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German Pages 230 Year 2015
Constanze Pfeiffer Die Erfolgskontrolle der Entwicklungszusammenarbeit und ihre Realitäten
Für Stefan
Constanze Pfeiffer (Dr. phil.) promovierte am Institut für Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Entwicklungsländer- und Evaluationsforschung. Ihr regionaler Schwerpunkt liegt im Bereich Ostafrika und Südasien. Gegenwärtig arbeitet sie am Schweizerischen Tropeninstitut in Basel.
Constanze Pfeiffer
Die Erfolgskontrolle der Entwicklungszusammenarbeit und ihre Realitäten Eine organisationssoziologische Studie zu Frauenrechtsprojekten in Afrika
Die Dissertation wurde eingereicht unter dem Titel: »Monitoring und Evaluation von Frauenrechtsprojekten in Tansania, Sambia und Malawi – eine organisationssoziologische Analyse der Umsetzungsrealitäten im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit« (Philosophische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.).
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Kai Reinhardt, Bielefeld Lektorat: Constanze Pfeiffer Satz: Alexander Masch, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-771-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Danksagung
9
1 Einleitung 1.1 Erfolgskontrolle in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit – zwischen Anspruch und Wirklichkeit 1.2 Begriffsklärung 1.3 Forschungsfragen und -ziele 1.4 Theoretische Vorgehensweise 1.5 Methodologischer Ansatz 1.6 Argumentationsaufbau
13
2
Frauenrechtsprojekte im südlichen und östlichen Afrika
23
3 3.1 3.2 3.3
Theoretischer Analyserahmen Konstruktivismusdebatte Organisationstheoretische Verortung Strukturierungstheoretischer Analyserahmen
27 27 34 41
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
Methodologische Vorgehensweise Einleitung Untersuchungseinheiten Auswahlverfahren und Stichproben Datenerhebungsmethoden Datenauswertung Methodologische Anmerkung
61 61 62 65 67 71 72
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Präsentation und Auswertung der Daten Regeln Signifikation Legitimation Zusammenfassung: Signifikation und Legitimation Ressourcen: Bedeutung von Macht aus handlungs- und strukturierungstheoretischer Sicht 5.6 Allokative Ressourcen 5.7 Autorative Ressourcen
13 15 16 17 19 20
75 75 88 114 129 136 138 144
5.8 Mikropolitische Erweiterung des Ressourcenansatzes 5.9 Zusammenfassung: Macht und Machtressourcen 6
150 161
6.1 6.2 6.3 6.4
Exkurs: Konstruktivistische Analyse des methodologischen Vorgehens bei M&E Paradigmendiskussion in der Evaluationforschung Interaktionsdynamiken im Rahmen von M&E Methodologische Vorgehensweise in den Untersuchungsgebieten Methodologische Konsequenzen
167 167 171 181 189
7
Zusammenfassende Schlussbetrachtung und Ausblick
199
8
Literaturverzeichnis
209
Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3:
Strukturierungstheoretisches Modell im Kontext von Monitoring & Evaluation Anzahl der ausgefüllten Fragebögen Anzahl der Interviewteilnehmerinnen
56 68 69
V e r z e i c h n i s d e r Ab b i l d u n g e n Abbildung 1:
Endlose Austauschverhältnisse zwischen Handlung und Struktur nach Giddens Abbildung 2: Bedingungen für das Handeln nach Giddens Abbildung 3: Das strukturierungstheoretische Modell Abbildung 4 Geographische Lage der untersuchten Frauenrechtsprojekte. Karte: CIA, 2003 Abbildung 5: Darstellung der Austauschprozesse zwischen den projektinternen Ebenen Abbildung 6: Bedeutung der verwendeten Interview-Kodes Abbildung 7: Integration des Individuums nach Ortmann/Sydow/ Windeler Abbildung 8: Regelwerkorientierte Austauschprozesse zwischen Handlung und Struktur Abbildung 9: Erweiterung des Modells der sozialen Dimensionen nach Ortmann et al. Abbildung 10: Gruppendiskussionen Abbildung 11: Rollenspiele Abbildung 12: Kinderzeichnungen
42 43 48 64 66 70 103 135 153 186 188 189
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen BMZ CEDAW EZ GAD GTZ HDI HWWA IWF MDGs M&E NRO OE OECD PLA PRA PRSP RRA SAP WB WID
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women Entwicklungszusammenarbeit Gender and Development Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit Human Development Index Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv Internationaler Währungsfonds Millennium Development Goals Monitoring und Evaluation Nichtregierungsorganisation Organisationsentwicklung Organisation for Economic Cooperation and Development Participatory Learning and Action Participatory Rural Appraisal Poverty Reduction Strategy Papers Rapid Rural Appraisal Strukturanpassungsprogramme Weltbank Women in Development
Danksagung Diese Arbeit konnte nur aufgrund der Kooperationsbereitschaft und Unterstützung der Mitarbeiterinnen der untersuchten Organisationen in Deutschland, Tansania, Malawi und Sambia stattfinden. Ohne ihre Geduld und ihr Interesse wäre diese Studie nicht zustande gekommen. Ein großes Dankeschön gilt daher zunächst allen Teilnehmenden der Datenerhebung. An dieser Stelle sei besonders Prof. Dr. Nina Degele und Prof. Dr. Baldo Blinkert, Institut für Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, gedankt, die durch ihre tatkräftige und kenntnisreiche Unterstützung zum Gelingen der Studie beigetragen haben. Dr. Rita Schäfer unterstützte mich mit vielen Literaturtipps und inhaltlichen Ergänzungsvorschlägen, auch ihr gilt mein herzlicher Dank. Zudem möchte ich der Paul und Maria Kremer-Stiftung, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der Stiftungsverwaltung der Universität Freiburg für ihre finanzielle Unterstützung meinen Dank aussprechen. Besonderer Dank gilt meinen Eltern, Almut und Michael Pfeiffer, sowie meinem Bruder, Markus Pfeiffer, die immer für mich da sind. Von ganzem Herzen danke ich Stefan Dongus für die Kraft und Unterstützung, die er mir gegeben hat. Ihm ist dieses Buch gewidmet.
Freiburg im Breisgau, Juli 2007
Es war einmal … ein Schäfer, der in einer einsamen Gegend Südpolens seine Schafe hütete. Plötzlich taucht in einer großen Staubwolke ein nagelneuer Cherokee Jeep auf und hält direkt neben ihm an. Der Fahrer des Jeeps, ein junger Mann im Brioni-Anzug, mit Cerutti-Schuhen, mit einer Ray-ban-Sonnenbrille und einer Yves-Saint-Laurent-Krawatte steigt aus und fragt ihn: »Wenn ich errate, wie viele Schafe Sie haben, bekomme ich dann eins?« Der Schäfer schaut den jungen Mann an, dann seine friedlich grasenden Schafe und sagt ruhig: »In Ordnung.« Der junge Mann parkt den Jeep, verbindet sein Notebook mit dem Handy, geht im Internet auf eine NASA-Seite, scannt die Gegend mit Hilfe eines GPS-Satellitennavigationssystems, öffnet eine Datenbank und 60 Excel-Tabellen mit einer Unmenge Formeln. Schließlich druckt er einen 150-seitigen Bericht auf seinem HighTech-Minidrucker, dreht sich zu dem Schäfer um und sagt: »Sie haben hier exakt 1.586 Schafe.« Der Schäfer sagt: »Das ist richtig, suchen Sie sich ein Schaf aus.« Der junge Mann nimmt ein Tier und lädt es in den Jeep ein. Der Schäfer schaut ihn an und sagt: »Wenn ich Ihren Beruf errate, geben Sie mir das Tier dann zurück?«. Der junge Mann antwortet: »Klar, warum nicht.« Der Schäfer sagt: »Sie sind ein ausländischer Berater.« »Das ist richtig, woher wissen Sie das?« will der junge Mann wissen. »Sehr einfach«, sagt der Schäfer, »erstens kommen Sie hierher, obwohl Sie niemand gerufen hat. Zweitens wollen Sie ein Schaf als Bezahlung haben dafür, dass Sie mir sagen, was ich ohnehin schon weiß, und drittens haben Sie keine Ahnung von dem, was ich mache, denn Sie haben sich meinen Hund ausgesucht.« (Zimmer, 2003: S. 144)
1 Einleitung ∗
1.1
Erfolgskontrolle in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit – z w i s c h e n An s p r u c h u n d W i r k l i c h k e i t
Auf der Internetseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist zu lesen: »Lohnt es sich, Steuergelder für Entwicklungspolitik auszugeben? Oder verwaltet sich ein riesiger Apparat dank dieser finanziellen Mittel selber? Kommt das Geld auch wirklich bei den Not leidenden Menschen in aller Welt an? Legitime Fragen. Um sie zu beantworten, führt das BMZ seit mehr als 30 Jahren regelmäßige Erfolgskontrollen durch.« (BMZ, 2005)
Obwohl besagte Erfolgskontrolle bereits seit vielen Dekaden eine Rolle spielt, rückt das Thema immer mehr in den Vordergrund der nationalen sowie internationalen Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (im Folgenden: EZ-Organisationen) sind bemüht, diesem Trend zu entsprechen. In ihren Broschüren heben sie hervor, dass sie den (inter-)nationalen Forderungen nach einer intensiveren Erfolgskontrolle nachkommen. Eine verstärkte Berücksichtigung der Erfolgskontrolle soll über organisationsinterne Veränderungsprozesse eingeleitet werden. Doch wie sieht es in der entwicklungspolitischen Realität tatsächlich aus? Halten die Aussagen in Hochglanzbroschüren, das heißt die interessengeleiteten Selbstrepräsentationen der Organisationen, was sie versprechen? Diesen Fragen gehe ich in dieser Untersuchung im Kontext von Frauenrechtsprojekten in Tansania, ∗
Mit Nennung der weiblichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch aus platzökonomischen Gründen, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die männliche Form mitgemeint. »Mitarbeiterinnen« meint also Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; »Mitarbeiterinnen« hingegen nur die weibliche Form. 13
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Malawi und Sambia wissenschaftskritisch auf den Grund. Zunächst bedarf es jedoch einiger Hintergrundinformationen: Gemäß dem international gültigen Regelwerk des für Entwicklungszusammenarbeit zuständigen »Development Assistance Committee«1 (DAC) der »Organisation for Economic Cooperation and Development« (OECD), das auch für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit gilt, dient die Erfolgskontrolle der qualitativen Verbesserung der Vorhaben zwischen so genannten Geberorganisationen und ihren Empfängern (OECD, 1986; Borrmann/Fasbender/Holthus, 1999). Sie soll dabei folgenden Erfordernissen gerecht werden: Verbesserung der Qualität von Entwicklungszusammenarbeit, Rechenschaftsabgabe und Legitimation der EZ sowie das Vorantreiben institutioneller Lernprozesse. In Deutschland ist das BMZ damit beauftragt, die Mittel unter anderem auf staatliche und nicht staatliche Organisationen zu verteilen und die gesamte staatliche Entwicklungszusammenarbeit zu koordinieren.2 Das Ministerium ist dazu verpflichtet, Rechenschaft gegenüber dem Parlament abzulegen sowie die Mittelverwendung durch den Bundesrechnungshof kontrollieren zu lassen. 1998 wurde vom Deutschen Bundestag eine Beschlussempfehlung angenommen, in der das BMZ unter anderem zu einer wirkungsorientierteren und standardisierteren Erfolgskontrolle aufgefordert wird. Da das BMZ die Verantwortung für die Durchführung der Maßnahmen und damit auch einen großen Teil der Erfolgskontrolle auf die verschiedenen geförderten EZ-Institutionen verlagert hat, versuchen diese nun, den an sie gestellten Forderungen nachzukommen. Evaluationseinheiten werden eingerichtet bzw. verstärkt, Evaluationssysteme weiterentwickelt und die Evaluationsqualität generell verbessert (Breier, 1998; Borrmann/Fasbender/Holthus, 1999; Borrmann et al., 2001). Ansätze zu einer systematisierten und formalisierten Erfolgskontrolle gibt es jedoch keinesfalls erst seit Ende der 1990er, sondern bereits seit den frühen 1960er Jahren. Zu Beginn der 1980er Jahre setzte sich der aus den USA kommende Trend zur Verwendung von Planungsmethoden durch (Te1
2
14
»Der Entwicklungshilfeausschuß der OECD (Development Assistance Committee, DAC) ist ein Koordinierungsgremium der bilateralen Entwicklungshilfegeber mit dem Hauptziel, die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zu verbessern. Die DAC-Arbeit hat drei Schwerpunkte: (1) die Festlegung von Qualitätsstandards für die EZ und die einheitliche statistische Erfassung der EZLeistungen, (2) die konzeptionelle Koordinierung (policy coordination) durch Erarbeitung von Leitlinien für wichtige Bereiche der EZ, (3) die periodische Überprüfung der EZ der DAC-Mitglieder im Lichte der gemeinsamen Standards und Leitlinien (Länderprüfungen).« (Ashoff, 2000: S. I) »Die wichtigste Form der EZ ist die bilaterale finanzielle, technische und personelle sowie die multilaterale Zusammenarbeit mit ihren Beiträgen zu internationalen Organisationen und Institutionen, die Entwicklungsmaßnahmen durchführen.« (Borrmann/Fasbender/Holthus, 1999: S. 50)
EINLEITUNG
külve, 2004). Diese sind bis heute das ›Rückgrat‹ des Projektmanagements, werden nun aber in Bezug auf Wirkungsbeobachtung konsequenter denn je eingefordert. Als zentrale Evaluationskriterien gelten: Wirkung, Relevanz, Effektivität, Effizienz und Nachhaltigkeit von Entwicklungsmaßnahmen, Projekten und Programmen. Derzeit steht jedoch besonders die Wirkungsausrichtung im Vordergrund. Ihr gilt daher das Interesse dieser Studie.
1.2
Begriffsklärung
Für die mit Erfolgskontrolle in Verbindung gebrachten Begriffe wie Evaluierung, Evaluation, Monitoring, Wirkungsanalyse etc. gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen: »Evaluation – more than any science – is what people say it is; and people currently are saying it is many different things. Evaluation is a set of theoretical and practical activities without a widely accepted paradigm.« (Glass/Ellet, 1980: S. 211; zitiert nach: Balzer, 2005: S. 9)
Jede EZ-Organisation verfügt über eigene Definitionen und den damit in Verbindung stehenden organisationsinternen Vorgaben zur Umsetzung bzw. arbeitet daran. Die Schlagworte »Monitoring« und »Evaluation«3 lassen sich dennoch auf eine recht einheitlich verstandene Definition herunterkürzen. »Monitoring« steht für die konstant laufende Beobachtung und Dokumentation, während »Evaluation« die Bewertung von Vorhaben während und nach ihrer Durchführung beinhaltet. Diese Studie greift auf die Begriffskombination »Monitoring und Evaluation« (M&E) zurück, die unterschiedlich verwendet wird. Während einige Evaluationsforscherinnen und Organisationen eine Trennung von Monitoring und Evaluation für wenig sinnvoll erachten und den Begriff M&E bevorzugen, unterscheiden andere nach wie vor zwischen den zwei Begrifflichkeiten. Ich verwende in diesem Buch eine Kombination der Begriffe, wenn von beiden Aspekten die Rede ist, denn »eine Trennung der beiden Verfahren in Monitoring und Evaluation ist zwar idealtypisch möglich, für die Praxis jedoch von geringer Relevanz« (Preuss/Steigerwald, 1996: S. 4; Dolzer et al., 1998). Ein Monitoring-System allein stößt ohne evaluatorische Arbeit schnell an seine Grenzen (Beywl/Speer/Kehr, 2004). Das Verständnis von M&E ist nicht – wie oft in der Vergangenheit – auf Inputs bzw. Aktivitäten bezogen, sondern richtet sich (gemäß der Vorgaben des Bundestags) gezielter als bisher auf die Beobachtung der Wirkungs3
Die Begriffe »Evaluierung« und »Evaluation« werden meist synonym verwendet. Diese Studie orientiert sich an dem von der Deutschen Gesellschaft für Evaluation (DeGEval) benutzten Begriff »Evaluation«. 15
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
ebenen. Wirkungen werden hierbei verstanden als Veränderungen, die auf ein Vorhaben zurückgeführt werden können4 (GTZ, 2004; Venro, 2002; Herweg/Steiner, 2002a, 2002b). Die Art und Weise, wie M&E umgesetzt wird, ist in der Praxis der Evaluationsforschung abhängig vom Untersuchungsgegenstand und seinem Kontext. M&E muss neben wissenschaftlichen auch organisationsinternen Kriterien genügen (Bortz/Döring, 2002; Rossi et al., 1988; DeGEval, 2002). Die EZ-Organisationen verfügen über Regelwerke in Form von Grundsatzpapieren, Leitfäden und Erfahrungsberichten, die sich auch auf M&E beziehen. »Erfolgskontrolle« wird hier zunehmend in einem Atemzug mit »Qualitätsmanagement« oder »Organisationsentwicklung« genannt.
1.3
Forschungsfragen und -ziele
Die Erwartungen an die Einführung bzw. konsequente Umsetzung der Vorgaben sind hoch. Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit reagieren, indem sie Planungseinheiten bilden, Strategien entwickeln und Fortbildungen für Mitarbeiterinnen anbieten. Es liegen bereits erste Erfahrungsberichte im Umgang mit den neu eingeführten Vorgaben vor. Aus organisationssoziologischer5 Sicht ist der Verlauf dieser interkulturellen und organisationsübergreifenden Veränderungsmaßnahmen äußerst interessant. Er zeigt, ob der konzeptionelle Anspruch neuer EZ-Vorgaben, die oftmals aufgrund aktueller politischer Prämissen entstehen, und deren Realisierung in der Praxis wie geplant verlaufen. Dass es dabei zu unerwarteten und ungeplanten Entwicklungen kommt, wird seit längerem wissenschaftlich diskutiert (Hanft, 2003; Wonacott, 2000; Hovland, 2003; BOND, 2000). Im Vordergrund steht die Frage nach den Faktoren, die für Unregelmäßigkeiten sorgen. Dabei werden von der Evaluationswissenschaft primär methodologische Probleme genannt. Die praktische Umsetzung von wirkungsorientiertem M&E gestaltet sich schwierig. Wirkungen lassen sich nicht einfach erheben und klar zuordnen; einheitliche Vorgehensweisen gibt es nicht. M&E ist ansatz- und 4 5
16
Diese Veränderungen können positiv oder negativ, erwartet oder unerwartet, beabsichtigt sowie unbeabsichtigt sein. Die Organisationssoziologie ist eine in den USA entstandene Richtung der Soziologie, die sich parallel mit der Betriebswirtschaftslehre entwickelte. In Deutschland ist sie meistens in den Wirtschaftswissenschaften angesiedelt. Ihr Fokus liegt auf dem Zustandekommen von organisationalen Entscheidungen und den Wechselwirkungen zwischen formalen und informalen Strukturen. Innerhalb der Organisationssoziologie haben sich mittlerweile verschiedene Schulen herausgebildet, etwa die systemtheoretische (vor allem Luhmann), die konstruktivistische (zum Beispiel Berger/Luckmann) und die mikropolitische (zum Beispiel Crozier/Friedberg).
EINLEITUNG
kontextabhängig. Benötigte Erhebungen sind zudem kosten- und zeitintensiv. Doch welche anderen Gründe sind neben den methodologischen zu nennen? An diesem Punkt setzt die vorliegende Studie an. Die Kernfrage lautet daher: • Decken sich konzeptioneller Anspruch und praktische Wirklichkeit? • Wenn ja, inwieweit? • Warum existieren Lücken bzw. wie lassen sich diese erklären? Ziel dieser Studie ist es, mit Hilfe von Organisationstheorien die Umsetzungsrealitäten von auf Wirkung ausgerichtetem M&E aufzuzeigen. Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: • die Erarbeitung wichtiger Hemm- und Förderfaktoren für die weitere Umsetzung von M&E; • die Untersuchung von organisationssoziologischen Theoriekonstrukten auf ihre Anwendbarkeit im Kontext der Evaluationsforschung, um damit zum organisationstheoretischen Erkenntnisstand beizutragen. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem alltäglichen Projektmanagement, anhand dessen die Umsetzung von Organisationsvorgaben am besten verdeutlicht werden kann. Monitoring als kontinuierliches Managementsystem steht daher im Vordergrund dieser Studie. Neben der detaillierten Analyse von Monitoring-Systemen gehe ich in einigen Bereichen aber auch, der Begriffskombination M&E entsprechend, ergänzend auf Evaluation ein.
1.4
Theoretische Vorgehensweise
Organisationsinterne Umsetzungsrealitäten von Monitoring und Evaluation sind sowohl theoretisch als auch praktisch bisher kaum aus einer Mehrebenenperspektive untersucht worden. Organisationstheoretische Analysen liegen mittlerweile zwar zahlreich vor, doch die Auseinandersetzung mit dem Thema M&E weist Defizite auf. Das lässt sich primär auf die Neuartigkeit dieser Disziplin zurückführen. Die Evaluationsforschung ist gerade erst dabei, sich in Deutschland zu etablieren und verfügt daher noch nicht über ein breites Spektrum wissenschaftlicher Analysen. Es liegen aufgrund der Nachfrage durch Organisationen praktische Erfahrungsberichte über Planung, Implementierung und Auswertung sowie Methodenempfehlungen vor, die jedoch eher als Orientierungshilfen dienen und kaum Analysecharakter besitzen. Die Perspektiven von auf unterschiedlichen Ebenen beteiligten Akteurinnen wurden bis jetzt nicht genügend herausgearbeitet. Mehrebenenanalysen besonders im interkulturellen Bereich der Entwicklungszusammenarbeit fehlen. Weilenmann weist daher darauf hin, dass es umso wichtiger ist,
17
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
»die interaktiven Dynamiken zwischen Projektplan, Projektdurchführung, institutionellem Selbstverständnis und gesellschaftlichem Kontext zu untersuchen« (Weilenann, 2004: S. 13).
Um den oben genannten Fragen nachgehen zu können, bedarf es einer sozialtheoretisch geleiteten empirischen Analyse. Hierbei greife ich auf organisationstheoretische Ansätze zurück. In der organisationssoziologischen Debatte wurden Organisationen lange Zeit, basierend auf der klassischen Bürokratieanalyse des Soziologen Max Weber und dem darauf aufbauenden Managementansatz des Arbeitswissenschaftlers Frederick Taylor, als Typus sozialer Gebilde verstanden, der mittels geregelter Beiträge von Menschen und der Nutzung von Mitteln der Erreichung bestimmter Ziele dient. Optimierung in Organisationen verstand man folglich als etwas Planbares und Rationales. Die Annahme, dass formale Strukturen wie Organisationsvorgaben erwartbare Handlungen zur Folge haben, ist jedoch, wie schon die Organisationsforscher James March und Johan Olsen anhand der begrenzten organisatorischen Rationalität nachwiesen, in dieser Form nicht gültig (March/Olsen, 1976). Die Umsetzung von neuen Organisationsregeln und damit verbundenen Veränderungen verlaufen meist nicht nach rationalen Ablaufkriterien. Vorgaben sind vielmehr »Sollkonzepte«, die nur bis zu einem bestimmten Punkt der Realität entsprechen (von Rosenstiel, 2000: S. 228). Nachfolgende Theorien, besonders im Managementbereich, beschäftigen sich trotzdem zum Teil noch heute mit der Frage, wie Steuerungs- und Strukturierungsmaßnahmen zur rational geprägten Effizienzsteigerung und Zielerreichung führen können. So wird auch in Bezug auf M&E nach wie vor von einer so genannten Evaluationslogik ausgegangen. Veränderungen sollen folgenden kausalen Abfolgen entsprechen: Problemanalyse, Maßnahmenplanung und Umsetzung der Empfehlungen (Hanft, 2003). Dass dieser Ablauf in dieser Form nicht zutrifft, zeigt der interkulturell geprägte, entwicklungspolitische Alltag. Systemtheoretische Ansätze erklären diese Unplanbarkeit mit der Trägheit des Systems, das sich gegen Neuerungen von außen zur Wehr setzt. Organisationstheorien greifen nach wie vor auf Erklärungen zurück, die davon ausgehen, dass Regeln, die zum System passen, übernommen werden, während neue, scheinbar nicht passende Vorgaben oftmals von Ignoranz betroffen sind: Aktuelle M&E-Vorgaben besitzen zunächst nur begrenzt Relevanz, denn sie sind von den Beteiligten außerhalb der Systemgrenzen verschoben worden. Diese Denkweise wird zunehmend kritisiert, da Beziehungen von Akteurinnen, die meist an Macht gekoppelt sind, nicht in den Blick genommen werden. »Es gilt aber umzudenken, indem Prozessen, Vernetzungen und kontingenten Zusammenhängen größere Aufmerksamkeit gewidmet wird.« (Hanft, 2004: S. 166) Dadurch rücken Akteurinnen und ihre Fähigkeit, Organisationsstrukturen zu beeinflussen, in den Vordergrund. 18
EINLEITUNG
Gemäß der Theorie der Strukturierung des englischen Sozialtheoretikers Anthony Giddens schränken Strukturen das Handeln von Akteurinnen nicht nur ein, sondern erlauben es ihnen, steuernd einzugreifen. Giddens weist aufgrund seines interaktionsbezogenen Blicks dem Handelnden die Möglichkeit der Einflussnahme zu. Er argumentiert konstruktivistisch, dass Akteurinnen Macht und mit ihr einhergehende Differenzen und Hierarchien produzieren und reproduzieren (Giddens, 1992; Treibel, 2000; Funken, 2004). Die vorgefundenen Machtformen sind demnach konstruiert, denn Macht, so Giddens, bildet sich »in und durch die Reproduktion von Herrschaftsstrukturen« (Giddens, 1997: S. 315). Dieser Theorieansatz bietet konkrete Analysehilfe bei der Untersuchung und Erklärung des Handelns von und in Organisationen. Er ermöglicht es, gesellschaftliche Konstruktionen von Organisationen, ihrer Regelwerke und Machtverhältnisse aufzuzeigen. Der Wirtschaftswissenschaftler Günther Ortmann und seine Kollegen ergänzen Giddens’ Theoriekonstrukt um mikropolitische Perspektiven. Sie verweisen darauf, dass Handelnde über unterschiedliche Interessen, Ziele und Erfahrungen verfügen und sprechen von einem Spannungsverhältnis zwischen kontingenten Spielräumen des Handelns und den in der Handlungspraxis präsenten Strukturen (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000). Vor dem Hintergrund einer organisationstheoretischen Analyse muss berücksichtigt werden, dass EZ-Organisationen aufgrund ihrer entwicklungspolitischen Ausrichtung und den damit in Verbindung stehenden Rahmenbedingungen ein anderes Selbstverständnis besitzen. Sie orientieren sich nicht an klassischen Zielen privatwirtschaftlicher Organisationen, sondern basieren, finanziert von Steuergeldern, auf grundlegenden gesellschaftlichen Normen. Es ist daher wichtig herauszuarbeiten, inwieweit organisationstheoretische Konzepte hinsichtlich EZ-Organisationen greifen und wo sie auf Grenzen stoßen.
1.5
M e t h o d o l o g i s c h e r An s a t z
Um die Umsetzungsrealitäten besonders von Monitoring zu beleuchten, greife ich auf eine komparative Analyse zweier Geber-Organisationen zurück. Anhand von drei Frauenrechtsprojekten in verschiedenen Ländern des östlichen und südlichen Afrika, Tansania, Sambia und Malawi, die jeweils von einer der beiden Trägereinrichtungen gefördert werden, arbeite ich heraus, ob – und wenn ja, wie – die untersuchten Projekte Monitoring-Systeme auf der Mesound Mikroebene umsetzen.6 Dabei konzentriere ich mich auf Perspektiven 6
Der Trend der Entwicklungszusammenarbeit geht zwar hin zur Einflussnahme auf der Makroebene (Beratung von Ministerien etc.), dennoch gibt es nach wie 19
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
von betroffenen Akteurinnen auf unterschiedlichen Organisationsebenen. Ich beziehe hierbei Mitarbeiterinnen der Zentrale, die deutsche Projektleitung und deutsche Mitarbeiterinnen in den afrikanischen Untersuchungseinheiten sowie lokale Angestellte und Partnerinnen der Projekte mit ein. Um der während der Datenerhebung zugesicherten Anonymität gerecht zu werden, kommt es nicht zu einer Nennung der analysierten Organisationen. Stattdessen werden diese als »Organisation A« und »B« bezeichnet und einander gegenübergestellt. Die komparative Studie bedient sich primär qualitativer, aber auch quantitativer Forschungsmethoden: Aktenanalyse, Leitfadeninterviews, Fragebögen und teilnehmende Beobachtung. Qualitative Methoden eignen sich besonders gut, um die Deskription und Analyse »sozialer Prozesse, das Nachvollziehen subjektiven Sinns und die Rekonstruktion von Strukturen« zu gewährleisten (Fried, 2005: S. 56). Bevor auf den weiteren Aufbau der Studie eingegangen wird, muss darauf hingewiesen werden, dass empirische Arbeiten besonders im interkulturellen Bereich zahlreichen Störfaktoren unterliegen. Ziel der Studie ist nicht, die untersuchten Organisationen zu bewerten, sondern die Ansichten und Erfahrungen der Beteiligten darzustellen. Sicherlich gilt es zu berücksichtigen, dass Aussagen interessengeleitet, kulturell, genderspezifisch und personenabhängig sind. Dennoch vermitteln sie in ihrer, wie diese Analyse zeigt, relativ homogenen Gesamtheit ein repräsentatives Bild der Sicht von Beteiligten auf allen Ebenen.
1.6
Ar g u m e n t a t i o n s a u f b a u
Die oben genannten Fragen leiten sich aus der aktuellen Praxis der Entwicklungszusammenarbeit ab. Um sie zu beantworten, verwende ich folgenden Argumentationsaufbau, der in drei große Abschnitte unterteilt ist: einen Theorieteil, eine Erläuterung der methodologischen Vorgehensweise und eine Präsentation bzw. Analyse der Daten. Da die Umsetzungsrealitäten von M&E anhand von Frauenrechtsprojekten dargestellt werden, schließt sich im zweiten Kapitel zunächst eine Einordnung des frauenrechtlichen Projektansatzes in der Entwicklungszusammenarbeit an. Daran knüpft sich eine kurze Darstellung der Frauenrechtslage in der Untersuchungsregion.
vor zahlreiche Projekte, die auf der Meso- und Mikroebene verankert sind. Da die Umsetzung von M&E auf letztgenannten Ebenen meist einfacher zu bewerkstelligen ist, bot es sich an, zunächst die projektinterne Umsetzung von M&EMaßnahmen zu untersuchen. Eine Studie über Akteurperspektiven mit Blick auf M&E auf der Makroebene wäre sicherlich eine interessante Ergänzung. 20
EINLEITUNG
Dieser Einführung folgt in Kapitel 3 die Vorstellung der theoretischen Herangehensweise. Ich beginne mit einer prinzipiellen, epistemologischen Verortung, die auf das konstruktivistische Paradigma zurückgreift. Damit widerspreche ich der positivistischen Epistemologie der Abbildung der Wirklichkeit und gehe stattdessen von einer akteursabhängigen Konstruktion der sozialen Welt aus. Anstatt von einer Wirklichkeit spricht man von unendlich vielen Wirklichkeitskonstruktionen. Die konstruktivistische Herangehensweise beinhaltet verschiedene Prägungen. Die Studie beleuchtet den radikalen (Luhmann, 1988), den phänomenologischen (Berger/Luckmann, 2001) und den relationalen Sozialkonstruktivismus (Hosking/Morley, 1991). Der relationale Ansatz mit seiner Fokussierung auf Sprache ist für diese Studie von besonderer Bedeutung, da er die Grundlage des Giddens’schen Theoriemodells ist, auf dem diese Analyse basiert. Er sieht die Wirklichkeitskonstruktion anhand des sprachlichen Diskurses mit anderen Subjekten gegeben. Konstruktionen sind demnach im sozialen Kontext entwickelte und sprachlich eingebettete Narrationen, die Akteurinnen als Orientierungshilfe im sozialen Kontext dienen (Fried, 2005). Vor dem Hintergrund dieser konstruktivistischen Sichtweise diskutiere ich organisationstheoretische Ansätze. Des Weiteren zeige ich, inwieweit Giddens’ Theorie der Strukturierung aufgrund ihrer Verbindung von Handlung und Struktur ein sinnvolles Analyseraster bietet, das es ermöglicht, die verschiedenen organisationsinternen Konstruktionen zu verdeutlichen. Um eine ausdifferenzierte Analyse der Akteursebene zu ermöglichen, bediene ich mich schließlich einer mikropolitischen Erweiterung der Strukturierungstheorie, wie sie Ortmann und Kollegen vorschlagen (Ortmann et al., 1990, 2000; Ortmann, 1995, 1988a, 1988b). Nach der theoretischen Verortung der Untersuchung folgt in Kapitel 4 die Darstellung der methodologischen Vorgehensweise. Diese beginnt mit einer Beschreibung der empirischen Ausrichtung, gefolgt von der Vorstellung der Untersuchungseinheiten in Tansania, Sambia und Malawi. Schließlich präsentiere ich die qualitativen und quantitativen Datenerhebungsmethoden im Einzelnen: Aktenanalyse, Leitfadeninterviews, Fragebogen und Beobachtungen. Da M&E in der Entwicklungszusammenarbeit von so genannten Querschnittsthemen beeinflusst wird, berücksichtigt die Erhebung neben Monitoring und Evaluation zwei dieser für die EZ verpflichtenden Konzepte: »Partizipation« und »Gender«. Sie wurden ausgewählt, da sie für die Analyse der Umsetzungsrealitäten in Frauenrechtsprojekten zentrale Bedeutung besitzen. Kapitel 5 beinhaltet die Darstellung und Analyse der erhobenen Daten. Ich präsentiere die Ergebnisse anhand der von Giddens identifizierten Strukturdimensionen »Legitimation«, »Signifikation« und »Herrschaft«. Beginnend mit Signifikation, den Deutungsmustern von M&E, erfolgt eine Untersuchung der organisationsinternen Regeln in Form von Angaben und Leitfäden, die ich den tatsächlichen Interpretationen der Akteurinnen gegenüberstel21
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
le. Die Legitimation, das heißt das dahinterstehende Normensystem, wird in einem nächsten Schritt genauer in den Blick genommen. Besonderes Interesse liegt dabei auf dem Umgang mit kulturellen Zuweisungen während Aushandlungsprozessen in einem interkulturell geprägten Umfeld. Um die Rahmenbedingungen und Handlungsweisen der Betroffenen besser verstehen zu können, analysiere ich diese anschließend vor dem Hintergrund bestehender Herrschaftsdimensionen. Unter Rückgriff auf die machttheoretische Unterteilung von Giddens in allokative und autorative Ressourcen gehe ich der Verteilung und Verwendung dieser Ressourcenformen nach und arbeite heraus, wie sie Handlungen beeinflussen. In einem sich anschließenden Exkurs kommt es zur Diskussion der sich aus den Ergebnissen ableitbaren Konsequenzen für die methodologische Ausrichtung von M&E. Dabei stelle ich zunächst die gängigen Evaluationsparadigmen vor, gehe dann auf die methodische Vorgehensweise in den Projekten ein, um in einem nächsten Schritt deren Eignung zu prüfen. Basierend auf den Analyseergebnissen folgen Schlussfolgerungen für die zukünftige konzeptionelle und methodische Handhabung von Wirkungsbeobachtungen. Im sechsten Kapitel findet die Leserin eine Zusammenfassung der Ergebnisse und den daran gebundenen Ausblick. Neben der Darstellung der Analyseergebnisse und ihrer Konsequenzen für zukünftiges M&E reflektiere ich die theoretische Eignung der Strukturierungstheorie für organisationstheoretische Untersuchungen.
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2 Frauenrechtsprojekte im südlichen und östlichen Afrika
Mitte der 1970er Jahre mussten die Entwicklungstheoretikerinnen einsehen, dass wachstumsorientierte Modernisierungsstrategien1 nicht die erwartete Veresserung der sozio-ökonomischen Situation in Entwicklungsländern brachten. Man wandte sich deswegen Grundbedürfnisstrategien2 zu und entdeckte mit diesem Paradigmenwechsel Frauen als Trägerinnen von Entwicklung. Bis dato wurden sie nur in ihrer Rolle als Mütter gesehen. Euphorisiert von dieser Entwicklung riefen die Beteiligten auf der Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen 1975 die »Frauendekade« aus. Dieser Schwerpunktverlagerung vorangegangen war eine wichtige Veröffentlichung der Agrarökonomin Esther Boserup. In ihrem Buch »Women’s Role in Economic Development« kritisierte sie, dass die produktive Rolle der Frau in der Entwicklungsarbeit übersehen werde (Boserup, 1970; Scheu, 1995; Klemp, 1993). Die Entwicklungszusammenarbeit arbeitete fast ausschließlich mit Männern zusammen, was geschlechterspezifische Dichotomien weiter vergrößerte. Die Entdeckung der weiblichen Arbeitskraft als bislang ungenutzte Ressource hatte deren unbedingte Integration in die Projektarbeit zur Folge. Armut sah man dennoch nach wie vor als Problem der Unterentwicklung und nicht auch als Problem der Geschlechterungleichheit. Vorangetrieben wurde die Debatte von einer Frauengruppe, die den »Women-in-Development«-Ansatz (WID) einführte. Die größte Zustimmung von nationalen sowie internationalen Organi1
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Modernisierungsstrategien beruhten besonders in den 1950er und 1960er Jahren auf der Annahme, Entwicklung sei mit wirtschaftlichem Wachstum gleichzusetzen. Unterentwickelten Ländern könne man dementsprechend durch Zufuhr von Kapital Wachstum bescheren. Damit wurde der so genannten Dritten Welt ein sich an kapitalistischen Ländern orientierendes Entwicklungsmuster zugrunde gelegt (Thiel, 1999). Entwicklungspolitische Strategie, die die Befriedigung der Grundbedürfnisse möglichst vieler Menschen zum Ziel hat (Nohlen, 1998). 23
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
sationen erhielt hierbei der Effizienzansatz. Er plädierte für eine Miteinbeziehung von Frauen, da durch deren Mitarbeit, so die Annahme, die Effizienz und Effektivität von Projekten gesteigert werden könnte (Boserup, 1970; Scheu, 1995; Klemp, 1993; Karl, 1995; Kerner, 1999; Braig, 1999; LesserBlumberg, 1995). Frauen wurden somit nicht um ihrer selbst willen unterstützt, sondern instrumentalisiert, um Entwicklung als solche voranzutreiben. Als Reaktion auf den WID-Ansatz konzipierten Entwicklungskritikerinnen aus Lateinamerika den so genannten Ermächtigungsansatz. Meist greifen Autoren in der Literatur aber auf den englischsprachigen Begriff »Empowerment« zurück, den ich hier deswegen anstelle der deutschen Übersetzung verwende. Entwickelt wurde dieses Konzept besonders von Mitarbeiterinnen des »Development-Alternatives-with-Women-for-a-New-Era«-Netzwerkes (DAWN). Sie forderten massive gesellschaftliche Veränderungen, die neben den patriarchalen Geschlechterverhältnissen auch andere Stratifizierungsmerkmale sowie internationale, wirtschaftspolitische Ungleichheiten tangieren sollten. Seit Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre verlagerte sich schließlich die Debatte von »Frau« zu »Gender« als Analysekategorie. Der sozialkonstruktivistische Ansatz setzte sich als so genanntes »Gender-and-Development«-Konzept (GAD) in Entwicklungstheorien durch und löste das WIDModell der 1980er Jahre ab. Die Einteilung in »Sex« und »Gender«3 findet man heute in allen von GAD-Konzepten beeinflussten Veröffentlichungen, besonders aber in den zahlreichen »Gender-Training-Manuals«, die von lokalen bis hin zu internationalen Ebenen Verwendung finden (Karl, 1995; Kerner, 1999; Braig, 1999; Lesser-Blumberg, 1995). 1995 wurde auf der 4. UN-Weltfrauenkonferenz in Peking der Begriff »Gender-Mainstreaming« geprägt. Mit dem dahinterstehenden Ansatz soll die Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen sichergestellt werden. Seit 1997 wurde Gender-Mainstreaming im Rahmen des Amsterdamer Vertrages zum offiziellen Ziel der EU-Politik erklärt. Das Gleichberechtigungskonzept des BMZ beinhaltet darauf aufbauend verbindliche Vorgaben für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (BMZ, 2001). Die Berücksichtigung beider Geschlechter bei der Planung und Umsetzung sowie das systematische Erfassen der unterschiedlichen Wirkung von Vorhaben auf Frauen und Männer ist somit zentraler Bestandteil von EZ-Maßnahmen. Heutige Frauenrechtsprojekte, die von internationalen Gebern finanziell gefördert und von nationalen, regionalen und lokalen Organisationen durchgeführt werden, sind stark vom »Gender«- und »Empowerment«-Ansatz beeinflusst. Der Fokus von Frauenrechtsprojekten liegt neben der Rechtsbera3 24
Auf diese Einteilung in »Sex« (= biologisches Geschlecht) und »Gender« (= sozial konstruiertes Geschlecht) wird in Kapitel 5 noch ausführlicher eingegangen.
FRAUENRECHTSPROJEKTE IM SÜDLICHEN UND ÖSTLICHEN AFRIKA
tung auf der Bekämpfung der unterschiedlichsten Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Gewalt beinhaltet verschiedene Dimensionen, von denen sich vier identifizieren lassen: physische, sexuelle, psychische und wirtschaftliche Gewalt. Unter physische Gewalt fallen zum Beispiel häusliche Gewalt, Genitalverstümmelungen und Zwangsabtreibungen. Unter sexueller Gewalt versteht man Übergriffe, die von sexueller Belästigung bis hin zur Vergewaltigung reichen. Demütigungen, Entwürdigung usw. werden unter dem Begriff psychische Gewalt zusammengefasst. Wirtschaftliche Gewalt schließlich bezieht sich auf die Verweigerung von Zugangsrechten und Enteignung (GTZ, 2002). Diese Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt spiegeln und verstärken Gender-Hierarchien. Sie wurden lange Zeit nicht als relevantes Problem wahrgenommen, insbesondere auch nicht als Verletzung von Menschenrechten. Heute gibt es eine Reihe von internationalen Vereinbarungen, die geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen verbieten. Die Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (»Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women«, CEDAW) verpflichtete die Staatengemeinschaft im Jahr 1979 dazu, auf die Veränderung sozialer Muster und kultureller Traditionen hinzuwirken, die auf der Unterlegenheit eines Geschlechts basieren, und entsprechende Gesetze zu veranlassen. 1993 wurden auf der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien Frauenrechte ausdrücklich als Menschenrechte anerkannt. In Folge dessen verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Erklärung zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen. Auf der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 verpflichteten sich schließlich zahlreiche Geberländer, im Entwicklungsprozess durch rechtliche Beratungen und Maßnahmen zur Sozialpolitik die rechtliche Lage von Frauen und Mädchen zu stärken (BMZ, 2000; Wölte, 2000; Benedek/Kisakye/Oberleithner, 2002). Es gibt verschiedene Handlungs- bzw. Interventionsmöglichkeiten und -ebenen, die darauf abzielen, Frauen und Mädchen rechtlich zu ›empowern‹. Auf der Mikroebene tragen zum Beispiel Unterstützung und Beratung von Gewaltopfern sowie Aufklärungskampagnen dazu bei. Auf der Mesoebene sind Aktivitäten wie die Stärkung staatlicher sowie nicht staatlicher Institutionen (zum Beispiel Polizei, Frauenrechtsorganisationen) zu nennen. Auf der Makroebene wird unter anderem darauf abgezielt, Gewaltprävention auf der ›policy‹-Ebene4 zu integrieren und Ministerien zu beraten (GTZ, 2002; Schuler, 1992). Frauen sind im östlichen und südlichen Afrika aufgrund sozio-kultureller, ökonomischer und rechtlicher Faktoren sehr häufig Opfer von geschlechts4
Englische Begriffe sind in diesem Buch großgeschrieben, wenn es sich um feststehende EZ-Termini handelt. Sonst verwende ich die Kleinschreibung. 25
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
spezifischer Gewalt. Dies liegt unter anderem an massiven sozialen Veränderungen während und nach der Kolonialzeit, die sich auch auf GenderHierarchien auswirkten. Neben physischer Gewalt werden Frauen und Mädchen in Landbesitz-, Eigentums-, Erbschafts-, Scheidungsfragen etc. diskriminiert. Demokratisierungsprozesse in zahlreichen Ländern dieser Region ermöglichen jedoch zunehmend das Agieren von Frauenrechtsorganisationen. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten liegt hierbei besonders auf zwei Bereichen. Zum einen zielen sie auf eine Überwindung des Auseinanderklaffens von Rechtsnormen und Rechtswirklichkeiten ab: Oftmals existieren Gesetze, die Frauen und Mädchen rechtlich schützen, von deren Existenz bzw. Möglichkeiten der Einklage wissen viele jedoch nur selten. Zum anderen ist die Rechtsprechung dieser Region geprägt von rechtspluralistischen Widersprüchen zwischen traditionellen und modernen Rechtssystemen. Besonders in ländlichen Regionen gilt das kolonial konstruierte »Customary Law«, das Gender-Hierarchien festschrieb und während der Kolonialzeit durch Befragung männlicher »Chiefs« entstand. Bei Auseinandersetzungen werden bis heute oftmals zuerst lokale »Chiefs« um ein Urteil gebeten, bevor der Fall vor ein staatliches Gericht gebracht wird. Die vermeintlich traditionelle Rechtsprechung führt oft zur Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen und Mädchen (Bowman/Kuenyehia, 2003; Green, 1999).
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3 Theoretischer Analyserahmen
3.1
Konstruktivismusdebatte
Vom phänomenologischen zum relationalen Konstruktivismus Wie lassen sich nun konzeptioneller Anspruch und praktische Wirklichkeit in Organisationen untersuchen? Welche Hemm- und Förderfaktoren gibt es bei der Umsetzung von Regelwerken? Um einer Antwort hierauf auf die Spur zu kommen, wird zunächst die theoretische Basis der Studie vorgestellt. Ziel dieser Erörterung ist es nicht, einen kurzen Überblick über den konstruktivistischen oder organisationssoziologischen Mainstream zu bieten, sondern einen breit angelegten Analyserahmen aufzuzeigen, der es schließlich ermöglicht, der oben gestellten Frage über verschiedene Perspektiven näherzukommen. Epistemologisch geht es hier um die Frage nach der so genannten organisationalen Wirklichkeit, dem Wissensstand und der Wissensakkumulation. Diese folgt nicht dem abbildungstheoretischen Paradigma, sondern greift ganz bewusst auf einen konstruktivistischen Ansatz zurück. Damit widerspreche ich der Epistemologie eines Erkennens als Abbildung der Wirklichkeit über Sprache und betone stattdessen die Inszenierung der Wirklichkeit durch Interaktionen in sozialen Kontexten. Sprache wird als ein kontextabhängiger und, wie Foucault zeigte, kontextformender Prozess bewertet, der viele verschiedene Wirklichkeiten der Welt inszeniert. Es gibt somit keine vom beobachtenden Subjekt unabhängige Wirklichkeit (Rüegg-Stürm, 2003; Foucault, 1974). Der Konstruktivismus hat verschiedene Prägungen entwickelt: den phänomenologischen und relationalen Sozialkonstruktivismus sowie den radikalen Konstruktivismus. Ersterer orientiert sich an der wissenssoziologischen Ausrichtung von Peter Berger und Thomas Luckmann, die die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit betonen. Sie zeigen, dass Wirklichkeit in unseren Handlungen konstruiert und somit sozial ausgehandelt wird, wobei 27
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
erst das Handeln mehrerer Subjekte das Erzeugen von Wirklichkeit ermöglicht. Zur Gewohnheit gewordene, ›ausgehandelte‹ Handlungsweisen erhalten schließlich einen objektiven Charakter (Berger/Luckmann, 1969). Nach Alfred Schütz ist Handeln aber nur dann sozial, wenn es sozialisiert wird und sich an anderen handelnden Subjekten orientiert (Schütz, 2004). Die Idee der ausgehandelten Wirklichkeit wurde in den 1980er Jahren um den Aspekt der Kommunikation erweitert. Schütz’ Begriff der Kommunikation kann man hierbei verstehen als »ein Handeln, das zunächst die Struktur eines jeden Wirkhandelns aufweist, das heißt, es zielt auf Veränderungen in der Umwelt« (Knoblauch/Schnettler, 2004: S. 132). Nicht alles Wirkhandeln ist beabsichtigt – sind bewirkte Änderungen aber geplant gewesen, dann basieren sie auf einer Art kommunikativer Arbeit. Kommunikation wird somit eine Form von Handeln und rückt, wie Hubert Knoblauch hervorhebt, als kommunikative Konstruktion zunehmend in den Vordergrund der Diskussion (ebd.). Während systemtheoretische Ansätze hinsichtlich der Kommunikation dazu neigen, Handeln auszublenden, betonen Berger und Luckmann die Aktualität des handlungstheoretischen Modells. Denn Kommunikation ist nur dann erfolgreich, wenn sie zwischen Menschen stattfindet, die auf die gleichen Deutungsschemata zurückgreifen. Kommunikation basiert auf einem Zeichensystem, das von der sozio-kulturellen Umwelt bestimmt und abgeleitet wird. Ist dies sozial anerkannt, gewinnt es an Bedeutung und wird strukturiert durch Sprachgemeinschaften gedeutet. Demnach schließt soziale Konstruktion Kommunikation, verstanden als sprachliche Prozesse der Wissensvermittlung, als kommunikatives Handeln mit ein (Knoblauch/Schnettler, 2004; Kieser, 2002c; Rüegg-Stürm, 2003; Fried, 2005; Bardmann, 1994). »Allerdings teilt der Sozialkonstruktivismus keineswegs die rationalistischen Hoffnungen Habermas’, dass diese Kommunikation tendenziell vernünftig verlaufen müsse. Vielmehr neigt sie zur Ansicht, dass es zu einer sekundären Traditionalisierung der Kommunikation kommt: Im kommunikativen Handeln bilden sich – analog zu den Institutionen – immer mehr feste Formen, Muster und Gattungen aus, die den Menschen einen Orientierungsrahmen im sich rasch verändernden Fluss der Kommunikation verleihen.« (Knoblauch/Schnettler, 2004: S. 134 f)
Von der handlungstheoretischen Orientierung wendet sich der radikale Konstruktivismus ab. Er ist eine Denkrichtung, die auf Ergebnissen der Neurobiologie aufbaut. Aufgenommen von den Sinnesorganen vollzieht sich Wahrnehmung demnach im Gehirn. Bei Wahrnehmungen agieren wir als Beobachterinnen und wissen, dass man als Subjekt die Welt wahrnimmt, die außerhalb der eigenen Person existiert und mit Hilfe von Sinnesorganen erschlossen werden kann. Damit wird das »Ich« zum in sich geschlossenen System, das jedoch von außen beeinflussbar ist. Die Neurobiologen Humberto Maturana 28
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
und Francisco Varela bezeichnen dies als Autopoiesis (Maturana/Varela, 1987). Niklas Luhmann greift auf diesen Gedanken zurück und erweitert ihn (Luhmann, 1988). Akteurinnen sind demnach zwar Konstrukteurinnen ihrer Weltsicht, konstruieren jedoch nicht die Welt als solche. Was Akteurinnen wahrnehmen, entspricht nie der Wirklichkeit, sondern ist ein Resultat des subjektiven kognitiven Systems. Die jeweiligen Wahrnehmungen werden in Sprache gefasst weitergegeben. Kommunikation und Bewusstsein sind getrennte Systeme. Das Bewusstsein liegt innerhalb des ›eigenen‹ Systems, Kommunikation ist außerhalb zu finden und bildet wiederum ein System für sich. Luhmann begründet dies mit der Endgültigkeit des Gesagten: Einmal geäußerte Worte verhindern jeglichen Zugriff auf die daraus entstehenden Folgen (Kieser, 2002c). Dem widerspricht zu Recht der relationale Sozialkonstruktivismus, der eine erweiterte Spielart des radikalen Konstruktivismus ist und sich von diesem wie auch von phänomenologischen Ansätzen abgrenzt. Der relationale Konstruktivismus setzt sich am stärksten mit der Rolle der Sprache und damit mit Kommunikationsmustern auseinander. Vertreterinnen des relationalen Konstruktivismus sind Kenneth Gergen, Peter Dachler, Dian-Marie Hosking und Ian Morley (Dachler/Hosking, 1995; Hosking/Dachler/Gergen, 1991; Hosking/Morley, 1991). Im Unterschied zum radikalen Konstruktivismus wird die Wirklichkeit nicht anhand kognitiver Prozesse erklärt, sondern an sozialen Prozessen festgemacht. Es kommt nicht – wie bei Luhmann – zur Trennung von Bewusstsein und Kommunikation als zwei unabhängigen Systemen und der damit verbundenen Ich-Zentrierung. Wissen ist in dieser Perspektive kein individueller Besitz, sondern Teil einer sozialen Umwelt. Die Produktion der Wirklichkeit ist demnach keine Projektion einzelner Individuen, sondern bedarf kommunikativer Interaktion zwischen Akteurinnen. Der Fokus richtet sich auf die relationalen, das heißt beziehungsorientierten Aspekte. Wirklichkeit wird im sprachlichen Diskurs mit anderen Subjekten hergestellt; Individuen stehen in einer Subjekt-Subjekt-Beziehung zueinander. Dies widerspricht dem radikalen Konstruktivismus, der dem Individuum eine externe, abgetrennte Umwelt gegenüberstellt. Andere Akteurinnen sind in dieser Perspektive Teil dieser Umwelt – und damit Objekte. Konstruktionen werden damit als in einer Subjekt-Subjekt-Beziehung ausgehandelte und sprachlich eingebettete Narrationen verstanden, die den Menschen als Orientierungshilfe im sozialen Kontext dienen (Fried, 2005). »Die Abkehr von der Vorstellung anderer Individuen als Objekte steht dabei im Mittelpunkt: Wissen und Erkennen sind soziale Produkte. Kommunikation versetzt Individuen in eine ›Beziehungsdomäne‹ und nicht in eine einseitige Objektbeziehung zu anderen Individuen.« (Ebd.: S. 54)
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Wirklichkeit wird so aufgrund der Bedeutungen in der Sprache entwickelt. Hinsichtlich Sprache und Diskurs lassen sich fünf zentrale Punkte zusammenfassen, die auf Arbeiten von Dian-Marie Hosking und Ian Morley basieren (Fried, 2005; Rüegg-Stürm, 2003; Hosking/Morley, 1991): 1. Das gesprochene Wort, in diesem Zusammenhang als Text bezeichnet, erhält seine Bedeutung erst in einem bestimmten sozialen und kulturellen Kontext. Der Redebeitrag ist jedoch nicht nur in sprachlichen Diskursen eines sozialen und kulturellen Kontextes enthalten, sondern vermag auch diesen Kontext zu beeinflussen: »Die Bedeutung eines Textes steckt nicht im Text, sie ist nicht eine Eigenschaft des Textes, sondern sie ergibt sich im Rahmen eines diskursiven Interpretationsprozesses aus den erwartbaren Wirkungen für die beteiligten Interpreten. Bedeutung weist damit letztlich immer eine pragmatische, lebenspraktische Dimension auf.« (Rüegg-Stürm, 2003: S. 40)
2. Ein Ereignis muss, um Eingang in den Diskurs zu finden, in einer sprachlichen Beschreibung artikuliert worden sein. Wie diese Artikulation erfolgt, ist personenabhängig. Einmal ausgesprochen, hinterlassen Beiträge Spuren, die zur Verfestigung von Wissen beitragen. 3. Ein sprachlicher Beitrag führt Aspekte ein und ruft sie dadurch ins Leben, das heißt, konstituiert ihre Wirklichkeit. Schon Schütz bezeichnet Kommunikation als soziales Handeln. 4. Sprachgebrauch und Erkenntnisgewinn sind eng miteinander verbunden. Sprache führt zur Gewinnung neuen Wissens über und aufgrund sprachlicher Differenzierungen, die die Erkenntnisgewinnung spiegeln und voranbringen. 5. Sprache fungiert als Bindeglied zwischen Bewusstsein und Kommunikationsprozessen. Luhmann nennt diesen sich gegenseitig beeinflussenden Prozess »Interpenetration«. Das Bewusstsein führt über Vorstellungen zur Kommunikation, die wiederum mittels ihrer Sprechbeiträge das Bewusstsein mit reproduziert. Sprache ist jedoch mehr als nur ein Strukturierungsmittel zwischen Bewusstsein und Kommunikation. Der Organisationsforscher Johannes Rüegg-Stürm weist darauf hin, dass unser Denken und Kommunizieren von inhaltlichen Kategorien beeinflusst wird, die sich aus den verschiedenen kulturellen Kontexten und dem jeweiligen Sprachgebrauch entwickelt haben. Die aufgeführten Aspekte verdeutlichen die Relevanz des »In-der-Sprache-Seins« (Maturana/Varela, 1987: S. 226; zitiert nach: Rüegg-Stürm, 2003: S. 47), das Wirklichkeitskonstruktionen kulturell verankert. Menschen werden von ihrem kulturellen Umfeld und dem damit in Verbindung stehenden Sprachgebrauch so30
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
zialisiert. Jede Sprache ist somit eine eigene Weltsicht, die auf einem eigenen Normensystem basiert, das sie regelmäßig tradiert. Ein Beispiel: In Kisuaheli (auch Swahili), der wichtigsten Umgangssprache in Ostafrika, gibt es unterschiedliche Worte für das Verb »heiraten«. Möchte ein Mann mitteilen, dass er heiratet, benutzt er den Begriff »ninaoa« (= »ich heirate«). Eine Frau dagegen verwendet die Passivform »ninaolewa« (= »ich werde geheiratet«). Allein dieses Sprachbeispiel gibt Aufschluss über die unterschiedliche Stellung bzw. unterschiedliche Handlungsspielräume von Frauen und Männern in ostafrikanischen Gesellschaften. Sprache und die dadurch konstruierte Wirklichkeit wird aufgrund des »In-der-Sprache-Seins« als nicht änderbar erlebt. Dabei ist sie das sehr wohl, denn es handelt sich jeweils um Konstrukte, also kontingente Erfindungen der Menschen. Bei der berechtigten Hervorhebung der Sprache darf aber die nonverbale Kommunikation nicht unberücksichtigt bleiben. Körperhaltung, Gestik und Mimik sind ebenso Mittel der Kommunikation, die die Konstruktionen des Gegenübers maßgeblich beeinflussen. Dieser Aspekt findet bei Hosking und Morley nicht die notwendige Hervorhebung. Wenn ich in dieser Studie von Sprache rede, beziehe ich mich nicht nur auf das gesprochene Wort bzw. die Narrationen, sondern genauso auch auf durch den Körper ausgedrückte Sprache. Diese ist wie die Wortsprache abhängig von ihrem Kontext und ruft dementsprechend kontextabhängige Interpretationen und Reaktionen hervor. Verbale und nonverbale Sprache können jedoch auch gegenläufig sein: Sie unterstreichen nicht in jeder Kommunikationssituation die gegenseitigen Aussagen. Was über Worte verschönt ausgedrückt wird, verdeutlicht die Körpersprache ehrlicher anhand ihrer abweisenden bzw. geschlosseneren Haltung. Körpersprache fungiert als Vorsprache, die den gesprochenen Aussagen über Körperhaltung zuvorkommt und damit anzeigt, was die Gesprächspartnerin denkt und empfindet, noch bevor ein Wort gefallen ist. Eine Menschenkennerin kann anhand der Körpersprache zum Teil mehr über die Wirklichkeitskonstruktion eines Menschen erfahren als anhand von Aussagen. Verbale und nonverbale Sprache sind besonders in einem interkulturellen Kontext wie der Entwicklungszusammenarbeit von zentraler Bedeutung. Das gilt zum einen für die unterschiedliche Entwicklung von Deutungsmustern hinsichtlich M&E, zum anderen aber auch für die Datenerhebung in deutschafrikanischen Kontexten. Im afrikanischen Untersuchungsgebiet verläuft diese Kommunikation zudem in Englisch, einer Sprache, die für beide Seiten nicht die Muttersprache darstellt. Über Englisch als gemeinsamen Nenner trifft das übersetzte deutsche Sprachsystem auf das malawische, sambische oder tansanische. Dies würde schon ohne die Mittlersprache zu Missverständnissen und unterschiedlichen Verständnismustern führen. Bewusste und unbewusste Verwirrungen bleiben bei der Verständigung über eine dritte Sprache erst recht nicht aus. Die Berücksichtigung des Mediums »Sprache« ist 31
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
deswegen für den konstruktivistischen Analyseansatz dieser Studie zentral. Er ermöglicht es, Umsetzungsrealitäten anhand von kulturell bedingt unterschiedlichem Deutungsverhalten aufzuzeigen. Die Zusammenhänge von Sprache und Macht werden unter anderem von Michel Foucault analysiert. Er ergänzt die strukturalistische Unterteilung der Sprache von Saussure in »langue« (aufeinander bezogene Äußerungen) und »parole« (Einzeläußerungen) um den Aspekt der Ordnung von Objekten. Besitzt Sprache einen ordnenden Charakter, handelt es sich um einen so genannten »Diskurs« (Weik, 2003). Diskurse unterliegen abhängig von einer Kultur oder Epoche Regeln, die vorgeben, was gesagt werden kann. Menschen sind somit geprägt von den verschiedenen Diskursen ihrer Zeit. Diese werden jedoch nicht von Einzelnen produziert, sondern sind historisch kontingent. Foucault verbindet im Laufe seines Schaffens den Diskursbegriff zunehmend mit dem Begriff der diskursiven Macht, die immer wieder neu ausgehandelt und weitervermittelt wird (Foucault, 1974). Organisationen sind – wie andere gesellschaftliche Bereiche auch – der diskursiven Macht unterworfen. Folgendes Beispiel verdeutlicht dies: Die aktuelle Fokussierung auf M&E entspringt den allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die zu Mittelkürzungen und einem damit verbundenen Legitimationsdruck von Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit führen. Die Fluktuation verschiedener entwicklungspolitischer Schlagworte, die die Projektarbeit stark beeinflussen, ist jedoch enorm. Einmal steht »Partizipation« als neuer Schlüsselbegriff im Mittelpunkt, ein anderes Mal wird ein Projektantrag nur genehmigt, wenn er »Gender« mitberücksichtigt oder »Good Governance« fördert. Das führt so weit, dass viele Partnerinnen in Entwicklungsländern den Überblick über aktuelle Diskurse verlieren und erst verspätet in der Lage sind, die jeweils dominanten Diskurse zu berücksichtigen. Aber nur die Verwendung bestimmter Schlagworte sichert eine Förderung durch die Geberseite und wirkt sich auf die konzeptionelle Gestaltung und Schwerpunksetzung ganzer Generationen von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit aus. Doch selbst die Wissenschaft ist nicht unabhängig von der Macht des Diskurses – auch Wissenschaftlerinnen unterliegen Vorgaben und Zuschreibungen ihrer Epoche (Foucault, 1999).
Methodologische Konsequenzen des Konstruktivismus Der konstruktivistische Ansatz hat, konsequent weitergedacht, unmittelbare Auswirkungen auf die methodologische Ausrichtung. Er beinhaltet die These: Keine Wahrheit durch Methode, denn jede Methode ist ein sprachliches Konstrukt, somit kontextabhängig und nicht neutral. Objektive Analysen und Methodologien gibt es nicht mehr. »Wir beginnen zu erkennen, dass wir nicht festen Boden, sondern Treibsand unter den Füßen haben.« (Varela/Thompson, 32
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
1992: S. 295; zitiert nach: Rüegg-Stürm, 2003: S. 62) Damit wird empirisches Arbeiten nicht per se in Frage gestellt, aber die Ausrichtung des Forschungsansatzes und dessen Methoden werden hinterfragt. Entgegen dem positivistischen Vorgehen oder dem kritischen Rationalismus wird eine hermeneutische Vorgehensweise gewählt, die den Konstruktcharakter des eigenen wissenschaftlichen Arbeitens über qualitative Methoden einfängt. Entsprechend der konstruktivistischen Sicht ist eine realistische Analyse der Wirklichkeit nicht möglich. Eine konstante Reflexion und Bewusstmachung der Subjektivität der Forscherinnen und der Befragten zielt jedoch darauf ab, dem konstruktivistischen Forschungsdilemma gerecht zu werden und entgegenzusteuern. Hierbei spielt die eigene subjektive Wirklichkeitskonstruktion eine elementare Rolle. Aufgrund der subjektiven Sicht wird es Forscherinnen nie gelingen, soziale Phänomene objektiv (das heißt: nicht von Vorurteilen und Gefühlen bestimmt) analysieren zu können. Doch auch die Interviewpartnerinnen unterliegen diesem Zwang. Ihre subjektiven Wahrnehmungen und Interpretationen der Forschungsfragen, der Forschungsumgebung und der Person der Forscherin führen in dem jeweiligen Moment zu subjektiven Erkenntnisprozessen: Jede Gestik und Mimik des Gegenübers beeinflusst neue konstruierte Wahrnehmungen, die sich in den Aussagen niederschlagen. Qualitative Methoden bauen auf den Prämissen eines dialogischen Verstehens auf und gehen unter Zuhilfenahme mehrerer Methoden explorativ vor. Die Suche nach Objektivität steht hier nicht im Vordergrund, da deren Existenz grundlegend angezweifelt wird. Das Forschungsinteresse orientiert sich vielmehr daran, die Konstruktionen der Wirklichkeit aufzuzeigen, die in Prozessen spezifische Eigendynamiken hervorbringen können (Fried, 2005; Flick, 2004; Mayring, 2002; Bohnsack/Marotzki/Meuser, 2003; Flick/von Kardoff/Steinke, 2000). Dennoch werden in der Evaluationsforschung und Praxis der Entwicklungszusammenarbeit teilweise nach wie vor solche Methoden bevorzugt, die sich an naturwissenschaftlichen Vorbildern orientieren und »alternative Forschungsdesigns zu exotischen Abenteuern stempeln« (Gmür, 1993: S. 12). Dieser Aspekt hat unmittelbare Relevanz für die methodische Vorgehensweise bei M&E und wird im Laufe dieses Buches weiter diskutiert. Es ist interessant zu sehen, inwieweit quantitative bzw. qualitative Methodendiskurse jeweils die aktuellen entwicklungspolitischen Theorie- als auch Praxisdebatten bestimmen, wie diese sich in den jeweiligen Organisationsvorgaben niederschlagen und inwiefern sie in der Realität Umsetzung finden. Ziel einer konstruktivistischen Vorgehensweise ist es dabei nicht, »unsere Orientierung in der Praxis zu erschweren und uns zu gestörten Tausendfüßlern zu machen, sondern […] unsere Legitimationspraxis zu verändern, uns die Arroganz zu nehmen, die aus vermeintlichem Wahrheitsbesitz herrührt« (Schmidt, 1994: S. 75; zitiert nach: Fried, 2005: S. 57). 33
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Gerade das konstruktivistische Potential, falsche Vorstellungen und damit verbundene Erwartungen aufzeigen zu können und mit ihnen geregelte theoretische Konstrukte aufzudecken, bietet Angriffsfläche für positivistische Ansätze. »Die geringe Akzeptanz konstruktivistischer Ansätze innerhalb der Organisationstheorie ist zunächst darauf zurückzuführen, dass ihr methodisches Vorgehen häufig relativ weit von dem entfernt ist, was nach der herrschenden Meinung als solide wissenschaftliche (das heißt positivistische) Forschung gilt.« (Kieser, 2002c: S. 316; Hervorhebung im Original)
Zudem wird kritisiert, dass konstruktivistische Denkweisen herrschende Organisationstheorien unterminieren. Von Managementseite wird teilweise mit Zurückhaltung reagiert, weil Konstruktivisten Organisations- und Managementkonzepte als Mythen aufdecken, Machtstrukturen beleuchten und damit traditionelle Vorgehensweisen hinterfragen. Letztendlich kann positivistischer Kritik begegnet werden, indem man – wie Alfred Kieser es auf den Punkt bringt – auf die jeweiligen Konstruktionen verschiedener Diskurse einer bestimmten Epoche verweist (ebd.). So ist auch diese Studie einerseits von aktuellen theoretischen Diskursen geprägt, andererseits von der subjektiven Darstellung der Interviewpartnerinnen sowie der sich daran anschließenden Interpretation der Autorin beeinflusst. Diese Einflussfaktoren werden bis zu einem bestimmten Grad jedoch über reflexive Auseinandersetzung mit der jeweiligen Forschungssituation vergegenwärtigt. Mit Bezug auf den Untersuchungsgegenstand, M&E, stellt sich prinzipiell die Frage, ob die Ergebnisse Aussagekraft besitzen, welchen subjektiven Prägungen sie unterliegen und inwieweit das in der Debatte um M&E bereits berücksichtigt wird bzw. zukünftig berücksichtigt werden sollte.
3.2
Organisationstheoretische Verortung
Organisation – eine Begriffsklärung Bevor ich der Untersuchungsfrage weiter nachgehe, bedarf es einer Klärung des Begriffs »Organisation«. Dies gestaltet sich recht schwierig, denn der organisationstheoretische Diskurs baut auf einem Theorienpluralismus auf, der unterschiedliche Definitionen zur Folge hat. Wie in vielen anderen Feldern der Soziologie gibt es nicht die Organisationstheorie: »Organizations are many things at once.« (Morgan, 1986: S. 339; zitiert nach: Scherer, 2002: S. 3) Ein Aspekt ist jedoch in den meisten Definitionen zu finden: Im Unterschied zu Institutionen sind Organisationen »rationale Zweckgebilde der Moderne«, 34
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
die von zweckrationalem Handeln gekennzeichnet sind (Gukenbiehl, 1995: S. 104; Schreyögg, 2003). Sie fungieren als Typus sozialer Gebilde, der mittels geregelter Beiträge von Menschen und der Nutzung von Mitteln der Erreichung bestimmter Ziele dient. Inwieweit die Steuerungs- und Strukturierungsmaßnahmen tatsächlich zur rational geprägten Effizienzsteigerung und Zielerreichung führen, wird in Teilen der Organisationstheorie bis heute intensiv diskutiert.
