Musterprosa: Teil 4 Ein Lesebuch für die 2. und 1. Klasse höherer Mädchenschulen nach den preußischen Bestimmungen vom 31. Mai 1894 [Reprint 2020 ed.] 9783112374429, 9783112374412


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German Pages 216 [269] Year 1897

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Musterprosa: Teil 4 Ein Lesebuch für die 2. und 1. Klasse höherer Mädchenschulen nach den preußischen Bestimmungen vom 31. Mai 1894 [Reprint 2020 ed.]
 9783112374429, 9783112374412

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Musterpro sa. Zum Schulgebrauch ausgewählt von

Karl Hessel.

IV. Teil. Ein Lesebuch für die 2. und 1. Glajfe höherer Mädchenschulen, nach den preußischen Bestimmungen vom 31. Mai 1894.

Dritte^ umgearbeitete Auflage.

Könn,

Eduard Weber's Verlag (Julius Flittner).

1897.

Vorbemerkung. Für die Oberstufe höherer Mädchenschulen verlangen preußischen Ministerialbestimmungen

deutsches Lesebuch mehr^

die

vom 31. Mai 1894 kein

verbieten aber auch nicht ein solches.

Wenngleich die Lektüre zusammenhängender Dichterwerke in erster

Linie die dem Deutschen gewidmeten Lehrstunden ausfüllen soll,

so bleiben

doch

gewisse Prosasachen

kleineren Umfanges übrig,

die zu kennen und durchzuarbeiten unserer Heranwachsenden Ju­

gend sehr erwünscht und förderlich ist.

Vor allem denke ich dabei an gewisse Briefe, die von litte­

rarischem und nationalem Gesichtspunkte aus hochbedeutsam sind,

ich denke an eine Prosaauswahl aus Göthe (vor allem die herr­ liche und stilistisch so lehrreiche „Novelle")/ aus Lessing, ich denke

an einige abgerundete Schilderungen von Moltke, wahre Perlen der Darstellung, an gewisse Erläuterungen zur Lektüre (z. B. W. v. Humboldt über Hermann und Dorothea, Tschudis Erzäh­

lung vom Schützen Tell), endlich an einige Anregungen kunstge­

schichtlicher Art, etwa so, daß jede Hauptepoche durch eine Schil­ derung vertreten ist: hier die Akropolis — Der Kölner Dom —

Raffael — Ludwig Richter und Schnorr von Carolsfeld.

Alles in allem erscheint also dies Bändchen als eine Son­ derausgabe kleülerer prosaischer Aufsätze und mannigfacher Stil­ proben.

Für alle Teile der Musterprosa gelte

hier noch

die Be­

merkung, daß die Zeichensetzung nach gleichmäßigen Grundsätzen

durchgeführt

ist,

daß

die

vorgeschriebene

Rechtschreibung

auf

sämtliche Autoren ausgedehnt ist, auch aus die Briefe, und zwar mit Beschränkung der Apostrophe auf solche Fälle, wo sonst Undeutlichkeit entstände, endlich daß die Texte genau nach

denjenigen Quellen gegeben sind, die bei jedem Teile vor den

Registern sich angeführt finden; dort ist auch jede Art von etwa

notwendig gewordener Abweichung sorgfältig verzeichnet. Koblenz, März 1897.

Dr. Karl Kessel.

Ernst Moritz Arndt (1769—1860). 1.

Bon Freiheit und Vaterland.

Und es sind elende und kalte Klügler aufgestanden in diesen Tagen, die sprechen in der Nichtigkeit ihrer Herzen: ^Vaterland

und Freiheit, leere Namen ohne Sinn, schöne Klänge, womit man die Einfältigen bethört! Wo es dem Menschen wohl geht, da ist sein Vaterland,- wo er am wenigsten geplagt wird, da blüht seine Freiheit." Diese sind wie die dummen Tiere nur auf den Bauch und auf seine Gelüste gerichtet und vernehmen nichts von dem Wehen des himmlichen Geistes. Sie grasen wie das Vieh nur die Speise des Tages, und was ihnen Wollust bringt, deucht ihnen

das Einziggewisse. Darum heckt Lüge in ihrem eitlen Geschwätz, und die Strafe der Lüge brütet aus ihren Lehren. Auch ein Tier liebet: solche Menschen

aber lieben nicht, die Gottes Ebenbild

und das Siegel der göttlichen Vernunft nur äußerlich tragen.

Der Mensch

aber soll lieben bis in den Tod und von

Liebe nimmer lassen noch scheiden.

seiner

Das kann kein Tier, weil

es leicht vergisset, und kein tierischer Mensch, weil ihm Genuß

nur behagt.

Darum,

o Mensch,

hast du ein Vaterland, ein

heiliges

Land, ein geliebtes Land, eine Erde, wornach deine Sehnsucht

ewig dichtet und trachtet.

Wo dir Gottes Sonne zuerst schien,

wo dir die Sterne des Himmels zuerst leuchteten, wo seine Blitze

dir zuerst seine Allmacht offenbarten und seine Sturmwinde dir mit heiligen Schrecken durch seine Seele brauseten: da ist deine Liebe, da ist dein Vaterland.

Wo

das

erste Menschenaug

sich

liebend über deine Wiege neigte,- wo deine Mutter dich zuerst mit Freuden auf dem Schoße trug und dein Vater dir die Lehren Hessel, Musterprosa IV.

1

Arndt.

2 [IV]

der Weisheit und des Christentums ins Herz grub: da ist deine

Liebe, da ist dein Vaterland.

Und

seien es kahle Felsen und

öde Inseln, und wohne Armut und Mühe dort mit dir: du mußt das Land ewig lieb haben- denn du bist ein Mensch und sollst

nicht vergessen, sondern behalten in deinem Herzen!

Auch ist die Freiheit kein leerer Traum und kein wüster

Wahn, sondern in ihr lebt dein Mut und dein Stolz und die Gewißheit, daß du vom Himmel stammest. Da ist Freiheit, wo du leben darfst, wie es dem tapfern Herzen gefällt- wo du in

den Sitten und Weisen und Gesetzen deiner Väter leben darfstwo dich beglücket, was schon deinen Urältervater beglückte- wo keine fremden Henker über dich gebieten und keine fremden Treiber

dich treiben, wie man das Vieh mit dem Stecken treibt. Dieses Vaterland und diese Freiheit sind das Allerheiligste auf Erden, ein Schatz, der eine unendliche Liebe und Treue in sich verschließt, das edelste Gut, was ein guter Mensch auf Erden besitzt und zu besitzen begehrt.

Darum auch sind sie gemeinen

Seelen ein Wahn und eine Thorheit allen, die für den Augen­ Aber die Tapfern heben sie zum Himmel empor und

blick leben.

wirken Wunder in dem Herzen der Einfältigen.

Auf denn, redlicher Deutscher! bete täglich zu Gott, daß er dir das Herz mit Stärke fülle und deine Seele entflamme mit Zuversicht und Mut, daß keine Liebe dir heiliger sei, als die

Liebe des Vaterlandes, und keine Freude dir süßer, als die Freude

der Freiheit!

2.

Am Borabend des Befreiungskrieges.

^Nachdem Arndt den Rückzug des französischen Heeres aus Ruß­ land eingehend geschildert, stellt er die Frage: Was müssen die Deutschen jetzt thun? und beantwortet sie, indem er begeistert zum Kampfe auf­ fordert. Die Schrift schließt:] Ich habe Deutschland gesehen, der Germanen Land, das

heilige Land, das freie Land, wo Hermann mit Römerleichen be­ deckte das Feld, wo der Vogler auf die Hunnen die Wölfe und

Raben lud — ich sah sein Zepter gebrochen, sein Schwert ver­ hüllt

oder mit dem Blute

der Brüder gerötet,

tief senkte

der

Arndt.

2 [IV]

der Weisheit und des Christentums ins Herz grub: da ist deine

Liebe, da ist dein Vaterland.

Und

seien es kahle Felsen und

öde Inseln, und wohne Armut und Mühe dort mit dir: du mußt das Land ewig lieb haben- denn du bist ein Mensch und sollst

nicht vergessen, sondern behalten in deinem Herzen!

Auch ist die Freiheit kein leerer Traum und kein wüster

Wahn, sondern in ihr lebt dein Mut und dein Stolz und die Gewißheit, daß du vom Himmel stammest. Da ist Freiheit, wo du leben darfst, wie es dem tapfern Herzen gefällt- wo du in

den Sitten und Weisen und Gesetzen deiner Väter leben darfstwo dich beglücket, was schon deinen Urältervater beglückte- wo keine fremden Henker über dich gebieten und keine fremden Treiber

dich treiben, wie man das Vieh mit dem Stecken treibt. Dieses Vaterland und diese Freiheit sind das Allerheiligste auf Erden, ein Schatz, der eine unendliche Liebe und Treue in sich verschließt, das edelste Gut, was ein guter Mensch auf Erden besitzt und zu besitzen begehrt.

Darum auch sind sie gemeinen

Seelen ein Wahn und eine Thorheit allen, die für den Augen­ Aber die Tapfern heben sie zum Himmel empor und

blick leben.

wirken Wunder in dem Herzen der Einfältigen.

Auf denn, redlicher Deutscher! bete täglich zu Gott, daß er dir das Herz mit Stärke fülle und deine Seele entflamme mit Zuversicht und Mut, daß keine Liebe dir heiliger sei, als die

Liebe des Vaterlandes, und keine Freude dir süßer, als die Freude

der Freiheit!

2.

Am Borabend des Befreiungskrieges.

^Nachdem Arndt den Rückzug des französischen Heeres aus Ruß­ land eingehend geschildert, stellt er die Frage: Was müssen die Deutschen jetzt thun? und beantwortet sie, indem er begeistert zum Kampfe auf­ fordert. Die Schrift schließt:] Ich habe Deutschland gesehen, der Germanen Land, das

heilige Land, das freie Land, wo Hermann mit Römerleichen be­ deckte das Feld, wo der Vogler auf die Hunnen die Wölfe und

Raben lud — ich sah sein Zepter gebrochen, sein Schwert ver­ hüllt

oder mit dem Blute

der Brüder gerötet,

tief senkte

der

Doppelte Adler der Fittiche Kraft.

Da hielt ich den Fluch oft

schwer von der Lippe^ den Dolch oft schwerer vom Herzen.

wirble^ du Staub!

Flamme der fliegenden Zeit!

Doch

Doch brause, du

Doch tose, du Schlacht!

Ich werde dich sehen, mein heiliges

Land, mit Sieg bekränzt, mit Freiheit bekränzt, ich werde hören Deines Adlers klingenden Flug,- ich sehe dich schon, ich höre ihn

schon, auch wenn mein Staub mit dem Staube der Erschlagenen verfliegt, von Gestirnen werde ich mein Germanien sehen.

sind diese Worte,

Glühend

weil

die Brust

glühend

ist­

rasend heißt den höhnelnden Spöttern und den lauernden Buben,

Blößen auch gibt,

wenn die Seele über die Lippen fließt,-

sein Herz gibt, Schwächen

zu

nur der Lügner und Schmeichler sinnt,

decken.

Die

gewaltige Zeit,

worin

wer seine

wir leben,

schüttelt die Großen und die Kleinen; wann Orkane wehen, dann sühlen auch die niedrigsten Sträuche, daß es Winde gibt.

Diese

gewaltige Zeit berechtigt jeden redlichen Mann, zu reden und zu

warnen

und

zu zeigen,

woher die Donnerwetter und Orkane

ziehen: oder zündet der Blitz etwa nur, wenn man den Menschen die geladenen Wetterwolken zeigt?

So glaubte der Aberglaube-

wir glauben wenig, deswegen sollen wir erkennen. schlafen auf dem rauchenden Vulkan?

Der sinkenden Eisscholle? -es vortrefflich ist?

Sollen wir

Sollen wir stillstehen auf

Wird es besser, wenn wir träumen, daß

O nein! nein! nein!

Fest ins Auge blicken

lollen wir der großen Zeit, ihre Furchtbarkeit und ihre Herrlich­

keit sollen wir verstehen, damit wir uns zu ihrer Höhe erheben

und ihren heiligen Willen vollbringen können. Sie wird stoßen den, der sich nicht rühren will- sie wird zerstoßenden, der gegen sie anrennen will,- sie wird ihre Gewalt thun,

waltige ist. Volk!

weil sie die ge­

Sie meint dich, deutsches Volk, edles, tapferes, treues

Du bist der Geist und

die Seele der neuen Geschichte,

du bist mit Redlichkeit und Freiheit geadelt, du hast viele Tugen­

den, nur nicht die Tugend, dich selbst zu erkennen: das mußt du,

das sollst du, denn Gott will dich erretten. Laß alles Wahn und Narrheit werden, laß mich mit diesen

Worten als den größten Narren und Thoren erscheinen, ich kann -es wohl dulden,- denn Eitelkeit trieb mich nicht, sondern die Liebe

Arndt.

4 [IV] meines herrlichen Volkes.

seine Gedanken

Eitel ist des Menschen Herz, eitel sind»

und fliegen wie Spreu im Winde dahin:

aus treuer Brust klangen meine Worte,

und

aber

gesegnet sei niiiy

wer es mit dem deutschen Vaterlande redlicher meint,

als

ich!

3. Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze. Werfet eure Augen auf diese Ströme und Länder! o, wen-bet auch eure Herzen dahin! was sehet ihr? was fühlet ihr? ihr sehet das Land, das euch an die herrlichsten Arbeiten und Kämpfe

eurer Väter mahnet, ihr sehet die Ursprünge und Anfänge euresVolkes, die ältesten und heiligsten Erinnerungen des Reichs der

Deutschen, die Wiege eurer Bildung, die Städte, wo eure Kaiser"

gewählt, gekrönt und gesalbt wurden, die Grüfte, wo eure Kaiser, eure Erzkanzler, eure Erzbischöfe schlafen, die Denkmäler eures Ruhms und eurer Größe, wohin ihr blicket, wohin ihr tretet — und ihr könntet den Gedanken ertragen, daß dieses Älteste, dieses

Ehrwürdigste, dieses Deutscheste französisch werden sollte? wahr­ lich, mit dem Gedanken ertragt ihr auch die französische Sklaverei^

Aachen, Straßburg, Mainz, Köln, Trier, Lüttich, Speier, Worms,

den deutschen Königsstuhl bei Rhense, die Schlachtfelder, wo ihr so oft gegen die Franzosen für die Freiheit siegreich wäret, das

tapfere, lebendige und geistreiche deutsche Geschlecht, das diese ge­

segneten Lande

bewohnt,

dieses

echteste,

älteste Kleinod

ellres-

Namens — alles dieses könntet ihr den Fremden lassen? Jene Denkmäler, welche eure

ehrwürdigen und frommen

Väter in Köln und Antwerpen, in Straßburg und Amsterdam dem Ewigen erbaut haben, das Gedächtnis eurer grauen Helden­

zeit und so viele andere Heiligtümer eurer Art und Kunst wolltet ihr denen lassen, deren Blicke nie nach oben gehen, und welchen,

diese Herrlichkeiten nichts Ewiges verkündigen? — O nein! nein! Wahrlich, die Gebeine eurer Väter würden sich in ihren Gräbern umkehren unb das wollet ihr nicht, das könnet ihr nicht wollen.

wehe! wehe! rufen über euch und über das Vaterland, das ihr

verlasset!

Arndt.

4 [IV] meines herrlichen Volkes.

seine Gedanken

Eitel ist des Menschen Herz, eitel sind»

und fliegen wie Spreu im Winde dahin:

aus treuer Brust klangen meine Worte,

und

aber

gesegnet sei niiiy

wer es mit dem deutschen Vaterlande redlicher meint,

als

ich!

3. Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze. Werfet eure Augen auf diese Ströme und Länder! o, wen-bet auch eure Herzen dahin! was sehet ihr? was fühlet ihr? ihr sehet das Land, das euch an die herrlichsten Arbeiten und Kämpfe

eurer Väter mahnet, ihr sehet die Ursprünge und Anfänge euresVolkes, die ältesten und heiligsten Erinnerungen des Reichs der

Deutschen, die Wiege eurer Bildung, die Städte, wo eure Kaiser"

gewählt, gekrönt und gesalbt wurden, die Grüfte, wo eure Kaiser, eure Erzkanzler, eure Erzbischöfe schlafen, die Denkmäler eures Ruhms und eurer Größe, wohin ihr blicket, wohin ihr tretet — und ihr könntet den Gedanken ertragen, daß dieses Älteste, dieses

Ehrwürdigste, dieses Deutscheste französisch werden sollte? wahr­ lich, mit dem Gedanken ertragt ihr auch die französische Sklaverei^

Aachen, Straßburg, Mainz, Köln, Trier, Lüttich, Speier, Worms,

den deutschen Königsstuhl bei Rhense, die Schlachtfelder, wo ihr so oft gegen die Franzosen für die Freiheit siegreich wäret, das

tapfere, lebendige und geistreiche deutsche Geschlecht, das diese ge­

segneten Lande

bewohnt,

dieses

echteste,

älteste Kleinod

ellres-

Namens — alles dieses könntet ihr den Fremden lassen? Jene Denkmäler, welche eure

ehrwürdigen und frommen

Väter in Köln und Antwerpen, in Straßburg und Amsterdam dem Ewigen erbaut haben, das Gedächtnis eurer grauen Helden­

zeit und so viele andere Heiligtümer eurer Art und Kunst wolltet ihr denen lassen, deren Blicke nie nach oben gehen, und welchen,

diese Herrlichkeiten nichts Ewiges verkündigen? — O nein! nein! Wahrlich, die Gebeine eurer Väter würden sich in ihren Gräbern umkehren unb das wollet ihr nicht, das könnet ihr nicht wollen.

wehe! wehe! rufen über euch und über das Vaterland, das ihr

verlasset!

Wenn die Franzosen am Rhein herrschen, so herrschen sie In dein Kern unseres Volkes, sie greifen uns in unserm innersten und eigensten Leben an, sie zerstören uns in den Keimen unsers Wesens. Deutschland könnte durch eine Gunst der Umstände, die sich freilich nicht erwarten, aber doch denken läßt, in seinem Ostey Dielleicht noch eine Zeitlang mächtig sein, selbst wenn die Franzosen das von uns geraubte Gebiet behielten,-

als ein deutsches Volk

wird es gewiß nicht lange mächtig sein, es wird überhaupt nicht lange ein deutsches Volk bleiben, wenn den Franzosen am Rhein

die Herrschaft bleibt. Der Rhein und seine umliegenden Lande und die nächstliegenden Lande von Schwaben, Franken, Hessen, Westfalen und Braunschweig sind der Kern und

das Herz des

deutschen Volkes, woraus sein rechtes Lebensblut und seine lebendigsten Lebensgeister in alle Adern, ja, in die äußersten Glieder seines Leibes ausgegossen werden,-

überhaupt ein Traum ist,

dort, wenn sie nicht

lebt die rechte Deutschheit.

Von da

fließt sie wie der zarte und geheime Lebensäther des Ganzen mit

ollen ihren unsichtbaren und kaum vernehmlichen Geistern bis zur Leitha und Eider, ja, bis zur Memel und Theiß zu den ver­ wandten Brüdern aus.

Auch anderswo ist Deutschland, es ist in

Flensburg und Königsberg, in Breslau und Stralsund,' aber es ist dort nicht so deutsch, als hier im Süden. Dies läßt sich historisch

herleiten.

Auch

am Niemen, an der Oder und der

Drau ist Deutschland, aber hier ist das ursprüngliche Deutschland, weiland der Mittelpunkt und die Stärke des Reichs, immer noch

der Mittelpunkt deutschen Lebens und deutscher Sitte,- hier ist von deutscher Sprache und Geschichte ein unerschöpflicher Schatz nieder­ gelegt, wovon die fernsten deutschen Brüder zu holen kommen, und

welcher doch nie ausgeleert werden kann. Wenn nun das Unglück bleibt, daß die Franzosen den Rheinstrom behalten, so wird das Deutsche in seinen Keimen vergiftet und erstickt: Deutschland kann -seinen Namen noch Jahrhunderte behalten, aber Deutschland ist

dann bald nicht mehr.

Ich habe meine Worte über unsern Rhein gesprochen.

Ich

könnte sagen: ich habe meine Seele gerettet,- aber Ruhe gibt das

oicht, daß man geredet hat.

Behalten die Franzosen den Rhein,

Arndt.

6 [IV]

so habe

Bismarck.

ich mein deutsches Vaterland verloren;

dann muß ich

thun, wie die Störche von Aquileja, als Attila die Stadt belegt hatte und auf ihre Mauern stürmte: ich muß meine Flügel,

schwingen und in ein anderes

germanisches Land fliegen, weil,

mein Deutschland und meine Liebe dann dahin ist;

denn Halb­

franzosen sollen meine Kinder nicht werden.

Otto Fürst von Bismarck (geboren 1815).

4. Sedan. Brief an seine Gemahlin*). Vendresse, 3. September. Mein liebes Herz! Vorgestern vor Tagesgrauen verließ ich mein hiesiges Quar­

tier, kehre heute zurück und habe in der Zwischenzeit die große Schlacht von Sedan am

1. erlebt,

in der wir gegen 30,000

Gefangene machten und den Rest der französischen Armee, bev wir seit Bar le Duc nachjagten, in die Festung warfen, wo sie sich mit dem Kaiser kriegsgefangen ergeben mußte.

Gestern früh

5 Uhr, nachdem ich bis 1 Uhr früh mit Moltke und den fran­

zösischen Generälen über die

abzuschließende Kapitulation ver­

handelt hatte, weckte mich der General Reille, den ich kenne, um

mir zu sagen, daß 9?apoleon mich

zu sprechen wünschte.

Ich

ritt ungewaschen und ungefrühstückt gegen Sedan, fand den Kaiser

im offenen Wagen mit drei Adjutanten und drei zu Pferde da­ neben haltend.

Ich

saß ab,

grüßte ihn ebenso höflich wie in

den Tuilerien

und fragte nach seinen Befehlen.

den König zu

sehen;

ich

Er wünschte

sagte ihm der Wahrheit gemäß, dast

Seine Majestät drei Meilen davon, an dem Orte,

schreibe, sein Quartier habe.

wo ich jetzt

Auf Napoleons Frage, wohin er

sich begeben solle, bot ich ihm, da ich der Gegend unkundig, mein *) Dieser Brief ist nicht an seine Adresse gelangt, sondern mit der ganzen Post von Franktireurs aufgefangen und von einer franzö­ sischen Zeitung veröffentlicht worden.

Arndt.

6 [IV]

so habe

Bismarck.

ich mein deutsches Vaterland verloren;

dann muß ich

thun, wie die Störche von Aquileja, als Attila die Stadt belegt hatte und auf ihre Mauern stürmte: ich muß meine Flügel,

schwingen und in ein anderes

germanisches Land fliegen, weil,

mein Deutschland und meine Liebe dann dahin ist;

denn Halb­

franzosen sollen meine Kinder nicht werden.

Otto Fürst von Bismarck (geboren 1815).

4. Sedan. Brief an seine Gemahlin*). Vendresse, 3. September. Mein liebes Herz! Vorgestern vor Tagesgrauen verließ ich mein hiesiges Quar­

tier, kehre heute zurück und habe in der Zwischenzeit die große Schlacht von Sedan am

1. erlebt,

in der wir gegen 30,000

Gefangene machten und den Rest der französischen Armee, bev wir seit Bar le Duc nachjagten, in die Festung warfen, wo sie sich mit dem Kaiser kriegsgefangen ergeben mußte.

Gestern früh

5 Uhr, nachdem ich bis 1 Uhr früh mit Moltke und den fran­

zösischen Generälen über die

abzuschließende Kapitulation ver­

handelt hatte, weckte mich der General Reille, den ich kenne, um

mir zu sagen, daß 9?apoleon mich

zu sprechen wünschte.

Ich

ritt ungewaschen und ungefrühstückt gegen Sedan, fand den Kaiser

im offenen Wagen mit drei Adjutanten und drei zu Pferde da­ neben haltend.

Ich

saß ab,

grüßte ihn ebenso höflich wie in

den Tuilerien

und fragte nach seinen Befehlen.

den König zu

sehen;

ich

Er wünschte

sagte ihm der Wahrheit gemäß, dast

Seine Majestät drei Meilen davon, an dem Orte,

schreibe, sein Quartier habe.

wo ich jetzt

Auf Napoleons Frage, wohin er

sich begeben solle, bot ich ihm, da ich der Gegend unkundig, mein *) Dieser Brief ist nicht an seine Adresse gelangt, sondern mit der ganzen Post von Franktireurs aufgefangen und von einer franzö­ sischen Zeitung veröffentlicht worden.

Quartier in Donchery an, einem kleinen Orte in der Nähe dicht

bei Sedan- er nahm es an und fuhr, von seinen sechs Franzosen, von

mir und

von Karl,

der mir inzwischen nachgeritten war,

geleitet, durch den einsamen Morgen nach unserer Seite zu.

Bor

dem Ort wurde es ihm leid, wegen der möglichen Menschenmenge, und er fragte mich, ob er in einem einsamen Arbeiterhause am

Wege absteigen könne,- ich ließ es besehen durch Karl, der mel­ dete, es sei ärmlich und unrein- „Reimporte" meinte N., und ich stieg mit ihm eine gebrechliche enge Stiege hinauf. In einer Kammer von zehn Fuß Gevierte, mit einem fichtenen Tische und zwei Binsenstühlen, jaßen wir eine Stunde, die andern waren Ein gewaltiger Kontrast mit unserm letzten Beisammen­ sein, 67 in den Tuilerien. Unsere Unterhaltung war schwierig,

unten.

wenn ich nicht Dinge berühren wollte, die den von Gottes ge­

waltiger Hand Niedergeworfenen schmerzlich

berühren

mußten.

Ich hatte durch Karl Offiziere aus der Stadt holen und Moltke bitten lassen zu kommen.

Wir schickten dann einen der ersteren

auf Rekognoszierung und entdeckten eine halbe Meile davon in

Fresnois

ein kleines Schloß

mit Park.

Dorthin geleitete ich

ihn mit einer inzwischen herangeholten Eskorte vom Leib-KürassierRegimente,

und dort schlossen wir mit dem französischen Ober­

general Wimpffen die Kapitulation, vermöge deren 40- bis 60,000 Franzosen,

genauer weiß ich es noch nicht,

haben, unsere Gefangenen wurden.

mit allem, was sie

Der vor- und gestrige Tag

kosten Frankreich 100,000 Mann und einen Kaiser.

