die Fortentwicklung der Leitprinzipien des statut personnel. Dies belegt eindrücklich das Urteil der Cour de cassation im Fall Rivière.229 Erstmals nutzt die Cour de cassation darin die Gelegenheit, sich zu dem Verhältnis von Staatsangehörigkeits- und Wohnsitzanknüpfung zu äußern. Das im Jahr 1953 ergangene Urteil gilt als Meilenstein des französischen IPR230 und ist identitätsbildend für die Methodik des statut personnel.231 1. Sachverhalt Die Französin Lydia Roumiantzeff heiratete 1934 in Frankreich einen russischen Mann. Das Paar wanderte nach Ecuador aus und ließ sich dort 1936 einvernehmlich scheiden. 1939 heiratete Roumiantzeff in Marokko den französischen Staatsbürger Rivière. Sechs Jahre später beantragte sie erneut die Scheidung vor einem Gericht in Casablanca, das damals der französischen Gerichtsbarkeit unterstellt caractère politique qui traduit la politique de l’État pour les relations internationales. […] En ce qui concerne la France, c’est donc l’intérêt politique français qui doit être primordial.“; Francescakis unterscheidet deshalb zwischen einem nationalisme politique bei Niboyet und einem nationalisme positiviste etwa bei Lerebours-Pigeonnière, vgl. Francescakis, RIDC 1955, 349, 352 f. 226 Niboyet, Cours, 1949, Rn. 459. 227 Niboyet, a. a. O. 228 Siehe Loussouran/Bourel/de Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 142. Dazu trug insbesondere das Lebenswerk des großen Internationalisten Henri Batiffol (1905–1989) bei, vgl. Francescakis, RIDC 1955, 349, 357 ff. 229 Cass. civ. 1ère, 17.4.1953, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 26. 230 Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 26, Rn. 1 („un des monuments de notre droit international privé“); Francescakis, in: Trav. Com. DIP 1962–1964, 1964, S. 291, 309: („une des solutions les plus prétoriennes que la Cour suprême ait jamais formulées“); Lagarde, JDI 1971, 241 („un tournant capital dans l’évolution de notre droit international privé.“). 231 Batiffol, Recueil des cours 97 (1959), 431, 517 („l’effort le plus marqué de combinaison des principes de la nationalité et du domicile.“).
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war. Rivière berief sich, um Unterhaltszahlungen zu entgehen, auf die Nichtigkeit der Ehe. Die in Ecuador ergangene Scheidung von seiner Frau könne aus Sicht des französischen Rechts nicht anerkannt werden. In Frage stand folglich das auf die erste Scheidung der Frau Roumiantzeff anwendbare Recht.232 Vor der Entscheidung Rivière war in diesem Zusammenhang üblicherweise auf das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit beider Ehegatten abgestellt worden.233 Für Fälle, in denen die Ehegatten verschiedene Staatsangehörigkeiten besaßen, war die Kollisionsregel indes unklar.234 Zwar äußerte sich die Cour de cassation bereits 1922 im Fall Ferrari zur Auflösung einer gemischtnationalen Ehe.235 Sie wendete hier das französische und italienische Recht der beiden Ehegatten distributiv an und blieb damit dem streng personalistischen System des beginnenden 20. Jahrhunderts treu.236 Dies provozierte allerdings, wie von der Literatur eingehend kritisiert, verstärkt hinkende Ehen.237 2. Inhalt und Reichweite der Entscheidung Die Cour de cassation entscheidet – in gewohnter Kürze –, dass die Ehescheidung für Ehegatten verschiedener Nationalitäten dem Recht des domicile commun, des gemeinsamen Wohnsitzes, zu unterstellen sei. Dieser gemeinsame Wohnsitz sei im Falle Rivière zum Zeitpunkt der Scheidung in Ecuador belegen gewesen, was zur Anwendung ecuadorianischen Rechts führe: „Attendu, en l’espèce, que les époux Petrov-Roumiantzeff, ayant une nationalité différente, mais étant domiciliés l’un et l’autre en Equateur, c’est à bon droit que la Cour d’appel a décidé que leur divorce était régi par la loi du domicile […].“238
232 Die Anerkennung der Scheidung stand nach damaligem Stand des IZVR unter dem Vorbehalt, dass die Entscheidung unter dem auch nach französischem Kollisionsrecht anwend baren Recht erging und keine ordre public-Widrigkeit vorlag. Das Erfordernis einer solchen révision au fond entfiel in Frankreich erst 2007 mit dem Urteil Cornelissen, s. Cass. civ. 1ère, 20.2.2007, n° 05-14.082; zum Ganzen näher unten S. 178 ff. 233 Vgl. Gaudemet-Tallon, in: JCl. Dr. int.: Divorce prononcé en France, 2020, Rn. 1; Exemplarisch Cass. Civ. 30.10.1905, S.1911.1.581. 234 Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 1, 10; Lagarde, JDI 1971, 241, 242. 235 Cass. Civ., 6.7.1922, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 12. 236 Vgl. Holleaux, in: Le droit international privé de la famille en France et en Allemagne, 1954, S. 131. Die genaue Deutung des Falles ist allerdings umstritten. Teilweise wird von einer distributiven Anwendung der Heimatrechte ausgegangen, teilweise von einer systematischen Anwendung der französischen lex fori, vgl. Batiffol, Recueil des cours 97 (1959), 431, 535 ff. 237 Vgl. Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 26, Rn. 3. 238 Cass. civ. 1ère, 17.4.1953, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 26.
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Wurde zunächst teilweise noch bestritten, dass der domicile damit grundsätzlich als Auffanganknüpfung bei verschiedener Staatsangehörigkeit fungierte,239 bestätigten kurze Zeit später die Urteile Lewandowski240 und Tarwid241 die neue Kollisionsregel. Eine Antwort auf die Frage, was unter dem domicile commun zu verstehen war, blieben allerdings sowohl die Urteile Rivière als auch Lewandowski noch schuldig. Erst im Fall Tarwid umschreibt das Gericht den domicile commun fast beiläufig, als sei es die bloße Wiedergabe einer altbekannten Regel: „Mais attendu que le divorce d’époux de nationalité différente, soumis à la loi de leur domicile commun s’ils sont tous deux intégrés au milieu local par un établissement effectif dans le même pays […].“242
Das Gericht verlangt also zur Begründung des gemeinsamen domicile eine Integration beider Ehegatten in das soziale Umfeld eines Landes durch eine dauerhafte Niederlassung. Der domicile commun kann somit auch bei faktisch getrenntem Wohnsitz der Ehegatten im selben Land bestehen, solange beide in diesem Land ihr gefestigtes soziales Umfeld haben.243 Leben die Ehegatten jedoch in verschiedenen Ländern (so wie die Eheleute Tarwid), greift nach der Cour de cassation auf letzter Stufe die lex fori ein.244 Die Rivière-Rechtsprechung wird anschließend auf einen Großteil der Ehewirkungen, so beispielsweise auf Unterhalt245 und Schenkungen246 zwischen Ehegatten, sowie Fragen der ehelichen Abstammung und der Legitimation im Eltern-Kind-Verhältnis247 ausgeweitet.
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Eine Mindermeinung interpretierte das Urteil als Einzelfallentscheidung im Sinne einer Ausweichklausel zugunsten des kollisionsrechtlichen Näheprinzips, zumal das ecuadorianische Recht sowohl das Recht des Ehemannes als auch die lex fori war; dazu Lagarde, JDI 1971, 241, 244. 240 Cass. civ. 1ère, 15.3.1955, Rev. crit. DIP 1955, 320: „Le divorce de deux époux de nationalité différentes est régis par la loi du domicile commun.“ 241 Cass. civ. 1ère, 15.5.1961, Rev. crit. DIP 1961, 547. 242 Cass. civ. 1ère, a. a. O. 243 Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 26, Rn. 5. 244 Cass. civ. 1ère, 15.5.1961, Rev. crit. DIP 1961, 547: „[…] dans ces circonstances, la loi française était bien applicable au divorce, mais uniquement à titre de loi du for, faute de tout domicile commun effectif.“ 245 Cass. civ. 1ère, 19.2.1963, Chemouni II, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 31. 246 Cass. civ. 1ère, 15.2.1966, Campbell-Johnston, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 42. 247 Cass. civ. 1ère, 4.11.1958, Moens, Rev. crit. 1959, 309 f.
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
3. Konsequenzen für den statut personnel Der Fall Rivière und die darauffolgende Rechtsprechungslinie sind in mehrfacher Hinsicht prägend für die Methodik des statut personnel. Zwei Aspekte stellen dies besonders deutlich heraus. a) Symbiose von Staatsangehörigkeits- und Wohnsitzprinzip Die Cour verabschiedet sich mit der Entscheidung Rivière von den letzten Spuren statutentheoretischer Tradition und gibt ein klares Bekenntnis zu Savignys Verweisungsmethode und der Verallseitigung des Art. 3 Abs. 3 C. civ ab.248 Sie bestätigt zunächst die Grundanknüpfung an die Staatsangehörigkeit. Gleichzeitig schafft sie aber, in Anbetracht der „Natur“ des Rechtsverhältnisses und im Sinne einer räumlichen Gerechtigkeit eine Ausnahme vom strikten Staatsangehörigkeitsprinzip, die den Parteiinteressen gerecht wird, ohne dass es auf das sachrechtlich bessere Ergebnis ankäme.249 Die Abwendung von der distributiven Anwendung der Heimatrechte der Ehegatten berücksichtigt, dass die hoheitliche Zuordnungsfunktion des Staatsangehörigkeitsprinzips im Falle von Ehegatten verschiedener Nationalität nicht der Sitz des Rechtsverhältnisses sein kann, da es die Nähebeziehung der Ehegatten nicht hinreichend abbildet.250 Der domicile commun garantiert hingegen in diesen Fällen ein einheitliches Ehestatut und fördert Rechtssicherheit und Statuskontinuität. Nicht zuletzt ist der domicile commun ein geschlechterneutrales Anknüpfungskriterium, das der sozialen Realität beider Ehegatten gleichermaßen gerecht wird.251 Aus rechtsvergleichender Perspektive hat das Urteil ebenfalls Innovationscharakter: Im deutschen IPR wurde die Bevorzugung des Heimatrechts des Ehemannes zwar lange diskutiert,252 auf IPR-Ebene aber erst im Nachgang zum so genannten Spanierbeschluss253 im Jahr 1983 für verfassungswidrig erklärt254 und mit der IPR-Reform 1986 letztlich vollständig aufgegeben. Aus Perspektive der Geschlechtergleichstellung im Personalstatut ist die Entscheidung deshalb ein Meilenstein der IPR-Geschichte. Sieht man sich zudem die Abfolge der Anknüp248
Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 1, 13, 16. Ancel, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 1, 16; kritisch Lagarde, JDI 1971, 241, 253, der darin vielmehr ein Vorgehen erkennt, das nach angelsächsischem Vorbild lediglich nach den überwiegenden Kontaktpunkten des Falles mit einer Rechtsordnung entscheidet. 250 Lagarde, Recueil des cours 196 (1986), 9, 90: „Le principe de proximité a pris la place du principe d’allégance.“ 251 Droz, Recueil des cours 229 (1992), 9, 161; Francescakis, in: Trav. Com. DIP 1962– 1964, 1964, S. 291, 309. 252 Eingehend Looschelders, in: Staudinger BGB, 2019, Einl. IPR, Rn. 622 ff. 253 BVerfG, 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. 254 BVerfG, 22.2.1983 – 1 BvL 17/81, BVerfGE 63, 181. 249
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fungskriterien in der Entscheidung Tarwid an, so wird deutlich, dass die Entscheidung der Cour de cassation letztlich Vorbild für die „Kegel’sche Anknüpfungsleiter“255 wurde, die mit der IPR-Reform 1986 Eingang in das deutsche IPR gefunden hat.256 b) Trennung von sachrechtlichem und kollisionsrechtlichem Wohnsitzbegriff Für die Entwicklung des statut personnel ebenso bedeutend ist, dass die Entscheidung Rivière den Wohnsitz als Anknüpfungsmoment wieder zurück auf den Plan bringt, der durch den Erfolg Mancinis zuvor nahezu vollständig verdrängt worden war.257 Die Formel, welche die Cour de cassation im Fall Rivière und den Folgeurteilen zur Ermittlung des domicile commun entwickelt, löst sich indes von ebendiesem sachrechtlichen Wohnsitzbegriff.258 Denn im französischen Sachrecht machte Art. 108 C. civ. a. F. noch bis zum Jahr 1975 den sachrechtlichen Wohnsitz der Ehefrau vom Wohnsitz des Ehegatten abhängig.259 Im Fall Tarwid hingegen stellt das Gericht auf eine „Integration der Ehegatten in ihr soziales Umfeld durch eine dauerhafte Niederlassung in demselben Land“260 ab. Das französische Recht trennt infolgedessen seit der Entscheidung Rivière die Dimensionen des Wohnsitzbegriffs in eine sachrechtliche und eine kollisionsrechtliche.261 Dient der Sachrechtsbegriff allein der geographischen Zuordnung von Personen an ein Recht so beschreibt die kollisionsrechtliche Dimension die Integration eines Individuums in eine Rechtsgemeinschaft.262 Diese Trennung hat erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis der Anknüpfung von Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt nach dem französischen Verständnis. Hält man sich die Umschreibung des domicile commun als Kriterium der sozialen Einbindung einer Person in ihr konkretes Lebensumfeld vor Augen, 255 Siehe Kegel, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Eherechts, 1962, S. 75, 76 f. 256 Droz, Recueil des cours 229 (1992), 9, 37. 257 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 218. Ausführlich Cassin, Recueil des cours 34 (1931), 655, 707 ff. 258 So überzeugend Francescakis, in: Trav. Com. DIP 1962–1964, 1964, S. 291, 306 ff. 259 Buffelan-Lanore, in: Rép. dr. civ.: Domicile, 2019, Rn. 172 f.; Die Vorschrift wurde abgeschaft durch die Loi n° 75-617 du 11 juillet 1975 portant réforme au divorce. 260 Cass. civ. 1ère, 15.5.1961, Rev. crit. DIP 1961, 547: „Mais attendu que le divorce d’époux de nationalité différente, soumis à la loi de leur domicile commun s’ils sont tous deux intégrés au milieu local par un établissement effectif dans le même pays […].“ 261 Vgl. jedoch zur sachrechtlichen Definition des Wohnsitzes bei der Sonderkollisionsnorm zur Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen in Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. noch unten S. 115 ff. 262 Hammje, in: Rép. dr. int.: Domicile, 2003, Rn. 1; zustimmend Ralser, in: JCl. Dr. int.: Domicile et résidence, 2017, Rn. 5.
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
so kommt dieser Integrationsaspekt funktional dem Begründungsansatz des gewöhnlichen Aufenthalts (résidence habituelle) sehr nahe.263 Dies erklärt die Tatsache, dass im autonomen französischen IPR bis heute keine eindeutige Differenzierung zwischen Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt zu finden ist; vielmehr werden domicile und résidence (habituelle) regelmäßig ohne eindeutige Abgrenzung funktional äquivalent verwendet.264 Teilweise wird die Anknüpfung an den domicile der résidence habituelle noch immer vorgezogen.265 In der Entscheidung Rivière und ihren Folgeurteilen ist diese Parallelität bereits angelegt.266 III. Fazit: Der territorialisme tempéré der Rechtsprechung Abschließend festzuhalten bleibt, dass die Rechtsprechung der Cour de cassation maßgeblich zu einem modernen Verständnis des Personalstatuts und seiner Anknüpfung im französischen IPR beigetragen hat. Auch wenn der Rivière-Rechtsprechung heute nur noch ein kleiner Anwendungsbereich innerhalb der nichtvermögensrechtlichen Ehewirkungen und des Adoptionsrechts (vgl. Art. 370-3 C. civ.) zukommt, ist sie für das Strukturverständnis des französischen IPR von überragender Bedeutung. Letztlich bricht die Rivière-Rechtsprechung zwar nicht vollständig mit dem Staatsangehörigkeitsprinzip im statut personnel. Sie sorgt indes für eine Renaissance des Wohnsitzes als Ausgleichsmoment, das die Schwächen des Staatsangehörigkeitsprinzips aufzufangen vermag und die Gleichstellung der Geschlechter im IPR praktiziert, ohne dass es dafür eine verfassungsrechtliche Instanz gebraucht hätte. 263 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 807; d’Avout, in: Mélanges Audit, 2014, S. 15, 37; Ralser, in: JCl. Dr. int.: Domicile et résidence, 2017, Rn. 9; ganz ähnlich liest sich der Leitsatz der Cour d’appel de Paris in der Rechtssache Bueno, CA Paris, 14.3.1956, Rev. crit. 1956, 504 ff.: „[…] s’agissant d’époux de nationalités différentes, la loi française est applicable (au divorce) si les époux ont effectivement en France soit un domicile commun ou une résidence habituelle commune, soit, à supposer qu’ils vivent séparés, leurs deux résidences habituelles.“; zum Kriterium der sozialen Integration aus deutscher Perspektive näher Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 2017, S. 150 ff. 264 Vgl. exemplarisch Art. 311-15 C. civ., Art. 202–1 Abs. 2 C. civ.; Eindrücklich Fadlallah, La famille légitime en droit international privé, 1977, S. 289: „La « residence habituelle » n’est autre que le rattachement retenu par la jurisprudence en matière d’effets du mariage ou de divorce d’époux de nationalités différentes: le « domicile commun », le « domicile effectif commun », « l’habitation commune » ou « l’établissement effectif dans un même pays » visent, sous des formules variées, la même réalité que la résidence habituelle, commune ou séparée, dans un même pays.“ 265 Siehe d’Avout, in: Mélanges Audit, 2014, S. 15, 30 ff.; kritisch Rentsch, ZEuP 2015, 288, 302 ff. 266 Ebenso Masmejan, La localisation, 1994, S. 89; Simon-Depitre/Foyer, Le nouveau droit international privé de la filiation, 1973, S. 32.
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Die Funktion der Wohnsitzanknüpfung wechselt in der Auslegung der Cour de cassation von einem rein territorialen Zuordnungskriterium zu einem Integrationselement. Der domicile steht nicht mehr in Konkurrenz zur Staatsangehörigkeitsanknüpfung, sondern ergänzt diese, insoweit sie nicht zu einer sachgerechten Auflösung der Rechtskollision führt. Die von der Cour de cassation geschaffene „Anknüpfungsleiter“ hat für das Internationale Personen- und Familienrecht Modellcharakter erlangt. Das Prinzip greift den Savignyschen Grundsatz vom Sitz des Rechtsverhältnisses auf und trägt gleichzeitig den Schwächen des strikten Personalprinzips Mancinis Rechnung. Der Kassationshof legt mithin die progressive Basis für die Weiterentwicklung der Verweisungsmethode als Lokalisationsinstrument.267 In dieser Ausformung distanziert sich die von der Cour praktizierte Anwendung des Domizilprinzips von den vorangegangenen Tendenzen innerhalb der französischen Doktrin, die vor dem Hintergrund eines strikten Territorialismus für eine umfassende Rückkehr zum Domizilprinzip plädiert.268 Der Wohnsitz erfährt infolgedessen im französischen Recht als altbekannte Konzeption des Ancien Droit eine Renaissance in neuem Gewand. Die darin angelegte Trennung von sachrechtlichem domicile und kollisionsrechtlichem domicile international ist dem deutschen Kollisionsrecht weitgehend fremd geblieben.269 Vielmehr wurde die Wohnsitzanknüpfung hierzulande vollständig vom gewöhnlichen Aufenthalt verdrängt.270 Die Definitionselemente des von der Cour de cassation statuierten domicile commun weisen hingegen funktional deutliche Ähnlichkeiten zu dem damals erst im Entstehen begriffenen Rechtsinstitut des gewöhnlichen Aufenthalts auf und erklären so, warum sich der gewöhnliche Aufenthalt im autonomen französischen IPR bisher nicht umfassend durchgesetzt hat. In Frankreich erhält mithin im 20. Jahrhundert – in den treffenden Worten Francescakis271 – eine „territorialité tempéré“ Einzug in das IPR der persönlichen und familiären Statusverhältnisse.
B. Teilkodifikation des statut personnel als Gegenentwurf Abrupt unterbrochen wird die progressive Entwicklungslinie des Kassationshofs durch die rasche Abfolge mehrerer Projekte zur Kodifikation des Internationalen Privatrechts, die in ihrer allgemeinen IPR-Methodik und im Personalstatut ganz 267
Vgl. zu dieser Funktion Lagarde, Recueil des cours 196 (1986), 9, 90 f. S. o. S. 50 f. 269 Als einer der wenigen geht Braga auf die Thematik ein, vgl. Braga, Staatsangehörigkeitsprinzip oder Wohnsitzprinzip?, 1954, S. 60 f. 270 Statt aller v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Art. 5 EGBGB, Rn. 124. 271 Francescakis, RIDC 1955, 349, 358. 268
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
unterschiedliche Ausrichtungen wählen. Nachdem alle Projekte einer Gesamtkodifikation scheiterten, entschließt sich der französische Gesetzgeber schließlich in den Jahren 1972 und 1975 zu einer Teilkodifikation des statut personnel. Die im Zuge dessen geschaffenen, methodisch höchst umstrittenen Normen sind größtenteils noch heute in Kraft und spiegeln anschaulich die Zerrissenheit des Rechtsgebiets zwischen traditioneller und moderner IPR-Methodik wider. Eine Kurzanalyse der drei erfolglosen Entwürfe einer Gesamtkodifikation (I.) schafft im Folgenden einen Überblick über die Ausgangslage, in die sich die Teilkodifikationen des statut personnel einbetten (II.). I. Erfolglose Versuche einer Gesamtkodifikation 1. Projet Niboyet (1954)272 Erstmals in Angriff genommen wird eine Gesamtkodifikation des französischen IPR in den Jahren 1948 bis 1950 von einer Kommission zur Reform des Code civil.273 Benannt nach Niboyet, der dem Entwurf seine eindeutige Handschrift verlieh, wurde das Projet Niboyet 1954 vorgestellt. Der Entwurf beinhaltet eine ausführliche und detaillierte Kodifikation des französischen IPR im weitesten Sinne, die in 113 Artikeln sowohl Fragen des allgemeinen (Art. 19–26) als auch des besonderen Teils des IPR (Art. 27–61) behandelt.274 Der territorial-nationalistische Ansatz Niboyets275 macht sich in dem Entwurf durch zahlreiche einseitige Privilegierungen des französischen Rechts deutlich bemerkbar. Zwar bekennt sich der Entwurf im allgemeinen Teil zur Allseitigkeit der Verweisung.276 Im Personenrecht gilt grundsätzlich die Anknüpfung an die loi nationale; dies allerdings nur mit einer gewichtigen Ausnahme zugunsten des französischen Rechts für Nicht-Franzosen, die seit über fünf Jahren in Frankreich leben.277 Die Ehe wird ebenfalls der loi nationale unterstellt. Hingegen verweisen die Normen bezüglich der Ehewirkungen, insbesondere der Scheidung, sowie der Abstammung und Betreuung in Abwendung von der Rechtsprechung Rivière einseitig auf das französische Recht, sobald eine der Parteien die französische Staatsangehörigkeit besitzt.278 Bemerkenswert ist darüber hinaus, 272
Der Entwurf findet sich im Ganzen abgedruckt in Rev. crit. DIP 1950, 111 ff. Loussouarn, in: Liber amicorum Droz, 1996, S. 191, 193. 274 Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45, 47. 275 S. o. S. 50 f. 276 Vgl. Art. 19 Projet Niboyet, Rev. crit. DIP 1950, 111, 114. 277 Art. 27 Projet Niboyet, Rev. crit. DIP 1950, 111, 114. 278 Art. 31–36 Projet Niboyet, Rev. crit. DIP 1950, 111, 114. Ausführlich zur Kritik der darin enthaltenen Diskriminierung von Nicht-Franzosen Batiffol, Recueil des cours 97 (1959), 431, 515 ff. 273
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dass der Entwurf eine Anerkennungsvorschrift vorsieht: Nach seinem Art. 21 werden, sofern das französische Recht sich nicht einseitig für zuständig erklärt, alle im Ausland unter einem ausländischen Statut entstandenen Rechtslagen im Inland anerkannt.279 Auch diese Vorschrift verdeutlicht das Ansinnen Niboyets, dem Entwurf trotz seiner vordergründig allseitigen Ausrichtung einen unilateralen Charakter zu verleihen.280 Der Entwurf stößt in der Literatur auf umfassende Kritik,281 Loussouarn spricht gar von einer „politischen Lösung“ des Kollisionsrechts.282 Dies führt letztlich dazu, dass das Projekt nicht nur aufgrund seines methodischen Vorgehens, sondern auch aufgrund der darin gespiegelten politischen Ideologien von der Kommission abgelehnt wurde.283 2. Projet Batiffol (1959)284 Mit der Ausarbeitung eines neuen Entwurfs wurde sodann Batiffol beauftragt.285 Der wesentlich kürzere Entwurf Batiffols zählt insgesamt 21 Artikel und zieht – im Gegensatz zu seinem Vorgängermodell – die Festschreibung allgemeiner Prinzipien der Schaffung umfassender Kollisionsnormen vor. Er wendet sich – ganz im Sinne der Lehre seines Verfassers – strikt von jeder unilateralen oder nationalistischen Tendenz ab.286 Das Personenrecht untersteht dem Staatsangehörigkeitsprinzip. Eine Ausnahme zugunsten des Domizilprinzips wird lediglich für das Personalstatut von Staatenlosen oder Geflüchteten gemacht.287 Für Ehewirkungen und eheliche Abstammung ist die Rivière-Rechtsprechung kodifiziert.288 Das Ehegüterrecht verwirklicht den von Dumoulin begründeten Vorrang der Parteiautonomie;289 das Erbrecht sieht darüber hinaus sogar eine Abkehr vom traditionellen französischen Grundsatz der Nachlassspaltung zugunsten der einheitlichen Anknüpfung an den Wohnsitz des Erblassers vor.290 Trotz seiner Innovationskraft und seines prominenten Autors bleibt der Entwurf allerdings erneut infolge politischer Unstimmigkeiten unter Verschluss. 279 Art. 22
Projet Niboyet, Rev. crit. DIP 1950, 111, 114. Maury in: La Codification du DIP, 1956, S. 114, 144 f. 281 Siehe zum Ganzen Entwurf die kritischen Erörterungen der Mitglieder des Comité français de droit international privé, in: La Codification du DIP, 1956, 1 ff. 282 Loussouarn, in: Liber amicorum Droz, 1996, S. 191, 193. 283 Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45, 48. 284 Der Entwurf ist im Ganzen abgedruckt in Rev. crit. DIP 1970, 832 ff. 285 Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45, 48. 286 Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45, 49. 287 Art. II Projet Batiffol, Rev. crit. DIP 1970, 832, 833. 288 Art. III, IV Projet Batiffol, Rev. crit. DIP 1970, 832, 833. 289 Art. IX Projet Batiffol, Rev. crit. DIP 1970, 832, 833. 290 Art. X Projet Batiffol, Rev. crit. DIP 1970, 832, 834. 280
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3. Projet Foyer (1967)291 Der dritte und letzte Gesetzesentwurf von dem damaligen französischen Justizminister Jean Foyer deckt in 37 Artikeln das IPR im engeren Sinne ohne das IZVR ab.292 Im Gegensatz zu den beiden Vorgängern enthält der Entwurf Foyers einige konkrete Vorschriften zum allgemeinen Teil des IPR, beispielsweise zum renvoi und zum ordre public. Die Kollisionsnormen sind allseitig ausgestaltet und reproduzieren, ähnlich dem Entwurf Batiffols, viele bewährte Kollisionsregeln der französischen Rechtsprechung.293 Letztlich sollte jedoch auch dieser Entwurf das Ministerium nie verlassen. Bis heute ist ungeklärt, ob dafür ein mangelnder politischer Wille294 oder gar eine ideologische Rückwendung Foyers zum Territorialismus Niboyets verantwortlich ist.295 Nur durch Zufall gelangte der Entwurf zusammen mit dem Projet Batiffol im Jahr 1970 an die Öffentlichkeit, nachdem er zuvor in den USA publiziert worden war.296 4. Zwischenfazit Im Ergebnis sind alle drei Entwürfe einer Gesamtkodifikation des französischen IPR weniger an inhaltlichen Grundlagen denn an den politischen Umständen ihrer Entstehungszeit gescheitert. Eine Weiterführung der modernen IPR-Methodik, welche die Cour de cassation im Urteil Rivière etabliert hatte, sahen gleichwohl nur die Vorschläge Batiffols und Foyers vor. II. Unilateralismus der Reformen von 1972 und 1975 In Anbetracht des Scheiterns der drei Entwürfe ging der französische Gesetzgeber ab den 1970er Jahren einen neuen Weg. Im Rahmen zweier Sachrechtsreformen kodifizierte er im Jahr 1972 zunächst Kollisionsnormen für das Abstammungsrecht (Art. 311-14 ff. C. civ.)297, die in ihrer Grundstruktur bis heute in Kraft sind.298 Im Jahr 1975 folgte schließlich mit Art. 310 C. civ. a. F. (heute 291
Der Entwurf findet sich im Ganzen ebenfalls in Rev. crit. DIP 1970, 835 ff. mag angesichts des im französischen Recht weiteren Verständnisses vom Gegenstand des Internationalen Privatrechts (s. o. S. 13) verwundern, hatte aber hier allein technische Gründe: Das Zivilverfahrensrecht war seit der V. Republik und der Verfassung vom 4. Oktober 1958 Teil der so genannten matière reglementaire und damit als solches nicht mehr Teil der dem Parlament vorbehaltenen domaine de la loi, vgl. Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45, 50. 293 Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45, 50. 294 So Foyer, JCP G. 1976, n° 2762. 295 So Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45, 50 f. 296 Vgl. Nadelmann/von Mehren, Am. J. Comp. Law 18 (1970), 614 ff. 297 Loi n° 72–3 du 3 janvier 1972, JO du 5 janvier 1972, S. 145. 298 Lediglich die Art. 311–16 C. civ. (zur Legitimation) und 311–18 C. civ. (zum Unterhalts292 Dies
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Art. 309 C. civ.) eine Kollisionsnorm für Fragen der Trennung und Ehescheidung.299 Im Vergleich zu den vorangegangenen Reformentwürfen fällt auf, dass der französische Gesetzgeber bei der Kodifikation nach einer Art Spezialitäts- oder – in den treffenden Worten Loussouarns – „Gießkannenprinzip“300 vorgeht.301 Die speziellen Kollisionsvorschriften werden im Code civil im unmittelbaren Kontext der einschlägigen Sachnormen normiert. Die Handhabung allgemeiner IPR-Instrumente verbleibt hingegen Teil des ungeschriebenen IPR. Diese „Sachrechtsorientierung“ bleibt freilich nicht ohne Folgen: Sie spiegelt sich nicht nur in der inhaltlichen Ausgestaltung der Kollisionsnormen wider (1.), sondern führt darüber hinaus zu einem erneuten Paradigmenwechsel in der Methodik des statut personnel (2.); dieser gilt bis heute als umstrittenster Eingriff des Gesetzgebers in das bis dato fallrechtsorientierte System des französischen IPR. 1. Inhaltliche Ausrichtung a) Abstammungsstatut, Art. 311-14 ff. C. civ. Im Abstammungsrecht knüpft die Grundregel des Art. 311-14 C. civ. die eheliche wie nicht-eheliche Abstammung an das Heimatrecht der Mutter an (loi nationale de la mère).302 Nur subsidiär wird das Heimatrecht des Kindes herangezogen, sofern die Mutter des Kindes nicht bekannt ist, vgl. Art. 311-14 Hs. 2 C. civ. Diese auf den ersten Blick klassisch formulierte allseitige Kollisionsnorm ist aus rechtsvergleichender Perspektive mehr als ungewöhnlich. Üblicherweise werden Abstammungsfragen an das Heimat- oder Aufenthaltsrecht des Kindes oder distributiv an das Heimat- oder Aufenthaltsrecht desjenigen Elternteils angeknüpft, dessen abstammungsrechtliche Verbindung mit dem Kind in Rede steht.303 Die recht) wurden 2005 abgeschafft, vgl. Ordonnance n° 2005–759 du 4 juillet 2005 portant réforme de la filiation, JORF n° 156 du 6 juillet 2005, texte 19, NOR : JUSX0500068R. 299 Loi n° 75-617 du 11 juillet 1975 portant réforme du divorce, JORF n° 0161 du 12 juillet 1975, S. 7171. 300 Loussouarn, in: Liber amicorum Droz, 1996, S. 191, 196 f.: „On peut aussi utiliser une autre forme d’intégration en procédant à la codification par matière. Elle consiste à insérer dans chaque chapitre du Code civil correspondant à la matière de droit interne dont elles traitent des dispositions de droit international privé. […] C’est la technique du « saupoudrage ». “ 301 Zu den in Betracht kommenden Alternativen zu dieser Methodik näher Gaudemet–Tallon, in: Le code civil 1804–2004, 2004, S. 749 ff.; Loussouarn, in: Liber amicorum Droz, 1996, S. 191, 196. 302 Art. 311-14 C. civ.: „La filiation est régie par la loi personnelle de la mère au jour de la naissance de l’enfant; si la mère n’est pas connue, par la loi personnelle de l’enfant.“ Seit dem Jahr 2005 unterscheiden die Normen nicht mehr zwischen nicht-ehelicher und ehelicher Abstammung eines Kindes, vgl. die oben gennnte Ordonnance in Fn. 298. 303 Batiffol/Lagarde, Rev. crit. DIP 1972, 1, 15.
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Anknüpfung an das Heimatrecht der Mutter überrascht auch insofern, als sie die vorangegangene Rechtsprechung der Cour de cassation vollständig unberücksichtigt lässt.304 Das Gericht hatte zuvor für Abstammungsfragen ein zweigleisiges Anknüpfungssystem geschaffen.305 Für die Abstammung eines in einer Ehe geborenen Kindes (filiation légitime) galt nach der Rivière-Rechtsprechung das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten, subsidiär das Recht des gemeinsamen Wohnsitzes oder die französische lex fori.306 Die Abstammung eines außerhalb einer Ehe geborenen Kindes (filiation naturelle) richtete sich nach dessen Heimatrecht.307 Nach Ansicht des französischen Gesetzgebers, maßgeblich vertreten durch Jacques Foyer als Berichterstatter und Vorsitzender der Gesetzgebungskommission, begründete die Anknüpfung an das Heimatrecht der Mutter nach dem Prinzip mater semper certa est indes das höchste Maß an Rechtssicherheit und Stabilität der Abstammung und sorgte dafür, dass das Kind unabhängig von seiner Geburt inner- oder außerhalb einer Ehe von dem französischen Recht als lex causa profitiere.308 Für die Anknüpfung an das Heimatrecht der Mutter spreche zudem der migrationsbedingte demographische Wandel, der zeige, dass in einer Mehrzahl der internationalen Abstammungskonflikte Mütter mit französischer Staatsbürgerschaft beteiligt seien.309 Von der international-privatrechtlichen Lehre erhielt die gesetzgeberische Motivation vernichtende Kritik, die bis heute anhält.310 Rechtstechnisch provoziere die rechtsvergleichend ungewöhnliche Grundanknüpfung, so etwa Ponsard, ein regelmäßiges Eingreifen des renvoi.311 Sollte man, wie die gesetzgeberische Begründung annehmen ließ, die Anwendung des neuen, für damalige Verhältnisse 304
So ausdrücklich Batiffol/Lagarde, Rev. crit. DIP 1972, 1, 1 f. Zum Ganzen ausführlich Godechot-Patris, in: JCl. Dr. int.: Établissement de la filiation, 2018, Rn. 3 ff., 17 f. 306 Cass. Civ. 1ère 4.11.1958, Moens, Rev. crit. 1959, 309 f. 307 Cass. civ. 1ère, 22.5.1957, Heinrich, Rev. crit. DIP 1957, 466 f. 308 Siehe die Erläuterungen von Foyer in: Débats Parlementaires Assemblée Nationale: Compte rendu intégrale des séances, JORF n° 79 du 7 octobre 1971, S. 4301 f. (abrufbar unter: ; letzter Abruf 8.7.2021). 309 Simon-Depitre/Foyer, Le nouveau droit international privé de la filiation, 1973, Rn. 17, 18. 310 Vgl. Aubert/Massip/Morin, Rép. Défrenois 1972, n°30092, 513, 521 ff.; Batiffol/La garde, Rev. crit. DIP 1972, 1, 5 ff., 26; Ponsard, JDI 1972, 765, 768 ff.; neuerdings GodechotPatris, in: JCl. Dr. int.: Établissement de la filiation, 2018, Rn. 22 m. w. N. 311 Ponsard, JDI 1972, 765, 776; In der unterinstanzlichen Rechtsprechung wird der renvoi in der Folge teilweise ausgeschlossen, vgl. Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 769 m. w. N. in Fn. 4. Die Anwendbarkeit des renvoi wurde jedoch erst kürzlich ausdrücklich von der Cour de cassation bestätigt, vgl. Cass. civ. 1ère, 4.3.2020, n° 18–26661. 305
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liberalen französischen Sachrechts bevorzugen,312 ließe sich dies in Fällen einer ausländischen Staatsangehörigkeit der Mutter nur über ein Eingreifen des ordre public erreichen anders als etwa bei einer Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes.313 Die pauschal zur Anwendung berufene Staatsangehörigkeit der Mutter berücksichtige nicht die Realität des Familienlebens und der Integration des Kindes in sein soziales Umfeld.314 Überdies missachte sie die rechtliche Gleichstellung der Elternteile des Kindes.315 Die soziale Integration der Familie in das französische Rechtsumfeld wollte der französische Gesetzgeber allerdings auf anderem Wege berücksichtigt wissen.316 Als Ausnahme zur Grundregel des Art. 311-14 C. civ. führte er deswegen eine „revolutionäre“317, aber nicht minder kontrovers diskutierte Sonderanknüpfung in Art. 311-15 C. civ. ein.318 Art. 311-15 C. civ. statuiert, dass ein Kind sich, sofern sein gewöhnlicher Aufenthalt oder derjenige eines Elternteils in Frankreich liegt, auf die Wirkungen des so genannten Statusbesitzes (possession d’état) berufen kann, insoweit dieser Statusbesitz eine andere Wirkung anordnet als das nach Art. 311-14 C. civ. eigentlich berufene ausländische Recht.319 Der dem deutschen Recht unbekannte Statusbesitz fingiert nach Art. 311-1 C. civ. unter gewissen Umständen das rechtliche Bestehen einer familienrechtlichen Statusposition (hier: der Abstammung) bei Vorliegen tatsächlicher Hinweise, die üblicherweise auf die Existenz des Statusverhältnisses schließen lassen.320 Über die genaue Me312
Das französische Recht statuierte in Art. 334 C. civ. a. F erstmals eine Gleichstellung von Kindern ehelicher und nicht-ehelicher Abstammung; vgl. Aubert/Massip/Morin, Rép. Défrenois 1972, n°30092, 513, 520 f.; Ponsard, JDI 1972, 765. 313 So geschehen im Fall Cass. civ.1ère, 10.2.1993, n° 89–21.997; zu weiteren Entscheidungen Godechot-Patris, in: JCl. Dr. int.: Établissement de la filiation, 2018, Rn. 119 m. w. N. 314 Foyer, in: Rép. dr. int.: Filiation, 2015, Rn. 28 ff. Ein anschauliches Beispiel liefert die Anwendung russischen Rechts im Fall Cass. civ. 1ère, 4.5.2011, n° 10–17.663 mit Anm. Joubert, Rev. crit. DIP 2011, 857, in dem die russische Staatsangehörigkeit der Kindesmutter das einzige Kriterium außerhalb des ansonsten vollständig in Frankreich belegenen Sachverhaltes war. 315 Ponsard, JDI 1972, 765, 774; aus grundrechtlicher Perspektive Lequette, in: Le droit international privé et les droits fondamentaux, 2011, S. 109, 121 f. 316 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 770. 317 Simon-Depitre/Foyer, Le nouveau droit international privé de la filiation, 1973, Rn. 11. 318 Eindrücklich Batiffol/Lagarde, Rev. crit. DIP 1972, 1, 8: „Cette exception est de tout évidence destinée à corriger l’irréalisme du rattachement à la loi de la mère, mais on peut se demander si le remède, ici, n’est pas pire que le mal.“ 319 Art. 311-15 C. civ.: „Toutefois, si l’enfant et ses père et mère ou l’un d’eux ont en France leur résidence habituelle, commune ou séparée, la possession d’état produit toutes les conséquences qui en découlent selon la loi française, lors même que les autres éléments de la filiation auraient pu dépendre d’une loi étrangère.“ 320 Näher dazu Dopffel, Kindschaftsrecht im Wandel, 1994, S. 141; Thümmel, Das internationale Privatrecht der nichtehelichen Kindschaft, 1983, S. 56 f.
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thodik des Art. 311-15 C. civ. besteht zwar nach wie vor Uneinigkeit.321 In ihrer Rechtsfolge will die Norm dem Kind indes eindeutig die sachrechtlichen Privilegien der französischen lex fori zukommen lassen und ist damit unabhängig von ihrer methodischen Einordnung unumstritten unilateraler Natur.322 Eine „klassische“ Günstigkeitsregel enthält hingegen Art. 311-17 C.civ. für die freiwillige Anerkennung einer Vater- oder Mutterschaft. Danach ist die Anerkennung der Abstammung immer dann wirksam, wenn sie in Übereinstimmung entweder mit dem Heimatrecht des oder der Anerkennenden oder mit dem Heimatrecht des Kindes vorgenommen wurde.323 Anzuwenden ist mithin das Recht, das nach seinem sachrechtlichen Ergebnis die Wirksamkeit der Anerkennung begünstigt (lex validitatis).324 Der Hauptkritikpunkt an der Einführung der Art. 311-14 ff. C. civ. trägt bis heute. Der Gesetzgeber hat vorrangig aus einer politischen und sachrechtsorientierten Motivation heraus entschieden, anstatt nach den Grundsätzen des allseitigen IPR, dessen zentrale Elemente die Neutralität der Kollisionsnormen und die Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen sind.325 Im Vordergrund der Neuregelungen steht mithin nicht das Ziel einer Vereinfachung des Kollisionsrechts, sondern das Streben nach einer möglichst häufigen Anwendung der französischen lex fori. Eine Kritik, die Foyer selbst nie abgestritten, sondern vielmehr als notwendige Innovation des französischen IPR begriffen hat.326 b) Scheidungsstatut, Art. 310 C. civ. a. F. (Art. 309 C. civ. n. F.) Weniger aufgrund der inhaltlichen Ausgestaltung der Anknüpfungen als wegen der methodischen Umsetzung derselben wurde die 1975 eingeführte Scheidungs321 Siehe
Foyer, in: Rép. dr. int.: Filiation, 2015, Rn. 54 (Eingriffsnorm); Godechot-Patris, in: JCl. Dr. int.: Établissement de la filiation, 2018, Rn. 43 (einseitige Kollisionsnorm); Mayer/ Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 135 (loi d’application nécessaire). 322 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 183, 849. 323 Art. 311-17 C. civ.: „La reconnaissance volontaire de paternité ou de maternité est val able si elle a été faite en conformité, soit de la loi personnelle de son auteur, soit de la loi personnelle de l’enfant.“ 324 Foyer, in: Rép. dr. int.: Filiation, 2015, Rn. 94. 325 Ebenso Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 636. 326 Vgl. Foyer, Recueil des cours 193 (1986), 9, 62: „ Les articles 311-14 et suivants du Code civil ne se fondent que sur des qualifications internes […].“; Simon-Depitre/Foyer, Le nouveau droit international privé de la filiation, 1973, Rn. 3: „en second lieu, il [le législateur, Anm. d. Verf.] a été guidé par l’idée d’offrir aux enfants le bénéfice d’une loi « de justice et de vérité », cette idée se concrétisant […] soit par la compétence de la loi française (art. 311-15), soit par des rattachements alternatifs (art. 311-16. 17 et 18), qui conduiront fréquemment à l’application de la loi française. Enfin, le législateur a vraisemblablement voulu transposer au plan international les principes fondamentaux consacrés en droit interne, […].“
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kollisionsnorm des Art. 310 C. civ. a. F., heute Art. 309 C. civ., kritisiert.327 Erneut trägt die Norm die Handschrift Jacques Foyers.328 In seinem Anwendungsbereich ist Art. 309 C. civ. n. F. seit Juni 2012 zwar weitgehend von der Rom IIIVO329 verdrängt. Seine problematische „Reaktivierung“ für Scheidungsformen ohne gerichtliche Beteiligung infolge des EuGH-Urteils Sahyouni330, wurde darüber hinaus durch Art. 65 der neuen Brüssel IIb-VO331 zumindest für unionsinterne Sachverhalte unterbunden.332 Die Vorschrift belegt gleichwohl in der Zusammenschau mit den Art. 311-14 C. civ. anschaulich den Systembruch, den der französische IPR-Gesetzgeber mit den Reformen der 1970er Jahre im statut personnel einleitete.333 Art. 309 C. civ. n. F. beruft für die Trennung und Ehescheidung einseitig französisches Recht immer dann zur Anwendung, wenn (1.) beide Ehegatten die französische Staatsangehörigkeit besitzen oder (2.) beide Ehegatten ihren gemeinsamen Wohnsitz334 in Frankreich haben oder (3.) sich kein ausländisches Recht für anwendbar erklärt, während französische Gerichte für die Entscheidung über die Frage zuständig sind.335 Über die Zuständigkeit der französischen Gerichte entscheiden die Regeln des autonomen IZVR.336 Im Gegensatz zur vorangegangenen Rivière-Rechtsprechung dient der Wohnsitz der Ehegatten hier auf zweiter Stufe nicht subsidiär zur Staatsangehörigkeit, sondern unabhängig
327
Francescakis, Rev. crit. DIP 1975, 553 ff.; a. A. Foyer, JCP G. 1976, n° 2762. zum Einfluss Foyers auf die Reformen Francescakis, Rev. crit. DIP 1975, 553, 555 ff. 329 S. o. Teil 1 Fn. 9. 330 EuGH, 20.12.2017 – C-372/16 – Sahyouni. 331 Verordnung (EU) Nr. 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen, Abl. EU L 2019/178, S. 1 ff. („Brüssel IIb-VO“). 332 Ausführlich zu den international-privatrechtlichen Konsequenzen der Einführung einer Scheidung ohne Richter im französischen Recht nach Art. 229-1 ff. C. civ. bereits Nicolas-Vullierme/Heiderhoff, StAZ 2018, 361, 365 ff.; Schlürmann, FamRZ 2018, 1035, 1038 ff. 333 Dazu sogleich unten S. 68 ff. 334 Gemeint ist der international-privatrechtliche Wohnsitz im Sinne des domicile commun der Rivière-Rechtsprechung, s. o. S. 55. 335 Art. 309 C. civ. (Art. 310 C. civ. a. F.): „Le divorce et la séparation de corps sont régis par la loi française: – lorsque l’un et l’autre époux sont de nationalité française; – lorsque les époux ont, l’un et l’autre, leur domicile sur le territoire français; – lorsque aucune loi étrangère ne se reconnaît compétence, alors que les tribunaux français sont compétents pour connaître du divorce ou de la séparation de corps.“ 336 Hammje, in: Rép. dr. int.: Divorce, 2018, Rn. 153. 328 Ausführlich
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von der Staatsangehörigkeit der Ehegatten als Anknüpfungskriterium.337 Auch auf Ehescheidungen von Paaren ohne französische Staatsangehörigkeit mit Wohnsitz in Frankreich findet somit französisches Recht Anwendung. Dafür aktiviert der Gesetzgeber erneut das integrationspolitische Argument der sozialen Nähe des französischen Rechts in Fällen, in denen Staatsbürger mit ausländischer Nationalität seit langem in Frankreich integriert sind und ein anderenfalls ausländisches Recht eine Ehescheidung verwehren würde.338 Gleichzeitig wird dem französischen Sachrecht so allerdings erneut ein möglichst weiter Anwendungsbereich eingeräumt.339 Art. 310 C. civ. a. F. (Art. 309 C. civ. n. F.) legt folglich die unilaterale Tendenz der französischen Gesetzgebung noch unmittelbarer offen als die teilweise nur „versteckt“ unilateral wirkenden Art. 311-14 ff. C. civ. Dabei zeigt sich auf der dritten Stufe der Vorschrift schließlich die typische Schwäche einseitiger Verweisungsnormen: Beruft sich weder das inländische noch das ausländische Recht zur Anwendung, so kommt es zu einem Normenmangel oder im umgekehrten Fall zu einer Normenhäufung.340 Eine Verallseitigung der Vorschrift, wie es die französische Rechtsprechung für Art. 3 Abs. 3 C. civ. seit dem Fall Busqueta praktiziert, ist allerdings schon vom Wortlaut der Norm, insbesondere ihres Absatzes 3, nicht möglich.341 2. Ursache des Paradigmenwechsels: changement d’esprit im Personalstatut Die Reformen von 1972 und 1975 markieren ohne Zweifel einen wichtigen Wendepunkt der Methodik des statut personnel.342 Zwar hat sich die französische Rechtspraxis inzwischen über Jahrzehnte einen praktikablen Umgang mit den Vorschriften erarbeitet,343 die Spaltung der französischen IPR-Methodik, die sie 337 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 807; Foyer, JCP G. 1976, n° 2762, Rn. 15. 338 Foyer, JCP G. 1976, n° 2762, Rn. 12; Labrusse, in: Trav. Com. DIP 1975–1977, 1979, S. 111, 114. 339 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 756; Mayer/Heuzé/ Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 614. 340 Hammje, in: Rép. dr. int.: Divorce, 2018, Rn. 154; Foyer plädert für den Fall der Normenhäufung dafür, wie im Falle mehrfacher Staatsangehörigkeit das „effektivere“ Recht anzuwenden, vgl. ders., JCP G. 1976, n° 2762, Rn. 26. 341 Ebenso Gaudemet-Tallon, in: JCl. Dr. int.: Divorce prononcé en France, 2020, Rn. 7, 11. Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 122 sprechen deshalb von einer „echten“ unilateralen Kollisionsnorm. 342 Bourdelois, in: La loi: Bilan et perspectives, 2005, S. 89, 92, spricht in diesem Zusammenhang gar von einer „Gefahr für das Internationale Privatrecht“; die Entwicklung begrüßt hingegen Malaurie, in: Trav. Com. DIP 1975–1977, 1979, S. 177 ff. 343 Bodénès-Constantin, La codification du droit international privé français, 2005, Rn. 93 ff.
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hervorriefen, ist gleichwohl nicht zu leugnen. Die Unilateralisierungstendenz, die den Kollisionsnormen von 1972 und 1975 anhaftet, führt zu einem Paradigmenwechsel – einem changement d’esprit344 – in der Grundkonzeption des statut personnel. Der klassisch bilaterale Ansatz der Cour de cassation, der sich zuvor in der Rechtsprechung Rivière deutlich äußerte, weicht einem sachrechtsorientierten Ansatz mit eindeutiger Präferenz für die Anwendung des inländischen französischen Rechts. Durch das Eingreifen des französischen Gesetzgebers wird die Methodik des statut personnel damit in gewisser Weise zum Politikum. Die Gründe für die unilaterale Tendenz des Gesetzgebers lassen sich verschiedentlich herleiten: Die Ausrichtung der Normen entsprach einer zu dieser Zeit zu beobachtenden „Renaissance“ partikularistisch und unilateralistisch orientierter Denkrichtungen des IPR.345 Angesichts der so genannten „Krise des IPR“346, geprägt von dem Eindruck einer fehlenden Rechtsgemeinschaft und des Misserfolges internationaler Rechtssetzung lebten Strömungen dieser Richtung in der französischen Lehre wieder auf.347 Danach wurde das eigene Recht entgegen dem Prinzip der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen regelmäßig für das „bessere“ Recht gehalten.348 Gleichzeitig riefen die weiter steigenden Migrationsbewegungen das dringende rechtspolitische Bedürfnis nach einer Einheitlichkeit der Rechtsanwendung abseits der Staatsangehörigkeit hervor, die durch die Rückkehr zur einem territorial geprägten Ansatz scheinbar gewährleistet werden konnte. Die bereits angesprochenen Vorteile der Wohnsitzanknüpfung als Inte grationselement349 traten hier noch deutlicher zutage als zuvor.350 Überdies genoss das französische IPR bis dato den Ruf einer undurchsichtigen Spezialmaterie (droit savant351), die der praktischen Rechtsanwendung nicht zugänglich ge344 Ähnlich
Malaurie, in: Trav. Com. DIP 1975–1977, 1979, S. 177, 179: „transformation de l’esprit“. 345 Bodénès-Constantin, La codification du droit international privé français, 2005, S. 70 (Rn. 108, insbesondere Fn. 269): „Il n’est guère contestable que les lois du 3 janvier 1972 et du 11 juillet 1975 sont placées sous le double signe du particularisme et du nationalisme. En témoigne le fait que les règles posées par le législateur n’ont pas d’équivalent à l’étranger et que plus d’une traduit une nette préférence pour la loi française au détriment de la loi étrangère.“ 346 Vgl. Kegel, Recueil des cours 112 (1964), 91, 95 ff. 347 Malaurie, in: Trav. Com. DIP 1975–1977, 1979, S. 177, 182. Paradigmatisch für die Kritik an dem klassisch allseitigen System steht vor allem das Werk Pierre Gothots, vgl. ders., Rev. crit. DIP 1971, 1 ff.; zum Ganzen Cachard/Klötgen, Droit international privé, 2020, Rn. 308. 348 Loussouarn, in: Liber amicorum Droz, 1996, S. 191, 197. 349 S. o. S. 38 f. 350 Labrusse, in: Trav. Com. DIP 1975–1977, 1979, S. 111, 118 f., 131; kritisch Francescakis, Rev. crit. DIP 1975, 553, 581 f. 351 Oppetit, Recueil des cours 234 (1992), 331, 344 ff.
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
macht und den Bedürfnissen der betroffenen Parteien dementsprechend nicht gerecht werden konnte.352 3. Konsequenzen a) Methodische und systematische Inkohärenzen Die genannten teilweise außerhalb des IPR liegenden politischen Umstände spiegeln sich in der methodischen Ausrichtung der Kollisionsregeln von 1972 und 1975 wider. Das französische IPR kehrt zurück zu einer am Nationalismus und Partikularismus orientierten Basis, die dem statut personnel nach der Entwicklung der Rechtsprechung bis dato fernlag.353 Den eigentlichen Regelungsanstoß für die Kodifikation von Kollisionsregeln setzt fortan die Sachrechtsreform. Viele der materiell-rechtlichen Entscheidungen werden deshalb ohne Berücksichtigung international-privatrechtlicher Besonderheiten – sozusagen „kollisionsrechtsblind“ – auf internationale Sachverhalte übertragen.354 Die fragmentarische und sachrechtsorientierte Kodifikation provoziert allerdings methodisch-systematische Inkohärenzen innerhalb des statut personnel.355 Fortan spaltet sich das positive Recht einerseits in das klassisch-bilaterale System der Cour de cassation in Materien wie der Begründung der Ehe und der nicht-vermögensrechtlichen Ehewirkungen. Dort gilt weiterhin das Staatsangehörigkeitsprinzip in seiner Ausformung durch die Rivière-Rechtsprechung. Die Ausgestaltung des allgemeinen Teils des IPR bleibt ebenfalls Aufgabe der Judikative. Für das Abstammungs- und Scheidungsstatut gilt hingegen das Regime der Art. 309, 311-14 ff. C. civ. mit seiner Tendenz zur einseitigen Privilegierung des französischen Rechts. Staatsangehörigkeits- und Wohnsitz- beziehungsweise Aufenthaltsprinzip sind hier gleichgeordnet. Eine ähnliche Wirkung zeitigt derzeit der vier Jahrzehnte später eingeführte Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. bezüglich der kollisionsrechtlichen Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen, auf den noch zurückzukommen ist.356 b) Spaltung von Legislative und Judikative Die methodische Spaltung des statut personnel setzt sich auch auf institutioneller Ebene fort, und zwar in einem gespaltenen Verhältnis von Legislative und Judi352 So
Malaurie, in: Trav. Com. DIP 1975–1977, 1979, S. 177, 180 f. Bodénès-Constantin, La codification du droit international privé français, 2005, Rn. 108; Francescakis, Rev. crit. DIP 1975, 553, 563, 569. 354 Ebenso Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45, 53. 355 Bodénès-Constantin, La codification du droit international privé français, 2005, Rn. 107. 356 Ralser, in: JCl. Dr. int.: Domicile et résidence, 2017, Rn. 27; näher u. S. 113 ff. 353
E. Gang der Untersuchung
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kative. Die legislativen Reformen kennzeichnen die auffällige, häufig bewusste Abkehr von den etablierten Lösungen der Rechtsprechung und insbesondere dem System Rivière, das sich über Jahre hinweg in konstanter Rechtsprechung aller Instanzen gefestigt hatte. Die Legislative stellt die rechtspolitische Motivation der Durchsetzung nationaler Rechtsvorstellungen in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang kann ein weiterer Grund für die starke Fokussierung des Gesetzgebers auf die rechtspolitische Dimension sein, dass zu dieser Zeit eine enge Zusammenarbeit des Gesetzgebers mit der Wissenschaft, wie etwa in Deutschland in Gestalt des Deutschen Rats für IPR, unüblich war.357 Die Funktion der Judikative, allen voran der Cour de cassation, verschiebt sich infolgedessen aber nach über 150 Jahre von der außergewöhnlichen Position als Motor der Rechtssetzung im französischen IPR hin zur bloßen Interpretatorin derjenigen Normen, die ihr zuvor erschaffenes IPR-System zu einem Großteil untergraben.358
C. Zusammenfassung in Thesen 1. Das Domizilprinzip erfährt im 20. Jahrhundert infolge starker Migrationsbewegungen nach Frankreich trotz Beibehaltung des Staatsangehörigkeitsprinzips im statut personnel eine Renaissance. Zwar setzen sich die territorialistischen Ansätze eines Teils der Lehre, maßgeblich vertreten von Niboyet, in der Rechtsprechung nicht grundlegend durch. Indes etabliert die Cour de cassa tion durch ihr Grundsatzurteil Rivière die Anknüpfung des gemeinsamen Wohnsitzes von Ehepartnern (domicile commun) als subsidiäre Anknüpfung zur Staatsangehörigkeit. 2. Das Urteil Rivière bildet den Abschluss der methodischen Entwicklung des statut personnel hin zu einem auf den Prinzipien Savignys beruhenden allseitig-neutralen Kollisionsrecht. Die in der Rechtsprechungstrias Rivière-Lewandowski-Tarwid verankerte Anknüpfungsleiter dient als Vorbild für viele andere kontinentaleuropäische IPR-Systeme. Im deutschen Recht ist sie als „Kegel’sche Leiter“ bekannt geworden. 357
Der Einfluss der Arbeiten des Comité de droit international privé français auf den legislativen Prozess ist nicht zu vergleichen mit dem Einfluss des Deutschen Rates für IPR; ausführlich dazu Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 2018, S. 40 ff. 358 Das Verhältnis von Judikative und Legislative ist im französischen IPR seither Teil einer heftigen Debatte, auf die an dieser Stelle nicht näher einzugehen ist. Siehe dazu Bourdelois, in: La loi: Bilan et perspectives, 2005, S. 89 ff.; Courbe, in: Mélanges Heron, 2008, S. 181 ff.; Foyer, Archives philosophiques du droit 50 (2006), 261 ff.; Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45 ff.
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Teil 2: Der statut personnel zwischen Personalität und Territorialität
3. Die Rechtsprechung Rivière erhellt, dass dem statut personnel bis heute eine kollisionsrechtlich autonome Interpretation des Wohnsitzbegriffs erhalten geblieben ist. Funktional nähert sich der domicile commun, verstanden als Ort der dauerhaften Niederlassung und effektiven sozialen Integration der Ehegatten, dem Begriff des (gemeinsamen) gewöhnlichen Aufenthalts an. Dies mag den Umstand erklären, dass der domicile im kodifizierten französischen IPR bis heute als Anknüpfungsmoment Verwendung findet. 4. Mit den Teilregelungen zum Internationalen Abstammungs- und Ehescheidungsrecht ist der französische Gesetzgeber – abgesehen von Art. 3 C. civ. – in den Art. 311-14 ff. C. civ. und Art. 310 C. civ. a. F. (Art. 309 n. F. C. civ.) erstmals im französischen IPR kodifizierend tätig geworden. 5. In den Reformen des Abstammungs- und Ehescheidungsrechts manifestiert sich methodisch ein deutlicher Bruch mit den vorangegangenen Lösungen der Rechtsprechung, insbesondere den Grundsätzen der Rivière-Rechtsprechung. Der Gesetzgeber wendet sich vielmehr in verschiedener Form einem Kollisionsrecht unilateralen Charakters zu. Er orientiert die kollisionsrechtliche Methodik in erster Linie an den sachrechtlichen Vorstellungen des französischen Familienrechts. Infolgedessen verkörpern die kodifizierten Regeln des statut personnel eine deutliche Präferenz für territoriale Anknüpfungsmomente und die Anwendung des französischen Rechts als lex causae. 6. Die Methodik des statut personnel ist fortan gespalten. Auf der einen Seite steht das von der Rechtsprechung praktizierte IPR-System, das nach klassischem Vorbild derjenigen Anknüpfung den Vorzug gibt, die den Sitz des Rechtsverhältnisses am besten abbildet und einer räumlichen Gerechtigkeit im Sinne einer coordination des systèmes359 gerecht wird. Auf der anderen Seite steht die unilateral-territorialistische Tendenz der vom französischen Gesetzgeber geschaffenen Regeln des Internationalen Abstammungs- und Ehescheidungsrechts.
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Batiffol, Recueil des cours 120 (1968), 165, 173 ff.
Teil 3
Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung: Analyse des status quo Während im zweiten Teil der Arbeit der Fokus auf Historie und Ideengeschichte des statut personnel gelegt wurde, befasst sich der folgende dritte Teil mit den aktuellen methodischen Entwicklungen des französischen Personalstatuts. Dabei ist das Rechtsgebiet in Frankreich ähnlich wie in allen anderen europäischen Rechtsordnungen derzeit methodischen Umwälzungen ausgesetzt, die sich auf den verstärkten Einfluss von Grundfreiheiten und Menschenrechten auf das IPR der persönlichen und familiären Rechtsverhältnisse zurückführen lassen.1 Bevor die Einflüsse im französischen Recht im Einzelnen näher aufgedeckt werden, erläutert der folgende Abschnitt die Metaebene dieser methodischen Herausforderungen für das Personalstatut überblicksartig und bildet auf diese Weise die Basis für die Analyse des französischen Rechts und den Vergleich mit der deutschen Rechtsordnung.
§ 4 Einführung: Herausforderungen für das Personalstatut im postmodernen IPR Um die Jahrtausendwende tritt das IPR – in den Worten Jaymes – über in das Zeitalter der „Postmoderne“2. Das postmoderne IPR ist, wie andere Materien des Rechts, geprägt von der „Entgrenzung“ der Rechtsverhältnisse durch eine stetig zunehmende und vereinfachte grenzüberschreitende Mobilität von Personen, Waren und Dienstleistungen, die ihrerseits Ausdruck des sozio-ökonomischen Phänomens der Globalisierung ist.3 Die dynamische Entwicklung des länderübergreifenden Personenverkehrs eröffnet für den Status der Person und der Familie einen neuen „Markt der Möglichkeiten“, eine neue Form der Selbstbestim1
Einleitend dazu bereits S. 3 ff. Jayme, Recueil des cours 251 (1995), 9, 36 f.; ders., IPRax 2000, 165, 168. 3 Vgl. d’Avout, in: Trav. Com. DIP 2014–2016, 2017, S. 215, 218; Basedow, Recueil des cours 360 (2013), 9, 74; Gaudemet-Tallon, in: Essays in honour of Hans van Loon, 2013, S. 181 f.; Mansel, DGIR 43 (2008), 131, 151 f.; Nishitani, ELR 7 (2014), 134; Trips-Hebert, IPR und Globalisierung, 2003, S. 9; Weller, in: Die Person im IPR, 2019, S. 53, 64. 2
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
mung4: wo die Eingehung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in einem Staat wie Polen nicht möglich ist, kann ein Paar mit einfachen Mitteln auf einen anderen Staat wie Deutschland oder Frankreich ausweichen, um die Ehe dennoch einzugehen. Gleiches gilt etwa für die Führung eines (Doppel- )Namens oder die Zeugung von Nachkommen unter Zuhilfenahme reproduktionsmedizinischer Mittel. Häufig werden diese Phänomene der (bewussten) Umgehung einer Rechtsordnung im negativen Sinne als „Statustourismus“ bezeichnet.5 Positiv gewendet machen die Betroffenen schlicht Gebrauch von den Möglichkeiten, die ihnen eine liberalisierte und global vernetzte Welt bietet.
A. Ergebnisvorgabe: Statuskontinuität vermittelt durch Grundfreiheiten und Menschenrechte Der Fokus der IPR-Methodik verschiebt sich infolge dieser Entwicklungen insgesamt „vom Raum zum Individuum“6, von einer räumlichen Koordinierung staatlicher Rechte zur Freiheitsverwirklichung des Einzelnen. Mit dem vereinfachten Zugang zu und der anschließenden Zirkulation von Statusrechten wachsen Interesse und Anspruch jedes Einzelnen, diesen Status bei einem Grenzübertritt nicht zu verlieren, rasant.7 Die Kontinuität der erworbenen Rechtsposition über Ländergrenzen hinweg, anders gesagt die „Anerkennung“8 einer einmal wirksam erworbenen Rechtsposition, wird zu einem Leitprinzip des Personalstatuts in der Postmoderne.9 So genannte „hinkende Rechtsverhältnisse“, das heißt Rechtsverhältnisse, die im einen Staat wirksam, im anderen Staat aber unwirksam sind, sind mit diesem Leitprinzip kaum vereinbar.10 Normativ findet das Bedürfnis der Statuskontinuität im europäischen Raum seinen Anker in den Grund- und Menschenrechten, im Personalstatut maßgeblich 4
Jayme, IPRax 2000, 165, 171. Diel, Leihmutterschaft, 2014, S. 10; Knoll, in: Umwege zum eigenen Kind, 2008, S. 63, 65; Lemouland, LPA 2001, n° 62, 24. 6 Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 760; ähnlich Guillaumé, L’affaiblissement de l’état-na tion et le droit international privé, 2011, Rn. 763. 7 Gaudemet-Tallon, in: Essays in honour of Hans van Loon, 2013, S. 181, 193; Legendre, Droits fondamentaux et droit international privé, 2020, Rn. 77. 8 Zum mehrdeutigen Begriff der Anerkennung sogleich S. 76 ff. 9 Baratta, Recueil des cours 348 (2011), 253, 272; Guillaumé, L’affaiblissement de l’étatnation et le droit international privé, 2011, Rn. 763; Lagarde, in: Mélanges Gaudemet-Tallon, 2008, S. 481, 491, bemerkt treffend, dass ebenjene Statuskontinuität zuvor Leitgedanke des Staatsangehörigkeitsprinzips gewesen ist. 10 Vgl. Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 4 f.; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 766 f. 5
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in den Freizügigkeitsgarantien supranationaler Rechtsakte.11 Dazu zählt in erster Linie die Freizügigkeit der Unionsbürger nach Art. 21 AEUV.12 Aber auch das in Art. 8 Abs. 1 EMRK13 niedergelegte Recht auf ein ungestörtes Privat- und Familienleben kann im Einzelfall erfordern, dass ein Staat ein unter ausländischem Recht zustande gekommenes Statusverhältnis anzuerkennen hat.14 Der Wirkbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK geht über denjenigen des Art. 21 AEUV noch deutlich hinaus, da er nicht nur zugunsten von Unionsbürgern in EU-Binnensachverhalten, sondern auch in Fällen mit Drittstaatenbezug Anwendung findet.15 Als Teil der europäischen Grundrechte ist Art. 8 EMRK inzwischen Bestandteil des Unionsrechts und damit ebenfalls ein Freizügigkeitsrecht im weiteren Sinne.16 Mag die Union selbst erst durch den noch ausstehenden Beitritt zur EMRK an deren Garantie gebunden sein (Art. 6 Abs. 2 EUV), so ist die Konvention für die EU-Mitgliedstaaten als Konventionsstaaten bereits jetzt rechtsverbindlich.17
B. Konsequenz: Richtungswechsel im europäischen Methodendiskurs Die Dogmatik der europäischen Freizügigkeitsgarantien unter dem Leitprinzip der Statuskontinuität passt sich nicht ohne Weiteres in die Methodik des klassisch-verweisungsrechtlichen IPR nach Savigny und der Suche nach der räumlich engsten Verbindung ein. Sie ersetzen das Kollisionsrecht nicht, sondern geben 11 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 576; Legendre, Droits fondamentaux et droit international privé, 2020, Rn. 166 ff.; Marchadier, in: La circulation des personnes et de leur statut, 2019, S. 67 f. 12 Art. 21 Abs. 1 AEUV: „Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“ 13 Art. 8 Abs. 1 EMRK: „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“ 14 Vgl. EGMR, 28.6.2007, n° 76240/01, Wagner et J. M. W. L. c. Luxembourg; Eingehend dazu Kinsch, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 43 ff.; van Loon, in: Global Private International Law, 2019, S. 530 ff. 15 Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/v. Raumer, EMRK, 2017, Art. 1, Rn. 22: „Die EMRK gilt zugunsten aller „Personen“, die sich im Geltungs- und Schutzbereich aufhalten. Eine Begrenzung auf eigene Staatsangehörige erfolgt – naturgemäß – nicht. Ebenso schützt die EMRK nicht nur Personen, die sich auf dem Territorium eines Mitgliedstaats aufhalten.“ 16 Siehe Art. 6 Abs. 3 EUV: „Die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.“ 17 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2016, Art. 6 EUV, Rn. 33.