Von makrotheoretischen Rationalitätsvorstellungen zu mikrotheoretischen Machtansätzen Zunächst war der organisationstheoretische Diskurs von Optimierungsansätzen dominiert. Die klassische Definition von Organisation entstammt Max Webers Bürokratiemodell, das Arbeitsteilung, Hierarchie, Rationalität und Formalität als typische Elemente von Organisationen beinhaltet. Der Rationalitätsbegriff ist hier zentral und steht für Effizienz, Sachlichkeit und Regelhaftigkeit (Weber, 1980; Kieser, 2002a). Der Grundgedanke dieser Denkrichtung, die Funktion einer planbaren Rationalität, spielt bis heute besonders in der betriebswirtschaftlichen Managementlehre eine Rolle. Die Aspekte einer Effektivitäts- und Effizienzsteigerung sind so auch Teil der aktuellen M&EDebatte. Das zeigt sich einerseits an dem Zweck von M&E, dem effizienteren Gestalten von Entwicklungszusammenarbeit, andererseits geht es, wie Katharina Michaelowa und Axel Borrmann feststellen, um die Effizienzsteigerung der M&E-Prozesse selbst (Michaelowa/Borrmann, 2005). Daran knüpft sich die Hoffnung, Probleme früh zu erkennen und Prozesse regelmäßig auf ihren Verlauf hin zu bewerten. Der Optimierung von Organisationszielen widmete sich auch Frederick Taylor. Er war einer der Ersten, die danach strebten, mit weniger mehr zu produzieren. Noch heute werden Organisationen zum Teil als »zielorientierte, rational geplante Systeme mit einer auf Dauer gestellten objektiv-versachlichten Struktur« (Türk, 1989: S. 23; Kieser, 2002b; Rüegg-Stürm, 2003; Wilz, 2002) verstanden. Sowohl Weber als auch Taylor bezogen sich in ihren theoretischen Aussagen ausschließlich auf die formale Seite von Organisationen. Langsam hielt jedoch der Mensch als Untersuchungsobjekt Einzug in die Organisationsanalyse. Die Human-Relations-Bewegung konzentrierte sich erstmals auf menschliche Beziehungen und ihre Wirkungen auf das Arbeitsverhalten. Das Ergebnis zeigte, dass Handeln abhängig von Motivation, Anerkennung und menschlichen Bedürfnissen ist. Trotz der Integration von informellen Aspekten ist dieser Ansatz weiterhin sozialtechnologisch und mehr als ein erster Versuch zu werten, der Vernachlässigung sozialer Aspekte zu begegnen (Kieser, 2002b). Als positives Resultat der Diskussion über menschliche Beziehungen 35
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
ist jedoch der Aufschwung der Organisationspsychologie zu sehen. Aus ihr erwuchs die Organisationsentwicklung (OE), deren Aufgabe es ist, Mitarbeiterinnen zu ermutigen, Führungsdifferenzen mit Vorgesetzten auszuhandeln. Über dieses partizipative Verhalten soll eine größere gemeinsame Basis und Akzeptanz aufgebaut werden, die positive Folgen für die Organisationsstruktur erwarten lässt. »Organisationsentwicklung (OE) ist gleichsam eine Makromethode, um Veränderungen in Organisationen und zwischen Organisationen, also Kooperation, zu planen und zu gestalten. […] Sie beruht auf der Erfahrung, dass jede Leistungserbringung in einem sozio-technischen System sowohl von fachtechnischen Faktoren als auch von der Bereitschaft und Fähigkeit der Menschen abhängt, Aufgaben und Probleme eigenständig zu lösen.« (Sülzer/Zimmermann, 1996: S. 294)
Der Psychologe Kurt Lewin, der als Begründer der Organisationsentwicklung gilt, entwickelte die Theorie der Partizipation. Diese geht von Veränderungsprozessen in drei Phasen aus: »In der ersten Phase, dem ›Auftauen‹, kommt es darauf an, die Individuen dahin hinzubringen, tradierte Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen in Frage zu stellen. In der zweiten Phase, der ›Änderungen‹, müssen die Individuen für neue Werte und Verhaltensweisen zugänglich werden und bereit sein, diese zu übernehmen. Sollen die neuerworbenen Wertemuster und Fähigkeiten ebenso selbstverständlich wie zuvor die alten das Handeln leiten, müssen sie in der Phase des ›Wiedereinfrierens‹ durch entsprechende Maßnahmen stabilisiert werden.« (Kieser, 2002d: S. 120)
Lewins Modell lässt sich noch heute auf Grundideen der OE anwenden, doch inwieweit es in dieser Form auf M&E übertragbar ist, scheint längst fragwürdig. Auch M&E ist ein Managementinstrument, das der Organisationsentwicklung zugerechnet werden kann. Es soll Aufschluss über Hemm- und Förderfaktoren innerhalb organisationsinterner Arbeitsprozesse geben und zu Lern- und Veränderungsprozessen führen. Doch in der Vergangenheit sind die erhofften Lernprozesse oft ausgeblieben, was darauf hinweist, dass der idealistische Ansatz von Lewin nicht per se alle genannten Stadien durchläuft. Lewins Grundprinzipien basieren, ausgehend von einer Problemanalyse, auf harmonischen, partizipativen Abstimmungsprozessen, die Veränderungsmöglichkeiten bieten. Mittlerweile wurden der Harmoniegedanke und die gleichberechtigte Berücksichtigung von Interessen von unternehmerisch gesteuerten Gedanken der Effektivität und Effizienz verdrängt. Doch diese an OE gebundenen rationalen Hoffnungen sind nicht berechtigt. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Anke Hanft weist darauf hin, dass jedes M&E einen Eingriff in die Organisation darstellt und diese damit verändert. Ob besagte Veränderungen aber gleichermaßen den gewünschten Erwartungen entsprechen, kann bezwei36
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
felt werden – oft entstehen Effekte, die alles andere als intendiert waren (Hanft, 2003). Damit spielt Hanft auf eine Trendwende in der Organisationstheorie an: In den 1960er Jahren begann eine Debatte, die sich von dem bis dahin dominanten Rationalitätsparadigma entfernte, das von der gezielten Steuerung organisationaler Prozesse ausging. Es kam zu einer bis heute aktuellen Umorientierung, die die Ausklammerung der sozialen Realität in den Betrieben aufzeigt und ihr entgegenwirken soll. Die Orientierung an der Managementdoktrin und dem dazugehörigen Weltbild der Managerelite wurde von vielen Wissenschaftlerinnen kritisiert. Ein Kritikpunkt lautete, sie übersehe die Perspektive der »Beherrschten« innerhalb einer Organisation, wodurch der Eindruck eines harmonischen Miteinanders entstehe, das tatsächliche akteursspezifische Interessen übergehe (Gmür, 1993). Die Entwicklung führte weg von objektivistischen, versachlichten Analysen hin zur Integration von Akteurinnen, die subjektiv und mit eigenen Konstruktionen die Organisation mitprägen (Türk, 1989). Die Organisationstheoretiker Chester Barnard sowie James March und Herbert Simon verwiesen auf Grenzen der Rationalität (»bounded rationality«) und versuchten, diese anhand ihrer verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorien zu belegen (March/Simon 1958). Organisationen bestehen, so Barnard, aus unpersönlichen Handlungssystemen, da sie die Erfüllung des Organisationszieles anstreben. Menschen sind nicht Bestandteil dieses Systems. Sobald ein Mensch einer Organisation beitritt, wird sein Handeln von der Organisation geleitet (Barnard, 1966). Herrschaftsbeziehungen innerhalb von Organisationen fällt eine wesentliche Rolle zu, um die Bereitschaft der Leistungserbringung von Mitarbeiterinnen einzufordern. Herrschaft wird hierbei verstanden als die bewusste Unterwerfung von Untergebenen. Bei Eintritt in die Organisation akzeptieren die Betroffenen, dass sie während ihrer organisationsinternen Leistungserbringung die Vorgaben Vorgesetzter einhalten. Inwieweit die Untergebenen aber tatsächlich dazu motiviert sind, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen, kann nur begrenzt kontrolliert werden. Eine korrekte Leistungserbringung hängt von verschiedenen Aspekten wie der Organisationskultur und dem Führungsstil ab. Innerhalb dieser Gegebenheiten konzentrieren sich die Vertreterinnen verhaltenswissenschaftlicher Entscheidungstheorien auf die Prozesse der Entscheidungsfindung. Die Dominanz einer Zielrationalität wird für Entscheidungsprozesse in Frage gestellt. Herbert Simon beklagte die Unvollständigkeit des Wissens, die Unvorhersehbarkeit zukünftiger Ereignisse (die Hanft noch heute zu Bedenken gibt) und das mangelnde Wissen über Alternativen (Simon, 1976; Berger/Bernhard-Mehlich, 2002; Vahs, 2002). Diese Aussagen haben direkte Konsequenzen für M&E und verweisen auf die Notwendigkeit, Rahmenbedingungen mitzuanalysieren.
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
James March identifizierte mit seinen Mitarbeitern weitere Merkmale, die zu »organisierten Anarchien« führen: Eingeschränktes Wissen, schlecht definierte und sich immer wieder ändernde Ziele sowie wechselnde Teilnehmerinnen führen zu teilweise anarchisch geprägten Entscheidungsprozessen. Anhand des »Mülleimer«-Modells veranschaulichten March und Kollegen, welche Fülle an Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung steht und wie diese, abhängig von Motivationen, Bedürfnissen und Gruppendynamiken, gewählt werden. March und Olsen wiesen darauf hin, dass Erfolge und Misserfolge sozial konstruiert sind. Dabei sind subjektive Erfahrungen, Biographien und Einstellungen der Beteiligten zentral (March/Olsen, 1995). Verhaltenswissenschaftlichen und sozialpsychologischen Theorien ist es zu verdanken, dass neben der bis dato untersuchten formalen Seite von Organisationen die Existenz einer informellen Seite eingeführt wird, die nicht von der formalen zu lösen ist: »Noch nicht in den Blick gerät dabei die ›Irrationalität‹ von organisatorischen Strukturen und Regeln selbst – das Primat der Rationalität als grundlegendes Funktionsprinzip von Organisationen wird nicht in Frage gestellt, sondern durch die menschliche Seite ergänzt, indem die Trennung von formaler und informeller Seite etabliert wird.« (Wilz, 2002: S. 24)
Die Konzentration auf die Innenperspektive der Akteurinnen führte dazu, dass Handlungskonstellationen weiter in den Vordergrund rückten und unter dem Aspekt der interessengeleiteten Akteurinnen untersucht wurden. Mit dem Blick auf die zwischenmenschlichen Beziehungen gewannen auch Herrschafts- bzw. Machtaspekte an Bedeutung. Für Barnard definiert sich Herrschaft nicht über die Nutzung von Sanktionspotential, sondern hängt davon ab, ob Menschen die sanktionierende Stellung anderer über sie akzeptieren und sich dem unterwerfen. Barnard stellt fest, dass die Akzeptanz gegebener Herrschaftsstrukturen kein Garant dafür ist, dass sich Untergebene dem vollständig beugen. Deswegen versuchen Organisationen über verschiedene Anreize, wie zum Beispiel die finanzielle Beteiligung am Gewinn, die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen zu steigern. Eine Garantie für deren Motivation und Leistungsbereitschaft gibt es trotz allem nicht. Was also beeinflusst das organisationsgebundene Handeln von Akteurinnen? Macht- und Herrschaftsfaktoren werden bei der Beantwortung dieser Frage zunehmend berücksichtigt. Herrschaft ist nicht notwendigerweise an Macht gebunden: Man kann Herrschaft besitzen, ohne über Macht zu verfügen. Weber definiert Macht als die Fähigkeit, »gegen den Widerstand des anderen den eigenen Willen durch[zu]setzen« (Weber, 1980: S. 38). Macht wird legitimiert durch Tradition, Gewohnheit und Glaube. Grundlage der Legitimation von Macht ist 38
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
unter anderem Rationalität. Denn um Macht zu gewährleisten, bedarf es klar festgelegter, sachlicher Abmachungen, die Aufgaben oder Sanktionierungsmaßnahmen verdeutlichen und den Akteurinnen einen geregelten Handlungsrahmen vorgeben (Claessens, 1995). Innerhalb von Organisationen sind das die Regelwerke und Verträge, an denen sich alle Mitarbeiterinnen orientieren müssen. System- und Akteurstheoretikerinnen nehmen unterschiedliche Machtzuweisungen vor. Bei Ersteren verläuft Macht über unvermeidbare Rahmenbedingungen, die bestimmte Strukturen und damit auch unterschiedliche Machtverhältnisse vorgeben. Letztere gehen von Machtverteilungen zwischen den Akteurinnen und den daraus resultierenden Konsequenzen aus. Aus mikropolitischer Perspektive werden Organisationen durch Machtbeziehungen konstituiert. Macht wird hierbei definiert als wechselseitige Beziehung zwischen Akteurinnen, in der es – so die französischen Organisationstheoretiker Michel Crozier und Erhard Friedberg – um das Aushandeln von Unsicherheitszonen geht. Macht basiert dabei immer auf Gegenseitigkeit (Crozier/Friedberg, 1979). Denn nur im Austauschprozess ermöglichen Menschen ihr Machthandeln. Die Gegensätze ›Macht und Freiheit‹, ›Handlungsspielraum und Handlungsgrenzen‹ beeinflussen sich gegenseitig. Damit werden harmonische, konsensorientierte Organisationskonzepte wie etwa die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze kritisiert: Machtfreie Räume gibt es nicht. Ziel ist, »Unsicherheitszonen zu begrenzen, eigene Möglichkeitsspielräume offenzuhalten und die Kontrolle über die Handlungsspielräume anderer zu erreichen« (Wilz, 2002: S. 25). Crozier und Friedberg führen in diesem Zusammenhang den Spielbegriff ein. Unter Spiel verstehen sie den »Mechanismus, mit dessen Hilfe die Menschen ihre Machtbeziehungen strukturieren und regulieren und sich dabei noch Freiheit lassen. Das Spiel ist das Instrument, um ihre Zusammenarbeit zu regeln. […] So definiert, ist das Spiel ein menschliches Konstrukt. Es ist an die kulturellen Muster einer Gesellschaft und an die spezifischen Fähigkeiten der Spieler gebunden, bleibt aber kontingent wie jedes Konstrukt.« (Crozier/Friedberg, 1979: S. 68)
Das Handeln ist dem Spielbegriff nach ein Tun, das geprägt wird durch bestimmte Spielweisen und deren Regeln. Organisationen werden in diesem Kontext als »Gesamtheit aneinander gegliederter Spiele« verstanden. Das Handeln ist trotz allem an Rationalität gebunden, findet es doch im Rahmen festgelegter Spielregeln statt (Funken, 2004; Wilz, 2002). Für die Zielerreichung werden, so Crozier und Friedberg, Ressourcen wie Sachkompetenz und Spezialwissen, Zugang zu Informationen, gute Beziehungen zur Umwelt und das ›Vertrautsein‹ mit organisatorischen Regelwerken benötigt. Diese Möglichkeiten stehen allen Akteurinnen zur Verfügung. Die Zugangschancen hierzu variieren jedoch enorm, da sie von der jeweiligen 39
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Ausgangsposition des Individuums abhängig sind. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass besagte Ressourcen – sozial konstruiert, kontext- und zeitabhängig – unterschiedliche Relevanz besitzen (Crozier/Friedberg, 1979; Ortmann et al., 1990; Ortmann, 1988b; Ortmann/Sydow/Windeler, 2000). Organisationen können als Arenen verstanden werden, die von heterogenen Interessen geprägte Entscheidungsprozesse beinhalten (Wilz, 2002). Hanft spricht in Bezug auf Evaluationsprozesse von einem Machtkampf der beteiligten Akteurinnen. »Evaluationsergebnisse werden in diesem Prozess instrumentell nur dann und dort benutzt, wo sie den Akteuren, egal auf welcher Ebene, für die Durchsetzung ihrer Interessen dienlich sind.« (Hanft, 2003: S. 9) Hanft widerlegt damit Lewins Modell einer kausalen Abfolge, betont aber gleichzeitig, dass dies Planbarkeit nicht generell in Frage stellt. Es gilt vielmehr, die verschiedenen, akteursgesteuerten Prozesse stärker zu berücksichtigen. Sie verweist darauf, dass Akteurinnen das Potential besitzen, sich trotz formaler Rahmenbedingungen strategisch positionieren zu können. Dieser Aspekt entspricht dem zentralem Gedanken von Crozier und Friedberg (1979), dass vollkommene Machtlosigkeit nicht existiert: Jede Akteurin hat die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und tut dies durch ihre Handlungen. Genau diese Handlungen unterliegen wiederum Rationalitäten, die ausgehandelt, verfolgt und gesichert werden. Crozier und Friedbergs Argumentation zeigt auf, dass Machtzuweisungen kontextabhängig sind und konstituiert werden. Abhängig von der jeweiligen Machtzuschreibung von Ressourcen kommt es zu unterschiedlichen Konstruktionen und Machtverteilungen. Der Vorteil dieses Denkansatzes ist, dass Organisationen von dem Zusammenspiel der Akteurinnen her zu verstehen sind, was auch Phänomene auf höheren Ebenen beschreibbar macht. Informelle Praktiken produzieren demnach formale Strukturen. Gerade im Bereich von organisationalen Management- und Entwicklungsprozessen spielt diese Perspektive eine wesentliche Rolle – nicht nur für Analysezwecke. Auch Managementtheorien machen in letzter Zeit Gebrauch von ihr, indem sie Handlungsweisen der Mitarbeiterinnen für die Organisation nutzen. Ein größerer Handlungsspielraum und die Umsetzung eigener Kreativität und Ideen, immer vor dem Hintergrund organisationsinterner Vorgaben und Ziele, werden verstärkt hervorgehoben. Crozier und Friedberg halten dennoch an der Existenz von rationalem Verhalten fest und betonen damit das Eingebundensein von spielerischem Handeln in Regeln, die die Bedingungen für Handlungsspielräume vorgeben. Dieser Zwang ist von besonderer Relevanz und verdeutlicht die letztendliche Begrenztheit von Handlungsspielräumen. Eine weitergehende Analyse der strukturellen Gebundenheiten von Organisationen sowie deren Austauschbeziehungen mit den Akteurinnen wird von Crozier und Friedberg nicht verfolgt. Gerade diese theoretische Kluft zwischen strukturorientierten Theorien einerseits und akteurstheoretischen Herangehensweisen andererseits gilt es 40
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
aber zu überwinden. Der englische Soziologe Anthony Giddens versucht dies anhand der Theorie der Strukturierung, die auf die Dialektik zwischen Struktur und Handeln eingeht. Diese als Sozialtheorie formulierte Denkart soll als Metatheorie unter anderem auch für die vorliegende empirische Forschung im interkulturellen Kontext von EZ-Projekten nutzbar gemacht werden. Es gibt bereits zahlreiche Versuche, sie im Rahmen von organisationstheoretischen Analysen anzuwenden. Im Folgenden stelle ich die Theorie der Strukturierung genauer vor (Funken, 2004; Wilz, 2002; Crozier/Friedberg, 1979).
3.3
S t r u k t u r i e r u n g s t h e o r e t i s c h e r An a l ys e r a h m e n
Dualität von Handlung und Struktur Um den britischen Soziologen Anthony Giddens verstehen zu können, bedarf es des Rückgriffs auf konstruktivistische Theorien, die als Ausgangspunkt für strukturierungstheoretische Denkweisen gelten. Relational-konstruktivistische Ansätze verdeutlichen, wie aufgezeigt wurde, dass informelle sowie formale Aspekte über Interaktion und Kommunikation konstruiert werden; sie betonen damit die Rolle von Sprache. Wirklichkeitskonstruktionen sind abhängig von Sprache und damit von Kultur, denn Sprache entsteht aus dem jeweiligen kulturellen Kontext und prägt diesen zugleich. Auch Organisieren ist ein kommunikativer Vergewisserungsprozess, der zur Konstruktion von Wirklichkeit beiträgt. Der Prozessverlauf ist dabei kontextabhängig und kontingent. Organisationales Wissen steht zwischen (über Sprache vermittelten) Wissensstrukturen und Vergewisserungsprozessen bzw. Handlungspraktiken. Dies entspricht Giddens’ Grundgedanken der Strukturierung, der auf das Zusammenspiel von Struktur und Handeln hinweist (Rüegg-Stürm, 2003). Giddens’ Denken basiert auf der Annahme einer »Dualität der Struktur«. Demnach ist das Handeln der Akteurinnen von Strukturen geprägt, die sie durch ihr Tun wiederum reproduzieren oder modifizieren. Giddens zielt darauf ab, den Dualismus von Objektivismus und Subjektivismus, Struktur und Handeln bzw. Makro- und Mikrotheorien zu überwinden. Beide Seiten schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern stehen in wechselseitigem Austausch zueinander. Soziales Handeln ist von strukturellen Vorgaben und Rahmenbedingungen beeinflusst, aber nie vollkommen von diesen bestimmt. Jede Handlung verstärkt Strukturen oder ändert und ersetzt diese – und führt damit zu neuen Strukturen. In diesem Austauschprozess verfügen Akteurinnen, so Giddens, über »praktisches Bewußtsein« und sind bewusst handelnde, reflexive Subjekte. Strukturen werden dabei als Regeln und Ressourcen verstanden, die ein soziales System reproduzieren. »Die Strukturierung sozialer
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Systeme zu analysieren bedeutet, zu untersuchen, wie diese in Interaktionszusammenhängen produziert und reproduziert werden.« (Giddens, 1997: S. 77) Diese Austauschprozesse entsprechen auch der sprachtheoretischen Fundierung der relational-konstruktivistischen Denkart, auf der Giddens’ Ansatz aufbaut. Der Redebeitrag ist demnach nicht nur in sprachliche Diskurse eines sozialen und kulturellen Kontextes eingebettet, sondern vermag auch, diesen Kontext zu beeinflussen. Handlungskontext der Akteurin
Handlung
Struktur
Handlung
Struktur
Struktur
Strukturkontext, in dem die Handlung eingebettet ist Abbildung 1: Endlose Austauschverhältnisse zwischen Handlung und Struktur nach Giddens. Eigene Darstellung In der deutschsprachigen Fachliteratur wird im Zusammenhang mit Giddens’ Theoriekonstrukt von der »Theorie der Strukturation« oder der »Theorie der Strukturierung« gesprochen. Gemäß der rekursiven Wirkung von »Structuration«, wie Giddens sie nennt, greife ich in diesem Buch auf die aktive Bedeutung des Wortes zurück und verwende ausschließlich den Begriff »Strukturierung«. Im Folgenden stelle ich zunächst die wichtigsten Begriffe der Theorie der Strukturierung vor, um anschließend auf deren analytische Bedeutung für die organisationstheoretische Fragestellung dieser Studie einzugehen.
Akteurs- und Handlungsverständnis bei Giddens Giddens’ Akteursbegriff unterscheidet sich von anderen klassischen Handlungstheorien durch seine Betonung von Handlung als ›Strom‹, aus dem einzelne Handlungen nicht so einfach herausgelöst werden können. Seiner Ansicht nach sind Akteurinnen reflexionsfähig. Obwohl sie zum Teil weder Handlungsbedingungen noch Handlungsfolgen vorhersehen können, verfügen sie über praktisches Bewusstsein, das es ihnen ermöglicht, rational zu handeln. Auch wenn diese Rationalität nicht konstant in ihren Handlungen gege42
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
ben ist, verfügen Akteurinnen dennoch prinzipiell über die Fähigkeit, ihr Handeln diskursiv zu planen und zu begründen. Die Komplexität der Handlungsbedingungen verhindert deren vollständiges Verstehen und – damit verbunden – das Abschätzen von Folgen der eigenen Handlungen. »Handeln« betrachtet Giddens als kontinuierlichen Verhaltensstrom, eine »durée«, der sich abhängig von Raum und Zeit entwickelt. Alles Handeln ist von Kontingenz geprägt, kann also immer auch anders verlaufen. Unerkannte Handlungsbedingungen Unbeabsichtigte Handlungsfolgen Reflexive Steuerung des Handelns Handlungsrationalisierung Handlungsmotivation
Abbildung 2: Bedingungen für das Handeln nach Giddens. Abbildung nach: Giddens, 1997: S. 56 Giddens’ Ansatz geht von einem Konzept der konstanten reflexiven Steuerung aus, die aber nur teilweise sprachlich ausgedrückt wird. Dabei gibt es verschiedene Bewusstseinsformen. Bewusstsein bedeutet hier »eine Form von sensorischer Aufmerksamkeit« (Rüegg-Stürm, 2003: S. 96), die unterschiedliche Prägungen aufweist. Sie kann diskursiv verlaufen und somit diskursives Bewusstsein darstellen. Dies beinhaltet die Fähigkeit, über eigene Handlungen zu reflektieren, sich darüber diskursiv auszutauschen und Gründe für das eigene Handeln zu nennen. Doch nicht alle Handlungen sind bewusst durchdacht – und dennoch rational. Damit sind vor allem solche Formen des Handelns gemeint, die im Laufe der Zeit zu Routinehandlungen geworden sind. Das routinierte Tun basiert auf reflexiver Steuerung, derer man sich jedoch nicht mehr bewusst ist. Dieser Zustand ist das praktische Bewusstsein, welches das diskursive Bewusstsein abgelöst hat. »Was die Handelnden über ihr Handeln und die entsprechenden Handlungsgründe wissen – ihre Bewusstheit (knowledgeability) als Handelnde –, ist ihnen weitgehend in der Form des praktischen Bewusstseins (practical consciousness) präsent. Dieses praktische Bewusstsein umfasst all das, was Handelnde stillschweigend darüber wissen, wie in den Kontexten des gesellschaftlichen Lebens zu verfahren ist.« (Giddens, 1997: S. 36)
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Giddens weist dem praktischen Bewusstsein große Bedeutung für die Theorie der Strukturierung zu. In ihm sieht er Routine als zentrales Element des alltäglichen Handelns. Die Wiederholung von Handlungen ist Basis für das so genannte rekursive Wesen des gesellschaftlichen Miteinanders. Giddens versteht darunter die »Strukturmomente des sozialen Handelns«, die sich dauernd neu entwickeln (ebd.: S. 37). Das praktische Bewusstsein ist somit das Bindeglied zwischen Struktur und Handlung. Erst wenn Handlungen wiederholt worden sind, besteht die Möglichkeit zur Strukturbildung; sobald Handlungen nicht mehr umgesetzt werden, droht einer Struktur ›das Aus‹. Einer der Grundsätze von Giddens lautet dementsprechend sinngemäß: Akteurinnen (re-)produzieren mit ihrem Handeln die Rahmenbedingungen, die wiederum ihr Handeln ermöglichen (Giddens, 1997). Das Gleiche gilt für Handlungsweisen, die während Prozessen der Sozialisation angeeignet worden sind und eine routinierte Form von Handlung darstellen. Neben den genannten zwei Formen von Bewusstsein führt Giddens mit dem Unbewussten schließlich noch eine dritte Art ein. Das Unbewusste besteht unter anderem aus Wünschen, Ängsten und Motivationen und kommt nur in Situationen der Bedrohung zum Ausdruck (Craib, 1992; Fried, 2005; Rüegg-Stürm, 2003; Ortmann/Sydow, 2001; Becker, 2001). Das reflexive Handeln und sein Austauschprozess mit strukturellen Vorgaben zeigen, dass das Handeln zu keiner Zeit machtlos ist. Akteurinnen sind nie völlig einflusslos, da sie durch ihr Verhalten Strukturen entweder bestehen lassen oder auf sie einwirken können. Als zentraler Bestandteil von Handeln wird Macht anhand von Interaktionen deutlich. Die Art ihrer Ausübung hängt jedoch von materiellen und nicht-materiellen (personenabhängige Fähigkeiten, zum Beispiel rhetorisches Geschick) Ressourcen ab. Macht kann ausüben, wer über besagte Ressourcen verfügt und diese einsetzt. Jede Akteurin hat damit die Möglichkeiten, eine bzw. beide Ressourcen aktivieren oder instrumentalisieren zu können. Dennoch wird der Handlungsspielraum von Akteurinnen trotz ihrer Ressourcen von Strukturen eingegrenzt und beeinflusst. Durch seine Betonung der »zwei Gesichter von Macht«, der Beeinflussung und des Beeinflussens, wendet sich Giddens gegen klassische Sozialtheorien (Giddens, 1997: S. 67). Seine Kritik gilt einerseits akteursorientierten Richtungen, die den Willen als das Vermögen definieren, bestimmte Ergebnisse zu bewirken, andererseits widerspricht er Theorien, insbesondere strukturalistischen, die Macht als Eigenschaft von Gesellschaft verstehen und sie damit dem Einzelnen absprechen. »Macht innerhalb sozialer Systeme, die sich einer gewissen Kontinuität über Raum und Zeit hinweg erfreuen, setzt geregelte Beziehungen von Autonomie und Abhängigkeit zwischen Akteuren oder Kollektiven in sozialen Interaktionskontexten voraus. Aber alle Formen von Abhängigkeit stellen gewisse Ressourcen zur Verfügung, 44
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
mit denen die Unterworfenen die Aktivitäten der ihnen Überlegenen beeinflussen können. Dies nenne ich die in soziale Systeme eingelassene Dialektik der Herrschaft.« (Ebd.: S. 67; Hervorhebung im Original)
In der Organisationstheorie wird dieses Akteursverständnis zunehmend diskutiert. Die Organisationstheoretiker Günther Ortmann, Jörg Sydow und Arnold Windeler bauen im Kontext der Organisationssoziologie auf der Theorie der Strukturierung auf und erweitern Giddens’ Ansatz um eine mikropolitische Perspektive. Basierend auf der Annahme, dass Akteurinnen über unterschiedliche Interessen, Ziele und Erfahrungen verfügen, sprechen sie von einem Spannungsverhältnis zwischen kontingenten Spielräumen des Handelns und den in der Handlungspraxis präsenten Strukturen (Ortmann et al., 1997). Die Verbindung zwischen beiden Ansätzen wird anhand des Machtbegriffs verständlich: »Das grundsätzliche mikropolitische Verständnis von Macht als ressourcengestützte Beziehung zwischen den Akteuren, die sich in der Kontrolle relevanter Unsicherheitszonen, in der Begrenzung und Erweiterung fremder und eigener Handlungsspielräume, in Prozessen von Aushandeln ausdrückt (und daraus entsteht), wird hier durch eine strukturtheoretische Verankerung von Macht unterfüttert.« (Wilz, 2002: S. 33)
Diese Vertiefung der Theorie der Strukturierung ermöglicht es, genauer auf die Handlungen der Akteurinnen einzugehen und diese differenzierter in Bezug zu Strukturen zu setzen.
Strukturverständnis bei Giddens Neben den Handlungsbegriffen hat Giddens auch den Strukturbegriff konzeptionell neu ausgearbeitet. Sein Strukturbegriff ist vielseitig und unterscheidet zwischen Struktur(en), sozialen Systemen und Strukturierung. Struktur(en) sind Strukturmomente und sowohl Medium als auch das Ergebnis von Handeln. Sie bestehen aus rekursiv erzeugten »Regeln« und »Ressourcen« außerhalb von Raum und Zeit. Regeln werden dabei als »regelmäßige Praxis« verstanden (Wilz, 2002: S. 32) und sind in zwei Ausprägungen vorhanden: zum einen als formalisierte Regeln wie zum Beispiel Gesetze oder Organisationsvorgaben, zum anderen als verallgemeinerbare Verfahren. Erstere sind Regeln der Sanktionierung, die Vorgaben über korrektes Verhalten machen (Legitimation); letztere fungieren als Bedeutungszuweisungen von Sachverhalten und dienen damit der Sinnkonstitution (Signifikation).
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Formalisierte Regeln existieren jedoch nicht als Regeln an sich, sondern als »codified interpretations of rules« (Giddens, 1984: S. 21; zitiert nach: Walgenbach, 2002: S. 361). Damit verdeutlicht Giddens einmal mehr den konstruktiven Charakter von formalisierten als auch sinnkonstituierenden »Regeln«, die als scheinbare Gegebenheiten fungieren, aber vielmehr gesellschaftliche Interpretationen bzw. Konstruktionen darstellen. Bei den Ressourcen unterscheidet Giddens allokative und autorative Formen. Allokative Ressourcen beinhalten das Verfügen und somit die Herrschaft über materielle Mittel wie Geld und Besitz, während autorative Ressourcen über zwischenmenschliche Hierarchien verlaufen und die Kapazität beschreiben, Herrschaft über Menschen auszuüben. Regeln und Ressourcen sind Dimensionen, die auch zusammen auftreten können. Geld zum Beispiel ermöglicht es, Macht über Menschen und materielle Phänomene auszuüben (Walgenbach, 2002). Wilz bezeichnet den Regel- und Ressourcenbegriff so auch als die strukturelle Basis von Macht und Herrschaft (Wilz, 2002). Strukturen sind jedoch nur gültig, solange sie in Form von »Erinnerungsspuren« vorhanden sind und sich in sozialem Handeln widerspiegeln. Werden Strukturen über einen längeren Zeitraum identisch weitergebildet, erhalten sie systemische Ausprägungen (Walgenbach, 2002). Es entstehen soziale Systeme, die als »reproduzierte Beziehungen zwischen Akteurinnen oder Kollektiven, organisiert als regelmäßige soziale Praktiken«, zu verstehen sind (Giddens, 1997: S. 77). In sie wird über die Strukturierung rekursiv eingegriffen. Abhängig von dem jeweiligen Kontext können soziale Systeme unterschiedlich weit gespannt sein und sich auf einzelne Gesellschaften, Länder oder kleinere Einheiten wie Organisationen beziehen. Organisationen sind in diesem Fall soziale Systeme und keine Strukturen. Im Gegenteil: Sie verfügen als Systeme über Strukturen (Walgenbach, 2002). Strukturierungen sind die »Bedingungen, die die Kontinuität oder Veränderungen von Strukturen und deshalb die Reproduktion sozialer Systeme bestimmen« (Giddens, 1997: S. 77). Sie sind zuständig für die Produktion von sozialen Systemen über Interaktionen. Sicherlich lassen sich Handlungen und Strukturen nicht so einfach trennen, wie das in den obigen Ausführungen erscheinen mag. Die Theorie der Strukturierung ist sich der fließenden Übergänge bewusst und nimmt die Unterscheidung vielmehr aus analytisch-heuristischen Gründen vor.
Giddens’ Dimensionen von Dualität Die Analyse der Strukturierung sozialer Systeme kann nur erfolgen, indem man beobachtet, wie diese in Interaktionen produziert und reproduziert werden. Akteurinnen handeln bewusst abhängig von den jeweils existenten Regeln und Ressourcen. Struktur wird somit nicht als etwas von außen Gegebe46
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
nes erlebt, sondern erst anhand der Handlung deutlich. Sie existiert nur im Wissen der Akteurinnen und realisiert sich in sozialen Praktiken, das heißt in Interaktionen, und gewinnt erst durch diese an Wirklichkeit. Giddens unterscheidet damit eine Struktur- von einer Handlungsebene. Beide sind jedoch eng miteinander verknüpft und formen sich gegenseitig. Zwischen den Dimensionen vermitteln so genannte Strukturierungsmodalitäten – Vorgaben der Struktur, die individuell und somit subjektiv ausgelegt werden. Regeln und Ressourcen sind von der individuellen Interpretation der Mitarbeiterinnen geprägt, die wiederum von ihrer jeweiligen Biographie und Kompetenz beeinflusst werden (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000). Die Modalitäten repräsentieren folglich Strukturen im Handeln. »Modalitäten […] sind als übersubjektive Muster zu verstehen, in die subjektive Biographien und Kompetenzen über das individuelle Handeln der Subjekte eingehen.« (Wilz, 2002: S. 36) Um die Verbindungen zwischen Struktur und Akteurin über Strukturierungsmodalitäten genauer aufzuzeigen, entwickelte Giddens das Modell der »sozialen Dimensionen«. Dieses verdeutlicht die verschiedenen Dimensionen von Struktur (Regeln und Ressourcen) und Handeln sowie die damit verbundenen vertikalen und horizontalen Austauschprozesse. Je Ebene werden drei Dimensionen genannt. Auf Strukturebene sind dies: Signifikation, Herrschaft und Legitimation. Giddens zufolge sind Regeln in Sinnkonstitution und normativer Sanktion gebunden, während Ressourcen in Verbindung mit Machtfragen stehen. Auf Akteursebene macht Giddens die Dimensionen Kommunikation, Machtausübung und Sanktionierung aus. Beide Ebenen werden verbunden über die Modalitäten: interpretative Schemata, Machtmittel und Normen. Der Rückgriff auf interpretative Schemata ermöglicht somit die Kommunikation von Sinnkonstitution und dadurch deren Reproduktion von Regeln. Das Einsetzen der Machtmittel ist abhängig von den Ressourcen zur Machtausübung. Regeln der Legitimation führen anhand von Normen schließlich zu möglichen Sanktionierungsmaßnahmen. Rüegg-Stürm fasst diese Verbindungen wie folgt zusammen: »Wenn Menschen miteinander kommunizieren und agieren, dann nehmen sie bewusst oder unbewusst Bezug auf interpretative Schemata, Machtmittel und Normen und wenden dabei Regeln der Sinnkonstitution, Machtausübung und Legitimation an, die sie dabei (rekursiv) konstruieren.« (Rüegg-Stürm, 2003: S. 101; Hervorhebung im Original)
Mit Signifikation ist demnach die symbolische Ordnung bzw. Sinnkonstitution gemeint, die wiederum die Kommunikationsform prägt. Herrschaft verläuft Giddens zufolge über autorative und allokative Ressourcen, was in Interaktionen zu Macht führt. »Legitimation« bedeutet dabei die normative Regulierung, die sich über Sanktionen äußert. Die genannten Dimensionen 47
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
sind nur für analytische Zwecke in dieser Form zu trennen und stehen sonst in enger Verbindung miteinander. Struktur:
Signifikation
Legitimation
Herrschaft
Modalitäten:
Interpretatives Schema
Normen
Fazilitäten
Interaktion:
Kommunikation
Sanktion
Macht
Abbildung 3: Das strukturierungstheoretische Modell. Abbildung nach: Giddens, 1997: S. 81
Bedeutung der Strukturierungstheorie für die Organisationsanalyse Welche Bedeutung besitzt die Strukturierungstheorie nun für organisationstheoretische Untersuchungen? Anthony Giddens konzentriert sich zwar auf soziologische Aspekte, aber nicht direkt auf organisationstheoretische Phänomene. Dennoch wird er in jüngeren theoretischen Organisationsanalysen zunehmend rezipiert. Seine Ausrichtung auf »Beziehungs-, Kommunikationsund Sinnstiftungsprozesse« ist äußerst hilfreich für konstruktivistische Betrachtungen von organisationsinternen Prozessen (Fried, 2005). Sie ermöglicht eine Analyse organisationstypischer Phänomene, die sich nicht über einseitig formale oder informelle Analysen fassen lassen. Dies kann dadurch geschehen, dass nicht nur formale Strukturen untersucht werden, wie sie in Organisationstheorien lange Zeit dominierten, sondern deren Interdependenzen mit dem sozialen Handeln und der damit verbundenen informellen Seite hervortreten. Das verdeutlicht Konstruktionen auf struktureller wie auch akteursorientierter Ebene sowie die damit in Verbindung stehenden Austauschprozesse. Über den Begriff des »praktischen Bewusstseins« ist es möglich, organisationsinterne Routinen aufzuzeigen, die in dieser Form nicht bewusst sind. Diese Routinen beeinflussen die Art und Weise, wie Prozesse in Organisationen ablaufen. Zunächst einmal bedarf es aber einer Annäherung an die Organisationsanalyse aus der Sicht Giddens’. Organisation kann demnach als »reflexive Strukturation« verstanden werden. »Organisationen werden […] über organisationale Praktiken gekennzeichnet, über in Organisationen wiederkehrend praktizierte Formen des Handelns, und nicht allein über formale Strukturen, strukturelle Eigenschaften oder Input-Output-Relationen, auch nicht nur über Kommunikation und Entscheidung. Organisationale Strukturen 48
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
existieren überhaupt nur im Handeln der Akteure – und sodann, als eine virtuelle Ordnung, in ihren Erinnerungen und Erwartungen.« (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000: S. 317; Hervorhebung im Original)
Das Dualitätsverständnis von Struktur und Handeln spiegelt sich bereits im Organisationsbegriff wider. »Organisation« beinhaltet ein Resultat und entspricht somit einem System organisierten Handelns; »Organisieren« steht für den Prozess als solchen (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000; Schreyögg, 2003). Die Dualität von Handlung und Struktur ist, wie Giddens hervorhebt, weder an beliebige Handlungen noch an starre Gegebenheiten gebunden. Sie ist vielmehr von Kontingenz und damit verbundenen Handlungsspielräumen gekennzeichnet. Organisationsinternes Handeln ist geprägt von der Dualität zwischen Wandel und Stabilität. Es ist »einerseits ›offen‹ und ›frei‹, andererseits ›eingespurt‹ in ›Entscheidungskorridore‹, die durch vorgängiges Handeln und Entscheiden, durch die strukturellen Bindungen in der jeweiligen Handlungssituation entstehen« (Wilz, 2002: S. 31). Der Handlungsspielraum erlaubt es Betroffenen mit weniger Macht, nicht gänzlich ohne Einfluss zu sein. Akteurinnen haben Einfluss auf Machtstrukturen und bestätigen oder widerlegen diese. Das gilt auch in Organisationen.
Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit als spezifischer Organisationstyp Vor dem Hintergrund der entwicklungspolitischen Orientierung dieser Studie gehe ich für eine weitere organisationstheoretische Verortung zunächst auf Organisationen der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit als einem spezifischen Organisationstyp ein. Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit nehmen in der organisationssoziologischen Analyse eine Sonderstellung ein, die es auch theoretisch zu berücksichtigen gilt. Sie sind staatliche und nicht staatliche Organisationen, die regional, national oder international tätig sind und sich von marktorientierten Unternehmen aufgrund ihrer dienstleistungs- und entwicklungsorientierten Ausrichtung abheben. EZOrganisationen kooperieren in Afrika, Asien und Lateinamerika mit Partnerinstitutionen wie NROs, Ministerien oder der Zivilgesellschaft. Sie lassen sich von gesellschaftlichen Normen des jeweiligen Geberlandes leiten und finanzieren sich über Steuergelder und Spenden. Dadurch stehen sie in einem Abhängigkeitsverhältnis und müssen Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen. Jede EZ-Organisation verfügt über eigene Vorgaben, wie unter anderem an M&E- oder auch Abrechnungskriterien deutlich wird. Je Geberland variieren die Schwerpunktsetzungen der Regelwerke noch einmal:
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
»Es überwiegen repräsentative gegenüber basisdemokratischen Strukturen […]. Die externe Finanzierung zwingt sie, die Entwicklungsziele auf den Auftragsgeber abzustimmen.« (Sülzer/Zimmermann, 1996: S. 240)
Obwohl das erklärte Ziel die Überwindung von Unterentwicklung und Armut ist, spielen auch außen- und außenwirtschaftspolitische Interessen der Geberländer eine wichtige Rolle. Entwicklungszusammenarbeit verläuft in den Partnerländern oft über Bildung von strategischen Netzwerken. Akteurinnen sind in einen mehrstufigen, hierarchisierten Organisationsprozess integriert, der in einen interkulturell geprägten Kontext eingebunden ist. Für die mittleren und oberen Mittelschichten in Entwicklungsländern sind die multi- und bilateralen EZ-Organisationen lukrative Arbeitgeber. Sie beeinflussen Erwerbsaussichten und Karrieren. Arbeitsplätze in der Entwicklungszusammenarbeit sind dementsprechend beliebt. Aus soziologischer Perspektive interessant wird die Zusammenarbeit neben der Akteursvielfalt auch aufgrund ihrer interkulturellen Auslegung bzw. Handlungsbedingungen, die, um mit den Worten von Giddens zu sprechen, das Absehen von Handlungsfolgen erschweren. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zeichnet sich auf der Akteursebene zudem durch unterschiedliche Hierarchiekonstellationen aus. Aus administrativen und fachlichen Gründen sind die Führungspositionen der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit im Ausland meist mit deutschen Mitarbeiterinnen besetzt. Die weiteren Ebenen werden dagegen mehrheitlich von lokalen Partnerinnen abgedeckt. Damit treffen in der täglichen Konstruktion der Projektrealität kulturelle Kontexte und Verhaltensweisen, Interessen und Denkarten aufeinander. Inwieweit die Theorie der Strukturierung in diesem komplexen Zusammenwirken von Handlung und Struktur Analysepotential besitzt, wird sich im Folgenden zeigen.
Einbettung von M&E in Giddens’ »Modell der sozialen Dimensionen« Was bedeutet das Modell von Giddens nun konkret für eine Analyse der Planung, Umsetzung und Auswertung von M&E-Aktivitäten? Der Beantwortung dieser Fragestellung geht die Einordnung von M&E in den Organisationskontext voraus. M&E ist ein organisationsinternes Managementinstrument zur Verbesserung der Planung und Umsetzung eines Projekts und somit an Organisationsvorgaben gebunden. Jede Organisation besitzt ihre organisationseigene Definition von M&E. Diese Definitionsvielfalt ist nicht nur mit der Diversität des Begriffs in der wissenschaftlichen Diskussion zu begründen, sondern hängt ebenso von den jeweiligen Organisationen ab. Ganz gezielt versuchen ent-
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THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
wicklungspolitische Organisationen – wie andere auch –, sich abzuheben, um ihre eigene »Corporate Identity« zu stärken. Das Modell von Giddens kann anhand der organisationsinternen Umsetzungsrealitäten von M&E ›durchgespielt‹ werden. Individuelle Sinnkonstitutionen der Mitglieder, normative Vorgaben und Formen der Machtausübung innerhalb von Organisationen und zwischen ihren Mitgliedern sowie anderen Partnerinnen sind Analysekategorien, die die praktische Umsetzung, die sich in der Interaktion widerspiegelt, erklären können. M&E ist geprägt durch ein Set von Regeln und Ressourcen und Teil der organisationalen Struktur. Daran gekoppelte Vorgaben beinhalten Leitlinien, die ein wichtiger Teil der reflexiven Steuerung von Projekten sind. Gemäß der Theorie der Strukturierung ist M&E zu verstehen als eine Bündelung organisationaler Praktiken, die eine reflexive Auseinandersetzung mit Projektmanagementfragen erlauben. Indem Mitarbeiterinnen sich darum bemühen, M&E-Systeme in ihren Projekten zu verankern, reproduzieren sie die Vorstellung, dass die organisationalen M&EVorgaben Gültigkeit besitzen und umzusetzen sind. Die Fokussierung auf die Umsetzungsrealitäten von Erfolgskontrollen macht eine Analyse der Dimension »Signifikation«, das heißt der Deutungsmuster von Organisationsvorgaben, unerlässlich. Permanente kommunikative Sinnerzeugung ist ein zentraler Bestandteil von Signifikation und verläuft gemäß dem relationalen Konstruktivismus über Sprache und Handlung. Nur so vermögen Akteurinnen Sinn aus dem zu beziehen, was ihnen von anderen vermittelt wird. Entscheidungen basieren auf dieser Herstellung von Sinn. Wilz nennt dies in Bezug auf Ortmann »interpretatives Repertoire« (Wilz, 2002: S. 38): Akteurinnen konstruieren Realitäten, indem sie auf unterschiedliche subjektive Wahrnehmungen zurückgreifen (Walgenbach, 2002). Mit dem Eintritt in eine Organisation erklären sich Akteurinnen dazu bereit, sich den organisationsinternen ›Spielregeln‹ zu unterwerfen. Die Orientierung an bzw. Einhaltung von Organisationsregeln ist somit eine erwartbare Konstante. Mitarbeiterinnen nehmen über Kommunikation reflexiv und rekursiv auf strukturelle Vorgaben Bezug, indem sie auf Interpretationsschemata zurückgreifen. In Organisationen drücken sich Deutungsweisen in Form von organisationalen Leitbildern wie einem offenen partizipativen Arbeitsstil oder dem Organisationsvokabular aus (Ortmann, 1995). Routinierte Umsetzungen von allgemeinen Erfahrungswerten, die sich zum Beispiel in der als geeignet erwiesenen Darstellung von Monitoring-Berichten widerspiegeln, können dann über einen längeren Zeitraum Regelcharakter gewinnen. Auch organisatorisches Wissen baut auf diesen Deutungsmustern auf. Es ist aber immer eine Dualität von Wissensstrukturen und Vergewisserungsprozessen, die wiederum zur Reproduktion von Wissensstrukturen führt. Organisationen werden in den Köpfen der Mitarbeiterinnen über Interaktion gebildet und auf diese Weise über das jeweilige Wissen der Beteiligten erschlossen. 51
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Kommunikation drückt sich in internen formellen wie informellen Diskussionen aus, in dem Besuch von Vorträgen und Seminaren und im Lesen von organisationsinternen Informationspapieren, der Hauspost oder Intranetpräsentationen. Bleibt Kommunikation aus, sind die Interpretationen der Akteurinnen entweder regelkonform und bedürfen keines Feedbacks, oder sie weichen ab und ziehen Sanktionierung nach sich. Der Organisationstheoretiker Peter Walgenbach weist jedoch darauf hin, dass eine völlige Übereinstimmung der Interpretationsmuster nicht nötig ist (wenn sie denn überhaupt möglich sein kann) – es muss nur der Eindruck bestehen, dass keine Meinungsunterschiede entstehen (Walgenbach, 2002). Werden Interpretationsmuster in Form von offiziellen Dokumenten festgehalten, können sie Legitimierungscharakter gewinnen und schließlich zu Normen werden. Die für die Verschriftlichung der Interpretationsmuster zuständigen Mitarbeiterinnen werden bei Unklarheiten wie Interpretationsschwierigkeiten oder Abweichungen aufgesucht. Der sich daran anschließende Kommunikationsprozess kann zur Modifizierung von Interpretationen und den daran gekoppelten Normen führen. Inwieweit sich alle Betroffenen jedoch an die Vorgaben halten, hängt von ihrer individuellen Übereinstimmung und Bereitschaft ab. Kieser stellt daher mit den Worten von Friedberg fest, dass es nicht die »Rolle der Formalstruktur einer Organisation ist […], Verhaltenweisen direkt zu bestimmen, sondern Verhandlungsspielräume für die Akteure zu strukturieren« (Friedberg, 1995: S. 151; zitiert nach: Kieser, 2002c: S. 306). M&E-Regeln ermöglichen es, die Arbeit von EZ-Organisationen zu legitimieren. Mitarbeiterinnen der Zentrale und im Auslandsbüro können sich aufgrund der Regeln orientieren, im Falle eines Verstoßes aber auch verantwortlich gemacht werden. Die Berücksichtigung von M&E-Ergebnissen erlaubt es, steuernd in den Projektablauf bzw. die Organisationsprozesse eingreifen zu können. Auch können die Ergebnisse wegen ihrer reflexiven Dualität das weitere Handeln strukturformend beeinflussen. Becker zeigte anhand von Controllingsystemen, wie diese im Laufe der Zeit zu Interpretationsschemata oder Normen werden können. Sie stellen eine Sichtbarmachung der »reflexiven Überwachung«, aber auch eine »Legitimation der Steuerungseingriffe« dar (Becker, 2001: S. 108). Neben den kognitiven Regeln, wie sie in Deutungsmustern sichtbar werden, existieren normative Regeln, die im Fall einer Missachtung zu Sanktionierungsmaßnahmen führen. Normative Regeln basieren auf sozialen Konstrukten von ›korrektem‹ Handeln. Sie bringen zum Ausdruck, was für das Wirklichkeitsempfinden einer bestimmten Zeit Bedeutung besitzt. Sie sind linguistische, sozial ausgehandelte Konstruktionen, die sich über die Zeit zu scheinbar objektiven Tatsachen entwickelt haben. Der Entschluss des Deutschen Bundestags, verstärkt Wirkungsbeobachtung einzufordern, ist Produkt der Kommunikation gegenwärtiger Zeit in 52
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
einem bestimmten Raum. Er beeinflusst die normativen und kognitiven Regelwerke von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit – die abhängig von ihren Organisationsrealitäten unterschiedlich reagieren, was die Berücksichtigung des Entschlusses und ihre Umsetzung betrifft. Dass die Grenzen zwischen Deutungsmustern und Normen fließend sind, wird insbesondere dort deutlich, wo die Deutungsmuster normativen Status gewinnen. Normen dienen als strukturelle Vorgabe, deren Einhaltung organisationsintern erwartet wird. Dass normative Vorgaben konstruierte Strukturdimensionen darstellen, die von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich sind, wird anhand eines Vergleichs der Arbeitseinstellung von deutschen und englischen Managerinnen deutlich: Während in Deutschland das Fachwissen im Vordergrund steht, ist in England eher der richtige Umgang mit den Mitarbeiterinnen von großer Bedeutung. In der täglichen Zusammenarbeit werden diese Regeln und Deutungsschemata reproduziert. Die Unterschiede erklärt Walgenbach mit der »stillschweigenden Bezugnahme auf übergeordnete Institutionen und Wertesysteme« dieser beiden Länder (Walgenbach, 2002: S. 364). Die Umsetzungsrealitäten von M&E-Leitlinien geben Auskunft über die normativen Weltbilder der Akteurinnen. Das Einhalten von Vorgaben und die Logik der Messbarkeit von Wirkungen, um die Arbeitsergebnisse zu verbessern und zu legitimieren, basieren auf europäisch-amerikanischen Einstellungen zum Arbeitsverhalten. Interessant wird es, wenn westliche Strukturen im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit mit außereuropäischen Gesellschaften (wie zum Beispiel ostafrikanischen) in Form von Projektarbeit aufeinandertreffen. M&E ist zentrales Managementinstrument für EZ-Organisationen der Geberländer. Dieser strukturelle Rahmen der Arbeitsumsetzung gilt, vertraglich festgehalten, auch für die afrikanischen Partnerinnen der deutschen Organisationen. Das Regelwerk überträgt sich bei einer Zusammenarbeit und überwindet somit Organisationsgrenzen. Hierbei treffen unterschiedliche Strukturen, Strukturmodalitäten und Handlungen verschiedener Gesellschaftsformen aufeinander, die sich gegenseitig beeinflussen und zu neuen Strukturen führen können. Für diese Studie ist von besonderem Interesse, ob (und wenn ja, welche) Strukturen sich durchsetzen, welche Deutungsmuster und Dynamiken sich entwickeln, und in welchem Verhältnis diese Entwicklung zu Machtrelationen steht. Signifikation und Legitimation stehen schließlich auch in engem Austausch mit Herrschaft, die abhängig von den Fazilitäten auf der Interaktionsebene zu Macht wird. Giddens geht von einem dynamischen Machtbegriff aus. Damit widerspricht er strukturalistischen und funktionalistischen Gedanken, die das Subjekt als von Strukturen dominiert begreifen: Machtdynamiken hängen auch von der Machtakzeptanz der Unterworfenen ab (Becker, 2001).
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Das heißt jedoch nicht, wie Akteurstheorien zum Teil behaupten, dass Akteurinnen ohne strukturelle Zwänge handeln. Die jeweilige Form von Macht ist, so Giddens, zunächst eine Frage von gegebenen Fähigkeiten und Ressourcen. Sie selbst ist keine Ressource. Ressourcen sind Medien, durch die Macht vielmehr als ein Routineelement der Realisierung von Verhalten in der gesellschaftlichen Reproduktion ausgeübt wird. Macht ist, wie anhand der Ungleichheitskategorie »Geschlecht« deutlich wird, eng an soziale Konstruktionen gebunden. Der konstruktivistische Ansatz von Anthony Giddens geht damit (wie auch Pierre Bourdieu) davon aus, dass Individuen nicht nur aktive Konstrukteure ihrer Sozialwelt, sondern auch von Hierarchien und Differenzen sind. Giddens’ Unterteilung in ökonomisch-allokative und politisch-autorative Machtmittel erlaubt eine differenziertere Analyse. Auf Organisationen übertragen werden diese in verschiedenen Formen präsent. Autorative Fazilitäten sind unter anderem zu finden im Verwaltungsapparat, in Arbeitsorganisationen und Planungsinstrumenten, während allokative Fazilitäten zum Beispiel in Geldmitteln, Budgets und Technik zu sehen sind (Ortmann, 1995). Ortmann betont, dass Normen und Deutungsschemata einerseits anhand von Macht etabliert werden, andererseits selber ein wichtiges Machtinstrument sind (Ortmann, 2001). Während Giddens Macht im Rahmen von (allokativen und autorativen) Ressourcen verortet, überträgt Ortmann den Machtaspekt auf beide Dimensionen, Regeln und Ressourcen. Regeln und Ressourcen erstrecken sich somit auf alle Strukturdimensionen. Mehrere Autoren kritisieren diese Vorgehensweise als begrifflich zu unklar und oberflächlich (Held/Thompson, 1989; Bryant/Jary, 1991; Craib, 1992). Dennoch ermöglicht sie eine sinnvollere Analyse der Rekursivität innerhalb der verschiedenen Dimensionen, als dies bei Giddens der Fall ist (Wilz, 2002; Schreurs, 2000). Ortmann spricht hierbei von »horizontaler Rekursivität« (Ortmann, 1995). Normen hängen demnach von konstruierten Deutungsmustern ab, die wiederum von Normen geprägt werden. Die Regeln der Signifikation, Legitimation und der Herrschaft werden unter dem Rückgriff auf allokative und autorative Ressourcen im Handeln der Akteurinnen sichtbar. Ortmann, Sydow und Windeler argumentieren mikropolitisch: Macht ist die Beziehung zwischen den Akteurinnen, die geprägt wird durch Ressourcen. Über diese werden Handlungsspielräume erweitert und Unsicherheiten begrenzt (Ortmann et al., 1990; Ortmann, 1995; Ortmann/Sydow/Windeler, 2000; Ortmann/Sydow, 2001; Funken, 2004). Die Ergänzung von Ortmann, Sydow und Windeler richtet sich nicht nur auf die klassischen Aspekte von mikropolitischen Analysen – Herrschaft, Macht und Interessen –, sondern genauso auf die Wechselwirkungen zwischen den Strukturdimensionen, die im Handeln deutlich werden. Damit unterfüttern sie sozusagen mikropolitische Perspektiven mit der Strukturierungstheorie: 54
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
»Die Durchsetzung der Interessen ist beispielsweise darauf angewiesen, dass sich Akteure sensibel auf herrschende Regeln der Bedeutungszuweisung und Sinnkonstitution (über interpretative Schemata) und auf Regeln der Legitimation (über Normen) beziehen.« (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000: S. 344)
Die Akzeptanz und Interpretation von Regeln ist an die Position und die damit verbundenen Interessen der Betroffenen gekoppelt: »An organisation can be viewed as a social construct that thinks, learns, and acts through its members. It is made up of relations between actors at different levels both within and outside the organisation. The attitudes of staff differ according to their position.« (Cracknell, 2000: S. 181)
Um ihre abteilungsspezifischen wie auch persönlichen Interessen zu erreichen, greifen die Mitarbeiterinnen auf normative Vorgaben, Deutungsmuster und herrschende Fazilitäten zurück. Akteurinnen auf der Managementebene werden von anderen Mitarbeiterinnen schon allein aufgrund ihrer Position als kompetent und entscheidungsbefugt angesehen. Das führt zum Beispiel zu einer Annahme der Interpretationsmuster von Ranghöheren: Managerinnen können etwa durch selbstsicheres Auftreten zur reflexiven Aufrechterhaltung ihrer Position beitragen. Genauso spielen aber auch monetäre Aspekte eine Rolle. Verfügen Akteurinnen über Zugang zu Ressourcen, die für andere Beteiligte von Vorteil sind, werden sich letztere um die Gunst der Ressourcenstärkeren bemühen. Die Grenzen zwischen allokativen und autorativen Ressourcen verwischen. Geld ist beides – einerseits ein Allokationsmittel, andererseits ein Zeichen für Autorität (Walgenbach, 2002). Mittlerweile gibt es einige Veröffentlichungen über die Verbindung von Giddens’ Strukturierungstheorie mit mikropolitischen Ansätzen. Ortmann ist einer der ersten, der diese Verbindung theoretisch ausarbeitete und die Fundierung mikropolitischer Ansätze durch strukturierungstheoretische Denkweisen fordert. Dies geschah besonders für den Bereich der Produktionsorganisation (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000), kann aber, wie diese Studie zeigen wird, genauso gut auf die Umsetzungsrealitäten von Organisationsvorgaben übertragen werden. Hinsichtlich M&E wird Giddens’ Analysemodell unter Zuhilfenahme von Ortmanns Herrschaftsverständnis, wie in Tabelle 1 abgebildet, ›gefüllt‹.
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Strukturen bestehen aus Strukturdimension Modalitäten
Interaktion
Set von Regeln
Ressourcen
Signifikation
Legitimation
Herrschaft
interpretatives Schema
Normen
autorative Ressourcen
allokative Ressourcen
Weltbilder, Mythen, Symbole, die sich in Leitbildern, Strategiepapieren etc. widerspiegeln und von den Akteurinnen interpretiert werden
normative Vorgaben besitzen einerseits gesellschaftliche Gültigkeit, können sich andererseits aber auch aus organisationsinternen Deutungsweisen herausgebildet haben und nun als Norm in Strategiepapieren enthalten sein Sanktion
Hierarchien zwischen Mitarbeiterinnen der Organisationen und ihren Partnerinnen (Verwaltungsapparat)
finanzielle Abhängigkeiten/ Hierarchien (finanzielle Ressourcen)
Politische Macht
Ökonomische Macht
bei Verstoß gegen diese Normen drohen gesellschaftliche wie auch organisationsinterne Sanktionen
M&E-Prozesse sind beeinflusst von organisationsinterner Machtverteilung, basierend auf politischen Aspekten Beispiel: Position innerhalb der Firma Folge: unterschiedliche Handlungsspielräume
M&E-Prozesse sind beeinflusst von organisationsinterner Machtverteilung, basierend auf ökonomischen Aspekten Beispiel: Verteilungs-recht hinsichtlich des Budgets Folge: unterschiedliche Handlungsspielräume
Kommunikation Handeln ist abgestimmt auf das jeweilige individuelle Begriffsverständnis, das regelmäßig über Gespräche mit anderen ausgehandelt wird
Tabelle 1: Strukturierungstheoretisches Modell im Kontext von M&E. Eigene Darstellung nach: Ortmann et al., 1990: S. 25 Übertragen auf eine Organisation wird hier nicht die symbolische Produktion und Reproduktion von Interaktionen untersucht. Vielmehr geht es um die Analyse von an M&E gekoppelten Verständnismustern und um die Frage, inwieweit diese organisationsinternen Vorgaben entsprechen oder von ihnen abweichen. Von dem jeweiligen Begriffsverständnis leiten sich differierende Handlungsweisen ab. Normative und kognitive Regeln, die in Strategiepapieren Aussagen über M&E enthalten, beeinflussen das Handeln und den Hand56
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
lungsspielraum der Akteurinnen vor Ort. Macht wiederum wird über autorative und allokative Ressourcen ausgeübt. Die Ressourcenverteilung entscheidet über Austauschformen innerhalb und zwischen den Organisationen und verläuft über soziale, interdependente Ungleichheitsdimensionen wie zum Beispiel Geschlecht, Nationalität, Bildung, Herkunft (Stadt/Land) und Ethnie.
Strukturierungs- versus Systemtheorie Neben demjenigen von Giddens gibt es ein anderes großes konstruktivistisches Theoriekonstrukt, das häufig für Organisationsanalysen verwendet wird: die Systemtheorie von Niklas Luhmann. Die konstruktivistische Systemtheorie von Luhmann basiert auf der Handhabung von Entscheidungen: »[Organisationen] differenzieren sich aus als ein rekursiv geschlossenes, mit eigenen Entscheidungen auf eigene Entscheidungen bezugnehmendes System, das sich selbst durch ein Verfahren der Eigenzurechnung von Entscheidungen von der Umwelt unterscheiden kann, das deshalb auch von außen als ein System mit selbstgezogenen Grenzen beobachtet und behandelt werden kann.« (Luhmann, 1988: S. 166)
Organisationen sind dementsprechend soziale Systeme, die sich als eigenes System von der Außenwelt abgrenzen. Um das eigene System dauerhaft erhalten zu können, bedarf es konstanter Abgrenzungsmechanismen von der Umwelt: Entweder man gehört dazu (Inklusion) oder man steht außerhalb des Systems (Exklusion). Diese Grenzziehung wird über Entscheidungsprozesse aufrecht gehalten. Für Luhmann sind Entscheidungen für Organisationen zentral. Sie basieren immer auf vorhergehenden Entscheidungen und beeinflussen wiederum zukünftige. Es muss dabei abhängig von den Rahmenbedingungen die beste Entscheidung gewählt werden. Damit wird die Kontingenz der Entwicklung deutlich: Es kann so oder auch anders ablaufen. Wie sich etwas entwickelt, ist immer auch abhängig von der jeweiligen Konstitution der Wirklichkeit. Veränderungen in der Umwelt beeinflussen Entscheidungen bzw. führen zu neuen. Das System entscheidet, welche Außeneinflüsse es für relevant hält. Ziel ist die Komplexitätsreduktion, um das Gleichgewicht bzw. den Erhalt des Systems zu sichern. Jede Entscheidung birgt aber auch ein Risiko und die Unsicherheit der kontingenten Entscheidungsfolgen. Für die Bildung sozialer Systeme ist Kommunikation ein elementarer Teil. Luhmann unterteilt Bewusstsein und Kommunikation in zwei unabhängige Systeme: das psychische und das soziale System. Beide Systeme sind autopoietisch. Sie besitzen Strukturen und grenzen sich von ihrer Umwelt ab. Kommunikation unterliegt als System eigenen Regeln und steht nicht in Zusammenhang mit den so genannten psychischen Systemen von Menschen (Luhmann, 1988; Aderhold, 2003; Wilz, 2002; Rüegg-Stürm, 2003). Diese 57
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Trennung führt zu einer Ausklammerung des Subjekts und erinnert an Theorien wie die Optimierungsansätze, die die formale Seite einer Organisation betonen: Mitarbeiterinnen sind nicht als ganze Persönlichkeiten präsent, sondern füllen eine genau vorgegebene Arbeitsaufgabe aus. Sie sind rational handelnde Personen, die allein ihre Leistung und nicht ihren persönlichen Hintergrund einbringen. Das Subjekt wird Weber und Taylor entsprechend auf seine Arbeitskraft reduziert; Rationalität und planbare Leistungsfähigkeit stehen im Vordergrund. Systemtheoretische Ansätze besitzen in der Organisations- und Managementlehre einen hohen Stellenwert und werden für zahlreiche Organisationsanalysen genutzt. So zieht man sie auch zu Rate, wenn Lernprozesse ausbleiben. Aus systemtheoretischer Sicht lässt sich das schnell erklären: Organisationen greifen auf ihre im Laufe der Zeit entwickelten Routinen und Regelmäßigkeiten zurück. Die Einführung von M&E ist jedoch eine Neuerung, die von außen auf das System einwirkt. Befinden sich Veränderungen nach Ansicht der Organisationsmitglieder außerhalb der Systemgrenze, dann werden diese vernachlässigt. Neuerungen werden als nicht plausibel und verunsichernd wahrgenommen. M&E wird demnach als außerhalb der Systemgrenzen stehend abgelehnt und nicht integriert. Das System wehrt sich gegen sie, um seine Systembalance halten zu können (Fried, 2005; Hanft, 2003). Die Trennung zwischen dem Organisationssystem und den Systemen seiner Mitarbeiterinnen lässt sich in dieser Form jedoch nicht in dieser Konsequenz akzeptieren, ignoriert sie doch zwischenmenschliche Machtverhältnisse und die damit verbundenen Handlungsgründe verschiedener Akteurinnen, auf die in mikropolitischen Theorien hingewiesen wird. Akteurstheoretische Theorien zeigen, dass Akteurinnen durch ihre Biographien und die damit verbundenen Interessen und Motivationen geprägt sind, was sich unmittelbar auf organisationale Prozesse auswirkt. Abhängig von dem jeweiligen Hintergrund wird unterschiedlich kommuniziert und agiert. Eine Reduktion der Handelnden auf rationales Verhalten klammert jedoch machtdominierte Dynamiken zwischen Akteurinnen aus. Der systemtheoretisch erklärten Trägheit der Organisationen widerspricht Ortmann unter Anlehnung an Giddens mit dem von ihm geprägten Begriff der »Unwiderstehlichkeit des Wandels« (Hanft, 2003). Darunter versteht er Veränderungen, die stattfinden, obwohl sie nicht geplant waren. Wandel verläuft demnach nie unabhängig von Akteurinnen. Dieser Aspekt entspricht dem zentralen Gedanken von Crozier und Friedberg (1979), dass es keine vollkommene Machtlosigkeit gibt. Jeder Mensch hat die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen – und tut dies durch seine Handlungen. Hanft verdeutlicht das, basierend auf ihren Studien zu Evaluation und Organisationsentwicklung, anhand der Existenz von Machtkämpfen zwischen Akteurinnen (Hanft, 2003). Evaluationsergebnisse werden demnach nur dann genutzt, wenn sie den Interes58
THEORETISCHER ANALYSERAHMEN
sen der Beteiligten entsprechen. »Evaluationen werden negiert oder verschwiegen oder aber in den Vordergrund gerückt, wenn sich dies im Machtpoker als nützlich erweist.« (Ebd.: S. 10) Ortmann und Kollegen würden dies als die dahinterstehende Politikhaftigkeit von organisationsinternem Handeln bezeichnen (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000).
Kritische Würdigung Die Theorie der Strukturierung hat zahlreiche Reaktionen hervorgerufen. Einige Autoren monieren, dass im deutschsprachigen Raum Zurückhaltung bei der Rezeption von Giddens zu beobachten ist (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000; Walgenbach, 2002). Hierfür sind mehrere Gründe denkbar. Giddens bleibt zum einen oftmals zu allgemein und unspezifisch. Hauptproblem der Theorie der Strukturierung ist zum anderen besonders ihre unklare Verwendung von Begrifflichkeiten, die zum Teil sogar in Widersprüchlichkeiten endet (Held/Thompson, 1989; Bryant/Jary, 1991; Craib, 1992). Walgenbach führt die unterschiedliche Definition der Reflexionsfähigkeit der Akteurinnen als Beispiel auf: Einmal wird diese so beschrieben: »[E]very social actor knows a great deal about the conditions of reproduction of the society«, während es ein andermal heißt: »[T]here is a great deal which they do not know about the conditions and consequences of their activities.« (Walgenbach, 2002: S. 371) Giddens selber begegnet der Kritik, indem er auf Sinn und Zweck der Theorie der Strukturierung hinweist, einen allgemeinen theoretischen Rahmen zu bieten, der in einem nächsten Schritt anhand von Untersuchungen zu füllen ist. Der integrierende Charakter seiner Theorie, der Kontroversen auslöst und Begrifflichkeiten auswäscht, vermag es andererseits, verschiedene Denkschulen über reflexive Austauschprozesse von Strukturdimensionen zusammenzuführen und somit aus holistischer Sicht vielseitige Facetten aufzuzeigen. Bryant lobt neben diesem Integrationsaspekt auch die Nutzbarmachung für empirische Studien. Giddens fülle die Lücke zwischen abgehobener Theorie und empirischer Theorielosigkeit. Er ermögliche konkrete empirische Untersuchungen, ohne diese theoretisch zu kurz kommen zu lassen (Bryant, 1999). So verwundert es nicht, dass besonders in den letzten zehn Jahren empirische Arbeiten unter anderem auch in der Organisationsforschung auf Giddens zurückgegriffen haben. Ziel dieser Untersuchungen war es aber nicht, nur den theoretischen Wert zu testen, sondern auf einen Interpretationsrahmen zurückgreifen zu können. Dieser Rahmen ermöglicht die Analyse zweier Perspektiven, der Handlung und der Struktur, und schafft damit den notwendigen Brückenschlag zwischen einer rein strukturellen Ausrichtung einerseits und einer auf Akteurinnen bezogenen Analyse andererseits. Beide Sichtweisen besitzen ihren eigenen Erklärungswert, sind aber jede für sich genommen zu sta59
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
tisch: Handeln ist weder rein voluntaristisch noch einseitig strukturell dominiert (Walgenbach, 2002). Will man die Dynamiken beobachten, die zwischen der theoretischen Vorgabe und deren praktischer Umsetzung stehen, kommt man nicht um eine Integration der Aspekte Struktur und Handlung herum. M&E ist demnach eine Leitlinie, deren Umsetzung sowohl von weiteren organisationsinternen als auch -externen Strukturkonstruktionen genauso abhängig ist wie von der konstruierenden Auslegung und Umsetzung durch Mitarbeiterinnen. Giddens’ Modell der »sozialen Dimensionen« differenziert die komplexen Austauschprozesse zwischen beiden Seiten. Über die Integration der oftmals unberücksichtigten Aspekte Ökonomie und Politik kommt es zu einer »Rückkehr der Gesellschaft« in die Organisationstheorien (Ortmann/ Sydow/Windeler, 2000: S. 327). Wie diese vielseitigen Vernetzungen in den untersuchten deutschen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit aussehen, beschreibe ich anhand der erhobenen Daten im Analyseteil. In Kapitel 5 werden die hier vorgestellten Begriffe mit Beispielen zweier Organisationen und ihrer Projektarbeit im östlichen und südlichen Afrika gefüllt. Dadurch wird das Erklärungspotential der Theorie Giddens’ und ihrer Erweiterung durch Ortmann aufgezeigt. Eine kritische Analyse des Giddens’schen Analyserahmens erfolgt dann in Kapitel 6, nachdem das Modell auf seine Anwendbarkeit und Analysefunktion geprüft wurde.