Heut früh

ging letzterer mit all seinen Hofleuten, Pferden und Wagen nach

Wilhelmshöhe bei Kassel ab. Es ist ein weltgeschichtliches Ereignis,

ein Sieg, für den

wir Gott dem Herrn in Demut danken wollen, und der den Krieg

entscheidet, wenn wir auch letzteren gegen

das kaiserlose Frank­

reich fortführen müssen. Ich muß schließen. Mit herzlicher Freude ersah ich heut aus Deinen und Marias Briefen Herberts Eintreffen bei Euch.

Bill sprach ich gestern, wie schon telegraphiert, und umarmte ihn angesichts Seiner Majestät vom Pferde herunter, stramm

im Gliede

stand.

Er ist

während er

sehr gesund und vergnügt.

Bismarck.

8 [IV]

Brentano.

Hans und Fritz Karl sah ich, beide Bülow bei 2. G. Dr. wohl

und munter. Lebwohl, mein Herz!

Grüße die Kinder!

Dein v. B.

Klemens Brentano (1778—1842). 5,

Das Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf.

1. Wie der Müller Radlauf dem Rhein ein Lied sang und einen Traum hatte.

Im Rheingau, wo jetzt Rüdesheim liegt, stand vor undenk­

lichen Zeiten eine einsame Mühle am Rhein, umgeben von einer

grünen

und

blumenreichen Wiese.

Auf

dieser Mühle

wohnte

Radlauf, ein junger, frommer Müllerbursche. Er lebte mit der ganzen Welt in Frieden, gab den Armen gern ein Mäßchen Mehl umsonst und streute seine Brosamen den

Fischen und Vögeln aus. Mühldamm hinaus und

Jeden Abend setzte er sich auf den

hatte da seine Freude an den schönen

grünen Wellen des Rheins, an den Ufern, die sich spiegelten, und den Fischen, die vor Lust aus der Flut emporsprangen. Ehe er

aber schlafen ging, flocht er immer noch einen schönen Blumen­ kranz und sang

dem alten Rhein ein Lied vor, ihm seine Ehr­

furcht zu beweisen.

Am Schluffe des Liedes warf er dann den

Kranz in die Wellen, die ihn freudig hinunter trugen, und wenn

Radlauf den Kranz nicht mehr schwimmen sah,

ging

er ruhig

nach seiner Mühle, um zu schlafen. Das Lied aber, welches er gewöhnlich sang, lautete also:

Nun gute Nacht! mein Leben, Du alter, treuer Rhein! Deine Wellen schweben Klar im SternenscheinDie Welt ist rings entschlafen, Es singt den Wolkenschafen Der Mond ein Lied.

Bismarck.

8 [IV]

Brentano.

Hans und Fritz Karl sah ich, beide Bülow bei 2. G. Dr. wohl

und munter. Lebwohl, mein Herz!

Grüße die Kinder!

Dein v. B.

Klemens Brentano (1778—1842). 5,

Das Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf.

1. Wie der Müller Radlauf dem Rhein ein Lied sang und einen Traum hatte.

Im Rheingau, wo jetzt Rüdesheim liegt, stand vor undenk­

lichen Zeiten eine einsame Mühle am Rhein, umgeben von einer

grünen

und

blumenreichen Wiese.

Auf

dieser Mühle

wohnte

Radlauf, ein junger, frommer Müllerbursche. Er lebte mit der ganzen Welt in Frieden, gab den Armen gern ein Mäßchen Mehl umsonst und streute seine Brosamen den

Fischen und Vögeln aus. Mühldamm hinaus und

Jeden Abend setzte er sich auf den

hatte da seine Freude an den schönen

grünen Wellen des Rheins, an den Ufern, die sich spiegelten, und den Fischen, die vor Lust aus der Flut emporsprangen. Ehe er

aber schlafen ging, flocht er immer noch einen schönen Blumen­ kranz und sang

dem alten Rhein ein Lied vor, ihm seine Ehr­

furcht zu beweisen.

Am Schluffe des Liedes warf er dann den

Kranz in die Wellen, die ihn freudig hinunter trugen, und wenn

Radlauf den Kranz nicht mehr schwimmen sah,

ging

er ruhig

nach seiner Mühle, um zu schlafen. Das Lied aber, welches er gewöhnlich sang, lautete also:

Nun gute Nacht! mein Leben, Du alter, treuer Rhein! Deine Wellen schweben Klar im SternenscheinDie Welt ist rings entschlafen, Es singt den Wolkenschafen Der Mond ein Lied.

Brentano.

[IV] 9

Der Schiffer schläft im Nachen Und träumet von dem MeerDu aber, du mußt wachen Und trägst das Schiff einherDu führst ein freies Leben, Durchtanzest bei den Reben Die ernste Nacht. Wer dich gesehn, lernt lachenDu bist so freudenreich, Du labst das Herz der Schwachen Und machst den Armen reichDu spiegelst hohe Schlösser Und füllest große Fässer Mit edlem Wein. Mich aber lehrst du singen: Wenn dich mein Aug ersieht, Ein freudeselig Klingen Mir durch den Busen ziehtTreib fromm mir meine Mühle, Jetzt scheid ich in der Kühle Und schlummre ein. Ihr lieben Sterne, decket Mir meinen Vater zu! Bis mich die Sonne wecket, Bis dahin mahle du! Wirds gut, will ich dich preisen, Dann sing in höhern Weisen Ich dir ein Lied. Nun werf ich dir zum Spiele Den Kranz in deine FlutTrag ihn zu seinem Ziele, Wo dieser Tag auch ruht! Gut Nacht, ich muß mich wenden, Muß nun mein Singen enden, Gut Nacht, mein Rhein!

Dieses Lied und der Kranz freuten den alten Rhein immer

gar sehr-

er gewann den Müller Radlauf darum gar lieb und

trieb ihm

sein Rad gar ordentlich, nicht zu langsam und nicht

zu geschwind.

Einstens träumte dem Müller: er gehe auf seine Wiese und wolle dem alten Rhein den gewöhnlichen Blumenkranz winden, er­

finde aber auf der Wiese

gar keine anderen Blumen, als

nur

10 [IV]

Brentano.

Rittersporn und Kaiserkronen und Königskerzen und Schwertlilien

und Ehrenpreis

und

dergleichen

vornehme ritterliche Gewächse^

er aber scheue sich mit seinen bürgerlichen Händen nicht, breche die edlen Blumen nach Herzenslust und freue sich, seinem alten Freund, dem adligsten der Flüsse, einen recht prächtigen Kranz

daraus zu winden.

Als er nun diesen im Traum in die Wellen warf, tauchte

unter demselben ein alter, sehr ernsthafter und doch liebreicher Mann aus der Flut,- sein grünes Schilfhaar war mit einer gol­ denen Rebenkrone umgeben, in deren Zweigen der Blumenkranz Radlaufs ruhte. In den Armen hielt er ein wunderschönes Jung­ fräulein und setzte sie vor Radlauf, der am Ufer niedergekniet war, auf den Strand.

Die Jungfrau, träumte er weiter, habe sich

ihm freundlich genaht, ihm eine köstliche alte Krone aufgesetzt und ihn dann an der Hand aufgehoben, um ihn nach seiner Mühle zu begleiten.

Während

alle

dem sah er im Traume den alten

Wassermann in dem Rheine

zornig

herumspringen und ganze

Berge von Wellen in die Höhe werfen, und seine Mühle schimmerte ihm wie ein Schloß am Bergfuß der Müller in großen Ängsten.

2.

entgegen.

Darüber

erwachte

Wie des Müllers Traum wahr geworden.

Der Traum war so lebhaft gewesen, daß Radlauf sich die

Augen nicht lange rieb. Er sprang von seinem Lager und eilte hinaus auf die Wiese, um nach den vornehmen Blumen zu sehen,

von denen er geträumt hatte. Gänseblümchen die Menge

und

Da

war

aber alles wie sonst:

hier und da ein frisches Mai­

glöckchen und viele Butterblumen, auch im Schatten noch einige Veilchen. Die Sonne guckte eben mit den äußersten Spitzen ihrer goldenen Augenwimpern über den Nochusberg, welcher der Mühle gegenüber jenseits des Rheins lag, hervor.

Radlauf trat auf den

Mühldamm hinaus, den Rhein zu beobachten,- denn sein Traum stand ihm so klar vor Augen, daß er glaubte, es müsse alle Augen­

blicke der alte Wassermann

hervortauchen

Prinzessin entgegenreichen. Wie er so auf die Wellen niedersah,

und ihm die schöne

hörte er auf einmal

eine herrliche Musik - da zitterte ihm das Herz vor Freude^ and­

er dachte schon^ das könne etwas bedeuten. Als aber plötzlich Pauken und Trompeten durch die Luft

tönten und aus dem Echo wiederschmetterten^ hob er seine Blicke den Rhein aufwärts und sah von Mainz herab ein goldenes Schiff

fahren,

worauf der König

und die Königin

von Mainz nebst

ihrer Tochter, der Prinzessin Ameleia, saßen, umgeben von vielen

Hofdamen, Kammerherren, Rittern und Musikanten. Merkwürdig war in dieser Gesellschaft, daß der größte Teil der Dienerschaft keinen Anteil an der Musik zu nehmen schien,- denn der ganze Hofstaat hatte nur Ohren für das Schnurren und Spinnen einer großen Katze mit funkelnden Augen, die auf dem Schoße der

Königin ruhte und mit dem Schweife wedelte. Alle schienen hierin eine Vorbedeutung großer Ereignisse zu sehen. Die mächtigen Leute hatten

damals den Brauch,

gewisse

bedeutungsvolle Tiere als Hof- und Leibtiere mit sich herum zu führen,

welche lebendige Würdeträger innerlicher Eigenschaften

und Geistesrichtungen ihres Stammes oder ihrer Person waren. Manche führten Löwen, Adler, Bären, Leoparden, Falken, Schwäne^

Kraniche und dergleichen Tiere bei sich, diese alte Königin aber eine Katze.

Diese Tiere waren zu einer großen Ruhe und Gleich­

mütigkeit erzogen und durften nur im äußersten Fall durch ein bescheidenes,

vieldeutiges Zeichen ihre innere Gemütsstimmung,

Denn von ihrem Betragen hing Glück und Leben von Land und Leuten ab. bemerklich machen.

Heute aber war die Aufmerksamkeit nicht ohne Ursache auf das Betragen der Katze gerichtet: denn die königliche Familie fuhr

dem versprochenen Bräutigam ihrer einzigen Tochter,

der Prin­

zessin Ameleia, entgegen, dem Prinzen Rattenkahl von Triers der mit der alten Königin von Trier den Rhein herauf fahren sollte.

Es war nicht ganz unbekannt geblieben, daß diese Familie

ein Hof- und Leibtier von sehr verschiedener Gemütsart mit sich

führte- aber ein altes Staatslied enthielt die Prophezeiung, daß.

am Bingerloch

durch Zusammenkunft von Katz

und Ratz

eine

hohe, glückliche Verbindung und eine neue glückliche Zeit eintreten sollte.

Das Liedlein sagte folgendes: Gute Zeit, wenn Ratz und Katz Einig auf des Rheines Flut Hingeleiten Schatz zu Schatz, Alles wird dann werden gut. Glück, dann hält des Rades Lauf Hochzeitskranz und Krone auf.

Weil nun die Familie des Prinzen Rattenkahl eine ausge­ zeichnete Ratze mit sich zu führen pflegte, so hielt man das heutige

Begegnen der beiden Schiffe, welche Ratz und Katz und auch den

herzallerliebsten Schatz, die Prinzessin Ameleia, mit sich führten, für die Erfüllung jenes alten Reimes,

und die Hofmusikanten

spielten gar keine andere Melodie, was schier langweilig war.

Die schöne Ameleia war sehr begierig, ihren Bräutigam zu sehen, mit welchem ihr ein so großes Glück kommen sollte, und sie hatte sich ganz vornhin auf den Schnabel des Schiffes gesetzt, so daß ihre blonden Locken wie ein goldenes Wimpel wehten.

Sie trug ein grünsamtenes Kleid, mit goldenen Träublein gestickt,

uni) spielte mit einem goldenen Ruder nachlässig in den Wellen,

während sie dann und wann durch die hohle Hand in das dunkle Felsenthal hineinsah, in welches sich der Rhein aus dem heiteren und lichten Rheingau ergießt,

als wolle er mit seinem feurigen

Wein einen kühlen Keller suchen.

Radlauf wendete kein Auge von der schönen Prinzessin,- denn ihm schien nicht anders, als daß sie die nämliche sei, welche ihn

im Traum so sehr erfreut hatte.

Dazu kam noch, daß er in dem

Gesänge von dem Schiffe her, in den Worten „Schatz, Glück, Lauf" immer von einem besonderen Glück zu hören glaubte, das dem Radlauf begegnen sollte.

Da erhob sich aber auf einmal ein starker Wind, und das Schiff der Königin von Trier strich mit vollen Segeln bei dem

Bingerloche heraus und war in wenigen Minuten dem MainzerSchiff sehr nahe. Der Bräutigam, Prinz Rattenkahl, saß auf dem Schiffsschnabel, seine Braut desto eher zu erblicken.

Aber er­

sah nicht zum besten aus. Wenn er gleich ein guter Herr von großen persönlichen Eigenschaften sein mochte, so stand ihm doch

sein kahler, spitzer Kopf, sein sehr dünner, aber langer Schnurrbart

und der enge Pelz von schwarzen und weißen Mäusefellen mit einem langen Rattenschwanz

daran

sehr unvorteilhaft.

Hinter

ihm saß auf einem ledernen Stuhl seine Mutter, die Königin von Trier, eine sehr alte Dame, die so beschäftigt war, die große

Staatsratze,

auf einem großen Samtkissen im Schoße

die ihr

lag, mit Zuckerbretzeln zu füttern, daß sie von allem um sie her

nichts hörte und nichts sah- denn die Ratze schien besonders un­ ruhig und wollte sich immer verstecken. Nun kamen sich die

Schiffe sehr nah, und die Mainzer Musikanten machten einen gewaltigen Lärm mit ihrem alten Staatsgesang, den sie mit

Pauken und Trompeten begleiteten. Nun war der wichtige Augenblick der Erfüllung des alten Staatsreims herangekommen- keine Miene verzog sich auf den beiden Schiffen- hier schaute alles nach der Katze, dort nach der

Ratze, welche sich beide auch in äußerster Stille verhielten- man erwartete

das

große Glück.

Die

schöne Ameleia, etwas über

das Aussehen ihres Bräutigams verlegen, wendete ihr Köpf­ chen gegen Radlaufs Mühle hin, und Radlauf rückte auf den

äußersten Rand seines Mühldamms- nun ertönte der alte Staats­

reim noch

einmal,

und

die Erfüllung

stand

nicht länger auf

deni Sprung. Die Katze fuhr wie ein Blitz über die schöne Ameleia weg nach der Ratze in das

andere Hochzeitschiff hinüber, die

geschwind vor ihr in einen Winkel schoß-

mit ihrem Stuhle umgefallen-

aber,

Anreleia entfiel das goldene Ruder,

stürzte in die Flut,

und plumps!

sie

o

ebenso

die alte Königin war Unglück!

der

schönen

bückte sich darnach und

sprang Radlauf mit gleichen

Beinen in den Rhein, sie zu retten.

Auf den beiden Schiffen war alles in der größten Ver­ wirrung. Die alte Königin schrie wie rasend: „Staatsratz! o Staatsratz!" — Die alte Königin von Mainz aber schrie: „Staats-

katz! o Staatskatz!" denn der Prinz Rattenkahl trieb diese der­ maßen mit dem Ruder im Schiff herunl, daß sie sich endlich auf den Mastbaum rettete.

Diese Verwirrung mehrten die Musikanteir

noch, die wie toll und rasend drauf los paukten und trompeteten,

Brentano.

14 [IV]

worüber der König von Mainz endlich so unwillig ward/ daß er

den Pauker und zwei Trompeter ins Wasser stieß. Da ward es etwas geräumiger und stiller/ und er konnte das Jammern der Hofdamen über das Unglück der Prinzessin

Ameleia erst verstehen, und nun erhob er ein großes Wehege­ schrei. Er trat auf die Spitze des Schiffs/ wo sie hinabgestürzt war, und rief dem trierischen Prinzen Rattenkahl zu: „O, teuerster Herr Schwiegersohn! retten Sie Ihre Braut!" Rattenkahl aber

hörte und sah nichts vor Zorn über die Katze/ die er noch immer herumhetzte/ um sie aus dem Schiffe zu bringen/ und schrie immer mit seiner Mutter zugleich: ,/Jns Wasser mit der Katze, sie soll ertrinken!" Da warf der König von Mainz ihm aus Zorn die Krone an den Kopf, aber sie traf ihn nicht und flog in den Rhein. Nun wendete sich der König zu seinem Gefolge

und

rief

ous: „Wer mir meine Tochter rettet/ der soll sie zur Frau haben imi) meine Krone dazu!" Einige Ritter sprangen in den Fluß/

aber ihre Waffen zogen sie alle in den Grund.

Mehrere Hofdamen jagte der verzweifelte König nun selbst hinein/ aber ihre breiten, steifen Röcke hielten sie oben wie Fisch­ kasten, dabei jammerten sie, es komme ihnen kalt an die Beine, und sie würden von Fischen

gebissen.

Hierzu raste

der König

um seine Tochter, die Königin jammerte um die Katze, die Mu­ sikanten spielten und schrieen den Staatsreim in einem betrübten

Lon- denn die Damen und Pauker und Trompeter, die um das

Schiff herumschwammen, faßten sie an den Haarzöpfen, um sich herauszuhelfen.

Da that die gehetzte Staatskatze plötzlich einen

Satz nach dem Mainzer Schiff, sie hatte aber nicht gut gemessen und fiel ins Wasser, worüber Rattenkahl lachte, daß ihm der Mäusepelz auf den Schultern tanzte, seine Mutter aber, die alte,

böse Königin von Trier, vor Freuden in die Hände patschte. Sie hatte sich die ganze Zeit mit ausgebreiteter Schürze in den

Winkel des Schiffs vor die Staatsratze gesetzt und, um die Katze von sich zu scheuchen, wie ein Hund gebellt.

Die Katze aber wurde von einem schwimmenden Edelknaben

wieder in das Schiff geschleudert.

Da Rattenkahl noch mit dem

Ruder so nach ihr schlug^ daß das Wasser dem König von Mainz die ganze Frisur verdarb^ kam dieser in einen solchen Grimm, daß er ausrief: „So wollt ich dann, daß dich das Bingerloch mit Mann und Maus verschlänge und die Felsensteine rings dazu lachten!" Darauf aber erwiderte die Königin von Trier nichts, als mit einer recht spitzigen feinen Stimme: „Ei, daß dich das Mäuschen beiß!" Die Königin von Mainz herzte und trocknete indes ihre Lieblingskatze, und der König wendete seinen ganzen Zorn nun auf sie, weil er behauptete, diese verwünschte Katze habe all das Unglück herbeigeführt; und sie begannen beinahe schon zu raufen, als der alte Rhein das unartige Betragen all dieser häßlichen Herrschaften nicht mehr länger mit ansehen konnte und plötzlich einen heftigen Sturm in seinen Wellen zu erheben begann. Da flogen die beiden Schiffe wie Spreu auseinander. Das Mainzer Schiff flog gegen Mainz, das trierische gegen Koblenz zurück. Da das letzte aber bei Bingen um die Ecke herumfuhr, ward die Verwünschung des Königs von Mainz schon an ihm wahr: der Strudel faßte das Schifflein und drehte es herum wie einen Kreisel, immer geschwinder und geschwinder- da lautete es, als wenn sich ein Niese gurgelte, und auf einmal war das Schiff voll Wasser, und Rattenkahl, seine Mutter und die Ratze verschwan­ den mit ihm. Die Felsen aber lachten rings dazu: „Klick, klack, klack!" als wenn man mit tausend Peitschen knallte. So ward der Fluch des Mainzer Königs wahr und der Traum des frommen Müllers Radlauf auch und der alte Staats­ reim auch- denn sein Freund, der alte Rhein, trieb dem schwim­ menden Radlauf den Schatz, die schöne Ameleia, richtig in die Arme. Mit ungemeiner Anstrengung arbeitete er, die schon halb­ tote Prinzessin nach seinem Mühldamm hinzubringen, und da er merkte, daß er selbst auch die Besinnung zu verlieren begann, umfaßte er die Prinzessin fest mit beiden Armen und rief in Gedanken den Vater Rhein um Hilfe an, der ihn nicht verließ und mit Ameleia gleich neben seiner Mühle, auf der schönen Wiese, ans Land warf, wo sie beide ohnmächtig wie tot neben einander lagen.

Brentano.

16 [IV]

3.

Wie Radlauf die schöne Ameleia in seine Mühle

führt und bewirtet. Der Rhein war schon wieder ganz ruhig und spiegelglatt^

und die Sonne schien warm hernieder: da erwachte Radlauf aus seiner Betäubung. Ach! wie war er verwundert, als er die schöne Prinzessin in ihrem griinell goldgestickten Samtrock neben

sich im Grase liegen sah. Schnett sprang er auf und kniete wieder vor ihr nieder und flüsterte: ,/Ach, allerholdseligste Prinzessin! wollen Sie nicht aufstehen und sich in meine Mühle bemühen?" Da sie aber

kein Zeichen von sich gab, kam er in die größte Angst und dachte erst, daß sie wohl gar könne ertrunken sein. Nun besann

er sich hin und her, was er für Mittel gehört hatte, Ertrun­

kene wieder zu sich selbst zu bringen. recht gefallen-

Aber es wollte ihm keines

er wagte keines aus Schüchternheit anzuwenden-

so sehr unwürdig fühlte er sich, die Prinzessin zu berühren. Wie er so ihr in das liebliche Angesicht schaute, summte eine kleine, goldene Biene um sie her und wollte sich eben auf

ihren roten Mund, den sie für eine duftende rote Nelke hielte niederlassen.

Da vergaß Radlauf in der Angst, die Biene möge

die Prinzessin stechen, alle seine vorige Schüchternheit und gab der schönen Ameleia, als er die Biene verjagen wollte, eine ziemliche

Ohrfeige, nach welcher sie mit einem tiefen Seufzer die Augen aufschlug und erwachte. Da sie

sich

endlich

aufrichtete und auf ihren Füßen fest

wie eine schöne Bildsäule am Rhein dastand und gar nichts von

der Ohrfeige zu wissen schien, that er auch weiter keine Erwäh­ nung davon.

Die Prinzessin sah bange den Rhein hinauf, da

hörte sie noch in weitester Entfernung eine Trauermusik erschallen,

mit welcher das Schiff ihrer Eltern nach Mainz zurück ruderte. Das beruhigte einigermaßen ihr Herz; denn wo ihr Bräutigam, der Prinz Rattenkahl, hingekommen sein möge, das kümmerte sie

gar nicht, weil sie eigentlich aus Schrecken über dessen unange­ nehmes Aussehen in das Wasser gefallen war. Nun kniete sie nieder und dankte Gott von Herzen, daß er

sie so wunderbarlich errettet habe, und wandte sich dann zu Rad­ lauf, dem sie nun auch von Herzen dankte und ihn bat, sie in

seine Mühle zu führen, damit sie ein wenig schlafen könne. Radlauf konnte vor Freude und Entzücken, als die schöne

Prinzessin mit ihm sprach, gar kein Wort Vorbringen.

Er machte

bloß eine uuterthänige Verbeugung, und als sie nach der Mühle

zu wandelte, ging er hinter ihr her, teils aus Ehrerbietung, teils

damit ihr die vom Rheinwasser noch sehr nasse Schleppe nicht so kalt an die Beine schlagen sollte. Der Prinzessin gefiel diese Artigkeit des Müllers gar sehr, und sie sah dann und wann um und nickte ihm freundlich mit dem Kopf. Er aber sah ganz beschämt an den Boden, und wie erstaunte er nicht, als er überall, wo die schöne Ameleia ihren Fuß auf der Wiese hinsetzte, lauter Ehren­

preis und Königskerzen und Rittersporn und andere adelige Blumen aufblühen sah, worauf er wieder sehr an seinen Traum

gedachte. So traten sie in die klappernde und stäubende Mühle, und als er sie in seine Stube gebracht, redete sie mit großer Freund­

lichkeit einige Worte zu ihm- doch konnte er ihre Stimme nicht verstehen vor dem Mühlgeräusch, und er wollte sich schon weg­

begeben, die Mühle fest zu stellen, aber sie blieb in demselben Augenblick von selbst stehen,

was ihn zu einer andern Zeit ge­

wiß sehr verwundert hätte, ihm jetzt aber gar nicht auffiel, so

beschäftigt war er mit seinem vornehmen Besuch mit dem Gedanken,

was

in aller Welt

und besonders

er ihr wohl für eine

Mahlzeit auftischen sollte.

Radlauf verbeugte sich vor Ameleia und bat sie,

sich es

bequem zu machen- er legte ihr weiße Tücher über sein Bett, setzte ihr frisches Wasser hin und feine Kleie zum Waschen, auch sein bestes Handtuch und einen

ganz

neuen buchsbaumenen Kamm,

den er selbst geschnitten hatte, wie auch das Brauthemd seiner verstorbenen Mutter und die Hochzeitkleider derselben, damit sich

die Prinzessin umkleiden könne-

dann machte er ein Feuer auf

den Herd, teils ihr etwas zu kochen, teils auch die durchnäßten Kleider zu trocknen.

Alles das that er still, ohne ein Wörtchen zu sagen. Hessel. Musterprosa IV.

2

Die

Brentano.

18 [IV]

Prinzessin war auch ganz still und sah ihm zu, wie er alles so fleißig und bedachtsam und bescheiden

angenehm sein könnte.

was ihr etwa

besorgte,

Nun nahm er noch seine eigenen Sonn­

tagskleider aus dem Kasten, hängte sie über den Arm, legte ein

Stückchen Kreide auf den Tisch,

nieder und sprach:

ließ

sich

dann

„Allerholdseligste Prinzessin!

auf ein Knie

wenn Sie sich

der wenigen Bequemlichkeit in der Stube eines armen Müllers bedient haben, geruhen Sie mit dieser Kreide hier an die schwarze

Küchenthüre Ihre sämtlichen Leibspeisen aufzuzeichnen, damit ich hernach wieder hereinkomme und sehe, womit ich Sie in der Eile zu erquicken vermag." Die Prinzessin war durch die Artigkeit

des Müllers sehr

gerührt, brach die Kreide entzwei und gab dem Müller ein Stück

mit den Worten:

„Nimm hin, mein guter Radlauf! begib dich

in die Küche, und schreib auf die andere Seite der Thüre deine Leibspeisen, und diejenigen, welche wir beide zugleich werden aus­ geschrieben haben, sollst du mir dann bereiten." Radlauf nahm die Kreide und sprach:

„Nicht allein dieses, sondern auch alles

andere, was Sie wünschen könnten, schwöre ich Ihnen zuzube­ reiten, wenn es in meinem Vermögen steht." Nun machte er eine Verbeugung und begab sich nach der Küche.