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den nationalen Rechtsordnungen lediglich das Ergebnis einer grund- und menschenrechtskonformen Ausgestaltung der Kollisonsnormen für grenzüberschreitende Statusverhältnisse vor.18 Diese „Methodenblindheit“ des supranationalen Rechts heben sowohl EuGH als auch EGMR immer häufiger ausdrücklich hervor.19 Es ist Aufgabe der nationalen Rechtsordnungen, die Freizügigkeitsrechte zu respektieren, aktiv zu schützen und die Ergebnisvorgaben von EuGH und EGMR dementsprechend in den nationalen Methodenkanon des IPR zu überführen.20 Das Paradigma der herkömmlichen IPR-Methodik verändert sich damit weg von einer Anknüpfungs- hin zu einer Effektivitäts-21 oder Zirkulationsfunktion22. Rechtsordnungsübergreifend schlägt sich die Überformung des IPR durch die Freizügigkeitsrechte in zwei Entwicklungen nieder, welche die Methodik des Personalstatuts in der Postmoderne nachhaltig prägen. So ist einerseits eine stetige Spezialisierung und Politisierung der Kollisionsnormen in persönlichen und familiären Statusfragen zu beobachten (I.). Andererseits setzt sich die Statusfreizügigkeit zunehmend über den Mechanismus der so genannten Anerkennungsmethode durch, die damit neben die Verweisungsmethode des klassischen IPR tritt (II.). I. Spezialisierung und Politisierung der Verweisung In vielen Kollisionsnormen der persönlichen und familiären Rechtsverhältnisse ist der klassische Dualismus zwischen personaler Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit und territorialer Anknüpfung an den Wohnsitz mittlerweile aufgehoben.23 Er weicht – vor allem auf Kosten der Staatsangehörigkeit – der vorrangigen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt, der in seiner Integrationsfunktion die Bedürfnisse mobiler Gesellschaften besser abzubilden scheint.24 18 Vgl. Francq, in: Vers un statut européen de la famille, 2014, S. 111, 125 f.; Legendre, Droits fondamentaux et droit international privé, 2020, Rn. 286 ff.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 674, 677 ff. 19 EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag, Rn. 41 f.; EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Mennesson c. France, Rn. 51. 20 Siehe bereits oben S. 6 f. 21 Hammje, in: La circulation des personnes et de leur statut, 2019, S. 137, 147. 22 Vgl. Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 115. 23 Kohler, in: Internationales Familienrecht für das 21. Jahrhundert, 2006, S. 9, 11 ff.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 723. Kritisch zum Bedeutungsverlust der Staatsangehörigkeit Gaudemet-Tallon, in: FS Jayme, Band I, 2004, S. 205 ff. 24 Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 2017, S. 62 ff., insbesondere S. 67; Weller, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 2010, S. 293, 317 f.; ders., RabelsZ 81 (2017), 747, 762 f.; In den europäischen IPR-Verordnungen ist der gewöhnliche Aufenthalt bereits dominierendes Anknüpfungsmoment geworden, siehe Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im europäischen Kollisionsrecht, 2018, S. 72 f. Das deutsche Personalstatut, das bisher stark auf das
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Staatsangehörigkeit und Wohnsitz- beziehungsweise Aufenthaltsanknüpfung werden zudem kombiniert, sodass es mit Hilfe von Alternativanknüpfungen zu einem für den Betroffenen möglichst günstigen Ergebnis, in der Regel der Wirksamkeit seines Status’, kommt (Günstigkeitsprinzip).25 Im Übrigen häufen sich im Personalstatut Anknüpfungen, die sich weder der Staatsangehörigkeit noch des gewöhnlichen Aufenthalts oder Wohnsitzes bedienen. Ein Beispiel ist die Anknüpfung von Lebenspartnerschaft oder gleichgeschlechtlicher Partnerschaft an das Registerrecht, in Deutschland nach Art. 17b Abs. 1, 4 EGBGB, in Frankreich nach Art. 515-7 C. civ., die in aller Regel zugunsten der Betroffenen zur Wirksamkeit des zugrunde liegenden Statusverhältnisses führt.26 Richtungsweisend ist in diesem Zusammenhang der aktuelle Vorschlag Coester-Waltjens, die lex loci celebrationis für gleich- wie gemischt-geschlechtliche Ehen als neue Grundanknüpfung des Eheschließungstatuts einzuführen.27 Die zweite große Einbruchstelle für grund- und menschenrechtliche Verbürgungen im Verweisungsrecht ist klassischerweise der ordre public.28 Das verdeutlichten in der letzten Zeit anschaulich die Diskussionen zur Anerkennung von Leihmutterschaften29 oder zur Frühehe30. Dabei kann der ordre public in positiver wie negativer Ausprägung anhand einer konkreten Einzelfallprüfung Staatsangehörigkeitsprinzip fokussiert war, vollzieht den Wandel zum gewöhnlichen Aufenthalt als Regelanknüpfung bereits explizit in Teilen des Personalstatuts nach, vgl. die neue Kegel’sche Leiter in Art. 14 EGBGB n. F. vom 29.1.2019. Weniger ausgeprägt ist die Entwicklung hingegen im französischen Recht. Hier ist der Wohnsitz als kollisionsrechtliche Anknüpfung nach wie vor präsent. Wie gezeigt ist Ursache hierfür allerdings, dass der domicile im franzö sischen Sinne aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen funktionale Schnittmengen mit der résidence habituelle aufweisen, s. o. S. 55 f.; Vor diesem Hintergrund ist auch d’Avouts Plädoyer für eine Rückkehr zum Domizilprinzip im europäischen IPR zu lesen, vgl. d’Avout, in: Mélanges Audit, 2014, S. 15, 30 ff. 25 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 526; v. Hein, in: MüKo BGB, 2020, Einl. IPR, Rn. 67 f.; Jayme, Recueil des cours 251 (1995), 9, 45. Eine neue Ausprägung des Günstigkeitsprinzips findet sich etwa im neuen Art. 202-1 Abs. 2 C. civ., dazu ausführlich S. 113 ff. 26 Zum deutschen Recht Leifeld, Das Anerkennungsprinzip, 2010, S. 139 m. w. N. 27 Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 34 ff. 28 Corneloup, JEDH 2013, 381, 382 f.; Helms, IPRax 2017, 153; Legendre, Droits fondamentaux et droit international privé, 2020, Rn. 8; Looschelders, RabelsZ 2001, 463, 473 f. Grundlegend für das deutsche IPR ist der Spanier-Beschluss, BVerfG, 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. Zur methodischen Implementierung der Grund- und Menschenrechte in beiden Rechtsordnungen näher unten S. 189 ff. 29 Dazu S. 155 ff. 30 Siehe BGH, 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJW 2019, 464; näher dazu Heitmann, Flucht und Migration im internationalen Familienrecht, 2020, S. 188 ff.; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705 ff.; Weller/Thomale/Hate gan/Werner, FamRZ 2018, 1289 ff.
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zur Wahrung der Statuskontinuität über die Grund- und Menschenrechte beitragen. So können über den ordre public einerseits freizügigkeitsrechtliche Wertungen aus Sicht der lex fori durchgesetzt werden, insofern die Anwendung ausländischen Rechts zu einem mit dieser Wertung unvereinbaren Ergebnis führt.31 Andererseits kann die Berücksichtigung der supranationalen Freizügigkeitsrechte die Korrektur eines aufgrund interner Wertungen eigentlich bestehenden nationalen ordre public-Vorbehalts notwendig machen.32 Hier ist in neuerer Zeit im nationalen wie europäischen Recht ebenfalls ein Trend zur Materialisierung und Spezialisierung der ordre public-Vorbehalte zu beobachten.33 Das verweisungsrechtliche IPR verliert nach alledem seine Rolle als neutraler Vermittler zwischen Rechtsordnungen und Interessenlagen. Weller spricht insofern treffend von einem „politisierten“ IPR im 21. Jahrhundert.34 II. Konkretisierung der Anerkennung Das politisierte Verweisungsrecht erhält in Fragen der Begründung und Wirksamkeit grenzüberschreitender Statusverhältnisse überdies mit der Anerkennungsmethode (méthode de la reconnaissance) einen neuen „Sparringspartner“.35 31 In dieser Funktion hat der ordre public nahezu eingriffsrechtlichen Charakter, vgl. unten S. 198 ff. 32 Treffend Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 141 („primär- und kollisionsrechtliche[s] Pingpong“). In der Literatur sind diesbezüglich Ansätze zu finden, die eine spezielle Vorbehaltsklausel für Grund- und Menschenrechte abseits des allgemeinen ordre public-Vorbehalts befürworten, vgl. Pfeiff, in: La circulation des personnes et de leur statut, 2019, S. 171, 179 m. w. N. Das hat für sich, dass der herkömmliche ordre public lediglich die Anwendung ausländischen Rechts abwehrt. Eine spezielle Vorbehaltsklausel könnte hingegen auch die grund- oder menschenrechtswidrige Anwendung der lex fori verhindern. Näher dazu Fallon/Meeusen, YPIL IV (2002), 37, 61 f. sowie unten S. 192 f. 33 Vgl. neben dem französischen Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. etwa Art. 13 Abs. 3 EGBGB und Art. 10 Rom III-VO; zum Ganzen Helms, IPRax 2017, 153, 156 ff. 34 Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 757; Weller/Göbel, in: Das politische IPR unserer Zeit, 2021, S. 77; ähnlich Stürner, in: FS Kronke, 2020, S. 557, 560. 35 Grundlegend zur Anerkenungsmethode Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501 ff.; des Weiteren d’Avout, in: Trav. Com. DIP 2014–2016, 2017, S. 215 ff.; Bollée, Rev. crit. DIP 2007, 307 ff.; Coester-Waltjen, in: FS Jayme, Band I, 2004, S. 121 ff.; dies., IPRax 2006, 392 ff.; Francq, in: Vers un statut européen de la famille, 2014, S. 111 ff.; Fulli-Lemaire, Le droit international privé de la famille à l’épreuve de l’impératif de reconnaissance des situations, 2017; Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009; Grünberger, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 2010, S. 81 ff.; Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106 ff.; Kinsch, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 43 ff.; Kohler, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 67 ff.; Lagarde, RabelsZ 68 (2004), 225 ff.; ders., in: Mélanges Gaudemet-Tallon, 2008, S. 481 ff.; ders., in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 19 ff.; ders., Recueil des cours 371 (2014), 19 ff.; Lei-
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Der Begriffskern der Anerkennungsmethode ist indes nach wie vor nicht eindeutig geklärt.36 Ursache dafür ist, dass die Anerkennungsmethode als Methode des IPR (im engeren Sinne)37 häufig nicht oder nur unscharf von dem ihr zugrundeliegenden Anerkennungsprinzip getrennt wird.38 Das Anerkennungsprinzip, das erfordert, einen einmal in einer ausländischen Rechtsordnung erworbenen Rechtsstatus im Inland unter gewissen Voraussetzungen zu „akzeptieren“, wird teils aus dem historischen Konzept der droits acquis,39 neuerdings vorrangig aus den genannten Ergebnisvorgaben der supranationalen Freizügigkeitsgarantien abgeleitet, insbesondere, aber nicht nur, dem EU-Primärrecht.40 Die darauf zurückzuführende Anerkennungsmethode erfasst nach herrschender Auffassung im Anschluss daran den „technischen“ Vorgang auf IPR-Ebene, mithilfe dessen der im Ausland erworbene Rechtsstatus innerhalb der eigenen Rechtsordnung als bestehend hingenommen wird, ohne dass eine neuerliche Überprüfung des wirksamen Zustandekommens des Rechtsverhältnisses anhand der eigenen Kollisionsnormen41 vorgenommen wird.42 Diese Form der Anerkennung ist von der mit feld, Das Anerkennungsprinzip, 2010; Mankowski, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 571 ff.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 ff.; ders., in: Liber Amicorum Jayme, 2019, S. 27 ff.; Mayer, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 547 ff.; ders., in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 27 ff.; Pamboukis, Rev. crit. DIP 2008, 513 ff.; Pataut, in: Trav. Com. DIP 2006–2008, 2009, S. 71 ff.; Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017; Romano, Rev. crit. DIP 2006, 457 ff.; Sonnenberger, in: FS Spellenberg, 2010, S. 371 ff. 36 Fulli-Lemaire, in: La circulation des personnes et leur statut, 2019, S. 161, 165; Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 116 („babylonische Sprachverwirrung“); Rass-Masson, Les fondements du droit international privé européen, 2015, Rn. 601. 37 Mayer, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 547, 549, spricht von mehreren Methoden, schließt darin jedoch die verfahrensrechtliche Anerkennung mit ein. 38 Ähnlich d’Avout, in: Trav. Com. DIP 2014–2016, 2017, S. 215, 223 f.; Fulli-Lemaire, in: La circulation des personnes et leur statut, 2019, S. 161, 162; Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, S. 23 f. 39 Dazu noch näher unten S. 180 ff. 40 Fulli-Lemaire, in: La circulation des personnes et leur statut, 2019, S. 161, 166 f.; Wendehorst, DGIR 45 (2012), 33, 45, 52 ff. Zu den verschiedenen anderen Erscheinungsformen der Anerkennung in internationalen Übereinkommen des Familienrechts wie etwa die Haager oder CIEC-Konventionen siehe Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 394 f.; Lagarde, RabelsZ 68 (2004), 225, 231 f. 41 Im Folgenden wird vereinfachend der Begriff der „IPR-Kontrolle“ genutzt. 42 Vgl. statt aller die vielzitierte Definition von Coester-Waltjen, in: FS Jayme, Band I, 2004, S. 121, 122: „Akzeptanz einer im Ausland durch privaten oder behördlichen Akt geschaffene Rechtslage unabhängig von der Anwendung der eigenen Kollisionsnormen.“; irreführend ist in der deutschen Terminologie der Begriff der „kollisionsrechtlichen“ oder „materiellrechtlichen“ Anerkennung, sofern damit lediglich das Ergebnis der Anwendung von Kollisionsnormen auf eine bestimmte Rechtsfrage gemeint ist, die nicht unter die verfahrensrechtliche Anerkennung fällt, siehe Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, S. 25; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 712.
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
ihr verwandten verfahrensrechtlichen Anerkennung von (Status-)Urteilen oder funktional äquivalenten Behördenakten abzugrenzen.43 Hat sich das Rechtsverhältnis nicht in einem gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Akt konkretisiert, sondern wurde es im ausländischen Register nur eingetragen oder beurkundet, spricht man deshalb präziser von der Anerkennung von Rechtslagen (reconnaissance des situations juridiques).44 Die Rechtslagenanerkennung ist vor diesem Hintergrund in Statusfragen der Person und der Familie besonders relevant, da es häufig um lediglich registrierte Rechtsverhältnisse geht, wie etwa den Namen oder die Abstammung eines Kindes auf Grundlage einer Geburtsurkunde.45 Die theoretischen Grundlagen von Anerkennungsprinzip und Anerkennungsmethode im IPR gehen hauptsächlich auf die Arbeiten deutscher und französischer Wissenschaftler zurück.46 Indes ist in den letzten zwei Jahrzehnten eine fortschreitende Kodifikation anerkennungsrechtlicher Mechanismen zu verzeichnen. Dazu trägt maßgeblich die EuGH-Rechtsprechung um die Jahrtausendwende bei, zunächst zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften47, später zur Freizügigkeit von Personen im Namensrecht48. Aber auch aus der Rechtsprechung des EGMR werden – vor allem aus französischer Sicht – Grundsätze für eine Rechtslagenanerkennung abgeleitet.49 Zwar existiert gut zwanzig Jahre nach der „(Wieder-) Entdeckung“50 gerade im rechtsvergleichenden Kontext weder eine autonome Definition des Anerken43
Im deutschen Recht nach §§ 107 ff. FamFG. In Frankreich dient das Urteil Cornelissen als Grundlage, Cass. civ. 1ère, 20.2.2007, n° 05-14.082. 44 Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, S. 24; Lagarde, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 19; Schulze/Fervers, in: BeckOGK, Stand: 1.12.2020, Art. 3 EGBGB, Rn. 50. Die h. M. schließt rein private Handlungen von der Anerkennung aus, indem sie verlangt, die Rechtslage müsse sich im Ausland in irgendeiner Form „formalisiert“ haben (sog. „Kristallisationspunkt“), vgl. statt aller Mayer, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 547, 562 f. Ist im Folgenden die Rede von der Anerkennungsmethode, ist ausschließlich die Methodik der Rechtslagenanerkennung gemeint. Die h. M. wird bezüglich des Kristallisationspunkts zugrunde gelegt. 45 So schon Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 397. 46 Siehe die grundlegenden Nachweise soeben Fn. 35. 47 EuGH 9.3.1999 – C-212/97 – Centros; EuGH 5.11.2002 – C-208/00 – Überseering; EuGH 30.9.2003 – C-167/01 – Inspire Art. 48 EuGH, 2.10.2003 – C-148/02 – Garcia Avello; EuGH, 14.10.2008 – C-353/06 – Grunkin Paul; EuGH, 22.12.2010 – C-208/09 – Sayn Wittgenstein; EuGH, 2.6.2016 – C-438/14 – Bogendorff von Wolffersdorff; EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag. 49 Grundlegend etwa EGMR, 28.6.2007, n° 76240/01, Wagner et. J. M. W. L. c. Luxembourg, zum Namensrecht EGMR, 5.12.2013, n° 32265/10, Henry Kismoun c. France; zum Abstammungsrecht EGMR, 26.6.2014, n° 65192/11, Mennesson c. France und n° 65941/11, Labassée c. France. Ausführlich dazu u. S. 137 ff.; kritisch aus deutscher Sicht Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 217 ff. 50 So mit Hinweis auf die historischen Bezüge zur Theorie der wohlerworbenen Rechte Pataut, in: Trav. Com. DIP 2006–2008, 2009, S. 71 ff.
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nungsprinzips und einer daraus resultierenden „allgemeinen“ Anerkennungsmethode noch abschließende Klarheit über normative Grundlagen, tatbestandliche Voraussetzungen sowie Reichweite eines solchen Mechanismus.51 Fest steht jedoch, dass das Anerkennungsprinzip perspektivisch seinen festen Platz im Methodenkanon des Personalstatuts einnehmen wird.52 Wurde die Anerkennungsmethode zunächst als Konkurrenzmethode zum klassischen IPR diskutiert,53 hat sich in den letzten Jahren überwiegend die Ansicht durchgesetzt, dass Anerkennungs- und Verweisungsnormen nebeneinander bestehen können.54 Den Erfordernissen der Freizügigkeitsgarantien können die nationalen Rechtsordnungen mithin über eine Anerkennungsmethode Rechnung tragen, sie müssen es aber nicht, sofern alternative Lösungswege einen vergleichbaren Schutzstandard bieten.55 Bei der Umsetzung der supranationalen Vorgaben im Rahmen eines Anerkennungsprinzips sind die nationalen IPR-Systeme zwar derzeit auf sich gestellt, der dynamische Entwicklungsprozess der Anerkennungsmethodik im Personalstatut begründet jedoch gleichzeitig ein besonderes Interesse an der rechtsvergleichenden Betrachtung.
C. Auswirkungen auf den statut personnel: Analyse dreier Brennpunkte Aufgrund der heterogenen Einflüsse der supranationalen Freizügigkeitsgarantien und der noch unausgereiften Dogmatik des Anerkennungsprinzips kommt es in den nationalen Rechtsordnungen derzeit zur Vermischung anerkennungs- und verweisungsrechtlicher Instrumente. Im folgenden Abschnitt soll vor diesem Hintergrund, unter Berücksichtigung der Ergebnisvorgaben von AEUV und EMRK, die aktuelle Ausgestaltung des statut personnel analysiert und unter rechtsvergleichenden Aspekten bewertet werden. Eine länderberichtsartige Darstellung der französischen Kollisionsnormen des Namens-, Ehe- und Abstammungsrechts scheint angesichts des soeben beschrieben Methodengefüges des postmodernen Personalstatuts nicht mehr zeitgemäß. Aus diesem Grund erfolgt 51 Mansel, in: Liber Amicorum Jayme, 2019, S. 27, 37 f.; Pfeiff, in: La circulation des personnes et de leur statut, 2019, S. 171, 182. 52 Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 123; Mankowski, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 571, 585. 53 Exemplarisch Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501; Rieks, Anerkennung im IPR, 2012, S. 247 ff.; Sonnenberger, in: FS Spellenberg, 2010, S. 371 f. 54 Von Beginn an Coester-Waltjen, in: FS Jayme, Band I, 2004, S. 121, 122; Mayer, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 547, 571; im Übrigen d’Avout, in: Trav. Com. DIP 2014–2016, 2017, S. 215, 228, 231 ff.; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 774. 55 Wendehorst, DGIR 45 (2012), 33, 54.
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die Analyse anhand dreier paradigmatischer „Brennpunkte“ des statut personnel, in denen sich der Konflikt der methodischen Ansätze von politisiertem Verweisungsrecht und Anerkennungsmethode in unterschiedlicher Ausprägung wiederfindet. Zunächst geht es um die Anerkennung von im Ausland erworbenen Namensfeststellungen. Das Namensrecht ist das erste Beispiel eines unmittelbaren Einflusses des vom EuGH proklamierten Anerkennungsprinzips auf das Personalstatut in den Mitgliedstaaten.56 Der französische Gesetzgeber hat sich im Jahr 2016 der Umsetzung dieser Vorgaben im Code civil angenommen, nachdem das Internationale Namensrecht im französischen IPR lange Zeit unterbelichtet gewesen ist. Eine unionsrechtliche Anerkennungspflicht deutet sich im Internationalen Eherecht mit Fokus auf die rechtspolitisch umstrittene Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen im Anschluss an das EuGH-Urteil Coman57 an. Allerdings haben zwischenzeitlich sowohl das deutsche als auch das französische IPR Kollisionsnormen auf den Weg gebracht, die dem materiell-rechtlichen Anliegen der Gleichstellung gleich- und gemischtgeschlechtlicher Ehen im grenzüberschreitenden Kontext auf verweisungsrechtlicher Ebene Rechnung tragen.58 Konturen eines Anerkennungsgrundsatzes auf menschenrechtlicher Grundlage zeigen sich zuletzt bei dem rechtspolitisch ebenfalls hochbrisanten Thema der Anerkennung von Abstammungsverhältnissen nach Durchführung einer Leih mutterschaft im Ausland. Die ausdifferenzierte Rechtsprechung des EGMR, die im Wesentlichen auf Vorlagen der Cour de cassation basiert, führt im Ergebnis ebenfalls – unabhängig von einem unionsrechtlichen Anerkennungsprinzip – zum Aufbruch der verweisungsrechtlichen Leitprinzipien des Internationalen Abstammungsrechts.59 Anhand dieser Brennpunktanalyse lässt sich folglich einerseits die entwicklungsgeschichtliche Linie, die im ersten Teil der Arbeit im Vordergrund stand, weiterführen und der status quo des französischen IPR in persönlichen und familiären Statusfragen nachzeichnen. So wird sich zeigen, ob das historisch gewachsene Mischsystem des statut personnel die Statuskonflikte der Postmoderne bewältigen kann und wo sich das hierdurch provozierte Spannungsverhältnis zwischen Legislative und Judikative im aktuellen Recht noch immer abbildet. Zum anderen liefert die tiefgehende Analyse des französischen Umgangs mit dem Konflikt zwischen Verweisungs- und Anerkennungsrecht in der Zusammenschau mit rechtsvergleichenden Überlegungen zum deutschen Recht erste wichtige 56
S. 93 ff. EuGH, 5.6.2018 – C-673/16 – Coman. 58 S. 116 ff. 59 S. 155 ff. 57
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Hinweise darauf, wo sich die beiden nationalen IPR-Systeme in der Methodik des Personalstatuts bereits jetzt annähern und an welchen Punkten selbst das Anerkennungsprinzip noch nicht zu einer Harmonisierung der Lösungsansätze führt.
§ 5 Internationales Namensrecht: Anerkennung im Ausland erworbener Namenseintragungen Die Anerkennung eines im Ausland erworbenen Namens ist ein Klassiker der Methodenvielfalt des IPR im Personalstatut.60 Die Nicht-Anerkennung ausländischer Namensfeststellungen und -änderungen61 wird häufig mit der Diversität der namensrechtlichen Konzepte und Traditionen in den nationalen Rechtsordnungen gerechtfertigt.62 Gleichzeitig liegt darin die Ursache für die noch immer fehlende Vereinheitlichung auf internationaler Ebene.63 Die Diversität von Bedeutung und Funktion des Namens im Sachrecht zieht auf IPR-Ebene eine Vielzahl an Lösungsansätzen nach sich.64 Der Name sichert einerseits die Identifikation der Person durch hoheitliche Organe. Andererseits ist er aber bedeutender und höchstpersönlicher Teil der menschlichen Identität und der Zugehörigkeit zu einem sozialen Umfeld.65 Im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anknüpfung müssen deshalb in der Regel staatlicher Autoritätsanspruch und individuelle Persönlichkeitsentfaltung aufeinander abgestimmt werden.66 Dabei kann der einen oder der anderen Funktion durch die Anknüpfung an das Heimatrecht oder den Wohnsitz beziehungsweise den Aufenthalt einer Person 60
Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 11. Mit dem Namen ist im Folgenden der Familiennamen einer Person gemeint, nicht hingegen ihr Vorname, der nur selten Anlass zu kollisionsrechtlichen Konflikten gibt. 62 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 623. 63 So sind zwei Übereinkommen der Internationalen Kommission für das Zivilstandswesen (CIEC) über das auf Familiennamen und Vornamen anwendbare Recht (vom 5.9.1980) sowie die Anerkennung von Namen (vom 16.9.2005) bis heute nicht in Kraft getreten; näher Sperling, Familiennamensrecht in Deutschland und Frankreich, 2012, S. 202 ff., 207 ff.; Zuletzt hat eine deutsche Gruppe von Wissenschaftlern einen Vorschlag für ein einheitliches Internationales Namensrecht der EU vorgelegt, vgl. Dutta/Frank/Freitag/Helms/Krömer/Pintens, StAZ 2014, 33 ff. 64 Hammje, in: Rép. dr. int.: Nom, 2018, Rn. 1. 65 Junker, Internationales Privatrecht, 2021, § 13, Rn. 17; Ausdrücklich der EGMR im Urteil Burgharz c. Suisse, EGMR, 22.2.1994, n° 16213/90, Burgharz c. Suisse, Rn. 24 : „En tant que moyen d’identification personnelle et de rattachement à une famille, le nom d’une personne n’en concerne pas moins la vie privée et familiale de celle-ci.“ Zu den Funktionen des Familiennamens ausführlich Nelle, FamRZ 1990, 809, 811 ff.; Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 449. 66 Gössl, IPRax 2018, 376, 377; Lipp, in: MüKoBGB, 2020, Art. 10 EGBGB, Rn. 1. 61
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der Vorzug gegeben werden, sodass es bei grenzüberschreitenden Sachverhalten leicht zu „hinkender Namensführung“ oder „Namensspaltung“ kommt.67 So verweigerte ein deutscher Standesbeamter in einer berühmten Entscheidung des EuGH dem Kind der Eheleute Grunkin und Paul die Führung des Doppelnamens Grunkin Paul unter Verweis auf das aus deutscher Perspektive nach Art. 10 EGBGB anwendbare deutsche Heimatrecht der Betroffenen.68 Zuvor hatte das Kind jedoch aus dänischer Sicht den Doppelnamen unter Anwendung des dänischen Recht als Recht am Ort seines gewöhnlichen Aufenthaltes bereits wirksam erworben. Ähnlich liegen Fälle, in denen bei mehrfacher Staatsangehörigkeit der Staatsangehörigkeit der lex fori Vorrang eingeräumt wird.69 So lag der Sachverhalt etwa im Urteil des EGMR in der Sache Kismoun c. France.70 Darin war der Name des Klägers, ein französisch-algerischer Doppelstaater, nach seiner Geburt in Frankreich auf den Namen Henry eingetragen worden, den Name seiner Mutter. Der Kläger hatte anschließend seine Kindheit in Algerien verbracht, wo sein eingetragener und tatsächlich geführter Name Kismoun lautete, wie der Name seines Vaters. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich beantragte Herr Kismoun die Anpassung des Namens im französischen Register. Die französischen Behörden sprachen ihm im Angesicht seiner französischen Staatsbürgerschaft jedoch ein legitimes Interesse auf Änderung des Namens ab. Die Namensspaltung aufgrund verweisungsrechtlicher Differenzen hat in den letzten zwei Jahrzehnten insbesondere der EuGH mehrfach als unzulässigen Eingriff in die primärrechtlich garantierte Personenfreizügigkeit der Unionsbürger aus Art. 21 AEUV gewertet (A.). Diese progressive Rechtsprechungslinie hat die Interessenabwägung zugunsten des Individualinteresses eines betroffenen Namensträgers an der Kontinuität des Namens in seiner Funktion als persönliches Identifikationsmerkmal verschoben. Ein hoheitliches Eingreifen zugunsten öffentlicher Interessen steht künftig unter erhöhtem Rechtfertigungsdruck.71 Das Internationale Namensrecht ist hierdurch zum „Bewährungsfeld“72 und „Wegweiser“73 der Anerkennungsmethode im Personalstatut avanciert.74 Gleichzeitig 67
Henrich, IPRax 2005, 422; Leifeld, Das Anerkennungsprinzip, 2010, S. 2. EuGH, 14.10.2008 – C-353/06 – Grunkin Paul. Die Möglichkeit zur Neubildung eines Doppelnamens bei der Geburt eines Kindes sieht das deutsche Recht nicht vor, § 1617 Abs. 1 BGB. 69 Vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB. Für das französische Recht gilt dieselbe Regel, siehe Cass. civ. 1ère , 17.6.1968, Kasapyan, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 46. 70 EGMR, 5.12.2013, n° 32265/10, Henry Kismoun c. France. 71 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 6, Rn. 218. 72 Mankowski, IPRax 2020, 323. 73 Mankowski, a. a. O. 74 Ebenso Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 61. 68
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steckt die Entwicklung den ersten möglichen Teilbereich eines „europäischen Personalstatuts“75 ab. Das französische Recht hat, ähnlich dem deutschen Recht, als Reaktion auf die ständige Rechtsprechung des EuGH erstmals eine Anerkennungsvorschrift für ausländische Namenseintragungen in den Code civil integriert (B.). Ein Vergleich mit der deutschen Rechtslage zu Art. 48 EGBGB lässt erste Rückschlüsse darauf zu, wie stark der Harmonisierungseffekt des vom EuGH proklamierten Anerkennungsprinzips tatsächlich ist (C.).
A. Ergebnisvorgaben des AEUV I. Primärrechtliche Anerkennungspflicht nach Garcia Avello und Grunkin Paul Die heute wohl bedeutendeste und ausdifferenzierteste Urteilsserie des EuGH betreffend eines unionsrechtlichen Anerkennungsprinzips beginnt mit den Rechtssachen Garcia Avello76 sowie Grunkin Paul77 und reicht über die Urteile Sayn-Wittgenstein78 und Bogendorff von Wolffersdorff79 bis zum neuerlichen Urteil in der Rechtssache Freitag80. Inhalt und Bedeutung dieser Urteile sind an anderer Stelle bereits umfassend analysiert worden.81 Für die Zwecke dieser Arbeit soll ein Überblick über die wesentlichen Eckpfeiler der EuGH-Rechtsprechung genügen, an denen sich die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zwecks Umsetzung der Anerkennungspflicht zu orientieren haben: Die Unionsbürgerschaft und die damit verbundene Freizügigkeit der Unionsbürger (Art. 20, 21 AEUV beziehungsweise Art. 17, 18 EGV) machen es nach Ansicht des EuGH erforderlich, dass ein Name, der einmal in einem amtlichen Register eines Mitgliedstaates eingetragen ist, von den Behörden eines anderen Mitgliedstaates anzuerkennen ist.82 Abweichende Ergebnisse etwa kraft Berück75
Jault-Seseke/Pataut, in: Liber amicorum Kohler, 2018, S. 371. EuGH, 2.10.2003 – C-148/02 – Garcia Avello. 77 EuGH, 14.10.2008 – C-353/06 – Grunkin Paul. 78 EuGH, 22.12.2010 – C-208/09 – Sayn Wittgenstein. 79 EuGH, 2.6.2016 – C-438/14 – Bogendorff von Wolffersdorff. 80 EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag. 81 Aus der neueren Literatur Hammje, Rev. crit. DIP 2017, 549 ff.; Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 118 ff.; Mankowski, IPRax 2020, 323 ff.; Wall, StAZ 2017, 327 ff. 82 EuGH, 14.10.2008 – C 353/06 – Grunkin Paul, Rn. 39: „Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 18 EG unter Bedingungen wie denen des Ausgangsverfahrens dem entgegensteht, dass die Behörden eines Mitgliedstaats es unter Anwendung des nationalen Rechts ablehnen, den Nachnamen eines Kindes anzuerkennen, der in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt und eingetragen wurde, in dem dieses Kind – das wie seine Eltern nur die Staatsangehörigkeit des erstgenannten Mitgliedstaats besitzt – geboren wurde und seitdem 76
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sichtigung der nationalen kollisionsrechtlichen Verweisungstatbestände stellten danach einen ungerechtfertigten Eingriff in die Freizügigkeitsrechte der Betroffenen dar.83 Die Nachteile einer andernfalls drohenden hinkenden Namensführung überwögen die hoheitlichen Interessen an der Verweigerung einer Anerkennung.84 Ein Rückgriff auf den nationale ordre public-Vorbehalt bleibt nach Ansicht des EuGH in Ausnahmefällen möglich, insbesondere in Fragen der nationalen Identität (identité constitutionnelle).85 II. Offene Fragen Genauere Vorgaben an die tatbestandliche Umsetzung einer freizügigkeitskonformen Anerkennungslösung stellt der EuGH indes nicht.86 Er verlangt lediglich, dass die Bedingungen nicht weniger günstig sind als diejenigen, die Rechte innerstaatlichen Ursprungs betreffen (Äquivalenzgrundsatz), und dass die Ausübung der unionsrechtlichen Garantien nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (Effektivitätsgrundsatz).87 Die Mitgliedstaaten sind deshalb frei darin, eine Anerkennung über das IPR oder das Sachrecht zu gewährleisten.88 Diese Umsetzungsfreiheit auf methodischer Ebene kann jedoch ebenfalls zu Rechtsunsicherheiten und einer weiteren Zersplitterung der nationalen Konzepte führen. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang beispielweise, ob das Primärrecht eine Rechtmäßigkeit des Namenserwerbs im Ausland verlangt oder jeder – auch unrechtmäßig – erworbene Name anzuerkennen ist.89 Der wohnt.“; ebenso EuGH, 22.12.2010 – C 208/09 – Sayn Wittgenstein, Rn. 43; EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag, Rn. 32. 83 Siehe nur EuGH, 14.10.2008 – C 353/06 – Grunkin Paul, Rn. 23 ff. 84 EuGH, 14.10.2008 – C 353/06 – Grunkin Paul, Rn. 31: „So berechtigt diese Gründe, […] als solche auch sein mögen, verdient es doch keiner von ihnen, dass ihm eine solche Bedeutung beigemessen wird, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Weigerung der zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats rechtfertigen könnte, den Nachnamen eines Kindes anzuerkennen, der bereits in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt und eingetragen wurde, […].“ 85 EuGH, 22.12.2010 – C 208/09 – Sayn Wittgenstein, Rn. 85 ff.; EuGH 12.5.2011 – C- 391/09 – Runevič-Vardyn-Wardyn, Rn. 83 f.; EuGH, 2.6.2016 – C-438/14 – Bogendorff von Wolffersdorff, Rn. 66; näher dazu Helms, IPRax 2017, 153, 158 f.; Rass-Masson, Rev. crit. DIP 2017, 278 ff. 86 So explizit EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag, Rn. 41 f. Zustimmend v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 6, Rn. 220. 87 EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag, Rn. 42. 88 Ausgewählte Anerkennungsmodelle analysiert Leifeld, Das Anerkennungsprinzip, 2010, S. 136 ff. 89 Für eine Rechtmäßigkeit etwa Gössl, IPRax 2018, 376 379; Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 120 f.; Rass-Masson, Les fondements du droit international privé européen, 2015, Rn. 616; a. A. Mankowski, IPRax 2020, 323, 325.
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EuGH hat bisher lediglich zu rechtmäßig erworbenen Namen Stellung genommen.90 Gleiches gilt für die Frage, ob zu dem Registrierungsstaat eine qualifizierte Verbindung im Sinne einer besonderen Nähebeziehung bestanden haben muss und wenn ja, wie diese ausgestaltet ist.91 Diese Kriterien bleiben in Ansehung des Urteils Freitag nicht vollständig geklärt. Hierdurch verstärkt sich freilich das rechtsvergleichende Interesse an diesen Fragestellungen.
B. Der französische Weg: Universelle Anerkennung nach Art. 311-24-1 C. civ., Art. 61-3-1 C. civ. In Frankreich kam dem Internationalen Namensrecht bisher bei weitem nicht die Aufmerksamkeit zu, die die Thematik seit langem in Deutschland erfährt. Die bisherige Rechtslage kann als undurchsichtig bezeichnet werden (I.).92 Tatsächlich hat erst die durch den Gerichtshof angestoßenen „Privatisierung“93 des Namensrechts durch den Rückgriff auf die europäischen Grundfreiheiten im französischen IPR eine nachhaltige methodische Aufarbeitung des Namenskollisionsrechts angestoßen, die sich heute vornehmlich auf die Methode der Rechtslagenanerkennung konzentriert (II.). I. Bisherige Rechtslage 1. Keine verfahrensrechtliche Anerkennung ausländischer Namensfeststellungen durch Registereintrag Teilweise wird in der deutschen Literatur mit Blick auf die Anerkennung ausländischer Namensfeststellungen durch Registereintrag in Frankreich vertreten, das französische Recht erkenne den Registereintrag nach Art. 47 C. civ. in gleicher Weise wie Statusurteile ohne weitere IPR-Kontrolle an.94 Dem ist de lege lata nicht zuzustimmen. Zwar erkennt Art. 47 C. civ. einer ausländischen Zivilstands urkunde im Rahmen der Eintragung in das französische Zivilstandsregister volle 90
Wagner, in: Liber amicorum Kohler, 2018, S. 573 f. Mankowski, in: NK BGB, 2021, Art. 48 EGBGB, Rn. 18 ff.; kritisch bezüglich des nach Art. 48 EGBGB vorausgesetzten gewöhnlichen Aufenthalts im Registerstaat insbesondere Jault-Seseke/Pataut, in: Liber amicorum Kohler, 2018, S. 371, 376; ausführlich dazu S. 97 ff. 92 Monéger, in: Trav. Com. DIP 2004–2006, 2004, S. 7; Scherer, Le nom en droit international privé, 2004, S. 2. 93 Hammje, in: Rép. dr. int.: Nom, 2018, Rn. 22; Monéger, in: Trav. Com. DIP 2004–2006, 2004, S. 7, 9. 94 Vgl. Dutta/Frank/Freitag/Helms/Krömer/Pintens, StAZ 2014, 33, 41 (Rn. 55); Helms, in: Ein Name in ganz Europa, 2016, S. 93. 91
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Beweiskraft zu.95 Es handelt sich jedoch lediglich um eine Vorschrift zur formellen Beweiskraft von Urkunden, die eine Publizitätsfunktion erfüllt und deren Rechtsfolge eine widerlegbare Richtigkeitsvermutung ist.96 Eine „kollisionsrechtsfeste“ Anerkennung im Sinne einer Anerkennung der materiell-rechtlichen Wirksamkeit des beurkundeten Status ist dies freilich nicht. Die kollisionsrechtliche Nachprüfung des Urkundeninhalts wird hierdurch im Grunde nicht verdrängt.97 Etwas anderes gilt nur für die Anerkennung ausländischer Behördenentscheidungen, die keine bloße Namensfeststellung enthalten, sondern Ergebnis eines im Ausland durchgeführten Namensänderungsverfahrens sind.98 Hier wird in der französischen Lehre seit längerem diskutiert, ob der Grundsatz der verfahrensrechtlichen Anerkennung ohne IPR-Kontrolle nur bei gerichtlichen Status entscheidungen oder auch bei funktional äquivalenten Behördenakten (etwa ausländischen Verwaltungsentscheidungen) in Betracht kommt.99 Eine vereinfachte Anerkennung hat die französische Rechtsprechung nach Ansicht von Farge bereits in einigen Fällen bezüglich ausländischer Verwaltungsentscheidungen angenommen, in denen nach französischem Recht eine gerichtliche Zuständigkeit vorgelegen hätte.100 Darüber hinaus positioniert sich die Rechtsprechung bedauerlicherweise aber nicht eindeutig.101 Nach alledem findet auf deklarative namensrechtliche Eintragungen ausländischer Behörden die verfahrensrechtliche Anerkennung keine Anwendung. Bei der hier analysierten Fragestellung der Anerkennung einer Namensfeststellung kraft ausländischer Registereintragung war demnach aus französischer Perspektive bisher – wie im deutschen Recht – eine kollisionsrechtliche Wirksamkeits-
95 Art. 47 C. civ.: „Tout acte de l’état civil des Français et des étrangers fait en pays étranger et rédigé dans les formes usitées dans ce pays fait foi, sauf si d’autres actes ou pièces détenus, des données extérieures ou des éléments tirés de l’acte lui-même établissent, le cas échéant après toutes vérifications utiles, que cet acte est irrégulier, falsifié ou que les faits qui y sont déclarés ne correspondent pas à la réalité.“ 96 Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 256. 97 Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 251; Chalas, Rev. DIP 2014, 39, 44 f.; Siehe zum Ganzen, insbesondere der faktischen Anerkennungswirkung der Norm, noch ausführlich S. 157 ff. 98 Zu der mitunter schwierigen Abgrenzung von acte und décision Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 489 insbesondere Fn. 4; rechtsvergleichend Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 56 ff. 99 Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 178; Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 60, 469. Ausgangspunkt ist das Grundsatzurteil zum Wegfall der IPR-Kontrolle in der Sache Cornelissen, Cass. civ. 1ère, 20.2.2007, n° 05-14.082, näher dazu unten S. 203 f. 100 Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 180. 101 Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 469.
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kontrolle noch immer erforderlich, um eine vollwirksame Anerkennung des Eintragungsinhalts zu erreichen.102 2. Unklare Kollisionsnorm für das Namensstatut Die Kollisionsregel für das Namensstatut im französischen Recht ist seit langem umstritten.103 Dies liegt einerseits in der Lückenhaftigkeit des Code civil begründet, der zwar keine explizite Regelung zum Namensstatut trifft, gleichzeitig aber in Art. 3 Abs. 3 für persönliche Rechtsverhältnisse allgemein das Staatsangehörigkeitsprinzip festlegt.104 Andererseits ist die Abgrenzung zum Namenserwerb im Rahmen familienrechtlicher Vorgänge, für die regelmäßig das Ehewirkungsstatut maßgeblich ist, unklar.105 Die Situation erinnert an den ähnlich unübersichtlichen Rechtszustand, der im deutschen Recht vorherrschte bis der BGH im Jahr 1971 eine einheitliche Anknüpfung an das Heimatrecht vornahm und diese in Verbindung mit der Rechtswahlmöglichkeit anschließend in Art. 10 EGBGB in der Fassung von 1986 kodifiziert wurde.106 Die Verwaltungspraxis der französischen Standesämter sowie ein Teil der französischen Literatur sprechen sich für die Anknüpfung des Namens an die loi nationale unabhängig von der familiären Eingliederung der Person aus.107 Neben Erwägungen der Rechtssicherheit108 wird dafür der Wortlaut des Art. 311-22 Abs. 2 C. civ. angeführt.109 Die Norm gibt den Eltern eines im Ausland geborenen Kindes mit französischer Staatsbürgerschaft (abgeleitet von einem französischen Elternteil) die Möglichkeit, die im Inland vorgesehene sachrechtliche Namenswahl durch die Eltern nach Art. 311-22 Abs. 1 C. civ. innerhalb von drei 102 Ebenso Hammje, in: Rép. dr. int.: Nom, 2018, Rn. 53; Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 477. 103 Niboyet/Geouffre de la Pradelle, Droit international privé, 2020, Rn. 33; Zum Streitstand eingehend Scherer, Le nom en droit international privé, 2004, Rn. 74 ff.; Sperling, Familiennamensrecht in Deutschland und Frankreich, 2012, S. 122 ff. 104 Dazu schon S. 39 ff. 105 Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 425. 106 BGH, 12.5.1971 – IV ZB 52/70, BGHZ 56, 193, 200; zu den deutschen Entwicklungen im Einzelnen Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 2004, § 17 IV, S. 595 f.; Scherer, Le nom en droit international privé, 2004, Rn. 69 ff. 107 Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 489; der BGH hat diese Ansicht kürzlich einem Beschluss zur Rechtmäßigkeit eines in Frankreich erworbenen Doppelnamens eines Kindes deutscher Eltern ebenfalls zugrunde gelegt, vgl. BGH, 20.2.2019 – XII ZB 130/16, NJW 2019, 2313, Rn. 15. 108 So Scherer, Le nom en droit international privé, 2004, Rn. 110. 109 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 623-1; Monéger, in: Trav. Com. DIP 2004–2006, 2004, S. 7, 11; Niboyet/Geouffre de la Pradelle, Droit international privé, 2020, Rn. 33.
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Jahren nach der Geburt des Kindes nachzuholen.110 Implizit wird der Vorschrift deswegen die Anknüpfung des Namens des Kindes an sein (französisches) Heimatrecht entnommen.111 Die Verwaltungspraxis stützt sich darüber hinaus auf Art. 531 der Dienstanweisung für Standesbeamte, der Instruction générale du Garde des Sceaux relative à l’état civil (IGEC).112 Darin heißt es: „531. La définition, la transmission et l’orthographe des noms patronymiques, ainsi que le choix des prénoms relèvent, en principe, de la loi nationale des intéressés. […] Celle-ci doit être appliquée par les officiers de l’état civil français si les intéressés justifient eux-mêmes de son contenu. A défaut, la loi française est applicable.“113
Im Grundsatz geht die IGEC demnach von der Anwendung des Heimatrechts einer Person aus. Der französische Standesbeamte hat dieses Heimatrecht allerdings nur insofern anzuwenden, als der Betroffene selbst den Inhalt des ausländischen Namensrechts nachweist. Anderenfalls kommt französisches Recht zur Anwendung. Damit können die Beteiligten zwar de facto auf das anwendbare Recht Einfluss nehmen.114 Anders als diese Interpretation der Vorschrift vermuten lässt, handelt es sich jedoch nicht um eine echte kollisionsrechtliche Rechtswahlmöglichkeit, da ein auf diese Weise erworbener Name vor französischen Gerichten keinen Bestand hat.115 Eine parteiautonome Bestimmung des anwendbaren Namensrechts entsprechend Art. 10 Abs. 2 und 3 EGBGB kennt das französische Recht nicht. Die Gegenansicht ordnet das Namensrecht hingegen dem statut familial zu.116 Demnach kommt es auf die Qualifikation des dem Namenserwerb oder der Namensänderung zugrunde liegenden familienrechtlichen Verhältnisses an.117 Bei 110 Art. 311-22 C. civ.: „[…] En cas de naissance à l’étranger d’un enfant dont l’un au moins des parents est français, les parents qui n’ont pas usé de la faculté de choix du nom dans les conditions du précédent alinéa peuvent effectuer une telle déclaration lors de la demande de transcription de l’acte, au plus tard dans les trois ans de la naissance de l’enfant.“ 111 In diese Richtung Hammje, in: Rép. dr. int.: Nom, 2018, Rn. 23; Sperling, Familiennamensrecht in Deutschland und Frankreich, 2012, S. 131 („verstecke Kollisionsnorm“). 112 Instruction générale relative à l’état civil du 11 mai 1999 (IGEC), JO 28.7.1999 (annexe), NOR: JUSX9903625J; Als „Bibel“ des französischen Standesbeamten (vgl. Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 5) enthält die IGEC eine Zusammenfassung aller wichtigen Gesetz und Vorschriften zu personenstandsrechtlichen Fragen. Ihr kommt der Rang einer Circulaire, eines ministeriellen Runderlasses zu, der anders als Gesetze und Regierungsverordnungen keinen zwingenden Charakter hat, vgl. Terré, Introduction générale, 2015, Rn. 337. 113 Hervorh. d. Verf. 114 Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 36. 115 Scherer, Le nom en droit international privé, 2004, Rn. 269 f.; Sperling, Familiennamensrecht in Deutschland und Frankreich, 2012, S. 137. 116 Cachard/Klötgen, Droit international privé, 2020, Rn. 367; Foyer, Recueil des cours 193 (1986), 9, 36; Hammje, in: Rép. dr. int.: Nom, 2018, Rn. 15 ff. 117 Für eine differenzierte Betrachtung Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019,
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Ehegatten wäre beispielsweise das Recht der Ehewirkungen oder das Scheidungsstatut, bei Kindern das Abstammungs- beziehungsweise Adoptionsstatut maßgeblich.118 Die Vertreter dieser Ansicht stützen sich maßgeblich auf das Urteil der Cour de cassation in der Sache Canovas Guttierez.119 Die Rechtsprechung hat sich der Anknüpfung an den statut familial jedoch in Folgeentscheidungen kein weiteres Mal explizit angeschlossen.120 II. Lösung des Reformgesetzes aus dem Jahr 2016 Auf die oben skizzierten europäischen Entwicklungen reagierte der Gesetzgeber schließlich im Jahr 2016 mit Art. 57 des Gesetzes zur Modernisierung der Justiz im 21. Jahrhundert, der die Einführung zweier neuer Vorschriften, Art. 311-24-1 C. civ. und Art. 61-3-1 C. civ., vorsah.121 Inhalt und Rechtsfolgen der neuen Vorschriften sind in einem Runderlass des Justizministeriums näher konkretisiert.122 Danach haben die Normen zum Ziel, divergierende Eintragungen in in- und ausländischen Registern und somit hinkende Namensverhältnisse möglichst umfassend zu vermeiden.123 Sie erleichtern mithin im Vergleich zu reinen Inlandssachverhalten maßgeblich das aufwändigere Verfahren zur Namensänderung beziehungsweise -anerkennung, das bisher nur per Verwaltungsdekret vonseiten des Procureur de la République ergehen konnte und insbesondere den Nachweis eines legitimen Interesses zur Namensänderung erforderte.124
Rn. 537, die nach Namensschutz und -erwerbstatbeständen (Heimatrecht) und der Weitgabe des Namens durch abstammungs- oder eherechtliche Vorgänge (Familienstatut) unterscheiden. 118 Aufgrund des Ausschlusses des Namensrechts von der Rom III-VO nach deren Art. 1 Abs. 2 lit. d) kommt dieser Ansicht zufolge dann der umstrittene Art. 309 C. civ. zur Anwendung (dazu oben S. 64 f.), vgl. Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 825; Cresp/ Hauser/Ho-Dac/Sana-Chaillé de Néré, Droit de la famille, 2018, Rn. 441. 119 Cass. Civ. 1ère, 7.10.1997, n° 95-16933, Rev. crit. DIP 1998, 72. 120 Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 3; Sperling, Familiennamensrecht in Deutschland und Frankreich, 2012, S. 130 f. 121 Loi n° 2016-1547 du 18 novembre 2016 de modernisation de la justice du XXIe siècle, JORF n° 0269 du 19 novembre 2016 texte 1, NOR: JUSX1515639L. 122 Circulaire du 26 juillet 2017 de présentation de diverses dispositions en matière de droit des personnes et de la famille de la loi n° 2016-1547 du 18 novembre 2016 de modernisation de la justice du XXIe siècle, BOMJ n° 2017-08 du 31 août 2017, NOR : JUSC1720438C ; im Folgenden genannt: Circulaire 2017; Zur Rechtsverbindlichkeit der Circulaire oben Fn. 112 . 123 Circulaire 2017 (Fn. 122), Annex V, 3-1. 124 Vgl. Art. 61 C. civ., dazu Marie, in: JCl. Civ.: Changement de nom, 2020, Rn. 11 ff. Das deutsche Verwaltungsverfahren nach § 3 NamÄndG ist insoweit funktional vergleichbar. Noch im Jahr 2013 vertrat der französische Conseil d’État die Ansicht, die hinkende Namensführung eines Meehrstaaters stelle kein legitimes Interesse zur Namensänderung dar, siehe CE, 18.12.2013, n° 363232.
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Zuvor hatte zwar bereits ein Runderlass des Justizministeriums aus dem Jahr 2011 eine Berücksichtigung der Grunkin Paul-Rechtsprechung des EuGH vorgesehen.125 Der Text war allerdings allein auf ebendiese Fallkonstellation der Anerkennung eines Kindesnamens im EU-Ausland beschränkt und setzte zudem einen Antrag der Eltern und deren vorgehenden gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat voraus.126 1. Art. 311-24-1 C. civ.: Eintragung eines ausländischen Namens bei Ausstellung einer französischen Geburtsurkunde Der neue Art. 311-24-1 C. civ. statuiert eine spezielle Anerkennungsvorschrift für im Ausland geborene Kinder mit zumindest einem französischen Elternteil. Danach gilt der Grundsatz, dass bei der Eintragung des Namenseintrags einer ausländischen Geburtsurkunde in das französische Zivilstandsregister der Name des Kindes gleichzulauten hat mit dem Geburtsnamen, der auf der ausländischen Urkunde eingetragen ist.127 Die Norm spiegelt mithin die Problemkonstellation des Falles Grunkin Paul wider.128Allerdings können die Eltern dafür optieren, dass gleichwohl französisches Recht auf den Namen Anwendung findet, denn danach ist der Familienname des Kindes aus den Namen seiner Eltern frei wählbar (Art. 311-21 S. 2 C. civ.). Das Verbindungselement des Sachverhaltes, das die Anerkennungsregel auslöst, ist die (französische) Staatsangehörigkeit der Eltern. Zu dem ausländischen Staat, in dem die Urkunde ausgestellt wurde, fordert die Vorschrift hingegen keine weitere qualifizierte Verbindung wie etwa einen gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Staatsangehörigkeit. Die Rechtmäßigkeit des Namenserwerbs nach ausländischem Namensstatut ist ebenfalls nicht angesprochen. Es ist – zumindest dem Wortlaut nach – davon auszugehen, dass eine Wirksamkeitskontrolle an125 Circulaire du 28 octobre 2011 relative aux règles particulières à divers actes de l’état civil relatifs à la naissance et à la filiation, BOMJL n°2011–11, NOR : JUSC1119808C, Rn. 151: „Si le nom de famille des ressortissants français est déterminé en application de la loi française conformément à l’article 3 alinéa 3 du code civil lorsque les parents le revendiquent, il convient, néanmoins, dans le cas où l’enfant dont la naissance a été déclarée devant les autorités d’un État membre, de faire application de l’arrêt de la Cour de justice des communautés européennes (CJCE) du 14 octobre 2008, affaire Grunkin Paul si les parents résident dans cet État.“ 126 Kritisch deswegen Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 494. Siehe zu den vergleichbaren Voraussetzungen des Art. 48 EGBGB unten S. 93 ff. 127 Art. 311-24-1 C. civ.: „En cas de naissance à l’étranger d’un enfant dont au moins l’un des parents est français, la transcription de l’acte de naissance de l’enfant doit retenir le nom de l’enfant tel qu’il résulte de l’acte de naissance étranger. Toutefois, au moment de la demande de transcription, les parents peuvent opter pour l’application de la loi française pour la détermination du nom de leur enfant, dans les conditions prévues à la présente section.“ 128 S. o. S. 82.
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hand des ausländischen Kollisionsrechts demnach nicht stattfindet.129 Allerdings steht die Anerkennung der Urkundeneintragung unter dem Vorbehalt des französischen ordre public.130 2. Art. 61-3-1 C. civ.: Angleichung der französischen Eintragung bei abweichendem ausländischem Registereintrag Noch weiter gefasst als Art. 311-24-1 C. civ. ist Art. 61-3-1 C. civ. Die Vorschrift gibt jeder Person, die über einen Namenseintrag in einem ausländischen Zivilstandsregister verfügt, das Recht, einen von diesem Eintrag abweichenden Namen in Frankreich anzupassen.131 Genauso lag der Sachverhalt beispielsweise in dem eingangs angesprochenen Fall des algerisch-französischen Doppelstaaters Kismoun.132 Zu der „Namensangleichung“133 des Art. 61-3-1 C. civ. berechtigt ist jede Person unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, solange sie einen in einem französischen Personenstandsregister eingetragenen Namen besitzt, der von einem in einer ausländischen Urkunde niedergelegten Namen abweicht.134 Funktional dürfte der Vorschrift im deutschen Recht das öffentlich-rechtliche Namensänderungsverfahren des § 3 NamÄndG135 i. V. m. der Fallkonstellation Nr. 49 der zugehörigen Verwaltungsvorschrift136 entsprechen.137 Letzteres ist allerdings zumindest auch deutschen Staatsbürgern vorbehalten, vgl. § 1 NamÄndG. Die Circulaire 2017 nimmt für das französische Recht explizit zwei Situationen in den Blick: So kann das hinkende Namensverhältnis für Betroffene mit 129
Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 164. Farge, a. a. O. 131 Art. 61-3-1 C. civ. : „Toute personne qui justifie d’un nom inscrit sur le registre de l’état civil d’un autre Etat peut demander à l’officier de l’état civil dépositaire de son acte de naissance établi en France son changement de nom en vue de porter le nom acquis dans cet autre Etat. […]“ 132 S. o. S. 82. 133 Vgl. Circulaire 2017 (Fn. 122), Annex V, 3-1: „mise en concordance“. 134 Marie, in: JCl. Civ.: Changement de nom, 2020, Rn. 59. 135 Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen in der Fassung vom 17.12.2008. 136 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndVwV) vom 11.8.1980, 1. Teil, 5. Abschnitt, 2. Unterabschnitt, lit. f), Nr. 49 (Beseitigung hinkender Namensführung): „Führt ein Deutscher, der auch eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, nach dem Recht des ausländischen Staates, dessen Staatsangehöriger er auch ist, einen anderen Familiennamen als den, den er nach dem Recht im Geltungsbereich des Gesetzes zu führen verpflichtet ist, so kann die hinkende Namensführung dadurch beseitigt werden, daß der […] Familienname in den Familiennamen geändert wird, der nach dem Recht des anderen Staates zu führen ist.“. 137 Vgl. zum Ganzen Dutta/Hepting, Familie und Personenstand, 2019, Rn. V-913 ff.; Gössl, IPRax 2018, 376, 379. 130
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ausländischer oder mehrfacher Staatsangehörigkeit einerseits dadurch entstanden sein, dass irrigerweise französisches Recht auf die Namensfeststellung angewendet wurde.138 Andererseits soll die Vorschrift aber auch für französische Staatsbürger, die im Ausland geboren wurden, garantieren, dass die Namen der ausländischen und der inländischen Namenseintragung künftig übereinstimmen.139 Letztere Fälle werden freilich im Laufe der Zeit durch Art. 311-24-1 C. civ. an Relevanz verlieren, da die Norm die ausländische Namenseintragung von Geburtsurkunden (auch-)französischer Staatsbürger automatisch anerkennt. Ausgenommen vom Anwendungsbereich der Vorschrift ist hingegen der Namenserwerb kraft ausländischer (gerichtlicher) Entscheidung oder vergleichbaren Verfahren. Hier kodifiziert der ebenfalls neue Art. 61-4 Abs. 2 C. civ. erstmals das bereits bekannte Prinzip der verfahrensrechtlichen Anerkennung von Namensentscheidungen.140 Ebenfalls ausgenommen sind Namensänderungen kraft Eingehung oder Auflösung einer Ehe oder Partnerschaft.141 Art. 61-3-1 C. civ. betrifft demnach regelmäßig nur die ausländische Eintragung des Geburtsnamens einer Person.142 Die Anerkennung des im Ausland eingetragenen Namens erfolgt unter dem Vorbehalt des Eingreifens des französischen ordre public. Die Circulaire 2017 verweist hier explizit auf die EuGH-Rechtsprechung Sayn-Wittgenstein und Bogendorff v. Wolffersdorff143, verspricht jedenfalls gegenüber Nicht-Franzosen aber eine „weiche“ Handhabung des ordre public.144 Ausdrücklich weist das 138 Vgl. Circulaire 2017 (Fn. 122), Annex V, 3-1, Punkt 1.1.: „Ainsi une personne de nationalité étrangère ou binationale née en France dont l’acte de naissance français aura retenu un nom déterminé par défaut en application de la loi française pourra en produisant son acte de naissance transcrit à l’étranger auprès des autorités de l’État dont elle est ressortissante demander la modification de ce nom retenu à l’état civil français afin de porter le même nom que celui attribué dans l’acte de naissance étranger en application de sa loi personnelle.“ 139 Circulaire 2017 (Fn. 122), Annex V, 3-1, Punkt 1.1.: „De même, une personne de nationalité française née à l’étranger dont l’acte de naissance étranger a été transcrit dans les registres de l’état civil français ou dont l’acte de naissance a été établi par le service central d’état civil pourra demander à ce service la modification de son nom en vue de porter le nom qui lui aura été attribué lors de sa déclaration de naissance devant les autorités locales étrangères.“ 140 Dazu bereits oben S. 85 ff. 141 Circulaire 2017 (Fn. 122), Annex V, 3-1, Punkt 1.1. 142 Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 134, 140; Marie, in: JCl. Civ.: Changement de nom, 2020, Rn. 59. 143 S. o. Fn. 78 und 79. 144 Vgl. Circulaire 2017 (Fn. 122), Annex V, 3-1, Punkt 1.3.: „En cas de difficultés ou en cas de doute sur la conformité du nom étranger avec l’ordre public international français, les officiers de l’état civil veilleront à saisir le procureur de la République pour toute demande de changement de nom. Le contrôle sera opéré de manière souple à l’égard des ressortissants possédant la nationalité étrangère.“
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Rundschreiben darauf hin, dass hinsichtlich französischer Staatsbürger eine or dre public-Kontrolle insbesondere bei der Anerkennung von Adelstiteln oder bei ausländischen Namen, die entgegen den Wirkungen der französischen Volladoption den Namen einer ehemaligen Verwandtschaftsbeziehung wiedergeben, erfolgen kann.145 Der Maßstab der ordre public-Kontrolle richtete sich demzufolge nach der Nationalität des Betroffenen.146
C. Rechtsvergleichende Einordnung Bevor die französischen Vorschriften einer rechtsvergleichenden Bewertung unterzogen werden, soll ein kurzer Überblick über Art. 48 EGBGB die Vorgehensweise der Anerkennungslösung des deutschen Rechts in Erinnerung rufen. I. Ausgestaltung des Art. 48 EGBGB Der deutsche Gesetzgeber reagierte auf die Vorgaben des EuGH zum unionsrechtlichen Anerkennungsprinzip mit der Einführung des Art. 48 EGBGB.147 Die Vorschrift ermöglicht es Personen, die während eines gewöhnlichen Aufenthalts im EU-Ausland einen Namen erworben haben, der im ausländischen Register eingetragen wurde, diesen Namen trotz des eigentlich anwendbaren deutschen Namensstatuts (Art. 10 EGBGB) zu wählen. Die Norm setzt folglich die Anwendbarkeit deutschen Sachrechts kraft kollisionsrechtlicher Verweisung voraus. Funktional handelt es sich deshalb nicht um eine Rechtslagenanerkennung im engeren Sinne, sondern um eine sachrechtliche Namenswahl, die eine Art Anerkennungswirkung entfaltet.148 Noch nicht abschließend geklärt ist, welche Anforderungen genau an den „während eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen“ Namen zustellen sind. Der gewöhnliche Aufenthalt fungiert an dieser Stelle als qualifiziertes Verbindungselement zum Re145
Circulaire 2017 (Fn. 122), a. a. O. Die Berücksichtigung eines Kriteriums wie der Staatsangehörigkeit als Gradmesser für den ordre public wird in der französischen Doktrin als ordre public de proximité bezeichnet, dazu noch näher S. 202 ff. 147 Art. 1 Nr. 7 Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des internationalen Privatrechts vom 23.1.2013, BGBl. 2013 I, S. 101. Dazu ausführlich Freitag, StAZ 2013, 69 ff.; Kohler, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 67 ff.; Lipp, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 521, 529 f.; Mankowski, StAZ 2014, 97 ff.; Wall, StAZ 2013, 237 ff. 148 Kohler, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 67, 76 : „amalgame atypique d’une règle d’autonomie et d’une règle de reconnaissance“. 146
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gisterstaat.149 Fraglich ist jedoch, ob auch ein Wohnsitz oder schlichter Aufenthalt als Verbindungselement ausreicht.150 Noch weniger geklärt scheint die Frage, ob sich das Wahlrecht nur auf einen rechtmäßig, das heißt unter Anwendung der nach dem ausländischen IPR berufenen Sachrechtsordnung wirksam erworbenen Namen bezieht.151 Der BGH hat sich in einem Beschluss aus dem Jahr 2019 dafür ausgesprochen, dass allein ein rechtmäßig erworbener Name gewählt werden könne.152 Dabei ging es um die Nachbeurkundung der Geburt eines in Frankreich geborenen Kindes. Aus Sicht des BGH hatte der französische Standesbeamte unter der irrigen Annahme, das französische Recht sei kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen, die Eintragung eines Familiendoppelnamens für das Kind zugelassen. Nach dem eigentlich aus französischer Sicht anzuwendenden deutschen Recht sei die Bildung eines doppelten Familiennamens bei Geburt des Kindes indes unzulässig.153 In Anbetracht des engen Anwendungsbereichs und der nach wie vor bestehenden Rechtsunsicherheiten wird Art. 48 EGBGB vor diesem Hintergrund von einem überwiegenden Teil der Literatur als Minimallösung der Anerkennungsproblematik kritisiert.154 II. Bewertung 1. Konvergenz in Methodik und Rechtsfolge Sowohl die französischen Regelungen als auch die deutsche Vorschrift können als Umsetzung eines kollisionsrechtlichen Anerkennungsprinzips gesehen werden. Art. 311-24-1 C. civ. sieht eine explizite und automatische Anerkennung des ausländischen Registereintrags mit Möglichkeit zur Wahl der lex fori (opt-out) vor, während Art. 48 EGBGB eine Ausübung des Wahlrechts verlangt (opt-in). Art. 61-3-1 C. civ. betrifft formal zwar einen Antrag zur Namensänderung, dieser 149
Mankowski, StAZ 2014, 97, 100 („hinreichende Nähebeziehung“); Lipp, in: MüKo BGB, 2020, Art. 48 EGBGB, Rn. 11; Wall, StAZ 2013, 237, 244 („substantielle Verbindung“). 150 Mit dieser Frage hatte der EuGH sich in der Rechtssache Freitag (EuGH, 8.6.2017 – C541/15) auseinanderzusetzen, dazu sogleich S. 97 ff. 151 Dafür etwa Freitag, StAZ 2013, 69, 70; Gössl, IPRax 2018, 376, 379; Dutta/Hepting, Familie und Personenstand, 2019, Rn. II-437; Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 120 f.; a. A. Kroll-Ludwigs, in: BeckOGK, Stand: 1.6.2021, Art. 48 EGBGB, Rn. 25; Mankowski, IPRax 2020, 323, 325 f.; Wall, StAZ 2013, 237, 242 f.; differenzierend nach Vertrauensschutzaspekten AG Berlin-Schöneberg, 24.1.2012 – 70 III 472/11, StAZ 2013, 21, 22 f.; Lipp, in: MüKoBGB, 2020, Art. 48 EGBGB, Rn. 12. 152 BGH, 20.2.2019 – XII ZB 130/16, NJW 2019, 2313. 153 BGH, 20.2.2019 – XII ZB 130/16, NJW 2019, 2313, Rn. 14 ff. 154 Siehe nur Kroll-Ludwigs, in: BeckOGK, Stand 1.6.2021, Art. 48 EGBGB, Rn. 15; Lipp, in: MüKoBGB, 2020, Rn. 3.