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4 Methodologische Vorgehensw eise
4.1
Einleitung
Der empirische Teil der Studie basiert auf einer komparativen Untersuchung in Form einer Querschnittsanalyse. Sie verfolgt explorativ einen Multimethoden-Ansatz, der sich sowohl qualitativer wie auch quantitativer Methoden bedient. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf einer qualitativen Vorgehensweise. Gemäß der konstruktivistischen Epistemologie werden Organisationen als soziale Konstrukte gesehen, die »Bedeutung für ihre Mitglieder durch ihre Wahrnehmung, Deutung und Interpretation gewinnen« (von Kardorff, 2000: S. 238). Qualitative Methoden ermöglichen es im Vergleich zu quantitativen Methoden besser, Einblicke in diese individuellen Wirklichkeitskonstruktionen zu erhalten. Dies bezieht die Konstruktion von sozialen Realitäten beider Seiten, der Interviewpartnerinnen und der Forscherinnen, ein und ermöglicht damit das Aufarbeiten von Subjektivität während der Dateninterpretation. Im Vergleich zur monomethodischen Herangehensweise erhält man vielfältigere Einblicke und Aussagen. Der Multimethoden-Ansatz erlaubt ein cross-checking der Daten und somit die Überprüfung von Validität und Reliabilität (Stockmann, 1996; Schönhuth/Kievelitz 1993). Die Erhebung der Daten erfolgte in mehreren Schritten. Der Wahl der Untersuchungseinheiten schloss sich eine zwölfmonatige Erhebungsphase bei den Projekten in Tansania, Malawi und Sambia sowie mehrere Besuche der jeweiligen Zentralen der untersuchten Organisationen in Deutschland an. Die Wahl einer Mehrebenenanalyse berücksichtigt die verschiedenen Perspektiven der Akteurinnen in Deutschland und den afrikanischen Untersuchungsgebieten, innerhalb der Geberorganisationen sowie zwischen ihren Partnerinnen. Sie ermöglicht damit Einblicke in verschiedene Wirklichkeitsrealitäten und ihre Einflüsse auf organisationsinterne Prozesse.
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Geprägt von den zahlreichen Erhebungen im Rahmen von Forschungen und Projektevaluationen sind lokale Mitarbeiterinnen ausländischen Datenerheberinnen gegenüber kritisch eingestellt. Die zwölfmonatige Erhebungsphase in Afrika steuerte dem entgegen und legte den Grundstein für den gegenseitigen Aufbau von Vertrauen.1 Am besten funktionierte dies über informelle Gespräche und der Partizipation an organisationsinternen Arbeitsabläufen. Diese Form der teilnehmenden Beobachtung verbessert die Datenqualität und das Verständnis für fremde Kulturen, das wiederum für die Dateninterpretation zentral ist. Entsprechend dem strukturierungstheoretischen Modell von Giddens bestand das Ziel darin, mehr über interpretative Schemata, Legitimationsstrukturen und Machtdynamiken zu erfahren. Um den theoretischen Anforderungen gerecht zu werden, wurde eine Kombination aus folgenden Methoden gewählt, die aufeinander aufbauen: Aktenanalyse, Fragebögen, problemzentrierte Leitfadeninterviews (mit Mitarbeiterinnen der Zentralen in Deutschland, deutschen Auslandsmitarbeiterinnen, afrikanischen Mitarbeiterinnen und Partnerinnen) sowie teilnehmende freie Beobachtung. Kernstück der Untersuchung waren die Interviews, in denen Problemstellungen unter Zuhilfenahme eines Leitfadens festgehalten und im Gespräch angesprochen wurden. Dem Befragten blieb daher genügend Freiraum für offene Ergänzungen (Witzel, 1985; Mayring, 2002).
4.2
Untersuchungseinheiten
Für eine komparative Analyse suchte ich drei Frauenrechtsprojekte, die von unterschiedlichen Organisationen getragen bzw. implementiert wurden. Die 1
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Dazu gehörte meine mehrmonatige Mitarbeit als Gutachterin in den Projekten A und B/2. Während ich in Projekt A nach Ende der Datenerhebung Einführungstrainings zu M&E organisierte und moderierte, war es in Projekt B/2 meine Aufgabe, ein Monitoring-System zu erstellen. 2004 erhob ich die für das Projekt benötigten ersten Monitoring-Daten; 2005 war ich verantwortlich für die Abschlussevaluation. Die Tätigkeiten ermöglichten mir intensive informelle Kontakte mit deutschen und lokalen Mitarbeiterinnen und der Projektzielgruppe sowie tiefe Einblicke in die Projektrealitäten von M&E. Das gesammelte Wissen kam mir besonders während der Analyse der für diese Studie erhobenen Daten zugute. Dennoch bin ich mir durchaus bewusst, dass sich meine Doppelrolle als Gutachterin und Datenerheberin auf meine Gesprächspartnerinnen in Malawi auswirkte. Das Feldtagebuch ermöglichte mir zwar auch während meiner Gutachterinnentätigkeit die Reflektion meiner Rolle, inwieweit meine Funktion jedoch die Aussagen der Befragten beeinflusste, konnte ich letztlich nicht genau ermitteln. Obwohl die Kombination einer etischen und emischen Sicht nicht unproblematisch ist, war sie für das bessere Verständnis der Machtdimensionen bei der Erstellung von M&E meiner Meinung nach sehr hilfreich.
METHODOLOGISCHE VORGEHENSWEISE
Teilnahmebereitschaft potentieller Organisationen erwies sich jedoch als gering. Nur zwei deutsche Geber2, Organisation A und B, zeigten Interesse, an der Analyse teilzunehmen. Die übrigen Organisationen lehnten, wie mir bestätigt wurde, eine organisationssoziologische Untersuchung ihrer Wirkungsbeobachtung ab, weil sie eine Bestandsaufnahme ihrer Arbeit scheuten. Die Auswahl der Untersuchungsgebiete wurde von folgenden Kriterien bestimmt: • Geberorganisationen stammen aus Deutschland; • Projekte liegen im östlichen bzw. südlichen Afrika; • Projekte weisen eine Laufzeit von mindestens zwei Jahren auf, da erst dann erste M&E-Erhebungen möglich sind; • Projekte arbeiten auf der Meso- und Mikroebene; • Projekte besitzen Interesse an meinem Forschungsvorhaben und zeigen sich kooperativ. Die Projekte der komparativen Analyse sind in Tansania, Malawi und Sambia angesiedelt – eine Region, in der sich die traditionelle Stellung der Frau und die ihr zugeschriebenen Rollenmuster ähneln. Das Gleiche gilt für die rechtliche Stellung von Frauen und Mädchen. Nachdem nur zwei Projektteams in Tansania und Sambia ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit erklärt hatten, entschied ich mich dafür, zunächst selbst ein M&E-System für ein Frauenrechtsprojekt in Malawi zu erstellen. Dieses wurde von Organisation B implementiert und konnte nach einer einjährigen Laufzeit besucht und ausgewertet werden. Die gewählte Vorgehensweise erwies sich als sehr hilfreich, um tiefere Einblicke sowohl in die Umsetzbarkeit der theoretischen Vorgaben als auch die damit verbundenen Dynamiken innerhalb der Wirklichkeitskonstruktionen der Akteurinnen zu gewinnen. Ich erhielt somit nicht nur etische, sondern auch emische Einblicke3 in die Umsetzungsrealitäten von M&E-Systemen sowie den Umgang mit den dabei erhaltenen Daten. Diese Kombination aus externer und interner Sicht verdeutlichte organisationsinterne Strukturen und deren (Re-)Produktion über Arbeitsabläufe vor dem Hintergrund einer interkulturellen Zusammenarbeit unter der Teilhabe einer Vielzahl von Akteurinnen auf unterschiedlichsten Ebenen. Die emische Sicht ermöglichte mir eine erweiterte Wirklichkeitskonstruktion, die ein besseres Verständnis der Aussagen der Akteurinnen zur Folge hatte. Der 2
3
»Geber« (= die Entwicklungszusammenarbeit der finanzierenden Industrieländer) und »Nehmer« (= die diese Mittel verwendenden Entwicklungsländer) werden in der Entwicklungszusammenarbeit mittlerweile als feststehende Begriffe verwendet. Daher wird in dieser Studie nicht auf eine gendersensible Schreibweise beider Begriffe zurückgegriffen. Beide Konzepte spielen in der Sozialforschung eine Rolle. »Emisch« bedeutet die Innenperspektive aus den Augen der Teilnehmerin der untersuchten Kultur. »Etisch« dagegen ist die Sicht aus der Rolle der außenstehenden Beobachterin, deren Wissen und Vokabular für die Analyse berücksichtigt werden muss. 63
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
regelmäßige Rückgriff auf teilnehmende Beobachtung und die damit verbundene Reflektion der eigenen Situation half mir, sowohl meine persönliche Rolle als auch die der Gesprächspartnerinnen zu berücksichtigen. Sambia: Organisation B Projekt B/1
Tansania: Organisation A Projekt A
Malawi: Organisation B Projekt B/2
Abbildung 4: Geographische Lage der untersuchten Frauenrechtsprojekte. Karte: CIA, 2003
Organisation A – Tansania Der Arbeitsschwerpunkt von Organisation A liegt auf Demokratieförderung, Entwicklung und Frieden; sie will zu mehr Partizipation, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gerechtigkeit und gewaltfreier Konfliktregelung beitragen. In Tansania unterhält sie ein Landesbüro, das unter anderem die Förderung von Gender-Gleichheit zum Ziel hat. Dies erfolgt im Rahmen einer rechtlichen Stärkung von Frauen über die Institutionalisierung von Laienjuristen, die Aufklärungskampagnen umsetzen und Beratungsangebote anbieten. Hierbei finanziert Organisation A Trainingsworkshops, die von tansanischen Frauenrechtsorganisationen umgesetzt werden.
Organisation B – Sambia Organisation B zielt darauf ab, weltweit politische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung voranzutreiben. Das untersuchte Projekt ist im Rahmen der Förderung von Zivilgesellschaft, Recht und Demokratie angesie64
METHODOLOGISCHE VORGEHENSWEISE
delt. Es hat zum Ziel, die rechtliche Stellung von Frauen und Mädchen durch Rechtssensibilisierung, ein verbessertes und zugänglicheres Gerichtswesen und Rechtsreformen zu verbessern. In zwei Provinzen werden Rechtskenntnisse an »Local Court Justices«4 vermittelt sowie Frauen und Männer in Rechtsfragen ausgebildet. Dies soll sie befähigen, als Laienjuristen tätig zu werden und somit einen Multiplikatoreneffekt zu erfüllen.
Organisation B – Malawi In Malawi ist der Lebensalltag von Frauen oftmals von Gewalt im familiären und öffentlichen Raum geprägt. Der Handlungsspielraum von Frauen wird eingegrenzt durch ein plurales Rechtssystem5, die Unkenntnisse der rechtlichen Möglichkeiten und durch ihre ökonomische Abhängigkeit von Männern. Das Projekt trägt dazu bei, die sozialen und rechtlichen Rahmenbedingungen derart zu verändern, dass Frauen die Möglichkeiten haben, für ihre Rechte einzutreten. Dies soll erreicht werden über Rechtsreformprozesse, Stärkung von Organisationen, welche die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt zum Ziel haben, Bildung von traditionellen und staatlichen Unterstützungs- und Referenzsystemen sowie Ausbildung und Organisation von Laienjuristinnen.
4.3
Au s w a h l v e r f a h r e n u n d S t i c h p r o b e n
Um die verschiedenen Perspektiven der Akteurinnen und die daraus entstehenden Austauschprozesse einzufangen, arbeitete ich mit einer Mehrebenenanalyse. Die Ebenen gehen auf die unterschiedlichen Stufen der Projektverwaltung und -umsetzung ein. In den untersuchten Vorhaben verlaufen sie von der Zentrale über Führungskräfte an lokale Mitarbeiterinnen und von diesen zu den Partnerinnen (siehe Abb. 5). Es existieren somit unterschiedliche Austauschformen und Rückkoppelungsprozesse innerhalb und zwischen den Ebenen. Vor dem Hintergrund einer konstruktivistischen Herangehensweise gilt es zu berücksichtigen, dass die Wirklichkeitskonstruktion von den Akteurinnen abhängig ist, mit denen über regelmäßige Interaktionen Realitäten konstruiert werden. Es bedarf daher einer analytischen Integration des Gegenübers, die während der interaktiven Aushandlungsprozesse für die Wirklichkeitsbildung maßgebend ist. Eine Mehrebenenanalyse vermag, Ähnlichkeiten 4 5
Laienrichter, die keine Ausbildung erhalten haben und oftmals wegen ihrer traditionell-einseitigen Vorstellungen über die Rolle und Stellung der Frau befangen sind. In Malawi existiert neben dem staatlichen Rechtswesen eine traditionelle Rechtsprechung. 65
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
und Unterschiede der Wirklichkeitskonstruktionen aufzuzeigen und damit Erklärungen für den geplanten und ungeplanten, positiven und negativen, erwarteten und unerwarteten Verlauf von Prozessen in Organisationen zu geben. Zentrale in Deutschland
deutsche Bürobzw. Projektleitung im Ausland
deutsche bzw. lokale Mitarbeiterinnen im Ausland
Partnerinnen im Ausland
Abbildung 5: Darstellung der Austauschprozesse zwischen den projektinternen Ebenen. Eigene Darstellung Insgesamt führte ich 74 Interviews (siehe Tab. 3). Die untersuchten Projekte verfügen aufgrund ihrer finanziellen und administrativen Konzeption über keinen großen Mitarbeiterinnenstab. Die Anzahl der Fragebögen bzw. Interviewteilnehmerinnen war somit limitiert. Deswegen interviewte ich zu einigen Themenbereichen ergänzend Mitarbeiterinnen anderer Projekte derselben Organisationen. Während der Datenerhebung legte ich zwar größten Wert auf ausgeglichene Geschlechterverhältnisse, aufgrund der Projektstrukturen standen aber mehr Interviewpartnerinnen zur Verfügung. In Frauenrechtsprojekten sind oftmals größtenteils Frauen tätig. Gerade vor dem Hintergrund der Gender-Debatte bedürfte diese Tatsache einer gesonderten Analyse, die im Rahmen dieser Studie jedoch nicht vorgenommen werden kann. Ich befragte Akteurinnen auf folgenden Ebenen: • Mitarbeiterinnen der Zentrale der untersuchten Organisationen; • deutsche Mitarbeiterinnen der jeweiligen Geberorganisation; • lokale Mitarbeiterinnen der Geberorganisationen; • lokale Mitarbeiterinnen von Partnerorganisationen (Nichtregierungsorganisationen etc.) und weitere an den M&E-Aktivitäten Beteiligte wie Laienjuristen.
66
METHODOLOGISCHE VORGEHENSWEISE
Die Untersuchungseinheiten dieser Studie sind dem Wunsch der Teilnehmerinnen entsprechend anonymisiert worden. Ich habe es mir daher vorbehalten, innerhalb der Protokollaufschriebe und Transkriptionen Auslassungen bzw. Änderungen vorzunehmen, die es ermöglichen, den Persönlichkeitsrechten der Gesprächspartnerinnen im Sinne des Datenschutzes gerecht zu werden.
4.4
Datenerhebungsmethoden
Aktenanalyse Informationen über Regelwerke unterschiedlicher Organisationen erhielt ich über die Sichtung und Auswertung der für die Planungs- und Durchführungsphasen vorhandenen Dokumente in Deutschland und den afrikanischen Untersuchungsgebieten (Mayring, 2002). Die meisten Vorgaben lagen nur intern vor und waren nicht öffentlich zugänglich. Internet-, Intranetrecherchen und Besuche der zu den Zentralen und Projekten gehörenden Bibliotheken waren die wichtigsten Schritte bei der Suche und Sammlung der Unterlagen. Das Dokumentenstudium diente einerseits als Analysegrundlage und anderseits als ›Nachlese‹, durch welche die Aussagen der Interviews oder Fragebögen um weitere Informationen ergänzt werden konnten. Die Auswertung verlief strukturiert: Es wurden anhand vorher definierter Merkmale Textteile herausgefiltert (zum Beispiel: Definitionen von M&E; Schlüsselbegriffe, die mit M&E in Verbindung stehen etc.). Die analysierten Materialien entsprechen mittlerweile zum Teil nicht mehr dem neuesten Stand.
Fragebogen Ein umfangreicher Fragebogen zielte darauf ab, in den afrikanischen Untersuchungsgebieten mehr über die Einschätzungen von M&E auf der Ebene der Führungskräfte und Mitarbeiterinnen bzw. Partnerinnen zu erfahren. Der Fragebogen ist dreigeteilt und besteht aus formalen Fragen zur Planung, Umsetzung und Analyse des M&E. Das Abfragen von impliziertem Wissen stand hierbei im Vordergrund. Der Bogen wurde in mehreren Probedurchläufen getestet und überarbeitet. Aufgrund der geringen Anzahl von Mitarbeiterinnen, die für das Ausfüllen in Frage kamen, wurden insgesamt nur zwölf Bögen beantwortet (siehe Tab. 2). Eine quantitative Analyse war somit nicht möglich. Ziel des Fragebogens war jedoch von Beginn an keine Totalerfassung, sondern das Herausarbeiten von Ähnlichkeiten und Unterschieden in der Projektwahrnehmung. Die Ergebnisse des Fragebogens wurden herangezogen, um im Rahmen einer qualitativen Analyse erste Muster herauszuarbeiten und damit einen wertvollen Beitrag zur Erweiterung der Ergebnisse der qualitati67
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
ven Methoden und ihrer Interpretation zu bieten. Hier kann mit der Organisationstheoretikerin Anke Hanft geschlossen werden: »Bei der Interpretation der Daten steht im Zentrum weniger die Herstellung statistischer Repräsentativität als die Herausarbeitung der für den Untersuchungsgegenstand konstitutiven Merkmale.« (Hanft, 1995: S. 14) Organisationsebene der Befragten Mitarbeiterinnen der Zentralen in Deutschland Deutsche Mitarbeiterinnen im Ausland Afrikanische Mitarbeiterinnen Afrikanische Partnerinnen Summe
Deutschland
Tansania Sambia
Malawi
Summe
w
m
w
m
w
m
w
m
w
m
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
4
1
3
–
1
–
8
1
–
–
–
–
1
1
1
–
2
1
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
4
1
4
1
2
–
10
2
m = männlich, w = weiblich
Tabelle 2: Anzahl der ausgefüllten Fragebögen
Problemzentrierte Leitfadeninterviews Um eine Fokussierung auf bestimmte, vorher festgelegte Sachverhalte und Problemstellungen sicherzustellen, wurde auf leitfadengestützte Interviews zurückgegriffen, die anhand von Probeinterviews entwickelt worden waren. Der Vorteil unstandardisierter Befragungstechniken liegt in ihrer Offenheit: Der Diskussionsprozess kann frei, auf die Situation abgestimmt und sensibel gesteuert werden. Interviewpartnerinnen erhalten dadurch die Möglichkeit, sich selbst nach eigenen Wünschen auszudrücken. Klassische Rollenverteilungen standardisierter Interviews werden dadurch aufgebrochen. Besonders bei sensiblen Themen bietet sich für die Beteiligten die Möglichkeit, ihre Meinung offenzulegen. Im Rahmen dieses Diskussionsprozesses werden Wahrheiten gemeinsam ausgehandelt (Hüsken, 2006). Die Mehrebenenanalyse erforderte eine differenzierte Berücksichtigung der Gesprächspartnerinnen, abhängig von ihrer Position. Um verlässliche Informationen über die jeweilige Wirklichkeitskonstruktion zu erhalten, wurden diese im Rahmen des Interviews zwischen den Beteiligten regelmäßig neu ausgehandelt. Die Interviews richteten sich an Mitarbeiterinnen der Träger68
METHODOLOGISCHE VORGEHENSWEISE
und Implementierungsorganisationen sowie an die Zielgruppe der Projekte. Die Auswahl der Gesprächspartnerinnen erfolgte abhängig von den jeweiligen Ebenen innerhalb des Projekts, dem Geschlecht sowie der Bereitschaft zur Teilnahme. Anhand mehrerer Probeinterviews wurde der Leitfaden getestet und modifiziert. Die Interviews fanden je nach individuellem Wunsch an dem Arbeitsplatz der Beschäftigten oder an einem neutralen Ort statt. Sie dauerten zwischen 30 und 100 Minuten. Die 74 Interviews wurden von mir unterschiedlich festgehalten und aufbereitet. 32 Interviews sind auf Tonband aufgezeichnet, transkribiert und anonymisiert. Organisationsebene der Befragten
Deutschland
Tansania6
Sambia
Malawi
Summe
w
m
w
m
w
m
w
m
w
m
Mitarbeiterinnen der Zentralen in Deutschland
4
2
–
–
–
–
–
–
4
2
Deutsche Mitarbeiterinnen im Ausland7
–
–
3
2
2
–
2
2
7
4
Afrikanische Mitarbeiterinnen
–
–
2
–
–
–
4
–
6
–
Afrikanische Partnerinnen
–
–
10
1
6
9
14
11
30
21
Summe
4
2
15
3
8
9
20
13
47
27
m = männlich, w = weiblich
Tabelle 3: Anzahl der Interviewteilnehmerinnen Ich transkribierte wörtlich, aber nicht im Höchstmaß detailgenau. Eine Inhaltsanalyse stand im Vordergrund. Weitere 42 Interviews protokollierte ich aus forschungspragmatischen Gründen ausführlich mit, da Aufnahmegeräte die Interviewpartnerinnen in ihren Aussagen beeinflusst hätten. Tonbandgeräte erzeugten bei einigen Angst bzw. drohten, zu einer angespannten, nicht of-
6 7
In Tansania wurden nicht nur Gespräche mit Mitgliedern von Organisation A, sondern auch von Organisation B geführt. Sieben der Interviews fanden mit Mitarbeiterinnen anderer Projekte derselben Organisationen in Form von Ergänzungsinterviews statt. Hierbei wurde nur auf einige Aspekte des Leitfadens eingegangen, die losgelöst von dem Frauenrechtskontext sind. 69
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
fenen Gesprächssituation zu führen (Bohnsack/Marotzki/Meuser, 2003; Flick, 2004; Flick/von Kardoff/Steinke, 2000). Um die unmittelbare Organisationsebene einzufangen, fand innerhalb der Interviews eine Gewichtung statt. Interviews auf der Ebene »Mitarbeiterinnen der Zentrale« sowie »deutsche und lokale Mitarbeiterinnen im Ausland« wurden als Experteninterviews hervorgehoben und ausführlicher analysiert. Die Befragten wurden dabei als Expertinnen ihrer Arbeitssituation angesprochen. Ihre Auswahl orientierte sich anhand der Arbeitsebene, der Funktion und dem spezifischen Expertenwissen. Die transkribierten und protokollierten Interviews anonymisierte und kodierte ich. Abbildung 6 enthält eine Darstellung des Kodes, der Grundauskunft über Gesprächspartnerinnen gibt. Bei Zitaten wird im Folgenden als Quellenangabe auf diese Kodes zurückgegriffen. Beispiel: T-F-D-A Bedeutung: Deutsche Projektmitarbeiterin der Organisation A in Tansania erster Buchstabe:
Projektland (M = Malawi; T = Tansania; Z = Sambia; D = Zentralen in Deutschland)
zweiter Buchstabe:
Geschlecht (F = Frau; M = Mann)
dritter Buchstabe:
Nationalität; nur aufgeführt, wenn Projektland und Nationalität voneinander abweichen (D = Deutsche)
vierter Buchstabe:
Projektzugehörigkeit (A = Organisation A; B = Organisation B)
Abbildung 6: Bedeutung der verwendeten Interview-Kodes
Teilnehmende freie Beobachtung Während der Beobachtungen war es mir möglich, an den verschiedenen Phasen der unterschiedlichen M&E-Systeme zu partizipieren. Dies erlaubte Einblicke in die Innenperspektive des organisationsinternen Arbeitsalltags. Bei den Beobachtungen standen Austauschprozesse zwischen den Beteiligten und ihrem Handeln vor dem Hintergrund der projekt- und organisationsinternen Hierarchien im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Beobachtungen wurden in Form von Feldnotizen festgehalten, welche es ermöglichen, Aussagen der Interviews zu ergänzen (Mayring, 2002; Bohnsack/Marotzki/Meuser, 2003; Flick, 2004; Flick/von Kardoff/Steinke, 2000).
70
METHODOLOGISCHE VORGEHENSWEISE
4.5
Datenauswertung
Im Folgenden gehe ich ausführlich auf das Kernstück der empirischen Analyse, die Ergebnisse der Leitfadeninterviews, ein. Bei deren Untersuchungen wurde gemäß der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring mehrstufig vorgegangen. Hierbei spielt die Aufbereitung des Materials eine wichtige Rolle. Sie steht zwischen Erhebung und Auswertung und bedarf sorgfältiger Berücksichtigung (Mayring, 2002). Die inhaltsanalytische Auswertung nach Mayring erlaubt es, Texte systematisch zu analysieren, indem diese zergliedert, zusammengefasst und anschließend schrittweise bearbeitet werden. Ich arbeitete primär mit einer der drei Grundformen der Interpretation, der inhaltlichen Strukturierung. Anhand einer deduktiven Kategoriendefinition werden dabei die wichtigsten Kategorien direkt aus dem Text über einen Generalisierungsund Reduktionsprozess abgeleitet. Zunächst erfolgt eine Generalisierung, dann eine Reduktion der Texteinheiten. Die Interviewergebnisse fasste ich in einer Matrix zusammen. Die Analyse orientiert sich an kategoriebildenden Kriterien, die unter Berücksichtigung von Giddens’ Theoriemodell entwickelt wurden (ebd.; Flick et al., 1995). Neben der inhaltlichen Strukturierung filterte ich aus dem Material über eine typisierende Strukturierung weitere Strukturen heraus, die einzelne markante Ausprägungen genauer beschreiben. Typisierungskriterium war die Häufigkeit von ähnlichen Äußerungen (Mayring, 2002; 2003). Die Bögen wertete ich anhand der im Fragebogen bereits vorgegebenen inhaltlichen Kriterien aus, wobei der Fokus auf parallelen oder unterschiedlichen Aussagen der Akteurinnen – abhängig von ihrer organisationsinternen Funktion – lag. Um genauere Aussagen über die Kenntnisse von und den Umgang mit M&E-Vorgaben zu erhalten, wurden die gesammelten Dokumente nach dem Verfahren der »strukturierten Analyse« aufbereitet. So ließ sich herausfiltern, was ein Dokument über bestimmte Aspekte aussagt. Die Analyse der teilnehmenden Beobachtung konzentrierte sich primär auf eventuell auftretende Auffälligkeiten in der Verhaltensweise und versuchte, diese zu Ergebnissen anderer Methoden und dem theoretischen Analyserahmen in Bezug zu setzen. Gütekriterien der quantitativen Forschung wie Validität und Reliabilität lassen sich nicht auf die qualitative Forschung übertragen. Mayring stellt alternativ sechs allgemeine Gütekriterien der qualitativen Forschung auf: Verfahrensdokumentation, argumentative Interpretationsabsicherung, Regelgeleitetheit, Nähe zum Gegenstand, kommunikative Validierung und Triangulation (Mayring, 2002). Eine durch die qualitative Herangehensweise gegebene Subjektivität ist Teil der Umsetzung und Auswertung. Daher wählte ich für die vorliegende Studie einen Methodenmix. Dieser ermöglicht die so genannte Triangulation verschiedener Methoden und damit das cross-checking während 71
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
der Datenerhebung. Cross-checking soll ermöglicht werden in Bezug auf die Informationsquellen (verschiedene Informanten unterschiedlicher Ebenen) und die verwendeten Techniken (Vergleich der Ergebnisse quantitativer mit qualitativen Daten). Die Triangulation vergrößert wegen des cross-checking die »convergent validity« der Daten (Bortz/Döring, 1995; Bohnsack/Marotzki/Meuser, 2003; Schönhuth/Kievelitz, 1993). Als weiteres Gütekriterium sind die Diskussion der Daten im Rahmen von Vorträgen, Gesprächen in Fachkreisen mit deutschen und afrikanischen Mitarbeiterinnen sowie die direkte Rückkoppelung der Ergebnisse an die Gesprächspartnerinnen zu nennen. Es handelt sich hier um die kommunikative Form der Validierung (Wilz, 2002; Mayring, 2003). Jede Studie stößt auf Grenzen. Bei der vorliegenden Forschungsarbeit muss berücksichtigt werden, dass die Ergebnisse der komparativen Analyse kontext- und ansatzabhängig sind. Was für die untersuchten Frauenrechtsprojekte Gültigkeit besitzt, lässt sich nur begrenzt auf andere Projekttypen bzw. Regionen übertragen. Als Datenerheberin unterliege ich zudem besonders während des interkulturellen Austauschs aufgrund meines Geschlechts, Alters, Familienstands, meiner Bildung und meiner mitteleuropäischen Herkunft Projektionen auf andere und durch andere. Das Gleiche gilt für die Interviewpartnerinnen. Ihre Aussagen bergen die Gefahr, interessengesteuert zu sein, einem bestimmten Zweck zu dienen, auf sprachlichen Missverständnissen zu beruhen oder von anderen Umständen beeinflusst zu sein. Die Gesamtheit aller Aussagen vermag es dennoch, ein aussagekräftiges Bild der Innenperspektiven der Befragten in Bezug auf organisationsinterne M&E-Prozesse zu zeichnen. Sie ermöglicht zum einen ein cross-checking der Daten, zum anderen eine Annäherung an die Fragestellung aus verschiedenen Perspektiven, die breitere Einblicke in vorgefundene Wirklichkeitskonstruktionen bieten.
4.6
M e t h o d o l o g i s c h e An m e r k u n g
Interviews unterliegen so genannten Reaktivitätseffekten und individuellen Strategien der Interviewten, besonders dann, wenn sie jeweils nur einmal pro Person geführt wurden. Das Gegenüber versucht zunächst herauszubekommen, was im Rahmen der Datenerhebung im Vordergrund steht bzw. von den Forscherinnen ›gehört werden möchte‹. Dem passt es sich sowohl bewusst als auch unbewusst an. Das Umfeld bzw. die persönliche Abhängigkeit, zum Beispiel von einem Arbeitgeber, veranlasst Interviewpartnerinnen, vorsichtige und möglichst korrekte Angaben über ihre Organisation zu machen. Die Aussagen werden zwangsläufig an persönliche und organisationsinterne Interessen gebunden (Hanft, 1995). Inwieweit der Stellenwert von M&E beispielsweise für Mitarbeiterinnen eine Pflichtkür darstellt oder wahres Interesse da72
METHODOLOGISCHE VORGEHENSWEISE
mit verbunden ist, kann aufgrund der Störvariablen während der Interviews nicht endgültig beantwortet werden. Interviews sind eine Momentaufnahme der Wirklichkeitskonstruktion der Gesprächspartnerinnen, die unter dem Einfluss ihrer Position, ihrer Interessen und ihrer persönlichen positiven und negativen Arbeitserfahrungen stehen. Das gilt auch für meine eigene Rolle als Gutachterin und Wissenschaftlerin. In einem interkulturellen Interviewkontext sind diese Verzerrungsmomente noch größer. Es kann sprachliche Missverständnisse, unterschiedliche Deutungsweisen der Körpersprache und kulturelle ›Fettnäpfchen‹ geben, die den Verlauf eines Interviews zu beeinflussen drohen. Oftmals gerät man in Rollenkonflikte. Besonders bei Datenerhebungen im ärmeren Hinterland Tansanias, Malawis oder Sambias verwischen die Grenzen zwischen der Datenerheberin und dem dahinterstehenden Menschen, an den finanzielle Hoffnungen und Erwartungen gebunden sind. »Der Versuch, diese Problematik mit einer endgültigen und messbaren Technik lösen zu wollen, wäre absurd, ebenso aber die kulturrelativistische Position, die jede einzelne Kultur zu einer einzigartigen und unvergleichlichen Einheit hochstilisiert.« (Nadig, 1992: S. 36)
Meine Rolle als Datenerheberin und Gutachterin in Malawi birgt neben den erwähnten Einflussfaktoren zudem Störpotential, da eine klare Trennung beider Funktionen von den Befragten nicht vorgenommen werden kann. Wegen der oben aufgeführten Probleme spiegeln die erhaltenen Informationen verschiedene Wirklichkeiten wider. Denn gerade die Reflektion der eigenen und fremden Störfaktoren bringt Datenerheberinnen der konstruierten Wahrheit zum Teil näher als rein quantitative, schematisierte Aussagen. Die Ergebnisse dieser Studie sind sicherlich nicht verallgemeinerbar oder auf andere Organisationen bzw. Projekte übertragbar, da sie an den jeweiligen Projekt- und Kulturkontext gebunden sind. Dennoch bieten sie die Möglichkeit, kontextgebundene Einblicke in eine Organisation zu erhalten und Trends aufzuzeigen, die in ähnlicher Form auch in anderen Projekten erwartet werden können.
73
5 Präsentation und Ausw ertung der Daten
In Kapitel 3 arbeitete ich konstruktivistisch argumentierend heraus, inwieweit Giddens theoretische Ansätze liefert, die für eine organisationssoziologische Analyse von M&E von Nutzen sind. Giddens’ Strukturbegriff definiert Strukturen als Strukturmomente, die aus rekursiv erzeugten Regeln und Ressourcen bestehen. Regeln sind, wie gezeigt wurde, eine regelmäßige Praxis, die in Form von formalisierten Regeln (Legitimation) und verallgemeinerbaren Verfahren (Signifikation) auftritt. Ressourcen bestehen aus allokativen oder autorativen Formen und beinhalten somit die Herrschaft über materielle Mittel oder Menschen. Ausgehend von Giddens’ Modell der sozialen Dimensionen von Dualität steht in dem nun folgenden Teil der Studie die Analyse der erhobenen Daten im Mittelpunkt. Hierbei wird gemäß der Giddens’schen Unterteilung von Struktur zunächst auf die Regeln eingegangen, an die sich dann eine Analyse der Ressourcenformen anschließt. Die theoretischen Begriffe werden anhand der Ergebnisse der Datenerhebung mit Leben gefüllt und auf ihr analytisches Potential hin untersucht.
5.1
Regeln
Regeln in der Entwicklungszusammenarbeit Deutsche EZ-Organisationen werden von organisationsabhängigen Regelwerken bestimmt, die sich an Vorgaben des BMZ orientieren und daher ähnlich sind. Das BMZ gibt Grundkonzepte vor, die die Schwerpunktsetzung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit regeln. Die daraus resultierenden, formalisierten Regelwerke sind eingebettet in Giddens’ Verständnis von normativen Regeln der Legitimierung und erfahren im Alltag Auslegungen in Form von kognitiven Regeln der Sinnkonstitution. Dieser formalisierte Regelbegriff darf aber nicht mit Giddens’ allgemeinem Regelbegriff verwechselt 75
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
werden. Allgemeine Regeln sind Aspekte der sozialen Praxis und damit Teil der Struktur des Sozialen. Formalisierte Regeln dagegen sind vielmehr kodifizierte Interpretationen von Regeln. Denn die »diskursive Formulierung einer Regel ist bereits eine Interpretation eben dieser Regel« (Giddens, 1997: S. 74; Hervorhebung im Original). Sie werden dementsprechend auch erst anhand von Handlungen, das heißt bei ihrer Anwendung, sichtbar. Ortmann, Sydow und Windeler fassen diesen Regelbegriff folgendermaßen zusammen: »1. eine regelmäßige Praxis, organisationale Praktiken, in denen 2. Regeln im Sinne verallgemeinerbarer Verfahren stecken, die 3. formuliert sein können als kodifizierte Interpretationen von Regeln (geschriebene Gesetze, formale Organisations›regeln‹) […] und schließlich 4. über die Regeln […] hinaus weitere strukturelle Eigenschaften oder Strukturmerkmale sozialer Systeme, die durch jene regelmäßige Praxis hervorgebracht, reproduziert und verändert werden, selbst aber weder Regeln noch Ressourcen sind: zum Beispiel Arbeitsteilung, Hierarchie, der raumzeitliche Zusammenhang der Interaktionen, Zentralisierung, kurz, all das, was in den Organisationstheorien üblicherweise Struktur heißt, aber nicht Struktur im engeren Sinne von Regeln und Ressourcen ist, wie wir den Terminus bestimmt haben.« (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000: S. 329; Hervorhebung im Original)
Formalisierte Regeln existieren als kognitive (Signifikation) und normative (Legitimation) Ordnungen. Kognitive (lat. cognoscere = »erkennen«) Ordnungen stehen für die Wahrnehmung und somit für all das, was mit dem Verstand in Verbindung steht und von diesem erfasst wird. Das beinhaltet Faktenwissen, die kreative Anwendung von Wissen sowie Wissen als Teil von Problemlösungsprozessen. Signifikationen sind Deutungsbilder wie Mythen und Weltbilder, die sich im Organisationskontext oftmals in Form von Leitfäden ausdrücken. Diese Leitbilder sind richtungsweisend und repräsentieren für die Organisationen wichtige Werte. Sie kodifizieren gewünschte Verhaltensweisen (Hanft, 1995). Normative (lat. norma = »Winkelmaß, Richtschnur, Regel, Vorschrift«) Ordnungen beziehen sich auf Wertevorstellungen, anerkannte Regeln in einer Gesellschaft, die oftmals unausgesprochen Vorgaben zu Verhaltensweisen machen und erst in der Kommunikation deutlich werden. Normen können formalisiert auftreten, sind aber meistens nicht festgehalten, sondern spiegeln sich in Interaktionen wider. Verstöße können Sanktionen nach sich ziehen. Eine klare Trennung nach Giddens ist nur schwer möglich, da kognitive und normative Regeln oft eng miteinander verbunden sind. Aus Deutungsmustern können Normen entstehen, die wiederum Deutungsmuster beeinflussen. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit bewegt man sich in genau dieser Schnittmenge.
76
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Der Rechtsanthropologe Markus Weilenmann veranschaulicht diese Dialektik anhand von Rechtsprojekten und deren entwicklungspolitischem Rechtsverständnis bzw. Rechtsansatz (Weilenmann, 2004). Jede Organisation greift, wie er zeigt, im Rahmen ihrer Projektarbeit auf so genanntes »Projektrecht« zurück: »Solche Rechtssätze gehen aus Vorschriften und Prozederen bilateraler und multilateraler Entwicklungsorganisationen [hervor; Ergänzung Weilenmann], die diese [Organisationen; Ergänzung Weilenmann] entweder selbst entwickelt oder dem jeweils eigenen nationalen Rechtssystem entliehen haben.« (Günther/Randeria, 2001: S. 70; zitiert nach: Weilenmann, 2004: S. 3)
Die Einbettung in den eigenen Organisations- bzw. Kulturkontext gilt nicht nur für Rechtsaspekte in einem Projekt, sondern für alle Vorgaben, die sich im Regelwerk des Projektmanagements wiederfinden. Sie verdeutlichen das kognitiv-normative Organisationsverständnis, das in Leitbilder und Planungsgrundsätze einfließt. Es liegen nicht nur kognitive Konzepte und Lernerfahrungen zu M&E vor, sondern auch daran gekoppelte normative Prinzipien, die den aktuellen Diskurs der Entwicklungszusammenarbeit dominieren. »In jedes Evaluationswissen gehen soziale und normative Vorstellungen ein und es ist grundlegend von politischen und ökonomischen Kontexten abhängig.« (Höhne, 2005: S. 6) Das BMZ zum Beispiel betont in Bezug auf Monitoring und Evaluation explizit an Normen gebundene Prinzipien wie Unparteilichkeit, Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit, Partizipation, Nützlichkeit und Transparenz, die sich an den Grundsätzen und Leitlinien des Entwicklungszusammenarbeitausschusses der »Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung« (OECD) orientieren und lange zwischen den Akteurinnen der OECD wie auch des BMZ ausgehandelt wurden. Solche Grundsätze und Kriterien sind Teil von organisationsinternen Mythen, die den konstruierten Wertevorstellungen der Menschen zu einem gegebenen Zeitpunkt entsprechen. Die Übernahme bestimmter gesellschaftlich anerkannter Regeln, die sich in Organisations- und Managementkonzepten widerspiegeln, ist wichtig, um die Legitimität einer Organisation zu sichern. Die öffentliche Akzeptanz spielt besonders für EZ-Organisationen eine Rolle, da sie von Steuer- bzw. Spendengeldern abhängig sind. Über ihre kontextangepasste Außenpräsentation – Erfolgsgeschichten, ansprechend gestaltete Grundsatzpapiere etc. – erhalten sie Zugang zu Ressourcen und sichern damit ihr Bestehen. Das gilt auch für M&E. Hinter der Ausrichtung auf Wirkungsbeobachtung steht der Wunsch, den an die Entwicklungszusammenarbeit gestellten Erwartungen zu entsprechen und ihren Daseinssinn zu beweisen. Den gesellschaftlichen Anforderungen soll genügt werden, indem anhand von M&E die Qualität der Maßnahmen und die damit verbundene Zielerreichung beobachtet 77
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
und bewertet wird, um eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu garantieren. Doch Erfolgskontrolle ist nicht Neues. Es gibt sie bereits seit vielen Dekaden, sie wurde nun jedoch aufgrund sozio-ökonomischer Rahmenbedingungen in den Geberländern verstärkt eingefordert und dementsprechend neu aufbereitet bzw. ergänzt. Alleine der Umgang mit Sprache weist auf die dahinterstehenden Konstruktionen und Emotionen hin. Die Umschreibungen von M&E wie »Wirkungsbeobachtung« (= »Wirkungen beobachten«) und »Erfolgskontrolle« ( = »den Erfolg kontrollieren«) senden aufgrund ihrer Wortwahl bewusste Botschaften. Diese Formulierungen suggerieren ein erfolgreiches Handeln bzw. existierende Wirkungen, die es über Beobachtung zu halten bzw. zu steigern gilt. Die gezielte Verwendung von Sprache hat ein Ziel. Die Metaphorik ist dann erfolgreich, wenn sie bewusst und unbewusst zu emotional positiv besetzten Assoziationen führt, da sie mit dem gesellschaftlichen Wertesystem harmonieren. Deutungsweisen und Wertevorstellungen stehen nicht nur hinter Managementinstrumenten, sondern genauso auch hinter entwicklungspolitischen Grundprinzipien wie Partizipation (demokratischer Kerngedanke des Mitbestimmens und der Beteiligung), Berücksichtigung von Frauen und Männern im Rahmen von Gender-Ansätzen (Gleichheitsansatz) oder »Good Governance« (Rechtssicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Verantwortlichkeit der Regierenden). Die strategische Auswahl dieser Konzepte, die sich an den jeweiligen Trend der Zeit anpasst, ist zwar »trivial, aber natürlich trotzdem sehr wichtig« (Ortmann/Sydow, 2001: S. 430). Weilenmann weist mit Benda-Beckmann darauf hin, dass solche Prinzipien zwar formal kein Recht darstellen, »but in effect obtain the same level of obligation« (K. von Benda-Beckmann, 2001: S. 38). Einerseits sind sie Leitlinien, die einem Weltbild entsprechen und Deutungsmuster ermöglichen, andererseits gewinnen sie zunehmend an Selbstverständlichkeit und werden damit etwas gesellschaftlich Erwartbares, Normatives. Die Grenzen zwischen Legitimation (in Form von Wertevorstellungen) und Signifikation (in Form von Deutungsmustern) verschwimmen. Beide Dimensionen gehen ineinander über. An Weltbilder gebundene Vorstellungen dieser Art spielen für die Projektpraxis eine große Rolle. Sie sind äußerst dynamisch und unterliegen den jeweils aktuellen Modeströmungen. Nur die gesellschaftlich anerkannten Vorgaben können sich langfristig durchsetzen und Normstatus erhalten. Wie kontextgebunden dies ist, zeigt die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Sie repräsentiert die jeweilige Politik und das dazugehörige Weltbild einer Regierung. Dabei unterliegt sie internationalen Trends und nationalen Legitimationsprozessen, »die dazu geeignet erscheinen, sich im politischen Feld sowohl innen- als auch außenpolitisch positionieren und behaupten zu können« (Weilenmann, 2004: S. 12). 78
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit basieren jedoch nicht nur auf kognitiv-normativen Vorstellungen ihrer Geberländer, sondern besitzen auch vor Ort »the form of law« (F. von Benda-Beckmann, 1989: S. 134; zitiert nach: Weilenmann, 2004: S. 3). Sektoral unterschiedliche Programme und Projekte werden den aktuellen Sektorkonzepten entsprechend umgesetzt und beeinflussen Systeme auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Dies gilt ebenso für M&E-Leitlinien, denn sie sind für alle an dem Projekt Beteiligten und damit auch für lokale Partnerorganisationen verpflichtend. Da lokale Nichtregierungsorganisationen Projekte oft mit mehreren Gebern gleichzeitig implementieren, müssen sie verschiedene Regelwerke berücksichtigen. Sie werden in diesem Fall von westlichen Geberorganisationen auf die Partnerinnen in Afrika, Asien und Lateinamerika übertragen: »So bleibt Projektrecht eng an die internen Verwaltungsstrukturen der EZ-Organisationen der Geberländer gebunden, entgeht jedoch typischerweise den gewöhnlichen Mechanismen der demokratischen Kontrolle.« (Weilenmann, 2004: S. 40)
Die daraus resultierenden Folgen werden, besonders wenn es zur Übertragung von Normen kommt, selten angesprochen, wie Weilenmann kritisiert: »Doch finden Überlegungen zur gesellschaftlichen Wirkung von normativen Ordnungen, welche die Planung von EZ-Projekten regeln und auf die gesellschaftspolitischen Machtverhältnisse verweisen, die solche Regeln hervorbringen, höchstens am Rande Erwähnung.« (Ebd.: S. 9)
Die Scheu, die Machtverhältnisse anzusprechen, die sich in den Regeln widerspiegeln, liegt an der sozialen, politischen und besonders auch ökonomischen Brisanz des Themas. Nicht zuletzt ist die Einhaltung von Regelwerken an Sanktionen gebunden. Wenn organisationale Weltbilder der Geberorganisationen von Partnerinnen in Afrika, Asien und Lateinamerika nicht eingehalten werden, findet keine Zusammenarbeit statt bzw. wird die Kooperation beendet. Doch Sanktionen drohen den Mitarbeiterinnen auch organisationsintern. Von ihnen wird die Einhaltung der Regelwerke erwartet und über Dienstreisen und Berichterstattung kontrolliert. Eine kontinuierliche Missachtung führt zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsvertrags. Bei der Streuung kognitiver wie normativer Ordnungen besitzen Zeit- und Raumdimensionen zentrale Bedeutung. In der Moderne sind beide zunehmend aus dem lokalen Kontext herausgelöst. Giddens geht davon aus, dass Regeln und Ressourcen Zeit und Raum binden. »›Instantiert‹ in situierten Praktiken sorgen sie für deren zeit-räumliche Ausdehnung, Institutionalisierung und für eine Globalisierung.« (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000: S. 331) Die weltweiten Austauschmöglichkeiten des Medienzeitalters ermöglichen 79
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besonders durch die rasante Weiterentwicklung der Kommunikationstechnik zeit-räumliche Abstandsvergrößerungen. Globale Symbolsysteme wie die Computersprache verhelfen zu weltweiten Vernetzungen, die sich Expertensysteme zu Nutze machen (Weik/Lang, 2003). Die Möglichkeiten der Informationsspeicherung, zum Beispiel über einen organisationsinternen Wissensspeicher, der Mitarbeiterinnen mit Internetzugang überall zugänglich ist, oder die inzwischen nicht mehr wegzudenkende Kommunikation per E-Mail gestatten das schnelle Steuern von Regeln sowie deren Überprüfung auf Einhaltung. Regeln sind somit mehr denn je vom lokalen Kontext abgelöst und machen oftmals nur in dem jeweiligen organisationalen Umfeld, zum Beispiel innerhalb der Projekt- bzw. Programmgrenzen, Sinn. Projekte werden so zu ›Inseln‹ von Regelwerken in einer anders reglementierten Umgebung. Das Herauslösen sozialer Beziehungen aus ihrem Kontext nennt Giddens »disembbeding«. Die Entfernung spielt dabei keine Rolle: In afrikanischen Projektbüros von EZ-Organisationen sind Mitarbeiterinnen, die von Deutschland aus tätig sind, kopräsent (Giddens, 1997). Ausbreitung und Macht von Organisationen nehmen damit stetig zu. Berichte werden via E-Mail eingefordert, neue Leitlinien gestreut und eine konstante organisationsinterne Orientierung an internen Regeln bzw. die Weiterbildung in diesen eingefordert. Die weltweite Kommunikation führt zur (Re-)Produktion von Strukturen. Kommunikation bringt nicht nur für Organisationen neue Möglichkeiten der Dezentralisierung und Kontrolle. Auch die internationale Politikgestaltung gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Politikfelder werden entterritorialisiert: Probleme wie Armut, Gesundheit und Menschenrechte werden nicht mehr an nationalen Grenzen festgemacht, sondern beschäftigen eine Weltgesellschaft, die sich über moderne Kommunikationsmedien austauscht. Entwicklungspolitische Organisationen geraten immer mehr unter Beobachtung von internationalen Akteurinnen. »Zum ersten Mal dienen alle fünf Erdteile zugleich als Theater.« (Luhmann, 1971: S. 6; zitiert nach: Evers/Kaiser/ Müller, 2003: S. 74) Die über Organisationen weitergegebenen Vorgaben sind an gesellschaftliche Kontexte und damit Außeneinflüsse gebunden. Entwicklungspolitische Organisationen müssen ihr Tun rechtfertigen und auf die Umwelt reagieren. Das Einwirken der Außenwelt spielt in Organisationstheorien eine wichtige Rolle. Institutionalisten zum Beispiel gehen davon aus, dass externe Einflüsse zentral für die Gestaltung von Organisationen sind (Meyer/Rowan, 1983). Gesellschaftliche Vorstellungen und Erwartungen prägen deren Aufgaben und Nutzen und konstruieren sie somit. Die Erwartungen der Umwelt lassen hierbei selbst Wettbewerbserfordernisse in den Hintergrund rücken. Kritiker des (Neo-)Institutionalismus weisen zu Recht darauf hin, dass diese Argumentation zu einseitig ist. Organisationen sind den Umwelteinflüssen nicht nur passiv ausgeliefert, sondern können diese auch aktiv beeinflussen (Ziegenhorn, 80
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
1997; DiMaggio, 1988). Die Strukturierungstheorie verdeutlicht zum einen die Möglichkeit der Reproduktion, zum anderen aber auch die Produktion neuer Weltbilder und Normen, die sich, aus internen Erfahrungen geboren, auf die Gesellschaft auswirkt. Organisationsmitglieder agieren strategisch, wie Interventionen, Widerstand oder Manipulationen zeigen (Ziegenhorn, 1997). Neben den kollektiven Interessen in einer Organisation werden von Institutionalisten die individuellen Interessen und Machtverhältnisse nicht explizit thematisiert, was zu statischen, übersozialisierten Vorstellungen von Akteursverhalten führt (Kieser, 2002f). Ortmann et al. zeigen anhand mikropolitischer Analysen, wie auf abteilungsspezifische und persönliche Interessen in Organisationen zurückgegriffen wird (Ortmann et al., 1990). In den kommenden Kapiteln gehe ich noch ausführlicher auf die Rolle von mikropolitischen Strategien ein. Um die Bedeutung der von Giddens genannten Dimensionen herauszuarbeiten, analysiere ich anhand der primär qualitativen Daten deskriptiv soziale Prozesse, um den dahinterstehenden subjektiven Sinn sowie Strukturen zu dekonstruieren. Zunächst umreiße ich jedoch die Regelwerke der untersuchten Organisationen. Hierbei muss man berücksichtigen, dass M&E-Vorgaben nicht unabhängig von allgemeinen organisationsinternen Regeln betrachtet werden können. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist geprägt von so genannten Querschnittsthemen, die idealerweise in allen Vorhaben beinhaltet sein sollten. Das BMZ orientiert seine Arbeit an fünf Bereichen, die auch für andere entwicklungspolitische Institutionen von zentraler Bedeutung sind: Bekämpfung der Armut, Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter (Gender), Beteiligung der betroffenen Bevölkerung (Partizipation), Förderung guter politischer Rahmenbedingungen (Good Governance), Krisenprävention sowie Umwelt- und Ressourcenschutz (BMZ, 2006). M&EMaßnahmen sollen, abhängig von dem jeweiligen Projekt- bzw. Programmfokus, die genannten Schwerpunkte integrieren. Deshalb gilt es bei einer Analyse der M&E-Leitlinien auch, die Regelwerke von Querschnittsthemen zu berücksichtigen. Da diese Studie auf Frauenrechtsprojekte ausgerichtet ist, erscheint das Abdecken aller Querschnittsbereiche wenig sinnvoll. Um zudem den Rahmen der Studie nicht zu sprengen, wählte ich – dem Frauenrechtskontext angepasst – zwei Querschnittsthemen für die Analyse aus: Partizipation1 1
Partizipation aller Akteurinnen wird entwicklungspolitisch spätestens seit Robert Chambers’ Partizipationsforderungen als ein bedeutendes Element zur Sicherung von Nachhaltigkeit anerkannt (Chambers, 1997, 1999). Übertragen auf M&E heißt das, dass sich Wirkungsweisen und ihre vielfältigen Dimensionen nur erfassen lassen, wenn man die Meinung von Beteiligten aller Ebenen berücksichtigt. Bei den Projektbeteiligten handelt es sich jedoch keineswegs um eine homogene Gruppe. Das Partizipationsprinzip soll daher dazu führen, Ungleichheitskategorien wie Geschlecht, Klasse, Ethnizität und Alter zu überwinden. Die Verwendung des Partizipationsbegriffs ist äußerst unterschiedlich – er 81
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und Gender2. Sie sind zentrale Aspekte des Projektablaufs und spielen für die Planung, Umsetzung und Auswertung von M&E eine bedeutende Rolle. In dieser Studie greife ich auf Regeln zurück, die Anfang 2004 Gültigkeit besaßen. Besonders seit 2005 kam es zu Modifikationen und Erweiterungen, die ich aber aufgrund des Zeitpunkts der Datenerhebung nicht mehr berücksichtigen konnte.
Regelwerke von Organisation A und deren Umsetzung in Projekt A Organisation A gibt keine klaren organisationsinternen Definitionen von M&E vor. Monitoring und Evaluation werden als getrennte Konzepte verstanden. Die Grenzen der Begriffsverwendung verwischen jedoch. Die Wirkungsbeobachtung rückt zunehmend in den Vordergrund, auch wenn sie aufgrund der Projektausrichtung oftmals nicht so leicht umsetzbar ist. Um dem Fokus der Projektarbeit, Bewusstseinsänderung, gerecht zu werden, bedürfte es langfristiger Untersuchungen, die in dieser Form nicht geleistet werden können. Noch sind die Instrumente daher in der Realität auf Aktivitätenmonitoring ausgerichtet, etwa durch Beobachtung der Reaktion auf angebotene Maßnahmen wie Workshops.
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kann von passiver Konsultation bis hin zu »Empowerment« der Zielgruppe alles umfassen. Gender, verstanden als soziale Konstruktion von Geschlecht, ist kulturell unterschiedlich ausgeprägt und dynamisch. Oftmals scheitern Projekte an den ungleich konstruierten Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen, die sich auf die Verhaltensweisen der Akteurinnen niederschlägt. Ein gendersensibles M&E kann durch Analyse der geschlechterspezifischen Sicht die sozio-kulturellen Zuschreibungen von Geschlecht und die sich daraus ableitenden Machtverhältnisse aufzeigen (Guijt/Kaul Shah, 1998). Wie auch bei partizipativen Ansätzen gilt es zu berücksichtigen, dass es sich nicht um homogene Gruppen handelt, sondern der so genannte »Differenz-Blick«, wie Gudrun-Axeli Knapp fordert, notwendig ist (Knapp, 1998, 2000). Über differenzierende Analysen – auch innerhalb gleichgeschlechtlicher Gruppen – können ökonomische, soziale, rechtliche und kulturelle Unterschiede ausfindig gemacht werden. Konstruktivistisch argumentierende Theorien unterliegen mittlerweile jedoch, besonders ausgehend von Judith Butlers Buch »Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity«, heftiger Kritik von Anhängerinnen dekonstruktivistischer Ansätze (Butler, 1991; Wesely, 2000), die davon ausgehen, dass nicht nur das soziale Geschlecht (»gender«) historisch konstruiert ist, sondern auch das biologische (»sex«). Für Butler ist das biologische Geschlecht demnach diskursiv (Butler, 1991). Die dekonstruktivistische Denkweise sorgte für viele Diskussionen und ist nach wie vor umstritten. In der entwicklungstheoretischen Gender-Debatte findet diese Richtung keine Berücksichtigung, da nach wie vor in biologisches und sozial-konstruiertes Geschlecht unterteilt wird. Deshalb findet eine genauere Behandlung der dekonstruktivistischen Richtung in dieser Studie nicht statt.
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Um Erfolgskontrolle zu sichern, greift man auf ein systematisches und vereinheitlichtes Planungs- und Berichtswesen zurück. Es beinhaltet Jahres-, Halbjahres-, Abschluss- und Endberichte, die ergänzt werden durch Kontrollreisen und Finanzkontrollen. Das zentrale Instrument der Qualitätssicherung ist ein Datenbogen. Zu Beginn eines Jahres halten Referenten, Auslandsmitarbeiterinnen und für Querschnittsaufgaben zuständige Bearbeiterinnen Projektziele, Maßnahmen und Indikatoren fest. Am Ende der Förderlaufzeit erfolgt die Darlegung der Ausgaben im Rahmen eines Verwendungsnachweises. Für die Erfolgskontrollen ist eine eigens dafür eingerichtete Projektgruppe zuständig, die in das Referat für Grundsatzfragen eingebettet ist. Dieses Referat deckt thematisch neben Evaluation auch Gender-Aspekte ab. Es ist von der operativen Einheit personell und organisatorisch getrennt. Aufgaben sind Entwicklung und Umsetzung einheitlicher Regelwerke sowie konstante Weiterentwicklung von Evaluationsinstrumenten. Die Implementierung der Erfolgskontrolle ist an die Programm- und Projektsteuerung gebunden. Adressaten sind Mitarbeiterinnen in der Zentrale wie auch vor Ort. Gender spielt eine große Rolle – Organisation A hat die Chancengleichheit von Männern und Frauen in Form von Gender-Mainstreaming zu ihrer zentralen Querschnittsaufgabe gemacht. Im Vordergrund steht dabei, die Bedürfnisse und Interessen von Frauen zu berücksichtigen. Es existieren Leitlinien zur Geschlechterförderung, die Angaben zur geschlechtsspezifischen Analyse bei der Projektplanung machen. Ein Team von Gender-Koordinatoren soll garantieren, dass der Gender-Ansatz sowohl in den Projekten als auch organisationsintern strukturell langfristig zur Gleichberechtigung der Geschlechter führt. Kerndokumente sind eine praxisbezogene ›Toolbox‹ sowie ein Gender-Evaluationsraster, die zu berücksichtigende Aspekte nennen. Obwohl wichtige Themen und Ergebnisse der Projektarbeit exemplarisch aufbereitet sind, fehlen genaue Erfahrungswerte im Umgang mit den für M&E vorgegebenen Instrumenten im Bereich von Frauenrechtsprojekten. Partizipation wird bei den Maßnahmen der Organisation A zwar in Unterlagen über die Zusammenarbeit angesprochen, es gibt jedoch kein eigenes Partizipationspapier. Organisation A greift bei der Erfolgskontrolle primär auf die Expertise von internen Mitarbeiterinnen zurück, da deren Wissen sowie Auslandskenntnisse als wichtiger erachtet werden als die Objektivität externer Fachkräfte. Die interne Kritikbereitschaft hält man dementsprechend auch für unverzichtbar. Externe Fachkräfte kommen nur bei größeren Evaluationen zum Einsatz. Vertreterinnen der Partnerinstitutionen werden bei der Erfolgskontrolle befragt, ihren Rückmeldungen und Einschätzungen wird große Bedeutung zugemessen. Eine direkte Beteiligung an den verschiedenen Maßnahmen und Phasen der jeweiligen Erfolgskontrolle findet jedoch nicht statt. Dies begründet man mit organisatorisch-technischen Hürden, die bei partizipativen An83
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sätzen zu erwarten wären. Zudem verweisen hausinterne Informationen zu M&E auf eine möglicherweise anders geartete Sicht der Dinge durch die Partnerseite, die eine Rechtfertigung gegenüber deutschen Geldgebern erschweren würde. Die Nutzung der M&E-Ergebnisse in Form von internen und externen Lernprozessen ist ein wichtiger Aspekt der Erfolgskontrolle. Sie erfolgt über Rückkopplungsprozesse bzw. Ergebnisverbreitung zwischen den betroffenen Einheiten und interessierten Akteurinnen. Organisation A betreibt kein eigenes qualitatives Monitoring-System. Von den Partnerinnen fordert die Organisation M&E-Berichte ein, für deren Gestaltung und Inhalt diese selber verantwortlich sind. Bei Fragen stehen die zuständigen Mitarbeiterinnen von Organisation A zur Verfügung. Weder bei Mitarbeiterinnen noch bei Partnerinnen fanden zum Zeitpunkt der Erhebung M&E-Trainings statt. Kurzmaßnahmen wie Workshops werden in Form von quantitativ gestalteten Bögen evaluiert. Hierbei steht die Bewertung der Aktivität, das heißt Inhalte, Moderation und Räumlichkeiten der Kurzmaßnahmen im Vordergrund. Teilnehmerinnen füllen die Bögen aus, indem sie anhand einer Skala Bewertungen vornehmen. Gender-Fragen deckt man hier gezielt mit ab. Die Ergebnisse fließen in einen kurzen Abschlussbericht ein, welcher der Zentrale zugeht. Eine detaillierte, statistische Auswertung der Bögen fand zeitweilig statt, wurde zum Zeitpunkt der Datenerhebung jedoch nicht mehr durchgeführt.
Regelwerke von Organisation B und deren Umsetzung in den Projekten B/1 und B/2 Organisation B verfügt den Forderungen der Bundesregierung entsprechend über ein umfassendes Erfolgskontrollsystem, das konstant weiterentwickelt wird. Oberstes Ziel ist es, eine Evaluationskultur zu schaffen bzw. voranzutreiben. Monitoring und Evaluation werden als jeweils eigenständige Konzepte verstanden. Monitoring bedeutet die regelmäßige Sammlung und Auswertung von Informationen im Rahmen des Projektmanagements und dient als Basis für Evaluationen. Die Wirkungsbeobachtung hat das Aktivitätenmonitoring abgelöst und steht nun im Vordergrund. Das bedeutet, dass Monitoring sich anstatt auf Maßnahmenbeobachtungen auf deren Wirkungsweisen konzentriert. Evaluation ist demgegenüber das systematische Überprüfen von geplanten, laufenden oder bereits abgeschlossenen Vorhaben. Auch hier steht unter anderem die Wirkungsweise im Vordergrund. Für die Erfolgskontrolle ist eine unabhängige Organisationseinheit zuständig, die an die organisationsinterne Stabstelle gebunden ist. Organisation B greift auf ein ausgefeiltes Regelwerk zurück, das einen hohen Standardisierungsgrad besitzt. Dies bezieht sich sowohl auf administrative Fragen innerhalb der Zentrale als auch auf die verschiedenen Phasen des Projektmanage84
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
ments vor Ort. Die Zielerreichung von Projekten ist unmittelbare Aufgabe von Organisation B, die es in Zusammenarbeit mit ihren Partnerorganisationen weltweit zu erreichen gilt. Dies ermöglicht einen relativ großen Handlungsspielraum, erhöht jedoch auch den Erfolgsdruck. Das Evaluationssystem basiert auf Selbst- und Fremdevaluation. Für beide Evaluationstypen stehen mehrere Instrumente zur Verfügung, mit denen die verschiedenen Zielsetzungen abgedeckt werden. In den Evaluationen sollen Zielerreichung und Wirkungen, deren Übereinstimmung mit den Bedürfnissen aller Beteiligten und damit der Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung herausgearbeitet werden. Zentraler Teil der Selbstevaluation sind Fortschritts-, Querschnitts- und Schlussberichte, die nun stärker auf Wirkungsbeobachtung fokussieren. Aufgrund der neuen Schwerpunktsetzung auf Wirkung kam es zudem zu Erweiterungen um ein computergestütztes Analyseinstrument sowie um einen Monitoring-Leitfaden. Dieser gibt sowohl Auskunft über das grundsätzliche Verständnis von Wirkung als auch Hilfestellung bei dem schrittweisen Aufbau eines Monitoring-Systems. Die genannten Regelwerke und daran gekoppelten Instrumente kommen nicht ohne Ausbildung bzw. Beratung aus, die im Rahmen von hausinternen Informationsveranstaltungen und Trainingsworkshops umgesetzt werden. Grundlage der Erfolgskontrolle ist die Beteiligung von externen und – wenn möglich – lokalen Gutachterinnen. Bei der Integration der Partnerinnen geht es nicht zuletzt auch um den Aufbau von Humanressourcen in den betreffenden Partnerländern, denn die Vermittlung von Kenntnissen und Erfahrungen, das »Capacity Building«3, ist dem Organisationsverständnis zufolge zentrale Grundlage der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Auf organisationsinterner Ebene bedeutet das die Aus- und Fortbildung von Mitarbeiterinnen und damit generell die Verbesserung von Leistungsprozessen und Organisationskultur. »Capacity Building« ist somit beides: Mittel zum Zweck sowie Ziel. Eine kontinuierliche Förderung soll es ermöglichen, genügend Zeit für einen Kapazitätswandel sicherzustellen. Die Rolle der jeweiligen Expertinnen, die mit den Partnerinnen zusammenarbeiten, setzt dementsprechend interkulturelle Kompetenz voraus. Bei all den genannten Maßnahmen ist die Integration der verschiedenen Beteiligten im Prozess des sozialen Wandels ein Eckpfeiler. Das betrifft Projektpartnerinnen genauso wie die vom Projekt anvisierte Zielgruppe. Von Partnerseite wird erwartet, dass sie den gesamten Prozess mitinitiiert, mitsteuert und die Bereitschaft einbringt, Eigenbeiträge zu leisten. Die Rolle der 3
»Capacity Building« steht in der internationalen Zusammenarbeit für Personalund Organisationsentwicklung über Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten – aber auch von Werten. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeiten von Menschen und Organisationen zu erhöhen. 85
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Zielgruppe sieht eine aktive Partizipation hinsichtlich der Festlegung von Zielen und Aktivitäten vor, die eine Identifikation mit den Projektmaßnahmen, das so genannte »Ownership«4, auslösen und das Selbstbewusstsein sowie die Handlungsmacht der Beteiligten, das »Empowerment«5, fördern soll. Das hat auch konkrete Auswirkungen auf die Erfolgskontrolle. Partnerfachkräfte werden aus- und fortgebildet und erhalten Unterstützung beim Aufbau von Monitoring-Systemen. Der Monitoring-Leitfaden betont bereits bei der Planung eines Monitoring-Systems ausdrücklich die Integration der betroffenen Akteurinnen. Das Gleiche gilt für Umsetzung und Auswertung. Neben Partizipation stellt Gender ein weiteres zentrales Querschnittsthema dar. Der Gender-Ansatz, das heißt die Gleichberechtigung der Geschlechter sicherzustellen, ist ein wichtiger Aspekt der Arbeit von Organisation B. Eine Integration des Gender-Ansatzes in Prozesse und Verfahren soll über Gender-Mainstreaming sichergestellt werden. Das betrifft auch M&E, das generell geschlechtsspezifisch auszurichten ist. Die Beobachtung des Projektnutzens für Frauen und Männer, Mädchen und Jungen soll über geschlechtsspezifisch differenzierte Wirkungsanalysen und dazugehörige Indikatoren gewährleistet werden. Getrennt nach Geschlecht spielen folgende Fragen eine Rolle: Wer hat Zugang zu den Projektaktivitäten? Wessen Interessen werden vertreten? Ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen, Folgen, Wirkungen? Wenn ja, welche? Die Gender-Thematik wird zwar im aktuellen Leitfaden nicht explizit angesprochen, es liegen jedoch ergänzende Dokumente zur Gender-Verankerung im Projektmanagement vor. Wissensmanagement wird wie bei Organisation B zunehmend betont. Während bereits vereinzelt Erfahrungsberichte über die Einführung von Monitoring-Systemen eines Sektors, Programms oder Projektes vorlagen, existierten bei Beginn der Erhebung für diese Studie keine Veröffentlichungen hinsichtlich der Planung, Umsetzung und Auswertung von Monitoring in Frauenrechtsprojekten. Die jeweils individuelle Umsetzung der Organisationsvorgaben ist somit den Akteurinnen selbst überlassen.
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»Ownership« steht für die Identifikation und Verantwortung der Partnerinnen mit dem Projekt. Dies soll erreicht werden durch deren frühestmöglichen Einbezug bei der Planung und Umsetzung der Projektmaßnahmen. Nachhaltige Veränderungen und Entwicklung können demnach in vollem Maße nur eintreten, wenn diese von den lokalen Beteiligten voll und ganz getragen werden. Die deutsche Seite liefert somit nur einen Beitrag zum Projekt der Partnerinnen (Nohlen, 1998). »Empowerment« bedeutet die Stärkung der Akteurin und ihres eigenen reflexiven Verhaltens. Es zielt darauf ab, ihren Handlungsspielraum zu vergrößern. Wird die Projektnutzerin, angelehnt an Giddens, als reflexive Akteurin und nicht als passives Objekt verstanden, bietet sich über den »Empowerment«-Ansatz die größte Chance der Einflussnahme (Nohlen, 1998).
