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German Pages 492 Year 2015
Christian Peters Nationalsozialistische Machtdurchsetzung in Kleinstädten
Histoire | Band 80
Christian Peters (Dr. phil.) lehrt Geschichte und Latein an einem niedersächsischen Gymnasium und war als Dozent an den Universitäten Köln, Bielefeld und Vechta tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus sowie die historische Fachdidaktik und Methodik.
Christian Peters
Nationalsozialistische Machtdurchsetzung in Kleinstädten Eine vergleichende Studie zu Quakenbrück und Heide/Holstein
Bei der vorliegenden Buchfassung handelt es sich um die überarbeitete und erheblich gekürzte Fassung meiner 2014 an der Universität Bielefeld eingereichten Dissertation.
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Vorwort Nach inzwischen gut sieben Jahren geht die Arbeit an der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung vorüber und ich bin gewillt, von den sieben mageren Jahren zu sprechen, in denen dieses Werk neben meiner hauptberuflichen Tätigkeit an einem niedersächsischen Gymnasium entstand. Denn ohne Entbehrungen sowie konsequentem und kontinuierlichem Engagement wäre die Arbeit nicht fertig geworden. Hilfreich für die Fertigstellung war die Unterstützung einer Anzahl von Personen, von denen ich einigen zu besonderem Dank verpflichtet bin. Da ist zunächst und ganz besonders mein Doktorvater, Prof. Dr. Thomas Welskopp, zu nennen, der mich mit meinem Thema in die Reihe seiner Schüler aufnahm und mir stets hilfreich, unterstützend und motivierend zur Seite stand. Seine Betreuung kann ich aufgrund der Erfahrungen, die ich gemacht habe, als mustergültig betrachten. Weiterer Dank gilt Dr. Dr. Vito Gironda, der mir wie die anderen Doktorandinnen und Doktoranden durch seine Anregungen und Fragen eine große Hilfe war – unter den Doktoranden und Doktorandinnen möchte ich hier Gleb Albert, Dr. Frank Wolff und Dr.in Ute Engelen hervorheben. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Klaus Weinhauser, der mir durch seine konstruktive Kritik half, das Thema und Werk zu forcieren. Ein großer Dank geht zudem an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedenen Archive, von denen Frau Dr. Lubitz sowie Heinrich Böning vom Heider Stadtarchiv bzw. Quakenbrücker Stadtmuseum besonders zu erwähnen sind, da sie mir einen unkomplizierten Zugang zu den Quellen ermöglichten und bei Fragen sowie Problemen schnelle, hilfreiche Unterstützung bieten konnten. Zudem gilt ein besonderer Dank der Enkeltochter des Heider Rechtsanwalts August Vehrs, die mir auf unkonventionelle Weise den Zugang zum Archivbestand des Heider Haus- und Grundeigentümervereins ermöglichte und der Stadt Heide, die die Drucklegung des Buchs unterstützte. Für Diskussionen und Anregungen im intellektuellen Diskurs bedanke ich mich darüber hinaus bei Laura Diekmann, Paul Gärtner, Dr. Eduard Job, Bernhard Suermann, Roland Bumb sowie Ansgar und Kerstin Pelster, die sich stets bereit erklärten, sich meinen Thesen und deren Begründungen zu stellen, ohne dabei auf angemessene Kritik zu verzichten.
6 | D IE NATIONALSOZIALISTISCHE M ACHTDURCHSETZUNG IN KLEINSTÄDTEN
Abschließend geht ein ganz besonders herzlicher Dank an Anke Barlage, die mich im letzten Jahr der Arbeit an der Dissertation unterstützte und sich trotz ihrer sonstigen Verpflichtungen die Zeit zum Korrekturlesen der Arbeit genommen hat. Christian Peters
Bielefeld, im Frühjahr 2015
Inhalt
Vorwort | 5 Abkürzungsverzeichnis | 13 Abbildungsverzeichnis | 15 Tabellenverzeichnis | 17
TEIL I EINLEITUNG | 19 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Einleitung und Einordnung der Studie in die Forschungslage | 19 Die nationalsozialistische Machtdurchsetzung – Eine Definition | 27 Bestimmung des Untersuchungszeitraums (1928-1933) | 29 Quakenbrück und Heide als Beispiele der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung – Begründungen zur Ortsauswahl | 34 These und Konzeption der Arbeit | 37 Quellenlage und Quellenkritik | 38
TEIL II DIE BASIS DES P OLITISCHEN IN NORDDEUTSCHEN , PROTESTANTISCH GEPRÄGTEN LAND- UND KLEINSTÄDTEN | 43 1.
Milieus und Milieukonzept als ordnende Strukturen der Gesellschaft | 43
1.1 1.2 1.3 1.4
Das nationalsozialistische Milieu | 45 Das konservative Milieu | 53 Das katholische Milieu | 61 Das sozialistische Milieu | 63
2.
Die soziale Bindung als Grundvoraussetzung der sozialen Basis des Politischen | 71 Politische Mechanismen | 81 Politische Meinungs- und Willensbildung | 84 Politische Vorstellungen als Basis der politischen Meinung bzw. des politischen Willens | 86 Funktionsträger und Funktionseliten als politische Akteure und Wortführer im politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess | 89
3. 4. 5. 6.
7.
Die Bedeutung der Lokalzeitungen und des Presseklimas für die politische Meinungs- und Willensbildung | 92
TEIL III IMPLEMENTIERUNG BZW . AUSWEITUNG DER NATIONALSOZIALISTEN VOR O RT (1928 – FRÜHJAHR 1929) | 111 Fördernde Faktoren des Nationalsozialismus | 112 1.1 Kongruenzen der politischen Vorstellungen zwischen dem konservativen Organisationsmilieu und der NSDAP in Quakenbrück und Heide | 112 1.2 Antisemitismus und Volksgemeinschaft als Faktoren der Implementierung bzw. Ausweitung der Nationalsozialisten im lokalen Kontext der Landvolkbewegung | 116 1.3 Die Heider SA als Organisation des nationalsozialistischen Trägermilieus im Kontext der Landvolkbewegung | 128 1.4 Fehlende adäquate lokale Anbindung der konservativen Parteien und deren mangelhafte Fähigkeit, die die Menschen berührenden Themen zu erfassen | 132 2. Hemmende Faktoren des Nationalsozialismus | 135 2.1 Abgrenzung des politischen Katholizismus in Quakenbrück gegenüber politischen Gegnern – insbesondere gegen Nationalsozialisten und Deutschnationale | 135 2.2 Das sozialistische Milieu „im Kampf“ um die Arbeiter | 136 1.
3.
Die Wahlen vom Mai 1928 als Manifestation der gesellschaftlichen Segmentierung der politischen Einstellungen der lokalen Gesellschaft – Eine Ursachenanalyse | 139
TEIL IV G EMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE AUF DEM WEG ZUM DURCHBRUCH BEI DER REICHSTAGSWAHL VON 1930 (FRÜHJAHR 1929 – 1930/31) | 157 1.
2.
Radikalisierung als politisches Instrument zur Generierung von Mitgliedern bei den Nationalsozialisten in Heide – Die „Blutnacht von Wöhrden“ und ihre Folgen | 159 Gesellschaftliche Aufwertung der Nationalsozialisten im Jahr 1929 | 169
2.1 Gesellschaftliche Aufwertung der Nationalsozialisten durch die Agitation gegen den Young-Plan und Erfolge bei den Kommunalwahlen | 169
2.2 Gesellschaftliche Aufwertung der Nationalsozialisten durch die Aufnahme in die Bürgerblock-Koalition zur Verhinderung eines zweiten sozialdemokratischen Senators in Quakenbrück | 174 3.
Faktoren des nationalsozialistischen Erfolgs im Jahr 1930 | 176
3.1 Ausweitung der nationalsozialistischen Zielgruppe im Sinne der „Volksgemeinschaft“ und Annäherung an das konservative Milieu in Heide | 177 3.2 Ausbau des nationalsozialistischen Trägermilieus in Heide – Verstärkung der SA durch die HJ | 183 3.3 Nationalsozialistische Agitation gegen die „Linken“ als Annäherung an das konservative Milieu in Quakenbrück | 185 3.4 Die politischen Vorstellungen des konservativen Milieus als potentieller „Nährboden“ der Stimmengewinne der NSDAP bei der Reichstagswahl in Quakenbrück | 187 4.
Hemmende Faktoren der nationalsozialistischen Entwicklung | 190
4.1 Die Grantzisten – hemmendes Moment und Potential der Spaltung für die Nationalsozialisten in Heide (1929-1930) | 190 4.2 Rücktritt eines Senators der Bürgerblock-Koalition und Wahl eines Sozialdemokraten zum stellvertretenden Bürgermeister aufgrund nationalsozialistischer Vorwürfe in Quakenbrück | 193 4.3 Die Abgrenzung des katholischen Organisationsmilieus in Quakenbrück gegenüber Kommunisten, Sozialdemokraten, Deutschnationalen und Nationalsozialisten | 194 4.4 Das sozialistische Milieu in Abgrenzung zu den Nationalsozialisten | 195 4.5 Die Zentrum-Jungmannen als Speerspitze des politischen Katholizismus zur Bindung der katholischen Jung- und Erstwähler an das Zentrum in Quakenbrück (1930) | 201 4.6 Das sozialistische, katholische und konservative Milieu in Quakenbrück im „Wettstreit um die Jugend“ (1930-1931) | 201 5.
Die Reichstagswahl vom September 1930 als Indikator der Veränderung der gesellschaftlichen Segmentierung der politischen Einstellungen – eine Ursachenanalyse | 209
TEIL V DIE NSDAP AUF DEM WEG ZUR STÄRKSTEN P ARTEI IN BEIDEN STÄDTEN – TROTZ DIFFERENTER E NTWICKLUNGEN DER JEWEILIGEN O RGANISATIONSSTRUKTUR IN HEIDE UND Q UAKENBRÜCK (1931 – S OMMER 1932) | 229 1. 2.
Die Entwicklung eines nationalsozialistischen Milieus in Heide – der Ausbau eines Träger und assoziierte Milieus | 230 Die nationalsozialistische Entwicklung fördernde Faktoren | 242
2.1 Die Entwicklung eines Kontaktmilieus als eine Ursache des Mitgliederzustroms der SA in Heide | 242 2.2 Kongruenzen der politischen Vorstellungen im konservativen Organisationsmilieu und bei der NSDAP | 247 2.3 Die Erosion der Parteien des konservativen Milieus in der lokalen, publizistischen Öffentlichkeit und deren Annäherung an die NSDAP in Quakenbrück und Heide | 278 2.4 Das SA-Heim als Basis zur Bindung von Mitgliedern und als Stützpunkt im Kampf gegen den politischen Gegner in Heide | 281 3. Zur (Un)Wirksamkeit des Uniform- und SA-Verbots | 283 4.
Hemmnisse für die Entwicklung der nationalsozialistischen Organisationsstruktur | 290
4.1 Die Abgrenzung der sozialistischen Organisationsmilieus in Quakenbrück und Heide nach außen und der Versuch der Milieustabilisierung nach innen | 290 4.2 Die Parteien des sozialistischen Milieus in Quakenbrück und Heide im Wettstreit um die Mitglieder des sozialistischen Milieus und in Abgrenzung gegenüber den Nationalsozialisten | 300 4.3 Weibliche und jugendliche Wähler im Fokus der Zentrumspartei sowie deren und des katholischen Organisationsmilieus praktizierte Abgrenzung gegenüber linken und rechten politischen Gegnern | 314 5.
Die NSDAP als stärkste Partei in Quakenbrück und Heide – Eine analytische Betrachtung der Wahlergebnisse | 317
TEIL VI E RSTMALIGER ABWÄRTSTREND FÜR DIE NATIONALSOZIALISTEN UND ÜBERWIEGEND UNERWARTETES V ERHALTEN DER P ARTEIEN (AUGUST – DEZEMBER 1932) | 341 1.
Faktoren zur Aufrechterhaltung der lokalen Bedeutung der Nationalsozialisten | 342
1.1 Der Heider Protest gegen die Zusammenlegung der Kreise Norder- und Süderdithmarschen | 342 1.2 Gegen Deutschnationale und Sozialdemokraten, aber fehlende Abgrenzung des Zentrums gegenüber den Nationalsozialisten und ein daraus resultierendes Potential der Annäherung in Quakenbrück | 347 2.
3.
Engagement gegen die Resignation der Mitglieder in Heide aufgrund der „Machtlosigkeit“ der NSDAP auf Reichsebene | 349 Faktoren für den tendenziellen Bedeutungsverlust der Nationalsozialisten | 352
3.1 Abgrenzung der NSDAP gegenüber Deutschnationalen und Konservativismus | 352 3.2 Intermezzo der Deutschnationalen und deren Abgrenzungstendenzen gegenüber den Nationalsozialisten | 356 3.3 Schwache öffentliche Präsenz des sozialistischen Milieus und deutliche Abgrenzung der Kommunisten gegen die Nationalsozialisten bei gleichzeitig resignativ-ambivalenter Haltung der Sozialdemokraten gegenüber den Nationalsozialisten | 358 4.
Erstmaliger Rückschlag der NSDAP bei der Reichstagswahl vom 6. November in Quakenbrück und Heide – Eine wahlanalytische Betrachtung der Ergebnisse | 361
TEIL VII DIE LETZTE WEGSTRECKE ZUR NATIONALSOZIALISTISCHEN M ACHTDURCHSETZUNG (J ANUAR - S OMMER 1933) | 375 1. 2.
Die Entwicklung eines nationalsozialistischen Milieus in Quakenbrück und die Erweiterung desselben in Heide | 376 Die nationalsozialistische Machtdurchsetzung fördernde Faktoren | 381
2.1 Funktionsträger des konservativen und katholischen Milieus als Katalysatoren der nationalsozialistischen Implementierung in Quakenbrück | 381
2.2 Annäherung und Anpassung von Konservativen, Katholiken und Nationalsozialisten | 384 2.3 Die Besetzung von Schaltstellen der lokalen Macht durch Nationalsozialisten – Einsetzung eines Nationalsozialisten zum kommissarischen Bürgermeister in Quakenbrück und Übernahme der Heider Ortspolizeibehörde durch einen Nationalsozialisten | 400 2.4 SA-Heim und Hitlerhaus in Quakenbrück als Basis der Indoktrination und Bindung | 406 2.5 Die Auflösung des sozialistischen Milieus in Quakenbrück und Heide (Februar bis Juni 1933) | 407 3.
Die nationalsozialistische Machtdurchsetzung verzögernde bzw. hemmende Faktoren | 414
3.1 Rudimentäre Bestrebungen zur Aufrechterhaltung des konservativen Milieus | 414 3.2 Partielle Bemühungen um eine Geschlossenheit des sozialistischen Milieus in Quakenbrück und Heide (Februar 1933) | 420 4.
Die letzten „demokratischen“ Wahlen – Die NSDAP nach erneuten Gewinnen stärkste Partei in Heide und Quakenbrück | 423
TEIL VIII VERGLEICHENDE S CHLUSSBEMERKUNGEN | 441 TEIL IX 1. 2. 3.
Q UELLEN-, LITERATUR- UND I NTERNETVERZEICHNIS | 455
Quellenverzeichnis | 455 Literaturverzeichnis | 458 Verwendete Internetseiten | 489
Abkürzungsverzeichnis
BDM DC DDP DJV DNVP DVP HJ KPD NSB NSBO NSDAP NSDÄB NSF NS-HAGO NSKOV NSLB RFB RGBl SA SAJ SAP SPD SS StJbDR
Bund Deutscher Mädel Deutsche Christen Deutsche Demokratische Partei Deutsches Jungvolk Deutschnationale Volkspartei Deutsche Volkspartei Hitlerjugend Kommunistische Partei Deutschlands Nationalsozialistische Beamtenarbeitsgemeinschaft Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund Nationalsozialistische Frauenschaft Nationalsozialistischer Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung Nationalsozialistischer Lehrerbund Rotfront-Kämpferbund Reichsgesetzblatt Sturmabteilung Sozialistische Arbeiterjugend Sozialistische Arbeiterpartei Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Anhand der Pressepräsenz rekonstruierte Ausdifferenzierung des konservativen Organisationsmilieus in Quakenbrück (1928-1933)......................... 73 Abbildung 2: Anhand des Protokollbuchs und der Presseberichte rekonstruierter Mitgliederstand des Evangelischen Arbeitervereins in Quakenbrück (1928-1933) ............................................................................................................. 74 Abbildung 3: Relationale Auswertung der quantifizierten qualitativen Daten zur Teilnahme an Veranstaltungen des konservativen Organisationsmilieus in Quakenbrück (1928-1933)....................................................................................... 75 Abbildung 4: Mitgliederentwicklung des Kriegervereins in Heide (1929-1933) .... 77 Abbildung 5: Mitgliederbestand des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz in Heide (1928-1931).................................................................................... 80 Abbildung 6: Kumulierte Darstellung des Anteils der einzelnen berücksichtigten Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien in Heide (1928-1933) ........ 99 Abbildung 7: Kumulierte Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen in Heide, inkl. Handwerkerbund und Reiterverein Ditmarsia (1928-1933) .................................. 100 Abbildung 8: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der Milieus in Heide, exkl. Handwerkerbund und Reiterverein (1928-1933) ................................................... 101 Abbildung 9: Relationale kumulierte Darstellung der Pressepräsenz der Milieus in Quakenbrück (1928-1933) ............................................................................... 103 Abbildung 10: Relationale Darstellung der einzelnen berücksichtigten Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien in Quakenbrück (1928-1933) ............. 104 Abbildung 11: Relationale Darstellung der einzelnen berücksichtigten Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien in der Bersenbrücker Tageszeitung (1928-1933) ........................................................................................................... 105 Abbildung 12: Relationale Darstellung der einzelnen berücksichtigten Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien im Bersenbrücker Kreisblatt (1928-1933) ........................................................................................................... 105 Abbildung 13: Relationale Darstellung der einzelnen berücksichtigten Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien im Artländer Anzeiger (1928-1930, 1932-1933) ........................................................................................ 106 Abbildung 14: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen in Quakenbrück (1928-1933) ........................................................................................................... 107 Abbildung 15: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen in der Bersenbrücker Tageszeitung 1928-1933 ....................................................................................... 108
Abbildung 16: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen im Bersenbrücker Kreisblatt (1928-1933) .......................................................................................... 109 Abbildung 17: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen im Artländer Anzeiger (1928-1933) .......................................................................................................... 109 Abbildung 18: Anzahl der Erwerbslosen in Quakenbrück (1931-1933) ............... 321 Abbildung 19: Relation der Unterstützungsempfänger nach Unterstützungsform in Quakenbrück (1931-1933) ................................................................................ 322 Abbildung 20: Erwerbslosigkeit im Bereich des Arbeitsamtsbezirks Heide (1928-1933) .......................................................................................................... 435
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Reichstagswahlergebnisse in Quakenbrück 1928 ................................. 140 Tabelle 2: Landtagswahlergebnisse in Quakenbrück 1928 ................................... 141 Tabelle 3: Reichstagswahlergebnisse in Heide 1928 ............................................. 150 Tabelle 4: Landtagswahlergebnisse in Heide 1928 ............................................... 150 Tabelle 5: Reichstagswahlergebnisse in Quakenbrück 1930 ................................. 211 Tabelle 6: Reichstagswahlergebnisse in Heide 1930 ............................................. 221 Tabelle 7: Landtagswahlergebnisse in Quakenbrück 1932 ................................... 319 Tabelle 8: Reichstagswahlergebnisse in Quakenbrück 1932 I............................... 319 Tabelle 9: Landtagswahlergebnisse in Heide 1932 ............................................... 332 Tabelle 10: Reichstagswahlergebnisse in Heide 1932 I ........................................ 333 Tabelle 11: Reichstagswahlergebnisse in Quakenbrück 1932 II ........................... 362 Tabelle 12: Reichstagswahlergebnisse in Heide 1932 II ....................................... 369 Tabelle 13: Reichstagswahlergebnisse in Quakenbrück 1933 ............................... 425 Tabelle 14: Landtagswahlergebnisse in Quakenbrück 1933.................................. 425 Tabelle 15: Reichstagswahlergebnisse in Heide 1933 ........................................... 432 Tabelle 16: Landtagswahlergebnisse in Heide 1933 ............................................. 433
Teil I
Einleitung
1. E INLEITUNG UND E INORDNUNG F ORSCHUNGSLAGE
DER
S TUDIE
IN DIE
„Hitler und kein Ende – jahrzehntelang wurde dieser Satz von vielen Deutschen mit einem Seufzer der Resignation ausgesprochen.“, schreibt Ian Kershaw in pronon1 cierender Weise in seinem Aufsatz mit dem Thema „Trauma der Deutschen“. Im Gegensatz zu Ernst Noltes am 6. Juni 1986 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 2 abgedruckten Artikel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ legt Kershaw dar, warum kein „Schlussstrich unter die nationalsozialistische Vergangenheit zu zie3 hen“ ist. Als Grund führt er zum einen die „im öffentlichen Leben, in intellektuellen Kreisen und in den Medien“ tätigen Personen an, die sich gegen das Ziehen eines Schlussstrichs aussprechen würden. Zum anderen sei das Interesse der Deutschen, die nach den Ereignissen geboren wurden, groß, „zu verstehen, wie Hitler möglich gewesen ist …, warum so viele Deutsche an Hitler geglaubt und seine Politik unter4 stützt hatten“. Kontrastierend zu Kershaw behauptet Bernard Schlink, dass es inzwischen einen „Überdruss gegenüber der Vergangenheit vom Dritten Reich und Holocaust“ gebe und dass dieser in der „banalisierenden Häufigkeit, mit der Ver5 gangenheit in Schule und Medien“ thematisiert würden, seinen Ursprung habe. Es ist zwar nicht ersichtlich, im Lichte welcher Erkenntnis und welcher empirischen Daten Schlink zu seiner Einschätzung gelangte, aber die Tatsache, dass sich auch eine Anzahl jüngerer Forscher6 mit der nationalsozialistischen Vergangenheit be-
1
Kershaw, Trauma der Deutschen, S. 89.
2
FAZ 6.8.1986. Abdruck: Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will. S. 46.
3
Kershaw, Trauma der Deutschen. S. 89.
4
Kershaw, Trauma der Deutschen, S. 90-91.
5
Schlink, Auf dem Eis, S. 121.
6
Aus Gründen des besseren Leseflusses wird hier die männliche Form verwendet. Es sind immer, sofern nicht gesondert darauf hingewiesen wird, Vertreter beider Ge-
20 | DIE NATIONALSOZIALISTISCHE M ACHTDURCHSETZUNG IN KLEINSTÄDTEN 7
schäftigt, zeigt deutlich, dass von einem Überdruss keine Rede sein kann. Wie notwendig zudem die weitere Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit ist, der sich die Forscher mit verändernden Fragestellungen immer wieder neu nähern, wird nicht zuletzt dann deutlich, wenn in öffentlichen Debatten, in Talkshows oder Interviews historische Vergleiche bemüht werden, bei denen das nationalsozialistische System oder die nationalsozialistische Partei als Vergleichsmatrix herhalten muss. Das Problem der Vergleiche liegt oftmals nicht nur darin, dass die Gefahr der Relativierung und Singularität der Ereignisse um die Machtdurchsetzung der Nationalsozialisten und deren Folgen im Prinzip apologetischen Tendenzen das Wort redet, sondern dass auch ohne jegliche Systematisierung, ohne die Festlegung von Vergleichskategorien Aussagen getätigt werden, die bereits in ihren Grundaussagen und Tendenzen falsch sind. Als Beispiel kann hier die im April 2012 vom Berliner Fraktionsgeschäftsführer der Piratenpartei, Martin Delius, in einem Spiegel-Interview getätigte Äußerung „Der Erfolg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 8 und 1933.“ angeführt werden. Denn dieser Vergleich stimmt weder hinsichtlich des Zeitraums von fünf Jahren, da die Piratenpartei zum Zeitpunkt der Äußerung erst seit ca. einem Jahr – für die Öffentlichkeit wahrnehmbar – politisch erfolgreich war, noch hinsichtlich der Strukturen der beiden Parteien. Dass der von Delius gewählte Vergleich nicht korrekt war, brachte er später selbst zum Ausdruck, indem er konstatierte, dass es zwischen Nationalsozialisten und Piratenpartei keine strukturellen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten gegeben habe. Ob diese Darstellung erst nach der Resonanz in der Presse erfolgte, ist für die weiteren Ausführungen nicht relevant, wichtig ist nur, dass solche unreflektierten, an die Nationalsozialisten angelehnten Vergleiche ebenso wie antisemitische Äußerungen frühzeitig unterbunden werden. Denn im Rahmen der vergleichenden Studie wird zu zeigen sein, dass solche durch Begriffe, Ausdrücke und Gedankenkonstrukte betriebenen impliziten oder expliziten Annäherungen an den Nationalsozialismus und dessen Ideologie mithilfe sogenannter milieuöffnender Faktoren, die durch eine gemeinsame Geisteshaltung bzw. Mentalität oder politische Vorstellung manifest werden, den Nationalsozialisten die Möglichkeit boten, sukzessive die Menschen für sich zu gewin-
schlechter gemeint. Eine Ausnahme bilden Bezeichnungen politischer Akteure, wie z.B. der Terminus „Nationalsozialisten“. Dies liegt darin begründet, dass der politisch aktive Bevölkerungsanteil der damaligen Zeit primär männlichen Geschlchts war. 7
Exemplarisch kann hier das von Schmiechen-Ackermann geleitete Forschungsprojekt zur Volksgemeinschaft erwähnt werden, in dessen Rahmen sich junge Forscherinnen und Forscher mit neuen Fragestellungen der nationalsozialistischen Vergangenheit beschäftigen. (s.u.)
8
www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,828964,00.html. (30.4.2012)
T EIL I: E INLEITUNG
| 21
nen. Der erste, der diesen Aspekt in einer wissenschaftlichen Untersuchung berücksichtigte, war Heberle, der bereits 1932 die „Denkungsart“ und „Gefühlswelt“ des 9 Landvolks erforschte, um die Wandlungen der politischen Meinung aufzuspüren – eine Wandlung, die Fallada in seinem Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“ ver10 arbeitete. Dieser Ansatz wurde implizit von Stoltenberg fortgeführt, der seine Untersuchung zur politischen Strömung im schleswig-holsteinischen Landvolk ebenso wie Heberle 1918 beginnen ließ, sie aber im Gegensatz zu Heberle bis 1933 ausweitete, indem er die nationalsozialistische Machtdurchsetzung und Gleichschaltung 11 berücksichtigte. Während diese beiden Arbeiten mentalitätsgeschichtliche Aspekte beinhalten und bis 1932 bzw. 1933 reichen, stellt die Untersuchung Rietzlers zum Aufkommen des Nationalsozialismus, die den Untersuchungszeitraum von 1919 bis 1928 umfasst, eine gute Ergänzung der oben angeführten Arbeiten dar, da sie mit einer Berücksichtigung der nationalen und vaterländischen Verbände sowie der Wehrverbände und deren „Kampf gegen die Republik“ das Gesamtbild zu vervoll12 ständigen hilft. Rietzlers Arbeit wurde zu einer Zeit veröffentlicht, als im Vorlauf zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs eine Hinwendung auf die lokalgeschichtliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit begann. In diesen Kontext ist auch das von Broszat geleitete Bayern-Projekt einzuordnen, in dessen Rahmen nach dem Widerstand und der Verfolgung in Bayern in den Jahren von 1933 bis 1945 geforscht wurde. Mit diesem Forschungsprojekt ist erstmals der Versuch gemacht worden, die Erforschung des Nationalsozialismus unter eine für meh13 rere Studien gemeinsame Fragestellung zu stellen. Das lässt zwar auf den ersten Blick hoffen, dass es dadurch – weil ein solcher Ansatz einen Vergleich impliziert – zur Generierung von gemeinsamen Merkmalen kommt, aber Aufgrund der z.T. sehr
9
Heberle, Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Die nachfolgenden Ausführungen zur Forschungslage beschränken sich im Wesentlichen auf die Arbeiten, deren theoretische oder methodische Ansätze die vorliegende Studie beeinflussten. Von dieser Herangehensweise wird lediglich hinsichtlich des Bayern-Projekts und dem Forschungsprojekt „Nationalsozialistische Volksgemeinschaft? Konstruktion, gesellschaftliche Wirkungsmacht und Erinnerung vor Ort“ abgewichen, da sie wegweisende Forschungsprojekte zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus darstellen.
10
Fallada, Bauern, Bonzen und Bomben.
11
Stoltenberg, Politische Strömungen.
12
Rietzler, „Kampf in der Nordmark“.
13
Publiziert sind diese Arbeiten in einer sechsbändigen Ausgabe unter dem Obertitel Bayern in der NS-Zeit. Die Publikation der einzelnen Bände erstreckte sich von 1977, als der erste Band erschien, bis 1983, als die Bände fünf und sechs den Abschluss der Publikationen bildeten.
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differenten konkreten Fragestellungen bzw. Untersuchungsvorhaben war ein systematischer Vergleich, wie er in der vorliegenden Arbeit angestrebt wird, nicht möglich. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass das von Broszat geleitete Projekt auf die Zeit ab 1933 bezogen ist und dadurch keine hinreichenden Erkenntnisse zur nationalsozialistischen Machtdurchsetzung zu erwarten sind, auch wenn in einzelnen Studien partielle Hinweise darauf vorhanden sind, wie etwa in Kleinöders Arbeit zu 14 Eichstätt. Aufgrund der temporalen Ausrichtung auf den Zeitraum von 1933 bis 1945 konnten die im Rahmen des Bayern-Projekts entstandenen Arbeiten nicht an Allens Studie zu Northeim anknüpfen, die bereits 1966 publiziert wurde und in der Allen die „nationalsozialistische Machtergreifung“ in der Kleinstadt Northeim untersuch15 te. Ein Ergebnis seiner Arbeit war, dass „die nationalsozialistischen Maßnahmen auf örtlicher Ebene … eine entscheidende Voraussetzung für die Errichtung der totalitären Staatsform in Deutschland“ darstellten. Die Voraussetzung dafür war die „tatsächliche Machtergreifung im Frühjahr 1933“, die zwar „von unten“ erfolgte, die aber „durch Hitlers Stellung als Reichskanzler erleichtert und möglich gemacht 16 wurde“. Dieses Ergebnis Allens ähnelt den Erkenntnissen der vorliegenden Studie und ist gleichzeitig ein Indiz dafür, dass der Anspruch der Verallgemeinerung der erarbeiteten Erkenntnisse auf Land- und Kleinstädte Nord- bzw. Nordwestdeutschlands als nicht unberechtigt zu betrachten ist. Mit dieser Äußerung ist ein Hinweis auf das Instrument des Vergleichs vorgenommen worden, der lange Zeit weniger auf den lokalen Raum als vielmehr auf Regionen ausgerichtet war. Durch die Betrachtung von Regionen existierten zumindest implizite Vergleichskriterien, da zwischen unterschiedlichen Orten der Regionen verglichen wurde und da ein solcher Vergleich ohne Vergleichskriterien überhaupt nicht möglich ist – seien die Kriterien dem Forscher bewusst oder auch nicht. Zu diesen regional ausgerichteten Arbeiten, zu denen hier auch die hinzugezählt werden können, die sich mit der Aufarbeitung eines Landes befassen, gehören die „neueren“ Arbeiten von Hempe zur ländlichen Gesellschaft in Mecklenburg sowie von Wagner zur „Machtergreifung“ in Sachsen, aber auch noch Weichleins Untersuchung zur „Lebenswelt, Vereinskultur [und, CP] Politik in Hessen“, in der 17 Die aus er u.a. zwischen einem Partei- und Organisationsmilieu unterscheidet. der Differenzierung zunächst folgende separate Betrachtung der Entwicklung der politischen Parteien sowie der Vereine und Verbände nahm auch schon Bösch in
14
Kleinöder, Verfolgung und Widerstand.
15
Allen, „Das haben wir nicht gewollt!“.
16
Allen, „Das haben wir nicht gewollt!“, S. 9. Vgl. Teil VIII Vergleichende Schlussbe-
17
Weichlein, Sozialmilieus.
merkungen.
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seiner 2002 publizierten Studie zum konservativen Milieu vor, in der er die Entwicklung des konservativen Milieus und deren Verhältnis zu den Nationalsozialis18 ten in Greifswald und Celle darstellt und zu erklären sucht. Dabei kommt er z.T. zu ähnlichen Ergebnissen für Greifswald und Celle wie die vorliegende Studie zu Heide und Quakenbrück. Zu nennen ist hier etwa die antisozialistische Ausrichtung des konservativen Milieus sowie die Aufnahme der NSDAP in eine „kommunalpo19 litische Front gegen die SPD“, die in Quakenbrück durch die Aufnahme des nationalsozialistischen Abgeordneten des städtischen Parlaments in die BürgerblockKoalition gegeben war. Im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit bleibt Böschs Ansatz jedoch im Wesentlichen auf das konservative Milieu beschränkt, wodurch die Wechselwirkungen der lokal zu rekonstruierenden Milieus nicht hinreichend berücksichtigt werden. Eine marginale Berücksichtigung sogenannter Milieus nimmt Reeken in seiner Arbeit zu Aurich und Emden vor, indem er das Verhalten des bür20 gerlichen Milieus im Nationalsozialismus untersuchte. Sein Ansatz zur Verwendung des Milieus scheint grundsätzlich zu kurz zu greifen, da er konzeptionell – gerade, wenn ein längerer Zeitraum betrachtet wird – eine die Arbeit prägende Komponente darstellen sollte. Nichtsdestotrotz konnte Reekens Arbeit zusammen mit der von Rennspieß insofern Impulse für die vorliegende Untersuchung liefern, als dass ihre Form der Explikation, innerhalb eines Kapitels die Orte nacheinander ab21 zuhandeln, aufgegriffen wurde. Inhaltliche Korrelationen sind z.T. auch nachzuweisen, die aber dann zu thematisieren bzw. aufzuzeigen sind, wenn es in der Arbeit hilfreich erscheint. Hilfreich war dagegen weniger der von Rennspieß gewählte Fokus der Untersuchung auf die ökonomische Lage, da man aufgrund dieser Ausrichtung die prägende mentale Disposition stärker vernachlässigt, als es für die Bestimmung der politischen Vorstellung günstig ist. So untersucht Rennspieß beispielsweise die Arbeiter. Diese an der ökonomischen Lage ausgerichtete soziale Gruppe stellte jedoch keineswegs eine einheitliche Gruppierung hinsichtlich der politischen Vorstellungen dar, wie es anhand der Existenz eines evangelischen sowie katholischen Arbeitervereins in Quakenbrück nachweisbar ist. Gerade die Arbeiter des evangelischen und des katholischen Arbeitervereins waren hinsichtlich ihrer politischen Vorstellungen weit weniger durch die ökonomische Lage als vielmehr durch ihre Zugehörigkeit zur mentalen Disposition des konservativen bzw. katholischen Milieus und dessen Sozialisation geprägt. Das wird in der vorliegenden Arbeit z.B. anhand des Kapitels „Die Abgrenzung des katholischen Organisationsmi-
18
Bösch, Das konservative Milieu.
19
Bösch, Das konservative Milieu, S. 118, 123.
20
Reeken, Ostfriesland zwischen Weimar und Bonn.
21
Rennspieß, Aufstieg des Nationalsozialismus.