Kaum war Radlauf in

der Küche,

als

er ein hübsches

Feuer auf dem Herd machte und alles Geschirr recht reinlich aus­

scheuerte, wobei er sich immer besann, was er für Lieblingsgerichte

aufschreiben sollte,- aber es wollte ihm auch gar nichts anders ein­ fallen,

als gebrannte Mehlsuppe und Rühreier,

denn er hatte

sein Lebtag nichts anders gegessen und kannte auch kein anderes Gericht.

Unter diesen Geschäften und Sorgen horchte er dann

und wann nach der Thüre hin, ob die Prinzessin etwa schon auf

der andern Seite ihre Lieblingsspeisen daran schreibe- aber er ver­

nahm noch nichts, sie schien beschäftigt, sich umzukleiden.

Mit

allem war er nun bereit, nur besann er sich noch immer auf irgend

eine andere Speise und rieb sich die Stirne, indem er auf und

ab ging. Indem hörte er die Prinzessin mit der Kreide an der Thüre schreiben, und schnell sprang er mit seiner Kreide auch an die Thüre,'

sie schrieb von außen und er von innen^

lange, als er längst fertig war.

und sie schrieb nock-

Endlich machte sie die Thüre

auf und sprach: ,/Jetzt will ich lesen, was ich alles ausgeschriebenwenn du es nicht hast, so gib-mir ein Zeichen!" Da las sie: „Gebackene Pflaumen von Wolfenbüttel?" Der Müller mit dem Kopfe schüttelt. „Ein verzuckerter Schweinskopf?" Der Müller schüttelt mit dem Kopf. „Eine Schneckenleber-Pastete?" Der Müller mit dem Kopfe drehte. „Ein vergoldetes Kalbshirn?" Der Müller schüttelt mit der Stirn. „Lämmerschwänzchen in Honig gebacken?" Der Müller schüttelt mit den Backen. „Ein kandierter Wasserhase?" Der Müller schüttelt mit der Nase.

Endlich sagte sie: „Gebrannte Mehlsuppe und Rührei?" Der Mütter sprach: „Es bleibt dabei."

Er verbeugte sich demütig vor der schönen Ameleia und sagte: „Sogleich werde

ich die Ehre haben, Euer Holdseligkeit

zu dienen!" und somit zog er die Küchenthüre wieder zu. Ehe er aber das Essen fertig machte, ging Radlauf noch

einmal nach

seinem Mühlrad,

welches

vorhin stehen geblieben

war, um zu sehen, was es am Gange hindere.

Da fand er nun zu

seiner großen Verwunderung die Krone des Königs von Mainz, die,

als der alte Herr sie in seinem Zorn dem Prinzen Rattenkahl an den Kopf hatte werfen wollen, in den Rhein gefallen war, in

dem

Getriebe seiner Räder hängen, wodurch

waren.

sie

stillgeftanden

Kaum hatte er sie herausgenommen, so ging die Mühle

wieder munter darauf los. Als er nun wieder in die Mühle gehen wollte, sah er jen­

seits des Rheins einen Trompeter auf dem Rochusberg stehen­ der blies, daß es in die Felsen hinein schmetterte, und rief dann

etwas mit lauter Stimme aus.

Auch sah er viele Fischer und

Taucher auf dem Rheine herumfischen und schwimmen und tauchen

und suchen.

Einer von diesen sagte ihm nun, der König von

Mainz habe dem seine Tochter, die Prinzessin Ameleia, zur Ge-

Brentano.

20 [IV]

mahlin versprochen,

der sie lebendig wieder

brächte, und

wer

sie tot bringe, der solle ein Schloß am Rhein haben, und wer sie sammt der verlorenen Krone zurück liefere, der solle sein Nach­ folger sein. Radlauf konnte ihn vor Freude gar nicht zu Ende hören,'

er versteckte die Krone in seinen Busen und hüpfte freudig nach der Mühle über die Wiese hin.

Da er in die Küche kam, hätte^

er beinahe vor Freuden der Prinzessin: juchhe! mein herzaller­

liebster Schatz! zugerufen. Die gebrannte Mehlsuppe und die Rühreier waren inzwi­ schen fertig geworden. Die schöne Ameleia nötigte den Müller zu Tisch, und während sie aßen, ward es ihnen sehr wunderbar zu Mute.

Sie sahen sich immer einander an, und die schöne

Ameleia sagte:

„Mein

lieber Müller, es

ist mir niemals so

wohl gewesen als bei dir, und wenn du von Adel wärest, wollte ich mit niemand mein Leben zubringen, als mit dir!" Radlauf

aber sagte zu ihr: ,,Allerschönste Ameleia, ich habe einen reicheil Freund, den alten Rhein, er soll uns wohl helfen, er hat Euch

mir in die Arme gegeben und wird wohl weiter Rat sichaffen^ Jetzt aber rüstet Euch, daß ich Euch zu Eurem Vater zurückführe."

— „Ach," sagte die schöne Ameleia, „mein Vater ist sehr stolz^ er wird uns gewiß nicht helfen." — „Seid nur ruhig!" sagte Radlauf, „ich habe ein ganz anderes Glöcklein läuten hören."

Und somit ging er mit Ameleia, die ihn nicht mehr ver­

lassen wollte, hinaus auf die Wiese und bat sie, ihm zu helfen^

allerlei Kränze zu machen.

4.

Wie Radlauf die Prinzessin Ameleia nach

Mainz führt. Während sie das that, holte er seinen schönsten Esel und zäumte ihn mit bunten Bändern und schmückte ihn mit den Kränzen. Auch die schöne Ameleia wurde mit Blumen geziert

und setzte sich dann auf den Esel.

Er selbst setzte die Krone des

Königs auf, that seine Feierkleider an und führte, in der einen Hand eine blühende Königskerze tragend, den Esel mit der schönen

Ameleia nach Mainz.

Ihre Gespräche unterwegs waren

von lauter Liebe und

Freundlichkeit^ und sie übereilten sich gar nicht- der Esel machte

drten Schritt nach dem andern.

In den Dörfern entstand die

größte Freude; jedermann, der ihnen begegnete, pries den guten

Müller Radlauf selig und schloß sich dem Zug an- viele aber eilten mit der frohen Nachricht voraus. Der Zug kam Mainz immer näher, und als die schöne

Ameleia die Fenster des Schlosses in der Abendsonne spiegeln

Iah, weinte sie vor Traurigkeit, und als sie über die lange Rhein­ brücke zogen, weinte sie noch viel mehr und sagte zu dem Müller: „Lieber Radlauf, nimm diesen Ring zum Angedenken!" und gab

ihm einen Ring, „und diesen Kranz wirf in den Rhein, daß ^r uns helfe!" Das that der Müller, und sie zogen in die Stadt

ein, vom Volke begrüßt, und vor das Schloß. Der König lag mit der Königin am Fenster, und als Rad­

lauf sie sah, machte er mit dem Esel halt, schwenkte die Krone und rief hinauf: „Ich wünsche euch einen

guten Abend, Herr

Schwiegervater und Frau Schwiegermutter!

Hier bringe ich euch

meine Braut, eure Tochter, die schöne Ameleia, lebendig: nun -sagt mir öffentlich vor dem Volke zu, was eure Trompeter aus-

geblasen haben, so schließen."

sollt ihr euer Kind

wieder in

eure Arme

[Der König und die Königin wurden totenbleich und wollten ihre Tochter dem Müller Radlauf nicht geben. Aber der gute, alte Vater Rhein half den beiden, und zuletzt wurde doch die Hochzeit gefeiert, und wie der alte König gestorben war, da wurde Radlauf König von Mamz, und Ameleia wurde Königin.]

Ernst Curtius (1814—1896). 6. Aus der Gedächtnisrede auf den Generalfeldmarschall Grafe« Moltke. (Gehalten zu Berlin am 2. Juli 1891.) Moltke vereinigte in sich, was wir so selten in einer Per­ sönlichkeit vereinigt finden.

Ein Mann der That, der schon als

Erforscher Asiens keine Lebensgefahr scheute, ein unerschrockener

Ihre Gespräche unterwegs waren

von lauter Liebe und

Freundlichkeit^ und sie übereilten sich gar nicht- der Esel machte

drten Schritt nach dem andern.

In den Dörfern entstand die

größte Freude; jedermann, der ihnen begegnete, pries den guten

Müller Radlauf selig und schloß sich dem Zug an- viele aber eilten mit der frohen Nachricht voraus. Der Zug kam Mainz immer näher, und als die schöne

Ameleia die Fenster des Schlosses in der Abendsonne spiegeln

Iah, weinte sie vor Traurigkeit, und als sie über die lange Rhein­ brücke zogen, weinte sie noch viel mehr und sagte zu dem Müller: „Lieber Radlauf, nimm diesen Ring zum Angedenken!" und gab

ihm einen Ring, „und diesen Kranz wirf in den Rhein, daß ^r uns helfe!" Das that der Müller, und sie zogen in die Stadt

ein, vom Volke begrüßt, und vor das Schloß. Der König lag mit der Königin am Fenster, und als Rad­

lauf sie sah, machte er mit dem Esel halt, schwenkte die Krone und rief hinauf: „Ich wünsche euch einen

guten Abend, Herr

Schwiegervater und Frau Schwiegermutter!

Hier bringe ich euch

meine Braut, eure Tochter, die schöne Ameleia, lebendig: nun -sagt mir öffentlich vor dem Volke zu, was eure Trompeter aus-

geblasen haben, so schließen."

sollt ihr euer Kind

wieder in

eure Arme

[Der König und die Königin wurden totenbleich und wollten ihre Tochter dem Müller Radlauf nicht geben. Aber der gute, alte Vater Rhein half den beiden, und zuletzt wurde doch die Hochzeit gefeiert, und wie der alte König gestorben war, da wurde Radlauf König von Mamz, und Ameleia wurde Königin.]

Ernst Curtius (1814—1896). 6. Aus der Gedächtnisrede auf den Generalfeldmarschall Grafe« Moltke. (Gehalten zu Berlin am 2. Juli 1891.) Moltke vereinigte in sich, was wir so selten in einer Per­ sönlichkeit vereinigt finden.

Ein Mann der That, der schon als

Erforscher Asiens keine Lebensgefahr scheute, ein unerschrockener

22 [IV]

Curtius.

Krieger, der auch als Scklachtenlenker sich bei seinen Rekognos--

zierungen

bis

über die äußersten Schützenlinien vorwagte, ein

Mann, der vom Generalstabsgebäude aus mit wachsamem Umblick unablässig beschäftigt war, alle Heere Europas, alle Änderungen

der Waffen und Waffentechnik,

alle Erfindungen des Festungs­

baues, alle Fortschritte des Verkehrswesens scharf im Auge zu

behalten, um jede Erfahrung unverzüglich für die Erhöhung der

vaterländischen Wehrkraft zu verwerten — und bei dieser ununter­ brochen nach außen gerichteten Wachsamkeit und Wirksamkeit blieber immer der in sich Gesammelte, der denkende Geist, dem ernste

Forschung ein Lebensbedürfnis an Kunst

und

Wissenschaft.

darüber gestritten wurde,

war, Wenn

voll lebendiger Teilnahme

also

schon

im

Altertum

welchem Leben der Vorzug gebühre,

dem beschaulichen Leben des Weisen, der an seinem ruhigen Auge

die Weltbegebenheiten Leben

des

oder dem praktischen.

vorüberziehen sieht,

Staatsmannes

und

Feldherrn,

so

hat Moltke in

seltener Weise beides in sich vereinigt, ein unvergleichlicher Zeuge dafür, daß bei voller Entwickelung des Denkvermögens die männ­ liche Thatkraft unversehrt bleiben kann,' und daß es ein Deutschee

war, der diese Doppelkraft bis in das höchste Alter sich bewahren konnte, das ist es, wofür wir Gott von Herzen danken.

Moltke ist ein reich begnadigter Mensch gewesen im Leben wie im Sterben.

Mit dankbarem Gemüt hat er selbst den Segen

anerkannt, der sein Wirken begleitet hat.

Schon bei der Heim­

kehr von Königgrätz hörte man ihn sagen: „Es ist schön, wenn der Herr einem Manne den Lebensabend so erhellt, wie er es dem Könige und vielen

seiner Generale

gethan,'

auch ich bin

jetzt 66 Jahre alt, und für mein Wirken in diesem Leben habe ich einen so herrlichen Lohn erhalten, wie wohl wenige Menschen-

Wir haben einen Feldzug geführt, der für Preußen, für Deutsch­

land, für die Welt

eine unermeßliche Bedeutung hat.

Gottes

Gnade hat unser redliches und thatenkräftiges Streben mit glorreichen Siegen belohnt. Wir alten Leute aus dem böhmischen Feldzuge können uns rühmen, welche harten Kämpfe wir auch in unserem früheren Leben

durchgekämpst haben,

Glückes Schoßkinder zu sein."

dennoch

des

So sprach er damals, mit keinem Worte seiner Verdienste gedenkend.

waren,-

Er erkannte wohl, daß es nicht die letzten Kämpfe

aber er dankte schon für die den Alten des Geschlechts

gegönnten Erfolge und ahnte nicht, was er noch selbst mit inv geschwächter Manneskraft zu leisten berufen sei, der auserwählte Held des

inhaltreichsten Jahrhunderts vaterländischer Geschichte,

unter dem die deutsche Nation sich unüberwindlich fühlte.

Elisabeth Goethe 7.

(1731—1808).

Briefe an ihren Sohn nnd die Seinen. I. An Goethe in Rom.

Frankfurt, den 17. November 1786. Lieber Sohn.

Eine Erscheinung aus der Unterwelt hätte

mich nicht mehr in Verwunderung setzen können, als Dein Brief

aus Rom.

Jubilieren

hätte ich

vor Freude mögen,

daß der

Wunsch, der von frühester Jugend an in Deiner Seele lag, nun

in Erfüllung gegangen ist.

Einen Menschen, wie Du bist, mit

Deinen Kenntnissen, mit Deinem großen Blick vor alles, was gut,

groß und schön ist, der so ein Adlerauge hat, muß so eine Reise auf sein ganzes übriges Leben

vergnügt

und

glücklich machen,

und nicht allein Dich, sondern alle, die das Glück haben, in Deinem Wirkungskreis

zu

leben.

Ewig

werden

mir

die

Worte

der

seligen Klettenbergern im Gedächtnis bleiben: „Wenn dein Wolf­ gang nach Mainz reiset, bringt er mehr Kenntnisse mit als andere, die von Paris noch London zurückkommen." Aber sehen

hätte ich Dich mögen beim ersten Anblick der Peterskirche.

Doch

Du versprichsts ja, mich in der Rückreise zu besuchen, da mußt Du mir alles haarklein erzählen.

schrieb Fritz von Stein,

Vor ungefähr vier Wochen

er wäre Deinetwegen in großer Ver­

legenheit, kein Mensch, selbst der Herzog nicht, wüßten, wo Du

wärest, jedermann glaubte Dich in Böhmen u. s. w. Dein mir so sehr lieber und interessanter Brief vom 4. November kam Mitt­

wochs den 15. dito Abends um 6 Uhr bei mir an. — Denen

So sprach er damals, mit keinem Worte seiner Verdienste gedenkend.

waren,-

Er erkannte wohl, daß es nicht die letzten Kämpfe

aber er dankte schon für die den Alten des Geschlechts

gegönnten Erfolge und ahnte nicht, was er noch selbst mit inv geschwächter Manneskraft zu leisten berufen sei, der auserwählte Held des

inhaltreichsten Jahrhunderts vaterländischer Geschichte,

unter dem die deutsche Nation sich unüberwindlich fühlte.

Elisabeth Goethe 7.

(1731—1808).

Briefe an ihren Sohn nnd die Seinen. I. An Goethe in Rom.

Frankfurt, den 17. November 1786. Lieber Sohn.

Eine Erscheinung aus der Unterwelt hätte

mich nicht mehr in Verwunderung setzen können, als Dein Brief

aus Rom.

Jubilieren

hätte ich

vor Freude mögen,

daß der

Wunsch, der von frühester Jugend an in Deiner Seele lag, nun

in Erfüllung gegangen ist.

Einen Menschen, wie Du bist, mit

Deinen Kenntnissen, mit Deinem großen Blick vor alles, was gut,

groß und schön ist, der so ein Adlerauge hat, muß so eine Reise auf sein ganzes übriges Leben

vergnügt

und

glücklich machen,

und nicht allein Dich, sondern alle, die das Glück haben, in Deinem Wirkungskreis

zu

leben.

Ewig

werden

mir

die

Worte

der

seligen Klettenbergern im Gedächtnis bleiben: „Wenn dein Wolf­ gang nach Mainz reiset, bringt er mehr Kenntnisse mit als andere, die von Paris noch London zurückkommen." Aber sehen

hätte ich Dich mögen beim ersten Anblick der Peterskirche.

Doch

Du versprichsts ja, mich in der Rückreise zu besuchen, da mußt Du mir alles haarklein erzählen.

schrieb Fritz von Stein,

Vor ungefähr vier Wochen

er wäre Deinetwegen in großer Ver­

legenheit, kein Mensch, selbst der Herzog nicht, wüßten, wo Du

wärest, jedermann glaubte Dich in Böhmen u. s. w. Dein mir so sehr lieber und interessanter Brief vom 4. November kam Mitt­

wochs den 15. dito Abends um 6 Uhr bei mir an. — Denen

Elisabeth Goethe.

24 [IV]

Bethmännern habe ich ihren Brief aus so eine drollige Weise in die Hände gespielt/ daß sie gewiß auf mich nicht raten. Von meinem innern ein klarer Bach.

äußern Befinden folgt hier ein

und

genauer und treuer Abdruck:

Mein Leben fließt still dahin wie

Unruhe und Getümmelt war von jeher meine

Sache nicht, und ich danke der Vorsehung vor meine Tage. Tausend würde so ein Leben zu eintönig Vorkommen, mir nicht, was in mir denket

so ruhig mein Körper ist, so thätig ist das, — da kann

ich

einen ganzen geschlagenen Tag ganz allein

so

daß es Abend ist, und bin vergnügt wie eine Göttin, und mehr als vergnügt und zufrieden sein braucht man wohl in dieser Welt nicht. Das Neuste von Deinen alten

zubringen, erstaune,

Bekannten

ist,

daß

Papa la Roche nicht mehr in Speier ist,

sondern sich ein Haus in Offenbach gekauft hat und sein Leben

Deine übrigen Freunde sind alle

allda zu beschließen gedenket.

noch, die sie waren, keiner hat so Riesenschritte wie du gemacht.

Wir waren aber auch immer die Lakaien, sagte einmal der ver­ Wenn Du herkommst,

storbene Max Mohrs. Menschenkinder

alle

eingeladen und

Geflügel, wie Sand

Wildbrets, Braten,

eben pompos hergehen. thäniger

ein,

Zweifel

herrlich

so

müssen

diese

traktiert werden:

am Meer — es soll

Lieber Sohn, da fällt mir nun ein unter-

ob

dieser Brief wohl in Deine Hände

kommen möchte: ich weiß nicht, wo Du in Rom wohnest, du bist

halb incognito, wie Du schreibest.

Wollen das Beste hoffen.

Du

wirst doch, ehe Du kommst, noch etwas von Dir hören lassen, so

glaube ich, jede Postschäße brächte mir meinen einzig Geliebten — und betrogene Hoffnung wohl,

Bester!

Und

Lebe­

ist meine Sache gar nicht.

gedenke

öfters

an

deine

treue

Mutter

Elisabethe Goethe.

II. Über lateinische Lettern. (Aus Briefen an Christiane und ihren Sohn). Den 12. März 1798.

Nun ein Wort über unser Gespräch bei Deinem Hiersein über die lateinischen Lettern — den Schaden, den sie der Mensch­ heit thun, will ich Dir ganz handgreiflich darthun.

Sie sind wie

Elisabeth Goethe.

[IV] 25

ein Lustgarten, der Aristokraten gehört, wo niemand als No­ blesse — und Leute mit Stern und Bändern hineindürfen — unsere deutschen Buchstaben sind wie der Prater in Wien, der Kaiser Joseph drüber schreiben ließ:

Wären Deine Schriften mit

den

wo

Für alle Menschen. —

fatalen Aristokraten

gedruckt,

so allgemein wären sie bei all ihrer Vortrefflichkeit nicht geworden —

Schneider — Näherinnen — Mägde — alles liest es — jedes findet etwas, das so ganz für sein Gefühl paßt — genug, sie

gehen mit der Litteraturzeitung, Doktor Hufnagel u. a. m. pele

mele im Prater spazieren, ergötzen sich, segnen den Autor und lassen ihn hoch leben!!! Was hat Hufeland übel gethan, sein

vortreffliches Buch

mit den vor die größte Menschenhälfte un­

brauchbaren Lettern drucken zu lassen — sollen denn nur Leute

von Stand aufgeklärt werden? soll denn der Geringere von allem Guten ausgeschlossen sein? und das wird er, wenn dieser neumodischen Fratze nicht Einhalt gethan wird. Von Dir,

mein lieber Sohn, hoffe ich, daß ich nie ein solches menschenfeind­

liches Produkt zu sehen bekomme. Den 25. Dezember 1807. Seine Eugenie, das ist ein Meisterstück — aber die Groß­

mutter hat aufs neue die lateinischen Lettern und den kleinen Druck zum Adrachmelech gewünscht,- er lasse ja nichts mehr so

in

die Welt ausgehn!



halte fest an deutschem Sinn —

deutschen Buchstaben- denn wenn das Ding so fortgeht, so wird

in 50 Jahren kein Deutsch mehr weder geredet noch geschrieben —

Ihr seid hernach

und Du und Schiller,

klassische Schriftsteller,

wie Horaz, Livius, Ovid, und wie sie alle heißen; denn wo keine Sprache mehr ist, da ist auch kein Volk — was werden alsdann die Professoren Euch zergliedern — auslegen — und der Jugend

einbläuen — darum,

so lang es geht:

deutsch, delltsch geredet,

geschrieben und gedruckt!

III. An Christiane. Den 23. September 1797.

Liebe Freundin! Zwei-, ja dreifachen Dank bin ich Ihnen schuldig: vor die Huflandischen Bücher — vor die außerordentlichen schönen und

Elisabeth Goethe.

26 [IV]

die mir wie angegossen sind — und

Wohlgeratnen Strümpfe^

mich diesen Winter vor der Kälte wohl beschützen sollen — und

endlich, daß Sie mir doch ein klein Fünkchen Licht von meinem Sohn angezündet haben- vermutlich wissen Sie also, wo er ist.

Gestern waren es vier Wochen, daß er von hier weggereist ist,

und ich habe

noch keine Zeile von ihm

gesehen.

Die Briefe,

die nach seiner Abreise bei mir eingelaufen sind, liegen ruhig auf meinem Tisch, da ich nicht weiß, wo er ist — und ich sie also unmöglich ihm nachschicken kann.

Da ich von Ihnen, liebe Freundin, höre, daß er wohl und vergnügt ist, so bin ich ruhig und will alles andre geduldig ab­ warten. Unsere Messe ist diesmal außerordentlich brillant: könig­

liche Bräute, zukünftige Kurfürstinnen, Prinzen, dito Prinzessinnen,

Grafen, Barone mit und ohne Stern u. s. w. Es ist ein Fahren^ Reiten, Gehen durcheinander, das spaßhaft anzuschauen ist. Mitt­

lerweile wir nun hier gaffen, klaffen und ein wahres Schlaraffen­ leben führen, sind Sie,

meine Liebe, arbeitsam, sorgsam, wirt­

schaftlich, damit, wenn der Hätschelhans zurückkommt, er Kammern und Speicher angefüllt von allem Guten vorfinden wird.

Neh­

men Sie auch dafür meinen besten Dank, denn ein wirtschaft­

liches Weib ist das edelste Geschenk vor einen Biedermann,

da

das Gegenteil alles zerrüttet und Unglück und Jammer über die ganze Familie verbreitet.

Bleiben Sie bei

denen Ihnen bei­

wohnenden edlen Grundsätzen, und Gott und Menschen werden Wohlgefallen an Ihnen haben, auch wird die Ernte die Mühe reichlich belohnen. Grüßen Sie den lieben Augst und danken ihm durch

einen Kuß vor seinen lieben Brief!

Gott erhalte ihn zu

unser aller Freude gesund und lasse ihn in die Fußstapfen seines

Vaters treten!

Amen.

Behalten Sie mich indessen in gutem,

liebevollem Andenken, und seien Sie versichert, daß ich bis ans Ende

meiner Tage sein werde dero treue Mutter und Freundin Goethe. Den 5ten November 1797.

Liebe Freundin, hier kommen die Kastanien, ich wünsche, daß

sie wohl schmecken und ebenso bekommen mögen, es gibt dieses Jahr nicht viele, sie halten immer gleichen Schritt mit dem Wein, wenn der nicht im Überfluß gerät, so geraten sie auch nicht. Jetzt wünsche

ich nur, daß mein Sohn sie mit verzehren helfen möchte. — Soll­

ten Sie wohl glauben,

daß ich noch bis auf den heutigen Tag

keine Silbe von ihm gesehen habe, weiß nicht, in welcher Himmels­

gegend er sich befindet, weiß eben nichts, platterdings gar nichts, das ist doch wirklich kurios.

Wenn ich gefragt werde, wo er ist,

so sage ich: in der Schweiz — weiter weiß ich keine Antwort zu geben — müssen es eben abwarten — endlich wird das Inkognito doch ein Ende nehmen, und wir werden erfahren, wo er eigent­ lich ist, was er treibt, und wenn er zurückkommt. Wir, meine

liebe Freundin, leben jetzt in großem Jubel,

weil es,

Gott sei

Dank, endlich Friede geworden ist und wir keine Kriegsunruhen mehr zu befürchten haben!

Unser rechtes Gaudium geht freilich

erst an, wenn das Reich auch dabei ist, und das kann noch diesen

Winter über dauern, bis alles ins reine gebracht ist — aber Furcht und Angst ist doch verschwunden — und ich sehe schon im Geiste das Friedensfest feiern — höre schon alle Glocken läuten —

potz Fischen! Was wollen wir da Vivat rufen! Sie wissen, meine Liebe, wie nahe ich an der Hauptwache wohne, da wird der werte Friede ausgetrompetet und ausgepaukt — das wird

ein Leben sein!!!