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Das Projekt B/1 in Sambia hat sich frühzeitig um den Aufbau und die Umsetzung eines eigenen Wirkungs-Monitoring-Systems bemüht, das mit Unterstützung einer deutschen Gutachterin entwickelt wurde. Der Entwicklungsprozess verlief partizipativ. Im Rahmen mehrerer Workshops wurden Vorgehensweise und Instrumente mit Mitarbeiterinnen, Partnerinnen und Repräsentantinnen der Zielgruppe diskutiert. Der methodische Fokus liegt auf Fragebögen, die sich an Laienrichter, Barfußjuristinnen6, Teilnehmerinnen von Rechtsaufklärungsworkshops und Frauen richten, die innerhalb des letzten Jahres eine Gerichtsverhandlung hatten. Um nach Richterfortbildungen mehr über deren tatsächlichen Wissensstand zu erfahren, füllen die Teilnehmerinnen Fragebögen aus, die Fragen zu bereits vermittelten Rechtsthemen beinhalten. Dadurch wird sowohl den Projektmitarbeiterinnen als auch den Laienrichtern klar, welche Bereiche Verständlichkeitsprobleme verursachen. Neben diesem »Test« verwendet das Projektteam Bögen, die die Laienrichter nach ihren Verhandlungen ausfüllen. Diese dienen als eine »Checkliste«, die ihnen verdeutlicht, welche Punkte sie bei der Rechtsprechung berücksichtigt bzw. weggelassen haben. Zudem ›monitoren‹ Parajuristinnen Gerichtsverhandlungen. Ihre Aufgabe ist es, als Beobachterinnen den Verlauf der Verhandlung unter Zuhilfenahme eines Fragebogens zu bewerten. Für die Datenerhebung bildeten Projektmitarbeiterinnen Barfußjuristinnen in den verschiedenen Projektgebieten des Landes aus. Sie wurden in mehrtägigen Workshops in die Grundkonzepte von Monitoring sowie die Anwendung der Fragebögen eingeführt. Für die Auswertung der erhaltenen Daten ist eine Mitarbeiterin der Partnerorganisation verantwortlich. Die Präsentation der Ergebnisse erfolgt unter Teilnahme von Vertreterinnen aller Ebenen. Nach jeder Monitoring-Runde wird das weitere Vorgehen mit den Beteiligten abgestimmt und gegebenenfalls modifiziert. Die projektinterne Vorgehensweise wurde in einer organisationsinternen Publikation vorgestellt. Gender-Aspekte sind bei der Planung, Umsetzung und Auswertung von M&E zentral. Das spiegelt sich in der gleichmäßigen Zusammensetzung bei Workshops und Datenerhebungen wider. Inhaltlich legte das Team auf das Erfassen der Deutungsweisen und Realitäten von Frauen und Männern großen Wert. Da Projekt B/2 zum Zeitpunkt der Datenerhebung den Aufbau eines Systems zur Wirkungsbeobachtung plante, war es mir möglich, nach Absprache mit der Projektleitung selber ein auf Wirkung ausgerichtetes MonitoringSystem zu entwickeln. Durch diese Aufgabe erhielt ich wertvolle Einblicke hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen von M&E, des Umgangs mit Regelwerken und des Einflusses von unterschiedlich verteilter Macht. Der Fokus 6
Barfußjuristinnen/Parajuristinnen sind in staatlichen Rechtsfragen ausgebildet und für die Rechtsalphabetisierung der lokalen Bevölkerung zuständig. 87
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
des erstellten M&E lag zum einen darauf, mögliche Dienstleistungsänderungen geförderter Institutionen festzustellen, und zum anderen darauf, die Wirkungen der Arbeit der neu geformten Dorfkomitees gegen Gewalt auszumachen. Im Rahmen eines Planungsworkshops, an dem sich Mitarbeiterinnen, Partnerinnen und Vertreterinnen der Zielgruppe beteiligten, erarbeiteten alle Teilnehmerinnen hierfür M&E-Konzepte und entwickelten Indikatoren. Bei der Wahl der Beteiligten wie auch bei der inhaltlichen Gestaltung der Datenerhebung spielte eine ausgewogene Geschlechteraufteilung eine wichtige Rolle. Es folgte eine Pilotphase, die das Testen von geeigneten Erhebungsmethoden zum Ziel hatte. Methodologisch ging ich bewusst experimentell vor. In Projektgebieten des Nordens und Südens Malawis besuchte ich verschiedene Dörfer, lebte dort und erprobte mehrere Tage lang zusammen mit den Bewohnern partizipative qualitative Methoden wie Gruppendiskussionen mit Rankings, Rollenspiele, Zeichnungen und Geschichten-Erzählen. Diese ergänzte ich um quantitative Informationen, in diesem Fall Fragebögen und lokale Statistiken, die später von den Institutionen wie auch den »village committees« selbst geführt werden sollten. Geeignete Methoden stellte ich in den sich anschließenden Workshops vor, diskutierte und übte sie mit den Teilnehmerinnen ein. Ziel war es, die Partnerinnen zu ermächtigen, in regelmäßigen Abständen selbstständig Erhebungen umzusetzen und Kolleginnen in der Anwendung von Methoden auszubilden. Das sollte zuletzt auch über eine Einführung in Statistik sichergestellt werden. Bedingt durch Mittelkürzungen wurden jedoch weder Statistikkurse noch von den Partnerinnen umgesetzte Erhebungsphasen implementiert. Letztere ersetzte man, nachdem es zu einer überraschenden, vorzeitigen Beendigung des Projektes aufgrund finanzieller Probleme und Unstimmigkeiten kam, durch eine von mir umgesetzte Abschlussevaluation. Sie orientierte sich an den partizipativ erarbeiteten Wirkungsindikatoren und dem daran gekoppelten Methodenset. Für die Datenerhebung besuchte ich die Dörfer aus der Pilotphase. Erfahrungen im Umgang mit den erprobten Methoden sind anschließend in organisationseigene Publikationen eingegangen und wurden in einem überregionalen Workshop präsentiert.
5.2
Signifikation
Einführung In diesem Abschnitt stelle ich den Umgang mit Bedeutungsmustern, die hinsichtlich der Wirkungsbeobachtung der untersuchten Projekte eine zentrale Rolle spielen, anhand der Ergebnisse der Fragebögen und Interviews dar. Der 88
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Fokus liegt hierbei auf den individuellen bzw. gruppenabhängigen Interpretationsweisen. Der Aufbau orientiert sich an den für diese Studie wichtigsten kognitiven Regeln von Organisation A und B. Das sind zum einen Vorgaben zu M&E-Abläufen, zum anderen Leitlinien der Querschnittsthemen Partizipation und Gender, die bei der Umsetzung von M&E berücksichtigt werden müssen. Im Folgenden veranschauliche ich die Modalitäten, das sind die »hic et nunc von jemand mit spezifischer Biographie und Kompetenz in Anschlag gebrachten Regeln und Ressourcen«, und zeige die daran gekoppelten Interaktionen auf (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000: S. 330). Zunächst verdeutliche ich, wie Deutungsmuster aufgebaut werden und welche Rolle Zugangsfragen zu Wissensbeständen bei der Interpretationsbildung spielen. Im Weiteren gehe ich konkret auf die jeweiligen Interpretationsmuster von M&E, Gender und Partizipation ein. Die Ergebnisse gelten für beide Organisationen gleichermaßen, sofern nicht gesondert darauf hingewiesen wird.
Aufbau von und Zugang zu Deutungsmustern Empirische Studien belegen, dass die Übernahmebereitschaft von neuen Vorgaben steigt, wenn Organisationen unter finanziellen Druck geraten (Hanft, 1995). Es überrascht nicht, dass deutsche Organisationen dementsprechend intensiv daran arbeiten, ihre Deutungsmuster zu modifizieren und den Wünschen des Geldgebers, in diesem Fall des BMZ, anzupassen. Modifikationen haben nicht nur Konsequenzen für die Handlungsweisen der deutschen EZMitarbeiterinnen, sondern auch für deren Kolleginnen in den geförderten Regionen. Leitbilder werden, wie Weilenmann (2004) zeigte, über Projekte aus dem Norden in den Süden übertragen. Das Gleiche gilt für die Konstruktion von Deutungsmustern. Neben lokalen arbeiten besonders westliche Expertinnen als Trainerinnen zum Beispiel für Gender in Entwicklungsländern und vermitteln ihr Wissen in Workshops. Die Teilnahme an diesen ist sehr beliebt, sie gelten sozusagen als Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Geberorganisationen. Die vorgegebenen Deutungsmuster werden in die Handlungsweisen integriert, da sie sich als rational sinnvoll erweisen (Ortmann et al., 1990). Sind NRO-Vertreterinnen mit den Begriffen und dazugehörigen Weltbildern vertraut, sprechen sie ›die Sprache‹ der EZ-Institutionen, erhalten sie Zugang zu Geldern. Das Wissen darüber, wie das Vorhaben nach den Wünschen des Geldgebers abzuwickeln ist, wird zur Machtfrage. Der strategische Umgang mit Leitlinien ist Teil eines mikropolitischen Prozesses. Es geht darum, die Chancen zu steigern, die individuellen (Sicherung des Arbeitsplatzes etc.), abteilungs- oder organisationsabhängigen (Sicherung des Mittelflusses etc.) Interessen über Wissenserweiterung durchzusetzen. Wissen gilt somit als autorative Ressource, die gekonnt eingesetzt werden kann, um 89
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zum Beispiel allokative Ressourcen zu sichern. Es überrascht nicht, dass auch bei den tansanischen, malawischen und sambischen Interviewpartnerinnen Weiterbildung enorm gefragt ist. Je vertrauter Mitarbeiterinnen mit den Konzepten sind, desto höher ist ihre Chance auf eine Karriere in Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit. Denn gegenseitige Kommunikation ist nur dann erfolgreich, wenn sie zwischen Menschen stattfindet, die auf gleiche Deutungsschemata zurückgreifen. Diejenigen in den Untersuchungseinheiten, die an Trainings teilgenommen haben, geben ihr Verständnis an Kolleginnen weiter. Deutungsmuster entwickeln sich über diese Weitergabe von Wissen von Person zu Person und erfahren dabei jedes Mal individuelle Modifikationen. Den Interviewpartnerinnen ist es wichtig, zu einem zumindest oberflächlich einheitlichen Definitionsverständnis zu gelangen, um Voraussetzungen für gemeinsames Handeln zu schaffen: »Wir haben einmal in der Woche Treffen, in denen verschiedene Themen durchgesprochen werden. Zum Teil versuchen wir uns auf diese Art […] zu informieren und auf dem Laufenden zu halten. Ziel ist es dabei, dass alle zu dem gleichen Verständnis kommen. Viele haben keine einheitlichen Trainings erhalten. Nur der alte Stamm hatte zum Teil die Chance, einheitliche Trainings zu bekommen. Auf diese Weise ermöglichen wir es unseren Mitarbeitern, mehr über für sie zum Teil noch neue Gebiete zu erhalten.« (T-F-A)
Doch auch von deutscher Seite werden Trainings nachgefragt, da das selbstständige Einarbeiten anhand von organisationsinternen Dokumenten nicht ausreicht. »Development agencies seem to assume that one knows about all that already. But many do not know about it.« (Z-F-D-B) Der Austausch mit anderen Akteurinnen ist zentral für die Entwicklung von Deutungsmustern. Der Aushandlungsprozess zielt darauf ab, entsprechend den Organisationsvorgaben agieren zu können. Die Bildung von Informationsnetzwerken, die strategischen Charakter besitzen, ist ein wichtiger Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit (Hüsken, 2006): Man verbindet sich mit Gleichgesinnten, um bestehen zu können. Um auf ähnlichen Wirklichkeitskonstruktionen aufbauen zu können, spielen Abgrenzungskriterien wie nationale Herkunft, Alter und Grad der Erfahrung bei der Wahl der Mitstreiter eine wichtige Rolle. »Jeder Geber hier kocht seine eigene Suppe. Die drei Skandinavier hängen immer zusammen – alles, um Corporate Identity zu wahren. Die Vorbereitung in der Organisation B ist sehr allgemeiner Art, es gibt keine Länderkunde. Info kommt nicht nur von der Organisation B, ich lerne von anderen Kollegen, Partnern, […]. Wir sind einfach zu weit weg. Das Ganze ist personenabhängig, das eigene soziale Netzwerk spielt hier rein, das kommt ganz auf die Person und deren Interesse an. Jeder legt das anders aus, aber die alteingefleischten Organisation B-ler tun so, als ob sie alles ver-
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stehen. Jeder muss als Anfänger schauen, dass er an Informationen kommt.« (Z-FD-B)
Die ›alten Hasen‹ innerhalb einer Organisation haben ihre Deutungsmuster bereits angeglichen und sind für neue Deutungen weniger offen. Hanft bestätigt die Beobachtung, dass Akteurinnen, die für eine Organisation schon lange tätig sind, über homogenere Interpretationsmuster verfügen als kürzer angestellte, die offener für Lernprozesse sind (Hanft, 1995). Da die Neuen aufgrund ihrer Position übereinstimmendere Erfahrungen der Organisationswirklichkeiten machen und damit oftmals über ähnlichere Deutungsmuster verfügen, verwundert es nicht, dass sie sich bewusst zusammenschließen. Als strategische Gruppe stärken sie sich gegenseitig und vergrößern ihre Macht, auf strukturelle Gegebenheiten einzuwirken. Dieses Verhalten entspricht dem von Giddens genannten praktischen Bewusstsein, welches es Akteurinnen erlaubt, rational zu handeln und ihr Handeln diskursiv zu planen und zu begründen. Bekommen Akteurinnen keinerlei Unterstützung bei der Bildung von Deutungsmustern, kann es, wie diese Studie belegt, zu Missstimmungen zwischen den dafür zuständigen Ebenen und ihnen kommen. Obwohl die untersuchten Organisationen großen Wert darauf legen, dass M&E sowie die genannten Querschnittsthemen Umsetzung erfahren, wird von der Mehrheit der Interviewpartnerinnen, besonders von Organisation A, der Mangel an Trainings bzw. die dafür zu knapp bemessene Zeit moniert: »I cannot understand, why they do not provide more funds for it, it is in the own benefit of donors, funding for trainings but not for impact monitoring is not good. It is not helpful just to provide services about which you do not know if it is successful and how to improve it.« (T-F-A) »[We] lack training since it is not on the agenda of donors. There is lack of skills. A common understanding is missing, it only exists ›in pieces‹, all somehow understand it. There is lack of trainings, since it is not on the agenda of donors.« (T-F-A)
Neben Trainingskursen und Aktenanalyse sind weitere Zugangsmöglichkeiten zu Wissen für den Deutungsprozess entscheidend. Internetrecherchen über Wissensspeicher sollen den Mitarbeiterinnen ermöglichen, organisationsinterne Vorgaben zu verstehen und umzusetzen. Hans-Dieter Evers, Markus Kaiser und Christine Müller sprechen in Bezug auf diese Wissensspeicher von einer EZ-Wissensarchitektur, die entkoppelte, translokale Gemeinschaften bilden (Evers/Kaiser/Müller, 2003). Die Dezentralisierung deutscher EZOrganisationen wurde durch diese Verbindungsmöglichkeiten gestärkt. Lokalitäten werden global miteinander verbunden. Die Wissensvorräte stehen jederzeit abrufbereit – deren Nutzung ist, wie die Untersuchungsergebnisse zei91
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gen, aber eine Zeitfrage. Die deutschen Interviewpartnerinnen beider Organisationen betonen zwar einheitlich, dass Informationen bereitstehen – aus Zeitgründen wird jedoch selten darauf zurückgegriffen. Die Fülle an Vorgaben führt bei einigen Befragten sogar zum Gefühl der Überforderung. »Das Problem ist aber, dass du in dem Arbeitsalltag manchmal nicht mehr kannst, weil auch unglaublich viele Vorgaben und Prozesse da sind. Ein Unternehmen muss aufpassen, dass man die Balance hält zwischen sinnvoll und so viel, dass du irgendwann hier den Stillstand hast. Das ist die Kunst.« (D-F-B)
Trotz des Gefühls des Informationsüberflusses hat der Ausbau des Internets zu einem erweiterten Handlungsspielraum der deutschen Akteurinnen geführt. Die Soziologin Saskia Sassen stellt fest, dass elektronische Netzwerke nicht nur zur Verteilung von Macht führen, sondern auch neue Formen von Macht ermöglichen. Sie spricht hierbei von einer »Cyber-Segmentierung« (Sassen, 2000: S. 145). Diese Doppeltendenz ist ihrer Meinung nach zwar noch einseitig, das wird sich jedoch zunehmend ändern. Bezüglich Gestaltung und Zugang zu Wissensplattformen dominieren Länder aus dem Norden. Elektronische Vernetzung ermöglicht es aber, lokale Akteurinnen aus dem Süden auf Probleme und Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen und politisch dagegen vorzugehen (Evers/Kaiser/Müller, 2003). Dieses Potential wird bis jetzt in den Untersuchungsgebieten von den afrikanischen Befragten nicht genutzt. Vielmehr klagen sie über schlechte Zugangsmöglichkeiten (Sprachunterschiede, keine Passwörter für das Intranet etc.) und Nutzungsweisen von organisationsinternen Wissensspeichern des Nordens, während die deutsche Seite Zugangsmöglichkeiten zu Informationsstrukturen besitzt und diese gegebenenfalls auch nutzen würde. Von der Projektleitung erwarten die lokalen Angestellten, dass diese als akzeptierte Autorität des Projektmanagements alle wichtigen Informationen zugänglich macht, besonders dann, wenn Dokumente nur auf Deutsch und nicht auf Englisch vorliegen. Der Faktor »Sprache« besitzt bei der Wissensvermittlung ein- oder ausschließenden Charakter. In den Untersuchungsgebieten verhindert er kommunikative Interaktion und damit den Deutungsprozess. Die allseits geforderte Bildung von »Corporate Identity« der lokalen Mitarbeiterinnen ist gefährdet. Da jede nationale und internationale EZ-Institution über eigene Verfahren und Regelwerke verfügt, ist es für Partnerinnen zusätzlich schwer, ein einheitliches Verständnis aufzubauen. Verwirrungen, Missverständnisse und Überforderung der lokalen Mitarbeiterinnen sind an der Tagesordnung. »Another challenge is, that all do have different approaches and their own understandings. We always face problems to figure out what is the understanding of the 92
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donor for instance, when we talk about poverty reduction. Each donor has his own agendas. It is a challenge for NGOs to receive fundings but not to loose their identity.« (T-F-A)
Die Schnelllebigkeit der Diskurse vereinfacht die Situation nicht. Sie verdeutlicht die Dynamik von struktureigenen Regeln, die einen zeitintensiven Interpretationsaufbau über Interaktionen behindert. »[E]s gibt ja diese Wellen, es gab diese ZOPP-Welle, dann gab es die Anti-ZOPPWelle, dann gab es PCM-Welle, dann wurde das auch wieder abgeschafft. Und die jeweiligen Leute, die dann jeweils für die Veränderungen zuständig sind, die entwickeln immer eine unglaubliche Leidenschaft. Also mich hat das zum Teil damals [zu Beginn ihrer Tätigkeit bei Organisation B] schon irritiert, weil ich manches schon als dogmatisch empfunden habe. Und bin dann doch wieder erstaunt, wie dann nach diesen ewigen Kämpfen – und dann hat man was fertig –, wie so was dann drei Jahre später auch schon wieder überholt ist.« (D-F-B)
Bei der Einführung neuer Konzepte werden diese ganz bewusst als radikale Erneuerung verkauft. Kampagnen wie das Ernennen des neuen Ansatzes zum Jahresthema, Äußerungen der Geschäftsführung, Präsentation in einschlägigen Zeitschriften, Workshops und Schulungen sollen die Annahme durch betroffene Akteurinnen fördern und damit letztlich zur Verankerung in Organisationsstrukturen führen (Kieser, 2002c). Verschiedene Autoren weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Sprache professioneller Leitbilder ganz bewusst von Metaphern durchsetzt ist (Gerken, 1992; Putnam et al., 1996; Gloor, 1987). Dem Leitbild soll damit Anschaulichkeit und Durchsetzungskraft verliehen werden. Metaphoriken zielen darauf ab, bestimmte Emotionen in Akteurinnen auszulösen, die zur Akzeptanz des neuen Schlagwortes bzw. Konzeptes beitragen (Kieser, 2002c). »Erfolgskontrolle« und »Qualitätssicherung« suggerieren bereits Erfolg und Qualität, die es scheinbar nur aufrechtzuerhalten gilt. Konzepte zu »wirkungsorientiertem Monitoring« betonen, dass es sich um eine neue, erweiterte Form des Monitorings handelt, die Wirkung in den Vordergrund stellt. Die Wirkungsbeobachtung wird über Metaphern genauer erklärt. So soll festgestellt werden, ob die Projektmaßnahmen sich nach wie vor im »Zielkorridor« befinden oder ob sie bereits ›vom Weg abgekommen‹ sind. Wirkungsmonitoring hilft dabei, sich im Wirrwarr des Wegenetzes zurechtzufinden. Der richtige Projektweg kann unter Zuhilfenahme von Wirkungsbeobachtungen eingeschlagen werden. Innerhalb der Wirkungsbeobachtung soll anhand von erwartbaren »Wirkungsketten« der Gang des Vorhabens kontrolliert werden. Wirkungsketten suggerieren ein gleichmäßiges Nacheinander von Wirkungen, welches an die Kettenreaktion beim Umfallen von Dominosteinen erinnert. Dass diese Kettenreaktion in der Praxis so nicht anzutreffen ist, da Wirkungen 93
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verfrüht, verspätet oder parallel eintreten können, sei hier am Rande erwähnt. Ziel dieser Metaphern ist es jedoch, Assoziationen auszulösen, die das Verstehen des neuen Konzeptes erleichtern und es handlicher machen sollen. Metaphern verdeutlichen das Neue und weisen damit darauf hin, wie die Welt aus den Augen einer Organisation gesehen wird: »The use of metaphors implies a way of thinking and a way of seeing that pervade how we understand our world generally.« (Morgan, 1986: S. 12; zitiert nach: Kieser, 2002c: S. 309; Hervorhebung im Original) Sie veranschaulichen somit die zu einem bestimmten Zeitpunkt dominierenden Wahrheiten. Diese können aber über einen bestimmten Zeitraum auch wieder an Bedeutung verlieren und schließlich in Vergessenheit geraten. Interpretationsschemata fordern von ihren ›Vertreibern‹ einen ernsthaften und überzeugenden Umgang, sonst besteht die Gefahr, dass sie zur Farce werden. Ein reibungsloser Informationsstrom muss gewährleistet sein, um ein ›Hinterherhinken‹ der Deutungsweisen auf unteren Arbeitsebenen, zum Beispiel der lokalen Partnerinnen im Ausland, zu verhindern. Die Ergebnisse zeigen, dass Organisation B hier deutlich weiter ist als Organisation A. Das Streben nach einem ähnlichen Wissensstand unter den beteiligten Akteurinnen ist ein langwieriger Prozess, der viel Engagement auf Seiten der Organisation und der zuständigen Akteurinnen verlangt. Leitfäden zu M&E oder Querschnittsthemen sind zentral für die Wissensbildung. Beide Organisationen arbeiten engagiert an Umsetzungsvorschlägen, die den Erwartungen und Anforderungen des In- und Auslands entsprechen sollen. Während Organisation A noch nicht über ausreichende Konzepte und Vorgaben verfügt, hat Organisation B schon klare Leitlinien entwickelt und auch strukturell die Voraussetzungen für Aushandlungsprozesse im Rahmen von Diskussionen und Informationsveranstaltungen geschaffen. Dem gingen lange organisationsinterne Abstimmungsprozesse voraus. »Es war damals mit dem Leitfaden ein langer Prozess, der sich über ein Jahr hingezogen hat, bis wir von allen da ein Dokument stehen hatten, das von allen getragen wurde.« (D-M-B)
Doch trotz der sorgsamen Austauschprozesse der zuständigen Expertinnen werden die organisationsinternen Orientierungshilfen zu M&E, Gender und Partizipation von fast allen Mitarbeiterinnen beider Organisationen als zu theoretisch und ›abgehoben‹ kritisiert. Sie vermögen es offenbar nicht, den jeweiligen lokalen und spezifischen Kontexten und Projekt- bzw. Programmansätzen konkrete Tipps für den Aufbau neuer Deutungsmuster zu vermitteln. Die meist genannte Kritik lautet demnach auch: »Publikationen sind viel zu allgemein.« (Z-F-D-B) Dass Instrumente und Vorgaben die Erwartungen oft nicht erfüllen, ist in der Organisationsforschung nichts Neues. Auffallend ist, dass die Verantwort94
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lichen in den meisten Fällen an ihren Instrumenten festhalten (Hanft, 1995). Es ist praktikabler, bekannte Deutungsschemata zu modifizieren, als neue aufzubauen. Dieses Phänomen bezeichnet Ortmann als »Lock In« (Ortmann, 1995; zitiert nach: Hanft, 1995: S. 26). Organisation B versuchte durch grundlegende Modifikationen diesem »Lock In« stärker entgegenzutreten als Organisation A, die auf weniger Erfahrung bezüglich M&E zurückgreifen kann und zur Einführung mehr Zeit benötigt. »Lock Ins« stehen und fallen, wie die Untersuchungseinheiten zeigen, mit der jeweilige Bereitschaft, adäquate Human- und Finanzressourcen bereitzustellen, um neue Leitlinien entwickeln und deren Umsetzung sicherstellen zu können. Interaktionen alleine reichen für gewünschte Umsetzungsweisen nicht aus. Finanzielle und arbeitskraftausgerichtete, strukturelle Rahmenbedingungen müssen ebenso gewährleistet sein. Es ist die Aufgabe von für Konzepte verantwortlichen Mitarbeiterinnen, diese als »strukturale Gestaltungsmuster« für andere Akteurinnen handlungsleitend einzuführen (Hanft, 1995: S. 28). Die Leitlinien beeinflussen den Aushandlungsprozess, der über Rückkopplungsschleifen (»trial and error«) zu Änderungen der Vorgaben führt. Positive wie negative Rückkopplungsprozesse sind zentral, um Deutungslücken schließen und zu einem besseren Gesamtverständnis beitragen zu können. Eine Kultur offener Kopplungen prägt beide Organisationen. Die benötigten Aushandlungsprozesse sind sehr zeitintensiv: »Da gibt es Abstimmungsschleifen, da gibt es im Vorfeld, dass man sagt, es sind Teile einer Arbeitsgruppe, fachlich ausgerichtete Handreichungen, die schon im Vorfeld eingebunden wurden und Teile der Diskussion waren. Leute, die aus dem Stab in die operativen Bereiche kommen. Dann wird auch immer sichergestellt, dass Leute hier sitzen, die gerade aus einem Vorhaben kommen oder auch eine sehr enge Bindung zu ihrem Bereich haben, da ist dann schon so ein Korrektiv drin. Und dann natürlich auch die Schlussredaktion, der Qualitätscheck, wo wir denken, das genügt unseren Ansprüchen. Und dann wird es noch mal von gewählten Stellen hier im Haus gegengelesen. Einerseits zur fachlichen Absicherung, andererseits im Sinne der Akzeptanzschaffung, dass die Bereiche das Gefühl haben, sie sind ernst genommen, das ist auch keine Pseudoveranstaltung. Dann ist die Akzeptanz auch viel größer, als wenn hierzu ein Papierchen aus dem Elfenbeinturm nach unten flattert.« (DM-B)
Die Herausbildung von allgemein akzeptierten und verstandenen Deutungsmustern ist ein langer Prozess, der intensive Interaktionen voraussetzt, die wiederum strukturelle Änderungen hervorrufen und so zu neuen Interaktionen führen. Unterschiedliche Deutungsweisen müssen zumindest mit ranghöheren Akteurinnen abgestimmt werden. Will man auch noch die Erfahrungen und Interpretationen von Auslandsmitarbeiterinnen und lokalen Angestellten, die 95
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von den unterschiedlichsten lokalen Kontexten geprägt sind, mitberücksichtigen, gerät man an die Grenzen des zeitlich und finanziell Machbaren, was wiederum zu Spannungen führt. Aufgrund der räumlichen Trennung existieren trotz Vernetzungsmöglichkeiten durch moderne Kommunikationsmedien zwei Welten. Die ›drinnen‹, die Zentrale im Inland, und die ›draußen‹, die Projekte und Programme im Ausland, setzen sich mit äußerst heterogenen Kontexten auseinander, die jeweils eigene Wirklichkeitskonstruktionen und dementsprechende Bedürfnisse beinhalten. »Es sind halt Traumwelten und entspricht der Realität hier vor Ort nicht. Da habe ich auch viel Diskrepanz gesehen zwischen Vorgaben und dem, was halt läuft.« (MF-D-B)
Interpretationen, wie sie innerhalb der Zentralen ausgehandelt werden, prallen unvermeidlich auf die Konstruktionsweisen der Auslandsangestellten. Das gilt sowohl für Strukturen als auch für Interaktionen. In der Zentrale ist der Zugang zu den zuständigen Mitarbeiterinnen, die formell wie informell zu Rate gezogen werden können, leichter. Fachgespräche und Infoveranstaltungen sind einfacher zugänglich und ermöglichen dadurch ganz andere Austauschprozesse, die sich unmittelbar auf Deutungsmuster niederschlagen. Auslandsmitarbeiterinnen sind hingegen viel mehr auf sich alleine gestellt und unterliegen anderen strukturellen Rahmenbedingungen. Gelöst wird dieses Spannungsfeld, indem in beiden Organisationen Auslandsmitarbeiterinnen über einen ihrer Meinung nach relativ großen Handlungsspielraum verfügen. Der Umgang mit Vorgaben ist personenabhängig und der eigenen Schwerpunktsetzung und Interpretation überlassen: »Da nimmt man eben die Dinge raus, die man für besonders wichtig hält.« (D-F-B) Das eigene Handeln ist interessengeleitet und damit mikropolitisch geprägt. Mitarbeiterinnen in Führungspositionen, wie zum Beispiel Projektleiterinnen, sind in der Lage, die Leitbilder strategisch aufzugreifen. Je offener Leitbilder gehalten sind, desto mehr erlauben sie es Handelnden, ihren eigenen subjektiven Interpretationen zu folgen. Wie wichtig Leitlinien eingeschätzt werden, wird von dem Verhalten anderer Akteurinnen und ihrem Umgang mit diesen abgeleitet. Werden M&EMaßnahmen von Kolleginnen berücksichtigt und umgesetzt, kann man sich ihnen kaum entziehen. Handeln ist somit, wie Hanft mit Blumer betont, kein reaktiver, sondern »ein formender Prozess, in dessen Verlauf Bedeutungen als Mittel für die Steuerung und den Ablauf von Handlungen gebraucht und abgeändert werden« (Blumer, 1973: S. 84; zitiert nach: Hanft, 1995: S. 23). Auch neueste Kommunikationsmedien können Kontextdifferenzen zwischen den Zentralen und den Auslandsmitarbeiterinnen nicht gänzlich ausräumen. Das Herauslösen von sozialen Beziehungen, die »Kommunikation 96
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ohne Anwesenheit« im jeweiligen Kontext, kann eine direkte Kommunikation am gleichen Ort nicht ersetzen (Berger, 1999: S. 145). Die Vernetzungsqualitäten des Internets variieren in den Entwicklungsländern und verhindern einen vollständigen Austausch zwischen beiden Welten. »Oft werden mir noch Anlagen geschickt, die ich hier in Sambia aber gar nicht öffnen kann. Die haben keine Ahnung, wie es hier aussieht bzw. sie sind realitätsfern da in der Zentrale.« (Z-F-D-B) Der mediale Informationsaustausch einer beschleunigten Welt erhöht den Druck zu handeln. Schnelles Einarbeiten, Verstehen und Antworten wird aus der Sicht der Zentralen zur Selbstverständlichkeit. Die schnelle ›Taktung‹ funktioniert in einem deutschen Umfeld, da alles auf sie ausgerichtet ist. Die Realitäten der Kolleginnen im Ausland sind jedoch andere. Wie Studien zeigen, treten die an die Kommunikationstechnologie gesetzten Erwartungen einer effizienteren Kommunikation nicht wie erwartet ein (Frenzel/Müller/Sottong, 2000). Neue Medien ersetzen Aushandlungsprozesse nicht, denn das ›Informieren‹ per E-Mail reicht nicht aus, um ›Verständigung‹ aufzubauen. Nachrichten werden nicht von alleine verstanden, wie oft von Verantwortlichen der Zentralen angenommen. Sie müssen kommunikativ ausgehandelt, das heißt diskursiv erarbeitet werden. Auch innerhalb der ›Außenwelt‹, das heißt in den Projektgebieten, kollidieren unterschiedliche Wahrnehmungen, die sich auf Interpretationsprozesse auswirken. Die afrikanischen Gesprächspartnerinnen klagen über mangelndes Wissen hinsichtlich der Regelwerke von Organisation A und B. Informationstransfer über Regelwerke findet demnach, entgegen aller Vorsätze, nicht ausreichend statt und führt dazu, dass grundlegende organisationsinterne Strukturen, Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten der deutschen Partnerorganisationen zum Teil unbekannt sind. »Honestly, I do not know. It is done by the Germans. Often, they [Dokumente des Projekts] are written in German – anyhow, I can not understand them. I do not know what they mean; I just try to fill them in as I think I should. Even though we have our Gender tools here, practically I cannot use them.« (T-F-A)
Das dadurch erhaltene Gefühl, ausgeschlossen zu werden, führt zu Gleichgültigkeit und Frustration. Organisationsvorgaben zu M&E und Querschnittsthemen werden als für Deutsche gemachte Leitlinien verstanden und spielen daher in der Arbeitsrealität der afrikanischen Mitarbeiterinnen und Partnerinnen eine weniger große Rolle. Der Ethnologe Georg Elwert stellt dazu fest, dass die Einführung von Innovationen dann nachhaltig ist, wenn sie Soziabilität vermittelt. Darunter versteht er, dass die Neuerung von allen Betroffenen und somit vom ›Wir‹ gewollt wird. Den Prozess vom Fremden zum »Unsrigen« nennt er »nostrifizieren« (Elwert, 2000: S. 69). Da in oben genanntem Fall »Nostrifizierung« ausbleibt, ist die Identifikation mit dem deutschen Ar97
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beitgeber erwartungsgemäß schwach ausgeprägt. Konzepte werden aufgrund mangelhafter Deutungsbildung nicht, wie von Organisation A und B vorgesehen, von lokalen Mitarbeiterinnen und Partnerinnen umgesetzt. Die Interviews zeigen, dass Meinungen in diesem Fall innerhalb einer Organisationsebene recht homogen sind. Unterschiedliche Wahrnehmungen verlaufen über die Struktur-Kategorien »nationale Herkunft« und »Inland« (sprich: Zentrale) versus »Ausland«. »Nationale Herkunft« darf hier aber nicht als exakte Nationalitätszuweisung verstanden werden. Differenzierte Unterscheidungen in deutsche, englische oder schwedische Geber durch die lokalen Partnerinnen sind selten der Fall. Stattdessen handelt es sich um Wahrnehmungen eines anderen Kulturraums wie des nordamerikanischen bzw. europäischen und des ost- bzw. südafrikanischen. Die gegenseitigen Konstruktionen des jeweils anderen sind mit Zerrbildern verbunden. Sie beeinflussen die Art und Weise des Umgangs mit organisationsinternen Vorgaben und damit die interaktiven Kommunikationsprozesse.
Monitoring und Evaluation Organisation A verfügt über ungenaue M&E-Vorgaben und -Definitionen, was den Deutungsprozess erschwert. Während alle Interviewten die Notwendigkeit von Erfolgskontrollen betonen, ist unklar, wie diese eingeführt und umgesetzt werden können. Es fehlen interne und externe Aushandlungsprozesse. Stattdessen wird M&E auf Partnerorganisationen übertragen, die für die Wirkungsbeobachtung zuständig sind. Partnerinnen sind mit den Begrifflichkeiten des M&E zwar vertraut, das Verständnis ist aber oberflächlich. Genaue Unterschiede zwischen Monitoring und Evaluation sind ihnen oft unklar. Das Gleiche gilt für die methodologische Seite der Erfolgskontrolle. Die klassischen quantitativen und qualitativen Erhebungsmethoden sind bekannt. Methodenkenntnisse erwarben sie im Rahmen von Workshops und gaben sie informell an Kolleginnen weiter. Der informelle Charakter führt jedoch zur Verwässerung von Inhalten und unterschiedlichen Interpretationen. Was im Workshop noch klar war, erscheint verwirrend, wenn man es selber erklären muss. Bei eigenen Datenerhebungen der Partnerinnen von Organisation A werden primär Auszählungen, Fragebögen und Interviews verwendet. Die genaue methodische Vorgehensweise ist jedoch von Unsicherheit geprägt. Indikatorenbildung, Unterschiede zwischen qualitativen und quantitativen Methoden, Analyseverfahren und Darstellungsweisen verwirren die Beteiligten nach wie vor. Deutlich wird das unter anderem an einem Kommentar, den eine Vertreterin der Partnerorganisationen in einem Workshop zu M&E machte. Sie stellte fest, dass ihre M&E-Berichte subjektive Darstellungen seien. Anstelle der Meinung der Befragten beschreibe sie lieber ihre persönlichen Eindrücke. Mit objektiven Auswertungs- und Darstellungsweisen sei sie nicht 98
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vertraut. Nach ihren Ausführungen meldeten sich andere Workshopteilnehmerinnen und klagten über ähnliche Probleme. Die Befragten der Organisation A monierten Kommunikationsschwierigkeiten und mangelnde Förderung, sie fühlten sich alleine gelassen und überfordert. Zu viel Freiraum führt also dazu, dass M&E nicht konsequent umgesetzt wird. Individuelle Gestaltungsmöglichkeiten können ohne Grundwissen und Leitlinien nicht genutzt werden. Anders gestaltet sich das bei Organisation B. Mitarbeiterinnen und Partnerinnen besitzen aufgrund von Einführungstrainings gute M&E-Kenntnisse. Sie sind mit Begrifflichkeiten und den damit verbundenen Aspekten wie Indikatorenbildung vertraut, haben in Workshops Methoden kennen gelernt und wissen, diese anzuwenden. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass selbst nach intensiven Abstimmungsprozessen unterschiedliche Wahrnehmungen nicht zu verhindern sind. Deutlich wird das bei der Umsetzung von M&E in Projekt B/1. Partnerinnen und Barfußjuristinnen erheben dort in den Dörfern gemeinsam Daten. Obwohl sie an intensiven Einführungskursen teilgenommen haben, zeigen sich besonders bei den Barfußjuristinnen Verständnis- und Umsetzungsprobleme. Es ist ihre Aufgabe, Fragen zu stellen und Antworten aufzuzeichnen. Vor lauter Eifer beeinflussen sie dabei aber, wie sich an den erhaltenen Daten und persönlichen Beobachtungen zeigt, ihr Gegenüber. Verständnisprobleme bei der Deutung des Fragebogens führen dazu, dass Fragen ausgelassen oder missverständlich beantwortet werden. Der Datenrücklauf verdeutlicht diese Probleme auch im zweiten Monitoring-Durchlauf. Sambische Partnerinnen weisen auf die Neuartigkeit der westlichen Erhebungsmethoden hin, die auf fremden Deutungsmustern aufbauen. Methoden, die im westlichen Kontext sinnvoll erscheinen und klar sind, rufen in anderen Kulturen Verwirrung hervor: »Unsere Erfahrungen zeigen, dass Sambier sehr gute Redner sind. Sobald sie diese Informationen jedoch schriftlich abgegeben sollen, geht nichts mehr, das heißt, es kommt nur sehr wenig bei rüber. Die sambische Gesellschaft ist eine orale, etwas niederzuschreiben ist nicht so üblich. Leider geht bei den Informationen, die wir schriftlich bekommen, dadurch für uns wertvolle Information flöten. Interessant ist unser Test, der hat sich als geeignet erwiesen, um festzustellen, was die Leute noch wissen. Super kommen hier Rollenspiele an. Das würde man bei uns ja kaum verstehen. Manuals werden leider nicht gelesen. Besser geeignet zur Wissensvermittlung sind regelmäßige Refresherkurse. Die Wiederholung ist zentral. Die Kultur der Angst, die zum Beispiel auf Seiten der Richter gegenüber dem M&E besteht, muss abgebaut werden. Es herrscht ein großes Misstrauen – auch untereinander, das ist typisch sambisch.« (Z-F-D-B)
Doch auch Monitoring- und Evaluationsmaßnahmen von westlichen Datenerheberinnen werden beeinflusst von verschiedenen Signifikationsmustern. Be99
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sonders bei qualitativen Daten fallen diese unterschiedlich aus und führen zu Spannungen zwischen Partnerinnen und Erheberinnen. Nahezu alle einheimischen Befragten aus Malawi, Tansania und Sambia verweisen auf diese Unterschiede: »They think, they know it all, coming from overseas. I can tell you an example: Once an external evaluator misunderstood payment for seeds as a membership fee. He did not even ask if he had understood the reasons for payment properly.« (Z-MB) »Die Gutachter haben bereits eine Meinung im Kopf, bevor sie überhaupt losziehen. Das Problem ist, dass Partner dann von den Ergebnissen der Gutachter abhängen, da diese der Geldgeber schickt. Entsprechend sprechen sie dem Geldgeber und seinem Evaluator auch nach dem Mund.« (M-M-B)
Um ein einheitliches, westliches Verständnis zu garantieren, greift die Projektleitung bei M&E oftmals auf Gutachterinnen zurück, die aus den Herkunftsländern der Geberorganisationen kommen. Der gleiche kulturelle Hintergrund und ein ähnlicher Wissensstand soll die Analyse und Berichtverfassung nach eigenen Standards erleichtern. Die Partnerseite in den afrikanischen Untersuchungseinheiten reagiert darauf mit Unverständnis und Ablehnung. Sie fühlt sich übergangen und zweifelt an der Validität der von Ausländern erhobenen Daten. Für den weiteren Verlauf eines Projekts oder Programms ist entscheidend, wer welche Wirklichkeitskonstruktion in einem Monitoringoder Evaluationsbericht festlegt (Weilenmann, 2004). Deckt sich diese Konstruktion nicht mit den führenden, meist deutschen Akteurinnen, kommt es zu Spannungen; ›nicken‹ diese den Bericht ›ab‹, besitzt er zwangsläufig für alle Beteiligte Gültigkeit. Da lokale Mitarbeiterinnen weiter unten in der Hierarchie stehen, fühlen sie sich bei diesen Wirklichkeitskonstruktionen oft übergangen. Konflikte drohen, werden aber in den Untersuchungsgebieten meist nicht direkt angesprochen. Für die lokalen Fachkräfte ist es oft unverständlich, weshalb ausländische Gutachterinnen scheinbar bevorzugt werden, obwohl sie doch nur kurz da sind, die Kultur bei weitem nicht so gut kennen und mehr Kosten verursachen: »I remember, once we had someone, they came, were not feeling happy with the environment, had health problems, just very short time and used so much money because they flew into Mbeya. There, the evaluators did not feel too well, comfortable. In the end, the evaluation, or me, I found that nothing she reported was new, she just compiled my reports.« (T-F-A)
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Das meist genannte Erklärungsmuster lautet: »They are creating employment for their own people.« (M-F-B) Des Weiteren wird mangelndes Vertrauen von deutscher Seite festgestellt: »It is possible to replace the foreign consultants, but donors do not trust Malawians.« (M-F-B) Diese Annahme entspannt die Zusammenarbeit mit den Gebern nicht, sondern baut Misstrauen auf. Nur selten sprechen Betroffene die Beobachtungen offen an. Gegenseitige Wahrnehmungen werden so weiter tradiert. Dass ausländische Gutachterinnen und Wissenschaftlerinnen nicht immer lokale Realitäten erfassen, zeigt sich an umstrittenen Evaluationsberichten genauso wie an wissenschaftlichen Beiträgen über scheinbar kulturelle Gegebenheiten: »I saw it with one of the German consultants. She published papers from her research in Malawi, which have come up with wrong conclusions because people gave her wrong information. Some of the info does not exist. I do have an example. I read her paper and said there is no such a thing as ›Manelu‹, as a type of a ritual. I said it is not. It simply is a funeral. It stands for death and no ritual. She was given the wrong information or she misunderstood.« (M-F-B)
Inwiefern diese interkulturellen Missverständnisse entwicklungspolitische Ansätze und Konzeptionen beeinflussen, verdeutlicht die Studie der malawischen Wissenschaftler Joseph Oppong und Ezekiel Kalipeni. Sie kritisieren gängige Vorstellungen, die auf westlichen Analysen von HIV/AIDS in Afrika beruhen und ihrer Meinung nach zu Generalisierungen und Vereinfachungen neigen. »[T]he images of Africa conjured in Western minds and perpetuated by the biased media have been those of an oversimplified exotic place variously depicted as a game park or an apocalyptic vision of famine and civil war.« (Oppong/Kalipeni, 2004: S. 47)
Über eine HIV/AIDS Studie eines amerikanischen Autors resümieren sie: »It suffers from common pitfalls in cross-national research, namely, ethnocentricity. Rushing simply looks at African culture through an American lens. It is full of overgeneralisations in its conclusions and creates the false impression that Africans are homogenously, sex-positive and promiscuous.« (Ebd.: S. 54)
Wie schon Organisationen, so wird auch »Nationalität«, hier verstanden als nordamerikanische/europäische und ost- oder südafrikanische Herkunft, konstruiert. Eickelpasch sieht darin neben Geschlecht und Klasse eine weitere zentrale Ungleichheitskategorie. Der Soziologe Stuart Hall geht davon aus, dass die Identität von Schwarzen und Weißen historisch, kulturell und poli101
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tisch konstruiert ist. Er greift auf Michel Foucault und Jacques Derrida zurück und versucht, Identität als »diskursive Effekte« zu konzeptualisieren (Eickelpasch, 2001): Akteurinnen konstruieren in ihren Diskursen Unterschiede; ethnische Differenzen werden in alltäglichen Zuschreibungs- und Deutungsprozessen produziert und reproduziert. Candance West und Sarah Fenstermaker sprechen hier von »doing difference« (West/Fenstermaker, 1995). Dieser rekursive Erzeugungsprozess ist geprägt von der eigenen Kultur. Eine Studie in Malawi zeigt zum Beispiel, dass das Verständnis von »geschlechtsspezifischer Gewalt« deutlich von westlichen Vorstellungen abweicht: Der Gewaltbegriff ist weiter angelegt. Er basiert auf zwischenmenschlichen Beziehungen. Jede Form von Missbrauch ist eine Rechtsverletzung, da Gewalt nicht von Rechtsverstoß zu trennen ist (Saur/Semu/Ndau, 2005). Gesprochenes erhält, wie Hosking und Morley betonen, erst in einem bestimmten sozialen und kulturellen Kontext seine Bedeutung (Hosking/Morley, 1991). Für ausländische Gutachterinnen ist es einerseits schwer, Phänomene eines fremden Kontextes zu deuten, andererseits, so die Annahmen, vermögen sie es besser, Mitgliedern ihrer eigenen Kultur ihre Wahrnehmungen zu vermitteln. Sprache ruft, einmal ausgesprochen, Konstruktionen von Realitäten ins Leben. Da sie dadurch Spuren hinterlässt, ist im interkulturellen Kontext ein vorsichtiger Umgang mit Thesen wichtig. Der Blick durch die eigene ›kulturelle Brille‹ führt nicht nur zu Konstruktionen über vermeintlich andere, sondern auch zu Interpretationen, was für diese anderen gut ist. Es ist nur ein schmaler Grat zwischen wirklich benötigter Unterstützung und dem ›Aufdrücken‹ von westlichen Konzepten. Alle afrikanischen Befragten empfinden M&E bei Organisation B in beiden Projekten als aufoktroyiert. Aufgrund der Eigenverantwortlichkeit der Partnerinnen von Organisation A stellt sich dieses Problem dort weniger als bei Organisation B. Partnerinnen von Organisation B begrüßen konzeptionelle Unterstützung und Trainings zwar, klagen aber über ein allgemein zu geringes Mitspracherecht. Man folgt den Vorgaben aus Angst vor Mittelkürzungen oder einem vorzeitigen Ende der Zusammenarbeit. Der finanzielle Druck führt zur Akzeptanz fremder Deutungsweisen. Die Abgrenzung zu Machtfragen bzw. der Giddens’schen Ressourcenfragen ist so nicht möglich. Der Ressourcenaspekt verweist auf die Grenzen des »doing nationality« und somit auf die Grenzen der Handlungen der Akteurinnen. Diskursive Macht beeinflusst zwar die Sicht auf andere Gesellschaften und konstruiert Abhängigkeitsverhältnisse, sie übersieht jedoch strukturell bedingte sozio-ökonomische Antagonismen, die Abhängigkeitsverhältnisse entscheidend vergrößern. Geber verfügen über finanzielle Ressourcen und sind somit in der Position, Vorgaben machen zu können, ohne dass Sanktionen durch Akteurinnen drohen.
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PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
»Different organisations at different levels work together, the final decisions, however, makes Organisation B. The donors have power. Unfortunately often they focus on activities and less on the capacity of the organisations. They should integrate the organisations a bit more. NGOs are dependent on donors, which finally decide. Donors involve NGOs only to a small extent and arrive at the planning stage already with a full cup. The freedom of choice of the NGOs is very much cut down.« (Z-FB)
Dennoch sind Akteurinnen, wie Giddens zeigt, nicht machtlos. Sie sind durch ihr Handeln durchaus in der Lage, in Strukturen eingreifen zu können. Die jeweilige Persönlichkeit spielt, so Ortmann, Windeler und Sydow (2000), eine nicht zu unterschätzende Rolle. Deutungsmuster von M&E werden auch durch den individuellen Wissensgrad, den beruflichen Hintergrund und nicht zuletzt die persönlichen Motivationen und Ängste geprägt. Giddens integriert diesen Aspekt in seiner Dreiteilung der Bewusstheit von Handeln: diskursives Bewusstsein, praktisches Bewusstsein und unbewusste Motive/Wahrnehmungen (Giddens, 1997). Soziale Struktur Modalitäten Interaktion Interaktionsentwürfe Persönlichkeitsstruktur
Abbildung 7: Integration des Individuums nach Ortmann, Sydow und Windeler. Eigene Darstellung nach: Ortmann/Sydow/Windeler, 2000: S. 340 Ortmann und Kollegen erweitern diese Unterteilung um die kognitive und unbewusste Ebene. Sie weisen darauf hin, dass kognitive Muster der Individuen genauso durch rekursive Schleifen gebildet und verändert werden. Giddens’ Modell der Struktur, Modalität und Interaktion wird somit um die Aspekte »Interaktionsentwürfe« und »Persönlichkeitsstruktur« erweitert. Der Ort der Vermittlung ist dabei die Interaktion (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000). Diese Erweiterung ist, wie die Datenanalyse zeigt, berechtigt und notwendig. Die Persönlichkeitsstruktur hat beispielsweise entscheidenden Einfluss darauf, wie schnell, partizipativ und ›genderfreundlich‹ M&E eingeführt wird. 103
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Ortmann, Sydow und Windeler widersprechen hier Luhmanns Kommunikationsverständnis, bei dessen Kommunikationsbegriff Akteurinnen nur partiell und in bestimmten Rollen zum System gehören, nie jedoch in ihrer Gesamtheit (Degele/Dries, 2005). Auf genau diese Gesamtheit wird hier bis zur Integration der Persönlichkeitsstruktur hingewiesen. Die jeweiligen Vorerfahrungen der Projektleiterinnen haben die Vorgehensweise bei M&E, wie sie selbst einräumen, stark beeinflusst. Die Offenheit gegenüber partizipativen Ansätzen in Projekt B/2 liegt unter anderem an den Fachkenntnissen der Projektleitung. »Also Schulungen wurden keine angeboten, im Internet hätte man sie sich vielleicht runterladen können, ich hatte da aber auch gar nicht das Bedürfnis, mich von der Organisation B [in partizipativen Ansätzen] führen zu lassen, weil das eh eines meiner Hauptthemen ist.« (M-F-D-B)
Die gendersensible Vorgehensweise des Monitoring-Ansatzes in Projekt B/1 ist mit dem Interesse und der damit verbundenen Offenheit der Projektleitung in Verbindung zu bringen. »Über Gender habe ich wenig Info bekommen, aber ich habe Kontakt mit Genderfrauen in der Organisation B. Ich habe Interesse an dem Konzept und mir alles selber angelesen, ich benütze klassische Definitionen: soziale Rollen sind wandelbar, über kulturelle und zeitliche Änderungen.« (Z-F-D-B)
Die Persönlichkeitsstruktur wirkt sich auch auf die Art und Weise des Networkings, das heißt die Vernetzung mit strategischen Gruppen, aus. Sie ist gerade für die erfolgreiche Durchsetzung der eigenen Deutungsbilder und damit verbundenen Interessen wichtig. »Hinter allen Konzepten und Regeln stehen unterschiedliche Wirklichkeitsdefinitionen. Wichtig wird daher die Frage nach der diskursiven Macht der eigenen Wirklichkeitsdefinition […]. Sie wiederum ist an die Frage gebunden, inwieweit sich die verschiedenen Erfahrungshintergründe der am Entscheidungsprozess Beteiligten decken oder in Einklang bringen lassen.« (Weilenmann, 2004: S. 36)
Je mehr Gleichdenkende auf verschiedenen Ebenen ähnlicher Meinung sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Deutungsmuster Gehör finden und weitergegeben werden. Weniger gut vernetzte Akteurinnen müssen diese akzeptieren und sich auf sie beziehen. Die Akzeptanz und Auslegung von Regeln ist somit an die Position der Betroffenen und deren Persönlichkeitsstruktur gebunden (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000). »Das Ganze ist personenabhängig, das eigene soziale Netzwerk spielt hier rein, das kommt ganz auf die Person und deren Interesse an.« (Z-F-D-B) 104
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Gender Bei dem Begriff »Gender« handelt es sich um ein komplexes Phänomen, das hier nur ansatzweise aufgezeigt werden kann. Zwischen wissenschaftlichen und entwicklungspolitischen Interpretationen von Gender gibt es deutliche Unterschiede. Der Entwicklungsdiskurs orientiert sich an der klassisch-sozialkonstruktivistischen Definition: Gender wird als soziales Geschlecht dem biologischen gegenübergestellt. Diese Wahrnehmung erfährt schon seit längerer Zeit Kritik, denn sie beruht auf einer Zweigeschlechtlichkeit, die Dekonstruktivistinnen wie Judith Butler ablehnen (Butler, 1991). Frey schlägt vor, Geschlecht stattdessen besser als fluide Kategorie zu begreifen (Frey, 2000). Das zunächst emanzipative und herrschaftskritische Potential des GenderBegriffs ist von der Entwicklungszusammenarbeit zu einem nach Geschlecht differenzierenden technokratischen Planungs- und Analyseinstrument reduziert worden. Das wird auch in den Untersuchungsgebieten deutlich. Gender ist in der methodologischen Vorgehensweise enthalten. Die Erfassung erfolgt über nach Geschlecht und Alter differenzierte Analysen zu Zugangsfragen, alltäglichen Erfahrungen im Umgang mit Recht und Gewalt sowie Beteiligung an Entscheidungsprozessen. Gemäß den organisationsinternen Vorgaben beruhen Deutungsmuster lokaler Befragter auf entwicklungspolitischen Diskursen der sozialkonstruktivistischen Zweiteilung, wie sie im »Gender-and-Development«-Ansatz (GAD) enthalten ist. Während alle deutschen Gesprächspartnerinnen mit der westlichen Definition vertraut sind, dominiert bei den lokalen Teilnehmerinnen in den Untersuchungsgebieten noch der nach europäischer Sicht bereits überkommene Ansatz der Frauenförderung, der »Women-in-Development«-Ansatz (WID). »Many think it means women’s issues, I know it is about men and women because of trainings.« (T-F-A) GAD-Ansätze werden in Trainings zwar vermittelt, ernten aber besonders von den Mitarbeiterinnen und Partnerinnen beider Organisationen Kritik. Für die befragten Frauenrechtler ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit der sambischen, malawischen und tansanischen Frauen das oberste Ziel, um Selbstbewusstsein zu stärken und Unabhängigkeit zu schaffen. Die Integration von Männern in Projektmaßnahmen ist oftmals mit der Angst einer Schwächung der weiblichen Position verbunden. »But for now, we only have women development groups. Lots of negative problems come from men. Those women, who are without a husband, are free to be involved with our organisation. Now even men are meanwhile acknowledging women’s work. Now they are more supportive, but we still fear that our groups are flooded by men because they see that things are going well. We still fear their dominance and the loss of our vision. Bit by bit things will change. Later of course, we will include 105
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
men in sensitisation workshops. Interestingly, often men blame women for holding on to tradition.« (Z-F-B)
Eine kontextgebundene Anpassung des Gender-Konzepts wird aus diesem Grund ausdrücklich betont: »The approach women and men or women’s promotion only should be used depending on the project and the situation in a country. The approach of my organisation is not useful here. We have to strengthen women first. Still, when we use the term Gender, there is no common understanding.« (T-F-A)
Es kommt zur Akzeptanz von aus den Geberländern stammenden Deutungsmustern, da eine Kooperation mit Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit sonst kaum möglich scheint. Voraussetzung für eine Zusammenarbeit sind ähnliche Deutungsmuster – auch wenn das in der Realität zum Teil nur oberflächlich der Fall ist. Eine Verinnerlichung der dahinterstehenden westlichen Weltbilder findet nicht wie gewünscht statt. Die Prioritätensetzungen weichen von denen der Geberländer ab. Aber auch unter den lokalen Mitarbeiterinnen ist kein homogenes Verständnis zu finden. Die Deutung von Gender hängt von zahlreichen Faktoren wie dem eigenen beruflichen Hintergrund, der Bildung, der Herkunft (Stadt/Land) etc. ab. Eigene Gender-Interpretationen und Deutungsweisen werden beibehalten, so lange es geht. Selbst deutsche Mitarbeiterinnen sind sich darüber im Klaren und zweifeln: »How much do they [die lokalen Partnerorganisationen] believe in what they say?« (Z-F-D-B) Der Handlungsspielraum lokaler Mitarbeiterinnen und Partnerinnen ist jedoch nicht allzu groß. Die allokative Ressource »Geld« bestimmt die Annahme von und den Umgang mit westlichen Konzepten. Diese Dominanz westlicher Entwicklungsparadigmen wird schon seit langem als postkolonial in Frage gestellt. Die Zweiteilung der Welt anhand global gültiger westlicher Normen entscheidet, wer zum »Nehmer« von Entwicklungszusammenarbeit wird und wer »Geber« ist. Allein die Wortwahl »Geber« und »Nehmer« wird zunehmend von Menschen aus Nord und Süd abgelehnt (von Braunmühl, 2000). Neben der Kritik an der postkolonialen Dominanz westlicher Weltbilder werden auch die Generalisierungstendenzen westlicher Feministen seit längerem angeprangert. Gudrun-Axeli Knapp übt Kritik an der weltweit vereinheitlichten Sicht auf Frauen als Opfer und verweist auf die unterschiedlichen Lebensformen und Praktiken innerhalb eines Geschlechts (Knapp, 1988). Bereits ab den 1980er Jahren kritisierten einige poststrukturalistische und postmoderne Theoretikerinnen diese »Gleichmachung« und sahen darin einen einseitig weißen, westlichen und heterosexuell argumentierenden Feminismus. Die Kritik von Feministinnen aus dem »Süden« wie auch lesbischer und schwar106
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
zer Frauen, besonders aus den USA, brachen diese so genannten »global sisterhood«-Modelle7 auf (Kerner, 1999, 2000; Rott, 1992; Mohanty, 1991). Die Sozialwissenschaftlerin Chandra Mohanty geht gegen diesen ethnozentristischen Universalismus einer weltweit unterdrückten, homogenen Gruppe von Frauen vor. »Die feministischen Schriften, die ich analysiere, kolonisieren die materielle und historische Heterogenität der Lebenssituation der Frauen in der Dritten Welt auf diskursive Art. Sie produzieren und repräsentieren damit eine zusammengesetzte, singuläre ›Dritte-Welt-Frau‹ – ein Bild, das arbiträr konstruiert zu sein scheint, aber dennoch vom Diskurs des westlichen Humanismus legitimiert ist.« (Mohanty, 1991: S. 53; zitiert nach: Kerner, 2000: S. 10)
In neueren Diskussionen werden zum einen Differenzen von Frauen untereinander berücksichtigt, zum anderen weitere Stratifikationsmerkmale wie zum Beispiel die Zugehörigkeit zu verschiedenen Nationen, Ethnien oder sozialen Schichten in die Analyse von Machtstrukturen mit eingebunden (Strasser, 2001; Rott, 1992). Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Dominanz westlicher Deutungsmuster in der Entwicklungspolitik bis heute bei weitem nicht überwunden ist. Organisation A hat inzwischen ihre Frauenförderungskomponenten in Tansania weitgehend eingestellt. Gender soll nach Entscheidungen der Zentrale in Deutschland stattdessen in allen Projekten ›gemainstreamt‹ werden. Das heißt, dass unterschiedliche Realitäten der Geschlechter in allen Phasen der Projektplanung und -umsetzung gleichermaßen erfasst und berücksichtigt werden. Inwieweit dieses technokratische Verständnis von Mainstream in der Entwicklungspraxis konsequent umgesetzt wird und tatsächlich zu einer Verbesserung der rechtlichen Stellung von Frauen beträgt, bleibt nicht nur aus ostafrikanischer Sicht fraglich. Auch die deutschen Befragten äußerten sich kritisch und befürchteten Lippenbekenntnisse: »Alle Geber haben Gender-Mainstreaming auf ihre Fähnlein geheftet und belabern nun die Frauenrechtsorganisationen. Wo auch Kolleginnen sagen, Gender-Mainstreaming ist total fake, wo alle wissen, das wollen sie [die EZ-Organisationen des Nordens] hören und dann hören sie es halt. So ist die reale Welt.« (D-F-A)
So lange die Einbettung des Gender-Diskurses in westliche Realitäten nicht grundlegend überdacht wird, besteht die konstruierte Dominanz des Nordens weiter:
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Ein Ansatz, der von einer »[…] kulturübergreifenden Korrelation von Erfahrungen und daraus abgeleiteten Interessen, Perspektiven und politischen Zielen von Frauen ausgeht« (Kerner, 2000: S. 10). 107
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
»Dies hieße, die eigenen Vorstellungen von gesellschaftlichen Geschlechterordnungen zu hinterfragen und als in spezifischen Machtkonstellationen entstanden anzuerkennen. Damit müsse auch die Annahme eines allgemeinen frauenpolitischen ›Emanzipationsvorsprungs‹ des Nordens gegenüber dem Süden als (post)koloniale Konstruktion entlarvt werden.« (Frey, 2000: S. 9)
Unterschiedliche Wahrnehmungen hinsichtlich des Gender-Begriffs existieren auch unter den deutschen Befragten. In den untersuchten Projekten sind Positionen auf allen Ebenen fast ausschließlich mit Frauen besetzt – besonders bei Organisation B. Die Unterrepräsentation von Männern beinhaltet die Gefahr einer geschlechterspezifischen Konstruktion von Projektansätzen, die sicherlich nicht zum Aufbrechen klassischer Rollenverteilungen führt. Im Gegenteil: Die Interviewergebnisse weisen auf eine Rekonstruktion von traditionellen Mustern hin. Deutsche Interviewpartnerinnen beklagen, dass sie von ihren männlichen Kollegen abfällig als »Feministinnen« oder »Emanzen« bezeichnet werden. Die negative Verwendung beider Begriffe zeigt die Einstellung der Sprecher gegenüber feministischen Ansätzen. Frauenrechtsprojekte werden besonders bei Organisation B von einigen Mitarbeitern als »soziale Spielerei« verniedlicht. Die Kritik äußert sich in Form scheinbar witziger Anspielungen nach dem Motto: ›Du wurschtelst mit deinem Projekt ja nur so ein bisschen sozial rum.‹ Mitarbeiterinnen klagen über Fragen wie: ›Na, nehmt ihr die Männer gleich fest?‹ Der jeweilige Umgang mit Sprache kann Ansätze und deren Deutungsmuster auf- oder abwerten und den weiteren Diskursverlauf abhängig von der Position der Sprecherin formen. Strukturelle Ungleichheiten bleiben somit entweder erhalten oder werden langsam aufgebrochen. In der Geschlechterforschung ist das kein neues Phänomen. Die machttheoretische Dominanzthese weist zum Beispiel darauf hin, dass das Muster von männlicher und weiblicher Arbeit anhand von Wertschätzungen läuft: »Wenn Männer die Unterschiede zu Frauen in Arbeitszusammenhängen stärker betonen als Frauen die zu Männern und Abweichungen innerhalb der eigenen Geschlechtergruppe härter ahnden, geht es vor allem um traditionelle Privilegien und Besitzstände. Die Geschlechtertrennung dient somit männlicher Dominanz.« (Degele/Dries, 2005: S. 221)
Zur Reproduktion struktureller Ungleichheiten tragen beide Geschlechter bei, wie anhand von Gender-Trainings innerhalb deutscher Organisationen deutlich wird. Die Gender-Trainerin Eva Engelhardt berichtet, dass Trainings zwar generell positiv bewertet werden, es aber dennoch Frauen gibt, die sich von vermeintlich feministischen Ansichten distanzieren, und Männer, denen es an Interesse mangelt, da sie fürchten, als »Machos« entlarvt zu werden (Engelhardt, 2000). Der Aushandlungsprozess um die Bedeutung von Gender 108
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
reproduziert alte Geschlechtervorstellungen. Das »doing gender«, wie West und Zimmermann diesen gesellschaftlichen Herstellungsprozess nennen, wird, so die Soziologin Helga Bilden, ein ganzes Leben lang erlernt und umgesetzt (West/Zimmermann, 1991; Bilden, 1991). Bilden hebt sich in ihrer Argumentation bewusst von rein handlungstheoretisch orientierten Sozialisationstheoretikerinnen ab und erweitert die Debatte um eine makrotheoretische Sichtweise. So stellt sie fest, dass das Aushandeln, Definieren und Festlegen von Hierarchien und Beziehungen zwischen Männern und Frauen sowie Mädchen und Jungen in Sozialstrukturen eingebettet ist, die unter anderem von »Strukturmomenten« wie Macht und materiellen Ressourcen mitbestimmt werden (Bilden, 1991: S. 291). Bildens Ansatz stellt »makro- und mikrosoziale Prozesse in den Mittelpunkt der Analyse – Arbeitsteilung und Dominanzverhältnis von Männern und Frauen, Symbolisierung von Geschlecht, andauernde Beziehungen, Interaktion usw. –, an denen die Individuen handelnd, leidend, sich selbst entwerfend, miteinander kämpfend beteiligt sind« (ebd.: S. 290).
Strukturen sind in ihren Augen nicht quasi-statisch, sondern besitzen durch den Einfluss von Akteurinnen einen prozesshaften Charakter. Sie vertritt deswegen eine »sozialkonstruktivistische Sichtweise, die materialistisch (Geschlechterverhältnis, Arbeitsteilung, Macht/Dominanz …) und kultur- und symboltheoretisch (Kultur als Einheit von materieller und symbolischer Produktion in sozialen Praktiken; Symbolisierung von Männlichkeit/Weiblichkeit auf gesellschaftlicher und psychodynamischer Ebene) fundiert ist« (ebd.: S. 280).
Bilden argumentiert ähnlich wie Giddens, indem sie Struktur und Handeln in Verbindung stellt. Was Giddens als strukturierende Macht des Handelns bezeichnet, ist für Bilden die andauernde (Re-)Produktion sozialer Praktiken, zu denen auch Gender-Normen gehören. Gender-Konstruktionen werden in Organisationen über Interaktion wie zum Beispiel in Form von Witzen immer wieder neu hergestellt und institutionalisiert. Frauenrechtsprojekte in den Untersuchungsgebieten haben es zum Teil schwer, aus der von Männern belächelten Ecke ›weiblichen Engagements‹ herauszukommen. An ›richtige‹ Projekte reichen sie ja, wie ihnen von männlicher Seite vermittelt wird, nicht heran. Das Gleiche gilt für den Versuch, Gender über Mainstreaming in alle Facetten des Projektalltags zu integrieren. Der technokratische setzt sich gegenüber dem emanzipatorischen Ansatz durch. Letzterer droht zu einem leeren Konzept zu verkommen, das über Aushandlungsprozesse »im patriarchalen Kochtopf« weichgekocht wird (von Braunmühl, 2000: S. 18). 109
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Die Ausführungen verdeutlichen, dass sich Deutungsmuster in diesem Fall abhängig von den Stratifikationsmerkmalen »Geschlecht« und »nationale Herkunft« unterscheiden. Nationale Herkunft ist eng an finanzielle Machtstrukturen gekoppelt, die zur Durchsetzung bestimmter Weltbilder führen. Allokative Ressourcen spielen somit bei der Bildung von Deutungsmustern, wie M&E oder Gender, eine entscheidende Rolle. Sie lassen westliche Vorstellungen von Gender und Gender-Mainstreaming dominieren, die auf Verwaltungssysteme, wie sie Organisationen darstellen, abgestimmt werden. Sowohl der emanzipatorische Charakter von Gender als auch der kontextabhängige Umgang mit Gender-Konstruktionen wird dadurch kaum ermöglicht.