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lieus in Quakenbrück gegenüber Kommunisten, Sozialdemokraten und Nationalsozialisten“ in Teil IV deutlich. Dieses Phänomen stellt ebenso wenig wie die weiteren Aufarbeitungen des katholischen Milieus keine singuläre Quakenbrücker Entwicklung dar, wie es sich auch anhand des Kapitels „Funktionsträger des konservativen und katholischen Milieus als Katalysatoren der nationalsozialistischen Implementierung in Quakenbrück“ in Teil VII zeigen lässt. Denn Löning kommt in seiner Arbeit zum katholisch dominierten Emsland ebenso wie die vorliegende Studie – aber auch Kleinöder zu Eichstätt – zu dem Ergebnis, dass die Standfestigkeit der erwachsenen Katholiken gegenüber den Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 eher als mangel22 haft zu bezeichnen ist. Obgleich Löning mit seiner Arbeit – auf die Region bezogen – eine solide und fruchtbare Basis zur Erforschung des Katholizismus im Kontext der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung geschaffen hat, fehlen dennoch adäquate Untersuchungen zu lokalen Entwicklungen in katholischen Land- und Kleinstädten, die den für diese Studie gewählten Ansatz erweitern und den Vergleich Ertrag bringend ausdehnen ließen. Rudimentäre Ansätze für den Untersuchungsraum zu Quakenbrück legt Menke in ihrer Arbeit „Die Endphase der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Machtergreifung im Kreis Bersenbrück“ dar, wenn sie etwa den in der relativen Nähe von Quakenbrück katholisch dominierten Ort Ankum immer mal wieder in ihren Ausführungen berücksichtigt. Das Problem hierbei besteht jedoch darin, dass es nicht zur Konstruktion von Erkenntnissen kommt, die das Verhalten des Katholizismus erklären helfen. Das ist allerdings auch wenig verwunderlich, da der Schwerpunkt der von Menke geschriebenen Regionalstudie auf der Betrachtung des politischen und wirtschaftlichen Prozesses des Kreises Bersenbrück in der Endphase der Weimarer Republik 23 beruhte. Trotz dieses zunächst wenig hilfreichen Ansatzes für die vorliegende Studie kann Menkes Arbeit dennoch an einigen Stellen genutzt werden, um die vorliegenden Ergebnisse entweder zu ergänzen oder um sie durch einen Vergleich abzusichern. Dabei zeigt sich z.B. im Kontext der Amtsenthebung der bis 1933 in Quakenbrück, Fürstenau und Bramsche tätigen Bürgermeister, dass Menke diesen Aspekt als ebenso zentral für die Machtdurchsetzung, sie spricht von „Machtergrei24 fung“, betrachtet, wie das durch die vorliegende Studie herausgearbeitet wird. Durch die Berücksichtigung der genannten Städte und den immer wiederkehrenden Rekurs auf diese enthält Menkes Regionalstudie lokalgeschichtliche Elemente.
22
Löning, Die Durchsetzung nationalsozialistischer Herrschaft im Emsland, S. 161-163.
23
Menke, Die Endphase der Weimarer Republik, S. 4.
24
Menke, Die Endphase der Weimarer Republik, S. 110, 117, 119.
Kleinöder, Verfolgung und Widerstand, S. 195.
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Diese lokalgeschichtlichen Elemente bzw. die bisher publizierten, von ihrer Anzahl inzwischen als unübersehbar zu bezeichnenden Lokalstudien bedürften dringend einer systematischen Aufarbeitung, um die Vielfalt an Erkenntnissen zu bündeln und um daraus neue Erkenntnisse bzw. Fragestellungen abzuleiten. Dass ein solches Vorhaben im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten ist, muss wohl eigentlich nicht explizit erwähnt werden. Dennoch soll hier zumindest eine kurze Kategorisierung folgen, die sich bei der Bearbeitung der Forschungslage ergab und die ei25 nen möglichen Ansatz zur Aufarbeitung der Lokalstudien bieten kann. In die erste Kategorie gehören dabei die Arbeiten, denen jeder wissenschaftliche Anspruch abgeht, da sie in der Regel einen exklusiv deskriptiven Charakter und eine unzureichende Auseinandersetzung mit der Quellenlage sowie der Theorie und Methode besitzen. Neben dieser Kategorie der deskriptiven Arbeiten kann man eine Kategorie von Publikationen einführen, die sich um einen wissenschaftlichen Anspruch bemühen, jedoch häufig der Gefahr beziehungsweise dem Problem einer zu starken Gewichtung der Deskription und eine Vernachlässigung der Erklärung erliegen. Die dritte Kategorie kann aus den Arbeiten gebildet werden, die sich um die wissenschaftliche Erklärung des Phänomens des Nationalsozialismus bereits verdient gemacht haben, denen jedoch eine methodisch-theoretische Fundierung fehlt. Aus diesem Grund ist es notwendig, eine vierte Kategorie einzuführen, zu der einige wenige Arbeiten gehören, die auf einer methodisch-theoretischen Grundlage den Versuch unternehmen, das Phänomen des Nationalsozialismus zu erklären. Das Problem dieser Arbeiten liegt jedoch darin, dass sie in der Regel nur eine Perspektive berücksichtigen – also eindimensional angelegt sind. Das bedeutet, dass sie lediglich die Möglichkeit bieten, einen monokausalen Erklärungsansatz für das Phänomen des Nationalsozialismus zu liefern, wenn sie ihrer methodisch-theoretischen Verpflichtung treu bleiben. Dieses ist ein Problem, weil es als Forschungskonsens gilt – und zwar für die Reichsebene –, dass man zur Erklärung des Nationalsozialismus von einem multikausalen Ursachengeflecht ausgehen muss. Dieser Forschungskonsens ist zwar auf der Reichsebene für die Erklärung des Nationalsozialismus anzusiedeln, doch ist nicht einzusehen, warum ein monokausaler Erklärungsansatz, der für die Reichsebene abgelehnt wird, für die Subebenen der Länder, Provinzen, Kreise und Kommunen ausreichen soll. Das multikausale Ursachengeflecht für die Machtdurchsetzung der Nationalsozialisten ist von Rogge in seinem Aufsatz „Quakenbrücks Weg ins Dritte Reich“
25
Auf eine Nennung und Zuordnung einzelner Arbeiten zu den Kategorien wird hier – mit der Ausnahme der untersuchten Orte – verzichtet, da dieses eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Arbeiten voraussetzt. Ein solches Vorhaben ist jedoch vielmehr im Rahmen einer inzwischen notwendigen Gesamtaufarbeitung der lokalgeschichtlichen Arbeiten zum Nationalsozialismus vorbehalten.
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Seine Ausführungen zur Entwicklung in nicht adäquat erfasst worden. Quakenbrück werden aufgrund der unzureichenden Quellenaufarbeitung, Rogge be27 schränkt sich auf den nur spärlich vorhandenen Teil der amtlichen Überlieferung, um allgemeine Entwicklungen ergänzt und erfassen dadurch die Phänomene in Quakenbrück nicht genau. Mit dieser Vorgehensweise ist die Arbeit Rogges, der auch jegliche theoretische und methodische Fundierung fehlt, in die erste der aufgeführten Kategorien einzuordnen. Das bedeutet, dass es dringend einer wissenschaftlich fundierten Aufarbeitung der Quakenbrücker Verhältnisse bedurfte. Das verhält sich für Heide bereits ein wenig anders, da es für diesen Ort eine von Pfeil 1997 publizierte Studie zur Entwicklung in Heide gibt. Pfeil beginnt seine Untersuchung im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit im Jahr 1890 und bemüht sich, die Entwicklungen, die zur nationalsozialistischen Machtdurchsetzung führten, langfristig aufzuarbeiten. Trotz positiver Erkenntnisse leidet dieser Ansatz jedoch darunter, dass die gesellschaftlichen Elemente, die im Rahmen der vorliegenden 28 Studie mit den Milieus aufgearbeitet werden, defizitär bleiben und Kontinuitäten sowie Transformationen in der Gesellschaft und der mentalen Disposition nicht hinreichend genug erfasst werden, um sie einem Vergleich zuzuführen. Das muss insofern verwundern, da Pfeil zu Beginn seiner Untersuchung in Anlehnung an Hennig schreibt, dass „verwertbare Ergebnisse“ einer „wissenschaftlichen Ortsgeschichte“ nur dann gegeben sind, „wenn das erarbeitete Bild mit dem anderer Orte verglichen wird, um schließlich die Ereignisse und ihre Folgen in der zu untersuchenden Ein29 heit beurteilen zu können“. Berücksichtigt man jedoch, dass es sich bei Pfeils Studie nicht um eine vergleichende Studie handelt und dass er den Vergleich als Instrument nicht explizit nutzt, dann mag der von Pfeil genutzte Ansatz dadurch z.T. zu erklären sein. Denn er musste sich infolge dessen nicht mit den Instrumentarien des Vergleichs auseinandersetzen, die einen Vergleich zwischen den Erkenntnissen bzw. Arbeiten einzelner Orte ermöglichen. Hilfreich wäre es hierfür allerdings gewesen, wenn Pfeil die von ihm gewählte Struktur der Arbeit weniger an ereignisgeschichtlichen Aspekten als vielmehr an Aspekten der politischen oder mentalen Disposition ausgerichtet hätte, da dadurch die von ihm angestrebte Aufarbeitung der Entwicklung in den Nationalsozialismus einen deutlichen Gewinn erfahren hätte. Bei einer solchen Zugangsweise hätte er nämlich die von ihm fokussierte Frage nach Kontinuitäten – oder eben auch nach Brüchen – besser in den Griff bekommen
26
Rogge, Quakenbrücks Weg ins „Dritte Reich“.
27
S. Teil I Kap. 6: Quellenlage und Quellenkritik.
28
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 4.
29
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 2. Hennig, E., Regionale Unterschiede bei der Entstehung des deutschen Faschismus, S. 152-173. (Zit. nach.: Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 2, Anm. 8.)
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können. Da dieses jedoch nicht erfolgte, wird die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen auch nicht adäquat beantwortet. Dazu trägt auch die verkürzte und rudimentäre Berücksichtigung des bis zum Sommer 1933 anhaltenden Prozesses der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung bei. Trotz dieser Defizite muss man Pfeil aber zugestehen, dass es ihm gelingt, die wesentlichen Phänomene zu erfassen, ohne jedoch die gesellschaftliche Relevanz völlig zu erschließen. Dazu trägt auch der häufigere Wechsel von der Mikro- zur Makroebene bei, der oftmals ohne verbale Nexus durchgeführt wird und der sich dem kritischen Leser nicht immer direkt erschließt – und wenn, dann handelt es sich um die Interpretationsleistung des Lesers. Diese Aspekte führen schließlich dazu, die Heider Verhältnisse zwischen 1928 und 1933 systematisch neu aufzuarbeiten, um sie auf diese Weise einem Vergleich auszusetzen. Die dabei gewählte Konzeption und thematische Fokussierung unterscheidet sich von dem durch Schmiechen-Ackermann geleiteten Forschungsprojekt zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaft in Niedersachsen, in dem ähnlich wie in Broszats Bayern-Projekt eine unter einer zentralen Thematik stehende Vielzahl von Einzelstudien gebündelt wird. Im zentralen Fokus steht dabei die 30 Frage nach der „Produktion der ´Volksgemeinschaft´“ und ihren Bedingungen. Doch ähnlich wie beim Bayern-Projekt ist aufgrund der einzelnen Themen davon auszugehen, dass es weniger zu einer systematisch vergleichenden Aufarbeitung kommt.
2. D IE NATIONALSOZIALISTISCHE M ACHTDURCHSETZUNG – E INE D EFINITION Bei einer Betrachtung des Titels der Studie fällt auf, dass mit diesem die Behauptung aufgestellt wird, dass es eine nationalsozialistische Machtdurchsetzung gege31 ben hat. Mit dem Ausdruck der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung wird 30
www.foko-ns.de/2338.html. (2.9.2013)
31
Der Begriff "Machtdurchsetzung" wurde bereits von Mehringer in seinem Aufsatz „Die bayerische Sozialdemokratie bis zum Ende des NS-Regimes“, von Kube in seiner Arbeit „Pour le mérite und Hakenkreuz“, von Broszat in seinem Werk „Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP und die Zerstörung der Weimarer Republik“ sowie von Schmiechen-Ackermann und Tullner in ihrem Beitrag „Stadtgeschichte und NS-Zeit in Sachsen-Anhalt und im regionalen Vergleich“ benutzt, ohne dass dabei eine Definition durchgeführt bzw. eine Klärung der Bedeutung herbeigeführt wurde. (Mehringer, Die bayerische Sozialdemokratie, S. 344. Kube, Pour le mérite und Hakenkreuz, S. 1. Broszat, Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP, S.7. Schmiechen-Ackermann; Tullner; Stadtgeschichte und NS-Zeit in Sachsen-Anhalt und im regionalen Vergleich, S. 34.) Der Begriff wird hier verwendet, da die in der Literatur benutzten Begriffe
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bereits ersichtlich, dass es sich um die Durchsetzung der Macht der Nationalsozialisten und der durch diese gebildeten Partei, der NSDAP, handelt. Dementsprechend bietet sich ein Rekurs auf Webers Definition von Macht an, gemäß der es da32 rum geht, ein Parteiprogramm „um ideeller und materieller Zwecke willen“ in einer lokalen Einheit bzw. bei der in dieser lebenden Bevölkerung durchzusetzen. Eine Voraussetzung dafür ist die Gewinnung bzw. Kontrolle der lokalen Bevölkerung im Sinne der „neuen Machthaber“. Dabei sind grundsätzlich zwei verschiedene Formen denkbar, von denen die erste durch den Ausbau der nationalsozialistischen Organisationen zu einem nationalsozialistischen Milieu gekennzeichnet ist, während die zweite Form auf der Erlangung lokaler Schaltstellen der Macht beruht. Beide Formen der Machtdurchsetzung sind nicht unabhängig voneinander, sondern sie bedingen sich. Das bedeutet, dass die Nationalsozialisten auf lokaler Ebene zur Ausübung der Macht sowohl eines Milieus als auch der lokalen Schaltstellen der Macht bedurften.
„Machtergreifung“ und „Machtübertragung“ das zu beschreibende Phänomen nicht adäquat zum Ausdruck bringen. Denn beide Begriffe reduzieren das Phänomen auf ein singuläres Ereignis, das in der Regel auf die Übertragung des Reichskanzleramtes auf Hitler, am 30. Januar 1933, verengt wird. Der Begriff „Machtergreifung“ sei im Prinzip erst mit Brachers Arbeiten in die Geschichtswissenschaft gelangt, der ihn nutzte, um die „politisch-moralische Illegitimität der Machenschaften, … die Hitler in das Amt des Reichskanzlers gelangen ließen“ zu manifestieren. Darüber hinaus impliziere die Verwendung des Begriffs das potentielle Missverständnis, dass es „einen prinzipiell durch alle Gesellschaftsschichten gehenden ‚Widerstand‘ gegen den zur Macht strebenden Nationalsozialismus“ gegeben habe. (Frei, „Machtergreifung“, S. 144. Vgl.: Bracher, Schlüsselwörter in der Geschichte, S. 89.) Wenn man sich die von Pfeil angefertigte Dissertation zu dieser Thematik ansieht, so findet man bei ihm als Kapitelüberschrift zum sechsten Kapitel den Ausdruck „Machtübernahme“, ohne dass er auf diesen Begriff weiter eingeht. Betrachtet man jedoch das sechste Kapitel mit seinen Unterkapiteln, die mit den Ausdrücken „Die Machtergreifung“ und „Die Reichstags- und Kommunalwahlen vom März 1933“ versehen sind, dann verstand Pfeil implizit unter dem Begriff der Machtübernahme ein Phänomen, das durch verschiedene Parameter und einer temporalen Ausdehnung gekennzeichnet war. Ohne darüber zu reflektieren und sich selbst dessen bewusst gewesen zu sein, fokussierte Pfeil die „Machtergreifung“ (Kapitel 6.1) sehr stark auf die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, ohne das Phänomen adäquat auf Heide zu beziehen. Doch trotz dieser Mängel beginnt er, ohne diesen Ansatz für Heide fruchtbar zu machen, in dem Kapitel zur „Machtergreifung“ die Verordnungen vom 4. Februar und vom 28. Februar anzuführen. (Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 393-402) 32
Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 236.
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Mit dem Milieu konnten sie die Menschen, die sich den Nationalsozialisten anschlossen, binden, indoktrinieren und kontrollieren – das war i.d.R. auf Mitglieder des konservativen Milieus beschränkt. Die Schaltstellen der Macht waren dementsprechend notwendig, um die lokal ausgeübte Macht auf die gesamte lokale Bevölkerung auszudehnen, also auf den Teil der Bevölkerung, der sich nicht aus eigenem Antrieb den Nationalsozialisten anschloss. Für die erste Form war dabei das Engagement lokaler Funktionseliten bzw. Honoratioren für die NSDAP oder einer ihrer Organisationen notwendig, während es für die zweite Form eine günstige Voraussetzung darstellte. Eine Voraussetzung für die Erlangung der lokalen Schaltstellen der Macht – wie das Amt des Bürgermeister mit seiner Funktion des Vorsitzes über die Ortspolizeibehörde – war die „Herrschaft“ auf Reichsebene, wodurch die lokalen Protagonisten in die Lage versetzt wurden, mithilfe des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die lokalen Schaltstellen der Macht zu besetzen. Betrachtet man diesen Prozess auf lokaler Ebene, so umfasste der Zeitraum der Machtdurchsetzung die Jahre 1928 bis 1933 – also vom Emportreten der NSDAP aus der politischen Bedeutungslosigkeit (s. Heide) bis zur Durchsetzung der Macht in der lokalen Gesellschaft im Sommer 1933.
3. B ESTIMMUNG DES U NTERSUCHUNGSZEITRAUMS (1928-1933) In den Ausführungen zur Definition der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung wurde der Beginn der Machtdurchsetzung durch das Emportreten der NSDAP aus der politischen Bedeutungslosigkeit für das Jahr 1928 datiert. Dieser Aspekt bietet einen ersten Orientierungspunkt für den Beginn der Studie und deutet gleichzeitig eine notwendige zeitliche Eingrenzung an. Die Begrenzung des zu betrachtenden Zeitraums ist zur notwendigen und hinreichenden Erfassung von Phänomenen, die die Machtdurchsetzung der Nationalsozialisten ermöglichten, unabdingbar, um der durch den Vergleich gegebenen Menge an Quellen, den damit verbundenen Informationen sowie der nahezu unüberschaubaren Masse an Forschungsliteratur in adäquatem Maße gerecht zu werden. Ein solches Vorgehen wird jedoch um den Preis der Vakanz der Erforschung längerfristig wirkender Phänomene und deren Auswirkungen erkauft, die – so Wehler – „wesentliche Erfolgsbedingungen für das Vordringen“ der Nationalsozialisten waren. Hierzu gehören die Kriegsniederlage mit ihren desillusionierenden Auswirkungen, das Ende der Monarchie und der Übergang zur „ungeliebten“ Republik, der in Teilen der Bevölkerung nicht akzeptierte Versailler Friedensvertrag und die mit diesem verbundenen Reparationszahlungen und Gebietsabtretungen, die Reduktion des Mi-
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litärs, die Rheinlandbesetzung und die Auswirkungen der Hyperinflation ebenso 34 wie „historische Wurzeln auf regionaler Ebene“. Einem möglichen Vorwurf, mit der Vakanz dieser Aspekte grundlegende Bedingungen für die Durchsetzung der Nationalsozialisten in einer Gesellschaft nicht beachtet zu haben, kann dadurch begegnet werden, dass anhand der Quellen die Themen aufgearbeitet werden, die die Menschen während des Untersuchungszeitraums bewegten. Das bedeutet, dass dann, wenn ein Thema oder Aspekt aus der Zeit vor dem Untersuchungszeitraum relevant war oder wurde, er auch während der Untersuchungszeit anhand der Quellen zu rekonstruieren ist. Das gilt z.B. für den Versailler Friedensvertrag, die Aufhebung der Besetzung des Rheinlands oder die distanzierte Haltung gegenüber der Republik. Nach diesen Prolegomena gilt es, sich einer Konkretion des Zeitraums zuzuwenden, bei der sowohl der Anfang als auch das Ende des Untersuchungszeitraums zu bestimmen ist. Ein erster Bezugspunkt der zeitlichen Eingrenzung ist bereits genannt worden. Zur weiteren Legitimation des Jahres 1928 als Ausgangsjahr der Untersuchung bietet sich ein Blick auf die in der Forschung vorhandene Phasierung der Weimarer Republik an. Deren Geschichte wird in drei Zeiträume gegliedert, die sich jedoch ein wenig unterscheiden, was exemplarisch anhand der durch Kolb und Henning vorgenommenen Einteilung zu veranschaulichen ist. Während bei beiden für die erste und zweite Phase der Weimarer Republik noch eine relative Kongruenz existiert, ist hinsichtlich der dritten Phase eine Differenz festzustellen, die darin besteht, dass Kolb die letzte Phase erst 1930 beginnen lässt und Henning dagegen bereits 35 1929. Auf den ersten Blick kann die Differenz möglicherweise dadurch erklärt werden, dass Kolb eher eine politikgeschichtliche und Henning eine wirtschaftsgeschichtliche Perspektive bevorzugte. Damit ist aber das sich daraus ergebende Dilemma für die Terminierung des Beginns der vorzunehmenden Untersuchung nicht gelöst und es wird sich zeigen, dass die zeitliche Differenz bei einer politikgeschichtlichen und wirtschaftsgeschichtlichen Perspektive nicht zwingend ist. Dazu ist es notwendig, sich der Terminierung des Untersuchungsbeginns systematisch zu nähern. Hierfür bietet sich ein Rekurs auf den theoretischen Bezugsrahmen der Di36 mensionen Herrschaft, Wirtschaft und Kultur an, die sich in der gewählten Nut-
33
Wehler, Der Nationalsozialismus, S. 5. Bracher, Die nationalsozialistische Machter-
34
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 1. S. hierzu: Heinemann, Die Last der Vergangenheit,
greifung, S. 38-57. S. 371-387. 35
Kolb, Die Weimarer Republik, S. 112. Henning, Das industrialisierte Deutschland 1914
36
Auf eine Berücksichtigung der Dimension der sozialen Ungleichheit kann hier verzich-
bis 1986, S. 90. tet werden, da sie ein Surrogat der drei Basisdimensionen darstellt, das aus dem Zu-
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zung der Milieu-Konzeption wiederfinden, aber in der Studie nicht als tragende Konzeption genutzt werden. Bei der Verwendung der genannten Dimensionen – und das erweist sich aufgrund des durch die Definition der Machtdurchsetzung genannten Zeitraums als günstig – kann das Jahr 1928 als Anfang der Untersuchung festgelegt werden, da in den genannten Dimensionen in diesem Jahr Veränderung zu konstatieren sind, die sich entweder zum Teil erheblich von der vorherigen Entwicklung abhoben oder die eine Endphase einleiteten. So ist auf der politischen Ebene, die zur Dimensionen Herrschaft gehört, die Reichstagswahl und in deren Folge die Bildung einer neuen Regierung unter dem Reichskanzler Hermann Müller, die die letzte parlamentarische Regierung der 37 Weimarer Republik sein sollte, zu nennen. Die Regierung Müller bestand aus einer großen Koalition (SPD, DDP, Zentrum, DVP und BVP), die zunächst als „Kabinett der Persönlichkeiten“ firmierte und formal ab April 1929 als große Koalition 38 bezeichnet wurde. Darüber hinaus lassen sich für die NSDAP bei der Wahl erstmals erhebliche Stimmengewinne und gute Ergebnisse auf lokaler beziehungsweise regionaler Ebene feststellen – so hat die NSDAP an der Westküste SchleswigHolsteins in Norderdithmarschen 18,1 % und in Süderdithmarschen 17,8 % der 39 Stimmen erhalten, obgleich sie auf Reichsebene nur 2,6 % bekam. Im Rahmen der Dimension Kultur, zu der der literarisch publizistische Markt gehört, ist ab 1928 eine Tendenz zur Zunahme von Publikationen zu den Themen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, in deren Titel der Begriff „Krise“ oder „Krisis“ enthalten sei, festzustellen. Während die Anzahl der Publikationen bis 1927 konstant bei 15 blieb, stieg sie 1928 auf 20 an, um bis 1931 um mehr als das Doppelte empor zu schnellen und 1932 mit 79 Publikationen den Höhepunkt zu fin40 den. Auf dieser Basis liegt die Vermutung nahe, dass die Zeitgenossen diese Phase des Lebens als Krise wahrgenommen haben. Bei einer Betrachtung der wirtschaftlichen Dimension muss man für Land- und Kleinstädte die 1928 ihren Höhepunkt findenden Agrarkrise berücksichtigen, da in
sammenwirken von Macht- und Herrschaftsverteilung, ökonomischer Lage und dem kulturellen Aspekt entsteht. (Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd. I, S. 11.) 37
Vgl.: Fenske, Wahlen, S. 319. Becker, Heinrich Brüning, S. 206.
38
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 288. Vgl.: Wirsching, Weimar, S. 31.
39
Winkler[Hrsg.], Die deutsche Staatskrise 1930-1933, S.476. vgl.: Mommsen, Aufstieg, S. 383. Thamer, Der Nationalsozialismus, S. 25.
40
Föllmer, Die Kultur der Krise, S.10. Die Daten wurden auf der Basis des „Altbestandskatalog“ der Staatsbibliothek preußischer Kulturbesitz durchgeführt und lassen nur tendenzielle Aussagen zu, wie es bei den Quantifizierungen der „intellectual history“ die Regel sei. (Föllmer, Die Kultur der Krise, S.10, Anm.7.)
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diesem Jahr nicht nur die Auswirkungen massiv spürbar waren, sondern da sich bei den Bauern auch ein „berufsständisches Bewusstsein“ entwickelte, das durch die Bildung bäuerlicher Notgemeinschaften im Norden und Osten des Reichs deutlich wurde. Diese bäuerlichen Notgemeinschaften agierten in der Weise, dass sie Steuerboykotte betrieben und „Abweichler aus den eigenen Reihen“ durch „Sozialboy41 kott“ ausgrenzten. In der Folge der Bildung der Notgemeinschaften wurde ein gemeinsames Feindbild geschaffen, um einen Verantwortlichen für die Misere zu 42 benennen. Dieses war der Staat mit seinen überhöhten Steuerforderungen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich also, dass das Jahr 1928 als Ausgangspunkt einer Untersuchung, die der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung nachgehen will, gewählt werden kann. Darüber hinaus können exemplarisch die Arbei43 ten Höners zum nationalsozialistischen Zugriff auf Preußen, Bräunches zum Weg 44 der badischen NSDAP zur „Macht“, Schnabels zur württembergischen 45 46 NSDAP, Schönhagens zur Landespolitik der NSDAP in Württemberg und All47 geiers zur badischen Wirtschaft als Präzedenzfälle angeführt werden, deren Be48 trachtungen alle mit dem Jahr 1928 beginnen. Ebenso wie für den Beginn der Untersuchung muss deren Ende terminiert werden. Aufgrund der Fragestellung ist dieses jedoch nicht mit den gleichen Indikatoren, die bereits für den Untersuchungsbeginns genutzt wurden, möglich. Deshalb
41
Pyta, Wolfram, Ländlich-evangelisches Milieu und Nationalsozialismus, S.205. vgl.:
42
Pyta, Wolfram, Ländlich-evangelisches Milieu, S.205.
43
Höner, Sabine, Der nationalsozialistische Zugriff auf Preußen. Preußischer Staat und
44
Bräunche, E.O., Die NSDAP in Baden 1928-1933. Der Weg zur Macht, in: Schnabel,
Fallada, Bauern, Bonzen und Bomben, Reinbek bei Hamburg,1964, S. 18.
nationalsozialistische Machteroberungsstrategie 1928-1934, Bochum 1984. Th.[Hrsg.], Die Machtergreifung in Südwestdeutschland. Das Ende der Weimarer Republik in Baden und Württemberg 1928-1933, Stuttgart 1982, S.15-48. 45
Schnabel, Th., Die NSDAP in Württemberg 1928-1933. Die Schwäche einer regionalen Parteiorganisation, in: ders.[Hrsg.], Die Machtergreifung in Südwestdeutschland. Das Ende der Weimarer Republik in Baden und Württemberg 1928-1933, Stuttgart 1982, S. 49-81.
46
Schönhagen, B., Zwischen Verweigerung und Agitation: Landespolitik der NSDAP in Württemberg 1928/29-1933, in: Schnabel, Th.[Hrsg.], Die Machtergreifung in Südwestdeutschland. Das Ende der Weimarer Republik in Baden und Württemberg 19281933, Stuttgart 1982, S. 82-112. Vgl.: Paxton, Anatomie des Faschismus, S. 98-103.
47
Allgeier, R., Grenzland in der Krise. Die badische Wirtschaft 1928-1933, in: Schnabel, Th.[Hrsg.], Die Machtergreifung in Südwestdeutschland. Das Ende der Weimarer Republik in Baden und Württemberg 1928-1933, Stuttgart 1982, S.150-183.
48
Für Schleswig-Holstein vgl.: Heilbronner, The Role of Nazi Antisemitism, S.431-432.
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bietet sich im ersten Schritt ein Rekurs auf die Forschungslage an, aus dem sich als Ende der Weimarer Republik das Jahr 1933 ergibt; denn die Ausführungen zur Weimarer Republik enden i.d.R. in diesem Jahr, während Arbeiten zum NS-Staat 49 oder zur Diktatur der Nationalsozialisten in diesem Jahr beginnen. Dieses Phänomen ist ein erstes Indiz dafür, für das Ende der Untersuchung eine Fokussierung auf das Jahr 1933 vorzunehmen – doch: wann ist der Endpunkt dezidiert zu setzen und warum? Greift man zur Beantwortung des ersten Teils der Frage auf Forschungsergebnisse zurück, dann findet sich bei Evans der Hinweis, dass „Hitler… 50 seine Machtübernahme im Sommer 1933 abgeschlossen hatte“. Das von Evans angesprochene Ende dürfte – und dabei handelt es sich um Indikatoren, die eine Beantwortung des zweiten Teils der Frage ermöglichen – darauf beruhen, dass mit der Übernahme des Amts des Reichskanzlers durch Hitler, mit der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des deutschen Volkes (4.2.), mit der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (28.2.), mit der Gleichschaltung der Länderregierungen (5.-10.3.), mit dem Gesetz zur Behebung der Not von Volk
49
Exemplarisch sind neben den o.a. Untersuchungen anzuführen: Schulze, H., Weimar. Deutschland 1917-1933, Berlin/Darmstadt/Wien 1982. Bracher, K.D.; Funke, M.; Jacobson, H.-A.[Hrsg.]; Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik – Wirtschaft – Gesellschaft, 2. Durchgesehene Auflage, Bonn 1988. Kolb, Die Weimarer Republik, 6., überarbeitete und erweiterte Auflage, München 2002. Blasius, D., Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930-1933, Göttingen 2005. Kluge, U., Die Weimarer Republik, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006. Wirsching, A., Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, München 2000. Pyta, W., Dorfgemeinschaft und Parteipolitik 1928-1933. Die Verschränkung von Milieu und Parteien in den protestantischen Landgebieten Deutschlands in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1996. Bracher, K.D., Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, zweite, verbesserte und erweiterte Auflage, Stuttgart/Düsseldorf 1957. Bracher; Schulz; Sauer; Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Bd.1: Stufen der Machtergreifung. Benz, W., Geschichte des Dritten Reichs, gekürzte Taschenbuchausgabe, 2. Auflage, München 2003. Broszat, M., Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, 15. Auflage München 2000. Hildebrand, K., Das Dritte Reich, 6., neubearbeitete Auflage, München 2003. Thamer, H.-U., Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945, Berlin/Darmstadt/Wien 1986. Frei, N., Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, 7. Auflage, München 2002. Pfeil, Vom Kaiserreich ins Dritte Reich. Heide 1890 – 1933, Heide 1997. Bauer, K., Nationalsozialismus, Wien/Köln/Weimar2008. Kißener, M.[Hrsg.]; Der Weg in den Nationalsozialismus 1933/34, Darmstadt 2009.
50
Evans, Das Dritte Reich. Bd. II/1 und 2, S.1.
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und Reich (23.3.), mit der Selbstauflösung bzw. dem Verbot der Parteien (Juni/Juli 1933) nicht nur die Machtdurchsetzung, sondern auch deren erste Stabilisierung 51 stattgefunden hat. Denn durch die im Anschluss an die Übernahme des Reichskanzleramts durch den „böhmischen Gefreiten“ durchgeführten Maßnahmen wurde einerseits die Macht der Nationalsozialisten sukzessive ausgebaut und andererseits der politische Gegner allmählich ausgeschaltet – bis zum endgültigen Ausschluss durch das Parteienverbot im Juli 1933. Damit war im Juli 1933 für die Nationalsozialisten kein ernst zu nehmender politischer Gegner mehr vorhanden, der sie an der Ausübung ihrer Macht hätte hindern können. Dementsprechend stellt der Juli 1933 das Ende 52 der Untersuchung zur Durchsetzung der Nationalsozialisten und ihrer Macht dar.
4. Q UAKENBRÜCK
UND H EIDE ALS B EISPIELE DER NATIONALSOZIALISTISCHEN M ACHTDURCHSETZUNG B EGRÜNDUNGEN ZUR O RTSAUSWAHL
–
In den bisherigen Ausführungen sind bereits die Namen der beiden Städte, die im Rahmen der Studie untersucht werden, genannt worden – nämlich die im damaligen Kreis Norderdithmarschen gelegene Kleinstadt Heide und die im Kreis Bersenbrück gelegene Landstadt Quakenbrück. Heide lag in der preußischen Provinz SchleswigHolstein und Quakenbrück in der preußischen Provinz Hannover. Die beiden Orte eignen sich für eine Untersuchung der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung, weil sie auf der Basis der bisherigen Forschungsdefizite eine systematische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung in nordbzw. nordwestdeutschen, protestantisch geprägten Land- und Kleinstädten ermöglichen. Mit diesen beiden Städten kann zwar keine flächendeckende Untersuchung wie im Rahmen des Bayern-Projekts bzw. des Projekts zur Erforschung der NS Volksgemeinschaft in Niedersachsen, das derzeit noch nicht abgeschlossen ist, vorgenommen werden, aber der systematische, vergleichende Ansatz der Studie erlaubt unter Einbeziehung der bisherigen Forschungsergebnisse auch den Anspruch, die Erkenntnisse der Forschung zur nationalsozialistischen Machtdurchsetzung voran53 zubringen. Die bisherigen Erkenntnisse sind dabei nicht von der vorliegenden Arbeit zu trennen, was allein schon anhand der Ortsauswahl darzulegen ist. Denn in der Forschung heißt es immer noch, dass der ländlich geprägte Protestantismus an-
51
Vgl.: Broszat, Der Staat Hitlers, S. 82-151. Frei, Der Führerstaat, S. 43-96.
52
Vgl.: Bracher, Stufen totalitärer Gleichschaltung, S. 38.
53
Vgl.: Bösch, Das konservative Milieu, S. 18.
Thamer, Der Nationalsozialismus, S. 14.
T EIL I: E INLEITUNG
| 35
54
fällig für die Nationalsozialisten gewesen sei. Das bedeutet für die Ortsauswahl, dass es Orte auszusuchen galt, die sowohl ländlich als auch protestantisch geprägt waren. Zudem mussten die Orte über eine einigermaßen adäquate Quellenlage – z.B. durch die Existenz von Lokalzeitungen – verfügen, die eine Rekonstruktion der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung möglich machten. Aus diesen Aspekten folgt eine Fokussierung auf die Kategorie der Land- und Kleinstädte, die, wenn man sich die Angaben des Statistischen Jahrbuchs des Deutschen Reichs ansieht, die häufigste Form der Verstädterung bildeten. Als Formen der Verstädterung gab es – nach quantitativer Größe – Land-, Klein-, Mittel- und Großstädte, wobei die Land- und Kleinstädte einen Anteil von 92,4 % an der An55 zahl der vorhandenen Städte hatten. Heide gehörte mit seinen 10621 Bewohnern im Jahr 1925 und mit seinen 11801 im Jahr 1933 zur Kategorie der Klein- und Quakenbrück mit seinen 4573 Einwohnern im Oktober 1930 zur Kategorie der 56 Landstädte. Obwohl diese differierenden Ortsgrößen zunächst die Frage aufkommen lassen, ob die beiden Städte aufgrund ihrer unterschiedlichen Einwohnerzahl überhaupt vergleichbar sind, muss man hier anmerken, dass dem durchaus so ist, da es sich trotz der divergierenden Größe um ländlich geprägte Städte handelte. Das ergibt sich im Fall Quakenbrücks nicht nur aus der Kategorie der Landstadt, sondern ebenso aus seiner relativen Verbundenheit mit dem agrarischen Umland. Dieses Charakteristikum ist auch für Heide zu konstatieren. Denn immerhin waren 10,2 % der Heider Bürger in der Landwirtschaft tätig und darüber hinaus wurde Heide einerseits als Absatzmarkt ländlicher Produkte genutzt und andererseits diente die Stadt „zur Beschaffung notwendiger Güter für die Bewirtschaftung der landwirt57 schaftlichen Betriebe“, wodurch auch die gegenseitige ökonomische Abhängigkeit zum Ausdruck gelangte. Hierbei handelte es sich um ein Phänomen, das auch für Quakenbrück gelten kann, da – so Menke – „die sozialen und ökonomischen Verhältnisse von Handwerk und Kleingewerbe – wie auch des Handels –, sehr eng mit den jeweiligen Prosperitäts- oder Krisensituationen des vorwiegend landwirt58 schaftlich strukturierten Umlandes verknüpft waren“. Rekurriert man im Anschluss an die Betrachtung zur ländlichen Komponente an die der Konfession, des Protestantismus, dessen Mitglieder anfällig für die Natio-
54
Vgl.: Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 13. Falter, Hitlers Wähler, S. 177.