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enthält aber implizit eine Anerkennung der ausländischen Registereintragung.155 Das neue französische Namensrecht gibt damit in Gestalt der Art. 311-24-1 und Art. 61-3-1 C. civ. das Ergebnis vor, ausländische Namenseintragungen grundsätzlich anzuerkennen, ohne dass es darauf ankäme, welches Recht dem Namenserwerb im Ausland zugrunde lag. Man kann insofern tatsächlich von einer erstmaligen, expliziten Kodifizierung der Methode der Rechtslagenanerkennung sprechen. Die französischen Vorschriften entfernen sich infolgedessen weiter von der klassisch-verweisungsrechtlichen Methodik als der deutsche Art. 48 EGBGB, der erst nach der kollisionsrechtlichen Verweisung des Art. 10 EGBGB Anwendung findet. Auf Rechtsfolgenebene sind die Vorschriften in ihrer Anerkennungswirkung indes funktional äquivalent. 2. Divergenz auf Tatbestandsebene Allerdings lassen sich auf tatbestandlicher Ebene Unterschiede zwischen den beiden Regelungsmodellen erkennen, die Rückschlüsse auf das jeweils nationale Verständnis der Anerkennungsmethodik und die verbleibenden offenen Fragen der europäischen Entwicklung zum Internationalen Namensrecht zulassen. a) Anwendbarkeit auf Sachverhalte mit Drittstaatenbezug Art. 48 EGBG ist seinem Wortlaut zufolge nur auf den Namenserwerb im EU-Ausland anwendbar.156 Der Gesetzgeber visiert hier eine Lösung für die Grunkin Paul-Problematik an und verweist im Übrigen, etwa im Hinblick auf die Konstellation im Fall Garcia Avello157, auf die umfassenden Rechtswahlmöglichkeiten des Art. 10 Abs. 2 und 3 EGBGB.158 Die Norm findet daher keine Anwendung auf Drittstaatenfälle.159 Hingegen beschränken sich die beiden französischen Vorschriften nach ihrem Wortlaut und den Motiven der Circulaire 2017 nicht auf die namensrechtliche Rechtsprechung des EuGH, sondern leiten die Anerkennungsverpflichtung ebenfalls aus der Rechtsprechung des EGMR ab, insbesondere der bereits erwähnten Rechtssache Henry Kismoun c. France160.161 Mithin beschränkt sich ihr Anwen155 Ebenso
Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.114. Mankowski, in: NK BGB, 2021, Art. 48 EGBGB, Rn. 48; Thorn, in: Palandt BGB, 2021, Art. 48 EGBGB, Rn. 2; Wall, StAZ 2014, 356, 357 f. 157 EuGH, 2.10.2003 – C-148/02 – Garcia Avello. 158 BT-Drs. 17/11049, S. 12. 159 Lipp, in: MüKoBGB, 2020, Art. 48 EGBGB, Rn. 39 m. w. N. 160 EGMR, 5.12.2013, n° 32265/10, Henry Kismoun c. France. 161 Circulaire 2017 (Fn. 122), Annex V, 3–1, Punkt 1.1.: „Enfin, la Cour européenne des droits de l’homme a étendu la portée de ce principe d’unicité du nom d’une personne aux situ156
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dungsbereich nicht auf reine Unionssachverhalte. Denn im Fall Kismoun war einem französisch-algerischen Doppelstaater die nachträgliche Angleichung seines in Frankreich registrierten Namens an den in Algerien geführten und eingetragen Namen verweigert worden.162 Dies wertete der EGMR, unter expliziter Berücksichtigung der namensrechtlichen Rechtsprechung des EuGH,163 als unzulässigen Eingriff in Art. 8 EMRK.164 Die Norm schütze die Namenseinheit als essentiellen Teil der menschlichen Identität; die Weigerung der französischen Behörden unter Berufung auf den Vorrang der (inländischen) Namenskontinuität sei unverhältnismäßig, da eine Abwägung im konkreten Fall zugunsten des Identitätsinteresses des Betroffenen hätte ausfallen müssen.165 In der Fokussierung des EGMR auf die Verhältnismäßigkeit des internen Namensänderungsverfahrens sieht Pfeiff den methodisch ausschlaggebenden Unterschied zu einer automatischen Anerkennung der ausländischen Namenseintragung durch die EuGH-Rechtsprechung.166 Dies überzeugt aber aus französischer Sicht mit Blick auf die Motive der Ciculaire 2017 methodisch nicht mehr, da dort zwischen Art. 311-24-1 C. civ. und Art. 61-3-1 C. civ. nicht differenziert wird. Der französische Gesetzgeber scheint vielmehr aus der Rechtsprechung des EGMR eine Verpflichtung zur Rechtslagenanerkennung ohne Rücksicht auf das interne Kollisionsrecht abzuleiten. Dies überzeugt insofern, als Anliegen beider Gerichte im Ergebnis der individuelle Diskriminierungsschutz ist, einmal auf Grundlage von Art. 21 AEUV, einmal bezüglich Art. 8 Abs. 1 EMRK. Weniger ausschlaggebend ist hingegen das Mittel, das ein Staat wählt, um die Diskriminierung im Einzelfall zu vermeiden.167 Auch der EuGH spricht in den Entscheidungen Sayn-Wittgenstein und Coman die Grundsätze der EMRK explizit an.168 Eine Anerkennungspflicht auf menschenrechtlicher Grundlage sieht ein großer
ations extra-communautaires (CEDH, 5 décembre 2013, n° 32265/10, HENRY KISMOUN c/ France).“ 162 Zum Sachverhalt bereits näher oben S. 94. 163 Vgl. EGMR, 5.12.2013, n° 32265/10, Rn. 17. 164 EGMR, 5.12.2013, n° 32265/10, Rn. 32. 165 EGMR, 5.12.2013, n° 32265/10, Rn. 36: „Or, force est de constater qu’il ressort de la motivation des décisions par lesquelles les autorités nationales ont rejeté la demande du requérant que celles-ci n’ont pas pris en compte l’aspect identitaire de sa demande et ont omis de ce fait de mettre en balance, avec l’intérêt public en jeu, l’intérêt primordial du requérant.“ 166 Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 118. 167 Das gibt im Ergebnis auch Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 118 a. E. zu. Wie hier Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.02. 168 EuGH, 22.12.2010 – C 208/09 – Sayn Wittgenstein, Rn. 52; EuGH, 5.6.2018 – C-673/16 – Coman, Rn. 50.
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Teil der deutschen Literatur indes nach wie vor sehr kritisch.169 Die Position des derzeitigen französischen Rechts scheint in dieser Hinsicht de lege lata offener.170 b) Qualifizierte Verbindung zum Erwerbsstaat Ein weiterer entscheidender Unterschied zum französischen Recht ist die Voraussetzung des Art. 48 EGBGB, wonach der ausländische Name während eines „gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union“ erworben wurde. Dieses Erfordernis soll missbräuchlichem Verhalten vorbeugen und die Gefahr eines „Namenstourismus“171 verhindern.172 Die Beschränkung der qualifizierten Verbindung zum Erststaat auf den gewöhnlichen Aufenthalt ist jedoch eine umstrittene Eingrenzung der Anerkennungsdogmatik.173 Der EuGH hat dieses Kriterium in der Rechtssache Freitag174 nur unter einem Vorbehalt für unionsrechtskonform gehalten: Die Anerkennung dürfe nur insoweit vom Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthalts abhängig gemacht werden, als das mitgliedstaatliche Recht eine hinreichend effektiv durchsetzbare Alternative (in casu das Namensänderungsverfahren nach § 3 NamÄndG i. V. m. NamÄGVwV) vorsehe.175 Jedoch müsse dieses alternative Änderungsverfahren ebenfalls den Anforderungen des Art. 21 AEUV genügen.176 Auf den ersten Blick zeigt sich das französische Recht an dieser Stelle liberaler, da nach dem Wortlaut der Art. 311-24-1 C. civ. und Art. 61-3-1 C. civ. eine 169 Siehe nur Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, S. 88 f.; v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Art. 3 EGBGB, Rn. 130. 170 Ausführlich zu möglichen Ursachen dafür unten S. 187 ff. 171 Dutta, FamRZ 2016, 1213. 172 Gössl, IPRax 2018, 376, 381; sehr kritisch Mankowski, in: NK BGB, 2021, Art. 48 EG BGB, Rn. 18 f. 173 Dutta/Hepting, Familie und Personenstand, 2019, Rz. II-453; Mankowski, IPRax 2020, 323, 328. 174 EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag. 175 EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag, Rn. 47: „ Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 21 AEUV dahin auszulegen ist, dass er die Personenstandsbehörde eines Mitgliedstaats daran hindert, die Anerkennung […] des von einem Angehörigen dieses Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, rechtmäßig erworbenen Familiennamens, der seinem Geburtsnamen entspricht, auf der Grundlage einer Bestimmung des nationalen Rechts abzulehnen, nach der die Möglichkeit zur Erlangung einer solchen Umschrift durch Erklärung gegenüber der Personenstandsbehörde nur dann besteht, wenn der Name während eines gewöhnlichen Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat erworben wurde, es sei denn, es gibt im nationalen Recht andere Bestimmungen, die eine tatsächliche Anerkennung dieses Namens ermöglichen.“ Hervorh. d. Verf. Ausführlich zum Effektivitätserfordernis Wall, StAZ 2017, 327, 332 ff.; Kritisch zum derzeitigen deutschen Recht Jault-Seseke/Pataut, in: Liber amicorum Kohler, 2018, S. 371, 378. 176 EuGH, 8.6.2017 – C-541/15 – Freitag, Rn. 44–46.
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Anerkennung der Namenseintragung ohne irgendeine Form der qualifizierten Verbindung zum Registrierungsstaat gewährleistet ist. Auf den zweiten Blick entschärft sich jedoch die Brisanz dieser prima facie „grenzenlosen“ Anerkennung. Denn in ihrem sachlichen Anwendungsbereich ist die französische Regelung anders als die deutsche Vorschrift auf Registereintragungen von Geburtsnamen beschränkt.177 Für diese besteht allerdings in aller Regel nur eine geringe Gefahr des Namenstourismus, wohingegen etwa Ehe- oder Abstammungsfragen aus diesem Grund rechtspolitisch deutlich umkämpfter sind.178 In Extremfällen wäre jedoch auch ohne das Erfordernis des Verbindungselements ein Rückgriff auf die Figur des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (fraude à la loi) oder den ordre public denkbar.179 Im Ergebnis unterscheiden sich die beiden Regelungsmodelle im Hinblick auf das Erfordernis einer qualifizierten Verbindung zum Erwerbsstaat zwar tatbestandlich. Dies dürfte aus den genannten Gründen mit Blick auf die Rechtsfolgen allerdings nur wenig Unterschied machen. c) Rechtmäßigkeit des Namenserwerbs Ein dritter und für die Anerkennungsmethodik besonders gewichtiger Unterschied ist das Erfordernis der Rechtmäßigkeit des im Ausland erworbenen Namens und einer damit verbundenen révision au fond. Weder die deutsche Regelung des Art. 48 EGBGB noch die beiden französischen Normen der Art. 61-3-1 C. civ. und Art. 311-24-1 C. civ. lassen ihrem Wortlaut nach auf solch eine An forderung schließen. Gleichwohl wird das wirksame Entstehen des im Ausland erworbenen Status nach dem ausländischen Kollisionsrecht in der allgemeinen Literatur zur Anerkennungsmethode häufig zur zwingenden Voraussetzung gemacht.180 177
S. o. S. 92. In diese Richtung auch Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 140. 179 Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.137 f. Hammje, Rev. crit. DIP 2017, 549, 552, 557. 180 Vgl. Bollée, Rev. crit. DIP 2007, 307, 350; Fulli-Lemaire, Le droit international privé de la famille à l’épreuve de l’impératif de reconnaissance des situations, 2017, Rn. 307 f.; Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 120 f.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 705; Rass-Masson, Les fondements du droit international privé européen, 2015, Rn. 616; differenzierend Haftel, in: La circulation des personnes et de leur statut, 2019, S. 195, 198. Als Hauptargument wird unter dem Gesichtspunkt der res iudicata häufig angeführt, dass einer unrechtmäßig zustandegekommenen Rechtslage im Ausland keine stärkere Rechtskraftwirkung zukommen dürfe, als ihr im Inland zuteil wird. Im Ursprungsstaat könnte die Unwirksamkeit der Rechtslage allerdings meist noch auf dem Rechtsweg angefochten werden. Diesen Hinweis verdanke ich Lukas Rass-Masson. 178
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Die deutsche Rechtsprechung hat sich dieser Position erst kürzlich angeschlossen, ohne das Bedürfnis einer erneuten Vorlage an den EuGH zu sehen (acte clair).181 In dem oben genannten deutsch-französischen Fall war der BGH der Ansicht, die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Freitag sei dahingehend eindeutig, dass es sich um einen im Ausland rechtmäßig erworbenen Namen handeln müsse.182 Dem ist jedoch zu entgegnen, dass der EuGH bisher tatsächlich – auch in der Rechtssache Freitag – stets nur zu rechtmäßig im Ausland erworbenen Namen Stellung genommen hat.183 Aus rechtsvergleichender Perspektive verwundert die vom BGH proklamierte Offensichtlichkeit der Position des EU-Primärrechts ebenfalls. Zwar ist für das französische Recht aufgrund der kurzen Geltungsdauer der neuen Vorschriften für das Namensrecht noch keine abschließende Aussage zu treffen. Einige Stimmen aus der Literatur sehen jedoch berechtigterweise die Effizienz der Anerkennung der Namenseintragung gefährdet, solange sie von der Kontrolle der Anwendung des ausländischen Kollisionsrechts abhängt.184 Farge zieht aus rechtspraktischer Perspektive einen Erst-Recht-Schluss: wo der Standesbeamte bei der Eintragung des ausländischen Registereintrags nicht einmal die französischen IPR-Vorschriften zu prüfen habe, könne man ihm erst recht nicht die wesentlich komplexere Prüfung des Auslandsrechts auferlegen.185 Legt man diese Auslegung der französischen Normen zugrunde, stellte das französische Recht in letzter Konsequenz die Anerkennung ausländischer Registereintragungen mit der verfahrensrechtlichen Anerkennung ausländischer Entscheidungen, in der die révision au fond ebenfalls ausbleibt, gleich. Im deutschen Recht ist eine solche Gleichstellung nach der jüngsten BGH-Rechtsprechung aufgrund der verbleibenden sachrechtlichen Nachprüfung hingegen (noch) nicht vollzogen. 181
BGH, 20.2.2019 – XII ZB 130/16, Rn. 40; kritisch Kroll-Ludwigs, NJW 2019, 2277 ff. BGH, 20.2.2019 – XII ZB 130/16, Rn. 30: „Hiernach dürfte es als geklärt gelten, dass die primärrechtlichen Gewährleistungen des Unionsrechts – jedenfalls im Grundsatz – nur die Anerkennung eines im Ursprungsstaat rechtmäßig erworbenen Namens verlangen und die Bildung des im EU-Ausland registrierten Namens nicht schon aufgrund seiner Eintragung in ein dortiges Personenstandsregister einem Verbot der rechtlichen Nachprüfung unterliegt, das die Prüfungskompetenz der Behörden und Gerichte im Anerkennungsstaat auf die Kontrolle des nationalen ordre public verengt.“ 183 Kroll-Ludwigs, NJW 2019, 2277, 2279; Mankowski, IPRax 2020, 323, 326 f.; Wall, StAZ 2019, 225, 231; a. A. Gössl, IPRax 2018, 376, 379; Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 120. 184 So Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 141; ders., in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.135; ähnlich ohne nähere Begründung Hammje, in: Rép. dr. int.: Nom, 2018, Rn. 54. 185 Farge, in: JCl. Dr. int.: Nom, 2019, Rn. 141; in ähnliche Richtung Haftel, in: La circulation des personnes et de leur statut, 2019, S. 195, 200. 182
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D. Zusammenfassung in Thesen 1. Das Anerkennungsprinzip hat in das Internationale Namensrecht des französischen ebenso wie des deutschen Rechts Eingang gefunden, vgl. Art. 31124-1, 61-3-1 C. civ. beziehungsweise Art. 48 EGBGB. Beide Rechtsord nungen integrieren die Namensanerkennung letztlich in eine sachrechtliche Vorschrift. Allerdings scheint das französische Recht vollständig vom Kollisionsrecht unabhängig zu operieren, während das deutsche Recht nach wie vor eine kollisionsrechtliche Vorprüfung nach Art. 10 EGBGB vorsieht. 2. Der französische Gesetzgeber hat durch die Einführung der Art. 311-24-1 und Art. 61-3-1 C. civ. die unklare Rechtslage im autonomen Kollisionsrecht beseitigt, derzufolge die Frage der Anknüpfung des Namensstatuts an das Heimat- oder Ehewirkungsstatut lange Zeit unentschieden blieb. 3. Art. 311-24-1 und Art. 61-3-1 C. civ. statuieren eine umfassende Anerkennung von im Ausland erworbenen Namenseintragungen, ohne die Anerkennung auf unionale Sachverhalte zu beschränken. Nach Aussage des ministeriellen Runderlasses wird damit sowohl einer unionsrechtlichen als auch einer konventionsrechtlichen Anerkennungspflicht Genüge getan. 4. Die deutsche Lösung des Art. 48 EGBGB konzentriert sich in ihrer Auslegung durch den BGH darauf, die unionsrechtlichen Vorgaben der namensrechtlichen Rechtsprechung des EuGH so restriktiv wie möglich abzubilden. 5. Das französische Internationale Namensrecht handhabt das Erfordernis einer qualifizierten Verbindung der Namensträger zum Erwerbsstaat weniger restriktiv als das deutsche. Während die französischen Normen keine Verbindung des Namensträgers zum Erwerbsstaat voraussetzen, beschränkt Art. 48 EG BGB die Anerkennungswirkung auf Namen, die im Rahmen eines gewöhnlichen Aufenthaltes im EU-Ausland erworben wurden. Auf den zweiten Blick schwächt sich die Divergenz der Regelungen indes ab: Die Beschränkung des französischen Rechts auf ausländische Namensfeststellungen in Gestalt von Geburtsnamen ohne Einbezug anderer Namenseintragungssverfahren stößt im Ergebnis in eine ähnliche Richtung. Beide Lösungsmodelle verfolgen funktional äquivalent das Ziel einer Prävention missbräuchlichen Verhaltens infolge eines „Namenstourismus“. 6. Ein gewichtiger Unterschied der Rechtsordnungen zeigt sich im Erfordernis der Rechtmäßigkeit des Namenserwerbs im Ausland. Die deutsche Literatur und der BGH tendieren zu einer restriktiven Auslegung, nach der die Namensanerkennung eine révision au fond zulässt. Die französischen Vorschriften enthalten hingegen keine Hinweise zu einem Rechtmäßigkeitserfordernis. Die Auslegung durch die französischen Gerichte ist vor diesem Hintergrund mit Spannung zu erwarten.
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7. In der Gesamtschau zeigt sich das französische Internationale Namensrecht derzeit anerkennungsfreundlicher als das deutsche. Der Einbezug von Drittstaatenfällen, die geringen Anforderungen an ein Verbindungselement zum Erwerbsstaat sowie der Verzicht auf ein Rechtmäßigkeitserfordernis sprechen für eine unmittelbare und umfassende Anerkennung der Namenseintragung ohne Rückgriff auf verweisungsrechtliche Normen. 8. Der französische Gesetzgeber verwirklicht folglich erstmals im geschriebenen Recht die Methodik der Rechtslagenanerkennung. Er setzt die Vorgaben des EuGH unter Berücksichtigung der EMRK im Rahmen dessen sogar überschießend um.
§ 6 Internationales Eherecht: Begründung und Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen Die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in den Niederlanden zur Jahrtausendwende (2001)186 läutet eine Liberalisierungsbewegung des Eherechts in Europa ein, innerhalb derer sich in den letzten Jahren immer mehr – vornehmlich westeuropäische – Rechtsordnungen sukzessive für die Ehe zwischen Partnern gleichen Geschlechts geöffnet haben.187 In Frankreich erfolgte die Einführung der mariage pour tous unter großer medialer Aufmerksamkeit als Einlösung des Wahlversprechens von François Hollande im Jahr 2013 und damit schon deutlich früher als in Deutschland.188 Art. 143 C. civ. statuiert seitdem, dass die Ehe unabhängig von dem Geschlecht der künftigen Ehepartner eingegangen werden kann.189 Neben den sozialpolitischen Umwälzungen innerhalb einer Rechtsordnung, die solche Ehe-Öffnungsgesetze begleiten, bietet die Frage der Integration der gleichgeschlechtlichen Ehe in die Methodik des Internationalen Eherechts regelmäßig Anlass zu intensiven Diskussionen.190 Durch die verfassungsrechtlichen 186
Wet Openstelling huwelijk (Eheöffnungsgesetz), Gesetz vom 21.12.2000, Staatsblad 2001 Nr. 9 vom 11.1.2001. 187 Von den weltweit 29 Staaten, in denen die gleichgeschlechtliche Ehe derzeit erlaubt ist, sind 14 Mitgliedstaaten der EU, vgl. Coester-Waltjen, in: Ehe für alle, 2018, S. 134. 188 Loi n° 2013-404 du 17 mai 2013 ouvrant le mariage aux couples de personnes de même sexe, JORF n° 114 du 18 mai 2013, texte 3, NOR: JUSC1236338L; im Folgenden: Eheöffnungsgesetz. 189 Art. 143 C. civ.: „Le mariage est contracté par deux personnes de sexe différent ou de même sexe.“ 190 Aus deutscher Perspektive Coester/Coester-Waltjen, in: FS Brudermüller, 2014, S. 73 ff.; de la Durantaye, IPRax 2019, 281 ff.; Mankowski, IPRax 2017, 541 ff.; Sonnenberger, in: FS
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Berührungspunkte mit dem Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit191 und dem Gleichbehandlungsgrundsatz erhält die Debatte eine herausgehobene Stellung unter den so genannten „heißen Eisen“192 des Internationalen Familienrechts.193 Das Panorama der Sach- und Kollisionsrechte einzelner Rechtsordnungen zeigt sich im Eherecht wegen der traditionsgemäß starken rechtskulturellen Prägung der Materie noch deutlich gegensätzlicher als etwa im Internationalen Namensrecht. Die Positionen reichen von der vollumfänglichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften als „echte“ Ehe über die Anerkennung als eine Form der nicht-ehelichen Lebenspartnerschaft bis hin zur (teilweise mit Sanktionen verbundenen) rechtlichen Negierung der Partnerschaftsform an sich. Innerhalb der europäischen Union ist eine Spaltung der Länder in West und Ost zu beobachten, wobei die osteuropäischen Staaten mehrheitlich an dem traditionellen gemischtgeschlechtlichen Ehebegriff festhalten.194 Da die Ehe als Rechtsinstitut im Ländervergleich noch mehrheitlich nur für gemischtgeschlechtliche Partner bekannt ist, scheint die Problematik der Gleichgeschlechtlichkeit einer Ehe überdies brisanter als bei anderen vieldiskutierten Problemlagen des Internationalen Eherechts wie beispielsweise der Mehr- oder Frühehe195, wo eine bestimmte Form oder Ausprägung des (bekannten) Rechtsinstituts der Ehe diskutiert wird.196 Bei der gleichgeschlechtlichen Ehe geht es hingegen um das Konzept des Ehebegriffs und um die prinzipielle Existenzfähigkeit der Ehe an sich.197
Coester-Waltjen, 2015, S. 787 ff.; zum französischen Recht Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155 ff.; Fulchiron, JDI 2013, 1055 ff.; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773 ff. 191 Siehe Art. 6 Abs. 1 GG für das deutsche Recht; Der französische Verfassungsrat verleiht der Eheschließungsfreiheit als Teil des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (liberté individuelle) ebenfalls Verfassungsrang (C. C., 13.8.1993, n° 93‐325, Rn. 3, 107) und leitet sie in diesem Zusammenhang aus Art. 2 und 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des droits de l’homme et du citoyen de 1789) sowie Art. 12 EMRK ab, vgl. Favoreu/Gaïa/Ghevontian/Mestre/Pfersmann/Roux/Scoffoni, Droit constitutionnel, 2020, Rn. 1343 f. 192 Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392. 193 Ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Aspekten aus deutscher Sicht Wollenschläger, in: Ehe für alle, 2018, S. 1 ff. 194 Vgl. den Bericht von Kohler/Bauer/Marti, „Wo in Europa die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt ist“, erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 5.12.2017, abrufbar unter: (letzter Abruf: 8.7.2021). 195 Zu diesem Begriff Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 707 (Fn. 1). 196 Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1058. 197 Fulchiron, a. a. O.
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Besondere Virulenz erlangt die gleichgeschlechtliche Ehe im grenzüberschreitenden Kontext. In der kontinentaleuropäischen IPR-Tradition werden die materiellen Voraussetzungen zur Eingehung einer Ehe an das Heimatrecht der künftigen Ehegatten angeknüpft.198 Dies gilt ebenso für das deutsche (Art. 13 Abs. 1 EGBGB) wie für das französische Recht (Art. 202-1 Abs. 1 C. civ.). Sind die künftigen Ehegatten gleichen Geschlechts, so bestimmt die danach ermittelte Rechtsordnung über die Möglichkeit, überhaupt einen Partner des gleichen Geschlechts zu ehelichen. Kennt das entsprechende Heimatrecht nur eines der Ehegatten eine gleichgeschlechtliche Ehe jedoch gar nicht, so ist die Ehe unwirksam. Seitdem Staaten wie Deutschland und Frankreich die gleichgeschlechtliche Ehe zulassen, mit dieser Entscheidung aber nach wie vor in der Minderheit sind, besteht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten eine besonders große Gefahr des Entstehens hinkender Ehen. Zwar wurden in vielen Rechtsordnungen zumindest eheähnliche Alternativen vergleichbar der eingetragenen Lebenspartnerschaft in Deutschland (§§ 1 ff. LPartG) oder dem pacte civil de solidarité (PACS, Art. 515-1 ff. C. civ.) geschaffen, um den gleichgeschlechtlichen Partnern ein rechtlich gesichertes Familienleben zu ermöglichen.199 Zumeist bleibt die rechtliche Stellung von Lebenspartnern jedoch hinter derjenigen von Ehegatten zurück. Qualifizierungsprobleme mit Rechtsunsicherheiten sowie mitunter schwierige Folgen einer Umqualifizierung sind dann über das IPR zu bewältigen.200 Infolge der rechts- und gesellschaftspolitischen Brisanz des Themas fehlt es für die gleichgeschlechtliche Ehe bisher sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU an einer internationalen Rechtsgemeinschaft, die eine Harmonisierung des heterogenen Rechtsgefüges durch einen Legislativakt möglich macht.201 Bevor vor diesem Hintergrund auf das Lösungsmodell des französischen IPR einzugehen ist, gilt es zu fragen, welche Vorgaben AEUV und EMRK an die Beurteilung grenzüberschreitender gleichgeschlechtlicher Ehen stellen. Hier zeigt sich anders als im Internationalen Namensrecht aufgrund der noch nicht ausjudizierten Anerkennungsfrage eine besondere Durchmischung von Verweisungs- und Anerkennungsmethodik.
198 Vgl.
Rabel, Conflict of Laws, Band I, 1958, S. 282. Den französischen PACS können im Gegensatz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft in Deutschland auch gemischtgeschlechtliche Paare eingehen, vgl. Art. 515-1 C. civ. 200 Unter Berücksichtigung rechtsvergleichender Aspekte eingehend Gruber, IPRax 2021, 39, 40 ff. 201 Treffend Fulchiron, JDI 2013, 1055: „Il manque […] une communauté d’objet juridique minimale.“ 199
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A. Ergebnisvorgaben von AEUV und EMRK? Die Coman-Rechtsprechung des EuGH deutet zwar eine primärrechtliche Anerkennungspflicht der Mitgliedstaaten für eine im EU-Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe an (I.). Eine Bestätigung der Rechtsprechung steht allerdings noch aus. Die nationalen Kollisionsnormen bleiben somit nicht nur für die Beurteilung einer im Inland zu schließenden Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern mit grenzüberschreitendem Bezug noch relevant, sondern auch für die Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen. Hier setzen die Rechtsordnungen derzeit verweisungsrechtliche Methoden ein, um den gleichgeschlechtlichen Ehegatten eine der gemischtgeschlechtlichen Ehe vergleichbare Statuskontinuität zu ermöglichen (II.). I. Andeutung einer primärrechtlichen Anerkennungspflicht in der Rechtssache Coman Bezüglich der Anerkennung einer im Ausland geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehe zeichnet sich bei unionsinternen Sachverhalten infolge des EuGH-Urteils in der Rechtssache Coman202 eine Zeitenwende ab. In diesem Fall hatten die gleichgeschlechtlichen Partner Coman und Hamilton in Belgien nach belgischem Recht wirksam die Ehe geschlossen. Im Anschluss klagten sie gegen rumänische Behörden, die dem US-Amerikaner Hamilton ein von seinem amerikanisch-rumänischen Ehepartner Coman abgeleitetes, dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Rumänien nicht gewähren wollten. Die rumänischen Behörden hatten sich auf den Umstand berufen, dass das rumänische Zivilgesetzbuch eine gleichgeschlechtliche Ehe nicht anerkenne. In dem im Aufenthaltsrecht angesiedelten Fall Coman urteilt der EuGH, die Nicht-Anerkennung der in Belgien geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehe für die Zwecke der Aufenthaltsgewährung durch die rumänischen Behörden stelle einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger nach Art. 21 AEUV dar.203 Der Gerichtshof stützt sich explizit auf die Erwägungen zum Schutz vor hinkenden Rechtsverhältnissen aus der Rechtsprechung zum Internationalen Namensrecht.204 Aus Art. 21 AEUV sei zwar keine Pflicht zur Einführung einer gleichgeschlechtlichen Ehe abzuleiten.205 Die Wirksamkeit einer solchen Ehe zum Zwecke der Gewährleistung eines abgeleiteten Aufent202
EuGH, 5.6.2018 – C-673/16 – Coman. EuGH, 5.6.2018 – C-673/16 – Coman, Rn. 39, 40. 204 EuGH, 5.6.2018 – C-673/16 – Coman, Rn. 38. 205 EuGH, 5.6.2018 – C-673/16 – Coman, Rn. 37 unter Verweis auf EuGH, 24.11.2016 – C- 443/15 – Parris, Rn. 59. 203
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haltsrechts sei, soweit die Ehe in einem anderen Mitgliedstaat der EU wirksam geschlossen wurde, jedoch sehr wohl anzuerkennen.206 Anders als im Namensrecht hatte der EuGH indes noch nicht die Gelegenheit, dieses Prinzip durch andere Urteile außerhalb aufenthaltsrechtlicher Fragestellungen zu bestätigen. Gleichwohl geht ein überwiegender Teil der Literatur davon aus, dass damit zumindest der erste Schritt einer Etablierung des Anerkennungsprinzips bezüglich familienrechtlicher Statusverhältnisse getan ist.207 Zurückhaltender als der EuGH verhält sich derzeit der EGMR. In der Rechtssache Orlandi v. Italy208 judizierte das Gericht zuletzt, wie zuvor in anderen Urteilen,209 dass ein Konventionsstaat auf Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht verpflichtet sei, eine im Ausland geschlossene Ehe gleichgeschlechtlicher Partner als solche anzuerkennen.210 Gleichwohl müsse ein Konventionsstaat jedoch irgendeine Art von Regelung vorsehen, die eine Registrierung der Partnerschaft im Inland ermögliche und absichere, ohne, dass für die Betroffenen ein „rechtliches Vakuum“ entstehe.211 Die kollisionsrechtlichen Folgen dieser Entscheidungen bleiben jedoch schwer zu fassen.212
206 EuGH, 5.6.2018 – C-673/16 – Coman, Rn. 45: „ Insoweit ist festzustellen, dass die Pflicht eines Mitgliedstaats, eine zwischen Personen gleichen Geschlechts in einem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht geschlossene Ehe allein zum Zweck der Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zugunsten eines Drittstaatsangehörigen anzuerkennen, nicht das Institut der Ehe im erstgenannten Mitgliedstaat beeinträchtigt, […]. Sie bedeutet nicht, dass dieser Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht das Institut der Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts vorsehen müsste. Vielmehr ist sie auf die Verpflichtung beschränkt, solche in einem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht geschlossene Ehen anzuerkennen, und zwar allein zum Zweck der Ausübung der diesen Personen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte.“ 207 Bourdelois, in: Rép. dr. int.: Mariage, 2019, Rn. 9; de la Durantaye, IPRax 2019, 281, 286; Dutta, FamRZ 2018, 1067, 1068; Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.93; Hammje, Rev. crit. DIP 2018, 816, 825; Kessler, JDI 2019, 27, 33 ff.; Wall, StAZ 2019, 225; Werner, ZEuP 2019, 803, 813 f.; kritisch Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2019, 85, 89. 208 EGMR, 14.12.2017, n° 6431/12; 26742/12; 44057/12 und 60088/12, Orlandi and others v. Italy. 209 Zuvor schon bezüglich Art. 12 und 14 EMRK, EGMR, 24.6.2010, n° 30141/04, Schalk and Kopf v. Austria, Rn. 108; EGMR, 21.7.2015, n° 18766/11; 36030/11, Oliari and others v. Italy, Rn. 193. 210 EGMR, 14.12.2017, n° 6431/12; 26742/12; 44057/12 und 60088/12, Orlandi and others v. Italy, Rn. 207 f. 211 EGMR, 14.12.2017, n° 6431/12; 26742/12; 44057/12 und 60088/12, Orlandi and others v. Italy, Rn. 209 f. 212 Ähnlich Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.103; Fulchiron, D. 2018, 446, 449 f.
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II. Durchsetzung über politisch aufgeladenes Kollisionsrecht als Mittelweg Noch sind hinsichtlich der gleichgeschlechtlichen Ehe mit dem Namensrecht vergleichbare Rahmenvorgaben des EU-Primärrechts nicht gesetzt. Die Zurückhaltung des EGMR macht es überdies schwer, aktuelle Prognosen für Anerkennungsgrundsätze in Drittstaatenfällen zu treffen. Letztere sind indes gerade für Frankreich, das aufgrund seiner Kolonialvergangenheit noch starke Verbindungen zu den nordafrikanischen Maghreb-Staaten pflegt, besonders relevant.213 In diesen Staaten ist das Familienrecht häufig muslimisch geprägtes religiöses Recht und die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe (gegebenenfalls sogar unter Strafe) verboten.214 Vor diesem Hintergrund wählen die nationalen Rechtsordnungen derzeit häufig noch einen anderen Weg: Vergleichbar zu der Problematik eingetragener Lebenspartnerschaften wird versucht, die Zirkulationsfähigkeit einer im Inland erlaubten gleichgeschlechtlichen Ehe mittels des nationalen Kollisionsrechts durch die zielorientierte Nutzung der verweisungsrechtlichen Anknüpfungsmethodik zu erreichen.215 Dies dient nicht nur dem Kontinuitätsinteresse der Betroffenen, sondern gleichzeitig dem rechtspolitischen Zweck der meisten nationalen Eheöffnungsgesetze, die gleichgeschlechtliche und gemischtgeschlechtliche Ehe vollumfänglich gleichzustellen.216 Das nationale IPR erhält infolgedessen einen offen politischen Charakter.217 Das sachrechtliche Ergebnis rückt in den Vordergrund, die an sich maßgebliche Koordinierungsfunktion des IPR im Sinne der Herstellung räumlicher Gerechtigkeit tritt in den Hintergrund.218 Der Staat macht sich damit das Kontinuitätsinteresse und das grundrechtliche Schutzbedürfnis des Einzelnen als Zielvorgabe der an sich abstrakten Kollisionsnormen zueigen.219 Die gleichgeschlechtliche Ehe wird somit zum Paradebeispiel einer Materialisierung des IPR220 und zeugt wie wenige andere Beispiele davon, wie die 213 Die gleichgeschlechtliche Ehe ist etwa in Algerien, Marokko und Tunesien untersagt, weiterhin kommen als ehemalige Kolonialgebiete beispielsweise Madagaskar, Kambodscha und Laos in Betracht, vgl. Fulchiron, Dr. fam. 2013, Doss. n° 9, 1, 3. 214 Ausführlich zum Konflikt mit den Ländern der muslimischen Rechtstradition Gannagé, JCP G. 12/2015, 525, 528 ff. 215 Aus rechtsvergleichender Perspektive Barrière Brousse, in: JCl. Dr. int.: Mariage, Conditions de fond, 2015, Rn. 37; kritisch zu dieser Zielsetzung schon bezüglich registrierter Lebenspartnerschaften Sonnenberger, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 787, 795. 216 Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 623. 217 de la Durantaye, IPRax 2019, 281, 282. 218 Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 234; Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 161. 219 Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1760; allgemeiner Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 757. 220 Siehe Jayme, Recueil des cours 251 (1995), 9, 44 ff.
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„zeitliche Relativität“221 der Grundwerte einer jeden Rechtsordnung das Ideal Savignys einer an sich abstrakt-neutralen Verweisungsmethodik herausfordert.222 Das französische und das deutsche Recht haben vor diesem Hintergrund in den letzten Jahren Kollisionsregeln eingeführt, welche die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare auf unterschiedliche Weise im IPR umsetzen. Während das französische Recht über Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. den Weg einer Sonderanknüpfung wählt (B.), assoziiert das deutsche Recht die gleichgeschlechtliche Ehe in Art. 17b Abs. 4 EGBGB mit der bereits etablierten Registeranknüpfung für eingetragene Lebenspartnerschaften (C.I.). Ein abschließender Vergleich der Modelle zeigt die funktionale Nähe der Lösungsansätze, die sich allerdings in ihrer rechtspolitischen Aussagekraft unterscheiden (C.II.).
B. Die französische Lösung: Die Sonderanknüpfung des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. Der französische Gesetzgeber hat im Jahr 2013 gleichzeitig zu der Öffnung des materiell-rechtlichen Ehebegriffs erstmals Kollisionsnormen geschaffen, die sich der Eheschließung widmen.223 Die Auslegung der neuen Vorschriften wird konkretisiert in dem ministeriellen Runderlass, der das Eheöffnungsgesetz begleitet (im Folgenden: Circulaire 2013).224 Art. 202-1 Abs. 1 C. civ. knüpft die materiellen Voraussetzungen einer Eheschließung für jeden der künftigen Ehegatten – unabhängig von ihrem Geschlecht – an die loi personnelle an:225 „Les qualités et conditions requises pour pouvoir contracter mariage sont régies, pour chacun des époux, par sa loi personnelle. Quelle que soit la loi personnelle applicable, le mariage requiert le consentement des époux, au sens de l’article 146 et du premier alinéa de l’article 180.“
Gemeint ist mithin das Heimatrecht, Anknüpfungspunkt ist die Staatsangehörigkeit der Nupturienten.226 Die Grundanknüpfung wird ergänzt durch den sachrechtlichen Hinweis, dass die Ehe unabhängig vom anwendbaren Recht die Zu221
Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1758. de la Durantaye, IPRax 2019, 281, 282; Gosselin-Gorand, LPA 2013, n° 133, 24. 223 Art. 1 des Eheöffnungsgsetzes (Fn. 188). 224 Circulaire du 29 mai 2013 de présentation de la loi ouvrant le mariage aux couples de personnes de même sexe (dispositions du Code civil), BOMJ n° 2013-05 du 31 mai 2013, NOR: JUSC1312445C. 225 Die Form der Eheschließung unterliegt in Frankreich dem Ortsrecht vgl. den ebenfalls 2013 eingeführten Art. 202-2 C. civ., auf den an dieser Stelle nicht näher einzugehen ist. 226 Panet, Dr. fam. 2013, Doss. n ° 29, 1, 2; zu dem Begriff der loi personnelle bereits S. 19. 222
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stimmung beider Ehegatten erfordert.227 Für gleichgeschlechtliche Paare sieht Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. indes eine Sonderregel vor: „Deux personnes de même sexe peuvent contracter mariage lorsque, pour au moins l’une d’elles, soit sa loi personnelle, soit la loi de l’Etat sur le territoire duquel elle a son domicile ou sa résidence le permet.“
Demzufolge ist die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner wirksam, solange zumindest das Heimatrecht, das Wohnsitz- oder Aufenthaltsrecht eines der Ehegatten die Eheschließung ermöglicht. Die methodische Einordnung der Norm ist umstritten (III.). Zunächst geben jedoch die Analyse von Entstehungsgeschichte (I.) und tatbestandlichen Voraussetzungen (II.) Aufschluss über ihre Funktionsweise. I. Entstehungsgeschichte und rechtspolitischer Hintergrund 1. Rechtslage vor 2013 Die Grundanknüpfung der materiellen Eheschließungsvoraussetzungen an die Staatsangehörigkeit im neuen Art. 202-1 Abs. 1 C. civ. kodifiziert erstmals diejenige Kollisionsregel, die zuvor von der Rechtsprechung der Cour de Paris im Fall Busqueta durch Verallseitigung des Art. 3 Abs. 3 C. civ. geschaffen worden war.228 Die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehepartner stellte bis dato im französischen IPR – ebenso wie nach wohl überwiegender Auffassung im deutschen Recht229 – ein zweiseitiges Ehehindernis dar, das die Anwendung des jeweils strikteren Heimatrechts und in aller Regel die Unwirksamkeit beziehungsweise Nichtigkeit der Ehe zur Folge hatte.230 Noch im Jahr 2007 statuierte die Cour de cassation in einem Grundsatzurteil, dass eine in Frankreich contra legem geschlossene Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts wegen Verstoßes gegen den französischen ordre public nichtig sei, solange zumindest ein(e) französische(r) Staatsangehörige(r) daran beteiligt sei.231 Das französische Recht sehe die Ehe allein als Verbindung von Mann und Frau an, worin weder ein Verstoß
227 Die Vorschrift bezweckt die Bekämpfung von Zwangsehen, vgl. Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 521.35. 228 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 722; zum Fall Busqueta bereits oben S. 42 ff. Das Haager Übereinkommen vom 14. März 1978 über die Eheschließung und die Anerkennung der Gültigkeit von Ehen hat Frankreich wie auch Deutschland nicht ratifiziert. 229 Hausmann, in: Internationales und Europäisches Familienrecht, 2018, Art. 13 EGBGB, Rn. 597. 230 Fulchiron, RDC 2006, 409, 425; Panet, Dr. fam. 2013, Doss. n ° 29, 1, 2. 231 Cass. civ. 1ère, 13.3.2007, n° 05-16.627.
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gegen die EMRK noch die EuGrCh zu sehen sei.232 Für den Fall, dass zwei nicht-französische Staatsangehörige, deren Heimatrecht diese Eheform anerkannte, die Ehe geschlossen hatten und sich in Frankreich auf bestimmte (etwa vermögensrechtliche) Wirkungen der im Ausland geschlossenen Ehe beriefen, war die Rechtslage indes nicht eindeutig. Auf Veranlassung mehrerer parlamentarischer Anfragen hin, hatte die Regierung die Anerkennung einer solchen im Ausland geschlossenene Ehe, zumindest aber ihrer vermögensrechtlichen Folgewirkungen, angedeutet.233 Gleichgeschlechtlichen Paaren blieb in Frankreich als rechtssichere Lösung allein die eingetragene Lebenspartnerschaft (PACS), die von Beginn an auch gleichgeschlechtlichen Paaren offenstand.234 2. Gesetzgebungsverfahren Mit der Zivilrechtsreform von 2013 geht der französische Gesetzgeber ein weiteres Mal nach dem bereits bekannten „Gießkannenprinzip“235 vor und kodifiziert im Zusammenhang mit der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Sachrecht eine entsprechende Kollisionsnorm. Eine im Einzelnen umstrittene Übergangsregelung sieht darüber hinaus die Anerkennung von Ehen vor, die bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes beschlossen wurden.236 a) Das belgische Recht als Vorbild Mit der Sonderanknüpfung der Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen in Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. verfolgt der französische Gesetzgeber ein klares rechtspolitisches Ziel: Die Wirksamkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe sollte im internationalen Kontext möglich umfassend sichergestellt sein und insbesondere französischen Staatsangehörigen den ungehinderten Zugang zur gleichgeschlechtlichen Ehe auch mit einem nicht-französischen Partner ermöglichen.237 232 Cass.
civ. 1ère, 13.3.2007, n° 05-16.627: „Mais attendu que, selon la loi française, le mariage est l’union d’un homme et d’une femme; que ce principe n’est contredit par aucune des dispositions de la Convention européenne des droits de l’homme et de la Charte des droits fondamentaux de l’Union européenne qui n’a pas en France de force obligatoire; […].“ 233 Rép. min. n° 16294, JO Sénat du 9 mars 2006, p. 722; Rép. min. n° 00886, JO Sénat du 24 janv. 2008, p. 161; näher dazu Panet, Dr. fam. 2013, Doss. n° 29, 1, 3. 234 Vgl. Art. 515-1 C. civ.: „Un pacte civil de solidarité est un contrat conclu par deux personnes physiques majeures, de sexe différent ou de même sexe, pour organiser leur vie commune.“ 235 S. o. S. 61. 236 Art. 21 des Eheöffnungsgesetzes (Fn. 188); ausführlich zur Kritik daran GodechotPatris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1760 f.; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 791 ff. 237 Vgl. die Circulaire 2013 (Fn. 224), S. 4, Unterpunkt 2.1.2.: „Cette disposition permet d’écarter la loi personnelle et célébrer le mariage entre personnes de même sexe, dès lors que
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Der zu diesem Zweck verabschiedete Wortlaut des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. wurde während des Gesetzgebungsverfahrens allerdings mehrfach modifiziert.238 Zwar sah ein (nicht veröffentlichter) Vorentwurf die Vorschrift bereits in ihrem finalen Wortlaut vor.239 In der von der Regierung im November 2012 eingebrachten Gesetzesvorlage lautete die Vorschrift jedoch noch folgendermaßen: „La loi personnelle d’un époux est écartée, sous réserve des engagements internationaux de la France, en tant qu’elle fait obstacle au mariage de deux personnes de même sexe, lorsque la loi de l’État sur le territoire duquel est célébré le mariage le permet.“240
Anstatt der klassischen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt, stellt diese Version auf das Recht am Ort der Eheschließung (lex loci celebrationis) ab. Darüber hinaus sollte Art. 202-1 Abs. 2 dem Regierungsentwurf zufolge nur unter explizitem Vorbehalt anderer völkerrechtlicher Abkommen Anwendung finden. Denn Frankreich pflegt zu einigen Staaten, welche die gleichgeschlechtliche Ehe nicht immer anerkennen, noch bilaterale Beziehungen mit Sondervereinbarungen zum Personalstatut.241 In der Regel gilt in diesen Abkommen noch uneingeschränkt das Staatsangehörigkeitsprinzip.242 Im Laufe der Anhörungen in der Assemblée Nationale wurde der Wortlaut der Vorschrift jedoch auf Veranlassung des parlamentarischen Berichterstatters Binet wieder in die Fassung des Vorentwurfes geändert. Binet nennt dafür zwei Gründe: Zum einen sei erforderlich, dass zu dem Staat, der die gleichgeschlechtliche Ehe autorisiere, eine „persönliche“ Verbindung im Sinne der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes oder Aufenthaltes in diesem Staat bestehe.243 Tatsächlich war bezüglich der Anknüpfung der Ehe an die lex loci celebrationis als ein von den Parteien unabhängiges Anknüpfungsmoment von der französischen l’un des futurs époux français ou a sa résidence en France.“ Ebenso Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1056; Gosselin-Gorand, LPA 2013, n° 133, 24, 25; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 775 f. Das Anliegen, auch nicht-französischen Partnern die Ehe in Frankreich zu ermöglichen, betont die dem Gesetzgebungsverfahren vorangegangene Studie zur Folgenabschätzung, so genannte Étude d’impact, novembre 2012, S. 23 (abrufbar unter , letzter Abruf: 8.7.2021). 238 Die umfassenden Materialien sind ebenfalls abrufbar unter: (letzter Abruf: 8.7.2021). 239 So Fulchiron, Dr. fam. 2013, Doss. n° 9, 1, 3. 240 Projet de loi ouvrant le mariage aux couples de personnes de même sexe, n° 344, déposé le 7 novembre 2012, S. 10. Ausführlich zu dieser Entwurfsfassung Sindres, LPA 2013, n° 24, 4 ff. 241 Darunter finden sich etwa Polen, einige Balkanstaaten sowie alte Kolonialgebiete vornehmlich in Nordafrika, vgl. die Auflistung der Cirulaire 2013 (Fn. 224), S. 4 f. 242 So etwa Art. 5 des französisch-marrokanischen Abkommens, dazu näher unten S. 124 ff. 243 Binet (Rapporteur), Dossier der Commission des lois vom 15.1.2013, CL 509, S. 51, abrufbar unter oben genannter Quelle in Fn. 238.
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Literatur befürchtet worden, sie provoziere einen „Ehetourismus“ für Paare ohne jegliche Verbindung zum französischen Recht.244 Zum anderen diene die Änderung, so Binet, der Vereinfachung der Vorschrift, die sich nun näher an ihrem Vorbild aus dem belgischen Recht orientiere.245 Tatsächlich schließt Art. 46 Abs. 2 des belgischen IPR-Gesetzes (C. dip. belge) die Anwendung des eigentlich zur Anwendung berufenen Rechts aus, wenn dieses die gleichgeschlechtliche Ehe verbietet, sofern einer der zukünftigen Ehegatten die Staatsangehörigkeit oder einen gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet eines die Ehe autorisierenden Staates besitzt: „L’application d’une disposition du droit désigné en vertu de l’alinéa 1er est écartée si cette disposition prohibe le mariage de personnes de même sexe, lorsque l’une d’elles a la nationalité d’un Etat ou a sa résidence habituelle sur le territoire d’un Etat dont le droit permet un tel mariage.“246
Das Erfordernis einer persönlichen oder räumlichen Nähe zu einer Rechtsordnung, welche die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt, hat Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. demnach vom belgischen Recht übernommen. Der schlussendlich verabschiedete Wortlaut der französischen und belgischen Vorschrift ist trotz allem nicht deckungsgleich, was im französischen Recht eine intensive Diskussion zu der methodischen Einordnung der Norm nach sich gezogen hat.247 b) Verfassungskonformität Die rechtspolitische Brisanz des Gesetzesvorhabens zur mariage pour tous führte überdies dazu, dass der französische Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens zu einer verfassungsrechtlichen Prüfung des Gesetzes angerufen wurde.248 Dabei wurde von den Beschwerdeführern, je 60 Abgeordnete der Nationalversammlung und Senatoren, unter anderem die Verfassungskonformität des Art. 202-1 C. civ. in Zweifel gezogen. Sie brachten vor, die in Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. verankerte Privilegierung der Wirksamkeit einer gleichgeschlechtlichen Ehe verstoße gegen das verfassungsrechtliche 244
So kritisch schon Fulchiron, Dr. fam. 2013, Doss. n° 9, 1, 2. Binet a. a. O. (Fn. 243). 246 Art. 46 Loi portant le Code de droit international privé du 16 juillet 2004; Zum belgischen Recht näher Carlier, Rev. crit. DIP 2005, 11, 31 f. 247 Dazu unten S. 119 ff. 248 C. C., 17.5.2013, DC n° 2013-669. Das abstrakte Normenkontrollverfahren ist in Art. 61 der französischen Verfassung vorgesehen und auf Antrag des Staatspräsidenten, des Premierministers, der Präsidenten der Nationalversammlung und des Sénat oder von je 60 Abgeordneten oder Senatoren zulässig. Näher dazu aus vergleichender Perspektive Marsch, in: Französisches und deutsches Verfassungsrecht, 2015, § 6, Rn. 30. 245
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Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz.249 Darüber hinaus provoziere sie einen Ehetourismus nach Frankreich, führe zu hinkenden Ehen und erhöhe die Gefahr von Scheinehen zur Umgehung des Staatsangehörigkeitsrechts, wodurch das Prinzip der Rechtssicherheit missachtet werde.250 Das Vorbringen der Abgeordneten blieb indes ohne Erfolg. Der Conseil constitutionnel sah die Prinzipien der Rechtssicherheit und der Gleichheit vor dem Gesetz durch Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. nicht verletzt. Ein Schutz vor missbräuchlichem Verhalten und daraus resultierendem Ehetourismus müsse durch die Gerichte im Einzelfall erfolgen.251 Darüber hinaus seien die gleichgeschlechtliche und die gemischtgeschlechtliche Ehe trotz ihrer gemeinsamen Grundanknüpfung an das Heimatrecht als Institutionen voneinander zu unterscheiden, womit die Ungleichbehandlung durch Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. gerechtfertigt sei.252 Art. 202-1 C. civ. stehe daher im Einklang mit der französischen Verfassung.253 Tatsächlich scheint das Ergebnis des Verfassungsrats auf den ersten Blick im Widerspruch zu der von dem französischen Eheöffnungsgesetz eigentlich bezweckten Gleichbehandlung hetero- wie homosexueller Partnerschaften zu stehen.254 Ein ähnliches Paradoxon findet sich im deutschen Recht, wo das Gesetz zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aufbaut, im IPR dann aber als Anknüpfung das kollisionsrechtlich günstigere Registerrecht gewählt wurde.255 Dem lässt sich entgegnen, dass der Unterschied zwischen gleich- und gemischtgeschlechtlicher Ehe, der die kollisionsrechtliche Ungleichbehandlung rechtfertigt, in ihrer grundlegend verschiedenen Anerkennung als zulässige Eheform überhaupt liegt. Eine ähnliche Privilegierung der gemischtgeschlechtlichen Ehen im IPR wäre nicht denkbar, da die Ehe zwischen Mann und Frau als „Regelfall“ in allen Rechtsordnungen anerkannt ist.256 Das nur die gleichgeschlechtliche Ehe treffende grundsätzliche Anerkennungsdefizit lässt damit schon die Gleichwertigkeit der kollisionsrechtlichen Sachlagen als Voraussetzung für eine Ungleichbehandlung fragwürdig erscheinen. Andererseits droht auch einer gemischtgeschlechtlichen Ehe aufgrund anderer Ehehindernisse ausländischer Heimatrechte im Wege der distributiven 249
C. C., 17.5.2013, DC n° 2013-669, Rn. 28. C. C., a. a. O. 251 C. C., 17.5.2013, DC n° 2013-669, Rn. 29; zustimmend Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 163. 252 C. C., 17.5.2013, DC n° 2013-669, Rn. 30. 253 C. C., 17.5.2013, DC n° 2013-669, Rn. 31. 254 So Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 164. 255 Vgl. Mankowski, IPRax 2017, 541, 543. Zur Verfassungskonformität von Art. 17b Abs. 4 EGBGB näher Hohloch, in: Erman BGB, 2017, Art. 17b EGBGB, Rn. 38; Repasi, in: Beck OGK, Stand: 1.10.2020, Art. 17b EGBGB, Rn. 819.6. 256 Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 164. 250
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Heimatrechtsanknüpfung des Art. 202-1 Abs. 1 C. civ. beziehungsweise Art. 13 Abs. 1 EGBGB die Unwirksamkeit.257 Die Frage der Verfassungskonformität gleichgeschlechtlicher Ehen kann im Rahmen dieser Arbeit freilich nicht abschließend beantwortet werden. Das Urteil des Conseil constitutionnel belegt gleichwohl, wie stark die Grundrechtssensibilität des Themas auf das IPR ausstrahlt. Im Folgenden wird die Verfassungskonformität der deutschen wie französischen Rechtslage vorausgesetzt. II. Funktionsweise der Norm 1. Geltungsbereich Art. 202-1 C. civ. gilt für die kollisionsrechtliche Beurteilung in Frankreich geschlossener Ehen, die ein grenzüberschreitendes Element aufweisen, ebenso wie für die (kollisionsrechtliche) Anerkennung258 im Ausland geschlossener Ehen. Angesichts der distributiven Anwendung der Heimatrechte beider Ehegatten nach Art. 202-1 Abs. 1. berücksichtigt Abs. 2 der Vorschrift, dass es bei der Anwendung eines Heimatrechts, das die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner nicht kennt, zu einem unüberwindbaren Ehehindernis käme. Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. erklärt die gleichgeschlechtliche Ehe entgegen diesem Hindernis für wirksam. Anders als die Kollisionsnorm für eingetragene Lebenspartnerschaften (Art. 5157-1 C. civ.) erfasst Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. nur die Begründung und Wirksamkeit einer gleichgeschlechtlichen Ehe, nicht jedoch die Ehewirkungen. Für die nicht-vermögensrechtlichen Ehewirkungen außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Sekundärrechtsakte gilt deswegen weiterhin die Rivière-Rechtsprechung.259 2. Persönliche oder räumliche Nähe zu einer die Ehe erlaubenden Rechtsordnung Kernelement des Tatbestandes von Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. ist, ähnlich dem belgischen Vorbild des Art. 46 Abs. 2 C. dip. belge, dass zumindest einer der künftigen Ehegatten eine persönliche oder räumliche Nähe zu einer Rechtsordnung hat, welche die gleichgeschlechtliche Ehe autorisiert. Diese Nähebeziehung wird 257
Kritisch deswegen Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 165. hierfür bedarf es im französischen Recht noch immer einer Nachprüfung anhand des französischen Kollisionsrechts insoweit keine anerkennungsfähige ausländische Gerichtsentscheidung vorliegt, vgl. Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 790; Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 624. 259 Im Einzelnen dazu Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1761 ff. Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 796 ff. 258 Auch
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entweder durch die Staatsangehörigkeit (a.) oder durch den Wohnsitz (domicile) oder Aufenthalt (résidence) (b.) konkretisiert. a) Staatsangehörigkeit eines Ehegatten Das persönliche Element der Staatsangehörigkeit verhilft der gleichgeschlechtlichen Ehe immer dann zur Wirksamkeit, wenn eine der Heimatrechtsordnungen der Ehegatten die Ehe zulässt.260 Besonders relevant wird diese Alternative für Fälle, in denen ein Partner die französische Staatsbürgerschaft besitzt, sein künftiger Ehepartner aber einem Staat angehört, der die gleichgeschlechtliche Ehe nicht anerkennt. Die Möglichkeit, die gleichgeschlechtliche Ehe trotz dieses Hindernisses einzugehen, ist damit für französische Staatsangehörige stets sichergestellt. Unterstützt wird diese Wirkung der Norm durch eine ebenfalls 2013 eingeführte Kompetenzerweiterung des französischen Standesbeamten in Art. 171-9 C. civ.261 Diese Vorschrift ermöglicht es französischen Standesbeamten in Kombination mit Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. die gleichgeschlechtliche Ehe zwischen Partnern zu schließen, die zwar weder ihren Wohnsitz noch ihren Aufenthalt auf dem französischen Territorium haben, von denen aber zumindest einer die französische Staatsbürgerschaft besitzt. Anders gewendet haben so Franzosen, die dauerhaft in einem Land leben, das die gleichgeschlechtliche Ehe nicht kennt, die Möglichkeit, die Ehe zumindest auf französischem Territorium einzugehen.262 Das gesetzgeberische Ziel der umfassenden Garantie des Zugangs zur gleichgeschlechtlichen Ehe für jeden französischen Staatsangehörigen wird mithin selbst für im Ausland lebende Staatsbürger erreicht.263 Ausreichend ist aufgrund der Allseitigkeit der Anknüpfung indes auch jede andere Staatsangehörigkeit, wie etwa die deutsche, solange dieser Staat die Eheschließung ermöglicht. Methodisch kommt die Regel letztlich einer Umkehr des bis dato gültigen Grundsatzes bei zweiseitigen Ehehindernissen gleich: galt zu260 Bei doppelter oder mehrfacher Staatsangehörigkeit gilt auch im französischen IPR der Vorrang der französischen Staatsangehörigkeit, s. o. Fn. 69. 261 Art. 171-9 C. civ.: „Par dérogation aux articles 74 et 165, lorsque les futurs époux de même sexe, dont l’un au moins a la nationalité française, ont leur domicile ou leur résidence dans un pays qui n’autorise pas le mariage entre deux personnes de même sexe et dans lequel les autorités diplomatiques et consulaires françaises ne peuvent procéder à sa célébration, le mariage est célébré publiquement par l’officier de l’état civil de la commune de naissance ou de dernière résidence de l’un des époux ou de la commune dans laquelle l’un de leurs parents a son domicile ou sa résidence établie dans les conditions prévues à l’article 74. A défaut, le mariage est célébré par l’officier de l’état civil de la commune de leur choix. […].“ 262 Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 181; Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1757 f. 263 Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 780 f.
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vor wie im deutschen IPR die Anwendung des strengeren Rechts, so gilt nun im Fall der Gleichgeschlechtlichkeit der Ehegatten der Grundsatz der Anwendung des weniger strengen Rechts.264 b) Wohnsitz oder Aufenthalt eines der Ehegatten Als räumliche Verbindungselemente lässt Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. den Wohnsitz oder Aufenthalt eines der Ehegatten in einem die Ehe autorisierenden Staat ausreichen. Besonders relevant wird diese Alternative für Situationen, in denen keiner der beiden Ehepartner die französische Staatsbürgerschaft besitzt und beide Heimatrechte die Verschiedengeschlechtlichkeit als Voraussetzung der Eheschließung postulieren. Für diese Fälle ist die Eingehung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Frankreich gleichwohl möglich, solange zumindest einer der Partner seinen Wohnsitz oder Aufenthalt auf französischem Territorium hat. Wie die Begriffe des Wohnsitzes und des Aufenthaltes in diesem Zusammenhang auszulegen sind, ist nicht eindeutig geklärt. Auf den ersten Blick scheint der kollisionsrechtliche Charakter der Vorschrift darauf hinzuweisen, dass es sich um die klassischen kollisionsrechtlichen Anknüpfungskriterien des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthaltes handelt.265 Dies entspräche dem Wortlaut der belgischen Schwestervorschrift.266 Hingegen verweist die Circulaire 2013 auf eine faktische Auslegung des Begriffs nach französischem Sachrecht. Demnach steht die Anwendung des Art. 202-1 Abs. 2 unter der Bedingung, dass die Voraussetzungen des Art. 74 C. civ. erfüllt sind.267 Bei Art. 74 C. civ. handelt es sich um eine, ebenfalls 2013 neu gefasste, allgemeine Vorschrift über die örtliche Zuständigkeit für Eheschließungen. Danach sind die Standesämter französischer Gemeinden immer dann örtlich zuständig, wenn einer der Ehegatten oder einer seiner Eltern seinen Wohnsitz oder Aufenthalt seit mindestens einem Monat durchgehend in dieser Gemeinde hat.268 Gemeint ist an dieser Stelle der materiell-rechtliche Wohnsitz264 Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 521.54; Panet, Dr. fam. 2013, Doss. n° 29, 1, 2. 265 So noch Fulchiron, Dr. fam. 2013, Doss. n° 9, 1, 2. 266 Dazu oben S. 109 f. 267 Circulaire 2013 (Fn. 224), S. 4, unter Punkt 2.1.2: „Pour l’application de cette règle, les conditions posées par l’article 74 du Code civil doivent être remplies: le mariage ne pourra donc être célébré que si les futurs époux ou l’un d’eux ou l’un de leurs parents (cf 2.2) a son domicile ou sa résidence, en France, dans la commune de célébration, établie par un mois au moins d’habitation continue à la date de publication des bans.“ 268 Art. 74 C. civ.: „Le mariage sera célébré, au choix des époux, dans la commune où l’un d’eux, ou l’un de leurs parents, aura son domicile ou sa résidence établie par un mois au moins d’habitation continue à la date de la publication prévue par la loi.“
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begriff im Sinne der Definition des Art. 102 C. civ.269 und nicht etwa der kollisionsrechtliche Wohnsitz der Rivière-Rechtsprechung270. Der Aufenthalt meint mangels anderweitiger Legaldefinition den schlichten Aufenthalt von mindestens einem Monat Dauer.271 Schon vor der Eherechtsreform hatte die Dienstanweisung für Standesbeamte (IGEC) in diesem Zusammenhang präzisiert, dass an den Wohnsitz und den Aufenthalt im Rahmen der standesamtlichen Zuständigkeit sehr geringe Anforderungen zu stellen seien.272 Eine nur vorübergehende Begründung des Wohnsitzes am gewählten Ort allein zum Zwecke der Eheschließung stehe dem nicht entgegen.273 Die gesetzgeberische Intention und der ministerielle Runderlass sprechen folglich stark für eine sachrechtliche Auslegung der Begrifflichkeiten in Art. 202-1 Abs. 2 C. civ.274 Nur vereinzelt wird eine unterschiedliche Interpretation der Begriffe im jeweiligen Regelungszusammenhang für möglich gehalten.275 Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. stellt infolgedessen wesentlich geringere Anforderungen an den Wohnsitz und den Aufenthalt einer Person als in der kollisionsrechtlichen Interpretation der Begrifflichkeiten üblich wäre.276 Insbesondere kommt es nicht auf eine Effektivität der Niederlassung oder einen Bleibewillen der künftigen Ehegatten an. Das kollisionsrechtliche Paradigma der engsten Verbindung wird durch diese Lesart freilich in hohem Maße verwässert.277 Zurecht ist die Verknüpfung von Kollisionsnorm und sachrechtlicher Zuständigkeit daher von 269 Art. 102
C. civ.: „Le domicile de tout Français, quant à l’exercice de ses droits civils, est au lieu où il a son principal établissement. […].“ 270 Dazu S. 55 ff. 271 Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1070; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 778. 272 IGEC (Fn. 112), § 392: „[…] Il résulte de ces textes que si le mariage doit être célébré dans la commune où l’un des futurs époux a son domicile, au sens juridique du terme (voir art. 102 et no. 122), aucune condition de durée de ce domicile ou d’habitation effective dans ce lieu n’est exigée […] Il est cependant souhaitable que l’officier de l’état civil adopte une attitude libérale en ce qui concerne la détermination du domicile ou de la résidence, notamment lorsque les intérêts professionnels, financiers, ou affectifs d’une personne sont répartis entre plusieurs lieux. […].“ 273 IGEC, a. a. O.: „[…] L’habitation peut d’ailleurs être essentiellement temporaire: rien ne s’oppose à ce qu’elle soit choisie uniquement en vue du mariage.“ 274 Diesen Eindruck bestätigen die Äußerungen des Berichterstatters und Senators Michel, vgl. ders. Rapport n° 437 (2012–2013) fait au nom de la commission des lois, déposé le 20 mars 2013, S. 55, abrufbar auf der Seite des Sénat : (letzter Abruf: 8.7.2021). Dem schließt sich die Literatur überwiegend an, vgl. Boiché, AJ Fam. 2013, 362, 363; Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1069 f.; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 778 f. 275 Siehe etwa Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 179. 276 Ebenso Fulchiron, Dr. fam. 2013, Doss. n° 9, 1, 2; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 784. 277 Ähnlich Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1759.