Mittlerweite werden wir doch auch etwas

meinem Sohn erfahren — das gibt dann noch eine große Freude, die letzte gebe uns Gott je eher, je lieber,

Amen.

Haben Sie

die Güte, Ihrem Herrn Bruder recht schön zu danken für die zwei vortrefflichen Taschenbücher, die sind in- und äußerlich ganz herr­ lich — das eine wird nur zur Parade alle Sonntage und Fest­ tage gebraucht — das ist so schön, daß es nur die besten Freunde

von mir in die Hände nehmen dürfen — und der Inhalt hat außer­ ordentliche Wirkung gemacht, jedermann findet es ganz vortreff­

lich — unser Senior Doktor Hufnagel hat ein Brautpaar mit den Worten, womit Hermann und Dorothea eingesegnet toorben, zusammengegeben und dabei gesagt, eine bessere Kopulationsrede

wüßte er nicht.

Ich hoffe, sein langes Stillschweigen bringt uns

wieder so etwas Gutes,

sollen.

Leben Sie wohl,

womit

wir freudig

grüßen

und

überrascht werden

küssen den lieben Augst

— und sagen ihm, daß der Christtag im Anmarsch ist, und daß

die Großmutter nicht ermangeln würde, ihr gethanes Versprechen

Elisabeth Goethe.

28 [IV] zu halten!

Übrigens sein Sie versichert^ daß ich für jetzt und

immer bin

Ihre wahre Freundin und Mutter Goethe.

IV. An ihren Enkel Augnst Goethe. Den 21ten Zuli 1798. Lieber Augst!

So

oste

ich

ein so schön und deutlich geschriebenes Heft

von Dir erhalte, so freue ich mich, daß Du so geschickt bist, die

Dinge so ordentlich und anschaulich vorzutragen, auch schäme ich mich nicht, zu bekennen, daß Du mehr von diesen Sachen, die von so großem Nutzen sind, weißt, als die Großmutter. Wenn ich so gerne schriebe wie Du, so könnte ich Dir erzählen, wie elend die Kinder zu der Zeit meiner Jugend erzogen wurden. Danke

Du Gott und Deinen lieben Eltern, die Dich alles Nützliche und Schöne so gründlich sehen und beurteilen lernen, daß andere, die dieses Glück der Erziehung nicht haben, im 30. Jahre noch

alles vor Unwissenheit anstaunen, wie die Kuh ein neues Thor. Nun ist es aber auch Deine Pflicht, Deinen lieben Eltern recht gehorsam zu sein, und ihnen vor die viele Mühe, die sie sich ge­

ben, deinen Verstand zu bilden, recht viele, viele Freude zu machen, auch

den lieben Gott zu bitten,

Vater und Mutter gesund zu

erhalten, damit sie Dich zu allem Guten ferner anführen können. Ja, lieber Augst!

Ich weiß aus Erfahrung,

was

das heißt,

Freude an seinem Kinde erleben — Dein lieber Vater hat mir

nie, nie Kummer oder Verdruß verursacht — drum hat ihn auch der liebe Gott gesegnet, daß er über viele, viele empor gekommen ist und hat ihm einen großen und ausgebreiteten Ruhm gemacht,

und er wird von allen rechtschaffenen Leuten hochgeschätzt. Da nimm ein Exempel und Muster dran, denn so einen Vater haben und

nicht alles anwenden, auch brav zu werden,

das läßt sich von

so einem lieben Sohn nicht denken, wie mein Augst ist.

Wenn

Du wieder so interessante Nachrichten gesammelt hast, so schicke sie

mir. — Ich bin und bleibe Deine treue und gute Großmutter Goethe.

V. An ihre Enkelin Luise Nicolovius. Den 5. Llpril 1796.

Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen, der große Dinge thut — ja wohl, an Euch, an mir, an uns allen

hat er sich aufs neue als den manifestiert, der freundlich ist und

dessen Güte ewiglich währet



gelobet sei sein heiliger Name,

Amen! Lieben Kinder! Gott segne Euch in Eurem neuen Stand!*) Der

Vater-

Muttername ist

und

ehrwürdig —

o,

was vor

Freuden warten Eurer! und glückliches Knäbelein, die Erziehung solcher vortrefflichen Eltern und Großeltern zu genießen — wie

sorgfältig wirst Du, mein kleiner Liebling, nach Leib und Seele gepflegt werden! wie frühe wird guter Same in Dein junges Herz gesät werden — wie bald alles, was das schöne Ebenbild

Gottes, was Du an Dir trägst, verunzieren könnte, ausgerottet sein — Du wirst zunehmen an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen! Die Urgroßmutter kann zu allem diesem Guten nichts beitragen, die Entfernung ist zu groß. Sei froh, lieber Johann Georg Eduard, die Urgroßmutter kann keine

Kinder erziehen, schickt sich gar nicht dazu — thut ihnen allen Willen, wenn sie lachen und freundlich sind, und prügelt sie, wann sie greinen oder schiefe Mäuler machen, ohne auf den Grund zu gehen, wa­

rum sie lachen,

warum sie greinen — aber lieb will ich Dich

haben, mich herzlich Deiner freuen, Deiner vor Gott oste und viel gedenken, Dir meinen urgroßmütterlichen Segen geben, ja, das kann, das werde ich. — Nun habe ich dem jungen Weltbürgerdeutlich gesagt, was er von mir zu erwarten hat, jetzt mit Euch, meinen lieben großen Kindern, noch ein paar Worte:

Meinen besten Dank vor Eure mir

Briefe — sie

so

liebe und

thun meinem Herzen immer wohl und

teure

machen

nlich überaus glücklich — besonders die Nachricht, daß das Päck­

chen wohl angekommen wäre, denn darüber hatte ich große Be­ sorgnis, machte mich sehr froh — denn denkt nur!! wenn der Urgroßmutter ihr Machwerk, worüber die gute Matrone so

manchen lieben langen Tag gesessen und geklöppelt verloren gegangen

oder zu spät gekommen,

hat,

wäre

das wäre mir gar

kein Spaß gewesen. Der kleine Junge hat mir den Kopf vor lauter Freude *) Der Urenkel Johann Georg Eduard Nieolovius war geboren, und die Urgroßmutter sollte Patin werden.

Elisabeth Goethe.

30 [IV] so verrickt,

daß die eigentliche Gratulation^ die doch nach der

ordentlichen Ordnung zu Anfang

stehen sollte^, jetzt hintennach

kommt — bedeutet aber ebensoviel und geht ebenso aus dem Herzen. Gott lasse Euch Freude und Wonne in großem Maß an Eurem Kindlein erleben! es sei Eure Stütze auch in Eurem Alter! es sei Euch das, was Ihr Euren Eltern und der Groß^ mutter seid! das ist der beste Wunsch, besser weiß ich keinen. — Liebe Frau Gevatterin! (der Titel macht mir großen Spaß),

da ist Sie wieder frisch sei Sies nicht gar zu sehr — gehe Sie nicht zu früh in die Aprillufy denn der hat seine Rücken,

wenn dieses zu Ihren Händen kommt, und flink, aber höre Sie,

wie die alte Gertraud im Wandsbecker Boten. Bleibe Sie hübsch in Ihrem Kämmerlein, bis der Mai kommt, damit kein Katarrh und Husten Sie beschweren möge — nun, ich hoffe, Sie wird guten

Rat annehmen.

Nun, lieber Herr Gevatter! Tausend Dank noch­

mals vor alle Eure Liebe — vor Eure schönen Briefe,

Luise ihre mit eingeschlossen,

der

vor die gute, herzerfreuende Nach­

richt, vor die Gevatterschaft, vor alles Liebes und Gutes, womit

Ihr schon so manchmal mein Herz erfreut habt — Gott lohne Euch dafür! Behaltet mich lieb! Ihr lebt und schwebt in dem Herzen derjenigen, Urgroßmutter

N. S.

die ist und

bleibt Eure treue Groß-

und

Goethe.

Der vortrefflichen Frau Gräfin von Stolberg, wie

nicht minder der lieben Tante Jacobi meinen besten Dank vor ihre Liebe und Freundschaft gegen meine Luise — Gott segne sie davor!

Der Scharlot habe ich sogleich den Brief überschickt —

Himmel! was wird die vor Freude greinen! gutes, aber kurioses Geschöpf:

Das ist ein herz-

die greint bei Freude, die greint

bei Leide, wenns regnet, und wenn die Sonne scheint, verdirbt

ihre Augen ganz ohne Not und macht dem Urenkelein keine Spitzen! VI. An die Herzogin Anna Amalie.

Frankfurt, am 22. Oktober 1782.

Durchlauchtigste Fürstin I Was dem müden Wanderer ein Ruheplätzchen, dem Durstigen eine klare Quelle und alles,

was

sich noch dahin zählen läßt,

was die armen Sterblichen stärkt und erlabt, war das gnädige

Andenken

unserer

besten Fürstin.

Vergessenheit geraten,

Du bist also noch nicht in denkt noch an dich,

teuerste Fürstin

die

fragt nach deinem Befinden: tausendfacher Dank sei Jhro Durch­

laucht davor gebracht!

Jhro Durchlaucht haben die Gnade, zu

fragen, was ich mache.

O, beim Jupiter, so wenig als möglich

imb das wenige noch obendrauf von Herzen schlecht.

Wie

ists

aber auch anders möglich? Einsam, ganz aAein mir selbst über­ lassen*)- wenn die Quellen abgeleitet oder verstopft sind, wird der

tiefste Brunnen

leer — ich grabe

zwar als nach frischen

— aber entweder geben sie gar kein Wasser oder sind ganz trübe, und beides ist dann freilich sehr schlimm. Die noble Allegorie könnte ich nun bis ins Unendliche sortführen, könnte sagen, daß, ich jetzt mineralisch Wasser tränke, welches sonst eigentlich nur fiir Kranke gehört, u. s. w. Gewiß,

um nicht Durst zu sterben,

viele

schöne Sachen

der Witz!

Witz, kühlt

wohl,

aber

ließen

sich

hier noch anbringen, aber der

ich

Den

halte

man

bekommt

immer einen

vor

Zugluft:

steifen Hals

er­

davon.

Also ohne alle den Schnickschnack: Alle Freuden, die ich jetzt genießen will, muß ich bei Fremden, muß ich außer meinem Haus suchen, denn da ists so still und öde, wie auf dem Kirch­ hof.

Sonst wars freilich ganz umgekehrt, doch da in der ganzen

Natur

nichts

an

seiner Stelle

Kreislauf herumdreht, machen?

Nein,

so

wie

bleibt,

sondern sich in ewigenr

könnte ich mich da zur Ausnahme

absurd

denkt Frau Aja nicht.

Wer wird

sich grämen, daß nicht immer Vollmond ist, und daß die Sonne jetzt

nicht so

wärtige

gut

warm macht wie im Julius? gebraucht und

anders sein könnte:

Nur das Gegen­

gar nicht daran gedacht,

daß es

so kommt man am besten durch die Welt,

und das Durchkommen ist doch — alles wohl überlegt — die Hauptsache.

Jhro Durchlaucht

können nun so

ohngefähr aus

obigem ersehen, daß Frau Aja immer noch so ohngefähr Frau Aja ist,

ihren guten Humor beibehält und alles thut, um bei

guter Laune zu bleiben,

auch das Mittel,

*) Seit dem Mai Witwe.

das weiland König

Elisabeth Goethe.

32 [IV]

Wolfgang Goethe.

Saul gegen den bösen Feind so probat fand, fleißig gebraucht^

so

und

hats menschlichem Ansehen

nach

noch lange keine Not

Zumal da Herr Tabor, den Jhro Durch­

mit der guten Frau.

laucht wenigstens dem Namen nach kennen, für unser Vergnügen

Den ganzen Winter Schauspiel!

so stattlich gesorgt hat.

wird gegeigt,

oa

Da

Ha! den Teufel möchte ich

trompetet.

wird

sehen, der Courage hätte, einen mit schwarzem Blut zu inkom­ modieren: ein einziger Sir John Falstaff treibt ihn zu Paaren.

Das

war

mit dem dicken Kerl!

ein Gaudium

Christen und

Juden, alles lachte sich die Galle vom Herzen. Diese Wochen sehen wir auch Klavigo, da geht ganz Frankfurt hinein, alle Logen sind schon bestellt, das ist vor so eine Reichsstadt allemal ein großer Spaß!

Ich habe nun Jhro Durchlaucht Befehl in Unterthänigkeit

befolgt:

von meinem Sein und Nichtsein wahrhaften und auf­

richtigen Bericht erstattet.

Empfehle mich nun zu fernerer Huld

und Gnade und bin ewig, durchlauchtigste Fürstin, thänigste treu gehorsamste Dienerin

dero unter-

Goethe.

Johann Wolfgang von Goethe (1749—1832). 8. Ans Werthers Leiden. I. Am Brunnen. Ich

schlveben,

weiß nicht,

ob

täuschende Geister um diese Gegend

oder ob die warme himmlische Phantasie in meinem

Herzen ist, die mir alles ringsumher so paradiesisch macht.

Da

ist gleich vor dem Orte ein Brunn, ein Brunn, an den ich ge­

bannt bin, wie Melusine mit ihren Schwestern. — Du gehst einen

kleinen Hügel hinunter und findest dich vor einem Gewölbe, da

wohl zwanzig Stufen hinabgehen, wo unten das klarste Wasser aus Marmorfelsen quillt.

Das Mäuerchen, das oben her die Ein­

fassung macht, die hohen Bäume, die den Platz ringsumher be­

decken, die Kühle des Orts — das hat alles so was Anzügliches,

was Schauerliches.

Es vergeht

kein Tag,

daß ich nicht eine

Elisabeth Goethe.

32 [IV]

Wolfgang Goethe.

Saul gegen den bösen Feind so probat fand, fleißig gebraucht^

so

und

hats menschlichem Ansehen

nach

noch lange keine Not

Zumal da Herr Tabor, den Jhro Durch­

mit der guten Frau.

laucht wenigstens dem Namen nach kennen, für unser Vergnügen

Den ganzen Winter Schauspiel!

so stattlich gesorgt hat.

wird gegeigt,

oa

Da

Ha! den Teufel möchte ich

trompetet.

wird

sehen, der Courage hätte, einen mit schwarzem Blut zu inkom­ modieren: ein einziger Sir John Falstaff treibt ihn zu Paaren.

Das

war

mit dem dicken Kerl!

ein Gaudium

Christen und

Juden, alles lachte sich die Galle vom Herzen. Diese Wochen sehen wir auch Klavigo, da geht ganz Frankfurt hinein, alle Logen sind schon bestellt, das ist vor so eine Reichsstadt allemal ein großer Spaß!

Ich habe nun Jhro Durchlaucht Befehl in Unterthänigkeit

befolgt:

von meinem Sein und Nichtsein wahrhaften und auf­

richtigen Bericht erstattet.

Empfehle mich nun zu fernerer Huld

und Gnade und bin ewig, durchlauchtigste Fürstin, thänigste treu gehorsamste Dienerin

dero unter-

Goethe.

Johann Wolfgang von Goethe (1749—1832). 8. Ans Werthers Leiden. I. Am Brunnen. Ich

schlveben,

weiß nicht,

ob

täuschende Geister um diese Gegend

oder ob die warme himmlische Phantasie in meinem

Herzen ist, die mir alles ringsumher so paradiesisch macht.

Da

ist gleich vor dem Orte ein Brunn, ein Brunn, an den ich ge­

bannt bin, wie Melusine mit ihren Schwestern. — Du gehst einen

kleinen Hügel hinunter und findest dich vor einem Gewölbe, da

wohl zwanzig Stufen hinabgehen, wo unten das klarste Wasser aus Marmorfelsen quillt.

Das Mäuerchen, das oben her die Ein­

fassung macht, die hohen Bäume, die den Platz ringsumher be­

decken, die Kühle des Orts — das hat alles so was Anzügliches,

was Schauerliches.

Es vergeht

kein Tag,

daß ich nicht eine

Stunde da sitze.

Da kommen denn die Mädchen aus der Stadt

und holen Wasser^ das harmloseste Geschäft und das nötigste, das

ehmals die Töchter der Könige selbst verrichteten.

Wenn ich da

sitze, so lebt die patriarchalische Idee so lebhaft um mich, wie sie

alle, die Altväter, am Brunnen Bekanntschaft machen und freien, und wie schweben.

um die Brunnen und Quellen wohlthätige Geister O, der muß nie nach einer schweren Sommertags­

wanderung sich an des Brunnens Kühle gelabt haben, der das nicht mitempfinden kann. 2. Die schaffende und die zerstörende Kraft der Natur.

Das volle, warme Gefühl meines Herzens an der lebendigen

d^atur, das mich mit so viel Wonne überströmte, das ringsumher die Welt mir zu einem Paradiese schuf, wird mir jetzt zu einem unerträglichen Peiniger, zu einem quälenden Geiste, der mich auf

allen Wegen verfolgt. Wenn ich sonst vom Fels über den Fluß bis zu jenen Hügeln das fruchtbare Thal überschaute und alles um mich her keimen und quellen sah- wenn ich jene Berge, vom Fuße bis auf zum Gipfel mit hohen, dichten Bäumen bekleidet,

all jene Thäler in ihren

mannigfaltigen Krümmungen, von den lieblichsten Wäldern be­

schattet, sah und der sanfte Fluß zwischen den lispelnden Rohren

dahingleitete und die lieben Wolken abspiegelte, die der sanfte

Abendwind am Himmel herüberwiegte- wenn ich dann die Vögel

um mich den Wald beleben hörte und die Millionen Mückenschwärme im letzten, roten Strahle der Sonne mutig tanzten und ihr letzter Blick den summenden Käfer aus seinem Grase befreite und das

Gewebere um mich her mich auf den Boden aufmerksam machte und das Moos,

das meinem harten Felsen seine Nahrung ab­

zwingt, und das Geniste,

das den dürren Sandhügel hinunter­

wächst, mir alles das innere, glühende, heilige Leben der Natur

eröffnete:

wie umfaßt ich das all mit warmem Herzen, verlor

mich in der unendlichen Fülle, und die herrlichen Gestalten der

unendlichen Welt bewegten sich alllebend in meiner Seele!

geheure Berge umgaben

mich,

Un­

Abgründe lagen vor mir, und

Wetterbäche stürzten herunter, die Flüsse strömten unter mir, und

Hessel, Musterprosa. IV.

3

34 [IV]

Goethe.

Wald und Gebirg erklang.

Und ich sah sie wirken und schaffen

ineinander in den Tiefen der Erde, all die Kräfte unergründlich, und nun über der Erde und unter

Geschlechter

all,

der Geschöpfe

dem Himmel wimmeln die

und alles,

alles

bevölkert mit

tausendfachen Gestalten, und die Menschen dann sich in Häuslein

zusammensichern und sich annisten und herrschen in ihrem Sinne über die weite Welt! Armer Thor! der du alles so gering achtest, weil du so klein bist! — Vom unzugänglichen Gebirge über die

Einöde, die kein Fuß betrat, bis ans Ende des unbekannten Ozeans weht der Geist des Ewigschaffenden und freut sich jedes Staubs, der ihn vernimmt und lebt. — Ach, damals, wie oft hab ich mich mit Fittichen eines Kranichs, der über mich hinflog, zu den Ufern

des ungemessenen Meeres gesehnt, aus dem schäumenden Becher des Unendlichen jene schwellende Lebenswonne zu trinken, und nur einen Augenblick in der eingeschränkten Kraft meines Busens einen Tropfen der Seligkeit des Wesens zu fühlen, das alles in sich und durch sich hervorbringt.

Es hat sich vor meiner Seele, wie ein Vorhang, weggezogen,

und der Schauplatz des unendlichen Lebens verwandelt sich vor mir in den Abgrund des ewig offnen Grabs. Kannst du sagen: „Das ist!" da alles vorübergeht, da alles mit der Wetterschnelle

vorüberrollt, so selten die ganze Kraft seines Daseins ausdauert, ach!

in

den Strom fortgerissen, untergetaucht und

zerschmettert wird? zehrte und

an Felserr

Da ist kein Augenblick, der nicht dich ver­

die Deinigen

um dich her, kein Augenblick, da du

nicht ein Zerstörer bist, sein mußt: der harmloseste Spaziergang

kostet tausend, tausend armen Würmchen das Leben, es zerrüttet ein Fußtritt die mühseligen Gebäude der Ameisen und stumpft

eine kleine Welt in ein schmähliches Grab.

Ha! nicht die große,

seltene Not der Welt, diese Fluten, die eure Dörfer wegspülen, diese Erdbeben, die eure Städte verschlingen, rühren mich/ mir

untergräbt das Herz Natur verborgen liegt,

die verzehrende Kraft, die im All

die nichts gebildet hat,

Nachbar, nicht sich selbst zerstörte.

der

das nicht seinen

Und so taumele ich beängstet,

Himmel und Erde und all die webenden Kräfte um mich her: ich sehe nichts, als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer.

3. Des Barden Alpin Totenklage über Morar.

Nach Ossian.

Du warst schnell, o Morar, wie ein Reh auf dem Hügel, schrecklich, wie die Nachtfeuer am Himmel, dein Grimm war ein

Sturm, dein Schwert in der Schlacht, wie Wetterleuchten über der

Deine Stimme glich dem Waldftrome nach dem Regen, Manche fielen von deinem Arm,

Heide.

dem Donner auf fernen Hügeln.

Vie Flamme deines Grimmes verzehrte sie. Aber wenn du kehrtest Dom Kriege, wie friedlich war deine Stimme! Dein Angesicht

war gleich der Sonne nach dem Gewitter, gleich dem Monde in der schweigenden Nacht, ruhig deine Brust, wie der See, wenn sich das Brausen des Windes gelegt hat.

Eng ist nun deine Wohnung, finster deine Stätte. vrei Schritten meß ich

dein Grab,

o du,

der

Mit

du ehe so groß

Bier Steine mit moosigen Häuptern sind dein einzig Ge­

warst! dächtnis. Winde,

Morars.

Ein entblätterter Baum, lang Gras, das Wispelt im dem Auge des Jägers das Grab des mächtigen

deutet

Keine Mutter hast du, dich zu beweinen, kein Mädchen

mit Thränen

Tot ist, die dich gebar,

der Liebe.

gefallen

die

Tochter von Morglan.

Wer auf seinem Stabe ist das?

Wer ists, dessen Haupt

weiß ist vor Alter, dessen Augen rot sind von Thränen? — Es ist dein Barer, o Morar!

Der Vater keines Sohnes außer dir!

Er hörte von deinem Rufe in der Schlacht,- er hörte von zer­ stobenen Feinden.

Er

hörte Morars Ruhm.

Ach, nichts von

seiner Wunde?

Weine, Vater Morars! weine! aber dein Sohn

hört dich nicht.

Tief ist der Schlaf der Toten, niedrig ihr Kissen

von Staub.

Nimmer achtet er auf die Stimme, nie erwacht er

nuf deinen Ruf.

O, wann wird es Morgen im Grabe? zu bieten

vem Schlummerer: Erwache!

Lebewohl,

edelster der Menschen, du Eroberer im Felde!

Aber nimmer wird dich das Feld sehn, nimmer der düstere Wald

leuchten vom

Glanze deines Stahls.

Du hinterließest keinen

Sohn, aber der Gesang soll deinen Namen erhalten. Künftige Zeiten sollen von dir hören, hören sollen sie von dem gefallenen

Morar!

S.

Novelle.

1826.

Ein dichter Herbstnebel verhüllte noch in der Frühe dieweiten Räume des fürstlichen Schloßhofes^ als man schon mehr oder weniger durch den sich lichtenden Schleier die ganze Jägerei

zu Pferde und zu Fuß durch einander bewegt sah. Beschäftigungen

der

nächsten

ließen

sich

erkennen:

Die eiligen

man

ver­

längerte, man verkürzte die Steigbügel, man reichte sich Büchse

und Patrontäschchen, man schob die Dachsranzen zurecht,

indes

die Hunde ungeduldig am Riemen den Zurückhaltenden mit fort­ zuschleppen drohten. Auch hie und da geberdete ein Pferd sich mutiger, von

feuriger Natur getrieben

oder von dem Sporn

des Reiters angeregt, der selbst hier in der Halbhelle eine gewisse Eitelkeit, sich zu zeigen, nicht verleugnen konnte. Alle jedoch warteten

auf den Fürsten,

der, von seiner jungen Gemahlin

Abschied nehmend, allzulange zauderte. Erft vor kurzer Zeit zusammen getraut, empfanden sie schon das Glück übereinstimmender Gemüter: beide waren von thätig, lebhaftem Charakter,- eines nahm gern an des andern Neigun­ gen und Bestrebungen Anteil.

Des Fürsten Vater hatte noch

den Zeitpunkt erlebt und genutzt,

wo

es

deutlich wurde,

daß.

alle Staatsglieder in gleicher Betriebsamkeit ihre Tage zubringen,

in gleichem Wirken und Schaffen, jeder nach seiner Art, erst ge^ winnen und dann genießen sollte. Wie sehr dieses gelungen war, ließ sich in diesen Tagen

gewahr werden, als eben der Hauptmarkt sich versammelte, den

man gar wohl eine Messe nennen konnte.

Der Fürst

hatte

seine Gemahlin gestern durch das Gewimmel der aufgehäuften Waren zu Pferde

geführt und

sie bemerken lassen, wie gerade

hier das Gebirgsland mit dem flachen Lande einen glücklichen Umtausch treffe,- er wußte sie an Ort und Stelle auf die Be­ triebsamkeit seines Länderkreises aufmerksam zu machen.

Wenn sich nun der Fürst fast ausschließlich in diesen Ta­

gen mit den Seinigen über diese zudringenden Gegenstände unter­ hielt, auch besonders mit dem Finanzminister anhaltend arbeitete^,

so behielt doch auch der Landjägermeister sein Recht, auf dessen.