Partizipation Der Begriff »Partizipation« unterliegt genauso wie »Gender« unterschiedlich erlebten Aushandlungsprozessen und Interpretationen. »Partizipation« hat viele Bedeutungen. Die Teilhabe der Akteurinnen wird besonders in Bezug auf deren Einbeziehung differenziert (Arnstein, 1969; Burkey, 1993; Kohl, 1999; Oakley, 1991). Sherry Arnstein stellte bereits 1969 acht Stufen von Partizipation fest. Die unterste Stufe ist ihr zufolge »manipulation«, die oberste »citizen control« (Arnstein, 1969: S. 217). Auch andere Autoren verweisen auf das breite Spektrum des Begriffs. Das BMZ nennt folgende direkte Formen der Beteiligung: »Information«, »Konsultation«, »Mitwirkung«, »Mitentscheidung« und schließlich »Eigenverantwortung« bzw. »Selbstbestimmung« (BMZ, 2002a: S. 5). Der EZ-Experte Peter Oakley unterteilt seine Partizipationsstufen in »contribution«, »organisation« und »empowering« (Oakley, 1991: S. 8 f). Anhand der Aussagen Oakleys und des BMZ wird klar, dass mit dem Begriff »Selbstbestimmung« bzw. »Empowerment« eine Erweiterung des Partizipationsansatzes stattgefunden hat. Wie bereits bei der Partizipationsdebatte gibt es keine einheitliche Definition von »Empowerment«, dennoch wird dieser Terminus meist mit selbstbestimmtem Handeln von benachteiligten Gruppen übersetzt, um deren gleichberechtigte Teilhabe an Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu ermöglichen (Nohlen, 1998: S. 212 f). Der »Empowerment«-Ansatz geht über eine Prozessbeteiligung der Betroffenen hinaus und ermöglicht deren strukturierendes Eingreifen auf scheinbar gegebene Rahmenbedingungen. Zahlreiche Entwicklungsorganisationen versuchen, diesen Gedanken in ihre Partizipationskonzepte mit einzubeziehen. Das BMZ orientiert sich an einem Verständnis von Partizipation, den es »von einer allgemeinen Beteiligung der Zielgruppe hin zu einem Verständnis von politischer Teilhabe benachteiligter Bevölkerungsgruppen erweitert hat« (BMZ, 2002a). Dennoch: Die Diskrepanz zwischen den Forderungen in der Theorie und der Umsetzung in der Praxis ist augenfällig (Beckmann, 1997). Partnerinnen, 110
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Mitarbeiterinnen und Vertreterinnen der Zentrale sind zwar vertraut mit dem Begriff und würdigen ihn als zentrales Element der Entwicklungszusammenarbeit. Die persönlichen Erfahrungen der Projektrealität der meisten Interviewteilnehmerinnen sowohl auf deutscher als auch auf tansanischer, sambischer und malawischer Seite beziehen sich ausschließlich auf die Stufe »Mitentscheidung«. Von »Empowerment«, »Eigenverantwortung« oder »Selbstbestimmung« ist nicht die Rede. Partizipation dominiert als Prozessbeteiligung den Projektalltag. Die Projektarbeit wird als konsultativer, aber nicht wirklich mitbestimmender Prozess in Form von aktiver Mitentscheidung und Teilhabe verstanden. »Mir ist nicht genau klar, was die Organisation B darunter versteht. Die Partner müssen vieles im Endeffekt doch nur abnicken.« (Z-F-D-B) Besonders die Mitarbeiterinnen von Organisation B reagieren mit Unsicherheit, wenn man sie nach dem organisationsinternen Verständnis von Partizipation fragt. Die Hälfte von ihnen nimmt an, dass das Organisationsverständnis sich mit ihrem persönlichen Verständnis deckt. Sicher sind sie sich nicht, verweisen aber darauf, dass sie Definitionen jederzeit nachlesen könnten. Die Fülle an Vorgaben verhindert jedoch, mit allen vertraut zu sein. Es existieren vielmehr vage Vorstellungen. Nur die Konzepte, die in einer Organisation als besonders wichtig erscheinen, sind bekannt (Hanft, 1995). Was wichtig ist, wird anhand der Äußerungen der Vorgesetzten oder der Jahresziele entnommen. Die Leitlinien unterliegen eigenen Aktualitätshierarchien. Aufgrund von Verhaltensweisen und Äußerungen der Akteurinnen wird schnell klar, welche Vorgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich Bedeutung besitzen. Ein auf Wirkung ausgerichtetes M&E ist derzeit zentral. Der Partizipationsdiskurs dagegen scheint bereits in den Hintergrund gerückt zu sein: »Es gibt immer Infomaterial. Partizipation, da ist es halt so, das kann man dann in einem schönen Heft lesen, aber was das dann bedeutet in den Programmen, ist eine andere Sache – und ob das da dann zutreffend ist und man was in die Richtung machen kann. Ich finde es schwierig.« (M-F-D-B)
Bis auf einen Befragten verstehen die deutschen Auslandsmitarbeiterinnen nicht, warum sich besonders Organisation B als partizipative Organisation präsentiert, obwohl dies ihnen zufolge nur begrenzt der Realität entspricht. »Organisation B verkauft sich ja gerne als effiziente Organisation wie IBM oder Coca-Cola, die auch die Partizipation der Realität unterwirft. Dann frage ich mich, warum die überhaupt noch so stark Partizipation verkaufen wollen.« (M-M-D-B)
Ein Grund für die Verwirrung ist die Kollision unterschiedlicher Organisationsziele. Einerseits werden Effizienz und Effektivität betont, andererseits 111
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
über partizipative Ansätze zeitintensivere Aushandlungsprozesse in den Vordergrund gestellt. Die Akteurinnen sind überfordert und orientieren sich im Zweifelsfall an Vorgaben, die organisationspolitisch, wie an dem Verhalten von Vorgesetzten deutlich wird, dominanter zu sein scheinen. Individuen erfahren und kreieren über Kommunikation die Bedeutung von Vorgaben. Sie verfügen jedoch über Handlungsspielräume, die es ihnen ermöglichen, ihre Rollen innerhalb des organisationsinternen Gefüges auszufüllen. Wie diese Rollen definiert werden, hängt von der subjektiven Interpretation der Betroffenen ab. Diese ermöglicht ihnen das Ausschöpfen ihres individuellen Auslegungs- und Handlungsspielraums. Die Beteiligung anderer Akteurinnen an diesen Prozessen ist dabei zentral. Halten sich Mitarbeiterinnen in einer Organisation weniger strikt an bestimmte Leitlinien, vermitteln sie anderen den Eindruck, dass diese ›nicht so genau‹ genommen werden müssen. Folglich schenken sie bestimmten Leitlinien mehr oder weniger Beachtung (Blumer, 1973). Längerfristig kann das zu einer Veränderung bis hin zum Aussterben von Vorgaben führen. Der rekursive Charakter Giddens’scher Provenienz wird hier deutlich. Auch wenn Vorgaben in der Theorie existieren, kommt es erst durch Interaktionen und kommunikative Aushandlungsprozesse zu einer Umsetzung. Organisationsinterne und gesellschaftliche Rahmenbedingungen beeinflussen die persönliche Schwerpunktsetzung. Beckmann moniert, dass EZ-Organisationen »Partizipation« zur Legitimierung ihrer Arbeit verwenden, da dieser Ansatz in der Öffentlichkeit große Akzeptanz genießt. Eine geschickte Rhetorik verdeckt Probleme partizipativer Ansätze wie Zeit- und Kostenfaktoren (Beckmann, 1997). Sie dient der »Corporate Identity« bzw., wie Helene Karmasin sagt, dem »Corporate Image«. Dieses wird kommuniziert und kann mit einem Produkt aus Zeichen verglichen werden (Karmasin, 2000). Deckt sich die Selbstdarstellung der Organisation nach außen nicht mit dem Bild ihrer Mitarbeiterinnen, droht die Gefahr, dass eine Identifikation mit dem Unternehmen ausbleibt. Die jeweiligen Projektstrukturen hemmen oder fördern darüber hinaus die Bereitschaft, Vorgaben genau einzuhalten. Erschwerend wirkt sich das breite Spektrum der unterschiedlichen Partizipationsmöglichkeiten aus. Die Wahl der Partizipationsform ist jeweils abhängig von der Situation und den Zielen eines Projektes (Rauch, 1993, 1998, 2002). Beckmann fordert daher, Partizipation nicht als ein universal anwendbares Prinzip zu verstehen, sondern als einen »konkreten Aushandlungsprozess zwischen Akteursgruppen mit verschiedenen Interessen« (Beckmann, 1997: S. 66). Aushandlungsprozesse sollten in diesem Fall nicht nur zwischen Deutschen, sondern auch zwischen ihren lokalen Mitarbeiterinnen und Partnerinnen stattfinden, die zahlenmäßig die Mehrheit ausmachen. Die Ergebnisse der Fragebögen und Interviews zeigen in Bezug auf die Einschätzung eigener Verhaltensweisen einmal mehr die Vielfalt der Wahr112
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nehmungen. Die deutschen Akteurinnen bewerten ihren Umgang mit Projektmitarbeiterinnen partizipativer als ihre afrikanischen Kolleginnen. Durchschnittliche Aussagen deutscher Befragter im Ausland betonen das eigene Interesse an partizipativen Arbeitsprozessen. »Für mich bedeutet Partizipation, zusammen mit dem Partner zu arbeiten und Projekte durchzuführen. Das kann durchaus auch mal zu Umwegen führen und mühsam sein, aber es zahlt sich schließlich dann doch aus.« (Z-F-D-B)
Malawische, sambische und tansanische Interviewte würdigen in den drei Projekten zwar den Informationsaustausch zwischen den Beteiligten, fühlen sich letztlich jedoch trotz gemeinsamer Planungsworkshops missverstanden und nicht voll integriert: »I think it is a joke. I think you have good intentions, but you fail to understand the underlying problem. In order to succeed on participation, you have to understand the other partner and where the other one is coming from. What is the environment of that partner?« (M-F-B)
Partizipation beinhaltet ihrer Meinung nach eine stärkere Integration lokaler Fachkräfte in Monitoring- und Evaluationsmaßnahmen, eine Berücksichtigung ihrer Erfahrungen und Meinungen sowie ein größeres Mitspracherecht, was die Planung, Umsetzung und Auswertung von Projekten betrifft. Kulturabhängig existieren unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie Begriffe ausgehandelt werden und was diese bedeuten. Wirklichkeitskonstruktionen verlaufen, wie Rüegg-Stürm feststellt, über kulturell bedingte Sprache und variieren dementsprechend nicht nur zwischen Europa und Afrika, sondern auch innerhalb Afrikas – was häufig übersehen wird (Rüegg-Stürm, 2003). Der Ethnologe Michael Fremerey sieht in von außen dominierten Partizipationsprozessen sogar die Gefahr der Manipulation und vergleicht den Ansatz mit einem Instrument der Westernisierung (Fremerey, 1993). Partizipatives Aushandeln sollte in der Projektrealität bereits bei Projektbeginn stattfinden. Die lokalen Partnerinnen erleben die Realität meist anders: »They feel we need assistance in every way, even identifying our own problems. They try to do it for us. They decide for us about our problems, or what they think our problems are. This is what often happens.« (T-F-A)
Für eine konsequente Umsetzung von Partizipation bedarf es einer dementsprechenden Gestaltung der Projektinstrumente. Auch wenn M&E primär als Analyseinstrument fungiert, gilt es, die Bevölkerung bei der Gestaltung und Umsetzung sowie der Auswertung der Daten einzubeziehen (Estrella, 2000). 113
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
»By encouraging stakeholder participation beyond data gathering, PM&E is about promoting self-reliance in decision making and problem solving, therefore strengthening people’s capacities to take action and promote change.« (Ebd.: S. 4)
Die Umsetzung der Deutungsmuster spiegelt sich zuletzt auch in der Methodenwahl wider und lässt die Verwendung partizipativer Methoden erwarten. In Tansania und Sambia wird jedoch auf klassische Erhebungsmethoden zurückgegriffen. Nur das Projekt in Malawi bedient sich partizipativer Ansätze. Die verantwortlichen Gesprächspartnerinnen begründen das mit mangelnden finanziellen Ressourcen. Die Furcht vor einem höheren und damit kostenintensiveren Arbeitsaufwand führt zur Vereinfachung der Methoden. Die Einhaltung von Leitlinien hängt also letztendlich auch von der Bereitstellung der Finanz- und Humanressourcen ab. Zeit- und kostensparend zu arbeiten, ist das oberste Ziel der rationalisierten Organisationswelt – auch wenn dies oft zu Lasten (höhere Arbeitsbelastung) der Mitarbeiterinnen geht. Damit entspricht sie den Erwartungen und Anforderungen der Moderne, in der Zeit-, Kraftund Materialersparnis die Organisationswelten dominieren (Degele/Dries, 2005). Wie wichtig Leitlinien eingestuft werden, zeigt sich an dem Willen der Organisation, deren Umsetzung mit den notwendigen Ressourcen abzusichern. Bleibt diese Bereitschaft aus, erschlafft das Leitbild zu reiner Rhetorik: Die allseits geforderte Teilhabe aller Akteurinnen wird zur Farce. Eine stringente Umsetzung scheitert dann an der inkonsequenten Verhaltensweise der Organisationen, die die benötigten autorativen (konsequente Unterstützung durch die Führungsschicht) wie auch allokativen Ressourcen (Finanzmittel) nicht bereitstellen. Machtstrukturen in allokativer und autorativer Form beeinflussen die Bildung, Wertschätzung und Umsetzung von Deutungsmustern. Nur indem sie thematisiert und damit bewusst gemacht werden, erlangen Akteurinnen die Möglichkeit der Einflussnahme.
5.3
Legitimation
Einführung Auch für Normen gilt die »dialektische Endlosschleife«. Kommunikation produziert und reproduziert nicht nur Deutungsmuster, sondern auch Normen, die wiederum die Art und Weise der Kommunikation sowie die daran gekoppelten Interpretationen beeinflussen – und von diesen beeinflusst werden. Normative Regeln sind soziale Konstruktionen von korrektem Handeln. Verstöße der Werte und Normenvorstellungen werden mit Sanktionen geahndet. In der internationalen Entwicklungszusammenarbeit treffen nicht nur Deutungsmuster aufeinander, sondern auch die oftmals dahinterstehenden, 114
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kulturell zugeschriebenen Normen. Sie entstehen in einem bestimmten kulturellen Kontext und besitzen außerhalb der Kontextgrenzen eingeschränkte bzw. keine Wirksamkeit, sind also stark an das sozio-kulturelle Umfeld gebunden. Die Einbettung in den jeweiligen kulturellen Rahmen besitzt für ein derart interkulturell geprägtes Arbeitsfeld wie der Entwicklungszusammenarbeit große Relevanz. Es mangelt daher nicht an EZ-Diskursen über Kultur und den Einfluss von sozio-kulturellen Faktoren. Eine Klärung des Kulturbegriffs ist auch im Rahmen dieser Studie für das weitere Verständnis von Legitimationsaspekten notwendig. Kultur hat nach wie vor Konjunktur (Eickelpasch, 1997). Das geht so weit, dass sich innerhalb des sozialwissenschaftlichen Diskurses ein Paradigmenwechsel beobachten lässt. »Nicht die soziale Bedingtheit der Kultur […] darf künftig im Vordergrund stehen, sondern die ›kulturelle Bedingtheit des sozialen Geschehens‹. Angestrebt wird eine Kulturalisierung der Gesellschaftsauffassung.« (Ebd.: S. 11) Ethnologen wie Clifford Geertz weisen darauf hin, dass von Kultur nur im Plural gesprochen werden kann (Geertz, 1991). Kultur wird als »Bedeutungsgewebe« verstanden, das, abhängig von dem jeweiligen Kontext, von den Beteiligten unterschiedlich gesponnen wird. Die individuelle Wirklichkeitskonstruktion ist somit eine Frage der Perspektive, die von anderen Akteurinnen hinterfragt, kritisiert oder akzeptiert werden kann. Diese Kontextualisierung zielt darauf ab, Verallgemeinerungen entgegenzuwirken. Der Aushandlungsprozess von Kultur ist zentral für die Bildung von Identitäten, denn »Kultur dient dem Self-Management und der Self-Promotion« (Vester, 1993: S. 34). Sie fungiert als Abgrenzungskriterium. In Anlehnung an Geertz definieren Collier und Thomas kulturelle Identität als Identifikationsbildung einer Gruppe, die auf ein gemeinsames System von Symbolen, Normen, Regeln zurückgreift (Vester, 1993; 1996). Mitglied ist, wer weiß, wie die Regeln der Kultur gedeutet werden. Kulturelle Identität ist dadurch einerseits ein dynamischer Vorgang des Interpretierens und Aushandelns von Bedeutungen und der Identifizierung mit ihnen bzw. ihren Trägern, kristallisiert sich andererseits aber auch in zentralen Zeichen und Symbolen heraus (Vester, 1996: S. 101). Um kulturelle Eigenheiten verstehen und darauf eingehen zu können, hat sich in den letzten 20 Jahren die interkulturelle Kommunikation8 als Forschungsgebiet herausgebildet. Deren Ziel ist es, kulturelle Unterschiede zu verdeutlichen und zu verstehen, sowie deren Konstruktion durch Kommunikation aufzuzeigen (Vester, 1996). Dabei gilt es, nicht sprachliche und sprachliche Kommunikationsmuster zu untersuchen. Begrüßungsrituale zum
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»Unter interkultureller Kommunikation sind Kontakte und kommunikative Akte von Personen zu verstehen, die sich selbst als voneinander unterschiedlich identifizieren, und zwar mittels kultureller Begriffe.« (Vester, 1996: S. 102) 115
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Beispiel variieren je Kultur. Sie geben Auskunft über tiefere Ebenen der Gesellschaft und deren Bildung von und ihr Umgang mit Ungleichheitskategorien, wie zum Beispiel »Alter« oder »Geschlecht«. Die bei vielen Deutschen üblichen geschlechtsabhängigen Begrüßungen (›Küsschen auf die Backe‹ bei Frauen und ›kerniger Händedruck‹ bei Männern) verdeutlichen Geschlechterkonstruktionen, die diesen Handlungsweisen zugrunde liegen. Noch bevor ein Wort gefallen ist, werden besagte Zuweisungen über Interaktion bestätigt. Das Aufzeigen kultureller Eigenheiten ist wichtig, jedoch nicht unproblematisch. Thomas Hüsken, ein Vertreter der skeptischen Sozialanthropologie der »Berliner Schule«9, weist in seiner Doktorarbeit auf Generalisierungstendenzen des interkulturellen Ansatzes hin (Hüsken, 2006, 2004), indem er drei Interkulturalisten, Geert Hofstede, Edward T. Hall und Alexander Thomas, die den wissenschaftlichen Diskurs über Interkulturalität maßgeblich geprägt haben, genauer ›unter die Lupe nimmt‹. Alle drei Autoren konzentrieren sich darauf, Zusammenhänge zwischen kultureller Identität und Handeln und die damit in Verbindung stehenden Unterschiede herauszuarbeiten und zu begründen (Hüsken, 2003, 2006). Sie argumentieren dabei kulturessentialistisch, das heißt, sie verstehen Kultur als totalistische, alle Bereiche menschlichen Daseins umfassende Dimension. Die jeweilige Kultur wird als wichtiges Entscheidungsmerkmal von Gesellschaften herausgestellt. Kulturelle Unterschiede sind in der Tat nicht zu leugnen, es kommt jedoch auf den Umgang mit diesen Differenzen an. Kulturessentialistische Ansätze bergen die Gefahr einer »Ideologie der Differenz, die eine fetischistische Inszenierung von Kultur als sinnstiftender und handlungsbestimmender Essenz hinter den verwirrenden Fassaden globalisierter Politik, Ökonomie und Gesellschaft« zur Folge hat (Hüsken, 2006: S. 106). Die diskursive Bildung von Unterschieden bleibt dabei vollkommen ausgeblendet. Welche Relevanz eine diskursive Analyse aber besitzt, ist nicht zuletzt seit Edward Saids Studien über den Orient bekannt (Said, 1981, 1994). Er bedient sich der Diskursanalyse von Foucault und veranschaulicht dank ihr die verschiedenen europäischen Interessen, wie die Bekräftigung der Sonderstellung Europas als ökonomisch und kulturell führenden Kontinent, die bei der Konstruktion des Orients durch den Okzident eine Rolle spiel(t)en. Konstruktionen bergen, wie deutlich wird, die Gefahr, instrumentalisiert und für wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche Zwecke missbraucht zu werden. Hüsken fordert zu Recht eine Entmythologisierung von Kultur. Der Mensch darf nicht auf eine kulturellen Gegebenheiten ausgelieferte und gesteuerte 9
Die »Berliner Schule« hat es sich zum Ziel gesetzt, Gesellschaftsstrukturen und soziales, politisches und ökonomisches Handeln zu erklären. Dabei verbindet sie drei Forschungsfelder miteinander: die Sozialanthropologie der Entwicklung, des Konflikts sowie der Wirtschaft und Organisation. Sie ist angesiedelt am Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin.
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Kreatur reduziert werden (Hüsken, 2006). Diese einseitige Dominanz von Kultur widerspricht Giddens’ Akteursbegriff. Er übersieht das Potential von Akteurinnen, ihre unter anderem kulturell geprägten Konstruktionen zu reflektieren und dementsprechend zu handeln. Mittlerweile hat die interkulturelle Kommunikation auch in der Managementforschung Einzug gehalten, die sich primär auf Prozesse der Planung, Organisation und Durchführung im interkulturellen Kontext konzentriert. Auch die Entwicklungszusammenarbeit greift auf die dabei erzielten Forschungsergebnisse zurück. Die Diskussion um den Kulturbegriff und die damit zusammenhängende Debatte über interkulturelle Kommunikation ist Teil der entwicklungspolitischen Grundsatzdiskussion. Bereits erschienene Veröffentlichungen greifen auf die von Hüsken kritisierten Interkulturalisten zurück und reproduzieren interkulturelle Differenzierungstendenzen. In den untersuchten Zentralen der Geberländer ist man sich durchaus bewusst, dass interkulturelle Zusammenarbeit nicht unproblematisch ist. Es wird eingeräumt, dass entsprechende Sensibilität von der Persönlichkeitsstruktur des Individuums abhängt: »Die Organisation B nimmt es [interkulturelle Konflikte] ernst, ich glaube, wir sind hier ein sehr offener und sensibler Verein. Es kommt manchmal vor, bei der Professionalität der Mitarbeiter gerät man an die Grenzen.« (D-M-B)
Die individuelle Persönlichkeit mit ihren Charaktereigenschaften, Erfahrungen und Erwartungen kann den Verlauf eines Projekts deutlich prägen. Mitarbeiterinnen bringen nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern genauso auch ihre Persönlichkeiten mit ein, die über Interaktion zum Ausdruck kommt (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000). Obwohl die Art und Weise des persönlichen Umgangs unterschiedlich ist, fällt die gegenseitige Einschätzung oftmals kulturellen Verallgemeinerungen zum Opfer. Der organisationsinterne Handlungsspielraum scheint begrenzt. Was die einzelnen Akteurinnen aus ihrer Rolle machen, ist nicht Aufgabe der Organisation. Dabei tragen gerade Organisationen, wie Hüsken zeigt, zur kulturellen Wahrnehmung bei, indem sie in interkulturellen Trainings westliche Konstruktionen generieren. Hüsken sieht in dieser Verhaltensweise inhaltliche und konzeptionelle Überschneidungen mit den Postulaten der Interkulturalisten und denen des Kolonialismus. Interkulturelle Vorbereitungskurse sind besonders für ausreisende Entwicklungshelferinnen und Expertinnen gängig. Sie vermitteln oftmals Wissen ›zu Land und Leuten‹. Diese Kurse sind einerseits hilfreich, um mit kulturellen Unterschieden besser umgehen zu können, andererseits, wie Hüsken zeigt, bisweilen platte Reproduktionen von alten Stereotypen und Vorurteilen. Die Präsentation stereotyper Verhaltensweisen der neuen Gastgeberinnen macht leider nicht vor Generalisierungen halt. Interkulturelle Trainerinnen arbeiten 117
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auf der Basis unterschiedlicher Normensysteme, die verdeutlicht werden müssen. Die Kursleiterinnen gelten als Kulturexpertinnen, die kniggeartig Tipps über typische Denk- und Verhaltensweisen geben und damit die kulturellen Konstruktionen der Kursteilnehmerinnen produzieren bzw. reproduzieren. Kulturelle Differenzen werden zum Teil bewusst stilisiert. Hüsken vergleicht diese Seminare deshalb mit abgeschlossenen Welten, in denen interkulturelle Vorgaben den Charakter von selbst erfüllenden Prophezeiungen annehmen. Werden bestimmte Zuschreibungen schon vor der Ausreise in ein neues Land zur Doktrin, wirkt sich das auf den Umgang mit Vertreterinnen der fremden Kultur aus und kann deren Handlung negativ beeinflussen (Hüsken, 2006). Konfrontiert mit klischeebehafteten Pauschalisierungen über ›die Araber‹, setzt sich ein Interviewpartner von Hüsken zur Wehr: »Sie sehen mich hier in meinem Jogginganzug. Ich zeige ihnen meine Fußsohlen und blicke ihnen gerade in die Augen. Meine Frau unterbricht mich, wann immer sie will. Meine Tochter hat nur noch die Jungen im Kopf, und ich kann mich einfach nicht mit der Idee anfreunden in den Jemen zu gehen. Ich bin Araber. Merken Sie das nicht?« (Ebd.: S. 121)
Deutlich werden diese Tendenzen auch anhand interkultureller Publikationen, die fast ausschließlich für europäische und amerikanische Trainerinnen und Managerinnen geschrieben sind. Sie besitzen den Duktus kolonialer Diskurse und führen zu einer Revitalisierung von Vorurteilen (ebd.). Um diese These bestärkt zu finden, muss man nicht lange suchen. Das Buch »African friends and money matters« von David Maranz zum Beispiel zielt darauf ab, Missverständnisse zwischen beiden Kulturen zu beseitigen. Durch seine Aufteilung in »we« (Amerikaner) und »them« (Afrikaner) erreicht er jedoch das Gegenteil. Pauschalisierungen dieser Art vergrößern die scheinbar kulturelle Kluft zwischen beiden Seiten (Maranz, 2001). Das Wissen dieses Buches basiert auf Empfehlungen, Kommentaren und Erfahrungen von westlichen Ausländern und Afrikanern. Es entspricht Hüskens Feststellung von der »Verwissenschaftlichung« populärer Stereotype. Die Quellen solcher Publikationen sind eine »Melange aus Alltagswissen, oraler Tradition, Lektüre und Selbststudium« (Hüsken, 2006: S. 115). Doch gerade diese Melange ist sehr machtvoll und nur schwer aus den Köpfen zu entfernen. Sie vereinfacht den Umgang mit fremden Kulturen und befriedigt gleichzeitig die Vorstellungen von Exotik. Es geht bei dieser Kritik keinesfalls darum, kulturelle Unterschiede zu leugnen, sondern auf die Gefahr hinzuweisen, diese Unterschiede als statische, allgemein gültige Tatsachen zu betrachten. Kulturelle Unterschiede sind, wie die Ausführungen zeigen, nicht etwas Gegebenes, sondern etwas, das getan wird. Diese Differenzen werden interaktiv inszeniert, sie sind somit genauso wie Geschlechterkonstruktionen »Vollzugswirklichkeiten« (Eickel118
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pasch, 2001: S. 58). Ethnomethodologisch betrachtet, entspricht das einer fortlaufenden Konstruktion von Differenz und Hierarchie. Sie erfolgt nicht nur über Geschlechterkonstruktionen, sondern – wie in diesem Fall auch – über die Ungleichheitsdimension »nationale Herkunft«, die über das interaktiv ausgehandelte »doing nationality« generiert wird. In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Konstruktion von genau festgelegter nationaler Zugehörigkeit (die Deutschen, die Engländer etc.), sondern um die Konstruktionen von Kulturräumen (Europäer, Afrikaner etc.). Der Rückgriff auf Ungleichheitskategorien über »doing difference« beeinflusst die Art und Weise, wie Normen kulturell zugewiesen werden und welche Erwartungen damit in Verbindung stehen (West/Fenstermaker, 1995). »›Doing gender‹, ›doing race‹, und ›doing class‹ sind demnach simultane, miteinander verwobene Facetten eines einheitlichen, omnipräsenten Funktionsmechanismus, des ›doing difference‹, mit dessen Hilfe sich die Menschen im Alltag für die Erfüllung spezifischer Normen verantwortlich machen und so sozial differenzieren.« (Eickelpasch, 2001: S. 60)
Vereinfachungen in Form einer kulturstatischen Generalisierung verhindern es, sich genauer auf die oft komplexen Realitäten der ›fremden‹ Menschen und ihrer Kulturen einzulassen. Anstatt gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Konstellationen und Prozesse zu betrachten, wird die kulturelle Differenz auf Idealtypen reduziert. Sicherlich ist der Mensch kulturellen Prägungen ausgeliefert. Man darf jedoch nicht übersehen, dass Kultur gerade in Zeiten der Globalisierung mehr denn je von unterschiedlichen, sich oftmals vermischenden Kulturen, Milieus und Gruppierungen geprägt wird. Besonders in modernen Gesellschaften gehen Differenzierungsprozesse »Hand in Hand« mit Individualisierungsprozessen (Degele/Dries, 2005: S. 92). Mit der Globalisierung kommt es zu einer Ausdehnung der Differenzierungstendenzen: Lokale Kulturen mischen sich mit globalen Einflussfaktoren; es entstehen Hybridisierungen (ebd.).10 10 Postkoloniale Ansätze gehen davon aus, dass gegebene Konstruktionen überwunden werden können, indem man sie dekonstruiert und damit aufweicht. Dies soll über das Aushandeln kultureller Differenzen erfolgen und nicht über deren Festschreibung (Eickelpasch, 2001). Hybridisierungstendenzen werden dabei herangezogen, um zu verdeutlichen, dass innerhalb einer Kultur viele verschiedene Lebensformen nebeneinander existieren. Dass Hybridisierung als Lösungsweg kulturell konstruierter Differenzen zu kurz greift, zeigt sich an Globalisierungsprozessen. Sie verdeutlichen, wie globale Strukturen das Handeln von Akteurinnen, ihre Deutungsmuster und Legitimationsweisen beeinflussen. Die Globalisierung bewirkt in der Tat, dass sich lokale Kulturen aufgrund globaler Einwirkungen zu einer Kulturmelange vermischen (Degele/Dries, 2005: S. 198). Eine einheitliche Kultur ist nicht mehr anzutreffen – wenn sie das überhaupt jemals war. Sie findet stattdessen unterschiedliche Ausprägungen. Andererseits 119
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Die Diskussion um den Umgang mit Kulturzuschreibungen weist darauf hin, dass kulturelle Legitimationsprozesse keine pauschale Gültigkeit besitzen. Es geht vielmehr darum, die dahinterstehenden Konstruktionen und die damit verbundenen Interessen zu entschlüsseln und aufzuzeigen. Inwieweit sich die Ergebnisse der Datenerhebung mit den Erfahrungen von Hüsken decken, zeige ich an der folgenden Darstellung und Analyse der Befragten.
Sichtweise deutscher Gesprächspartnerinnen Während der Datenerhebung wurde sowohl in den Interviews als auch anhand informeller Gespräche und Beobachtungen offensichtlich, dass kulturelle Unterschiede und die sich daraus anscheinend ableitbaren Handlungen eine große Rolle in alltäglichen Aushandlungsprozessen spielen. Das betrifft auch das Verständnis von und den Umgang mit M&E. Die Ergebnisse der Deutungsmuster zeigen, dass Abgrenzungstendenzen primär über die kulturelle Zugehörigkeit verlaufen. Die deutschen Interviewteilnehmerinnen sehen in kulturellen Unterschieden einen großen Hemmfaktor für eine erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit. Es herrscht ein ausgeprägtes Bewusstsein der Andersartigkeit bezüglich Denkweise und Verhalten der Menschen in den afrikanischen Untersuchungsgebieten vor. »Die deutsche Denke funktioniert hier nicht. Es gibt eine Lücke zwischen beiden [der sambischen und der deutschen Denkart].« (Z-F-D-B)
Generalisierungen im Umgang mit dem vermeintlich Fremden treten in der Mehrheit aller Interviews zu Tage. Die Beschreibungen der malawischen, sambischen oder tansanischen Gegenüber ähneln sich dabei sehr. Die deutschen Interviewpartnerinnen beklagen an der Verhaltensweise ihrer Gastgeberinnen primär mangelnde Offenheit und Mut zur Kritik. Die ihnen entgegengebrachte Höflichkeit wird geschätzt, scheint aber zu übertrieben und wird gilt es auch zu berücksichtigen, dass diese Prozesse von der Intensität des Austausches (Zugang zu Medien etc.) mit anderen Identitäten und Kulturen abhängt. In ländlichen Gegenden, besonders in Entwicklungsländern, sind traditionelle Wertesysteme stärker erhalten als in urbanen Räumen. Die Postkolonialistinnen übersehen neben diesem ungleichen Hybridisierungsverlauf den besonders seit der Globalisierung parallel verlaufenden Trend der kulturellen Vereinheitlichung. Aus Angst davor, die eigene Kultur zu verlieren, kommt es zur (Re-) Vitalisierung, wenn nicht sogar Neuerfindung von Traditionen. Diese werden den Hybridisierungstendenzen bewusst entgegengestellt. Letztendlich bedingen sich beide Aspekte: Hybridisierung und Traditionalisierung, Globalisierung und Lokalisierung. Es handelt sich um einen »hochgradig dialektischen Prozess« (Breidenbach/Zukrigl, 1995: S. 31; zitiert nach: Degele/Dries, 2005: S. 199). 120
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mit zu wenig Selbstbewusstsein in Verbindung gebracht. Es fehlt, so die allgemeine Feststellung, der Mut, Plänen, Ideen und Vorgehensweisen deutscher Expertinnen zu widersprechen. Stattdessen würden lokale Partnerinnen vieles einfach nur abnicken: »Die Leute sind hier einfach so. Die sagen dir nicht: Das wollen wir nicht, das macht so keinen Sinn. […] [U]nd wenn da einer wirklich den Willen ausdrücken würde, zusammen was Gutes zu machen – wir wären alle mit dabei. Wenn mal authentisches Interesse käme, aber das ist leider einfach nicht da. Ständig kommt da irgendwelche Proposals, wo es nur um Allowances geht. Das ist von der anderen Seite genauso.« (M-F-D-B)
Einige Deutsche räumen ein, dass diese Passivität nicht nur kulturell bedingt ist, sondern unter anderem auch auf negative Erfahrungen mit Gebern zurückgeführt werden kann. Ungleiche Machtverhältnisse und gescheiterte Projekte schwächen den Entwicklungsoptimismus ab. Trotzdem hält die Mehrheit der Deutschen diesen Fatalismus für eine kulturelle Eigenschaft. Finanzielle Abhängigkeiten und kulturelle Respektvorstellungen werden hierbei als Gründe ausgeblendet. Elwert verweist in seinen Studien zudem auf den subversiven Kern passiver Verhaltenweisen von Partnerinnen: »Eine wesentliche kulturelle Differenz sperrt sich gegen die Offenlegung: Formen der defensiven Kommunikation und des geläufigen Spiels mit doppelten Standards. Wer Höherstehende als willkürlich erlebt hat, wird kaum mehr daran denken, Bedenken und Gegenargumente zu ihren Vorschlägen oder Maßnahmen offen zu formulieren. Er/Sie wird sie eher heimlich sabotieren, am besten dadurch, dass man sich dumm stellt.« (Elwert, 1997: S. 271)
Diese Form der Abwehrhaltung nennt er »defensive Kommunikation«. Darunter versteht Elwert eine Handlungsstrategie, die als Reaktion auf die Machtposition von ausländischen und lokalen Höherstehenden zu sehen ist. Defensive Kommunikation ist meiner Meinung nach nicht als Verweigerung zu verstehen. Sie dient vielmehr als mikropolitische Strategie der Verteidigung in Form von oberflächlicher Akzeptanz gegebener repressiver Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Erfahrungen haben gezeigt, dass Bedenken und Widerspruch oftmals ungehört bleiben und sich die finanzstarken Projektleiterinnen durchsetzen. Doch auch eigene Interessen stehen, wie andere Autoren zeigen, im Vordergrund. Das sich »Dumm-Stellen« dient demnach genauso der eigenen Bereicherung (Dettmar, 1993; Hauck, 1983). Defensive Kommunikation ist auch in den Untersuchungsgebieten der vorliegenden Studie zu beobachten. Um den weiteren Mittelfluss, der auch für die eigene Arbeitsstelle zentral ist, zu sichern, täuschen die Gesprächspartnerinnen Akzeptanz vor. Im Hintergrund üben sie 121
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jedoch Kritik und lenken Vorhaben, sofern dies möglich ist, nach eigenen Vorstellungen. Im Zweifelsfall, so die Beobachtungen von Elwert, beruft man sich auf die Tradition, »das kürzt nach Erfahrungen meiner bäuerlichen Gesprächspartner alle Diskussionen in erfreulicher Weise ab« (Elwert, 1997: S. 272). Dementsprechend fasst auch eine Interviewpartnerin aus Tansania die lokale Verteidigungsstrategie wie folgt zusammen: »It is due to Tanzanian culture. It is, but then on the other hand, they might agree to you, but do something different at the end. The Tanzanian culture is not really aggressive. But you know, people can resistance with doing not what you want them to do.« (T-F-A)
Widerstandsbestrebungen äußern sich also nicht nur in Passivität, sondern unter anderem auch in vorgetäuschter Unwissenheit. Da Expertinnen diese Strategie nicht durchschauen, nehmen sie Zuflucht in kulturellen Verallgemeinerungen, die ihnen vermeintliche Erklärungsmuster liefern (Elwert, 1997). Neben diesem ›Charakterzug‹ werden von deutscher Seite drei weitere Aspekte der lokalen Kulturen moniert: Korruption, Klientelismus und das Interesse, aus allem Geld zu schlagen. »Es ist eine Sache, die Herangehensweise von uns. Und die ist halt total anders. Wir gucken halt: Ok, das und das läuft nicht, zum Beispiel Geld wird nicht gezahlt, warum wird das Geld nicht gezahlt, logisch, logisch. Grund eins, zwei, drei, was machen wir jetzt, vier, fünf, sechs – und dann funktioniert’s. Aber oft spielen halt dann ganz andere Sachen mit. Also zum Beispiel: Es gibt ein Sekretariat und das sollte eigentlich auslaufen und dann kommt der Minister und bittet die Donor, noch mal zu verlängern. Dann erfährt man, dass der Manager ein Verwandter des Ministers ist und so. Das ist jetzt sicherlich total plakativ, aber es gibt eben auch andere Faktoren – und das ist nicht immer so: Alle mauscheln immer rum. Aber es gibt auch super viele Zusammenhänge und Beziehungen in den Ministerien und NROs.« »Wo kommen die Leute her, wer ist nett, wer steht mit wem wie zueinander – alles. Sind alles Dinge, die können wir einfach gar nicht von außen verstehen. Und: Klar, Consultants kommen an, machen eine super Analyse und sind rational: Was können wir machen, damit es besser läuft? Aber dass da eben auch ganz andere Sachen da mitspielen, ja, das kann man halt auch nicht sehen, wenn man so kurz kommt.« (MF-D-B)
Die beschriebenen Kritikpunkte sind einerseits tatsächlich existierende und nur schwer zu überwindende Strukturaspekte, andererseits aber auch stereotype Konstruktionen, die schnell als Erklärungen und Entschuldigung für projektinterne Probleme genannt werden und damit die bereits existierende westliche Sicht auf ›den afrikanischen Kontinent‹ bestärken. Andere dahinter lie-
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gende Interaktions- und Strukturprobleme gilt es jedoch genauso zu berücksichtigen. Bei Vergleichen greifen Interviewpartnerinnen gerne auf das eigene deutsche System zurück, das Vorbildfunktion annimmt. Der eigene kulturelle Hintergrund fungiert letztendlich auch bei äußerst reflektierten und kulturell sensiblen Expertinnen als Orientierungsrahmen: »Partizipation ist auch etwas, was man nicht nur zugebilligt bekommen sollte, sondern was man auch einfordern muss. Wenn seinerzeit in Deutschland auch die Arbeiter nicht für ihre Rechte gekämpft hätten … Natürlich muss man sich Partizipation auch erkämpfen, natürlich muss man sagen: Wir wollen das. Und muss das dezidiert auch sagen. Nicht warten, dass der andere sagt. So lief doch auch die Frauenbewegung. Wenn die nicht aufgestanden wären, hätten die Männer doch auch nicht von sich aus gesagt: Aber ich sehe ja, du bist unterdrückt. Das hätte auch keiner gemacht. Und wenn die Malawis da auch nicht ihren Arsch hochkriegen, dann sind sie auch dafür verantwortlich. Es ist natürlich bequemer nicht zu kämpfen, das hat ja auch seine Vorteile. Man muss sich nicht aus dem Fenster lehnen, kann weiter korrumpieren, kann eine Mittelschicht aufbauen, man geht nicht gegen malawische Traditionen. Natürlich ist kämpfen härter, als sich mit den bestehenden Verhältnissen zu arrangieren. Die Malawis werden an diesem Spielchen nicht so schnell was ändern.« (M-F-D-B)
Der interkulturelle Austausch gerät an seine Grenzen. Weder das scheinbare Verstehen fremder Kulturen über von Partnerseite belächelte Assimilationstendenzen einiger Expertinnen noch die Akzeptanz und der Respekt vor kulturellen Spielarten, ohne die persönliche Identität zu verlieren, sowie das eigene kritische Reflektieren können diese Hürde nehmen. Sie verfangen sich in den Austauschprozessen zwischen Akteurinnen abhängiger Konstruktionen und den strukturellen Rahmenbedingungen.
Sichtweise sambischer, malawischer und tansanischer Gesprächspartnerinnen Die Generalisierungen über »doing difference« treffen nicht nur auf die deutschen Befragten zu. Sie sind genauso bei den lokalen Beteiligten in den Untersuchungsregionen präsent: »Aus Sicht der Dritten Welt […] ist der Experte ein qualifizierter Gastarbeiter in Sachen europäischer Entwicklung. Er ist beileibe nicht der erste Europäer, mit dem man meist negative Erfahrungen macht. Er steht am Ende einer historischen Kette von ›durchjagenden Europäernarren‹, über die schon Herder seinen bitteren Spott ausgoss.« (Braun, 1992: S. 135)
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Die deutschen Vorgesetzten und Kolleginnen gelten als direkt und kritikfreudig. Ihre deutliche Art, Dinge beim Namen zu nennen, brüskiert viele lokale Betroffene: »I mean, that is just the way you are, you are all more direct and straight. You appear so strict. We beat around the bush, I think you know us, but you go straight. Because of the culture, Tanzanians might think you are rude or harsh.« (T-F-A) »Many Germans come and think they can tell what to do. They think they know it all. They ask and demand for things. They think they are special. Who do they think they are? They are guests in Tanzania and behave like a boss. [T]he others [die Deutschen] make me angry. They tell us what to do. […] Because I find that the European way is different, others might feel looked downward on. They should be more interested and more experienced, I guess, they should have a general knowledge how the African traditions go. Most of them are welcome.« (T-F-A)
Deutsche werden hier nicht nur durch ihre über Worte ausgedrückte sprachliche Kommunikation, sondern genauso über nonverbale Austauschformen wahrgenommen und dementsprechend konstruiert. Die aufrechte Körperhaltung von Expertinnen im Umgang mit lokalen Ranghöheren wie Chiefs kann mitunter als mangelnder Respekt gegenüber der Funktion, des Geschlechts und des Alters des Gegenübers missverstanden werden. Meist sind sich die Expertinnen dieser Empfindungen gar nicht bewusst. Aus Höflichkeit werden sie oftmals nicht darauf hingewiesen. Ich selber wurde während einer Datenerhebung im Hinterland von Malawi auf meinen Gang angesprochen, der für eine Frau meines Alters zu selbstbewusst wirke und die Wahrnehmung meiner Persönlichkeit beeinflusse. Konstruktionen erfolgen keineswegs nur über in Worte gefasste Sprache. Gestik, Mimik und Körperhaltung spielen ebenso in Wahrnehmungsweisen hinein und dürfen nicht unterschätzt werden. Auch der Ausdruck des eigenen materiellen Status über Kleidung, Schmuck oder Auto prägen die Wahrnehmung des Gegenübers. Diese Beobachtungen entsprechen den Prämissen des phänomenologischen Konstruktivismus, der die nonverbalen Handlungen mitintegriert. Eine Fokussierung auf Diskurse und Sprache, wie sie vom relationalen Konstruktivismus betont wird, reicht hier nicht aus, da sie die nichtsprachlichen Interaktionen nicht ausreichend erfasst. Das »In-der-SpracheSein« bezieht sich nicht nur auf Reden und Schreiben (Rüegg-Stürm, 2003: S. 47). Kulturelle Stereotypen werden gefördert, um die Einordnung des Gegenübers zu vereinfachen. Wie die lokale Bevölkerung von den deutschen Expertinnen erlebt wird, ist stark an bekannte Entwicklungsstrukturen gebunden: Aufgrund ihrer privilegierten Position führen die Ausländer ein exklusives Leben. Ihre Sonderstellung erschwert den Aufbau von Beziehungen zu loka124
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len Mitarbeiterinnen. Wenn ein Austausch mit der afrikanischen Bevölkerung stattfindet, dann in gleichgestellten Kreisen mit der Finanz- und Bildungselite. Der Blick auf die Realität des Landes wird verzerrt. Expertinnen bleiben unter ihresgleichen und bilden ihre eigene kulturelle Heimat in einem fremden Land. Sie leben im Berufsalltag sowie in ihrer Freizeit in zwei Welten: einerseits die deutsche »community« und der deutsche Arbeitgeber, an den man gebunden ist, andererseits die lokalen Kolleginnen, Partnerinnen und Dienstleisterinnen. Der Kontakt zur breiten Masse findet höchstens im Austausch mit Taxifahrerinnen oder Haushaltshilfen statt. Auf den Aussagen einiger weniger lokaler Dienstleisterinnen basiert dann ein großer Teil der Konstruktionen über die Realitäten der Menschen vor Ort. Expertinnen werden dazu verleitet, ihre Landeskenntnisse zu überschätzen, obwohl sie aufgrund ihres schichtspezifischen Kontakts dem so genannten »biased sampling« unterliegen (Elwert, 1992: S. 141). Neben diesem führt auch die eigene kulturell konstruierte Wirklichkeitskonstruktion zu Kommunikationsfiltern. Denkweisen werden übertragen und Unterschiede übersehen bzw. falsch interpretiert. Elwert veranschaulicht diesen Aspekt anhand der Fulbe-Nomaden in Westafrika: Von den Interessen und Rationalitäten sesshafter Bauern als Informationspartnerinnen ausgehend, schließen externe Gutachterinnen auf die Bedürfnisse der Fulbe zurück. Dass zwischen ihnen und den Bauern kaum Austausch besteht und sie über die jeweils anderen Realitäten wenig wissen, bleibt ausgeblendet (Elwert, 1992). Die Kommunikationsfilter verstärken sich durch die Parallelwelten, in denen die Deutschen leben.
Existenz von Parallelwelten Parallelwelten äußern sich auch in Projektstrukturen und haben soziale Segregation und Statusunterschiede zur Folge. Die Büros deutscher Organisationen sind, obwohl das zum Teil möglich wäre, meistens nicht in die Räumlichkeiten ihrer Partnerinnen integriert. Der räumlichen folgt zudem eine administrative und finanzielle Trennung: »Ich hab so das Gefühl, man ist in einer schwierigen Situation, dass man Parallelstrukturen aufbaut. Zum Beispiel unser Programm: Da haben wir hier unser eigenes Büro, malawische Mitarbeiter. Ich weiß nicht, wie das in anderen Programmen aussieht, aber das wird ähnlich sein, das sind halt alles Parallelstrukturen, das Ministerium, das heißt der Partner hier und wir dort. Und man gliedert sich nicht wirklich in lokale Strukturen ein. Entweder man tut es oder man tut es nicht. Die Schecks zeichnet halt auch nur der Projektleiter. […] Für mich ist er [der deutsche Vorgesetzte] mein Chef – aber mein malawischer Partner … irgendwie sind das zwei Strukturen, die Organisation B-Hierarchien und meine malawischen Vorgesetzten. Ich orientiere mich an den Organisation B-Strukturen. Beide Seiten sind von Re-
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spekt geprägt. Aber das ist einfach so, dann geht es hierarchisch auch Richtung Country Director, da sind die Strukturen klar.« (M-F-D-B)
Die Verwaltungsstrukturen führen zwangsläufig zu einer Doppelstruktur, in der Unter- bzw. Überordnungsverhältnisse konstruiert und (re-)produziert werden. Besonders die malawischen Gesprächspartnerinnen monieren Parallelstrukturen. Den deutschen Expertinnen werden lokale Partnerinnen, so genannte Counterparts11, ›an die Seite‹ gestellt. Doch alleine die dabei implizierte Machtkonstellation verdeutlicht, wie sich deren Stellung gestaltet: Die deutsche Vertretung hat letztendlich das Sagen. Counterparts übernehmen den ›Juniorpart‹, der aufgrund der Hierarchisierung zwangsläufig inkompetenter wirken muss. Braun zeigt jedoch, wie Counterparts dennoch ihre Situation zu nutzen wissen. Sie verfügen über Möglichkeiten der so genannten »Unterwachung« (Braun, 1992: S. 137): Was die lokalen sozio-kulturellen Kenntnisse betrifft, sind Counterparts den Expertinnen weit überlegen. Mit ihren Kenntnissen steht und fällt das Projekt. Neben der Rolle als lokale Fachleute müssen Counterparts aber auch den Erwartungen ihrer Landsleute genügen. Es existiert eine Rollenvielfalt, die es zur Zufriedenheit aller auszufüllen gilt. Counterparts besitzen die Macht, Informationen zu filtern und dadurch auf die Mittelvergabe Einfluss zu nehmen. Doch genau diese Machtposition wird von Expertinnen häufig übersehen. Im Gegenzug wird die Figur der Expertin bzw. des Experten von lokalen Mitarbeiterinnen überschätzt. »Er gilt als eine Art omnipotenter Supermann, der Himmel und Hölle bewegen kann, wenn er nur will.« (Ebd.: S. 138) Finanzielle und administrative Zwänge hindern Expertinnen jedoch, den an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden. Das führt zu Enttäuschungen, die in Spannungen und Neid übergehen können. Die strukturell bedingten Machtzuweisungen führen zu zunehmender Kritik an den fremden Expertinnen. Ironischerweise kommt die Kritik meist von »Entwicklungsmaklern«, das heißt den Mittlern, die den Kontakt zwischen den Gebern und lokalen Interessengruppen aufbauen, obwohl sie von den Geldern der Entwicklungszusammenarbeit unmittelbar profitieren (Bierschenk, 2001: S. 60). Diese Beobachtung deckt sich auch mit den Ergebnissen vorliegender Datenerhebung. Die entwicklungspolitische Elite des Landes ist, wie die lokalen Interviewpartnerinnen einräumen, deutlich unzufriedener mit den Gebern als der Rest der Bevölkerung. Die Kritik kommt von der Mittel- und Oberschicht, die unter anderem durch die Entwicklungszusammenarbeit mitfinanziert wird, und aufgrund ihrer Bildung einen ganz anderen Kontakt zu den 11 »In den EL beheimatete, einheimische Organisationen, mit denen […] ein Entwicklungsvorhaben vereinbart wird, bzw. einheimische Fachkräfte, die mit den entsandten deutschen Entwicklungsexperten […] zusammenarbeiten und das Projekt weiterführen, wenn dessen Förderungslaufzeit beendet ist.« (Nohlen, 1998: S. 160) 126
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Fremden in ihrem Land aufbaut als die weniger Gebildeten und Wohlhabenden. Hauptkritikpunkte sind hierbei vor allem der unterschiedliche finanzielle und materielle Status. Es existiert das Gefühl ständiger finanzieller Benachteiligung bei gleicher Arbeit. Die administrative Tätigkeit der deutschen Vorgesetzten wird unterschätzt: »I as a Malawian find there are two policies running parallel. There is that what you find local staff terms and there are the other terms for Germans, which none of us know. If they genuinely taking us as someone who identifies with Organisation B, we cannot because we are segregated, we are running along different lines, there is segregation. Also, I do not feel part of Organisation B, something can be proud of because the attitude that you get from the officers in charge, the Germans, for example, you have an situation where we are talking about, the policy. Example the way you determine certain benefits. Nothing is explained to you clearly why it is done this way, why it is done that way.« (M-F-B) »But I have heard that villagers appreciate it, but in the cities there is a bit of scepticism. Because sometimes it seems like the big projects send unqualified people to fill in high post, while the local staff does all the work and is paid less than a tenth. It is a bit unfair. But the villagers they are still happy, in the city they say, well that is the end of it, we are doing all the work and you earn so much. And the foreigners kids go to posh schools and your children go to primary schools with 200 others, but I am working day and night. So it is a bit, I would not say tensions, but it is openly talked about, because it is the people who talk about their frustration. The international person and the local one – they are doing the same job, but it does not matter and balance.« (M-F-B)
Braun weist darauf hin, dass die Entwicklungszusammenarbeit an die Grenzen der strukturell geprägten allokativen und autorativen Ressourcenverteilung gerät: »Dieses Anforderungsprofil aus dem Reich individualpsychologischer Utopien benennt genau das Dilemma der Personellen Hilfe: sie predigt interkulturelle Kommunikation unter Gleichen – und kann Gleichheit um ihrer Existenz willen nicht akzeptieren. Sie basiert auf der Partnerschaftsidee – und weiß, dass Partnerschaft unter Ungleichen nicht möglich ist. Statt interkultureller Kommunikation also – interkulturelle Sprachlosigkeit.« (Braun, 1992: S. 138)
Instrumentalisierung von Konstruktionen Akteurinnen instrumentalisieren die beschriebenen Rahmenbedingungen jedoch auch ganz bewusst, um ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen. Sie präsentieren sich damit, Giddens’ Ideen entsprechend, als rational handelnde Individuen, die sich nicht in der passiven Opferrolle befinden, auch wenn das 127
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
aus strategischen Gründen manchmal so dargestellt wird. Europäische Verallgemeinerungen mit Hinblick auf den afrikanischen Kontinent sind hilfreich, wenn es darum geht, sie für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Die gleiche malawische Gesprächsteilnehmerin, die sich zunächst vehement gegen westliche Verallgemeinerungen gewehrt hat, sagt im Hinblick auf größere finanzielle Unterstützung: »[A]nd you know that Africa is a poor continent and people die because of hunger.« (M-F-B) Kulturelle Stereotype unterliegen mikropolitischer Instrumentalisierung und dienen unterschiedlichen Zwecken. Sie werden verwendet, um einerseits auf kulturelle Ungleichheiten hinzuweisen, andererseits aber auch, um diese zu bestärken. Der Ethnologe Thomas Bierschenk bemerkt, dass die Entwicklungszusammenarbeit durch ihre Dezentralisierung neue Formen des Klientelismus schafft (Bierschenk, 2001). Innerhalb dieser klientelistischen Beziehungen müssen zahlreiche Interessen sowohl der Geldgeber als auch der lokalen Bevölkerung vertreten und Bedürfnisse gedeckt werden. Unterschiedliche Rollen verlangen ein taktierendes Vorgehen. Das gilt auch für die deutschen EZ-Beschäftigten, die selber in Interessens- und Machtkämpfen zwischen der jeweiligen Zentrale im Inland und den verschiedenen Akteurinnen der Ministerien, der Partnerinstitutionen und ihrer Projekte verwickelt sind und somit zwischen allen Fronten stehen. Das »Allowance«-System zum Beispiel kann die unterschiedliche Instrumentalisierung gut darstellen. Von westlichen Gebern eingeführt, ist es ein Entschädigungssystem, das für Unkosten und Arbeitsausfälle aufkommt. Mittlerweile ist es in einigen Regionen zum Selbstläufer geworden. Ohne Allowances sind viele lokale Partnerinnen nicht mehr bereit, an Workshops oder Konferenzen teilzunehmen. Die Geberseite reagiert abfällig auf diese Nehmermentalität. Um den organisationsinternen Finanzzwängen zu entsprechen, zahlen sie im Zweifelsfall lieber zu wenig als zu viel Allowances aus, was dazu führt, dass sich die Counterparts vor den Kopf gestoßen und degradiert fühlen. Gegenseitige Stereotype dominieren: Die Geldgierigen stehen den Geizigen gegenüber. Die Expertenseite kann damit projektinterne Probleme der Partnerinnen begründen, ohne nach weiteren Hindernissen suchen zu müssen. Es tritt eine Kulturalisierung von Problemen ein. Die Partnerseite wehrt sich wiederum gegen die Unterstellung, es nur auf »Allowances« abgesehen zu haben, und beschimpft die Geberseite als ignorant und egoistisch. In anderen Situationen spielt die Nehmerseite ganz bewusst die Karte der eigenen Machtlosigkeit und Armut aus, um mehr Mittel zu erhalten. Es herrscht »kalkulierte Fortschreibung von Stereotypen zur Legitimation des eigenen Arguments« (Hüsken, 2006: S. 115). Über Jahrzehnte gewinnen Konstruktionen den Charakter von objektiven Tatsachen, die sofort Assoziationen und Emotionen auslösen. Sie beeinträchtigen alle Aspekte des Projektmanagements bis hin zu M&E-Maßnahmen. Objektive Erfolgskontrollen sind schon alleine deshalb nicht zu erreichen. Sie 128
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
unterliegen zu sehr Interessenskonflikten sowie individuellen Interpretationen und Konstruktionen. Auch Georg Elwert (1997) weist unter Rückgriff auf eine Studie von Erika Dettmar (1993) darauf hin, dass Spannungen nicht nur kulturell begründet sind. Als Beispiel führt er die Beziehung zwischen externen Gutachterinnen ein, die von ihren Landsleuten in Beratungssituationen kritisiert werden. Die dort beobachteten Formen gegenseitiger Kritik ähneln denen der afrikanischen Mitarbeiterinnen und Partnerinnen der Untersuchungsgebiete, die gegenüber deutschen Vorgesetzten geäußert werden. Kritik am Überlegenheitsgefühl und an dem ungleichen materiellen Status wird somit nicht nur zwischen verschiedenen kulturellen Gruppen thematisiert, sondern existiert auch innerhalb einer Kultur. Um das Handeln des unbekannten Gegenübers besser einschätzen zu können, greift man im entwicklungspolitischen Kontext bewusst auf stereotype Vorstellungen über außereuropäische Gesellschaften zurück. Vereinfachungen helfen, mit der Komplexität der Situation in einem fremden Umfeld bzw. mit fremden Vorgesetzten umgehen zu können. »Heinz Hartmann (1995: 122) entwickelt die plausible Hypothese, dass diejenigen, die von Kulturkonflikten sprechen, als seien es unlösbare Entweder-Oder-Oppositionen, diesen Diskurs als Fassade errichten, um Kosten und Zeit zu sparen durch Bewahrung des Status quo. Bei unlösbaren Entweder-Oder-Oppositionen kann man sich die Mühe des Aushandelns von Prozessen sparen und riskiert folglich nicht, das Gesicht zu verlieren. Wer in Entwicklungsprojekten einer Kulturrethorik von unüberbrückbaren Mentalitätsunterschieden begegnet, sollte sich also fragen, ob hier nicht eine Fassade errichtet wird, um sich den Aufwand des Kompromissaushandelns zu ersparen.« (Elwert, 1997: S. 278)
Um Spannungen wirklich zu reduzieren, sollte man anstelle von Verallgemeinerungen auf Lernfähigkeit und fachliche Kompetenz zurückgreifen (Elwert, 1997).
5.4
Zusammenfassung: Signifikation und Legitimation
Die Analyse von Signifikation und Legitimation über die Modalitäten »Deutungsmuster« und »kulturell geprägte Normensysteme« verdeutlicht die unterschiedlichen Konstruktionsweisen von Regeln auf Akteursebene und die daran gekoppelten strukturellen Faktoren auf Strukturebene. Die Reaktionen der Interviewpartnerinnen fallen bei beiden Dimensionen ähnlich aus und lassen sich in zwei Haupttypen unterteilen, die durchgehend auftreten. Der Ty129
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
pus »deutsche Auslandsmitarbeiterinnen« steht dem Typus »tansanische, malawische und sambische Mitarbeiterinnen und Partnerinnen« gegenüber. Die nationale Zuweisung wird auch hier wieder nicht landesspezifisch verstanden, vielmehr handelt es sich um die konstruierte Wahrnehmung verschiedener Kulturräume (europäischer, ost- und südafrikanischer). Neben dieser Grobeinteilung lassen sich hinsichtlich der Deutungsmuster weitere Merkmale ausmachen (Kluge/Kelle, 1999; Bohnsack, 2001; Flick, 2004): »Für jede Typologie lässt sich ein zugrunde liegender Merkmalsraum (re)konstruieren, der sich durch die Kombination von Kategorien bzw. Merkmalen und ihren Subkategorien bzw. Ausprägungen ergibt.« (Kluge/Kelle, 1999: S. 79)
Die Aussagen der deutschen Teilnehmerinnen weisen die Subkategorien »Zentrale« (= »Inland«) versus »Auslandsmitarbeiterinnen« (= »Ausland«) auf. Besonders die Auslandsmitarbeiterinnen grenzen sich bewusst von der Zentrale ab. Hinsichtlich der Interpretation von Gender kann zudem eine Differenzierung nach Geschlecht vorgenommen werden. Unterschiede verlaufen somit unter anderem entlang der Ungleichheitsdimensionen: nationale Herkunft, Arbeitsebene und Geschlecht. Deutungsmuster sowie normativer Hintergrund verdeutlichen die Existenz von Parallelstrukturen der Wahrnehmung, die besonders anhand der nationalen Zuweisungen deutlich werden. Westliche Vorstellungen von Schlüsselthemen und Managementinstrumenten sowie von konzeptionellen Ansätzen und Vorgehensweisen dominieren die Entwicklungszusammenarbeit. Da diese Vorgaben auf kontextabhängigen Weltbildern beruhen, treffen sie bei ausländischen Partnerinnen in den Untersuchungsgebieten oft auf Verwirrung und Ablehnung. Das Gleiche gilt für die Präsenz von Gutachterinnen bzw. Projektmitarbeiterinnen aus Deutschland, die ihre eigenen Legitimationsmuster in das Gastland bringen. Das Verhalten des jeweils anderen stößt auf Verunsicherung und Ablehnung. Beide Aspekte, Signifikations- und Legitimationsunterschiede, wirken sich erschwerend auf die Planung und Umsetzung von M&E aus. Alle Betroffenen müssen M&E-Konzepte intensiv miteinander aushandeln und dementsprechend finanziell unterstützen, sonst drohen unterschiedliche Gewichtung, Auslegung und Implementierung. Kulturell bedingte Normensysteme und deren fortlaufenden Konstruktionen führen zu Missverständnissen und Verstimmungen, die eine Zusammenarbeit und damit die Planung, Umsetzung und Auswertung von M&E beeinträchtigen. Die Dialektik zwischen den Ebenen Handlung und Struktur ist hierbei von zentraler Bedeutung. Abhängig von der jeweiligen Interaktion fallen Situationsdefinitionen und Interpretationen unterschiedlich aus (Hanft, 1995: S. 21). Konstruierte Rollenzuschreibungen prägen gegenseitige Erwartungen:
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PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
»In Interaktionsprozessen sind Akteure mit Verhaltenserwartungen konfrontiert, die andere in Bezug auf sie als Personen und Rollenträger haben. Umgekehrt haben sie ihrerseits verschiedene Erwartungen an das Verhalten anderer Akteure, geprägt durch Erfahrungen mit diesen Personen oder den durch sie verkörperten Rollen. Die Art und Weise, wie man andere wahrnimmt oder von diesen wahrgenommen wird, folgt also bestimmten Typisierungen, die solange gültig sind, wie Akteure diesen Mustern beim Verfolgen von Handlungsentwürfen folgen.« (Ebd.: S. 22)
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Rollenerwartungen hier zu einem großen Teil kulturell determiniert sind und produziert werden. Über das »doing difference« werden Gruppenzugehörigkeiten nicht nur kontinuierlich ausgehandelt und bestätigt, sondern auch für die jeweils eigenen Zwecke und Interessen instrumentalisiert. Postkolonialisten12 wie Stuart Hall, Gayatri Spivak und Homi Bhaba verdeutlichen, inwieweit Ethnizität sozial konstruiert ist. Stuart Hall belegt dies anhand von Michel Foucaults Überlegungen zur diskursiven Macht des Diskurses. Halls Analyse zufolge war die Idee des Westens, das heißt eines Europas, das als fortschrittlichster Gesellschaftstyp galt, zentral für die Aufklärung. Besonders der Diskurs prägte – und prägt bis heute – in ganz besonderer Weise diese Konstruktionsmuster zwischen ›dem Westen‹ und ›dem Rest‹. Der Diskurs ähnelt der Ideologie. Er ist »ein Ensemble von Aussagen oder Annahmen, die Wissen produzieren, welches den Interessen einer bestimmten Gruppe oder Klasse dient« (Hall, 1994: S. 151). Über und durch den Diskurs wird Macht ausgeübt. »Diejenigen, die den Diskurs produzieren, haben also die Macht, ihn wahr zu machen – zum Beispiel seine Geltung, seinen wissenschaftlichen Status fortzusetzen.« (Ebd.: S. 154) Welche Produktionen das zur Folge hat und wer in der Position ist, sie zu produzieren, zeigen zahlreiche Autoren. Edward Said veranschaulicht die diskursive Konstruktion in seinem Werk »Orientalismus« anhand von gängigen Orientkonstruktionen durch Europäer (Said, 1981). Der Philosoph Paulin Hountondji beschreibt, wie sich die Machtverhältnisse auf die Aufnahme und den Umgang mit der afrikanischen Wissenschaft auswirken. Dabei beklagt er, dass die europäische die afrikanische Philosophie dominiert. Westliche Wissenschaftlerinnen, so Hountondji, generalisieren afrikanische Denkweisen als traditionell und favorisieren eine Ethnophilosophie, die anderen philosophischen Strömungen in Afrika nicht gerecht wird. Die Präsentation von Exotik 12 Postkolonialismus wird von Petersen definiert als »the fight against neo-colonialism, particularly in its cultural aspect« (Petersen, 1984: S. 252; zitiert nach: Kerner, 1999: S. 32). Bronfen, Marius und Steffen ergänzen diese Definition: »Bei Postkolonialismus handelt es sich um den Prozeß des Heraustretens aus dem Syndrom des Kolonialismus, in dessen Verlauf sich die kolonial geprägten Strukturen fortsetzen, indem sie transformiert und damit etwas anderes werden.« (Bronfen/Marius/Steffen, 1997: S. 9; zitiert nach: Kerner, 1999: S. 35; Hervorhebungen im Original) 131
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
steht für das europäische Publikum im Vordergrund (Hountondji, 1993). Arturo Escobar schließlich analysiert die Bedeutung des Diskurses anhand der Entwicklungszusammenarbeit. Er zielt darauf ab, die Reproduktionen von Entwicklungsmythen aufzudecken und zu dekonstruieren (Escobar, 1995). »Doing difference« ist ein wichtiger Teil der kulturellen Identitätsbildung, wird aber, wie die genannten Autoren verdeutlichen, auch dazu benutzt, »um soziale Identitäten anzuzeigen, um eine soziale Position oder eine Rolle zu stilisieren« (Vester, 1993: S. 34; zitiert nach: Eickelpasch, 1997: S. 16). Es erfolgt nicht nur über verbale, sondern auch über nonverbale Kommunikation, wie sie besonders der phänomenologische Konstruktivismus betont. In den Untersuchungsgebieten dieser Studie sind der Arbeits- und Lebensstil und der damit verbundene materielle und organisationsinterne Status von deutschen und afrikanischen Mitarbeiterinnen eine der Hauptursachen und Grund für die gegenseitigen Konstruktionen, die in deutlichem Kontrast zueinander stehen. Unter Rückgriff auf Pierre Bourdieu lässt sich von einem Expertinnen- und einem lokalen Mitarbeiterinnen-Habitus sprechen. Darunter ist die Bündelung kollektiver Identitäten und Mentalitäten zu verstehen, die aufgrund äußerer Rahmenbedingungen, zum Beispiel der gleichen sozialen, finanziellen und kulturellen Ausgangssituation, entstehen (Vester, 1996). Deutsche Expertinnen sind geprägt von ihren kulturellen Werten und haben aufgrund ihres Lebensstils und Status nur begrenzt Möglichkeit, die Kultur des Gastlandes kennen zu lernen. Unverständnis beeinflusst die Wahrnehmung der Menschen vor Ort. Lokale Mitarbeiterinnen fühlen sich trotz ihrer Landeskenntnisse in ihrem Handlungsspielraum eingegrenzt und nicht ausreichend gewürdigt, da sie finanziell von Geberorganisationen abhängig sind. Eigene bzw. fremde Deutungsmuster und Legitimierungsweisen werden im gegenseitigen Austausch mit Vertreterinnen des gleichen oder anderen Habitus eingesetzt und instrumentalisiert. Die jeweilige Akzeptanz und Auslegung der organisationsinternen und kulturellen Regeln – z.B. von Gender – ist an die Position der Akteurinnen und die daran gekoppelten Interessen gebunden. Die Handelnden reflektieren ihr Tun und nutzen es, um auf die gegebenen Strukturen Einfluss nehmen zu können. Elwert verdeutlichte das anhand der »defensiven Kommunikation«: Statt ›auf Konfrontation zu gehen‹, wird den Vorgaben und Vorschlägen von Partnerinnen in den Untersuchungsgebieten oberflächlich zugestimmt; sie werden im Alltag jedoch nicht umgesetzt. Doch nicht alles wird von auf Akteursebene ausgehandelten Konstruktionen geprägt. Im Gegenteil: Es gibt ein dialektisches Zusammenspiel von »strukturieren« und »strukturiert werden«. Neben der handlungstheoretischen Perspektive der Ungleichheitsforschung muss man auch die sozio-kulturellen Prozesse berücksichtigen, die bereits zur Struktur geworden sind (Hillebrandt, 1997):
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PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
»Es kommt entschieden darauf an, die sozialen Strukturierungs- und Verteilungsprozesse zu bestimmen, die soziale Ungleichheit reproduzieren und erzeugen, indem sie den sozialen Status der Einzelnen in nicht unbedeutendem Maße determinieren.« (Ebd.: S. 87)
Internationale Rahmenbedingungen wirken sich unmittelbar auf Zuschreibungen von kulturellen Unterschieden aus. Der Soziologe Rolf Eickelpasch kritisiert zu Recht, dass die Instrumentalisierung von Sprache als einziges Machtkriterium nicht ausreicht. Er übt Kritik an der poststrukturalistischen Sichtweise Foucaults, indem er darauf verweist, dass ebenso ›harte‹ gesellschaftliche Fakten zu berücksichtigen sind. Dabei spricht er vom »stummen Zwang der Verhältnisse«, die sozusagen die sozio-kulturelle »Hardware« bilden (Eickelpasch, 2001: S. 53). Die symbolisch-kulturellen Deutungsmuster der Klassifikationsprozesse, die kulturelle »Software«, das ›Wie‹, also das mikropolitisch ausgehandelte »doing differences« bzw. »doing nationality«, ist als alleinige Erklärung nicht befriedigend. Strukturaspekte, das ›Warum‹, prägen genauso die Art und Weise, wie Deutungs- und Legitimationsprozesse ausfallen (ebd.). Strukturelle Ungleichheiten der Vergangenheit und Gegenwart dürfen nicht übersehen werden. Erlebnisse der Kolonialzeit und die vielen Entwicklungsdekaden nach der Unabhängigkeit haben die Einschätzungen ›der Anderen‹ in den Untersuchungsgebieten beeinflusst: »Because from the way we are brought up, is that we look up on whites: They can never do wrong, whatever they come up with, whatever they say that is the correct one. But of course down on reality, it does not work that way. But then, I mean for them, Tanzanians who have these beliefs, it is like putting somebody higher. I would not say, well to the younger generation not that much because now there is the opening and many travel out their parents, they themselves. Now, it is much less than they did in the past, you know, more than a hundred years ago, the white person came from a better country. Depending on the level of the people, somehow, you look up to them and you do not want to be on the wrong side. It is more like, I would not say it is neo-colonial, hehehe, it is more of ahmm, administrative partnership, I would say.« (T-F-A)
Das unter anderem auf kolonialen und postkolonialen Vernetzungen aufbauende kapitalistische Weltwirtschaftssystem ist aus marxistischer Sicht der Hauptgrund für ungleiche globale Machtverhältnisse (Spivak, 1996). Das Verständnis von Kultur, Kommunikation und Zusammenarbeit ist von diesen Machtverteilungen abhängig: Ressourcenstärkere entscheiden, wer entwicklungspolitische Konditionalisierungen einfordern kann und wer sie akzeptieren muss. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen die an diese finanziellen Abhängigkeiten gebundenen Dynamiken. Die Deutungsmuster der untersuchten Geldgeber müssen hingenommen werden, wenn Geld in das eigene Land 133
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
fließen soll. Die ökonomische Strukturebene dominiert hier alle anderen Rahmenbedingungen. Projektstrukturen, Entscheidungsrechte, Zugangsmöglichkeiten zu Wissen, globale Vernetzungen und die Existenz von Parallelwelten in den Partnerländern sind Ergebnisse der Abhängigkeitsstrukturen. Betroffene Akteurinnen meiden jedoch die offene Konfrontation und leben strukturelle Ungleichheiten stattdessen über kulturelle Generalisierungen und subversives Handeln aus. Schlüsselkonzepte, Vorgehensweisen und Managementinstrumente wie M&E werden in der Realität nur oberflächlich für mikropolitisches Handeln akzeptiert. Akteurinnen reagieren aus Unsicherheit wie auch aus eigenem Interesse heraus mit der Produktion und Reproduktion pauschalisierender, kultureller Konstruktionen. Unterschiede werden über Rückgriff auf überkommene Stereotype und Vorurteile auf der Handlungsebene mit kolonialen, kapitalistischen und entwicklungspolitischen Erfahrungen auf der Strukturebene verarbeitet. Konstruktionen entstehen somit in dem Zusammenspiel ökonomischer, politischer und sozio-kultureller Rahmenbedingungen und den damit verbundenen Differenzierungen aller Beteiligten (Eickelpasch/Rademacher, 2004). Sie beeinflussen das eigene Verhalten und werden bewusst und unbewusst verwendet, um den individuellen Handlungsspielraum zu erweitern und die gegebenen Strukturen zu produzieren oder zu reproduzieren. Dem dialektischen Prinzip Giddens’ entsprechend bekommen M&E-Leitlinien erst dann strukturalen Charakter, wenn Handelnde sie akzeptieren und umsetzen. Dulden Akteurinnen diese nicht mehr, ist das Fortbestehen von Strukturen bedroht. So lange westlich dominierte Diskurse von den Partnerinnen der Untersuchungsgebiete aus Angst vor Mittelkürzungen akzeptiert werden, kommt es zu deren Ausbreitung – unabhängig davon, wie sinnvoll sie sind. Strukturbildung ist in diesem Fall abhängig von ökonomischen und politischen Faktoren. Trotzdem wird an den Untersuchungsergebnissen klar, dass die Akteurin dem nicht gnadenlos ausgeliefert ist, sondern sich, wenn sie will, subversiv oder offensiv zur Wehr setzen und damit die eigenen Interessen verteidigen kann. Gegenseitige Aushandlungsprozesse sind zeitintensiv, aber notwendig, um die organisationsabhängigen und kulturellen Barrieren in den Untersuchungsgebieten zu reduzieren und gemeinsame Wege begehen zu können. In diesem Prozess ist es die Aufgabe der Wissenschaft, Hintergründe von Konstruktionen und ihre (Re-)Produktionsmechanismen aufzudecken.