55
Landstädte: 2249. Kleinstädte: 920. Mittelstädte: 216. Großstädte: 45. (Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reichs 1929, Bd. 1928, S. 8-9.)
56
StA Hei II/78. Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 20. BT 6.12.1930. BK 7.12.1930.
57
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 13.
58
Menke, Die Endphase der Weimarer Republik, S. 32.
AA 6.12.1930.
36 | DIE NATIONALSOZIALISTISCHE M ACHTDURCHSETZUNG IN KLEINSTÄDTEN
nalsozialisten waren, so ist bei einer Betrachtung der konfessionellen Verteilung der beiden Untersuchungsorte zu erkennen, dass Heide mit einem Anteil von 95,3 % an 59 Protestanten – bei der gleichzeitigen ländlichen Ausprägung – einen hohen Stimmenanteil für die NSDAP erwarten lässt. Damit entspricht die Auswahl Heides der Vorstellung, dass sich in einem Ort, in dem die Bedingungen für die Nationalsozialisten gut gewesen zu sein schienen, die Faktoren für die nationalsozialistische 60 Entwicklung und Machtdurchsetzung besonders gut herausarbeiten lassen. Der Anteil der Protestanten in Quakenbrück war mit 61,1 % im Jahr 1928 deutlich geringer als in Heide. Dementsprechend war der Anteil der Katholiken mit 37,6 % höher als in Heide, wo deren Bestand nur 1,5 % der Bevölkerung ausmachte. Die Juden bildeten in Quakenbrück ca. 1 % der Bevölkerung und waren in Heide nur 61 mit 0,02 % vertreten. Entsprechend des unterschiedlichen Anteils der Protestanten in Heide und Quakenbrück verwundert – auf der Basis der bisherigen Forschungsergebnisse – der deutlich höhere Anteil der NSDAP bei den Wahlen in Hei62 de nicht. Wenn man sich nach diesen Ausführungen abschließend die soziale Struktur der beiden Orte ansehen will, weil dieses in der Forschung – auch bei den Wahlanalysen – immer wieder thematisiert wird, so stößt man auf unüberwindbare Schwierigkeiten, da Daten zur Sozialstruktur für Heide zwar vorliegen, für Quakenbrück – trotz der Unterstützung der verschiedenen Archive, bis hin zum Bundesarchiv in Berlin – aber keine adäquaten Daten ausgehoben werden konnten. Das führt – nach einer Darstellung der Sozialstruktur Heides – dazu, für Quakenbrück darauf zu verweisen, dass in diesem Ort im Gegensatz zu Heide mehrere Fabriken existierten. Die Sozialstruktur der Heider Bevölkerung bestand aus 36,2 % Arbeitern, 23,1 % Selbstständigen, 17,3 % Angestellten, 8,6 % Mithelfenden Familienangehörigen, 63 7,7 % Beamten und 7,0 % Hausangestellten. Für Quakenbrück ist festzuhalten, dass neben der Verbindung mit der Landwirtschaft ein höherer Anteil an Arbeitern – im Vergleich zu Heide – vorhanden gewesen sein dürfte, da Fabriken existierten. Als Fabriken führt Menke die Bürstenfabrik Schade und Co, die Lederfabrik von B. 64 Heye und die Nordwestdeutsche Metallwarenfabrik auf.
59
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 20.
60
Vgl.: Bösch, Das konservative Milieu, S. 19.
61
StAOs Dep. 50b II Nr.86. (Zit. nach: Rogge, Quakenbrücks Weg ins „Dritte Reich“, Anm. 27, S.487.)
62
S. hierzu die Ausführungen zu den jeweiligen Wahlergebnissen in den einzelnen Tei-
63
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 18.
64
Menke, Die Endphase der Weimarer Republik, S. 37.
len.
T EIL I: E INLEITUNG
5. T HESE
UND
K ONZEPTION
DER
| 37
ARBEIT
Die vorliegende zentrale These der Studie stellt das Ergebnis der Aufarbeitung der lokalen Verhältnisse und des Vergleichs derselben in Quakenbrück und Heide dar – sie lautet: Die nationalsozialistische Machtdurchsetzung wäre ohne das Engagement lokaler Funktionsträger bzw. Funktionseliten für nationalsozialistische Organisationen und ohne die Herrschaft auf Reichsebene in nord- bzw. nordwestdeutschen Land- und Kleinstädten nicht möglich gewesen. Mit dem Engagement lokaler Funktionsträger für nationalsozialistische Organisationen wird gleichzeitig die Notwendigkeit eines nationalsozialistischen Milieus auf lokaler Ebene für den Machtdurchsetzungsprozess deutlich. Dass insbesondere das Engagement lokaler Funktionseliten als politische Akteure von entscheidender Bedeutung für die Durchsetzung nationalsozialistischer Macht auf lokaler Ebene darstellte, wird in aggregierter Form in Teil II der Studie durch deren Einbindung in Milieus und ihre Bedeutung für den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess deutlich. Der Teil II der Studie, dem mit dem Teil I die Grundlagen der Arbeit vorangestellt werden, umfasst die durch den Vergleich zwischen Quakenbrück und Heide als allgemeingültig abgeleiteten Aspekte des Politischen in protestantisch geprägten Land und Kleinstädten Nord- bzw. Nordwestdeutschlands. Dazu gehören die gesellschaftlichen Fragmentierungen, die in der Studie durch das Milieu-Konzept fassbar gemacht werden, ebenso wie soziale Bindungen und die politischen Mechanismen inklusive des politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess. Da an diesem Prozess auch die lokalen Zeitungen beteiligt waren, galt es auch deren Bedeutung sowie das lokale Pressklima zu berücksichtigen. Mit dem Teil III beginnt der empirische Bereich der Studie, in dem die in Teil II abstrahierten Aspekte ihre Konkretion anhand der Orte Quakenbrück und Heide erfahren. Um diese für den Leser nachvollziehbar und stringent werden zu lassen, mussten Schwierigkeiten, die sich sowohl aus den Ähnlichkeiten und Unterschieden bei der Entwicklung des Nationalsozialismus als auch aus den Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten der Phänomene ergaben, gelöst werden Eine Lösung stellt die vorliegende Konzeption dar, bei der die temporale Achse die oberste Ordnungskategorie bildet, an der sich die Kapiteleinteilungen orientieren. Deren Einteilung ist hierbei an den Reichstagswahlen ausgerichtet, da diese die Möglichkeit bieten, Modifikationen der politischen Einstellungen anhand der Wahlen zu rekonstruieren und dadurch gleichzeitig erste Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Untersuchungsorten festzustellen. Das gilt auch für die nächste Subkategorie von Kapiteln, die – mit partiellen Ausnahmen – aus den die nationalsozialistische Entwicklung fördernden bzw. hemmenden Faktoren besteht. Wenn hier von partiellen Ausnahmen gesprochen wird, dann ist darauf hinzuweisen, dass solche Ausnahmen dann vorgenommen werden, wenn die zu berücksichtigende
38 | DIE NATIONALSOZIALISTISCHE M ACHTDURCHSETZUNG IN KLEINSTÄDTEN
Entwicklung oder das zu berücksichtigende Phänomen für den temporalen Abschnitt entweder wie bei dem Kapitel „Die Heider Nationalsozialisten auf dem Weg zum eigenen Milieu (1931 – Sommer 1932)“ eine so zentrale Bedeutung besaß, dass eine Unterordnung dem nicht gerecht würde, oder, dass eine eindeutige Zuordnung zu fördernden bzw. hemmenden Faktoren wie im Fall des Kapitels „Zur (Un)Wirksamkeit des Uniform- und SA-.Verbots“ nicht möglich ist. Diese Konzeption wird bis zum letzten Teil des empirischen Bereichs, Teil VII, verfolgt, bevor in Teil VIII die vergleichenden Schlussbemerkungen, von den lokalen Entwicklungen und einen Vergleich derselben ausgehend, auf einen Vergleich mit katholischen Städten und deren Entwicklung ausgedehnt wird, um dadurch ein weiteres Forschungsfeld zu eröffnen.
6. Q UELLENLAGE
UND
Q UELLENKRITIK
Nach den bisherigen Ausführungen ist es nun an der Zeit, sich der Grundlage der Erkenntnis, den Quellen, aus denen die Erkenntnisse gewonnen werden, zuzuwenden. Dabei fällt unmittelbar auf, dass der amtlich überlieferte Bestand – sowohl für Heide als auch für Quakenbrück – als dürftig zu betrachten ist. Das verwundert jedoch nicht, wenn man bedenkt, dass die amtliche Überlieferung nach dem 8. Mai 1945, also nach dem Tag der deutschen Kapitulation, für viele zur Belastung geworden wäre, da durch die amtliche Überlieferung die Verstrickungen einzelner in das NS-System und ihre dortigen Handlungen bzw. Positionen nachweisbar geworden wären. Das führte gegen Ende des Kriegs in Heide dazu, so die dortige Leiterin des Heider Stadtarchivs, Frau Dr. Lubitz, dass „Waggonweise“ Akten und Materialien des NS-Systems und der Organisationen verbrannt wurden. Ob ein vergleichbares Verfahren in Quakenbrück angewandt wurde, muss offen bleiben, da der Verbleib des Aktenbestands nicht geklärt ist. Es gibt lediglich kolportierte Gerüchte, die besagen, dass die Akten in irgendwelchen ominösen Kellern der Stadt eingemauert worden sein sollen oder dass der Bestand zunächst auf dem Dachboden des Rathauses aufbewahrt und dann zur weiteren Archivierung dem Staatsarchiv in Osnabrück übergeben worden sei. Dem Staatsarchiv in Osnabrück sind jedoch keine adäquaten Aktenbestände aus der NS-Zeit bzw. aus dem Untersuchungszeitraum bekannt. Wollte man also auf dieser Basis eine Untersuchung der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung durchführen, so müsste ein solches Vorhaben unmittelbar scheitern. Allerdings ist auch die Frage zu stellen, ob alleine mit der amtlichen Überlieferung eine Untersuchung der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung ermöglicht wird. Denn das, was in dieser Studie besonders in den Fokus der Untersuchung gelangt, die lokale Gesellschaft mit ihren Milieus, deren Organisationen und den politischen Interessenvertretern sowie deren mentalen Dispositionen, wäre wohl kaum anhand der amtlichen Überlieferung in einem adäquaten Maße aufzuar-
T EIL I: E INLEITUNG
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beiten gewesen. Nicht zuletzt aus diesem Grund musste der Quellenfundus ausgeweitet werden und er erstreckt sich über die amtliche Überlieferung hinaus auf die Überlieferung der lokalen und Kreis-Kirchenarchive. Hierzu gehören für Heide und für Quakenbrück sowohl die Archive der evangelischen als auch der katholischen Kirchengemeinden, wobei die katholische Kirchengemeinde in Heide für die Entwicklung keine Bedeutung besaß, da es sich um eine kleine „Diasporagemeinde“ handelte. Diese Archive und ihre Überlieferungen reichten aber immer noch nicht aus, um dem durch die Studie gewählten Ansatz gerecht zu werden, so dass es der Aushebung eines weiteren Quellentyps bedurfte, der über die lokalen Gegebenheiten, über die Vereine und Verbände sowie über die Parteien Auskunft geben kann. Ein solcher Quellentyp besteht aus den lokalen Zeitungen, die in ihrem Lokalteil über lokale Ereignisse berichteten und aus deren Berichten Entwicklungen, Ereig65 nisse und mentale Dispositionen deutlich werden. In Heide übernahm diese Funktion der Heider Anzeiger und in Quakenbrück die Bersenbrücker Tageszeitung, das Bersenbrücker Kreisblatt und der Artländer Anzeiger – wobei die letzten beiden 66 Zeitungen in der Hand einer Familie waren. Die Nutzung dieses Quellentyps ist nicht unproblematisch, da die lokalen Zeitungen politische Präferenzen besaßen. Mit der Präferenz war auch verbunden, dass die Zeitungen bzw. die diese erstellenden Personen Informationen „selektieren, … interpretieren und bewerten“ und auf diese Weise „ein Weltbild“ entwerfen, „das 67 den sozialen und politischen Bedürfnissen der Mediennutzer entgegenkommt“. Dadurch übernahmen die Tageszeitungen im Allgemeinen das, was Bösch als „Deutungsinstanz“ der lokalen Zeitungen bezeichnet. Doch bleibt er für den lokalen Rahmen nicht bei dieser Variante stehen, sondern er fügt den Lokalzeitungen die Funktion „Sprachrohr“ hinzu, die besonders dadurch zum Ausdruck kommt, dass „die Lokalpresse … häufig unkommentiert direkt die Artikel der Vereinswelt“ 68 übernahm. Das kann für die Untersuchungsorte jedoch nicht nur für die „Ver-
65
Vgl.: Kraus, Zeitungen, Zeitschriften, Flugblätter, Pamphlete, S. 392-393. Bösch, Das
66
Weitere Informationen zu den Zeitungen s. Teil II Kap. 7: Die Bedeutung der Lokalzei-
konservative Milieu, S. 102. Reeken, Ostfriesland zwischen Weimar und Bonn, S. 10. tungen und des Presseklimas für die politische Meinungs- und Willensbildung. 67
Schulz, Politische Kommunikation, S. 76.
68
Bösch, Das konservative Milieu, S. 100. Hier ist jedoch anzumerken, dass selbst dann, wenn die Berichte direkt abgedruckt wurden, die angefertigten Berichte der Vereine und Verbände unter dem Aspekt der „Öffentlichkeitsarbeit“ zu betrachten sind und dass „jede kommunikative Handlung auf der Entscheidung, was sie mitteilt und was sie nicht mitteilt“, beruht. (Arlt, Verbandsführung und Öffentlichkeitsarbeit, S. 95-111, hier: S. 95. Vgl.: Schulz, Politische Kommunikation, S. 51.) Das bedeutet, dass hier bereits ein Selektionsprozess erfolgt.
40 | DIE NATIONALSOZIALISTISCHE M ACHTDURCHSETZUNG IN KLEINSTÄDTEN
einswelt“ konstatiert werden, sondern auch z.T. für politische Parteien, wie es am Beispiel eines von der NSDAP eingesandten Berichts zu erkennen ist, der am 24. Dezember 1932 im Heider Anzeiger unter dem Titel „Die NSDAP. bereitet ihren Arbeitslosen eine Weihnachtsfreude“ mit der Einleitung „Uns wird mitgeteilt:“ be69 ginnt. Aufgrund dieser Äußerungen lässt sich die Glaubwürdigkeit der Zeitungsquellen sicherlich anzweifeln, da die Organisationen und Parteien, die das Medium der lokalen Zeitung als Sprachrohr nutzten, insgesamt an einer positiven Außendarstellung interessiert waren. Das bedeutet, dass es eine Intentionalität in der Berichterstattung gab, die, wenn man von den Parteien ausgeht, auf die Zielgruppen ausgerichtet war, „bei denen sie [die Parteien, CP] sich am ehesten mit ihren Positionen 70 Unterstützung“ erhoffen konnten. Dadurch lässt sich aber wiederum sowohl die mentale Disposition der jeweiligen Partei als auch die der von ihr präferierten Zielgruppe rekonstruieren. Zudem wird durch das Bewusstsein der Intentionalität der Quellen ein Ansatz zum kritischen Umgang mit denselben geschaffen, der an dieser Stelle nur allgemeingültig expliziert werden kann und der seine Konkretisierung in der Auseinandersetzung mit jeder einzelnen Quelle erfährt. Denn bei der Beschäftigung mit den einzelnen Quellen werden diese nicht nur unter dem fokussierten Forschungsinteresse nach einem der qualitativen Inhaltsanalyse angenäherten Verfahren ausgewertet, sondern auch im Nexus mit ihrer sozialen und historischen Bedingtheit kontextualisiert. Den historischen Kontext und die dazu gehörige Forschungsliteratur möglichst umfangreich zu kennen und zu berücksichtigen, ist die Aufgabe des Forschers, der dadurch in die Lage versetzt wird, „Aussagen des in Frage stehenden Textes mit den schon bekannten Tatsachen [zu, CP] vergleichen“, dadurch „Abweichungen und Besonderheiten“ zu generieren und mögliche „Irrtü71 mer“ und „Lücken“ aufzudecken. Solche Lücken konnten beispielsweise für die Überlieferung der Kommunisten in Heide nachgewiesen werden, indem auf die Parallelüberlieferung durch die Aktenbestände der Ortspolizeibehörde Veranstaltungen der Kommunisten zu rekonstruieren waren, über die der Heider Anzeiger sich 72 ausschwieg. Trotz des Bewusstseins des kritischen Umgangs mit den Quellen ist letztendlich dennoch zu konstatieren, dass man um ein gewisses Zugeständnis dessen, dass die 73 Quellen eine grundlegende Glaubwürdigkeit besitzen, nicht herum kommt. Dabei
69
HA 24.12.1932.
70
Kamps, Politisches Kommunikationsmanagement, S. 178.
71
Rohlfes, Interpretation sprachlicher Quellen, S. 118.
72
S. Teil II Kap. 7. Die Bedeutung der Lokalzeitungen und des Presseklimas für die poli-
73
Vgl.: Schulz, Politische Kommunikation, S. 76.
tische Meinungs- und Willensbildung.
T EIL I: E INLEITUNG
| 41 74
beruht dieses Zugeständnis nicht auf der von Jäckel explizierten Zeitproblematik, sondern auf der Problematik der Rekonstruktion dessen, was Menschen als Wirk75 lichkeit oder Realität betrachten. Da diese Thematik Anlass zu unzähligen Untersuchungsvorhaben war und eine adäquate Explikation an dieser Stelle nicht erfolgen kann, muss der Verweis auf diese Problematik hier ausreichen. Das vorgenommene Zugeständnis öffnet jedoch nicht einer willfährigen Willkür Tür und Tor, da die lokal und temporal gebundene Gesellschaft bzw. die sie bildenden Milieus und deren Mitglieder einem Regulativ bzw. Korrektiv gleich kamen. Wie engmaschig das Regulativ bzw. Korrektiv der Gesellschaft war, in der die lokalen Zeitungen ihren Absatz fanden, ist bereits dem Hinweis Böschs zu entnehmen, der davon spricht, dass dann, wenn „ein Verein bei den detaillierten Berichten über die Vereinsfeste irrtümlicherweise nicht genannt“ wurde, „seine Beteiligung 76 oft am nächsten Tage noch nachgetragen werden“ musste. Eine Ursache dafür dürfte in der Tatsache begründet gewesen sein, dass es sich bei den Lokalzeitungen 77 um privatwirtschaftliche Unternehmen handelte, die „geschäftliche Risiken“ eingingen, wenn sie sich in einer von der Leserschaft inakzeptablen Weise von deren Wahrnehmung der „Wirklichkeit“ entfernten.
74
Jäckel äußert, dass zwar grundsätzlich „das den Massenmedien entnommene Wissen“ anzuzweifeln ist, dass aber kaum die Zeit besteht, alles zu überprüfen. Dementsprechend sei „Glaubwürdigkeit … letztlich eine Frage des Vertrauens“. Jäckel, Medienwirkungen, S. 187.
75
Vgl. Schulzes Ausführung zur Konstruktion eines Weltbilds: Schulz, Politische Kom-
76
Bösch, Das konservative Milieu, S. 102.
77
Sarcinelli, Politische Kommunikation in Deutschland, S. 50.
munikation, S. 77.
Teil II
Die Basis des Politischen in norddeutschen, protestantisch geprägten Land- und Kleinstädten
1. M ILIEUS UND M ILIEUKONZEPT ALS ORDNENDE S TRUKTUREN DER G ESELLSCHAFT Bei der Aufarbeitung der Quellen zeigte sich, dass es notwendig war, ein Konzept zu nutzen, mit dem die durch die Quellen erkennbaren gesellschaftlichen Fragmentierungen der Untersuchungsorte, mit dem die politischen Vorstellungen und mit dem die politischen Akteure erfasst werden konnten. Mit den Aspekten der gesellschaftlichen Fragmentierungen, der politischen Vorstellungen und der politischen Akteure wurde indirekt bereits der Weg zur Nutzung eines Milieu-Konzepts eingeschlagen, wobei folgende Kriterien für die Studie zu beachten sind: Es gibt gemeinsame Organisationen, die eine Differenzierung in ein politisches 1 Milieu bzw. Parteimilieu und ein Organisationsmilieu ermöglichen, wobei letzteres weitergehend i.S. des Welskoppschen Milieu-Konzepts zu differenzieren ist, um die Bindungsintensitäten berücksichtigen zu können. Die Mitglieder eines Milieus kennzeichnen „gemeinsame Werthaltungen und 2 Mentalitäten“, auch wenn die Übereinstimmung mit diesen vom Ausmaß unterschiedlich sein kann.
1
Bösch, Das konservative Milieu., S. 11. Vgl.: Weichlein, Sozialmilieus, S. 15-16. Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 471. Schmiechen, Ackermann, Nationalsozialismus, S. 436, 438. Becker, Katholisches Milieu, S. 34.
2
Hradil, Soziale Ungleichheit, S. 45. Vgl.: Rössel, Sozialstrukturanalyse, S. 336. Becker; Nowak; „Es kommt der neue Konsument“, S. 14. (Zit. nach: Burzan, Soziale Ungleichheit, S. 105.) Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 438. Bösch, Das konservative Milieu, S. 11. Weichlein, Sozialmilieus, S. 16-17. Lösche; Walter;
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Aus den „gemeinsamen Werthaltungen und Mentalitäten“ folgt, dass die Veränderungen von „Milieustrukturen und -Zugehörigkeiten“ nur langsam verlaufen, da „Einstellungen und Sozialisationserfahrungen sowie die Verwobenheit in Sozial3 kontakte“ nicht einfach gewechselt werden können. Das schließt jedoch einen Wechsel in „benachbarte Milieus“ wie beim konservativen und nationalsozialistischen Milieu nicht aus – zumal, wenn die Mitgliedschaft im konservativen Organisationsmilieu beibehalten wird. 4 Die Grenzen eines Milieus sind eher durchlässig bzw. offen – was insbesondere für Personen wie die Akteure im politischen Prozess gilt. Diese politischen Akteure können auch als Funktionsträger bzw. Funktionseliten bezeichnet werden und sie stellen innerhalb eines Milieus Personen dar, die als politische Meinungsführer bzw. Vermittler oder Interpreten der Politik auftreten 5 und somit den Prozess der politischen Willensbildung maßgeblich beeinflussten. Anhand dieser Merkmale kann man für die Studie vier Milieus rekonstruieren: das nationalsozialistische, das konservative, das katholische und das sozialistische Milieu. Doch bevor auf die Milieus eingegangen wird, bietet es sich an, zunächst einmal das der Arbeit zugrundeliegende und auf Welskopp basierende Milieu-Konzept kurz vorzustellen. Die ausgewählte Milieu-Konzeption entwickelte Welskopp in seinem „Banner der Brüderlichkeit“ anhand der Sozialdemokratie und sie eignet sich sehr gut eignet, um die lokal ansässigen gesellschaftlichen Fragmentierungen zu erfassen. Zudem kann mit diesem Konzept sowohl die hohe Bindungsintensität des sozialistischen, katholischen und nationalsozialistischen Milieus mit der Existenz eines stark ausgebauten Trägermilieus erklärt werden. Darüber hinaus wird gleichzeitig das Fehlen eines Trägermilieus beim Konservativismus und dessen schwach ausgebildete Bindungsintensität offenbart, die einen Wechsel der Mitglieder des konservativen Milieus zu den Nationalsozialisten erleichterte. Die stärkste Bindungsintensität stellte das Parteimilieu dar, das mit dem Ausbau einer parteipolitischen Organisation und einem Engagement von lokal ansässigen
Katholiken, Konservative und Liberale, S. 471. Braun, Reichstagswahlen im Bayerischen Wald, S. 241-242. 3
Hradil, Soziale Ungleichheit, S. 432.
4
Vgl.: Rössel, Sozialstrukturanalyse, S. 339. DiMaggio, Classification in Art, S. 445.
5
Vgl.: Weichlein, Sozialmilieus, S. 17. Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und
(Zit. Nach: Rössel, Sozialstrukturanalyse, S. 339.) Liberale, S. 473. Bösch, Das konservative Milieu., S. 11-12. Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 433-434.
T EIL II: D IE B ASIS DES P OLITISCHEN IN NORDDEUTSCHEN L AND -
UND
KL EINSTÄDTEN
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6
Personen verbunden war – also mit der Existenz einer lokalen Ortsgruppe und einer damit verbundenen lokalen Anbindung durch im Milieu personell vernetzte politische Akteure. Für das konservative Milieu existierte solch eine lokale Anbindung jedoch nur in rudimentären Ansätzen. Zudem gab es lokale Sondergruppen, die als politische Interessenvertreter des lokalen Konservativismus auftraten, so dass man beim konservativen Milieu besser von einem politischen Milieu als von einem Parteimilieu sprechen kann, zumal, da keine adäquate Bindungsintensität wie bei dem von Welskopp definierten Parteimilieu existierte. Eine etwas geringere Bindungsintensität bestand für das Trägermilieu, für dessen Mitglieder „die Lebenswelt und das Organisationsleben“ weitgehend übereinstimmten. Zudem besaßen die personellen Kontakte der dieser Kategorie zuzuordnenden Organisationen einen höheren Stellenwert als „betriebliche oder lebenswelt7 lich-private Bindungen“. Diese wurden im assoziierten Milieu wichtiger, obgleich die Milieumitglieder „intensiv am Organisationsleben“ teilnahmen. Das bedeutet, dass außerorganisatorische Kontakte in weitaus höherer Zahl vorkamen und wichtiger waren als bei 8 Mitgliedern des Trägermilieus. Die schwächste Form der Bindung war durch das Kontaktmilieu gegeben, dessen Organisationen durch „Milieuführer“ bzw. „Leitwölfe“ gebunden wurden. Dementsprechend besaß das „Organisationsleben“ nur eine geringe Bedeutung für 9 die „lebensweltlichen Zusammenhänge“. 1.1 Das nationalsozialistische Milieu Die o.a. Einteilung der Milieus muss bei einer Berücksichtigung der Forschungslage auf Probleme stoßen. Denn in der Forschung wird etwa hinsichtlich der Nationalsozialisten nicht von einem Milieu gesprochen. Als Argument gegen die Verwendung des Milieubegriffs für die Nationalsozialisten führt SchmiechenAckermann an, dass sich in der kurzen Zeit der Existenz der Nationalsozialisten keine stabile Gesinnungsgemeinschaft habe herausbilden können. Zwar habe es Ansätze der Milieubildung gegeben, diese seien aber als nationalsozialistische Subkul10 tur zu verstehen gewesen. Stellt man dieser Äußerung das Welskoppsche MilieuKonzept mit seinem Partei-, Träger, assoziiertem und Kontaktmilieu gegenüber, be-
6
Vgl.: Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 50.
7
Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 49.
8
Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 49.
9
Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 50..
10
Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 47.
46 | DIE NATIONALSOZIALISTISCHE M ACHTDURCHSETZUNG IN KLEINSTÄDTEN 11
rücksichtigt dabei die abnehmende Bindungsintensität und Rohes Erkenntnis, dass es in einer sozialen Gruppe „Grundannahmen über die politische Welt“ gibt und dass diese ein Maßstab dafür sind, wie „Politik wahrgenommen, interpretiert 12 und beurteilt“ wird, dann ist durchaus von einem nationalsozialistischen Milieu zu sprechen. Der Vorteil der Verwendung eines Milieu-Konzepts zeigt sich zudem bei der Nutzung des Welskoppschen Konzepts mit der dazugehörigen Berücksichtigung der Bindungsintensität. Denn dadurch wird erkennbar, dass das nationalsozialistische Milieu über ein stark ausgebautes Partei- und Trägermilieu verfügte, mit denen eine intensive Bindung an die Nationalsozialisten vorgenommen werden konnte. Diese Bindung wiederum war eine Voraussetzung für die Indoktrination, Sozialisation und soziale Kontrolle des einzelnen, der sich dem, wenn er sich nicht der Gefahr des sozialen Tods aussetzen wollte, nur schwer entziehen konnte. Wendet man die bisher getätigten Äußerungen nun auf die vor Ort vorhandenen Phänomene an, so war das nationalsozialistische politische Milieu bzw. Parteimilieu durch die NSDAP gegeben, die sowohl in Heide als auch in Quakenbrück vorhanden war. In Heide wurde die Ortsgruppe jedoch bereits im Januar 1926 gegrün13 det und in Quakenbrück erst in der zweiten Jahreshälfte 1928. Die Heider Gründung war im Vergleich zu Quakenbrück eine eigenständige Gründung und die Arbeit vor Ort konnte – trotz punktueller prominenter Unterstützung – auch ohne „organisatorische Unterstützung“ von außen existieren. Damit entsprachen die Heider Nationalsozialisten dem, was Welskopp als „autonome Gemeinde“ bezeichnet, deren Charakteristika eine starke Ausbildung und ein „reiches 14 Organisationsleben“ waren. Dadurch wurden sie lebensfähig und stabil. Welskopp schreibt weiter, dass autonome Gemeinden sich „in einem schwach 15 entwickelten lokalen Vereinsumfeld“ etablieren konnten. Das kann zwar für das Rekrutierungspotential der Nationalsozialisten, das konservative Organisationsmilieu, nicht gelten; aber wenn man Welskopps Aussage, die sich auf die Sozialdemokratie bezieht, für eine Anwendung auf die Nationalsozialisten modifiziert, dann lässt sich unter Bezugnahme der Differenzierung des Organisationsmilieus in Partei-, assoziiertem, Kontakt- und Trägermilieu Folgendes feststellen: Es gab im konservativen Milieu, dem überwiegenden Rekrutierungspotential der Nationalsozialisten, eine ausgebildete Vereinswelt, die jedoch dadurch gekennzeichnet war, dass das Trägermilieu im Prinzip nicht existierte, während der Schwerpunkt beim assoziierten und Kontaktmilieu lag. Das bedeutet, dass ein schwach ausgebautes Träger-
11
Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 49-50.
12
Rohe, Politische Kultur, S. 1.
13
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 294. BK 2.12.1928. AA 2.12.1928.
14
Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 51, 115.
15
Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 115.
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milieu im Konservativismus für die Etablierung der Nationalsozialisten vor Ort hilfreich war. Das galt auch, allerdings erst ab 1933, für Quakenbrück, obgleich die Vorzeichen der Gründung einer lokalen Ortsgruppe anders waren als in Heide. Denn die Gründung der dortigen Ortsgruppe der NSDAP ist i.S. Welskopps als Satellitengründung zu betrachten, bei der die Gründung von außen initiiert worden ist und bei der die lokalen Protagonisten von einer „kontinuierlichen Zufuhr organisatorischer und propagandistischer Ressourcen existentiell abhängig“ blieben. Das zeigte sich insbesondere zu Beginn des Auftretens der Nationalsozialisten, als „von außen organisierte Volksversammlungen“ besonders „in … Wahlkampfzeiten“ durchgeführt 16 wurden. Nachdem durch die bisherigen Ausführungen erste Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Entwicklung des Nationalsozialismus auf lokaler Ebene deutlich wurden, kann das gleiche auch hinsichtlich des nationalsozialistischen Organisationsmilieus konstatiert werden. So gab es in beiden Städten, zeitlich versetzt, mit der SA, SS, NS-Frauenschaft (bzw. Rotes Hakenkreuz), Hitlerjugend (HJ), dem Bund Deutscher Mädel (BDM bzw. Litzmann-Mädelgruppe) und dem Jungvolk (DJ) ein Trägermilieu, das eine möglichst große Spannbreite an Adressaten besaß und durch das die Mitglieder gut gebunden werden konnten. Zudem war dadurch die Möglichkeit der Indoktrination und der sozialen Kontrolle gegeben. Demgegenüber war das assoziierte Milieu mit den zuzuordnenden Organisationen mit einer geringeren Bindungsintensität ausgestattet. Zum assoziierten Milieu der Nationalsozialisten gehörten die nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO), die Glaubensbewegung der Deutschen Christen (DC), der nationalsozialistische Beamtenbund (NSB) und der nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB), wobei der letztere in Heide keine Ortsgruppe besaß, sondern der Kreisvorsitzende aus Heide kam. Darüber hinaus ist für Heide noch der nationalsozialistische Ärztebund und in Quakenbrück der nationalsozialistische Reichsbund, der nationalsozialistische Reichsverband Deutscher Kriegsopfer und der Kampfbund des gewerblichen Mittelstands dem assoziiertem Milieu zuzuordnen. Die geringste Bindungsintensität stellte das Kontaktmilieu dar, das lediglich für Heide zu konstatieren ist und das in Quakenbrück zu fehlen schien, obgleich sich aufgrund von Doppelmitgliedschaften in der NSDAP und im Stahlhelm, bis 1930, rudimentäre Ansätze eines Kontaktmilieus andeuten, die jedoch im Weiteren unberücksichtigt bleiben können, da sie keine gesellschaftliche Relevanz für die Gewinnung von Mitgliedern der Nationalsozialisten besaßen. Wendet man den Blick folglich auf Heide, so ist zu erkennen, dass dort ab 1931 ein Kontaktmilieu entstand,
16
Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 52, 116.
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das aus dem Kreisbauernbund, dem Reiterverein Ditmarsia und dem Heider Handwerkerbund gebildet wurde. Die Protagonisten bzw. „Leitwölfe“ waren Claussen und Bruhn. 1932 kam durch das Engagement des Gastwirts Bossel, der 1932 der NSDAP beitrat, der Heider Gastwirteverein hinzu – Bossel besaß hier eine herausragende Position und war mitverantwortlich dafür, dass die Heider Gastwirte den Sozialdemokraten und Kommunisten ab 1932 keine geeigneten Räumlichkeiten für einen Wahlkampf zur Verfügung stellten. Der Ausbau des Trägermilieus begann in beiden Orten, wenn auch zeitlich versetzt, mit der SA, die in Heide seit 1926 existierte und in Quakenbrück erst ab Feb17 ruar 1933 nachweisbar ist. Aus der Parallele, dass die SA die erste Organisation beim Ausbau eines Trägermilieus darstellte, kann bereits deren Bedeutung für das nationalsozialistische Milieu abgeleitet werden. Sie wird darüber hinaus um so deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass die SA neben der Übernahme des Saalschutzes auch Flugblätter verteilte, Plakate klebte oder Propagandaaufmärsche 18 durchführte und somit zur Ausbreitung der nationalsozialistischen Ideen beitrug 19 und als „wichtige Stütze der NS-Bewegung“ fungierte. Gleichzeitig sorgte sie 20 durch das „Niederreißen gegnerischer Pamphlete“ dafür, dass der politische Gegner mit seinen ihm angeschlossenen politischen Vorfeldorganisationen an der Verbreitung seiner Ideen, und damit auch seiner Macht, gehindert wurde. Das schloss durchaus auch die Anwendung physischer Gewalt ein, die – so Reichardt – für
17
StA Hei JAH 10 Jahre Ortsgruppe Heide, S. 17. Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 302. BT 20.2.1933. BK 20.2.1933. AA 20.2.1933. In einem Leserbrief aus dem Jahr 1932 wird zwar von Aktivitäten der SA gesprochen. Hierbei handelte es sich aber wohl eher um eine SA in der Region Artland, zu der Mitglieder aus den einzelnen Orten zusammengeschlossen wurden, die versehentlich vom Landrat im Oktober 1932 als eigene Ortsgruppe aufgefasst wurden. (Vgl.: Menke, Die Endphase der Weimarer Republik, S. 99. Rogge, Quakenbrücks Weg ins „Dritte Reich“, S. 483.) Dass es sich zu diesem Zeitpunkt wohl eher nicht um eine eigene Ortsgruppe in Quakenbrück handelte, sondern um einzelne SA-Mitglieder, die in Quakenbrück wohnten, aber einer Organisierten SA des Artlands angehörten, ist der Tatsache zu entnehmen, dass es – trotz modifizierten Presseklima – zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur öffentlichen Präsentation der SA in der Presse kam – auch nicht zu Aufmärschen. Für eine genauere Klärung ist es notwendig, neue Quellenbestände auszuheben.
18
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 302. Vgl.: Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 144. Longerich, Die braunen Bataillone, S. 74-76.
19
Hördler, Sturmabteilung der NSDAP, S. 587.
20
Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 144.