Vorstellung es unmöglich war, der Versuchung zu widerstehen, tut diesen günstigen Herbsttagen eine schon verschobene Jagd zu unternehmen, sich selbst und den vielen angekommenen Fremden -eilt eigenes und seltenes Fest zu eröffnen. Die Fürstin blieb ungern zurück,- man hatte sich vorge­ nommen, weit in das Gebirg hineinzudringen, um die friedlichen Bewohner der dortigen Wälder durch einen unerwarteten Kriegs­ zug zu beunruhigen. Scheidend versäumte der Gemahl nicht, -einen Spazierritt vorzuschlagen, den sie im Geleit Friedrichs, des fürstlichen Oheims, unternehmen sollte. „Auch lasse ich," sagte er, „dir unsern Honorio als Stall- und Hofjunker, der für -alles sorgen wird." Und im Gefolg dieser Worte gab er im Hinabsteigen einem wohlgebildeten jungen Mann die nötigen Auf­ träge und verschwand sodann bald mit Gästen und Gefolge. Die Fürstin, die ihrem Gemahl noch in den Schloßhof hinab mit dem Schnupftuch nachgewinkt hatte, begab sich in die Hintern Zimmer, welche nach dem Gebirg eine freie Aussicht ließen, die um desto schöner war, als das Schloß selbst von dem Fuße herauf in einiger Höhe stand und so vor- als hinterwärts mannigfaltige bedeutende Ansichten gewährte. Sie fand das treff­ liche Teleskop noch in der Stellung, wo man es gestern Abend gelassen hatte, als man, über Busch, Berg und Waldgipfel die hohen Ruinen der uralten Stammburg betrachtend, sich unterhielt, die in der Abendbeleuchtung merkwürdig hervortraten, indem als­ dann die größten Licht- und Schattenmassen den deutlichsten Be­ griff von einem so ansehnlichen Denkmal alter Zeit verleihen konnten. Auch zeigte sich heute früh durch die annähernden Gläser recht auffallend die herbstliche Färbung jener mannichfalligen Baumarten, die zwischen dem Gemäuer ungehindert und und ungestört durch lange Jahre emporstrebten. Die schöne Dame richtete jedoch das Fernrohr etwas tiefer, nach einer öden, stei­ nigen Fläche, über welche der Jagdzug weggehen mußte,- sie er­ harrte den Augenblick mit Geduld und betrog sich nicht- denn bei der Klarheit und Vergrößerungsfähigkeit des Instruments er­ kannten ihre glänzenden Augen deutlich den Fürsten und den Oberstallmeister; ja, sie enthielt sich nicht, abermals mit dem

38 [IV]

Goethe.

Schnupftuche zn winken, als sie ein augenblickliches Stillhalten und Rückblicken mehr vermutete als gewahr ward.

Fürst Oheim, Friedrich mit Namen, trat sodann, angemeldet^

mit seinem Zeichner herein, der ein großes Portefeuille unter dem Arm trug.

„Liebe Cousine," sagte der alte, rüstige Herr^

„hier legen wir die Ansichten der Stammburg vor, gezeichnet^

um von verschiedenen Seiten anschaulich zu machen, wie der mäch­ tige Trutz- und Schutzbau von alten Zeiten her dem Jahr und

seiner Witterung sich entgegenstemmte, und wie doch hie und da sein Gemäuer weichen, da und dort in wüste Ruinen Zusammen­ stürzen mußte. Nun haben wir manches gethan, um diese Wild­ nis zugänglicher zu machen- denn mehr bedarf es nicht, um jeden Wanderer, jeden Besuchenden in Erstaunen zu setzen, zu entzücken."

Indem nun der Fürst die einzelnen Blätter deutete, sprach er weiter: „Hier, wo man, den Hohlweg durch die äußern Ring­

mauern heraufkommend, vor die eigentliche Burg gelangt, steigt uns-

ein Felsen entgegen von den festesten des ganzen Gebirgs- hierauf nun steht gemauert ein Turm, doch niemand wüßte zu sagen, wo

die Natur aufhört, Kunst und Handwerk aber anfangen.

Fernev

sieht man seitwärts Mauern angeschlossen und Zwinger lerrassen­

mäßig herab sich erstreckend. ist eigentlich ein Wald,

Doch ich sage nicht recht- denn es-

der diesen uralten Gipfel umgibt:

seit

hundertundfünfzig Jahren hat keine Axt hier geklungen, und über­

all sind die mächtigsten Stämme emporgewachsen.

Wo ihr euch

an den Mauern andrängt, stellt sich der glatte Ahorn, die rauhe

Eiche, die schlanke Fichte mit Schaft und Wurzeln entgegen; unt diese müssen wir uns herumschlängeln und unsere Fußpfade ver­ ständig

führen.

Seht

nur,

wie

trefflich

unser Meister bie^

Charakteristische auf dem Papier ausgedrückt hat, wie kenntlich die verschiedenen Stamm- und Wurzelarten zwischen das Mauer­ werk verflochten und die mächtigen Äste durch die Lücken durch­

geschlungen sind!

Es ist eine Wildnis wie keine, ein zufällig

einziges Lokal, wo die alten Spuren längst verschwundener Menfchenkraft mit der ewig lebenden und fortwirkenden Natur sich

in dem ernstesten Streit erblicken lassen." Ein anderes Blatt aber vorlegend, fuhr er fort:

„Wa^

sagt ihr nun zum Schloßhofe, der, durch das Zusammenstürzen des alten Thorturmes

unzugänglich,

niemand betreten ward.

seit

undenklichen Jahren von

Wir suchten ihm von der Seite beizu­

kommen, haben Mauern durchbrochen, Gewölbe gesprengt und so

einen bequemen, aber geheimen Weg bereitet.

Inwendig bedurfte

es keines Aufräumens; hier findet sich ein flacher Felsgipfel, von

der Natur geplättet, aber doch haben mächtige Bäume hie und da zu wurzeln Glück und Gelegenheit gefunden: sie sind sachte, aber entschieden ausgewachsen- nun erstrecken sie ihre Äste bis in die Galerien hinein, auf denen der Ritter sonst auf und ab schritt, ja durch Thüren durch und Fenster in die gewölbten Säle, aus denen wir sie nicht vertreiben wollen- sie sind eben Herr ge­ worden und mögens bleiben.

haben

wir

gleichen in

Tiefe Blätterschichten wegräumend, den merkwürdigsten Platz geebnet gefunden, dessen

der Welt vielleicht nicht wieder zu sehen ist.

Nach

allem diesem aber ist es immer noch bemerkenswert und an Ort und Stelle zu beschauen, daß auf den Stufen, die in den Haupt­ turm hinaufführen,

ein

Ahorn Wurzel geschlagen und sich zu

einem so tüchtigen Baume gebildet hat, daß man nur mit Not daran vorbeidringen kann, um die Zinne der unbegrenzten Aus­

sicht wegen zu besteigen.

Aber auch hier verweilt man bequem

im Schatten: denn dieser Baum ist es, der sich über das Ganze

wunderbar hoch in die Luft hebt.

Danken wir also dem wackern KünAer, der uns so löblich in verschiedenen Bildern von allem überzeugt, als wenn wir gegenwärtig wären- er hat die schönsten

Stunden des Tages und der Jahreszeit dazu angewendet und sich wochenlang um diese Gegenstände

herumbewegt.

In dieser

Ecke ist für ihn und den Wächter, den wir ihm zugegeben, eine kleine, angenehnie Wohnung eingerichtet. Sie sollten nicht glauben,

meine Beste, welch

eine schöne Aus- und Ansicht er ins Land,

in Hof und Gemäuer sich dort bereitet hat.

Nun aber, da alles

so rein und charakteristisch umrissen ist, wird er es hier unten

mit Bequemlichkeit ausführen.

Wir wollen mit diesen Bildern

unsern Gartensaal zieren, und niemand soll über unsere regel­

mäßigen Parterre, Lauben und schattigen Gänge seine Augen spielen

lassen, der nicht wünschte,

sich dort oben in dem wirklichen An-

40 [IV]

Goethe.

schauen des Alten und Neuen, des Starren, Unnachgiebigen, Unzerstörlichen und des Frischen, Schmiegsamen, Unwiderstehlichen

seine Betrachtungen anzustellen." Honorio trat ein und meldete, die Pferde seien vorgeführt,'

da sagte die Fürstin, zum Oheim gewendet: „Reiten wir hinauf, und lassen Sie mich in der Wirklichkeit sehen, was Sie mir hier

im Bilde zeigten!

Seit ich hier bin, höre ich von diesem Unter­

nehmen und werde jetzt erst recht verlangend, mit Augen zu sehen, was mir in der Erzählung unmöglich schien und in der Nachbildung unwahrscheinlich bleibt." — „Noch nicht, meine Liebe'" versetzte der Fürst, „was Sie hier sahen, ist, was es werden kann und wird,- jetzt stockt noch manches im Beginnen,' die Kunst muß erst vollenden, wenn sie sich vor der Natur nicht schämen soll." — „Und so reiten wir wenigstens hinaufwärts, und wäre es nur bis an den Fuß. Ich habe große Lust, mich heute weit in der Welt umzusehen." — „Ganz nach Ihrem Willen!" ver­

setzte der Fürst. „Lassen Sie uns aber durch die Stadt reiten," fuhr die

Dame fort, „über den großen Marktplatz, wo eine zahllose Menge von Buden die Gestalt einer kleinen angenommen hat.

Stadt, eines Feldlagers

Es ist, als wären die Bedürfnisse und Be­

schäftigungen sämtlicher Familien des Landes umher, nach außen

gekehrt, in diesem Mittelpunkt versammelt, an das Tageslicht ge­ bracht worden: denn hier sieht der aufmerksame Beobachter alles, was der Mensch leistet und bedarf; man bildet sich einen Augen­

blick ein, es sei kein Geld nötig, jedes Geschäft könne hier durch

Tausch abgethan werden,' und so ist es auch im Grunde. Seit­ dem der Fürst gestern mir Anlaß zu diesen Übersichten gegeben, ist es mir gar angenehm zu denken,

flaches Land aneinander grenzen,

wie hier, wo Gebirg und

beide so deutlich aussprechen,

was sie brauchen, und was sie wünschen. Wie nun der Hochländer

das Holz seiner Wälder in hundert Formen umzubilden weiß, das

Eisen zu einem jeden Gebrauch zu vermannichfaltigen, so kommen

jene drüben mit den vielfältigsten Waren ihm

entgegen, an denen

man den Stoff kaum unterscheiden und den Zweck oft nicht er­ kennen mag."

„Ich weiß," versetzte der Fürst, „daß mein Neffe hierauf die größte Aufmerksamkeit wendet: denn gerade zu dieser Jahres­

zeit kommt es hauptsächlich darauf an, daß man mehr empfange

als

gebe,-

dies

zu

bewirken

ist

am

Ende die

Summe des

ganzen Staatshaushaltes, so wie der kleinsten häuslichen Wirt­ schaft. Verzeihen Sie aber, meine Beste, ich reite niemals gern

durch Markt und Messe,- bei jedem Schritt ist man gehindert und aufgehalten, und dann flammt mir das ungeheure Unglück wieder in die Einbildungskraft, das sich mir gleichsam in die Augen eingebrannt, als ich eine solche Güter- und Warenbreite in Feuer aufgehen sah. Ich hatte mich kaum" — „Lassen Sie uns die schönen Stunden nicht versäumen!"

fiel ihm die Fürstin ein, da der würdige Mann sie schon einigernal mit ausführlicher Beschreibung jenes Unheils geängstigt hatte, wie er sich nämlich, auf einer großen Reise begriffen, abends im besten Wirtshause auf dem Markte, der eben von einer Haupt­ messe wimmelte, höchst ermüdet zu Bette gelegt und nachts durch Geschrei und Flammen, die sich gegen seine Wohnung wälzten,

gräßlich aufgeweckt worden.

Die Fürstin eilte, das Lieblingspferd zu besteigen, und führte, statt zum Hinterthore bergauf, zum Vorderthore bergunter ihren

widerwillig bereiten Begleiter: denn wer wäre nicht gern an ihrer Seite geritten, auch Honorio

wer von

wäre ihr nicht gern gefolgt! der sonst

so

Und so war

ersehnten Jagd willig zurück­

geblieben, um ihr ausschließlich dienstbar zu sein. Wie vorauszusehen, durften sie auf dem Markt nur Schritt

für Schritt reiten,- aber die schöne Liebenswürdige erheiterte jeden Aufenthalt durch eine geistreiche Bemerkung. „Ich wiederhole," sagte sie, „meine gestrige Lektion, da denn doch die Notwendigkeit

unsere Geduld prüfen will."

Und wirklich drängte sich die ganze

Menschenmasse dergestalt an die Reitenden heran, daß sie ihren Weg nur

langsam

fortsetzen

konnten.

Das Volk schaute mit

Freuden die junge Dame, und auf so viel lächelnden Gesichtern

zeigte sich das entschiedene Behagen, zu sehen, daß die erste Frau

im Lande auch die schönste und anmutigste sei. Unter einander gemischt standen Bergbewohner, die zwischen

Felsen, Fichten und Föhren ihre stillen Wohnsitze hegten, Flach­

länder

von

Hügeln, Auen und Wiesen her,

Gewerbsleute dev

kleinen Städte, und was sich alles versammelt hatte. Nach einem ruhigen Überblick bemerkte die Fürstin ihrem Begleiter, wie alle diese, woher sie auch seien, mehr Stoff als nötig zu ihren Kleidern

genommen, mehr Tuch und Leinwand, mehr Band zum Besatz. „Ist es doch, als ob die Weiber nicht brauschig und die Männer nicht pausig genug sich gefallen könnten."

„Wir wollen ihnen das ja lassen," versetzte der Oheims „wo auch der Mensch seinen Überfluß hinwendet, ihm ist wohl

dabei, am wohlsten, wenn er sich damit schmückt und aufputzt." Die schöne Dame winkte Beifall.

So waren sie nach und nach auf einen freien Platz gelangt,

der zur Vorstadt hinführte, wo am Ende vieler kleiner Buden und Kramstände ein größeres Brettergebäude in die Augen fiel, das sie kaum erblickten,

als ein ohrzerreißendes Gebrülle ihnen

entgegentönte. Die Fütterungsstunde der dort zur Schau stehenden

wilden Tiere schien herangekommen:

der Löwe ließ seine Wald-

und Wüstenstimme aufs kräftigste hörens die Pferde schauderten, und man konnte der Bemerkung nicht entgehen, wie in dem fried­ lichen Wesen

und

Wirken der

gebildeten Welt der König der

Einöde sich so furchtbar verkündige.

durften

Zur Bude näher gelangt,

sie die bunten kolossalen Gemälde nicht übersehen, die

mit heftigen Farben und kräftigen Bildern

jene

fremden Tiere

darstellten, welche der friedliche Staatsbürger zu schauen unüber­

windliche Lust empfinden sollte. Der grimmig ungeheure Tiger sprang auf einen Mohren los, im Begriff, ihn zu zerreißen,' ein Löwe stand ernsthaft majestätisch, als wenn er keine Beute, seiner würdig, vor sich sähe- andere wunderliche bunte Geschöpfe ver­ dienten neben diesen mächtigen weniger Aufmerksamkeit. „Wir wollen," sagte die Fürstin, „bei unserer Rückkehr

doch absteigen und die seltenen Gäste näher betrachten!" — „Es ist

wunderbar,"

versetzte der Fürst,

„daß

der Mensch

durch

Schreckliches immer aufgeregt sein will. Drinnen liegt der Tiger ganz ruhig in seinem Kerker, und hier muß er grimmig auf einen Mohren losfahren, damit man glaube, dergleichen inwendig eben-

falls zu sehen.

Es ist an Mord und Totschlag noch nicht genug,

an Brand und Untergang/ die Bänkelsänger müssen es an jeder Ecke

guten Menschen

Die

wiederholen.

wollen

eingeschüchtert

sein, um hinterdrein erst recht zu fühlen, wie schön und löblich es sei, frei Atem zu holen."

denn aber auch Bängliches von solchen Schreckens­

Was

bildern mochte übrig geblieben sein, alles und jedes war sogleich

ausgelöscht, als man, zum Thore hinausgelarrgt, in die heiterste eintrat. Der Weg führte zuerst am Flusse hinan, an einem zwar noch schmalen, nur leichte Kähne tragenden Wasser, das aber nach und nach als größter Strom seinen Namen be­

Gegend

halten

und ferne Länder

beleben sollte.

Dann ging es weiter

durch wohlversorgte Frucht- und Lustgärten sachte hinaufwärts,

und man sah sich nach und nach in der aufgethanen wohlbewohnten Gegend um, bis erst ein Busch, sodann ein Wäldchen die Gesell­ schaft aufnahm und die anmutigsten Örtlichkeiten ihren Blick

begrenzten erst

vor

Ein aufwärts leitendes Wiesenthal,

und erquickten.

kurzem

zum

gemäht,

zweitenmal

samtähnlich

anzu­

sehen, von einer oberwärts lebhaft auf einmal reich entspringenden Quelle gewässert, empfing sie freundlich, und so zogen sie einem

höhern, freiern Standpunkt entgegen,

sich bewegend,

nach

den sie, aus dem Walde

einem lebhaften Stieg erreichten,

alsdann

aber vor sich noch in bedeutender Entfernung über neuen Baum­ gruppen das alte Schloß,

den Zielpunkt ihrer Wallfahrt,

Fels- und Waldgipfel hervorragen

denn

niemals

als

Rückwärts aber — ohne sich umzukehren —

sahen.

gelangte man hierher,

erblickten sie durch zufällige Lücken der hohen Bäume das fürst­

liche Schloß links,

von

der Morgensonne beleuchtet, den wohl­

gebauten höhern Teil der Stadt, dämpft, und

von leichten Rauchwolken ge­

sofort nach der Rechten zu die untere Stadt, den

Fluß in einigen Krümmungen, mit seinen Wiesen und Mühlen,

gegenüber eine weite, nahrhafte Gegend. Nachdem

sie sich an dem Anblick ersättigt oder vielmehr,

wie es uns bei dem Umblick

auf so

hoher Stelle zu gescheherr

pflegt, erst recht verlangend geworden nach einer weitern, weniger

begrenzten Aussicht, ritten sie eine steinige, breite Fläche hinan,

Goethe.

44 [IV]

wo ihnen die mächtige Ruine als ein grüngekrönter Gipfel ent--

gegenstand,

wenig

alte Bäume tief unten um seinen Fuß,-

sie

ritten hindurch, und so

fanden sie sich gerade vor der steilsten,

unzugänglichsten Seite.

Mächtige Felsen

standen von Urzeiten

her, jedem Wechsel unangetastet, fest, wohlbegründet voran, und so türmte sichs aufwärts^

mächtigen

Platten

und

das dazwischen Herabgestürzte lag in

Trümmern

unregelmäßig übereinander

und schien dem Kühnsten jeden Angriff zu verbieten. Aber das Steile, Jähe scheint der Jugend zuzusagen/ dies zu unternehmen,

zu erstürmen, zu erobern ist jungen Gliedern ein Genuß. Die Fürstin bezeigte Neigung zu einem Versuchs Honorio war bei der Hand- der fürstliche Oheim, wenn schon bequemer, ließ sichs

gefallen und wollte sich doch auch nicht unkräftig zeigen: die Pferde sollten am Fuße unter den Bäumen halten, und man wollte bis zu einem gewissen Punkte gelangen, wo ein vorstehender mächtiger

Fels einen Flächenraum darbot, von wo man eine Aussicht hatte,

die zwar schon in den Blick des Vogels überging, aber sich doch noch malerisch genug hintereinander schob. Die Sonne, beinahe auf ihrer höchsten Stelle, verlieh die

klarste Beleuchtung:

das

fürstliche Schloß

mit

seinen Teilen,

Hauptgebäuden, Flügeln, Kuppeln und Türmen erschien gar statt­

lich, die obere Stadt in ihrer völligen Ausdehnung, auch in die

untere konnte man bequem hineinsehen, ja durch das Fernrohr

unterscheiden. Honorio war förderliches Werkzeug Überzuschnallen­

auf dem Markte sogar die Buden

immer gewohnt,

ein so

man schaute den Fluß hinauf und hinab, diesseits das bergartige, terrassenweis unterbrochene, jenseits das aufgleitende flache und in mäßigen Hügeln abwechselnde fruchtbare Land, Ortschaften

unzählige- denn es war längst herkömmlich, über die Zahl zu streiten, wie viel man deren von hier oben gewahr werde. Über die große Weite lag eine heitere Stille, wie es am Mittag zu sein pflegt, wo die Alten sagten, der Pan schlafe, und alle Natur

halte den Atem an, um ihn nicht aufzuwecken.

„Es ist nicht das erstemal,"

auf so

hoher,

sagte die Fürstin,

„daß ich

weitumschauender Stelle die Betrachtung mache,

wie doch die klare Natur so reinlich

und friedlich aussieht und

den Eindruck verleiht, als wenn gar nichts Widerwärtiges in der Welt sein könne.

Und wenn man dann wieder in die Menschen­

wohnung zurückkehrt, sie sei hoch oder niedrig, weit oder eng, so gibts immer etwas zu kämpfen, zu streiten, zu schlichten und

zurecht zu legen." Honorio, der indessen durch das Sehrohr nach der Stadt

geschaut hatte, rief:

„Seht hin! Seht hin! auf dem Markte Sie sahen hin und bemerkten wenigen

fängt es an zu brennen."

Rauch,- die Flamme dämpfte der Tag. „Das Feuer greift weiter um sich!" rief man, immer durch die Gläser schauend/ auch wurde das Unheil den guten unbewaffneten Augen der Fürstin bemerk­

lich. Von Zeit zu Zeit erkannte man eine rote Flammenglutder Dampf stieg empor, und Fürst Oheim sprach: „Laßt uns zurückkehren! das ist nicht gut- ich fürchtete immer, das Unglück zum

zweitenmal

zu

erleben."

Als

sie,

herabgekommen,

den

Pferden wieder zugingen, sagte die Fürstin zu dem alten Herrn: „Reiten Sie hinein, eilig, aber nicht ohne den Reitknecht! Lassen Sie mir Honorio! wir folgen sogleich." Der Oheim fühlte das

Vernünftige, ja das Notwendige dieser Worte und ritt, so eilig als der Boden erlaubte,

den wüsten,

steinigen Hang hinunter.

Als die Fürstin aussaß, sagte Honorio: „Reiten Ew. Durch­

laucht, ich bitte, langsam!

In der Stadt wie auf dem Schloß

sind die Feueranstalten in bester Ordnung- man wird sich durch einen lassen.

so

unerwartet

außerordentlichen Fall

nicht irre machen

Hier aber ist ein böser Boden, kleine Steine und kurzes

Gras- schnelles Reiten ist unsicher- ohnehin, bis wir hineinkommen^ Die Fürstin glaubte nicht

wird das Feuer schon nieder sein."

daran: sie sah den Rauch sich verbreiten, sie glaubte einen auf­

flammenden Blitz gesehen, einen Schlag

gehört zu haben,

und

nun bewegten sich in ihrer Einbildungskraft alle die Schreckbilder, welche

des

trefflichen Oheims

wiederholte Erzählung von dem

erlebten Jahrmarktsbrande leider nur zu tief eingesenkt hatte. Fürchterlich

Wohl tvar jener Fall,

überraschend und ein­

dringlich genug, um zeitlebens eine Ahnung und Vorstellung wieder­

kehrenden Unglücks ängstlich zurückzulassen, als zur Nachtzeit auf dem großen, budenreichen Marktraum ein plötzlicher Brand Laden

Goethe.

46 [IV]

auf Laden ergriffen hatte, ehe noch die in und an diesen leichten Hütten Schlafenden aus tiefen Träumen geschüttelt wurden, der

Fürst selbst, als ein ermüdet allgelangter, erst eingeschlafener Fremder, ans Fenster sprang, alles fürchterlich erleuchtet sah, Flamme nach Flamme, rechts und links sich überspringend, ihm

entgegenzüngelte. Die Häuser des Marktes, vom Wiederschein gerötet, schienen schon zu glühen, drohend, sich jeden Augenblick zu entzünden und in Flammen aufzuschlagen; unten wütete das

Element unaufhaltsam, die Bretter prasselten, die Latten knackten, Leinwand flog auf, und ihre düstern, an den Enden flammend ausgezackten Fetzen trieben in der Höhe sich umher, als wenn

die bösen Geister, in ihrem Elemente um- und umgestaltet, sich da und dort aus den Gluten

mutwillig tanzend verzehren und

wieder auftauchen wollten.

Dann aber mit kreischendem Geheul

rettete jeder, was zur Hand lag/

Herren

bemühten

sich,

Diener und Knechte mit den

von Flammen ergriffene Ballen fortzu­

schleppen, von dem brennenden Gestell noch einiges wegzureißen, um es in die Kiste zu packen, die sie denn doch zuletzt den eilenden

Flammen zum Raube

lassen

Wie mancher wünschte

mußten.

nur einen Augenblick Stillstand dem heranprasselnden Feuer, nach der Möglichkeit einer Besinnung sich umsehend, und er war mit aller seiner Habe schon ergriffen:

an der einen Seite brannte,

glühte schon, was an der anderen noch in finsterer Nacht stand.

Hartnäckige Charaktere,

Willensstärke Menschen

widersetzten sich

grimmig dem grimmigen Feinde und retteten manches, mit Ver­

lust

ihrer Augenbrauen

und Haare.

vor dem schönen Geiste der Fürstin

Leider nun erneuerte sich der wüste Wirrwarr:

nun

schien der heitere morgendliche Gesichtskreis umnebelt, ihre Augen verdüstert, Wald und Wiese hatten einen wunderbaren, bänglichen Anschein. In das friedliche Thal einreitend,

seiner labenden Kühle

nicht achtend, waren sie kaum einige Schritte von der lebhaften

Quelle des nahen fließenden Baches herab, als die Fürstin ganz

unten im Gebüsche des Wiesenthals

etwas Seltsames

erblickte,

das sie alsobald für den Tiger erkannte: heranspringend, wie sie

ihn vor kurzem gemalt gesehen, kam er entgegen, und dieses Bild

zu den furchtbaren Bildern, die sie so eben beschäftigten, machte den wundersamsten Eindruck. „Flieht, gnädige Frau!" rief

Sie wandte das Pferd um, dem steilen Berg

Honorio, „flieht!"

zu, wo sie herabgekommen waren. Der Jüngling aber, dem Untier entgegen, zog die Pistole und schoß, als er sich nahe genug glaubte-

leider jedoch war gefehlt,

der Tiger sprang seitwärts,

das Pferd stutzte: das ergrimmte Tier aber verfolgte seinen Weg aufwärts, unmittelbar der Fürstin nach.

Sie sprengte, was das

Pferd vermochte, die steile, steinige Strecke hinan, kaum fürchtend, daß ein zartes Geschöpf, solcher Anstrengung ungewohnt, sie nicht aushalten werde. Es übernahm sich, von der bedrängten Reiterin angeregt,

stieß

am kleinen Gerölle des Hanges an und wieder­

an und stürzte zuletzt nach heftigem Bestreben kraftlos zu Boden.