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PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
›Warum‹ = ›stummer Zwang der Verhältnisse‹ strukturell geprägte soziale, politische und ökonomische Rahmenbedingungen ermöglichen die Dominanz bestimmter Regelwerke
Strukturen entscheiden: – ob und wie man Deutungsmuster annimmt – ob und wie man Unterschiede konstruiert
Handeln entscheidet: – welche Deutungsmuster sich durchsetzen – ob Konstruktionen objektiven Charakter erhalten
›Wie‹ = »doing difference« kontinuierlich ausgehandelte Produktion von Unterschieden einer bestimmten Gruppe, die verwendet werden kann, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern
Abbildung 8: Regelwerkorientierte Austauschprozesse zwischen Handlung und Struktur. Eigene Darstellung Die Analyse der verschiedenen Regeln verweist deutlich auf Machtstrukturen, die sowohl auf Mikro- als auch auf Makroebene eine zentrale Rolle spielen. »Power in organizations belongs to those who can define reality to others, and who can convince others that things are what they think they are, are like they think they are, and are normal when they think they are normal.« (Czarniawska-Joerges/Joerges, 1990: S. 348; zitiert nach: Hanft, 1995: S. 26)
Im folgenden Abschnitt gehe ich, basierend auf Giddens’ Machtverständnis, differenzierter auf Machtdimensionen innerhalb der organisationsinternen Zusammenarbeit und ihre Konsequenzen für M&E ein.
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
5.5
Ressourcen: Bedeutung von Macht aus handlungs- und strukturierungstheoretischer Sicht
Lange Zeit dominierte der Rationalitätsgedanke in der Organisationstheorie, der von einer rationalen und effizienten Planungsrealität ausgeht. Nachdem die Praxis jedoch zeigt, dass diese Planbarkeit kaum Umsetzung findet, rücken neue struktur- und akteursorientierte Ansätze in den Vordergrund, die darauf abzielen, Erklärungsversuche für das Ausbleiben von exakter, rationaler Planbarkeit zu liefern. Bei Struktur- und Akteursanalysen fällt der Kategorie »Macht« eine entscheidende Rolle zu, die im Folgenden zunächst genauer betrachtet werden soll. Ausgangspunkt soziologischer Machtdiskussionen ist die Theorie Max Webers. Seine Definition lautet: »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.« (Weber, 1972: S. 28; zitiert nach: Ortmann et al., 1990: S. 13)
So definiert, lässt sich Macht, wie Lauterbach festhält, mal makro- und mal mikrotheoretischer interpretieren, da das »sich Durchsetzen« als Machtbeziehung zwischen Akteurinnen oder ausgeübt durch Strukturen verstanden werden kann. Handlungstheoretikerinnen konzentrieren sich primär auf die personale Ebene, die Handlungsebene, und fokussieren auf Machtverhältnisse zwischen Personen, die diese immer wieder neu aushandeln. Strukturtheoretikerinnen verstehen Macht hingegen als soziale Kategorie, die strukturell in gesellschaftlichen Institutionen verankert ist (Lauterbach, 2001). Entgegen dieser doppelseitigen Interpretation verstehe ich die Definition von Weber primär handlungstheoretisch. Denn Weber geht davon aus, dass Akteurinnen innerhalb sozialer Beziehungen die Möglichkeit haben, ihren Willen durchzusetzen. Ortmann et al. weisen zu Recht darauf hin, dass diese klassische Definition den strukturellen Bedingungen nicht gerecht wird. Anhand der »Theorie der strukturellen Gewalt« des Friedensforschers Johan Galtung führen sie die Strukturdimension mit ein (Galtung, 1975; Ortmann et al., 1990). Organisationstheoretisch geben Crozier und Friedberg im Rahmen ihrer strategischen Organisationsanalyse einen Machtbegriff vor, der beiden Seiten, die der Handlung und die der Struktur, gerecht werden soll. Letztlich betonen sie aber die Akteursperspektive und unterschätzen damit strukturelle Gegebenheiten.
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PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
»Jede ernstzunehmende Analyse kollektiven Handelns muss also Macht in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen, denn kollektives Handeln ist im Grunde nichts anderes als tägliche Politik. Macht ist ihr ›Rohstoff‹.« (Crozier/Friedberg, 1979: S. 76)
Wie Crozier und Friedberg fordert auch Giddens die Berücksichtigung von Handlung und Struktur nicht als sich ausschließende Alternativen, sondern als sich beeinflussende Dimensionen. Er spricht in Hinblick auf Macht von einer »dialectic of control«, die folgende Bedeutung besitzt: »Anyone, who participates in a social relationship, forming part of a social system produced and reproduced by its constituent actors over time, necessarily sustains some control over the character of that relationship or system. Power relations in social systems can be regarded as relations of autonomy and dependence; but no matter how imbalanced they may be in terms of power, actors in subordinate positions are never wholly dependant and are often very adept at converting whatever resources they possess into some degree of control over the conditions of reproduction of the system. In all social systems there is a dialectic of control, such that there are normally continually shifting balances of resources, altering the overall distribution of power.« (Giddens, 1982: S. 32, Hervorhebung im Original; zitiert nach: Ortmann et al., 1990: S. 15)
Macht funktioniert somit immer in zwei Richtungen. Giddens hebt in seinem Modell der sozialen Dimensionen auf der Modalitätenebene zwei Ressourcen als Handlungsbedingungen für die Strukturdimension »Herrschaft« hervor: Allokative (materielle) und autorative (soziale) Ressourcen ermöglichen das Ausüben von Macht über Interaktion. Handlungen können sich unter Zuhilfenahme der Ressourcen zu dauerhaften Handlungsbedingungen, zu so genannten Strukturen, verfestigen, die wiederum das Handeln beeinflussen. Auf Strukturebene wird Macht dann zu Herrschaft. Autorative Fazilitäten äußern sich zum Beispiel im Verwaltungsapparat, in Arbeitsorganisationen und in Planungsinstrumenten. Allokative Fazilitäten werden in Form von Geldmitteln, Budgets und Technik präsent (Ortmann, 1995). Inwieweit Giddens’ Strukturierungstheorie mit dem Modell der sozialen Dimensionen analytisches Potential besitzt, zeigt sich anhand einer Machtanalyse der in dieser Studie erhobenen Daten. Dabei arbeite ich die in den Untersuchungsgebieten dominanten allokativen und autorativen Ressourcen heraus. Den dadurch deutlich werdenden theoretischen Defiziten begegne ich anhand der mikropolitischen Erweiterung des Ressourcenverständnisses von Ortmann und seinen Mitarbeitern.
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
5.6
Al l o k a t i v e R e s s o u r c e n
In der Entwicklungszusammenarbeit stellen materielle Ressourcen die zentrale Größe dar, denn sie basieren auf finanziellem, personalem und technischem Ressourcentransfer zwischen Geber- und Partnerland bzw. Geber- und Partnerorganisation. An diesen Transfer sind präzise Konditionen gebunden. Die Weltbank (WB) zum Beispiel koppelte die Vergabe ihrer Kredite lange an Strukturanpassungsprogramme (SAP). Diese zielten darauf ab, anhand wirtschaftlicher Umstrukturierungen seitens armer Staaten Entwicklung im Sinne der Geberländer zu erreichen. »Poverty Reduction Strategy Papers« (PRSP) geben heute den Rahmen für entwicklungspolitische Arbeit vor. Sie wurden 1999 von der WB und dem Internationalen Währungsfond (IWF) mit dem Ziel entwickelt, die Politik auf Armutsbekämpfung auszurichten. Mit strategischer Unterstützung von Geberländern erstellen ärmere Länder nun solche Strategiepapiere, die sich unter anderem auch an den »Millennium Development Goals« (MDGs) orientieren müssen. Auch die deutsche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit folgt diesen Leitlinien, die eine sinnvolle Verwendung von Geldern ermöglichen sollen (BMZ, 2006a). Der Mittelfluss ist an bestimmte interne Rahmenbedingungen und eigene Anstrengungen des Partnerlandes (Leistung eines Eigenbeitrags) gebunden. Diese Verteilungsstruktur von allokativen Ressourcen hat unmittelbare Auswirkungen auf die Interaktion der Akteurinnen in den Untersuchungsgebieten. Die diesbezüglich von den afrikanischen Teilnehmerinnen gemachten Aussagen beziehen sich jedoch nicht nur auf die untersuchten Organisationen A und B, sondern auf die generelle Abhängigkeit von Gebern. Da die Aussagen in den drei Projekten überraschend deckungsgleich sind, stelle ich sie zusammengefasst vor. Anschließend gehe ich auf die Sichtweise deutscher Mitarbeiterinnen ein, die, wie schon in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, von den Aussagen ihrer afrikanischen Kolleginnen abweicht. Die Grundeinstellung der malawischen, tansanischen und sambischen Befragten sowohl auf lokaler Mitarbeiterinnen- als auch Partnerinnenebene ist ernüchtert. Die Klage über die finanzielle Gebundenheit an EZ-Organisationen steht im Vordergrund. Diese Abhängigkeit nimmt ihnen den Handlungsspielraum, eigene Erfahrungen und Kenntnisse in die Programm- und Projektarbeit einfließen zu lassen. Die Geberorganisationen dominieren stattdessen die Planung und Umsetzung von Kooperationen. Das gilt auch für M&E. Die Geberorganisationen stimmen sich untereinander ab, um eine inhaltliche Fokussierung auf Themenbereiche zu ermöglichen. Sie legen Arbeitsschwerpunkte fest, die angepasste und inhaltlich ausgewogene Maßnahmen in den Partnerländern garantieren sollen. Diese werden in der bilateralen Zusammenarbeit auf ministerieller Ebene im Rahmen von Regierungsverhandlungen mit Vertreterinnen der Partnerregierungen abgesprochen. Dem größten 138
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Teil der Befragten zufolge treffen in den Untersuchungsgebieten letztlich jedoch meist alleine die Geber Entscheidungen. Die jeweiligen Partnerregierungen ›winken‹ vieles aus pragmatischen Gründen durch. Eine deutsche Mitarbeiterin aus Malawi beschreibt das folgendermaßen: »Es gibt [das Projekt] bereits seit 1996. 2003 wurde entschieden: Demokratisierung ist unser Schwerpunkt und das fördern wir jetzt. Als man mit der Idee ankam, meinte das Ministerium: Ja, wir wollen eigentlich gar nicht. Irgendwie war das am Anfang wohl ein ziemlicher effort. Ich hab hier einmal Regierungsverhandlungen miterlebt, da war das so: Alle kommen an, reden viel rum, aber es wird nicht richtig diskutiert. Es gab damals ein Thema, da wurde dann ein bisschen darüber gestritten, diskutiert, aber sonst wird eben nicht viel diskutiert oder so. Wir Deutschen und BMZ hat halt schon das Strategiepaper vorbereitet und abgesegnet usw. Es war da gar nicht Thema, ob die Partner dahinter stehen und ob das Ministerium dahinter steht. Das war nicht Thema.« (M-F-D-B)
Nicht umsonst wurde diese Beziehung lange und teilweise sogar noch heute als Geber-Nehmer-Verhältnis beschrieben. Die darin beinhaltete sprachliche Zuweisung einer Rolle beeinflusst das eigene Handeln und steckt den Handlungsspielraum ab. Sie betont regelmäßig existente Abhängigkeitsverhältnisse und suggeriert damit indirekt über- und untergeordnete Strukturen. Die Dominanz westlicher Deutungsmuster von Ansätzen bis hin zu Projektinstrumenten wie M&E durchzieht alle Bereiche und ist nicht nur auf Makroebene, das heißt auf ministerieller Ebene, anzutreffen. Die Abhängigkeit von Geldern aus dem Norden ist auch für Nichtregierungsorganisationen (NROs) und Selbsthilfegruppen, die mit der Durchführung von Maßnahmen betraut sind, enorm. Kann ein Vorhaben nicht weiter gefördert werden, stehen Arbeitsplätze, wenn nicht sogar die Zukunft der NRO bzw. der Selbsthilfegruppe auf dem Spiel. Der finanzielle Druck ist so hoch, dass Durchführungsorganisationen die eigene organisationsinterne Agenda den Ansprüchen der Geldgeber anpassen. NROs und Selbsthilfegruppen werden dadurch zumindest in den Untersuchungseinheiten zu Dienstleisterinnen für Geberorganisationen. »Donors should learn from NGOs, have a close discussion and appearance. And the donor should share problems of the organisation. Donor should act according to the policy of the organisation. Some of the NGOs had to behave differently than according to their constitution because of the donor. I think there is a problem between organisation and NGOs. The donors should consider the background and constitution of the NGOs. The organisation depends only on donor funds. The organisation depends on them. They do pay for salaries and meetings. Same if they say they only have funds for democracy, but no money for something else. So you are forced to do democracy. Donor and Tanzanian organisation, we are two different people. We are 139
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having developing countries and developed countries. We have different problems. Donors should understand that. We are in developing countries with different experiences than you, that is the problem. We should share problems. What we share in Tanzania is not what you share as problems in your country. Even, if we present the problem to donors, sometimes they do not understand it. So they say: You have to make it clearer so that it is understood. It makes it hard for you. It is a big issue. Also my colleagues, they are not happy with it, but there is nothing we can do, you know, in my organisation we have a task to work and you do, according what you are asked to do. We have to agree. There is nothing we can do.« (T-F-A)
Lokale NROs und Selbsthilfegruppen stellen sich konsequenterweise auf die Vorstellungen des Norden und nicht des Südens ein. Das hat zur Folge, dass nicht immer die von den lokalen Angestellten identifizierten Probleme behandelt werden, sondern der Schwerpunktsetzung der Geberorganisationen entsprechend agiert wird. Das Verhältnis zwischen Geberorganisationen und lokalen Mittlern ist ambivalent und führt zu Spannungen. Einerseits wurde und wird durch die Entwicklungszusammenarbeit eine obere Mittelschicht in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas aufgebaut, die es lokalen Akademikern ermöglicht, für internationale und nationale EZ-Organisationen zu arbeiten und dadurch einen überdurchschnittlich hohen Lebensstandard im Vergleich zu den meisten ihrer Landsleute zu führen. Andererseits löst die thematische Bevormundung des Geldgebers Aggressionen und Frustration seitens der Mitarbeiterinnen und Partnerinnen aus. Fehlendes Interesse und mangelnde Identifikation mit der eigenen Arbeit beeinflussen die Qualität von Kooperationen negativ. »One organisation insisted on activities in rural areas while the donor wanted to work in urban areas, we can not understand, we differed. We have to consider that people suffer, it has to be more appropriate, but they told us: No, no, no, you should consider urban areas. In our case, we had a project on paralegals. They [die Geberorganisation] told us: No, urbanisation is alarming; you must work in urban areas. We justified our opinion, but still they were not interested and did not want to find a consensus. You have to consider our experience, too. We need need-assessments and should listen to them. That is why, well, I do my dissertation on sustainability, I visited a lot of organisations. Many have been changing their mission, because without funds they can not do anything, even though they want to run programs. The donors say: We have our own agenda, we do not have money for orphans, but we have money for paralegals. So the NGOs go back, change their mission and work in the field of women rights. But they are not good, because it did not come from them, but the donor imposed the project, yes. With our position in developing countries, with our backwardness of social and economical development, most of the northern people, they feel we need assistance in every way, even identifying our own problems. They try to do it for us. They decide for us about our problems, or what they think 140
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
our problems are. This is what often happens. They need to be evaluated, because sometimes, when you think you know everything, you need someone who evaluates you. Either we or others should do this, regarding their decision making on partnership, their policy, their way of identifying criteria, issues.« (T-F-A)
Allokative Ressourcen besitzen also einen unmittelbaren Einfluss auf die Regeln von Handlungsbedingungen. Westliche Deutungsmuster, zum Beispiel der Trend hin zur Wirkungsbeobachtung, und Normensysteme (siehe auch die Kap. 5.2 und 5.3) sind an Fazilitäten in Form von Geld gebunden, es spielt die entscheidende Rolle. Oswald Neuberger stellt fest, dass Geld als universelles Kommunikationsmedium fungiert, da es, ohne Sprache verwenden zu müssen, Austauschbeziehungen regelt. Geld wird demnach auch nicht ausgehandelt, denn sein Wert ist bereits festgesetzt und wird über Interaktion jeden Tag aufs Neue reproduziert (Neuberger, 1995). Alle Befragten beugen sich dem sozial konstruierten Medium. Die Aussicht auf Mittelfluss und finanzielle Förderung lässt die befragten Partnerinnen zum Teil entgegen ihrer eigenen Weltsicht und Normenvorstellungen handeln. Geld als Mittel der Existenzsicherung dominiert das Handeln. Die Feststellung, dass sich Macht über die Übertragung westlicher Deutungsmuster und Wertevorstellungen äußert und somit eine Vernetzung zwischen Ressourcen und Regeln zu beobachten ist, findet bei Giddens kaum Berücksichtigung. Obwohl er beide Bereiche nach eigener Aussage nur für analytische Zwecke trennt, geht er nicht so weit, die Art der Durchsetzung von Deutungsweisen und Normen als Mittel zur Machtausübung anzuerkennen. Nicht nur fast alle afrikanischen Befragten sprechen die gegebenen Machtverhältnisse in der Entwicklungszusammenarbeit an und empfinden sie als negativ – auch die deutschen Interviewteilnehmerinnen sind sich größtenteils dieser Problematik bewusst: »Malawis waren schärfer auf District Health und das BMZ meinte, dass sie Ministeriumsberatung machen sollen. Und da wurde das Ministerium auch gegen die Wand gedrückt und eben gesagt: Ihr macht das so oder ihr bekommt gar nichts. Und das wurde alles, da wurde der Vertrag, das Angebot geschrieben, das wurde von beiden Partnern unterschrieben. Die malawische Seite wollte das auch und dann wurde es umgeschrieben und das Ganze wurde dann hinter dem Rücken des Partners umgeschrieben, ohne Partnerbeteiligung auf Ministeriumsberatung – und dann wurde der Partner darüber informiert. Das ist Partizipation von BMZ und Organisation B. Der Partner hat die Kröte dann geschluckt, weil er das Programm generell wollte, er war aber sonst auf die Konzeption nicht unbedingt scharf drauf. Aber BMZ sagt: So läuft das.« (M-F-D-B)
Die Mehrheit der deutschen Mitarbeiterinnen verweist aber auf ihre Verantwortung für die bereitgestellten Mittel, die es sorgfältig zu verwalten gilt. 141
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Auch die deutschen EZ-Organisationen sind an den Fluss materieller Ressourcen gebunden. Je nach Organisationstyp stammen die Gelder von Spenden bzw. aus der Staatskasse und damit von den Bürgern der Geberländer. Diese erwarten eine korrekte Verwendung der Mittel, die deutschen Deutungsmustern und Wertesystemen entspricht. Die Rechenschaftspflicht und Legitimationsnöte erhöhen den Druck für EZ-Organisationen, ihre Wirkungsweise offenzulegen. Der gegenwärtige Boom von M&E verdeutlicht das nur allzu gut. Die angespannte Wirtschaftslage führt zudem zu Stellenabbau in der Entwicklungszusammenarbeit. Auch deutsche Mitarbeiterinnen fürchten um ihren Arbeitsplatz. Die Handlungsbindung an materielle Fazilitäten, die von der Herrschaftsstruktur ausgehen, setzen sowohl Geber- als auch Nehmerseite unter Druck und sind ein Grund für Missverständnisse und Spannungen: »Ich hatte schon NROs, da hab ich die fünf bis sechs Mal ihr Proposal umschreiben lassen. Das ist natürlich ein vehementer Eingriff in deren Strategie, das muss man halt auch sagen. Das heißt, man hat fast das Gefühl, ich würde diktieren, was die machen sollen. Wenn sie das nicht machen, dann finanziert man ihnen weniger. Das wird uns halt auch angekreidet, weil es halt echt schwierig ist und weil wir halt nicht gleich die Kohle rüberrücken, sondern immer pedantisch darauf achten, dass Proposals verbessert werden. Ich saß mal mit SIDA [schwedische Geberorganisation] an einem Tisch und die wollten ein Proposal annehmen und ich hatte 20 vehemente Einwände. Also wirklich – so, so krass und da ist die Organisation B halt unbeliebt. Man kann sagen, okay, es gibt kein Ownership. Ich denke, man sollte sich halt auch wirklich Gedanken darüber machen, was gemacht werden soll. Und das ist halt unsere Grundlage, dass wir auch technischen Input geben. Wie du dir halt so Sachen vorstellst und auf die Qualität der Arbeit guckst. Aber von den NROs wird halt nur geguckt, wie leicht man, wie schnell, von wem, wie viel Geld von den Donors kriegen kann für ein Projekt.« (M-F-D-B)
Die deutsche Seite empfindet ihre lokalen Partnerinnen oftmals als passiv und desinteressiert. Das gilt besonders für Kooperationen auf Ministeriumsebene in den Partnerländern. Viele Stellen in Ministerien werden regelmäßig neu besetzt und dienen nur als Sprungbrett für höhere Positionen. Die Fluktuation der Angestellten gewährleistet nicht die benötigte Konstanz. Unterbezahlung, Korruption und Klientelismus verhindern eine engagierte Zusammenarbeit seitens der staatlichen Führungsschicht. Das Interesse an entwicklungspolitischer Arbeit ist eng an die Verbesserung der ganz persönlichen familiären Situation gebunden. Die Bekämpfung von Armut im eigenen Lande erscheint mitunter zweitrangig. »Da kam noch nichts. Wenn da mal ein stärkerer Ausdruck kommen würde von Unmut, das würden wir ja alles mitmachen, aber da kommt gar nichts. Generell bin 142
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
ich selber auch sehr kritisch. Ich bin da auch nicht blauäugig und ich will es jetzt auch nicht nur auf die malawische Seite schieben. Aber ich glaube wirklich, dass wir mit gesundem Menschenverstand versuchen, etwas aufzubauen – und wirklich, wirklich etwas erreichen wollen. Ich denke jetzt, wir wollen wirklich etwas erreichen und mit den Leuten zusammenarbeiten. Und wenn da einer wirklich den Willen ausdrücken würde, zusammen was Gutes zu machen, wir wären alle mit dabei. Wenn mal authentisches Interesse käme – aber das ist leider einfach nicht da.« (MF-D-B)
Die Ergebnisse verdeutlichen die vielseitigen Abhängigkeiten aller beteiligten Akteurinnen. Die Notwendigkeit eines verantwortungsbewussten Umgangs mit diesen Abhängigkeitsverhältnissen zeigt das Fallbeispiel in Malawi. Die vorzeitige Beendigung des untersuchten Projekts B/2 schockierte die afrikanische Seite und führte zu einem Einbruch der gerade etablierten Projektstrukturen, zu denen auch ein erfolgreich angelaufenes M&E-System gehörte. Selten sind die lokalen Betroffenen in so einem Fall in der Lage, neue Gelder zu akquirieren und weiterzuarbeiten. Das Engagement der meisten in diesem Projekt aktiven Partnerinnen, besonders auf der Mikroebene, wurde nicht belohnt. Sie fühlten sich nicht respektiert, sondern vielmehr benutzt. Eine vorzeitige Projektbeendigung birgt die Gefahr, dass Geberorganisationen langfristig nicht ernst genommen werden und die Arbeitshaltung bzw. Motivation gegenüber anderen Projekten darunter leidet. »I must say, I speak for many Africans. I must say, we appreciate what Organisation B does for us, especially this program, it is outstanding. It goes right to the grassroots. If only we had followed our M&E plan, if only we were given three more years, it would have made a big difference because it empowers our women and tackles the issue Gender imbalance. I think it is the most important project that came into Malawi ever. It combines rights and HIV/AIDS. I am so sorry that it has not done what it should have done because of the decision making process and its budget constraints, and the way it has been cut off. In the light of the three areas, we have destroyed something that was going to grow and make a big impact for the Malawian society. Those are my closing remarks. I wished, Organisation B would reconsider rerunning this project. We have set the structure, it is up and running and suddenly we are cutting it off.« (M-F-B)
Das untersuchte Frauenrechtsprojekt ist kein Einzelfall. Trotz der Devise von Organisation B, nachhaltige, partnerschaftliche Strukturen aufbauen zu wollen, ist immer wieder das Gegenteil zu beobachten. Auch andere Projekte werden zwecks Strategiewechsel oder Mittelkürzung vorzeitig beendet bzw. nicht wie geplant verlängert.
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
»When projects are established, I see that when they end, people have no idea what is going on, communities do not know. I mean, one day, when Organisation B closed the HIV/AIDS Project, they should have handed it over in time and inform the community in time. It is not like a business where you make money and than you go. It is something that is ongoing. It is disappointing; it is very bad, especially for people in the village. They put an effort into it. Decisions are taken far, far away in big offices in Washington, but they then decide: Oh, there is no more use for it, so close it. So some fear of telling the people, they do not tell people in time and do not do a proper hand over. It is so unfortunate. If this continues, I do not think we will have any positive response from villagers. They are getting tired for having their hopes up and then getting shattered. It is not good. You should not say you do this and that and then tomorrow you are gone. People are also getting tired to being asked the same questions over and over again. They see no changes and think: Are they playing with us, or what? They come and ask us questions and they go and sleep in their hotels and they do not come back. So they are feeling a bit used.« (MF-B)
Geld als Ressourcenform ermöglicht es, ärmere Länder zur Umsetzung von Konditionen zu verpflichten. Aus westlicher Sicht ist diese Konditionierung wichtig, um zu verhindern, dass korrupte, menschenrechtsverachtende Regime Gelder für ihre Zwecke missbrauchen. Auch die Mehrheit der afrikanischen Interviewpartnerinnen begrüßt die Bindung an bestimmte politische, soziale und wirtschaftliche Voraussetzungen. Die Art und Weise jedoch, wie Macht in Interaktionen ausgespielt wird, verärgert sie. Sie fühlen sich nicht partnerschaftlich behandelt, sondern dominiert. Andererseits tragen sie gemäß Giddens’ Akteursdefinition mit ihrem eigenen Verhalten unmittelbar zum Erhalt der von ihnen kritisierten Strukturen bei. Eine vertiefende Analyse der Handlungsweisen betroffener Akteurinnen vor dem Hintergrund gegebener Abhängigkeitsverhältnisse erscheint mir notwendig, um weitere Einblicke in die vorgefundenen Interaktionsmuster zu erhalten. Mikropolitische Theorien erweisen sich hierbei als hilfreich, da sie strategische Handlungsweisen aufzeigen und in Bezug zu Strukturen setzen. Bevor ich ausführlicher darauf eingehe, widme ich mich im nun folgenden Abschnitt zunächst der zweiten Ressourcenform: den autorativen Fazilitäten.
5.7
Au t o r a t i v e R e s s o u r c e n
Autorative Ressourcen treten in Organisationen in verschiedenen Formen auf. Sie spiegeln sich neben dem Verwaltungsapparat oder der Arbeitsorganisation auch in Planungsinstrumenten wie M&E wider. Weilenmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass an Regeln gebundene Prozesse sowie deren
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PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Interpretation und Umsetzung aufgrund der Ressourcenverteilung Konfliktpotential besitzen: »Nun weisen diese Vorgaben in aller Regel aber einen hohen Abstraktionsgrad auf und bedürfen weiterer Klärung. Im Laufe solcher Klärungsprozesse kann es jedoch zu Interessenskonflikten zwischen der GTZ und anderen Durchführungsorganisationen wie etwa der in den Empfängerländern tätigen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen kommen.« (Weilenmann, 2004: S. 13)
Die Akzeptanz und Interpretation von Regeln ist an die Position und Interessen der Betroffenen gekoppelt: »An organisation can be viewed as a social construct that thinks, learns and acts through its members. It is made up of relations between actors at different levels both within and outside the organisation. The attitudes of staff differ according to their position.« (Cracknell, 2000: S. 181)
Im Folgenden stelle ich die verschiedenen Positionen in Bezug zu damit verbundenen autorativen Ressourcen. Das Kapitel über Deutungsmuster zeigt, dass Planungseinheiten in den deutschen Zentralen für die Konzeption von M&E bei Organisation A und B federführend sind. Dortige Mitarbeiterinnen fordern zudem in regelmäßigen Abständen M&E-Berichte ein und bearbeiten diese. M&E weist nicht nur den Akteurinnen ›Beurteilungsmacht‹ zu, die über konzeptionelle Verantwortung verfügen und/oder Berichte begutachten. Auch die im Projekt mit M&E betrauten Personen, wie zum Beispiel Gutachterinnen, sind durch ihre Funktion befähigt, die Arbeitsweise und Leistungen anderer zu beurteilen. Beide Positionen beinhalten somit Kontrollcharakter. Unabhängig von den Deutungsmustern und Strategien, welche die Grundlage von M&E bilden, überrascht es daher nicht, dass sowohl deutsche als auch afrikanische Interviewpartnerinnen M&E als Kontrollinstrument empfinden, das zum Teil sogar angstbesetzt ist. Finanzielle und menschliche Abhängigkeitsverhältnisse verstärken die Furcht vor schlechten Beurteilungen und daran gebundene Sanktionen. Organisationen versuchen, die genannten Hürden abzubauen, indem sie daran arbeiten, ein offenes Arbeitsklima zu gestalten, das fair mit Kritik umzugehen weiß. »Even during our workshop, people discussed about it and said that they were afraid to have evaluations because they were not familiar with the term. Even myself – I am now a bit more relaxed that the evaluator is coming, he is not the police that comes to sue me, but he/she wants to learn about the project, about its achievements and obstacles. But before we used to think that it is a police thing that will happen. And the external evaluator will come. The donors themselves, they are around and 145
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
so people fear that they are not performing well. Maybe donors because the project is donor dependent – if they end, we have nowhere to go. So we fear that things like this might happen. So people are shaking because of the end: The project ends, and we are not able to do our work. That is why they are tensed, but after this session, for myself I am a bit relaxed. They can come and we discuss, what is the problem.« (T-F-A)
Die deutsche Projektleitung agiert in den Untersuchungseinheiten als Vertreterin der Geberorganisation. Sie vermittelt lokalen Mitarbeiterinnen organisationsinterne Regeln und Abläufe und ist Bindeglied zwischen der deutschen Zentrale und den Projektpartnerinnen vor Ort. Durch ihre Zugangsmöglichkeiten zu Informationen der Zentrale verfügt sie über Organisationsfachwissen. Die Tatsache, dass die Verwaltungssprache zwischen der Zentrale und den Projekten Deutsch ist, schließt nicht Deutsch-Sprechende von internen Verwaltungsabläufen aus. Positions- und sprachgebundene Zugangsmöglichkeiten und die daran gekoppelten Netzwerke verstärken die Vormachtstellung von deutschen Mitarbeiterinnen in den afrikanischen Untersuchungsgebieten. Die Besetzung leitender Positionen mit Europäern führt zu Spannungen: »But there are foreign project managers – for heavens sake, we do not need them. But we know about foreigners, they have their own conditions. A good part of the money for development cooperation goes back. They bring a foreigner, technical advisor, who earns foreign salaries.« (T-F-A)
Die beschriebenen autorativen Barrieren von Organisationshierarchien und Verwaltungsabläufen versperren malawischen, tansanischen und sambischen Angestellten oftmals den Zugang zu benötigten Informationen (siehe Kap. 5.2, Abschnitt »Aufbau von und Zugang zu Deutungsmustern«). Die Aussage einer Mitarbeiterin steht hierbei exemplarisch für viele. Sie veranschaulicht, dass besonders zwischen den Ebenen der Zentrale bzw. Projektleitung und der lokalen Mitarbeiterinnen bzw. Partnerinnen Austauschdefizite festzustellen sind. So beurteilt sie den Informationsfluss über Projektinterna positiv, fühlt sich aber von der nächsthöheren Ebene, das heißt der Zentrale und ihrer inhaltlichen Schwerpunktsetzung, abgekoppelt: »Again, I would not say I know the reason. I can not say that they do not share information with the office. Perhaps, it has reached the team-leader, but I have not received any information myself. I am very much out of it. I have not received any reports.« (M-F-B)
Austauschdefizite und Hierarchien zwischen deutschen und lokalen Angestellten entstehen somit unter anderem aufgrund unterschiedlich verteilter autorativer Ressourcen. Das zeigt sich auch in der Aussage einer deutschen Mit146
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arbeiterin von Organisation B. Im Zweifelsfall orientiert sie sich an den Vorgaben ihres deutschen Chefs und nicht des malawischen Counterparts. Mit ihrer Präferenz unterstreicht sie die Verteilung der Machtachsen: »Für mich ist er mein Chef – aber mein malawischer Partner … irgendwie sind das zwei Strukturen, die Organisation B-Hierarchien und meine malawischen Vorgesetzten. Ich orientiere mich an den Strukturen von Organisation B. Beide Seiten sind von Respekt geprägt. Aber das ist einfach so, dann geht es hierarchisch auch Richtung Country Director, da sind die Strukturen klar. Alles läuft über sie und ihn. Der Führungsstil ist schon auf jeden Fall sehr hierarchisch. Richtung Zentrale kann ich dir nichts sagen, weil ich da keinen Kontakt habe. Das fehlt mir halt total. Organisation B ist halt total politisch, es geht nur darum, dass bestimmte Sachen durchgesetzt oder diskutiert werden – und dann zum Beispiel auch noch die Orientierung auf Wirkung.« (M-F-D-B)
Autorative Ressourcen äußern sich auch im alltäglichen Umgang mit geberabhängigen Verwaltungsformen und Regelwerken. Lokale Partnerinnen finden diese oft verwirrend: »I think it is about the way donors organise their fundings. It is too mechanical. If you call for proposal without this and that, they will not fund you.« (T-F-A)
Ein Grund für den Ausbau jeweils eigener, organisationsinterner Konzepte ist die wachsende Mittelknappheit. Sie erhöht den Druck auf EZ-Organisationen, sich hinsichtlich der verschiedenen Ansätze und Instrumentarien von anderen abzugrenzen. Über »Corporate Identity« gilt es, sich Ressourcenvorteile zu sichern. Eigene Verwaltungs- und Managementkonzepte sowie Instrumente werden entwickelt, die organisationsinternes Expertenwissen in Form von Stäben und Gutachterinnen nötig machen. Die Soziologin Gudrun Lachenmann spricht hierbei von Alltagswissen als »System des Nichtwissens«, das dem Expertenwissen als »System des Wissens« gegenübergestellt wird (Lachenmann, 1991). Das über Arbeitsteilung und Differenzierung entstandene Expertentum legitimiert sich über sein Spezialwissen. Wissen wird zur Ware, über die Expertinnen ihre besondere Rolle sichern – es kommt zu Abschottungstendenzen. Die Ausführungen in Kapitel 5.2, Abschnitt »Monitoring und Evaluation«, veranschaulichen, dass westliche Gutachterinnen nach wie vor eine zentrale Rolle für die Projektarbeit vieler EZ-Organisationen spielen. Ihr Expertenwissen wird regelmäßig bei M&E-Einsätzen benötigt. Lachenmann beklagt, dass das Machtgefälle zwischen den genannten Wissensformen kontraproduktive Wirkung hat. Es schließt Betroffene, hier lokale Partnerinnen, aus und macht sie zu passiven Akteurinnen. Unter den Ausgeschlossenen breitet sich mangelndes Selbstbewusstsein und ein Gefühl der Ohnmacht aus. Defen147
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sive Verweigerungsstrategien und die Abhängigkeit von Expertenwissen sind die Folge. Die Expertensysteme versuchen weiterhin alles, um ihre privilegierte Position aufrecht zu erhalten. »Das Dilemma des Scheiterns von Expertenwissen besteht also darin, dass Experten zur eigenen Legitimation ihre Klienten als unwissend definieren müssen, sich damit gegen deren Wissen abschirmen.« (Lachenmann, 1991: S. 13)
Autorativ begründete Machtachsen gelten jedoch nicht nur zwischen Geberund Partnerorganisationen, sondern auch organisationsintern. Sie beruhen nicht nur auf Organisationsstrukturen, sondern können von den Akteurinnen selber über Netzwerk- und Koalitionsbildung aufgebaut werden. »Denn die Kriterien der Machbarkeit beruhen auch auf Erfahrungswissen, das innerhalb der EZ-Organisationen vorab mündlich tradiert wird und auf das eine spezifische, nicht normierte, interne ›Entwicklungshilfekultur‹ verweist. Entsprechend wird die Entwicklung einer Projektidee meist einem mehr oder weniger breit abgestützten internen Meinungsbildungsprozess unterworfen. Dabei präsentiert sich das Innenleben von Entwicklungsbürokratien in einem ganz anderen Licht, als wenn an der Fiktion einer ›organisation as machine‹ festgehalten wird. Entscheidend wird vielmehr, wer sich mit wem verbündet (Bildung von durchsetzungsfähigen Koalitionen) und welche Gruppe über eine entsprechende Definitionsmacht verfügt, um eine bestimmte Sichtweise auch durchzusetzen. Beide Fragen sind eng mit der Expertenrolle in Entwicklungsbürokratien verklammert.« (Weilenmann, 2004: S. 20 f)
Zwei unterschiedliche Erfahrungen zeigen die persönlichen Auswirkungen von Netzwerkbildung für die Interviewteilnehmerinnen. Im ersten Beispiel lief die Zusammenarbeit zwischen dem Ansprechpartner in der Zentrale und dem betroffenen Auslandsmitarbeiter hervorragend. Besagte Konstellation verhalf sogar zu Mitgestaltungsmöglichkeiten auf BMZ-Ebene. Die autorative Position des Befragten nahm demnach über ›Networking‹ an Bedeutung deutlich zu: »In Organisation B habe ich einen Ansprechpartner, mit dem ich seit vielen Jahren zusammenarbeite. Das ist ja auch relativ selten – eine solche Kontinuität in der Personalfrage. Wir verstehen uns bestens, aus inhaltlichen oder strategischen Gründen. Er, durch seine Person, ist natürlich eine erhebliche Erweiterung zu Zugang zu Information. Und da verkaufen wir unsere Sachen doch auch zum Teil in einer sehr guten Form. Viele neue interessante Dinge haben wir zusammen angefangen und konnten die doch sehr erfolgreich weiterführen. Dadurch, dass wir in dieser Position sind, hat man auch bei offiziellen Kontakten, bei Gremien, beim BMZ oder in der Regionalabteilung, hat man eine erweiterte Autorität, um Entscheidungsräume dann
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PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
auch zu gestalten. Also das spielt eine wichtige Rolle, gerade das Networken spielt eine wichtige Rolle.« (M-M-D-B)
Auch das zweite Beispiel zeigt, dass Koalitionsbildung mit dem aufeinandertreffenden Persönlichkeiten, ihren Sympathien und steht und fällt. Funktioniert die Interaktion nicht, gestaltet Zusammenarbeit schwierig und bringt nicht die erhofften Ergebnisse:
Typus der Interessen sich eine positiven
»Je nachdem, um wen es sich handelt – das ist personenabhängig und spezifisch, bei einigen funktioniert es wunderbar, bei einigen miserabel. Also: Meiner Ansprechpartnerin, der muss ich mehrere Male auf die Füße treten, bevor sie sich meldet. Aber mit der anderen Initiative, da ging das hin und her, sehr gut, auch fachlich interessiert, fachliches Feedback. Auch gute Inputs, also auch interessiert, dass da was Gutes bei raus kommt.« (M-F-D-B)
Für die Stellung der Mitarbeiterinnen in einer Organisation und den weiteren beruflichen Weg sind Koalitionen nicht zu unterschätzen. Im zweiten Fall verließ die Befragte schließlich aufgrund der vorzeitigen Beendigung ihres Arbeitsvertrages die Organisation. Die Analyse von autorativen Fazilitäten verdeutlicht inner- und interorganisationale Machtachsen. Die Übergänge zwischen autorativen und allokativen Ressourcen sind dabei fließend. Die Projektleitung besitzt so einerseits aufgrund ihrer Position innerhalb der Organisationshierarchie Macht über die konzeptionelle und praktische Umsetzung des Projektes. An ihre Position ist andererseits auch ihre Zugehörigkeit zu einer Geberorganisation gebunden. Die damit verbundene finanzielle Machtposition spielt bei Interaktionen ebenso eine Rolle wie die hierarchische Verortung innerhalb der Organisation. »Geld« ist ein weiteres Beispiel für das gemeinsame Auftreten beider Ressourcen. Es fungiert als allokative und autorative Ressource. Geld verleiht sowohl aufgrund seines Werts als auch seines statusvermittelnden Elements Macht. Materielle Ressourcen ermöglichen das Annehmen von autorativen Strukturen in Form von Hierarchien und internen Vorgaben (Neuberger, 1995). Die von Giddens vorgenommenen Zuweisungen von allokativen Ressourcen zu wirtschaftlichen und autorativen zu politischen Institutionen birgt nicht nur eine analytische Trennung. Sie beinhaltet auch eine institutionelle Trennung der Dimensionen Politik und Wirtschaft, die so nicht zulässig ist. »Wirtschaftliche Ordnungen sind politische Ordnungen, weil es ihnen ja nicht um die Verteilung von Gütern in Raum und Zeit geht, sondern auch – die Arbeitsprozess-Debatte würde sagen: vor allem – um die Herrschaft über Menschen.« (Ebd.: S. 311; Hervorhebung im Original)
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Die Ergebnisse verdeutlichen zwei Ungenauigkeiten im Modell der sozialen Dimensionen. Die von Giddens genannten Ressourcen stehen nicht nebeneinander, sondern sind eng miteinander verwoben. Das Gleiche gilt für Herrschaftsdimensionen und Signifikation bzw. Legitimation auf der Ebene der Modalitäten und Interaktionen. Die Strukturierungstheorie bleibt darüber hinaus auch bei ihrer Analyse der verschiedenen Formen von Macht zu ungenau. Giddens weist zwar darauf hin, dass intentionales Handeln strategischen Gebrauch von strukturellen Bedingungen macht. Er äußert sich aber nicht darüber, wie dies genau aussieht. Im folgenden Abschnitt versuche ich, die genannten Schwächen unter Rückgriff auf mikropolitische Theoriemodelle zu überwinden.
5.8
Mikropolitische Erweiterung des Ressourcenansatzes
Alternative bzw. ergänzende Konzepte sind gefragt, die die beschriebenen theoretischen Ungenauigkeiten ausräumen. Fündig wird man, wie ich meine, bei mikropolitischen Theorien. Obwohl Giddens sich nicht direkt zu ihnen äußert, ermöglicht eine Kombination beider Ansätze neue Einsichten hinsichtlich der Verbindungen von intentionalem Handeln und externen Zwängen (Neuberger, 1995). Der Begriff »Mikropolitik« wurde von Günther Ortmann und Willi Küpper eingeführt und von Heinrich Bosetzky in Deutschland verbreitet. Bosetzky definiert Mikropolitik als »[d]ie Bemühungen, die systemeigenen materiellen und menschlichen Ressourcen zur Erreichung persönlicher Ziele, insbesondere des Aufstiegs im System selbst und in anderen Systemen, zu verwenden sowie zur Sicherung und Verbesserung der eigenen Existenzbedingungen« (Bosetzky, 1972: S. 382; zitiert nach Ortmann, 1988a: S. 18).
Diesen Fokus auf eine spezifische Motivationsstruktur von Akteurinnen ergänzen einige Mikropolitiker um strukturtheoretische Aspekte. Michel Crozier und Erhard Friedberg zielen mittels ihrer »strategischen Organisationsanalyse« darauf ab, Handlung und Struktur zu verbinden. Diese soll den Zusammenhang zwischen strukturell verteilten Kontrollaspekten und den Strategien der Akteurinnen, Kontrollräume zu beeinflussen, erklären. Ausgehend von Akteurinnen und ihren Perspektiven bzw. Verhaltensweisen in Organisationen zeigen Crozier und Friedberg die einzelnen Strategien anhand von Machtmitteln auf. Akteurinnen verfügen demnach über rationale Handlungs-
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strategien und Pläne. Ihr Handeln ist jedoch strukturell begrenzt und abhängig von Ressourcen. Mit Hilfe der Spielmetapher erklären Crozier und Friedberg, wie Akteurinnen ihre Interessen strategisch miteinander verknüpfen. Regeln bieten einerseits begrenzten Handlungsspielraum, da sie an die individuellen Auslegungen der Einzelnen gebunden sind. Andererseits schränken sie Handlungsweisen ein und müssen akzeptiert werden, wenn man an dem Spiel teilhaben will. »Das Spiel ist das Instrument, das die Menschen entwickelt haben, um ihre Zusammenarbeit zu regeln. Es ist das wesentliche Instrument organisierten Handelns. Es vereint Freiheit und Zwang.« (Crozier/Friedberg, 1979: S. 68; zitiert nach: Alt, 2005: S. 316)
Damit nehmen sie Abstand von einer übergeordneten Systemrationalität zugunsten einer subjektiven Rationalität von Akteurinnen. Übertragen auf M&E wird es dann erfolgreich umgesetzt, wenn die beteiligten Akteurinnen die ausgehandelten Durchsetzungsstrategien mittragen. Organisationen sind somit das Ergebnis von miteinander verzahnten Spielen, deren Regeln von den Akteurinnen zu berücksichtigen sind (Hanft, 1995). Macht ist die Kontrolle von Unsicherheitszonen (Alt, 2005). Vier Machtquellen dienen dazu, Unsicherheiten bei Organisationen auszuschalten: solche, die über spezifisches Sachwissen verfügen, darunter fallen Kenntnisse und Fähigkeiten, die von entscheidender Bedeutung sind; solche, die über Expertenwissen von außen an die Umwelt gebunden sind; solche, die aus der Kontrolle von Kommunikationskanälen wie dem Zugang zu Informationen bestehen, und solche, die organisatorische Regeln darstellen, die Handlungsmöglichkeiten vorgeben (Ortmann et al., 1990). Diese Machtquellen sind auch in der vorliegenden Studie zu finden und empirisch nutzbar: Spezifisches Sachwissen zum Beispiel von außenstehenden Gutachterinnen oder Mitarbeiterinnen der M&E-Stabstellen soll garantieren, dass angemessen gehandelt wird. Der Zugang zu Information ist ein wichtiger Aspekt für die Kontrolle der Handlungsspielräume von Mitarbeiterinnen. Organisatorische Regeln zielen darauf ab, eine einheitliche Vorgehensweise zu garantieren, die den Vorstellungen, Erwartungen und Normen der Organisation entspricht. Die genannten Machtquellen ermöglichen zwar einerseits einen systematischeren Ablauf, sind jedoch, wie sich anhand der Analyse bereits zeigte (siehe Kap. 5.2 und 5.3) und noch weiter zeigen wird, aufgrund struktureller Grenzen und akteursabhängiger Interessen wiederum mit neuen Unsicherheitsfaktoren verbunden. Crozier und Friedberg (1979) argumentieren letztlich doch akteursorientiert, denn sie stellen die Interaktionszusammenhänge von Menschen in den Mittelpunkt. Strukturaspekte finden weniger Berücksichtigung, da sie den 151
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beiden Mikropolitikern zufolge nicht von gemeinsamen Werten abhängen, sondern stattdessen auf einem Kräfteverhältnis basieren, welches Akteurinnen bestimmen. Die Mikropolitiker um Günther Ortmann und Willi Küpper entwickeln die Gedanken von Crozier und Friedberg weiter. Es gelingt ihnen meiner Meinung nach, die strukturtheoretische Lücke zu schließen, indem sie Strukturaspekte für mikropolitische Ansätze vitalisieren (Ortmann et al., 1990; Ortmann, 1995; Ortmann/Sydow/Windeler, 2000; Ortmann/Sydow, 2001; Funken, 2004). Dabei bauen sie auf der Strukturierungstheorie auf, gewichten Macht jedoch stärker, als Giddens dies tut. Macht ist, so Ortmann, Sydow und Windeler, die Beziehung zwischen den Akteurinnen, die geprägt wird von Ressourcen. Über diese werden Handlungsspielräume erweitert und Unsicherheiten begrenzt (Ortmann/Sydow/ Windeler, 2000). Dabei stehen aber nicht nur die klassischen Aspekte von mikropolitischen Analysen – Herrschaft, Macht und Interessen – im Vordergrund, sondern auch die Wechselwirkungen zwischen den Strukturdimensionen, die im Handeln deutlich werden. »Die Durchsetzung der Interessen ist beispielsweise darauf angewiesen, dass sich Akteure sensibel auf herrschende Regeln der Bedeutungszuweisung und Sinnkonstitution (über interpretative Schemata) und auf Regeln der Legitimation (über Normen) beziehen.« (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000: S. 344)
Macht geht demnach von einer Herrschaftsordnung aus, welche die Mittel der Machtausübung, das heißt Ressourcen, produziert. Mit Herrschaftsordnung sind Strukturen gemeint, die durch Machtausübung als mit Handeln verbundene Macht konstituiert bzw. reproduziert werden. Anstelle eines Nebeneinanders von Strukturdimensionen betonen Ortmann et al. den alles durchdringenden Charakter von Macht, indem sie alle drei Modalitäten (Normen, Deutungsmuster und Ressourcen) als sich gegenseitig beeinflussende Mittel der Machtausübung betrachten. Deutungsmuster etablieren sich demnach einerseits mit Macht, sind andererseits aber auch selber Machtmittel, das heißt: Sie besitzen Ressourcencharakter (Ortmann, 2001). Diese holistische Sicht auf Macht ermöglicht es, differenzierter auf strukturelle Machtdimensionen und daran gekoppelte akteursgesteuerte Handlungsstrategien einzugehen. Der Herrschaft auf Strukturebene wird Macht auf Akteursebene gegenübergestellt. »Es geht nicht an, wie Giddens es tut, Herrschaft und Macht auf die Kombination und Nutzung allokativer und autorativer Ressourcen einzuengen. Fragen der Legitimation von Herrschaft, der normengestützten Machtausübung, der Ideologiebildung usf. können aus der Machttheorie unmöglich ausgeblendet werden.« (Ortmann et al., 1990: S. 26) 152
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Herrschafts- Sets von Regeln ordnungen bestehen aus: Signifikation Legitime StrukturOrdnung dimensionen:
Arten von Regeln und Ressourcen:
Regeln der Konstitution von Sinn
Herrschaft Kombination von Ressourcen
Autoritätsstruktur, administrative Ordnung Regeln der autorative Sanktionie- Ressourcen rung sozialen Handelns
Modalitäten: Deutungsschemata
Normen
Dimensionen Kommunikation der Machtausübung:
Sanktion
Ökonomie, Technik
allokative Ressourcen
autorativökonomischadministrative technische Machtmittel Machtmittel
autoratives wirtschaftliches Handeln, Handeln, AdminisTechnisierung tration Macht, (Mikro-)Politik
Abbildung 9: Erweiterung des Modells der sozialen Dimensionen nach Ortmann et al. Eigene Darstellung nach: Ortmann et al., 1990: S. 25 Giddens und Ortmann sowie Crozier und Friedberg weisen der Akteurin die Fähigkeit zu zweckrationalem Handeln zu. Aufgrund dieser Reflektionsfähigkeit ist das Individuum in der Lage, sein Handeln bewusst zu steuern und taktierend zu agieren. Mikropolitik besitzt vor dem Hintergrund der Strukturierungstheorie eine Zwitterstellung (Neuberger, 1995: S. 327). Aufgrund ihres verdeckten Handelns reproduziert sie einerseits die gegebenen Strukturen, ohne die mikropolitisches Agieren gar nicht existieren würde, andererseits können über Mikropolitik Strukturen ausgehöhlt und gegebenenfalls sogar transformiert werden (ebd.). Verschiedene Formen strategischen Handelns spielen in mikropolitischen Ansätzen eine zentrale Rolle und wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder neu unterteilt. Neuberger geht davon aus, dass eine Vielzahl von mikropolitischen Strategien (»Bündelung von Verhaltensweisen, die von den politisch Handelnden ›typischerweise‹ [das heißt zeitlich, sozial und sachlich generalisiert] gezeigt werden«) (ebd.: S. 118) und Taktiken (differenzierte Handlungsform, die auf Machtressourcen beruht und zur Durchsetzung der 153
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
eigenen Interessen dient) existiert, auf die Akteurinnen offen oder auch verborgen zurückgreifen (Neuberger, 1995; Kieser/Hegele/Klimmer, 1998). Damit widerspricht er der Annahme, dass strategisches Handeln ausschließlich getarnt und illegitim ist. Im Rahmen mikropolitischer Forschung gibt es Bestrebungen, diese Strategien und Taktiken in Form von Typologisierungen einzufangen. Gareth Morgan hat dies zum Beispiel für feministische Strategien in Organisationen versucht. Seine Kategorisierungen unterteilen sich je nach Verhaltensweise in Typen wie »Tochter« (»eine ›Vaterfigur‹ finden, die bereit ist als Sponsor oder Mentor zu agieren«), »Emanze« (»mit harten Bandagen kämpfen und austeilen [können]«) oder »große Mutter« (»durch Fürsorge und Pflege Macht verfestigen«) (Morgan, 1986: S. 119; zitiert nach: Neuberger, 1995: S. 118 ff). Von solchen vermeintlich »weiblichen« Strategien ist meiner Meinung nach Abstand zu nehmen, da sie allzu pauschal und platt traditionelle Geschlechtervorstellungen reproduzieren. Der Umgang mit Typologisierungen ist generell problematisch. Sie stellen Handlungsweisen oft zu statisch und verallgemeinernd dar. Hilfreich erscheint mir jedoch Oswald Neubergers Aufteilung in sieben Hauptgruppen mikropolitischer Taktiken, die immer wieder auftreten: »1. Zwang; 2. Belohnen, Vorteile verschaffen; 3. Einschaltung höherer Autoritäten; 4. rationales Argumentieren; 5. Koalitionsbildung; 6. persönliche Anziehungskraft, Vorbildfunktion; 7. Idealisierung bzw. Ideologisierung (Appellieren an höhere Werte)« (Neuberger, 1995: S. 138 ff).
Diese Gruppierung vereinfacht die Analyse der Verhaltensweisen von Befragten in den von mir geführten Interviews. Es zeigt sich, dass einige Taktiken besonders häufig zu beobachten sind. Wie bereits in den Kapiteln über Signifikation und Legitimation gezeigt, kann man die Befragten in zwei Hauptgruppen unterteilen, die auf bestimmte Taktiken zurückgreifen: Deutsche Gesprächspartnerinnen agierten anders als ihre tansanischen, malawischen sowie sambischen Kolleginnen. Diese Unterschiede lassen sich jedoch nicht mit nationaler Herkunft oder kulturellen Besonderheiten begründen, sondern spiegeln vielmehr, wie sich zeigen wird, den Umgang mit unterschiedlichen Ressourcenlagen wider. Die ungleiche Ressourcenverteilung und damit verbundene Machtabhängigkeiten führen zu unterschiedlichen Handlungsstrategien. Die ressourcenstärkere Seite versucht, ihr Handeln sachlich zu rechtfertigen. Die ressourcenschwächere Seite akzeptiert die strukturellen Rahmenbedingungen oberflächlich, um die eigene Existenz zu sichern. 154
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Deutsche Mitarbeiterinnen argumentieren in ihren Interviews betont rational. Ihre Arbeit vor Ort legitimieren sie über konstruiertes Expertenwissen (Fachwissen, das den Standards der Geldgeber entspricht; Kenntnisse der Organisation etc.) und grenzen sich so von den lokalen Mitarbeiterinnen ab (Lachenmann, 1991). Sachlichkeit und Kompetenz sind wichtige Taktiken – auch für Aushandlungsprozesse mit der Zentrale. Auf die Frage, inwieweit Mitarbeiterinnen organisationsintern über Mitspracherecht verfügen, berief sich ein Interviewteilnehmer zum Beispiel auf sein Mathematikstudium, das ihn dazu befähige, fundierte Aussagen machen zu können: »Ich denke schon, dass ich Kritik üben kann aufgrund meines Werdeganges. Ich habe Mathematik studiert und bin vertraut mit Verfahren von Leistungsmessung jeder Art, qualitativ und quantitativ. So denke ich schon, dass fundierte Aussagen möglich sind.« (M-M-D-B)
Um seine Position zu sichern, bedient er sich einer westlich konstruierten Bedeutungszuweisung von Mathematik als logikgesteuerter Naturwissenschaft, die es ihm ermöglicht, als Experte über Leistungsmessung zu sprechen. Eine weitere Taktik von Vertreterinnen der untersuchten Geberorganisationen ist die des ›indirekten Zwangs‹. Im entwicklungspolitischen Kontext tritt Zwang oftmals über das Druckmittel auf, ›Gelder nicht zur Verfügung zu stellen‹. Für bestimmte Aktivitäten werden keine Mittel ›freigemacht‹, so lange die Rahmenbedingungen nicht den Erwartungen der Projektleitung entsprechen. Doch Handlungsstrategien müssen nicht immer offensichtlich sein. Sie können durchaus auch subtil verlaufen. Zwang äußert sich so nicht nur über offene Strafe bzw. Strafandrohung, sondern auch über das Zurschaustellen der eigenen Machtmittel (Neuberger, 1995). Die Darstellung der Ressourcenstärke erfolgt hier unter anderem über ein beeindruckendes Büro in bester Lage und einen teuren Dienstwagen. Das dabei allseits präsente Organisationslogo löst bestimmte Assoziationen aus. Die Präsentation über eine »symbolisch generalisierte Kommunikationssprache« hinterlässt positive wie negative, intendierte wie nicht intendierte Wirkungen (ebd.: S. 139). Die lokale Seite, besonders in Malawi, wo das Projekt zum Zeitpunkt des Interviews bereits vor seiner Beendigung stand, begegnet deutschen Kolleginnen und Vorgesetzten sehr kritisch. Alfred Kieser, Cornelia Hegele und Matthias Klimmer (1998) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine persönliche Verlustsituation den Widerstand vergrößern lässt. In den seltensten Fällen äußern lokale Akteurinnen ihren Unmut direkt gegenüber ihren ausländischen Kolleginnen. Es herrscht, wie Willi Küpper und Anke Felsch es nennen, »resignative Arbeitszufriedenheit« (Küpper/Felsch, 2000: S. 17). Diese entsteht, wenn es zu einer »Routinisierung des Verhaltens als Folge wahrgenommener Handlungsrestriktionen« kommt (ebd.: S. 17). Raymond 155
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Apthorpe spricht hier von »defensive ignorance« und sieht darin Verweigerungsstrategien (Apthorpe, 1986: S. 1; zitiert nach: Lachenmann, 1991: S. 13). Ich bevorzuge den bereits eingeführten Begriff der »defensiven Kommunikation« (Elwert, 1997: S. 271). Diesen verstehe ich als mikropolitische Kommunikationsstrategie, die dem Ausbau des eigenen Handlungsspielraums dient. Besagte Akteurinnen entscheiden sich bewusst dafür, die andere Seite in Unwissen zu halten, um dadurch die Durchsetzung ihrer Interessen zu sichern (Neuberger, 1995). Defensive Kommunikation ist somit keinesfalls Ausdruck des völligen Aufgebens, sondern vielmehr »Zeichen für die Beherrschung einer Handlungssituation und damit Voraussetzung für höhere Lernprozesse, zum Beispiel die Effektivierung der Ressourcennutzung oder die (selbstbewusste) Veränderung der Situation im eigenen Interesse. Innovatives Verhalten setzt eine Entlastung durch Routine voraus.« (Ebd.: S. 17)
Weber spricht Akteurinnen die Möglichkeit zu, auch ohne Widerstand Macht entfalten zu können. Auch Ortmann und Küpper verweisen darauf, dass Macht nicht nur in Form von Widerstand auftritt: Konsens ist ein wesentlicher Bestandteil bei der Machtausübung (Alt, 2005). Macht und Konsens sind demnach nicht als Gegenbegriffe, sondern im Sinne einer Giddens’schen »dialectic of control« zu verstehen. Konsens wird zur Machtausübung gebraucht, kann aber wiederum nur in einem von Macht geprägten Raum existieren. Mitarbeiterinnen müssen, um überhaupt agieren zu können, über gleiche Vorstellungen und Deutungen verfügen, auch wenn das mitunter nur oberflächlich zu erreichen ist (Ortmann, 1988a). Die befragten Akteurinnen setzen gelernte Hilflosigkeit, die oberflächlichen Konsens vermittelt, gezielt ein, um neue Handlungsmöglichkeiten erschließen zu können. Geeignete Strategien werden über informelles (»tacit knowledge«) bzw. implizites Wissen, wie Micheal Polanyi es nennt, an andere Verbündete weitergegeben (Polanyi, 1985). Informelle Wissensformen sind elementar für das Funktionieren von Organisationen (Lachenmann, 1991). Lokale Mitarbeiterinnen greifen neben der defensiven Kommunikation auch auf kulturelle Vermarktung bzw. den Hinweis auf die eigene Tradition zurück. »There is no saving scheme. I must say that as partners, Organisation B should understand our weak areas of the Africans. We do not know how to save money. But as partners, you are here in order to improve our situation. It is time that you not only teach us to look after ourselves, but to save for other days, I think that area is not been looked into.« (M-M-D-B)
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PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Hüsken weist darauf hin, dass Traditionen bzw. kulturelle Identitäten dabei nicht als statische Determinanten zu verstehen sind. »Die ›soziokulturelle Orientierung‹ der Planer und Durchführer wird von den Zielgruppen erkannt und entsprechend ausgenutzt, indem sie genau die kulturelle Identität propagieren und vermarkten, die einen Ressourcenzugang sicherstellt. Dieses Beispiel ist ein Lehrstück über den naiven Traditions-Romantizismus im entwicklungspolitischen Diskurs.« (Hüsken, 2006: S. 144)
Das führt dazu, dass Traditionen nicht nur bewusst instrumentalisiert, sondern auch neu geschaffen werden. Hüsken veranschaulicht das an dem Beispiel einer strategisch handelnden Gruppe in Madagaskar, welche Geberorganisationen über eine von ihnen »›erfundene Tradition‹« manipulierte (ebd.). Auch in meinen Interviews versuchten mich besonders lokale Mitarbeiterinnen über strategisches Handeln zu beeinflussen und für sich zu gewinnen. Sie griffen dabei primär auf Emotionalisierungstaktiken und Idealisierungen zurück, appellierten etwa an höhere Prinzipien und Werte. Die Kritik an Gebern wird zum moralischen Druckmittel, das beim Ausbau von Handlungsstrategien dienlich ist: »To brand everyone that we only look for Allowances in a bad manner is wrong. They are looking for an Allowance not to benefit themselves but to survive. Let me repeat this: Not to enrich themselves, but to survive literally. I think the aim of cooperation is to try and help people survive. Constanze, you slept at Annas house, it is very basic. You look at her, she is a widow, has children and a family looking towards her. Is it wrong for her to look for an Allowance to be better off? You have been in the villages. Just the idea that you would come, it was like a celebration to come together and to celebrate together. Not to enrich themselves but just to come together and be happy once in a while. There is so much poverty, suffering, I meant to use the word misery in our communities. There is so much of that.« (M-F-B)
Mikropolitisches Handeln ist ein wesentlicher Bestandteil der Interaktion in den untersuchten Projekten und beeinflusst die Kommunikationsweise zwischen den verschiedenen Akteurinnen. Bierschenk vergleicht Projekte der Entwicklungszusammenarbeit treffend mit einem komplexen Schachspiel, in dem Zug um Zug taktiert wird (Bierschenk, 1992). Die von deutschen Interviewpartnerinnen beklagte Passivität ihrer afrikanischen Kolleginnen ist somit weder Dummheit und Trägheit noch Ausdruck von Irrationalität. Sie ist vielmehr ein »[i]n der Regel durchaus rationales Agieren von Spielern eines etablierten Routinespiels, die sich in dessen Strukturen – Spielregeln und Ressourcenverteilung – gut eingerichtet und bewährt haben« (Ortmann/Sydow/Türk, 2000: S. 335). 157
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Es gilt also, die hinter dem Handeln stehenden Strukturen zu hinterfragen. Die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gespielten Spiele beinhalten Zwang als treibenden Motor. »Man muß normalerweise ›mitspielen‹, ob man will oder nicht. Dieses ›Muß‹, wie gesagt, ist nicht absolut. Aber es gibt einen Zwang, ›der umso größer ist, als die Spieler von diesem Spiel abhängig sind und es sich daher weniger leisten können zu verlieren‹ (Crozier/Friedberg, 1979: 326) oder das Spielfeld zu verlassen.« (Ortmann, 1988a: S. 22)
Ortmann benennt besonders einen Zwang: die Einkommenssicherung. Diese Form der Sicherung für sich und die eigene Familie besitzt besonders in den afrikanischen Untersuchungsgebieten eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung und steht auch in dieser Studie im Mittelpunkt. Akteurinnen passen ihr Verhalten der dominanten, sich über Ressourcen äußernden Herrschaftsstruktur an. Das individuelle Streben nach persönlicher Existenzsicherung führt zu politisch geprägtem Handeln in Strukturen. Dabei zielt es nicht nur darauf ab, Strukturen zu verändern, sondern unterliegt ihnen auch. Die Bedeutung von Strukturen in mikropolitischen Ansätzen hebt Neuberger hervor: »Dabei zeigt sich oft eine Tendenz, die Möglichkeiten zu überschätzen, andere Personen oder die Strukturen, in die man eingebunden ist, zu verändern. Strategisches Handeln ist Intervention in ein komplexes System (sei es eine Person, eine Institution oder Organisation) und der Erfolgswahrscheinlichkeit der Intervention in nichttriviale Systeme sind enge Grenzen gesetzt.« (Neuberger, 1995: S. 108)
Die Studie zeigt, dass Planungsinstrumente wie M&E historisch gebildete und wirtschaftspolitisch begründete Abhängigkeitsverhältnisse zwischen – nomen est omen – so genannten Industrie- und Entwicklungsländern widerspiegeln. Will man verstehen, warum M&E nunmehr als Planungsinstrument in den Vordergrund tritt, aber nicht immer wie gefordert umgesetzt wird, muss man die jeweiligen zeitlichen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Strukturen berücksichtigen, die wiederum bestimmte Handlungsstrategien und -taktiken zur Folge haben und von diesen beeinflusst werden. »Soziales/politisches Handeln ist organisiert, das heißt es unterliegt Formbestimmungen, die von zwei GegnerInnen in einer Machtbeziehung nicht ausgehandelt, sondern vorausgesetzt werden. Nur auf der Grundlage solcher Festlegungen kann es Handlungsspielräume geben.« (Ebd.: S. 124)
Die mikropolitische Erweiterung der Strukturierungstheorie von Giddens mit seinem Modell der sozialen Dimensionen von Ortmann et al. ermöglicht eine 158
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
machtanalytisch umfassendere Definition der horizontalen Rekursivität von Regeln und Ressourcen. Dadurch können Austauschprozesse besonders auf Modalitätenebene genauer analysiert werden, als dies bei Giddens der Fall ist. Die einschränkende Rolle von Strukturen muss bei mikropolitischen Theorien jedoch berücksichtigt werden. Das wird auch anhand akteursorientierter Lösungswege deutlich, die darauf abzielen, über partizipative Prozesse wie Offenheit und direkten Austausch Strukturen zu verändern. Partizipation als Lösungsweg stößt an ihre Grenzen, wenn sie nur auf Akteursebene umgesetzt werden soll und strukturelle Modifikationen ausgeblendet bleiben. Partizipation wird oft als ›Gegenmittel‹ zur Mikropolitik verstanden. Die Teilnahme an Entscheidungsprozessen und ein gleichwertiges Mitspracherecht vergrößern die Akzeptanz der Betroffenen und reduzieren damit die Möglichkeit eines späteren Widerstands (Kieser/Hegele/Klimmer, 1998). Der Grundgedanke der Partizipation geht davon aus, dass für den Aufbau sozialer Beziehungen reflexive Rückkoppelungen notwendig sind. »Um sich selbst zu verstehen, muss man von anderen verstanden werden. Um vom anderen verstanden zu werden, muss man den anderen verstehen.« (Watzlawick, Beavin, Jackson, 1969: S. 37; zitiert nach: Küpper/Felsch, 2000: S. 19) Die Klärung und intensive Aushandlung sozialer Beziehungen ist daher in einem organisationellen Umfeld äußerst wichtig. Obwohl die Einbeziehung des »Faktors Mensch« mittlerweile auch in den Organisationstheorien anerkannt ist, hat sich die Erkenntnis in der Praxis noch nicht durchgesetzt. Organisationsentwickler fordern seit langem ein partnerschaftliches Arbeiten. Inzwischen weiß man aber, dass sich die Einbeziehung von Partizipation nicht so leicht umsetzen lässt, wie dies Lewin in seinem Drei-PhasenSchema darstellt (Lewin, 1946; vgl. Kap. 3.2, Abschnitt »Von makrotheoretischen Rationalitätsvorstellungen zu mikrotheoretischen Machtansätzen«). Tradierte Einstellungen und Werte können nicht so schnell in Frage gestellt und zugunsten neuer Verhaltensweisen aufgegeben werden. Um Pseudopartizipation zu verhindern, schlägt Pieper ein Modell der diskursiven Organisationsentwicklung vor (Pieper, 1988: S. 327 f). Dieses sieht vor, dass 1. Partizipationsmöglichkeiten formal zu sichern sind; 2. Partizipationskompetenz zu vermitteln ist; 3. eine gemeinsame normative Basis aufzubauen ist, die das Bewerten und gegebenenfalls Modifizieren von partizipativer Handlung ermöglicht. Über Organisationsentwicklung kann organisatorisches ›Umdenken‹ unterstützt werden. Sie erfolgt heute in Form von Trainingseinheiten, in denen organisationsinterne Prozesse und Regeln reflektiert und gegebenenfalls modifiziert werden. Es handelt sich dabei jedoch mitnichten um eine Wunderwaffe, denn Organisationsentwicklung findet nur innerhalb festgelegter organisa159
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
tionaler Grenzen statt (Kieser, 2002d). Existierende Strukturen werden dabei in den seltensten Fällen geändert. Auch die untersuchten Projekte bestätigen diesen Trend. Die lokalen Mitarbeiterinnen und Partnerinnen gestalten den Projektalltag auch mit Blick auf M&E nur begrenzt aktiv mit. Die finanziellen und strategischen Entscheidungen werden größtenteils von der Projektleitung getroffen. In den Untersuchungsgebieten geben Projektleiterinnen einerseits vor, wie ein M&E-System aussehen soll, betonen aber andererseits, wie wichtig Partizipation für sie ist. Um diese Gegensätzlichkeit zwischen Einstellung und Handlung erklären zu können, greife ich auf Kieser, Hegele und Klimmer zurück. Sie verweisen auf Studien, die zeigen, dass aufgrund der Begeisterung der »Mensch-im-Mittelpunkt-Rhetorik« Managerinnen zwar positiv gegenüber partizipativen Ansätzen eingestellt sind, diese jedoch selber kaum umsetzen (Kieser/Hegele/Klimmer, 1998: S. 225). Die Partizipation scheitert demzufolge weniger an dem Wollen der Projektleiterinnen, sondern vielmehr an den gegebenen Strukturen. In der Entwicklungszusammenarbeit verhindern diese durch ungleiche Ressourcenverhältnisse und administrativ geplante Vorgehensweisen einen partizipativen, offenen Prozesscharakter. Das gängige Projektmanagement inklusive seiner Hierarchien grenzt Partizipationsmöglichkeiten ein. Technokratisch durchläuft es geplante Projektphasen und ist auf die Erreichung von festgelegten Zielen bzw. Wirkungen ausgerichtet. Die Bindung der Mittel an deutsche Steuergelder lassen den Druck auf Geberorganisationen wachsen, Kontrolle auszuüben und steuernd einzugreifen. Solange nur in der Theorie partizipatives Handeln großgeschrieben wird, dieses aber in der Praxis aufgrund ungeeigneter Strukturen ausbleibt, sind der partnerschaftlichen Planung, Umsetzung und Auswertung eines Managementinstruments wie M&E Grenzen gesetzt. Die aktuellen M&E-Regelwerke und Modifikationsbestrebungen der Untersuchungseinheiten machen deutlich, dass es sich nur um »single-looplearning« und nicht um das strukturverändernde »double-loop-learning« handelt (Argyris/Schön, 1978). Die Inhalte sind nicht wirklich neu, sondern vielmehr ›alter Wein in neuen Schläuchen‹, das heißt Ergänzungen des bisherigen Vorgehens. »When the error detected and corrected permits the organization to carry on its present policies or achieve its present objectives, then that error-and-correction process is single-loop learning. Single-loop-learning is like a thermostat that learns when it is too hot or too cold and turns the heat on or off. The thermostat can perform this task because it can receive information (the temperature of the room) and take corrective action. Double-loop-learning occurs when error is detected and corrected in ways that involve the modification of an organization’s underlying norms, policies and objectives.« (Ebd.: S. 2 f) 160
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
»Double-loop-learning« ist somit notwendig, um den organisationsinternen Vorgaben auch in der Praxis zu entsprechen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass das benötigte Wandlungs- und Innovationspotential gefährdet ist, wenn aufgrund von Verschlankungsprozessen bzw. Mitteleinsparungen eine dünne Personaldecke über Doppelarbeit neue Lernprozesse umsetzen soll (Kieser, 2002c).