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„Aufmerksamkeit“ sorgte und „das Anwerben neuer Mitglieder“ möglich machte. Ein solches Phänomen ist für Heide mit der sogenannten „Blutnacht von Wöhrden“ im Jahr 1929 nachweisbar, als es zur Anwendung von Gewalt mit tödlichem Ausgang und in deren Folge zu einem Mitgliederzustrom der Nationalsozialisten und einer verstärkten Sympathie für die Nationalsozialisten in der Bevölkerung kam. Demnach kann durch diese Entwicklung die von Pätzold und Weißbecker der SA zugeschriebene Bedeutung für den Anstieg der Mitgliederzahlen für Heide als be22 stätigt betrachtet werden. Ähnlich problematisch wie die Rekonstruktion der SA in Quakenbrück ist die der SS, da keine direkte Überlieferung zur SS im Untersuchungszeitraum existiert, sondern nur eine indirekte. So wird in der Berichterstattung des Bersenbrücker Kreisblatts vom 14. Februar 1933 über das neue „SA- und SS-Heim der NSDAP“ 23 berichtet, in dem Artikel ist jedoch keine weitere Information zur SS zu finden. In einem sechs Tage später in der gleichen Zeitung abgedruckten Artikel zur nationalsozialistischen Frauenschaft wurde berichtet, dass diese die SA und SS bei einer 24 Veranstaltung mit „Butterbroten“ und Kaffee unterstützt hätte. Dieses scheint zunächst ein Indiz für die Existenz einer SS-Ortsgruppe zu sein, jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine auswärtige Formation gehandelt hat. Darüber hinaus wurde in einer Ankündigung von Feierlichkeiten zu Hitlers Geburtstag am 20. April 1933 mitgeteilt, dass am abendlichen Fackelzug auch eine 25 Abordnung der SS teilnehmen sollte. Während diese Indizien eine SS-Ortsgruppe in Quakenbrück nur andeuten, kann für Heide eine SS ab 1931 nachgewiesen wer26 den. Einfacher ist der Nachweis einer nationalsozialistischen Frauenschaft zu führen, die in Heide zunächst als deutscher Frauenorden „Rotes Hakenkreuz“ firmierte 27 und ab Juli 1931 existierte. In Quakenbrück ist eine nationalsozialistische Frauen28 schaft ab Februar 1933 zu belegen. Noch später als die nationalsozialistischen Frauenschaft ist die Hitlerjugend (HJ) in der Burgmannsstadt Quakenbrück nachzuweisen, denn diese wurde, nach einem vergeblichen Gründungsversuch im Sep-
21
Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 135. Vgl.: Hördler, Sturmabteilung der NSDAP, S. 587.
22
Pätzold; Weißbecker; Geschichte der NSDAP, S. 99.
23
BK 14.2.1933.
24
BK 20.2.1933.
25
BT 20.4.1933. BK 20.4.1933. AA 20.4.1933.
26
StA Hei JAH. 10 Jahre Ortsgruppe Heide, S. 17.
27
HA 16.10.1931.
28
BK 20.2.1933. Zur Thematik von Frauen in der NS Bewegung: Kater, Frauen in der NS Bewegung, S. 202-242.
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tember 1932, erst im Juli 1933 im Bersenbrücker Kreisblatt und im Artländer An30 zeiger erwähnt. Ebenso wie bei der Quakenbrücker Hitlerjugend gab es bei der Heider Ortsgruppe zunächst einen vergeblichen Gründungsversuch im Dezember 31 1928. Etwas mehr als ein Jahr später, ab Februar 1930, kann eine Tätigkeit der 32 Heider Ortsgruppe anhand der Quellen belegt werden. In der HJ waren die Jun33 gen im Alter von 14 bis 18 Jahren organisiert und dieser Organisation war die des Deutschen Jungvolks (DJV) vorgelagert, in der die jüngeren Jungen bis zur Vollen34 dung des 14. Lebensjahrs aufgenommen wurden. Diese Jugendorganisation erscheint in beiden Städten erst ab 1933 – in Heide ab Juni und in Quakenbrück ab 35 Juli. Als Pendant zu diesen für die männliche Jugend vorgesehenen Jugendorganisationen gab es für die weibliche Jugend den Bund Deutscher Mädel (BDM), dessen Funktion in Heide anfänglich die Litzmann-Mädelgruppe übernahm. Diese ist 36 anhand der Quellen ab September 1931 belegbar und hat ihren Namen von dem 37 General des Ersten Weltkriegs und Reichstagsabgeordneten der NSDAP. Einen Nachweis für die Quakenbrücker Ortsgruppe des BDM ist erst ab April 1933 zu 38 führen. Neben diesen Jugendorganisationen existierte in Heide nachweislich ab Dezem39 ber 1932 eine nationalsozialistische Kükengruppe, die von der nationalsozialistischen Frauenschaft unterstützt wurde und bei den „Kleinen“ ein „Vaterlandsgefühl“ 40 entzünden sollte. Diese Organisation gehörte wie die der Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC) zum assoziierten Milieu. Offiziell wurde letztere im Juni 1932 gegründet wurde, war durch das Führerprinzip gekennzeichnet und manifestierte dadurch bereits ihre Abneigung gegen den „Parlamentarismus“ – nicht nur in-
29
BK 26.9.1932. BT 26.9.1932. AA 26.9.1932.
30
BK 4.7.1933. AA 4.7.1933.
31
HA 3.12.1928. Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 303.
32
HA 17.2.1930.
33
Klönne, Hitlerjugend, S. 9-10. Vgl.: Kater, Hitler-Jugend, S. 19.
34
Brandenburg, Geschichte der HJ, S. 146. Vgl.: Kater, Hitler-Jugend, S. 19.
35
HA 28.6.1933. BK 15.7.1933. AA 15.7.1933.
36
HA 23.9.1931. Entsprechend dem Alter der Jungen in der HJ waren die Mädchen des
37
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 352. Schumacher, Die Reichstagsabgeordneten, S. 368.
BDM zwischen 14 und 18 Jahren. (Vgl.: Kater, Hitler-Jugend, S. 19.) http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w7_bsb00000139_00009.html. (19.6.2012) 38
BT 21.4.1933.
39
HA 19.12.1932.
40
HA 2.5.1933. vgl.: Wittkötter, Das Lied als Instrument der politischen Sozialisation, S. 32-33.
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nerhalb der Kirche. Die Ideologie war von „Luthergeist und heldischer Frömmigkeit“ geprägt, die wiederum Anknüpfungspunkte für die Protestanten in 42 Quakenbrück und Heide boten, wo eine jeweilige Ortsgruppe ab Juni bzw. Mai 43 1933 nachweisbar ist. Ferner bemühten sich die „Deutschen Christen“ um eine 44 „Synthese von Christentum und Nationalsozialismus“ und in diesem Sinne be45 trachteten sie „Rasse, Volkstum und Nation als göttliche Ordnung“. Das assoziierte Milieu wurde ferner durch eine nationalsozialistische Beamtenarbeitsgemeinschaft (NSB) ergänzt, der zur Erschließung von Beamten eine grundsätzlich nicht zu unterschätzende Funktion zukam. Denn diese Organisation ermöglichte es den Beamten, denen eine Mitgliedschaft in der NSDAP vor 1933 verboten war, einer nationalsozialistischen Organisation anzugehören, ohne dass sie Mitglied 46 der NSDAP werden mussten. Gleichzeitig bedeutete dies, dass nationalsozialistisches Gedankengut durch Mitglieder der nationalsozialistischen Organisationen in den staatlichen Institutionen um sich greifen konnte. Das erfolgte in der Weise, dass für jeden Behördenkreis ein Vertrauensmann gewählt wurde, der die Aufgabe hatte, 47 seine Kollegen über den Nationalsozialismus aufzuklären. Zu diesem Zweck 48 wurde die Heider NSB am 30. Juni 1932 gegründet. Zwar kann auch für die Quakenbrücker NSB, die ab Februar 1933 nachzuweisen ist, die Intention der Erfassung der Beamten konstatiert werden, aber zu diesem Zeitpunkt dürfte sie nicht mehr die Funktion – wie in Heide 1932 – gehabt haben, aufgrund eines Verbots der Mitgliedschaft von Beamten in der NSDAP als Schnittstelle zwischen der Partei und den Beamten zu agieren. Das Rekrutierungspotential der NSB überschnitt sich partiell mit dem des NS-Lehrerbunds (NSLB), der die Lehrer, die oftmals Beamte waren, erfassen und sie im Sinne der Ideologie des NSLB beeinflussen sollte. Zu dieser Ideologie, die Schmidt in seiner Arbeit zur NSDAP in Hamburg auf den Gründer, Hans Schemm, zurückführt, gehörten der Antisemitismus, der Antimarxismus und Antikatholizismus ebenso wie der „Kampf gegen die Kräfte des Inter49 nationalismus, Pazifismus und der Demokratie“. Diese Ideologie wirkte bis 1932
41
Baier, Die Deutschen Christen Bayerns, S. 12-14. Vgl.: Bergen, Die „deutschen Chris-
42
BK 27.6.1933. AA 27.6.1933. KKR N.-Dithmarschen. KG Heide Nr. 24.
43
BK 27.6.1933. AA 27.6.1933. KKR N.-Dithmarschen. KG Heide Nr. 24.
ten“, S. 545. Hetzer, Deutsche Christen, S. 145. Vgl.: Thamer, Der Nationalsozialismus, S. 160. 44
Bergen, Die „deutschen Christen“, S. 545-546.
45
Hetzer, Deutsche Christen, S. 145.
46
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 360.
47
HA 1.7.1932.
48
HA 1.7.1932.
49
Schmidt, Lehrer im Gleichschritt, S. 13.
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wenig anziehend auf die Lehrer, so dass der NSLB bis zu diesem Zeitpunkt unbe50 deutend blieb – das änderte sich erst Mitte 1932. Zu diesem Zeitpunkt kam es in Heide zur Gründung einer Kreisgruppe, die berücksichtigt wird, da der Vorsitzende 51 und einzelne Protagonisten Heider Bürger waren. Für Quakenbrück kann eine 52 Ortsgruppe des NSLB ab Mai 1933 belegt werden. Einen Monat zuvor ist eine Ortsgruppe der NS-Betriebszellenorganisation (NSBO) in Quakenbrück nachweis53 54 bar. Das gleiche gilt für Heide ab März 1933. Die NSBO war eine 1928 gegründete nationalsozialistische Organisation, die als Gegenentwurf zu den Gewerk55 schaften ins Leben gerufen wurde, um die Arbeiter an die NSDAP zu binden.
50
Inwieweit die bei den Lehrern durchgeführten Gehaltskürzungen und daraus resultierenden Frustrationserlebnisse für ein Engagement in einer nationalsozialistischen Gliederung verantwortlich waren, kann nicht geklärt werden. Jedoch ist davon auszugehen, dass sich durch die Gehaltskürzungen des Staates Preußen vom 12. September und 23. Dezember des Jahres 1931 und vom 8. Juni 1932, die eine derartige Reduktion der Bezüge der Lehrer bewirkten, dass sie am Ende des Jahres 1932 über knapp Zweidrittel der Bezüge des Jahres 1929 verfügten, die sozioökonomische Situation derselben dramatisch verschlechtert haben musste. (Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 267-268. Vgl.: Breyvogel, Die soziale Lage und das politische Bewusstsein der Volksschullehrer, S. 139-168. Ehni, Bollwerk Preußen, S. 189.) Zum Protestpotential der Junglehrer und deren Zuwendung zum Nationalsozialismus s.: Weichlein, Sozialmilieus, 185-186.
51
HA 29.6.1932. Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 358.
52
BT 30.5.1933. BK 30.5.1933. AA 30.5.1933.
53
BT 26.4.1933.
54
HA 7.3.1933.
55
Zur NSBO: Girsch, R. Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) 1930 (1931)-1934 (1935), in: Fricke, D.[Hrsg.], Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789-1945), Bd.3, Leipzig 1985, S. 454-460. Lensing, H., Die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation und die NS-Machtergreifung in der Grafschaft Bentheim, in: Bentheimer Jahrbuch Bd. 127, 1993, S. 167-194. Mai, G., Die nationalsozialistische BetriebszellenOrganisation. Zum Verhältnis von Arbeiterschaft und Nationalsozialismus, in: VfZ 31, 1983, S. 573-614. Kratzenberg, V., Arbeiter auf dem Weg zu Hitler? Die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation. Ihre Entstehung, ihre Programmatik, ihr Scheitern 1927-1934, Frankfurt/New York 1987. Mulot, T., Von der Betriebszelle zur Arbeitsfront: Die Hamburger NSBO auf dem Weg in die „Leistungsgemeinschaft“ des „Dritten Reiches“, in: Bajohr, F.; Szodrzynski, J.[Hrsg.]; Hamburg in der NS Zeit: Ergebnisse neuerer Forschungen, Hamburg 1995, S. 203-230. Roth, H., Die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte I, 1978, S. 49-55.
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Mit diesen Organisationen – eine Ausnahme bildete schon die NS Kükengruppe – enden die Gemeinsamkeiten der assoziierten Milieus und es müssen abschließend noch die in den Orten weiterhin vorhandenen nationalsozialistischen Organisationen berücksichtigt werden. So findet sich für Heide der nationalsozialistische Ärz56 tebund, der seit Februar 1932 anhand der Quellen zu belegen ist. Die Gründung mag zum Teil mit dem Anwachsen der Heider SA und der Versorgung von Opfern politischer Auseinandersetzungen zusammen hängen, denn in der SA sollte es wenigstens Sanitätsmänner geben, die bei Opfern „des eigenen gewalttätigen Vorgehens“ erste Hilfe leisten sollten, um zumindest „leichtere Verletzungen“ außerhalb 57 „des offiziellen Gesundheitssystems“ behandeln zu können. Zum assoziierten Milieu der Nationalsozialisten in Quakenbrück gehörte ab Mai 1933 der Reichsverband Deutscher Kriegsopfer, der aus dem ehemaligen Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen ent58 stand, der in den neuen nationalsozialistischen Verband überführt wurde. Ca. einen Monat später wird der Kampfbund des gewerblichen Mittelstands, der den gewerblichen Mittelstand in einer nationalsozialistischen Organisation erfassen sollte, 59 nachweisbar und Ende August 1933 der nationalsozialistische Reichsbund Deut60 scher Arbeitsopfer. Die letzten beiden Organisationen, die noch erwähnt wurden, weil sie an der Grenze des Endes des Untersuchungszeitraums nachweisbar sind, werden im Folgenden keine weitere Berücksichtigung erfahren, da sie für den Prozess der nationalsozialistischen Machtdurchsetzung bis zum Sommer 1933 keine Rolle mehr spielten. 1.2 Das konservative Milieu Das Rekrutierungspotential für das nationalsozialistische Milieu bildete im Wesentlichen das konservative Milieu mit seinem mit schwacher Bindung versehenem politischen Milieu und der Vakanz eines Trägermilieus. Die dem konservativen Orga-
56
HA 8.2.1932. StA Hei II/686. StA Hei II/97. Zum Ärztebund: Kudlien, F., Ärzte im
57
StA Hei JAH. 10 Jahre Ortsgruppe Heide (Holstein) der Nationalsozialistischen Deut-
Nationalsozialismus, Köln 1997. schen Arbeiterpartei 1926-1936, S.17. vgl.: Schuster, Die SA in der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, S. 160. 58
BT 30.5.1933. BK 30.5.1933. AA 30.5.1933. Mit dieser Überführung wurde auf lokaler Ebene der bereits am 14. April vollzogene Zusammenschluss des Reichsbunds und der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV) zum Reichsverband Deutscher Kriegsopfer nachvollzogen. (Falk, Vom Reichsbund zum SOVD, S. 124.)
59
BK 31.7.1933.
60
AA 28.8.1933.
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nisationsmilieu zuzuordnenden Organisationen gehörten entweder dem assoziierten oder dem Kontaktmilieu an. Aufgrund deren verhältnismäßig geringen Bindungsintensität wurde den Mitgliedern des konservativen Milieus der Übertritt bzw. das Engagement zu bzw. bei den Nationalsozialisten erleichtert. Die durch diese Äußerungen konstatierte Existenz eines konservativen Milieus wird in der Forschung – so Lösche und Walter – permanent infrage gestellt, da einerseits Milieus „Abwehrreaktionen ausgegrenzter und unterprivilegierter Minderheiten“ darstellten und andererseits Konservative, aber auch Liberale dem „gesell61 schaftlichen Establishment“ angehörten. Gegen die ablehnende Haltung der Existenz eines konservativen Milieus führen Lösche und Walter an, dass der konstituierende Impetus des konservativen Milieus durch das Bedrohungsszenario um 1920 gegeben war, das in der Revolution von 1918/19 und der Inflationskrise seinen Ausdruck fand. Hierdurch wurden die Konservativen in einen MilieuZusammenhang getrieben, der sie weltanschaulich und organisatorisch zusammen62 fügte. Der weltanschauliche Kitt, der die Konservativen einte, bestand – gemäß Bösch, Lösche und Walter – aus der Heimatverbundenheit und einem berufsstän63 disch und elitär ausgerichteten Gesellschaftbild. Während Bösch weiterhin christliche Werte als Charakteristikum anführt, präzisieren und beschränken Lösche und Walter diesen Ansatz auf das „christlich-protestantische Bekenntnis“ und erweitern diese Aspekte der weltanschaulichen Gemeinsamkeiten um die „nationalistische 64 Gesinnung“. Aufgrund der empirischen Erkenntnisse der untersuchten Orte erscheint die von Lösche und Walter vorgenommene Fokussierung auf das christlich-protestantische Bekenntnis für Quakenbrück und Heide hilfreicher als eine Berücksichtigung der allgemein gehaltenen christlichen Werte Bösches. Die Präferenz des protestantischen Bekenntnisses der Konservativen schließt jedoch nicht aus, da die Milieus nicht geschlossen waren, dass sich auch Katholiken in der konservativen Vereinskultur bzw. in dem konservativen Organisationsmilieu engagierten – jedoch nur in geringem Ausmaß. Organisationen dieser Vereinskultur waren der Turn-, Sänger-, 65 Schützen-, Heimat-, Krieger- und Frauenverein, die gleichzeitig ein Betätigungs-
61
Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 474.
62
Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 478.
63
Bösch, Das konservative Milieu, S. 15. Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 477.
64
Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 477.
65
Bösch, Das konservative Milieu, S. 11. Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 478. Lösche und Walter rekurrieren auf die Ergebnisse Bösches, der im Rahmen eines von Lösche und Walter geleiteten Forschungsprojekts eine vergleichen-
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feld der Rechtsliberalen darstellten, die als Mitglieder oder Sympathisanten der DVP über kein eigenes Organisationsmilieu verfügten und die Lösche und Walter 66 der konservativen Lebenswelt zuordnen. Dieser Ansatz ermöglicht es, die sich an der DVP bzw. Wirtschaftspartei orientierenden Personen der Untersuchungseinheiten in den oben angeführten Vereinen des konservativen Milieus adäquat zu erfassen. Ein solches Vorgehen beinhaltet jedoch die Spaltung des Liberalismus in einen Rechts- und Linksliberalismus, der, so Lösche und Walter, parteipolitisch an der DVP und an der DDP festzumachen ist. Beide gehen sogar noch weiter und behaupten, dass die Konstituierung des Liberalismus in einem Milieu wohl nicht möglich sei, da sich für diese eine „hermetische Absperrung und weltanschauliche Dogmatisierung in Milieus“ aufgrund der präferierten „Autonomie des Individuums“, der „Pluralität“ und des Erkenntnisgewinns 67 „durch freien Diskurs“ verbieten würde. Obgleich dieser Ansatz, nämlich die Spaltung des Liberalismus und das Fehlen eines linksliberalen Milieus für die Studie ertragreich genutzt werden kann, so scheint eine solche Pauschalierung aber nicht allgemein gültig zu sein. Denn zum einen waren die Milieus nicht hermetisch abgesperrt und zum anderen zeigt sich an Weichleins Arbeit, dass es durchaus libe68 rale Milieus mit einer zumindest rudimentären Vereinskultur gab. Das politische Milieu des Konservativismus bestand aus den lokalen Listenver69 bindungen sowie aus der DNVP, der DVP und der Wirtschaftspartei. Bei den genannten Listenverbindungen handelte sich in Heide um die Liste Vers, die nach 1924 1929 erneut als Vertretung des konservativen Milieus Vertreter in das städtische Parlament schickte. 1933 wurde diese Listenverbindung durch die „Liste Wirt70 schaft“ abgelöst. Das entsprechende Pendant in Quakenbrück war die bürgerliche Einheitsliste, die bei der Kommunalwahl des Jahres 1929 auch Vertreter des Zent-
de Studie zum Konservatismus in Greifswald und Celle durchführte. Vgl.: Weichlein, Sozialmilieus, S. 192. 66
Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 478. Eine parteipolitische Fixierung des Konservatismus fehlte, so dass es hier zu „Divergenzen der Eliten“ kommen konnte. (Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 478-479.)
67
Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 479. Vgl.: Bendikat, „Wir
68
Weichlein, Sozialmilieus, S. 170-190. Vgl.: Pohl, „Einig“, „kraftvoll“, „machtbewußt“,
müssen Demokraten sein“, S. 139-158. S. 1. Dass Lösche und Walter massive Kritik an Pohls Konstruktion eines einheitlichen Liberalismus übten, kann wenig verwundern. (Lösche; Walter; Katholiken, Konservative und Liberale, S. 479, Anm. 31.) vgl.: Behrends, Das bürgerlich-liberale Milieu in der Stadt Nordhausen, S. 149-150. 69
Vgl.: Bergmann, Deutschnationale Volkspartei, S. 191.
70
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 322. HA 2.11.1929. HA 9.11.1929. HA 24.2.1933.
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rums auf der Liste berücksichtigte. 1933 kam es sogar zur Aufnahme von National71 sozialisten. Schon diese auf lokaler Ebene entstandenen Listenverbindungen zeigen, dass die DNVP, DVP und die Wirtschaftspartei bei der Besetzung der lokalen Parlamente unbedeutend waren. Wenn man den Ergebnissen Pfeils folgt, so waren DNVP und DVP, die sich in Schleswig-Holstein auf der Provinzebene mit mittelständischen Verbänden zur Liste „Heimat und Wirtschaft“ zusammenschlossen, unterhalb 72 der Provinziallandtagsebene in Schleswig-Holstein unbedeutend. Im Gegensatz dazu trat die DVP im Rahmen zu den Wahlen des Provinziallandtags in Hannover von 1929 eigenständig auf, was anhand des Quakenbrücker Kandidaten, Dr. Heck73 mann, zu erkennen ist. Dennoch verschwand sie in den nachfolgenden Jahren bis 74 1932 in der Versenkung. Dementsprechend verwundert es nicht, dass in Heide keine Funktionsträger der DVP nachzuweisen sind. In Quakenbrück lassen sich auch nur wenige Funktionsträger und dann nur partiell rekonstruieren. Ähnlich wie für die DVP sind die Aussagen zur Wirtschaftspartei, die zwar 1928 und 1930 im Vorfeld der Reichstagswahlen auftrat, die aber vergleichbar unbedeutend auf loka75 ler Ebene war. Das gleiche Resultat ist in beiden Städten auf die DNVP zu übertragen. Die im Vergleich zur DVP und Wirtschaftspartei höhere Aktivität der DNVP in Heide verwundert wenig, wenn man berücksichtigt, dass der deutschnationale Reichstagsabgeordnete Oberfohren seinen Wahlkreis in Schleswig-Holstein besaß und die Aktivitäten in den Wahljahren zum Teil auf seinen Wahlkampf zu76 rückzuführen sind. Eine lokale Anbindung der DNVP ist nur rudimentär durch zwei Personen nachweisbar, von denen die eine sogar erst 1933 als Kandidat der 77 Kampffront Schwarz-Weiß-Rot zu belegen ist. Für Quakenbrück können – aller78 dings für 1927 – deutlich mehr Personen der DNVP zugeordnet werden, bei denen es sich zum Teil um Funktionseliten bzw. Funktionsträger des konservativen
71
BT 18.10.1929. BT 29.10.1929. AA 29.10.1929. BT 25.2.1933. AA 25.2.1933.
72
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 322, 325.
73
BT 23.10.1929. BK 24.10.1929. AA 24.10.1929.
74
HA 8.5.1928.
75
HA 9.2.1928. HA 16.5.1928. HA 3.9.1930. BT 27.4. 1928. BT 9.9.1930.
76
Schumacher, Die Reichstagsabgeordneten, S. 417. HA 18.5.1928. HA 3.2.1930.
BK 10.9.1930. AA 10.9.1930. HA 4.2.1930. HA 14.4.1932. 1933 trat die DNVP in Heide nur noch als Kampffront Schwarz-Weiß-Rot an. 77
HA 16.11.1928. HA 24.4.1932. HA 11.3.1932.
78
StAOs Erw. C1 DNVP Nr. 72.
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Milieus handelte. Deren nachweisbares Engagement war auf die Jahre 1930 bis 79 1932 beschränkt und nur partiell. Aufgrund der Vakanz eines konservativen Trägermilieus kann nun das assoziierte Milieu in den Blick genommen werden. Dabei zeigt sich, dass das konservative Organisationsmilieu in beiden zu untersuchenden Orte grosso modo in die Bereiche der Veteranen- bzw. Kriegervereine, der dazugehörigen Jugendorganisationen und Frauenvereine differenziert werden kann. Für Heide ist zudem ein Bereich zu berücksichtigen, dem Organisationen zuzuordnen sind, die sich direkt oder indirekt am Prozess der politischen Willensbildung beteiligten und die Auskunft über die politische Vorstellung bzw. Annäherung an nationalsozialistische Gliederungen, wie die SA, geben können – zu dieser Kategorie gehört der Verein der Nordschles80 wiger. Hinsichtlich der Stadt Quakenbrück müssen aus den gleichen Gründen der 1892 gegründete evangelische Arbeiterverein und der 1931 reanimierte Evangelische Bund betrachtet werden, dessen Zentralverband 1887 gegründet wurde, um die Interessen des deutschen Protestantismus zu wahren und eine Einheit der Protestan81 ten zu erreichen. Zu den Veteranen- und Kriegervereinen gehörten in beiden Städten der Stahl82 helm und der Kriegerverein. In Heide wurden diese durch den Verein der Ehemaligen 85er, der Ehemaligen 31er und durch die Arbeitsgemeinschaft der vaterländischen Verbände, bei der es sich um eine Dachorganisation der Veteranenverbände und des Kriegervereins handelte, ergänzt. Der Heider Stahlhelm wurde 1923 gründet und seine Aktivitäten können den gesamten Untersuchungszeitraum hindurch 83 nachgewiesen werden – das gleiche gilt auch für Quakenbrück. Ein ebensolches Kontinuum des Nachweises ist für den jeweiligen Kriegerverein zu führen, der in 84 Heide 1881 und in Quakenbrück 1904 gegründet wurde. Ein Jahr zuvor, 1903, wurde in Heide der Verein Ehemaliger 85er ins Leben gerufen, über dessen Entstehungskontext keine Informationen vorliegen. Das verhält sich beim Verein Ehema85 liger 31er, der 1909 ins Vereinsregister aufgenommen wurde, anders. Es handelte sich um einen Veteranenverband des 1812 gegründeten Regiments der 31er, das bis
79
BT 30.8.1930. BK 31.8.1930. BT 20.11.1931. Adreßbuch der Stadt Quakenbrück 1932.
80
Der Verein existierte während des gesamten Untersuchungszeitraums, jedoch gibt es
81
Bockstiegel, 100 Jahre Evangelischer Arbeiterverein, S. 13. BT 6.11.1930.
82
Der Stahlhelm fungierte z.T. als vorpolitische Organisation, wie es Matthiesen für
83
Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 204. In Quakenbrück ab 1928 belegbar. (BT 16.11.1928.)
für 1932 keine Überlieferung. BT 23.1.1931. Greifswald herausgearbeitet hat. (Matthiesen, Greifswald in Vorpommern, S. 121.) 84
HA 9.1.1931. BT 4.2.1929.
85
HA 30.1.1931. HA 20.1.1932. HA 23.1.1933.
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zum Feldzug von 1870 in Erfurt und bis 1918 in Altona stationiert war. Dessen Ersatztruppe war – und dadurch entsteht der Bezug zu Heide – während des Ersten Weltkriegs in Heide untergebracht und ein großer Teil des jährlich aufzustockenden 87 Personals wurde in Norderdithmarschen rekrutiert. Von den genannten Organisationen besaßen der Stahlhelm und der Kriegerverein in Heide und Quakenbrück Jugendorganisationen, die als Sozialisationsinstrumente des Milieus dienen sollten. Von jenen gehörten die Scharnhorstjugend, in der 88 die Altersgruppe der Vierzehn- bis Achtzehnjährigen organisiert werden sollte, und der Jungstahlhelm, in den die Mitglieder der Scharnhorstjugend mit der Voll89 endung des 17. Lebensjahres aufrücken und in dem sie sich bis zum 21. Lebens90 jahr engagieren konnten. Die Erziehung in den Jugendorganisationen war geprägt durch Aspekte wie Gemeinschaft, Unterordnung, dem „Dienen einer höheren Idee 91 um der Sache wegen“ sowie dem Ideal einer guten Kameradschaft und strengen 92 Pflichterfüllung. Zu diesem Zweck wurde die Heider Scharnhorstjugend 1927 gegründet – die Quakenbrücker Scharnhorstjugend ist nur im Sommer 1933 nachzu93 weisen. Der Jungstahlhelm kann in Quakenbrück hingegen ab 1931 nachgewiesen 94 werden, in Heide erst 1933. Einen Nachweis für die Jugendgruppen des Kriegervereins fällt schwer, da die Existenz der Heider Gruppe zum Beispiel nur dadurch 95 zu ermitteln ist, dass sie sich 1929 mit der Scharnhorstjugend vereinigte. In Quakenbrück gab es zwar bereits im Sommer 1931 Versuche, eine Jugendgruppe zu gründen, aber eine solche kann aufgrund von jugendlichen Aktivitäten im Krieger96 verein erst ab der Jahreswende 1931/32 angenommen werden. Während sich die genannten Jugendorganisationen an die männliche Jugend wandten, war es die Aufgabe der Jungluisen, einer Jugendorganisation des Königin-Luise-Bunds, die
86
HA 8.5.1930.
87
HA 29.5.1929. HA 8.5.1930.
88
Tautz, Militärische Jugendpolitik, S. 494.
89
Tautz, Militärische Jugendpolitik, S. 384, 401. Vgl.: Olenhusen, Vom Jungstahlhelm
90
Tautz, Militärische Jugendpolitik, S. 189. Abweichend von Tautzens Alterseinteilung
zur SA, S. 156. ist die Olenhusens, die schreibt, dass die Mitglieder des Jungstahlhelms bis zum 25. Lebensjahr in demselben verbleiben konnten. (Olenhusen, Vom Jungstahlhelm zur SA, S. 157.) 91
Tautz, Militärische Jugendpolitik, S. 163.
92
HA 25.11.1929.
93
HA 25.11.1929. HA 17.5.1933. BK 15.7.1933. AA 15.7.1933.
94
BT 21.12.1931. HA 17.1.1933.
95
HA 29.7.1929. HA 4.11.1929.
96
BT 13.7.1931. BT 1.2.1932. AA 1.2.1932.
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weibliche Jugend zu erfassen. Aus diesem Grund wurde die Heider Ortsgruppe im 97 Herbst 1932 gegründet. Der bereits erwähnte Königin-Luise-Bund war eine Schwesterorganisation des Stahlhelms und dementsprechend kann der Quakenbrücker Stahlhelm-Frauenbund 98 als Pendant zum Heider Luisenbund gelten. Die für konservative Frauen vorgesehene Organisation ist in Heide bereits ab 1927 und für den gesamten Untersu99 chungszeitraum zu belegen, während sie in Quakenbrück erst ab 1932 öffentlich 100 Daneben gab es in Heide und Quakenbrück den vaterländischen Frauenauftrat. verein, den Gustav-Adolf-Verein und in Quakenbrück noch den evangelischen Frauenverein, der ebenso wie der Gustav-Adolf-Verein nach 1927 nicht mehr nachweisbar ist. Beim vaterländischen Frauenverein handelte es sich vordergründig um eine ka101 ritative Organisation, deren Berücksichtigung verwundern mag. Wenn man aber die Arbeit von Hänger hinzuzieht, die solchen „vordergründig unpolitische[n, CP] 102 dann ist Organisationen“ die Funktion der „Politisierung von Frauen“ zuschreibt, die Berücksichtigung des vaterländischen Frauenvereins zur Generierung des konservativen Milieus unverzichtbar, da auch dieser Verein für die Bindung von Personen an das Milieu und für eine Prägung der politischen Vorstellung gesorgt haben dürfte. Die Zuordnung des Vereins zum konservativen Milieu ergibt sich zum einen – trotz der zur Schau gestellten parteipolitischen Zurückhaltung – aus der präferierten Ausrichtung auf die DNVP und zum anderen durch die im Kaiserreich begrün103 dete Loyalität gegenüber der Monarchie. Während der Verein im Kaiserreich sein Aufgabengebiet in der Krankenpflegeausbildung und der allgemeinen kommunalen Armenfürsorge sah, beschränkte sich, so Streubel in ihrem Forschungsbericht, die karitative Arbeit in der Weimarer Republik vorwiegend auf die Unterstützung
97
HA 10.2.1933.
98
Vgl.: Schöck-Quinteros, Der Bund Königin Luise, S. 236.
99
HA 9.9.1927.
100 BT 3.6.1932. 101 Der Verein existierte in Heide während des gesamten Untersuchungszeitraums, während in Quakenbrück nach einem Existenznachweis im Jahr 1927 nur Informationen der Jahre 1929 bis 1932 eine Annäherung an die Ortsgruppe ermöglichen. (HA 2.3.1928. BT 24.8.1927. AA 24.8.1927.) 102 Hänger, Politisch oder vaterländisch?, S. 57. 103 Streubel, Frauen der politischen Rechten, S. 142. Süchting-Hänger, Das „Gewissen der Nation“, S. 156-165, 200-201, 232. Hänger, Politisch oder vaterländisch?, S. 60. vgl.: Koch, Kaiserin und „Führer“ treu ergeben?, S. 200.
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der „Mittelschichten“, da die „revolutionären Arbeiter nicht mehr“ unterstützt wer104 den sollten. Zum Abschluss der Betrachtungen der Frauenvereine muss an dieser Stelle noch der in Heide 1928 gegründete Gustav-Adolf-Verein berücksichtigt werden, dessen 105 Ob dieses gleichbedeutend mit der TatsaÜberlieferung im Juni 1932 abbricht. che ist, dass der Verein ab diesem Zeitpunkt seine gesellschaftliche Bedeutung einbüßte und durch einen anderen Verein abgelöst wurde, in dem sich seine ehemaligen Mitglieder betätigten, oder ob lediglich auf eine öffentliche Präsenz in der lokalen Presse verzichtet wurde, ist nicht zu klären. Die Ziele des Vereins lagen zum einen darin, eine Verbindung zwischen den im Ausland lebenden Protestanten und 106 deren sogenannten Heimat aufrecht zu erhalten. Zum anderen sollte „allen Genossen des evangelischen Glaubens“ – auch im Inland – Hilfe zu teil werden, wenn sie nicht adäquate Hilfe erhielten und dadurch der evangelischen Kirche entzogen 107 zu werden drohten. Neben dem assoziierten Milieu gab es in Heide noch ein konservatives Kon108 taktmilieu, das aus dem Heider Handwerkerbund und dem Reiterverein 109 bestand. Diese beiden Organisationen nicht dem assoziierten Milieu, Ditmarsia sondern dem Kontaktmilieu zuzuordnen, beruht auf der o.a. Definition Welskopps, und insbesondere auf dem Verhalten der „Leitwölfe“, die sich ab 1931 in der NSDAP und, bzw. auch, in nationalsozialistischen Organisationen betätigten. Auf diese Wiese schufen sie ein Rekrutierungspotential für das nationalsozialistische Milieu – zumal, da sie ihr soziales Kapital durch das Engagement in nationalsozialistischen Organisationen ihr soziales Kapital erhöhten. Die getätigten Aussagen bedeuten gleichzeitig, dass die Organisationen des konservativen Kontaktmilieus ab 1931 auch ein nationalsozialistisches Kontaktmilieu zu bilden begannen. Somit entstand quasi eine Schnittmenge zwischen dem konservativen und dem nationalsozialistischen Milieu, die einen Wechsel erleichterte – zumal, da die politischen Vorstellungen ohnehin kongruierten.
104 Streubel, Frauen der politischen Rechten, S. 142. Koch, Kaiserin und „Führer“ treu ergeben?, S. 197-198. 105 HA 28.10.1928. HA 14.6.1932. 106 HA 8.6.1932. 107 HA 15.4.1932. 108 Gründung 1920. (HA 5.1.1928.) 109 1923 gegründet. (HA 17.2.1930.)