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einem Teil der französischen Literatur kritisiert worden, der einen Ehetourismus nach Frankreich befürchtete.278 Diese Kritik war zwar zuvor bereits gegen den Gesetzesentwurf der Regierung vom November 2012 in Stellung gebracht worden, der als Anknüpfung noch das Recht am Ort der Eheschließung vorsah.279 Eine im kollisionsrechtlichen Sinn „engere“ Verbindung schafft Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. in seiner heute gültigen Fassung indes nicht notwendigerweise. Denn zwischen der in der Entwurfsfassung vorgesehenen Anknüpfung an die lex loci celebrationis, die im französischen Recht ebenfalls von der (territorialen) Zuständigkeit des Standesbeamten abhängig ist,280 und den in der vorstehenden Weise denkbar weit verstandenen territorialen Kriterien des Wohnsitzes beziehungsweise Aufenthaltes besteht kein allzu großer Unterschied.281 Dem französischen Gesetzgeber scheint es mithin weniger auf die kollisionsrechtliche Kohärenz der Vorschrift anzukommen als auf die sachrechtliche Zielsetzung. Im Gegensatz dazu positioniert sich das belgische Vorbild des Art. 46 Abs. 2 C. dip. belge klar kollisionsrechtlich und verlangt einen gewöhnlichen Aufenthalt (résidence habi tuelle) als Verbindungselement.282 Die tatsächliche Auslegung der Anknüpfungen des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. durch die französische Rechtspraxis darf vor diesem Hintergrund mit Spannung erwartet werden. 3. Zwischenfazit: Wirkungen des extensiven Anwendungsbereichs Der extensive Anwendungsbereich von Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. zieht aus französischer Sicht eine umfassende Wirksamkeitserstreckung der gleichgeschlechtlichen Ehe im grenzüberschreitenden Kontext nach sich. Dabei ist danach zu differenzieren, ob die gleichgeschlechtliche Ehe im französischen In- oder im Ausland geschlossen wurde. a) Im Inland zu schließende Ehe Für Franzosen und andere Staatsangehörige von Staaten, die die gleichgeschlechtliche Ehe anerkennen, garantiert Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. die Möglichkeit der Eheschließung in Frankreich unabhängig vom Heimatrecht des zukünf278 Boiché, AJ Fam. 2013, 362; Fulchiron, Dr. fam. 2013, Doss. n° 9, 1, 2 f.; Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1759; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773; a. A. Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 179 f.; Panet, Dr. fam. 2013, Doss. n ° 29, 1, 2 f. 279 S. o. S. 109 f.; vgl. zur Kritik damals Fulchiron, Dr. fam. 2013, Doss. n° 9, 1, 2; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 783. 280 Siehe Art. 165 und Art. 74 C. civ. 281 Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1759; Khairallah, in: Mélanges Audit, 2014, S. 485, 488 f., 491. 282 S. o. S. 111.
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tigen Ehegatten.283 Dies gilt sogar für im Ausland lebende Paare, solange einer der Ehegatten die französische Staatsbügerschaft besitzt.284 Für Ehepaare ohne Zugehörigkeit zu einem autorisierenden Staat bietet die Verbindung von Kollisionsrecht und sachrechtlicher Zuständigkeit der französischen Standesbeamten ebenfalls weitgehende Möglichkeiten die Ehe bei nur geringer räumlicher Verbindung zu Frankreich dort einzugehen. Die Gefahr einer hinkenden Ehe wegen ihrer Nichtanerkennung im Heimatoder Aufenthaltsstaat eines der Ehegatten wird dabei zur Durchsetzung der eigenen Rechtsvorstellungen jedenfalls auf dem eigenen Boden bewusst in Kauf genommen.285 Die Circulaire 2013 enthält in diesem Zusammenhang einen schlichten Hinweis darauf, dass der Standesbeamte die Pflicht habe, die Ehegatten auf die potenzielle Nicht-Anerkennung der Ehe im Ausland hinzuweisen.286 b) Im Ausland geschlossene Ehe Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. gilt in Ermangelung eines vereinfachten Anerkennungsverfahrens auch für die Anerkennung im Ausland geschlossene Ehen in Frankreich.287 Auch wenn die Circulaire 2013 nicht explizit auf die Anerkennungsfälle eingeht, dürfte ein Großteil der im Ausland geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehen in Frankreich künftig anerkannt werden.288 Dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm allerdings in erster Linie Inlandsfälle vor Augen hatte, erweist sich hier in zweifacher Hinsicht als problematisch: Die Sachrechtsorientierung der Begriffe des Wohnsitzes und des Aufenthaltes in Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. kann nicht einfach auf die Beurteilung der Begrifflichkeiten in derjenigen fremden Rechtsordnung übertragen werden, in der die Ehe im Ausland geschlossen wurde. Gerade die Verbindung mit der Vorschrift zu der örtlichen Zuständigkeit des französischen Standesbeamten (Art. 74 C. civ.) ist hier unpassend.289 Da jedoch die französische sachrechtliche Auslegung des 283
Eine detaillierte Auflistung aller denkbaren Fallkonstellationen findet sich bei Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1074. 284 S. o. S. 114 f. 285 Kritisch Bourdelois, in: Rép. dr. int.: Mariage, 2019, Rn. 23; Gosselin-Gorand, LPA 2013, n° 133, 24, 27. 286 Circulaire 2013 (Fn. 224), S. 5, unter Punkt 2.1.3: „Lorsqu’un mariage sera célébré pour un ressortissant étranger, par l’application de la règle de conflit de lois, il ne sera généralement pas reconnu par le pays d’origine de celui-ci. […] Il importe donc que l’officier de l’état civil appelle l’attention des intéressés sur la possibilité de non- reconnaissance de leur mariage à l’étranger.“ 287 Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1087; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 789 f. 288 Panet, Dr. fam. 2013, Doss. n ° 29, 1, 4; Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 625. 289 Kritisch deshalb Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1087.
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Wohnsitzes und des Aufenthalts deutlich weiter geht als die übliche (kollisionsrechtliche) Interpretation des Wohnsitz- beziehungsweise Aufenthaltsbegriffs, werden sich hieraus in der Rechtspraxis wohl kaum Anwendungsprobleme ergeben. III. Methodische Einordnung Während Art. 202-1 Abs. 1 C. civ. mit der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit dem klassischen Bild einer allseitig-neutralen Kollisionsnorm nach Savignyschem Vorbild entspricht, bereitet die methodische Einordnung des Abs. 2 einige Schwierigkeiten.290 Das Vorgehen des französischen Gesetzgebers sieht sich diesbezüglich heftiger Kritik vonseiten der international-privatrechtlichen Literatur in Frankreich ausgesetzt, die in ihrer Vehemenz mit der Methodenkritik an den Reformen der 1970er Jahre vergleichbar ist.291 Im Vordergrund der Kritik steht die Tatsache, dass Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. zwar seiner konzeptionellen Struktur nach im Gewande einer echten Verweisungsnorm auftritt, mit Blick auf seine fehlende Ergebnisneutralität und die Auslegungskriterien aber eine erhebliche sachrechtliche Prägung aufweist. Vor diesem Hintergrund werden hauptsächlich zwei Einordnungen diskutiert: Man könnte Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. als eine Art internationale Sachnorm verstehen (1.) oder aber als Sonderform eines speziellen ordre public-Vorbehalts (2.). Die Frage der methodischen Einordnung der Norm ist dabei nicht nur rechtstheoretischer Natur. Ihre Beantwortung lässt zum einen wertvolle Rückschlüsse auf die ideologischen Wertungen zu, die der Entwicklung des Verweisungsrechts des statut personnel derzeit zugrunde liegen.292 Zum anderen ist die Unterscheidung zwischen materiell geprägter Kollisionsnorm und ordre public-Vorbehalt auch für die Rechtspraxis relevant: Verstünde man Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. als Verweisungsnorm, so ersetzte sie die Regelanknüpfung der Ehe an das Heimatrecht nach Art. 202-1 Abs. 1 C. civ. für gleichgeschlechtliche Partner vollumfänglich, das heißt auch in Hinsicht auf weitere materielle Eheschließungsvoraussetzun290 Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1757; sehr kritisch aus diesem Grund Khairallah, in: Mélanges Audit, 2014, S. 485, 495. 291 S. o. S. 60 ff.; Besonders plastisch sind etwa die Schlussfolgerungen von Boiché, AJ Fam. 2013, 362: „[…] le législateur […] a démontré son incapacité de légiférer en matière des conflits de lois. […] les nouvelles dispositions montrent une totale méconnaissance des relations privées internationales et de leur nécessaire équilibre.“ sowie Vignal, JDI 2015, 613, 621: „[…] l’ivresse idéologique du législateur […].“ ähnlich kritisch Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 160 f.; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 775; Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 572. Khairallah, in: Mélanges Audit, 2014, S. 485, 495; VareillesSommières in Boden/Bollée/Haftel/Hammje/Vareilles-Sommières, Rev. crit. DIP 2015, 400, 409. 292 Dazu im Einzelnen noch unten S. 197 ff.
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gen abseits des Geschlechts der Nupturienten. Betrachtete man die Vorschrift hingegen als speziellen ordre public-Vorbehlt, so durchbräche sie die Grundanknüpfung an die Staatsangehörigkeit nach Art. 202-1 Abs. 1 C. civ. allein für das spezifische Kriterium des Geschlechts der Nupturienten, nicht aber für alle anderen materiellen Eheschließungsvoraussetzungen. 1. Kollisionsnorm mit sachrechtlichen Elementen oder internationale Sachnorm Einige Stimmen der französischen Literatur bezeichnen Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. als règle matérielle internationale,293 als eine Art internationale Sachnorm. Der französische Terminus umfasst dabei nicht nur internationales Einheitsrecht als supranationales Recht, sondern auch Normen des nationalen Rechts, die exklusiv für internationale Sachverhalte gelten.294 Es handelt sich also um eine Form des „nationalen Sonderrechts für Auslandsfälle“295. Ein nahezu fließender Übergang besteht zu einer weiteren Ansicht, die in der Vorschrift eine Kollisionsnorm mit materiell-rechtlicher Einfärbung sieht.296 Die Alternativanknüpfung an Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und Aufenthalt zugunsten der materiell-rechtlichen Wirksamkeit der Ehe sei Ausdruck eines verweisungsrechtlichen Günstigkeitsprinzips.297 Im Gegensatz zur klassischen Kollisionsnorm mit Alternativanknüpfung werde allerdings nicht nur eine Koordination verschiedener Rechtsordnungen vorgenommen, sondern bereits auf Verweisungsebene das sachrechtliche Ergebnis eines eigentlich nicht anwendbaren Statuts im Tatbestand berücksichtigt.298 So sei auch bei Art. 202-1 Abs. 2 C . civ. die materiell-rechtlich erwünschte Rechtsfolge der Zulässigkeit der Ehe schon als tatbestandliche Voraussetzung in die Norm selbst integriert.299 Beiden Auffassungen ist zuzugeben, dass in der schlussendlich Gesetz gewordenen Formulierung des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. das Wort „écartée“ im Gegen293 Bourdelois, in: Rép. dr. int.: Mariage, 2019, Rn. 21; Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 175; Lequette, Recueil des cours 387 (2016), 9, 550; Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 572. 294 Näher zur französischen Terminologie Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 541 ff. 295 Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht, 2006, § 12 II, S. 101. 296 Die Terminologie ist nicht ganz einheitlich, vgl. etwa Barrière Brousse, in: JCl. Dr. int.: Mariage, Conditions de fond, 2015, Rn. 35 („technique des règles de conflit à coloration substantielle“); unentschieden Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 773. 297 So z.B Boden in Boden/Bollée/Haftel/Hammje/Vareilles-Sommières, Rev. crit. DIP 2015, 400, 403: „rattachement alternatif in favorem validitatis matrimonii“; Godechot-Patris/ Guillaumé, D. 2013, 1756, 1759; Schmitt, JCP N. 2013, n° 24–25, 1165, Rn. 20. 298 Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 175; Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 144 f. 299 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 723.
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satz zum Wortlaut des belgischen Vorbildes in Art. 46 Abs. 2 C. dip. belge nicht mehr auftaucht. Die Norm scheint anders als ein klassischer ordre public-Vorbehalt nicht die Abwehr eines konkreten, sachrechtlich unerwünschten Ergebnisses zu bezwecken, sondern vielmehr darauf abzuzielen, ein explizit erwünschtes Ergebnis durch eine Art Günstigkeitsprüfung herbeizuführen. Strukturell ließe sich eine Parallele zu Art. 311-17 C. civ. im Internationalen Abstammungsrecht ziehen.300 Danach ist jede Vaterschafts- oder Mutterschaftsanerkennung wirksam, die entweder in Übereinstimmung mit dem Heimatrecht des oder der Vornehmenden oder dem Heimatrecht des Kindes vorgenommen wurde.301 Die Norm wird in der französischen Doktrin ebenfalls als Ausprägung einer internationalen Sachnorm beziehungsweise als Kollisionsnorm mit materieller Zielsetzung interpretiert.302 Gemein ist beiden Auffassungen außerdem, dass sie den Fokus auf das der kollisionsrechtlichen Verweisung vorgeschaltete sachrechtliche Element des Wirksamwerdens der Ehe kraft „Erlaubnis“ durch eine der autorisierenden Rechtsordnungen legen, die eine persönliche oder räumliche Verbindung zu dem Sachverhalt haben. Liest man die Vorschrift hingegen als speziellen ordre publicVorbehalt, liegt der Schwerpunkt der methodischen Analyse in der Abwehr des prohibitiven Rechts durch die Verweisung auf eine (von mehreren möglichen) autorisierende Rechtsordnung als Rechtsfolge. 2. Ordre public-Vorbehalt mit verweisungsrechtlichen Elementen Mit Blick auf Entstehungsgeschichte und rechtspolitisches Anliegen des Art. 2021 C. civ. erscheint es indes überzeugender, die Vorschrift als besonderen ordre public-Vorbehalt zu klassifizieren.303 Zwar ordnet sich ihr hybrider Charakter zwischen sach- und verweisungsrechtlicher Formulierung nicht ohne Weiteres in die klassische ordre public-Dogmatik ein (a).304 Die methodischen Abweichungen lassen sich indes durch Entstehungsgeschichte und Telos der Regelung erklären (b), was nicht zuletzt ein Aufsehen erregendes Urteil der Cour de cassation aus dem Jahr 2015 bestätigt (3.).
300 So etwa Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1759; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 785. 301 Art. 311-17 C. civ.: „La reconnaissance volontaire de paternité ou de maternité est valable si elle a été faite en conformité, soit de la loi personnelle de son auteur, soit de la loi personnelle de l’enfant.“ 302 Godechot-Patris, in: JCl. Dr. int.: Établissement de la filiation, 2018, Rn. 78 m. w. N. 303 Im Ergebnis ebenso Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1066 f.; ders., in: JCl. Dr. int.: Synthèse – Famille, 2020, Rn. 16; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 785; Panet, Dr. fam. 2013, Doss. n° 29, 1, 2. 304 Eindrücklich Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1067.
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a) Abweichungen von der klassischen ordre public-Dogmatik Aus rechtspraktischer Sicht lässt sich in der vorliegenden Konzeption der beiden Absätze von Art. 202-1 C. civ. nur schwerlich von einem für die ordre publicMethodik charakteristischen Regel-Ausnahmeverhältnis sprechen.305 Die Anwendung des Abs. 2 dürfte für gleichgeschlechtliche Ehen die Regel und nicht die Ausnahme sein, solange eine Mehrzahl der Rechtsordnungen eine gleichgeschlechtliche Ehe noch nicht anerkennt.306 Auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite entspricht die Norm ebenfalls nicht der traditionellen Struktur einer ordre public-Klausel. So setzte ein klassischer ordre public-Vorbehalt einen Bezug des Sachverhaltes zum Forumstaat, nach deutscher Terminologie einen Inlandsbezug, voraus.307 Ganz ähnliche Voraussetzungen finden sich im französischen Recht unter dem Begriff des ordre public de proximité.308 Im Gegensatz zu seinem belgischen Vorbild nimmt Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. indes als Verbindungselement, das den Ausnahmetatbestand auslöst, gleich auf das Recht mehrerer Staaten Bezug. Kennt deren Recht das Institut der gleichgeschlechtlichen Ehe, beruft die Norm diese Rechtsordnung anstelle der nach Art. 202-1 Abs. 1 berufenen lex causae zur Anwendung und nicht etwa die französische lex fori. Auch wenn der Bezug am häufigsten zur französischen Rechtsordnung bestehen wird, zielt die allseitige Formulierung bewusst nicht allein auf die lex fori, sondern umfassend auf jede persönliche oder räumliche Verbindung zu einer Rechtsordnung, welche die Grundwerte des diskriminierungsfreien Ehezugangs mit dem französischen Recht teilt.309 Der in der Regel unilateral wirkende ordre public erhält so ein neutraleres verweisungsrechtliches Element.310 Über die konkrete Rechtsfolge seiner Anwendung schweigt Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. allerdings ebenso wie die zugänglichen Gesetzgebungsmaterialien. Der Wortlaut impliziert gleichwohl, dass es sich nicht wie üblicherweise beim ordre public um eine Ergebniskontrolle im Einzelfall zur Abwehr als grundrechtswidrig empfundener Rechtsvorstellungen handelt, sondern vielmehr um die abstraktpo sitive Verwirklichung der eigenen, als grundrechtskonform empfundenen Rechtsvorstellungen.311 305
Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 784. deswegen Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 176; Khairallah, in: Mélanges Audit, 2014, S. 485, 491. 307 Ähnlich Sindres, LPA 2013, n° 24, 4 f. 308 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 394; zum Ganzen noch näher unten S. 202 ff. 309 Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1759. 310 Devers/Farge, Dr. fam. 3/2015, Comm. n° 63, 1, 2. 311 Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1067. 306 Kritisch
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b) Entstehungsgeschichte und Telos als Ursache Wenngleich Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. in mehrfacher Hinsicht von der klassischen ordre public-Dogmatik abweicht, stützen die entstehungsgeschichtlichen Umstände sowie Sinn und Zweck der Regelung die Einordnung als speziellen ordre public-Vorbehalt. So erfolgte die Änderung im Wortlaut, die zur Auslassung des Wortes „écarter“ und infolgedessen zur heute vorliegenden positiven Formulierung („Deux personnes […] peuvent contracter mariage […].“ Hervorh. d. Verf.) führten, während des Gesetzgebungsverfahrens den Materialien zufolge allein aus Gründen der Vereinfachung und der Annäherung an die belgische Schwestervorschrift.312 Die methodische Einordnung der belgischen Norm als ordre public-Vorbehalt ist hingegen unstreitig.313 Im Vordergrund der Änderungsanträge von Nationalversammlung und Senat stand vielmehr die nach Ansicht des Berichterstatters Binet verfehlte Anknüpfung der Ausnahmeregel an die lex loci celebrations in der Entwurfsfassung des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ.314 Auch die Circulaire 2013 behält schließlich die ursprüngliche Wortwahl des Regierungsentwurfes bei.315 Zudem ist die Vorschrift unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Reformbestrebungen des französischen Gesetzgebers als Ausnahme und nicht als Regelanknüpfung konstruiert: Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. soll über ein gegebenenfalls nach der Anwendung des Staatsangehörigkeitsprinzips des Abs. 1 entstandenes Ehehindernis der Gleichgeschlechtlichkeit der Partner hinweghelfen, ohne dass gleichzeitig auch alle anderen Eheschließungsvoraussetzungen der Sonderanknüpfung des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. unterlägen. Dies dient dem omnipräsenten Zweck des Eheöffnungsgesetzes, das Recht auf Eingehung einer Ehe unabhängig vom Geschlecht im internationalen Kontext durchzusetzen. Wäre die Vorschrift eine (internationale) Sachnorm, so setzte sie überdies die Anwendbarkeit des französischen Rechts voraus.316 Die Problematik, die Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. aufgreift, rührt jedoch gerade daher, dass das französische Recht nach Art. 202-1 Abs. 1 C. civ. nicht anwendbar ist.
312 Vgl. die Begründung des parlamentarischen Berichterstatters Binet, Dossier der Commission des lois vom 15.1.2013, S. 52, CL 509 (Fn. 243). 313 Carlier, Rev. crit. DIP 2005, 11, 31. 314 Binet, Dossier der Commission des lois vom 15.1.2013, S. 52, CL 509 (Fn. 243). Dazu schon ausführlich S. 109 ff. 315 Circulaire 2013 (Fn. 224), S. 4, Unterpunkt 2.1.2.: „Cette disposition permet d’écarter la loi personnelle et célébrer le mariage entre personnes de même sexe […].“ Hervorh. d. Verf. 316 Vgl. die entsprechende Ausgestaltung des Art. 48 EGBGB im deutschen Recht, S. 93 ff.
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
3. Entscheidung der Cour de cassation von 2015 Neben den entstehungsgeschichtlichen und teleologischen Aspekten unterstreicht ein Aufsehen erregendes Urteil der Cour de cassation aus dem Jahr 2015317 den ordre public-Charakter des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. a) Sachverhalt Dieser und der vorinstanzlichen Entscheidung des Berufungsgerichts von Chambéry318 lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein französischer und ein marokkanischer Staatsbürger, beide in Frankreich wohnhaft, wollten dort die Ehe eingehen. Es stellte sich für den zuständigen französischen Standesbeamten die Vorfrage, ob die Eheschließungsvoraussetzungen für die Nupturienten vorlägen. Zwischen Frankreich und Marokko gilt für das Personalstatut seit 1981 ein bilateraler Staatsvertrag (CFM),319 dessen Art. 5 das jeweilige Heimatrecht der künftigen Ehegatten zur Anwendung beruft.320 Gleichzeitig behält Art. 4 derselben Konvention jedem Staat die Anwendung des eigenen Rechts vor, sofern das fremde Recht mit dem nationalen ordre public offensichtlich unvereinbar ist.321 In Marokko ist die Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts nicht anerkannt; Art. 489 des marokkanischen Strafgesetzbuches stellt homosexuelle Beziehungen unter Strafe.322 Die französische Staatsanwaltschaft legte deswegen im September 2013 Widerspruch gegen die Heirat ein.323 Nach Art. 55 der französischen Verfassung (CF)324 sei das französisch-marokkanischen Abkommen ein höherrangiger völkerrechtlicher Vertrag, 317
Cass. civ. 1ère, 28.1.2015, n° 13-50.059. CA Chambéry, 22.10.2013, n° 13/02258, D. 2013, 2576. 319 Convention entre la république française et le royaume du Maroc relative au statut des personnes et de la famille et à la coopération judiciaire du 10 août 1981, Décret n° 83-435 du 27 mai 1983, JORF n° 125 du 1er juin 1983, S. 1643 (im Folgenden: CFM). 320 Art. 5 CFM: „ Les conditions du fond du mariage tels que l’âge matrimonial et le consentement de même que les empêchements, notamment ceux résultant des liens de parenté ou d’alliance, sont régies pour chacun des futurs époux par la loi de celui des deux Etats dont il a la nationalité.“ 321 Art. 4 CFM: „La loi de l’un des deux Etats désignés par la présente Convention ne peut être écartée par les juridictions de l’autre Etat que si elle est manifestement incompatible avec l’ordre public.“ 322 Art. 489 Dahir n° 1-59-413 du 28 joumada II 1382 (26 novembre 1962) portant approbation du texte du code pénal: „Est puni de l’emprisonnement de six mois à trois ans et d’une amende de 200 à 1.000 dirhams, à moins que le fait ne constitue une infraction plus grave, quiconque commet un acte impudique ou contre nature avec un individu de son sexe.“ 323 Die Zuständigkeit des ministère public für die Nichtigkeitsfeststellung einer Ehe ergibt sich aus Art. 175-1 C. civ. 324 Art. 55 CF: „Les traités ou accords régulièrement ratifiés ou approuvés ont, dès leur pu318
E. Gang der Untersuchung
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nach dessen Art. 5 die Ehe wegen der Gleichgeschlechtlichkeit der Partner unter Anwendung marokkanischen Rechts nichtig sei. Diese Höherrangigkeit gelte insbesondere auch gegenüber Art. 202-1 Abs. 2 C. civ., der aus diesem Grund keine Anwendung finden könne. Dem entgegneten die Betroffenen, dass der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz nicht mehr gewahrt sei, insofern Art. 202-1 Abs. 2 nur Staatsangehörigen derjenigen Staaten zugute komme, die keine bilateralen Abkommen mit dem französischen Staat abgeschlossen hätten. b) Entscheidungsgründe der Cour d’appel und der Cour de cassation Das Nichtigkeitsbegehren der Staatsanwaltschaft blieb sowohl vor dem Berufungsgericht als auch vor dem Kassationshof ohne Erfolg. Dem Berufungsgericht von Chambéry zufolge ist das in Art. 143 C. civ. niedergelegte Recht der freien Eheschließung Teil des bloc de constitutionnalité, der französischen Grund- und Menschenrechte mit Verfassungsrang. Darin habe sich mit der Integration der Gleichgeschlechtlichkeit der Partner durch das Eheöffnungsgesetz nichts geändert. Die reformierten Vorschriften nähmen eine eventuelle Kollision von Rechtsordnungen vielmehr vorweg, um dieses Grundrecht zu verwirklichen und die Ehe für Partner zu ermöglichen, die einer prohibitiven Rechtsordnung angehörten. Die Vorschriften seien insoweit Ausdruck eines neuen nationalen ordre public.325 Die Cour de cassation bestätigt die Vorinstanz im Ergebnis, stützt ihre Ausführungen indes nicht auf das französische Verfassungsrecht, sondern direkt auf den ordre public-Vorbehalt des Art. 4 der französisch-marokkanischen Konvention. Dort hinein liest sie den Regelungsgehalt des neuen Art. 202-1 Abs. 2 C. civ.: Die marokkanische Regelung, welche die gleichgeschlechtliche Ehe verbiete, sei ordre public-widrig, soweit zumindest das Recht eines der Ehegatten, sei es das blication, une autorité supérieure à celle des lois, sous réserve, pour chaque accord ou traité, de son application par l’autre partie.“ 325 CA Chambéry 22.10.2013, n° 13/02258: „Attendu que la liberté de se marier est un droit fondamental protégé faisant partie du bloc des libertés personnelles suivant la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l’homme; qu’il ne peut pas être contesté que cette nouvelle disposition du code civil , concernant les qualités et conditions du mariage, a modifié la substance même des droits de la personne au regard de l’institution du mariage et permis un accès à des droits qui n’existaient pas avant l’entrée en vigueur de la loi du 17 mai 2013; […] Attendu qu’il ressort de ces dispositions que le conflit de loi éventuel a été anticipé par la nouvelle loi […]; qu’il s’ensuit que ces nouveaux droits ont été rendus délibérément accessibles pour des personnes vivant sur le territoire français et qui n’avaient pas la possibilité juridique d’acquérir ces droits dans le cadre de leur loi personnelle; Attendu que ces dispositions, tirées de la loi du 17 mai 2013, ont été validées par le Conseil Constitutionnel et qu’il doit être considéré qu’elles s’intègrent à un nouvel ordre public international; […].“
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
Recht seiner Staatsangehörigkeit, seines Wohnsitzes oder seines Aufenthaltes, die Eheschließung erlaube.326 Paradoxerweise nimmt das Gericht in einer nachfolgenden – rechtlich freilich unverbindlichen327 – Pressemitteilung dann allerdings in zweifacher Hinsicht Einschränkungen dieser weitgehenden Entscheidung vor: Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine Mehrheit der Staaten die gleichgeschlechtliche Ehe nicht anerkenne, komme eine unbedingte Durchsetzung des französischen ordre public nur unter zwei Bedingungen in Betracht: bei einem Inlandsbezug des ausländischen Staatsangehörigen (im konkreten Fall: sein Wohnsitz in Frankreich) oder bei Verweis auf ein ausländisches Heimatrecht, das die gleichgeschlechtliche Ehe zwar nicht explizit erlaube, sie zumindest jedoch nicht grundsätzlich ablehne.328 Laut dieser Pressemitteilung scheint der Kassationshof plötzlich strengere Maßstäbe an den Tatbestand des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. anzulegen, als der Wortlaut der Norm eigentlich indiziert.329 Zum einen muss das persönliche oder räumliche Verbindungselement des Art. 202-1 Abs. 2 seinem Wortlaut zufolge nicht zwingend in der Person des ausländischen, sondern lediglich eines der Ehegatten verwirklicht sein. Zum anderen kann nur spekuliert werden, wann eine Rechtsordnung die gleichgeschlechtliche Ehe „nicht grundsätzlich“ ablehnt. Denkbar wären etwa Fälle, in denen eine ausländische Rechtsordnung, wie etwa vor dem Jahr 2017 noch die deutsche, eine Umqualifizierung der Ehe in eine 326
Cass. civ. 1ère, 28.1.2015, n° 13-50.059: „Mais attendu que si, selon l’article 5 de la Convention franco-marocaine […] les conditions de fond du mariage […] sont régies pour chacun des futurs époux par la loi de celui des deux Etats dont il a la nationalité, son article 4 précise que la loi de l’un des deux Etats désignés par la Convention peut être écartée par les juridictions de l’autre Etat si elle est manifestement incompatible avec l’ordre public; que tel est le cas de la loi marocaine compétente qui s’oppose au mariage de personnes de même sexe dès lors que, pour au moins l’une d’elles, soit la loi personnelle, soit la loi de l’Etat sur le territoire duquel elle a son domicile ou sa résidence le permet; que, par ce motif de pur droit, suggéré par la défense et substitué à ceux critiqués, l’arrêt se trouve légalement justifié.“ 327 Vgl. Deumier/Encinas de Munagorri, RTD Civ. 2006, 505, 510 ff. 328 Cour de cassation, Communiqué Arrêt dit du « mariage franco-marocain entre personnes de même sexe » 28 janvier 2015: „Néanmoins, la Cour de cassation rappelle que le mariage entre personnes de même sexe n’est reconnu que par une minorité d’Etats. Dès lors, elle considère que la loi du pays étranger ne peut être écartée que si l’une des conditions suivantes est remplie: – il existe un rattachement du futur époux étranger à la France (dans cette affaire, le ressortissant marocain était domicilié en France) – l’Etat avec lequel a été conclu la convention, n’autorise pas le mariage entre personnes de même sexe, mais ne le rejette pas de façon universelle.“; abrufbar unter (letzter Abruf: 8.7.2021). 329 Kritisch deswegen Devers/Farge, Dr. fam. 3/2015, Comm. n° 63, 1; Hammje in Boden/ Bollée/Haftel/Hammje/Vareilles-Sommières, Rev. crit. DIP 2015, 400, 407.
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Lebenspartnerschaft vornimmt oder zumindest die Wirkungen der Ehe im Inland anerkannt werden.330 c) Diskussion Mit dem Urteil der Cour de cassation scheint der Diskurs um Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. zugunsten des ordre public-Charakters entschieden.331 Entstehungsgeschichte und Telos der Vorschrift weisen, wie bereits erwähnt, in dieselbe Richtung. Hinsichtlich der tatbestandlichen Anforderungen an sein Eingreifen wirken die Umstände der Entscheidung und die Äußerungen in der Pressemitteilung hingegen gefährlich widersprüchlich.332 Aus diesem Grund besteht in der französischen Literatur ein geteiltes Meinungsbild über die Folgen der Entscheidung.333 Über die tatbestandlichen Unsicherheiten hinaus lässt die rigide Entscheidung der Cour de cassation auch in dogmatischer Hinsicht vieles im Unklaren. So referiert das Gericht zwar bezüglich des Inhalts des französischen ordre public im Sinne des Art. 4 CFM nicht direkt auf Art. 202-1 Abs. 2 C. civ., der Inhalt des ordre public wird jedoch im exakten Wortlaut der Norm wiedergegeben.334 Der in Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. verteidigte Grundsatz der Eheschließungsfreiheit für gleichgeschlechtliche Partner setzt sich demnach als fundamentaler Grundwert auch über völkervertragliche Verpflichtungen aus bilateralen Staatsverträgen hinweg. Diese Position überrascht vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass in den Wortlaut des ursprünglichen Gesetzentwurfs der Regierung noch ein Vorbehalt anderweitiger Regelungen in bilateralen Staatsverträgen integriert worden war.335 Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens war der Zusatz allein aufgrund seines vermeintlich deklaratorischen Charakters mit Blick auf Art. 55 CF gestrichen worden, ohne dass eine Änderung der Rechtswirkung der Norm beabsichtigt war.336 Auch die Circulaire 2013 weist darauf hin, dass eine gleichgeschlechtliche Ehe entgegen den bestehenden bilateralen Abkommen nicht zu schließen 330 Ähnlich
Guillaumé/Godechot-Patris, JDI 2015, 597, 611 f. Devers/Farge, Dr. fam. 3/2015, Comm. n° 63, 1, 2.; a. A. lediglich Mathieu, JDI 2015, 622, 633, der weiter von einer sachrechtlich inspirierten Kollisionsnorm ausgeht. 332 So auch Devers/Farge, Dr. fam. 3/2015, Comm. n° 63, 1, 2 f.; Guillaumé/Godechot-Patris, JDI 2015, 597, 601. 333 Überwiegend kritisch die Kommentierungen von Boden/Bollée/Haftel/Hammje/Vareilles-Sommières, Rev. crit. DIP 2015, 400 ff.; Gannagé, JCP G. 12/2015, 525 ff; a. A. Boiché, AJ Fam. 2015, 172 f.; Devers/Farge, Dr. fam. 3/2015, Comm. n° 63, 1 ff.; geteilter Meinung Guillaumé/Godechot-Patris, JDI 2015, 597 ff. 334 Guillaumé/Godechot-Patris, JDI 2015, 597, 601. 335 S. o. S. 110. 336 Vgl. dazu den Berichterstatter des Senats Michel, Rapport n° 437 (2012–2013) (Fn. 274), S. 54. 331
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
sei.337 Denn bilaterale Abkommen, wie das französisch-marokkanische von 1981, bezwecken die Wahrung der nationalen Identitäten der jeweiligen Staatsangehörigen und möchten deren rechtskulturelles Selbstverständnis im bilateralen Verhältnis schützen.338 Schon während des Gesetzgebungsprozesses wurde der Vorbehalt des staatsvertraglichen IPR zwar teilweise von der Literatur unter dem Hinweis auf die daraus potenziell resultierende Diskriminierung von Staatsangehörigen derjenigen Staaten, die mit Frankreich bilaterale Verträge geschlossen haben, kritisch hinterfragt.339 Letztlich vermischt diese Argumentation aber zwei Ebenen: Denn die Frage der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit betrifft die formale Ebene einer Ungleichbehandlung aufgrund verschiedener Rechtsquellen mit unterschiedlicher normenhierarchischer Stellung innerhalb des IPR. Der Grundsatz der freien Eheschließung betrifft indes die materielle Ebene einer Diskriminierung wegen des Geschlechts als Ausprägung des ordre public. Auch wenn bilaterale Abkommen im Personalstatut für die Betroffenen in der Regel günstige Regelungen treffen sollen, ergibt sich aus dem „droit au mariage“ nicht automatisch ein „droit à la même règle de conflit de lois pour tous“.340 Die Cour de cassation hätte diesen Widerspruch umgehen können, indem sie den Inhalt des staatsvertraglichen ordre public nach Art. 4 des französisch-marokkanischen Abkommens abstrakt-generell auf das Grundrecht der Eheschließungsfreiheit und nicht auf den Wortlaut des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. gestützt hätte. Das rechtspolitische Anliegen der umfassenden Gleichstellung gleich- und gemischtgeschlechtlicher Ehen setzt die Cour in ihrem Urteil jedenfalls in ungewohnt progressiver Manier überschießend, wenn nicht aus dogmatischer Sicht 337 Circulaire 2013 (Fn. 224), S. 4, unter Punkt 2.1.2: „ La règle introduite par l’article 2021 alinéa 2 ne peut toutefois s’appliquer pour les ressortissants de pays avec lesquels la France est liée par des conventions bilatérales qui prévoient que la loi applicable aux conditions de fond du mariage est la loi personnelle. […] En l’état du droit et de la jurisprudence, la loi personnelle ne pourra être écartée pour les ressortissants de ces pays.“ Anders liest sich inzwischen jedoch eine Anweisung des französischen Justizministeriums gerichtet an die Generalstaatsanwaltschaft der französischen Gerichte, vgl. Dépêche du garde des Sceaux, diffusée aux parquets généraux le 5 août 2016, NOR: JUSC1618464C. Darin fordert der Justizminister Jean-Jacques Urovas die Generalstaatsanwältinnen und -anwälte dazu auf, gleichgeschlechtliche Eheschließungen mit Beteiligung von Staatsangehörigen, die unter einen der bilateralen Staatsaverträge fallen, in Anbetracht des Urteils des Kassationshofes vom 28.1.2015 nicht mehr anzufechten. 338 Vgl. die Präambel des Abkommens (Fn. 319) und näher Guillaumé/Godechot-Patris, JDI 2015, 597, 602; bezüglich ebendieser französisch-marokkanischen Konvention in diesem Sinne schon Jayme, Jh IJV 1992, 8, 24. 339 Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 168; Fulchiron, Dr. fam. 2013, Doss. n° 9, 1, 3 („ordre public à deux vitesses“); Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 788. 340 In diese Richtung auch Gannagé, JCP G. 12/2015, 525, 528; a. A. aber Usunier, RTD Civ. 2015, 343, 346.
E. Gang der Untersuchung
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etwas (zu) übermütig um.341 Es gibt wohl kaum schillerndere Beispiele der „Aktualität“342 des ordre public: Zwischen der Aussage der französischen Regierung, dass eine im Ausland wirksam geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe gegen den französischen ordre public verstoße,343 und der Kehrtwende der Cour, in der sie die gleichgeschlechtliche Ehe in den fundamentalen Wertekanon des französischen ordre public aufnimmt, der sich gegenüber dem autonomen wie staatsvertraglichen IPR gleichermaßen durchsetzt, liegen kaum einmal zehn Jahre.344
C. Rechtsvergleichende Einordnung Der außergewöhnlich dynamischen Entwicklung des französischen Rechts stellt der folgende Abschnitt das Regelungsmodell des deutschen IPR gegenüber, um abschließend eine Bewertung der derzeitigen Rechtslage beider Länder vorzunehmen. I. Art. 17b Abs. 4 EGBGB im deutschen Recht Der deutsche Gesetzgeber hat sich mit der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Jahr 2017 auf IPR-Ebene für eine methodisch andere Vorgehensweise als das französische Recht entschieden. In seiner Neufassung vom 1.10.2017345 verweist Art. 17b Abs. 4 EGBGB für gleichgeschlechtliche Ehen auf die Anknüpfung der eingetragenen Lebenspartnerschaft an das Recht des Register führenden Staates, Art. 17b Abs. 1 S. 1 EGBGB.346 Die darin enthaltene Sachnormverweisung gilt nicht nur für die Begründung und Wirksamkeit der Ehe, sondern auch für die außerhalb der Rom III-VO und der EUGü-VO liegenden Ehewirkungen. Interessanterweise sah der Gesetzentwurf zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare der SPD-Fraktion vom 28.3.2017 noch einen der französi341 Drastischer Gannagé, JCP G. 12/2015, 525, 528 („militantisme dans les relations internationales“). 342 Devers/Farge, Dr. fam. 3/2015, Comm. n° 63, 1, 3 („L’arrêt illustre le principe d’actualité, pour ne pas dire de volatilité, de l’ordre public […]“; ähnlich Godechot-Patris/Guillaumé, D. 2013, 1756, 1758. 343 S. o. S. 108 f. 344 Zur Bedeutung dieser Entwicklung mit Blick auf den europäischen Vereinheitlichungsgedanken noch unten S. 205 ff. 345 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts, 20. Juli 2017, BGBl. 2017 I, S. 2787. 346 Zur Entstehungsgeschichte ausführlich Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 228 ff.
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
schen beziehungsweise belgischen Regelung ähnlichen Art. 13 Abs. 3 EGBGB vor, der als spezieller ordre public-Vorbehalt ausgestaltet war:347 „Lässt das nach [Art. 13] Absatz 1 anwendbare Recht eine Eheschließung zwischen zwei Personen gleichen Geschlechts nicht zu, so ist deutsches Recht auch insoweit anzuwenden, wenn ein Verlobter seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder Deutscher ist.“
In dieser Fassung hätte sich die Vorschrift in die Methodik des Art. 13 Abs. 2 EGBGB eingereiht, der seit dem Spanier-Beschluss des Bundesverfassungs gerichts348 als spezieller ordre public-Vorbehalt die Eheschließung immer dann ermöglicht, wenn es zwar nach dem anwendbaren ausländischen Heimatrecht an einer Eheschließungsvoraussetzung fehlt, jedoch ein hinreichender Inlandsbezug zum deutschen Recht besteht.349 Der französische Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. geht an dieser Stelle noch wesentlich weiter, indem er das Kriterium des Inlands bezugs durch die allseitige Verweisung auf eine autorisierende Rechtsordnung ersetzt, mit der die Ehegatten persönlich oder räumlich verbunden sind.350 Der deutsche Gesetzgeber hat sich in der letztlich verabschiedeten Fassung des Art. 17b EGBGB methodisch indes gerade nicht für eine Gleichbehandlung der Anknüpfungen von gleich- und gemischtgeschlechtlicher Ehe entschieden. Durch die Registeranknüpfung ist allerdings sichergestellt, dass die Verweisung zu einer Rechtsordnung führt, die das Institut der gleichgeschlechtlichen Ehe kennt.351 Bereits die Wahl des Registerrechts für die Lebenspartnerschaft in Art. 17a EGBGB a. F. erfolgte aus dem Grund, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft zum damaligen Zeitpunkt nur einer Minderheit von Rechtsordnungen bekannt war.352 Eine Vielzahl hinkender Rechtsverhältnisse widersprach aber dem Gesetzeszweck der Bekämpfung der Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften.353 Insofern ist bereits vor diesem Hintergrund von einer Materialisierung des IPR gesprochen worden.354 Anders als im französischen Recht spielen personale oder räumliche Kriterien wie Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt der Parteien im Rahmen von Art. 17b EGBGB keine Rolle.355 Das deutsche Recht ermöglicht die 347 Abrufbar unter: (letzter Abruf: 8.7.2021.); vgl. v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Einl. IPR, Rn. 73. 348 BVerfG, 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. 349 Die Vorschrift wird jedoch nach wie vor von vielen Autoren als systemfremd empfunden, siehe statt aller Coester, in: MüKoBGB, 2020, Art. 13 EGBGB, Rn. 26 m. w. N. 350 S. o. S. 122 ff. 351 Mankowski, IPRax 2017, 541, 543. 352 Wagner, IPRax 2001, 281, 288. 353 BT-Drs. 14/3751 vom 4.7.2000, 60. 354 Coester, IPRax 2013, 114, 115. 355 Coester, in: MüKoBGB, 2020, Art. 17b EGBGB, Rn. 21; Wagner, IPRax 2001, 281, 287.
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Eingehung der Ehe im Inland auch Paaren, die überhaupt keinen Inlandsbezug haben. Während das französische Recht über Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. also die Wirksamkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe dem Restrisiko aussetzt, dass kein Verbindungselement zu einem Staat besteht, der die Ehe erlaubt, und die Ehe deswegen nichtig ist, schließt das deutsche Recht dieses Risiko per definitionem aus. Die Anerkennung der im Inland geschlossene Ehe im Ausland steht allerdings in beiden Rechtsordnungen unter dem Risiko, dass der ausländische Staat eine Anerkennung im Wege des nationalen ordre public-Vorbehalts ablehnt. II. Funktionale Vergleichbarkeit der Methoden bei Divergenz in der Rechtsfolge? Sieht man sich die deutsche und die französische Lösung zur kollisionsrechtlichen Behandlung der gleichgeschlechtlichen Ehe über Art. 17b Abs. 4 EGBGB beziehungsweise Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. im Vergleich an, fällt zunächst der strukturelle Unterschied der methodischen Ansätze auf. Das deutsche Recht hat über die parallele Anknüpfung von gleichgeschlechtlicher Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft in Art. 17b EGBGB ein Sonderregime geschaffen, das gemischtgeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Ehen auf IPR-Ebene ungleich behandelt. Noch immer wird diese kollisionsrechtliche Privilegierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in der deutschen Literatur kritisiert.356 Gleichwohl sorgt die Vorschrift qua Verweisung auf einschlägige europäische Rechtsakte zumindest im Hinblick auf die vermögensrechtlichen Ehewirkungen inklusive der Scheidungsfolgen für eine systematische Annäherung an das Regime der gemischtgeschlechtlichen Ehe.357 Der Strukturunterschied besteht indes weiterhin für die Begründung und die nicht-vermögensrechtlichen Wirkungen der gleichgeschlechtlichen Ehe. Das französische Recht vollzieht die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hingegen auf kollisionsrechtlicher Ebene nach. Um dennoch dem Kontinuitätsinteresse gleichgeschlechtlicher Paare gerecht zu werden, bedarf es dann allerdings der Sonderanknüpfung des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. Anders als die deutsche Regelung, nach der das Registerstatut auch die nicht-vermögensrechtlichen Ehewirkungen umfasst, kann diese punktuelle Sonderanknüpfung in Bezug 356
v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 4 Rn. 70; de la Durantaye, IPRax 2019, 281, 283; Heiderhoff, in: BeckOK BGB, 2021, Art. 17b EGBGB, Rn. 56; Looschelders, in: FS Kronke, 2020, S. 317, 328. Anders der aktuelle Entwurf Coester-Waltjens, der die Kritik aufnimmt und vorschlägt, die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen im deutschen IPR künftig einheitlich der lex loci celebrationis zu unterstellen, vgl. Coester-Waltjen, IPRax 2021, 29, 34 ff. 357 Kritisch allerdings zu Friktionen, welche die Verweisung des autonomen IPR auf das europäische Recht hervorrufen kann, Looschelders, in: FS Kronke, 2020, S. 317, 323 ff.
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
allein auf die Wirksamkeit der Ehe hingegen Friktionen mit dem allgemeinen Ehewirkungsstatut hervorrufen. Denn die nicht-vermögensrechtlichen Ehewirkungen werden nach der Rivière-Regel weiterhin an die Staatsangehörigkeit beziehungsweise den gemeinsamen Wohnsitz der Ehegatten angeknüpft.358 Damit könnte in letzter Konsequenz allerdings ein Recht über die allgemeinen Ehewirkungen befinden, nach dem das Grundverhältnis – die Ehe – wegen der Gleichgeschlechtlichkeit der Partner gar nicht bestünde. Die Strukturunterschiede des deutschen und französischen Rechts relativieren sich vor dem Hintergrund einer funktionalen Betrachtung der jeweiligen Anknüpfungsmethoden. Die denkbar weit verstandenen Kriterien des Wohnsitzes und Aufenthaltes als persönliche beziehungsweise räumliche Nähebeziehung in Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. unterscheiden sich nur marginal von der Anknüpfung an das Registerrecht. Das deutsche Recht verlangt zwar nach § 12 Abs. 1 PStG für die standesamtliche Zuständigkeit grundsätzlich weder einen Wohnsitz noch einen Aufenthalt der Ehegatten auf dem deutschen Territorium. Die extensive Auslegung der französischen Regelung des Art. 74 C. civ. setzt die Schwelle für den Aufenthalt jedoch so gering an, dass eine ernst- und dauerhafte räumliche Nähebeziehung faktisch ebenfalls nicht notwendig ist. Das französische Recht unterscheidet sich hier nur insofern von Art. 17b Abs. 4 EGBGB, als einzig die Fälle eines echten Ehetourismus, im Sinne einer Eheschließung „auf der Durchreise“, in Frankreich unter Art. 202-1 Abs. 2 und Art. 74 C. civ. nicht möglich sind. Eine parallele Fallkonstellation, in der die Normen hingegen zu signifikant unterschiedlichen Ergebnissen führen, dürften in diesem Zusammenhang allerdings Anerkennungsfälle sein, in denen eine anzuerkennende Ehe in einem Staat geschlossen wurde, der die gleichgeschlechtliche Ehe zwar erlaubt, dessen Kollisionsrecht jedoch gerade keine persönliche oder räumliche Verbindung zu ebendiesem Staat verlangt.359 Man stelle sich etwa ein polnisches Paar vor, dass die Ehe „auf der Durchreise“ in Deutschland geschlossen hat, ohne hier einen Aufenthalt oder Wohnsitz begründet zu haben.360 Eine Anerkennungsfähigkeit dieser Ehe in Frankreich setzte nach Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. eine persönliche oder räumliche Nähebeziehung zu einem die Ehe erlaubenden Staat voraus. Indes weist der Sachverhalt keinen solchen Bezug zum französischen oder deutschen Recht auf, weshalb die Vorschrift über das nach dem polnischen Heimatrecht der Ehegatten vorliegende Ehehindernis der Gleichgeschlechtlichkeit nicht hinweghelfen kann. Eine kollisionsrechtliche Lösung ginge damit fehl. In Unionssachverhalten käme dann wohl allein eine Anerkennung über Art. 21 AEUV 358
Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 594. Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 182. 360 Zu ähnlichen Fallkonstellationen Fulchiron, Dr. fam. 2013, Doss. n° 9, 1, 4; Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 790. 359
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im Sinne der Coman-Rechtsprechung in Betracht. Stellte sich der Sachverhalt hingegen aus deutscher Perspektive, so sicherte Art. 17b EGBGB die Anerkennung der Ehe ab, da allein das Registerrecht maßgeblich ist. Die methodischen Wege des deutschen und französischen Rechts sind in ihrer Methode mithin funktional vergleichbar, in ihrer Rechtsfolge indes nicht vollständig äquivalent. Auf den ersten Blick scheint auch die rechtspolitische Zielsetzung beider Rechtsordnungen ähnlich. Beide Modelle setzen über die Verweisungsmethodik ein rechtspolitisches und materiell-rechtlich motiviertes Anliegen um. Die gleichgeschlechtliche Ehe soll, soweit sie von einer Rechtsordnung ermöglicht wurde, im internationalen Kontext ebenfalls wirksam sein. Beide IPR-Systeme öffnen die Ehe damit für Paare, die nicht zwingend eigene Staatsangehörige sind und – wenn überhaupt – nur einen schwachen anderweitigen Bezug zum Inland haben. Im Vergleich zu einer Rechtslagenanerkennung findet die „Privilegierung“ des sachrechtlichen Ergebnisses der Wirksamkeit der Ehe damit schon zum Zeitpunkt der Entstehung des Rechtsverhältnisses ex ante statt, nicht erst bei dessen Validierung ex post.361 Auf den zweiten Blick zeigt sich vor diesem Hintergrund aber der deutlichste Unterschied der Rechtslagen in Deutschland und Frankreich, nämlich im Grad der Durchsetzungswilligkeit der jeweiligen Regelungen. Die französische Lösung setzt sich nach dem jüngsten Judikat der Cour de cassation als positivierte ordre public-Klausel aktiv über staatsvertragliches IPR hinweg.362 Die gleichgeschlechtliche Ehe entfaltet mithin auch über die IPR-Methodik ihren unbedingten grund- und verfassungsrechtlichen Geltungsanspruch. Das deutsche Recht verlagert hingegen für die glechgeschlechtliche Ehe lediglich den „Sitz des Rechtsverhältnisses“ zugunsten der Gewährleistung einer maximalen Statuskontinuität der Ehegatten. Es deutet bisher wenig darauf hin, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zum Inhalt des nationalen ordre public gemacht würde.363 Legt man klassisch international-privatrechtliche Maßstäbe an, zeigt sich das deutsche IPR in Fragen der Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen folglich insgesamt neutraler und den klassischen IPR-Funktionen gegenüber prinzipientreuer als das französische Recht.
361
So treffend Bureau, in: Mélanges Audit, 2014, S. 155, 177. Bedeutung dieser Entwicklung für den europäischen Vereinheitlichungsprozess noch näher unten S. 197 ff. 363 Vgl. Stürner, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2021, Art. 6 EGBGB, Rn. 361.1. 362 Zur
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D. Zusammenfassung in Thesen 1. Das französische Recht wählt für die gleich- wie gemischtgeschlechtliche Ehe die Staatsangehörigkeit als Grundanknüpfung der materiell-rechtlichen Eheschließungsvoraussetzungen (Art. 202-1 Abs. 1 C. civ.). Es hält damit anders als Art. 17b Abs. 4 EGBGB an der verweisungsrechtlichen Tradition des Staatsangehörigkeitsprinzips fest. 2. Die Sonderanknüpfung der Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen nach Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. nimmt sich der Entwicklungshistorie und der gesetzgeberischen Intention zufolge Art. 46 des belgischen IPR-Gesetzes zum Vorbild, der als spezieller ordre public-Vorbehalt ausgestaltet ist. 3. Methodisch ist Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. ein ordre public „in neuem Gewand“. Er erzielt über die Kombination von ordre public-Vorbehalt und verweisungsrechtlichen Elementen eine umfassende Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen mit Auslandsbezug im Inland. Das vom französischen Gesetzgeber verfolgte Ziel, der sachrechtlichen Gleichstellung der Eheformen im grenzüberschreitenden Kontext Geltung zu verschaffen, wird hierdurch weitgehend erreicht. 4. Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Paare mit Auslandsbezug sind in Frankreich bereits immer dann wirksam, wenn eine vage Verbindung zur französischen Rechtsordnung, beispielsweise durch einen vierwöchigen Aufenthalt in Frankreich ohne Bleibewillen, besteht. Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. proklamiert überdies im Rahmen der Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen ebenfalls weitgehend Statusschutz. 5. Gleichwohl sind im französischen IPR hinkende Ehen gleichgeschlechtlicher Paare nicht vollständig ausgeschlossen. Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. setzt sich über ein etwaiges Verbot der Ehe im Heimat- oder Aufenthaltsrecht eines der Nupturienten hinweg, solange ein minimaler Bezug zur französischen lex fori oder einer anderen Rechtsordnung besteht, welche die Eheschließung zulässt. Letztlich wohnt der Norm mithin trotz ihrer allseitigen Ausgestaltung eine versteckte Unilateralisierungstendenz in dem Sinn inne, dass sie im Namen einer partiellen, transnationalen Rechtsgemeinschaft das Recht auf eine „Eheschließungsfreiheit für alle“ durchsetzen will. 6. Den progressiven Ansatz des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. setzt die Cour de cassation in einem Urteil zur Eheschließung eines französisch-marokkanischen Ehepaares überschießend um. Die Norm setzt sich danach selbst gegenüber historisch gewachsenen, völkervertraglichen Kollisionsregeln durch. Ob diese Interpretation des Kassationshofs auch zukünftig Maßstab des französischen Internationalen Eherechts bleibt, darf mit Spannung erwartet werden.
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7. Das deutsche Recht stellt im Gegensatz zum französischen die gleich- und gemischtgeschlechtliche Ehe auf IPR-Ebene zwar nicht gleich. Die Registeranknüpfung des Art. 17b Abs. 4 EGBGB verwirklicht das Ziel der Wirksamkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe indes aus Sicht der klassischen IPR-Prinzipien methodisch neutraler. Ihre rechtspolitische Sprengkraft ist deshalb geringer als diejenige des französischen Regelungsmodells.
§ 7 Internationales Abstammungsrecht: Anerkennung im Ausland durchgeführter Leihmutterschaften Das französische IPR in Abstammungsfragen ist noch immer fast ausschließlich autonomes Recht und bereits seit langem Spielort einer Vielzahl altbekannter wie neuartiger methodischer Fragestellungen.364 Im entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang ist die Materie in besonderem Maße dem Einfluss gesellschaftspolitischer Debatten ausgesetzt. So betraf die erste IPR-Kodifikation des französischen Gesetzgebers das Abstammungsrecht. In den Art. 311-14 ff. C. civ. spiegelt sich bis heute die Privilegierung des für damalige Verhältnisse liberalen französischen Sachrechts, das eine weitgehende Gleichstellung ehelich und nicht-ehelich geborener Kinder in Abstammungsfragen vorsah.365 Durch den rasanten Fortschritt der modernen Reproduktionsmedizin bewegt sich der Fokus des Internationalen Abstammungsrechts im 21. Jahrhundert indes nicht nur in Frankreich weg von der Frage nach der Ehelichkeit eines Kindes, hin zu der Tatsache, dass Elternschaft heutzutage nicht mehr zwingend an eine genetische Verwandtschaft und den biologischen Prozess der Austragung des Kindes durch ein und dieselbe Frau gekoppelt ist.366 Paradigmatischstes Beispiel dieser Entwicklung ist die so genannte Leih- oder Ersatzmutterschaft (gestation pour autrui, maternité de substitution)367, also die Austragung eines Kindes durch eine Frau, der Leihmutter, die das Kind nach seiner Geburt auf Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung an andere Eltern, die Wunscheltern, übergibt. Die Herausforderungen an eine Beurteilung der rechtlichen Abstammungsverhältnisse dieser Kinder sind immens.368 Schon auf Sachrechtsebene sind die denkbaren 364 Foyer, in: Rép. dr. int.: Filiation, 2015, Rn. 1 nennt beispielhaft den ordre public, Alternativanknüpfungen und nicht zuletzt die Anerkennungsmethode. 365 Dazu bereits ausführlich S. 60 ff. 366 Kessler, JDI 2020, 91, 93; Sanders, Mehrelternschaft, 2018, S. 1 f.; v. Scheliha, Familiäre Autonomie und autonome Familie, 2019, S. 19. 367 Teilweise wird der Begriff Mietmutterschaft verwendet, siehe etwa Thomale, Mietmutterschaft, 2015, S.7 f.; ebenso Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 184. 368 Siehe nur den interdisziplinären Ansatz von Ditzen/Weller (Hrsg.), Regulierung der Leihmutterschaft, 2018.
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Fallkonstellationen vielgestaltig.369 So besteht häufig, aber nicht immer, zumindest zwischen dem Wunschvater und dem Kind eine biologische Verwandtschaft. Die Leihmutter kann mit dem Kind verwandt sein, muss es aber nicht, denn auch die Verwendung des genetischen Materials der Leihmutter oder einer fremden Spenderin kommen in Betracht. Dazu kommen Schwierigkeiten in der Zuordnung der Elternschaft bei Gleichgeschlechtlichkeit der Wunscheltern sowie Adoptionsfragen, insofern eine unmittelbare Begründung der Abstammung nicht möglich ist. Indes ist in einer Mehrzahl der Rechtsordnungen, darunter Deutschland und Frankreich, die Durchführung einer Leihmutterschaft noch immer verboten.370 Immer mehr betroffene Paare nutzen deshalb die „Vorzüge“ der globalisierten Welt und nehmen eine Leihmutterschaft im Ausland vor. Die gesellschaftspolitische Problematik des „Reproduktionstourismus“371 wird über diesen Weg auch auf Ebene der IPR-Methodik aktiviert. Denn begehren die Wunscheltern die Anerkennung der im Ausland begründeten Abstammungsbeziehung zu ihrem Kind im Inland, stellt sich die schwierige Frage, ob und wie die nach dem inländischen Recht verbotene Praxis angesichts der Rechtslage, die unter Geltung des ausländischen Rechts geschaffen wurde, validiert werden kann.372 Dem staatlichen Anspruch, die innere Werteordnung etwa durch Anwendung des nationalen ordre public aufrechtzuerhalten, setzen die betroffenen Familien in aller Regel die grund- und menschenrechtlich verbürgten Garantien auf ein ungestörtes Privatund Familienleben entgegen (Art. 8 Abs. 1 EMRK). Vor diesem Hintergrund ist die Problematik der grenzüberschreitenden Leihmutterschaft nicht nur wegen ihrer ethisch-moralischen Implikationen sondern gerade auch wegen der methodischen Schwierigkeiten zu einer der umstrittensten Fragestellungen des IPR avanciert.373 Die internationale Rechtsgemein369
Audit, Recueil des cours 373 (2015), 217, 384. Im deutschen Recht ergibt sich dies aus § 1 Abs. 1 Nr. 7 Embryonenschutzgesetz (ESchG) und § 13c Adoptiongsvermittlungsgesetz (AdVermiG), in Frankreich aus Art. 16-7, 16-9 C. civ. Aufschlussreich sind in diesem Zusammehang die rechtsvergleichenden Untersuchungen des EGMR in der beratenden Stellungnahme zum Fall Mennesson, EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Rn. 22 ff. 371 Knoll, in: Umwege zum eigenen Kind, 2008, S. 63, 65; Lemouland, LPA 2001, n° 62, 24. 372 Vgl. Bollée, in: Trav. Com. DIP 2012–2014, 2014, S. 215, 216 f.; Duden, Leihmutterschaft, 2015, S. 10 f.; Sanders, Mehrelternschaft, 2018, S. 233. 373 Die im Folgenden untersuchten methodischen Differenzen sind freilich nicht beschränkt auf die Fälle der Leihmutterschaft, sondern erstrecken sich auch auf andere familienrechtliche Alternativmodelle, wie beispielsweise die Co- oder Mehrelternschaft, auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht gesondern eingegangen werden kann, vgl. im Einzelnen dazu Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 779, 795; Kessler, JDI 2020, 91 ff.; Sanders, Mehrelternschaft, 2018, S. 242 ff. 370
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schaft ist angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Positionen von einem einheitsrechtlichen Regelungsgefüge noch weit entfernt.374 Zunehmend sind deshalb die nationalen Gerichte zu den entscheidenden Motoren der Entwicklung geworden, die im Ausland begründete Abstammungsbeziehung von Kind und Wunscheltern kindeswohlgerecht in das inländische Recht zu integrieren. In ihren Entscheidungen zeigen sich im Rahmen der Leihmutterschaftsproblematik die ersten positivrechtlichen Konturen einer Anerkennungsmethodik des IPR auf menschenrechtlicher Grundlage. Bevor auf die konkrete Problemlage im französischen Sach- und Kollisionsrecht einzugehen ist, soll wie in den vorangegangenen Kapiteln ein kurzer Überblick über die Ergebnisvorgaben des supranationalen Rechts, hier der EMRK, die europäische Dimension der Thematik verdeutlichen (A.). Die französische Rechtsprechung hat unter Einfluss der Rechtsprechung des EGMR eine bemerkenswerte Entwicklung genommen, die sich im Ergebnis weniger auf die klassischen IPR-Mechanismen als auf eine Form der Anerkennung ausländischer Urkunden stützt (B. und C.). Hierin zeigt sich ein maßgeblicher Unterschied zur Rechtsprechung des BGH, der sich nach wie vor dem international-privat- und verfahrensrechtlichen Grundsätzen verpflichtet sieht (D.).
A. Ergebnisvorgaben der EMRK nach den Fällen Mennesson und Labassée Die französische Rechtsprechung hat den Dialog zwischen nationalen Rechtsordnungen und supranationalen Freizügigkeitsrechten in den Leihmutterschaftsfällen innerhalb der letzten Dekade grundlegend mitgestaltet. Überwiegend die Vorlagen der Cour de cassation, allen voran die berühmt gewordene Fällen Mennesson und Labassée375, haben dafür gesorgt, dass der EGMR den nationalen Rechtsordnungen einen umfassenden Rahmen dafür gesetzt hat, Fälle grenzüberschreitender Leihmutterschaft mit dem einschlägigen Art. 8 Abs. 1 EMRK in Einklang zu bringen. Die Ehepaare Mennesson und Labassée wehrten sich im Jahr 2014 erfolgreich vor dem EGMR gegen die Weigerung der französischen Behörden, die amerika374 Bollée, in: Trav. Com. DIP 2012–2014, 2014, S. 215, 228 f.; Eine Expertengruppe der Haager Konferenz für IPR arbeitet seit 2015 im Rahmen des Projekts Parency/Surrocacy an einheitlichen Regelungen zur Regulierung internationaler Leihmutterschaften. Zum aktuellen Stand: (letzter Abruf: 8.7.2021). Ein abschließender Bericht wird für das Jahr 2023 erwartet. 375 EGMR, 26.6.2014, n° 65192/11, Mennesson c. France und n° 65941/11, Labassée c. France.