5.9
Zusammenfassung: Macht und Machtressourcen
Die Ergebnisse zeigen, dass Projektarbeit im Allgemeinen und M&E im Spezifischen von allokativen und autorativen Ressourcen geprägt sind. Während sich erstere unter anderem in der Durchsetzung von Deutungsmustern, von theoretischen Ansätzen bis hin zu praxisbezogenen Projektinstrumenten widerspiegeln, werden letztere zum Beispiel anhand der Position innerhalb einer Organisation und den damit verbundenen Netzwerken bzw. Zugangsmöglichkeiten deutlich. Oft lassen sich jedoch beide Ressourcenformen nicht trennen, wie das Beispiel »Geld« veranschaulicht. Die Analyse autorativer und allokativer Ressourcenformen weist auf analytische Schwächen der Strukturierungstheorie hin. Giddens’ Trennung in Regeln und Ressourcen übersieht Austauschprozesse sowohl zwischen den Ressourcenformen als auch innerhalb der genannten Dimensionen. Diese Trennung basiert unter anderem auf einem zu eng gefassten Machtbegriff, der die Rolle von Regeln nicht in Bezug zu Herrschaftsstrukturen setzt. Ortmann und seine Mitarbeiter begegnen dem Problem, indem sie Strukturierungstheorie und Mikropolitik verbinden. Diese mikropolitische Ergänzung von Giddens bettet Regeln, das heißt Signifikation und Legitimation, in Herrschaftsstrukturen ein. Anhand von akteursorientierten Analysen wird der Umgang mit den gegebenen Strukturen beleuchtet. Mikropolitische Theorien verweisen hierbei auf Handlungsweisen, Strategien und Taktiken von Akteurinnen, die in alltäglichen sozialen Beziehungen versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Ihr Handeln ist dabei einerseits durch Struktur- und Systemzwänge eingeschränkt, konstituiert und reproduziert diese andererseits jedoch. Das mikropolitische Handeln von Mitarbeiterinnen in einer Organisation zeigt, dass gewünschte organisationsinterne Rationalitätsbestrebungen an den eigenen subjektiven Rationalitäten scheitern, die Akteurinnen gemäß der Organisationsanalyse von Crozier und Friedberg im Rahmen von Spielen verfolgen. Organisationen müssen daher verstanden werden als »Arenen heftiger Kämpfe, heimlicher Mauscheleien und gefährlicher Spiele« (Küpper/Ortmann, 1988: S. 7). Sie sind geprägt von mikropolitischen Prozessen. Die gegenseitigen, von individuellen Beziehungen abhängigen Interaktionen sind kontin161
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
gent. Sie könnten so, aber auch anders ausfallen Diese Kontingenz zeigt die Grenzen von Planbarkeit auf und gibt Erklärungen, die das Scheitern von Vorgaben wie M&E, Zielgerichtetheit und Effizienz verständlich machen. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen mikropolitische Handlungsweisen von Akteurinnen. Die Akteursebene alleine greift als Erklärungsmuster jedoch zu kurz. Machtabhängigkeiten korrelieren unmittelbar mit strukturellen Rahmenbedingungen und damit verbundenen Zwängen. Herrschaftsstrukturen drücken sich in unterschiedlicher Form über Deutungsmuster, Normensysteme und Ressourcenverwaltung aus und spiegeln sich in all diesen Facetten auch hinsichtlich M&E wider. Sie beeinflussen die Handlungsspielräume der Akteurinnen, die unter den gegebenen Rahmenbedingungen danach streben, ihre eigene Rolle zu sichern bzw. auszubauen. Macht beruht hier auf Konsens. Die Geberstrukturen des Nordens mit der damit verbundenen Dominanz von Deutungsmustern, Signifikationen und Ressourcen werden oberflächlich mitgespielt, um den eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Obwohl Bedenken und Kritik groß sind, steht die Sicherung bzw. Verbesserung des eigenen und familiären Lebensstandards im Vordergrund. Alle Befragten wissen ihr Handeln zu rechtfertigen. In den Interviews lassen sich mit Blick auf mikropolitische Taktiken zwei Gruppen von Befragten herausarbeiten: Deutsche Befragte verwenden andere Taktiken als ihre afrikanischen Kolleginnen. Das liegt aber nicht an ihrer nationalen Herkunft, sondern spiegelt den strategischen Umgang mit auf Ressourcen basierenden Abhängigkeitsverhältnissen wider. Willi Küpper und Anke Felsch stellen fest, dass sich soziale Gruppen entsprechend ihrer strategischen Interessen zusammenschließen. Sie verfügen dadurch über ein gruppendominierendes »Wir«-Gefühl (Küpper/Felsch, 2000: S. 20). Evers und Schiel sprechen hier von »strategischen Gruppen«: »Strategische Gruppen bestehen aus Personen, die durch ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung oder Erweiterung ihrer gemeinsamen Aneignungschancen verbunden sind. Diese Appropriationschancen beziehen sich nicht ausschließlich auf materielle Güter, sondern können auch Macht, Prestige, Wissen oder religiöse Ziele beinhalten. Das gemeinsame Interesse ermöglicht strategisches Handeln, das heißt langfristig ein ›Programm‹ zur Erhaltung oder Verbesserung der Appropriationschancen zu verfolgen.« (Evers/Schiel, 1988: S. 10; zitiert nach: Hüsken, 2006: S. 255)
Akteurinnen taktieren bewusst und sind in der Lage, abhängig von der Ressourcenverteilung strategisch Entscheidungen zu treffen. Sie versuchen, ihre Interessen in Aushandlungsprozessen mit anderen anhand sozialer Allianzen durchzusetzen. Die zentrale Rolle dieser Allianzen und Netzwerkbildungen verdeutlichen Beobachtungen während meiner Datenerhebung. In einem der 162
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
Untersuchungsgebiete trafen sich deutsche Mitarbeiterinnen regelmäßig zum »Business-Lunch«, um sich informell über Organisationsinterna zu informieren. Erklärtes Ziel dieser Treffen ist es, so eine Teilnehmerin, der männlichen Netzwerkbildung mit weiblichen Allianzen zu trotzen. Projekte der Entwicklungszusammenarbeit sind somit, wie Bierschenk treffend sagt, geprägt von einem »Kampf um Perspektiven, Interpretationen und Zukunftsentwürfe, um materielle Ressourcen und politische Macht« (Bierschenk, 1992: S. 130; zitiert nach: Hüsken, 2006: S. 256). Diese Aushandlungsprozesse verlaufen sowohl informell (Essenstreff von Projektleiterinnen) als auch formell (Regierungsverhandlungen) ab. Hüsken zufolge handelt es sich dabei jedoch nicht um eine monozentrische Machtverteilung, die von den Geberländern auf die Partnerländer ausgeübt wird. »Die Machtverhältnisse sind polyzentrisch und vielgestaltig. Sie variieren nach Situation, Kontext und Akteur. Phänomene von Macht und Ohnmacht, der Herrschaft oder Unterwerfung finden sich sowohl in den Binnenverhältnissen der jeweiligen Akteure als auch in den Beziehungen zwischen ihnen. Die polyzentrische Macht lässt sich nicht eindeutig lokalisieren, das heißt einer bestimmten Akteursgruppe oder bestimmten Funktionsträgern zuordnen.« (Hüsken, 2006: S. 265 f)
Ich gebe Hüsken Recht, dass einseitige Machtzuordnungen und Schwarzweißmalereien nicht angebracht sind. Die mikropolitischen Handlungsstrategien zeigen auch, dass es im Rahmen entwicklungspolitischer Arenen auf unterschiedlichen Ebenen (Inland – Ausland; externe Expertinnen – lokale Angestellte) zur Bildung verschiedener strategischer Gruppen kommt, die über Allianzen versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Die einzelnen Ebenen bestehen keinesfalls aus homogenen Gruppen, sondern sind genauso geprägt von unterschiedlichen Zielen, Interessen und Sympathien. »Das Ganze ist personenabhängig, das eigene soziale Netzwerk spielt hier rein, das kommt ganz auf die Person und deren Interesse an. Der alte Chef, mit dem bin ich sehr gut ausgekommen. Die Neue, da ist das anders.« (Z-F-D-B)
Vor dem Hintergrund dieser Studie widerspreche ich Hüsken jedoch, was seine Aussagen zu monozentrischen Machtverteilungen betrifft. Die vorliegenden Ergebnisse weisen eindeutig darauf hin, dass letztlich materielle und menschliche Ressourcen eine zentrale Rolle in den Aushandlungsprozessen der Akteurinnen spielen. Die Verteilung von Ressourcen ist an bestimmte Funktionsträger auf verschiedenen Ebenen gekoppelt. Die Frage nach der finalen Durchsetzungsfähigkeit der an diesen Aushandlungsprozessen Beteiligten gibt Auskunft über existente Herrschafts- und Machtdimensionen (Weilenmann, 2004). 163
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
»I have seen us implementing projects, which I knew we are going to fail, but we agreed because we wanted the money coming in, we kept quiet. Organisation B once supported a programme, we did not like the approach and it caused harmed, we did not like it, we did not want it, it was absolutely wrong. It would bring the standards down. But at the end of the day, we went and implemented it. We said: They send us the money, if we do not agree, they would not support us.« (M-F-B)
Projektleiterinnen oder für Maßnahmen zuständige Sachbearbeiterinnen befinden sich gegenüber lokalen Antragstellerinnen in einer ressourcenstärkeren Position. Die Mittelverteilung beeinflusst die Durchsetzung von Deutungsweisen, Wertevorstellungen, administrativen Abläufen, Projektstrukturen und -hierarchien. Es kommt zur Bildung von zwei Parallelstrukturen, die innerhalb ihrer Grenzen jedoch heterogen geprägt sind. Unterschiedliche ökonomische, religiöse und kulturelle Hintergründe prägen sowohl die afrikanischen als auch die deutschen Akteurinnen. Diese Machtverteilung ist keineswegs als Täter-Opfer-Beziehung zu verstehen. Dem steht, so Giddens (1997), das diskursive Wissen als Handlungsmächtigkeit gegenüber. »Durch ihr Handeln erzeugen die Akteure ihre Determinanten selbst, sie können sich nicht länger auf die Position beschränken, sie seien Opfer der übermächtigen Verhältnisse.« (Neuberger, 1995: S. 329) Mikropolitische Strategien werden von Akteurinnen bewusst verwendet, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. In den Interviews dieser Studie erfolgte dies unter anderem über Emotionalisierungen, rationales Argumentieren oder defensive Kommunikation. Die bestehenden Machtverhältnisse werden zwar hinter vorgehaltener Hand angesprochen, erfahren jedoch selten eine öffentlich-kritische Diskussion. Die Machtverteilung wird damit bewusst reproduziert. Mikropolitische Theorien weisen auf die komplexen Austauschverhältnisse zwischen Macht und Konsens hin, die sich gegenseitig erzeugen (Ortmann, 1988a, 1988b). Küpper und Felsch betonen, dass »gelernte Hilflosigkeit« ein Verhaltensrepertoire verdeutlicht und ein Zeichen »für die Beherrschung einer Handlungssituation« ist – »und damit Voraussetzung für ›höhere‹ Lernprozesse, zum Beispiel die Effektivierung der Ressourcennutzung oder die (selbstbewusste) Veränderung der Situation im eigenen Interesse« (Küpper/Felsch, 2000: S. 17). Das Gleiche gilt für die »defensive Kommunikation«. Beide Strategien sind auch im Zusammenhang mit der Umsetzung von M&E gang und gäbe. Mikropolitisches Handeln erfolgt, was Management- und Planungsinstrumente betrifft, auch über eine oberflächliche »Politik der Zustimmung«. Die Erweiterung der Strukturierungstheorie nach Ortmann et al. verdeutlicht das komplexe, dialektische Zusammenspiel zwischen Akteurinnen und Struktur. Es zeigt, dass sowohl Handeln, zum Beispiel in Form von Mikropolitik, als auch strukturelle Rahmenbedingungen, die aus Herrschaftsord164
PRÄSENTATION UND AUSWERTUNG DER DATEN
nungen bestehen, bei der Analyse von M&E und geeigneter Umsetzungsstrategien zu berücksichtigen sind. Trotzdem treffen letztlich die Ressourcenstärkeren endgültige Entscheidungen. Damit sind sie in der Lage, den Handlungsspielraum anderer zum Beispiel über Managementinstrumente zu dominieren, solange diese es aus strukturbedingten, strategischen Gründen zulassen. Ich schließe meine Ausführungen über Herrschaft, Macht und Ressourcen mit dem Zitat einer sambischen Mitarbeiterin, welches die sich gegenseitig beeinflussende Verhaltensweise von Akteurinnen sowie ihre dialektische Bindung an Herrschaftsstrukturen verdeutlicht: »Different organisations at different levels work together – the final decisions, however, makes Organisation B. The donors have power. Unfortunately often they focus on activities and less on the capacity of the organisations. They should integrate the organisations a bit more. NGOs are dependent on donors, which finally decide. Donors involve NGOs only to a small extent and arrive at the planning stage already with a full cup. The freedom of choice of the NGOs is very much cut down. But people should not only look at donors. On the other side, the NGOs appear like hungry children. We can not blame the donors for everything. It is up to organisations as well. If we do not agree, we can ask other donors. Often, we depend on the donors that make us passive. Linkages to other donors are also very important. It is not fair to beg other donors for support. If our will is there, the idea will be founded. We should end our taker mentality.« (Z-F-B)
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6 Exkurs: Konstruktivistische Analyse des methodologischen Vorgehens bei M&E
6.1
Paradigmendiskussion in der Evaluationforschung
Die Evaluationsforschung ist eine recht junge Disziplin, die mit Demokratisierungsprozessen und der Entwicklung sozialwissenschaftlicher Erhebungsmethoden einherging. In den USA wurden Evaluationen erstmals in den 1930er und 1940er Jahren eingesetzt, in Europa begann sich die Evaluationsforschung Ende der 1960er Jahre zu entwickeln. Deutschland war zu dieser Zeit geprägt vom Willen nach Reformen und der Modernisierung des Staats. Evaluationen wurden zu einem wichtigen Planungs- und Analyseinstrument (Stockmann, 2006). Auch das Ministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit bediente sich im Laufe des Evaluationsbooms dieses Instrumentariums und verfügt bis heute über ein eigenes Referat für Erfolgskontrolle. Die Wirkungsbeobachtung, die über M&E umgesetzt wird, ist mittlerweile zentraler Bestandteil geworden. Das viel diskutierte Kernstück von M&E ist die methodische Vorgehensweise bei der Datenerhebung. In der Entwicklungspraxis sind besonders in den letzten Jahren vermehrt Forderungen nach einheitlichen Methodensets pro Schwerpunkt (Bildung, Gesundheit etc.) laut geworden, die die Datenerhebungen vereinfachen sollen. Neben anderen trägt besonders der Soziologe und Evaluationsexperte Reinhard Stockmann dazu bei, die Evaluationsforschung in Deutschland voranzutreiben und den Forderungen aus der entwicklungspolitischen Praxis nachzukommen. In zahlreichen Veröffentlichungen weist er nicht nur auf die Defizite der Evaluation in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit hin und informiert über aktuelle Evaluationsforschung, sondern liefert auch praxisorientierte, multidimensionale Bewertungs- und Qualitätsmodelle (Stockmann, 2006; Stockmann, 2000a; Stockmann, 1996). Bei der 167
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Frage nach der besten methodologischen Vorgehensweise von M&E gehen die Meinungen weit auseinander. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Evaluationsforschung methodologisch (quantitativ und/oder qualitativ) zu konzipieren. Die Vorgehensweise hängt besonders von der Wahl des Forschungsparadigmas ab. Im Folgenden stelle ich die wichtigsten Paradigmen kurz vor und untersuche sie auf ihre Eignung für Monitoring und Evaluation von Vorhaben in der Entwicklungszusammenarbeit. Zu Beginn der Evaluationsforschung dominierte das positivistische Evaluationsparadigma. Anhänger dieser Richtung bedienten sich experimenteller Designs (Cook/Campbell, 1979), welche die Welt mit einem Labor gleichsetzten. Um die Wirkung von Projektinterventionen testen zu können, muss herausgefunden werden, was ohne die Intervention eingetreten wäre. Es gilt festzustellen, ob eine Änderung der abhängigen Variable (Projektwirkung) auf die unabhängige Variable (Projektintervention) zurückzuführen ist. In der Evaluationsforschung ist dies aber kaum möglich, weil mit reaktiven Verfahren gearbeitet wird. Der Einfluss von einer Vielzahl an damit verbundenen Störvariablen erschwert klare Zuordnungen. Experimentelle und quasi-experimentelle Designs bedienen sich deshalb des Vergleichs von Versuchs- und Kontrollgruppen. Dieses Evaluationsdesign ist jedoch für die Entwicklungszusammenarbeit wenig hilfreich. Kontroll- und Versuchsgruppen unterliegen in der Projektrealität verschiedenen Einflüssen und lassen sich nicht konstant halten. Zudem sind Untersuchungen dieser Art sehr kostenaufwendig und widersprechen dem Partnerverständnis der Entwicklungszusammenarbeit: Die Kontrollgruppe profitiert nicht von den aufwendigen Untersuchungen. Den Teilnehmerinnen beider Gruppierungen wird ein reiner Objektstatus zugewiesen (Stockmann, 2000c; 2006; Scriven, 1983; Cook/Campbell, 1979; Rossi/ Freeman, 1993). Das positivistische Paradigma fußt auf dem Gedanken, dass es nur eine Realität gibt – und wurde aufgrund seiner methodologischen Einseitigkeit in der Vergangenheit zunehmend in Frage gestellt. Besonders Vertreterinnen des konstruktivistischen Paradigmas lehnen ein positivistisches Vorgehen ab. Sie gehen davon aus, dass Realität abhängig von Herkunft, Geschlecht, Bildung, Alter etc. unterschiedlich sozial konstruiert wird. Dementsprechend fordert man in der Entwicklungszusammenarbeit, die Projektbeteiligten in die Untersuchungen mit einzubeziehen. Das soll den Austausch über die Vielfalt an Realitäten ermöglichen. Evaluationen sind demnach als Prozesse zu verstehen, bei denen Ergebnisse über Interaktion zu erhalten sind. Um dem jeweiligen Kontext und seinen Konstruktionen gerecht zu werden, greift man bewusst auf qualitative Methoden zurück. Denn alle Sichtweisen tragen zur Analyse von Realitäten bei, auch wenn jeweils nur ein kleiner Ausschnitt beschrieben wird. Von Generalisierungen nehmen die Vertreterinnen des kon-
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EXKURS
struktivistischen Paradigmas Abstand (Stockmann, 2000b, 2006; Neubert, 1999; Guba/Lincoln, 1989; Patton, 1978). Neben dem konstruktivistischen kritisiert auch das handlungstheoretische Paradigma die positivistische Vorgehensweise. Es setzt den konventionellen Forschungsmethoden, die sich primär auf Kontrolle konzentrieren und an der Falsifikation von Hypothesen interessiert sind, die Notwendigkeit von Lösungsstrategien entgegen. Um die Optimierung von Maßnahmen zu ermöglichen, bedarf es einer Überwindung der Trennung zwischen Evaluatorinnen und Untersuchungsobjekten. Es gilt, die Wertneutralität aufzugeben und Stellung für die an der Erhebung Beteiligten zu beziehen (Mies, 1978; Stockmann, 2000c; Balzer, 2005). Aus den konstruktivistischen und handlungstheoretischen Paradigmen geht schließlich das transformativ-emanzipatorische Paradigma hervor. Wie bereits innerhalb des konstruktivistischen Paradigmas wird auch im emanzipatorischen Paradigma auf die Konstruktionsvielfalt der Wirklichkeit hingewiesen. Da diese Konstruktionen an soziale, kulturelle, politische und ökonomische Werte gebunden sind, gilt es, den jeweiligen Kontext der Beteiligten zu berücksichtigen. Eine wichtige Rolle spielt die aufgrund von Konstruktion entstandene und legitimierte Verteilung von Macht, die es zugunsten der Machtlosen aufzubrechen gilt. Hauptcharakteristika sind – neben der Analyse von Machtungleichheiten – die Einbeziehung marginalisierter Gruppen sowie das Aufzeigen von Handlungsalternativen, die auf qualitativen Forschungen aufbauen (Stockmann, 2006; Lather, 1991; Mertens, 1998). Wissenschaftlerinnen, die sich am emanzipatorischen Paradigma orientieren, gehen von einem pluralistischen Methodenansatz aus. Dazu gehören Methoden wie »Participatory Learning and Action« (PLA), die die Forschungsteilnehmerinnen bzw. die Zielgruppe in EZ-Projekten in die Planung, Umsetzung und Auswertung des Forschungsprozesses mit einbeziehen (Mertens, 1998; Estrella, 2000; Chambers, 1997; Creswell, 2005). Oft wird dem emanzipatorischen Paradigma wegen seiner Parteinahme für Randgruppen und Machtlose mangelnde Objektivität vorgeworfen. Dem wird von den Anhängern jedoch deutlich widersprochen. So sind der Soziologin Sandra Harding zufolge Vertreterinnen des emanzipatorischen Paradigmas objektiver als ihre Kritiker, da sie Meinungen von Menschen berücksichtigen, die aufgrund der sozial konstruierten Ausgrenzung sonst nicht integriert worden wären. Sie begründet dies folgendermaßen: »One’s social situation enables and sets limits on what one can know; some social situations – critically unexamined dominant ones – are more limiting in this respect, and what makes these situations more limiting is their inability to generate the most critical question about the recorder belief.« (Harding, 1993: S. 55; zitiert nach: Mertens, 1998: S. 23) 169
DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Eine klare, dogmatische Trennung zwischen den verschiedenen, besonders neueren Paradigmen erachte ich hier nicht für sinnvoll. Ich kann vielmehr Donna Mertens zustimmen, die eine Mischung von Paradigmen für möglich hält, wobei die konstruktivistischen und emanzipatorischen Paradigmen sicherlich miteinander kompatibler sind als Verbindungen mit dem positivistischen Paradigma. Auch Egon Guba und Yvonna Lincoln stimmen dem zu. »They suggest the possibility of developing a new paradigm in the future that looks at everything as a matter of degree rather than dualistically.« (Mertens, 1998: S. 28) Ansätze sind somit abhängig von dem Forschungsgegenstand und -ziel der unterschiedlichen Untersuchungen. Stockmann ergänzt, dass Evaluationen heutzutage vor allem die Bedürfnisse der Stakeholder1 berücksichtigen müssen und ein Multimethoden-Ansatz anzuwenden ist (Stockmann, 2000c). Anhand der Entwicklung der Paradigmendiskussion wird deutlich, dass »qualitative, prozessorientierte, kommunikations- und beteiligungsorientierte Verfahren zusätzlich zu quantifizierenden und summativ angelegten Evaluationsstudien an Bedeutung gewinnen« (von Kardorff, 2000: S. 242). Im Rahmen der aufgezeigten Paradigmendiskussion überzeugt mich die von Guba und Lincoln geforderte Evaluation der »vierten Generation«, die einem konstruktivistischen Paradigma mit emanzipatorischen Einflüssen folgt (Guba/Lincoln, 1989; Balzer, 2005). Unter »Fourth-Generation-Evaluation« verstehen sie anstelle von Bewertungen durch Einzelne (»Third Generation«) die Integration möglichst vieler Beteiligter, die die Evaluation abhängig von ihren Interessen mitsteuern sollen. »Die Aufgabe der Evaluatoren ist es, die Beteiligten und Betroffenen während des Evaluationsprozesses einzubeziehen und ihnen, besonders bei der Interpretation der Daten, beratend zur Seite zu stehen.« (Balzer, 2005: S. 52) Dieser partizipative Ansatz erlaubt es, sozial konstruierte Realitäten anhand primär qualitativer Methoden zu beschreiben, um dann über einen transparenten, konsensorientierten Dialog zu einer abschließenden Bewertung zu kommen (ebd.). Hinsichtlich M&E in den Untersuchungsgebieten stellt sich nun die Frage, welche Paradigmen und Methoden umgesetzt werden und inwieweit diese vor dem Hintergrund der Ergebnisse unserer Studie sinnvoll sind. Dieser Frage gehe ich nach, indem ich die methodologischen Rahmenbedingungen von M&E im entwicklungspolitischen Kontext der Untersuchungsgebiete ausleuchte. Dabei untersuche ich Störeffekte genauer und analysiere die Rolle der Datenerheberinnen und ihrer Informanten im Spannungsfeld zwischen lokalen Zielgruppen, Projektpartnerinnen und Auftraggebern. Daran gekoppelt folgt eine Analyse des methodologischen Ansatzes der drei untersuchten Pro-
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»Stakeholder sind alle identifizierbaren Gruppen, deren Interessen direkt oder indirekt, positiv oder negativ von einer Entwicklungsintervention betroffen sind.« (Schönhuth, 2004: S. 107)
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EXKURS
jekte in Tansania, Sambia und Malawi. Abschließend bewerte ich die Eignung der verwendeten Evaluationsparadigmen aus konstruktivistischer Perspektive.
6.2
I n t e r a k t i o n s d yn a m i k e n i m R a h m e n v o n M & E
Einflussfaktoren bei Datenerhebungen In der Sozialforschung kommt es während der Datenerhebung zu so genannten Intervieweffekten. Damit sind Einflussfaktoren gemeint, die sich auf die Antworten der Befragten auswirken. Die Rahmenbedingungen der Befragung, das Untersuchungsthema, die Befragten und die Datenerheberinnen kreieren einmalige Situationen und Gesprächsdynamiken, die zu unterschiedlichen Aussagen führen. Datenerheberinnen beeinflussen meist unbewusst schon alleine aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer Nationalität und ihrer Persönlichkeit die Interviewpartnerinnen. Die in einem bestimmten Moment des Interviews aufeinandertreffende Kombination zwischen der Befragungssituation, den Merkmalen der Beteiligten und dem Forschungsthema erschweren genaue Aussagen zur Wirkungsweise von Störvariablen (Bortz/Döring, 2002; Helfferich, 2004; Flick et al., 1995; Becker-Schmidt/Bilden, 1995). Obwohl die genaue Identifikation von Intervieweffekten kaum möglich ist, sind dennoch Trends auszumachen. Die Kontaktaufnahme zwischen Interviewern und Interviewten wird erleichtert, wenn beide einen relativ ähnlichen sozialen bzw. sozio-ökonomischen Hintergrund aufweisen (Bortz/Döring, 2002). Dadurch lassen sich Interaktionen leichter gestalten und Hemmschwellen eher abbauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Intervieweffekte verstärkt auftreten, steigt, wenn Interviewpartnerinnen von dem Untersuchungsthema und -ergebnis zum Beispiel finanziell oder beruflich abhängig sind. Ein gutes Beispiel hierfür sind Monitoring und Evaluation. Die Zielgruppe eines Projekts sieht in der Datenerhebung oftmals eine Gefährdung des weiteren Projektverlaufs und versucht dementsprechend, einen möglichst positiven Eindruck zu hinterlassen. Die Evaluationsforschung bewegt sich, wie Kardorff zu Recht betont, in einem von Machtkonstellationen und unterschiedlichen Interessenslagen geprägten Kontext, der an gesellschaftliche Politiken und Probleme gebunden ist (von Kardorff, 2000). Die Vielzahl unterschiedlicher Interessen und Abhängigkeiten beeinflusst Verlauf und Ergebnisse der Datenerhebungen. Gerade in einem interkulturellen Kontext wie der Entwicklungszusammenarbeit sind Störfaktoren bereits aufgrund des Aussehens und der Verhaltensweisen der an einem Interview beteiligten Personen gegeben.
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Rolle der Datenerheberinnen Während der Interviews mit deutschen wie auch lokalen Befragten zeigte sich schnell, dass die Herkunft eine Haupteinflussgröße in den Untersuchungsgebieten darstellt. Schon auf den ersten Blick stechen europäische Datenerheberinnen meist aufgrund ihrer Hautfarbe heraus, was besonders im ländlichen Raum zu unmittelbaren Reaktionen und Zuschreibungen führt. Diese fielen in den drei Untersuchungsgebieten äußerst ähnlich aus. Die Bevölkerung, so die einheitliche Beobachtung der Interviewpartnerinnen, erlebt es als Ehre, dass Besuch aus einem anderen, vermeintlich reichen Land zu ihnen in die Dörfer kommt. Der Gast wird dementsprechend warmherzig begrüßt. Die Gastfreundschaft basiert auf der Prämisse, es seinem Gast in allen Belangen recht zu machen. Das schließt auch Interviewaussagen mit ein: »When you come from Europe as a young one or an old one, you need to cross check. Because people will not give you right information. They tell you what you want to hear, not what is going on. […] [B]ut honestly, people come from abroad, they get into the villages, they forget one thing: People are so excited to see you. They keep wondering: Can she really come and see us? They even fight over you. It is such a prestige to have you there. You might have seen the young people here. When people watch TV, they have never been any near Europe, but it is brought to them by the media. It is so glamorous. To see you, coming from that area, they think it is wonderful and will not want to disappoint you. They do not want to mislead you, but they also do not want to disappoint you. That is the reason. They want you to be happy because you have honoured them by lowering yourself to that level. They see it as an honor. They do not want to disappoint you.« (M-F-B)
Besonders Europäerinnen, die nicht in einem gemischten, auch aus lokalen Vertreterinnen bestehenden Team Erhebungen durchführen, treffen auf dieses Dilemma. Sie werden nicht als neutrale Wissenschaftlerinnnen bzw. Evaluiererinnen betrachtet, sondern als Abgesandte eines EZ-Projektes. Man versucht herauszubekommen, was der Fremde wohl hören will, um seine Erwartungen zu erfüllen. So kommt es zwangsläufig zu nicht immer der Realität entsprechenden Aussagen. Die Datenerheberinnen werden aufgrund der äußeren Erscheinung, der Transportmittel und des Auftretens als reiche und sehr gut gebildete Menschen erlebt. Die lokalen Wirklichkeitskonstruktionen von dem Fremden weisen ihm eine Machtstellung zu, mit der verantwortungsbewusst umzugehen ist. Insbesondere führt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Geberorganisation seitens der lokalen Bevölkerung zu mit dem Besuch verbundenen Hoffnungen – sie löst aber auch Ängste aus. Es wird befürchtet, dass das begonnene Projekt aufgrund schlechter Evaluationsergebnisse vorzeitig beendet werden könnte. Die Macht ist jedoch nicht einseitig verteilt. Die lokale Bevölkerung agiert strategisch, indem sie bestimmte Aspekte zu 172
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ihrem eigenen Vorteil hervorhebt und die Erheberinnen damit beeinflusst. Im folgenden Kapitel wird dies noch genauer dargestellt. Ein Beispiel aus meiner eigenen Datenerhebung soll die Rolle der äußeren Erscheinung weiter veranschaulichen: In abgelegenen Gebieten Malawis und Sambias passierte es mir mehrmals, dass meine Hautfarbe als Grund für meinen ›Wohlstand‹ angesehen und mit religiös-determinierten Vorteilen in Verbindung gebracht wurde. In verschiedenen Dörfern sprachen mich mehrfach Frauen an, die betonten, dass »Europäer« die von Gott Geliebten seien, während »Afrikaner«, wie alleine ihre dunkle Hautfarbe zeige, das dunkle, verlorene Volk darstellen würden. Trotz aller Vorsicht im Umgang mit diesen Aussagen sollte deren Inhalt doch Anlass zum Nachdenken geben. Ausländische Datenerheberinnen befinden sich zumindest in ruralen Räumen in einer Sonderposition, die man sich bewusst machen muss und die in der aktuellen Diskussion um M&E zu wenig Berücksichtigung findet. Das Geschlecht der Erheberinnen ist eine neben der Herkunft regelmäßig genannte Einflussgröße. Da die unterschiedlichen Geschlechterrollen von Vertreterinnen der Geberländer zumindest bei den Befragten auch auf Ebene der Zielgruppen in den Untersuchungsregionen bekannt sind, kommt es nicht zur Übertragung von lokalen Geschlechtervorstellungen. »There is no much difference regarding sex of foreign consultant, but with a local Malawian sex matters. Me, as a woman, they would treat me differently. It depends on the topic, but they would maybe respect more a man than me as a woman.« (MF-B)
Mehrere Vertreterinnen der Zielgruppen gaben als Erklärung an, dass Frauen in Deutschland ›die Hosen an hätten‹ und deswegen von Männern in Tansania, Sambia und Malawi auf der Meso- und Mikroebene stärker als einheimische Frauen respektiert würden. Während der Datenerhebung wurden geschlechtergetrennte Frauengruppen bzw. Männergruppen gebildet, um gegenseitige Einflussnahmen zu reduzieren. Alle Interviewteilnehmerinnen waren sich einig, dass gemischtgeschlechtliche Gruppen hinsichtlich Frauenrechtsfragen weniger sinnvoll sind, da kulturell bedingte Wertesysteme (Machtverteilung, Gender-Rollen etc.) Frauen in der Gegenwart von Männern oftmals schweigen lassen. In diesem Zusammenhang muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es sich auch bei gleichgeschlechtlichen Gruppen keinesfalls um homogene Einheiten handelt. Aufgrund von Alter oder auch divergierendem ökonomischen und sozialen Status trifft eine Vielfalt an Meinungen aufeinander, die zu unterschiedlichen Machtverhältnissen und mehr oder weniger dominantem Redeverhalten führt. Schließlich spielt auch das Alter eine wichtige Rolle. Jüngere Evaluierer und Forscherinnen werden nicht so ernst genommen wie ältere. In dem Frau173
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enrechtsbereich, der oft sensible Fragen zu dem Privatleben der Interviewpartnerinnen einschließt, wird zum Beispiel einer verheirateten Frau mehr Vertrauen entgegengebracht, da sie über größere Lebenserfahrung verfügt. Letztlich variieren die oben beschriebenen Effekte, abhängig vom Projektund Untersuchungsansatz. Evaluiererinnen rufen aber nicht nur aufgrund ihrer Herkunft, ihres Alters und ihres Geschlechts machtbesetzte Konstruktionen in den Befragten hervor. Bereits die Befragungssituation ist, worauf die Soziologinnen Regina BeckerSchmidt und Helga Bilden hinweisen, von einem ungleichen Machtgefälle geprägt (Becker-Schmidt/Bilden, 1995): Forscherinnen stellen Fragen, die das Gegenüber zu beantworten hat. Sie erwarten damit das Sich-Öffnen und Verletzlich-Machen von anderen, während sie selbst kaum etwas von sich preisgeben. Nervosität und Anspannung sind daher gängige Verhaltensweisen zu Beginn von Befragungen, Interviews oder Gruppendiskussionen. Neben der beschriebenen Wahrnehmung von Datenerheberinnen durch andere und der daran gekoppelten Einflussgrößen ist es genauso wichtig, auch den heterogenen Bildungs- und Erfahrungshintergrund der Consultants zu berücksichtigen. Dieser spiegelt sich besonders in ihrer jeweiligen Berichterstattung wider. Abhängig von der beruflichen Prägung (Ethnologie, Soziologie, Geographie, Agrarwissenschaft etc.) existieren ein unterschiedliches Selbstbild und – damit verbunden – verschiedene Fokussierungen und Bewertungen.
Rolle der Interviewpartnerinnen Die Aussagen von Interviewpartnerinnen werden von ihrem jeweiligen Hintergrund (Bildung, urbane/rurale Herkunft, Geschlecht, Beruf etc.) beeinflusst und sind dementsprechend unterschiedlich interessengeleitet. Allokative und autorative Abhängigkeiten bedingen und verstärken diese Tatsache. Um Gelder zu erhalten und damit auch den eigenen Arbeitsplatz sicherzustellen, werden auch für weniger sinnvoll erachtete Projektansätze und Vorgaben von lokaler Seite akzeptiert. Das Gleiche gilt für M&E. Der einer Erfolgskontrolle inhärente Kontrollcharakter löst Angst vor Fehlern aus und veranlasst die Mitarbeiterinnen, Partnerinnen und Zielgruppen, die positiven Seiten in den Vordergrund zu stellen. »The problem was the staff of our project. Many did not know what the meaning of evaluation is. When they heard that a mzungu [Kisuaheli für ›ein Fremder‹] is coming to evaluate us, they were shocked, holding on to something in order to not faint. They worried, what is going to happen to me, what will happen in case there is any mistake. They might close the project.« (T-F-A)
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Während der Datenerhebung für diese Studie machte auch ich die Erfahrung, dass sowohl Zielgruppen als auch lokale Partnerinnen des untersuchten Projekts B/1 alles taten, um mir einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Schnell wurde klar, dass das Ziel in der Befriedigung der vermeintlichen Erwartungen des Besuchs aus Deutschland lag, obwohl vorher betont worden war, dass ich als unabhängige, nicht an die Geberorganisation gebundene Forscherin arbeiten würde. Ein im Feldtagebuch festgehaltenes Erlebnis soll dies weiter veranschaulichen: Im Rahmen eines mehrtägigen Besuchs im ländlichen Untersuchungsgebiet in Sambia interviewte ich Barfußjuristinnen, die für das Monitoring von Gerichtsverhandlungen verantwortlich waren. Obwohl die Grundstimmung im Erhebungsteam sehr heiter und ausgelassen schien, stellte sich später heraus, dass die Barfußjuristinnen in meiner Person eine Kontrollinstanz der deutschen Projektpartnerinnen vermuteten und ängstlich versuchten, alles ›richtig zu machen‹. Die Sorge, den ausländischen Erwartungen nicht entsprechen zu können, ging so weit, dass sich die Barfußjuristinnen nach den Einzelinterviews regelmäßig untereinander über meine Fragen austauschten. Meine Übersetzerin, mit der ich mich angefreundet hatte, wies mich verwundert auf diese Verhaltensweise hin. Ich hatte bis dahin das Gefühl gehabt, ein gleichwertiges und vollkommen akzeptiertes Mitglied im sambischen Team zu sein. Meine nationale Herkunft machte mich jedoch zu einer Vertreterin der deutschen Geberorganisation, die es zufriedenzustellen galt. Die Zuweisung einer organisationalen Zugehörigkeit hatte einerseits einen unmittelbaren Statusgewinn und damit verbundene Machtvorstellungen, andererseits einen weniger ungezwungenen Umgang miteinander zur Folge. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass gegenseitige Zuschreibungen zentrale Einflussgrößen bei Interviews im interkulturellen Kontext der Entwicklungszusammenarbeit sind. Elwert weist darauf hin, dass oftmals auch Sprachprobleme unterschätzt werden (Elwert, 1992): Aufgrund der sprachlichen Barrieren ist eine direkte Kommunikation mit der Zielgruppe kaum möglich, zudem wird die Verständigung mit den Mitarbeiterinnen unterschätzt. Begriffe besitzen unterschiedliche Bedeutungen und erfahren verschiedenartige, emotionale Zuweisungen, die zu interkulturellen Missverständnissen führen können. Er veranschaulicht diese Problematik an einem Beispiel: »In einem Entwicklungsprojekt wurde bei der Gründung von Genossenschaften der Ausdruck ›Gewinnbeteiligung‹ vom Übersetzer in Ermangelung eines direkten Äquivalents in der einheimischen Sprache mit ›Zins‹ übersetzt […]. Als dann nach einem schlechten Jahr dieser ›Zins‹ nicht ausgezahlt wurde, war die Empörung groß. Die Kooperative brach zusammen. Gerade solche Übersetzungsprobleme können einen sehr vertrackten Kommunikationsfilter, der auch von einheimischen Mittels175
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personen nicht ohne weiteres als solcher erkannt wird, darstellen, führen diese oft genug Fremdworte und Lehnübersetzungen in ihre Muttersprache ein, die den Bauern zwar Respekt abnötigen, das Verständnis aber verschließen.« (Ebd.: S. 147)
Die sprachliche Unfähigkeit lässt westliche Expertinnen oftmals »›tapsig‹« (ebd.), unhöflich und wenig kompetent wirken und, wie Aussagen vorliegender Interviews bestätigen, Zweifel an der richtigen Besetzung von Führungspositionen laut werden. Von einigen lokalen Mitarbeiterinnen wird die Kompetenz westlicher Führungskräfte gar generell in Frage gestellt. »I have heard that villagers appreciate it but in the cities there is a bit of scepticism. Because sometimes it seems like the big projects send unqualified people to fill in high posts. While the local staff [which] does all the work are paid less than a tenth. It is a bit unfair.« (M-F-B)
Lokale versus ausländische Gutachterinnen Kompetenzen werden auch in anderen Bereichen unterschiedlich erlebt. Während die afrikanische Seite geschlossen die Kapazität im eigenen Land hervorhebt und dafür plädiert, mehr lokale als ausländische Gutachterinnen zu verwenden, geben alle deutschen Mitarbeiterinnen an, aufgrund der mangelnden Gutachterstruktur in den Partnerländern gerne auch mit westlichen Gutachterinnen zusammenzuarbeiten: »Am Anfang sind sie [lokale Gutachter] oft unheimlich motiviert. Und dann bekommt man den ersten Draft und dann muss es halt auch geändert – ich mein, das kennst du sicherlich auch, wenn man sich die Arbeit macht und so viel schreibt und dann wird das alles wieder geändert. Das nervt auch, da dann rumzuarbeiten, das ist klar. Aber dem sag ich dann fünfmal, was zu ändern ist, aber das machen sie dann auch nicht so. Also, das ist echt so eine anfängliche Begeisterung, die dann eben recht schnell abebbt. Und da dann noch mal ins Detail zu gehen und noch mal zu reviewen und noch mal zu reviewen, das nervt halt.« (M-F-D-B)
Deutsche Mitarbeiterinnen sind sich dabei bewusst, dass kulturelle Kenntnisse von ausländischen Consultants oberflächlicher Natur sind. Das werde jedoch aufgewogen durch Erfahrungen im Umgang mit den deutschen Organisationsstrukturen, entwicklungspolitisches Wissen und eine ähnliche Arbeits- und Schreibweise. »[I]n den letzten Jahren habe ich auch nur vier bis fünf von außen genommen, weil die einfach aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihres unglaublich globalen Hintergrunds und fachlichen Kompetenz immer so eine Zündung waren und einen katalytischen
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Effekt in so einen Prozess reinbringen. Das waren dann aber grenzüberschreitende Themen.« (M-M-D-B)
Dem widerspricht die Mehrheit der lokalen Kolleginnen. Sie sehen die Gefahr kultureller Fehlinterpretationen, welche die meist nur ein bis zwei Wochen dauernden Auslandseinsätze externer Gutachterinnen mit sich brächten. Das Fehlen landeskundlicher, politischer, gesellschaftlicher und kultureller Kenntnisse unterstütze, so ihre Meinung, Vorurteile und Missinterpretationen. Die einzige Erklärung für die Entsendung externer Fachkräfte – Projektmitarbeiterinnen und Gutachterinnen – durch Geberorganisationen scheine demnach monetärer Art zu sein. Man wolle wohl die Arbeitsmarktsituation in den Geberländern entspannen. Zudem drücke die Geberseite damit mangelndes Vertrauen in lokale Partnerinnen aus. Warum sonst, wundern sich die lokalen Interviewteilnehmerinnen geschlossen, solle man jemanden von außen holen? Die heterogenen Sichtweisen verdeutlichen erneut, dass Entwicklungszusammenarbeit von verschiedenen Interessen und Erwartungen geprägt ist, deren Realisierung jedoch von allokativen und autorativen Ressourcen abhängt. Interessant ist die Frage, wer letztendlich Entscheidungen trifft. Die Untersuchungsergebnisse machen deutlich, dass selbst die Konzeption, Umsetzung und Analyse eines Managementinstruments westlich vorgegeben wird. Der deutsche Geldgeber, der die Verwendung der Mittel der Steuerzahler rechtfertigen muss, setzt sich durch und verstößt damit gleichzeitig gegen die eigenen Ansprüche wie partizipative Teilhabe oder »Empowerment« der Partnerinnen. Ein großer Teil der befragten Mitarbeiterinnen und Partnerinnen auf lokaler Ebene bemängelte, dass Evaluationsergebnisse selten vorgestellt und diskutiert würden, bevor diese in den Endbericht einflössen. Der »FeedbackLoop« zwischen Zielgruppe, lokalen Partnerinnen, lokalen Mitarbeiterinnen und Evaluatorinnen wird dadurch trotz ihrer aktiven Beteiligung unterbrochen und erfolgt stattdessen zwischen Gutachterinnen, Projektleitung und Zentrale. Um Missverständnisse zu reduzieren, ist diese Form von Transparenz jedoch besonders wichtig. Die konsequente Umsetzung lokaler Evaluationsworkshops wäre hier ein Anfang. Aus Zeit- und/oder auch Interessensgründen, so die Vermutung der Interviewpartnerinnen aus Malawi, Sambia und Tansania, bleibt transparentes Arbeiten dennoch oftmals aus. Dies ist besonders vor dem Hintergrund von Störeffekten zentral. Die genannten Einflussfaktoren müssen berücksichtigt werden, um die Gefahr, Klischeekonstruktionen zu verstärken, zu reduzieren. Sie werden in der aktuellen Evaluationsforschung, die oftmals sehr technokratisch und zweckorientiert ausgerichtet ist, übersehen. Die Vorstellung, über empirische Arbeitsweisen valide Daten zu erhalten, ist alleine aufgrund einer von Interessens- und Machtkonflikten geprägten, heterogenen Akteursarena ein Trugschluss.
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Abhängigkeitsverhältnisse von Gutachterinnen Evaluationen führen, wie zahlreiche Autoren betonen, zu Abhängigkeitsverhältnissen (Weilenmann, 2004; Bortz/Döring, 2002; Michaelowa/Borrmann, 2005; Brüne, 1998). Lokale wie externe Gutachterinnen sind bereits aufgrund ihrer freiberuflichen Tätigkeit von der Einschätzung potentieller Arbeitgeber abhängig: Je kritischer eine Evaluation ausfällt, desto größer scheint die Gefahr, künftig keinen Auftrag zu erhalten. Neben der existentiellen Abhängigkeit von dem Wohlwollen der Auftraggeber beeinflussen persönliche Beziehungen der Datenerheberinnen mit der deutschen Projektleitung die Einstellung und Wahrnehmung. Sympathien und finanzielle Abhängigkeiten sowie der Wunsch nach angenehmen Arbeitsbedingungen führen dann schnell zu Gefälligkeitsgutachten (Weilenmann, 2004; Schönhuth, 2005). Eine Studie von Katharina Michaelowa und Axel Borrmann, beide EZ-Experten, zeigt die verschiedenen Interessensverflechtungen anhand einer politikökonomischen Analyse von Evaluationen auf, die besonders bei internen Evaluationen auftreten (Michaelowa/Borrmann, 2005). Am Beispiel der »Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit« (GTZ) weisen Michaelowa und Borrmann darauf hin, dass hausinterne Evaluationen zwischen 1998 und 2000 deutlich positiver ausfielen als von einer höheren Hierarchieebene, dem BMZ, in Auftrag gegebene Studien. Während vom BMZ bewertete Projekte zu 67 Prozent als erfolgreich eingeschätzt wurden, geben die Selbstevaluationen der GTZ eine Erfolgsquote von 79 Prozent an. Die Abhängigkeiten werden auch an einem anderen Beispiel deutlich. Bei der GTZ sind seit einigen Jahren Expertinnen vor Ort – Projektleiterinnen – für die Auswahl externer Gutachterinnen zuständig. »Im Jahre 2000, das heißt nach Einführung dieses Systems, weisen die von externen Gutachtern durchgeführten PFK-Evaluationen [PFK = Projektfortschrittskontrolle; Anmerkung von Constanze Pfeiffer] (und nicht etwa die SB-Evaluationen! [SB = Selbstevaluationen; Anmerkung von Constanze Pfeiffer]) mit 96 % ›erfolgreicher‹ Projekte die gegenüber allen anderen Vergleichsdaten mit Abstand höchste (und damit vermutlich fragwürdigste) Erfolgsbilanz aus.« (Michaelowa/Borrmann, 2005: S. 75)
Die Studie legt weitere Auffälligkeiten offen. Analysiert man die Evaluationsurteile nach Einzelkriterien, fällt auf, dass Gutachterinnen Misserfolge des Projektes eher den schlechten Rahmenbedingungen zuschreiben als der mangelhaften Durchführung seitens der Expertin. So wird die Projektdurchführung positiver bewertet als alle anderen Aspekte:
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»In 72 % der evaluierten BMZ Projekte wurde die Durchführung auf der Notenskala von 1 bis 6 zumindest mit 3 (= befriedigend) bewertet. In den Bereichen Steuerung, Rahmenbedingungen und Planung liegt der Anteil signifikant darunter.« (Ebd.: S. 79)
Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen den von Michaelowa und Borrmann vorgefundenen Trend: Deutsche Mitarbeiterinnen lesen Evaluationen oftmals gegen, bevor diese an die Auftraggeber weitergeleitet werden. Das ist sicherlich sinnvoll, um kulturelle und projektinterne Missverständnisse zu vermeiden. Ähnliche Deutungsmuster werden auf diese Art und Weise im Austausch diskursiv zwischen den betroffenen Akteurinnen erarbeitet. Doch letztlich dominiert die Projektleitung die Deutungsmuster. In diesem Fall besitzen die Organisationsmitglieder den Gutachterinnen gegenüber einen Vorteil. Ihre autorative und allokative Machtposition als Vertreterinnen des Geldgebers ermöglicht es ihnen, ihre Sichtweisen und Wirklichkeitskonstruktionen durchzusetzen. »Ja, deswegen habe ich ja auch die absolute Maxime, solange ich die Möglichkeit hatte, die Hand auf den Bericht zu legen. Dann musste der erstmal über meinen Schreibtisch. Das ist nicht die Frage der Zensur, sondern der korrekten Interpretation.« (M-M-D-B)
Externe Gutachterinnen stehen oftmals in einem persönlichen Verhältnis zur Projektleitung. Während der Erhebung trifft man sich privat, freundet sich an und vergrößert dadurch den eigenen Einfluss. Stefan Brüne nennt dies einen »kleinen Markt verständlicher Interessen«, der schließlich in Klientelismus endet (Brüne, 1998: S. 20). Zu organisationskritische Aussagen bedeuten oftmals das ›Aus‹ von Consultants, die es dann offenbar nicht verstanden haben, die organisationsinterne Sprache zu sprechen. Die Ergebnisse verdeutlichen aufs Neue, dass M&E auch auf deutscher Geberseite durchaus angstbesetzt ist und eine Gefährdung des eigenen Arbeitsplatzes befürchten lässt. »Ich glaub aber dennoch nicht, dass die Datenerhebung ehrlich abläuft. Es gibt bestimmt Methoden, die es ermöglichen, ernsthaft und ehrlich zu erheben. Ich glaube aber nicht, dass das in diesem Kontext und Rahmen so möglich ist. Wenn jemand sein Projekt verlängert haben will, dann wird er den Teufel machen und jemand nehmen, den er nicht kennt. Ja, und meistens sieht es bei Organisation B ja so aus, dass Organisation B ja interne Leute zur Evaluation einstellen. Da nehme ich doch jemand, den ich gut leiden kann, oder? Jemand, mit dem ich abends ein Bier trinken kann. Und wenn der eine schöne Woche gehabt hat, dann wird der auch was Schönes in seinen Bericht schreiben. Geh doch mal von dir persönlich aus, wenn du mich anrufen würdest, um mir zu sagen: Hey, ich hab einen Job in Malawi, eine Woche Malawi, Fortschrittskontrolle, 340 Euro pro Tag. Dann sage ich doch: Gerne. Und 179
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dann sitze ich jeden Abend bei dir und koche Spaghetti und trinke Wein. Ja, da werde ich mich doch hüten, irgendwas Schlechtes zu schreiben.« (T-F-D-A)
Ein positiver und offener Umgang mit Kritik wird mittlerweile zwar allerorts gefordert, der Weg dahin ist jedoch noch lang und steinig. Dennoch sind sich die untersuchten Organisationen über die Problematik im Klaren und versuchen, diesem Dilemma zu begegnen. Ist letztlich aber, wie der Entwicklungsethnologe Michael Schönhuth seinen Artikel nennt, »Alles nur Theater?« (Schönhuth, 2005), das heißt eine Inszenierung objektiver Messbarkeit, die auf der Hinterbühne von Sympathien und Abhängigkeiten geprägt ist? Michaelowa und Borrman nennen drei Problembereiche, die zu überwinden sind, um die Aussagekraft und Glaubwürdigkeit von Evaluationen zu verbessern: »1. die Abhängigkeit der Gutachter von der Akzeptanz ihres Evaluationsergebnisses durch ihren Auftraggeber, 2. die darüber hinaus wahrscheinliche Kollision zwischen dem Gutachter und dem mit der Projektdurchführung vor Ort beauftragten Experten, sowie 3. die geringe Bereitschaft zur Nutzung aussagefähiger, aber methodisch und finanziell aufwändiger Methoden.« (Michaelowa/Borrmann, 2005: S. 80)
Unabhängigkeit kann ihrer Meinung nach nur erreicht werden, indem die Überprüfung des Projekterfolgs nicht von den Projektverantwortlichen vor Ort vorgenommen wird, sondern über externe Evaluationen erfolgt. Diesbezüglich häufen sich Stimmen, die eine unabhängige Instanz in Form eines Evaluationsinstituts fordern, das sich neben Evaluationen auch an der Methodenentwicklung beteiligt (Stockmann, 1998; Stockmann/Caspari/Kevenhörster, 2000). Michaelowa und Borrmann geben jedoch zu bedenken, dass geeignete Institutionen bereits existieren und die Schaffung eines Bewertungsmonopols zu neuen Kollisionen führen könnte (Michaelowa/Borrmann, 2005). Vielmehr sollten stattdessen Projekte stichprobenartig von Grund auf neu bewertet werden. Dies würde den Druck einer objektiven Informationsvermittlung seitens der Gutachterinnen erhöhen. Zudem sollten die Auswahlverfahren für Gutachterinnen sowie deren Evaluationen transparenter gemacht werden. Eine größere Transparenz und Unabhängigkeit ist sicherlich wichtig, um Klientelismus entgegenzuwirken. Die Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb des Organisationskontextes werden dadurch reduziert. Eine intensivere und schon seit langem immer wieder geforderte Einbindung von lokalen Partnerinnen ist dennoch genauso notwendig, um interkulturelle Missverständnisse und einseitige Berichterstattung zu verhindern.
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6.3
Methodologische Vorgehensweise in den Untersuchungsgebieten
Quantitative Ansätze Die genannten Effekte verdeutlichen die Notwendigkeit einer sorgfältigen Wahl geeigneter Methoden, die es ermöglichen, Einflussgrößen zu reduzieren. Die folgende Analyse der methodischen Vorgehensweise zeigt, welche Paradigmen in den Untersuchungsgebieten dominieren und wie diese methodologisch umgesetzt werden. Die bei Projekt A verwendeten Evaluationsbögen versuchen den organisationsinternen Forderungen von Monitoring zu entsprechen. Sie sind jedoch nur auf die Aktivitätenbeobachtung ausgerichtet. Das ermöglicht keine weiteren Aussagen über die tatsächliche Anwendung des Gelernten und die damit gemachten Erfahrungen der Teilnehmerinnen. Fragebögen werden aber nicht nur bei Projekt A, sondern auch bei Projekt B in ihrer Aussagekraft überschätzt. Das sambische M&E-System arbeitet primär mit Fragebögen, die sich an Laienrichter, Parajuristinnen, Teilnehmerinnen von Rechtsaufklärungsworkshops und Frauen richten, die innerhalb des letzten Jahres eine Gerichtsverhandlung hatten. Um nach Richterfortbildungen mehr über deren tatsächlichen Wissensstand zu erfahren, beantworten die Teilnehmerinnen Fragen, die in Form von Fragebögen bereits vermittelte Rechtsthemen beinhalten. Dadurch wird sowohl den Projektmitarbeiterinnen als auch den Laienrichtern klar, welche Bereiche nicht verständlich waren. Neben einem »Test«, der Inhalte zu Rechtsthemen abfragt, füllen die Laienrichter nach ihren Verhandlungen Bögen zur Selbstevaluation aus. Während diese auf positive Resonanz stoßen, da sie verdeutlichen, wo Nachholbedarf besteht, ist das Monitoring von Gerichtsverhandlungen durch Parajuristinnen schwieriger. Als Beobachterinnen bewerten sie den Verlauf der Verhandlung unter Zuhilfenahme eines Fragebogens. Laienrichter kritisieren die für sie unangenehme Kontrollsituation sowie die Tatsache, dass sich gesellschaftlich unter ihnen stehende Parajuristinnen ein Urteil über sie erlauben. Sie wurden daher angehalten, während und nach der Verhandlung Stillschweigen zu bewahren und sich ganz auf das Ausfüllen des Fragebogens zu konzentrieren. Neben den strukturellen Spannungen besteht die Gefahr, dass die Richter nur korrekt handeln, solange die »Monitoring-Expertinnen« anwesend sind. Die in der Theorie gute Monitoring-Methode erweist sich in der Praxis also als konfliktreich. »There is the risk that the local court justices do stage in court because when visitors do come, you clean the house. They do not do the work as they always do. But I do not yet see an alternative, unless it takes place on a very regular basis.« (Z-F-B)
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
Die enge Einbeziehung von Parajuristinnen als Datenerheberinnen ist ein großer Schritt in Richtung Partnerbeteiligung und unterstreicht die Bemühungen partizipativer Kooperation seitens des Projekts. Partnerinnen und Repräsentantinnen der Zielgruppen wurden in mehrtägigen Workshops in Grundkonzepte von Monitoring sowie die Anwendung der Fragebögen eingeführt. Während der Trainingseinheiten erwiesen sich Rollenspiele, die eine Befragungssituation simulieren, als besonders geeignet für interaktives Lernen. Fragebögen wurden zusammen mit den Partnerinnen diskutiert und entwickelt. Dieser Ansatz war wichtig, um Verständnisprobleme zu reduzieren und den lokalen Erfahrungsschatz zu nutzen. Dieser Prozess beanspruchte jedoch mehr Zeit als erwartet. Die Datenergebnisse verdeutlichten, dass trotz aufwendiger Kurse Verständnisprobleme blieben. Einige Fragen wurden falsch oder gar nicht beantwortet. In Gesprächen mit lokalen Mitarbeiterinnen bzw. deutschen Angestellten wurde immer wieder betont, dass die Hauptprobleme besonders auf kulturellen Wahrnehmungsunterschieden beruhen. Das westliche Logikverständnis, welches auf einem Frage-Antwort-Prinzip beruht und bereits von klein auf in der Schule gelernt wird, lässt sich nicht ohne Weiteres auf außereuropäische Gesellschaften übertragen. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung sorgten Monitoring-Fragen bei den darin ausgebildeten Datenerheberinnen sowie den von ihnen Befragten für Verwirrung. Um das Gegenüber zum Sprechen zu bringen, beeinflussten eifrige Erheberinnen ihre Interviewpartnerinnen, indem sie ihnen Interpretationen vorgaben und Antworten in den Mund legten. Zudem führten die in Englisch verfassten Bögen führten aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse zu Verständnisproblemen: Fachbegriffe konnten von den Erheberinnen nicht in lokale Sprachen übersetzt werden und Übersetzungsversuche endeten mit Missverständnissen. »Questionnaire should be translated from English into other local languages. It is a skill to ask questions without influencing partners. If they know, you want to have this and that information, they might unknowingly translate and manipulate while translating the questions. They might give already answers. The questionnaire training workshop showed the problem. It is not only about translating the questions, but also about understanding the content. Better to give the paralegals enough time in order to make sure that they understand. We have to consider that they are beginners.« (Z-F-B)
Wie sich zeigte, war in Sambia das schriftliche Festhalten von Antworten problembehaftet. Die sambische Kultur basiert auf oralen Kommunikationsformen, in denen Informationen über Narrationen weitergegeben werden. Dementsprechend kurz fielen die Antworten aus, die von den Erheberinnen schriftlich festgehalten wurden. Wichtige Informationen wurden stattdessen 182
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im Rahmen informeller Gespräche weitergegeben. Daher bieten sich methodologisch zum Beispiel Rollenspiele besonders gut als Sprachrohr an. Sie erfreuen sich in den Untersuchungsgebieten einer hohen Beliebtheit. Die mündliche und körperliche Darstellung von Information fällt den Beteiligten im Vergleich zur schriftlichen Berichterstattung leichter. Bei klassischen westlichen Erhebungsinstrumenten wie dem Fragebogen blieben wichtige Informationen dagegen unerwähnt. »Unsere Erfahrungen zeigen, dass Sambier sehr gute Redner sind. Sobald sie diese Informationen jedoch schriftlich abgegeben sollen, geht nichts mehr, das heißt: Es kommt nur sehr wenig bei rüber. Die sambische Gesellschaft ist eine orale, die nicht Verschriftlichen benützt. Leider geht schriftlich dadurch für uns wertvolle Information flöten. Super kommen hier Rollenspiele an. Das würde man bei uns ja kaum verstehen. Manuals werden leider dagegen nicht gelesen. Besser geeignet zur Wissensvermittlung sind regelmäßige Refresherkurse. Die Wiederholung ist zentral. Kultur der Angst, die zum Beispiel auf Seiten der Richter gegenüber dem M&E besteht, muss abgebaut werden. Es herrscht ein großes Misstrauen auch untereinander, das ist typisch sambisch.« (Z-F-D-B) »My feelings are that local court justices and paralegals might not have understood it. M&E is very complicated. Forms are not simple for those people. In Zambia culture, this is not done. It is very hard to go through forms the whole day. Recaps in the workshop clearly showed that there are problems to fill in forms. Results also showed that these have influenced answers. All sheets had the same answers. Questionnaires are still useful, but you need time to introduce them over and over again. Some still do not understand, but here we do not take notes. People do not refer to their written material. Better, make people take notes. It takes them very long to copy, notes are missing, sentences too, they do not go back to their notes. Still, interview forms are still helpful. Ideas came up in workshop also from Zambian side. Forms should be modified and made more easy. The problem is: Zambia is an oral society. The questions of the questionnaire do not always give enough information. Often, they just give the answers that the interviewer wants to hear. It would be better to give the interview more room. It should be more a talk than a filling in of boxes. There is not enough space for comments and boxes. Better to also use a focus-group discussion.« (Z-F-D-B)
Die Erfahrung des Projektes in Sambia ist kein Einzelfall, dennoch sind Fragebögen aufgrund ihrer relativ einfachen und kostenfreundlichen Handhabung immer noch beliebte Instrumente. In den ländlichen Gebieten der Untersuchungsregion Sambia stößt man damit aber an die Grenzen unterschiedlicher, kulturell bedingter Kommunikationsweisen. Technokratische Systeme, die auf EZ-Logiksystemen beruhen, führen hier trotz aller Erklärungsversuche zu Missverständnissen. Angepasste Methoden müssen gefunden werden, die den narrativen Elementen der sambischen Kultur besser entsprechen. Im folgen183
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den Abschnitt gehe ich darauf ein, ob partizipative Methoden hierbei geeignet sind.
Partizipativer Multimethoden-Ansatz Inwieweit sich qualitative Erhebungsmethoden eignen, zeigt das Projekt B/2 in Malawi. Das dort errichtete M&E-System orientiert sich sehr stark an partizipativen Methoden. Dabei beruft es sich auf die besonders unter Robert Chambers entwickelten »Participatory Rural Appraisal«-Methoden (PRA).2 Die Partizipationsmöglichkeiten der Zielgruppe spielen in der Entwicklungszusammenarbeit zunehmend eine entscheidende Rolle und gehören seit drei Jahrzehnten zum Standardvokabular. Aus diesem Grund haben sich innerhalb des Projektzyklus seit Anfang der 1990er Jahre zunehmend auch partizipative Datenerhebungsmethoden durchgesetzt. PRA umfasst formale und analytische Methoden, die für die Projektplanung sowie für das Monitoring und Evaluationen verwendet werden. (BMZ, 1999; Hayfa, 1992). Ziel von PRA ist es, einen Prozess zu initiieren, der es den Beteiligten ermöglicht, ihre Situation selbstständig zu beschreiben und durch Nennung eigener Vorstellungen auf den Projektverlauf planend und steuernd eingreifen zu können. Dabei kommt es zu einem Umdenken, das dominierende Top-down-Expertinnen ablehnt und Bottom-up-Mitbestimmung und Analysekapazität der Bevölkerung fordert. Datenerheberinnen haben eine rein unterstützende Rolle (»facilitator«), indem sie Prozesse initiieren und moderieren, wann immer dies notwendig wird. PRA verlangt eine Veränderung der Einstellung des Untersuchers »hinsichtlich des Respekts vor den Menschen, mit denen man arbeitet, des Interesses an dem, was sie wissen, sagen und tun, und der eigenen Ergebnisorientiertheit (keine Antwort ist auch eine Antwort)« (Schönhuth/Kievelitz, 1993: S. 13). Die Datenerheberin ist also in erster Linie ein Katalysator, der eine 2
Die Entstehungsgeschichte von PRA ist kurz berichtet: Aus der Unzufriedenheit mit klassischen Datenerhebungsmethoden heraus entwickelte sich Ende der 1970er Jahre eine Methode namens »Rapid Rural Appraisal« (RRA), die, von einem internationalen, multidisziplinären Team vor Ort umgesetzt, rasch Informationen über ländliches Leben ermöglichen sollte. Ende der 1980er Jahre kam es dann aber zu einer Fortentwicklung. Vor dem Hintergrund der Kritik an RRA entstand das »Participatory Rural Appraisal«, das, wie die Namensänderung bereits deutlich macht, eine Schwerpunktverlagerung weg von schnellen (»rapid«), expertengesteuerten hin zu partizipativen (»participatory«) Datenerhebungen zum Ziel hat und als Weiterentwicklung des »action research« gesehen werden kann (Ulbert, 1999). Inzwischen wird der Begriff PRA oftmals durch den aktionsorientierteren Terminus »Participatory Learning and Action« (PLA) ersetzt. Es handelt sich dabei jedoch um ein ähnliches Methodenset (Leurs, o.J.; Schönhuth/Kievelitz, 1993). Zunehmend wird auch betont, dass die teilnehmenden Gruppen keinesfalls homogen, sondern äußerst heterogen zusammengesetzt sind.