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1.3 Das katholische Milieu Im Gegensatz zu den bisher behandelten Milieus ist die grundsätzliche Existenz eines katholischen Milieus, dessen Konstruktion auf Lepsius zurückgeführt werden 110 unumstritten. Für Heide ist aber festzustellen, dass es kein katholisches kann, 111 Milieu gab. Das ist darauf zurückzuführen, dass weder ein katholisches politisches Milieu noch ein katholisches Organisationsmilieu existierte. Dieses ist aufgrund des geringen Anteils der Katholiken an der Gesamtbevölkerung, der 1930 1,4 112 Die Konsequenz ist, dass der Katholizismus in % betrug, wenig verwunderlich. Heide unberücksichtigt bleiben kann. Das gilt jedoch nicht für Quakenbrück, wo das katholische Parteimilieu durch das Zentrum und zumindest von 1930 bis 1932 113 durch die Zentrum-Jungmannen, einer Jugendorganisation des Zentrums, gebil-
110 Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur, S. 371-399. Vgl.: Braun, Reichstagswahlen im Bayerischen Wald, S. 243. Bösch, Das konservative Milieu, S. 12. 111 Zum
Katholizismus
für
den
Untersuchungszeitraum
in:
Lönne,
K.,
Katholizismusforschung (Literaturbericht), in: GG 26, 2000, S.128-170. Hehl, U.v., Katholische Kirche und Nationalsozialismus im Erzbistum Köln 1933-1945, 1. Auflage, Mainz 1977. Breuer, T., Verordneter Wandel. Der Widerstreit zwischen nationalsozialistischem Herrschaftsanspruch und traditionaler Lebenswelt im Erzbistum Bamberg, Mainz 1992. Kaufmann, D., Katholisches Milieu in Münster 1928–1933. Politische Aktionsformen und geschlechtsspezifische Verhaltensräume, Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens 14, Düsseldorf 1984. Rau-Kühne, C., Katholisches Sozialmilieu, Region und Nationalsozialismus, in: Möller, H.; Wirsching, A.; Ziegler, W.[Hrsg.]; Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich, München 1996, S.213 – 235. Zumholz, M.A., Das katholische Emsland und die Herausforderung durch den Nationalsozialismus 1933-1945. (Vortragsmanuskript im Rahmen des Akademieabends am 15.11.2005 in der Katholisch-Sozialen Akademie Ludwig-Windhorst-Haus,Lingen), www.kath.de/akademie/lwh/hp/downloads/051115manuskriptzumholz.pdf. (21.7.2007) 112 AkD, Chronik der Diasporagemeinde St. Josef, Chronik von 1870 bis 1983. (Ohne Registratur) Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 20. 113 BT 29.7.1930. AKQ Protokollbuch Nr.2, 1931-1934. Die Funktion der ZentrumJungmannen lag darin, für die Partei zu werben und politische Bildungsarbeit zu leisten. Dafür sollten insbesondere bereits in den Jugendverbänden tätige Jugendliche gewonnen werden. Darüber hinaus wurde die Jugendorganisation als Rekrutierungsbasis für die Zentrumspartei betrachtet. (Krabbe, W.R., Parteijugend in der Weimarer Republik. Ein typologischer Vergleich am Beispiel der Zentrums- und der DVP-Jugend, in: Krabbe, W.R.[Hrsg.], Politische Jugend i der Weimarer Republik, Bochum 1993,
62 | DIE NATIONALSOZIALISTISCHE M ACHTDURCHSETZUNG IN KLEINSTÄDTEN
det wurde. Hilfreich war es für die lokale Anbindung der Zentrumspartei, dass der Rektor der katholischen Volksschule und Funktionsträger des katholischen Arbeitervereins, Niemann, als Vorsitzender der Ortsgruppe tätig war und der im konservativen Trägermilieu herausragende Funktionär Ahling als Protagonist des Zentrums auftrat. Es waren dann u.a. diese beiden Personen, die eine politische Kooperation mit Vertretern anderer Milieus ermöglichten. So kam es bei den Kommunalwahlen 1929 zu einer gemeinsamen Listenverbindung mit Vertretern des protestantisch geprägten konservativen Milieus und bei der Kommunalwahl 1933 zu einer 114 Listenverbindung mit den soeben genannten Vertretern und solchen der NSDAP. Diese Listenverbindungen waren möglich, da es Kontakte zwischen den Funktionseliten des katholischen und des konservativen Milieus gab, woran zu erkennen ist, dass Kontakte zwischen milieufremden Akteuren – wie Rössell schreibt – „in ge115 wisser Hinsicht von hoher Relevanz“ sein konnten. Das zu betrachtende katholische Organisationsmilieu bestand im Wesentlichen aus dem Trägermilieu, dem der katholische Gesellenverein und der katholische Ar116 Der Arbeiterverein spaltete sich in der Folge perbeiterverein zuzuordnen sind. sönlicher Dissonanzen zwischen dem Präses und dem Vorsitzenden Niemann Ende 117 so dass es bis Ende 1933 zwei katholische Arbeitervereine gab. Der katho1932, 118 lische Gesellenverein wurde 1888 gegründet und hatte die Aufgabe, die katholische männliche Jugend zwischen 17 und 25 Jahren im Sinne des Milieus zu soziali-
S. 38-73, hier: S. 43-44. Zum Zentrum: Schauff, J., Katholische Wähler und Zentrumspartei, in: Büsch, O.; Wölk, M.; Wölk, W.[Hrsg.], Wählerbewegung in der deutschen Geschichte. Analysen und Berichte zu den Reichstagswahlen 1871 – 1933, Berlin 1978, S.219-225. (zuerst erschienen in: Schauff, J., Die deutschen Katholiken und die Zentrumspartei. Eine politisch-statistische Untersuchung der Reichstagswahlen seit 1871, Köln 1978 (dort S. 70-77).) Hömig, H., Das preussische Zentrum in der Weimarer Republik, Mainz 1979. Morsey, R., Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwischen christlichem Selbstverständnis und „Nationaler Erhebung“ 1932/33, Stuttgart/Zürich 1977. Blankenberg, H., Politischer Katholizismus in Frankfurt am Main 1918-1933, Mainz 1981. Mazura, U., Zentrumspartei und Judenfrage 1870/71-1933. Verfassungsstaat und Minderheitenschutz, Mainz 1994. Schönhoven, K., Der politische Katholizismus in Bayern unter der NS-Herrschaft 1933-1945, in: Broszat, M.; Mehringer, H.[Hrsg.]; Bayern in der NS-Zeit V, München/Wien 1983, S. 541 – 646. 114 BT 17.11.1929. BK 19.11.1929. BT 13.3.1933. 115 Rössel, Sozialstrukturanalyse, S. 338. 116 Vgl.: Becker, Katholisches Milieu, S. 48. 117 Vgl.: Becker, Katholisches Milieu, S. 56. 118 BT 12.11.1929. BT 17.8.1931.
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Die Mitglieder, die wegen ihres Alters, aus sieren und in dasselbe zu integrieren. beruflichen oder persönlichen Gründen aus dem Gesellenverein ausschieden, sollten durch den 1906 gegründeten Arbeiterverein bzw. ab 1932 durch die Arbeiter120 vereine aufgenommen werden. 1.4 Das sozialistische Milieu Die Nutzung der Konstruktion eines sozialistischen Milieus basiert auf Lepsius, der 121 Dieses findet in der Forschung jedoch von einem sozialistischen Milieu ausging. keine eindeutige Zustimmung. Blickt man hierzu zunächst auf SchmiechenAckermann, dann ist zu erkennen, dass er hinsichtlich der Kommunisten zwar die gleiche Argumentation wie gegenüber den Nationalsozialisten verfolgt und er von einer „spezifische[n, CP] Subkultur“ spricht, dass er aber die kommunistischen Akteure mit denen der Sozialdemokratie zum sozialistischen Milieu zusammenfasst und sich hierbei auf gemeinsame Deutungsmuster und Einstellungen sowie auf gemeinsame „alltägliche Erfahrungen im Betrieb, im Wohnviertel, in den Milieuver122 einen“ beruft. Im Prinzip ist damit Mallmanns Ausdruck des „linksproletarischen Milieus“ vergleichbar, wobei er die Ausformungen von den lokalen 123 Dennoch wendet sich bzw. regionalen Bedingungen abhängig macht. Schmiechen-Ackermann gegen Mallmanns Ansatz, da dieser auf einer „soziale[n, CP] Lage“ und nicht auf einer „sozial-moralischen Gesinnungsgemeinschaft“ basie124 die eher dem kulturellen Bereich zuzuordnen ist. In eine ähnliche Richtung re, geht auch Eumanns Kritik an Mallmann, wenn er schreibt, dass Mallmann „zwar dem sozialen, aber nicht dem kulturellen Aspekt des Milieubegriffs“ gerecht
119 Krimmer, Der katholische Gesellenverein, S. 170. Kleinöder, Verfolgung und Widerstand, S. 176. 120 Vgl.: Krenn, Die christliche Arbeiterbewegung, S. 128-133. Zu katholischen Arbeitervereinen: Raem, H.-A., Katholischer Gesellenverein und deutsche Kolpingfamilie in der Ära des Nationalsozialismus, Mainz 1982. Aretz, J., Katholische Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus, Mainz 1978. Haffert, C., Die katholischen Arbeitervereine Westdeutschlands in der Weimarer Republik, 1. Aufl., Essen 1994. Rauh-Kühne, C., Arbeiterschaft in der katholischen Provinz (1918-1933). Politische Identität zwischen Konfession und Klassenlage, in: Tenfelde, K. (Hrsg.), Arbeiter im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 321-343. 121 Bösch, Das konservative Milieu, S. 12. Vgl.: Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur, S. 371-399. Braun, Reichstagswahlen im Bayerischen Wald, S. 243. 122 Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 47-48. 123 Mallmann, Milieu, Radikalismus und lokale Gesellschaft, S. 6. 124 Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 49, inkl. Anm. 9.
64 | DIE NATIONALSOZIALISTISCHE M ACHTDURCHSETZUNG IN KLEINSTÄDTEN 125
Eumann selbst benutzt in seiner Arbeit den Ausdruck „Kommunisten im wird. 126 Dieser Ausdruck wird für die Arbeit jedoch abgelehnt, proletarischen Milieu“. da der Begriff des Proletarischen die Differenzierung der lokalen Gesellschaft nicht adäquat erlaubt, weil er zu sehr auf die wirtschaftliche Lage ausgerichtet ist und 127 Zudem ist für beide undiese die mentale Disposition zu wenig berücksichtigt. tersuchten Orte festzustellen, dass es keine adäquate Ausbildung eines kommunistischen Organisationsnetzes gab, das eine Trennung des sozialistischen Milieus in ein sozialdemokratisches und ein kommunistisches als sinnvoll erscheinen lässt. Vielmehr ist zu konstatieren, dass sich die lokalen Protagonisten z.T. in den gleichen Vereinen bewegten bzw. engagierten, dass sie z.T. die gleichen Lokalitäten für ihre Veranstaltungen nutzten und somit – wie Schmiechen-Ackermann schreibt – über 128 gemeinsame „alltägliche Erfahrungen“ verfügten. Das führt aufgrund der gemeinsamen Wurzeln und Geschichte der Arbeiterbewegung dazu, von einem sozialistischen Milieu zu sprechen, in dem die Möglichkeit der Differenzierung durch die Trennung zwischen dem Parteimilieu sowie dem Träger-, assoziiertem und Kontaktmilieu gegeben ist. Das Parteimilieu wurde in beiden untersuchten Orten durch die SPD und die KPD gebildet. Die Wurzeln der SPD in Heide reichten bis 1869 und in 129 130 Quakenbrück bis 1893 zurück. Die KPD existierte in Heide seit 1920 und als 131 Im ersten aktive Ortsgruppe in Quakenbrück ist sie erst ab 1931 nachweisbar.
125 Eumann, Eigenwillige Kohorten, S.19. Eumann verweist zudem auf Eve Rosenhafts Arbeit „über die politische Gewalt im kommunistischen Milieu Berlins“, wo er den Begriff des kommunistischen Milieus explizit verwendet, ohne ihn jedoch für seine Arbeit zu nutzen. (Rosenhaft, E., Beating the Facists? The German Communists and political Violence 1929-1933, Cambridge 1983.) 126 Eumann, Eigenwillige Kohorten, S.327. 127 Vgl. hierzu die Ausführungen zur Kritik an Rennspieß im Kapitel „Einleitung und Einordnung der Studie in die Forschungslage“. 128 Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 47-4. 129 Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 57-58. Hoffmeyer, 100 Jahre SPD-Ortsverein Quakenbrück, S. 4. 130 Pfeil, KPD, S. 176. Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 148. Zur KPD: Mallmann, K.-M., Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996. Eumann, U., Eigenwillige Kohorten der Revolution. Zur regionalen
Sozialgeschichte
des
Kommunismus
in
der
Weimarer
Republik,
Frankfurt am Main 2007. 131 StAOS Rep 439 Nr. 19. Lösche und Walter gehen statt von einem sozialistischen Milieu von einer „sozialdemokratischen Solidargemeinschaft“ aus, deren Konzept für die Arbeit nicht fruchtbar gemacht werden kann, da er zu stark auf die Sozialdemokratie
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Augenblick mag es erstaunen, beim sozialistischen Milieu von einem Parteimilieu zu sprechen, während beim Konservativismus der Ausdruck des politischen Milieus bevorzugt wurde. Die Anwendung des Parteimilieus beim sozialistischen Milieu – im Gegensatz zum politischen Milieu des Konservativismus – beruht darauf, dass die jeweiligen Ortsgruppen der KPD ihre Mitglieder z.T. aus der Sozialdemokratie rekrutiert hatten, dass beide durch das Engagement lokaler politischer Akteure eine feste lokale Anbindung besaßen und dass sie sich noch in der gleichen Vereinswelt, also im gleichen Organisationsmilieu, bewegten. Das kann für Quakenbrück z.T. darauf zurückgeführt werden, dass eine KPDOrtsgruppe erst sehr spät gegründet wurde. Partiell schien sich das für Heide ein wenig anders verhalten zu haben. Denn für 1929 teilte der Landrat in Heide dem Regierungspräsidenten in Schleswig mit, dass es in Heide einen Rotfrontkämpfer132 Diese Information legt es zubund gab, der aus 30 Personen bestanden habe. nächst einmal nahe, von einem Rotfrontkämpferbund (RFB) in Heide auszugehen. Es ist jedoch erstaunlich, dass es weder vor noch nach 1929 weitere Hinweise auf die Existenz einer Heider Ortsgruppe gibt. Das führt im Rekurs auf die Quellenkritik und das für Quakenbrück rekonstruierte Phänomen bei der „Quakenbrücker“ SA 133 dass man weniger von einem Heider Rotfrontkämpferbund ausgehen kann, dazu, als vielmehr von einem aus verschiedenen Orten gebildeten RFB ausgehen muss, dem auch Heider Kommunisten angehörten. Für eine solche Annahme spricht zudem, dass der den RFB leitende Kommunist Heuck zu diesem Zeitpunkt noch von 134 Wesselburen aus agierte, dass die bei den Auseinandersetzungen in Wöhrden agierenden Kommunisten aus unterschiedlichen Orten zusammengezogen wurden 135 nicht mehr zu vergleichbar inund dass es nach Heucks Übersiedlung nach Kiel tensiven Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten, wie in Wöhrden, kam. Ähnlich problematisch wie der Nachweis eines Heider RFB
verengt ist und damit nicht die Erfassung der Kommunisten erlaubt, die sich in den beiden Untersuchungsorten noch im sozialistischen Organisationsmilieu bewegten – auch wenn es für Heide einzelne Indizien gibt, dass es Bemühungen gab, eigene Organisationen der Kommunisten einzuführen. Da diese aber nur partiell erscheinen bzw. auch nur partiell in den Unterlagen der Versammlungsgenehmigungen der Ortspolizeibehörde nachweisbar sind, ist davon auszugehen, dass mehr als der Versuch, eigene Organisationen zu etablieren, nicht vorhanden war. (StA Hei II/686.) Zu den partiell auftretenden Organisationen gehörte die Internationale Arbeiterhilfe und die Bewegung der Freidenker. (Vgl.: Eumann, Eigenwillige Kohorten, S. 75-76.) 132 LAS 309/22875. 133 Vgl.: Anm. 247. 134 Vgl.: Pfeil, KPD, S. 172. 135 Pfeil, KPD, S. 172.
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sind Rekonstruktionen weiterer den Kommunisten angegliederter Organisationen. Denn es sind immer nur rudimentäre und nur partielle Nachweise vorhanden – so zur Versammlung der Internationalen Arbeiterhilfe 1931 und der Freidenker 136 Das führt dazu, diese partiellen Auftritte als Bemühung um die Initiierung 1932. solcher Organisationen zu betrachten, die aufgrund des vereinzelten Auftretens aber als gescheitert betrachtet werden müssen. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass sich Kommunisten und Sozialdemokraten nach wie vor grosso modo in einem gemeinsamen Organisationsmilieu bewegten. Das dem Organisationsmilieu zuzuordnende Trägermilieu wies hinsichtlich der politischen Vorfeldorganisationen in beiden Städten weitgehende Ähnlichkeiten auf. So fungierte die jeweilige Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB), des Reichbanners und der Eisernen Front in beiden Städten 137 Hinzu kamen im assoziierten Milieu als politische Vorfeldorganisation der SPD. die Kinderfreunde, die ebenfalls in Heide und Quakenbrück nachweisbar sind, sowie das Jungbanner in Heide und die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) in Quakenbrück. Zur Kategorie des Kontaktmilieus sind in Heide die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und für Quakenbrück der Reichsbund zu zählen. Die zum jeweiligen Trägermilieu gehörende Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds existierte in Quakenbrück seit 1907 und in Heide lässt sie sich für den Zeitraum von 1928 bis 1932 nachweisen – im Jahr 1932 endet die 138 Überlieferung. Beim Reichsbanner handelte es sich ursprünglich um einen Veteranenverband der Teilnehmer des Ersten Weltkriegs, der im Gegensatz zum Stahlhelm eine de139 und dem sich zumokratische bzw. republikanische Grundorientierung besaß 140 nächst neben der SPD auch das Zentrum und die DDP anschlossen, um gemein141 Das gemeinsame Agieren der sam gegen Links- und Rechtsextreme zu agieren. drei politischen Gruppierungen ergab sich aus einer gemeinsamen Frontstellung gegenüber der „Agitation rechtsradikaler Kampfverbände“ im Kontext der Morde an 142 Erzberger und Rathenau und war sowohl in Heide als auch in Quakenbrück bis
136 StA Hei II/686. Vgl.: Eumann, Eigenwillige Kohorten, S. 75-76. 137 Vgl.: Lehnert, Die Sozialdemokraten, S. 90. Winkler, Weimar, S. 527. 138 HA 29.3.1928. HA 28.9.1932. BT 23.6.1930. 139 Weber, Das Reichsbanner im Norden, S. 127, 130. Stokes, Die Anfänge des Eutiner Reichsbanners, in: DG 2, 1988, S. 335. Vgl.: Winkler, Der Schein der Normalität, S. 378-379. Rohe, Das Reichsbanner, S. 52. 140 Weber, Das Reichsbanner im Norden, S. 130. Bracher, Auflösung, S. 143. Vgl.: Rohe, Das Reichsbanner, S. 52-53. 141 Weber, Das Reichsbanner im Norden, S. 144. Bracher, Auflösung, S. 133, 143. 142 Bracher, Auflösung, S. 143.
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1928 dadurch nachweisbar, dass für das sozialistische Milieu fremde Personen im 143 Ab 1928 erfolgte jedoch eine Fokussierung Reichsbanner Funktionen ausübten. auf die Sozialdemokratie, die durch personelle Identitäten in Funktionen bzw. durch gemeinsame Veranstaltungen gegeben war. Insofern trifft Brachers Äußerung, dass das Reichsbanner „vor allem zur Verbreitung und Stärkung der Grundlage der SPD 144 beitrug“, ab 1928 zu – Weber spricht in seinem 2010 veröffentlichten Aufsatz sogar davon, dass das Reichsbanner in zunehmendem Maße als „Vorfeldorganisati145 Ob das Reichsbanner dabei nur eine on der SPD wahrgenommen“ worden sei. 146 „passive Gewaltbereitschaft“, wie Kluge es formulierte, zum Ausdruck brachte oder eine durchaus vorhandene aktive Bereitschaft zur Gewaltanwendung, die sich 147 aus Haffners und Kochs Äußerungen, die zum einen von einem Kampfverband 148 und zum anderen von Angriffen des Reichsbanners sprachen, ableiten lässt, kann auf der Basis der Quellenlage zu Heide und Quakenbrück dahingehend geklärt werden, dass es für die Jahre 1928 bis 1933 keine nachweisbaren Auseinandersetzungen gab, bei denen das Reichsbanner als Initiator auftrat. Ob es diese Tatsache war, die Mehringer zu der Behauptung, dass das Reichs149 veranlasste, kann nicht banner der Schutztruppe der Eisernen Front bedurft habe, geklärt werden. Jedoch kann er keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit beanspruchen, was durch Schwarzwälders Ergebnisse zu Bremen und Möllers zum Landkreis Steinburg (Elbe) sichtbar wird. Denn in Bremen trat das Banner als Saalschutz für die SPD auf und trainierte dafür Jiu Jitsu, bot Box-Kurse an und führte Gelände150 spiele durch. In Itzehoe, Landkreis Steinburg, soll das Reichsbanner bei einer Enthüllung des Ebert-Denkmals eine Schlägerei mit Nationalsozialisten begonnen 151 Daraus lässt sich, mit Rekurs auf Mehringers Äußerung, folgern, dass die haben. Funktion und das Auftreten des Reichsbanners eher den lokalen Umständen angepasst war. Diese Erkenntnis hat für Peukerts Äußerung, dass das Reichsbanner
143 Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 208. StAOs Rep. 439 Nr. 19. In Heide existierte das Reichsbanner seit 1924 und in Quakenbrück kann es für den gesamten Untersuchungszeitraum beleget werden. 144 Bracher, Auflösung, S. 143. Vgl.: Stokes, Die Anfänge des Eutiner Reichsbanners, S. 338. Chickering, The Reichsbanner, S. 524-534. (Zit. Nach: Stokes, Die Anfänge des Eutiner Reichsbanners, S. 338.) 145 Weber, Das Reichsbanner im Norden, S. 130. Vgl.: Voigt, Kampfbünde, S. 434. 146 Kluge, Weimarer Republik, S. 229. 147 Haffner, Anmerkungen zu Hitler, S. 32-33. 148 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 126. 149 Mehringer, Die bayrische Sozialdemokratie, S. 338-339. 150
Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd.3., S. 583.
151 Möller, Eine Küstenregion im politisch-sozialen Umbruch, S. 480.
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ebenso wie der Rotfrontkämpferbund und die SA ein militarisierter Männerbund gewesen sei, der den Alltag der Mitglieder zeitlich ausgefüllt habe und als Sinnstifter in einer Zeit der persönlichen, sozialen und politischen Desorientierung aufge152 die Notwendigkeit einer Relativierung des allgemeingültigen Antreten sei, spruchs zur Folge. Das gilt ebenso für Kluges Behauptung, dass eine der Funktionen des Reichsbanners in der Restabilisierung der fragil gewordenen proletarischen 153 Solidargemeinschaft und der damit verbundenen Milieubindung gelegen habe. Ebenso wie das Reichsbanner konnte auch die Eiserne Front als Männerbund gelten, deren Gründung eine Reaktion des Reichsbanners, des ADGB und der SPD auf die im Oktober 1931 gebildete Harzburger Front darstellte, bei der es sich um eine Vereinigung der Deutschnationalen, des Stahlhelms und der Nationalsozialis154 Dementsprechend sollte die Eiserne Front als republikanische ten handelte. Schutztruppe gegen die politischen Verbände der Konservativen und Nationalsozialisten fungieren. Dass es innerhalb der Sozialdemokratie Vorbehalte gegen die Eiserne Front gegeben habe, die Hofmann für die Parteispitze konstatierte, die die Ei155 serne Front als Konkurrenz zur Partei betrachtet habe, ist auf lokaler Ebene nicht nachweisbar. Hier nutzten die Sozialdemokraten vielmehr die Eiserne Front als zusätzliche Organisation, um im Sinne des demokratischen Systems zu agieren. Das ist zum Beispiel für Heide, wo die Ortsgruppe seit Januar 1932 zu belegen ist, an der am 8. April 1932 durchgeführten Veranstaltung der Eisernen Front aufzuzei156 und bestätigt tendenziell Kaacks Ausführungen, der davon sprach, dass die gen 157 Eiserne Front ein eigener Verband der Sozialdemokratie war. Ob sie als ein der Sozialdemokratie untergeordneter Verband – und damit quasi als Gliederung der SPD – zu betrachten ist, müssen eingehendere Studien untersuchen, die sich mit dem Verhältnis beider Organisationen beschäftigen. Festzuhalten ist, dass es durch die gemeinsame auf das System von Weimar vorhandene politische Ausrichtung sowie durch die personellen Verflechtungen, in Heide und Quakenbrück, wo die Ortsgruppe im Februar 1932 gegründet wurde, eine Nähe gab, die es ermöglicht, die Eiserne Front dem sozialistischen Milieu zuzuordnen.
152 Peukert, Die Weimarer Republik, S. 249. 153 Kluge, Weimarer Republik, S. 228. 154 Hofmann, Geschichte der deutschen Parteien, S. 280. Orlow, Weimar Prussia, S. 135. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd.3, S. 509. Hoffstadt, Stahlhelm, S. 586. Recker, Emsdetten und Nordwalde, S. 180. 155 Hofmann, Geschichte der deutschen Parteien, S. 137. 156 HA 11.4.1932. 157 Kaack, Geschichte und Struktur, S. 152.
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Zum assoziierten Milieu gehörte die ab 1931 in Heide existierende Jugendorga158 und nisation des Reichsbanners, deren Existenz für 1931 und 1932 nachweisbar deren Zuordnung zu einem Milieu bereits durch das Reichsbanner vorgegeben ist. Dementsprechend kann das Heider Jungbanner als Jugendorganisation des sozialis159 Eine solche Jugendorganisation ist in Quakenbrück nicht tischen Milieus gelten. zu rekonstruieren, was wenig verwundert, wenn man berücksichtigt, dass es in Quakenbrück ab August 1930 eine sozialistische Jugendorganisation, die Sozialisti160 und dass es allgemein eine Konkurrenz zwische Arbeiterjugend (SAJ), gab schen Jungbanner und der SAJ gegeben habe – eine Konkurrenz, wie Schley 161 schreibt, im gleichen Milieu. Diese Äußerung beruht auf der Prämisse, dass die jeweiligen sozialistischen Milieus in Heide und Quakenbrück nicht groß genug waren, um zwei konkurrierende Jugendorganisationen zu gründen, die sich an die gleiche Klientel richteten – nämlich im Fall des Jungbanners an die Jugendlichen im Alter von 14-18 Jahren und im Fall der SAJ an die Jugendlichen zwischen 14 und 162 In Verbindung mit der Quakenbrücker SAJ standen die Kinderfreun20 Jahren. 163 de, deren Ortsgruppe – ebenso wie in Heide – im Jahr 1932 gegründet wurde. Damit können auch die Kinderfreunde, die die Kinder zwischen acht und 14 Jahren 164 dem sozialistischen zur Einbindung in das sozialistische Milieu erfassen sollten, 165 Organisationsmilieu zugeordnet werden. Das abschließend darzulegende Kontaktmilieu bestand aus dem Reichsbund und der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Der Reichsbund wurde in Heide 1919 gegründet und 166 Beide Ortsin Quakenbrück ist seine Existenz von 1927 bis 1933 zu belegen. gruppen gehörten dem Dachverband des Reichsbunds der Kriegsbeschädigten, der
158 HA 24.4.1931. HA 25.9.1931. 159 Vgl.: Stokes, Die Anfänge des Eutiner Reichsbanners, S. 337. Weber, Das Reichsbanner im Norden, S. 130. 160 BT 16.8.1930. BK 17.8.1930. AA 17.8.1930. 161 Schley, SAJ, S. 217-219. Vgl.: Voigt, Kampfbünde, S. 153-155. 162 Voigt, Kampfbünde, S. 154. Schley, SAJ, S. 218. 163 BT 10.1.1933. HA 30.5.1932. Die Verbindung zur SAJ war durch personelle Verflechtungen gegeben. Vgl.: Eberts, 1979, S. 130. BT 19.12.1932. BK 19.12.1932. AA 19.12.1932. Seitz, F., Die Kinderfreunde – Die Falken. Bezirk Pfalz 1923-1948. Gründung, Aufstieg, Verbot und Wiederaufbau einer sozialdemokratischen Organisation, 1. Auflage, Hamburg 2010, S. 48. 164 Schley, SAJ, S. 218. 165 Vgl.: Seitz, Die Kinderfreunde, S. 38, 47. Eppe, Die „Kinderfreunde“-Bewegung, S. 162. Mehringer, Die bayrische Sozialdemokratie, S. 367. Hetzer, Die Industriestadt Augsburg, S. 191. 166 HA 11.3.1929. BK 16.9.1927.
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Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen an, der als Interessenverband zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung gegründet wurde und eine Reaktion auf die Gründung der von der Schwerindustrie gesponserten wirtschaftlichen Vereinigung Kriegsbeschädigter war und die Interessenvertretung der Klientel nicht „den Geg167 Zu diesem Zweck habe sich der nern der Arbeiterbewegung“ überlassen wollte. Reichsbund darum bemüht, eine Einheitsorganisation zu bilden, die Kontakte zu allen demokratischen Parteien besitzen sollte. Als hinderlich habe sich dabei die Spaltung der Gewerkschaften in christliche Gewerkschaften und denen des ADGB erwiesen, so dass der Reichsbund schließlich politisch zu der „sozialistischen Rich168 tung mit den freien Gewerkschaften“ gezählt wurde. Trotz der durch das Zitat angedeuteten Nähe zur Sozialdemokratie, die in beiden Orten personell dadurch manifestiert wurde, dass sich Personen sowohl in der SPD als auch im Reichsbund engagierten, war der Reichsbund – hier dürfte sich die ursprüngliche Bemühung um Kontakte zu allen demokratischen Parteien ausgewirkt haben – offen gegenüber „milieufremden“ Personen. Diese Offenheit ließ es sowohl in Quakenbrück als auch in Heide zu, dass die Vorsitzenden zeitweise dem sozialistischen Milieu fremde Personen waren. An dieser Stelle mögen Zweifel darüber, ob der Reichsbund zum sozialistischen Milieu zu zählen ist, entstehen. Wenn man aber zum einen die von Falk o.a. vorgenommene Zuordnung akzeptiert und die von Welskopp in seinem „Banner der Brüderlichkeit“ aufgezeigten Stufen der „Bindungsintensität und Prä169 berücksichtigt, dann kann der Reichsbund dem sozialistischen Milieu gekraft“ zugeordnet werden, wobei ihm grundsätzlich eine geringere „Bindungsintensität und Prägekraft“ als dem ADGB zu konstatieren ist. Dem wird hier insbesondere dadurch begegnet, dass er dem sozialistischen Kontaktmilieu zugeordnet wird. Die Arbeiterwohlfahrt wurde 1919 von der sozialdemokratischen Abgeordneten der Nationalversammlung, Marie Juchacz, ins Leben gerufen und sei der deutschen 170 Sozialdemokratie angegliedert gewesen. Diese Anbindung an die Sozialdemokratie war in Heide durch personelle Überschneidungen zwischen der SPD und der
167 Falk, Vom Reichsbund zum Sozialverband Deutschland, S. 206-207. 168 Falk, Vom Reichsbund zum Sozialverband Deutschland, S. 207. 169 Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 50. 170 http://www.awo.org/awo-deutschland/geschichte.html. (10.5.2012) Zur Arbeiterwohlfahrt: Monat, A., Sozialdemokratie und Wohlfahrtspflege. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Arbeiterwohlfahrt, Stuttgart 1961. Niedrig, H., Arbeiterwohlfahrt. Verband für soziale Arbeit, Geschichte, Selbstverständnis, Arbeitsfelder, Daten, 2. Auflage, Wiesbaden 1987. Geier, J., „Praktischer Sozialismus oder Mildtätigkeit“? Die Geschichte der Arbeiterwohlfahrt Essen 1919-1933, Essen 1989. Eifert, C., Frauenpolitik und Wohlfahrtspflege. Zur Geschichte der sozialdemokratischen „Arbeiterwohlfahrt“, Frankfurt 1993.
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Ortsgruppe der AWO, deren Existenz für den Zeitraum von 1930 bis 1932 nachweisbar ist, gegeben. Obgleich die Aktivitäten nur für einen kurzen Zeitraum nachweisbar sind und die Informationen auf der rudimentären Quellenlage nur einen fragmentarischen Ausschnitt der Intensität der Arbeit zu rekonstruieren erlauben, ermöglichen die überlieferten Informationen dennoch einen Einblick in die Arbeit der Jahre 1930-1932, die an dem Leitgedanken der „Selbsthilfe und Solidarität“ 171 ausgerichtet war.
2. D IE
SOZIALE B INDUNG ALS G RUNDVORAUSSETZUNG DER SOZIALEN B ASIS DES P OLITISCHEN
Die soziale Bindung als Grundvoraussetzung der sozialen Basis des Politischen zu bezeichnen, beruht auf dem Gedankenkonstrukt, dass die Existenz bzw. der Fortbestand der sozialen Basis, also der Milieus, durch die Bindung der Menschen an das Milieu bestimmt wird. Die soziale Bindung zusätzlich zu der durch die Milieustruktur vorgegebenen Bindungsintensität zu betrachten, ist dem zeitlich verschobenen Ausbau des jeweiligen nationalsozialistischen Organisationsmilieus in Quakenbrück und Heide geschuldet. Denn mit der durch die Milieustruktur vorgegebenen Bindungsintensität lässt sich nicht erklären, weshalb die Menschen des konservativen Milieus in Quakenbrück später als in Heide zu nationalsozialistischen Organisationen wechselten. Mit dieser Äußerung wird eine Ausführung aus dem Kapitel zu den Milieus aufgenommen, dass nämlich das konservative Milieu das rekrutierungspotential für die Nationalsozialisten darstellte. Dementsprechend werden die Betrachtungen zur sozialen Bindung auf das konservative Milieu beschränkt bleiben. Die soziale Bindung ist jedoch nur ein Faktor, der durch das Verhalten von Funktionsträgern bzw. politischen Akteuren ebenso bestimmt wird wie durch den Erfolg der NSDAP, da Erfolg bekanntlich „sexy“ macht. Der Aspekt der Bindung ist in der lokalgeschichtlichen Forschung zum Nationalsozialismus erstmals in Kleinöders Studie von 1979 implizit vorhanden, wurde 172 jedoch als „innere Festigung“ bezeichnet und besaß keine expliziten Indikatoren, woran das zu erkennen war. Eine Fortentwicklung erfuhr der Aspekt der Bindung in Weichleins Studie „Sozialmilieus und politische Kultur in der Weimarer Republik“, in der er den Begriff „politische Bindekraft“ nutzte, um die Bedeutung des Organisationsmilieus für das politische Sozialmilieu und den politischen Willensbildungs173 Im gleichen Jahr nutzte Pfeil den Begriff „Bindekraft“ prozess herauszustellen. in seiner Dissertation zu Heide, ohne dem Leser die Bedeutung und die Indikatoren 171 http://www.awo.org/awo-deutschland/geschichte.html. (10.5.2012) 172 Kleinöder, Verfolgung und Widerstand, S. 188. 173 Weichlein, Sozialmilieus, S. 219.