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nischen Geburtsurkunden ihrer durch eine Leihmutter ausgetragenen Kinder in das französische Personenstandsregister zu übertragen. Die französischen Behörden beriefen sich dabei auf die Nichtigkeit von Leihmutterschaftsverträgen nach Art. 16-7, 16-9 C. civ. und den ordre public international.376 Der Gerichtshof sah in der Weigerung der Behörden eine Verletzung des Rechts der Kinder auf ein ungestörtes Privatleben aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Der Ermessensspielraum, der den Konventionsstaaten angesichts eines mangelnden Konsenses in der Leihmutterschaftsfrage zukomme, sei in diesem Falle eingeschränkt.377 Das Wohl des Kindes und die Kontinuität seines im Ausland bereits erworbenen Abstamungsverhältnisses stünden als Ausprägung des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK an vorderster Stelle.378 Art. 8 Abs. 1 EMRK beinhalte in diesem Zusammenhang das Recht, seine Identität und damit einhergehend seine Abstammung zu kennen.379 Dies gelte im Besonderen im Verhältnis zu einem genetisch mit dem Kind verwandten Wunschelternteil.380 Etwas anders lag der Sachverhalt in der EGMR-Entscheidung Paradiso et Campanelli c. Italie.381 Hier war ein Kind, das durch eine ukrainische Leihmutter ausgetragen worden war, durch die italienischen Behörden von den Wunscheltern getrennt worden, nachdem sich herausstellte, dass das Kind von keinem der Wunschelternteile genetisch abstammte. Der EGMR lehnte eine Verletzung des Art. 8 Abs. 1 EMRK ab und stützte sich in der Begründung darauf, dass sich zwischen den italienischen Wunscheltern und dem von einer Leihmutter in der Ukraine geborenen Kind weder ein faktisch-soziales Familienband entwickelt noch ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Privatleben der Eltern stattgefunden habe.382 Da die Wunscheltern auf dieser Grundlage nach Ansicht des EGMR die Rechte des Kindes aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht wahrnehmen konnten, blieb 376
Zum konkreten Verfahrensgang sogleich S. 145 ff. EGMR, 26.6.2014, n° 65192/11, Mennesson c. France, Rn. 80; n° 65941/11, Labassée c. France, Rn. 59. 378 EGMR, 26.6.2014, n° 65192/11, Mennesson c. France, Rn. 81, 96 ff.; n° 65941/11, Labassée c. France, Rn. 75 ff.; Bezüglich der Wunscheltern lehnte der EGMR hingegen eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 EMRK ab, da hinsichtlich dieser keine konkrete Beeinträchtigung des Familienlebens nachgewiesen worden sei, vgl. EGMR, 26.6.2014, n° 65192/11, Mennesson c. France, Rn. 94; n° 65941/11, Labassée c. France, Rn. 73. 379 EGMR, 26.6.2014, n° 65192/11, Mennesson c. France, Rn. 99. 380 EGMR, 26.6.2014, n° 65192/11, Mennesson c. France, Rn. 100: „[…] La Cour estime, compte tenu des conséquences de cette grave restriction sur l’identité et le droit au respect de la vie privée […] qu’en faisant ainsi obstacle tant à la reconnaissance qu’à l’établissement en droit interne de leur lien de filiation à l’égard de leur père biologique, l’État défendeur est allé au-delà de ce que lui permettait sa marge d’appréciation.“ 381 EGMR, 24.1.2017, n° 25358/2, Paradiso et Campanelli c. Italie. 382 EGMR, 24.1.2017, n° 25358/2, Paradiso et Campanelli c. Italie, Rn. 151 ff., 157. 377
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allerdings offen, ob die Verletzung der Rechte des Kindes in einem solchen Fall in Betracht käme.383 Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt nach alledem nicht nur das rechtliche, sondern auch das zwischen den Wunscheltern und dem Kind entstandene faktisch-soziale Familienband.384 Der Gerichtshof erlegt den Mitgliedstaaten damit aber keine pauschale Anerkennungspflicht hinsichtlich der Abstammungsverhältnisse zwischen Wunscheltern und Kind auf, sondern verlangt lediglich im Ergebnis eine Möglichkeit des Kindes, eine Abstammungsbeziehung zu den Eltern zu erlangen, sofern sich ein faktisch-soziales Familienleben entwickelt hat.385 Dies bekräftigt der EGMR zuletzt im Jahr 2019 in einer beratenden Stellungnahme zum Fall Mennesson.386 Der methodische Weg zur Umsetzung dieser Ergebnisvorgaben bleibt mithin in der Verantwortung der nationalen Rechtsordnungen. Gerade deswegen halten wohl viele nationale Gesetzgeber derzeit weiterhin an dem sachrechtlichen Verbot der Leihmutterschaft fest.387 Eine stärkere Anerkennungsverpflichtung könnte sich freilich aus Art. 21 AEUV ergeben. Dem EuGH bot sich indes noch keine Gelegenheit zur Stellungnahme in einem Leihmutterschaftsfall;388 in der Literatur wird die Leihmutterschaft aber durchaus als Anwendungsfall des Anerkennungsprinzips auf unionsrechtlicher Grundlage behandelt.389
383 Ebenso Duden, StAZ 2018, 137, 138 f. Die Frage, wie bei fehlender genetischer Verwandtschaft zu verfahren ist, ist in Deutschland mittlerweile beim BGH anhängig, vgl. BGH Az. XII ZB 44/20 zurückgehend auf KG Berlin, 21.1.2020 – 1 W 47/19, FamRZ 2020, 607. 384 Kritisch zu dieser Herangehensweise Rass-Masson, Les fondements du droit international privé européen, 2015, Rn. 612 f. 385 d’Avout, D. 2014, 1806, 1810; Fulchiron/Bidaud-Garon, Rev. crit. DIP 2015, 1. 386 Vgl. EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, dazu im Einzelnen S. 148 ff. 387 Siehe zu Deutschland die Antwort der Bundesregierung vom 2.4.2020 auf die Kleine Anfrage mehrerer FDP-Abgeordneter, BT-Drs. 19/18511, S. 2. Zur Entwicklung in Frankreich s. u. S. 161. 388 Mit Spannung zu erwarten ist allerdings das Urteil des EuGH in der Sache C-490/20 (V. M. A. ./. Stolichna Obsthina, Rayon „Pancharevo“), das erstmals eine abstammungsrechtliche Statusanerkennung zum Gegenstand hat. Der EuGH hat darin unter anderem auf Grundlage von Art. 20, 21 AEUV über die Anerkennung einer spanischen Geburtsurkunde zu entscheiden, in der zwei Personen weiblichen Geschlechts (eine bulgarische sowie eine britische Staatsangehörige) als Mütter des Kindes eingetragen sind. Eine bulgarische Verwaltungsbehörde hatte die Anerkennung mit der Begründung abgelehnt, die gleichgeschlechtliche Partnerschaft der Mütter widerspreche dem bulgarischen ordre public. 389 Vgl. Audit, Recueil des cours 373 (2015), 217, 420; Bollée, in: Trav. Com. DIP 2012– 2014, 2014, S. 215, 224; Duden, Leihmutterschaft, 2015, S. 254 ff.; Lagarde, Rev. crit. DIP 2009, 320, 330; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 4 Rn. 1023.
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B. Die französische Perspektive: Die Rechtsprechung auf dem Weg zur Anerkennung Bevor auf die Entwicklung der französischen Rechtsprechung en détail einzugehen ist (II.), verdeutlich zunächst losgelöst davon ein Überblick über die objektive Rechtslage des französischen Rechts bei grenzüberschreitenden Leihmutterschaftsfällen, welche Schwierigkeiten das sachrechtliche Verbot dieser Praktiken einer EMRK-konformen Lösung nach klassischen Grundsätzen des IPR und IZVR bereitet (I.). I. Ausgangslage des französischen Kollisionsrechts 1. Internes Verbot der Leihmutterschaft und ordre public international Der Vertrag über eine Leihmutterschaft ist im französischen Recht nach Art. 16-7 C. civ. nichtig.390 Dieses Vebot spiegelt sich im materiellen Abstammungsrecht wider: Es gilt wie im deutschen Recht der Grundsatz, dass rechtliche Mutter des Kindes die Frau ist, die es geboren hat (mater semper certa est).391 Nach Art. 16-9 C. civ. ist die Nichtigkeit des Leihmutterschaftsvertrags Teil des nationalen ordre public.392 Der Verweis auf den ordre public in Art. 16-9 C. civ. meint allerdings zunächst nur die inländische öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 6 C. civ.393 Das französische Recht unterscheidet klassischerweise nach der intern und international zwingenden öffentlichen Ordnung, dementsprechend als ordre public interne beziehungsweise ordre public international bezeichnet.394 Funktional entspricht der ordre public interne im deutschen Recht denjenigen Normen, durch die nicht durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung abgewichen werden kann, wie beispielsweise § 138 BGB.395 Der ordre public international ist der Mechanismus, der entsprechend Art. 6 EGBGB das eigentlich anwendbare ausländische Recht angesichts inländischer zwingender Vorschriften aushebelt.396 390 Art. 16-7 C. civ.: „Toute convention portant sur la procréation ou la gestation pour le compte d’autrui est nulle.“ Zu den strafrechtlichen Sanktionen der Durchführung einer Leihmutterschaft im französischen Sachrecht Lagarde, ZEuP 2015, 233, 236. 391 Das Prinzip ergibt sich aus einer Zusammenschau der Art. 311-25, 325 und 332 Abs. 1 C. civ. 392 Art. 16-9 C. civ.: „Les dispositions du présent chapitre sont d’ordre public.“ 393 Art. 6 C. civ.: „On ne peut déroger, par des conventions particulières, aux lois qui intéressent l’ordre public et les bonnes mœurs.“ 394 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 387; Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 464. 395 Stürner, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2021, Art. 6 EGBGB, Rn. 51. 396 Stürner, a. a. O.
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Bemerkenswerterweise stützt die Cour de cassation ihre Rechtsprechung zur Leihmutterschaft im Fall Menesson anfänglich direkt auf Art. 16-9 C. civ. Das verwundert, denn der eigentliche Vertrag über die Leihmutterschaft findet ja angesichts des inländischen Verbots stets im Ausland statt.397 Im Verlauf der Rechtsprechung erweitert der Kassationshof seine Ausführungen indes dahingehend, dass der in Art. 16-7 C. civ. verwirklichte Grundsatz der Unveräußerlichkeit des Personenstands (indisponibilité d’état de personne) als Fundamentalwert des französischen Rechts (principes essentiels du droit français) auch international zwingenden Charakter hat.398 Streng genommen wurde demnach erst durch die Rechtsprechung der Cour selbst das Leihmutterschaftsverbot Teil des kollisionsrechtlichen ordre public international. 2. Ordre public als Hindernis der verfahrens- und kollisionsrechtlichen Anerkennung Der unbedingte Durchsetzungswille der Art. 16-7, 16-9 C. civ. gegenüber auslandsrechtlichen Fällen stellt sowohl die Anerkennung ausländischer Feststellungsurteile wie auch die kollisionsrechtliche Anerkennung399 vor nahezu unüberbrückbare Hindernisse. a) Verfahrensrechtliches Anerkennungshindernis Wollte man ein ausländisches Urteil, das die Abstammung der Wunscheltern zu dem Kind unter Anwendung des ausländischen Rechts feststellt, in Frankreich anerkennen, wird die Anerkennug in aller Regel an Art. 16-7, 16-9 C. civ. scheitern, da das darin enthaltene Verbot von Leihmutterschaftsverträgen sich gegenüber im Ausland geschlossenenen Verträgen durchsetzt. Zwar findet seit der Entscheidung Cornelissen aus dem Jahr 2007400 bei der verfahrensrechtlichen Anerkennung im französischen IPR in Familiensachen keine Überprüfung des Inhalts der Entscheidung anhand der nach der lex fori berufenen Sachrechtsvorschriften mehr statt.401 Eine ausländische Abstammungsentscheidung wird indes, ähnlich dem deutschen Recht (§ 109 FamFG), auf die Zuständigkeit des ausländischen Spruchkörpers, die ordre public-Konformität sowie die Abwesenheit von Rechtsmissbrauch hin überprüft.402 397 Vgl.
Lagarde, Rev. crit. DIP 2009, 320, 328. Hammje, Rev. crit. DIP 2011, 722, 731. 399 Zu diesem Begriff bereits in diesem Teil Fn. 42. 400 Cass. civ. 1ère, 20.2.2007, n° 05-14.082; dazu im Einzelnen näher unten S. 203 ff. 401 Foyer, in: Rép. dr. int.: Filiation, 2015, Rn. 204. 402 Ausführlich aus rechtsvergleichender Perspektive Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 659 ff. 398
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Eine Abwendung der Intervention von Art. 16-7, 16-9 C. civ. wäre im französischen IPR lediglich über die Figur des so genannten ordre public atténué denkbar.403 Der ordre public atténué hebelt ausnahmsweise die Anwendung des ordre public aus, sofern es allein um die Beurteilung der Wirkungen eines im Ausland bereits wirksam entstandenen Rechtsverhältnisses geht.404 Allerdings ist gleichfalls anerkannt, dass der ordre public atténué keine Anwendung findet, wenn das Rechtsverhältnis zwar im Ausland entstanden ist, dies aber unter bewusster Umgehung des inländischen Rechts geschah und zudem die übrigen Umstände das Falles, wie etwa die Staatsangehörigkeit der Wunscheltern oder ihr Wohnsitz, einen stärkeren In- als Auslandsbezug aufweisen.405 Wie in Deutschland ist allerdings das vereinfachte Anerkennungsverfahren von Urteilen auf lediglich behördlich ausgestellte Zivilstandsakte nicht anwendbar.406 Mithin kommt in diesen Fällen eine kollisionrechtliche Anerkennung über die Art. 311-14 ff. C. civ. in Betracht. b) Strukturschwächen der Kollisionsnormen der Art. 311-14 ff. C. civ. Die Anwendung der Art. 311-14 ff. C. civ. erweist sich indes als nicht weniger problematisch. Art. 311-14 Abs. 1 C. civ. beriefe zunächst das Heimatrecht der Mutter des Kindes zur Anwendung.407 Für die Leihmutterschaftsfälle stellt sich schon an dieser Stelle das nahezu unlösbare Qualifikationsproblem, welche Person überhaupt als Mutter im Sinne der Vorschrift gelten soll, die Leihmutter oder die Wunschmutter.408 Nach Vorstellung des französischen Sachrechts kann dies nur die Frau sein, die das Kind zur Welt gebracht hat.409 Anwendbar wäre dann jedoch das ausländische Heimatrecht der Leihmutter, nach dem das Kind recht403
Hammje, Rev. crit. DIP 2011, 722, 736; Lagarde, Rev. crit. DIP 2009, 320, 327. Der im deutschen IZVR in diesem Zusammenhang geläufige Begriff eines abgeschwächten anerkennungssrechtlichen ordre public (vgl. etwa Stürner, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2021, Art. 6 EGBGB, Rn. 160) entspricht nicht ganz dem französischen Konzept. Der ordre public atténué gilt sowohl im IPR als auch im IZVR und bricht in der Rechtsfolge das reguläre Eingreifen des ordre public vollständig ab. Eingehend zum ordre public atténué noch unten S. 184 ff. 405 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 396; Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 795-1; in Bezug auf den Fall Mennesson explizit Vignal, in: Mélanges Courbe, 2012, S. 527, 537. 406 Vgl. d’Avout, D. 2014, 1806, 1808; Fulchiron/Bidaud-Garon, Rev. crit. DIP 2015, 1, 13 f. 407 Zum Ganzen ausführlich Fulchiron/Bidaud-Garon, Rev. crit. DIP 2015, 1, 25 ff. Zum entstehungsgeschichtlichen Hintergrund der Normen bereits S. 61 ff. 408 Audit, Recueil des cours 373 (2015), 217, 404; Kessler, JDI 2020, 91, 100. 409 So die h. M. vgl. Godechot-Patris, in: JCl. Dr. int.: Établissement de la filiation, 2018, Rn. 26; Hammje, Rev. crit. DIP 2011, 722, 732; Lagarde, Rev. crit. DIP 2009, 320. 404
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mäßig von seinen Wunscheltern abstammte. Diesem Ergebnis stellte sich anschließend erneut der ordre public-Vorbehalt der Art. 16-7, 16-9 C. civ. entgegen.410 Nimmt man entgegen dieser Auffassung die Anwendbarkeit des französischen Rechts an, wäre die Abstammung nach dem internen Grundsatz mater semper certa est gleichwohl unwirksam, da die in der Geburtsurkunde ausgewiesene Frau das Kind nicht zur Welt gebracht hat. In Betracht käme außerdem eine Lösung über Art. 311-15 C. civ. für Fälle, in denen ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes oder seiner Eltern im Inland besteht, etwa nachdem das Kind mit den Wunscheltern einige Zeit in Frankreich gelebt hat.411 Zweck des Art. 311-15 C. civ. ist es gerade, die Wirkungen des französischen Statusbesitzes auf Fälle zu erstrecken, in denen nach der Grundanknüpfung des Art. 311-14 C. civ. ein anderes Abstammungsstatut zur Anwendung käme, damit das Kind trotzdem von den vorteilhaften Wirkungen des französischen Sachrechts profitieren kann.412 Indes war der Kassationshof im Fall Labassée der Ansicht, dass sich der strikte ordre public-Vorbehalt der Art. 16-7, 16-9 C. civ. auch dem Statusbesitz des Kindes nach Art. 311-1 C. civ entgegenstellt.413 Für eine (gegebenenfalls der Geburt des Kindes vorangehende) Vaterschafts anerkennung durch den Wunschvater käme überdies die Anwendung von Art. 311-17 C. civ. in Betracht.414 Die Kollisionsnorm mit sachrechtlichem Einschlag erklärt die freiwillige Vaterschaftsanerkennung für wirksam, wenn sie nach dem Heimatrecht des Kindes oder des beziehungsweise der Anerkennenden wirksam vorgenommen wurde. Ist – wie häufig der Fall – der Wunschvater mit dem Kind genetisch verwandt, könnte er die Anerkennung also veranlassen, solange das Recht seiner Staatsangehörigkeit oder derjenigen seines Kindes dies zuließe.415 Indes wird der Wunschvater häufig (nur) die französische Staatsbürgerschaft besitzen. Zudem öffnet sich über die Anwendung der Vorschrift ein „Teufelskreis“: Denn fraglich ist, welche Staatsangehörigkeit das Kind nach der 410
Kessler, JDI 2020, 91, 100. d’Avout, D. 2014, 1806, 1808; Hammje, Rev. crit. DIP 2011, 722, 734. 412 Siehe bereits S. 125 f. 413 Cass. civ. 1ère, 6.4.2011, n° 09-17130, Labassée: „[…] ce principe fait obstacle aux effets en France d’une possession d’état invoquée pour l’établissement de la filiation en conséquence d’une telle convention, fût-elle licitement conclue à l’étranger, en raison de sa contrariété à l’ordre public international français.“ Kritisch wegen der fehlenden Differenzierung zwischen international-privatrechtlicher und sachrechtlicher Ebene Hammje, Rev. crit. DIP 2011, 722, 735. 414 Art. 311-17 C. civ.: „La reconnaissance volontaire de paternité ou de maternité est valable si elle a été faite en conformité, soit de la loi personnelle de son auteur, soit de la loi personnelle de l’enfant.“ 415 So Fulchiron/Bidaud-Garon, Rev. crit. DIP 2015, 1, 26. 411
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Geburt durch die Leihmutter erworben hat, solange eine Abstammung des Kindes aus französischer Sicht noch gar nicht wirksam begründet wurde.416 Der kurze Überblick zeigt, dass die Struktur der Art. 311-14 ff. C. Civ. für die Leihmutterschaftsfälle mehr Probleme schafft als sie löst.417 Wollte man die durch die Leihmutterschaft im Ausland etablierten Abstammungsbeziehungen zu den Wunscheltern über das Kollisionsrecht validieren, muss entweder die lex fori diese Beziehung in irgendeiner Form tolerieren, oder bei der Anwendung eines ausländischen Abstammungsstatuts der nationale ordre public zurücktreten.418 Paradoxerweise verkehrt sich damit das eigentliche rechtspolitische Anliegen der Art. 311-14 ff. C. civ., nämlich die Privilegierung des französischen Sachrechts zum Vorteil der Parteien, bei der Leihmutterschaft ins Gegenteil:419 die restriktive Position des französischen Abstammungsrechts führt über das Kollisionsrecht regelmäßig zu hinkenden Abstammungsverhältnissen des Kindes. Ähnlich verhält es sich im deutschen Recht, wo die Anknüpfungen des Art. 19 Abs. 1 EGBGB an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes oder die Staatsangehörigkeit der Wunscheltern regelmäßig zur Anwendung der prohibitiven deutschen Rechtsordnung führen.420 Im Ergebnis bleiben damit im französischen Recht die klassischen Mechanismen von IPR und IZVR durch den strikten ordre public der Art. 16-7, 16-9 C. civ. paralysiert. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die französische Rechtsprechung einen methodisch völlig anderen Weg eingeschlagen hat.421 II. Entwicklungslinie der französischen Rechtsprechung422 Die gerichtliche Auseinandersetzung mit der Anerkennung ausländischer Leihmutterschaften dauert in Frankreich nahezu zwei Jahrzehnte an und hat eine Vielzahl an Urteilen hervorgebracht, von denen hier nur die wichtigsten überblicksartig dargestellt werden können. 416
Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band II, 2017, Rn. 795–1; allgemeiner zu diesem Problemkreis Audit, Recueil des cours 373 (2015), 217, 408 ff. 417 Foyer, in: Rép. dr. int.: Filiation, 2015, Rn. 255; Fulchiron/Bidaud-Garon, Rev. crit. DIP 2015, 1, 33; Kessler, JDI 2020, 91, 107. 418 Zu konkreten Reformvorschlägen vgl. Kessler, JDI 2020, 91, 108 ff. 419 Vgl. zu dem „Heimwärtsstreben“ der Art. 311-14 ff. C. civ. bereits S. 61 ff. 420 Im Einzelnen dazu v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 4, Rn. 992 ff.; Duden, Leihmutterschaft, 2015, S. 29 ff.; Reuß, Elternschaftsrecht, 2018, S. 514 ff. 421 Teilweise wird dem Gericht unterstellt, es habe die kollisionsrechtliche Dimension aufgrund der methodischen Schwierigkeiten gar bewusst vernachlässigt, vgl. Deschamps, Le fondement de la filiation, 2019, Rn. 945; Mailhé, in: La circulation des personnes et de leur statut 2019, S. 379, 383. 422 Vgl. zu diesem und den folgenden Abschnitten im Ansatz bereits Schlürmann, ZEuP 2020, 691 ff.
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1. Der Fall Mennesson als Ausgangspunkt Die juristische Vorgeschichte zu der berühmtesten Entscheidung des EGMR in Sachen Leihmutterschaft, der Rechtssache Mennesson423, beginnt bereits zu Anfang der 2000er Jahre. Das Ehepaar Mennesson, Eltern von zwei in Kalifornien (USA) von einer Leihmutter ausgetragenen Zwillingen, beantragt nach Art. 47 C. civ. die Übertragung der auf Grundlage eines kalifornischen Urteils ausgestellten Geburtsurkunden der Kinder in das französische Zivilstandsregister. Die Vorschrift des Art. 47 C. civ. besagt zwar zunächst nur, dass im Ausland erstellten Personenstandsurkunden im Inland Beweiskraft zukommt, solange die Formvorschriften des Ursprungsstaates eingehalten sind.424 Auf Antrag bei den französischen Auslandsvertretungen hin kann allerdings auf dieser Grundlage die Übertragung der ausländischen Urkunde in das französische Personenstandsregister veranlasst werden (transcription).425 Im Fall Mennesson ist allein der Ehemann mit den Zwillingen genetisch verwandt. Die Urkunden weisen ihn als biologischen, die Ehefrau als rechtliche Mutter der Kinder aus. Nach erfolgter Übertragung der Urkunden in das französische Personenstandsregister durch das zuständige Standesamt in Nantes, beantragt der Procureur général die Nichtigerklärung der Übertragung wegen Verstoßes gegen den französischen ordre public.426 Die Geburtsurkunden der Kinder beruhten auf einem nach Art. 16-7, 16-9 C. civ. nichtigen Leihmutterschaftsvertrag. In dem ganz ähnlich gelagerten Fall des Ehepaares Labassée versuchen die Ehegatten für ihr in Minnesota (USA) durch eine Leihmutterschaft geborenes Kind eine beglaubigte Urkunde (acte de notoriété) zu beantragen, welche die Abstammung über einen Statusbesitz des Kindes nach Art. 310-1 C. civ belegte.427 Auch hiergegen hatte die Staatsanwaltschaft mit im Ergebnis ähnlicher Begründung erfolgreich Rechtsmittel eingelegt. 423
EGMR, 26.6.2014, n° 65192/11, Mennesson c. France. C. civ.: „Tout acte de l’état civil des Français et des étrangers fait en pays étranger et rédigé dans les formes usitées dans ce pays fait foi, sauf si d’autres actes ou pièces détenus, des données extérieures ou des éléments tirés de l’acte lui-même établissent, le cas échéant après toutes vérifications utiles, que cet acte est irrégulier, falsifié ou que les faits qui y sont déclarés ne correspondent pas à la réalité.“ 425 Vgl. Art. 24 Abs. 1 Décret n° 2017-890 du 6 mai 2017 relatif à l’état civil, JORF n° 0109 du 10 mai 2017, texte 112, NOR : JUSC1703743D. Zu diesem Verfahren sogleich noch ausführlich S. 156 ff. 426 Das ministère public stützte sich in diesem Fall auf die allgemeine Zuständigkeit zur Verteidigung des ordre public aus Art. 423 C. proc. civ. Zunächst wurde die Zulässigkeit dieses Vorgehens juristisch ausgefochten, bevor die Cour de cassation überhaupt zur ordre public-Widrigkeit des Leihmutterschaftsvertrages Stellung nehmen konnte, vgl. Cass. civ. 1ère, 17.12.2008, n° 07-20.468. 427 Zur Figur des Statusbesitzes im französischen Recht s. o. S. 63 f. 424 Art. 47
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Die Cour de cassation entscheidet schließlich für beide Fälle im April 2011, dass die Übertragung der Geburtsurkunden beziehungsweise die Ausstellung der Bescheinigung über den Statusbesitz im Falle Labassée aufgrund der vorangegangen Leihmutterschaft unvereinbar sei mit dem französischen ordre public, niedergelegt in Art. 16-7, 16-9 C. civ.428 Der Vertrag verstoße gegen das Verbot der Leihmutterschaft, das Ausdruck der Unveräußerlichkeit der Person und als solches Teil der fundamentalen Grundsätze der französischen Rechtsordnung sei. Dieses Verbot setze sich gegenüber einem rechtmäßig im Ausland geschlossenen Leihmutterschaftsvertrag zwingend durch.429 Diese strikte Position setzte das Gericht in einer weiteren Serie von Fällen aus dem Jahr 2013 fort. Darin waren in den Geburtsurkunden zweier in Indien geborenener Kinder jeweils ihr französischer Vater, der die Vaterschaft zuvor anerkannt hatte, sowie die indische Leihmutter als Mutter ausgewiesen, was der biologischen Realität entsprach. Die Cour de cassation stützte sich in diesen Fällen auf die Figur des Rechtsmissbrauch (fraude à la loi), da die Männer versucht hatten, das französische Verbot der Leihmutterschaft aktiv im Ausland zu umgehen.430 Auch wenn die Entscheidungen in ihren Begründungsansätzen (ordre public-Widrigkeit beziehungsweise fraude à la loi) abweichen,431 führten sie doch immer zum selben Ergebnis: Ein Abstammungsverhältnis ließ sich nach dem französischen Recht zu keinem der Wunschelternteile eines aus einer Leihmutterschaft hervorgegangenen Kindes etablieren. Ein Minimalschutz des Kindes 428
Cass. Civ. 1ère, 6.4.2011, n° 10-19053, Mennesson, und n° 09-66.486, Labassée. Cass. Civ. 1ère, 6.4.2011, n° 10-19053, Mennesson: „Mais attendu qu’est justifié́ le refus de transcription d’un acte de naissance établi en exécution d’une décision étrangère, fondé sur la contrariété à l’ordre public international français de cette décision, lorsque cette décision heurte des principes essentiels du droit français; qu’en l’état du droit positif, il est contraire au principe de l’indisponibilité de l’état des personnes, principe essentiel du droit français, de faire produire effet, au regard de la filiation, à une convention portant sur la gestation pour le compte d’autrui, qui, fût-elle licite à l’étranger, est nulle d’une nullité d’ordre public aux termes des articles 16-7 et 16-9 du code civil.“ Cass. Civ. 1ère, 6.4.2011, n° 09-66.486, Labassée: „Mais attendu qu’en l’état du droit positif, il est contraire au principe de l’indisponibilité de l’état des personnes, principe essentiel du droit français, de faire produire effet à une convention portant sur la gestation pour le compte d’autrui, nulle d’une nullité d’ordre public aux termes des articles 16-7 et 16-9 du code civil; que ce principe fait obstacle aux effets en France d’une possession d’état invoquée pour l’établissement de la filiation en conséquence d’une telle convention, fût-elle licitement conclue à l’étranger, en raison de sa contrariété à l’ordre public international français.“ 430 Cass. civ. 1ère, 13.9.2013, n° 12-18.315 und 12-30.138. 431 Die unterschiedlichen Begründungsansätze resultieren in erster Linie daraus, dass die Staatsanwaltschaft jeweils unterschiedliche prozessuale Strategien zur Anfechtung der Abstammungsbeziehung verfolgte, vgl. kritisch Bollée, in: Trav. Com. DIP 2012–2014, 2014, S. 215, 226 f, 238. 429
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im französischen Inland wurde lediglich über eine Entscheidung des obersten Verwaltungsgerichtes, des Conseil d’État, hergestellt, der die Ausstellung von Reisepapieren zur Einreise nach Frankreich zuließ, ohne dabei über die Status anerkennung an sich zu entscheiden.432 2. Cour de cassation und EGMR im Dialog Die vollständige Aberkennung jeder Verwandtschaftsbeziehung der Wunsch elternteile zu dem Kind durch den Kassationshof hielt der Überprüfung durch den EGMR bekanntermaßen nicht stand.433 a) Interimslösung: Gespaltene Anerkennung und biologische Realität Die Cour de cassation ändert daraufhin ihre Rechtsprechung passgenau zur Rüge des EGMR. Die Plenarkammer des Gerichts entscheidet im Jahr 2015, dass die Übertragung einer ausländischen Geburtsurkunde in das französische Register hinsichtlich eines biologisch mit dem Kind verwandten Wunschelternteils (in diesem Fall der Wunschvater) zulässig sei.434 Der Urkundeninhalt sei bezüglich dieser Verwandtschaftsbeziehung in Ansehung des Wortlauts des Art. 47 C. civ. weder fehlerhaft oder gefälscht noch in Abweichung von der Realität zustande gekommen.435 In den dort entschiedenen Fällen war jedoch – ähnlich zu den Sachverhalten der Urteile des Jahres 2013 – in den ausländischen Geburtsurkunden stets die ausländische Leihmutter als tatsächliche Mutter des Kindes eingetragen. Dem zweiten Elternteil, in aller Regel der nicht mit dem Kind biologisch verwandten Wunschmutter, bleibt nach dieser Rechtsprechung allerdings allein der Weg über ein unter Umständen langwieriges Adoptionsverfahren mit unsicherem
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CE 4.5.2011, n° 348778, D. 2011, 1347. S. o. S. 137 ff. 434 Cass. Plén., 3.7.2015, n° 14-21.323 und 15-50.002; ausführlich dazu Fulli-Lemaire, ZEuP 2017, 471 ff. 435 Cass. Plén., 3.7.2015, n° 14-21.323: „Attendu qu’il résulte des deux premiers de ces textes que l’acte de naissance concernant un Français, dressé en pays étranger et rédigé dans les formes usitées dans ce pays, est transcrit sur les registres de l’état civil sauf si d’autres actes ou pièces détenus, des données extérieures ou des éléments tirés de l’acte lui-même établissent, le cas échéant après toutes vérifications utiles, que cet acte est irrégulier, falsifié ou que les faits qui y sont déclarés ne correspondent pas à la réalité;[…] Attendu que, pour refuser la transcription, l’arrêt retient qu’il existe un faisceau de preuves de nature à caractériser l’existence d’un processus frauduleux […] Qu’en statuant ainsi, alors qu’elle n’avait pas constaté que l’acte était irrégulier, falsifié ou que les faits qui y étaient déclarés ne correspondaient pas à la réalité, la cour d’appel a violé les textes susvisés.“ 433
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Ausgang. Dies stellt die Cour im Jahr 2017 explizit klar.436 In Bezug auf eine Frau, die das Kind nicht geboren habe, stehe der Inhalt der ausländischen Urkunde nicht mit der biologischen Realität aus Sicht des französischen Rechts in Einklang. Denn die Realität im Sinne von Art. 47 C. civ. entspreche für die Mutter des Kindes der Realität der Entbindung.437 Der Durchführung eines Adoptionsverfahrens stehe die Leihmutterschaftsvereinbarung indes nicht entgegen.438 b) Bestätigung der Lösung durch den EGMR Diese „gespaltene“ Anerkennung der ausländischen Geburtsurkunden wäre wohl auch Schicksal des Ehepaares Mennesson gewesen, hätte es sich hiergegen nicht erneut vor dem EGMR zur Wehr gesetzt. Im Fortgang dieser Rechtssache machte die Cour de cassation zunächst als erstes Gericht überhaupt von der Möglichkeit der Einholung eines Rechtsgutachtens beim EGMR Gebrauch.439 Die Cour legt dem Gerichtshof die Frage vor, ob die nur teilweise Anerkennung der Abstammung mit Adoptionslösung hinsichtlich eines nicht mit dem Kind verwandten Wunschelternteils mit dem Kindeswohlinteresse im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK vereinbar sei.440 Daraufhin entscheidet der EGMR, dass das französische Modell durchaus mit Art. 8 Abs. 1 EMRK vereinbar sei. Der Gerichtshof betont erneut, dass die Wahl der Mittel zur Umsetzung der Verpflichtungen der Konvention im Ermessen der Konventionsstaaten liege.441 Art. 8 Abs. 1 EMRK erfordere zwar innerhalb der nationalen Rechtsordnung irgendeine Möglichkeit der Anerkennung des Abstammungsverhältnisses zu einem genetisch nicht verwandten Elternteil des 436
Cass. Civ. 1ère, 5.7.2017, n° 16-16.455, 16-16.901, 15-28.597, 15-50.025. So explizit der gleichlautende Tenor der Urteile Cass. Civ. 1ère, 5.7.2017, n° 16-16.901, n° 15-28.597 und n° 15-50.025: „Que, concernant la désignation de la mère dans les actes de naissance, la réalité, au sens de ce texte, est la réalité de l’accouchement; […] Qu’ayant constaté que Mme […] n’avait pas accouché des enfants, la cour d’appel en a exactement déduit que les actes de naissance étrangers n’étaient pas conformes à la réalité en ce qu’ils la désignaient comme mère, de sorte qu’ils ne pouvaient, s’agissant de cette désignation, être transcrits sur les registres de l’état civil français.“ 438 Cass. Civ. 1ère, 5.7.2017, n° 16-16.455: „[…] le recours à la gestation pour autrui à l’étranger ne fait pas, en lui-même, obstacle au prononcé de l’adoption, par l’époux du père, de l’enfant né de cette procréation, si les conditions légales de l’adoption sont réunies et si elle est conforme à l’intérêt de l’enfant, […].“ 439 Vgl. das 16. Zusatzprotokoll zur EMRK in Kraft getreten am 1.8.2018. Es sieht für letztinstanzliche Gerichte der unterzeichnenden Mitgliedsstaaten die Möglichkeit vor, dem EGMR eine Rechtsfrage bezüglich der Konvention zur Erstattung eines Rechtsgutachtens (advisory opinion, avis consultatif) vorzulegen. Deutschland ist dem Protokoll bisher nicht beigetreten. Näher zu dem Verfahren Ferrand, FamRZ 2019, 889 f. 440 Cass. Plén., 5.10.2018, n° 10-19.053. 441 EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Rn. 51. 437
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Kindes, diese habe aber nicht zwingend ab initio zu erfolgen.442 Darüber hinaus stellt der Gerichtshof in einem orbiter dictum klar, dass es für eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 EMRK keinen Unterschied machen könne, ob eine Wunschmutter mit dem Kind genetisch verwandt sei oder nicht.443 Im Ergebnis gebiete eine Abwägung im Einzelfall, dass spätestens zu dem Zeitpunkt, in dem sich die Verbindung zwischen Kind und Wunschmutter konkretisiert habe, ein effektives und schnell umsetzbares nationales Verfahren zur Begründung der Abstammung zur Verfügung stehen müsse.444 Dies könne – je nach Ausgestaltung – auch ein Adoptionsverfahren sicherstellen.445 Der EGMR gibt damit im Grundsatz grünes Licht für das französische Modell der gespaltenen Anerkennung.446 Auch in einem neuerlichen Urteil bestätigt der Gerichtshof diese Linie selbst für den Fall, dass zwischen Kind und Wunschmutter eine genetische Verwandschaft besteht.447 Art. 8 Abs. 1 EMRK macht folglich zwar die Anerkennung des Abstammungsverhältnisses zu beiden Wunschelternteilen erforderlich, die technische Umsetzung dieser Anerkennung liegt aber unter Berücksichtigung des Effektivitätsgebots weiterhin im Ermessen der Konventionsstaaten. 3. Paukenschlag der Cour de cassation 2019 Der wirkliche „harte Kern“448 des Leihmutterschaftsverbot, nämlich die Verweigerung der automatischen Anerkennung eines Abstammungsverhältnis zu dem genetisch nicht mit dem Kinde verwandten Elternteil (in der Regel die Wunsch mutter) bleibt damit zunächst unangetastet. Dies stellt im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK für diejenigen Wunscheltern einen entscheidenden Nachteil dar, für die ein Adoptionsverfahren nicht in Betracht kam. Denn in Frankreich ist die gemeinschaftliche Adoption anders als inzwischen in Deutschland unverheirateten Paare oder eingetragenen Lebenspartner verwehrt.449 Auch die Stiefkindadop442
EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Rn. 46, 52. EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Rn. 47. 444 EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Rn. 51–55. 445 EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Rn. 54 : „Ce qui compte c’est qu’au plus tard lorsque, selon l’appréciation des circonstances de chaque cas, le lien entre l’enfant et la mère d’intention s’est concrétisé […], il y ait un mécanisme effectif permettant la reconnaissance de ce lien. Une procédure d’adoption peut répondre à cette nécessité dès lors que ses conditions sont adaptées et que ses modalités permettent une décision rapide […].“ 446 Ende des Jahres 2019 erklärte der das Gericht auf dieser Grundlage zwei ähnliche Verfahren für offensichtlich unbegründet, EGMR, 19.11.2019, n° 1462/18 und 17348/18. 447 EGMR, 16.7.2020, n° 11288/18, Rn. 70. 448 Bollée, Rev. crit. DIP 2018, 143, 145 („noyeau dur“). 449 Siehe Art. 346 C. civ.; näher v. Scheliha, Familiäre Autonomie und autonome Familie, 2019, S. 281 f. 443
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tion steht nur verheirateten Paaren offen.450 Zum Ende des Jahres 2019 überschlagen sich in Frankreich vor diesem Hintergrund dann jedoch die Ereignisse. a) Finale im Fall Mennesson: Vollständige Übertragung als Ausnahme Nach der Bestätigung der gespaltenen Anerkennungslösung durch den EGMR entscheidet die Cour de cassation im Oktober 2019 im Plenum abschließend über die nun seit mehr als zehn Jahren verhandelte Rechtssache Mennesson.451 Abermals sorgt sie für eine Überraschung: Angesichts der überlangen Verfahrensdauer von mehr als fünfzehn Jahren sei es dem Ehepaar Mennesson und seinen Kindern unzumutbar, an der Adoptionslösung betreffend des Abstammungsverhältnisses zur Wunschmutter festzuhalten. Vielmehr seien die Geburtsurkunden hinsichtlich beider Wunschelternteile in das französische Register zu übertragen.452 Die Entscheidung wurde in Anbetracht dieser Begründung von der überwiegenden Literaturmeinung in Frankreich als Härtefallentscheidung aufgrund der besonderen Umstände des Falles Mennesson eingestuft.453 b) Erweiterung der Rechtsprechung: Vollständige Übertragung als Regel Im weiteren Verlauf erhält die finale Entscheidung im Fall Mennesson jedoch eine viel grundlegendere Bedeutung für die Anerkennung ausländischer Leihmutterschaften in Frankreich. Denn bereits wenige Wochen später fühlt sich das Berufungsgericht von Rennes dazu veranlasst, die Übertragung mehrerer Geburtsurkunden von in den USA und Großbritannien geborenen Kindern ebenfalls hinsichtlich beider Wunschelternteile anzuordnen, obwohl hier gemessen an der Verfahrensdauer offensichtlich keine Härtefälle vorlagen.454 450 Darauf weist auch der EGMR in seinem Rechtsgutachten kritisch hin, vgl. EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Rn. 58. Im Übrigen ist in Frankreich auch eine Sukzessivadoption für Partner/innen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft (PACS) nicht möglich, Art. 343 C. civ.; dazu Salvage-Gerest, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 221.32. 451 Cass. Plén., 4.10.2019, n° 10-19053. 452 Cass. Plén., 4.10.2019, n° 10-19053 Rn. 19: „Il résulte de ce qui précède, qu’en l’espèce, s’agissant d’un contentieux qui perdure depuis plus de quinze ans, en l’absence d’autre voie permettant de reconnaître la filiation dans des conditions qui ne porteraient pas une atteinte disproportionnée au droit au respect de la vie privée […] consacré par l’article 8 de la Convention de sauvegarde des droits de l’homme et des libertés fondamentales, et alors qu’il y a lieu de mettre fin à cette atteinte, la transcription sur les registres de l’état civil de Nantes des actes de naissance établis à l’étranger […] ne saurait être annulée.“ 453 Brunet, AJ Fam. 2019, 481; Fulchiron/Bidaud, D. 2019, 2228, 2234; Sindres, JDI 2020, 636, 651 f. 454 CA Rennes, 18.11.2019, n° 18/04404; 25.11.2019, n° 18/01155, n° 18/01497 und n° 18/01936. ausführlich dazu Le Maigat, Gaz. Pal. 1/2020, 20 ff.
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Kurz darauf hatte die Cour de cassation über zwei weitere Fälle zur Leihmutterschaft und einen Fall zur künstlichen Befruchtung im Ausland zu entscheiden und nutzte die Gelegenheit für eine Grundsatzentscheidung:455 In den ersten beiden Fällen hatten zwei gleichgeschlechtliche Paare, darunter ein Ehepaar, nach Austragung ihrer Kinder durch eine Leihmutter in den USA die Übertragung der US-amerikanischen Geburtsurkunden in das französische Personenstandsregister beantragt. Neben den mit dem Kind genetisch verwandten französischen Vätern waren jeweils auch die nicht mit dem Kind genetisch verwandten Partner als rechtliches Elternteil (parent) in den Urkunden eingetragen. Im dritten Fall hatten zwei Französinnen die Übertragung der britischen Geburtsurkunden ihrer beiden Kinder beantragt, nachdem jeweils eine der beiden Partnerinnen eines der Kinder infolge einer künstlichen Befruchtung in England zu Welt gebracht hatte. Die nicht mit dem Kind verwandte andere Partnerin war in der Geburtsurkunde ebenfalls als rechtliches Elternteil (parent) ausgewiesen. In allen Fällen hatte sich die Oberstaatsanwaltschaft der Übertragung der Urkunden in das französische Register widersetzt. Das Berufungsgericht von Rennes ordnete jedoch – entsprechend der zuvor durch den EGMR bestätigten höchstrichterlichen Rechtsprechung der Jahre 2015 und 2017 – jeweils hinsichtlich der genetisch mit den Kindern verwandten Elternteile die Abschrift der Geburtsurkunden an. Hiergegen legten alle Wunscheltern Rechtsmittel ein, welche die Cour de cassation zunächst bis zur Ausstellung eines Rechtsgutachtens des EGMR in der Rechtssache Mennesson aussetzte. Nach dessen Ausfertigung ergingen im Dezember 2019 die letztinstanzlichen Urteile. Freilich hätte sich der Kassationshof nun mit einer Bestätigung der Rechtsprechung zur gespaltenen Anerkennung der Urkunden unter Berufung auf die biologische Realität und die Bestätigung dieses Modells durch den EGMR infolge der beratenden Stellungnahme begnügen können. Indes nutzt er die Gelegenheit für einen neuerlichen Paukenschlag: In allen drei Fällen habe das Berufungsgericht die vollumfängliche Übertragung der ausländischen Geburtsurkunden nach Art. 47 C. civ. zu Unrecht verweigert.456 Die Cour de cassation setzt sich zur Begründung ihrer Entscheidungen ausführlich mit der vorangegangenen Rechtsprechung auseinander.457 Was nach der 455
Cass. Civ. 1ère, 18.12.2019, n° 18-11.815; n° 18-12.327; n° 18-14.751; n° 18-50.007. Civ. 1ère, 18.12.2019, n° 18-11.815, Rn. 14; n° 18-12.327, Rn. 14; n° 18-14.751; n° 18-50.007, Rn. 10. 457 Dies ist positiver Effekt einer umfassenden Reform der Redaktionsvoraussetzungen der Urteile der Cour de cassation, die seit Ende 2019 zu einer neuen und klaren Sturkturierung der Entscheidungsgründe der höchstrichterlichen Urteile führte, vgl. die Pressemeldung der Cour de cassation: (letzter Abruf: 8.7.2021). 456 Cass.
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Stellungnahme des EGMR und dem eigenen finalen Urteil zur Rechtssache Mennesson für den biologischen Wunschvater eines Kindes gelte, könne für eine andere Person, die eine Geburtsurkunde als Elternteil ausweise, in Anbetracht des § 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 und des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht anders sein.458 Überdies ist sich das Gericht der Schwäche der eigenen Rechtsprechung zur teilweisen Übertragung der Urkunden bewusst: Selbstkritisch weist es darauf hin, dass diese Lösung immer dann zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht des Kindes aus Art. 8 Abs. 1 EMRK führe, wenn die Durchführung eines Adoptionsverfahrens für die Parteien unmöglich oder ungeeignet sei.459 In Anbetracht des finalen Urteils im Fall Mennesson und zum Ziele eines einheitlichen Lösungsansatzes im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung sei in den vorliegenden Fällen die Urkundenübertragung vollständig anzuordnen.460 Diesen Begründungsansatz überträgt das Gericht zudem auf das dritte Urteil der Serie zur künstlichen Befruchtung im Ausland.461 Mithin gilt der Grundsatz der vollständigen Übertragung der Urkunden unabhängig davon, ob der zweite eingetragene Elternteil ein Mann oder eine Frau ist. 4. Zwischenergebnis: Auslandsrechtliche statt biologischer Realität Als neue Leitlinie für die Anerkennung der Geburtsurkunden im Ausland geborener Leihmutterkinder nach Art. 47 C. civ. gilt im französischen Recht demnach: Geburtsurkunden, die unter ausländischem Recht wirksam ausgestellt wurden, sind unabhängig von einer genetischen Verbindung des Kindes zu dem zweiten Wunschelternteil, unabhängig von der Form der Paarbeziehung zwi458 Cass. Civ. 1ère, 18.12.2019, n° 18-11.815 und n° 18-12.327, Rn. 8 f.: „Il se déduit du deuxième de ces textes, […] qu’au regard de l’intérêt supérieur de l’enfant, la circonstance que la naissance d’un enfant à l’étranger ait pour origine une convention de gestation pour autrui, prohibée par les articles 16-7 et 16-9 du code civil, ne peut, à elle seule, […] faire obstacle à la transcription de l’acte de naissance établi par les autorités de l’Etat étranger, en ce qui concerne le père biologique de l’enfant, ni à la reconnaissance du lien de filiation à l’égard de la mère d’intention mentionnée dans l’acte étranger, laquelle doit intervenir au plus tard lorsque ce lien entre l’enfant et la mère d’intention s’est concrétisé […]. Le raisonnement n’a pas lieu d’être différent lorsque c’est un homme qui est désigné dans l’acte de naissance étranger comme « parent d’intention ».“ 459 Cass. Civ. 1ère, 18.12.2019, n° 18-11.815 und n° 18-12.327, Rn. 10. 460 Cass. Civ. 1ère, 18.12.2019, n° 18-11.815 und n° 18-12.327, Rn. 12. 461 Cass. civ. 1ère, 18.12.2019, n° 18-50.007, Rn. 8; für Fälle einer bloßen künstlichen Befruchtung ohne Mitwirken einer Leihmutter hatte die Cour de cassation zuvor schon in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2014 verlauten lassen, dass der Ehepartnerin der Mutter des Kindes ein Adoptionsrecht zustehe, siehe Cass. civ. 1ère, 22.9.2014, Avis n° 1470006 und n° 1470007; kritisch zur Parallele von Leihmutterschaft und künstlicher Befruchtung Sindres, JDI 2020, 636, 655 ff.
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schen den Eltern und unabhängig vom Kriterium der Entbindung durch eine in der Urkunde eingetragene Frau in das französische Personenstandsregister zu übertragen. Eine davon abweichende biologische oder – aus der bisherigen französischen Perspektive – normative Realität kann dem nicht mehr entgegengehalten werden. Künftig ist allein die faktisch-soziale Realität des Zusammenlebens des Kindes mit den Wunscheltern ausschlaggebend. Die réalité du droit français beziehungsweise die réalité de l’accouchement, die von der Cour de cassation noch im Jahr 2017 in Art. 47 C. civ. hineingelesen wurde, weicht damit einer réalité du droit étranger. Die Innovationskraft der Entscheidungen vom Dezember 2019 ist deshalb – abseits ihrer methodischen Schwierigkeiten – nicht zu unterschätzen. Die Cour de cassation setzt damit einen fuluminanten Schlusspunkt unter eine Rechtsentwicklung, die sich über mehr als ein Jahrzehnt herausgebildet hat. Die Cour geht sogar noch einen bemerkenswerten Schritt weiter, indem sie implizit für eine umfassenden Gleichbehandlung von verschiedenen Formen der Paarbeziehung und Elternschaft sorgt. Zwar war ihr eine Öffnung der Adoptionsmöglichkeit für unverheiratete Paare contra legem verwehrt. Letztlich nutzt sie jedoch „Hintertür“ des Art. 47 C. civ., um eine Gleichbehandlung de lege lata dennoch herzustellen.462 Damit wird die Kehrtwende von der vollständigen Aberkennung zur vollständigen Anerkennung der aus der Leihmutterschaft hervorgegangenen ausländischen Geburtsurkunde komplett. Die Position, die der Kassationshof damit Ende 2019 einnimmt, vertieft gleichwohl den Graben zwischen dem weiterhin bestehenden sachrechtlichen Verbot der Leihmutterschaft und den Wirkungen der Umgehung dieses Verbots im Ausland: Der nach französischem Sachrecht noch immer gültige Grundsatz mater semper certa est wirkt angesichts der im Ausland begründeten Rechtslage nahezu ausgehöhlt. Denn im französischen Sachrecht erfolgt die Begründung der Abstammung eigentlich über den Nachweis der Eintragung als Mutter in der Geburtsurkunde gemäß Art. 311-25 C. civ.463 Der Vorschrift liegt implizit die Annahme zugrunde, diese Frau habe das Kind geboren.464 In dieser Urkunde wird nach den jüngsten Judikaten der Cour de cassation künftig indes nicht mehr zwingend diejenige Frau als Mutter eingetragen sein, die das Kind ausgetragen hat.465
462
Zur Wirkung des Art. 47 C. civ. im Einzelnen sogleich C. C. civ.: „La filiation est établie, à l’égard de la mère, par la désignation de celle-ci dans l’acte de naissance de l’enfant.“ 464 Granet-Lambrechts, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 212.21. 465 Kritisch deswegen Sindres, JDI 2020, 636, 663. Zu einer möglichen Reaktion des französischen Gesetzgebers auf diese Rechtsprechung sogleich S. 161. 463 Art. 311-25
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
C. Bedeutung der Rechtsprechung für die Anerkennungsmethodik Den deutschen Leser mag es in Anbetracht der Fülle an ergangenen Entscheidungen verwundern, dass bisher Erwägungen zur Anerkennung ausländischer Abstammungsurteile oder zur Ermittlung des auf die Begründung der Abstammung anwendbaren Rechts, wie sie zu Beginn des vergangenen Abschnitts vorgenommen wurden, nicht zur Sprache kamen. Indes setzt eine „echte“ Anerkennung der im Ausland begründeten Abstammung im kollisionsrechtlichen Sinne voraus, dass die materiell-rechtlichen Wirkungen des Abstammungsverhältnisses in die neue Rechtsordnung übertragen werden.466 Dazu wäre nach klassisch international-privatrechtlichen Grundsätzen aber entweder die Anerkennung eines ausländischen Gerichtsurteils, dass die rechtliche Elternschaft der Wunscheltern feststellt, oder, für den Fall, dass es sich lediglich um den behördlichen Akt einer ausländischen Geburtsurkunden handelt, eine Wirksamkeitsüberprüfung nach den französischen Kollisionsnormen zum Internationalen Abstammungsrecht notwendig.467 Tatsächlich beruhte die Ausstellung der ausländischen Geburtsurkunden in vielen Fällen, so etwa im Fall Mennesson, auf einem ausländischen Urteil, das die Abstammung von Kind und Wunscheltern feststellte.468 Aber auch in anderen Fällen, in denen es etwa um indische, russische oder ukrainische Dokumente ohne vorangegangene Feststellungsurteile ging, verlieren die französischen Gerichte kein Wort über die Frage, welches Recht auf das der Urkunde zugrunde liegende Abstammungsverhältnis anwendbar ist.469 Vielmehr entscheidet der Kassationshof allein auf Grundlage des Art. 47 C. civ. Diese Vorschrift, die eigentlich die formelle Beweiskraft von ausländischen Urkunden im Inland regelt, ist infolgedessen zum zentralen Bestandteil der französischen Anerkennungsmethodik bei ausländischen Leihmutterschaften avanciert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich die aufgezeigte Entwicklung der französischen Rechtsprechung in das methodische Instrumentarium des Kollisionsrechts einfügt und wie sie sich insbesondere zur Methodik der Anerkennung im Ausland begründeter Rechtslagen verhält. Die Aussagen der Rechtsprechung der Cour de cassation sowie des EGMR dazu sind doppeldeutig (I.). Wie oben festgestellt ist das französische IPR in seiner aktuellen Ausgestal466
Zum Begriff der Anerkennung bereits S. 76 ff. Sindres, JDI 2020, 636, 659. 468 Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 255. 469 Kritisch angesichts dieses „kollisionsrechtsblinden“ Vorgehens deswegen d’Avout, D. 2014, 1806, 1807 f.; Bollée, in: Trav. Com. DIP 2012–2014, 2014, S. 215, 220; Sindres, JDI 2020, 636, 664 f. 467 Ebenso
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tung nicht in der Lage, die Leihmutterschaftsproblematik adäquat zu lösen, solange das Art. 16-7, 16-9 C. civ. innewohnenede Verbot von Leihmutterschaftsverträgen sich international zwingend durchsetzt. Strategisch erfolgversprechender war für die betroffenen Parteien in Frankreich daher der Weg über Art. 47 C. civ.470 Vergleicht man dessen originäre Funktion mit derjenigen, die er in der aktuellen Interpretation der französischen Rechtsprechung angenommen hat, so lässt sich feststellen, dass das französische Recht hier von einer Anerkennung der ausländischen Leihmutterschaft als Rechtslage nicht mehr allzu weit entfernt ist (II.) I. Ambiguität der Rechtsprechung In der frühen Rechtsprechung der Cour de cassation aus den Jahren 2011 und 2013 vor der Verurteilung durch den EGMR finden sich noch Ansätze dahingehend, die Abwehr der Wirkungen des ausländischen Leihmutterschaftsvertrages auf die ordre public-Widrigkeit der ausländischen Feststellungsurteile beziehungsweise das Institut der fraude à la loi zu stützen.471 Nach dem Einschreiten des EGMR verlagerte das Gericht den Fokus seiner Argumentation jedoch rasch weg von der IPR-Ebene hin zu Art. 47. C.civ. und der Tatsache, dass die tatsächlichen Umstände der Leihmutterschaftsfälle (in Gestalt der realité biologique oder der réalité de l’accouchement) die Beweiskraft der ausländischen Urkunde aus Sicht des französischen Sachrechts widerlegten.472 So zieht sich die Cour nach und nach auf den formellen Charakter der Vorschrift zurück und lässt die international-privatrechtliche Dimension der Problematik außen vor. Erst in den neueren Urteilen des Gerichts aus dem Jahr 2019 kehren interna tional-privatrechtliche Überlegungen scheinbar zurück. Sie sind in ihrer Aussage jedoch uneindeutig: Zunächst scheint der Kassationshof im Wortlaut einiger Entscheidungen nicht klar zwischen der bloßen Eintragung der ausländischen Urkunde im französischen Register nach Art. 47 C. civ. und der vollumfänglichen Anerkennung der darin verbrieften Rechtslage zu unterscheiden. Häufig ist die Rede von einer „Anerkennung“ der Abstammungsbeziehung.473 Darüber hinaus weist das Ge470 Diesen prozesstaktischen Aspekt betont insbesondere Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 255. Die Anwendung des Art. 47 C. civ. geht deshalb maßgeblich auf die Praxis der französischen Behörden zurück, die ausländische Geburtsurkunden bei Verdacht auf eine Leihmutterschaft zunächst eintragen ließen, um sie dann postwendend wegen eines ordre public-Verstoßes anzugreifen. Diesen Hinweis verdanke ich Lukas Rass-Masson. 471 Vgl. S. 144 ff. 472 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 723; Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 513.154. 473 So etwa Cass. Civ. 1ère, 18.12.2019, n° 18-11.815 und n° 18-12.327, Rn. 8: „[…] la nais-
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richt darauf hin, die Zulässigkeit der Urkundenübertragung sei immer dann notwendig, wenn ein Adoptionsverfahren unmöglich oder ungeeignet ist. Dies könnte man so auslegen, dass die Rechtsfolgen beider Verfahren nach Ansicht der Cour gleichwertig sind.474 Auch der EGMR scheint in seiner Rechtsprechung von einer solchen Gleichwertigkeit auszugehen.475 Auf der anderen Seite findet sich indes in den Entscheidungen vom Dezember 2019 ein fast beiläufiger methodischer Hinweis des Kassationshofs: Bei einem Antrag auf Abschrift der ausländischen Geburtsurkunden nach Art. 47 C. civ. handele es sich weder um eine Klage auf Anerkennung noch um eine Klage auf Begründung des Abstammungsverhältnisses.476 Zu Ende gedacht bedeutete dies: Die Urkundenübertragung kann die Begründung der Abstammungsbeziehung nicht ersetzen. Mit dieser Aussage scheint das Gericht sich eher von der Anerkennung des Abstammungsverhältnisses auf materiell-rechtlicher Ebene im Sinne einer Anerkennung der Rechtslage als solche abgrenzen zu wollen. Im Ergebnis geht aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung folglich nicht eindeutig hervor, welche Wirkungen das Verfahren nach Art. 47 C. civ. aus kollisionsrechtlicher Perspektive haben soll.477 II. Denaturierung des Art. 47 C. civ. als Konsequenz In Anbetracht dessen stellt sich die Frage, inwieweit der von der französischen Rechtsprechung eingeschlagene Weg über Art. 47 C. civ. den Bedürfnissen der Wunscheltern nach der Anerkennung ihres Abstammungsverhältnisses nachkommt. Bei Art. 47 C. civ. handelt es sich in erster Linie um eine formelle Anerkennung der Beweiskraftwirkung ausländischer Urkunden (1.). Jedoch ist nach den von der Rechtsprechung zur Leihmutterschaft entwickelten Grundsätzen
sance d’un enfant à l’étranger ait pour origine une convention de gestation pour autrui, ne peut, […] faire obstacle à la transcription de l’acte de naissance établi par les autorités de l’Etat étranger, […] ni à la reconnaissance du lien de filiation à l’égard de la mère d’intention […].“ (Hervorh. d. Verf.) Der fast identische Wortlaut findet sich überdies in der finalen Entscheidung zum Fall Mennesson in Cass. Plén., 4.10.2019, n° 10-19053, Rn. 6. 474 So etwa Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 256. 475 EGMR (Avis consultatif), 10.4.2019, n° P16-2018-001, Rn. 53 und EGMR, 16.7.2020, n° 11288/18, Rn. 66: „[…] l’adoption produit des effets de même nature que la transcription de l’acte de naissance étranger s’agissant de la reconnaissance du lien de filiation entre l’enfant et la mère d’intention.“; kritisch zum Ganzen bereits Fulchiron/Bidaud, D. 2019, 2228, 2233. 476 Cass. Civ. 1ère, 18.12.2019, n° 18-11.815 und n° 18-12.327, Rn. 12: „[…] en présence d’une action aux fins de transcription de l’acte de naissance étranger de l’enfant, qui n’est pas une action en reconnaissance ou en établissement de la filiation, […].“ (Hervorh. d. Verf.); ebenso im dritten Urteil Cass. civ. 1ère, 18.12.2019, n° 18-50.007, Rn. 10. 477 Ebenso Sindres, JDI 2020, 636, 666.
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eine gewisse faktische Anerkennungswirkung der Vorschrift bezüglich des materiell-rechtlichen Inhalts der Geburtsurkunde nicht zu leugnen (2.). 1. De jure: Anerkennung der Beweiskraft und Vermutungswirkung Art. 47 C. civ. verleiht, wie an anderer Stelle bereits erwähnt, einer im In- wie im Ausland erstellten Personenstandsurkunde Beweiskraft, solange die Formvorschriften des Ursprungsstaates eingehalten sind.478 Was das Verfahren der Übertragung einer ausländischen Urkunde (transcription) auf Grundlage dieser Vorschrift genau beinhaltet ist nicht einheitlich geregelt. Die einzige Definition findet sich in § 207 der IGEC479: „La transcription est l’opération par laquelle un officier de l’état civil reporte sur ses registres un acte de l’état civil reçu ailleurs que dans sa circonscription, ou une décision judiciaire relative à l’état civil.“
Das Verfahren der transcription erfüllt im Ergebnis wie jede Registereintragung im Personenstandsregister in erster Linie eine Publizitätsfunktion.480 Ob die Urkunde auf Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung erstellt wurde oder nicht, ist dabei unerheblich. Anders als bei einer Heiratsurkunde (Art. 171-5 C. civ.) ist das Abschriftverfahren bei Geburtsurkunden überdies nicht zwingend. Die Verwendung allein der ausländischen Urkunde bringt indes erfahrungsgemäß erhebliche Schwierigkeiten im Lebensalltag der Familie mit sich.481 Der Antrag auf Übertragung der Urkunde kann allerdings abgelehnt werden, wenn sich abweichende tatsächliche Umstände des Sachverhaltes aufdrängen, ein Verstoß gegen den nationalen ordre public nahe liegt oder die ausländischen Formvorschriften nicht eingehalten sind.482 Stellt sich heraus, dass die Urkunde unrichtig oder gefälscht ist oder die darin enthaltenen Tatsachen unwahr sind, kann die Vermutung für die Richtigkeit aus Art. 47 C. civ. nachträglich widerlegt werden.483 Die Rechtsnatur des Verfahrens nach Art. 47 C. civ. als Publizitätsakt ist auch für die Rechtsfolgen entscheidend. In ihrer Rechtsfolge betreffen Art. 47 C. civ. und das Verfahren der transcription lediglich das Urkundendokument (instru478 Art. 47 C. civ.: „Tout acte de l’état civil des Français et des étrangers fait en pays étranger et rédigé dans les formes usitées dans ce pays fait foi, sauf si d’autres actes ou pièces détenus, des données extérieures ou des éléments tirés de l’acte lui-même établissent, le cas échéant après toutes vérifications utiles, que cet acte est irrégulier, falsifié ou que les faits qui y sont déclarés ne correspondent pas à la réalité.“ 479 Zur IGEC in diesem Teil bereits oben Fn. 112. 480 Ausführlich dazu Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 249 ff. 481 Vgl. Lagarde, Rev. crit. DIP 2009, 320, 325. 482 Hubert/Auvolat, in: JCl. Civ.: Actes de l’état civil, 2010, Rn. 99. 483 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 723 a. E.
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mentum), nicht das darin verbriefte Rechtsverhältnis (negotium).484 Die Vorschrift erkennt die formelle Beweiskraft des darin beurkundeten Ereignisses an. Eine Anerkennung der rechtlichen Wirkungen des beurkundeten Rechtsverhältnisses, also beispielsweise der Existenz eines Abstammungsverhältnisses zwischen Wunscheltern und Kind, stellt dies gleichwohl nicht dar.485 Folglich wird im Rahmen der Übertragung der Urkunde in das französische Register auch keine kollisionsrechtliche Wirksamkeitskontrolle des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses durchgeführt.486 Art. 47 C. civ. ist mithin zunächst einmal „nur“ funktionales Äquivalent zu vergleichbaren deutschen Normen, auch wenn das Verfahren der transcription dem deutschen Recht unbekannt ist. So regelt im deutschen Recht § 54 PStG die formelle Beweiswirkung inländischer Urkunde für das Personenstandsrecht. Der Urkundeninhalt kann gem. § 54 Abs. 3 S. 1 PStG ohne zeitliche Einschränkungen widerlegt werden.487 Für die Beweiskraft ausländischer Urkunden gelten ähnliche Grundsätze über § 30 FamFG i. V. m. §§ 438, 415 ff. ZPO.488 Die Urkunde beweist demnach lediglich die in ihr enthaltenen Tatsachen, nicht jedoch die Richtigkeit des darin angegebenen Personenstandsverhältnisses.489 In seiner Wirkung de jure geht die französische Norm nicht über das deutsche Recht hinaus. Die im rechtsvergleichenden Kontext teilweise vertretene Ansicht, das französische Recht erkenne die Wirkung ausländischer Urkunden über Art. 47 C. civ. vollumfänglich an,490 greift de lege lata zu kurz.
484 Chalas, Rev. DIP 2014, 39, 44, 47; Cresp/Hauser/Ho-Dac/Sana-Chaillé de Néré, Droit de la famille, 2018, Rn. 807; Hubert/Auvolat, in: JCl. Civ.: Actes de l’état civil, 2010, Rn. 20; Mailhé, in: La circulation des personnes et de leur statut 2019, S. 379, 386. 485 Treffend Fulchiron/Bidaud-Garon, Rev. crit. DIP 2015, 1, 15: „Pour autant, transcription d’un acte étranger et reconnaissance de l’état qu’il atteste sont deux choses différentes. L’acte de l’état civil droit être distingué de l’état de la personne: il en est en l’état actuel de droit, uniquement mode de preuve. Il ne fait que prouver que tel événement (faits ou actes juridiques) intéressant l’état de personne s’est produit à l’étranger; il ne garantit nullement que l’état de la personne dont il atteste sera reconnu en France.“ Ebenso Fulli-Lemaire, ZEuP 2017, 471, 481; Paricard, D. 2020, 426, 430. 486 Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 251. 487 Gomille, StAZ 2017, 320, 232; Hepting in: Personenstandsrecht, 2009, Band II, Rn. I-26.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 1, 3 f. 488 Freitag, StAZ 2012, 161, 167. 489 Näher Helms, in: MüKoBGB, 2020, Art. 19 EGBGB, Rn. 87 f.; zum Ganzen Freitag, StAZ 2012, 161 ff. 490 So Mansel, in: Liber Amicorum Jayme, 2019, S. 27, 37 unter Verweis auf Dutta/Frank/ Freitag/Helms/Krömer/Pintens, StAZ 2014, 33, 41.