Die schöne Dame, entschlossen und gewandt, verfehlte nicht, sich

strack auf ihre Füße zu stellen- auch das Pferd richtete sich auf, aber der Tiger nahte schon, obgleich nicht mit heftiger Schnelle;

der ungleiche Boden, die scharfen Steine schienen seinen Antrieb zu hindern,

und nur daß Honorio unmittelbar hinter ihm her-

flog, neben ihm gemäßigt heraufritt, schien seine Kraft aufs neue

anzuspornen

und

zu reizen.

den Ort, wo die Fürstin

Beide Renner erreichten zugleich

am Pferde stand:

der Ritter beugte

sich herab, schoß und traf mit der zweiten Pistole das Ungeheuer

durch den Kops, daß es sogleich niederstürzte und ausgestreckt in

seiner Länge erst recht die Macht und Furchtbarkeit sehen ließ, von der nur noch das Körperliche übriggeblieben da lag. Honorio war vom Pferde gesprungen und

kniete schon

auf dem Tiere,

dämpfte seine letzten Bewegungen und hielt den gezogenen Hirsch­ fänger in der rechten Hand.

Der Jüngling war schön- er war

herangesprengt, wie ihn die Fürstin oft im Lanzen- und Ringel­ spiele gesehen hatte:

eben

so traf in der Reitbahn

seine Kugel

im Vorbeisprengen den Türkenkopf auf dem Pfahl gerade unter dem Turban in die Stirne,

eben so spießte er,

flüchtig heran­

sprengend, mit dem blanken Säbel das Mohrenhaupt vom Boden auf- in allen solchen Künsten war er gewandt und glücklich- hier kam beides zu statten.

„Gebt ihm den Rest!" sagte die Fürstin- „ich fürchte, er

beschädigt Euch noch mit den Krallen." — „Verzeiht!" erwiderte der Jünglings „er ist schon tot genug/ und ich mag das Fell nicht verderben/ das nächsten Winter auf Euerm Schlitten glänzen soll." — „Frevelt nicht!" sagte die Fürstin- „alles/ was von Fröm­ migkeit im tiefen Herzen wohnt, entfaltet sich in solchem Augen­ blick." — „Auch ich/" rief Honoriv/ „war nicht frömmer als jetzt eben - deshalb aber denke ich ans Freudigste/ ich blicke dieses Fell nur an/ wie es Euch zur Luft begleiten kann." — „Es würde mich immer an diesen schrecklichen Augenblick erinnern," versetzte sie. „Ist es doch/" erwiderte der Jüngling mit glühender Wange^ „ein unschrlldigeres Triumphzeichen, als wenn die Waffen erschla­ gener Feinde vor dem Sieger her zur Schau getragen wurden." — „Ich werde mich an Eure Kühnheit und Gewandtheit dabei er­ innern und darf nicht hinzufttzen, daß Ihr auf meinen Dank und auf die Gnade des Fürsten lebenslänglich rechnen könnt. Aber steht auf! Schon ist kein Leben mehr im Tiere- bedenken wir das weitere! vor allen Dingen steht auf!" „Da ich nun einmal kniee," versetzte der Jüngling/ „da ich mich in einer Stellung befinde/ die mir auf jede andere Weise untersagt wäre/ so laßt mich bitten, von der Gunst, von der Gnade, die Ihr mir zuwendet, in diesem Augenblick versichert zu werden. Ich habe schon so oft Euern hohen Gemahl gebeten um Urlaub und Vergünstigung einer weitern Reise. Wer das Glück hat, an Eurer Tafel zu sitzen, wen Ihr beehrt, Eure Ge­ sellschaft unterhalten zu dürfen, der muß die Welt gesehen haben. Reisende strömen von allen Orten her, und wenn von einer Stadt, von einem wichtigen Punkte irgend eines Weltteils gesprochen wird, ergeht an den Eurigen jedesmal die Frage, ob er daselbst gewesen sei. Niemand traut man Verstand zu, als wer das alles gesehen hat- es ist, als wenn man sich nur für andere zu unterrichten hätte." „Steht auf!" wiederholte die Fürsün. „Ich möchte nicht gern gegen die Überzeugung meines Gemahls irgend etwas wün­ schen und bitten- allein wenn ich nicht irre, so ist die Ursache, warum er Euch bisher zurückhielt, bald gehoben. Seine Absicht

war, Euch zum selbständigen Edelmann hermigereift zu sehen, der sich und ihm auch auswärts Ehre machte, wie bisher am Hofe,-

und ich dächte,

empfehlender Reisepaß,

Eure That wäre ein so

als ein junger Mann nur in die Welt mitnehmen kann."

Daß anstatt einer jugendlichen Freude eine gewisse Trauer über sein Gesicht zog, hatte die Fürstin nicht Zeit zu bemerken, noch er, seiner Empfindung Raum zu geben:

einen Knaben an der Hand,

Berg herauf,

denn hastig den

kam eine Frau ge­

radezu auf die Gruppe los, die wir kennen, und kaum war Ho­

noris sich besinnend aufgestanden, als sie sich heulend und schreiend über den Leichnam her warf und an dieser Handlung, so wie. an einer obgleich reinlich

anständigen,

doch bunten und

seltsamen

Kleidung sogleich erraten ließ, sie sei die Meisterin und Wärterin dieses dahin gestreckten Geschöpfes, wie denn der schwarzäugige,

schwarzlockige Knabe,

der eine Flöte in der Hand hielt, gleich

der Mutter weinend,

weniger heftig,

aber tief gerührt, neben

ihr kniete.

Den gewaltsamen Ausbrüchen

der Leidenschaft

dieses un­

glücklichen Weibes folgte, zwar unterbrochen stoßweise, ein Strom von Worten, wie ein Bach sich in Absätzen von Felsen zu Felsen

stürzt.

Eine natürliche Sprache, kurz und abgebrochen, machte

sich eindringlich und rührend^ vergebens würde man sie in unseren

Mundarten übersetzen wollen, den ungefähren Inhalt dürften wir nicht verfehlen.

„Sie haben dich ermordet, armes Tier! ermordet Du warst zahm und hättest dich gern ruhig nieder­

ohne Not!

gelassen und auf uns gewartet: denn deine Fußballen schmerzten

dich, und deine Krallen hatten keine Kraft mehr! Die heiße Sonne fehlte dir, sie zu reifen! Du warst der schönste deines gleichen/

wer hat je einen königlichen Tiger Schlafe gesehen, aufzustehen! Tagschein

Wenn

und

so

herrlich

wie du nun hier liegst, tot, den

du des Morgens

Rachen

ausgestreckt im

um nicht wieder

aufwachtest

aufsperrtest,

beim frühen

ausstreckend

die rote

Zunge, so schienst du und zu lächeln, und wenn schon brüllend,

nahmst du doch spielend dein Futter aus den Händen einer Frau,

von den Fingern eines Kindes!

Wie lange begleiteten wir dich

auf deinen Fahrten! wie lange war deine Gesellschaft uns wichtig Hessel, Musterprosa IV.

4

Goethe.

50 [IV]

unb fruchtbar! Uns, uns ganz eigentlich kam die Speise von den Fressern und süße Labung von den Starken. So wird es nicht mehr sein.

Wehe! wehe!"

Sie hatte nicht ausgeklagt, als über die mittlere Höhe des

Bergs am Schlosse herab Reiter heransprengten, die alsobald für das Jagdgefolge des Fürsten erkannt wurden, er selbst voran.

Sie hatten, in den hinteren Gebirgen jagend,

die Brandwolken

aufsteigen sehen und durch Thäler und Schluchten,

wie auf ge­

waltsam hetzender Jagd, den geraden Weg nach diesem traurigen Zeichen genommen. Ueber die steinige Blöße einhersprengend,

stutzten und starrten sie, nun die unerwartete Gruppe gewahr werdend, die sich auf der leeren Fläche merkwürdig auszeichnete. Nach dem

ersten Erkennen verstummte man,

und nach einigem

Erholen ward, was der Anblick nicht selbst ergab, mit wenigen

Worten erläutert.

So stand der Fürst vor dem seltsamen, un­

erhörten Ereignis, einen Kreis umher von Reitern und Nachei­ lenden zu Fuße. Unschlüssig war man nicht, was zu thun fei; anzuordnen, auszuführen war der Fürst beschäftigt, als ein Mann sich in den Kreis drängte, groß von Gestalt, bunt und wunder­

lich gekleidet, wie Frau und Kind. Und nun gab die Familie zusammen Schmerz und Überraschung zu erkennen. Der Mann aber, gefaßt, stand in ehrfurchtsvoller Entfernung vor dem Fürsten

und

sagte:

„Es

ist nicht Klagenszeit!

Ach,

mein Herr und

mächtiger Jäger, auch der Löwe ist los; auch hier nach dem Ge-

birg ist er hin:

aber schont ihn!

habt Barmherzigkeit, daß er

nicht umkomme wie dies gute Tier!"

„Der Löwe'?" sagte der Fürst; „hast du seine Spur?" —

„Ja, Herr!

ein Bauer

dort unten,

einen Baum gerettet hatte,

der

sich ohne

Not

auf

wies mich weiter hier links hinauf:

aber ich sah den großen Trupp Menschen und Pferde vor mir;

neugierig und hilfsbedürftig, eilte ich hierher." — „Also,"

be­

orderte der Fürst, „muß die Jagd sich auf diese Seite ziehen. Ihr ladet eure Gewehre; geht sachte zu Werk!

es ist kein Un­

glück, wenn ihr ihn in die tiefen Wälder treibt.

Aber am Ende,

guter Mann,

werden wir Euer Geschöpf nicht schonen können;

warum wäret Ihr unvorsichtig genug, sie entkommen zu lassen?" —

„Das Feuer brach aus," versetzte jener-

wir

„wir hielten uns still

es verbreitete sich schnell, aber fern von uns:

und gespannt-

hatten Wasser genug

zu unserer Verteidigung,

aber ein

Pulverschlag flog auf und warf die Brände bis an uns heran,

über

uns

weg;

liche Leute." Noch war

wir

übereilten

uns

und

sind

der Fürst mit Anordnungen

nun

unglück­

beschäftigt,

aber

stocken, als oben vom alten -Schloß herab eilig ein Mann heranspringend gesehen ward, den man bald für den angestellten Wächter erkannte, der die Werk­ stätte des Malers bewachte, indem er darin seine Wohnung nahm einen Augenblick

schien alles

zu

und die Arbeiter beaufsichtigte.

Er kam außer Atem springend,

doch hatte er bald mit wenigen Worten angezeigt, oben hinter der Hähern Ringmauer habe sich der Löwe im Sonnenschein gelagert, am Fuße einer hundertjährigen Buche, und verhalte sich ganz ruhig. Ärgerlich aber schloß der Mann: „Warum habe ich gestern meine Büchse in die Stadt getragen,

um sie

aufgeftanden-

das

Fell wäre doch mein gewesen, und ich hätte mich dessen, billig, zeitlebens gebrüstet."

wie

ausputzen zu lassen!

Er wäre nicht wieder

Der Fürst, dem seine militärischen Erfahrungen auch hier­ zu statten kamen, da er sich wohl schon in Fällen gefunden hatte, wo von mehreren Seiten unvermeidliches Übel herandrohte, sagte

hierauf: „Welche Bürgschaft gebt Ihr mir, daß, wenn wir Eures Löwen schonen, er nicht im Lande unter den Meinigen Verderben anrichtet?" — „Hier diese Frau und dieses Kind," erwiderte der

Vater hastig, halten,

bis

ihn denn werden."

„erbieten sich, ich

den

unschädlich

ihn zu zähmen, ihn ruhig zu er­

beschlagenen Kasten

und

unbeschädigt

heraufschaffe, wieder

da wir

zurückbringen

Der Knabe schien seine Flöte versuchen zu wollen, ein In­

strument von der Art, das man sonst die sanfte, süße Flöte zu nennen pflegte- sie war kurz geschnäbelt wie die Pfeifen- wer es

verstand, wußte die anmutigsten Töne daraus hervorzulocken. Indes hatte der Fürst den Wärtel gefragt, wie der Löwe hinauf­

gekommen.

Dieser aber versetzte: „Durch den Hohlweg, der, auf

von

beiden Seiten vermauert,

soll-

jeher

der

und der einzige

bleiben

führten, haben

wir dergestalt entstellt,

jenen

Zugang war-

die noch hinauf­

daß niemand als durch-

engen Anweg zu dem Zauberschlosse gelangen es Fürst Friedrichs Geist und Geschmack ano--

ersten

wozu

könne,

einzige

zwei Fußpfade,

bilden will."

Nach einigem Nachdenken,

Lkinde umsah,

wobei sich der Fürst nach dem

das immer sanft gleichsam zu präludieren fortge-

sahren hatte, wendete er sich zu Honorio und sagte:

„Du hast

heute viel geleistet; vollende das Tagwerk! Besetze den schmalen Weg- haltet eure Büchsen bereit, aber schießt nicht eher, als-

bis

ihr

nicht sonst zurückscheuchen

das Geschöpf

könnt-

allen­

vor dem er sich fürchtet, wenn er Mann und Frau möge für das übrige stehen."

falls macht ein Feuer an,

herunter will.

Eilig schickte Honorio sich an,

die Befehle

zu voüführen.

Das Kind verfolgte seine Melodie, die keine war, eine Tonfolge ohne Gesetz

und vielleicht eben deswegen so herzergreifend-

die

Umstehenden schienen wie bezaubert von der Bewegung einer lieder­

artigen Weise, als der Vater mit anständigem Enthusiasmus zu reden anfing und fortfuhr: „Gott hat dem Fürsten Weisheit gegeben und zugleich die

alle Gotteswerke weise sind,

Erkenntnis,

daß

Art.

den Felsen,

Seht

der Witterung

trotzt

wie er fest steht

und

dem

jedes nach feiner

und sich nicht rührt^

Sonnenschein!

Uralte Bäume

zieren sein Haupt, und so gekrönt schaut er lveit umher-

aber ein Teil herunter,

so will es nicht bleiben,

es fällt zertrümmert in viele Stücke und bedeckt

Hanges.

stürzt

was es war>

die Seite

Aber auch da wollen sie nicht verharren-

des

mutwillig

springen sie tief hinab, der Bach nimmt sie auf, zum Flusse trägt er sie.

Nicht widerstehend, nicht widerspenstig, eckig, nein, glatt

und abgerundet gewinnen sie schneller ihren Weg

und gelangen

von Fluß zu Fluß, endlich zum Ozean, wo die Riesen in Scharen daherziehen und in der Tiefe die Zwerge wimmeln.

Doch wer

preist den Ruhm des Herrn, den die Sterne loben von Ewigkeit

zu Ewigkeit?

Warum seht ihr aber im Fernen umher!

trachtet hier die Biene!

noch

Be­

spät im Herbst sammelt sie emsig

unb baut sich ein Haus, winkel- und wagerecht, als Meister und

Geselle. Schaut die Ameise da! sie kennt ihren Weg und ver­ liert ihn nicht,' sie baut sich eine Wohnung aus Grashalmen, Grdbröslein und Kiefernadeln, sie baut es in die Höhe und wölbet

es zu: aber sie hat umsonst gearbeitet,' denn das Pferd stampft

und scharrt alles auseinander.

Seht hin! es zertritt ihre Balken

mit) zerstreut ihre Planken, ungeduldig schnaubt es und kann nicht rasten- denn der Herr hat das Roß zum Gesellen des Windes gemacht und zum Gefährten des Sturms, daß es den

Mann dahin trage, wohin er will, und die Frau, wohin sie be­

Aber im Palmenwalde trat er auf,

gehrt.

der Löwe,'

ernsten

Schrittes durchzog er die Wüste,' dort herrscht er über alles Ge­ tier, und nichts widersteht ihm. Doch der Mensch weiß ihn zu zähmen,

und das grausamste

der Geschöpfe hat Ehrfurcht vor

bem Ebenbilde Gottes, wornach auch die Engel gemacht sind, die

dem Herrn dienen und seinen Dienern.

Denn in

der Löwen-

^rube scheute sich Daniel nicht,' er blieb fest und getrost, und das -wilde Brüllen unterbrach nicht seinen frommen Gesang."

Diese mit dem Ausdruck eines natürlichen Enthusiasmus gehaltene Rede begleitete

Tönen,' Kehle,

das Kind hie und da mit anmutigen

als aber der Vater geendigt hatte, heller Stimme und

fing es mit reiner

geschickten Läufen zu intonieren an,

worauf der Vater die Flöte ergriff, im Einklang sich hören ließ,

das Kind aber sang: „Aus den Gruben, hier im Graben Hör ich des Propheten Sang: Engel schweben, ihn zu labenWäre da dem Guten bang? Löw und Löwin hin und wieder Schmiegen sich um ihn heranJa, die sanften, frommen Lieder Habens ihnen angethan!"

Der Vater fuhr fort, die Strophe mit der Flöte zu begleiten/ die Mutter trat hie und da als zweite Stimme mit ein.

Ein­

dringlich aber ganz besonders war, daß das Kind die Zeilen der Strophe

nunmehr zu anderer

Ordnung

durch einander schob

54 [IV]

Goethe.

und dadurch wo nicht einen neuen Sinn hervorbrachte, doch das Gefühl in und durch sich selbst aufregend erhöhte. „Engel schweben auf und nieder, Uns in Tönen zu erlaben: Welch ein himmlischer Gesang! In den Gruben, in dem Graben, Wäre da dem Kinde bang? Diese sanften, frommen Lieder Lassen Unglück nicht heran: Engel schweben hin und wieder, Und so ist es schon gethan!"

Hierauf mit Kraft und Erhebung begannen alle drei: „Denn der Ewge herrscht auf Erden, Über Meere herrscht sein Blick:

Löwen sollen Lämmer werden. Und die Welle schwankt zurück! Blankes Schwert erstarrt im HiebeGlaub und Hoffnung sind erfüllt; Wunderthätig ist die Liebe, Die sich im Gebet enthüllt."

Alles war still, hörte, Höchte; und nur erst, als die Töne

verhallten, konnte man

beobachten.

gerührt.

den Eindruck bemerken

Alles war wie beschwichtigt, jeder in seiner Art

Der Fürst, als

wenn er erst jetzt das Unheil über­

sähe, das ihn vor kurzem bedroht hatte, Gemahlin, die, an ihn gelehnt,

Tüchlein

und allenfalls

blickte nieder auf seine

sich nicht versagte, das gestickte

hervorzuziehen und die Augen damit zu bedecken:

es

that ihr wohl, die jugendliche Brust Don dem Druck erleichtert zu fühlen, mit

hatten.

schien

dem

die vorhergehenden Minuten sie belastet

Eine vollkommene Stille beherrschte die Menge; man die Gefahren vergessen zu haben,

unten den Brand und-

von oben das Erstehen eines bedenklich ruhenden Löwen. Durch einen Wink, die Pferde näher herbeizuführen, brachte der Fürst zuerst wieder in die Gruppe Bewegung; dann wen­

dete er sich zu dem Weibe und sagte: „Ihr glaubt also, daß IHv den entsprungenen Löwen, wo Ihr ihn antrefft, durch Euern Gesang, durch den Gesang dieses Kindes mit Hilfe dieser

Flötentöne beschwichtigen und ihn sodann unschädlich so wie un-

beschädigt in seinen Verschluß wieder zurückbringen könntetSie

es, versichernd und

bejahten

beteuernd-

als Wegweiser zugegeben.

ihnen

der

Kastellan wurde

Nun entfernte der Fürst mit

wenigen sich eiligst- die Fürstin folgte langsamer mit dem übrigen

Gefolge- Mutter aber und Sohn stiegen, von dem Wärtel, der sich eines Gewehrs bemächtigt hatte, geleitet, steiler gegen den Berg hinan. Vor dem Eintritt in

den Hohlweg, der den Zugang zu

dem Schloß eröffnete, fanden sie die Jäger beschäftigt, dürres Reisig zu häufen, damit sie auf jeden Fall ein großes Feuer

anzünden könnten.

„Es ist nicht not," sagte die Frau, „es wird

ohne das alles in Güte geschehen." Weiter hin, auf einem Mauerstücke sitzend, erblickten sie Honorio, seine Doppelbüchse in den Schoß gelegt, auf einem Posten, als wie zu jedem Ereignis gefaßt.

Aber die Herankommenden

schien er kaum zu bemerken- er saß, wie in tiefen Gedanken ver­

sunken,

er sah umher, wie zerstreut.

Die Frau sprach ihn an

mit Bitte, das Feuer nicht anzünden zu lassen- er schien jedoch

ihrer Rede wenig Aufmerksamkeit zu schenken;

fort und

rief:

erschlagen- ich

sie redete lebhaft

„Schöner junger Mann, du hast meinen Tiger

fluche dir nicht.

Schone meinen Löwen,

guter

junger Mann! ich segne dich!" Honorio schaute gerade vor sich hin, dorthin, wo die Sonne auf ihrer Bahn sich zu senken begann. „Du schaust nach Abend,"

rief die Frau, „du thust wohl daran-

dort gibts viel zu thun.

Eile nur, säume nicht! du wirst überwinden. winde dich selbst!"

Aber zuerst über­

Hierauf schien er zu lächeln: die Frau stieg

weiter, konnte sich aber nicht enthalten^ nach dem Zurückbleiben­

den nochmals

umzublicken- eine rötliche Sonne

überschien sein

Gesicht, sie glaubte nie einen schönern Jüngling gesehen zu haben. und

„Wenn Euer Kind," sagte nunmehr der Wärtel, „flötend singend, wie Ihr überzeugt seid, den Löwen anlocken und

beruhigen kann, so werden wir uns desselben sehr leicht bemeistern,

da sich das gewaltige Tier ganz nahe an die durchbrochenen Ge­ wölbe hingelagert hat, durch die wir, da das Hauptthor verschüttet

ist, einen Eingang in den Schloßhof gewonnen haben.

Lockt ihn

56 [IV]

Goethe.

das Kind hinein^ so

kann ich

die Öffnung mit leichter Mühe

wenn es ihm gut deucht, durch eine

schließen, und der Knabe,

der kleinen Wendeltreppen, die er in der Ecke sieht,

entschlüpfen.

dem Tiere

Wir wollen uns verbergen, aber ich werde mich so

stellen, daß meine Kugel

kommen kann." — —

jeden Augenblick dem Kinde zu Hilfe „Die Umstände sind alle nicht nöthig.

Gott und Kunst, Frömmigkeit und Glück müssen das Beste thun." „Es sei!" versetzte der Wärtel, „aber ich kenne meine Pflich­

ten.

Erst führe

ich Euch durch einen beschwerlichen Stieg auf

gerade dem Eingang gegenüber, den ich erwähnt habe,- das Kind mag hinabfteigen, gleichsam in die Arena des Schauspiels, und das besänftigte Tier dort hereinlocken." das Gemäuer

hinauf,

Das geschah: Wärtel und Mutter sahen versteckt von oben herab, wie das Kind die Wendeltreppen hinunter in dem klaren Hof­ raum sich zeigte und in der düstern Öffnung gegenüber ver­

schwand, aber sogleich seinen Flötenton hören ließ, der sich nach und

nach

verlor

und

endlich

verstummte.

Die

Pause

war

ahnungsvoll genug- den alten, mit Gefahr bekannten Jäger be­

engte der seltene menschliche Fall.

persönlich

dem

Er sagte sich,

gefährlichen Tiere

daß er lieber-

entgegenginge-

jedoch, mit heiterm Gesicht übergebogen horchend,

die

ließ

Mutter

nicht die

mindeste Unruhe bemerken.

Endlich hörte man die Flöte wieder-

der Höhle hervor mit glänzend

das Kind trat aus

befriedigten Augen,

der Löwe

hinter ihm drein, aber langsam und, wie es schien, mit einiger Beschwerde.

Er zeigte hie und da Lust, sich niederzulegen- doch

der Knabe führte ihn im Halbkreise durch die wenig entblätterten, buntbelaubten Bäume, bis er sich endlich in den letzten Strahlen

der Sonne, die sie durch eine Ruinenlücke hereinsandte, wie ver­ klärt niedersetzte und sein beschwichtigendes Lied abermals begann,

dessen Wiederholung wir uns auch nicht entziehen können: „Aus den Gruben, hier im Graben Hör ich des Propheten Sang: Engel schweben, ihn zu labenWäre da dem Guten bang? Löw und Löwin hin und wieder Schmiegen sich um ihn heran-

Ja, die sanften frommen Lieder Habens ihnen angethan!" Indessen hatte sich der Löwe ganz knapp an das Kind hin­

gelegt und ihm die

schwere rechte Vordertatze auf den Schoß

gehoben, die der Knabe, fortsingend, anmutig streichelte, aber gar bald bemerkte, daß ein scharfer Dornzweig zwischen die Ballen eingestochen war.

Sorgfältig zog er die verletzende Spitze her­

vor, nahm lächelnd sein buntseidenes Halstuch vom Nacken und verband die gräuliche Tatze des Untiers, so daß die Mutter sich

vor Freuden mit ausgestreckten Armen zurückbog und vielleicht angewohnter Weise Beifall gerufen und geklatscht hätte, wäre sie

nicht durch einen derben Faustgriff des Wärtels erinnert worden, daß die Gefahr nicht vorüber sei.

Glorreich sang das Kind weiter, nachdem es mit wenigen

Tönen vorgespielt hatte: „Denn der Ewge herrscht auf Erden, Über Meere herrscht sein Blick: Löwen sollen Lämmer werden, Und die Welle schwankt zurückBlankes Schwert erstarrt im HiebeGlaub und Hoffnung sind erfülltWunderthätig ist die Liebe, Die sich im Gebet enthüllt."

Ist es möglich zu denken, daß man in den Zügen eines so

grimmigen Geschöpfes, des Tyrannen der Wälder, des Despoten

des Tierreiches, einen Ausdruck von Freundlichkeit, von dankbarer Zufriedenheit habe spüren können, so geschah es hier: und wirklich

sah das Kind in seiner Verklärung aus wie ein mächtiger, siegreicher Überwinder, jener zwar nicht wie der Überwundene — denn seine Kraft blieb in ihm verborgen —

wie der

dem

aber doch wie der Gezähmte,

eigenen friedlichen Willen Anheimgegebene.

Das

Kind flötete und sang so weiter, nach seiner Art die Zeilen ver­ schränkend und neue hinzufügend: „Und so geht mit guten Kindern Selger Engel gern zu Rat, Böses Wollen zu verhindern, Zu befördern schöne That.