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Ein solches Defizit findet sich auch in Raßloffs Arbeit „Flucht in zu explizieren. 175 denn Raßloff, der den Erfolg der NSDAP auf die nationale Volksgemeinschaft“; die mangelhafte Bindekraft der „bürgerlichen Parteien“ zurückführte, lässt die Explikation von Indikatoren, die zu seiner Erkenntnis führten, fehlen. Das hat zur Folge, dass an dieser Stelle eine Auseinandersetzung mit dem Aspekt der Bindung vorgenommen werden muss. Dabei wird von der Arbeit Kleinöders ausgegangen, die schreibt, dass es neben der zahlenmäßigen Aufwärtsbewegung von 1929 bis 176 Betrachtet man 1932 auch eine „innere Festigung“ der Verbände gegeben habe. Kleinöders Ausführungen intensiver und nimmt man eine Deutung ihrer These vor, so lassen sich zwei Formen der sozialen Bindung ableiten – nämlich eine externe und eine interne soziale Bindung. Soziale Bindung soll hierbei zunächst einmal bedeuten, dass sich eine Person zu einer Organisation bzw. anderen in dieser Organisation vorhandenen Personen hingezogen fühlt und dieses – im externen Fall – durch das Eingehen einer Mitgliedschaft oder – im internen Fall – durch die Teilnahme an Veranstaltungen der Organisation zum Ausdruck bringt. Eine zunehmende Mitgliederzahl manifestiert hierbei eine zunehmende externe Bindung und eine Zunahme der Frequenz der Versammlungen bringt eine intensivere interne Bindung zum Ausdruck. Dementsprechend wäre Kleinöders konstatierte zahlenmäßige Aufwärtsbewegung mit einer zunehmenden externen Bindung und die innere Festigung mit einer wachsenden internen Bindung verbunden. Beginnt man die Ausführungen zur sozialen Bindung des konservativen Organisationsmilieus in Quakenbrück mit einer Betrachtung der anhand der Pressepräsenz rekonstruierten Organisationen, dann ist festzustellen, dass das konservative Organisationsmilieu sich von 1928 bis 1933 auszudifferenzieren begann. Das bedeutet, dass eine zunehmende Anzahl von Organisationen entstand, reanimiert wurde oder dass die Notwendigkeit der Präsenz in der Presse erkannt wurde. Aus der Ausdifferenzierung und der damit verbundenen Zunahme von Organisationen ist, weil sie eine adäquate Vereinstätigkeit entfalteten, eine zunehmende soziale Bindung abzuleiten.
174 Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 297. 175 Raßloff, Flucht in die nationale Volksgemeinschaft, S. 21. 176 Kleinöder, Verfolgung und Widerstand, S. 188.
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Abbildung 1: Anhand der Pressepräsenz rekonstruierte Ausdifferenzierung des konservativen Organisationsmilieus in Quakenbrück (1928-1933)
Betrachtet man unter der Perspektive der sozialen Bindung exemplarisch die Entwicklung des Mitgliederbestands des Evangelischen Arbeitervereins, so kann festgestellt werden, dass grosso modo bis 1932 eine Zunahme des Mitgliederbestands zu konstatieren ist, während 1933 ein Rückgang vorhanden war.
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Abbildung 2: Anhand des Protokollbuchs und der Presseberichte rekonstruierter Mitgliederstand des Evangelischen Arbeitervereins in Quakenbrück (1928-1933)
Der dargestellte Rückgang von 1928 bis 1929 (s. Abb. 18) ist nicht unproblematisch, da gemäß dem Protokollbuch 1929 430 Mitglieder vorhanden gewesen sein sollen. In der Überlieferung der Bersenbrücker Tageszeitung findet man aber im Bericht der Jahreshauptversammlung vom 29. Januar 1930 den Hinweis, dass der Mitgliederbestand 1929 um 16 höher war als 1928 – dementsprechend hätten es 451 177 Diese Differenz der Daten ist auf den BetrachtungszeitMitglieder sein müssen. punkt zurückzuführen. Das bedeutet, dass die vorliegende, in der Grafik abgebildete Mitgliederzahl von 1929 den im Protokollbuch am 10. Februar 1929 notierten Be178 stand manifestiert. In einem Bericht der Bersenbrücker Tageszeitung vom 5. März 1931 ist der Hinweis zu finden, dass der Evangelische Arbeiterverein 1930 438 Mitglieder ge179 habt habe. Hinsichtlich dieser Mitgliederzahl ist nicht zu klären, zu welchem Zeitpunkt diese galt. Da aber keine weiteren Informationen vorliegen, muss das Zugeständnis der nicht näher zu terminierenden Geltung für das Jahr 1930 gemacht werden. Für das Jahr 1931 sind keine vergleichbaren Schwierigkeiten vorhanden, da die grafisch dargestellte Mitgliederzahl durch das Protokollbuch und die 180 Bersenbrücker Tageszeitung abgesichert ist. Das kann für die errechnete Mitgliederzahl des Jahres 1932 nicht gelten. Denn diese ergibt sich aus der Mitgliederzahl des Jahres 1931 und der im Protokollbuch festgehaltenen Aufnahme von 17
177 BT 29.1.1930. 178 EPA, Protokollbuch II des evangelischen Arbeitervereins, 10.2.1929. 179 BT 5.3.1931. 180 EPA, Protokollbuch II des evangelischen Arbeitervereins, 4.3.1931. BT 4.3.1931.
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Ob es in dem Zeitraum der Aufnahme der 17 Mitglieder auch AbMitgliedern. gänge gab, wie z.B. durch den Tod von Mitgliedern, ist nicht nachweisbar. Um einer potentiellen Kritik der gewählten Verfahrensweise zur Bestimmung des Mitgliederbestands zu begegnen, ist zu konstatieren, dass der Mitgliederanstieg 1932 möglicherweise nicht so hoch war, wie er dargestellt wird. Aber es ist grundsätzlich von einer tendenziellen Zunahme der Mitgliederzahl auszugehen. Diese Annahme lässt sich durch die überlieferten Daten zur Sterbekasse des Vereins stützen, denn deren Mitgliederzahl nahm 1932 gegenüber 1931 um sechs Personen zu und 1933 gegenüber 1932 um 15 Personen ab, entsprach also der Tendenz der Mitgliederent182 Der Tendenz der zunehmenden Bindung entwicklung des Arbeitervereins. sprach die Entwicklung der internen Bindung der Organisationen des konservativen Organisationsmilieus. Denn bei einer Betrachtung der anhand des Stahlhelms, des Kriegervereins und des Evangelischen Bunds generierten Werte der internen sozialen Bindung des konservativen Organisationsmilieus ist zu erkennen, dass diese von 1929 bis 1931 anstieg und 1932 auf dem Niveau des vorherigen Jahres verharrte (s. Abb. 19). Abbildung 3: Relationale Auswertung der quantifizierten qualitativen Daten zur Teilnahme an Veranstaltungen des konservativen Organisationsmilieus in Quakenbrück (1928-1933)
Ähnlich wie zu Quakenbrück lassen sich zu Heide nur tendenzielle Entwicklungen aufzeigen. Beginnt man die Ausführungen zur sozialen Bindung des konservativen Organisationsmilieus in Heide mit einer Betrachtung des Organisationsmilieus,
181 EPA Protokollbuch II des evangelischen Arbeitervereins, 31.3.1932. 182 BT 1.2.1933.
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dann kann man feststellen, dass es zwischen 1928 und 1933 kaum eine Ausdifferenzierung gab, die zu einem relevanten Ausbau der Organisationen des Milieus führte. Vielmehr deutet sich an, dass es grosso modo eine Stagnation gab. Ergänzt man diese Äußerungen um den Aspekt, dass der Vorsitzende des Reitervereins Ditmarsia, Claussen, und der Vorsitzende des Handwerkerbunds, Bruhn, ab 1931 in der SA bzw. NSDAP tätig waren und dort als Funktionsträger agierten und diese Organisationen dadurch in das nationalsozialistische Kontaktmilieu gerieten, dann ist die Berücksichtigung des Reitervereins und des Handwerkerbunds als Organisationen zur sozialen Bindung des konservativen Organisationsmilieus problematisch. Denn die beiden Protagonisten führten die beiden Organisationen in das nationalsozialistische Kontaktmilieu. Daraus folgt, dass dem konservativen Organisationsmilieu ab 1931 die beiden genannten Organisationen als Bindungsinstanzen wegbrachen und dass sich daraus eine Abnahme der Mitglieder des Milieus ableiten lässt, die durch die gleichzeitigen Mitgliedergewinne des nationalsozialistischen Organisationsmilieus, insbesondere des Trägermilieus (SA), bestätigt zu werden scheint. Zudem deuten die rudimentär überlieferten Informationen zum Mitgliederbestand des Kriegervereins, die fragmentarischen Informationen zu den Neuaufnahmen des Stahlhelms und die Entwicklung der Mitgliederzahlen des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz in die gleiche Richtung. Der Frauenverein besaß eine karitative Aufgabe und eine vergleichbare Funktion besaß wie die NS183 Deshalb scheint es kein Zufall gewesen zu sein, dass der FrauenFrauenschaft. verein ausgerechnet in dem Jahr, in dem das Rote Hakenkreuz offiziell gegründet wurde, den geringsten für den Untersuchungszeitraum nachweisbaren Mitgliederbestand besaß. Der Kriegerverein, der zum assoziierten Milieu gehörte und den Bösch, Matt184 besaß zwischen hiesen und Voigt zum Kern des konservativen Milieus zählten, 1929 und 1933 eine tendenziell negative Mitgliederentwicklung. Das deutet auf einen Rückgang der sozialen Bindung von Personen an das konservative Milieu.
183 HA 11.8.1931. Streubel, Frauen in der politischen Rechten, S. 142. Rösch, Die Münchener NSDAP, S. 271-272. 184 Voigt, Kampfbünde der Arbeiterbewegung, S. 359. Vgl.: Bösch, Das konservative Milieu, S. 67-69.
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Abbildung 4: Mitgliederentwicklung des Kriegervereins in Heide (1929-1933)
Die negative Entwicklung kann auf die positive Entwicklung des nationalsozialistischen Trägermilieus zurückgeführt werden. Denn es ist davon auszugehen, dass der Mitgliederrückgang insbesondere auf das Anwachsen der SA zurückzuführen ist. Eine solche Deutung ergibt sich, wenn man davon ausgeht, dass potentielle und bereits rekrutierte Mitglieder des Kriegervereins sich nicht für eine Mitgliedschaft in demselben entschieden oder eine solche sogar zugunsten einer Mitgliedschaft in der SA aufgaben. Dieser Erklärungsansatz ist unmittelbar mit der Frage nach der Indizienkette der Plausibilitätsannahme verbunden. Diese ist in der Weise zu generieren, dass zunächst einmal – gemäß Sellin – davon auszugehen ist, dass durch die Mitgliedschaft im Kriegerverein eine militaristische Mentalität zu konstatieren 185 186 die – nach Weichlein – im „Ideal der kriegerischen Jugend“ kulminierte. ist, Diesem Ideal hätten die Kriegervereine jedoch, so Weichlein, aufgrund ihrer Über187 Anders verhielt sich dieses bei der sich militaalterung kaum noch entsprochen. ristisch inszenierenden SA mit ihren Aufmärschen und Übungsabenden. Denn die SA bestand – das ist für die Provinz Schleswig-Holstein für 1930 nachweisbar – zu 188 70 % aus Mitgliedern, die nicht älter als 30 Jahre waren. Dementsprechend traf das vom Kriegerverein propagierte „Ideal der kriegerischen Jugend“ eher auf die SA zu. Diese wiederum – so legt es Broszat für den in der fränkischen Schweiz gelegenen Bezirk Ebermannsstadt dar – verstand es, an die Kriegervereine anzuknüpfen, indem im Anschluss an Aufmärsche Gottesdienste durchgeführt wurden oder 189 Als Geistliche als Redner in nationalsozialistischen Versammlungen auftraten.
185 Sellin, Mentalitäten in der Sozialgeschichte, S. 115. 186 Weichlein, Sozialmilieus, S. 209. 187 Weichlein, Sozialmilieus, S. 209. 188 LAS 301/4558. 189 Broszat; Fröhlich; Wiesemann; Bayern in der NS-Zeit Bd.1, S. 47. Schuster legt in seiner Arbeit zur SA in der Machtergreifung in Berlin und Brandenburg dar, dass die SA
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ein solcher geistlicher Redner konnte der ehemaliger Borkumer Pfarrer Münchmeyer gelten, der bereits 1928 und 1929 als Redner nationalsozialistischer 190 Zudem existierten mentale AnknüpfungspunkVersammlungen in Heide auftrat. 191 te durch das im Kriegerverein vertretene Führerprinzip, durch die demokratie192 und durch die bereits genannte mentale militaristische Dispofeindliche Haltung 193 sition. Das führte zu Doppelmitgliedschaften, die gemäß Kittel von den Nationalsozialisten genutzt wurden, um die Kriegervereine zu „Zentralen der nationalso194 zialistischen Agitation zu machen“. Für den Stahlhelm können die Doppelmitgliedschaften in demselben und in der NSDAP – wohl auch in einer nationalsozialistischen Organisation – ab 1930 ausgeschlossen werden, da zunächst Hitler diese untersagte. Im Anschluss erfolgte ein 195 Verbot der Doppelmitgliedschaft durch die Führung des Stahlhelms. Das bedeutet, dass sich die Personen ab 1930 entweder für eine Mitgliedschaft im Stahlhelm oder in einer nationalsozialitischen Organisation entscheiden mussten. Diese Entscheidung war vor 1930 noch nicht notwendig und führte dazu, dass Doppelmitgliedschaften durchaus vorhanden sein konnten, wie es für den Vergleichsort 196 Für Heide sind solche Doppelmitgliedschaften Quakenbrück nachzuweisen ist. zwar auch zu konstatieren, aber sie sind nicht explizit nachzuweisen – auch wenn Pfeil in seiner Dissertation die Hypothese aufstellt, dass es „personelle Übereinstimmungen“ gegeben habe. Das Problem der Pfeilschen Hypothese liegt darin, dass er seiner Annahme weder eine argumentative Explikation noch einen Beleg 197 folgen lässt. Dementsprechend ist jener Tatbestand lediglich zu konstatieren und ursächlich wohl auf die gemeinsamen Aktionen von Stahlhelm und NSDAP zurückzuführen – auf das Volksbegehren gegen den Young-Plan und auf partiell ge198 Diese Kooperation könnte dann dazu geführt haben, meinsame Veranstaltungen. dass aufgrund ideologischer Gemeinsamkeiten insbesondere die jüngeren Mitglie-
sogar Versammlungen im Kriegervereinshaus abhielt. (Schuster, Die SA in der Machtergreifung, S. 128, 218. 190 HA 26.10.1928. HA 8.10.1929. Noakes, The Nazi Party in Lower Saxony, S. 122. 191 Bracher; Schulz; Sauer; Die nationalsozialistische Machtergreifung I, S. 52. 192 Kluge, Die Weimarer Republik, S. 226. 193 Sellin, Mentalitäten in der Sozialgeschichte, S. 115. 194 Kittel, Provinz zwischen Reich und Republik, S. 291. 195 Berghahn, Stahlhelm, S. 148, inkl. Anm.2. Horn, Führerideologie und Parteiorganisation, S. 321. Vgl.: Hellfeld, Bündische Jugend und Hitlerjugend, S. 54. 196 StAOS Rep 430 Dez 201 Akz 5/66 Nr. 12 Bd. 1. 197 Pfeil, Vom Kaiserreich ins Dritte Reich, S. 207. 198 HA 29.6.1929. vgl.: Berghahn, Stahlhelm, S. 129. Pfeil, Vom Kaiserreich ins Dritte Reich, S. 319. Stokes, „Wegbereiter des neuen nationalen Werdens“, S. 9-10.
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der Doppelmitgliedschaften eingingen, die sie nach dem Verbot der Doppelmit199 gliedschaften ab 1930 veranlasste, die Mitgliedschaft im Stahlhelm aufzugeben. Für eine solche Annahme spricht zum einen der hohe Anteil der SA-Mitglieder, der unter dreißig Jahren war, und die von Tautz explizierte Information, dass die Mit200 Denn glieder des Stahlhelms grosso modo zwischen 30 und 45 Jahre alt waren. demgemäß ist anzunehmen, dass es genau der Anteil der unter Dreißigjährigen war, der dem Stahlhelm ab spätestens 1930 wegbrach. Dazu trugen allgemein auch die Auseinandersetzungen zwischen Stahlhelm und Nationalsozialisten im Anschluss an die Harzburger Front bei, indem es die von Berghahn konstatierten Abwer201 bungsversuche der SA gab. Diese Entwicklung führte 1932 im Kontext der Reichspräsidentenwahl zu einer 202 die auch den Heider Stahlhelm erfasst haben Austrittswelle aus dem Stahlhelm, muss, da die Mitgliederzahl der Heider SA, die als Pendant des Stahlhelms im nationalsozialistischen Organisationsmilieu betrachtet werden kann, in dem Jahr weiter anstieg und, so erneut Berghahn, „der Sog der NSDAP“ auf die Mitglieder des Stahlhelms „sehr stark“ wurde und diese aus ihren „nationalsozialistischen Neigun203 Das musste zwangsläufig zu einem Mitgliedergen“ keinen Hehl mehr machten. rückgang führen, der bereits für den Kriegerverein tendenziell aufgezeigt werden konnte und der sich ebenfalls für den Vaterländischen Frauenverein vom Roten Kreuz andeutet (s. Abb. 5).
199 Vgl.: Pfeil, Vom Kaiserreich ins Dritte Reich, S. 205. Nordmark, S. 265. 200 Tautz, Militaristische Jugendpolitik, S. 80. 201 Berghahn, Stahlhelm, S. 187-188. 202 Berghahn, Stahlhelm, S. 219. 203 Bergahn, Stahlhelm, S. 219.
Rietzler,
Kampf
in
der
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Abbildung 5: Mitgliederbestand des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz in Heide (1928-1931)
Berücksichtigt man für den Frauenverein Katers Ausführung, dass es im schleswigholsteinischen Eutin im Dezember 1929 zur Gründung einer Zelle des nationalsozi204 alistischen Deutschen Frauenordens (DFO) kam, berücksichtigt und die Informationen hinzuzieht, dass es durchaus Mitgliedschaften von Frauen in der NSDAP gab, deren Proportion an der Gesamtmitgliederzahl der NSDAP lokal bedingt 205 dass die Frauen sowie die verschiedenen Frauengruppen innerhalb des natiwar, 206 und onalsozialistischen Organisationsmilieus karitative Aufgaben wahrnahmen sich damit in dem Bereich des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz engagierten und dass sich – so Koch in ihrer Arbeit zu den schleswig-holsteinischen Vaterländischen Frauenvereinen – „etliche der konservativen, republikskeptischen Mitglieder dem Nationalsozialismus gegenüber früh aufgeschlossen“ gezeigt hät207 ten, dann kann der Rückgang der Mitgliederzahl im Jahr 1929 auf eine erste Abwanderung der Frauen zu den Nationalsozialisten zurückgeführt werden – zumal, da bereits ab Anfang 1930 eine Frauengruppe in der NSDAP nachzuweisen 208 In diesem Kontext erscheint der noch einmal stärkere Mitgliederrückgang im ist. Jahr 1931 auch kein Zufall gewesen zu sein, da es in diesem Jahr zur offiziellen Gründung des Roten Hakenkreuzes kam. Für diese Deutung sprechen die Bindungsbemühungen des Vaterländischen Frauenvereins. Denn die Pressepräsenz des
204 Kater, Frauen in der NS-Bewegung, S. 214. 205 Kater, Frauen in der NS-Bewegung, S. 204-205. 206 Vgl.: Rösch, Die Münchener NSDAP 1925-1933, S. 271-272. 207 Koch, Kaiserin und „Führer“ treu ergeben, S. 197. 208 HA 14.2.1930.
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Vereins schnellte geradezu in dem Jahr in die Höhe, als die Frauengruppe in der NSDAP 1930 erstmals öffentlich in Erscheinung trat. Daraus lässt sich ableiten, dass der Vaterländische Frauenverein 1930 die Bemühungen zur Bindung von Mitgliedern erhöhte.
3. P OLITISCHE M ECHANISMEN „Der durchschnittliche Dorfbewohner hielt Distanz zu den öffentlichen Angele209 Adäquat zu Pytas genheiten auf Landes- und Reichsebene …“, heißt es bei Pyta. Erkenntnis ist auch für den "durchschnittlichen Einwohner" einer norddeutschen Land- und Kleinstadt protestantischer Prägung zu konstatieren, dass er sich eher distanziert zur Politik verhielt. Das schränkt gleichzeitig den Kreis der politischen 210 Akteure, die Pyta als politische Autoritäten bezeichnet, ein und lässt die Frage nach den Personen, die sich politisch betätigten entstehen. Doch bevor diese Frage geklärt werden kann, muss man sich die gesellschaftlichen Strukturen der Städte anschauen. Denn dann ist festzustellen dass die norddeutschen Land- und Kleinstädte protestantischer Prägung in Milieus gegliedert waren. Diese Gliederung ist für die Frage nach den politischen Akteuren relevant, weil deren Wirkungskreis in der Regel durch die Milieugrenzen beschränkt war. Hinzu kam, dass die politischen Akteure bzw. Autoritäten der einzelnen Milieus oftmals erst durch die den Milieus zuzuordnenden Organisationen eine Bühne ihrer politischen Exposition außerhalb des lokalen Parlaments und der jeweiligen Partei erhielten. Diese politische Exposition bedeutete nicht, dass sich der Personenkreis nur über die „große Politik" ausließ. Vielmehr konnten die politischen Akteure in den Organisationen die die Menschen direkt betreffenden lokalen Angelegenheiten erfahren, besprechen und ggf. regeln. Als günstig erwies es sich dabei, dass die politischen Autoritäten häufig Funktionsträger von Organisationen waren – oft in führender Stellung wie die eines Vorsitzenden. Damit beschränkt sich der Kreis der politischen Akteure in der Regel auf den Personenkreis, der parteipolitisch oder – wie im konservativen Milieu – in einer politischen Sondergruppe tätig war und sich im Regelfall in den den Milieus zuzuordnenden Organisationen betätigte. Das bedeutet weiter, dass es alleine nicht mehr ausreichte, wie auf dem Lande, die soziale Autorität, das soziale Prestige, auf der Basis von Besitz, Bildungsstand oder Beruf ohne organisatorische Bühne im politischen Willensbildungsprozess wirkungsmächtig werden zu lassen. Dass sie der organisatorischen Bühne bedurften, ist darauf zurückzuführen, dass Abhängigkeiten wie die der Landbewohner vom Bauern zu wenig ausgebildet bzw. nicht mehr vorhanden war – vereinzelt konnte das zwar noch
209 Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 87. 210 Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 89.
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gelten, aber nur dann, wenn die politische Autorität über ein außergewöhnliches Maß an sozialem Prestige verfügte, das sich aus den Quellen des Charismas des Besitzes oder des Berufs speiste. Ferner bedurften sie der Bühne der Organisationen, um mit der breiten Masse der Mitglieder in Kontakt zu geraten, um deren Interessen zu erfahren und durch die Vermittlung mehr oder weniger politischer Themen ihre Rolle als politische Akteure und Meinungsführer wahrzunehmen. Im Sinne Bourdieus kann dies als „Beziehungsarbeit in Form von ständigen Austauschakten“ bezeichnet werden. Das wiederum bedeutet, dass es sich um die „Reproduktion“ und 211 Sozialkapital wiederum ggf. auch um den Ausbau von Sozialkapital handelte. bezeichnet die Form des Kapitals, die durch „Verpflichtungen oder Beziehungen“ 212 bestimmt ist. Zur Unterstützung der Reproduktion bzw. des Ausbaus sozialen Kapitals und wohl auch zur Aufrechterhaltung bzw. Intensivierung des Veranstaltungsbetriebs sowie der Bindung von Personen wurde auswärtige politische Prominenz als Redner eingeladen. Damit zog die „große Politik“ mittels auswärtiger politischer Prominenz in die Städte, während die „kleine Politik“ vor Ort von den lokalen Protagonisten betrieben wurde. Eine Ausnahme bildete hierbei das konservative Milieu. Denn zum einen hielt sich das Auftreten politischer Prominenz der dem konservativen Milieu zuzuordnen Parteien in engen Grenzen und zum anderen wurden – wohl zum Teil dadurch bedingt – die Themen der „großen Politik“ in den Vereinen und Verbänden mit lokalen Protagonisten thematisiert, denen jedoch eine Verbindung zu höheren Ebenen wie die Landes- oder Reichsebene im Regelfall fehlten. Damit kann die Behandlung der „großen Politik“ in den Organisationen des konservativen Milieus als Versuch betrachtet werden, den Interessen der Mitglieder entgegenzukommen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, ihre Interessen zu wahren. Die Wahrung der Interessen bzw. die Vermittlung des Gefühls derselben war in Bezug auf die Bindung der Menschen ein nicht zu unterschätzender Faktor. Kam es zu einem Vertrauensverlust der Wahrung der Interessen, so war die Folge bei der nächsten Wahl, dass sich diejenigen, die das Vertrauen verloren hatten, entweder der Wahl enthielten oder zur Wahl einer anderen Partei desselben politischen Blocks tendierten. Dieses Phänomen ist insbesondere in der Zeit der sozioökonomischen Verunsicherung durch die Gefahr der sozialen Deklassierung in der Folge der Agrar- und allgemeinen Wirtschaftskrise zu beobachten. Parteipolitisch bedeuten diese Äußerungen, dass die betreffenden Mitglieder des konservativen Milieus bei einer Neuorientierung letztendlich zur Wahl der NSDAP neigten. Erleichtert wurde den „Wechslern“ des konservativen Milieus die parteipolitische Neuorientierung dadurch, dass es den herkömmlichen Parteien an einer lo-
211 Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 67. 212 Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht, S. 52.
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kalen Anbindung fehlte und die „neue Partei“ thematische Schnittmengen bei den politischen Vorstellungen besaß. Umso günstiger war es für eine Partei wie die NSDAP, wenn sie dann ein lokales parteipolitisches Vakuum füllen konnte. Das war aber nur dann mit anhaltendem Erfolg möglich, wenn ihr mit dem Engagement politischer Akteure bzw. Autoritäten die lokale Anbindung gelang. Was aber veranlasste politische Autoritäten sich parteipolitisch neu auszurichten und einer Partei, wie der NSDAP, beizutreten und dadurch als Multiplikator zu fungieren? Ein grundlegender Faktor – neben der Notwendigkeit gemeinsamer politischer Vorstellungen mit der neuen Partei und einer Unzufriedenheit mit den bisherigen politischen Interessenvertretern – war die Aufrechterhaltung bzw. Erhöhung des sozialen Kapitals. Als Beispiele sind der Heider Maschinenbauschlosser Bruhn und der pensionierte Rektor der Quakenbrücker Ackerbauschule, Dr. Rudorf, zu nennen. In Heide ist für den Untersuchungszeitraum festzustellen, dass es zwischen dem genannten Bruhn und dem ebenfalls im konservativen Milieu politisch aktiven Landmann Egge einen „Kampf“ um die Relation ihrer Positionen im gesellschaftli213 Die Ausgangslage stellte sich chen Raum und damit um soziales Kapital gab. dabei so dar, dass Bruhn im Verhältnis zu Egge über weniger soziales Kapital verfügte. Das führte im Rahmen des Protests gegen die Kreiszusammenlegung Norderund Süderdithmarschens dazu, dass Bruhn im Herbst 1932 Egge von der Führung des Protests verdrängte und ihn im Rahmen der Wahlausrichtung des Haus- und Grundeigentümervereins im Frühjahr 1933 indirekt zum Rückzug aus dem Verein veranlasste. Das war nicht zuletzt deshalb möglich geworden, weil beide nicht mehr der gleichen politischen Gruppierung angehörten, sondern Bruhn bereits seit 1931 der NSDAP angehörte und sich für diese Partei engagierte. Auf diese Weise konnte er sich des Hindernisses Egge entledigen und ihn politisch im Frühjahr 1933 ausschalten und somit sein Ziel des Aufstiegs in der sozialen Hierarchie erreichen, der seinen Zenit mit der Übernahme des Vorsitzes über die Ortspolizeibehörde am 1. Juli 1933 hatte. Während Bruhn am Ausbau seiner gesellschaftlichen Position und einem damit verbundenen Zuwachs an Macht interessiert war, motivierte den pensionierten Rektor der Quakenbrücker Ackerbauschule, Dr. Rudorf, die Aufrechterhaltung seiner gesellschaftlichen Position und des damit einhergehenden sozialen 214 Kapitals zum Übertritt zur NSDAP. Denn es dürfte schwerlich nur ein Zufall gewesen sein, dass er unmittelbar nach seiner Pensionierung gleich die Leitung der Ortsgruppe der NSDAP übernahm. Ob er einer solchen Funktion bedurfte bleibt fraglich, da im Bersenbrücker Kreisblatt und im Artländer Anzeiger aus Anlass seines dreißigjährigen Dienstjubiläums im
213 Vgl.: Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 261. 214 Er war zuvor Mitglied der NSDAP.
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Jahr 1930 berichtet wurde, dass er von den Menschen als Führernatur wahrgenom215 Das lässt auf ein grundlegendes Maß an Charisma schließen, dessen men wurde. Ursprung nicht zweifelsfrei zu klären ist. Berücksichtigt man jedoch das Verhalten Rudorfs, so liegt die Deutung nahe, dass dieses sich maßgeblich aus seiner beruflichen Funktion speist.
4. P OLITISCHE M EINUNGS - UND W ILLENSBILDUNG Es ist „davon auszugehen …, daß politische Erziehung … teilweise immer schon von Kindheit an innerhalb der Familie erfolgt“, schreibt Bourdieu in seinem Buch 216 „Die feinen Unterschiede“. Das bedeutet, dass die soziale Herkunft eines Menschen zu einem beträchtlichen Teil dessen politische Vorstellungen bestimmt. Gleichzeitig ist damit aber nicht der Gedanke verbunden, dass es dadurch zu einer unwandelbaren Determination derselben kommt. Das ist dadurch zu erklären, dass ein Mensch im Laufe seines Lebens durch Bildung und Informationen in die Lage 217 die eigenen politischen Vorstellungen kritisch zu hinterfragen und versetz wird, auf diese Weise ggf. Modifikationen vorzunehmen. Einem solchen Prozess ist aber nicht nur jeder einzelne Mensch ausgesetzt, sondern hier befindet er sich – in Bezug auf seine Vorfahren – in einem Prozess, der dazu führt, dass die in den Familien vermittelten politischen Vorstellungen in einem unterschiedlichen Ausmaß der Intensität mit den Vorstellungen, „gemeinsamen Werthaltungen und Mentalitäten“ ei218 Dass es hierbei jedoch dauerhaft nicht zu einer nes Milieus übereinstimmen. größeren „Ablösung“ bzw. einem Verlassen des Milieus kommt, ist zum einen mit der Sozialisation des Milieus, der Bindung an dessen Organisationen und den darin vorhandenen Personen, durch deren Verhältnis persönliche Kontakte entstehen, verbunden. Zum anderen wird durch die in den Milieus agierenden Personen und durch die persönlichen Kontakte eine Form der sozialen Kontrolle ermöglicht, die gewünschtes Verhalten verstärkt und unerwünschtes Verhalten in negativer Weise 219 sanktioniert. Das ebenso in der Schule statt und auf diese Weise kann es zur Modifikation der durch die Erziehung vermittelten politischen Vorstellungen kom220 Das beinhaltet auch einen potentiellen Konflikt durch die von den Eltern men. und die von den Lehrern vermittelten politischen Vorstellungen.
215 AA 28.3.1930. BK 29.3.1930. 216 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 689. 217 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 686. 218 Dörner, Politische Kulturforschung, S. 597. 219 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 151. 220 Vgl.: Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 649, 686.
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Die in einem Milieu existierenden Vorstellungen werden in den Veranstaltungen der Organisationen deutlich bzw. durch deren Überlieferung erkennbar. Das bedeutet aufgrund der häufigen Vakanz vereinsinterner Quellen, dass die Überlieferung der politischen Vorstellungen durch die lokalen Zeitungen gegeben ist, die über die behandelten Themen, die Haltung der Redner und die Reaktion der Zuhörer informierte und somit zur Überlieferung beitrugen. Gleichzeitig konnten die Zeitungen durch die Auswahl der Informationen eine Beeinflussung vornehmen, die sich jedoch in Grenzen hielt, da Zeitungen privatwirtschaftliche Unternehmen waren und sich der Wahrnehmung ihrer Leserschaft anpassen mussten, um die Leserschaft nicht zu verlieren und dadurch ein ökonomisches Risiko zu vermeiden. Die überlieferten Reaktionen der Zuhörer bzw. Besucher einer Veranstaltung sind als Indiz für die Zustimmung oder Ablehnung zu betrachten. Das bedeutet, dass die Reaktion der Zuhörer auf die Äußerungen des oder der Redner als positive 221 So ist etwas ein sehr lebhafter Beifall bzw. negative Sanktion zu betrachten ist. als Indiz dafür zu deuten, dass das Thema für die Zuhörer relevant und interessant ist. Dementgegen ist ein geringer oder spärlicher Beifall oder sogar eine fehlende Information über die Resonanz eines Themas eher als Indiz dafür zu betrachten, dass dieses nicht auf das Interesse der Menschen stieß. Berücksichtigt man im nächsten Schritt, dass durch das Sanktionieren der Themen der informelle Delegationsvertrag zwischen den „einfachen Mitgliedern“ eines Milieus und dessen „Wortführern“ (Funktionsträger, politischen Akteure, Leitwöl222 fe) in seiner Gültigkeit gestärkt oder angezweifelt wird, dann war es für einen Wortführer notwendig, wenn er dieses bleiben wollte, die die Menschen berührenden Themen zu erfassen und ihnen gerecht zu werden, so dass der Delegationsvertrag aufrecht erhalten blieb. Der Delegationsvertrag, so Bourdieu, ist dadurch gekennzeichnet, dass sich ein Mensch einem politischen Akteur oder einer Institution 223 Wichtig für die Themenauswahl war es auch, dass die politiquasi unterordnet. schen Akteure die behandelten Themen authentisch vertreten konnten. Somit bedurfte es einer Glaubwürdigkeit der „Persönlichkeiten“ und der von ihnen vertrete224 Diese konnten die politischen Aknen Ideen, Überzeugungen und Programme. 225 teure dann im politischen Diskurs zum Ausdruck bringen. Dabei waren sie jedoch, um den bereits genannten Delegationsvertrag nicht aufzuheben, den Interessen und damit auch den politischen Vorstellungen der Mitglieder der Organisationen verpflichtet. Gleichzeitig besaßen sie aber die Möglichkeit bei einer vorhande-
221 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 151. 222 Vgl.: Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 662. 223 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 658. 224 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 665. 225 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 663.
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nen Authentizität der Persönlichkeit und der Ideen, die politischen Vorstellungen innerhalb von Organisationen und dadurch auch im Milieu zu modifizieren. Diese politischen Akteure waren, so ist es bereits zu Beginn der Ausführungen zu den politischen Mechanismen angesprochen worden, auf einen relativ kleinen Personenkreis beschränkt, der miteinander verbunden bzw. vernetzt war. Die Vernetzung i.S. des Netzwerks galt jedoch i.d.R. für das Milieu, dem die einzelnen politischen Akteure angehörten. Nur in Ausnahmefällen gab es über das Milieu hinausgehende Verbindungen.
5. P OLITISCHE V ORSTELLUNGEN ALS B ASIS DER POLITISCHEN M EINUNG BZW . DES POLITISCHEN W ILLENS Im Rahmen der Ausführungen zu den Milieus ist bereits davon gesprochen worden, dass gemeinsame Werthaltungen und Mentalitäten ein Kennzeichen von Milieus darstellen. Aber welche Werthaltungen und Mentalitäten müssen in dieser Studie berücksichtigt werden? Mit einem Blick auf die Ausführungen zu den politischen Mechanismen und zur Willensbildung sind das die Themen, die die Menschen bewegten und die sich auf die lokalen politischen Entwicklungen auswirkten. Dadurch werden Mentalitäten und Werthaltungen berücksichtigt, durch die eine Anbindung an die politische Kul226 in der der Begriff „politische Kultur“ ein Pendant zum turforschung erfolgt, 227 oben angeführten Begriff der „Mentalität“ darstellt und die sich „mit Einstellungen und Vorstellungen, … die das politische Alltagsleben in einer Gesellschaft oder 228 in einem Teil derselben prägen“, beschäftigt.
226 Der Ansatz der politischen Kulturforschung, so Weichlein, geht auf Almond und Verba zurück, die sich den „kulturellen Bedingungsfaktoren der Politik“ zuwandten. Almond; Verba; The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton 1963. (Zit. Nach: Weichlein, Sozialmilieus, S. 18.) 227 Vgl.: Dörner, Politische Kulturforschung, S. 597. 228 Dörner, Politische Kulturforschung, S. 591-592. Rohe geht davon aus, dass es für „eine soziale Gruppe … Grundannahmen über die politische Welt“ gebe und dass diese ein Maßstab dafür seien, wie „Politik wahrgenommen, interpretiert und beurteilt“ werde. (Rohe, „Politische Kultur, S.1. Zit. nach: Dörner, Politische Kulturforschung, S. 597.) Weichlein konstatiert eine Nähe des Konzepts der politischen Kultur zu der Theorie des Sozialmilieus, die dadurch zum Ausdruck gelange, dass die Untersuchung der Entwicklung regionaler und lokaler Sozialmilieus gleichzeitig mit „Aussagen zur politischen Kultur“ der Untersuchungseinheit verbunden seien. (Weichlein, Sozialmilieus, S. 20.)