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2. De facto: Funktionsäquivalent einer Rechtslagenanerkennung? Bei objektiver Betrachtung scheint der Weg über Art. 47 C. civ. dem Ziel der Wunscheltern, die Abstammung zu ihrem Kind in Frankreich rechtsverbindlich anerkennen zu lassen zwar ein Stück näher zu kommen, es jedoch nicht vollständig zu erreichen, da der Urkundeninhalt nicht „gerichtsfest“ ist. Eine nur formelle Anerkennung der Beweiskraft einer Personenstandsurkunde ist eben noch keine rechtskräftige Anerkennung der Abstammungsbeziehung zwischen Wunscheltern und Kind.491 Dieser Makel der rein formellen Anerkennungswirkung des Art. 47 C. civ. wiegt indes weniger schwer, wenn man sich einem funktionalen Ansatz folgend die tatsächliche Wirkung des Verfahrens unter Berücksichtigung der Interpretation des Kassationshofes näher vor Augen führt. Dabei sprechen maßgeblich zwei Gründe für eine im Ergebnis faktisch funktionsäquivalente Anerkennung des Abstammungsverhältnisses: Erstens kann die Urkundenübertragung in das französische Register den Auslandsbezug des Sachverhaltes verschleiern (a); zweitens ist eine Anfechtung der Urkunde und ihres Inhaltes nur noch in seltenen Fällen denkbar, was dem Kind eine überwiegend gesicherte Rechtsposition verschafft (b). a) Verdeckung des Auslandsbezugs der Abstammung Nach erfolgreicher Übertragung einer Urkunde in das französische Personenstandsregister kann dem Kind auf dieser Grundlage eine französische Geburtsurkunde ausgestellt werden.492 Der Antrag auf Übertragung ist für die Wunscheltern mithin ein pragmatischer Weg, eine französische Geburtsurkunde für ihr Kind zu erlangen, welche die Ausstellung weiterer wichtiger Dokumente (beispielsweise Ausweispapiere oder ein Staatsangehörigkeitsnachweis) maßgeblich erleichtert.493 Die auf diesem Weg ausgestellte Geburtsurkunde unterscheidet sich von einer originär in Frankreich ausgestellten Urkunde nicht mehr.494 Der Zeugungs- und Austragungsprozess des Kindes ist damit kaum mehr nachzuvollziehen. Stellt sich zu einem späteren Zeitpunkt, beispielsweise im Rahmen eines Erbfalles, die Frage nach der Abstammung des Kindes, bleibt durch die französische Geburtsurkunde sehr wahrscheinlich der (frühere) Auslandsbezug des Sachverhaltes verborgen.495 Wollte man die Abstammung des Kindes im Rah491
So kritisch Fulli-Lemaire, ZEuP 2017, 471, 481. Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 250. 493 Ähnlich Sindres, JDI 2020, 636, 660. 494 Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 256; Fulchiron/Bidaud-Garon, Rev. crit. DIP 2015, 1, 16. 495 A. A. wohl Sindres, JDI 2020, 636, 663. 492 Allgemeiner
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men einer kollisionsrechtlichen Wirksamkeitskontrolle jedoch nachträglich in Zweifel ziehen, erforderte dies gerade einen solchen Auslandsbezug. b) Überwiegend gesicherte Rechtsposition des Kindes Eine Gefährdung der damit erworbenen Rechte des Kindes ist darüber hinaus nur in seltenen Konstellationen denkbar. Eine Anfechtung des materiellen Urkunden inhalts bleibt zwar grundsätzlich nach der Übertragung noch möglich, scheint vor dem Hintergrund der Urteile der Cour de cassation zumindest aus Sicht der öffentlichen Behörden aber weder wahrscheinlich noch erfolgversprechend.496 Die bewusste Schaffung eines eklatant widersprüchlichen Rechtszustandes zwischen formellem Urkundenverfahren und materieller Rechtslage kann nicht Ansinnen der höchstrichterlichen Rechtsprechung sein.497 Im Übrigen wäre eine Anfechtung der Abstammung in Frankreich durch eine dritte Person, die das Kind für sich beanspruchen könnte, etwa die Leihmutter, zwar in Ausnahmefällen möglich.498 Anwendbare Kollisionsnorm wäre in diesem Fall Art. 311-17 C. civ.499 Vor dem Hintergrund, dass das liberale Heimatoder Aufenthaltsrecht der Leihmutter die Abstammung zwischen Wunscheltern und Kind ja gerade zugelassen hat, erscheint ein solches Vorgehen indes wenig aussichtsreich.500 Nur wenn man etwa über die französische Staatsangehörigkeit des Kindes oder ein Eingreifen des ordre public das prohibitive französische Sachrecht anwendete, könnte die Leihmutter sich gegebenenfalls auf Art. 332 C. civ. stützen, um die Unwirksamkeit der Abstammung zwischen Wunschmutter und Kind geltend zu machen.501 Über diesen Weg könnten zumindest die Interessen einer Leihmutter gewahrt werden, die ihre Belange bei Durchführung des Leihmutterschaftsvertrages nicht ordnungsgemäß berücksichtigt sieht. Allerdings ist zu beachten, dass Art. 333 C. civ. eine fünfjähige Verjährungsfrist für die Anfechtung Dritter vorsieht.502 Auch in diesem bisher hypothetischen Extremfall träte demnach nach Ablauf dieser Frist Rechtsfrieden ein. 496 Ähnlich
Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 257. So bereits Fulchiron/Bidaud-Garon, Rev. crit. DIP 2015, 1, 16. 498 Einen solchen fiktiven Beispielsfall bildet etwa Kessler, JDI 2020, 91, 100 f. 499 Die Norm ist auch auf die Anfechtung der Abstammung anwendbar, siehe nur Foyer, in: Rép. dr. int.: Filiation, 2015, Rn. 112. 500 So z. B. zu Art. 8 des US-amerikanischen Uniform Parent Act (UPA (2000)) ähnlich Sitter, Grenzüberschreitende Leihmutterschaft, 2017, S. 126. 501 Art. 332 Abs. 1. C. civ.: „La maternité peut être contestée en rapportant la preuve que la mère n’a pas accouché de l’enfant.“ 502 Vgl. Art. 333 Abs. 2 C. civ.: „Nul, à l’exception du ministère public, ne peut contester la filiation lorsque la possession d’état conforme au titre a duré au moins cinq ans depuis la naissance ou la reconnaissance, si elle a été faite ultérieurement.“ 497
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c) Zwischenergebnis… Betrachtet man vor diesen Hintergrund die Wirkungen des französischen Verfahrens nach Art. 47 C. civ in der Interpretation der Rechsprechung de facto, so kommen sie einer Anerkennung des in der Urkunde verwirklichten Abstammungsstatus schon sehr nahe.503 Damit ist – freilich über methodische Umwege – die Brücke geschlagen zur Rechtslagenanerkennung. Sicherlich ist die „Schwebezeit“ bis zur tatsächlichen Befriedung des Statusverhältnisses des Kindes ein „Minus“ zu einer sofortigen vollwirksamen Anerkennung der Rechtslage; sie ermöglicht dadurch aber auch einen Interessenausgleich zwischen der Statuskontinuität des Kindes und dem Schutz der Rechtsordnung vor missbräuchlichem Verhalten in – statistisch glücklicherweise raren – Härtefällen. Spätestens nach Ablauf dieser „Schwebezeit“ tritt für das dann meist noch im Vorschulalter befindliche Kind Statussicherheit ein.504 Im Ergebnis nähert sich die Cour de cassation durch die extensive Interpretation des Art. 47 C. civ. im Ergebnis also erheblich der kollisionsrechtlichen Anerkennungsmethodik an.505 d) … mit ungewisser Zukunft? Ob diese Rechtsprechungslinie der Cour de cassation auch künftig uneingeschränkt Bestand haben wird, bleibt allerdings ungewiss. Ihre Urteile vom Dezember 2019 hat die Cour de cassation zwar zwischenzeitlich bestätigt.506 Die Leihmutterschaft ist nach einigem Hin und Her nun allerdings am Rande doch noch zum Thema der zwischen den französischen Parlamentskammern heftig umstrittenen Reform des Bioethik-Gesetzes (Projet de loi relatif à la bioéthique) geworden.507 Der Gesetzentwurf sieht weitreichende Öffnungen der Möglichkeiten künstlicher Befruchtungen im Inland vor. Regelungen zu im Ausland durchgeführten Leihmutterschaften sollten darin jedoch nicht getroffen werden. Nun enthält der in letzter Fassung verabschiedete Entwuf der Assemblée Nationale in seinem Art. 7 doch eine Änderung, welche die Leihmutterschaftsproblematik betreffen könnte. Dem Entwurf zufolge soll Art. 47 C. civ. in einer neuen Fassung um einen zweiten Satz ergänzt werden, sodass er lautet:
503 Ebenso
Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 258. A. A. wiederum Sindres, JDI 2020, 636, 663. 505 Bidaud, Rev. crit. DIP 2020, 247, 258 ff. fordert deshalb eine grundlegende Reform des Art. 47 C. civ. 506 Cass. Civ. 1ère, 13.1.2021, n° 19-17.929 und 19-50.046. 507 Eine gute Übersicht über die aktuellen Entwicklungen und alle diskutierten Entwürfe bietet das dossier législatif abrufbar unter: (letzter Abruf: 8.7.2021). 504
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„Tout acte de l’état civil des Français et des étrangers fait en pays étranger et rédigé dans les formes usitées dans ce pays fait foi, sauf si d’autres actes ou pièces détenus, des données extérieures ou des éléments tirés de l’acte lui-même établissent, le cas échéant après toutes vérifications utiles, que cet acte est irrégulier, falsifié ou que les faits qui y sont déclarés ne correspondent pas à la réalité. Celle-ci est appréciée au regard de la loi française.“508
Dies bedeutete möglicherweise eine Abkehr von der Linie des Kassationshofes, die Abstammungsentscheidung des ausländischen Rechts als „Realität“ im Sinne von Art. 47 C. Civ. hinzunehmen. Ob der französische Gesetzgeber damit bezweckt, den alten Rechtszustand wiederherzustellen, bleibt derzeit ebenso offen wie die Frage, wie die Cour de cassation auf eine solche Änderung der Vorschrift reagieren würde. Die weiteren Entwicklungen bleiben diesbezüglich jedenfalls mit Spannung zu erwarten.
D. Rechtsvergleichende Einordnung In Deutschland hat sich der Gesetzgeber der Problematik im Ausland durchgeführter Leihmutterschaften ebenfalls noch nicht angenommen.509 Der Überblick über die Lösung der deutschen Rechtsprechung zeigt jedoch, dass sich der französische und der deutsche Ansatz, wenngleich sachlich ähnlich begründet, methodisch unterscheiden. 1. Rechtsprechungslinie des BGH Im deutschen Recht verfolgt der BGH anders als die französischen Gerichte eine Linie der klaren Trennung von verfahrensrechtlicher und kollisionsrechtlicher Anerkennung der Abstammungsverhältnisse.510 Das Gericht hatte schon im Jahr 2014 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass der nationale ordre public im Sinne des § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG der Anerkennung eines ausländischen Urteils, in dem die Abstammung eines in den USA geborenen Kindes zu seinen Wunscheltern festgestellt wird, nicht entgegensteht.511 Dabei stützt sich der BGH ausdrücklich auf die zu den französischen Fällen Menesson und Labassée ergangene Rechtsprechung des EGMR.512 Die Abwägung zugunsten des Kindeswohls 508 Vgl. Assemblée Nationale, Projet de loi nº 640, adopté par l’Assemblée nationale, dans les conditions prévues à l’article 45, alinéa 4, de la Constitution, relatif à la bioéthique, abrufbar unter: , S. 23 (letzter Abruf 8.7.2021); Hervorh. d. Verf. 509 Ein aktueller Entwurf des Deutschen Rates für IPR zur Reform des Internationalen Abstammungsrechts findet sich abgedruckt in IPRax 2020, 188. 510 Ein Überblick über alle Entwicklungen findet sich bei Duden, StAZ 2018, 137 ff. 511 BGH, 10.12.2014 – XII ZB 463/13, BGHZ 203, 350 ff. 512 BGH, 10.12.2014 – XII ZB 463/13, BGHZ 203, 350, Rn. 42, 56.
E. Gang der Untersuchung
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gilt nach Ansicht des BGH auch hinsichtlich der Abstammungsbeziehung zu einem mit dem Kind verwandten Wunschelternteil, solange zumindest zu einem der Wunschelternteile eine genetische Beziehung bestehe.513 Überdies berücksichtigt das Gericht die Freiwilligkeit der Entscheidung der Leihmutter, das Kind nach der Geburt fortzugeben.514 Im Übrigen, so der BGH, sei für das Bestehen einer sozial gleichwertigen Elternschaft im Interesse des Kindes weder die Gleich- oder Gemischtgeschlechtlichkeit des Paares noch die damit verbundene Frage des Bestehens einer Ehe oder Lebenspartnerschaft von Belang.515 Inzwischen wurde diese Rechtsprechung sogar für alleinstehende Wunschelternteile bestätigt.516 Nach einem positiven Beschluss des Kammergerichts, ist beim BGH derzeit zudem ein Verfahren anhängig, dass die Rechtsprechung auf einen alleinstehenden, aber nicht mit dem Kind genetisch verwandten Elternteil erstreckt.517 Die Rechtsprechung des BGH zur verfahrensrechtlichen Anerkennung ausländischer Leihmutterschaftsurteile kann demnach als durchaus liberal bezeichent werden. Anders liegt indes wohl die Linie des BGH in denjenigen Fällen, in denen kein ausländisches Feststellungsurteil, sondern lediglich eine ausländische Registereintragung vorliegt. Die Frage nach einer Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Registereintragung wurde im Nachgang zu dem Grundsatzurteil aus dem Jahr 2014 von der unsterinstanzlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt, denn die Anwendbarkeit von §§ 108, 109 FamFG auf diese Sachverhalte ist nicht unumstritten.518 Vielfach wird vertreten, dass Behördenentscheidungen, um der Anerkennung nach §§ 108, 109 FamFG zugänglich zu sein, zumindest in ihrer Funktion und dem Verfahren mit einer gerichtlichen Entscheidung vergleichbar sein müssen.519 Nach überwiegender Auffassung der Literatur fallen lediglich behördlich beurkundete Akte, wie die Eintragung der Geburt in einem ausländischen Register beziehungsweise die anschließende Ausstellung der Geburtsurkunde des Kindes, nicht unter die genannten Vorschriften, da die Akte der materiellen Rechtskraft nicht zugänglich seien.520 Der BGH hat sich dieser Einschät513
BGH, 10.12.2014 – XII ZB 463/13, BGHZ 203, 350, Rn. 34. BGH, 10.12.2014 – XII ZB 463/13, BGHZ 203, 350, Rn. 48. 515 BGH, 10.12.2014 – XII ZB 463/13, BGHZ 203, 350, Rn. 43 516 KG, 4.7.2017 – 1 W 153/16, NJW 2017, 3241 ff. 517 KG, 21.1.2020 – 1 W 47/19, FamRZ 2020, 607 f.; Beim BGH ist das Verfahren derzeit unter dem Az. XII ZB 44/20 anhängig. 518 Befürwortend etwa OLG Celle, 22.5.2017 – 17 W 8/16, FamRZ 2017, 1496 ff.; a. A. OLG München, 12.10.2017 – 31 Wx 243/16, FamRZ 2018, 696 f.; Ausführlich Frie, NZFam 2018, 97 ff.; Gomille, StAZ 2017, 320 ff. 519 Siehe nur Bumiller, in: Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 2019, § 108, Rn. 1; Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, 2020, § 108, Rn. 5. 520 Duden, StAZ 2018, 137, 143; Gomille, StAZ 2017, 320, 232; Helms, in: MüKoBGB, 514
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
zung in einem Beschluss zur Anerkennung einer ukrainischen Registereintragung in einem Leihmutterschaftsfall angeschlossen.521 Die mangelnde Vergleichbarkeit mit einer gerichtlichen Entscheidung stützt der BGH dabei vor allem auf die personenstandsrechtlichen Rechtsfolgen.522 Die Eintragung im ausländischen Geburtenregister habe zwar eine Beweisfunktion (§ 54 PStG), eine darüber hinausgehende Bindungswirkung komme ihr anders als bei einer Gerichtsentscheidung, die der materiellen Rechtskraft zugänglich sei, indes nicht zu.523 Infolge dieser Entscheidung bleibt es für die Beurteilung der Fälle, in denen keine gerichtliche Abstammungsentscheidung aus dem Ausland vorliegt, bei der problematischen Anwendung des Art. 19 EGBGB.524 Ganz ähnlich zu den französischen Vorschriften der Art. 311-14 ff. C. civ., führt die deutsche Kollisionsnorm häufig zur Anwendung des prohibitiven deutschen Sachrechts.525 Mithin wird dem Kind eine direkte Abstammungbeziehung abseits des unter Umständen langwierigen Adoptionsverfahrens zumindest zu dem weiblichen Wunschelternteil in aller Regel verwehrt bleiben.526 Führt Art. 19 EGBGB doch einmal zur Anwendung des ausländischen Rechts, das die Abstammungsbeziehung von Wunscheltern und Kind anerkennt, bleibt derzeit offen, ob die Rechtsprechung des BGH zum verfahrensrechtlichen ordre public auf den kollisionsrechtlichen ordre public im Sinne des Art. 6 EGBGB zu übertragen ist.527 Angesichts der Argumentation des Gerichts, die sich vornehmlich auf das Kindeswohl aus grund- und menschenrechtlicher Perspektive stützt, scheint eine restriktivere Handhabung des ordre public im Rahmen von Art. 6 EGBGB eher fernliegend. Der BGH selbst betont 2014 zwar, dass er lediglich auf Grundlage des großzügigeren anerkennungsrechtlichen ordre public entscheide, weist indes in den konkreten Ausführungen zur Ausgestaltung desselben explizit auf die Parallele zu Art. 6 EGBGB hin.528 2020, Art. 19 EGBGB, Rn. 82; a. A. Hausmann, in: Internationales und Europäisches Familienrecht, 2018, O. Abstammungssachen, § 108 FamFG, Rn. 9; in Hinblick auf Art. 21 AEUV ebenso v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 4 Rn. 1023. 521 BGH, 20.3.2019 – XII ZB 320/17, NJW 2019, 1608 f. 522 BGH, 20.3.2019 – XII ZB 320/17, NJW 2019, 1608, Rn. 14 ff. 523 BGH, 20.3.2019 – XII ZB 320/17, NJW 2019, 1608, Rn. 14. 524 Heiderhoff, in: BeckOK BGB, 2021, Art. 19 EGBGB, Rn. 49. 525 Vgl. ausführlich Heiderhoff, in: BeckOK BGB, 2021, Art. 19 EGBGB, Rn. 32 f.; Duden, Leihmutterschaft, 2015, S. 29 ff.; Reuß, Elternschaftsrecht, 2018, S. 514 ff. 526 Ebenso kritisch aus rechspolitischer Perspektive v. Bary, FamRZ 2019, 895, 897. 527 Befürwortend beispielsweise Duden, Leihmutterschaft, 2015, S. 216; Helms, in: MüKo BGB, 2020, Art. 19 EGBGB, Rn. 66; Mayer, RabelsZ 78 (2014), 551, 582; Sitter, Grenzüberschreitende Leihmutterschaft, 2017, S. 261 f. 528 BGH, 10.12.2014 – XII ZB 463/13, BGHZ 203, 350, Rn. 28, 33; in ähnliche Richtung Duden, StAZ 2018, 137, 142.
E. Gang der Untersuchung
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2. Bewertung Sieht man sich die Entwicklungen in beiden Rechtsordnungen im Vergleich an, ergibt sich das Folgende: Während auf rechtspolitischer Ebene das deutsche IPR im Hinblick auf die kollisionsrechtliche Lösung der Leihmutterschaftsproblematik über Art. 19 EGBGB noch auf einen Ansatz des Gesetzgebers wartet, ist die französische Rechtsprechung inzwischen selbst auf gewisse Weise rechtspolitisch tätig geworden. Auf Sachverhaltsebene zeigen sich in den jeweils entschiedenen Fällen und in der Argumentationsstruktur der Gerichte nahezu keine Unterschiede: Eine Differenzierung zwischen gleich- und gemischtgeschlechtlichen oder verheirateten beziehungsweise verpartnerten Wunschelternpaaren findet nicht mehr statt. Eine genetische Verwandtschaft zumindest eines Wunschelternteils mit dem Kind, die im Regelfall gegeben ist, ist nicht mehr zwingend Voraussetzung. Für Fälle, in denen keine genetische Verwandtschaft vorliegt, bestehen in beiden Rechtsordnungen wenig Anhaltspunkte dafür, die Abwägungsentscheidung zum Wohle des Kindes im Lichte des Art. 8 Abs. 1 EMRK anders ausfallen zu lassen als in Fällen, in denen ein Wunschelternteil mit dem Kind genetisch verwandt ist. Zudem wird hinsichtlich der direkten Begründung der Abstammungsbeziehung nicht mehr – wie vor allem in Frankreich lange praktiziert – zwischen den Wunschelternteilen entschieden. Der entscheidende Unterschied zwischen den Ansätzen beider Rechtsordnungen zeigt sich indes auf methodischer Ebene: Im deutschen Recht führt die s trikte Trennung des BGH und der wohl herrschenden Literatur zwischen der Behandlung ausländischer Abstammungsentscheidungen und nicht-anerkennungsfähiger sonstiger Behördenakte zu einer restriktiveren Position als das französische Recht. Auf international-verfahrensrechtlicher Ebene profitieren die Kinder und ihre Wunscheltern von der liberalen Ausgestaltung des nationalen ordre public wie sie der BGH in seinem Leiturteil 2014 praktiziert. Liegt indes eine funktional gleichwertige Gerichtsentscheidung der ausländischen Rechtsordnung nicht vor, blockiert Art. 19 EGBGB im Rahmen der kollisionsrechtlichen Wirksamkeitskontrolle die Begründung der Abstammungsbeziehung zumindest in Bezug auf die Wunschmutter, solange danach das deutsche Sachrecht zur Anwendung kommt. Zwar bleibt das deutsche Recht damit der klassischen IPR-Methodik und dem traditionellen Ansatz der strikten Trennung zwischen verfahrensrechtlicher und kollisionsrechtlicher Anerkennung treu; es provoziert damit allerdings in einer signifikanten Zahl von Fällen hinkende Abstammungsverhältnisse zum Nachteil des Kindes.529 Diese restriktive Position könnte in einem Unionssachverhalt angesichts des Art. 21 AEUV oder aber erneut in Ansehung des Art. 8 529 Mit Verweis auf die aus der Differenzierung resultierenden Ungleichbehandlung betroffener Kinder deswegen kritisch Helms, IPRax 2020, 379, 380.
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
Abs. 1 EMRK zum Problem werden.530 Nach jetzigem Stand bleiben die Wunsch elternteile in Deutschland auf das Adoptionsverfahrens verwiesen. Hier macht das deutsche Sachrecht allerdings anders als das französische für Sukzessiv- und Stiefkindadoptionen zumindest keine Unterscheidung mehr nach der Gleichgeschlechtlichkeit der Paare oder nach dem Vorliegen einer ehelichen oder nichtehelichen Partnerschaft. Die französische Rechtsprechung hat mit dem Weg über Art. 47 C. civ. methodisch einen anderen Weg gewählt, der die Differenzierung zwischen gerichtlicher und sonstiger behördlicher Entscheidung in Ansehung der Abstammungsbeziehungen bei der Leihmutterschaft außen vor lässt. Vielmehr steht allein das EGMR-konforme Ergebnis im Vordergrund, dem Kind bei tatsächlichem Vorliegen eines faktisch-sozialen Familienlebens eine Möglichkeit zu gewähren, dieses Familienleben in rechtlicher Hinsicht bestätigt zu wissen. Dies beruht freilich auf dem etwas wackeligen Gerüst der formellen Urkundenanerkennung im Sinne des Art. 47 C. civ., der in seiner Rechtsfolge de lege lata keine materiell-rechtliche Begründungswirkung hinsichtlich der Abstammung entfaltet. Sieht man sich die Folgen des Verfahrens nach Art. 47 C. civ. in der Interpretation der Cour de cassation jedoch de facto an, kommt der französische Ansatz der Methodik der Rechtslagenanerkennung im Ergebnis sehr nahe. In dieser de facto-Wirkung umgeht das französische Recht überdies Konflikte mit der restriktiven Handhabung von Adoptionsmöglichkeiten auf Sachrechtsebene. Im Ergebnis führen die methodischen Divergenzen auf Rechtsfolgenebene zu einer unterschiedlichen Reichweite der Anerkennung. Es bleibt zu hoffen, dass schlussendlich ein einheitsrechtlicher Rechtsakt, wie beispielsweise das Haager Projekt zum Abstammungsrecht,531 zu einer international harmonisierten Lösung der Problematik führt. Indes sind die Erwartungen an das Projekt nicht überzubewerten, da dessen Fokus derzeit auf den deutlich weniger brisanten Fällen der Anerkennung gerichtlicher Abstammungsentscheidungen liegt.532 Den „Hot spot“ der Anerkennungsproblematik stellen allerdings wieder einmal die Fragen der Anerkennung lediglich registrierter Behördenakte dar.
530 So
etwa v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 4, Rn. 1023; v. Bary, FamRZ 2019, 895, 897 verweist gleichwohl zutreffend darauf, dass unter Art. 8 Abs. 1 EMRK nach der Stellungnahme des EGMR derzeit auch eine Adoptionslösung für die Wunschmutter ausreichend wäre. 531 S. o. Fn. 374. 532 Vgl. Wagner, NZFam 2019, 513, 517.
E. Gang der Untersuchung
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E. Zusammenfassung in Thesen 1. Die Problematik der kollisionsrechtlichen Anerkennung im Ausland durchgeführter Leihmutterschaften sieht sich im französischen IPR ähnlichen Schwierigkeiten ausgesetzt wie im deutschen Recht. Der strikte ordre public-Vorbehalt der Art. 16-7, 16-9 C. civ. verhindert eine vereinfachte Anerkennung ausländischer Abstammungsurteile. Die Kollisionsnormen der Art. 311-14 C. civ. begünstigen die Anwendung des französischen Sachrechts, das die unmittelbare Anerkennung der Abstammung zumindest gegenüber der Wunsch mutter unmöglich macht. 2. In der Rechtsprechung der Cour de cassation ist angesichts dieser Strukturprobleme des Kollisionsrechts eine bemerkenswerte Entwicklung zu verzeichnen: Nach der Verurteilung durch den EGMR in den Fällen Menesson und Labassée konzentriert sich das Gericht auf die Zulässigkeit einer Übertragung der ausländischen Geburtsurkunden in das französische Personenstandsregister auf Grundlage von Art. 47 C. civ. 3. Bis zum Jahr 2019 differenzierte der Kassationshof bei der Anerkennung ausländischer Geburtsurkunden noch anhand des Kriteriums der biologischen Realität. Eine Anerkennung der Urkunde konnte nur hinsichtlich der Eintragung des biologisch mit dem Kind verwandten Wunschvaters erfolgen, nicht jedoch hinsichtlich der Wunschmutter, die das Kind nicht geboren hat. Für diesen Elternteil verblieb es bei der Adoptionslösung. 4. Obwohl der EGMR das Modell der gespaltenen Anerkennung im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK explizit akzeptiert hat, geht die Cour de cassation in ihren Urteilen vom Dezember 2019 zu einer umfassenden Anerkennung der ausländischen Geburtsurkunden über. Dabei nimmt das Gericht keine Differenzierung nach Geschlecht oder Familienstand der Wunscheltern vor. Es setzt mithin die vom EGMR vorgegebenen Leitlinien in überschießender Form um. 5. Die Reichweite der genannten Entwicklungen ist indes unter Berücksichtigung einer methodischen Besonderheit des französischen IPR zu beurteilen. Der in den Leihmutterschaftsfällen maßgebliche Art. 47 C. civ. betrifft lediglich die Anerkennung der formellen Beweiskraft einer ausländischen Urkunde. Eine Anerkennung des materiellen Urkundeninhalts findet dabei de lege lata nicht statt. 6. Betrachtet man die faktischen Auswirkungen des Verfahrens nach Art. 47 C. civ. so stellt sich heraus, dass diese häufig der materiell-rechtlichen Anerkennung im Sinne einer Anerkennung der in der Urkunde begründeten Rechtslage gleichkommen.
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Teil 3: Der statut personnel zwischen Verweisung und Anerkennung
7. Im Ergebnis geht die französische Rechtsprechung derzeit mithin weiter als die deutsche. Ob der französische Gesetzgeber im Rahmen der ausstehenden Reform des Bioethik-Gesetzes eine abweichende Entscheidung treffen wird, ist ungewiss. Der BGH trennt nach wie vor zwischen der verfahrens- und der kollisionsrechtlichen Anerkennung unter Bestimmung des anwendbaren Rechts nach Art. 19 EGBGB. Diese Trennung provoziert allerdings hinkende Abstammungsverhältnisse.
Teil 4
Der statut personnel zwischen Frankreich und Europa: Synthese der Ergebnisse und Ausblick Ziel des vierten und letzten Teils der Arbeit ist es, die Ergebnisse aus entwicklungsgeschichtlicher und positivrechtlicher Analyse des statut personnel zusammenzuführen und in den Kontext der zunehmenden Europäisierung von Methodik und Rechtsquellen des Personalstatuts einzuordnen. Die Brennpunktanalyse im dritten Teil der Arbeit hat vor diesem Hintergrund zwei Auffälligkeiten der Methodik des statut personnel im derzeitigen französischen IPR zum Vorschein gebracht: Im Rahmen der Anerkennung im Ausland begründeter Statusverhältnisse zeigt sich das französische Internationale Namens- und Abstammungsrecht einerseits sehr offen gegenüber der Methodik der Rechtslagenanerkennung. Es räumt dem Anerkennungsparadigma1 derzeit sichtlich mehr Raum ein als das deutsche Recht.2 Anders als im Namens- und Abstammungsrecht hinterlässt das Anerkennungsprinzip indes im französischen Internationalen Eherecht bisher noch keine Spuren. Hier bleiben die verweisungsrechtlichen Normen des statut personnel Maßstab der methodischen Entwicklung. Die in diesem Zusammenhang vorgestellte Kollisionsnorm des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. zur Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen3 hat nicht nur für die Begründung einer Ehe im Inland Bedeutung, sondern ist, vorbehaltlich einer Ausdehnung der Coman-Rechtsprechung des EuGH,4 auch für die Anerkennung einer im Ausland geschlossener Ehen in Frankreich maßgeblich. Die methodische Ausgestaltung der Vorschrift steht allerdings in starkem Kontrast zu der eben genannten Anerkennungsfreundlichkeit des französischen Rechts. Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. wirkt eher als Teil einer rechtspolitischen Agenda, die weniger von der Toleranz ausländischer Rechtsund Wertevorstellungen eines politisch neutralen IPR zeugt, denn von einer Übertragung materiell-rechtlicher Anliegen auf das Kollisionsrecht. 1
Begriff nach Wendehorst, DGIR 45 (2012), 33, 45. Zu einem ähnlichen Schluss kommen mit abweichender Begründung Mankowski, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 571, 572 (bezüglich der romanischen Rechtsordnungen im Allgemeinen) und Mansel, in: Liber Amicorum Jayme, 2019, S. 27, 37. 3 S. 116 ff. 4 EuGH, 5.6.2018 – C-673/16 – Coman, dazu S. 104 f. 2
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Teil 4: Der statut personnel zwischen Frankreich und Europa
Für die genannten Aspekte zeigt das folgende Kapitel (§ 8) Ursachen auf, die nachweisen, dass die paradox anmutende Gegensätzlichkeit der methodischen Ansätze Ausdruck der derzeitigen Zerissenheit des französischen IPR zwischen traditionellem und innovativem Methodenverständnis ist. Denn beide Phänomene, die Anerkennungsfreundlichkeit wie auch die Präsenz politisierter Verweisungsnormen, sind dem französischen Recht in Anbetracht seiner entwicklungsgeschichtlichen Hintergründe nicht völlig neu. Weiterhin gilt hier der Grundsatz: „Rechtsvergleichung macht bescheiden“5. Alleinverantwortliche Ursachen für die Eigenheiten des französischen Rechts und die Unterschiede zur deutschen Rechtsordnung lassen sich nur schwer identifizieren. Nationale Differenzen der Kollisionsrechte lassen sich unter anderem auf die unterschiedliche Ausgestaltung der jeweiligen dahinterstehenden Sachrechtsordnung zurückführen. So mag man beispielsweise in der großzügigen Anerkennung ausländischer Namenseintragungen die Liberalität des französischen Familiennamensrechts im Umgang mit Familiendoppelnamen wiedererkennen.6 Andere Ursachen bleiben dem Betrachter von außen möglicherweise dauerhaft verschlossen, weil sie Teil des ganz eigenen Stils der fremden Rechtsordnung sind.7 Gleichwohl können die im Folgenden aufgezeigten Aspekte aus kollisionsrechtlicher Sicht als prägende Ursachen für nach wie vor bestehende Strukturunterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Verständnis des IPR gewertet werden. Eine abschließende Erklärung jeglicher Unterschiede zwischen französischem statut personnel und deutschem Personalstatut liefern sie indes nicht. Solch eine Annahme wäre angesichts der Bedeutung und Entwicklungshistorie der beiden großen Rechtskulturen wohl auch vermessen. Zuletzt beschließt ein Ausblick (§ 9) den deutsch-französischen Methodenvergleich und zeigt die möglichen Auswirkungen der Ergebnisse auf die Zukunft eines vereinheitlichten „europäischen Personalstatuts“ auf.
5
Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, § 1, Rn. 62. Lettmaier, FamRZ 2020, 1, 4 f.; Sperling, Familiennamensrecht in Deutschland und Frankreich, 2012, S. 87 f. 7 Grundlegend dazu Corneloup, in: How European is European Private International Law?, 2019, S. 255 ff. 6 Vgl.
E. Gang der Untersuchung
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§ 8 Einheit und Diversität der Methodik des statut personnel A. Einerseits: Anerkennungsfreundlichkeit des französischen Rechts Die Anerkennungsfreundlichkeit der französischen Doktrin ist im Grunde kein Geheimnis mehr.8 Schon der erste Kodifikationsentwurf für ein gemeineuropäisches IPR von Lagarde enthielt eine Vorschrift zur Anerkennung im Ausland begründeter Rechtslagen.9 Demgegenüber wird im deutschen Recht, etwa in den Stellungnahmen des Deutschen Rates für IPR, immer wieder deutlich, dass die deutsche Doktrin derzeit einer Kollisionsrechtsvereinheitlichung durch ein heitliches Verweisungsrecht in einem europäischen Sekundärrechtsakt eher zugeneigt scheint, als einer mittelbaren Harmonisierung über das Anerkennungsprinzip.10 Die Offenheit des französischen Rechts für eine vom Verweisungsrecht losgelöste Statusanerkennung ist indes nicht allein auf den Liberalitätssinn der Arbeiten französischer Wissenschaftler zurückzuführen, sondern beruht maßgeblich auf einigen strukturellen Besonderheiten des französischen IPR-Systems. Die positivrechtliche Analyse des französischen Internationalen Namens- und Abstammungsrechts bestätigt diesen Eindruck. Die Ursachen für die Anerkennungsfreundlichkeit des französischen Rechts sind bisher nur wenig erforscht. Es gilt daher zunächst einmal die Ausprägungen der Anerkennungsfreundlichkeit in Frankreich gegenüber der kritischeren Position des deutschen Rechts in 8
Von einer „rechtsvergleichlerischen Laxheit“ spricht im Rahmen der Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile in Frankreich bereits Basedow, Die Anerkennung von Auslandsscheidungen, 1980, S. 178. 9 Der Entwurf ist abgedruckt in Fallon/Lagarde/Poillot Peruzzetto (Hrsg.), Quelle architecture pour un code européen de droit international privé?, 2011, S. 376 ff. und bei Lagarde, RabelsZ 75 (2011), 671 ff. Art. 145 des Entwurfs lautet: „Une situation juridique valablement constituée dans un Étatmembre et formalisée dans un acte public est reconnue dans les autres États-membres, quelle que soi la loi appliquée à sa constitution.“ 10 Siehe Mansel/Coester-Waltjen/Henrich/Kohler, IPRax 2011, 335, 338 ff. (insbesondere 339): „Der Königsweg zu einem einheitlichen Personenstand ist daher die Vereinheitlichung der Kollisionsnormen.“; ebenso Mansel, IPRax 2014, 87, 88; eindrücklich außerdem Dutta, FamRZ 2018, 1067, 1068, der vom Anerkennungsprinzip als „Schreckgespenst gerade der deutschen Kollisionsrechtler“ spricht, sowie Siehr, in: EPIL, 2017, History of Private international law, S. 1400: „German scholars prefer the traditional system consisting of bilateral rules of reference and the recognition of foreign judgments and decisions of courts and other public authorities.”
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Teil 4: Der statut personnel zwischen Frankreich und Europa
Erinnerung zu rufen (I.), bevor mögliche Ursachen für die abweichende französische Auffassung zu untersuchen sind (II.). I. Rückblick: Erscheinungsformen der Rechtslagenanerkennung im Internationalen Namens- und Abstammungsrecht Die Brennpunktanalyse hat gezeigt, dass sich Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen IPR zum einen in dem Gegenstand einer Anerkennung („kristallisierter“ Statusakt, Urkunde etc.) und ihren konkreten Voraussetzungen (Wegfall einer IPR-Kontrolle, Rechtmäßigkeit des ausländischen Statuserwerbs, Verbindung zum Erwerbsstaat) äußern. Zum anderen scheinen die beiden Rechtsordnungen unterschiedlicher Auffassung über normative Grundlage und Reichweite sowie über Verortung und Verständnis des Anerkennungsprinzips als Grundgedanke des nationalen IPR-Systems an sich zu sein. Im französischen IPR zeigt sich die Offenheit für die Statusanerkennung am deutlichsten im Internationalen Namensrecht.11 Die neu eingeführten Vorschriften der Art. 311-24-1 C. civ. und Art. 61-3-1 C. civ. sind erste positivrechtliche Vorreiter einer Rechtslagenanerkennung, die das klassische Verweisungssystem des IPR außer Acht lässt. Das deutsche Recht wählt hier weiterhin einen Umweg über das Verweisungsrecht, indem Art. 48 EGBGB die sachrechtliche Namenswahl von der Anwendbarkeit deutschen Rechts gem. Art. 10 EGBGB abhängig macht.12 Im französischen Internationalen Abstammungsrecht fällt es der Cour de cassation bei der Anerkennung ausländischer Leihmutterschaften methodisch – wenn auch nach einigem Zögern in der Sache selbst – ebenfalls scheinbar leicht, das gewohnte Modell einer verfahrens- oder kollisionsrechtlichen Anerkennung zu verlassen.13 Im Angesicht von Art. 8 Abs. 1 EMRK ordnet sie die Übertragung der ausländischen Geburtsurkunden, welche die Wunscheltern als rechtmäßige Eltern des Kindes ausweisen, unmittelbar und umfassend an. Hingegen hält der BGH nach wie vor an der klassischen Differenzierung von verfahrensrechtlicher und kollisionsrechtlicher Anerkennung fest und berücksichtigt Art. 8 Abs. 1 EMRK stattdessen im Rahmen des (verfahrensrechtlichen) ordre public.14 Die Analyse der Anerkennungsmethodik im französischen IPR hat im Vergleich zum deutschen Methodendiskurs aber noch einen weiteren, bisher weniger beachteten Aspekt hervorgebracht, der die Anerkennungsfreundlichkeit des französischen Rechts zu erklären vermag. Es geht um die Frage, ob und inwie11
S. 85 ff. S. 93 ff. 13 S. 140 ff. 14 S. 162 ff. 12
E. Gang der Untersuchung
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weit sich ein künftiges Anerkennungsprinzip im europäischen Rechtsraum auch auf die EMRK gründet. Die im dritten Teil der Arbeit erfolgte Zusammenschau von Anerkennungsfällen mit Bezug zum Unionsrecht (Art. 21 AEUV) und zur EMRK (Art. 8 Abs. 1 EMRK) mag dem deutschen Leser auf den ersten Blick fremd erschienen sein. Dabei hat die EMRK ihre größte Bedeutung gerade in Fragen des Personen- und Familienrechts:15 Im Namens- und Abstammungsrecht wird Art. 8 Abs. 1 EMRK (gegebenenfalls i. V. m. Art. 14 Abs. 1 EMRK) in seiner Ausprägung als Recht auf ein ungestörtes Privat- und Familienleben relevant; Art. 12 EMRK garantiert – zumindest für heterosexuelle Paare – ein Recht auf Eheschließung.16 Im IPR hätte die Ableitung einer Anerkennungsverpflichtung aus der EMRK anders als ein Anerkennungsprinzip auf rein unionsrechtlicher Grundlage zur Folge, dass Fälle, in denen ein Statusverhältnis in einem Drittstaat außerhalb der EU erworben wurde, ebenfalls dem Anerkennungsregime unterfielen. Ebenfalls denkbar wäre, dass sich ein Nicht-Unionsbürger zwecks Statusanerkennung in einem Konventionsstaat auf die EMRK beruft.17 Der deutsche Methodendiskurs ist in diesem Zusammenhang zurückhaltend und beschränkt die Rechtslagenanerkennung zumeist auf die unionsrechtlichen Sachverhalte im Anwendungsbereich des AEUV.18 Die Garantien der EMRK werden in der Literatur zwar teilweise mit Verweis auf Art. 6 Abs. 2 EUV als Annex mit erwähnt.19 Die Verankerung eines Anerkennungsprinzips bezüglich personen- und familienrechtlicher Statusverhältnisse unmittelbar in der EMRK wird von der deutschen Literatur indes aus verschiedenen Gründen überwiegend kritisch gesehen oder zumindest nur punktuell akzeptiert.20 15
Engel, RabelsZ 53 (1989), 3, 7. Zu den Einflüssen der Rechtsprechung des EGMR auf das Familienrecht der Konventionsmitgliedstaaten näher Pintens, FamRZ 2016, 341 ff. 17 Art. 1 EMRK setzt nur voraus, dass die Betroffenen einer Menschenrechtsverletzung der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehen. Art. 21 AEUV gilt indes nur für Unionsbürger. In Anbetracht dessen bereits kritisch Nordmeier, StAZ 2011, 129, 135. 18 Beispielhaft Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, S. 94; Freitag, in: NK BGB, 2021, Art. 3 EGBGB, Rn. 64; Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 111; Mansel, in: Liber Amicorum Jayme, 2019, S. 27; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 774. Besonders deutlich Nordmeier, IPRax 2012, 31, 35: „V. Keine pauschale Entkopplung eines Anerkennungsprinzips von den Unionsbürgerrechten.“ 19 Siehe v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 6, Rn. 216. 20 Vgl. Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 217; Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, 88 f. (fehlende Rechtsverbindlichkeit der EMRK); Mankowski/Höffmann, IPRax 2011, 247, 254.; Nordmeier, StAZ 2011, 129, 135.; ders., IPRax 2012, 31, 35 f. (kein Einbezug von Drittstaatenfällen); differenzierend, im Ergebnis aber ebenso v. Hein, in: MüKo BGB, 2020, Art. 3 EGBGB, Rn. 130; a. A. zum Namensrecht Benicke/Zimmermann, IPRax 1995, 141, 148 f.; Sommer, Der Einfluss der Freizügigkeit auf Namen und Status von Unionsbürgern, 2009, S. 211 ff. 16
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In der deutschen Rechtsprechung trifft man Erwägungen zur menschenrechtlichen Dimension der Anerkennungsproblematik ebenfalls nur selten an. Im Jahr 2014 entscheidet das OLG München, dass die mit Art. 48 EGBGB eingeführte Möglichkeit zur sachrechtlichen Namenswahl nicht auf einen Sachverhalt mit Bezug zu einem Drittstaat (hier: den USA) anwendbar sei.21 Eine analoge Anwendung der Vorschrift sei mit Rücksicht auf die Grundrechte nicht geboten.22 Nur das KG Berlin bescheidet in einem Beschluss aus dem Jahr 2011 die Anerkennung eines unter französischem Recht beurkundeten Vaterschaftsanerkenntnisses positiv und weist dabei explizit auf den Gewährleistungsgehalt des Art. 8 Abs. 1 EMRK hin.23 Ob der BGH das Zurückstehen des deutschen ordre public auf Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das er in seinem Grundsatzurteil zur ausländischen Leihmutterschaft praktiziert hat, auf einen Fall abseits der verfahrensrechtlichen Anerkennung übertragen wird, ist nach wie vor offen.24 Anders zeigt sich das Bild in Frankreich. Bei der Analyse der französischen Gesetzgebungsmaterialien, der Literatur und der Rechtsprechung fällt auf, dass die EMRK als zweite Grundlage einer Anerkennungsdogmatik neben der Freizügigkeit aus Art. 21 AEUV insgesamt deutlich präsenter ist als im deutschen Diskurs.25 So wird beispielsweise der an anderer Stelle bereits beschriebene Fall Kismoun c. France26 als Spiegelung der namensrechtlichen Rechtsprechung des EuGH im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 EMRK gewertet.27 Dies belegen die GesetEine Mittelposition nimmt Grünberger ein, der darauf hinweist, dass die EMRK im Zusammenspiel mit dem Unionsrecht zwar nur mittelbar über die Europäische Grundrechtecharta eine Rolle spiele, Art. 8 Abs. 1 EMRK außerhalb des Unionsrechts aber isoliert zur Prüfung einer Anerkennungspflicht heranzuziehen sei, siehe Grünberger, in: Brauchen wir eine Rom 0Verordnung?, 2010, S. 81, 118. 21 OLG München, 19.05.2014 – 31 Wx 130/14, FamRZ 2014, 1551, 1552. 22 OLG München, 19.05.2014 – 31 Wx 130/14, FamRZ 2014, 1551, 1552. Das Gericht greift dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung der BVerfG zurück, die das in Deutschland geltende Verbot von Kindesdoppelnamen grundsätzlich für verfassungsgemäß hält, vgl. BVerfG, 30.1.2002 – 1 BvL 23/96, BVerfGE 104, 373. 23 KG, 23.9.2010 – 1 W 70/08, NJW 2011, 535 ff. Das Gericht ist sogar der Ansicht, die namensrechtliche Rechtsprechung des EuGH sei deshalb auf andere Statusverhältnisse auszudehnen, „da diese letztendlich auf der EMRK fuß[e]“, KG, a. a. O., 537; Das Urteil stieß indessen in der deutschen Literatur auf starke Kritik vgl. Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 1, 7 ff.; Nordmeier, StAZ 2011, 129 ff., insbesondere 134 ff. 24 Befürwortend etwa Duden, StAZ 2018, 137, 142. 25 Exemplarisch Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 576; Kinsch, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 43 ff.; Lagarde, in: Mélanges GaudemetTallon, 2008, S. 481, 489 f. (insbesondere Fn. 30); Legendre, Droits fondamentaux et droit international privé, 2020, Rn. 297. 26 EGMR, 5.12.2013, n° 32265/10, Henry Kismoun c. France, oben S. 94 ff. 27 Vgl. Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.102.
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zesmaterialien zur Neueinführung der Art. 311-24-1 und Art. 61-3-1 C. civ.28 Die dynamische Rechtsprechungsentwicklung infolge des Falles Mennesson im Internationalen Abstammungsrecht stützt diesen Befund. Wenngleich hier viele Entwicklungen noch teilweise „Zukunftsmusik“ sind, da es häufig an einer mit derjenigen des EuGH vergleichbar belastbaren Rechtsprechungslinie des EGMR fehlt, zeichnet sich im Vergleich zum deutschen Recht auch hier eine deutlich anerkennungsfreundlichere Position des französischen IPR ab. II. Mögliche Ursachen der Anerkennungsfreundlichkeit Als mögliche Ursachen der Offenheit des französischen IPR für die Rechtslagenanerkennung lassen sich drei Aspekte systematischer, historischer und normativer Natur identifizieren. 1. Systematisch: Konsequenz einer engeren Zusammenschau von Verfahrensund Kollisionsrecht im Anerkennungsregime? a) Kerngedanke der These Aus deutscher Sicht wird die Anerkennungsfreundlichkeit des französischen Rechts teilweise auf die Tatsache zurückgeführt, dass IPR-Systeme des romanischen Rechtskreises traditionell weniger streng zwischen dem IPR im engeren Sinne, den conflits de lois, und dem IZVR differenzieren. Mankowski erkennt darin etwa den Grund dafür, dass diese Rechtsordnungen im Allgemeinen vertrauter mit der Anerkennung von Statusverhältnissen sind.29 Dieser systematische Rückschluss liegt deshalb nahe, weil der Gedanke der Anerkennung lediglich registrierter oder beurkundeter Rechtslagen in Tatbestand und Methode deutliche Parallelen zu der vereinfachten Urteilsanerkennung aufweist, wenn28 S. o. Teil 3 Fn. 161; In Deutschland führt hingegen Nordmeier den Fall Heidecker-Tiemann des EGMR aus dem Jahr 2008 (EGMR, 6.5.2008, n° 31745/02) zur „heiß umkämpften“ Thematik der Bildung von Doppelnamen als Familienname eines Kindes als Beleg dafür an, dass die Anerkennungsmethodik noch nicht in das Feld des Art. 8 Abs. 1 EMRK vordringe, vgl. Nordmeier, StAZ 2011, 129, 134. Darin urteilt der EGMR tatsächlich, dass der Ermessensspielraum der Konventionsstaaten im Namensrecht angesichts der Diversität der nationalen Rechte nach wie vor weit zu fassen sei. Maßgebend für die Entscheidung war die Tatsache, dass der betroffene Namensträger im vorliegenden Fall nach Ansicht des Gerichtshofes faktisch keine Nachteile durch die fehlende Eintragung des Doppelnamens in Deutschland erlitten hatte. Das zeitgleich vor dem EuGH anhängige Verfahren Grunkin Paul findet zudem zwar Erwähnung, der Gerichtshof lehnt eine Vergleichbarkeit indes mit dem recht fragwürdigen Hinweis ab, dass der Fall Grunkin Paul eine andere Vorschrift des deutschen Rechts betreffe, vgl. EGMR, 6.5.2008, n° 31745/02 (ohne Rn.). 29 Mankowski, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 571, 572 f.; zuvor schon Mankowski/Höffmann, IPRax 2011, 247, 253.
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gleich die Verschiedenheit beider Rechtsinstitute ebenfalls immer wieder betont wird.30 Im Kern geht es beiden Techniken um die inländische Beurteilung einer im Ausland qua Urteil oder Eintragung beziehungsweise „Kristallisation“ bereits abgeschlossenen Begründung oder Änderung einer persönlichen Rechtsposition. Die Methode der Rechtslagenanerkennung versucht insoweit auf gewisse Weise das Vorgehen der verfahrensrechtlichen Anerkennung zu „imitieren“31 und pointiert damit in jedem Fall das mitunter schwierig zu bestimmende Verhältnis von IPR und IZVR.32 Tatsächlich scheinen mit Blick auf das französische Recht zunächst viele Faktoren für einen solchen Zusammenhang zu sprechen. Schon terminologisch wird der Begriff des droit international privé traditionell weiter gefasst als das deutsche „Internationale Privatrecht“.33 Vor allem werden innerhalb des droit international privé, ähnlich zum englischen conflict of laws, das IPR im engeren Sinne und das IZVR, geteilt in Zuständigkeits- und Anerkennungsrecht, einheitlich behandelt.34 Der Begriff der anerkennungsfähigen Entscheidung, die unter das verfahrensrechtliche Anerkennungsregime fällt, wird weit ausgelegt.35 Er kann auch Behörden- beziehungsweise Verwaltungsentscheidungen oder Entscheidungen religiöser Instanzen erfassen. Maßgeblich ist allein, ob die Entscheidung nach einem funktionalen Maßstab aus französischer Sicht im Inland unter eine gerichtliche Zuständigkeit gefallen wäre.36 Die Existenz eines hybriden Verfahrens zur Urkundenanerkennung, das, wie das bereits angesprochene Verfahren der transcription nach Art. 47 C. civ.,37 in 30 Siehe etwa Ancel/Muir Watt, in: Liber Amicorum Gaudemet-Tallon, 2008, S. 135, 169 f.; Looschelders, in: Staudinger BGB, 2019, Einl. IPR, Rn. 66; Mayer, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 547, 560. 31 Treffend Mayer, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 547, 560: „On est dans le domaine du conflit de lois, mais on adopte un raisonnement qui évoque structurellement celui du conflit de juridictions.“ Ebenso Schulze/Fervers, in: BeckOGK, Stand: 1.12.2020, Art. 3 EGBGB, Rn. 51. 32 Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 513.31; Muir Watt, in: Quelle architecture pour un code européen du droit international privé?, 2011, S. 213, 217. 33 Siehe bereits oben S. 13; ausführlich zum Ganzen Loussouarn/Bourel/Vareilles-Sommières, Droit international privé, 2013, Rn. 12 ff.; Mankowski, RabelsZ 82 (2018), 576 ff. 34 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 18; Mankowski, RabelsZ 82 (2018), 576, 579 f.; Looschelders in: Staudinger BGB, 2019, Einl. zum IPR, Rn. 12. 35 Farge in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 513.05; Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 60. 36 Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 545; Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 234. Die Unterschiede zum deutschen Recht, das behördliche Akte, die funktional mit einer gerichtlichen Entscheidung vergleichbar sind, ebenfalls anerkennt, sind gering, wenngleich es sich nach deutschem Verständnis stets um einen Akt staatlicher Autoritäten handeln muss, vgl. Geimer, IZPR, 2020, Rn. 2870; Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, 2020, § 108, Rn. 5. 37 S. o. S. 156 ff.
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gewisser Weise zwischen Urteils- und Rechtslagenanerkennung steht, könnte ebenfalls für den systematischen Zusammenhang sprechen.38 In diesem Zusammenhang findet sich in der französischen Literatur eine ganze Reihe wissenschaftlicher Theorien, die auf das von Niboyet begründete Konzept der so genannten conflits d’autorités zurückgehen.39 Niboyets Lehre von den conflits d’autorités geht in Anlehnung an die Theorie der wohlerworbenen Rechte (droits acquis)40 davon aus, dass eine ausländische Behörde stets nur nach dem eigenen Recht entscheiden könne (locus regit actum); eine kollisionsrechtliche Nachprüfung durch einen anderen Staat, in dem der Akt nach seiner Entstehung geltend gemacht werde, komme deshalb nicht in Betracht.41 Die auf dieses Konzept aufbauenden theoretischen Ansätz der französischen Lehre haben ein Sonderregime für die internationale Umlauffähigkeit außergerichtlicher Hoheitsakte (actes publiques) erarbeitet und sprechen sich darin teilweise für eine Assimilation von Urteilsanerkennung und Anerkennung außergerichtlicher Behördenakte und Registerverhältnisse aus.42 b) Kritische Würdigung Schwieriger gestaltet es sich, die „methodische Verzahnung“43 von IPR und IZVR abseits der genannten Aspekte in Bezug auf die Rechtslagenanerkennung im französischen Recht de lege lata zu belegen. Außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses hat Niboyets Theorie von den conflits d’autorités soweit ersichtlich keine Berücksichtigung gefunden. Art. 47 C. civ. kodifiziert zwar in Anbetracht der Beweiskraft in- und ausländischer Urkunden das Prinzip locus regit actum. Darüber hinaus praktiziert die Cour de cassation derzeit im Rahmen der Anerkennung ausländischer Geburtsurkunden 38
In diese Richtung Mansel, in: Liber Amicorum Jayme, 2019, S. 27, 37. Niboyet, Traité, Band VI/1, 1949, Titre II; Zu Niboyets territorialistischer IPR-Konzeption bereits oben S. 50 f. 40 Dazu sogleich S. 180 ff. 41 Vgl. Niboyet, Traité, Band VI/1, 1949, Rn. 1571: „Le conflit des autorités diffère du conflit des lois en ce qu’il ne s’agit pas de rechercher et de déterminer la loi compétente à appliquer dans un cas déterminé, […], mais de fixer, dans les rapports internationaux, la compétence respective des autorités publiques […]. Ici, aucun conflit de lois n’est possible parce que toute autorité, habilitée à faire certains actes, ne peut jamais les faire que selon ses propres lois, c’est-à-dire celles du pays qui lui a donné son pouvoir et qui l’a instituée.“; Hervorh. d. Verf. In ähnliche Richtung Callé, L’acte public en droit international privé, 2004, Rn. 170 ff. 42 Ausführlich Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 583 ff. Grundlegend sind aus neurer Zeit die Monographien von Pamboukis, L’ acte public étranger en droit international privé, 1993 und Callé, L’acte public en droit international privé, 2004; kritisch zum Konzept der conflits d’autorités Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 17. 43 v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 2007, § 1, Rn. 36. 39
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unabhängig vom Vorliegen eines ausländischen Abstammungsurteils de facto eine Art Rechtslagenanerkennung auf Grundlage des Art. 47 C. civ.44 Wie gezeigt geht die Cour damit aber über das eigentliche Anliegen der Vorschrift, nämlich die bloße Anerkennung der formellen Beweiskraft einer Zivilstandsurkunde, hinaus. Ob diese Rechtsprechung auch aus kollisionsrechtlicher Perspektive Bestand hat, bleibt ungewiss.45 Gleichwohl verschwimmen hier die Grenzen von IPR und IZVR stark. Richtig ist darüber hinaus, dass ausländische Urteile in persönlichen und familiären Statusfragen in Frankreich bereits seit der Entscheidung Bulkey aus dem Jahr 186046 ohne gesondertes Exequaturverfahren ihre Wirkung entfalten können.47 Relevant für die Frage der Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Urteils oder Statusaktes und damit für die Offenheit für die Anerkennungsmethodik im Kollisionsrecht im engeren Sinne ist indes allein die Frage, ob bei der Beurteilung seiner Wirksamkeit auf eine nachträgliche IPR-Kontrolle aus Sicht der lex fori verzichtet wird. Der Wegfall der IPR-Kontrolle ist notwendiges Wesensmerkmal jeder Rechtslagenanerkennung.48 In dieser Frage zeigte sich das französische Anerkennungsrecht allerdings überraschenderweise lange Zeit deutlich strenger als das deutsche Recht. Zwar wurde das Erfordernis, eine ausländische Entscheidung zu ihrer Anerkennung einer grundsätzlichen révision au fond zu unterziehen, mit dem Fall Munzer im Jahr 1964 gekippt.49 Für die Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung galt indes auch weiterhin unabhängig von der Rechtsmaterie der Vorbehalt der so genannten contrôle de la loi appliquée, das heißt der Überprüfung, ob der Entscheidung formal dasjenige Sachrecht zugrunde gelegt wurde, das auch die Kollisionsnormen der lex fori zur Anwendung berufen hätten.50 Erst das bahnbrechende Grundsatzurteil im Fall Cornelissen schaffte im Jahr 2007 diesen heftig kritisierten Kontrollmaßstab im Rahmen der 44 Ausführlich
S. 159 ff. So ebenfalls Sindres, JDI 2020, 636, 666. 46 Cass. civ., 28.2.1860, Bulkey, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 4; dazu bereits S. 43 f. 47 Gleiches gilt für das deutsche Recht im Rahmen von § 328 ZPO beziehungsweise §§ 108–110 FamFG, vgl. Hau in: Prütting/Helms, FamFG, 2020, § 108, Rn. 39. 48 Vgl. Bollée, in: La Reconnaissance des situations, 2013, S. 113, 116. 49 Cass. civ. 1ère, 7.1.1964, Munzer, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 41. 50 Das Prinzip geht auf Bartin, Principes, Band I, 1930, S. 490 zurück; Explizit von der Rechtsprechung im Personen- und Familienrecht genannt wird es etwa in Cass. civ., 22.1.1951, Weiller (I), in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 24: „Attendu que si les jugements étrangers, rendus en matière d’état ou de capacité, produisent en France, sans exequatur, tous les effets autres que ceux qui comportent coercition sur les personnes ou exécution sur les biens, c’est sous réserve de l’appréciation par la juridiction française, saisie d’une demande en inopposabilité de pareil jugement, de sa conformité aux règles françaises de solution des conflits de lois.“ Zu den Entwicklungen im Ganzen ausführlich Deby-Gérard, Le rôle de la règle 45
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Urteilsanerkennung ab.51 Bis dato war die contrôle de la loi appliquée lange Zeit ein Alleinstellungsmerkmal des französischen IPR-Systems gewesen.52 Im entscheidenden Leitsatz des Urteils Cornelissen heißt es: „Mais attendu que, pour accorder l’exequatur hors de toute convention internationale, le juge français doit s’assurer que trois conditions sont remplies, à savoir la compétence indirecte du juge étranger, […] la conformité à l’ordre public international de fond et de procédure et l’absence de fraude à la loi; que le juge de l’exequatur n’a donc pas à vérifier que la loi appliquée par le juge étranger est celle désignée par la règle de conflit de lois française […].“53
Zum Vergleich: Im deutschen Recht fand sich eine ähnliche Voraussetzung für Entscheidungen in Personen- und Familiensachen betreffend deutsche Staatsangehörige in Gestalt des § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F.; diese Vorschrift hatte indes lediglich bis zur IPR-Reform im Jahr 1986 Bestand.54 Bis zum Fall Cornelissen waren Kollisionsrecht im engeren Sinne und verfahrensrechtliches Anerkennungsregime in Frankreich mithin zwar durchaus eng verzahnt mit der Folge, dass letztlich in jedem Fall (unabhängig vom Vorliegen eines ausländischen Urteils) eine „kollisionsrechtliche“ Anerkennung mit IPRKontrolle vorgenommen wurde. Die vereinfachte Statusanerkennung qua automatischer Anerkennung einer ausländischen Entscheidung, die auf eine IPR-Kontrolle verzichtet und damit Vorbild einer Rechtslagenanerkennung wäre, kennt das französische Recht positivrechtlich aber erst seit dem Jahr 2007. Anders gede conflit dans le règlement des rapports internationaux, 1973, S. 371 ff.; aus der deutschen Literatur Basedow, Die Anerkennung von Auslandsscheidungen, 1980, S. 174. Faktisch ist es in Frankreich allerdings nur selten zu einer Verweigerung der Anerkennung auf Grundlage des Kriteriums der contrôle de la loi appliquée gekommen, da die Rechtspraxis die Wirkungen der IPR-Kontrolle über verschiedene Mechanismen abschwächte. Dazu zählte etwa die Berücksichtigung des renvoi und die so genannte Äquivalenztheorie (theórie de l’equivalence), die von einer Verweigerung der Anerkennung absah, sofern die Überprüfung der Sachlage aus Sicht des französischen Rechts zu demselben Ergebnis geführt hätte wie die ausländische Entscheidung. Weiterführend dazu Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 401. 51 Cass. civ. 1ère, 20.2.2007, n° 05-14.082. 52 Vitta, Recueil des cours 162 (1979), 9, 107. 53 Hervorh. d. Verf. 54 § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a. F.: „ Die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ist ausgeschlossen: […] wenn in dem Urteil zum Nachteil einer deutschen Partei von den Vorschriften des Artikels 13 Abs. 1, 3 oder der Artikel 17, 18, 22 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch oder von der Vorschrift des auf den Artikel 13 Abs. 1 bezüglichen Teiles des Artikels 27 desselben Gesetzes oder im Falle des § 12 Abs. 3 des Gesetzes über die Verschollenheit, die Todeserklärung und die Feststellung der Todeszeit vom 4. Juli 1939 (Reichsgesetzbl. I S. 1186) zum Nachteil der Ehefrau eines für tot erklärten Ausländers von der Vorschrift des Artikels 13 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch abgewichen ist.“ Dazu Martiny, in: Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Band III/1, 1984, Rn. 136, 896 ff.; Wagner, FamRZ 2006, 744, 746.
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wendet spricht damit das Argument der engeren Verzahnung von IZVR und IPR im französischen Recht zumindest bis zum Jahr 2007 eher gegen als für eine Offenheit gegenüber der Rechtslagenanerkennung. Der Fall Cornelissen hat das verfahrens- und kollisionsrechtliche Anerkennungsregime im französischen IPR überhaupt erst wirklich auseinanderdividiert. Der isolierte Verweis auf die enge Zusammenschau von IPR und Urteilsanerkennung als Ursache für die Offenheit des französischen Rechts zur Anerkennung von Statusverhältnissen vermag vor diesem Hintergrund nicht zu überzeugen. Naheliegender ist es, die Anerkennungsfreundlichkeit nicht auf die Systematik von IPR und IZVR zurückzuführen, sondern auf die historische Präsenz des Rechtsgedankens, der den verschiedenen Formen der Anerkennung, ob Urteil, Urkunde oder Rechtslage, gemeinsam ist: Gemeint ist der Grundsatz der wohlerworbenen Rechte, der so genannten droits acquis. 2. Historisch: Präsenz des Grundgedankens der droits acquis Aus historischer Perspektive weist die Rechtslagenanerkennung deutliche Interferenzen mit den vor allem im angelsächsischen Raum bedeutungsstarken Theorien zum Schutz wohlerworbener Rechte (vested rights) auf.55 Denn ihr Kerngedanke, der Bestands- und Vertrauensschutz einer einmal unter Geltung eines fremden Statuts wirksam erworbenen Rechtsposition, war in der Historie des IPR bereits mehrfach Grundlage verschiedener, im Einzelnen schwer voneinander abgrenzbarer Theorien.56 Teilweise wird die Rechtslagenanerkennung deshalb als „moderne Ausprägung des Gedankens wohlerworbener Rechte“57 bezeichnet.
55 Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 85; Funken, Das Anerkennungsprinzip, 2009, S. 244 ff.; Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481, 484; kritisch Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 399; aus der französischen Literatur d’Avout, in: Trav. Com. DIP 2014–2016, 2017, S. 215, 218; Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 570 ff.; Lagarde, in: Europäisches Privatrecht in Vielfalt geeint, 2011, S. 11, 18; Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 115; Pataut, in: Trav. Com. DIP 2006–2008, 2009, S. 71 ff.; kritisch wiederum Fulli-Lemaire, Le droit international privé de la famille à l’épreuve de l’impératif de reconnaissance des situations, 2017, Rn. 431 ff. 56 Ausführlich zu den historischen Wurzeln, Arminjon, Recueil des cours 44 (1933), 1, 5 ff.; Müller, Der Grundsatz des wohlerworbenen Rechts, 1935, 10 ff.; Wichser, Der Begriff des wohlerworbenen Rechts, 1955, 1 ff. sowie aus neuerer Zeit Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 60 ff. 57 Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 137.
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a) Ursprung im Territorialitätsgedanken Seinen Ursprung nimmt der Gedanke der wohlerworbenen Rechte in den IPR-Theorien der – wie gezeigt maßgeblich von d’Argentré inspirierten58 – niederländischen Schule und deren Territorialitätsprinzip: Sofern jeder Staat das Recht nur in den Grenzen seines eigenen Territoriums anwendet, hat er im Umkehrschluss Rechtspositionen, die auf fremdem Staatsgebiet unter dem dort herrschenden Recht entstanden sind, zu respektieren.59 Den Souveränitätsaspekt teilt sich das Konzept dabei mit der ideengeschichtlichen Strömung des Unilateralismus.60 Legt ein Staat in seinem Kollisionsrecht nur einseitig fest, welche Rechte seinem Territorium unterfallen, so bedarf es einer anderweitigen Lösung zur Beantwortung der Frage, welche Wirkungen einem im Ausland begründeten Recht im Inland zukommen. Neben diesen Begründungsansatz des Respekts ausländischer Souveränität, der dem Völkerrecht entlehnt ist, tritt gleichzeitig der subjektiv-liberale Aspekt des Schutzes des legitimen Vertrauens der Parteien in den Bestand ihrer einmal erworbenen Rechtsposition, dem der innerstaatliche Normgeltungssanspruch Vorrang einzuräumen hat.61 Letzterer Gedanke bildet heute die wesentliche Grundlage der modernen Anerkenungsmethode.62 Gemeinsam ist allen theoretischen Ansätzen zu den wohlerworbenen Rechten die Rechtsfolge: Ein einmal unter einer Rechtsordnung wirksam erworbenes Recht genießt auch dann Bestandsschutz, wenn es die Landesgrenze überschreitet.63 Angesichts der historischen Wurzeln kaum verwunderlich erhält das Konzept der wohlerworbenen Rechte vor allem in den der holländischen Schule nachfolgenden, territorialistisch geprägten IPR-Systemen des Common Law eigenständige Geltung.64 In den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen fällt die Re58
Dazu S. 32 ff. Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 113; Die Theorien der wohlerworbenen Rechte unterscheiden sich insbesondere durch die Grundlage, auf die eine Anerkennungspflicht gestützt wird. Ihr historischer Begründer Ulricus Huber (1636–1694) rechtfertigt diese etwa mit dem gegenseitigen höflichen Entgegenkommen der Staaten unter einander (comitas gentium); eingehend v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 3, Rn. 15. 60 Legendre, Droits fondamentaux et droit international privé, 2020, Rn. 263; Mayer, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 547, 561; Rühl, in: Hwb EuPR, 2009, Unilateralismus (IPR), S. 1551 f. 61 Ähnlich Berner, in: JJZ, 2016, S. 335, 336; Wendehorst, DGIR 45 (2012), 33, 40. 62 Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 86 f.; Looschelders, in: Staudinger BGB, 2019, Einl. IPR, Rn. 81; Pfeiff, La portabilité du statut personnel, 2017, Rn. 379. 63 Vgl. Ancel, Eléments d’histoire du droit international privé, 2017, S. 470; Rieks, Anerkennung im IPR, 2012, S. 203. 64 Hauptvertreter sind Albert Venn Dicey (Dicey, Digest of the Law of England with Refe59 Vgl.