So beschwören, fest zu bannen Lieben Sohn ans zarte Knie, Ihn, des Waldes Hochtyrannen^ Frommer Sinn und Melodie."

10. Briefe aus der Schweiz an Frau von Stein. I. Staubbach und Grindelwald.

Den 9. Oktober 1779. Wir sind i/z 5 wirklich hier in der Gegend angelangt, und alles, was ich bisher gewünscht:

wir haben den Staubbach bei

gutem Wetter zum erstenmal gesehen, die Wolken der oberen Luft waren gebrochen, und der blaue Himmel schien durch. An

den Felswänden hielten Wolken, selbst das Haupt, wo der Staub­ bach herunter kommt, war leicht bedeckt. Es ist ein sehr er­ habener Gegenstand. Und es ist vor ihm, wie bei allem Großen, so lang es Bild ist, so weiß man doch nicht recht, was man will. Es läßt sich von ihm kein Bild machen-

ge­

die Sie von ihm

sehen haben, sehen sich mehr oder wenig ähnlich, aber wenn man drunter ist, wo man weder mehr bilden noch beschreiben kann,

dann ist man erst auf dem rechten Fleck. herein ins Thal gezogen

und

Auf der rechten Seite steht die die der Staubbach herab kommt.

decken

Jetzo sind die Wolken

all

die heitern Gründe.

hohe Wand noch hervor,

über

Es wird Nacht, wir sind beim

Pfarrer in Lauterbrunn eingekehrt, es ist ein auseinander lie­ gendes Dorf, genannt, wie die Leute sagen, weil lauter Brunnen,

nichts als Brunnen, in dieser Gegend von

kommen.

Bisher hat uns

das Glück gar

den Felsen herunter

unerhört

begleitet.

Kein Gedanke, keine Beschreibung noch Erinnerung reicht an die Schönheit und Größe der Gegenstände

und ihre Lieblichkeit

solchen Lichtern, Tageszeiten und Standpunkten. sänge der Geister habe ich

kann mich aber kaum

noch

in

Von dem Ge­

wundersame Strophen gehört,

beiliegender

erinnern*).

Schreiben Sie

doch sie für Knebeln ab, mit einem Gruß von mir.

Ich habe

oft an ihn gedacht. Sonntags den lOten früh sahen wir eben den Staubbach wieder und wieder aus dem Pfarrhause an, er bleibt

immer

eben derselbe und macht einen unendlich angenehmen und tiefen

*) Hier war das Gedicht beigelegt: Gesang der Geister über den Wassern. Vgl. Mustergedichte IV, Seite 72.

Eindruck.

Weil wir die Eisgebirge nicht selbst besteigen wollten, so

schickten wir uns zu einem Stieg an auf einen Berg, der gegen­ über liegt und der Steinberg genannt wird.

Eine Weile steigt

der Weg über Matten, dann windet er sich rauh den Berg hin­

auf, die Sonne ging uns über den Gletschern auf, und wir sahen sie der Reihe nach gegenüber liegen. Wir kamen auf die Steinbergs Alp, wo der Zingelgletscher an den Steinberg stößt,

die Sonne brannte mitunter sehr heiß.

Wir stiegen bis zum

Ausbruch des Zingelgletschers und noch höher hinauf, wo vor dem Zingelhorn aus dem Eise sich ein kleiner See formiert. Horn heißen sie hier den höchsten Gipfel eines Felsens, der meist mit Schnee und Eis bedeckt ist und in einer seltsamen Horn­ gestalt oft in die Luft steht. Wir kamen gegen drei oben an, nachdem wirs uns vorher auf der Alpen hatten schmecken lassen. Es fällt mir unmöglich, das Merkwürdige der Formen und Er­ scheinungen bei den Gletschern jetzt anschaulich zu machen, es ist vieles gut,

was drüber geschrieben worden,

das wir zusammen

lesen wollen, und dann läßt sich viel erzählen. Wir verweilten uns oben, kamen in Wolken und Regen und endlich in die

Nacht,

zerstreut und müde in dem Pfarrhaus

an.

Montags

den 11. gingen wir von Lauterbrunnen ab,- da uns das Wetter hinderte, den obern Weg über die Berge zu nehmen, gingen wir unten durchs Thal in den Grindelwald.

Wege sehr schlimm gemacht.

Der Regen hatte die

Herrliche Felsen und Felsenbrüche.

Die Sonne kam hervor, die Wolken hoben sich von den Bergen.

Hier und da kam der schöne blaue Himmel hervor.

Um 4 Uhr-

nachmittags kamen wir nach Grindelwald, sahen noch vor Tische

eine prächtige Schnee-

und Eishöhle,

den

sogenannten

untern

Gletscher, der bis ins Thal dringt und daran die herrliche Eis­

höhle, woraus

das Eiswasser seinen Ablauf

hat, und suchten

Erdbeeren in dem Hölzchen, das gleich daneben steht. II. Besteigung der Dole.

Genf, den 28. Oktober 1779. Den 26. ward beim Frühstück überlegt, welchen Weg marr

nehmen wolle.

Da wir hörten, daß die Dole, der höchste Gipfel

Goethe.

60 [IV]

des Jura, nicht weit von dem obern Ende des Thals läge, da das Wetter sich auf das herrlichste anließ, so wurde dahin zu

Wir packten einem Boten Käs, Butter, Brot

gehen beschlossen.

und Wein auf und ritten gegen achte ab.

Unser Weg ging nun

durch den obern Teil des Thals, in dem Schatten des Noirmonts Es war sehr kalt, hatte gereift und gefroren, wir hatten

hin.

im Bernischen zu reiten,

noch eine Stunde

Chaussee zu Ende zu bringen beschäftigt ist.

man eben

wo

die

Durch einen kleinen

Fichtenwald rückten wir ins französche Gebiet ein. Wir kamen bald auf die neue Straße, die aus dem Pais de Vaud nach Paris fiihrt, wir folgten ihr eine Weile abwärts. Der kahle Gipfel der Dole lag vor uns, wir stiegen ab, und Wedel ging mit den Pferden auf der Straße voraus nach Sergues, und wir stiegen

die Dole hinan. Es war gegen Mittag, die Sonne schien heiß, über es wechselte ein kühler Mittagswind. Sorgfältig hüteten wir uns, nicht durch einen Bug der Hügel uns nach der Gegend umzusehen, um derentwillen wir eigentlich Heraufstiegen. Ich war in einiger Sorge wegen des Nebels,

doch

zog ich aus der

Gestalt des oberen Himmels einige gute Vorbedeutungen. betraten

endlich

den obern Gipfel.

Wir

Das ganze Pais de Vaud

und de Gex lag wie eine Flurkarte unter uns, Dörfer, Städtchen,

Landhäuser, Weinberge, und höher herauf, wo Wald und Alpen angehen, Sennhütten, meist weiß und hell angestrichen, leuchteten vom See hatte sich der Nebel schon zurücke

gegen die Sonne,-

gezogen,

wir sahen

den nächsten Teil an unsrer Küste deutlich,

den sogenannten kleinen See,

wo

sich der große

verenget und

gegen Genf zugeht, dem wir gegenüber waren, ganz, und gegen­ über klärte sich das Land auf, das ihn einschließt. Über alles behauptete der Anblick über die Eis- und Schneeberge seine Rechte.

Wir setzten uns vor der kühlen Luft in Schutz ließen

uns von der Sonne bescheinen,

schmeckte trefflich.

hinter Felsen,

das Essen und Trinken

Wir sahen dem Nebel zu, der sich nach und

nach verzog, jeder entdeckte etwas oder glaubte was zu entdecken,

wir

sahen

nach

und

nach Lausanne

mit allen Gartenhäusern

umher, Bevay und das Schloß von Chillon

ganz deutlich,

das

Gebirg, das uns den Eingang von Wallis verdeckte, bis in den

See,

da an der Savoyer Küste Evian^ Ripaille, Thonoit,

Don

Dörfchen und Häuschen

zwischen inne, Genf kam endlich rechts

auch aus dem Nebel, aber weiter gegen Mittag zog er sich gar nicht weg.

wir

Wendeten

uns wieder links, so lag das ganze

Land von Lausanne bis Solothurn in leichtem Duft, die nähern Berge und Höhen, auch alles, was weiße Häuser hatte, konnten wir erkennen, man zeigte uns das Schloß Chanvan blinken, das

vom Neuburgersee links liegt, woraus wir seine Lage mutmaßen, ihn aber in dem blauen Duft nicht erkennen konnten. keine Worte für die Größe und Schöne dieses

sind

Es

Allblicks, mein

sich im Augenblick selbst kaum bewußt,

ist

daß

man sieht, man ruft sich nur gern die Namen und alten Gestalten der bekannten Städte und Orte zurück und freut sich in einer taumelnden Erkenntnis, daß das eben die weißen Punkte sind, die man vor sich hat.

Und immer wieder zog die Reihe der glänzenden Eisgebirge das Aug und die Seele an sich.

Die Sonne wendete sich mehr

gegen Abend und erleuchtete ihre größere Flächen gegen uns zu.

Schon was vom See auf für schwarze Felsrücken, Zähne, Türme

und Mauern in

wilde

vielfachen Reihen vor ihnen aufsteigen,

ungeheure, undurchdringliche Vorhöfe bilden! wann sie dann erst selbst in der Reinheit und Klarheit in der freien Luft mannig­ faltig da liegen; man gibt da gern jede Prätcnsion ans Unendliche

auf, da man nicht einmal mit dem Endlichen im Anschauen und Gedanken fertig werden kann.

Vor

uns

sahen

wir ein fruchtbar bewohntes Land, ein hohes,

worauf wir stunden,

Boden,

noch Gras,

Futter für Tiere,

von

kahles Gebirge,

denen

der trägt

der Mensch Nutzen

zieht, das kann sich der einbildische Herr der Welt noch zueignen. Aber jene sind wie eine heilige Reihe von Jungfrauen, die der Geist

des

Himmels

Augen, für blieben

in

sich allein,

unzulänglichen Gegenden, in

unsern

vor

ewiger Reinheit aufbewahrt.

Wir

und reizten einander wechselsweise, Städte, Berge und

Gegenden bald mit bloßem Auge, bald mit dem Teleskop zu ent­

decken, und gingen nicht eher abwärts, als bis die Sonne im Weichen

den

Nebel seinen Abendhauch

über

den See

breiten

ließ.

Wir

kamen mit Sonnenuntergang auf

Fort de St. Sergues.

die Ruinen

des

Auch näher am Thal waren unsre Augen

nur auf die Eisgebirge gegenüber gerichtet. Die letzten, links im Oberland, schienen in einem lichten Feuerdampf aufzuschmelzen,

die nächsten standen noch mit wohl bestimmten roten Seiten gegen uns, nach und nach wurden jene weiß-grün-graulich. Es sah Wie ein gewaltiger Körper von außen gegen

fast ängstlich aus.

das Herz zu abstirbt, so erblaßten alle langsam gegen den Mont­

blanc

zu,

dessen weiter Busen noch immer rot herüber glänzte

und auch zuletzt uns noch einen rötlichen Schein zu behalten schien, wie man den Tod des Geliebten nicht gleich bekennen und den Augenblick, wo der Puls zu schlagen aufhört, nicht ab­ schneiden will. Auch nun gingen wir ungern weg, die Pferde

fanden wir in St. Sergues,

und

daß

nichts fehle,

stieg

der

Mond auf und leuchtete uns nach Nion, wo unterwegs unsere

gespannten Sinnen

sich

wieder

lieblich falten konnten, wieder

freundlich wurden und mit frischer Lust aus den Fenstern des

Wirtshauses den breitschwimmenden Wiederglanz des Monds im ganz reinen See genießen konnten.

III. Das Thal Chamounix. Chamounix, den 4. November, Abends gegen 9.

Nur daß ich mit diesem Blatt Ihnen um so näher rücken kann, rlehme ich die Feder,

ruhen zu lassen.

sonst wär es

besser, meine Geister

Wir ließen Salenche in einem schönen offnen

Thale hinter uns, der Himmel hatte sich während unsrer Mittag­

rast

mit weißen Schäfchen

überzogen,

besondere Anmerkung machen muß. noch

von denen ich hier eine

Wir haben sie so schön und

schöner an einem heitern Tag von den Berner Eisbergen

aufsteigen sehen,

auch hier schien es uns wieder

so,

als wenn

die Sonne die leisesten Ausdünstungen von den höchsten Schnee­ gebirgen

gegen sich aufzöge

und diese ganz feinen Dünste von

einer leichten Luft, wie eine Schaumwolle, durch die Atmosphäre

gekämmt würden.

Ich erinnre mich nie in den höchsten Sommer-

tagen bei uns, wo dergleichen ähnliche Lufterscheinungen Vorfällen, etwas so Durchsichtiges, Leichtgewobenes gesehen zu haben.

Schon

sahen wir die Schneegebirge, von denen sie aufsteigen, vor uns, das Thal fing an zu stocken, die Arve schoß aus einer Felskluft

hervor,

mußten

wir

einen Berg

hinan und wanden uns, die

Schneegebirge rechts vor uns, immer höher.

Abwechselnde Berge,

alte Fichtenwälder zeigten sich uns rechts, teils in der Tiefe, teils uns gleich. Links über uns waren die Gipfel des Bergs

kahl

und

spitzig.

Wir

fühlten,

daß

wir einem stärkern und

mächtigern Satz von Bergen immer näher rückten. Wir kamen über ein bre-tes und trockenes Bett von Kieseln und Steinen, das die Wasserfluten die Länge des Berges hinab zerreißen und Von da in ein sehr angenehmes, eingenommenes,

wieder füllen.

flaches Thal, worin das Dörfchen Serves liegt, von da geht der

Weg, um einige sehr bunte Felsen, wieder gegen die Arve. Wenn man über sie weg ist, steigt man einen Berg hinan, die Massen

werden hier immer größer, die Natur hat hier mit sachter Hand das Ungeheure zu bereiten angefangen.

Es wurde dunkler, wir

kamen dem Thale Chamounix

näher und endlich darein. Nur die großen Massen waren uns sichtbar, die Sterne gingen nach­ und wir bemerkten über den Gipfeln der Berge,

einander auf,

rechts vor uns, ein Licht, das wir nicht erklären konnten: hell, ohne Glanz, wie die Milchstraße, doch dichter, fast wie die Plejaden, nur größer, unterhielt es lange unsre Aufmersamkeit,

bis es endlich,

da

wir unsern Standpunkt änderten, wie eine

Pyramide, von einem innern,

das

dem

werden

uns

Schein

kann,

gewiß

geheimnisvollen Lichte durchzogen,

eines Johanniswurms

über

den

machte, daß

Gipfeln

am

besten verglichen

aller Berge hervorragte und

es der Gipfel des Montblancs war.

Es war die Schönheit dieses Anblicks ganz außerordentlich, denn

da er mit den Sternen, die um ihn herumstanden, zwar nicht in gleich raschem Licht, doch in einer breitern, zusammenhängendern Masse leuchtete, so schien er den Augen zu einer höhern Sphäre zu gehören, und man hatte Müh, in Gedanken seine Wurzeln

wieder an Reihe

die Erde zu befestigen.

von Schneegebirgen,

Bor ihm sahen wir eine

dämmernder, auf den Rücken von

64 [IV]

Goethe.

Grimm.

schwarzen Fichtenbergen liegen, und wir sahen ungeheure Gletscher? zwischen den schwarzen Wäldern herunter ins Thal steigen.

Meine Beschreibung fängt an unordentlich und ängstlich zu werden,

auch braucht es eigentlich immer zwei Menschen, einen,

ders sähe und einen, ders beschriebe.

Wir sind

hier in

dem

mittelsten Dorfe des Thals, le

Prieure genannt, wohl logieret, in einem Hause, das eine Witwe

den vielen Fremden zu Ehren vor einigen Jahren erbauen ließ. Wir sitzen am Kamin und lassen uns den Muskatellerwein, aus

der Vallee d'Aost besser schmecken, als die Fastenspeisen, die uns aufgetischt werden.

Die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm (1785—1863 und 1786—1859). 11. Das Märchen. Wir finden es wohl, wenn von Sturm und anderem Un­ glück,

das der Himmel schickt,

eine ganze Saat zu Boden ge­

schlagen wird, daß noch bei niedrigen Hecken oder Sträuchen, die am

Wege stehen, ein kleiner Platz sich gesichert hat und einzelne Ähren aufrecht geblieben sind. Scheint dann die Sonne wieder günstig, so wachsen sie einsam und unbeachtet fort:

keine frühe

Sichel schneidet sie für die großen Vorratskammern,

aber im

Spätsommer, wenn sie reif und voll geworden, kommen arme Hände, die sie suchen, und Ähre an Ähre gelegt, sorgfältig ge­ bunden und höher geachtet, als sonst ganze Garben, werden sie heim getragen, und winterlang sind sie Nahrung, vielleicht auch

der einzige Samen für die Zukunft. So ist es uns vorgekommen, wenn wir gesehen haben, wie von so vielem, was

mehr übrig geblieben,

in früherer Zeit geblüht hat, nichts

selbst die Erinnerung daran fast ganz

verloren war, als unter dem Volke Lieder, ein paar Bücher,

64 [IV]

Goethe.

Grimm.

schwarzen Fichtenbergen liegen, und wir sahen ungeheure Gletscher? zwischen den schwarzen Wäldern herunter ins Thal steigen.

Meine Beschreibung fängt an unordentlich und ängstlich zu werden,

auch braucht es eigentlich immer zwei Menschen, einen,

ders sähe und einen, ders beschriebe.

Wir sind

hier in

dem

mittelsten Dorfe des Thals, le

Prieure genannt, wohl logieret, in einem Hause, das eine Witwe

den vielen Fremden zu Ehren vor einigen Jahren erbauen ließ. Wir sitzen am Kamin und lassen uns den Muskatellerwein, aus

der Vallee d'Aost besser schmecken, als die Fastenspeisen, die uns aufgetischt werden.

Die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm (1785—1863 und 1786—1859). 11. Das Märchen. Wir finden es wohl, wenn von Sturm und anderem Un­ glück,

das der Himmel schickt,

eine ganze Saat zu Boden ge­

schlagen wird, daß noch bei niedrigen Hecken oder Sträuchen, die am

Wege stehen, ein kleiner Platz sich gesichert hat und einzelne Ähren aufrecht geblieben sind. Scheint dann die Sonne wieder günstig, so wachsen sie einsam und unbeachtet fort:

keine frühe

Sichel schneidet sie für die großen Vorratskammern,

aber im

Spätsommer, wenn sie reif und voll geworden, kommen arme Hände, die sie suchen, und Ähre an Ähre gelegt, sorgfältig ge­ bunden und höher geachtet, als sonst ganze Garben, werden sie heim getragen, und winterlang sind sie Nahrung, vielleicht auch

der einzige Samen für die Zukunft. So ist es uns vorgekommen, wenn wir gesehen haben, wie von so vielem, was

mehr übrig geblieben,

in früherer Zeit geblüht hat, nichts

selbst die Erinnerung daran fast ganz

verloren war, als unter dem Volke Lieder, ein paar Bücher,

und diese unschuldigen Hausmärchen.

Sagen

der Küchenherd,

Ofen, Triften

und Wälder in

Bodentreppen,

Die Plätze am

Feiertage noch gefeiert,

ihrer Stille, vor allem die ungetrübte

Phantasie sind die Hecken gewesen, die sie gesichert und einer Zeit

aus der anderen überliefert haben. Wir wollen diese Märchen nicht rühmen oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung verteidigen: ihr bloßes Dasein reicht hin, sie zu schützen- Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut, bewegt und belehrt hat, das trägt seine Notwen­

digkeit in sich und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen,

die alles Leben betaut, und wenn es auch nur ein einziger Tropfen wäre, den ein kleines, zusammen gehaltenes Blatt gefaßt hat, so schimmert er doch in deni ersten Morgenrot.

Darum geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen:

sie haben gleichsam dieselben blaulichweißen, makellosen, glänzen­ den Augen, die nicht mehr wachsen können, während die anderen Glieder noch zart, schwach und zum Dienste der Erde ungeschickt sind.

Das ist der Grund, warum wir durch unsre Sammlung

nicht bloß der Geschichte der Poesie und Mythologie einen Dienst erweisen wollten, sondern es zugleich Absicht war, daß die Poesie

selbst, die darin lebendig ist, wirke und erfreue, wen sie erfreue» kann, also auch, daß es als ein Erziehungsbuch diene.

12. Die Sage. Es wird dem Menschen von Heimatswegen ein guter Engel beigegeben, der ihn, wenn er iris Leben auszieht, unter der ver­

traulichen Gestalt eines Mitwandernden begleitet; wer nicht ahnt,

was ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen, wenn er

die Grenze des Vaterlandes überschreitet, wo ihn jener verläßt. Diese wohlthätige Begleitung ist das unerschöpfliche Gut der Märchen, Sagen und Geschichte, welche nebeneinander stehen und

uns nacheinander die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist nahe zu bringen streben.

Das Märchen ist poetischer, Hessel, Musterprosa IV.

Jedes hat seinen eigenen Kreis.

die Sage historischer;

5

jenes stehet

und diese unschuldigen Hausmärchen.

Sagen

der Küchenherd,

Ofen, Triften

und Wälder in

Bodentreppen,

Die Plätze am

Feiertage noch gefeiert,

ihrer Stille, vor allem die ungetrübte

Phantasie sind die Hecken gewesen, die sie gesichert und einer Zeit

aus der anderen überliefert haben. Wir wollen diese Märchen nicht rühmen oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung verteidigen: ihr bloßes Dasein reicht hin, sie zu schützen- Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut, bewegt und belehrt hat, das trägt seine Notwen­

digkeit in sich und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen,

die alles Leben betaut, und wenn es auch nur ein einziger Tropfen wäre, den ein kleines, zusammen gehaltenes Blatt gefaßt hat, so schimmert er doch in deni ersten Morgenrot.

Darum geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen:

sie haben gleichsam dieselben blaulichweißen, makellosen, glänzen­ den Augen, die nicht mehr wachsen können, während die anderen Glieder noch zart, schwach und zum Dienste der Erde ungeschickt sind.

Das ist der Grund, warum wir durch unsre Sammlung

nicht bloß der Geschichte der Poesie und Mythologie einen Dienst erweisen wollten, sondern es zugleich Absicht war, daß die Poesie

selbst, die darin lebendig ist, wirke und erfreue, wen sie erfreue» kann, also auch, daß es als ein Erziehungsbuch diene.

12. Die Sage. Es wird dem Menschen von Heimatswegen ein guter Engel beigegeben, der ihn, wenn er iris Leben auszieht, unter der ver­

traulichen Gestalt eines Mitwandernden begleitet; wer nicht ahnt,

was ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen, wenn er

die Grenze des Vaterlandes überschreitet, wo ihn jener verläßt. Diese wohlthätige Begleitung ist das unerschöpfliche Gut der Märchen, Sagen und Geschichte, welche nebeneinander stehen und

uns nacheinander die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist nahe zu bringen streben.

Das Märchen ist poetischer, Hessel, Musterprosa IV.

Jedes hat seinen eigenen Kreis.

die Sage historischer;

5

jenes stehet

Grimm.

66 [IV]

beinahe nur in sich selber fest, in seiner angeborenen Blüte und Vollendung,- die Sage, von einer geringeren Mannigfaltigkeit der Farbe, hat noch das Besondere, daß sie an etwas Bekanntem und Bewußtem hafte,

an einem Ort oder einem durch die Ge­

schichte gesicherten Namen.

Aus dieser ihrer Gebundenheit folgt,

daß sie nicht, gleich dem Märchen, überall zu Hause sein könne, sondern irgend eine Bedingung voraussetze, ohne welche sie bald

gar nicht da,

bald nur unvollkommener vorhanden sein würde.

Kaum ein Flecken wird sich in ganz Deutschland finden,

wo es

nicht ausführliche Märchen zu hören gäbe, manche, an denen die Volkssagen nur dünn und sparsam gesät zu sein pflegen. Diese anscheinende Dürftigkeit und Unbedeutendheit zugegeben, sind sie

dafür innerlich auch weit eigentümlicher,,- sie gleichen den Mund­ arten der Sprache, in denen hin und wieder sonderbare Wörter

uni) Bilder aus uralten Zeiten hangen geblieben sind, während die Märchen ein ganzes Stück alter Dichtung so zu sagen in einem Zuge zu uns übersetzen. Die Märchen nähren unmittelbar, wie die Milch, mild und lieblich, oder der Honig, süß und sättigend, ohne irdische

Schwere- dahingegen die Sagen schon zu einer stärkeren Speise dienen, eine einfachere,

aber

desto

entschiedenere Farbe tragen

und mehr Ernst und Nachdenken fordern. Der Geschichte stellen sich beide, das Märchen und die Sage, gegenüber, insofern sie

das

sinnlich natürliche und begreifliche stets mit dem unbegreif­

lichen mischen.

Die Kinder glauben

an

die Wirklichkeit

der

Märchen, aber auch das Volk hat noch nicht ganz aufgehört, an seine Sagen zu glauben, und sein Verstand sondert nicht viel

darin,- sie werden ihm aus den angegebenen Unterlagen genug

bewiesen, d. h. das unleugbar nahe und sichtliche Dasein der letzteren überwiegt noch den Zweifel über das damit verknüpfte Wunder.

Um alles

menschlichen

Sinnen Ungewöhnliche, was

Natur eines Landstrichs besitzt,

die

oder wessen ihn die Geschichte

gemahnt, sammelt sich ein Duft von Sage und Lied, wie sich die Ferne des Himmels blau anläßt und zarter, feiner Staub um

Obst und Blumen setzt. Aus dem Zusammenleben und Zusammen-

wohnen mit Felsen, Seen, Trümmern, Bäumen, Pflanzen ent­ springt bald eine Art von Verbindung, die sich auf die Eigen­

tümlichkeit jedes dieser Gegenstände

gründet

und zu gewissen

Stunden ihre Wunder zu vernehmen berechtigt ist.

Wie mächtig

dies dadurch entstehende Band sei, zeigt an natürlichen Menscherr

jenes herzzerreißende Heimweh.

Ohne diese sie begleitende Poesie

müßten edele Völker vertrauern und vergehen,-

Sprache, Sitte

und Gewohnheit würde ihnen eitel und unbedeckt dünken, ja, hinter allem, was sie besäßen, eine gewisse Einfriedigung fehlen.