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Politische Einstellungen können, so Weichlein, anhand von Umfragen ermittelt 229 und sie rekurrieren implizit auf eine parteipolitische Ausrichtung, die für werden die untersuchten lokalen Gesellschaften anhand der Wahlergebnisse rekonstruiert werden können. Politische Vorstellungen hingegen, die die Basis der politischen Einstellungen bilden, können nicht anhand von Wahlergebnissen rekonstruiert werden, sondern sie müssen auf eine andere Weise ermittelt werden, da sie sozusagen das Denken der Menschen betreffen. Eine Möglichkeit zur systematischen Rekonstruktion der politischen Vorstellungen bietet die interpretative politische Kulturfor230 Die interpretaschung, die seit den 1980´er Jahren vermehrt berücksichtigt wird. tive politische Kulturforschung bietet sich an, da sie – auf der gleichen Quellengrundlage wie die Geschichtswissenschaft – davon ausgeht, dass sich politische Vorstellungswelten – also politische Vorstellungen – mithilfe von Zeitungstexten, 231 Filmen, Festen oder Ritualen empirisch rekonstruieren lassen. Hierbei untersucht sie „die kulturelle Praxis selbst in Form von Sprache und Bildern, Symbolen und 232 Da dieses durch einen Rückgriff Mythen, Ritualpraktiken und Lebensweisen“. auf „natürliche Daten“ geschieht, „die dem kulturellen Prozess selbst entstammen“ – hierzu gehören „Zeitungstexte und Felddokumente aller Art“ -, greift die interpre233 tative politische Kulturforschung auf eine bereits gedeutete Realität zurück. Das hat zur Folge, dass die Auswertung der Quellen methodisch kontrolliert erfolgen 234 muss. Was bedeuten diese Aussagen zur interpretativen politischen Kulturforschung für die Rekonstruktion der politischen Vorstellungen? Sie bedeuten, dass die Texte der intermediären Institutionen, die bereits eine gedeutete Realität darstellen, sowohl hinsichtlich expliziter Aussagen zu Parteien als auch hinsichtlich impliziter politischer Aussagen, durch Begriffe, sprachliche Bilder, sprachliche Symbole, Mythen und Ritualpraktiken zu bearbeiten sind. Daran anschließend stellt sich die Frage, inwiefern die gewonnenen Erkenntnisse auf ein ganzes Milieu kollektiviert werden können. Hierzu ist zunächst einmal auf Weichlein zu verweisen, der schreibt, dass politische Kultur – damit auch die politischen Vorstellungen, die einen Teil der politischen Kultur darstellen – „ein überindividuelles Phänomen“
229 Weichlein, Sozialmilieus, S. 18. 230 Dörner, Politische Kulturforschung, S. 593-594. 231 Dörner, Politische Kulturforschung, S. 598-599. Zur Thematik des Films s.: Imhoof, Becoming a Nazi Town, S. 127-187. 232 Dörner, Politische Kulturforschung, S. 596. 233 Dörner, Politische Kulturforschung, S. 598. 234 Dörner, Politische Kulturforschung, S. 599. S. hierzu: Teil I Kap. 6: Quellenlage und Quellenkritik.
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Damit wäre dem singulären bzw. individuellen Charakter einzelner Phänosei. mene im Ansatz begegnet. Berücksichtigt man im nächsten Schritt, dass die politische Kulturforschung, auf die rekurriert wurde, sich mit Vorstellungen beschäftigt, „die das politische Alltagsleben in einer Gesellschaft oder einem Teil derselben 236 dann wird deutlich, dass es sich im Prinzip um die politischen Vorstelprägen“, lungen einer Gesellschaft oder Teilgruppe einer solchen – wie den Milieus – handelt. Rekurriert man zudem auf Rohe, der behauptet, dass es in einer sozialen Gruppe – und als solche ist ein Milieu aufzufassen – „Grundannahmen über die politische Welt“ gebe, die als Maßstab für die Wahrnehmung, Interpretation und Beurtei237 lung von Politik fungierten, dann kann man davon ausgehen, dass es eine relative Kongruenz bei den politischen Vorstellungen der Mitglieder innerhalb eines Milieus gab, die nuancierte Differenzen und partielle Abweichungen nicht aus238 Mit diesen Aussagen ist gleichzeitig der Gedanke verbunden, dass die schließt. politischen Vorstellungen innerhalb eines Milieus auf den „geschichtlichen Erfahrungen und deren Verarbeitung“ beruhen und dementsprechend eher weniger kurz239 Damit einher geht die Aussage Falters, fristigen Veränderungen unterliegen. dass in der Weimarer Republik blockinternes Wählen häufiger verbreitet war als 240 da bei der Wahl einer Partei innerhalb eines politischen blockübergreifendes, Blocks eine Modifikation der politischen Vorstellungen im Prinzip kaum notwendig war. Das bedeutete für neue Parteien wiederum, dass sie sich an die „beständigen Elemente der politischen Gesinnung“ – gemeint sind damit die politischen Vorstel241 lungen – anpassen mussten, um Wähler zu gewinnen.
235 Vgl.: Weichlein, Sozialmilieus, S. 19-20. Weichlein verweist in diesem Kontext auf das Berliner
Forschungsprojekt „Politische Kultur
in der
Weimarer
Republik“.
(ebd., S. 19-20.) 236 Dörner, Politische Kulturforschung, S. 591-592. 237 Rohe, „Politische Kultur, S.1. (Zit. nach: Dörner, Politische Kulturforschung, S. 597.) 238 Vgl.: Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 18-19. 239 Vgl.: Dörner, Politische Kulturforschung, S. 597. Heberle, Landbevölkerung und Nationalsozialismus, S. 39, 103. 240 Falter, Hitlers Wähler, S. 369. 241 Vgl.: Heberle, Landbevölkerung und Nationalsozialismus, S. 103. Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 271.
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6. F UNKTIONSTRÄGER UND F UNKTIONSELITEN POLITISCHE AKTEURE UND W ORTFÜHRER IM POLITISCHEN M EINUNGS - UND W ILLENSBILDUNGSPROZESS
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ALS
Aus den Ausführungen zum politischen Mechanismus und zur politischen Meinungs- und Willensbildung erschließt sich bereits die Bedeutung der politischen Akteure. Dementsprechend schließt sich die Frage an, wer diese Personen waren, 242 die den politischen Willensbildungsprozess maßgeblich beeinflussten. Bei einem Blick auf die Forschungslage zeigt sich, dass Pyta für die Dorfgemeinschaft konstatiert, dass „ein hohes Sozialprestige … politischen Einfluss“ ermöglicht, wenn sich die entsprechende „soziale Autoritätsperson politisch exponier243 te“. Das kann insofern auch für eine Land- und Kleinstadt gelten, wenn es als Charakteristikum gilt, dass die politischen Akteure als „Wortführer“ oder „Leitwölfe“ im politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess agierten, wozu sie durch einen informellen Delegationsvertrag, zwischen den Mitgliedern eines Milieus und 244 den politischen Akteuren selbst, wurden. Setzt man den von Pyta benutzten Ausdruck des politischen Einflusses mit der „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen“ – in diesem Fall 245 den politischen – „auch gegen Widerstreben durchzusetzen“, gleich, und betrachtet man die politische Exposition einer sozialen Autoritätsperson hinsichtlich der städtischen Untersuchungseinheiten durch die Wahrnehmung einer Funktion in den intermediären Institutionen oder in den lokalen Vertretungskörperschaften – das können Funktionen in den verschiedenen Parlamenten oder die Übernahme einer Funktion als Magistrat sein – als gegeben, dann handelt es sich bei den zu berücksichtigenden Personen im Regelfall um Funktionsträger bzw. Funktionseli246 ten, die über die Macht verfügten, politisch Einfluss auszuüben. Bei einem solchen Vorgehen wird von der Prämisse ausgegangen, dass nicht alle Personen über die gleiche Macht verfügten, politisch Einfluss auszuüben, sondern dass „Macht … an Ämter gebunden ist und … von den Spitzenpositionen
242 Vgl.: Dörner, Politische Kulturforschung, S. 592. Kaufmann, Katholisches Milieu in Münster, S. 116-117. 243 Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 433. 244 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 658. 245 Weber, Soziologische Grundbegriffe, S. 711. 246 Vgl. hierzu die Positionsmethode, die Hradil im Rahmen der Methoden der Machtforschung anführt. Hradil, Soziale Ungleichheit, S. 259.
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Dementsprechend kann der Personenkreis, wichtiger Organisationen ausgeht“. den es für den Aspekt der politischen Einflussnahme zu generieren gilt, grosso modo auf die „Inhaber von Führungspositionen verschiedener Funktionsbereiche 248 die aufgrund der Fragestellung auf die intermediären Institutider Gesellschaft“, onen und die in den Vertretungskörperschaften wahrgenommenen Ämter bezogen 249 sind, eingegrenzt werden. Eine Erklärung für die Motivation der Funktionsträger, sich als politischer Akteur zu betätigen, kann man bei Hennig finden, die schreibt, dass das Engagement eines Individuums „in Interaktionen und Netzwerken“ – als solche sind die Organisationen und Milieus zu verstehen – auf der Intention beruht, „daraus einen Vorteil 250 Ein solcher Nutzen bzw. Vorteil kann in der bzw. Nutzen für sich zu ziehen“. Erhaltung oder dem Ausbau von Prestige und Macht liegen. Diese beiden Aspekte 251 252 stellen Ressourcen des sozialen Kapitals dar, das Beziehungen beinhaltet, 253 – das sind „die ein Akteur zu anderen Akteuren in einem Netzwerk unterhält“ für die vorliegende Studie besonders die Beziehungen innerhalb eines Milieus.
247 Hradil, Soziale Ungleichheit, S. 259. Vgl.: Eumann, Eigenwillige Kohorten, S. 89. Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 144. Hennig, Soziales Kapital, S. 180. 248 Hradil, Soziale Ungleichheit, S. 263. Rössel, Sozialstrukturanalyse, S. 45. 249 Bei der gewählten Vorgangsweise wird vorwiegend nur die „organisatorische Macht“ berücksichtigt wird, so dass „informelle Macht innerhalb und außerhalb von Organisationen (graue Eminenz, finanzielle Abhängigkeiten, etc.)“ unberücksichtigt bliebe (Hradil, Soziale Ungleichheit, S. 259). Das hätte zur Folge, dass sowohl für Heide als auch für Quakenbrück Personen mit einem hohen Sozialprestige nicht erfasst werden könnten – Personen, die, weil sie sich politisch betätigten, über politischen Einfluss verfügten, ohne jedoch über nachweisbare Funktionen verfügt zu haben. Ihr Prestige musste sich aus einer anderen Herkunft speisen als aus einer unmittelbar ausgeübten Funktion. Zu generieren ist diese Art des Prestiges dadurch, dass die Personen z.B. bei Wahlen einer lokalen Listenverbindung den Namen gaben – wie die „Liste Vehrs“ in Heide, die nach dem Heider Rechtsanwalt Vehrs benannt wurde. Sein Prestige dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen auf den ausgeübten Beruf – den des Rechtsanwalts – zurückzuführen sein. Da dieses Phänomen jedoch in beiden Orten singulär ist, kann man für die Studie konstatieren, dass das o.a. Verfahren eine gute Grundlage bietet, die Personen zu erfassen, die politisch Einfluss ausübten. 250 Hennig, Soziales Kapital, S. 177. 251 Jansen, Einführung in die Netzwerkanalyse, S. 27. 252 Bourdieu, Mechanismen, S. 52. 253 Jansen, Einführung in die Netzwerkanalyse, S. 27.
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die wiederum einen Die sozialen Beziehungen führen zu einer Anerkennung, höheren Grad an Prestige und Macht ermöglichen kann. Mit diesem Gedanken ist 255 der in der Studie Positionierung in einem gesellschaftlichen Raum verbunden, die durch die Milieus gegeben ist. Hinsichtlich der politischen Akteure bedeutet das: Je mehr soziale Beziehungen ein politischer Akteur besitzt, umso höher ist seine Anerkennung, die sich wiederum positiv auf sein Prestige auswirkt. Für die Stellung innerhalb der politischen Akteure deutet sich daraus folgernd an, dass ein politischer Akteur mit mehr sozialen Beziehungen als ein anderer potentiell ein stärkeres Gewicht und damit mehr Macht im politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess besaß. Das beinhaltet, dass solch ein politischer Akteur über ein höheres soziales Kapital verfügte. Gab es innerhalb eines Milieus eine breite Akzeptanz der Verteilung und Relation des sozialen Kapitals der einzelnen politischen Akteure, so konnte es zu einer Kooperation zwischen den politischen Akteuren zur Wahrnehmung der politischen Interessen der Milieuangehörigen kommen. Waren aber die einzelnen politischen Akteure mit dem Umfang ihres sozialen Kapitals nicht zufrieden, so musste es zu einem Wettbewerb zwischen den politischen Akteuren kommen, der sich z.B. in Machtkämp256 fen manifestierte. Führte eine solche Auseinandersetzung dazu, dass ein politischer Akteur sich innerhalb seines Milieus keinen Ausbau seines sozialen Kapitals und damit seiner Position im gesellschaftlichen Raum erhoffen konnte, so suchte er nach Möglichkeiten, auch mit der Hilfe außerhalb des Milieus vorhandener Organisationen und deren sozialen Beziehungen, sein soziales Kapital zu erhöhen. Dabei war er bestrebt, sein altes soziales Kapital nicht zu verlieren, sondern dieses gewinnbringend zu nutzen, um in den neuen Organisationen eine zentrale Position einzunehmen. Dass das sowohl erfolgreich sein als auch zu Problemen führen konnte, wenn der „Wechsler“ nicht bereits über ein angestammtes Maß an sozialem Kapital verfügte, ist an den Personen Bruhn und Claussen in Heide sowie an dem Rektor der Ackerbauschule, Dr. Rudorf, und dem Nationalsozialisten Reinecke in Quakenbrück zu erkennen. Der für Personen erfolgreiche Wechsel wurde an den Exempla Bruhn und Rudorf bereits im Kapitel zu den politischen Mechanismen dargestellt. So bleibt hier die Betrachtung des Falls Reinecke, der über kein adäquates soziales Kapital im konservativen Milieu verfügte wie Bruhn in Heide oder Rudorf in Quakenbrück. Gleichwohl war er mit dem Ausmaß seines sozialen Kapitals nicht zufrieden, so dass er sich für den Ausbau desselben genötigt sah, zu den Nationalsozialisten
254 Hennig, Soziales Kapital, S. 178. 255 Vgl.: Bourdieu, Mechanismen, S. 31. 256 Vgl. die Ausführungen des Beispiels Bruhn im Kapitel zum politischen Mechanismus.
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überzutreten und für die NSDAP ab 1929 ein Mandat im städtischen Parlament wahrzunehmen. Da er zuvor im konservativen Milieu jedoch nur ein geringfügiges soziales Kapital besaß, war sein Engagement für die NSDAP nicht mit einem vergleichbaren Mitgliederzustrom für die Nationalsozialisten verbunden wie dieses bei Bruhn in Heide oder dem Dr. Rudorf in Quakenbrück der Fall war. Das stellt einen Erklärungsansatz dafür dar, dass Reinecke nach seinem Übertritt zu den Nationalsozialisten den konservativen Senator Lülfesmann zu beschädigen beabsichtigte, um auf diese Weise seine Macht und dadurch sein soziales Kapi257 Zu diesem Zweck kooperierte er bereits seit 1929 mit den andetal auszubauen. ren antisozialistischen Vertretern der Bürgerschaft, da diese ihm zugesagt hatten, bei einer Kooperation dafür zu sorgen, dass er einen Platz im Sparkassenvorstand 258 erhielte. Dadurch konnte er sich ein höheres Prestige und eine Erweiterung seines sozialen Kapitals und damit verbunden seiner Position im gesellschaftlichen Raum erhoffen.
7. D IE B EDEUTUNG DER L OKALZEITUNGEN UND DES P RESSEKLIMAS FÜR DIE POLITISCHE M EINUNGS - UND W ILLENSBILDUNG Im Rahmen der Ausführungen zur politischen Meinungs- und Willensbildung ist von der Bedeutung der Lokalzeitungen gesprochen worden. In die gleiche Richtung weist Falters Äußerung, dass „die Beeinflussung von Parteipräferenzen durch die Massenmedien, in erster Linie [durch, CP] die Presse, von großer Bedeutung für die 259 politische Meinungsbildung“ war. Doch wie sah dieser Prozess aus? Die Grundlage des Einflusses von Zeitungen auf den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess liefert Bourdieu, der davon spricht, dass die Determination der politi-
257 Genaueres zu diesem Aspekt: Teil IV Kap. 4.2: Rücktritt eines Senators der Bürgerlock-Koalition und Wahl eines Sozialdemokraten zum stellvertretenden Bürgermeister aufgrund nationalsozialistischer Vorwürfe in Quakenbrück. 258 Hierzu: Teil IV Kap. 2.1: Gesellschaftliche Aufwertung der Nationalsozialisten durch die Aufnahme in die Bürgerblock-Koalition zur Verhinderung eines zweiten sozialdemokratischen Senators in Quakenbrück. 259 Falter, Hitlers Wähler, S. 326. Vgl.: Heine, Der nationale Kandidat heißt Hitler, S. 150. Recker, Emsdetten und Nordwalde, 181. Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 366. Pfeil spricht hier hinsichtlich des Heider Anzeigers vom Milieuöffner für nationalsozialistisches Gedankengut. Dass solches Gedankengut bereits im konservativen Milieu verankert war, ist in den vorherigen Kapiteln bereits dargelegt worden. Aber man kann Pfeil konstatieren, dass er den o.a. Prozess der Meinungsbildung intendierte.
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schen Vorstellungen nicht nur durch Bildung, sondern auch durch Informationen 260 Als Beschaffer von Informationen dienten die Zeimodifiziert werden können. tungen, für die jeweilige Kleinstadt die ortsansässigen Lokalzeitungen. Das bedeutet, dass die Lokalzeitungen als Informationsbeschaffer lokaler Ereignisse und Informationen fungierten. Diese besaßen, wie sich noch zeigen wird, politische Präferenzen, die sich bei der Auswahl und Art des Abdrucks von Informationen auswirkten. Auf diese Weise beeinflussten sie die politischen Vorstellungen und griffen in den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess ein. Allerdings mussten sie hierbei Rücksicht auf die lokalen Milieus und deren Wertekanon bzw. Mentalitäten nehmen, da Zeitungen privatwirtschaftliche Unternehmen waren und deshalb den Absatz ihrer Ware berücksichtigen mussten. Die politischen Präferenzen der Lokalzeitungen bildeten kein starres Konstrukt, sondern sie unterlagen potentiellen Modifikationen, die u.a. mit den Herausgebern und deren politischer Orientierung bzw. Intentionen verbunden sein konnten. Dadurch konnte es – wie Schulz es bezeichnet – zu „strategischen Allianzen“ oder zu 261 „kooperativen Arrangements“ kommen. Damit wird jedoch nicht das Wort einer 262 Vielmehr blieEinheit aus „politischen Akteuren und Medienakteuren“ geredet. 263 ben beide eigenständige Akteure in einer „Produktionsgemeinschaft“, in der die Politik das „Rohmaterial“ lieferte, das z.T. „schon durch Presse- und Öffentlich264 keitsarbeit journalistisch aufbereitet“ war. Wurde dann eine solche Aufbereitung von den Lokalzeitungen ohne Änderungen übernommen, so kann daraus eine gewisse Nähe der Zeitung zur entsprechenden politischen Gruppierung abgeleitet werden. Als Beispiele für Heide sind zwei Artikel der NSDAP anzuführen: So findet sich etwa im Heider Anzeiger vom 24. Juli 1930 in dem mit der Überschrift „Als Auftakt zum beginnenden Wahlkampf“ versehenen Bericht der Hinweis: „Es geht uns von nationalsozialistischer Seite fol265 gender Bericht zu…“. Ein weiteres Beispiel liefert der Heider Anzeiger vom 24. Dezember 1932, als der Artikel „Die NSDAP. bereitet ihren Arbeitslosen eine 266 Weihnachtsfreude“ mit „Uns wird mitgeteilt:“ eingeleitet wird.
260 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 686. 261 Schulz, Politische Kommunikation, S. 53. 262 Schulz, Politische Kommunikation, S. 53. 263 Schulz, Politische Kommunikation, S. 52. 264 Schulz, Politische Kommunikation, S. 51. Vgl.: Kamps, Politisches Kommunikationsmanagement, S. 109. 265 HA 24.7.1930. Vgl. Pfeil mit dem gleichen Phänomen: HA 8.9.1930. Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 330. 266 HA 24.12.1932.
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Die „rechtslastige“ politische Präferenz des Heider Anzeigers wird umso deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass Berichte zu kommunistischen Veranstaltungen nicht nur in geringerem Umfang abgedruckt wurden, sondern dass z.T. überhaupt nicht über kommunistische Veranstaltungen berichtet wurde – man versuchte also die Kommunisten tot zu schweigen. Wenn allerdings die Veranstaltungen nicht unberücksichtigt blieben, so wurde nicht selten eine negative Darstellung der Kommunisten vorgenommen, indem von Unruhen oder Auseinandersetzungen der Kommunisten gesprochen wurde – ebenso wie im Kontext der Vorfälle von Wöhrden, als der Heider Anzeiger die Nationalsozialisten zu Opfern stilisierte und dadurch die Kommunisten als Täter brandmarkte. Ein solcher erster qualitativer Zugriff auf die Presseklimata ist auch für Quakenbrück möglich, wobei hier dezidiertere Informationen zu den Herausgebern der Zeitungen existieren. So war der Herausgeber der Bersenbrücker Tageszeitung, Trute, Mitglied der 267 Bei einer gleichzeitigen Berücksichtigung der Deutschen Demokratischen Partei. bejahenden Haltung dieser Partei zur Weimarer Republik kann auch Trute eine positive Einstellung gegenüber der Republik und der Demokratie konstatiert wer268 den. Diese Haltung wurde durch seine persönliche Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten im Jahr 1929 deutlich, die von Mitte November bis Anfang Dezember 1929 anhielt und in der lokalen Presse ausgetragen wurde. Den Anfang nahm die Auseinandersetzung scheinbar in einer Bürgerversammlung am 15. November, als Trute und der Senator Lülfesmann über die nationalsozialistische „Misswirtschaft“ in der Stadt Coburg sprachen – ein Vorwurf, den die lokalen Na269 Ihr Vorsittionalsozialisten in der Weise nicht aufrecht erhalten sehen wollten. zender, Reinecke, reagierte einen Tag später, am 16. November, mit einem Leserbrief im Bersenbrücker Kreisblatt und im Artländer Anzeiger und bezeichnete die impliziten Korruptionsvorwürfe gegen die Nationalsozialisten in Coburg als „Lügen 270 und Verleumdungen“. Darauf habe Trute wiederum einen Tag später, am 17. November, mit einem Flugblatt reagiert, dessen Inhalt zwar nicht mehr bekannt ist, mit dem er aber dem „Nazi Reinecke sofort die richtige Antwort erteilt“ haben soll. Daraufhin habe Reinecke den Vorwurf erhoben, dass Trute Lügen verbreitet hät-
267 BT 4.11.1929. Adreßbuch der Stadt Quakenbrück 1932. 268 Institut für Zeitgeschichte [HRSG.], Programm der Deutschen Demokratischen Partei von 1919, S. 5. Vgl.: Stang, Die Deutsche Demokratische Partei in Preussen, S. 43. Pyta, Dorfgemeinschaft, S. 284-285. Kluge, Die Weimarer Republik, S. 369. Ehni, Bollwerk Preußen, S. 50. Weichlein, Sozialmilieus, S. 189. Fenske, Wahlrecht, S. 319. Hofmann, Geschichte der deutschen Parteien, S. 122. 269 BT 6.12.1929. 270 BK 16.11.1929. AA 16.11.1929. BT 5.12.1929.
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Unterstützt wurde er in dieser Agitation durch den Oldenburger Nationalsozite. alisten Herzog, der am 7. Dezember 1929 nach Quakenbrück kam, um eine Rede zu halten, in deren Kontext er sich auch zu den Auseinandersetzungen dahingehend äußerte, dass er Trute als „Lügner“ und „Lump“ bezeichnete und somit in der glei272 chen Weise wie Reinecke agierte. Ob die erhobenen Vorwürfe zutrafen, ist für die weiteren Ausführungen irrelevant; relevant ist, dass hier eine Basis für die geringere relationale Berücksichtigung nationalsozialistischer Pressepräsenzen ursächlich extrahiert werden kann. Eine weitere Ursache, die möglicherweise erst die Auseinandersetzungen entstehen ließ, dürfte Trutes politische Mentalität gewesen sein, die der der Nationalsozialisten entgegen zu stehen schien, da er diesen in einem selbstverfassten und namentlich gekennzeichneten Artikel in der Bersenbrücker Tageszeitung vom 5. Dezember 1929 vorwarf, dass sie in einer „erbärmlichen Weise über die Republik und Demo273 Der attributive Ausdruck des Erbärmlichen kann aufkratie geschimpft“ hätten. grund seiner negativen Konnotation als untrügliches Indiz für die Ablehnung der kritisierten Äußerung betrachtet werden. Eine vergleichbare ablehnende Haltung gegenüber den Nationalsozialisten ist dem Verlagsleiter des Bersenbrücker Kreisblatts und des Artländer Anzeigers, Wal274 ter Kleinert, nicht zu konstatieren. Denn als Mitglied der Deutschen Volkspartei 275 war ihm eher eine antirepublikanische und antidemokratische mentale (DVP) Haltung zu konstatieren, da die DVP monarchistisch orientiert blieb und damit eine 276 antirepublikanische und antidemokratische Position vertrat. Dementsprechend
271 BT 5.12.1929. 272 BT 9.12.1929. 273 BT 5.12.1929. 274 Bockstiegel, Robert Kleinert, S. 242. Bockstiegel, Walter Kleinert, S.224. 275 BK 9.11.1929. 1928 gehörte W. Kleinert zu den Mitbegründern des lokalen Ablegers der Wirtschaftspartei. (BT 27.4.1928.) 276 Kühne, Parteien und politische Kultur in Deutschland, S. 36. Hartenstein, Die Anfänge der Deutschen Volkspartei, S. 113, 119-120. Schelm-Spangenberg, Die Deutsche Volkspartei im Lande Braunschweig, S. 22. Winkler, Extremismus der Mitte, S. 186. Vgl.: Döhn, Politik und Interesse, S. 66-67. Vgl.: Bracher, Die Auflösung, S. 408. May, Ludwig Kaas Bd.1, S. 363, 374. Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik, S.181. Craig, Deutsche Geschichte 1866-1945, S. 442. Harmbrock, Die Etablierung der Außenseiter, S. 437. Dieses dürfte insbesondere wieder nach dem Tod Stresemanns gelten, der „die Partei … aus der nationalen Opposition zur Staatsverantwortung geführt“ hatte. (Richter, Die Deutsche Volkspartei, S. 585. Vgl.: Schelm-Spangenberg, Die Deutsche Volkspartei im Lande Braunschweig, S. 22.)
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scheint es kein Zufall gewesen zu sein, dass das Bersenbrücker Kreisblatt und der Artländer Anzeiger zum einen dem Nationalsozialisten Reinecke eine Bühne für seine Agitation gegen Trute boten und zum anderen zunächst eine höhere relationale Pressepräsenz der Nationalsozialisten aufwiesen als die Bersenbrücker Tageszeitung – absolut gesehen trifft dieses nicht zu. Im Anschluss an diese ersten qualitativen Zugriffe auf das jeweilige Presseklima sollen sich quantitative Ausführungen anschließen, die die bisherigen Ausführungen absichern und differenzieren helfen. Dabei bezeichnet der Ausdruck Presseklima die parteipolitische bzw. milieuorientierte Präferenz der jeweiligen Lokalzeitung. Mit der Fokussierung auf die Lokalzeitungen scheidet bereits die Berücksichtigung der überlokalen Zeitungen aus, von denen man nicht in adäquatem Maße feststellen kann, welche in einem Ort gelesen wurden und inwieweit sie zur Mei277 Ferner muss man berücksichtigen, dass das Presseklima nungsbildung beitrugen. nur ein Näherungsmaß darstellen kann. Das gilt besonders, wenn – wie in Quakenbrück – drei Lokalzeitungen existierten. Um ein Näherungsmaß zu erhalten, wird aus Praktikabilitätsgründen ein quantitatives Verfahren genutzt, bei dem die Häufigkeit der Pressepräsenzen ausgewertet wird. Berücksichtigt werden dabei sowohl Berichte über Parteien bzw. Organisationen sowie Veranstaltungsankündigungen. Die Auswetung erfolgt in der Weise, dass die jährliche Pressepräsenz einer Partei und der einzelnen vorpolitischen Organisationen ermittelt und zunächst getrennt nach dem Parteimilieu und dem Organisationsmilieu ausgewertet wird. Eine solche separierte Vorgehensweise bietet sich auf der Basis der konzeptionellen Trennung an. Ferner ermöglicht es eine Auseinandersetzung mit bisherigen Erkenntnissen der Forschung, die für Heide durch die Arbeit Pfeils und die Publikation des Arbeitskreises zur Erforschung des Nationalsozialismus in SchleswigHolstein gegeben sind. Denn diese differenzieren entweder nicht zwischen den Parteien und den Vorfeldorganisationen oder sie fokussieren nur die parteipolitische Ausrichtung, wodurch der Einfluss der vorpolitischen Organisationen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit im Organisationsmilieu berücksichtigt werden, weder im notwendigen noch im hinreichenden Maße zur Kenntnis genommen wird. Heide Für Heide ist bereits erwähnt worden, dass es nur eine Lokalzeitung, den Heider Anzeiger, gab. Dieser sah es als seine Aufgabe, so teilte es die Redaktion im Kontext der Unruhen der Landvolkbewegung in der Ausgabe vom 18. Februar 1928 den Lesern mit, sich eine eigene Meinung zu bilden und die „Tatsachen“ so darzulegen, dass sich der „denkende Leser … selbst ein Urteil bilden“ könne. Ferner wurde be-
277 Vgl.: Falter, Hitlers Wähler, S. 326.
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stritten, dass man sich den wechselnden Strömungen anpasse und man sich nicht dem anpassen wollte, was „Führungspersönlichkeiten“ genehm und vorteilhaft 278 Einer solchen Äußerung steht zum einen die Behauptung Pfeils und zum ansei. deren die aus der Veröffentlichung des Arbeitskreises für die Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (AKENS) zu extrahierende Information zur parteipolitischen Ausrichtung des Heider Anzeigers entgegen. Denn Pfeil konstatierte – entgegen dem als „neutral“ zu bezeichnenden Selbstverständnis des Heider Anzeigers – demselben, seit seiner Gründung am 4. Januar 1870 nationalliberal gesinnt gewesen zu sein – eine Gesinnung, die nach dem Ersten Weltkrieg zu „konservativ-antidemokratischen Wertvorstellungen“ geführt und während des Aufstiegs 279 Während der Nationalsozialisten „eine spürbare Radikalisierung“ erfahren habe. Pfeil „nur“ von einer Radikalisierung spricht, wurde in der Sonderveröffentlichung des Arbeitskreises (AKENS) „Schleswig-Holsteinische Zeitungen und der Nationalsozialismus. Überblick und Kartografie“ eine dezidierte parteipolitische Ausrichtung des Heider Anzeigers publiziert, die diesem bis 1930 eine tendenzielle politische Berichterstattung zugunsten der DNVP und DVP zuschrieb. Diese habe sich dann bis 1932 zugunsten der DNVP und NSDAP verändert und anschließend das Verhältnis der beiden letztgenannten Parteien vertauscht, so dass die NSDAP an die 280 erste und die DNVP an die zweite Stelle rückte. Mit diesen Explikationen sind im Prinzip zwei Extrempositionen manifest, die die oben dargelegte Notwendigkeit einer Analyse des Presseklimas umso dringender erscheinen lassen – zumal, da weder Pfeil noch der AKENS Belege anführen oder offen legen, wie sie zu ihrer Erkenntnis gelangten. Denkbar ist für Pfeil aufgrund des intensiven Quellenstudiums für seine Dissertation zu Heide, dass er sich aufgrund des entstandenen Leseeindrucks zu der Äußerung genötigt sah. Doch es ist nun an der Zeit, die Differenz und den subjektiv entstandenen Leseeindruck durch eine Analyse der vorliegenden Daten zu ersetzen. Dabei zeigt sich bei einer Auswertung der Pressepräsenz der politischen Parteien, dass die NSDAP durchweg den höchsten Anteil der Pressepräsenz besaß. Noch deutlicher wird dieses, wenn man sich den prozentualen Anteil der Pressepräsenz der NSDAP an der Gesamtzahl der Pressepräsenzen der Parteien ansieht (s. Abb. 6). Denn dann fällt auf, dass die NSDAP bereits 1928 über 50 % der parteipolitischen Pressepräsenz einnahm, die bis 1933 tendenziell anstieg und in diesem Jahr ihren absoluten relationalen Höhepunkt während des Untersuchungszeitraums
278 HA 18.2.1928. 279 Pfeil, Vom Kaiserreich, S. 10. 280 AKENS e.V.[Hrsg.], Schleswig-Holsteinische Zeitungen und der Nationalsozialismus, S. 8.
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Daraus lässt sich hinsichtlich des parteipolitischen Presseklimas ableiten, fand. dass sich dieses bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraums erheblich zugunsten der NSDAP darstellte und tendenziell in zunehmendem Maße zu deren Präferenz weiter entwickelte. Im Gegensatz dazu wurden die dem konservativen Milieu zu282 und die KPD immer weniger berücksichtigt. Das galt zwar geordneten Parteien auch für die SPD, doch nicht in dem Ausmaße wie für die soeben genannten politischen Vertreter. Anhand dieser Ausführungen kann weder die durch die Redaktion des Heider Anzeigers erklärte „Neutralität“ noch die von Pfeil konstatierte Entwicklung der „konservativ-antidemokratischen Wertvorstellungen“ noch die durch den AKENS vorgenommene tendenzielle politische Berichterstattung bestätigt werden. Vielmehr muss man aufgrund der vorherigen Darstellung davon sprechen, dass es eine eindeutige Pressepräferenz zugunsten der NSDAP gab, die es zunächst einmal ermöglicht, von einem nationalsozialistisch dominierten Presseklima zu sprechen.
281 Aufgrund der temporalen Disposition der Studie wurde nicht mehr das ganze Jahr 1933 berücksichtigt. (s. hierzu das Kapitel zur temporalen Disposition des Untersuchungszeitraums in der Einleitung: Teil I Kap. 3.) 282 Bei diesen ist der Rückgang auf die abnehmende Intensität der Arbeit zurückzuführen.
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Abbildung 6: Kumulierte Darstellung des Anteils der einzelnen berücksichtigten 283 Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien in Heide (1928-1933)
Doch wenn man die Ausführungen zum Presseklima an dieser Stelle beenden würde, so wären die vorpolitischen Organisationen, die innerhalb der Ausführungen zu den Organisationsmilieus berücksichtigt werden, weder im notwendigen noch im hinreichenden Ausmaß berücksichtigt. Das ist jedoch aufgrund ihrer Betätigung im vorpolitischen Raum und der damit verbundenen Beteiligung am Prozess der politischen Meinungs- bzw. Willensbildung unerlässlich. Dementsprechend soll im nächsten Schritt die Häufigkeit der Pressepräsenz der den Milieus zugeordneten Organisationen untersucht werden. Dabei zeigt sich ein deutlich verändertes Bild. Denn es dominierten bei der Pressepräsenz die Organisationen des konservativen Organisationsmilieus, wobei sie ab 1930 sukzessive zugunsten der nationalsozialistischen Organisationen anteilsmäßig an der Pressepräsenz einbüßten (s. Abb. 7)
283 Die NSDAP ist in der Abbildung die unterste Zeichnungsfläche. Im Weiteren erschließen sich die in der Legende angeführten Parteien in der Grafik so, dass die DNVP oberhalb der NSAP dargestellt wird etc.