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zeption hingegen gemischt aus. Die prominenteste Kritik kommt aus der deutschen Rechtswissenschaft. Wächter und Savigny weisen nach, dass der Theorie ein denklogischer Zirkelschluss zugrunde liegt: Beide verdeutlichen, dass zur Beantwortung der Frage, ob ein subjektives Recht „wohlerworben“ sei, zunächst festgestellt werden müsse, welches Recht über die Frage des Erwerbs bestimmt. Dafür käme es jedoch entscheidend auf die Kollisionsnormen der lex fori an.65 Im deutschen Recht hatte die Theorie der wohlerworbenen Rechte als Konkurrenz zum Verweisungssystem Savignys wohl auch deswegen nahezu keinen Erfolg.66 Als Rechtfertigungsansatz wird der Grundgedanke des Bestandsschutzes wohlerworbener Rechte von der Literatur allenfalls bei Statutenwechseln im Sachenrecht67 sowie vom BGH in raren Einzelfällen des Familienrechts fruchtbar gemacht68. Interessant ist in diesem Zusammenhang aber, dass der BGH erst kürzlich in einem Beschluss zu einer in der Ukraine durchgeführten Leihmutterschaft auf den Grundsatz der Anerkennung wohlerworbener Rechte bei einem Statutenwechsel infolge der Wandelbarkeit der Anknüpfung hinweist, die Frage im Ergebnis aber offenlässt.69 Markantere Spuren als in Deutschland hinterlässt die Idee vom Schutz wohlerworbener Rechte indes in der französischen Methodik des statut personnel.70 b) In der Doktrin: Pillet und Niboyet Erste Anklänge einer Anerkennungsmethodik auf Grundlage der wohlerworbenen Rechte finden sich bei Vareilles-Sommières, der den Begriff der droits acquis in das französische IPR einführt.71 Er folgt allerdings noch dem Territorialitätsdenken der schon zu seiner Zeit veralteten Statutentheorie.72
rence to the Conflict of Laws, 1922, S. 23 ff.) und Joseph Beale (Beale, A treatise on the conflict of laws, Band III, 1935, § 73, S. 1967 f.); zur anglo-amerikanischen Schule Michaels, J. Priv. Int’l L. 195 (2006), 195, 214 ff.; Muir Watt, Rev. crit. DIP 1986, 425, 427 ff. 65 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 132; v. Wächter, AcP 25 (1842), 1, 3. 66 Nussbaum, Internationales Privatrecht, 1932, S. 80. 67 Vgl. Wendehorst, in: MüKoBGB, 2021, Art. 43 EGBGB, Rn. 125; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2019, § 3, Rn. 6. 68 Zum Ehenamensrecht BGH, 16.10.1974 – IV ZB 12/74, BGHZ 63, 107; zur Vaterschaftsfeststellungsklage BGH, 27.10.1976 – IV ZR 147/75, NJW 1977, 498. 69 BGH, 20.3.2019 – XII ZB 530/17, NJW 2019, 1605, Rn. 7. 70 Zum Ganzen Ekelmans, in: Liber Memorialis Laurent, 1989, S. 735 ff. 71 Vareilles-Sommières, La synthèse du DIP, 1897 (Nachdr. 1972), S. 31. 72 Arminjon, Recueil des cours 44 (1933), 1, 14 f.; Wichser, Der Begriff des wohlerworbenen Rechts, 1955, S. 58 f.
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Als Hauptverfechter der französischen Theorie der wohlerworbenen Rechte gilt deshalb Antoine Pillet (1857–1926).73 Er stellte das Prinzip als dritte Säule seines Kollisionsrechtsmodells dar, das sich auf das Fremdenrecht, das Kollisionsrecht und den Schutz wohlerworbener Rechte gründet.74 Er spaltet infolgedessen die Beurteilung von noch zu erwerbenden Rechten (droits à acquérir) von derjenigen der bereits erworbenen Rechte (droits acquis) ab.75 Letztere genießen aufgrund der völkerrechtlichen Pflicht zur Anerkennung der fremden Souveränität Bestandsschutz.76 Pillets Theorie bleibt allerdings zeitlebens unvollständig.77 Denn auch nach Pillet bestimmt sich die Wirksamkeit eines Rechts, das als „wohlerworben“ anerkannt werden soll, nach „dem Gesetz, das nach den internationalen Konfliktsnormen, so wie sie von der lex fori erkannt und festgelegt sind, zuständig gewesen ist.“78 Seine Fortsetzung findet der Ansatz Pillets aber in den territorialistischen Lehren Niboyets.79 Niboyet entfernt sich zwar teilweise vom Begriff der droits acquis; er unterscheidet vielmehr zwischen dem Zustandekommen (création) und den anschließenden rechtlichen Wirkungen (efficacité) von Rechten.80 Überdies stellt er für die Beurteilung der Wirksamkeit des einmal entstandenen Rechts auf das IPR des Erwerbsstaates ab und nicht, wie Pillet immer vorgeworfen wurde, auf das Recht des Anerkennungsstaates.81 Niboyets Grundanliegen bleibt im Ergebnis aber dasselbe wie das von Pillet, auch wenn er nicht dessen Auffassung vom Charakter der Kollisionsnormen teilt. Denn der Bestandsschutz subjektiver, im Ausland erworbener Rechtspositionen folgt für Niboyet zwingend aus dem – von ihm favorisierten – territorialen Charakter des IPR.82 Der Territorialitätsgedanke bildet die essenzielle Säule seines kollisionsrechtsmethodischen Gerüsts. Niederschlag findet seine Idee von der Anerkennung wohlerworbener Rechte 73
Arminjon, Recueil des cours 44 (1933), 1, 50. Pillet, Principes, 1903, S. 27, 33 ff., 495 ff. 75 Pillet, Principes, 1903, S. 497. 76 Pillet, Principes, 1903, S. 515. 77 So v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2003, § 3, Rn. 20. 78 Pillet, in: Traité, Band I, 1923, S. 122; übersetzt von Müller, Der Grundsatz des wohlerworbenen Rechts, 1935, S. 232. 79 Vgl. dazu S. 50 f. 80 Niboyet, Traité, Band III, 1944, S. 285 ff. insbesondere S. 288; Niboyet, Rev. crit. DIP 1950, 509, 522 ff. 81 Niboyet, Traité, Band III, 1944, S. 328 ff. Da Niboyet jedoch zur Voraussetzung der Akzeptanz der ausländischen Rechtslage macht, dass das französische Recht sich nicht für anwendbar erklärt (vgl. a. a. O. S. 324 f.), unterscheidet er sich in diesem Punkt nicht wesentlich von Pillet. 82 Niboyet, Cours, 1949, Rn. 453: „La territorialité ne signifie pas, comme on l’a souvent cru, qu’il fallait appliquer sa propre loi; ce n’est qu’un aspect de la territorialité. La vraie conception est qu’on droit appliquer la loi du pays dans lequel le fait s’est produit.“ 74
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schließlich in Art. 21 des von ihm vorgelegten Entwurfes zur Kodifikation des französischen IPR.83 Abseits der Lehren Pillets und Niboyets, wird die von Wächter und Savigny geäußerte Kritik gegen das Prinzip des Schutzes wohlerworbener Rechte von der herrschenden Lehre in Frankreich, beispielsweise von Bartin oder Batiffol, aufgenommen.84 Batiffol gesteht den wohlerworbenen Rechten innerhalb der Verweisungsmethode gleichwohl einen wichtigen Anwendungsfall zu, und zwar im Rahmen des ordre public.85 Denn der inländische ordre public habe, so Batiffol, immer dann zurückzustehen, wenn lediglich die Wirkungen (effets) eines im Ausland bereits wirksam entstandenen Rechtsverhältnisses in Frankreich in Frage stünden, auch wenn sich bei der Entstehung des Rechts im Inland derselbe ordre public dem Rechtsverhältnis entgegenstellen würde.86 In dieser Erscheinungsform hat das Konzept der wohlerworbenen Rechte schließlich Eingang in die französische Rechtsprechung gefunden. c) In der Rechtsprechung: Der ordre public atténué In der französischen Rechtsprechung des 19. und 20. Jahrhunderts finden sich deutliche Spuren der Idee der wohlerworbenen Rechte, und zwar in der Form der bereits bei Pillet und Niboyet angelegten Differenzierung zwischen Entstehung und Effektivität eines Rechts.87 Die Rechtsprechung betrifft nahezu ausschließlich den Wirkbereich des statut personnel. Sie interpretiert die wohlerworbenen Rechte allerdings nicht wie die théorie des droits acquis als Grundkonzept einer kollisionsrechtlichen Herangehensweise, die auf die Anwendung von Kollisionsnormen der lex fori verzichtet, sondern als Begründungsansatz für eine spezielle Modifikation des ordre public-Mechanismus.88 So entscheidet die Cour de cassation im Fall Bulkey, dass das niederländische Scheidungsurteil eines niederländischen Paares in Frankreich wegen der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit nach Art. 3 Abs. 3 C. civ. anzuerkennen sei, auch wenn sich dem Heimatrecht eigentlich der nationale ordre public in Gestalt des französischen Gesetzes zur Abschaffung der Scheidung vom 6. Mai 1816 83 Art. 21 Projet Niboyet, Rev. crit. DIP 1950, 111, 114: „A moins que la loi française ne fût compétente, toute situation juridique créée à l’étranger en vertu d’une loi étrangère qui se reconnaissait compétente, produit ses effets en France.“; Zum Projet Niboyet bereits S. 58 f. 84 Ausführlich zur Kritik der französischen Doktrin Arminjon, Recueil des cours 44 (1933), 1, 55 ff.; Wichser, Der Begriff des wohlerworbenen Rechts, 1955, S. 74 ff. 85 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 318–1. 86 Batiffol/Lagarde, Droit international privé, Band I, 1993, Rn. 319. 87 Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 571; ähnlich Ekelmans, in: Liber Memorialis Laurent, 1989, S. 735, 744. 88 Vgl. Lagarde, Recherches sur l’ordre public, 1959, S. 14.
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entgegenstelle.89 Einen ähnlichen Begründungsansatz greift die Rechtsprechung anschließend immer wieder auf, so etwa in zwei Fällen der Anerkennung deutscher Abstammungsentscheidungen in Frankreich aus dem Jahr 1945.90 Allgemeingültigkeit erhält das Prinzip schließlich über das Urteil im Fall Rivière.91 Der französische ordre public habe, so der Kassationshof, zurückzustehen, wenn eine Person im Inland lediglich die Wirkungen der im Ausland bereits wirksamen Rechtsposition, hier der einvernehmlichen Scheidung der Frau Roumiantzeff nach ecuadorianischem Recht, geltend mache: „[…] en effet, la réaction à l’encontre d’une disposition contraire à l’ordre public n’est pas la même suivant qu’elle met obstacle à l’acquisition d’un droit en France ou suivant qu’il s’agit de laisser se produire en France les effets d’un droit acquis, sans fraude, à l’étranger et en conformité de la loi ayant compétence en vertu du droit international privé français; […].“92
Den Begründungsansatz bestätigt das Gericht anschließend in weiteren bedeutenden Urteilen wie den Entscheidungen Chemouni93, Bendeddouche94 oder Rhobi95. Es entfaltet auch in neuerer Zeit immer wieder seine Wirkung.96 Das schließlich unter dem Begriff des ordre public atténué etablierte Konzept zieht seinen Geltungsanspruch mithin maßgeblich aus den Grundüberlegungen 89
Cass. civ. 28.2.1860, Bulkey, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 4: „[…] Que c’est donc par les lois de son pays, par les faits accomplis dans ce pays conformément à ses lois, que doit être appréciée la capacité de l’étranger pour contracter mariage en France; qu’ainsi l’étranger, dont le premier mariage a été legalement dissous dans son pays, soit par le divorce, soit par tout autre cause, a acquis definitivement sa liberté, et porte avec lui cette liberté partout où il plaira résider.“ (Hervorh. d. Verf.); zur Entwicklung der Rechtsprechung im Ganzen Lagarde, Recherches sur l’ordre public, 1959, S. 13 ff. 90 Cass. civ., 11.4.1945 und 1.5.1945, S. 1945.I.121, ausführlich Lagarde, Recherches sur l’ordre public, 1959, S. 17 ff. 91 Cass. civ. 1ère, 17.4.1953, Rivière, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 26; Eingehend zum Sachverhalt und dieser wohl berühmtesten Entscheidung der Cour de cassation zum statut personnel S. 51 ff. 92 Siehe den Leitsatz der Cour a. a. O. 93 Cass. civ. 1ère, 28.1.1958, Chemouni, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 30: „Attendu que la réaction à l’encontre d’une disposition contraire à l’ordre public n’est pas la même suivant qu’elle met obstacle à l’acquisition d’un droit en France ou suivant qu’il s’agit de laisser produire en France les effets d’un droit acquis sans fraude à l’étranger et en conformité avec la loi ayant compétence en vertu du droit international privé français; […].“ 94 Cass. civ. 1ère, 3.1.1980, Dame Bendeddouche, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 61 (Leitsatz wortgleich zum vorstehenden Urteil Chemouni). 95 Cass. civ. 1ère, 3.11.1983, Rhobi, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 63 (Leitsatz wortgleich zum vorstehenden Urteil Chemouni). 96 Aus der neueren Rechtsprechung TGI Paris, 1er Ch. 1er sect., 10.5.1990, Rev. crit. DIP 1991, 391 ff. zur Anerkennung einer thailändischen Privatscheidung; Cass. civ. 1ère, 8.7.2010, n° 08-21.740 zur Anerkennung einer US-amerikanischen Adoptionsentscheidung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnerinnen.
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der vorangegangenen théorie des droits acquis.97 Der ordre public atténué gilt seither in der französischen Doktrin neben der „deutschen Lehre“ von der Inlandsbeziehung als zweite wichtige Säule der zeitlich-räumlichen Relativität des ordre public.98 Die im deutschen IPR zu findende Verwendung des Begriffs eines ordre public atténué als abgeschwächter verfahrensrechtlicher ordre public99 ist indes mit der französischen Figur nicht vollständig deckungsgleich, da der ordre public im Falle des ordre public atténué nicht nur lediglich großzügig ausgelegt, sondern ganz grundsätzlich nicht zur Anwendung gebracht wird.100 Darüber hinaus findet er zwar häufig, aber nicht ausschließlich auf Ebene der verfahrensrechtlichen Anerkennung Anwendung.101 d) Zwischenfazit Letztlich sind weder Pillets noch Niboyets Theorie der wohlerworbenen Rechte positivrechtliche Grundlage des französischen IPR-Systems geworden.102 Ihnen fehlt überdies der für die „moderne“ Anerkennungsmethodik charakteristische Wegfall der Anwendung des Kollisionsrechts der lex fori. Dennoch bleibt der Rechtsgedanke des Bestands- und Vertrauensschutzes von Rechtspositionen, die unter ausländischem Statut entstanden sind, vor allem über die Rechtsprechung zum ordre public atténué im 20. Jahrhundert konstant präsent. Insofern überrascht es nicht, dass Lagarde in seinem Haager Cours 2014 die „moderne“ Rechtslagenanerkennung nicht etwa auf eine Annäherung von Internationalem Privat- und Verfahrensrecht zurückführt, sondern sie explizit auf die seiner An97
In ähnliche Richtung Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 1998, S. 87 (Fn. 335). Hammje, in: Trav. Com. DIP 2006–2008, 2009, S. 153, 157; Lagarde, in: IECL, Band III, 2011, Rn. 46 ff., der das Verhältnis zwischen beiden Ansätzen eingehend beleuchtet. Anders als der Inlandsbezug, der die räumliche Dimension des Sachverhaltes im ordre public spiegelt, berücksichtigt der ordre public atténué die zeitliche Dimension des Sachverhaltes. Zwischenzeitlich hat die Cour de cassation das liberale Konzept des ordre public atténué in Fällen, in denen ein außergewöhnlich starker Bezug zur französischen Rechtsordnung (etwa durch die Staatsangehörigkeit der Parteien oder ihren Wohnsitz) und insofern auch ein rechtspolitisches Durchsetzungsinteresse der inländischen Wertevorstellung besteht, abgemildert. Zu dieser – unter dem Stichwort des ordre public de proximité besprochenen – Rechtsprechung, die insbesondere einseitige Verstoßungsrechte des islamischen Familienrechts betrifft, noch unten S. 202 ff. 99 Siehe Stürner, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2021, Art. 6 EGBGB, Rn. 160. 100 Zur Anwendung in den Leihmutterschaftsfällen bereits S. 142 f. 101 Vgl. Guillaumé, in: Mélanges Courbe, 2012, S. 295, 301 (Fn. 33) ; Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 396 f. Hier schließt sich freilich der Kreis, dass die Trennung von verfahrens- und kollisionsrechtlichem ordre public dem französischen IPR aufgrund des Fortbestandes der IPR-Kontrolle im Anerkennungsverfahren an sich schon fernlag, vgl. oben S. 177 ff. 102 So Ekelmans, in: Liber Memorialis Laurent, 1989, S. 735, 744. 98
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sicht nach zwingende methodische Unterscheidung zwischen der Entstehung eines Statusverhältnisses (création) und seinen rechtlichen Wirkungen (effets) zurückführt.103 Ebenso erklärt sich, dass Pataut die Rechtslagenanerkennung grundsätzlich in den größeren Zusammenhang einer „Renaissance“ der Theorie von den wohlerworbenen Rechten einordnet.104 Die französische IPR-Tradition verbindet sich in diesen historischen Wurzeln zum wiederholten Mal mit den historischen Wurzeln der Common Law-Doktrin.105 3. Normativ: Berücksichtigung der EMRK als Baustein einer Anerkennungsmethodik Die Offenheit des französischen Rechts für die Anerkennungsmethode äußert sich wie gesehen auch in einer scheinbar größeren Reichweite, die dem dahinterliegenden Anerkennungsprinzip eingeräumt wird. Dabei sticht insbesondere die über den unionsrechtlichen Rahmen hinausgehende Präsenz einer menschenrechtlichen Dimension auf Grundlage der EMRK, insbesondere deren Art. 8 Abs. 1, ins Auge.106 Als mögliche Ursache dieses Phänomens lassen sich zwei aufeinander aufbauende Aspekte identifizieren: Die EMRK nimmt in den beiden Rechtsordnungen verfassungsrechtlich einen unterschiedlichen Rang ein (a.). Dies scheint sich auf die unterschiedliche Akzeptanz einer Anerkennungsmethode innerhalb beider Rechtsordnungen auszuwirken. Denn die durch das Anerkennungsprinzip vermittelte Kontinuität des persönlichen Status stützt sich maßgeblich auf die Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte über das IPR (b.). a) Verfassungsrechtliche Bedeutung der EMRK Die EMRK spielt für den Individualgrundrechtsschutz im französischen Recht eine herausragende Rolle.107 Das hat zuvorderst verfassungsrechtliche Gründe. Die Konvention nimmt nach Art. 55 CF108 einen Rang zwischen dem einfachen Recht und dem Verfassungsrecht ein; sie ist den einfachen Gesetzen demnach über-, dem Verfassungstext indes untergeordnet.109 Allerdings verweigert der 103
Lagarde, Recueil des cours 371 (2014), 19, 20, 42. Pataut, in: Trav. Com. DIP 2006–2008, 2009, S. 71, 85 ff. 105 Zu weiteren Ausprägungen dieses Mischsystems S. 25 f., 47 f. 106 Vgl. S. 172 ff. 107 Vgl. Mellech, Die Rezeption der EMRK, 2012, S. 172; Sudre, in: Libertés et droits fondamentaux, 2011, S. 35. 108 Art. 55 CF: „Les traités ou accords régulièrement ratifiés ou approuvés ont, dès leur publication, une autorité supérieure à celle des lois, sous réserve, pour chaque accord ou traité, de son application par l’autre partie.“ 109 Grundlegend ist das Urteil des Conseil constitutionnel zum Schwangerschaftsabbruch, C. C., 15.1.1975, n° 74–75; im Übrigen Grewe, in: Menschenrechte in der Bewährung, 2005, 104
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französische Verfassungsrat wegen dieses „Zwischenrangs“ der EMRK die Überprüfung der Vereinbarkeit von Parlamentsgesetzen mit den Konventionsgarantien (so genannte contrôle de conventionnalité).110 Betroffene von Menschenrechtsverletzungen waren infolgedessen in Frankreich lange Zeit auf die ordentlichen Gerichte und den „Gang nach Straßburg“111 angewiesen.112 Erst seit März 2010 besteht mit der QPC (question prioritaire de constitutionnalité) überhaupt ein verfassungsprozessrechtliches Instrument für einzelne Bürger, um sich gegen Grundrechtseingriffe vor dem Conseil constitutionnel zu wehren.113 Die Einbeziehung der EMRK ist den französischen Fachgerichten dementsprechend weitaus geläufiger und schon im allgemeinen rechtswissenschaftlichen Diskurs deutlich präsenter als dies im deutschen Recht der Fall ist.114 Der richterliche Dialog von Cour de cassation und EGMR ist in Fragen grenzüberschreitender Privatrechtsverhältnisse intensiv, das belegen nicht zuletzt die Mennesson-Rechtsprechung und ihre Folgeurteile. In Deutschland kommt der EMRK ein mit dem französischen Recht vergleichbarer Rang über dem einfachen Recht bekanntermaßen nicht zu. Die Konvention hat im deutschen Recht vielmehr lediglich einfachgesetzlichen Rang.115 Seiner S. 106, 115; Stelten, Gerichtlicher Grundrechtsschutz in Frankreich, 2018, S. 139; Wendel, in: Französisches und deutsches Verfassungsrecht, 2015, § 8, Rn. 27 („Komplementärverfassung“). 110 C. C., n° 74–75: „ […] Considérant qu’une loi contraire à un traité ne serait pas, pour autant, contraire à la Constitution; Considérant qu’ainsi le contrôle du respect du principe énoncé à l’article 55 de la Constitution ne saurait s’exercer dans le cadre de l’examen prévu à l’article 61, en raison de la différence de nature de ces deux contrôles; Considérant que, dans ces conditions, il n’appartient pas au Conseil constitutionnel, lorsqu’il est saisi en application de l’article 61 de la Constitution, d’examiner la conformité d’une loi aux stipulations d’un traité ou d’un accord international; […].“ Hervorh. d. Verf.; Ausführlich Stelten, Gerichtlicher Grundrechtsschutz in Frankreich, 2018, S. 141 ff. m. w. N. zur ständigen Rechtsprechung in Fn. 422. 111 Stelten, Gerichtlicher Grundrechtsschutz in Frankreich, 2018, S. 150. 112 Grewe, in: Menschenrechte in der Bewährung, 2005, S. 106, 118 ff.; Mellech, Die Rezeption der EMRK, 2012, S. 134. 113 Art. 61-1 CF: „Lorsque, à l’occasion d’une instance en cours devant une juridiction, il est soutenu qu’une disposition législative porte atteinte aux droits et libertés que la Constitution garantit, le Conseil constitutionnel peut être saisi de cette question sur renvoi du Conseil d’État ou de la Cour de cassation qui se prononce dans un délai déterminé.“; das Verfahren ähnelt einem deutschen Normenkontrollverfahren, entspricht funktional aber der Individualverfassungsbeschwerde, siehe dazu Marsch, in: Französisches und deutsches Verfassungsrecht, 2015, § 6, Rn. 73. 114 Hochmann, in: Französisches und deutsches Verfassungsrecht, 2015, § 7, Rn. 21 f. Vgl. eingehend zum Umgang der Cour de cassation mit der EMRK im Privatrecht Mellech, Die Rezeption der EMRK, 2012, S. 139 ff. 115 Siehe Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 2021, § 3, Rn. 8.
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völkerrechtlichen Verpflichtung aus der EMRK kommt das deutsche Recht nach der Görgülü-Entscheidung des BVerfG116 über die völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes nach, welche die Konventionsgarantien mitberücksichtigt.117 Durch den ausdifferenzierten Grundrechtsschutz, den die Art. 1-19 GG vermitteln, und dessen prozessuale Absicherung durch die Individualverfassungsbeschwerde, spielt die EMRK im deutschen Recht indes häufig eine Nebenrolle.118 b) Konsequenz: Divergenz nationaler Diskurse bei der Integration der EMRK in die IPR-Methodik Die verfassungsrechtlich unterschiedliche Bedeutung der EMRK hat für die Methodendiskurse im IPR beider Länder eine entscheidende Konsequenz: Sie beeinflusst die methodischen Wege, die im französischen und deutschen Recht zur Implementierung der Menschenrechte in das IPR vorgeschlagen werden. Im deutschen IPR ist die Frage des Verhältnisses von Grund- und Menschenrechten zum IPR bis heute geprägt von der bahnbrechenden Entscheidung des BVerfG im Spanierbeschluss.119 Das BVerfG hatte darin erstmals explizit geurteilt, dass „die Vorschriften des deutschen Internationalen Privatrechts und die Anwendung des durch sie berufenen ausländischen Rechts im Einzelfall an den Grundrechten zu messen [sind]“120. Dabei hatte das Gericht methodisch zwei Wege aufgeworfen, wie ein Grund- und Menschenrechtsschutz im IPR gewährleistet werden könne: entweder über eine Art unmittelbare, das IPR überlagernde Anwendung der Grundrechte oder über eine Berücksichtigung im Rahmen des ordre public-Vorbehaltes.121 Mit der IPR-Reform 1986 hat der deutsche Gesetzgeber sich schließlich für den zweiten Weg im Sinne der herrschende Literaturauffassung entschieden, sodass die Grundrechte im deutschen Recht seither mittels des nationalen ordre public-Vorbehalts in Art. 6 S. 2 EGBGB in das IPR 116
BVerfG, 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307. Umfassend Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 2020, Art. 25, Rn. 3 ff. m. w. N. 118 Vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 2021, § 3, Rn. 11, die den Einfluss der EMRK vor allem bei den Verfahrensgarantien sehen, deren Schutz im Grundgesetz weniger differenziert ausgestaltet ist. Bezüglich des IZVR ebenso Siehr, in: FS Jayme, Band II, 2004, S. 873, 878. 119 BVerfG, 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. 120 BVerfG, 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58. 121 BVerfG, 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58, 86: „Dies könnte entweder dadurch erreicht werden, daß in den Grundrechten eine Schranke gesehen wird, die unmittelbar die Anwendung des durch eine Kollisionsnorm berufenen Rechts begrenzt, oder aber durch Heranziehung des Art. 30 EGBGB.“ Zu diesem Aspekt der Entscheidung näher Weller/Thomale/Zimmermann, JZ 2017, 1080, 1085 f. 117
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implementiert werden.122 Darin sind nach allgemeiner Auffassung auch die Verpflichtungen aus der EMRK enthalten.123 Die Menschenrechte nehmen auf diese Weise jedoch im IPR aufgrund vieler „Schutzüberschneidungen“124 mit den Grundrechten wiederum nur eine Nebenrolle ein.125 Der universelle Geltungscharakter, welcher der Konvention anders als dem Grundgesetz zukommt,126 steht indes häufig zurück.127 Der Spanierbeschluss des BVerfG zeitigt auch in der französischen IPR-Doktrin seine Wirkung.128 Anders als im deutschen Recht spielt sich der Methodendiskurs jedoch im Rahmen der EMRK ab, was angesichts der herausragenden Bedeutung der EMRK für den Grundrechtsschutz in Frankreich wenig überrascht.129 Im Vordergrund der dogmatischen Fragestellung steht die Frage, ob die menschenrechtlichen Garantien über den französischen ordre public in das IPR-System implementiert werden oder aufgrund ihrer Höherrangigkeit einen abstrakt-eingriffsrechtlichen Charakter im Sinne einer unmittelbaren Schranke 122 Statt aller Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public, 1989, S. 14 f.; Voltz, in: Staudinger BGB, 2013, Art. 6 EGBGB, Rn. 140; Nur eine Mindermeinung der Literatur hatte sich dafür ausgesprochen, ein eigenes Grundrechtskollisionsrecht zu entwerfen, siehe Looschelders, RabelsZ 2001, 463, 474 m. w. N. (Fn. 46); a. A. neuerdings in Bezug auf den Grundsatz der Geschlechtergleichstellung aus Art. 3 Abs. 2, 3 GG Weller/Thomale/Zimmermann, JZ 2017, 1080, 1087. 123 Im Gesetzentwurf zum IPR-Reformgesetz BT-Drs. 10/504, S. 44; ebenso v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Art. 6 EGBGB, Rn. 153; Lorenz, in: BeckOK BGB, 2021, Art. 6 EGBGB, Rn. 15. 124 Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 1, 9. 125 Siehr, in: FS Jayme, Band II, 2004, S. 873, 878; Stürner, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2021, Art. 6 EGBGB, Rn. 211; Voltz, Menschenrechte und ordre public, 2002, S. 56 f.; kritisch deswegen Engel, RabelsZ 53 (1989), 3, 49. 126 Vgl. Duden, Leihmutterschaft, 2015, S. 184 und 267: „Deutlicher als die Grundrechte haben die Menschenrechte einen universalen Anspruch.“ 127 Ebenso Jayme, Nationaler ordre public und europäische Integration, 2000, S. 22. Ein Teil der deutschen Literatur begegnet dieser Kritik mit einer Reduktion der Anforderung an den Inlandsbezug bei drohenden Menschenrechtsverstößen, siehe Volz, in: Staudinger BGB, 2013, Rn. 87 m. w. N. 128 Siehe d’Avout, in: Droits fondamentaux et ordres juridiques, 2010, S. 165, 167; Corneloup, JEDH 2013, 381, 382 f.; Mayer, Rev. crit. DIP 1991, 651, 656; umfassend aus rechtsvergleichender Perspektive Hammje, La contribution des principes généraux du droit à la forma tion du DIP, 1994, S. 264 ff. 129 Grundlegend Cohen, Rev. crit. DIP 1989, 451 ff.; Gannagé, Rev. crit. DIP 2011, 1 ff.; Hammje, Rev. crit. DIP 1997, 1 ff.; Mayer, Rev. crit. DIP 1991, 651 ff.; aus neuerer Zeit Le quette, Recueil des cours 387 (2016), 9, 374; Marchadier, Les objectifs généraux du droit international privé à l’épreuve de la Convention européenne des droits de l’homme, 2007, Rn. 475 ff. Aus der deutschen Literatur Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007, S. 34 ff.; Voltz, in: Staudinger BGB, 2013, Art. 6 EG BGB, Rn. 221.
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des Kollisionsrechts besitzen, der zur grundsätzlichen Unanwendbarkeit der in casu einschlägigen Kollisionsnormen führen kann.130 Die französische Rechtsprechung positioniert sich dazu, wohl auch aufgrund der Flexibilität, die das französische Recht in Abwesenheit eines geschriebenen ordre public-Vorbehalts mit sich bringt, methodisch weniger eindeutig als der Spanierbeschluss.131 In einem Aufsehen erregenden Urteil aus dem Jahr 1994 praktiziert die Cour de Paris in einem Fall zum Personalstatut einer transsexuellen Person eine Art unmittelbaren Durchgriff der Menschenrechte auf Grundlage von Art. 8 Abs. 1 EMRK.132 Eine transsexuelle Person mit argentinischer Staatsangehörigkeit hatte vor französischen Gerichten darauf geklagt, ihre Ausweispapiere auf die Eintragung des männlichen Geschlechts zu ändern. Die argentinischen Ausweisdokumente waren auf ihr ursprünglich biologisches weibliches Geschlecht ausgestellt. Die Person hatte nach ihrer Flucht aus Lateinamerika zwischenzeitlich über diverse hormonelle Behandlungen in Marrokko das männliche Geschlecht angenommen. Indes verwehrte das eigentlich nach Art. 3 Abs. 3 C. civ. anwendbare argentinische Heimatrecht der Person die Anpassung der Eintragung. Die Cour de Paris entscheidet anders als die Vorinstanz, dass das einschlägige Recht auf ein ungestörtes Privatleben des Art. 8 Abs. 1 EMRK „unmittelbar Anwendung finde“ und dem Antrag der Betroffenen deswegen „ohne Rücksicht auf sein Personalstatut“ stattzugeben sei: „Considérant que la Convention, régulièrement ratifiée, a force de loi en France depuis sa publication et que ses stipulations sont d’application directe en droit français; […] que l’action de Osmar B. […] doit être déclarée recevable, sans considération du statut personnel de l’intéressé; […].“133
Die Cour de cassation wählt vier Jahre später einen ähnlichen Ansatz zur Abwehr der Anwendung einer geschlechterdiskriminierenden Regelung des (ehemaligen) schweizer Rechts betreffend die eheliche Gütergemeinschaft.134 Die französische Literatur spricht sich zwar im Gegensatz dazu und parallel zum deutschen Diskurs überwiegend für eine verweisungsrechtliche Implemen-
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Hammje, Rev. crit. DIP 1997, 1, 7; Mayer, Rev. crit. DIP 1991, 651, 662 f. Vgl. aus deutscher Sicht die Analyse dreier Urteile von Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007, S. 36 ff. 132 CA Paris, Ch. civ. 1ère, 14.6.1994, Rev. crit. DIP 1995, 308. 133 CA Paris, a. a. O. Hervorh. d. Verf. 134 Cass. civ. 1ère, 24.2.1998, Rev. crit. 1998, 637: „L’article 5 du protocole du 22 novembre 1984, n° 7, à la Convention européenne des droits de l’homme, selon lequel les époux jouissent de l’égalité des droits entre eux durant le mariage et lors de sa dissolution, s’impose directement au juge français […].“ Hervorh. d. Verf. 131
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tierung der Menschenrechte über den ordre public aus.135 Es mehren sich gleichwohl Stimmen, die speziell für die Durchsetzung von Grundfreiheiten und Menschenrechten eine eigenständige kollisionsrechtliche Vorbehaltsklausel vorschlagen, um dem universellen Geltungsanspruch der Grund- und Menschenrechte im IPR mehr Geltung zu verleihen.136 Die Existenz dieser tiefgehenden dogmatischen Auseinandersetzung von Literatur und Rechtsprechung zeigt im Ergebis für das französische Recht eine verstärkte Sensibilität dafür, die Grund- und Menschenrechte im IPR nicht nur über den klassischen ordre public-Mechanismus durchzusetzen, sondern den ordre public vielmehr als eines von mehreren möglichen Ventilen für die Zusammenführung der supranationalen Garantien mit dem IPR zu sehen. Die französische Sichtweise scheint hier insofern vorteilhaft, als gerade bei der Rechtslagenanerkennung häufig Fälle vorliegen, in denen das inländische Recht aufgrund menschenrechtlicher Vorgaben korrigiert werden muss.137 Der ordre public korrigiert hingegen allein die Anwendung ausländischen Rechts.138 Für diese Fälle scheint die in Deutschland vorherrschende IPR-Methodik bisher hingegen kein gesondertes Regelungsbedürfnis zu sehen.139 c) Bedeutung für die Anerkennungsmethodik Die beschriebenen Unterschiede in der methodischen Aufarbeitung des Verhältnisses von EMRK und nationalem IPR lassen sich nun auf die derzeit infrage stehende Methodik der Rechtslagenanerkennung übertragen. Sie legen dabei ein weiteres mögliches Indiz für die Anerkennungsfreundlichkeit des französischen IPR offen. Denn blickt man zurück auf die Ausgangsfrage dieses Abschnittes nach dem Einfluss der normenhierarchischen Verortung der EMRK auf die Dogmatik der Rechtslagenanerkennung, bietet sich folgende Parallele an: Im deutschen IPR gilt nach Art. 3 EGBGB ein unbedingter Anwendungsvorrang des europäischen IPR. Dies gilt nach herrschender Auffassung nicht nur für 135 Hammje, Rev. crit. DIP 1997, 1, 12; Lequette, Recueil des cours 387 (2016), 9, 374; Marchadier, Les objectifs généraux du droit international privé à l’épreuve de la Convention européenne des droits de l’homme, 2007, Rn. 484; Mayer, Rev. crit. DIP 1991, 651, 664. 136 d’Avout, in: Trav. Com. DIP 2014–2016, 2017, S. 215, 231 ff. („exception générale de reconnaissance“); ders., in: Droits fondamentaux et ordres juridiques, 2010, S. 165, 197; Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 579–1; in ähnliche Richtung aus deutscher Sicht Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 140. 137 Dies gilt insbesondere etwa für die Fälle der grenzüberschreitenden Leihmutterschaft, s. o. S. 144, 164; im Ergebnis ebenso Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 140; Legendre, Droits fondamentaux et droit international privé, 2020, Rn. 280. 138 Statt aller Stürner, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2021, Art. 6 EGBGB, Rn. 2. 139 Auf diese methodische Regelungslücke weisen soweit ersichtlich nur Duden, Leihmutterschaft, 2015, S. 220 f. und Heiderhoff, IPRax 2012, 523, 525 hin.
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das Sekundärrecht, sondern auch für das Primärrecht, inklusive der darin enthaltenen Grundfreiheiten, der Freizügigkeit und infolgedessen mittelbar für ein daraus abgeleitetes Anerkennungsprinzip.140 Die unmittelbare Anwendbarkeit des EU-Primärrechts begünstigt freilich eine Methodik wie diejenige der Rechtslagenanerkennung, die den Verweisungsmechanismus der traditionellen Kollisionsnormen außer Acht lässt und sich in territorial-eingriffsrechtlicher Manier über das klassische IPR hinwegsetzt.141 Berücksichtigt man vor diesem Hintergrund, dass eine Implementierung der Grundrechte und mit ihr der Konventionsgarantien der EMRK im deutschen Recht nach Art. 6 EGBGB hingegen lediglich über den ordre public und somit allein innerhalb des verweisungsrechtlichen Systems stattfindet, so erklärt dies die im deutschen Diskurs vorzufindende kritische Position bezüglich einer Anerkennung unter Verzicht auf das klassische IPR auf menschenrechtlicher Grundlage. Das französische Recht reflektiert dagegen den verfassungsrechtlich hervorgehobenen Rang der EMRK auch auf Ebene der IPR-Methodik in einer Sensibilität von Rechtsprechung und Doktrin für einen unmittelbaren Durchgriff des Anwendungsvorrangs der EMRK. Das erklärt den Umstand, dass dem französischen IPR die dogmatische Grundlage für eine „Anerkennung ohne Verweisung“ nicht nur auf unionsrechtlicher, sondern auch auf konventionsrechtlicher Grundlage nicht allzu fern zu liegen scheint. Nicht ohne Grund wird die Problematik der unmittelbaren Anwendung der Grund- und Menschenrechte in der französischen Literatur im Zusammenhang mit der Rechtslagenanerkennung deshalb immer wieder mit aufgegriffen.142 Der auf den ersten Blick rein verfassungsrechtliche Unterschied zwischen den beiden Rechtsordnungen schlägt sich so auf Ebene des IPR in einem unterschiedlichen Verständnis der Anerkennungsmethodik nieder.
140 Statt aller v. Hein, in: MüKoBGB, 2020, Art. 3 EGBGB, Rn. 92. Für das Namensrecht explizit Mankowski, in: NK BGB, 2021, Art. 48 EGBGB, Rn. 76 f., 80. 141 Vgl. Freitag, in: NK BGB, 2021, Art. 3 EGBGB, Rn. 56. Ebenso Stürner, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2021, Art. 6 EGBGB, Rn. 205, der darauf hinweist, dass sich das Unionsprimärrecht in Binnenmarktfällen „ohne weiteres“ gegenüber der lex causae durchsetze, ein Rückgriff auf den ordre public insoweit also nicht in Betracht komme; Ähnlich bezüglich dieser unilateralistischen Wirkweise der Rechtslagenanerkennung Legendre, Droits fondamentaux et droit international privé, 2020, Rn. 257. 142 Beispielhaft Legendre, Droits fondamentaux et droit international privé, 2020, Rn. 257 ff.; Lequette, Recueil des cours 387 (2016), 9, 384 f.
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III. Fazit: Anerkennungsfreundlichkeit als Konsequenz des historisch gewachsenen, prinzipienorientierten Verständnisses der Anerkennungsmethodik Auch wenn in den vorstehenden Erwägungen gewichtige Indizien für die Anerkennungsoffenheit des französischen IPR herausgearbeitet werden konnten, bleibt eine Verallgemeinerung schwierig. In der Gesamtschau der Ursachenforschung kristallisiert sich aber zum einen heraus, dass die Anerkennung von Rechtslagen im Gefüge des französischen IPR grundsätzlich einen anderen Platz einnimmt, als dies im deutschen Recht bisher der Fall ist, und zum anderen, dass dies Konsequenz eines anderen Methodenverständnisses ist. Dieser Befund spiegelt sich anschaulich in der historischen Parallele zur théorie des droits acquis und der Einbeziehung der EMRK in die Grunddogmatik der Rechtslagenanerkennung wider. Das unionsrechtliche Anerkennungsprinzip, im Personalstatut abgeleitet aus Art. 21 AEUV, scheint aus französischer Sicht eher die Spielart einer weit verstandenen méthode de la reconnaissance zu sein, die sich nicht allein auf die Freizügigkeitsgarantie des Unionsrechts beschränkt.143 Vielmehr bilden sowohl der AEUV als auch die EMRK die supranationale normative Grundlage für eine Statusanerkennung durch das IPR. Ein abschließendes Beispiel mag dafür das Urteil des EGMR im Fall Wagner c. Luxembourg144 bilden, das in der französischen Grundlagenliteratur im Zusammenhang mit der Anerkennungsmethode nahezu omnipräsent ist:145 Eine alleinstehende Luxemburgerin hatte in Peru unter der dort geltenden Rechtslage im Jahr 1996 ein Kind adoptiert. In Luxemburg scheiterte sie mit einer Anerkennung der Adoptionsentscheidung des peruanischen Gerichts, da das luxemburgische Recht ähnlich dem französischen zur Urteilsanerkennung noch eine IPR-Kontrolle vorsah. Das aus luxemburgischer Sicht anwendbare inländische Heimatrecht der Frau ließ die Adoption durch Alleinstehende nicht zu. Der EGMR entschied zugunsten der Klägerin. Der Staat Luxemburg habe die soziale Realität des Falles und das vorranige Wohl des Kindes durch die Verweigerung der Anerkennung der Adoptionsentscheidung vernachlässigt und damit Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzt.146 143 Ganz explizit so etwa Lagarde, in: Mélanges Gaudemet-Tallon, 2008, S. 481, 482; ähnlich Lequette, in: Mélanges Mayer, 2015, S. 481, 496; strikter differenzierend Mayer, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 547, 548. 144 EGMR, 28.6.2007, n° 76240/01. 145 Exemplarisch Corneloup, JEDH 2013, 381, 397 („un des arrêts fondateurs de cette évolution“); Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.101; Gaudemet-Tallon, in: Essays in honour of Hans van Loon, 2013, S. 181, 192; Kinsch, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 43, 48; Lequette, Recueil des cours 387 (2016), 9, 385 f. 146 EGMR, 28.6.2007, n° 76240/01, Rn. 132 ff., insbesondere Rn. 133: „Rappelant que c’est
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Auch wenn das Urteil formal der verfahrensrechtlichen Anerkennung zuzuordnen ist, wird ihm in der Rezeption durch die französische Doktrin die grundlegende Wertung entnommen, dass der Schutz des legitimen Vertrauens der Parteien in den Bestand ihrer Rechtspositionen elementarer Bestandteil des von Art. 8 Abs. 1 EMRK transportierten Schutzes des Privat- und Familienlebens ist;147 eine Wertung, die für die verfahrensrechtliche Anerkennung ebenso wie für die Rechtslagenanerkennung Gültigkeit hat.148 Die oben bereits erwähnte geringere Differenzierung des französischen Rechts zwischen IPR im engeren Sinne (Rechtslagenanerkennung) und verfahrensrechtlicher Anerkennung149 äußert sich hier in ihrer eigentlichen Form: Es geht nicht um eine Zusammenschau der beiden Rechtsgebiete aus systematischer oder kollisionsrechtstechnischer Sicht, sondern vielmehr um die dem Anerkennungsparadigma zugrundeliegende supranationale Grundlage des Kontinuitätsschutzes vermittelt durch Grundfreiheiten und Menschenrechte. Der daraus resultierende Vertrauens- und Bestandsschutz macht aus Sicht des französischen IPR-Denkens wenig Unterscheidung danach, ob es um ein in einem Urteil begründetes Recht oder eine anderweitig erworbene Rechtsposition geht.150 Art. 21 AEUV oder Art. 8 Abs. 1 EMRK sind jeweils nur die normativen „Scharniere“ eines übergeordneten Anerkennungsprinzips.151 Die abweichende deutsche Sichtweise veranschaulicht plastisch die Tatsache, dass der Fall Wagner in der deutschen Literatur nahezu keine Resonanz gefunden hat. Allein Henrich geht darauf ein und stellt fest, die Entscheidung sei für das deutsche Recht wenig fruchtbar, weil sich – in der Sache sicherlich zutreffend – l’intérêt supérieur de l’enfant qui doit primer dans ce genre d’affaires […], la Cour estime que les juges luxembourgeois ne pouvaient raisonnablement passer outre au statut juridique créé valablement à l’étranger et correspondant à une vie familiale au sens de l’article 8 de la Convention.“ 147 d’Avout, JDI 2008, 187, 192; Bureau/Muir Watt, Droit international privé, Band I, 2017, Rn. 580-1; Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.101. 148 Kinsch, in: Liber amicorum Siehr, 2010, S. 259, 265 f.; ders., in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 43, 50. 149 S. o. S. 175 ff. 150 In ähnliche Richtung argumentiert aus deutscher Perspektive Helms, IPRax 2020, 379, 380, wenn er die deutsche Unterscheidung zwischen Urteils- und Urkundenanerkennung in den Leihmutterschaftsfällen (s. o. S. 162 ff.) für „rechtspolitisch und menschenrechtlich zweifelhaft“ hält. 151 Dabei bedeutet die Zusammenschau von Unionsrecht und EMRK nicht, dass nicht zwischen beiden Rechtsquellen und der Intensität ihres jeweiligen Einwirkens auf das nationale Recht differenziert würde. Der im Rahmen der EMRK häufig weiter gefasste Einschätzungsspielraum der Konventionsstaaten, den der EGMR gerade in besonders heiklen Fragen des Familienrechts einräumt, wird auch in der französischen Literatur mitberücksichtigt, vgl. nur Kinsch, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 43 55: „Il n’y pas, en vertu de la jurisprudence de la Cour européenne, un droit absolut à la reconnaissance des situations.“
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das Problem im deutschen Recht wegen der verfahrensrechtlichen Anerkennung nicht gestellt hätte.152 Aus deutscher Perspektive bleibt das Anerkennungsprinzip mithin in aller Regel auf seinen „Kernbereich“, entwickelt aus den Grundfreiheiten und der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, beschränkt.153 Die punktgenaue Umsetzung der namensrechtlichen Rechtsprechung des EuGH in Art. 48 EGBGB zeugt eindrücklich davon.154 Das französische Recht versteht die Anerkennungsmethode hingegen eher prinzipienbasiert und unter Berücksichtigung des supranationalen Hintergrundes. Infolgedessen ist notwendigerweise der Fokus auf die Ausbalancierung der jeweiligen Sachinteressen und der hierarchisch bedingten Normengeltungsansprüche gelegt. Demgegenüber bleibt das deutsche Recht eher der klassischen kollisionsrechtlichen Systematik verhaftet und will die Anerkennungspflicht in das bestehende IPR-System einfügen beziehungsweise deren (Konkurrenz-)Verhältnis zum klassischen Verweisungsmodell auflösen.155 Die Unterschiede von deutschem und französischem Verständnis der Anerkennungsmethodik liegen mithin weniger auf Ebene der konkreten tatbestandlichen Ausgestaltung, sondern vielmehr in der Verortung des Grundprinzips der Anerkennung innerhalb des Methodenkanons des IPR begründet. Die ideengeschichtliche Entwicklung des statut personnel flankiert diese These: Das principe de la reconnaissance ist als Teil der kollisionsrechtlichen Ideengeschichte älter als die europäischen Grundfreiheiten und stützte sich nicht nur auf die normative Grundlage supranationaler Rechtsakte. Die vor diesem Hintergrund entwickelte Rechtslagenanerkennung findet ihren ideengeschichtlichen Ursprung in den territorialistischen IPR-Theorien, die sich im statut personnel, wie die Untersuchung immer wieder aufgezeigt hat, in deutlicherer Form niedergeschlagen haben als im deutschen Personalstatut.156 Im französischen IPR erscheint die Rechtslagenanerkennung somit als historisches Kontinuum, während sie im deutschen Recht in erster Linie als Auslöser einer methodischen Neuordnung infolge eines „Paradigmenwechsels“157 betrachtet wird.158 Vielleicht vermag diese Erkenntnis mit Blick auf den französischen Nachbarn den Ruf des Aner-
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Henrich, FamRZ 2007, 1531. Siehe die Nachweise Fn. 18–20. 154 S. o. S. 93 ff. 155 In ähnliche Richtung Corneloup, in: How European is European Private International Law?, 2019, S. 255, 266. 156 Vgl. exemplarisch S. 23 ff., 32 ff., 50 ff., 60 ff., 180 ff. 157 Sonnenberger, in: FS Spellenberg, 2010, S. 371, 372. 158 Anders nur Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 2017, S. 88; Looschelders, in: Staudinger BGB, 2019, Einl. IPR, Rn. 81. 153
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kennungsprinzips als „Schreckgespenst“159 und „unliebsame[s] Stiefkind“160 des deutschen IPR hierzulande eines Tages etwas verbessern. Die französische Sicht auf das Anerkennungsprinzip als übergeordneten Grundsatz des IPR könnte derweil nicht treffender formuliert sein als in der Aussage Mayers: „En fait la reconnaissance est partout, elle est dans toutes les méthodes, parce qu’elle est de l’essence du droit international privé.“161
B. Andererseits: Progressiv-partikularistische Fundamentalisierungstendenzen des Verweisungsrechts Wird ein persönlicher und familiärer Status im Inland begründet oder geht es um die Anerkennung eines im Ausland erworbenen Status, für die noch keine expliziten supranationalen Vorgaben hinsichtlich eines Anerkennungsprinzips bestehen, kommt dem Verweisungsparadigma162 auch in Frankreich weiterhin entscheidende Bedeutung zu. Im französischen Internationalen Eherecht hat sich gezeigt, dass die Einflüsse von Postmoderne und Globalisierung vor diesem Hintergrund ebenfalls zu außergewöhnlichen Neuerungen der französischen IPRMethodik führen. Die Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen im französischen IPR hat in diesem Zusammenhang ein allgemeines Phänomen sichtbar gemacht, das in der Literatur bereits als „Fundamentalisierung“163 beziehungsweise „Konstitutionalisierung“164 des IPR bezeichnet wurde und sich, im Anschluss an das vierte Kaptiel dieser Arbeit, methodisch dem Kontext des politisierten Verweisungsrechts einordnen lässt.165 Zwar wirkt die Statuskontinuität vermittelt durch Grund- und Menschenrechte hier ebenfalls als übergeordnetes Leitprinzip für die Ausgestaltung des nationalen Kollisionsrechts. Sie erhält allerdings ein methodisch wie ideologisch anderes Fundament als die im Rahmen der Anerkennungsmethode diskutierten Ansätze. Dem Anerkennungsprinzip liegt der Gedanke von Toleranz und Respekt gegenüber dem fremden Recht und den unter seiner Geltung erworbenen Rechtspositionen zugrunde.166 Das Prinzip basiert auf der Annahme, dass 159
Dutta, FamRZ 2018, 1067, 1068. Hübner, RabelsZ 85 (2021), 106, 108. 161 Mayer, in: La reconnaissance des situations, 2013, S. 27, 29. 162 Begriff nach Wendehorst, DGIR 45 (2012), 33, 42. 163 Gannagé, JCP G. 12/2015, 525, 527; Lequette, Recueil des cours 387 (2016), 9, 351 ff. 164 Siehr, in: FS Jayme, Band II, 2004, S. 873, 876; zum ordre public im Speziellen Helms, IPRax 2017, 153 ff. 165 S. o. S. 74 ff. 166 Vgl. die historischen Bezüge zum Gedanken der wohlerworbenen Rechte oben S. 180 ff. 160
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in bestimmten Fragen bereits eine Form der supranationalen Rechtsgemeinschaft besteht, die normativ vermittelt durch Art. 21 AEUV oder Art. 8 Abs. 1 EMRK den Respekt gegenüber dem anderenorts erworbenen Status erfordert. Hat sich eine Rechtsgemeinschaft im Rahmen eines Anerkennungsrinzips aber (wie im Internationalen Eherecht) noch nicht hinreichend konkretisiert, kann eine nationale Rechtsordnung, die den Status der Ehe unabhängig vom Geschlecht gleichwohl als fundamentalen Wert ihrer Rechtsordnung betrachtet, den Respekt dieser nationalen Wertvorstellung über die Ausgestaltung ihres Verweisungsrechts sicherstellen.167 Nutzt sie dazu, wie häufig im Internationalen Familienrecht, den Mechanismus des nationalen ordre public, verlieren die Grundund Menschenrechte teilweise ihren universellen Charakter als Vermittler einer übergeordneten, individualrechtlichen Statuskontinuität. Sie erscheinen vielmehr als Katalysator objektiver Rechtsvorstellungen des inländischen forum. Das in dieser Form fundamentalisierte Verweisungsrecht erhält deswegen notwendigerweise einen stark partikularistischen Charakter. Ein Rückblick auf die französischen Entwicklungen im Internationalen Eherecht am Beispiel der Kollisionsnorm für die gleichgeschlechtliche Ehe verdeutlicht im folgenden Abschnitt, dass sich dieser Fundamentalisierungseffekt im französischen IPR nicht lediglich wiederfindet. Er nimmt im rechtsvergleichenden Kontext sogar eine besonders rigide Form an und legt infolgedessen den eigentümlichen Gegensatz zwischen Anerkennungsfreundlichkeit des französischen IPR im Namens- und Abstammungsrecht und partikularistischer Tendenz des Verweisungsrechts offen (I.). Als Ursachen dieser Besonderheit der französischen Entwicklung lassen sich zwei Aspekte identifizieren: zum einen die bereits vorhandene Tradition einer rechtspolitischen Vorprägung des kodifizierten statut personnel; zum anderen eine zunehmend eingriffsrechtliche Handhabung des ordre public-Mechanismus durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (II.). Der Innovationscharakter dieser Methodenfortbildung ist indes aus europäischer Perspektive und dem Anliegen einer Vereinheitlichung der nationalen Regelungsmodelle im Personalstatut nicht uneingeschränkt zu begrüßen (III.). I. Rückblick: Der ordre public partagé im Internationalen Eherecht Die kollisionsrechtliche Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen ist das schillerndste Beispiel einer Fundamentalisierung des französischen IPR. Das sechste Kapitel dieser Arbeit hat gezeigt, wie über die im Jahr 2013 eingeführte Vorschrift des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. eine fundamentale Wertvorstellung des Sachrechts (hier: die Freiheit der Eheschließung ohne Rücksicht auf das Geschlecht) über das IPR auch in internationalen Sachverhalten umfassend umgesetzt wird. 167
Vgl. S. 106 ff.
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Die tatbestandlichen Anforderungen an die Norm sind so niederschwellig, dass die Wirksamkeit einer gleichgeschlechtlichen Ehen bei der Begründung im Inland ebenso wie im Rahmen der Anerkennung der Ehe im Ausland in nahezu allen Fällen sichergestellt ist.168 Die Ausgestaltung der Vorschrift in diesem Sinne folgt dem Anliegen der Sachrechtsreform, die Gleichstellung gleich- und gemischtgeschlechtlicher Ehen für französische Staatsangehörige und deren Partnerinnen und Partner vollumfänglich zu gewährleisten. Die legislative Entstehungsprozess der Norm bestätigt diese Zwecksetzung eines Gleichlaufs von Sach- und Kollisionsrecht.169 Der infolgedessen entstandene erste explizit kodifizierte ordre public-Vorbehalt des französischen IPR wird explizit mit dieser intern-französischen Wertung aufgeladen.170 Die Cour de cassation verschafft dem Grundrecht der Eheschließungsfreiheit darüber hinaus noch größtmögliche internationale Geltung, indem sie Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. extensiv in dem Sinne interpretiert, dass die Norm sich sogar gegenüber anderslautenden völkerrechtlichen Verträgen zwingend durchsetzt.171 Gewiss sind spezielle ordre public-Vorbehalte an sich im Personalstatut aus rechtsvergleichender Perspektive nichts vollkommen Neues. Die Kodifizierung des deutschen Art. 13 Abs. 2 EGBGB als Folge des Spanierbeschlusses172 ist eines der klassischsten Beispiel einer grundrechtlichen Aufladung des Internationalen Familienrechts. Kinsch verweist in seinem Haager Cours mit Nachdruck darauf, dass das an sich politisch neutrale Kollisionsrecht innerhalb der ordre public-Dogmatik naturgemäß rechtspolitische Elemente in sich aufnimmt, da die Transposition sachrechtlicher (Wert-)Entscheidungen auf grenzüberschreitende Sachverhalte stets Konsequenz eines internen politischen Entscheidungsprozesses sei.173 Jede noch so anerkennungsoffene Rechtsordnung findet darin ihre Grenzen.174 Das für die rechtsvergleichende IPR-Methodik eigentlich Neue und Revolutionäre an der französischen Norm ist jedoch ihr hybrider Charakter aus einer Kombination von Verweisungsvorschrift und speziellem ordre public-Vorbe168
Zur Funktionsweise der Norm im Ganzen S. 113 ff. Vgl. S. 109 ff. 170 Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 788 (ordre public renforcé). 171 Cass. civ. 1ère, 28.1.2015, n° 13-50.059, eingehend zu dieser Entscheidung S. 124 ff. 172 BVerfG, 4.5.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 31, 58; dazu näher S. 189 f. 173 Ausführlich Kinsch, Recueil des cours 402 (2019), 21, 76; ebenso Coester-Waltjen, in: Politik und IPR, 2017, S. 1, 3; Fulli-Lemaire, Le droit international privé de la famille à l’épreuve de l’impératif de reconnaissance des situations, 2017, Rn. 457; de la Durantaye, IPRax 2019, 281, 282 bezeichnet das Ideal des politisch neutralen Kollisionsrechts in diesem Zusammenhang gar als „Mythos“. 174 Ähnlich Mankowski, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 571, 573. 169
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halt.175 Nach Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. ist die Ehe zweier gleichgeschlechtlicher Partner wirksam, solange zumindest das Heimatrecht oder das Wohnsitz- oder Aufenthaltsrecht eines der Ehegatten die Eheschließung ermöglicht. Bezug nimmt die französische Vorschrift damit allerdings nicht nur auf die sachrechtlich Wertvorstellung der französischen lex fori sondern auch auf diejenige jeder anderen Rechtsordnung, welche die Eheschließung unabhängig vom Geschlecht zulässt; Voraussetzung ist lediglich, dass die Parteien eine (denkbar schwache) Verbindung zu dieser Rechtsordnung durch Staatsangehörigkeit oder weit verstandenen Wohnsitz oder Aufenthalt im französischen Begriffssinne haben.176 Maßstab für die fundamentalen Wertvorstellungen, die der Norm innewohnen, ist mithin nicht mehr allein das französische Recht, sondern der Grundwert einer Rechtsgemeinschaft „unter Gleichgesinnten“. Insofern nimmt Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. die neuartige Gestalt eines geteilten beziehungsweise gemeinschaftlichen ordre public an. Fulchiron spricht hier treffend von einem ordre public partagé.177 Die Rigidität des in Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. neu geschaffenen eherechtlichen ordre public partagé ist aus rechtsvergleichender Sicht deshalb so überraschend, weil sie zum einen einer Rechtswirklichkeit gegenübersteht, in der die gleichgeschlechtliche Ehe noch immer nur von einer Minderheit der Staaten akzeptiert wird.178 Zum anderen passt sie methodisch nicht in das Bild des verweisungsrechtlichen ordre public-Vorbehalts, der in seiner negativen Funktion eigentlich die ausnahmsweise Abwehr fremden Rechts in einem konkreten Einzelfall zum Ziel hat.179 Die Brisanz seiner Einführung ist in dieser Hinsicht mit dem im deutschen Recht höchst umstrittenen speziellen ordre public zur Frühehe180 (Art. 13 Abs. 3 EGBGB n. F.) zu vergleichen. Die Norm wird ebenfalls als rechtspolitisch inspirierter „Fremdkörper“ innerhalb des deutschen IPR-Systems emp175 Ebenso das Fazit von Bollé/Haftel und Vareilles-Sommières in Boden/Bollée/Haftel/ Hammje/Vareilles-Sommières, Rev. crit. DIP 2015, 400 ff. 176 S. o. S. 113 ff. 177 Fulchiron, JDI 2013, 1055, 1073. Nicht zu verwechseln ist der ordre public partagé mit dem ordre public transnational oder dem ordre public européen. Wesensmerkmal dieser Mechanismen ist, dass es um die kollisionsrechtliche Durchsetzung von Wertvorstellungen geht, die von der Mehrheit einer Staatengemeinschaft des internationalen beziehungsweise europäischen Rechtsraumes geteilt wird. Weiterführend zum ordre public européen etwa Basedow, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 55 ff.; Jayme, Nationaler ordre public und europäische Integration, 2000, S. 5 ff.; Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007. 178 Dazu bereits S. 102 f. 179 Statt aller Audit/d’Avout, Droit international privé, 2018, Rn. 386; v. Hein, in: MüKo BGB, 2020, Art. 6 EGBGB, Rn. 1 f. 180 Begriff nach Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705, 707 (Fn. 1).
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funden und derzeit vonseiten des BVerfG bezüglich seiner Verfassungsmäßigkeit überprüft.181 II. Mögliche Ursachen der Entwicklung 1. Fortführung einer Tradition sachrechtspolitischer Einflüsse im kodifizierten statut personnel Die Ausgestaltung des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. verwundert weniger, ruft man sich den sachrechtsorientierten Charakter derjenigen Kollisionsnormen in Erinnerung, die Gegenstand der ersten Kodifikation des französischen IPR-Gesetzgebers in den 1970er Jahren waren. Seitdem der französische Gesetzgeber im statut personnel kodifizierend tätig geworden ist, lässt sich in der methodischen Ausrichtung des Rechtsgebiets eine bemerkenswerte rechtspolitische Durchdringung nachweisen – das hat der zweite Teil dieser Untersuchung gezeigt.182 Die Reformen des Abstammungs- und Scheidungsrechts, mit denen der französische Gesetzgeber angesichts massiver Migrationsbewegungen in den Jahren 1972 und 1975 im IPR normgebend aktiv geworden ist, tragen deutliche Spuren der jeweils damit verbundenen Sachrechtsreform. Auf das von der Rivière-Rechtsprechung anhand von Art. 3 Abs. 3 C. civ. installierte allseitig-neutrale IPR-System greifen die Vorschriften, die großteils bis heute in Kraft sind, nur am Rande zurück. Die Vorzüge des damals neu gefassten, liberalen französischen Familienrechts, wie etwa die Gleichstellung ehelicher und nicht ehelicher Kinder, wurde in den neu kodifizierten Kollisionsnormen vielmehr durch Mechanismen flankiert, die eine starke Präferenz für die französische lex fori erkennen ließen.183 Neben der Grundanknüpfung an die Staatsangehörigkeit, die bis dato auch den statut personnel beherrschte, haben die Anknüpfungen an den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt auf diesem Wege eine starke Aufwertung erfahren, um das französische Recht auch auf ausländische Staatsangehörige anzuwenden. Der französische Gesetzgeber machte aus der dahinterstehenden Intention der einseitigen Bevorzugung des französischen Rechts keinen Hehl.184
181 Die Rechtssache ist mit Az. 1 BvL 7/18 anhängig zurückgehend auf BGH, 14.11.2018 – XII ZB 292/16, FamRZ 2019, 181. Ausführlich Heitmann, Flucht und Migration im internationalen Familienrecht, 2020; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 84 (2020), 705 ff.; Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289 ff. Die Verfassungsmäßigkeit des französischen Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. wurde schon vor seinem Inkrafttreten vom französischen Verfassungsrat bestätigt, s. o. S. 111 f. 182 Zum Ganzen bereits S. 60 ff. 183 Siehe Art. 309 C. civ. n. F. und Art. 311-15 C. civ., oben S. 61 ff. 184 Vgl. die Aussagen des Justizministers Foyer in Teil 2 Fn. 326.
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Teil 4: Der statut personnel zwischen Frankreich und Europa
Die rechtspolitische Sprengkraft, die der Kollisionsnorm zur gleich-geschlechtlichen Ehe innewohnt, ist dem System des kodifizierten Verweisungsrecht im statut personnel mithin nicht fremd, sondern reiht sich in diese legislative Tradition mit ein. Überraschender scheint in diesem Zusammenhang, dass sich die Cour de cassation in ihrem weitgehenden Urteil aus dem Jahr 2015 explizit dem rechtspolitischen Ansinnen des französischen Gesetzgebers angeschlossen hat. Zuvor hatte sich das Gericht über ein Jahrhundert hinweg als Wächterin der klassischen IPR-Prinzipien und Gegengewicht zum „Heimwärtsstreben“185 des französischen IPR-Gesetzgebers etabliert. Die ehemals zu beobachtende methodische Divergenz zwischen kodifiziertem und richterrechtlichem statut personnel scheint sich in dieser Entwicklung zunehmend aufzulösen.186 2. Spiegelung in der Rechtsprechung: Vom ordre public atténué zum ordre public de rattachement Aus rechtsvergleichender Perspektive wurde bereits anderenorts darauf hingewiesen, dass die französische Rechtsprechung der Durchsetzung inländischer Wertvorstellungen über den ordre public in stärkerem Maß zugeneigt sei als andere Rechtsordnungen.187 Die Rechtsprechung der Cour de cassation zur Anerkennung im Ausland erworbener Statusfragen über den ordre public atténué zeigt, dass sich dies nur in Teilen als richtig erweist.188 Zutreffend ist in diesem Zusammenhang aber die Beobachtung, dass der Kassationshof den französischen ordre public zum Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend restriktiv handhabt, sobald Interessen des französischen Rechts berührt sind, etwa durch die französische Staatsangehörigkeit einer Partei oder ihren Wohnsitz auf französischem Territorium.189 So entschied die Cour beispielsweise in zwei Urteilen zum Scheidungs- und Abstammungsrecht, dass ein ausländisches Statut, das französischen Staatsangehörigen die Scheidung beziehungsweise Begründung einer Abstammung verwehrt, gegen den französischen ordre public verstoße.190 Zurück185
Weller, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 897, 898. zur Spaltung des statut personnel zwischen Legislative und Judikative als Konsequenz der Teilkodifikationen im 20. Jahrhundert oben S. 69. 187 In diesem Sinne etwa Stürner, in: BeckOGK, Art. 6 EGBGB, Stand: 1.5.2021, Rn. 52; Voltz, in: Staudinger BGB, 2013, Rn. 220. 188 S. o. S. 184 ff. 189 Vgl. Courbe, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 227, 228 ff.; Lequette, Recueil des cours 387 (2016), 9, 356; Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 216; jeweils m. w. N. 190 Für das Scheidungsrecht siehe Cass. civ. 1ère 1.4.1981, de Pedro, JDI 1981, 812; für das Abstammungsrecht Cass. civ. 1ère, 10.2.1993, Rev. crit. 1993, 620 f.: „Mais attendu que si les lois étrangères qui prohibent l’établissement de la filiation naturelle ne sont, en principe, pas contraires à la conception française de l’ordre public international, il en est autrement lorsque 186 Vgl.