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selbstbestimmte Entwicklung unterstützt und dabei die Position eines Lernenden einnimmt. Abhängig von der jeweiligen Situation und Projektthematik müssen die geeigneten Methoden für den besonderen Anwendungsfall individuell zusammengestellt werden (BMZ, 1999). Wichtig ist der prozesshafte Charakter, was bedeutet, dass Einzelmethoden abhängig von der Erhebungssituation flexibel »überprüft, angepasst und weiterentwickelt« werden müssen (Ulbert, 1999: S. 31). Dabei kann man unter bis zu 50 verschiedenen, gendersensiblen Methoden wählen, bei denen die Betonung visueller Elemente im Vordergrund steht. Vorzugsweise werden von der Zielgruppe verschiedene Erfahrungen unter Verwendung lokaler, kostenloser Materialien wie Steinen, Nüssen oder Holzstöckchen, die man beispielsweise auf die Erde legt, veranschaulicht. Das gemeinsame Erstellen dieser Visualisierungen innerhalb der Gruppe in einem öffentlichen Raum ermöglicht vielen die Teilnahme und schafft Transparenz. Das Darstellen von lokalem Wissen soll besonders Analphabeten erleichtern, sich auszudrücken. Den Gruppenteilnehmerinnen ist es freigestellt, zu gehen und zu kommen, wann sie wollen, da ihre Zeit aufgrund der hohen Arbeitsbelastung besonders in der Landwirtschaft und im Haushalt sehr begrenzt ist. Die wohl gängigsten Grundmethoden von PRA sind von der Zielgruppe erstellte Kartierungen und Lagepläne von Dörfern und sozialen Einrichtungen oder auch von Landnutzungsformen. Die Art der Visualisierung wird dabei den Möglichkeiten der Teilnehmerinnen angepasst. So genannte Rankings veranschaulichen linear oder in Form von »Matrices« Präferenzen und bringen Gruppen nach ihrem sozialen Status oder Wohlstand in eine Reihenfolge. Soziale Beziehungsdiagramme werden über Pfeile, Kreise oder andere Verbindungslinien visualisiert und geben Auskunft über soziale Netzwerke. Begleitet werden diese Methoden von halbstrukturierten Interviews, die einerseits durch Gebrauch von Leitfragen wichtige Aspekte abdecken und es andererseits den Gesprächspartnerinnen ermöglichen, weitere Faktoren anzusprechen, die von der Datenerheberin übersehen wurden. Diese Gespräche sollen in möglichst entspannter und informeller Atmosphäre stattfinden. Wichtig bei all diesen Methoden ist das konstante cross-checking, das heißt der Vergleich der Daten untereinander, um Widersprüche oder Missverständnisse zu vermeiden bzw. aufzudecken. Im Zweifelsfall ist nochmaliges Befragen oder Diskutieren der Ergebnisse, die nicht miteinander zu vereinbaren sind, notwendig. Schließlich spielt die teilnehmende Beobachtung eine wichtige Rolle. Um Vertrauen zur Bevölkerung aufzubauen, wird von dem Untersucher erwartet, dass er sich in das Dorfleben integriert und aktiv an Alltagsaktivitäten teilnimmt (BMZ, 1999). PRA wird eingesetzt, um Bedürfnisse auszumachen und Prioritäten für Entwicklungsaktivitäten festzustellen (Schönhuth/Kievelitz 1993). Es eignet sich aufgrund seines partizipativen Charakters sehr gut 185
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für den Projektzyklus auf Mikro- und Mesoebene (Chapagain, 1999; Ulbert, 1999). Im Folgenden beschreibe ich anhand von Projekt B/2 Anwendungsmöglichkeiten von PRA in einem Frauenrechtsprojekt. Das entwickelte Monitoring-System konzentriert sich zum einen auf die Wirkungen, die in der Dienstleistung der geförderten Institutionen festzustellen sind, zum anderen auf die Untersuchung der Folgen der Arbeit der »village committees«. Es greift methodisch auf einen Multimethoden-Ansatz zurück. Quantitative Informationen erhielt das Projekt in Form von Statistiken, die von den Institutionen wie auch den »village committees« geführt wurden. Zunächst waren dafür Statistik-Intensivtrainings vorgesehen, die den Mitarbeiterinnen eine einheitliche Wissensgrundlage ermöglichen sollten. Aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Projekts entfielen diese Trainings jedoch. Sie wurden durch kurze Beratungseinsätze seitens einer Mitarbeiterin ersetzt. Die Statistiken sollten unter anderem geschlechtsspezifische Angaben über die Anzahl der Menschen machen, die die Dienste der geförderten Institution nutzten, sowie die Zahl der Gewaltfälle, die gemäß der malawischen Strafgesetze beigelegt werden konnten. Bei der Wahl der qualitativen Methoden wurde bewusst experimentell vorgegangen. Als besonders informativ erwiesen sich nach Geschlecht getrennte Gruppendiskussionen mit Dorfbewohnern.
Abbildung 10: Gruppendiskussionen. Eigene Aufnahme Während dieser Diskussionen bewerteten Teilnehmerinnen unter anderem einzelne Institutionen der Rechtsprechung anhand einer Punkteskala von 1 (»überhaupt nicht hilfreich«) bis 5 (»sehr hilfreich«). Um die Punkte visuell 186
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darzustellen, bot es sich an, mit fünf Steinen zu arbeiten. Diese gingen an die Gruppe, welche sich auf eine Bewertung pro Institution einigen musste. Gründe, die ausschlaggebend für die Punktzahl waren, wurden ausführlich diskutiert. Ziel war es, diese Rankings mindestens einmal pro Jahr über den gesamten Zeitraum der Projektlaufzeit durchzuführen, um ausreichend Informationen über einen negativen oder positiven Wandel der Dienstleistung verschiedener Institutionen zu erhalten. Die Erfahrungen verdeutlichten, dass sich Rollenspiele auch in Malawi für die Zielgruppe hervorragend eignen, um Informationen zu vermitteln. Die bereits formierten Gruppen wurden gebeten, alltägliche Szenen zu spielen, die zeigen sollten, an welche Institutionen sie sich im Falle eines Konflikts wenden und wie die Mitarbeiterinnen dieser Einrichtungen agieren. Interessant zu erfahren war besonders, inwiefern die von dem Projekt trainierten Vertreterinnen der traditionellen und staatlichen Rechtsprechung die Trainingsinhalte anwenden, wie sie die Opfer behandeln, und ob sich die Rechtsprechung nun stärker an der staatlichen Rechtslage als vor Projektbeginn orientiert. Zudem zeigte sich, ob Dorfbewohner die von dem Projekt geförderten Parajuristinnen nutzen und wie deren Dienstleistungen beurteilt werden. In überraschend kurzer Zeit bereiteten die Gruppenmitglieder ihre Rollenspiele vor und führten sie auf. Die Szenen wurden mit der Videokamera aufgenommen, um Vergleichsmaterial zu erhalten. Während in Einzelgesprächen Aufnahmegeräte abgelehnt wurden, zeigten sich die Teilnehmerinnen interessanterweise von der Videokamera vollkommen unbeeindruckt. Sofern die Mitglieder bereit waren – denn gerade weibliche Darstellerinnen befürchten Repressionen durch ihre Ehemänner –, kam es zur Aufführung der Rollenspiele vor den Dorfbewohnern. Die Spontaneität der Vorführung bewirkte authentische Darstellungen. Während sich Männer und Frauen in Gruppendiskussionen zum Teil noch widersprachen, besaßen die Rollenspiele aufgrund der sozialen Kontrolle während der Aufführungen eine hohe Gültigkeit. Diskussionen, die sich an diese Aufführungen anschlossen, erwiesen sich als äußerst fruchtbar. Das erhaltene Filmmaterial diente nicht nur Monitoring-Zwecken, sondern war zudem Anschauungsmaterial, das Interessierten tiefe Einblicke in komplexe Problemfelder (Angst vor Hexerei als Sanktionsmittel, Gründe für Gewalt etc.) ermöglichte. Die qualitative Sozialforschung verfügt noch nicht über eigene Auswertungsverfahren von Filmmaterial (Bohnsack/Marotzki/Meuser, 2003). Ich entschied mich daher, die Videofilme auf ein Untersuchungsziel hin zu analysieren. Der Fokus lag auf der Umgangsweise verschiedener Beratungs- und Rechtsprechungsinstitutionen mit Gewalt. Anhand der Rollenspiele konnte ich Strukturen der filmisch festgehaltenen sozialen Phänomene rekonstruieren. Die jährliche Wiederholung gab Aufschluss über mögliche Änderungen 187
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der Verhaltensweisen der im Rollenspiel dargestellten Schlüsselpersonen und ließ Rückschlüsse auf strukturelle Veränderungen zu. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Während im ersten Jahr Dorfvorsteher in Vermittlungsgesprächen zwischen Opfern von Gewalt und Tätern die Rolle von Beschwichtigern übernahmen, verhielten sie sich im zweiten Jahr eher als Aufklärer. Das heißt, sie informierten beide Seiten über ihre jeweiligen Rechte und sprachen über alternative Konfliktlösungsstrategien, die auch eine kritische Reflektion gängiger Gender-Rollen beinhaltete. Dies ließ Rückschlüsse auf die Wirkungsweise des Projekts zu.
Abbildung 11: Rollenspiele. Eigene Aufnahme Das Projekt bezog seine Partnerinnen von Anfang an eng in die Entwicklung von Indikatoren und Methoden mit ein und bot Raum für den Austausch von Ideen. Von Partnerseite, das heißt den lokalen Trainerinnen der Barfußjuristinnen, wurde so auch vorgeschlagen, Zeichnungen und Erfahrungsberichte von Kindern und Jugendlichen zu verwenden. Denn die Sicht der Kinder sei unvoreingenommener als die ihrer Eltern. Diese Methode war für die Datenerhebung äußerst informativ. Um festzustellen, ob und in welcher Form Gewalt in Familien vorkommt, wurden jüngere Mädchen und Jungen gebeten, Zeichnungen anzufertigen, während ältere ihre Erfahrungen niederschreiben sollten. Die Kinder orientierten sich dabei an der Frage, wie Konflikte in ihren Familien gelöst werden. Anschließend erklärten sie in Einzelgesprächen ihre Bilder bzw. Aufsätze. Das erhaltene Material gab Auskunft darüber, ob von dem Projekt angeregte Konfliktlö-
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sungsstrategien umgesetzt wurden, inwieweit die Häufigkeit von Gewalttaten zurückging und ob es zu Änderungen der Gewaltformen kam. Einmal jährlich sollten ausgebildete Distrikt-Trainerinnen in den Dörfern ein Monitoring über die Wirkungsweise der Trainings von Institutionen der Rechtsprechung durchführen. Auch diese Maßnahme musste nach der zweiten Monitoring-Runde aufgrund des vorzeitigen Projektendes ausbleiben.
Abbildung 12: Kinderzeichnungen. Eigene Aufnahme
6.4
Methodologische Konsequenzen
Konstruktivistische Analyse Methodologien und Methoden bieten, wie gezeigt wurde, unterschiedliche Erkenntnismöglichkeiten und -grenzen, die zu verschiedenen Ergebnissen führen (Lamnek, 2000). Die Wahl der methodischen Konzeption steht immer in Verbindung mit einem bestimmten Forschungsparadigma. Die Einwände und Bedenken gegenüber der jeweiligen Methodenart basieren auf den gängigen gesellschaftlichen Zweifeln an den Erkenntnismöglichkeiten des anderen Paradigmas. »Die gesellschaftliche Praxis entscheidet also auch sehr weitge189
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hend über die methodologische Gewichtigkeit und Validität einzelner Forschungsmethoden.« (Ebd.: S. 34) Die Repräsentation von Methoden gleicht somit einer Inszenierung, die den Erwartungen verschiedener Forschungsfelder genügen soll. Lamnek weist darauf hin, dass sich die Forschungspraxis, wie auch anhand der untersuchten Projekte deutlich wird, meist noch quantitativer Methoden bedient. Das »Gesetz der großen Zahl« verfügt über mehr Überzeugungskraft (ebd.: S. 31). Qualitative Forschungsmethoden dagegen erfahren oftmals nicht die gleiche Akzeptanz, da statistisch-empirische Befunde im Zweifelsfall ›wissenschaftlicher‹ wirken. Quantitative Methoden scheinen wissenschaftlich valider, da sie auf naturwissenschaftlichen Konstruktionen beruhen, die das Logiksystem von Zahlen in den Vordergrund stellen. Dieses Denken verhindert jedoch den offenen Blick auf Methoden, die anstelle von Zahlen deskriptiv Wirklichkeitsvorstellungen erfassen wollen. Aus konstruktivistischer Perspektive sprechen numerische ›Fakten‹ genauso wenig für sich wie deskriptive, denn beide unterliegen verschiedenen Konstruktionen, die individuell ausgelegt und von organisatorischen Konzepten und Darstellungen geprägt sind (Kieser, 2002c). Das Erkenntnisinteresse ist demnach immer etwas Konstruiertes. Im Vergleich zu quantitativen sind sich qualitative Methoden dieser Problematik bewusst und reflektieren mögliche Einflussfaktoren, die über Interaktionen produziert werden. Besonders die Interaktion während der Datenerhebung beeinflusst die Interpretation von Aussagen beteiligter Akteurinnen. Intensiver Austausch über die jeweiligen Deutungsmuster und Wirklichkeiten ist sehr wichtig, um sich einem einheitlichen Verständnis zu nähern. Mangelnde Kommunikation kann hier fatale Folgen haben. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass während der M&E-Prozesse eine enge, transparente Kooperation zwischen allen Stakeholdern zentral ist, jedoch in der Realität meist nur begrenzt stattfindet. Zwischenergebnisse sowie Abschlussberichte müssen gemeinsam diskutiert werden, um zu verhindern, dass diese auf Missverständnissen beruhen und eine einseitige Sicht repräsentieren, die dem weiteren Projektverlauf keinen Nutzen bringt. Spannungen und das Gefühl des Missverstanden-Werdens treten auf, wenn Kommunikationsprozesse zu sehr von einer Seite, in diesem Fall von externen Gutachterinnen und der Projektleitung, dominiert werden. Die konstruktivistische Perspektive ergibt mehrere Konsequenzen für die methodologische Vorgehensweise bei M&E. Rüegg-Stürm empfiehlt für Studien mit hoher Kontextabhängigkeit und Komplexität »die Anwendung feldnaher und kontextsensitiver Forschungsmethoden« (Rüegg-Stürm, 2003: S. 67). Diese sollen durch Beschreibungen der Realität näherkommen als statistische Erfassungen, die den kontextspezifischen Sinn vernachlässigen. Unter Rückgriff auf Walter-Busch (1996) begrüßt Rüegg-Stürm die Unterscheidung zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene. Auf Mikroebene bieten sich seiner Meinung nach eher interpretative, qualitative Methoden an, die die 190
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Beziehungen der Akteurinnen sowie deren Kommunikationsprozesse einfangen. »Weitwinkelaufnahmen« auf Makroebene dagegen greifen besser auf quantitative Verfahren zurück (ebd.: S. 67). Von zweierlei Dingen gilt es dabei jedoch, Abstand zu nehmen: zum einen von Generalisierungen der Forschungsergebnisse, zum anderen von der Annahme, es ließe sich alles objektiv erfassen. Jean Piaget versteht wissenschaftliche Erkenntnis demnach viel mehr als »konstruktiven Prozess, als Produktion neuer Strukturen (Piaget, 1974: S. 2), nicht als die Aufdeckung von den Objekten angeblich inhärenten Gegebenheiten. Allerdings erfolgen die Konstruktionen nicht losgelöst von der Welt; Kriterium der Richtigkeit ist jedoch keine – wie immer auch geartete – ›Wahrheit‹, sondern die Stimmigkeit im Sinne ihrer erfolgreichen praktischen Bewährung bei der Lösung anstehender Probleme.« (Baitsch, 1993: S. 6; zitiert nach: Rüegg-Stürm, 2003: S. 68)
Gerald Braun fasst das für die Entwicklungszusammenarbeit zusammen: Man kommt zur »Einsicht, dass bestimmte Probleme – und seien sie noch so exakt definiert und durchforscht – prinzipiell nicht lösbar sind (gegen den methodologischen Optimismus). Natürlich bedeutet diese schmerzliche Erkenntnis eine Revision all dessen, woran die Sozialingenieure in Nord und Süd seit drei Jahrzehnten geglaubt haben.« (Braun, 1992: S. 139)
Auch Giddens’ Theorie der Strukturierung weist auf eine methodologische Reorientierung hin (Kieser, 2002e): Akteurinnen sind zwar aktive Subjekte, dennoch ist ihr Handeln durch Strukturen begrenzt. Sozialwissenschaftlerinnen müssen demnach den Wirklichkeitskonstruktionen der Akteurinnen gerecht werden, indem sie deren Wissensbestände und Handlungsgründe rekonstruieren. Das bedeutet, dass nicht nur die Beweggründe für Handlungen handlungstheoretisch zu erfassen sind, sondern genauso deren strukturelle Einbettung systematisch aufzudecken ist. Darin sieht Giddens die kritische Funktion der Sozialwissenschaften, die sich von dem rein subjektiv-interpretativen genauso wie von einem objektiven Paradigma abhebt. Giddens »versucht eine Vermittlung zwischen den Positionen ›Erklären‹ und ›Verstehen‹« (ebd.: S. 366). In der entwicklungspolitischen Praxis bedeutet das eine Kombination von quantitativen und qualitativen Struktur- und Handlungsdaten. Das Klassifikationsschema der Strukturdimensionen fungiert als Orientierungshilfe hinsichtlich der Strukturanalyse. Es ermöglicht eine Berücksichtigung der dialektischen Beziehung zwischen strategischer und institutioneller Analyse (ebd.). Giddens zufolge bilden Sozialwissenschaft und der Untersuchungsgegenstand eine doppelte Hermeneutik. Denn Theorien sind nicht unabhängig von 191
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dem »Bedeutungs- und Handlungsuniversum«, das sie beschreiben (Giddens, 1997: S. 47). Er schlussfolgert, dass keine klaren Trennlinien zwischen soziologischen Reflexionen und damit verbundenen Aussagen von Laien- und Sozialwissenschaftlerinnen existieren. Diese Ausführungen heben die Bedeutung qualitativer Instrumentarien hervor, um den Wirklichkeitskonstruktionen beider Seiten gerecht zu werden. Giddens verweist darauf, dass nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Methoden der doppelten Hermeneutik unterliegen: »Alle so genannten ›quantitativen‹ Daten erweisen sich bei sorgfältiger Betrachtung als Bestandteil ›qualitativer‹ – das heißt kontextuell lokalisierter und indexikalischer – Interpretationen, die situierte Forscher, Kodierer, Regierungsbeamte und andere Personen herstellen […]. Versuche, Skalierungsmaße herzustellen, Auswahlfehler zu vermeiden, konsistente Umfragetechniken herzustellen usw. operieren innerhalb dieser Grenzen. Sie kompromittieren keinesfalls notwendig den Gebrauch quantitativer Methoden, obwohl sie uns zweifelsohne dazu führen, das Wesen quantitativer Daten ganz […] anders zu bewerten.« (Giddens, 1992: S. 390; zitiert nach: RüeggStürm, 2003: S. 66)
Rüegg-Stürm sieht nicht nur eine doppelte, sondern eine multiple Hermeneutik und leuchtet damit die Konstruktionsvielfalt weiter aus. Bei der Interpretation von Forschungsergebnissen gibt es drei »Ebenen«: die der Akteurin, die der Forscherin und die der Leserin. Letztere interpretieren das Gelesene. Jedes Lesen verleiht einem Text neues Leben und neue Interpretation (RüeggStürm, 2003). Die beschriebene Konstruktionsvielfalt führt zwangsläufig zu methodischen Schlussfolgerungen, die anhand eines Vergleichs von quantitativen und qualitativen Methoden im folgenden Abschnitt genauer dargestellt werden.
Vor- und Nachteile quantitativer und qualitativer Methoden Quantitative Methoden zielen darauf ab, die Subjektivität der Forscherin so weit wie möglich zu eliminieren. Aufgrund der Komplexitätsreduktion von quantitativen Methoden lassen sich von einer großen Stichprobengröße zu einigen wenigen Fragen Antworten geben (Rüegg-Stürm, 2003). Das gewährleistet aber nicht immer ein vollständiges Bild. Deutlich wurden die quantitativen Informationslücken auch im Rahmen des empirischen Teils meiner Studie. Während Befragte Machtfragen in den verwendeten Fragebögen kaum ansprachen, kam es in den leitfadenstrukturierten Interviews zur offenen Kritik an Verhaltensweisen anderer Akteurinnen. Die Ethnologin Carola Lentz führt dies auf die »Unangemessenheit quantitativer Verfahren« (Lentz, 1992: S. 338) zurück: Standardisierte Erhebungsinstrumentarien eignen sich, wie sie 192
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zu Recht feststellt, weniger für die Erforschung zentraler gesellschaftlicher Problemfelder wie zum Beispiel Machtstrategien von Eliten oder ethnischen Konflikten. Sie kritisiert in Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit zudem die fehlenden historischen Voraussetzungen für eine sinnvolle Anwendung quantitativer Verfahren. Zensusdaten sind bis heute oftmals unzuverlässig (ebd.). Dennoch sind quantitative Methoden im Rahmen eines Multimethoden-Ansatzes (zahlreiche qualitative ergänzt durch quantitative Informationen) wichtige zusätzliche Informationsquellen (Stockmann, 2000c). Ein Methodenmix ist ideal, um – Giddens entsprechend – aufgrund mehrerer empirischer Vorgehensweisen ein cross-checking von struktur- und akteursorientierten Daten zu ermöglichen. Deutsche Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit haben inzwischen eingeräumt, dass es entgegen positivistischer Vorstellungen nicht immer möglich ist, die Wirkungsweise von Projekten empirisch zu erfassen. Es wird in diesem Fall von einer so genannten Zuordnungslücke gesprochen, die zwischen den Projektwirkungen und anderen Wirkungen steht (GTZ, 2004). Gegen den Dogmatismus, »alles messen zu können«, wehrt sich auch der Psychologe Jürgen Kriz. Er sieht darin eine fatale Reduktion von Komplexität: »Gesellschaftliche Diskurse lassen sich nicht sinnvoll mittels Messmethoden entscheiden. Fast jede Frage von Qualität ist verbunden mit der gesellschaftlichen Pluralität von Werten, Meinungen, Lebensweisen und Lebenszielen, auf die wir gemeinhin stolz sind, da sie uns von totalitären Staaten und Diktaturen unterscheidet. Wir sollten alles tun, nicht im Zuge einer falschen Methodengläubigkeit diese Pluralität durch eine Diktatur des ›einzig richtigen‹ Paradigma zu ersetzen und dabei der Ideologie aufzusitzen, dies sei ein Kennzeichen von Wissenschaft.« (Kriz, 2000: S. 80)
Qualitative Methoden widersetzen sich Objektivitätsansprüchen und Verallgemeinerungen. Sie zielen darauf ab, soziale Wirklichkeit deutend und Sinn verstehend zu erfahren. Dies erfolgt möglichst detailliert, um einen ganzheitlichen Blick auf den Forschungsgegenstand zu erhalten. Dabei steht die Wahrnehmung der Forscherin und seine jeweilige Kommunikation mit dem Gegenüber als dialogisches Verstehen im Mittelpunkt (Fried, 2005). Die Forschenden befinden sich demnach selber in einer Teilnehmerrolle, die es reflektierend zu hinterfragen gilt. Die Ethnopsychoanalyse von Paul Parin, Fritz Morgenthaler und Georges Devereux leistete einen Beitrag zum Verständnis der Eingebundenheit von Datenerheberinnen in die eigene Psychologie, Kultur und Klassenideologie sowie in eigene Werte (Devereux, 1967; Nadig, 1992; Parin/Morgenthaler/Parin-Metthèy, 1971). Diese spiegelt sich in der verbalen und nonverbalen Sprache wider. Das jeweilige Körperverhalten kann 193
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dabei genauso zu Irritationen und Fehldeutungen führen wie das gesprochene Wort. Qualitative Methoden verstehen es, Konstruktionen und Machtachsen durch reflektierte Dialogprozesse offenzulegen und dadurch Kultur- und Ethnizitätsbegriffe sowie die Sex- und Gender-Debatte zu dynamisieren (Nadig/ Reichmayr, 2000). Sie sind daher für M&E im Frauenrechtskontext von besonderer Bedeutung. Gerade in einem interkulturellen Kommunikationsfeld, das durch Globalisierungseffekte beeinflusst ist und immer heterogener wird, ist es entscheidend, auf Mikro- und Mesoebene die verschiedenen Perspektiven und Realitäten einzufangen, zu analysieren und zu reflektieren. Die Komplexität lässt sich anhand der großen Heterogenität der Zielgruppe (zum Beispiel: HIV-positiv/HIV-negativ, gebildet/ungebildet, jung/alt, arm/reich und Mann/Frau) verdeutlichen (Schäfer, 2005). »Daraus folgt, dass Evaluationen sich weniger als wissenschaftliche Autorität in sozialtechnischen Belangen begreifen, sondern besser offen an der Klärung von Interessenskonflikten und Handlungsperspektiven, an der Aushandlung von Zielen und Formen der Umsetzung mitwirken.« (von Kardorff, 2000: S. 244)
Ein kreativer Umgang mit qualitativen Instrumenten wie narrativen Interviews, Zeichnungen oder auch Rollenspielen ermöglicht tiefe Einblicke in die Komplexität der Probleme, die in Interviews aufgrund verbaler Meidungsgebote zum Teil ausbleiben. Rollenspiele zum Beispiel bieten eine offenere Plattform des Austauschs, indem auf Kommunikationsformen anderer Kulturen besser eingegangen werden kann. Um langfristig Einstellungsänderungen erfassen zu können, müssen Interviews in regelmäßigen Abständen bei der gleichen Zielgruppe wiederholt werden. Neben dem Fallbeispiel Malawi haben auch andere Frauenrechtsprojekte bereits erfolgreich mit partizipativen Instrumenten gearbeitet. Die Ethnologin Rita Schäfer zeigt anhand der überregionalen Frauenrechtsorganisation WLSA, dass partizipative Umsetzung von M&E möglich ist, »wenn alle Beteiligten bereit sind, die Kohärenz ihrer integrierten Ansätze immer wieder zu überprüfen und ihre gesamte Arbeit durch strukturierte, partizipative Monitoring- und Evaluationsprozesse selbstkritisch zu begleiten« (Schäfer, 2005: S. 201).
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Umsetzungsrealitäten von Evaluationsparadigmen in der Entwicklungspolitik Ein partizipatives Vorgehen, verstanden als Mitwirkung und Teilhabe aller Stakeholder, entspricht dem Grundsatz einer partizipativen und gendersensiblen Entwicklungspolitik, wie sie auch vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefordert wird (BMZ, 1999, 2002a). Für das Initiieren nachhaltiger Prozesse ist Innovations- und Problemlösungspotential der Zielgruppe gefragt und notwendig. Die aktive Teilnahme an der Entwicklung und Umsetzung von M&E steigert die Motivation der Zielgruppe, das Problemlösungs- und Innovationsverhalten sowie die Akzeptanz der Projektaktivitäten. Obwohl das BMZ eine Integration von Zielgruppe und Partnerinnen fordert, greift die Mehrheit der M&E-Systeme in den Untersuchungsgebieten trotz partizipativer Umsetzungsmühen und Bestrebungen anstelle von verstärkt partizipativ-qualitativer Methoden weiterhin primär auf klassische quantitative Methoden zurück. Die Integration der Partnerinnen scheitert oft an hierarchischen Strukturen innerhalb der Institutionen. Partizipation kann nicht wie gefordert umgesetzt werden, da die entwicklungspolitischen Strukturen, administrativen Prozesse und Machtverhältnisse bzw. Abhängigkeiten zwischen den Gebern und Partnerinnen das in dieser Form nur begrenzt zulassen. Technokratische Verwaltung und Management von Projektmaßnahmen inklusive des festgelegten Zeitrahmens entsprechen nicht dem für Partizipation nötigen flexiblen Prozesscharakter (Schoop, 1992). Zeit- und Kostenfaktoren halten Projektleiterinnen meist davon ab, verstärkt auf qualitative Methoden zurückzugreifen. Da die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit immer mehr auf die Makroebene ausgerichtet ist, wird zwangsläufig auf quantitative Daten in Form von nationalen Statistiken zurückgegriffen. PRA-Instrumente sind bis jetzt für die regionale und nationale Erfolgsbewertung meist nicht geeignet. Trotzdem bleiben die Forderungen nach partizipativer Projektplanung und Umsetzung weiter bestehen und sind unter anderem eine Herausforderung für große Armutsminderungsprogramme auf Makroebene. Doch partizipative Methoden sind nicht nur strukturell beeinflusst. Ihre Umsetzung ist auch abhängig von Akteurinnen, Projektleitung und Gutachterinnen. Um erfolgreich mit partizipativen Methoden wie PRA arbeiten zu können, bedarf es einiger Übung und Erfahrung. Die Rolle der Datenerheberin als Initiator eines Diskussionsprozesses darf nicht verwechselt werden mit der klassischen Rolle von Erheberinnen. PRA birgt zudem einige Nachteile, die es zu berücksichtigen gilt (Bliss, 1996). Partizipative Maßnahmen können die Zielgruppe überfordern, ›aufgestülpt‹ wirken und damit ins Gegenteil abrutschen – und erneut die westliche Dominanz der entwicklungspolitischen Debatte repräsentieren (Rauch, 1998, 2002; Kohl, 1999; Beckmann, 1997). 195
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Partizipative Methoden sind in der Tat zeitaufwendiger, da sie Prozesscharakter besitzen. Man muss daher beachten, dass die Datenerhebung nicht eine zusätzliche Belastung für alle Teilnehmerinnen wird. Ein weiterer Kritikpunkt ist die in der Literatur gerne heruntergespielte, aber dennoch immer wieder auftretende Überforderung der Bevölkerung im Umgang mit den auf Selbstständigkeit und kritischer Selbstreflexion basierenden Methoden. Deshalb ist ein regelmäßiges cross-checking der Daten im Verlauf der Erhebung wichtig, erweist sich aber aufgrund seines Konfliktpotentials als nicht unproblematisch. Werden zum Beispiel Frauen- und Männergruppen gemischt, besteht kultur- und wertebedingt die Gefahr einer einseitigen männlichen Dominanz. Aber auch innerhalb gleichgeschlechtlicher Gruppen kommt es zu Hierarchien und Machtdifferenzen. Ähnliches gilt für Gruppendynamiken. Selbst erfahrene Moderatoren stoßen bei dem Versuch, Schüchterne zum Reden zu bringen und den Redestrom von Selbstbewussten zu bremsen, an ihre Grenzen. Gegenüber Machtdimensionen sind PRA-Methoden, wie sich zeigt, oftmals zu ›blauäugig‹. Zudem fehlt nicht nur von westlichen Gutachterinnen, sondern auch von lokaler Seite die Bereitschaft, selber partizipative Erhebungen im ländlichen Raum umzusetzen, da etwa einfache Unterkünfte in Kauf genommen werden müssen. Weilenmann zeigt an einem Beispiel aus der Entwicklungszusammenarbeit in Ghana, dass lokale Mitarbeiterinnen eines Projektes nicht bereit waren, selber ins Feld zu gehen, da das ›unter ihrem Niveau‹ sei (Weilenmann, 2004). Das konstruktivistische Paradigma dominiert in den Untersuchungsregionen die Vorgehensweise bei Monitoring-Aktivitäten. Eine Mischung aus emanzipatorischem und konstruktivistischem Paradigma ist in Projekt B/2 anzutreffen, das jedoch aufgrund der vorzeitigen Beendigung nicht voll zum Tragen kommen konnte. Die einseitigen entwicklungspolitischen Machtstrukturen, die die deutsche Seite über den Verlauf eines Projektes entscheiden lässt, konterkarieren jedoch die Versuche partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse besitzt Wolfgang Schoops Aussage heute genauso wie 1992 Gültigkeit: »Auch in der nicht-staatlichen Zusammenarbeit wächst der Druck, über verwendete Projektmittel Rechenschaft ablegen zu müssen. Doch werden überkommene Formen der Projektprüfung und -kontrolle (externe Evaluationen) weder dem spezifischen Verständnis von Partnerschaft noch dem umfassenden Begriff von Entwicklung gerecht, der auch kulturelle und politische Dimensionen einschließt. Gerade vor dem Hintergrund zunehmend differenzierter Programme werden gemeinsame Wirkungsbeobachtungen notwendig, die die betroffenen Bevölkerungsgruppen und ihre Förderorganisationen in vollem Umfang einbeziehen. Dank diesem Vorgehen kann die Planungs- und Reflexionsfähigkeit der Partner gesteigert und ihre Bereitschaft geweckt werden, die Ergebnisse der gemeinsamen Evaluation auch wirklich umzusetzen.« (Schoop, 1992: S. 378) 196
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Trotz der Bemühungen in den Untersuchungsgebieten, Partnerinnen einzubeziehen, scheitern diese nach wie vor an den beschriebenen Strukturen. Datenerhebungen fungieren als Teil eines technokratischen Prozesses, der dem Management des Projekts dienen soll. Das hemmt Partizipation bzw. »Empowerment«. Es ist meiner Meinung gar nicht immer notwendig und sinnvoll, Akteurinnen im Rahmen von Evaluationen vollständig zu ›empowern‹, indem sie für Analysezwecke mobilisiert werden. Ich spreche mich damit auch gegen eine Parteinahme im Rahmen eines handlungsorientierten Paradigmas aus, wie es 1978 die Soziologin Maria Mies für die Frauenforschung forderte.3 Für mich steht vielmehr ein Austausch im Vordergrund. Das strukturell bedingte Machtungleichgewicht führt derzeit jedoch dazu, dass klassisch-westliche Methodenansätze die gesellschaftliche Konstruktion von Wissen und die damit verbundene methodische Vorgehensweise dominieren (Lachenmann, 1991). Dem westlichen Wissensbestand fällt damit mehr Aufmerksamkeit zu als anderen. Alltagswissen steht, wie Lachenmann betont, so genanntem Expertenwissen gegenüber. Im Rahmen von M&E trifft traditionelles Evaluationswissen in Form von Expertinnen auf das lokale Wissen. Genau dieses lokale Wissen gilt es jedoch anzuerkennen und aufzunehmen. Alle Akteurinnen müssen als vollwertige, aktive Subjekte und nicht als passive Informantinnen in den M&E-Prozess der Datenerhebung mit integriert werden. Zudem sind die Partnerinnen in Begrifflichkeiten, Methoden und Konzepten auszubilden, damit sie auch nach Projektende in der Lage sind, ihre Situation und die Wirkungsweisen der Maßnahmen kritisch zu reflektieren. M&E muss dazu dienen, anhand von quantitativen – aber besonders auch angepassten partizipativqualitativen – Methoden Rückmeldungen von Akteurinnen zu erhalten, die dann in einen Prozess gegenseitigen Austauschs von Deutungsmustern eingehen. So können heterogene Realitäten der einzelnen Akteurinnen in einem interkulturellen Umfeld eingefangen werden, um dann gemeinsam zukünftige Handlungsweisen zu planen, umzusetzen – und damit Strukturen zu ändern. Das entspricht der von Guba und Lincoln geforderten Evaluation der »vierten Generation«, welche aus konstruktivistischer Sicht argumentiert, aber auch emanzipatorischen Einflüssen folgt (Guba/Lincoln, 1989; Balzer, 2005). Statt 3
Maria Mies lehnte an die Aktionsforschung ihre »Methodischen Postulate zur Frauenforschung« an, die darauf abzielten, über bewusste Parteinahme durch die Forscherinnen die Situation der Untersuchungsteilnehmerinnen zu verbessern (Mies, 1978). Inzwischen wurden diese Postulate von der Frauenforschung als Entgrenzungen von Wissenschaft und Politik (Behnke/Meuser, 1999) sowie von Wissenschaft und Privatleben (Döring, 2001) kritisiert. Der alleinige Fokus auf Unterdrückungserfahrungen von Frauen schränkt Frauenforschung ein und reduziert den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Behnke und Meuser zeigen, dass unter anderem diese Kritik zu einer Weiterentwicklung in die weniger einseitige Geschlechterforschung führte, die die wechselseitigen Beziehungen zwischen Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen zum Ziel haben. 197
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Bewertungen durch Einzelne vorzunehmen, stellen sie die Integration möglichst vieler Beteiligter, die die Evaluation abhängig von ihren Interessen mitsteuern sollen, in den Vordergrund. Evaluatorinnen sollen demnach Beteiligte in den Evaluationsprozess einbeziehen und ihnen beratend zur Seite stehen (Balzer, 2005). Dieses partizipative Vorgehen ermöglicht es, sozial konstruierte Realitäten anhand quantitativer, aber besonders auch qualitativer Methoden zu beschreiben. Anschließend wird im Rahmen eines transparenten, konsensorientierten Dialogs gemeinsam eine abschließende Bewertung erzielt (ebd.). Bevor emanzipatorisch-transformative Evaluationen in der Entwicklungszusammenarbeit überhaupt realistisch möglich sind, muss in der Entwicklungspraxis zunächst eine Erfolgsbeobachtung gemäß den Vorstellungen von Guba und Lincoln erreicht werden. Letztlich ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch qualitativ-partizipative Methoden bei der Messung von Bewusstseinsänderungsmaßnahmen an ihre Grenzen stoßen. Es stellt sich prinzipiell die Frage, inwieweit langfristige Bewusstseins- und Verhaltensänderungen von Frauenrechtsprojekten methodisch in aller Tiefe ermittelt werden können. Quantitative und, wie ich zeigte, besonders auch qualitative Instrumente lassen Wissen über rechtliche Rahmenbedingungen zwar erkennen – wie dieses Wissen jedoch konkret in der Praxis angewendet wird, ist nur über intensive Langzeitstudien erfassbar. Die Struktur der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sieht eine eng gefasste, zeitliche Begrenzung der finanziellen Förderung vor und verhindert dadurch eine konsequente Wirkungsbeobachtung. Ob Rechtsverhalten geändert und das Rechtspotential von der Zielgruppe gesehen wird, kann aufgrund der gegebenen technizistisch ausgerichteten EZ-Struktur, die in diesem Fall nicht auf Nachhaltigkeit angelegt ist, nur begrenzt festgestellt werden. Neben diesen Aspekten beeinflussen zudem gesellschaftliche, politische und soziale Faktoren wie HIV/AIDS, Naturkatastrophen oder Putschversuche Maßnahmen, Projekte und Programme der Entwicklungszusammenarbeit und ihre Wirkungsmessung. Eine klare Wirkungszuordnung ist und bleibt aufgrund struktureller und akteursorientierter Einflussfaktoren methodisch eingeschränkt.
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7 Zusammenfassende Schlussbetrachtung und Ausblick
»Wer aus der Vergangenheit lernt, kann in Zukunft besser werden.« (BMZ, 2006b) Diesem Satz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entsprechend ist die auf Wirkung ausgerichtete Erfolgskontrolle heute mehr denn je zentral für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit den Vorgaben im Alltag der Entwicklungszusammenarbeit nachgekommen wird bzw. gefolgt werden kann. Ziel meiner Studie war daher, die Umsetzungsrealitäten von auf Wirkung ausgerichtetem M&E in Frauenrechtsprojekten zweier deutscher Geberorganisationen zu untersuchen. Im Fokus stand dabei die Frage, ob der in Regelwerken festgehaltene konzeptionelle Anspruch von M&E im Projektalltag von Frauenrechtsprojekten wiederzufinden ist und welche Faktoren die Umsetzung beeinflussen. Theoretisch galt das Forschungsinteresse der Anwendbarkeit der Strukturierungstheorie von Anthony Giddens und ihrer Eignung für organisationstheoretische Analysen im Kontext der Evaluationsforschung. Als Vorgehensweise wählte ich eine komparative Analyse der unterschiedlichen M&E-Systeme zweier EZ-Organisationen. Die Untersuchungseinheiten waren auf Mikro- und Mesoebene ausgerichtete Monitoring-Systeme dreier Frauenrechtsprojekte in Tansania, Sambia und Malawi, die jeweils von einer der beiden Trägereinrichtungen gefördert wurden. Die Analyse der M&E-Systeme umfasste auch die an Erfolgskontrolle gebundenen, verbindlichen Querschnittsthemen »Partizipation« und »Gender«. Methodisch arbeitete ich primär mit halbstrukturierten Leitfadeninterviews. Diese fanden mit Akteurinnen auf vier organisationsinternen Ebenen statt: der Zentrale in Deutschland, der deutschen Projektleitung im Partnerland, den deutschen und lokalen Mitarbeiterinnen sowie den lokalen Partnerinnen. Die erhaltenen Daten ergänzte ich durch Ergebnisse eines Fragebogens, verschiedener Ak199
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tenanalysen sowie Beobachtungen. Die Erhebung basiert auf einer empirischen Doppelsicht: Sie ist emisch und etisch zugleich. Zum einen besuchte ich als Beobachterin die Untersuchungseinheiten, um die verschiedenen Umsetzungsformen der Wirkungsbeobachtung ›von außen‹ kennen zu lernen und Interviews zu führen. Zum anderen entwickelte ich für das Projekt in Malawi ein Monitoring-System und erlebte damit die verschiedenen Phasen (Planung, Implementierung und Analyse) der Wirkungsbeobachtung aus Sicht einer Gutachterin. Die Kombination beider Ansätze erwies sich als sehr hilfreich, um strukturelle Bedingungen sowie Interaktionen aus zwei Perspektiven zu ermitteln. Ziel der Untersuchung war es nicht, die gewählten Organisationen zu bewerten, sondern über eine Mehrebenenanalyse die verschiedenen Blickwinkel aller Beteiligten zu erfassen. Diese Studie ist somit eine Fallbetrachtung, die nicht den Anspruch auf Generalisierbarkeit erhebt. Ich argumentierte aus konstruktivistisch-strukturierungstheoretischer Sicht und diskutierte vor diesem Hintergrund die Eignung von organisationstheoretischen Ansätzen. Abschließend wählte ich Anthony Giddens’ Theorie der Strukturierung als Analyserahmen, da sie es ermöglicht, die dialektische Verbindung von Akteurinnen und Struktur aufzuzeigen. Gemäß der Strukturierungstheorie beleuchtete ich vor dem Hintergrund der M&E-Vorgaben die Interdependenzbeziehungen zwischen Struktur- und Handlungsebene anhand der drei sozialen Dimensionen »Legitimation« (normative Ordnung, ›korrektes Handeln‹), »Signifikation« (kognitive Ordnung, Bedeutungszuweisung) und »Herrschaft« (autorative und allokative Ressourcenformen). Der Fokus der Analyse lag auf den Handlungsweisen, denn sie verdeutlichen, so Giddens, die jeweiligen sozialen Praktiken, das heißt die dominierende, regelhafte Ordnung (Becker, 2001). Wie die Austauschprozesse bei M&E zwischen allen Beteiligten genau aussehen, erklärte ich mit Hilfe der Modalitäten, die zwischen Struktur und Interaktion vermitteln. Da ich eine differenzierte Analyse der ressourcenabhängigen (Re-)Produktion von Strukturen gewährleisten wollte, was mit Giddens nur eingeschränkt möglich ist, ergänzte ich die Strukturierungstheorie um den mikropolitischen Ansatz von Ortmann und Kollegen (Ortmann et al., 1990; 2000; Ortmann, 1995). Es ist sinnvoll, die Ergebnisse in Bezug zu der vom BMZ im Jahr 2001 in Auftrag gegebenen Studie des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) zu setzen, welche die aktuellen Reformbemühungen hinsichtlich der Erfolgskontrolle analysierte. Die HWWA-Studie kam zu dem Ergebnis, dass in den letzten Jahren konkrete Anstrengungen unternommen wurden, die Wirkungsbeobachtung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern. Dies belegen Umstrukturierungen innerhalb der untersuchten Organisationen sowie die Einführung neuer Konzepte und Leitlinien (Borrmann et al., 2001). Die Studie weist aber auch auf Mängel und damit verbundenen Handlungsbedarf hin. Problematisch erscheinen besonders die Abhängigkeit 200
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von Selbstevaluationen, methodische Probleme sowie eine unbefriedigende Einbeziehung der Partnerinnen und Zielgruppen in Lernprozesse. Die aufgeführten Mängel decken sich mit den Ergebnissen dieses Buches. Auch vier Jahre nach der Veröffentlichung der HWWA-Studie sind die genannten Schwachpunkte nicht beseitigt. Dennoch gibt es bei allen drei Projekten Bemühungen, den Forderungen des BMZ sowie der Beteiligten auf der Projektebene zu entsprechen. Die untersuchten Organisationen arbeiten sowohl in den Zentralen als auch vor Ort an der Verbesserung ihrer Wirkungsbeobachtung. Organisation A implementierte ab 2005 als Reaktion auf die Ergebnisse der ersten Datenerhebung dieser Studie zahlreiche M&E-Workshops, in denen zusammen mit den Partnerinnen Begrifflichkeiten, Konzepte und geeignete Methoden diskutiert wurden. Organisation B erklärte die Wirkungsbeobachtung inzwischen mehrmals zum Jahresziel und bietet mittlerweile neben weiterentwickelten Leitlinien Fortbildungsprogramme für Mitarbeiterinnen und Gutachterinnen an. Doch obwohl die Bereitschaft zur Umsetzung und Weiterentwicklung der Wirkungsbeobachtung auf allen Ebenen vorhanden ist, wurden Vorgaben oftmals nicht – wie zunächst erwartet – umgesetzt. Die Analyse der Interviews verdeutlicht Gründe dafür. Auffällig ist zunächst, dass sich die Aussagen der Interviewpartnerinnen in zwei Haupttypen unterteilen lassen: den Typus »deutsche Auslandsmitarbeiterinnen« und den Typus »tansanische, malawische und sambische Mitarbeiterinnen und Partnerinnen«. Unterschiede verlaufen somit primär entlang der konstruierten Ungleichheitsdimensionen »nationale Herkunft«, hier verstanden als europäischer bzw. ost- und südafrikanischer Hintergrund, und der damit verbundenen Arbeitsebene. Diese wirken sich sowohl auf das Begriffsverständnis als auch auf die methodische Herangehensweise und das Mitbestimmungsrecht zwischen den Organisationen aus. Westliche Vorstellungen von konzeptionellen Ansätzen, Vorgehensweisen und Schlüsselthemen wie M&E oder auch Gender dominieren die Entwicklungszusammenarbeit. Alle einheimischen Kolleginnen klagen über die Einschränkung ihres Handlungsspielraums durch westliche Regelwerke. Evers, Kaiser und Müller fassen in ihrer Veröffentlichung über »Entwicklung durch Wissen« die beschriebenen Machtverhältnisse treffend zusammen. Sie verweisen darauf, dass trotz partizipativ orientierter Vorgaben das »world-ordering-knowledge« des Westens weiterhin die Entwicklungszusammenarbeit dominiert, wie an der Hierarchisierung von lokalem Wissen und Expertenwissen deutlich wird (Evers/Kaiser/Müller, 2003: S. 69). Die Mechanismen der Entwicklungsplanung über Wissensmanagementstrukturen haben es demnach nicht geschafft, den Zugang zu lokalem Wissen und den damit verbundenen komplexen Machtverhältnissen zu öffnen (ebd.). Herrschaftsstrukturen drücken sich hinsichtlich M&E über Deutungsmuster, Normensysteme und Ressourcenverwaltung aus. M&E ist Teil eines fort201
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laufenden Aushandlungsprozesses, der nur begrenzt demokratisch verläuft, da er von Stabstellen der Geber dominiert wird. Materielle und menschliche Ressourcen spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Die Frage nach der finalen Durchsetzungsfähigkeit der an diesen Aushandlungsprozessen Beteiligten gibt Auskunft über existente Herrschafts- und Machtdimensionen (Weilenmann, 2004). Die Ressourcenverteilung garantiert die Dominanz westlicher Geber, die entscheiden, welches Projektrecht in dem jeweiligen Vorhaben Gültigkeit besitzt. Die Partnerinnen geraten so zu mehr oder weniger ›passiven Nehmern‹, die das ihnen Angebotene nur noch vollziehen können. Die Herrschaftsstrukturen stehen in rekursiver Verbindung mit den Handlungsspielräumen der Akteurinnen, die unter den gegebenen Rahmenbedingungen danach streben, ihre eigene Rolle zu sichern bzw. auszubauen. Macht basiert in diesem Fall auf oberflächlichem Konsens: Die Strukturen des Nordens werden nach außen hin unterstützt, um den eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Trotz Bedenken und Kritik steht letztlich jedoch der Erhalt bzw. die Verbesserung des persönlichen und familiären Lebensstandards im Vordergrund. Die Durchsetzung westlicher Signifikations- und Legitimationsunterschiede wirkt sich erschwerend auf die Planung und Implementierung von M&E aus. Da Betroffene M&E-Konzepte oftmals nicht wie vorgeschrieben partizipativ miteinander aushandeln, kommt es zu verschiedenen Gewichtungen sowie Auslegungen und dadurch zu einer nicht geplanten Umsetzungsvielfalt. Weilenmann bringt dies auf den Punkt: »Auch im Hinblick auf die von Entwicklungsbürokratien so vehement geforderte Partizipation bleibt der Eindruck zwiespältig. Denn anstatt die Akteure an einer wirklichen Partizipation teilhaben zu lassen, haben sich diese an einer von den Geberländern verordneten Partizipation zu beteiligen.« (Ebd.: S. 40)
Die theoretischen Ideale besonders bezüglich partnerschaftlicher M&EProzesse decken sich nicht mit der Projektpraxis. Partizipation ist vielmehr Mittel zum Zweck und somit ein Instrument, »das ein schnelles, reibungsloses und möglicherweise sogar kostengünstigeres Procedere gewährleisten soll« (Fremerey, 1993: S. 17). Wollen Organisationen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Partizipation ernst nehmen, muss es zu strukturellen Veränderungen kommen, wie sie Argyris und Schön in Form von »double-looplearning« fordern (Argyris/Schön, 1978). Fremerey sprach bereits 1993 über notwendige strukturelle Modifikationen, die bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt haben: »[Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit] müßte vieles in Frage stellen, was bis heute zu ihren wesentlichen Merkmalen gehört: das extern gespeicherte Wissen über die ›richtigen Lösungen‹; die weitgehend diesem folgende Planung von Projektzie202
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len und -inhalten; den Rückgriff auf schnell verfügbare externe Ressourcen; die Sicherheit über Projektlaufzeiten und Mittelallokationen; die Kontrollierbarkeit des ›Projektfortschritts‹, um nur einige zu nennen.« (Fremerey, 1993: S. 18)
Strukturelle Ungleichheiten der Vergangenheit und Gegenwart spielen eine wesentliche Rolle in Aushandlungsprozessen und der damit verbundenen Umsetzung. Das Verständnis von Entwicklung, Kommunikation und Zusammenarbeit hängt von globalen Machtverhältnissen ab. Sie entscheiden, wer entwicklungspolitische Konditionierungen einfordern kann und wer sie akzeptieren muss. Neben diesen Rahmenbedingungen, dem so genannten »stummen Zwang der Verhältnisse« bzw. der sozio-kulturellen »Hardware« müssen, nach Giddens, jedoch genauso Aushandlungsprozesse auf Akteursebene berücksichtigt werden (Eickelpasch, 2001: S. 53). Die Interviewaussagen vermitteln den Eindruck, dass diese Prozesse wesentlich an scheinbar kulturell determinierte Rollenerwartungen gebunden sind. Unter Rückgriff auf postkolonialistische Diskurse widerspreche ich dem und argumentiere antiessentialistisch, dass über »doing differences« scheinbare Gruppenzugehörigkeiten ausgehandelt und für die jeweils eigenen Zwecke und Interessen instrumentalisiert werden (Eickelpasch, 2001). In den Untersuchungsgebieten dieser Studie sind der strukturell begründete Arbeits- und Lebensstil und der damit verbundene materielle und organisationsinterne Status von deutschen und afrikanischen Mitarbeiterinnen einer der Hauptgründe für gegenseitige Konstruktionen. Diese stehen in deutlichem Kontrast zueinander und führen zu unterschwelligen Konflikten. Unter Rückgriff auf Pierre Bourdieu lässt sich von einem Expertinnen- und einem lokalen Mitarbeiterinnen-Habitus sprechen, der aber nicht ethnisch begründet ist, sondern von der Ressourcenverteilung abhängt. Scheinbar kulturelle Muster werden vorgeschoben, um strukturelle Grundprobleme, die die Umsetzung von M&E beeinflussen, ignorieren zu können. Dem dialektischen Prinzip der Strukturierungstheorie zufolge sind die Akteurinnen den Strukturen nie vollkommen ausgesetzt. Das gilt auch für die bei vielen Organisationen typische, ungleiche Verteilung von Ressourcen. M&ELeitlinien bekommen demnach erst dann strukturalen Charakter, wenn Handelnde sie reproduzieren. Die mikropolitische Erweiterung der Strukturierungstheorie nach Ortmann hilft dabei, die Reaktion auf M&E-Vorgaben zu erklären und das Politikhafte in M&E-Prozessen zu verdeutlichen. Technizistische Rationalitätsvorstellungen werden dadurch entkräftet. Stattdessen verweisen mikropolitische Theorien auf kontingente Handlungsweisen, Strategien und Taktiken von Akteurinnen, die in alltäglichen sozialen Beziehungen versuchen, ihre individuellen Interessen durchzusetzen. Ihr Handeln ist dabei einerseits von Struktur- und Systemzwängen eingeschränkt, konstituiert und reproduziert diese andererseits jedoch. Anhand mikropolitischer Analysen des 203
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Handelns von Mitarbeiterinnen in einer Organisation wird deutlich, dass gewünschte organisationsinterne Rationalitätsbestrebungen an einer Vielzahl subjektiver Rationalitäten scheitern. Organisationen sind geprägt von mikropolitischen Prozessen und müssen daher verstanden werden als »Arenen heftiger Kämpfe, heimlicher Mauscheleien und gefährlicher Spiele« (Küpper/Ortmann, 1988: S. 7). Akteurinnen versuchen, ihre Interessen in Aushandlungsprozessen mit Hilfe sozialer Allianzen durchzusetzen. Sie taktieren bewusst und sind in der Lage, abhängig von der Ressourcenverteilung strategisch Entscheidungen zu treffen. Das mikropolitische Handeln wird an den Handlungsweisen der Interviewpartnerinnen sichtbar. Sowohl deutsche Befragte als auch ihre afrikanischen Partnerinnen meiden offene Konfrontationen. Stattdessen leben sie strukturelle Ungleichheiten über kulturelle Generalisierungen und subversives Handeln sowie defensive Kommunikation aus. Die Akteurinnen reagieren aus Unsicherheit wie auch aus eigenem Interesse heraus mit der Produktion und Reproduktion pauschalisierender, kultureller Konstruktionen. Unterschiede werden über Rückgriffe auf überkommene Stereotype und Vorurteile auf der Handlungsebene mit postkolonialen, kapitalistischen und entwicklungspolitischen Erfahrungen auf der Strukturebene verarbeitet und führen oftmals zu gegenseitigen Missverständnissen. Der mikropolitische Ansatz verdeutlicht jedoch auch, dass innerhalb der hier identifizierten Typen heterogene Verhaltensweisen existieren. Der unterschiedliche Hintergrund hinsichtlich Bildung, Wissen, Erfahrungen, Herkunft, Geschlecht oder Alter und die damit verbundene Prägung beeinflussen das Verhalten der Akteurinnen und führen zu individuellen Strategien innerhalb von Allianzen, auf die in einer ergänzenden Studie differenzierter eingegangen werden sollte. Die Akzeptanz von Schlüsselkonzepten, Vorgehensweisen und Managementinstrumenten wie M&E findet nur oberflächlich statt. Der offizielle Projektkreislauf ist somit zwar nach außen stabil, nach innen gesehen besteht er jedoch aus machtabhängigen Aushandlungsprozessen strategischer Gruppen, die über unterschiedliche Ressourcen verfügen. Diese Handlungsweise ist auch in anderen Regionen anzutreffen. In der Ukraine äußerte sich ein Interviewpartner während einer Studie über externe Berater folgendermaßen: »Sie tun so, als ob sie uns helfen und wir tun so, als ob uns geholfen wird.« (Zimmer, 2003: S. 144) Zahlreiche Managementtheorien beschäftigen sich bis heute mit der Frage, wie Steuerungs- und Strukturierungsmaßnahmen zu planbarer Effizienzsteigerung und Zielerreichung führen können. Die mikropolitische Ergänzung verdeutlicht jedoch, dass die Umsetzungen von neuen Organisationsvorgaben und damit verbundenen Veränderungen nicht nach rationalen Vorstellungen ablaufen. Wie auch die Strukturierungstheorie widerspricht sie systemtheoretischen Ansätzen, die die Unplanbarkeit mit der Trägheit des Systems erklärt, das sich gegen Neuerungen von außen zur Wehr setzt. M&E-Vorgaben besit204
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zen demnach nur begrenzt Relevanz, da sie außerhalb der Systemgrenzen der Beteiligten liegen. Vorliegende Ergebnisse zeigen jedoch, dass anstelle von systemtheoretischen Begründungen die Berücksichtigung von Akteurinnen verschiedener Ebenen und den mit ihnen verbundenen Machtdimensionen entscheidend für die Analyse von M&E-Dynamiken sind. Handlung und Struktur beeinflussen nicht nur die Konzeption, Umsetzung und Analyse von M&E, sondern auch deren methodische Vorgehensweise. Systemorientierte Organisationstheorien, die dies nicht berücksichtigen, sind unvollständig. Das gilt für empirische wie theoretische Forschungsarbeiten gleichermaßen. »Der Vorwurf der mangelnden Einbeziehung realer Organisationsverhältnisse trifft auch auf die wissenschaftliche Diskussion zu. So sind beispielsweise empirische Untersuchungen, die machtpolitische Aspekte in ihrer Analyse berücksichtigen, bislang noch selten.« (Hanft, 1995: S. 9)
Evaluationsforschung sollte sich daher in Zukunft verstärkt der Wahrnehmung von machtgebundenen Hemm- und Förderfaktoren eines Projekts zuwenden. Die Anwendung von der durch Ortmann et al. erweiterten Strukturierungstheorie bietet konkrete Analysehilfe bei der Untersuchung und Erklärung des Handelns von und in Organisationen. Das gilt auch für Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, die einen besonderen Typen darstellen, da sie entwicklungs- und nicht marktorientiert ausgerichtet sind. Der gewählte theoretische Analyserahmen ermöglicht es, die auch in EZOrganisationen gegebene Vielfalt gesellschaftlicher Konstruktionen von Organisationen, ihrer Regelwerke und Machtverhältnisse aufzuzeigen. Die dialektischen, vertikalen und horizontalen Austauschprozesse zwischen Akteurinnen und Struktur können herausgearbeitet werden, obwohl strukturelle und organisationelle Rahmenbedingungen sonst nur schwer zu erfassen sind. Sozial konstruierte Ressourcenformen sind nicht direkt ersichtlich, sondern existieren in den Köpfen von Akteurinnen und müssen aus ihrem Handeln erschlossen werden (Küpper/Felsch, 2000). Giddens’ Theoriekonzept hat in der Fachwelt nicht nur Unterstützung, sondern auch Widerspruch hervorgerufen. Die Hauptkritik richtet sich mit Recht auf Ungenauigkeiten hinsichtlich der verwendeten Terminologie (Held/Thompson, 1989; Bryant/Jary, 1991; Craib, 1992). Diese machen es Empirikern schwer, die benutzten Begrifflichkeiten mit Inhalt zu füllen. Ortmann, Windeler und Sydow kritisieren des Weiteren, dass die Mechanismen der Vermittlung, die die Ebene der Modalitäten in den Vordergrund rücken, zu wenig Berücksichtigung finden (Ortmann/Sydow/Windeler, 2000). Die Analyse autorativer und allokativer Ressourcenformen weist, wie auch meine Ergebnisse zeigen, auf analytische Schwächen der Strukturierungstheorie hin. 205
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Giddens’ Trennung in Regeln und Ressourcen übersieht Austauschprozesse zwischen den Ressourcenformen sowie innerhalb der genannten Dimensionen und ist analytisch unausgereift. Sie basiert auf einem zu eng gefassten Machtbegriff, der es nicht vermag, die Rolle von Regeln in Bezug zu Herrschaftsstrukturen zu setzen. Ortmann und Kollegen füllen diese theoretische Lücke anhand der Verbindung von Strukturierungstheorie und Mikropolitik. Die mikropolitische Ergänzung bettet Regeln, das heißt Formen der Signifikation und Legitimation, in Herrschaftsstrukturen ein. Neben dieser wichtigen Ergänzung von Ortmann et al. gebe ich Funken Recht, die moniert, dass Geschlecht als Ungleichheitskategorie in der Strukturierungstheorie ignoriert wird. Die Frage nach der Rolle des Geschlechts für Handelnde und die sich daraus für die Akteurin ergebenden Folgen bedarf theoretischer Erweiterung (Funken, 2004). Gregson kritisiert schließlich, dass Giddens’ Theorie der Strukturierung für die empirische Forschung keine Gültigkeit besitzt, da sie zu abstrakt sei (Gregson, 1989). Dem widerspreche ich; meiner Meinung nach bietet sie ein sinnvolles Analyseraster, welches den empirischen Blick für die Dualität von Strukturen und M&E-Prozessen öffnet. Zahlreiche Studien zeigen, dass es sich durchaus mit Empirie füllen lässt (Ortmann et al., 1990; Walgenbach/Kieser, 1995; Hanft, 1995; Bryant, 1999). In der vorliegenden Studie erwies sich besonders das Modell der sozialen Dimensionen – trotz seiner unausgereiften Definitionen – als hilfreich, um hinsichtlich der Wirkungsbeobachtung der EZ-Projekte die rekursiven Prozesse zwischen Interaktionen und strukturellen Rahmenbedingungen auf verschiedenen Ebenen innerhalb einer Organisation analysieren und damit Chancen und Grenzen von M&E aufzeigen zu können, denn es ermöglicht die Sicht auf ein Phänomen von zwei Seiten. Der unkonventionelle Umgang mit unterschiedlichen, sich oftmals ausschließenden Theorien erlaubt es Giddens, verschiedene theoretische Schulen erfolgversprechend miteinander in Austausch zu setzen, Zusammenhänge aufzuweisen und damit neue Wege zu gehen. Dies trägt zur Überwindung der Gegensätze objektivistischer und subjektivistischer Theorien bei (Kieser, 2002e). Den Vorwurf des Eklektizismus empfinde ich daher als nicht gerechtfertigt (ebd.). Als zentral bei Giddens sehe ich seine Definition der reflektionsfähigen Akteurinnen und deren Produktions- und Reproduktionsweisen von Strukturen. Sie widerspricht zu Recht den technokratischen Rationalitätsvorstellungen vieler Managementtheorien. Machtdynamiken und strukturelle Rahmenbedingungen geraten stattdessen in den Vordergrund. Diese Studie unterstreicht die Notwendigkeit, Evaluationsforschung theoretisch und empirisch verstärkt in die Organisationssoziologie zu integrieren. Sie ist somit keinesfalls als ein abschließendes Werk zu verstehen, sondern vielmehr ein Beitrag zur strukturierungstheoretischen Analyse der Evaluationsforschung in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Ergebnisse zeigen, 206
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dass strukturell bedingte und über Interaktionen reproduzierte Machtdynamiken und Abhängigkeitsverhältnisse die Wirklichkeitskonstruktionen beeinflussen. Sie prägen damit die Realitäten von M&E und müssen zukünftig stärker berücksichtigt werden. Obwohl Broschüren über Partizipation, Nachhaltigkeit und »Capacity Development« der untersuchten Organisationen darauf verweisen, dass partnerschaftliche Aushandlungsprozesse zentral sind, stoßen Bemühungen im Umgang mit M&E, wie sie in den Projekten in Sambia und Malawi deutlich werden, an die Grenzen entwicklungspolitischer Strukturen. Diese Limitationen beruhen auf administrativ-technokratischen Zwängen der Projekt- bzw. Programmsteuerung. Gegenseitige Aushandlungsprozesse sind zeitintensiv, erscheinen aber notwendig, um die konstruierten Barrieren in den Untersuchungsgebieten zu reduzieren und gemeinsame Wege begehen zu können. »Ganz entgegen Samuel Huntingtons Vision vom Zusammenprall kultureller Bollwerke arbeiten hier die neueren Literaturen der Welt (Rushdie, Achebe, Marquez, Naipaul, Walcott usw.) Hand in Hand mit den postkolonialen Theorien (Aijaz Ahmed und vor allem Homi Bhabha). Sie plädieren dafür, die Auseinandersetzung zwischen den Kulturen nach dem Modell des Aushandelns kultureller Differenzen zu gestalten, nicht aber nach dem Modell des Festschreibens von Differenzen zum Zwecke kultureller Abgrenzungen und Ausgrenzungen.« (Bachmann-Medick, 1996; zitiert nach: Kerner, 1999: S. 33)
In diesem Prozess ist es die Aufgabe der Wissenschaft, Hintergründe von Konstruktionen und ihre (Re-)Produktionsmechanismen aufzudecken. Für die Entwicklungspraxis ist »double-loop-learning« notwendig (Argyris/Schön, 1978). Es müssen strukturelle Änderungen stattfinden, die gemeinsame Aushandlungsprozesse ermöglichen. Die Entwicklungszusammenarbeit muss sich hinsichtlich ihrer Ansätze und Instrumente zusammen mit den Betroffenen über Deutungsmuster sowie darin beinhaltete Normensysteme und die daraus ableitbaren Ideen austauschen. »Umso dringender wird es gegenüber den Gebern nicht nur die Beachtung ethischer Maßstäbe, sondern auch die sehr viel grundlegendere Bereitschaft der politischen Teilhabe an der Gestaltung von Projektrecht einzufordern sowie Verfahren, die die demokratische Kontrolle von Recht ermöglichen.« (Weilenmann, 2005: S. 145)
Eine reine Informationspolitik, wie sie derzeit ab der Ebenen der lokalen Mitarbeiterinnen, Partnerinnen und Zielgruppen stattfindet, ist nicht befriedigend. Sie sorgt für subversives Handeln, das sich hemmend auf die Umsetzung und Nachhaltigkeit von Kooperationsvorhaben auswirkt. Konsequenterweise sollte Partnerinnen in den Untersuchungsgebieten die Möglichkeit gegeben werden zu bestimmen, welche Deutungsmuster bzw. Normensysteme sie verfol207
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gen wollen – und wie dies geschieht. In Bezug auf Gender sollen Partnerinnen demnach mit entscheiden, in welchen Geschlechterverhältnissen sie leben möchten und auf welche Deutungsmuster sie sich dabei berufen. Ein Umdenken ist auch bezüglich der methodischen Umsetzung von M&E notwendig. Trotz der Forderungen eines partizipativ-qualitativen Vorgehens dominiert in den Untersuchungsgebieten immer noch eine quantitative Methodenrealität, die die Planung und Bewertung der Analyseergebnisse von Projekten Einzelnen überlässt. An die Stelle von ökonomischen bzw. technokratischen Modelllösungen sollten kreativere, partnerschaftlichere Vorgehensweisen treten, um Machtachsen aufzubrechen und damit den selbst gesetzten partizipativen und gendersensiblen Organisationsregeln und -werten zu entsprechen und deren Umsetzung zu ermöglichen. Nur so kann dazu beigetragen werden, die Kontrollängste von M&E zu reduzieren und eine offene Organisationskultur zu fördern.
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DIE ERFOLGSKONTROLLE DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND IHRE REALITÄTEN
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Kultur und soziale Praxis Martina Grimmig Goldene Tropen Zur Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana
Birgit Glorius Transnationale Perspektiven Eine Studie zur Migration zwischen Polen und Deutschland
Dezember 2007, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-751-6
Oktober 2007, 340 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-745-5
Helmut König, Manfred Sicking (Hg.) Europäische Identität, nationale Erinnerungen? Das neue Europa fünfzig Jahre nach den Römischen Verträgen
Christian Berndt, Robert Pütz (Hg.) Kulturelle Geographien Zur Beschäftigung mit Raum und Ort nach dem Cultural Turn
Dezember 2007, ca. 180 Seiten, kart., ca. 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-723-3
Oktober 2007, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-724-0
Alexander Jungmann Jüdisches Leben in Berlin Der aktuelle Wandel in einer metropoletanen Diasporagemeinschaft
Constanze Pfeiffer Die Erfolgskontrolle der Entwicklungszusammenarbeit und ihre Realitäten Eine organisationssoziologische Studie zu Frauenrechtsprojekten in Afrika
Oktober 2007, ca. 550 Seiten, kart., ca. 39,80 €, ISBN: 978-3-89942-811-7
Valentin Rauer Die öffentliche Dimension der Integration Migrationspolitische Diskurse türkischer Dachverbände in Deutschland Oktober 2007, ca. 295 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-801-8
September 2007, 236 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-771-4
Karsten Kumoll Kultur, Geschichte und die Indigenisierung der Moderne Eine Analyse des Gesamtwerks von Marshall Sahlins September 2007, 430 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN: 978-3-89942-786-8
Antje Gunsenheimer (Hg.) Grenzen. Differenzen. Übergänge. Spannungsfelder interund transkultureller Kommunikation Oktober 2007, ca. 340 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-794-3
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Kultur und soziale Praxis Peter Kreuzer, Mirjam Weiberg Zwischen Bürgerkrieg und friedlicher Koexistenz Interethnische Konfliktbearbeitung in den Philippinen, Sri Lanka und Malaysia August 2007, 602 Seiten, kart., 40,80 €, ISBN: 978-3-89942-758-5
Ulrike Joras Companies in Peace Processes A Guatemalan Case Study Juni 2007, 310 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-690-8
Katharina Zoll Stabile Gemeinschaften Transnationale Familien in der Weltgesellschaft
TRANSIT MIGRATION Forschungsgruppe (Hg.) Turbulente Ränder Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas (2. Auflage)
August 2007, 244 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-670-0
Mai 2007, 252 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-781-3
Martin Baumann, Jörg Stolz (Hg.) Eine Schweiz – viele Religionen Risiken und Chancen des Zusammenlebens
Magdalena Nowicka (Hg.) Von Polen nach Deutschland und zurück Die Arbeitsmigration und ihre Herausforderungen für Europa
August 2007, 410 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-524-6
Reinhard Johler, Ansgar Thiel, Josef Schmid, Rainer Treptow (Hg.) Europa und seine Fremden Die Gestaltung kultureller Vielfalt als Herausforderung Juli 2007, 216 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 978-3-89942-368-6
Daniel Münster Postkoloniale Traditionen Eine Ethnografie über Dorf, Kaste und Ritual in Südindien
Mai 2007, 312 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-605-2
Klaus Müller-Richter, Ramona Uritescu-Lombard (Hg.) Imaginäre Topografien Migration und Verortung Mai 2007, 244 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-594-9
Dieter Haller Lone Star Texas Ethnographische Notizen aus einem unbekannten Land Mai 2007, 224 Seiten, kart., zahlr. Abb., 22,80 €, ISBN: 978-3-89942-696-0
Juli 2007, 250 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-538-3
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Kultur und soziale Praxis Pascal Goeke Transnationale Migrationen Post-jugoslawische Biografien in der Weltgesellschaft März 2007, 394 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-665-6
María do Mar Castro Varela Unzeitgemäße Utopien Migrantinnen zwischen Selbsterfindung und Gelehrter Hoffnung Januar 2007, 304 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-496-6
Halit Öztürk Wege zur Integration Lebenswelten muslimischer Jugendlicher in Deutschland März 2007, 282 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-669-4
Elias Jammal, Ulrike Schwegler Interkulturelle Kompetenz im Umgang mit arabischen Geschäftspartnern Ein Trainingsprogramm Februar 2007, 210 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 978-3-89942-644-1
Holger Michael Kulturelles Erbe als identitätsstiftende Instanz? Eine ethnographischvergleichende Studie dörflicher Gemeinschaften an der Atlantik- und Pazifikküste Nicaraguas Februar 2007, 230 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-602-1
Corinne Neudorfer Meet the Akha – help the Akha? Minderheiten, Tourismus und Entwicklung in Laos Februar 2007, 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-639-7
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de