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Abbildung 7: Kumulierte Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen in Heide, inkl. Handwerkerbund und Reiterverein Ditmarsia (1928-1933)
Diese Erkenntnisse bleiben selbst dann bestehen, wenn man den Handwerkerbund und den Reiterverein Ditmarsia ab 1931 nicht mehr bei der Pressepräsenz des konservativen Organisationsmilieus berücksichtigt. Diese Vorgehensweise beruht auf der Kenntnis, dass die Vorsitzenden der beiden Organisationen ab 1931 dem nationalsozialistischen Milieu beitraten, indem sie Mitglied der NSDAP bzw. SA wurden und dadurch die Zuordnung im politischen Willensbildungsprozess zugunsten des Konservativismus nicht mehr eindeutig vorzunehmen ist. Obgleich die Präferenzen zwischen der parteipolitischen Betrachtung der Pressepräsenz und der auf das Organisationsmilieu ausgerichteten Fokussierung der Pressepräsenz differieren, kann dennoch ein ähnlicher Trend konstatiert werden, der darin besteht, dass die Pressepräsenz der NSDAP und des nationalsozialistischen Organisationsmilieus zunahm, während die der dem konservativen Milieu zugeordneten Parteien und Organisationen ebenso abnahm wie die der SPD und des sozialistischen Organisationsmilieus (s. Abb. 8). Rekurriert man nun auf die Behauptungen des Heider Anzeigers, Pfeils und des AKENS, so bleibt festzuhalten, dass diese Äußerungen mit dem erarbeiteten Presseklima nicht übereinstimmen. Denn die vom Heider Anzeiger selbsterklärte Neutralität, die bereits durch die qualitativen Ansätze ad absurdum geführt wurden, hätte in einem ersten naiven Zugang erwarten lassen, dass es – zumindest parteipolitisch – eine annähernd gleiche Verteilung der Pressepräsenz der politischen Parteien gegeben hätte. Doch einer solchen Erwartungshaltung ist zu entgegnen, dass die diffe-
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rierende Pressepräsenz der verschiedenen Parteien nicht zwangsläufig dem Heider Anzeiger, sondern dem Engagement der Parteien zugeschrieben werden kann. Abbildung 8: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der Milieus in Heide, exkl. Handwerkerbund und Reiterverein (1928-1933)
Während man einen solchen potentiellen Einwand durchaus akzeptieren muss, ist dem zu entgegnen, dass dann aber auch die Pressepräsenz der KPD hätte höher sein müssen. Denn mithilfe der Überlieferung des Heider Stadtarchivs zu Versammlungsgenehmigungen ist nachweisbar, dass es Veranstaltungen der Kommunisten 284 gab, über die im Heider Anzeiger nicht berichtet wurde. Nach deiner daraus resultierenden Ablehnung der Selbsteinschätzung muss auch Pfeils Einschätzung als zu unscharf zurückgewiesen werden. Pfeil spricht von „konservativantidemokratischen Wertvorstellungen“ des Heider Anzeigers. Hinsichtlich des Presseklimas in Heide deuten lediglich die Ausführungen des AKENS vom Ansatz her in die richtige Richtung, da zumindest die vorgenommene temporale Terminierung einen korrekten Ansatz impliziert. Der Arbeitskreis legte drei temporale Momente fest, von denen der erste bis 1930 terminiert wurde, der zweite bis 1932 und der dritte für die Zeit nach 1932. Das erste temporale Moment sei geprägt gewesen durch eine tendenzielle Berichterstattung zugunsten der DNVP und der DVP, das zweite zugunsten der DNVP und NSDAP und das dritte zugunsten der NSDAP und DNVP. Ein unmittelbares Problem, das mit der parteipolitischen Präferenz verbunden ist, besteht in der nicht nachvollziehbaren Genese der Erkenntnisgewinnung und der Tatsache, dass die in dieser Studie ermittelte parteipolitische Präferenz des Heider Anzeigers nicht mit den Ausführungen des AKENS kongruiert. Ist man nun
284 StA Hei II/696. StA Hei II/686.
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bereit, die vom AKENS publizierte parteipolitische Orientierung zugunsten einer Milieuorientierung dahingehend zu modifizieren, dass die Berichterstattung bis 1930 zugunsten des konservativen Milieus verlief, dann könnte eine solche Aussage durch die ausgewerteten Daten gestützt werden. Für die Entwicklung bis 1932 wären die Aussagen des AKENS so zu modifizieren, dass neben der Berichterstattung zugunsten des konservativen Milieus eine für das nationalsozialistische Milieu ebenfalls günstige Berichterstattung erfolgte. Eine solche Aussage hätte grundsätzlich auch akzeptiert werden können, wobei der Einbruch im konservativen Milieu und der massive Ausbau der Pressepräsenz des nationalsozialistischen Milieus im Jahr 1931 nicht hinreichend berücksichtigt worden wären. Für die Zeit nach 1932, also für 1933, wäre bei der Fortführung der Modifikation der Explikation des AKENS für 1933 eine Umkehrung der Verhältnisse bis 1933 zu konstatieren, die sich ebenfalls durch die aus der Auswertung der Pressepräsenz gewonnenen Erkenntnisse bestätigen ließe. Obgleich die in der Publikation des AKENS manifestierten Tendenzen der politischen Berichterstattungen nicht in der vorgenommenen Weise bestätigt werden können, zeigen sie doch, wenn man bereit ist, die Aussagen nicht parteipolitisch, sondern milieubezogen zu betrachten, dass sie in eine ähnliche Richtung weisen wie die vorgenommene Auswertung der Pressepräsenz, die zu einem allgemeinen Presseklima der Stadt Heide führt. Quakenbrück Durch den oben dargelegten qualitativen Ansatz ist bereits deutlich geworden, dass es in Quakenbrück drei Lokalzeitungen für den Untersuchungszeitraum gab – die Bersenbrücker Tageszeitung, das Bersenbrücker Kreisblatt und den Artländer Anzeiger. Dieser Triplex weist darauf hin, dass die Generierung des Presseklimas der Burgmannsstadt diffiziler als in Heide anzugehen ist. Wenn man allgemein von Presseklima spricht, so suggeriert der Begriff, dass eine Einheitlichkeit existierte, selbst wenn die politischen Präferenzen different gewesen sein mögen. Doch für eine erste Annäherung scheint ein solcher Zugriff durchaus hilfreich. Denn aufgrund der fehlenden Informationen zur Auflagenstärke der einzelnen Zeitungen kann nicht festgestellt werden, welche der drei Zeitungen die größte Verbreitung und damit möglicherweise den größten Anteil am Meinungsbildungsprozess besaß. Für eine Annäherung an das allgemeine Presseklima bedeutet das, dass in den drei Quakenbrücker Zeitungen bis 1932 das sozialistische Milieu und das konservative Milieu dominierten. Bei einer genaueren Betrachtung zeigt sich, dass das sozialistische Milieu 1928, 1929 und 1932 – allerdings tendenziell abnehmend – die Pressepräsenz dominierte. In den Jahren zwischen 1929 und 1932 wurde die Pressepräsenz durch das konservative Milieu bestimmt, während das sozialistische Milieu anteilsmäßig immer noch am zweithäufigsten in der Pressepräsenz blieb (s. Abb. 9).
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Das änderte sich erst, als das nationalsozialistische Milieu den höchsten Anteil der Pressepräsenz im Jahr 1933 erreichen konnte und somit, weil das konservative Milieu am zweithäufigsten blieb, das sozialistische Milieu auf den dritten Platz zurückdrängte. Das katholische Milieu blieb hinsichtlich der Pressepräsenz während des gesamten Untersuchungszeitraums hinter der des konservativen und des sozialistischen Milieus zurück – was aufgrund der geringen Anzahl der im vorpolitischen Raum agierenden Vereine nicht verwundert. Abbildung 9: Relationale kumulierte Darstellung der Pressepräsenz der Milieus in Quakenbrück (1928-1933)
Bei einer Betrachtung der Auswertung der Pressepräsenz der für Quakenbrück berücksichtigten Parteien feststellen, dass die NSDAP mit der Ausnahme von 1929 die parteipolitische Pressepräsenz dominierte, wobei tendenziell von 1928 bis 1933 ein zunehmender Anteil der NSDAP zu erkennen ist. Dieser parteipolitischen Pressepräsenz folgte die der SPD, deren Anteil nach einem Anstieg von 1928 auf 1929 bis 1933 tendenziell sank. Die gleiche Tendenz kann auch für die konservative Parteienlandschaft, die aus DNVP, Wirtschaftspartei und DVP bestand, nach einem Anstieg von 1928 auf 1929 bis 1933 konstatiert werden. Für das Zentrum kann von 1928 bis 1931 eine tendenzielle Abnahme der Pressepräsenz festgestellt werden, die sich ab 1932 in den gegenläufigen Trend verkehrte (s. Abb. 7).
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Abbildung 10: Relationale Darstellung der einzelnen berücksichtigten Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien in Quakenbrück (1928-1933)
Obgleich die explizierten Tendenzen bei einer nach den Zeitungen separierten Betrachtung grosso modo wiederzufinden sind, gibt es aber auch Differenzen. So ist der relationale Anteil der Pressepräsenz der NSDAP in der Bersenbrücker Tageszeitung bis 1931 deutlich geringer als in der Gesamtdarstellung (s. Abb. 8). Das kann wohl darauf zurückgeführt werden, dass der Herausgeber der Zeitung nicht als Sympathisant der Nationalsozialisten zu betrachten ist. Im Vergleich zur Bersenbrücker Tageszeitung war die relationale Pressepräsenz der NSDAP im Artländer Anzeiger ebenso wie im Bersenbrücker Kreisblatt von 285 Anfang an höher.
285 Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangte Menke, die ab 1932 für den Artländer Anzeiger eine manifestierte Sympathie für den Nationalsozialismus gegeben sah. (Menke, Die Endphase der Weimarer Republik, S. 101.)
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Abbildung 11: Relationale Darstellung der einzelnen berücksichtigten Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien in der Bersenbrücker Tageszeitung (1928-1933)
Abbildung 12: Relationale Darstellung der einzelnen berücksichtigten Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien im Bersenbrücker Kreisblatt (1928-1933)
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Abbildung 13: Relationale Darstellung der einzelnen berücksichtigten Parteien an der Pressepräsenz der politischen Parteien im Artländer Anzeiger 286 (1928-1930, 1932-1933)
Nach diesen Explikationen zur Pressepräsenz der politischen Parteien muss – ebenso wie für Heide – eine Betrachtung der Pressepräsenz der den Milieus zugeordneten vorpolitischen Organisationen erfolgen, da sie am Prozess der politischen Willensbildung beteiligt waren und dementsprechend ihre Pressepräsenz als weiterer Indikator für das Presseklima genutzt werden kann.
286 Aufgrund der Überlieferungslücke des Artländer Anzeigers, die den Zeitraum von Juli bis Dezember 1931 umfasst, wird das Jahr 1931 hier nicht berücksichtigt.
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Abbildung 14: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen in Quakenbrück (19281933)
Bei einem solchen Vorgehen ist zu erkennen, dass das sozialistische Organisationsmilieu zu Beginn des Untersuchungszeitraums (1928 und 1929) die Pressepräsenz deutlich dominierte und dass insbesondere der Anteil des konservativen Organisationsmilieus bis 1930 zuzunehmen begann, um anschließend einem gegenläufigen Trend bis 1933 zu folgen, als wiederum ein geringer Aufwärtstrend zu verzeichnen war. Der rückläufige Trend war durch eine Zunahme der Präsenz des sozialistischen Organisationsmilieus und ab 1932 durch eine beginnende Präsenz nationalsozialistischer Organisationen sowie einem Anstieg der Pressepräsenz des katholischen Organisationsmilieus bedingt (s. Abb. 14). Führt man im Anschluss eine separierte Untersuchung der Lokalzeitungen durch, so zeigt sich für die Bersenbrücker Tageszeitung ein grosso modo ähnlicher Trend, der sich zum einen von der kumulierten Betrachtung dadurch unterscheidet, dass die prozentualen Anteile geringfügig abweichen, und der zum anderen in der erst 1932 für das konservative Organisationsmilieu rückläufigen Pressepräsenz zu sehen ist (s. Abb. 15).
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Abbildung 15: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen in der Bersenbrücker Tageszeitung 1928-1933
Obgleich selbst für die ausgewerteten Daten des Bersenbrücker Kreisblatts ein adäquater Trend zu konstatieren ist, der durch die Abnahme der Pressepräsenz des sozialistischen Milieus von 1928 bis 1929 und einer anschließenden tendenziellen Zunahme bis 1932 sowie einem anschließenden Einbruch ersichtlich ist, sind gleichzeitig auch Differenzen zu erkennen. So ist etwa der Anteil des sozialistischen Organisationsmilieus an der Pressepräsenz ein wenig geringer als in der Bersenbrücker Tageszeitung (s. Abb. 15, 16). Zudem stieg die Pressepräsenz des konservativen Organisationsmilieus bis 1930 deutlich an, um anschließend, entgegen der kumulierten relationalen Auswertung, bis 1932 massiv einzubrechen. Der Anteil des nationalsozialistischen Organisationsmilieus wurde – ebenso wie in der Bersenbrücker Tageszeitung – erst 1933 relevant, da es zuvor keine nationalsozialistischen Organisationen außer der NSDAP in Quakenbrück gab. Dementsprechend ist es wenig erstaunlich, dass auch im Artländer Anzeiger das nationalsozialistische Organisationsmilieu bis 1933 keine Bedeutung hatte (s. Abb. 16).
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Abbildung 16: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen im Bersenbrücker Kreisblatt (1928-1933)
Abbildung 17: Relationale Darstellung der Pressepräsenz der zu Organisationsmilieus zusammengefassten Organisationen im Artländer Anzeiger (1928-1933)
Diese Ausführungen zeigen einige Gemeinsamkeiten, die z.B. in der bis 1933 relativ hohen Präsenz des sozialistischen Organisationsmilieus lagen, dem das konser-
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vative Organisationsmilieu folgte. Differenzen ergeben sich bei der Betrachtung des Anteils des nationalsozialistischen Organisationsmilieus im Jahr 1933, das in der Bersenbrücker Tageszeitung einen Anteil von ca. 30,2 % besaß, während dieser im Bersenbrücker Kreisblatt und im Artländer Anzeiger mit 43,1 % bzw. mit 42,9 % annähernd gleich war. Daraus lässt sich die Tendenz ableiten, dass das nationalsozialistische Organisationsmilieu 1933 in der Berichterstattung der Bersenbrücker Tageszeitung relational weniger berücksichtigt wurde als in den anderen beiden Lokalzeitungen. Aufgrund der am Anfang des Kapitels geschilderten politischen Orientierungen der Herausgeber verwundert das wenig. Allerdings erstaunt es, dass die Nationalsozialisten es trotz der Auseinandersetzungen zwischen dem Herausgeber der Bersenbrücker Tageszeitung eine solch hohe Pressepräsenz erzielen konnten. Das deutet unter Berücksichtigung des sukzessiven Anstiegs der Pressepräsenz der NSDAP darauf hin, dass dann, wenn eine Partei bei den Wahlen erfolgreich war, die lokale Presse diese Partei nicht mehr „übergehen“ konnte. Somit konnte der Erfolg einer Partei Einfluss auf die politischen Präferenzen der Lokalzeitungen nehmen, da diese den Erfolg durch die Auswahl und Art der gedruckten Informationen nicht mehr ignorieren konnten. Dadurch entstand ein Anpassungsprozess, mit dem der Herausgeber der Bersenbrücker Tageszeitung nicht nur das Überleben seiner Zeitung zu sichern beabsichtigte, sondern auch sich selbst ein adäquate Stellung in den „neuen Verhältnissen“ zu sichern beabsichtigte. Dass er mit dieser Strategie erfolgversprechende Absichten verfolgte, wird spätestens dann deutlich, wenn man berücksichtigt, dass diese Lokalzeitung stärker als die andren beiden von den Mit287 Dementgliedern des sozialistischen und katholischen Milieus gelesen wurden. sprechend benötigten die Nationalsozialisten die Bersenbrücker Tageszeitung, um diese Milieus im politischen Willensbildungsprozess zu erreichen. Dadurch wurde dem Herausgeber zunächst eine adäquate Stellung verschafft, die diesen zu einer Anpassung an die neuen Verhältnisse veranlassten.
287 Diese Einschätzung ergibt sich daraus, dass in der Bersenbrücker Tageszeitung mehr Artikel der Organisationen des sozialistischen und des katholischen Milieus zu finden sind. Davon lässt sich ableiten, dass die Anzahl der Adressaten der Bersenbrücker Tageszeitung in den genannten Milieus größer war.
Teil III Implementierung bzw. Ausweitung der Nationalsozialisten vor Ort (1928 – Frühjahr 1929) Ein Vergleich der Ergebnisse der untersuchten Orte vom Untersuchungsbeginn bis zum Frühjahr 1929 zeigt, dass als die nationalsozialistische Bewegung fördernder Faktor die mentalen Kongruenzen zwischen der NSDAP und der Landvolkbewegung sowie Teilen des konservativen Organisationsmilieus anzuführen ist. Dies und die Existenz der SA als politische Vorfeldorganisation begünstigten zudem einen Mitgliederanstieg bei den Nationalsozialisten. Mit diesem Mitgliederanstieg war gleichzeitig eine parteipolitische Neu- oder Umorientierung verbunden, die auf der mangelhaften Fähigkeit der DVP und der DNVP beruhte, sich in notwendigen 1 Ausmaß auf lokaler Ebene zu verankern und auf die Bedürfnisse ihrer Wählerklientel adäquat einzugehen. Diese Schwäche konnte auch nicht von der 1928 auftretenden Wirtschaftspartei völlig aufgefangen werden, so dass sich die angesprochene parteipolitische Umorientierung ebenso zugunsten der NSDAP auswirken konnte. Doch warum waren diese Auswirkungen in Quakenbrück und Heide so unterschiedlich? Eine erste Erklärung dafür bietet zum einen die Existenz des katholischen Milieus in Quakenbrück, mit dem eine implizite Wahlnorm zugunsten des Zentrums verbunden war, das explizit im Wahlkampf Stellung gegen die Nationalsozialisten bezog. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass nicht gleich jeder Katholik Zentrum wählte. Zum anderen stellte die Bindung der Mitglieder des sozialistischen Milieus an die politischen Interessenvertreter dieses Milieus, SPD und KPD, und die Divergenz der politischen Vorstellungen dieses Milieus zu den Nationalsozialisten einen potentiell hemmenden Faktor für die Ausbreitung der Nationalsozialisten dar. Ein weiterer Faktor war die unterschiedliche Intensität der Auswirkungen der 2 Landvolkbewegung sowie die lokalen Erwerbsstrukturen, da in Heide mehr Personen in der Landwirtschaft bzw. in einem von dieser abhängigen Gewerbe inkl. dem Handwerk tätig waren als in Quakenbrück, wo ein größerer Anteil von Arbeitern
1
Vgl.: Bösch, Das konservative Milieu, S. 13-14, 36-48.
2
Vgl.: Falter, Hitlers Wähler, S. 216-226.
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existierte, die nicht in der Landwirtschaft oder einem von dieser abhängigen Gewerbe beschäftigt waren. Dementsprechend machten sich die Auswirkungen der Agrarkrise in Quakenbrück weniger bemerkbar als in Heide.. Um nun diesen Erkenntnissen gerecht zu werden, gilt es, die aus den Quellen extrahierten, einem komparatistischen Verfahren ausgesetzten Erkenntnisse adäquat darzulegen. Dazu dient die Differenzierung in für die Nationalsozialisten fördernde und hemmende Faktoren. Als fördernde Aspekte der Nationalsozialisten in Heide erwiesen sich die Existenz einer politischen Vorfeldorganisation, der SA, und das für die NSDAP günsti4 ge Presseklima, die Vakanz eines katholischen Milieus mit seiner Bindefähigkeit der Menschen an das Milieu und an dessen politischen Vertreter, das Zentrum. Als ungünstig erwies es sich für die Entwicklung des Nationalsozialismus in Quakenbrück, dass es bis in den Herbst 1928 hinein nicht nur keine politische Vorfeldorganisation, sondern auch keine lokale Ortsgruppe gab. Dementsprechend verwundert es nicht, dass das Presseklima, das sich in Heide für die Nationalsozialisten günstig darstellte, in Quakenbrück eher ungünstig war.
1. F ÖRDERNDE F AKTOREN DES N ATIONALSOZIALISMUS 1.1 Kongruenzen der politischen Vorstellungen zwischen dem konservativen Organisationsmilieu und der NSDAP in Quakenbrück und Heide Die Kongruenzen der politischen Vorstellungen zwischen einem Teil des konservativen Organisationsmilieus und den Nationalsozialisten im Allgemeinen können in Quakenbrück durch die Verehrung Schlageters im Stahlhelm und durch den im 5 Kriegerverein vorhandenen Gemeinschaftsgedanken rekonstruiert werden. Diese Kongruenzen sind zwar erst ab Dezember 1928 nachweisbar, aber aufgrund der Tatsache, dass der Vorsitzende der lokalen NSDAP-Ortsgruppe sowie weitere Angehörige der NSDAP, die seit November 1928 öffentlich als Ortsgruppe
3
Pfeil, Vom Kaiserreich ins „Dritte Reich“, S. 13-19. Menke, Die Endphase der Weimarer Republik, S. 37. Gleichwohl waren „Handel und Verkehr“ hinsichtlich der Beschäftigtenzahlen noch wichtige Erwerbszweige. Menke, Die Endphase der Weimarer Republik, S. 37. Heberle, Landbevölkerung, S. 111-112, 114, 138.
4
S.: Teil II Kap. 7: Die Bedeutung der Lokalzeitungen und des Presseklimas für die politische Meinungs- und Willensbildung.
5
Vgl.: Wildt, Die Ungleichheit des Volkes, S. 36. Zwicker, „Nationale Märtyrer“, S. 123. Franke, Albert Leo Schlageter, S. 98.
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6
auftrat, Mitglieder im Stahlhelm waren, ist davon auszugehen, dass die im Dezember öffentlich manifestierten politischen Vorstellungen bei einem Teil der Stahlhelmmitglieder bereits vorher vorhanden waren. Die genannte Verehrung Schlageters zeigte sich im Stahlhelm im Dezember 1928, als im Rahmen des Deut7 schen Abends das Theaterstück „Schlageters Heldentod“ aufgeführt wurde. Die mentale Nähe zu den Nationalsozialisten lässt sich hier daraus ableiten, dass Schlageter bereits unmittelbar nach seinem Tod – er wurde am 26. Mai 1923 in der Folge des Urteils eines französischen Militärgerichts in Düsseldorf hingerichtet – durch die NSDAP instrumentalisiert wurde, die am 10. Juni 1923 in München eine erste Gedächtnisfeier für Schlageter durchführte und ihn in der Folge als Märtyrer 8 der nationalsozialistischen Bewegung vereinnahmte. Die Fokussierung auf Schlageter und die dadurch zum Ausdruck gebrachte mentale Nähe zu den Nationalsozialisten wurde wenige Monate später wiederholt zum Ausdruck gebracht, als sich die Ortsgruppe des Stahlhelms im Mai 1929 an der Schlageter-Gedenkfeier in 9 Vechtel beteiligen wollte. Einen Monat zuvor, am 14. April, führte der Kriegerverein eine „Kundgebung 10 gegen die Kriegsschuldlüge“ durch, bei der der Vorsitzende Frankreich als Verursacher des Kriegs bezeichnet habe. Weiterhin habe er ausgeführt, dass, wenn es gelinge, die „Kriegsschuldlüge“ zu beseitigen, es auch die Möglichkeit gebe, den Versailler Vertrag als gegenstandslos zu betrachten. Dazu sei es notwendig gewesen, die „Kriegsschuldlüge“ aufzudecken und dafür zu sorgen, dass alle Deutschen bereit wären, „die Reihen zu schließen“. Die Intention der Rede, die sich gegen die Siegermächte des Ersten Weltkriegs richtete, wurde durch den Lehrer Heyser sogar noch zugespitzt, der davon gesprochen habe, dass England, Frankreich, Belgien und Russland am Ausbruch des Kriegs schuld gewesen seien. Dass den Anwesenden grundsätzlich eine vergleichbare mentale Grundhaltung zu konstatieren ist, wird dadurch deutlich, dass sich alle Anwesenden in eine Liste eingetragen hatten, mit der die Aufhebung des Paragraphen 231 des Versailler Vertrags unterstützt werden
6
StAOs Dep 50 bI Nr. 2375. StAOs Rep 430 Dez 201 Akz. 5/66 Nr. 12 Bd.1. vgl. Schuster, Die SA in der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, S. 50.
7
BK 6.12.1928. AA 6.12.1928. Schlageter wurde nach einer Sabotageaktion im Ruhrgebiet durch die französische Besatzungsmacht zum Tode verurteilt und Hingerichtet. (vgl. Zwicker, „Nationale Märtyrer“, S. 53-69. Franke, Albert Leo Schlageter, S. 44-80.
8
Zwicker, „Nationale Märtyrer“, S. 122-123. Siemens, Horst Wessel, S. 138.
9
BK 26.5.1929. AA 26.5.1929.
10
Die Bedeutung der Wehrverbände lag, so Stoltenberg, darin, dass sie weit über den Mitgliederkreis hinaus wirkten. Stoltenberg, Politische Strömungen, S. 98. Vgl.: Rietzler, Kampf in der Nordmark, S. 274-275.
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sollte. Neben der Rekonstruktion der national orientierten politischen Vorstellung kann aus der Formulierung, dass die Lüge der Kriegsschuld nur aufgedeckt werden könnte, wenn die Deutschen bereit seien, die Reihen zu schließen, ein Gemeinschaftskonstrukt extrahiert werden, das aufgrund der nationalen und damit auf Deutschland vorgenommenen Fokussierung Kongruenzen mit dem Volksgemeinschaftsgedanken der Nationalsozialisten aufweist, da deren Volksgemeinschaftsver12 ständnis auf die Mitglieder des deutschen Volks beschränkt war. Dieser Gemeinschaftsgedanke wurde sowohl in Quakenbrück als auch in Heide von der NSDAP im Wahlkampf des Jahres 1928 benutzt, um ihn als Instrumentarium zur Gewinnung weiterer Personen aus dem konservativen Milieu einzusetzen. In Heide war es dafür hilfreich, dass der Begriff und das Gedankenkonstrukt in Teilen des konservativen Organisationsmilieus seit spätestens Anfang 1928 explizit vorhanden war und in einer Rede des Vorsitzenden des Kriegervereins im Februar 13 1928 offen genutzt wurde. Er sprach davon, dass die Kameradschaft in den Kriegervereinen als Exemplum der „Volksgemeinschaft“, auf die durch die Parteien zerstörend eingewirkt worden sei, gelten könne. Aus diesen Äußerungen lässt sich bereits eine reservierte Haltung gegenüber dem Parteiensystem und der damit verbundenen Demokratie ableiten, da diese mit ihren Parteien indirekt für die Auflösung der Volksgemeinschaft verantwortlich gemacht wurde. Dem Zeitgeist wurden Tugenden wie „Hingebung“, „Pflicht“, „Ehre“ und der Glaube, dass der „Idealis14 mus“ über den „Materialismus der Zeit“ siege, entgegengesetzt. Einen Monat später nahm der Kriegerverein zusammen mit den anderen Organisationen der Arbeitsgemeinschaft vaterländischer Verbände, zu denen auch der Verein der Nordschleswiger gehörte, an einer Gedenkfeier für die 80järige Wieder15 kehr der Erhebung Schleswig-Holsteins gegen Dänemark teil. Im Rahmen dieser Gedenkfeier nahmen der Anlass der Veranstaltung und das Schleswig-HolsteinLied – durch das in der Berichterstattung explizit erwähnte Absingen des Lieds – eine zentrale Bedeutung ein. Denn durch beide wurde sowohl eine nationale Fokussierung auf Deutschland als auch ein damit verbundener Einigungsgedanke zum Ausdruck gebracht, der im Kontext der zuvor thematisierten Volksgemeinschaft zu betrachten ist. Zum Verständnis dieses Gedankens muss man sich die Erhebungsfeier und ihren Ursprung sowie den Entstehungszeitpunkt des gesungenen Schleswig-Holstein-Lieds und seinen Inhalt anschauen. Die Erhebungsfeier erinnerte an
11
BT 16.4.1929. BK 17.4.1929. AA 17.4.1929.
12
Vgl.: Benz, Was ist Antisemitismus?, S. 111. Wildt, Die Ungleichheit des Volkes, S. 36.
13
Vgl.: Kurlander, The Price of Exclusion, S. 189.
14
HA 21.2.1928.
15
HA 21.3.1928. HA 22.3.1928. HA 24.3.1928. HA 26.3.1928.
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den Kampf der Schleswiger und Holsteiner gegen Dänemark im Jahr 1848 und wurde in Heide 1928 aus Anlass der 80. Wiederkehr festlich gefeiert. Dass man hiermit offen die Einheit Schleswig-Holsteins und die Zugehörigkeit zu Deutschland demonstrieren wollte, wird aus dem Bericht des Heider Anzeigers vom 24. März 1928 erkennbar, in dem man sich zur Einheit Schleswig-Holsteins bekannte 16 und betonte, dass es auf ewig ungeteilt sein solle. Dieser Gedanke wurde in der Ansprache des Festredners der Erhebungs-Gedenkfeier, des Sekretärs des nordschleswigschen Wählervereins, Dr. Rasch, der eine leitenden Funktion in der „deut17 schen Bewegung im abgetretenen Gebiete“ besaß, aufgegriffen, der die Erhebung gegen Dänemark zudem als Geburtsstunde des „bewussten Zusammenseins unseres 18 Landes mit dem Deutschen Reich“ bezeichnete. Aus dieser Ausführung und dem starken Beifall für die Äußerungen des Redners wird die Haltung, die Zugehörigkeit Nordschleswigs zu Dänemark nicht dauerhaft zu akzeptieren, deutlich. Die insgesamt große Beteiligung der Heider Bevölkerung an diesen Festlichkeiten und die starken Beifallsbekundungen für die Festrede zeigen, dass sich ein großer Anteil der Heider Bevölkerung mit dem Anliegen identifizieren konnte. Das wurde durch das 19 abschließende Absingen des Schleswig-Holstein-Lieds zusätzlich unterstrichen. Denn das Lied war zu einer Zeit entstanden, als sich die Einwohner der Herzogtümer Schleswig und Holstein in zunehmendem Maße als Deutsche zu fühlen begonnen hatten und in Nordschleswig Dänisch als Amtssprache (1840) eingeführt worden war. Die Auseinandersetzung um die Amtssprache, bei der Dänisch als zweite Amtssprache in Schleswig etabliert werden sollte, kulminierte in einem Eklat, der vom Abgeordneten der Ständeversammlung, Peter Hiort Lorenzen, auf einer Tagung derselben (1842) dadurch provoziert wurde, dass er seine Ausführungen in dänischer Sprache vornahm. Der dadurch erzeugte Unmut veranlasste den dänischen König, Christian VIII., einzugreifen, weil er die Einheit seines Reichs gefährdet sah. In der Folge seiner Äußerungen, die als Zurechtweisung der deutschgesinnten Bevölkerung aufgefasst wurden, kam es zu einer provozierenden Zuspitzung des Liedtexts, der ursprünglich auf Karl Friedrich Straß zurückzuführen ist. Da dieser Text den Verantwortlichen des Schleswiger Sängerfests zu harmlos erschien – Sängerfeste galten auch als „politische Veranstaltungen“ – wurde eine von Matthäus Friedrich Chemnitz modifizierte und verschärfte Fassung für die Premiere 20 am 24. Juli 1844 verwendet. In dieser wird in den Kehrreimen der Strophen dazu
16
HA 24.3.1928.
17
HA 19.3.1928. HA 26.3.1928.
18
HA 26.3.1928.
19
HA 26.3.1928.
20
http://www.geschichte-s-h.de/vonabisz/schleswig-holstein-lied.htm. Homepage der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte. (1.5.2012)
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aufgefordert, „treu zu bleiben, festzustehen und auszuharren“, was von Henning Unverhau dahingehend interpretiert wird, dass man bis zu einer Vereinigung mit 21 Deutschland ausharren sollte. Der Einigungsgedanke wurde vom Kriegerverein im Juni 1928 im Rahmen der Kreiskriegerverbandstagung aufgenommen und zielte insbesondere auf die Einigung des Volkes, das wehrhaft bleiben sollte und die 22 Gleichberechtigung und Freiheit unter den Völkern erzwingen müsste. 1.2 Antisemitismus und Volksgemeinschaft als Faktoren der Implementierung bzw. Ausweitung der Nationalsozialisten im lokalen Kontext der Landvolkbewegung Die bereits erwähnten Kongruenzen der politischen Vorstellungen wirkten sich insbesondere auf die Landvolkbewegung aus. Diese Kongruenzen politischer Vorstellungen boten der NSDAP nämlich die Möglichkeit, die politischen Themen zu intensivieren, von denen sie glaubte, die Menschen auf lokaler Ebene die Menschen erreichen zu können. Als solche Themen können im Kontext der Landvolkbewegung in beiden Orten der Antisemitismus und die (Volks-)Gemeinschaft rekonstruiert werden, die außerhalb der NSDAP zu diesem Zeitpunkt durch die Landvolkbewegung und durch die Nachfolgeorganisation in Norderdithmarschen, den Kreis23 bauernbund, zum Ausdruck gelangten. Beim Antisemitismus handelte es sich um den „rassistisch und sozialdarwinistisch“ aufgeladenen „modernen Antisemitismus“, der im 19. Jh. entstand und sich von dem vorherigen „religiös motivierten Antijudaismus“ darin unterschied, dass jener im Gegensatz zu diesem unveränderbar war, da eine Konvertierung keine 24 Modifikation der „Rasseneigenschaft“ zur Folge gehabt hätte. Hinzu kam das ökonomische Motiv, mit dem die Juden als Verursacher ökonomischer Krisen angeprangert wurden, wie es bereits Otto Glaugau hinsichtlich „des Gründerkrachs 25 von 1873“ propagierte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das ökonomische Motiv erneut virulent, als sich die „Kleinbürger“ vor der sozioökonomischen Deklas26 sierung zu fürchten begannen. Diese Situation suchten sowohl die DNVP als auch
21
http://www.geschichte-s-h.de/vonabisz/schleswig-holstein-lied.htm. Homepage der Ge-
22
HA 18.6.1928.
23
Vgl.: Longerich, Die braunen Bataillone, S. 65. Vgl.: Kittel, Provinz zwischen Reich
24
Benz, Was ist Antisemitismus?, S. 84-86. Thamer, Der Nationalsozialismus, S. 46.
sellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte. (1.5.2012)
und Republik, S. 600. Diewald-Kerkmann, Politische Denunziation, S. 34. 25
Benz, Was ist Antisemitismus?, S. 89.
26
Benz, Was ist Antisemitismus?, S. 110. Vgl.: Thamer, Der Nationalsozialismus, S. 29.
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die NSDAP für sich zu nutzen, um durch das Schüren von Existenzängsten „repub27 lik- und demokratiefeindliche Anhänger zu gewinnen“. Der dafür genutzte Antisemitismus war gleichzeitig ein Bestandteil des von beiden Parteien gebrauchten exklusiven Verständnisses von Volksgemeinschaft, zu der 28 weder Juden noch Sozialdemokraten oder Kommunisten gehört hätten. Mit diesem exklusiven Volksgemeinschaftsverständnis grenzten sich Deutschnationale und Nationalsozialisten von dem inklusiven Verständnis von Volksgemeinschaft der „bürgerlichen Parteien und Sozialdemokraten“ ab, deren Verständnis eine soziale Harmonisierung und die „Herstellung einer politischen Einheit des Volkes auf der 29 Grundlage der Verfassung“ implizierte.
27
Benz, Was ist Antisemitismus?, S. 110. Zur Funktion des Antisemitismus bei den Nationalsozialisten: Reichardt, S., Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, 2. Durchgesehene und um ein Nachwort ergänzte Auflage, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 631-641. Heilbronner, The Role of Nazi Antisemitism in the Nazi Party´s Activity and Propaganda. A Regional Historiographical Study, in: Yearbook of the Leo Baeck Institute 35, 1990, S. 397-439. Paul, Aufstand der Bilder, S. 113, 236-239. Meyer zu Uptrup, Kampf gegen die „jüdische Weltverschwörung“. Propaganda und Antisemitismus der Nationalsozialisten 1919-1945, Berlin 2003. Diewald-Kerkmann, Politische Denunziation, S. 34.
28
Wildt, Die Ungleichheit des Volkes, S. 36-37. Schmiechen-Ackermann, >VolksgemeinschaftVolksgemeinschaftVolksgemeinschaftDritten Reich