E. Gang der Untersuchung
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gehend auf eine Formulierung Foyers wird der ordre public in dieser Form wegen seiner Anknüpfung an den Inlandsbezug zum französischen Recht als ordre public de proximité bezeichnet.191 Das Verhältnis von ordre public atténué und ordre public de proximité ist bis heute nicht vollständig geklärt.192 Ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht die Rechtsprechung zum ordre public de proximité in einer Urteilsserie aus dem Jahr 2004 in fünf zusammengefassten Fällen zur Anerkennung einseitiger Verstoßungsscheidungen (répudiations), wie sie häufig im Familienrecht muslimisch geprägter Rechtsordnungen vorkommen.193 Die französischen Gerichte hatten in dieser Frage, ebenso wie in den vergleichbaren Fällen polygamer Ehen, lange Zeit eine eher liberale Position eingenommen.194 Unter Berücksichtigung des in der Regel ausländischen Heimatrechtes der Ehegatten hatten sie die Scheidungen anerkannt. Auf Grundlage des ordre public atténué hatte ein Eingreifen des französischen ordre public – in casu ausgelöst durch die Geschlechterdiskriminierung zulasten der Ehefrau – nach Ansicht der Cour de cassation zurückzustehen.195 Im Jahr 2004 kam es indes zu einer bemerkenswerten Kehrtwende des Gerichts. Gestützt auf die Gleichberechtigung der Ehegatten nach Art. 5 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK196 entscheidet das Gericht, dass eine einseitige Verstoßungsscheidung aus Sicht des französischen Rechts stets ordre public-widrig sei, wenn ein hinreichender Bezug zum französischen Inland etwa durch den Wohnsitz der Ehegatten, vorliege:
ces lois ont pour effet de priver un enfant français ou résidant habituellement en France, du droit d’établir sa filiation; que, dans ce cas, cet ordre public s’oppose à l’application de la loi étrangère normalement compétente […].“ 191 Vgl. Foyer, Rev. crit. DIP 1993, 620, 631. Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 2019, Rn. 216 sprechen plastisch vom „ordre public du statut personnel des Français“. Deutliche Parallelen bestehen nach Courbe zur deutschen Lehre von der Inlandsbeziehung, siehe Courbe, in: Mélanges Lagarde, 2005, S. 227, 228. 192 Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.563 ff.; Guillaumé, in: Mélanges Courbe, 2012, S. 295, 298, 301 f. 193 Cass. civ. 1ère, 17.2.2004, n° 01-11.549, der erste Fall der Serie ist abgedruckt in: Ancel/ Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 64. Umfassend vor dem kolonialgeschichtlichen Hintergrund dazu Lagarde, in: FS Sonnenberger, 2004, S. 481 ff. 194 Gannagé, in: Le pluralisme des statuts personnels, 2001, S. 325; Lagarde, in: FS Sonnenberger, 2004, S. 481, 488 f. 195 Zuletzt befürwortete die Cour de cassation die Anerkennung einer solchen im Ausland durchgeführten Scheidung im Fall Rhobi, Cass. civ., 3.11.1983, in: Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, Nr. 63. 196 Art. 5 des Zusatzprotokolls Nr. 7 zur EMRK vom 22.11.1984: „Hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben Ehegatten untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art. […]“ Deutschland hat das Protokoll bis heute nicht ratifiziert.
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„Mais attendu […] que […] même si elle résultait d’une procédure loyale et contradictoire, cette décision constatant une répudiation unilatérale du mari sans donner d’effet juridique à l’opposition éventuelle de la femme […] était contraire au principe d’égalité des époux lors de la dissolution du mariage reconnu par l’article 5 du protocole du 22 novembre 1984, n° 7, additionnel à la convention européenne des droits de l’homme, […] et donc à l’ordre public international réservé par l’article 1er de la Convention franco-algérienne du 27 août 1964, dès lors que, comme en l’espèce, les deux époux étaient domiciliés sur le territoire français; […].“197
Die französische Rechtsprechung nimmt hier anders als die deutsche198 demzufolge keine für den ordre public typische konkrete Einzelfallüberprüfung in dem Sinne mehr vor, dass ein etwaiges Einverständnis der Ehefrau mit der Scheidung berücksichtigt würde und der ordre public-Vorbehalt gegebenenfalls unangewendet bliebe.199 Vielmehr greift der französische ordre public unabhängig vom Einzelfall abstrakt ein und erhält auf diesem Weg einen positiv-eingriffsrechtlichen Charakter. Hammje spricht diesbezüglich von einem neuen ordre public de rattachement.200 Anders als bei der gleichgeschlechtlichen Ehe zeigt sich der Fundamentalisierungeffekt des französischen IPR in den Fällen der Verstoßungsscheidung zwar in umgekehrter Stoßrichtung: Die französischen Grundrechte werden nicht zur Begründung beziehungsweise Anerkennung des Statusverhältnisses berufen, sondern zur Abwehr eines fremden Rechtsinstituts. Die methodische Vorgehensweise, den ordre public in eingriffsrechtlicher Funktion zu aktivieren, findet sich in dem bereits diskutierten Urteil zur gleichgeschlechtlichen Ehe aus dem Jahr 2015 jedoch genauso wieder wie in den Urteilen aus dem Jahr 2004.201 Dem Kassationshof kommt es in beiden Fällen nicht auf eine am Einzelfall orientierte Korrektur des Verweisungsergebnisses unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Wertungen des forum an, sondern darauf, dass sich die französische Grun197
Cass. civ. 1ère, 17.2.2004, n° 01-11.549; Hervorh. d. Verf. Heiderhoff, in: BeckOK BGB, 2021, Art. 17 EGBGB, Rn. 51 m. w. N. zur h. M.; a. A. Weller/Thomale/Zimmermann, JZ 2017, 1080, 1081. 199 Fulchiron, JCP G. 36/2004, 1481, 1486; Gannagé, JDI 2004, 1202, 1207; Hammje, in: Rép. dr. int.: Divorce, 2018, Rn. 277. Ein kürzlich ergangenes Urteil zu einer algerischen Scheidungsform, bei der die Ehefrau das Recht zur Scheidung nur gegen eine Ausgleichzahlung erhält, macht davon insoweit eine Ausnahme, als die Cour de cassation hier den ordre public-Verstoß ablehnt, weil die Ehefrau selbst (als Benachteiligte der diskriminierenden Regelung) die Scheidung in Algerien erwirkt hatte, vgl. Cass. civ. 1ère, 17.3.2021, n° 20-14.506. Ob die Cour diese Rechtsprechung auch auf einseitige Verstoßungsscheidungen übertragen wird, ist allerdings nicht absehbar. 200 Hammje, in: Trav. Com. DIP 2006–2008, 2009, S. 153, 158. Eine ähnliche Problematik wird im europäischen IPR bezüglich der Rechtsnatur des Art. 10 Rom III-VO diskutiert, vgl. aus rechtsvergleichender Perspektive dazu Gössl, ELF 2017, 68, 73; Schlürmann, FamRZ 2018, 1035, 1037. 201 Ebenso Farge, in: Murat, Droit de la famille, 2019, Rn. 512.574. 198 Vgl.
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dentscheidung für einen diskriminierungsfreien Zugang zu Ehe und Ehescheidung unabhängig vom Vorliegen konkreter Nachteile für die Betroffenen durchsetzt.202 Damit schließt sich der Kassationshof in letzter Konsequenz aber der legislativen Tradition des politisch inspirierten Verweisungsrechts im statut personnel an und beschließt die Spaltung, welche die methodischen Ansätze von Judikative und Legislative in diesem Rechtsgebiet lange Zeit dominierte.203 III. Kritische Würdigung Bei aller methodischer Innovationskraft sind die genannten Entwicklungen im französischen Internationalen Eherecht mit Blick auf die klassisch kollisionsrechtlichen Prinzipien und das Anliegen der derzeitigen europäischen Bestrebungen, im Personalstatut auf eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts hinzuwirken, kritisch zu hinterfragen. Die Methodik eines ordre public partagé, wie ihn Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. definiert, ist im bisherigen Methodenkanon des IPR aus rechtsvergleichender Perspektive wohl einzigartig.204 Er hat indes eine über den methodischen Diskurs hinausgehende politische Aussagekraft, die aus Sicht eines universell denkenden IPR als „Mittler zwischen den Rechtssystemen“205 bedenklich ist. Der individualrechtliche Diskriminierungsschutz, der in diesem Fall im eigenen wie auch im Namen anderer, gleichdenkender Staaten durchgesetzt wird, ist ohne Frage ein wichtiges materiellrechtliches Anliegen. Seine derart ausgestaltete Implementierung in das IPR führt im Ergebnis allerdings dazu, dass die Position derjenigen Staaten, die einer anderen Rechtskultur und -tradition angehören und dem Individualrecht nicht oder in anderem Maße Ausdruck verleihen, vernachlässigt wird.206 Diese extensive Fundamentalisierung von Individualrechten nach dem eigenen Werteverständnis vernachlässigt den Charakter des IPR als Toleranzrecht und fördert ein Auseinanderdriften von Rechtskulturen insbesondere dies- und jenseits des Mittelmeeres.207 Das kann gerade im französischen Recht, das vor dem postkolonialen Hintergrund noch immer in enger Beziehung gerade zu den weniger liberalen nordafrikanischen Staaten steht, brisante Folgen haben. Das französische Recht scheint an dieser Stelle mit der lang gewachsenen Tradi202 Aus deutscher Sicht verfolgen einen ähnlichen Ansatz Weller/Thomale/Zimmermann, JZ 2017, 1080 ff. 203 Vgl. S. 69. 204 Die Anforderungen an die ähnliche belgische Vorschrift des Art. 46 C. dip. belge sind deutlich höher, s. o. S. 127. 205 So Stürner, in: FS Kronke, 2020, S. 557. 206 Gannagé, JCP G. 12/2015, 525, 528 f. 207 Gannagé, JCP G. 12/2015, 525; eine ähnliche Grundsatzkritik an Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. übt Khairallah, in: Mélanges Audit, 2014, S. 485, 493 („règle de conflit militant“).
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tion des Schutzes der kulturellen Identität von Staatsangehörigen seiner ehemaligen Kolonialgebiete zu brechen,208 um den Liberalitätsgedanken eines postmodernen IPR umfassend zu entfalten. Man könnte dem französischen Recht an dieser Stelle freilich zugutehalten, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass die europäischen Gerichte auf supranationaler Ebene eines Tages ein umfassendes Recht auf freie Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern proklamieren.209 So mag man die scharfe Kritik an der Regelung – zumindest im europäischen Raum – in Teilen dadurch entkräften, dass inzwischen einige europäische Staaten dem Beispiel Frankreichs gefolgt sind und die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt haben. Die Zahl hinkender Ehen gleichgeschlechtlicher Paare dürfte sich in Europa hierdurch erheblich verringert haben. Die progressive Linie des französischen Gesetzgebers und des Kassationshofes könnte man insofern als Antizipation einer solchen harmonisierenden Rechtsprechung werten. Sie wäre insofern ein frühzeitiges nationales „Ersatzinstrument“ für eine Ausdehnung des Anerkennungsprinzips auf das Eherecht. Jedoch kann man mit Recht bezweifeln, ob das autonome IPR für ein solch umfassendes Vorgreifen einer potenziellen Entwicklung der richtige Ort ist.210 Denn in letzter Konsequenz bleibt die möglicherweise erhoffte Etablierung einer partiellen Rechtsgemeinschaft „unter Gleichgesinnten“ über den Umweg des eigenen IPR dann doch unilateral.211 Art. 202-1 C. civ. ist nationales Recht. Die Norm ignoriert, ob die über die persönliche oder räumliche Nähe ermittelte fremde Rechtsordnung das Grundrecht der Eheschließungsfreiheit ebenso restriktiv durchsetzen will wie das französische Recht. So ist die Eingehung und Anerkennung einer gleichgeschlechtlichen Ehe inzwischen auch im deutschen Recht möglich, sie gehört deshalb indes noch nicht zum nationalen ordre public.212 Wie der Blick auf die französische Entwicklung zeigt, ist eine Europäisierung des Internationalen Eheschließungsrechts nicht im Alleingang zu bewältigen. Die Herausbildung einer echten Rechtsgemeinschaft mit universellem Charakter wäre letztlich allein über ein supranationales Organ denkbar. Sie darf überdies 208 Dazu im Einzelnen näher Lagarde, in: FS Sonnenberger, 2004, S. 481 ff. Grundlegend zum Schutz von kultureller Identität und Religionsfreiheit im IPR über die Menschenrechte Jayme, Jh IJV 1992, 8, 10 ff., insbesondere 23 f. 209 Dies gilt vor allem mit Blick auf Art. 21 AEUV und die Coman-Rechtsprechung des EuGH, s. o. S. 104 f. 210 Vgl. auch die vernichtende Kritik, welche die methodische Ausgestaltung der Norm in der französischen Literatur erhalten hat, s. o. Teil 3 Fn. 291. 211 So auch Hammje, Rev. crit. DIP 2013, 773, 775. 212 Stürner, in: BeckOGK, Stand: 1.5.2021, Art. 6 EGBGB, Rn. 361.1. v. Hein, in: MüKo BGB, 2020, Art. 6 EGBGB, Rn. 276 verweist außerdem zutreffend darauf, dass die Frage angesichts der Sachnormverweisung des Art. 17b Abs. 4 EGBGB auf das Registerstatut im deutschen IPR derzeit praktisch nicht relevant ist.
E. Gang der Untersuchung
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den Blick auf drittstaatliche Sachverhalte, die der europäischen Rechts- und Wertekultur weniger verbunden sind, nicht verlieren. Solange Instanzen wie etwa der EuGH oder der EGMR nicht abschließend entschieden haben, gerät eine transnationale Rechtsdurchsetzung einzelner Staaten über fragwürdige Ausgestaltungn der Verweisungsmethode mit den ursprünglichen Idealen eines politisch neutralen IPR und dem Grundsatz des internationalen Entscheidungseinklangs stark in Konflikt. Das französische Internationale Eherecht zeigt im Ergebnis so zwar eine spannende, aber kritikwürdige Kombination von rechtspolitischer Tradition und methodischer Innovation. Hierin offenbaren sich die derzeitigen Grenzen der Anerkennungsfreundlichkeit des französischen IPR im statut personnel. Gleichzeitig unterstreicht die Entwicklung die noch immer vorhandene Diversität nationaler Lösungsmodelle im autonomen Recht der persönlichen und familiären Statusfragen und legt die Herausforderungen offen, denen sich die Bemühungen um vereinheitlichte Regelungsmodelle im europäischen IPR auch in Zukunft zu stellen haben. Die Worte des großen Internationalisten Batiffol zur „nature profonde“ des IPR bringen es abschließend auf den Punkt: „Il ne s’agit pas simplemet de « prologer » un système de droit international privé interne […] dans l’ignorance voulue de l’existence comme telle, et, théoriquement de la teneur des systèmes étrangers, ainsi que l’ont professé les particularistes. Il ne s’agit pas non plus de donner des principes liants tous les Etats, abtraction fait de la structure de leurs systèmes respectifs de droit privé interne, comme le voulait les universalistes. La tâche est plus complexe, et d’une plus grande portée; il s’agit de faire « vivre ensemble » des systèmes juridiques differents, parce que les relations se nouent entre personnes, qui par elle-mêmes, leurs biens ou leurs actes, revèlent des systèmes différents.“213
C. Zusammenfassung in Thesen 1. In der Gesamtbetrachtung der methodischen Entwicklung des statut personnel im 21. Jahrhundert ist eine bemerkenswerte Öffnung hin zu einer umfassenden Anerkennung im Ausland unter fremdem Recht erworbener Statusverhältnisse zu beobachten. Sie äußert sich vornehmlich in den Materien des Internationalen Namens- und Abstammungsrechts und berücksichtigt nicht nur Unionssachverhalte, sondern über Art. 8 Abs. 1 EMRK auch Sachverhalte mit Drittstaatenbezug. 2. Das deutsche Recht äußert sich hingegen in Rechtsprechung und Literatur häufig kritisch gegenüber einer Ausdehnung des Anerkennungsprinzips auf die EMRK und damit verbunden auf Drittstaatenfälle. 213
Batiffol, Aspects philosophiques du droit international privé, 1956, Rn. 5.
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3. Die Annahme, die Anerkennungsfreundlichkeit des französischen Rechts sei bedingt durch das systematisch engere Verhältnis von IPR und IZVR, überzeugt nicht. Wesensmerkmal der Rechtslagenanerkennung ist der Wegfall der Nachprüfung des ausländischen Statusverhältnisses durch die Kollisionsnormen der lex fori. Diese contrôle de la loi appliquée ist de lege lata im französischen Recht für die verfahrensrechtliche Anerkennung erst mit dem Grundsatzurteil im Fall Cornelissen im Jahr 2007 weggefallen. 4. Aus historischer Perspektive lässt sich im französischen IPR eine starke Präsenz des Grundsatzes vom Schutz der wohlerworbenen Rechte nachweisen, der die Anerkennungsfreundlichkeit zu begründen vermag. Die Theorie hat sich zwar trotz der Vorstöße von Pillet und Niboyet nicht als Grundkonzept des französischen IPR etabliert. In der Form des ordre public atténué wurde ihr Kerngedanke aber über die Rivière-Rechtsprechung in das französische Verweisungsrecht implementiert. 5. Ihre volle Wirkung entfaltet die Anerkennungsfreundlichkeit des französischen IPR in Bezug auf die EMRK als Baustein der Anerkennungsdogmatik. Die herausragende Bedeutung der Konvention für den Grundrechtsschutz in Frankreich schlägt hier auf das IPR durch. Der nationale ordre public ist im Rahmen dessen nur eines von mehreren Ventilen zur Durchsetzung der Konventionsgarantien im IPR. Hier zeigt sich der entscheidende Unterschied zum deutschen Recht: Die deutsche IPR-Dogmatik konzentriert sich seit dem Spanierbeschluss methodisch auf den Grundrechtsschutz über den geschriebenen ordre public-Vorbehalt des Art. 6 EGBGB. Infolgedessen spielt die menschenrechtliche Dimension der Statusanerkennung hier kaum eine Rolle. Eine Gründung des Anerkennungsprinzips auf die EMRK liegt dem deutschen Methodenverständnis mithin ferner als dem französischen. 6. Für die französische Sichtweise auf die Rechtslagenanerkennung im IPR ist charakteristisch, dass sie einen breiten Ansatz wählt, der mehr von den übergeordneten Prinzipien und Interessen supranationaler Grund- und Menschenrechte geleitet ist als von systematischen und methodischen Parallelen der verfahrens- und kollisionsrechtlichen Anerkennung. 7. Im Gegensatz dazu propagieren Kollisionsnormen wie Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. im Internationalen Eherecht, das bisher noch wenig unter dem Einfluss eines Anerkennungsprinzips steht, einen unbedingten Durchsetzungswillen der französischen Wertevorstellungen über das Verweisungsrecht. In dieser Entwicklung setzt sich zum einen die Tradition eines an der lex fori orientierten kodifizierten statut personnel fort, die mit den Kodifikationen der 1970er Jahre zum Abstammungs- und Ehescheidungsstatut ihren Anfang nahm. Zum anderen stützt die Cour de cassation das Ansinnen über die Ausbildung eines ordre public-Mechanismus, der sich zunehmend weg von einem konkret-indi-
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viduellen Abwehrmechanismus hin zu einem abstrakt-generellen Eingriffsinstrument entwickelt. 8. Die partikularistischen Züge des französischen Verweisungsrechts sind vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Öffnung für die Anerkennungsmethodik kritisch zu bewerten. Eine vollharmonisierende Lösung für Problemfälle wie die gleichgeschlechtliche Ehe, in denen noch keine überstaatliche Mehrheit gefunden ist, kann nur über eine einheitlich-allseitige Kompromisslösung oder ein klar ausdifferenziertes Anerkennungsprinzip hergestellt werden. Der Weg der einseitig-nationalen Durchsetzung der eigenen Wertvorstellungen kann allenfalls als Zwischenlösung befriedigen, denn er gefährdet das friedliche und respektvolle nebeneinander der Rechtsordnungen, das essenzieller Bestandteil des IPR ist. 9. Die Methodik des statut personnel befindet sich mithin derzeit in einem Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation, das abseits überstaatlicher Vorgaben nur schwer aufzulösen scheint. Diese Entwicklung verdeutlicht einmal mehr die Dringlichkeit weiterer europäischer Schritte zur Vereinheitlichung der Regelungsmodelle im Personalstatut.
§ 9 Ausblick A. Implikationen für ein „europäisches Personalstatut“ Welches Fazit lässt sich aus den vorstehenden Beobachtungen für die Zukunft eines europäischen Personalstatuts ziehen? Zunächst ist festzuhalten, dass die Lösungsmodelle von Personalstatut und statut personnel im Internationalen Namens-, Ehe- und Abstammungsrecht trotz der rechtskulturell und rechtspolitisch teils unterschiedlichen Schwerpunkte in ihrem Ergebnis auf Rechtsfolgenseite nicht immer so weit auseinander liegen, wie man angesichts der Brisanz einiger Fragen des Personen- und Familienrechts vermuten könnte. Häufig sind die Ergebnisse auf Rechtsfolgenseite funktional äquivalent oder zumindest vergleichbar. Die noch immer existierenden nationalen Unterschiede äußern sich weniger in Ziel und Zweck der Regelungen, denn in den Mitteln, die auf dem Weg dorthin von beiden Rechtsordnungen eingesetzt werden. In der methodisch-systematischen Herangehensweise beider Kollisionsrechte lassen sich infolgedessen noch starke nationale Pfadabhängigkeiten nachweisen. Vielfach erhoffte man sich angesichts der Zersplitterung, der sich das Personalstatut zum Ende des 20. Jahrhunderts ausgesetzt sah, über die verheißungsvolle Methodik der Rechtslagenanerkennung zumindest auf europäischer Ebene
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mittelbar zu einer Harmonisierung des Rechts und zu einem innereuropäischen Entscheidungseinklang zu gelangen. Die vorliegende Untersuchung bestätigt in diesem Zusammenhang erneut: Das Anerkennungsprinzip und die dahinterstehende Methode der Rechtslagenanerkennung werden ihren Platz in der künftigen Kodifikation eines europäischen allgemeinen Teils des IPR oder eines europäischen Personalstatuts sicher erhalten.214 Wie die eingehende Beschäftigung mit der Verortung und der Umsetzung des Anerkennungsprinzips in der französischen und deutschen Rechtsordnung im Vergleich allerdings gezeigt hat, hilft die Anerkennungsmethode aber nicht per se über nationale Divergenzen hinweg. Ihr kommt nur dann der Effekt einer Kollisionrechtsvereinheitlichung zu, wenn zwischen den Rechtssystemen Einigkeit über normative Grundlagen, tatbestandliche Anforderungen und Reichweite einer Anerkennung herrscht. Ob man die Harmonisierungswirkung einer Anerkennung dann als funktional gleichwertig zu einer umfassenden Kollisionsrechtsvereinheitlichung in Europa bewertet, hängt entscheidend davon ab, welche Akzeptanz das Anerkennungsprinzip innerhalb des nationalen Kollisionsrechtssystems an sich erfährt. Hier scheinen das französische und das deutsche Rechtsdenken derzeit noch weiter auseinanderzuliegen als man angesichts des fruchtbaren akademischen Austauschs zwischen den Rechtsordnungen vermuten könnte. Das deutsche Recht kann und sollte sich in diesem Zusammenhang stärker an den gewinnbringenden französischen Entwicklungen orientieren, die über ein prinzipienorientiertes Verständnis der Anerkennungsmethode die allgemeine Akzeptanz der Anerkennung als methodisches Grundprinzip des IPR stärken. Darüber hinaus vermag der französische Diskurs über die intensivere Berücksichtigung der EGMR-Rechtsprechung eine dogmatische Spaltung von unionsrechtlichen Binnensachverhalten und Drittstaatenfällen zu vermeiden. Auch wenn Art. 8 Abs. 1 EMRK eine explizite Statusanerkennung nicht in jedem Einzelfall erfordert,215 sollten die Anforderungen der EMRK doch immer mitgedacht werden. Denn damit wäre auch die in der deutschen Literatur häufig anzutreffende Befürchtung ausgeräumt, ein (unionsrechtliches) Anerkennungsprinzip laufe dem im europäischen Recht geltenden loi uniforme-Gedanken zuwider.216 214 So schlägt etwa die GEDIP in einem Arbeitsentwurf zu einem allgemeinen Teil des europäischen IPR vor, in dessen Art. 23 eine Vorschrift zur Rechtslagenanerkennung vorzusehen, siehe das Protokoll der 29. Sitzung der GEDIP 2019 in Katowice, S. 41 f., abrufbar unter: (letzter Abruf: 8.7.2021); vgl. zu dem Projekt auch den Bericht von Kohler, IPRax 2021, 316, 317. 215 Nichts anderes gilt im Übrigen für das unionsrechtliche Anerkennungsprinzip, das infolge der grundfreiheitlichen Dogmatik ebenfalls stets Ergebnis einer Abwägungsentscheidung ist. 216 Vgl. exmplarisch die Bedenken von Mansel, in: Liber Amicorum Jayme, 2019, S. 27, 44; Wagner, NZFam 2014, 121 f.
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Der methodische Weg, den das französische Recht hingegen im Rahmen der gleichgeschlechtlichen Ehe eingeschlagen hat, überbetont das rechtspolitische Anliegen der Internationalisierung eines in einer Mehrheit der globalen Staatengemeinschaft noch immer nicht anerkannten Rechtsinstituts hingegen in dem Maße, dass man sich auf europäischer Ebene einen methodisch neutraleren Weg wie etwa das deutsche Modell der Anknüpfung an das Registerrecht wünscht. Ob und wann eine umfassende Vereinheitlichung der persönlichen und familiären Statusfragen innerhalb des europäischen Rechts erfolgt, steht noch in den Sternen. Als Fazit bleibt, dass ein rechtsvergleichender europäischer Methodendiskurs erfolgversprechend ist, wenn die vergleichenden Erkenntnisse gezielt zur Kompromissfindung einsetzt werden und mit hinreichender Sensibilität für nationale Besonderheiten in gesetzgeberischer Tradition, richterlicher Praxis und wissenschaftlichem Diskurs ein umfassendes gegenseitiges Systemverständnis geschaffen wird.
B. Arbeiten an einer neuen IPR-Kodifikation Es scheint fast als hätte der französische Gesetzgeber letztendlich doch die Geduld mit dem europäischen Gesetzgeber verloren. Lange Zeit war die noch immer ausstehende, umfassende Kodifikation des französischen IPR Gegenstand eines zwar ausführlichen, am Ende aber rein akademischen Diskurses.217 Die Sinnhaftigkeit eines solchen Unterfangens wurde von vielen zuletzt mit Blick auf die stetige Europäisierung des Rechtsgebiets angezweifelt.218 Nun setzt das französische Justizministerium doch noch eine Arbeitsgruppe aus renommierten Vertretern aller großen Institutionen, der Richterschaft, der Wissenschaft und des französischen Justizministeriums ein, die derzeit einen Entwurf für eine Gesamt-
Die stärkere dogmatische Aufarbeitung des Einflusses der EMRK auf die Anerkennungsmethode im deutschen Personalstatut könnte sich letztlich auch aus rechtspraktischen Gründen auszahlen: Die starken Migrationsbewegungen nach Deutschland im Rahmen der so genannten „Flüchtlingskrise“ können, das zeigt die französische Erfahrung der postkolonialen Epoche, zu einer wachsenden Zahl an Konfliktfällen mit drittstaatlichen Rechtsordnungen führen, in denen eine Statusanerkennung auf Grundlage der EMRK signifikante Bedeutung erlangt. 217 Bodénès-Constantin, La codification du droit international privé français, 2005; Bourdelois, in: La loi: Bilan et perspectives, 2005, S. 89 ff; Gaudemet-Tallon, in: Le code civil 1804– 2004, 2004, S. 749 ff.; Heuzé, in: Le Code civil 1804–2004: livre du bicentenaire, 2004, S. 401 ff.; Lagarde, Syracuse J. Int. Law and Commerce 45 (1998), 45 ff. 218 Farge, Dr. fam. 12/2019, Doss. n° 5, 1, 5; Heuzé, in: Le Code civil 1804–2004: livre du bicentenaire, 2004, S. 401, 410 f.
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kodifikation des französischen IPR erarbeitet.219 Dass das französische Recht hier ohne Rücksicht auf weitere europäische Schritte schlussendlich doch den Weg einer eigenen Kodifikation geht, verdeutlich einmal mehr den Scheideweg, an dem sich die Vereinheitlichung des europäischen IPR im Personalstatut derzeit befindet. Die Koordination einer solchen Neukodifikation mit den europäischen Verordnungen wird eine der zentralen Herausforderungen des Projektes sein. Ein erster Teil des Entwurfes wurde bereits in einer nicht offiziellen Sitzung des Comité du droit international privé français im Oktober 2020 vorgestellt. Die Ausgestaltung des statut personnel in diesem Entwurf darf vor diesem Hintergrund mit Spannung erwartet werden. Denkbar – und mit Blick auf die Vorbilder von La garde220 und der GEDIP221 nicht unwahrscheinlich – ist, dass der Entwurf eine Vorschrift zur Rechtslagenanerkennung enthält. Abzuwarten bleibt indes, in welches Verhältnis eine solche Anerkennungsvorschrift zu den klassisch verweisungsrechtlichen Normen gestellt wird und welche konkreten tatbestandlichen Anforderungen darin für die Statusanerkennung definiert werden. Wünschenswert wäre mit Blick auf die in dieser Arbeit vorgestellten, konfliktträchtigen Fragen des statut personnel eine Klärung der abstammungsrechtlichen Fragen rund um die Anerkennung ausländischer Leihmutterschaften im Rahmen einer Reform der in die Jahre gekommenen Art. 311-14 ff. C. civ. Eine Überarbeitung des methodisch fragwürdigen Art. 202-1 Abs. 2 C.civ. wäre ebenfalls zu begrüßen. Eine eigenständige Kollisionsnorm für das Internationale Namensrecht wäre unter dem Aspekt der Rechtssicherheit für die Beurteilung grenzüberschreitender Namensverhältnisse sinnvoll. Die in den Art. 311-24-1 C. civ. und Art. 61-3-1 C. civ. umfassend verwirklichte Anerkennungsmethodik wird das praktische Anwendungsgebiet einer solchen Norm allerdings auf Fälle der Entstehung von Namensrechtsverhältnissen im Inland reduzieren. Der französische Humorist Pierre Dac (1893–1975) soll einmal gesagt haben: „Avec de la méthode et de la logique on peut arriver à tout aussi bien qu’à rien.“ Für die weitere Entwicklung der kollisionsrechtlichen Methode des französischen, deutschen und europäischen Personalstatuts bleibt zu hoffen, dass auch in Zukunft weiterhin Ersteres zutrifft.
219 Vgl. das Interview mit dem Abteilungsleiter für Zivilsachen im französischen Justizministerium Thomas Andrieu in JCP N. 19/2019 n° 460, S. 18 f. 220 Fn. 9. 221 Fn. 214.
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§ 10 Gesamtergebnis in Thesenform 1. Im IPR der persönlichen und familiären Rechtsverhältnisse lässt sich die methodische Grundordnung nationaler IPR-Systeme in zwei Gruppen einteilen. Diese bilden die Differenz von Civil Law- und Common Law-Rechtskreis ab. Innerhalb des personalistischen Ansatzes ist das Personalstatut üblicherweise weit gefasst und dem Staatsangehörigkeitsprinzip unterstellt. Innerhalb des territorialistischen Ansatzes ist das Personalstatut eng definiert und es wird der räumlichen Zuordnung der Rechtsverhältnisse durch die Anknüpfung an das Wohnsitz- oder Aufenthaltsrecht Vorzug gegeben. Der französische statut personnel wirkt vor diesem Hintergrund als eine Art Mischsystem. Zwar basiert er im Grunde auf dem Staatsangehörigkeitsprinzip des personalistischen Systems. Indes wird der statut personnel eng definiert. Die vermögensrechtlichen Rechtsverhältnisse von Person und Familie, namentlich das Ehegüter- und das Erbrecht, werden ihm nicht zugeordnet. Insofern folgt der statut personnel dem territorialistischen Ansatz. 2. Die mittelalterliche Statutentheorie gründet sich in Frankreich maßgeblich auf den Konflikt souveräner Gewohnheitsrechte (conflit de coutumes). In diesem Umfeld fallen territorialistische Ansätze zur Lösung von Konflikten der Gewohnheitsrechte auf fruchtbaren Boden, denn sie geben den Rechtssätzen des eigenen Territoriums den Vorzug. Vor diesem Hintergrund erklärt sich der Erfolg der Lehren d’Argentrés. Seine Dreiteilung der Rechtsverhältnisse (statuta personalia, statuta realia, statuta mixta) bildet einerseits den Grundstein der Anknüpfungskategorien des modernen IPR. Andererseits drängt der in d’Argentrés Territorialitätsprinzip verwirklichte grundsätzliche Vorrang realer Rechte die Kategorie extraterritorial wirkender personaler Rechte in den Hintergrund. D´Argentré leistet damit einen gewichtigen Beitrag zur Ausbildung der ideengeschichtlichen Strömung des Territorialismus im IPR. Seine Lehre bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung der territorialistisch geprägten IPR-Systeme. 3. Die fragmentarische Kodifikation des Art. 3 C. civ. von 1804 hat für Methodik und Ideengeschichte des statut personnel ambivalente Folgen: Art. 3 Abs. 3 C. civ. legt einerseits den Grundstein für das Staatsangehörigkeits prinzip, das später durch Mancini zur Grundlage der kontinentaleuropäischen Tradition für die Anknüpfung persönlicher und familiärer Rechtsverhältnisse wird. Methodisch bleibt die Norm indes in der mittelalterlichen Statutentheorie verhaftet. Zwar läutet die allseitige Auslegung der Vorschrift durch die Cour de Paris im Fall Busqueta die methodische Wende ein, der Savignys Verweisungssystem kurze Zeit später ein dogmatisches Gerüst verleiht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung der Cour de cassation bricht
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den statutentheoretischen Ansatz des Art. 3 C. civ. gleichwohl lange Zeit nicht auf. Infolgedessen wirkt die Methodik des statut personnel noch bis zu der wegweisenden Rivière-Rechtsprechung Mitte des 20. Jahrhunderts wenig kohärent. 4. Die entwicklungsgeschichtlichen Hintergründe bestätigen die Einordnung des statut personnel im modernen IPR als ein Mischsystem zwischen Civil Law- und Common Law-Tradition. Mit dem in der Civil Law-Tradition verbreiteten personalistischen Ansatz teilt sich der statut personnel die Grund anknüpfung persönlicher und familiärer Statusfragen an die Staatsangehörigkeit. Mit den Systemen der Common Law-Tradition und deren territorialistischer Prägung verbindet das Rechtsgebiet indes die engere Umgrenzung der Anknüpfungskategorie, die vermögensrechtliche Rechtsfragen isoliert betrachtet. 5. In der Entwicklung des statut personnel im 20. Jahrhundert lassen sich ebenfalls Spuren einer territorialistischen Prägung nachweisen, die sich von der Entwicklung anderer kontinentaleuropäischer Rechtsordnungen abhebt. Das Domizilprinzip erfährt in mehrfacher Hinsicht eine Renaissance, die ihre sozio-politische Ursache in den starken Migrationsbewegungen nach Frankreich in der Nachkriegs- und Post-Kolonialzeit findet. Zum einen etabliert die Cour de cassation im Urteil Rivière die Anknüpfung an den gemeinsamen Ehegattenwohnsitz (domicile commun) als Auffangregel für Mehrstaater-Sachverhalte, in denen das Staatsangehörigkeitsprinzip versagt. Zum anderen sorgen die Teilkodifikationen des französischen Gesetzgebers im Internationalen Abstammungs- und Ehescheidungsrecht (Art. 311-14 ff. C. civ., Art. 310 C. civ. a. F.) zu einer Aufwertung der Anknüpfungen an Wohnsitz und Aufenthalt. Das geschriebene Recht des statut personnel zeigt seitdem stark unilaterale Tendenzen, die sich in einem Heimwärtsstreben im Sinne einer Bevorzugung der Anwendung des eigenen Sachrechts äußern. 6. Die Phänomene des postmodernen IPR, namentlich die Europäisierung und Globalisierung des Rechts, fordern die Methodik des statut personnel im 21. Jahrhundert heraus. Supranationale Garantien wie Art. 21 AEUV und Art. 8 Abs. 1 EMKR machen die ungehinderte Mobilität und Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen zum Leitprinzip des Personalstatuts der Postmoderne. Das historisch gewachsene, teils kodifizierte, teils nicht-kodifizierte System des statut personnel hat die von den europäischen Gerichten gesetzten Vorgaben zu Freizügigkeit und Statuskontinuität methodisch umzusetzen. Aktuelle Brennpunkte dieser methodischen Neuorientierung finden sich im Internationalen Namens-, Abstammungs- und Eherecht. 7. Der französische Gesetzgeber hat im Internationalen Namensrecht erstmals Vorschriften geschaffen, welche die Methodik der Rechtslagenanerkennung
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umsetzen. Die neuen Art. 311-24-1 C. civ. und Art. 61-3-1 C. civ. postulieren die Anerkennung ausländischer Namenseintragungen umfassend und ohne Rücksicht auf das aus französischer Perspektive anwendbare Namensstatut. Damit setzen die Normen die Vorgaben des EuGH (Grunkin Paul) und des EGMR (Henry Kismoun c. France) um. 8. Die neuen Anerkennungsvorschriften der Art. 311-24-1 C. civ. und 61-3-1 C. civ. weisen drei Auffälligkeiten auf: Erstens beschränkt sich ihr Anwendungsbereich nicht auf Unionssachverhalte, sondern erfasst auch Drittstaatensachverhalte uneingeschränkt. Zweitens setzen sie keine qualifizierte Verbindung wie etwa den (gewöhnlichen) Aufenthalt des Namensträgers zum Ursprungsstaat des Namenserwerbs voraus. Drittens ist die Anwendung der Vorschriften Wortlaut und Telos zufolge derzeit nicht auf rechtmäßige Namenseintragungen beschränkt. Insoweit scheint eine révision au fond im französischen Recht nicht vorgesehen zu sein. 9. Im deutschen Recht setzt Art. 48 EGBGB zielgenau die Anforderungen des EuGH an die Namensfreizügigkeit infolge der Grunkin Paul-Rechtsprechung um. Die Vorschrift findet allein auf EU-Binnensachverhalte An wendung. Überdies setzt sie voraus, dass der Namenserwerb infolge eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem EU-Mitgliedstaat erfolgte. Dieses Erfordernis hat der EuGH im Urteil Freitag nur unter Vorbehalt für unionsrechtskonform gehalten. Im Übrigen geht der BGH in einem Beschluss aus dem Jahr 2019 (Az. XII ZB 130/16) davon aus, dass Art. 48 EGBGB die Rechtmäßigkeit des Namenserwerbs voraussetzt und einer révision au fond zugänglich ist. 10. Im Gesamtvergleich zeigt sich das französische Internationale Namensrecht mithin offener gegenüber der Anerkennung im Ausland erworbener Namenseintragungen als das deutsche Recht. Besonders stechen der universelle Anwendungsbereich und der Verzicht auf eine révision au fond heraus. Der französische Gesetzgeber setzt die Vorhaben der namensrechtlichen Rechtsprechung des EuGH damit überschießend um. 11. In starkem Gegensatz zu der Anerkennungsfreundlichkeit des französischen Internationalen Namensrechts stehen die neuesten Entwicklungen des französischen IPR im Internationalen Eherecht. Mit dem Eheöffnungsgesetz aus dem Jahr 2013 hat der französische Gesetzgeber erstmals Kollisionsnormen zur Anknüpfung der materiellen Eheschließungsvoraussetzungen geschaffen. Der neue Art. 202-1 Abs. 1 C. civ. unterstellt gleich- und gemischtgeschlechtliche Ehen allseitig der Grundanknüpfung an die Staatsangehörigkeit. 12. Mit der Kodifizierung einer Sonderkollisionsnorm für die Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen in Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. betritt das französische IPR aus rechtsvergleichender Sicht methodisches Neuland. Die Norm
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ist als spezieller ordre public-Vorbehalt mit verweisungsrechtlichen Elementen methodisch so ausgestaltet, dass er die Eheschließung beziehungsweise die Anerkennung einer Ehe immer dann zulässt, wenn einer der Nupturienten über Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder (schlichten) Aufenthalt einen Bezug zur französischen lex fori oder einer anderen Rechtsordnung hat, welche die Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare erlaubt. In Abweichung von der herkömmlichen ordre public-Dogmatik nimmt die Norm damit nicht nur auf einen Grundwert (hier: die Eheschließungsfreiheit unabhängig vom Geschlecht) der lex fori, sondern auch auf die Rechtsvorstellungen anderer „gleichgesinnter“ Rechtsordnungen Bezug. 13. Mit der Einführung des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. bezweckt der französische Gesetzgeber, dem Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit unabhängig vom Geschlecht im internationalen Kontext umfassend Geltung zu verschaffen. Dies ist aus intern-französischer Perspektive auch weitgehend gelungen. Die Norm ist insofern Teil eines „politisierten“ IPR. Infolge der sachrechtlichen Inspiration ihrer Tatbestandsmerkmale kann es im französischen IPR gleichwohl noch immer zu hinkenden Ehen gleichgeschlechtlicher Paare kommen. 14. Mit einem Aufsehen erregenden Urteil (Cass. civ. 1ère, n° 13-50.059) hat die Cour de cassation im Jahr 2015 die Durchsetzungswilligkeit des Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. zusätzlich verstärkt. Dem Urteil zufolge ist das Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit unabhängig vom Geschlecht, das Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. für grenzüberschreitende Fälle verwirklicht, Teil eines neuen französischen ordre public, der sich selbst über völkervertragliche Vereinbarungen wie das französisch-marokkanische Übereinkommen von 1981 hinwegsetzt. 15. Im Vergleich zu den französischen Entwicklungen wirkt die Methodik des deutschen Rechts, das für die Eingehung einer gleichgeschlechtlichen Ehe allseitig auf das Registerstatut abstellt (Art. 17b Abs. 4 EGBGB), rechtspolitisch neutraler und stärker an der klassischen Verweisungsmethode orientiert. Gleichwohl sind auf diesem Wege gleich- und gemischtgeschlechtliche Ehe nicht gleichgestellt. Der Vergleich beider Rechtsordnungen pointiert in diesem Zusammenhang die rechtspolitische Sprengkraft, welche die Fortbildung der Verweisungsmethode unter dem Einfluss einer Konstitutionalisierung und Materialisierung des IPR ausbilden kann. 16. Die Anerkennung im Ausland erfolgter Leihmutterschaften im Internationalen Abstammungsrecht zeigt ebenfalls spannende Facetten postmoderner Einflüsse auf den statut personnel auf. Der EGMR hat der grundsätzlichen Verweigerung einer Anerkennung von Abstammungsbeziehungen zwischen Wunscheltern und Kind durch französische Gerichte im Interesse des Kindeswohls nach Art. 8 Abs. 1 EMRK eine deutliche Absage erteilt. Der fruchtbare Dialog von EGMR und Cour de cassation verdeutlicht, wie in heiklen
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Fragen des Personalstatuts auf richterrechtlicher Ebene neue methodische Wege erschlossen werden können, um Menschenrechte und IPR in ein ausbalanciertes Verhältnis zu führen. 17. Der französische Kassationshof hat den Weg der Differenzierung von verfahrensrechtlicher und kollisionsrechtlicher Anerkennung früh verlassen. Vielmehr konzentriert sich das Gericht ausschließlich auf Art. 47 C. civ., der die Anerkennung der formellen Beweiskraft von Urkunden regelt. Infolge seiner Grundsatzurteile vom Dezember 2019 sind vor diesem Hintergrund ausländische Abstammungsurkunden von Leihmutterschaftskindern gleichwie gemischtgeschlechtlicher sowie verheirateter und unverheirateter Wunscheltern umfassend anzuerkennen (Cass. Civ. 1ère, n° 18-11.815; n° 1812.327; n° 18-14.751; n°18-50.007). Damit umgeht der Kassationshof im Angesicht von Art. 8 Abs. 1 EMRK den nur schwer aufzulösenden Konflikt zwischen klassischen verweisungsrechtlichen Mechanismen und striktem inländischen Leihmutterschaftsverbot. 18. De lege lata nimmt die französische Rechtsprechung angesichts der Rechtsfolge des Art. 47 C. civ. keine materiell-rechtliche Anerkennung der in den ausländischen Geburtsurkunden verbrieften Abstammung des Kindes von seinen Wunscheltern vor. Indes zeitigt das Verfahren wichtige faktische Konsequenzen: Der einstige Auslandsbezug des Sachverhalts wird durch die Urkundenanerkennung verschleiert, eine nachträgliche Anfechtung des Urkundeninhalts hierdurch unwahrscheinlich. De facto kommt dem Verfahren damit gleichwohl eine mit der Rechtslagenanerkennung funktional vergleichbare Wirkung zu. 19. Ebenso wie im Internationalen Namensrecht zeigt sich das französische IPR im Internationalen Abstammungsrecht offen für eine Implementierung der Methodik der Rechtslagenanerkennung in das französische IPR. Der ungewöhnliche französische Weg über die Urkundenanerkennung belegt einmal mehr die Strukturschwächen des traditionellen verfahrens- beziehungsweise kollisionsrechtlichen Anerkennungsregimes des IPR im Zeitalter eines postmodernen Personalstatuts. Hingegen bleibt die deutsche Rechtsprechung des BGH diesem klassischen Dualismus derzeit noch treu. Mit Blick auf den vom EGMR geforderten Vorrang des Kindeswohls im Lichte des Art. 8 Abs. 1 EMRK scheint dieses differenzierende Vorgehen indes künftig nur schwer zu rechtfertigen. 20. Die methodische Entwicklung des statut personnel befindet sich im 21. Jahrhundert in einem Spannungsfeld von Tradition und Innovation. Die Offenheit für die Umsetzung eines Anerkennungsprinzips auf Grundlage von AEUV und EMRK und die darin verwirklichte Toleranz gegenüber fremden Rechtsinstituten stehen in scheinbarem Gegensatz zu den partikularistisch
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orientierten Lösungsansätzen des neueren Verweisungsrechts, in dem inländische Fundamentalwerte mit weniger Rücksicht auf andersdenkende IPR-Systeme umgesetzt werden. 21. Die Anerkennungsfreundlichkeit des französischen IPR im statut personnel ist weniger der systematischen Nähe von IPR und IZVR denn einer fortdauernden historischen Präsenz des Grundgedankens der Theorie von den wohlerworbenen Rechten geschuldet. Darüber hinaus reflektiert sie die überragende Bedeutung der EMRK für den Grundrechtsschutz im französischen IPR. Die EMRK ist aus französischer Perspektive neben den Grundfreiheiten des AEUV der zweite wichtige Baustein einer Rechtslagenanerkennung im IPR. Der dahinterstehende Gedanke eines unmittelbaren Durchgriffs von Grund- und Menschenrechten im IPR bietet den methodischen Vorteil, dass er anders als der klassisch verweisungsrechtliche ordre public-Mechanismus nicht nur fremdes Recht, sondern auch die Anwendung der lex fori grundund menschenrechtskonform korrigieren kann. 22. Die Kehrseite eines abstrakt-unmittelbaren Durchgriffs der Grund- und Menschenrechte zeigt sich in den partikularistischen Ansätzen, die das französische IPR derzeit in Gestalt des neuen Art. 202-1 Abs. 2 C. civ. oder der Rechtsprechung zur ordre public-Widrigkeit einseitiger Verstoßungsscheidungen erkennen lässt. Die aktiv-eingriffsrechtliche Durchsetzung von Eheschließungsfreiheit und Geschlechtergleichheit über das IPR begünstigt Konflikte zwischen Rechtsordnungen, die unterschiedlicher rechtskultureller Prägung entstammen. Sie vernachlässigen den Charakter des IPR als Toleranzrecht und führen zu einem Auseinanderdriften von Rechtsordnungen, anstatt den Gedanken einer globalen Rechts- und Wertegemeinschaft zu stärken. Gleichzeitig unterstreicht die Entwicklung die Dringlichkeit europäisch harmonisierter Lösungsmodelle zum Schutz der Grund- und Menschenrechte im IPR. 23. Im Hinblick auf den Harmonisierungsprozess mit dem Ziel eines „europäischen Personalstatuts“ sind die Entwicklungen des französischen statut personnel zur Anerkennungsmethodik zu begrüßen. Die französischen Erfahrungen und Erkenntnisse in der praktischen Umsetzung der Methode bereichern den gemeineuropäischen Diskurs um Grundlage und Reichweite eines Anerkennungsprinzips im IPR. Nationale Alleingänge über methodische Sonderkollisionsnormen wie der französische ordre public-Vorbehalt zur Wirksamkeit gleichgeschlechtlicher Ehen überzeugen allerdings nur als Übergangslösung. Ziel muss auch weiterhin sein, mittels der IPR-Methodik einen Kompromiss zwischen divergierenden sachrechtlichen Konzepten der Mitgliedstaaten zu finden, der die europäische Gemeinschaft stärkt und ein respektvolles Nebeneinander der Rechtsordnungen ermöglicht, solange noch kein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen ist.
Anhang
Die relevanten Normen des Code civil im französischen Original (Stand: Juli 2021) Art. 3 C. civ. Les lois de police et de sûreté obligent tous ceux qui habitent le territoire. Les immeubles, même ceux possédés par des étrangers, sont régis par la loi française. Les lois concernant l’état et la capacité des personnes régissent les Français, même résidant en pays étranger. Art. 16-7 C. civ. Toute convention portant sur la procréation ou la gestation pour le compte d’autrui est nulle. Art. 16-9 C. civ. Les dispositions du présent chapitre sont d’ordre public. Art. 47 C. civ. Tout acte de l’état civil des Français et des étrangers fait en pays étranger et rédigé dans les formes usitées dans ce pays fait foi, sauf si d’autres actes ou pièces détenus, des données extérieures ou des éléments tirés de l’acte lui-même établissent, le cas échéant après toutes vérifications utiles, que cet acte est irrégulier, falsifié ou que les faits qui y sont déclarés ne correspondent pas à la réalité. Art. 61-3-1 C. civ. Toute personne qui justifie d’un nom inscrit sur le registre de l’état civil d’un autre Etat peut demander à l’officier de l’état civil dépositaire de son acte de naissance établi en France son changement de nom en vue de porter le nom acquis dans cet autre Etat. Lorsque la personne est mineure, la déclaration est effectuée conjointement par les deux parents exerçant l’autorité parentale ou par le parent exerçant seul l’autorité parentale, avec son consentement personnel si elle a plus de treize ans. Le changement de nom est autorisé par l’officier de l’état civil, qui le consigne dans le registre de naissance en cours. En cas de difficultés, l’officier de l’état civil saisit le procureur de la République, qui peut s’opposer à la demande. En ce cas, l’intéressé en est avisé. Saisi dans les mêmes conditions, le procureur de la République du lieu de naissance peut ordonner lui-même le changement de nom.
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Anhang: Die relevanten Normen des Code civil im französischen Original
Le changement de nom acquis dans les conditions fixées aux quatre premiers alinéas s’étend de plein droit aux enfants du bénéficiaire lorsqu’ils ont moins de treize ans. Art. 202-1 C. civ. Les qualités et conditions requises pour pouvoir contracter mariage sont régies, pour chacun des époux, par sa loi personnelle. Quelle que soit la loi personnelle applicable, le mariage requiert le consentement des époux, au sens de l’article 146 et du premier alinéa de l’article 180. Deux personnes de même sexe peuvent contracter mariage lorsque, pour au moins l’une d’elles, soit sa loi personnelle, soit la loi de l’Etat sur le territoire duquel elle a son domicile ou sa résidence le permet. Art. 202-2 C. civ. Le mariage est valablement célébré s’il l’a été conformément aux formalités prévues par la loi de l’Etat sur le territoire duquel la célébration a eu lieu. Art. 310-1 C. civ. La filiation est légalement établie, dans les conditions prévues au chapitre II du présent titre, par l’effet de la loi, par la reconnaissance volontaire ou par la possession d’état constatée par un acte de notoriété. Elle peut aussi l’être par jugement dans les conditions prévues au chapitre III du présent titre. Art. 311-1 C. civ. La possession d’état s’établit par une réunion suffisante de faits qui révèlent le lien de filiation et de parenté entre une personne et la famille à laquelle elle est dite appartenir. Les principaux de ces faits sont: 1° Que cette personne a été traitée par celui ou ceux dont on la dit issue comme leur enfant et qu’elle-même les a traités comme son ou ses parents; 2° Que ceux-ci ont, en cette qualité, pourvu à son éducation, à son entretien ou à son installation; 3° Que cette personne est reconnue comme leur enfant, dans la société et par la famille; 4° Qu’elle est considérée comme telle par l’autorité publique; 5° Qu’elle porte le nom de celui ou ceux dont on la dit issue. Art. 311-14 C. civ. La filiation est régie par la loi personnelle de la mère au jour de la naissance de l’enfant; si la mère n’est pas connue, par la loi personnelle de l’enfant. Art. 311-15 C. civ. Toutefois, si l’enfant et ses père et mère ou l’un d’eux ont en France leur résidence habituelle, commune ou séparée, la possession d’état produit toutes les conséquences qui en découlent selon la loi française, lors même que les autres éléments de la filiation auraient pu dépendre d’une loi étrangère.
Anhang: Die relevanten Normen des Code civil im französischen Original
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Art. 311-17 C. civ. La reconnaissance volontaire de paternité ou de maternité est valable si elle a été faite en conformité, soit de la loi personnelle de son auteur, soit de la loi personnelle de l’enfant. Art. 311-21 C.civ. Lorsque la filiation d’un enfant est établie à l’égard de ses deux parents au plus tard le jour de la déclaration de sa naissance ou par la suite mais simultanément, ces derniers choisissent le nom de famille qui lui est dévolu: soit le nom du père, soit le nom de la mère, soit leurs deux noms accolés dans l’ordre choisi par eux dans la limite d’un nom de famille pour chacun d’eux. En l’absence de déclaration conjointe à l’officier de l’état civil mentionnant le choix du nom de l’enfant, celui-ci prend le nom de celui de ses parents à l’égard duquel sa filiation est établie en premier lieu et le nom de son père si sa filiation est établie simultanément à l’égard de l’un et de l’autre. En cas de désaccord entre les parents, signalé par l’un d’eux à l’officier de l’état civil, au plus tard au jour de la déclaration de naissance ou après la naissance, lors de l’établissement simultané de la filiation, l’enfant prend leurs deux noms, dans la limite du premier nom de famille pour chacun d’eux, accolés selon l’ordre alphabétique. En cas de naissance à l’étranger d’un enfant dont l’un au moins des parents est français, les parents qui n’ont pas usé de la faculté de choix du nom dans les conditions du précédent alinéa peuvent effectuer une telle déclaration lors de la demande de transcription de l’acte, au plus tard dans les trois ans de la naissance de l’enfant. Lorsqu’il a déjà été fait application du présent article, du deuxième alinéa de l’article 311–23 ou de l’article 357 à l’égard d’un enfant commun, le nom précédemment dévolu ou choisi vaut pour les autres enfants communs. Lorsque les parents ou l’un d’entre eux portent un double nom de famille, ils peuvent, par une déclaration écrite conjointe, ne transmettre qu’un seul nom à leurs enfants. Art. 311-24-1 C. civ. En cas de naissance à l’étranger d’un enfant dont au moins l’un des parents est français, la transcription de l’acte de naissance de l’enfant doit retenir le nom de l’enfant tel qu’il résulte de l’acte de naissance étranger. Toutefois, au moment de la demande de transcription, les parents peuvent opter pour l’application de la loi française pour la détermination du nom de leur enfant, dans les conditions prévues à la présente section. Art. 311-25 C. civ. La filiation est établie, à l’égard de la mère, par la désignation de celle-ci dans l’acte de naissance de l’enfant. Art. 515-7-1 C. civ. Les conditions de formation et les effets d’un partenariat enregistré ainsi que les causes et les effets de sa dissolution sont soumis aux dispositions matérielles de l’État de l’autorité qui a procédé à son enregistrement.
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Sachregister Abstammungsrecht, Internationales 41, 21, 23, 58, 61–64, 68, 80, 88, 135–137, 172–173, 212 – siehe auch Leihmutterschaft – in Deutschland 163–164 – in Frankreich 60–64, 142–144 Adoption 14, 56, 152–153, 155, 165, 194 Adoptionslösung 147–150 allseitige Kollisionsnorm 42–43, 54 Ancien Droit 24, 46, 57 Anerkennung 3–5, 13–14, 59, 64, 72, 76–79, 102, 154, 166, 169, 183, 193, 210, 212 – gleichgeschlechtliche Ehe 104–105, 131–133 – kollisionsrechtliche ~ 77, 86, 90, 113, 172, 179 – Leihmutterschaft 139, 147–148 – Namenseintragung 81, 89–93, 172 – Urteile 141–142, 162–163, 165, 176, 178–179, 194 – Urkunden 78, 85–86, 152–153, 163–166 / siehe auch Rechtslagenanerkennung Anerkennungsfreundlichkeit 100, 169, 171–196, 198 Anerkennungsmethode, siehe Rechtslagenanerkennung Anerkennungsprinzip 4–5, 77–80, 83, 94,105, 139, 169, 172–173, 187, 194–196, 210 Anfechtung der Abstammung 160, 217 Anknüpfungsleiter 54–55, 57 Aufenthalt (im Sachrecht), siehe résidence Bartin, Étienne 5, 45, 178, 183 Batiffol, Henri 51, 59–60, 183–184, 207 Beweiskraft ausländischer Urkunden 85–86, 156–160, 176–177 Bioethik-Gesetz 161
Bulkey-Entscheidung 44, 178, 184–185 Busqueta-Entscheidung 42–43, 108 Civil Law 22, 46 Code civil 9, 36–41 Coman-Entscheidung 2–3, 80, 96, 104–105, 132 Comon Law 23, 25, 47, 181, 187 conflit d’autorités 177 conflit de coutumes 27–29 conflit de lois, siehe Französisches IPR conflit de nationalités, 49 contrôle de la loi appliquée 178–180 – siehe auch kollisionsrechtliche Anerkennung Convention franco-marocaine 124–125, 127–128 Cornelissen-Entscheidung , 13, 52, 78, 86, 141, 178–180 d´Argentré, Bertrand 28, 32–35, 180 domicile 40, 56–57, 75, 113, 114–117 – commun 52–57 – international 55–56 Domizilprinzip 22–23, 39–40, 48, 50, 54–57, 67, 75 Drittstaatensachverhalte 7, 73, 95, 105, 173–175, 210 droit international privé, siehe Französisches IPR droits acquis 77, 177, 180–187, 194 Dumoulin, Charles 30–32 Ehegüterrecht, Internationales 24, 30–32, 59 Ehehindernis 108, 112–114, 123, 132 Eheöffnungsgesetz 101–102, 106, 123 Eheschließungsfreiheit 101–102, 198, 206 Eheschließungsrecht, Internationales 75
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Sachregister
– siehe auch gleichgeschlechtliche Ehe – in Belgien 109–110 – in Deutschland ~ 129–131 – in Frankreich 107 – ordre public 121–129 Ehetourismus 110–111, 116, 132 – siehe auch Statustourismus Einseitige Kollisionsnorm 65–66 Ermessensspielraum 6, 10, 137, 148, 175 état d’une personne 19-20 Ferrari-Entscheidung 52 Foyer, Jacques 62, 64 Französisch-Marokkanische Konvention, siehe Convention franco-marocaine französisches IPR – Begriff 13, 176 – Kodifikation 9, 211–212 fraude à la loi 98, 146, 155, 179, 185 Freitag-Entscheidung 4, 6, 83–84, 97–99 Fundamentalisierung des IPR 197–207 Garcia Avello-Entscheidung 3, 78, 83–84, 95 Geburtsurkunde 78, 90–92, 142, 145–159, 172, 177 – siehe auch Anerkennung von Urkunden Gewohnheitsrecht, siehe conflit de coutumes gewöhnlicher Aufenthalt, siehe résidence habituelle gleichgeschlechtliche Ehe 101–134 – Anerkennung 104–105, 118 – Kollisionsnorm 107, 113–133, 197–200 – ordre public-Verstoß 108 – Verfassungskonformität 111–112 Globalisierung 5, 71, 197 Görgülü-Entscheidung 188 Grundfreiheiten, siehe Statusfreizügigkeit Grundrechtsschutz im IPR 189–193 Grunkin Paul-Entscheidung 3, 78, 82–84, 90, 95, 175 Günstigkeitsprinzip 64, 75, 120 Heimwärtsstreben 64, 144, 201 hinkende Ehe 52, 111, 118 hinkendes Rechtverhältnis 6, 43, 72, 82, 118, 206
hinkendes Statusverhältnis, siehe hinkendes Rechtsverhältnis Individualinteressen 6, 82, 96, 205 Inlandsbezug 122, 126, 130, 185, 202–204 internationale Sachnorm 120–121 IZVR 13–14 – Abgrenzung zum IPR 175–180 Kegel’sche Anknüpfungsleiter, siehe Anknüpfungsleiter Kismoun-Entscheidung 82, 91, 95, 174 klassisches IPR 1, 7, 17, 20, 74–75, 79, 95, 133–134, 144, 154, 164, 193, 196, 205, 212 – siehe auch Savigny, Friedrich Carl v. Kodifikation 5, 9, 11, 36, 46, 48, 57–69, 171, 211–212 Kollisionsnorm mit sachrechtlichem Element 120–121 kollisionsrechtliche Anerkennung 77, 86, 90, 172, 179 – siehe auch contrôle de la loi appliquée Konstitutionalisierung des IPR, siehe Fundamentalisierung des IPR Kristallisation 78, 172, 175 künstliche Befruchtung 152 Labassée-Entscheidung 4, 137–138, 145–146 Lebenspartnerschaft, eingetragene 14–15, 75, 103, 130 Leihmutterschaft – Anerkennung 139, 155, 162–164, 172 – deutsche Kollisionsnorm 163–164 – französische Kollisionsnorm 142–144, 164 – ordre public-Verstoß 136, 140–141, 155, 162 lex loci celebrationis, siehe Ortsrecht Lizardi-Entscheidung 44 loi nationale / loi personnelle 19, 22–23, 58, 87–88, 107 Mancini, Paquale Stanislao 2, 22, 41 45–46, 49, 55, 57 Mennesson-Entscheidung 4,137–139, 144–146, 148–150
Sachregister Menschenrechte 4, 72–76, 80, 96, 136, 164, 173–175, 187–196 Methode 1, 7–8, 12–13 Mutterschaftsanerkennung, siehe Vaterschaftsanerkennung Nachlassspaltung 24, 59 Namensänderung 86, 89, 92, 94, 97 Namensangleichung 91–93 Namensrecht, Internationales 3, 78, 80–99 – in Deutschland 93–95 – in Frankreich 85–93 – ordre public 92–93 Namenstourismus 97–98 – siehe auch Statustourismus Namenswahl 87–88, 90 nationale Identität 84, 128 Niboyet, Jean-Paulin, 50–51, 58–59, 177, 183–184 ordre public – ~ atténué 141–142, 184–186, 202–203 – ~ de proximité 186, 202–203 – ~ de rattachement 204 – im Abstammungsrecht 136, 140–146, 162–164 – im Eherecht 120–131 – im Kollisionsrecht 13, 162, 165 – im Namensrecht 84, 92–93, 98 – im Verfahrensrecht 13, 164–165 / siehe auch ordre public atténué – ~ international 137, 140–141 – ~ interne 140 – Menschenrechte 189–192 – ~ ordre public partagé 198–200, 205–207 Orlandi-Entscheidung 105 Ortsrecht 75, 110, 177 Pacte civil de solidarité (PACS), siehe Lebenspartnerschaft, eingetragene Paradiso-Entscheidung 138 Parteiautonomie 15, 30–32, 35, 59, 88 Personalstatut – siehe auch statut personnel – Begriff 17–18 – Europa 8, 209–211
251
Personenfreizügigkeit, siehe Statusfreizügigkeit Pillet, Antoine 182–184 politisches IPR 74–76, 105–107 polygame Ehe 203–204 possession d’état, siehe Statusbesitz postmodernes IPR 21, 71–73 Privatleben, Recht auf 137–138, 183, 191 Rechtmäßigkeit des Namenserwerbs 98–99 – siehe auch révision au fond Rechtslagenanerkennung 5, 76–79, 172–175, 192–197 – siehe auch Anerkennung Rechtsquellenpluralismus im Personalstatut 1–4 Rechtsvergleichung 7–8, 12–13 reconnaissance des situations juridiques, siehe Rechtslagenanerkennung Registerrecht 75, 112, 129–132, 211 règle materielle internationale, siehe internationale Sachnorm renvoi 9, 11, 60, 62 Reproduktionstourismus 136 – siehe auch Statustourismus répudiation, siehe Verstoßungsscheidung résidence 114–117 résidence habituelle 56, 74, 93–94 révision au fond 98–99, 178 Rivière-Entscheidung 51–56, 59, 62, 185 Savigny, Friedrich Carl von 4–5, 20–21, 181–182 Scheidungsstatut 42, 52, 64–66, 202–204 Spanier-Beschluss 54, 189–190, 199 Staatsangehörigkeit – eines Ehegatten 113–114 – mehrfache 49, 66, 82, 91 Staatsangehörigkeitsprinzip 2, 9, 22, 25, 39–41, 48–50, 74, 110, 123, 133 Standesamt – örtliche Zuständigkeit 115, 117, 132 Statusbesitz 63–64, 143, 145 Statusfreizügigkeit 2–6, 10, 72–74 Statuskontinuität 1, 6, 72–73, 195, 197–198 Statustourismus 72, 97 statut personnel – Anknüpfung 23–25
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Sachregister
– Begriff 17–20 – Entwicklungsgeschichte 9, 26–70 – Kodifikation 57–69, 201–202 – Reichweite 14, 23–25 – Spaltung 68 Statutenlehre 26–36 – in Frankreich 29, 32, 35–36 – in Italien 27–29 Stiefkindadoption 149 Tarwid-Entscheidung 53, 55 Territorialismus 28–29, 32–35, 50–51, 180–181, 196 Territorialitätsprinzip, siehe Territorialismus transcription, siehe Urkundenübertragung Unilateralismus 60–68, 201, 206 Urkundenübertragung
– siehe auch Beweiskraft ausländischer Urkunden – Abgrenzung zur Anerkennung 155–156 – im Fall Mennesson 144–145, 150–152 Vaterschaftsanerkennung 64, 120–121, 143 Verfassung – Frankreich 124–125, 187–188 Verstoßungsscheidung 203–204 Verweisungsmethode 9, 54, 57, 74, 207 vested right, siehe droits acquis Wächter, Carl Georg von 45, 181–182 Wagner-Entscheidung 4, 194–195 wohlerworbene Recht, siehe droits acquis Wohnsitz, siehe domicile Wohnsitzprinzip, siehe Domizilprinzip