Auf solche Weise verstehen wir das Wesen und die Tugend der Leutschen Volkssage, welche Angst und Warnung vor dem Bösen und Freude an dem Guten mit gleichen Händen austeilt. Noch geht sie an Örter und Stellen, die unsere Geschichte längst nicht

mehr

erreichen kann, vielmal aber fließen

sie beide zusammen

und untereinander- nur daß man zuweilen die an sich untrennbar gewordene Sage, wie in' Strömen das aufgenommene grünere

Wasser eines andern Flusses, noch lange zu erkennen vermag.

13.

Göthe und Schiller. Längst waren

(Aus der Rede auf Schiller.)

uns Sprache

und Dichtkunst

der eignen,

frühen Vorzeit ausgestorben, und nur Trümmer sind davon übrig geblieben, die lebensvollen Gedichte des Mittelalters drückte träge Vergessenheit-

als endlich der Staub wieder von ihnen abge­

schüttelt wurde, vennochten sie nicht mehr warm an das Volk zu treten, aus dessen Augen das Bild einer großen, einheimischen Poesie entschwunden gewesen

wäre, hätten

es nicht plötzlich zwei fast

unmittelbar am Horizont des vorigen Jahrhunderts aufleuchtende

Gestirne hergestellt und unsern Stolz von neuem emporgerichtet.

Ohne sie hätte unsere Litteratur doch nur niedere Stufen ein­ nehmen können, durch sie ist sie zu den höchsten erhoben worden.

Nach langem Ausruhen brachte die Natur diese beiden Genien hervor, deren Glanz sich über die Grenzen ihres Vaterlandes, über das gesamte Europa ausbreitet, das ihnen nichts mehr an die Seite zu stellen hat- ihre Werke sind bereits vorgedrungen

in alle Sprachen, denen heute die Macht lebendiger, ausgebildeter Rede beiwohnt.

Was braucht es mehr?

Göthe und Schiller

wohnen mit Felsen, Seen, Trümmern, Bäumen, Pflanzen ent­ springt bald eine Art von Verbindung, die sich auf die Eigen­

tümlichkeit jedes dieser Gegenstände

gründet

und zu gewissen

Stunden ihre Wunder zu vernehmen berechtigt ist.

Wie mächtig

dies dadurch entstehende Band sei, zeigt an natürlichen Menscherr

jenes herzzerreißende Heimweh.

Ohne diese sie begleitende Poesie

müßten edele Völker vertrauern und vergehen,-

Sprache, Sitte

und Gewohnheit würde ihnen eitel und unbedeckt dünken, ja, hinter allem, was sie besäßen, eine gewisse Einfriedigung fehlen.

Auf solche Weise verstehen wir das Wesen und die Tugend der Leutschen Volkssage, welche Angst und Warnung vor dem Bösen und Freude an dem Guten mit gleichen Händen austeilt. Noch geht sie an Örter und Stellen, die unsere Geschichte längst nicht

mehr

erreichen kann, vielmal aber fließen

sie beide zusammen

und untereinander- nur daß man zuweilen die an sich untrennbar gewordene Sage, wie in' Strömen das aufgenommene grünere

Wasser eines andern Flusses, noch lange zu erkennen vermag.

13.

Göthe und Schiller. Längst waren

(Aus der Rede auf Schiller.)

uns Sprache

und Dichtkunst

der eignen,

frühen Vorzeit ausgestorben, und nur Trümmer sind davon übrig geblieben, die lebensvollen Gedichte des Mittelalters drückte träge Vergessenheit-

als endlich der Staub wieder von ihnen abge­

schüttelt wurde, vennochten sie nicht mehr warm an das Volk zu treten, aus dessen Augen das Bild einer großen, einheimischen Poesie entschwunden gewesen

wäre, hätten

es nicht plötzlich zwei fast

unmittelbar am Horizont des vorigen Jahrhunderts aufleuchtende

Gestirne hergestellt und unsern Stolz von neuem emporgerichtet.

Ohne sie hätte unsere Litteratur doch nur niedere Stufen ein­ nehmen können, durch sie ist sie zu den höchsten erhoben worden.

Nach langem Ausruhen brachte die Natur diese beiden Genien hervor, deren Glanz sich über die Grenzen ihres Vaterlandes, über das gesamte Europa ausbreitet, das ihnen nichts mehr an die Seite zu stellen hat- ihre Werke sind bereits vorgedrungen

in alle Sprachen, denen heute die Macht lebendiger, ausgebildeter Rede beiwohnt.

Was braucht es mehr?

Göthe und Schiller

Grimm.

68 [IV]

stehen sich so nahe auf der erhabenerr Stelle^ die sie einnehmen^

wie im Leben selbst, das sie eng und unauflöslich zusainmen verband, daß unmöglich fiele, in der Betrachtung sie voneinander zu trennen.

Zwar geht Göthe an Alter seinem Genoß um zeherr

Jahre voraus und überlebte den zu früh Geschiednen nodj zwanzig Jahre hin. Nachdem, wie zu geschehen pflegt, sie erst eine Zeit­ lang sich nicht näher getreten und fast aus dem Wege gewichen

waren, wurde ihr Beisammensein wiederum ein volles Jahrzehnt desto vertrauter und gewissermaßen sich bedingend. Hatte Göthe anfangs Schillers treibende Kraft gemieden, dieser in jenes Ruhe sich nicht gleich finden können, so äußerten hernach beide, in

ergiebigster Fruchtbarkeit ihrer Werke begriffen, wechselsweise för­ derlichen, für unsere Litteratur den heilsamsten Einfluß aufein­ ander.

In

vielem einverstanden

oder auch

sich verständigend,

wandelte jeder von ihnen seine eigne Bahn, und je sichtbarer diese abwichen, desto mehr ist ihnen gelungen, sich auf das Er­

freulichste auszufüllen und zu ergänzen. Ohne Zweifel äußern Landesart und in frühen Jugendjahren

eingesogne, um nicht zu sagen angeborne Gewöhnungen in dem übrigen Leben unauslöschliche Wirkung,- deshalb liegt es für die

nähere Beleuchtung der Eigentümlichkeit beider Dichter nicht abr

von einem landschaftlichen Unterschied auszugehn.

Riehl in seinem

schönen Buche von den Pfälzern, in welchen er fränkisches und

alemannisches Blut,

doch

mit Vorgewicht

des ersten, gemischt

findet und absondert, hat den heutigen Franken für rührig, ge­

schmeidig, lebensklug erklärt, den Alemannen, von Schwaben bis

in

die Schweiz

tisch.

hinein, für

stolz,

trotzig,

grübelnd,

demokra­

Nun erscheint uns auch Schiller ein empfindsamer, phan­

tasiereicher, freidenkender Schwab, Göthe ein Franke, mild, ge­ messen, heiter, strebsam, der tiefsten Bildung offen.

Man darf

weiter gehen und diese Beiwörter zunächst noch in andere ihnen entsprechende oder verwandte umsetzen: jenen sehen wir dem sen­

timentalen, dramatischen Element, diesen hingegen dem naiven und epischen zugewandt, Schiller wird idealistisch, Göthe realistisch gesinnt, Schiller farbiger, Göthe einfacher heißen dürfen, undsollte hier einmal eine Ähnlichkeit aus unsrer älteren Poesie an-

schlagen, so würde sich Göthes kristallene Klarheit mit Gottfrieds Don Straßburg, Schillers geistiger Aufflug mit dem Wolframs Don Eschenbach

wohl vergleichen lassen.

Bedeutsam

aber und

aufs Glücklichste vermittelnd war, daß sie beide nach Thüringen

gezogell wurden und in diesem, mehr als sonst ein andres deut­

sches, freundlichen und anmutenden Lande ihr Leben zubrachten, gerade wie

schon im Mittetalter

der

thüringische Hof deutsche

Sänger aller Gegenden um sich versammelt, in Schutz und Pflege

genommen hatte.

Ludwig Häusser (1818—1867).

14. Die Psalzgräfin Elisabeth Charlotte. Neunzehn Jahre alt, wurde die Pfalzgräfin Elisabeth Char­

lotte 1671

mit

dem Bruder Ludwigs XIV., dem Herzog

von

Orleans, vermählt. Alles, was ihr teuer war, mußte sie aufgeben: die Heimat, an der ihr Herz hing, den Glauben, für den ihre Ahnherren ge­

litten, die Gewohnheiten des Lebens, Denkens, Empfindens. gibt

keinen

grelleren Gegensatz

zu

französischem

Denken

Es und

Empfinden, als der war, der sich in der deutschen Art von Elisa­

beth Charlotte ausprägte.

Man konnte nicht leicht eine Persön­

lichkeit finden, die sich wunderlicher ausnahm auf dem Boden des Versailles von Ludwig XIV.

In eine Welt vornehmsten, glänzendsten Prunkes war ein frisches, trotziges Naturkind hineingestellt, das absolut nicht den

geringsten Respekt vor allen diesen Herrlichkeiten hatte,-

in eine

Welt, die ihre Virtuosität darin suchte, die tiefe innere Unsittlich­

keit, die bereits den ganzen Kern ergriffen hatte, mit den elegantesten äußeren Formen zu umkleiden, trat sie ein, diese gesunde, derbe,

wahrhaftige Natur, die es nie übers Herz hätte bringen können, die Dinge auch nur mit einem schonenden Namen zu bezeichnen,

statt sie so zu nennen, wie sie waren,-

in eine Welt zierlichster

Hofetikette, wo alles nach dem Willen eines einzigen zugeschnitten, die Menschen künstlich dressiert, selbst die Gärten nach bestimmten^

schlagen, so würde sich Göthes kristallene Klarheit mit Gottfrieds Don Straßburg, Schillers geistiger Aufflug mit dem Wolframs Don Eschenbach

wohl vergleichen lassen.

Bedeutsam

aber und

aufs Glücklichste vermittelnd war, daß sie beide nach Thüringen

gezogell wurden und in diesem, mehr als sonst ein andres deut­

sches, freundlichen und anmutenden Lande ihr Leben zubrachten, gerade wie

schon im Mittetalter

der

thüringische Hof deutsche

Sänger aller Gegenden um sich versammelt, in Schutz und Pflege

genommen hatte.

Ludwig Häusser (1818—1867).

14. Die Psalzgräfin Elisabeth Charlotte. Neunzehn Jahre alt, wurde die Pfalzgräfin Elisabeth Char­

lotte 1671

mit

dem Bruder Ludwigs XIV., dem Herzog

von

Orleans, vermählt. Alles, was ihr teuer war, mußte sie aufgeben: die Heimat, an der ihr Herz hing, den Glauben, für den ihre Ahnherren ge­

litten, die Gewohnheiten des Lebens, Denkens, Empfindens. gibt

keinen

grelleren Gegensatz

zu

französischem

Denken

Es und

Empfinden, als der war, der sich in der deutschen Art von Elisa­

beth Charlotte ausprägte.

Man konnte nicht leicht eine Persön­

lichkeit finden, die sich wunderlicher ausnahm auf dem Boden des Versailles von Ludwig XIV.

In eine Welt vornehmsten, glänzendsten Prunkes war ein frisches, trotziges Naturkind hineingestellt, das absolut nicht den

geringsten Respekt vor allen diesen Herrlichkeiten hatte,-

in eine

Welt, die ihre Virtuosität darin suchte, die tiefe innere Unsittlich­

keit, die bereits den ganzen Kern ergriffen hatte, mit den elegantesten äußeren Formen zu umkleiden, trat sie ein, diese gesunde, derbe,

wahrhaftige Natur, die es nie übers Herz hätte bringen können, die Dinge auch nur mit einem schonenden Namen zu bezeichnen,

statt sie so zu nennen, wie sie waren,-

in eine Welt zierlichster

Hofetikette, wo alles nach dem Willen eines einzigen zugeschnitten, die Menschen künstlich dressiert, selbst die Gärten nach bestimmten^

Häusser.

70 [VI]

regelmäßigen Formen zurecht geschnitten waren, sie, eine Natur> die gewohnt war, sich gehen zu lassen, und die aus Umgebungen

in eine Welt^

kam, wo dies als ehrenhaft und anständig galt,-

deren tiefe Verlogenheit ergründen kann,

um

sich

man

nur

bei ganz

genauen Studien

mit Ekel von ihr abzuwenden,

eine

Natur, deren Kern Wahrhaftigkeit war, die, wenn es das Leben gekostet hätte, keiner auch nur leise schonenden Unwahrheit fähig, gewesen wäre. Sie, die derbste, wenigst empfindsame, männlichste ihres Geschlechts, und ihr Gemahl unter den Männern einer ber

unmännlichsten, ein zierliches, süßes, feines Herrchen aus der großen Dutzendwirtschaft des Versailler Hofes, ein Mann ohne Eigentümlichkeit, ohne selbständigen Geist, weit zurückstehend hinter-

feinem Bruder, nach dem

er sich slavisch richtet,

aber doch be­

um raffinierten Lastern nachzugehen und diesen das wenige, was ihm zu ernsten Geschäften übrig blieb, völlig zu widmen. deutend genug,

Wenn man den Fluch

einer politischen Heirat geschichtlich

oder romantisch schildern wollte,

man könnte kein dankbareres^

aber auch im einzelnen erschütternderes Thema finden, als eben

diese Ehe. Aber glauben Sie nicht, daß Elisabeth Charlotte das je aus­ spricht,- ihr Gemahl war ihr Herr, und sie war seine treue Ge­ mahlin,

sie ist ihm hingebend und unterthänig gewesen, wie es

die alte Zllcht mit sich brachte. wir nichts

sie

Was sie dabei empfand, wissen

hat ihren Gemahl vielleicht verachtet, ob sie sich

das je selbst gestanden hat, weiß ich nicht, gesagt aber hat fies

nie.

Es ist die stärkste Probe für eine trotz aller Derbheit und

freien Natürlichkeit gesunde

Frauennatur,

in

diesem

schweren

Lebenskampf auch nicht einmal zu zeigen, wie tief sie den Druck

ihrer Lage empfindet.

In all ihren Briefen weiß ich nur einzelne Stellen, wo sie klagt über ihre Behandlung, da aber ist es, wo man ihre Kinder verderben will.

Als es sich darum handelt, ihrem Sohn, dem

lasterhaftesten Sohn der tugendhaftesten Mutter, einen Erzieher zu geben, da suchte der Vater aus seiner unwürdigen Umgebung einen der unwürdigsten aus, es war der Stallmeister, der später

sogenannte Abbe Dubois.

Damals hat die Mutter sich geregt^

damals hat sie einen Kampf bestanden^ gerungen mit ihrem Mann^

ihrem König, dem ganzen Hof, wie eine Mutter, einem reißenden Tier zu entreißen sucht.

die

ihr Kind

Es war vergeblich, sie

hat den Sohn verloren. „Es war immer ein guter Bub," sagte sie wohl, „aber was er werden konnte mit seinen Gaben, ist er nicht geworden." Ein­ mal sagte sie: „Mit meinem Sohn ist es seltsam gegangen. gibt

ein

altes Märchen

von

Es

einem Königssohn, wo die Feen

alle zur Taufe geladen sind bis auf eine, die vergessen wurde. Jede Fee bringt ihre Gaben, sie sind der reichsten und vielseitigsten Art, aber die eine, die vergessen worden ist, verwünscht ihn, daß er alle diese schönen Gaben nicht soll brauchen lernen. es meinem Sohn gegangen."

So ist

Es läßt sich denken, wie wenig glücklich sie sich unter diesen

Verhältnissen gefühlt haben kann/ war sie doch in ein Leben hin­

eingebannt, wo jeder Zug, jeder Atem ihr feindselig war, an einen Gatten gekettet, über den sie sich ihre Empfindungen nicht gestehen durfte, von ihren Kindern getrennt, und die Kinder ab­

sichtlich dem Verderben zugeführt. Und doch, man empfindet wieder Bewunderung,

wenn man sieht,

wie glücklich sie war, wie ihr

gesundes Naturell, ihr leichtes Pfälzer Blut, ihre Gabe, die Dinge

leicht zu nehmen, ihr die trüben Stunden entfernt und ihr über

ihr Leid hinweghilft.

Man sieht, sie hat empfunden, aber auch

wieder verwunden.

Sie hatte einen Trost:

sie schrieb.

Sie schloß sich Tage

lang ein/ sie schrieb heute an ihre Schwester, morgen an die Tante

und wieder an ihre Tochter.

An diesen Schreibtagen lebte sie

ihr innerliches Leben, da brachte sie alles zu Papier, was sie be­ wegte, und in der Form, wie es ihr grade in den Mund kam. Hätte sie geahnt, daß das dereinst gedruckt werden würde, sie

hätte auch diesen Trost aufgegeben. Diese Herzensergießungen waren das, womit sie sich hinweghalf über die Öde, in der sie lebte.

Aber die bittersten Erfahrungen sollte sie erst noch machen: Als mit dem Tobe ihres Bruders der Mannsstamm des simme-

72 [IV]

Häusser.

rischen Hauses ausstarb, erhob Ludwig XIV. den unerhörten, in seiner rechtlichen Begründung lächerlichen Anspruch auf einen Teil des Pfälzer Landes, gestützt auf die Verwandtschaft mit dem Pfälzer Hause durch — Elisabeth Charlotte. Also was einst hatte Schutz sein sollen, wurde Mittel zum Angriff, was eine Bürg­ schaft hatte werden sollen, das Land zu schützen, wurde der grob­ gewählte Vorwand, über dies Lmld eine beispiellose Verwüstung zu verhängen. Es läßt sich nicht beschreiben, was Elisabeth Charlotte empfand, als ihr Name mißbraucht wurde zu einer so frevel­ haften Zerstörung ihres geliebten Landes. Laut machte sie dem König, ihrem Gemahl, dem Dauphin heftige Vorwürfe- als man ihr gleißnerisch sagte: Wir tragen ja die Waffen, Eure Rechte zu verteidigen, erwiderte sie mit Entrüstung: Mein Recht braucht ihr nicht zu verteidigen, mein Land sollt ihr schonen! Aber sie bat vergeblich: Heidelberg, Mannheim wurden beispiellos verwüstet. Hier brach selbst jene heitere Geduld, die der Grundzug ihres Lebens geworden war, zusammen, hier verließ sie jenes leichte Pfälzer Blut, und es ist ihr Jahrelang nachgegangen, wie sie selbst erzählt: Ich kann nachts nicht schlafen, und wenn ich aufwache, sehe ich Heidelberg und Mannheim in Flammen vor mir. Das ganze Unglück ihres Lebens in der Fremde, und dazu die Städte ihrer Heimat, das Land ihres Hauses, in Asche ge­ legt, das war zu viel. Bis zu jenen Tagen hatte sie Ludwig XIV. gern gehabt, aber seit er 1674—75 ihren Vater zu Tod geärgert und ihr nun auch die Heimat verbrannt, war dies Gefühl erloschen in ihr. Auf diesem Hintergrund muß man den Briefwechsel betrachten. Er enthüllt das innere Leben einer Persönlichkeit, die zu einer langen, glänzenden Knechtschaft verurteilt, der die bittere Züchtigung beschieden war, sich in ihren jungen Jahren trennen zu müssen von allem, was ihr lieb war, die in eine prunkende, aber für sie öde und fremde Welt kam, der die liebsten Erinne­ rungen mutwillig, grausam mit Füßen getreten, der die Heimat mit entsetzlicher Barbarei niedergebrannt wird — dem gegenüber ist ihr Briefwechsel ihr Trost: sie schreibt.

Sie hat niemanden^ mit dem sie reden kann- selbst wenn sie

ihren Kindern nur zehn Minuten vertraulich reden will, sind schon die Späher da, um zu überbringen, was sie sagt. Sie

mit

hat nur sich selbst und das Papier- auch das ist nicht sicher, denn

man öffnet ihre Briefe; man kann sie zum Glück nicht lesen, aber

sie hat häufig Spuren, daß auch in diese letzte, selbstgeschaffene Zuflucht die Hände der Spürer und die Polizei des Königs sich

hineindrängen. Sie hat trotzdem ein Erkleckliches zusammengeschrieben- wenn

ich nur erwähne, daß allein in Hannover die Korrespondenz an ihre Tante 22 Foliobände ausmacht, darunter einige von tau­ send Blättern, so läßt sich ermessen, was sich in einem Zeitraum von 30—40 Jahren mit Geduld, mit Fleiß und Eifer zusammen­ schreiben läßt- und das ist nur eine ihrer Korrespondenzen. Wenn mans summiert, war es ein vollkommenes Archiv: häufig begegnen

uns natürlich Wiederholungen, häufig reine Ergüsse des Augen­ blicks, und nie ist das geschriebene bestimmt, von der zudringlichen Neugier geschichtlicher Betrachtung eingesehen zu werden.

Sie schreibt nieder, was ihr den Tag begegnet ist, was sie erlebt hat, all ihre Gedanken und Erinnerungen werden hinge­

schrieben, plaudernd, behaglich, ohne daß sie sich Mühe gäbe, das Ganze in einen gewandten, einigermaßen zierlichen Stil zusammen­ zufassen.

Wie

eine Pfälzerin

in behaglichem Gespräch erzählt,

mit allen jenen Anakoluthieen, mit allen Sünden gegen die Gram­ matik und Konstruktion, mit dem unvermeidlichen „als", so er­

zählt sie fort und fort- man könnte nie sagen, daß der Brief gerade da zu Ende sein muß, wo er aufhört, er könnte noch lange so fortgehen- „22 Seiten sind es schon," schreibt sie einmal, „aber

ebensogut könnten es noch einmal 22 sein."

Es ist ihr vertrau­

liches Geplauder in der einzigen Zeit ihres Lebens, wo sie mit

ihren Lieben und mit sich selbst ungestört verkehren kann. Das

deutsche Wesen

in

seiner derbsten Ausschließlichkeit,

in seinem bewußten Gegensatz drückt sich in den Briefen hundert­

„Ich halte es für ein großes schreibt sie, „wenn man sagt, daß ich ein deutsches Herz

fältig fast auf jedem Bogen aus.

Lob,"

habe und mein Vaterland liebe- dies Lob werde ich, ob Gott will,

Häusser.

74 [IV]

suchen bis an mein Ende zu behalten. Ich war schon zu alt/ wie ich in Frankreich kommen, umb von Gemüth zu endern, Grund war schon gesetzt."

mein

„Ein jeder muß seinem Verhängnis folgen- das meine hat geführt, da habe ich gelebt, da muß ich Deutschland ist mir noch allzeit lieb und bin ich

mich nach Frankreich

wohl sterben.

so wenig propre vor Frankreich, daß ich mein ganz Leben mitten

im Hof in Einsamkeit zubringe, weilen ich aber wohl sehe, daß es Gottes will ist, daß ich hier sein und bleiben solle, habe mich

darein ergeben." „Ich höre als recht gerne, wie es in Deutschland zugeht-

eben wie die alten Kutscher und Fuhrleute, die noch gerne die Peitsch klacken hören, wenn sie nicht mehr fahren können." An den Nichten ihrer Schwestern, die in England lebten, mißfällt ihr nur das eine, daß sie so wenig von ihrem Vaterland

halten- „ein rechter, aufrichtiger Deutscher ist besser, als alle Eng­ länder mit einander." — „Die anderst als Deutsch sein wollen

und ihre Nation verachten, die so sein, dangen in der Regel nicht ein Haar." Sie hat das echte Naturell der Pfälzer mit den guten und schlimmen Seiten, jenes leichte, lebensfreudige Blut, jene innere

Gesundheit und jenes Entferntsein von melancholischem Brüten, auch jenes aufbrausende, hastige und abspringende Wesen, jenes in Zorn und Aufregung geraten und bald bereuen, auch jene Lieb­ haberei, den Mund vollzunehmen mit Redensarten, die man nicht immer auf der Goldwage abwägt, jener malerische Humor und jene groteske Derbheit der Pfälzer. Fast täglich erfreut

sie sich wenigstens einmal an ihren

Pfälzer Erinnerungen. „Alle Deutschen, insonderheit ehrliche Pfälzer haben freien

Zutritt zu mir, alle guten Pfälzer von alter Kundschaft bitte

ich auch von meinetwegen zu grüßen," schreibt sie mitten unter

den Wehen des Orleansschen Krieges.

Noch sind ihr alle Familiengeschichten lebendig-

sie freut

sich noch 1717, daß die kleine Spina eine glückliche Heirat gethan hat.

„Ihr habt sie oft gesehen,"

schreibt sie auf gut pfälzisch,

„der Churfürst unser Herr Vatter ließ sich als Mercher von ihr

verzehlen, die sie gar wohl zu verzehlen wußte."

Ihr Pfälzer Patriotismus erstreckt sich selbst bis auf die Küche. Die neuen Genüsse einer fortgeschrittenen Kultur — Kaffee,

Thee, Schokolade — haben ihren Beifall nie gewinnen

können.

„Ich kann weder Thee, Kaffee noch Schokolade vertragen — Thee

kommt mir vor wie Heu, Schokolade thut mir weh im Magen, was ich aber wohl essen möchte, wäre eine gute Kalteschale oder

eine gute Biersupp .... das kann man aber hier nicht haben;

man hat auch hier keinen braunen Kohl, noch gut Sauerkraut — dies alles esset ich herzlich gern." Ein andermal: „Ich bin in allem, auch im Essen und

Trinken, noch ganz deutsch, wie ich all mein Leben lang gewesen,man kann hier keinen guten Pfannenkuchen machen/ Milch und Butter sind nicht so gut als bei uns — auch haben die fran­ zösischen Köche den rechten Griff nicht dazu." Musikalisch war sie nicht, dagegen liebte sie die Bühne, ins­ besondere das treffliche Lustspiel ihrer Tage/ Mokiere und seine

Schule

mit den meisterhaften Darstellungen des realen Lebens

im Gegensatz zu allem Scheinbaren, Gemachten, übte bis an ihr Ende einen großen Reiz auf sie aus.

Gegenüber der blutigen Verfolgungssucht ihrer Tage spricht

sie es überall offen aus, für sie gebe es nur eine Religion, „die Religion der ehrlichen Leute," und die sei in jedem Dogma möglich.

Groß ist ihre Abneigung gegen alles Priesterliche und Hier­

archische/ das Leben nach dem Evangelium ist ihr die Hauptsache. „Man lebe nach den Vorschriften vom Evangelium: das ist gewiß die rechte Religion, aber das Häuflein derer ist sehr klein. Ich halte es mit dem, was der gute ehrliche Oberst Wabenheiln

mir als pflegt zu sagen: es ist nur eine gute und rechte Religion in der Welt, nämlich die von den ehrlichen Leuten." „Die rechte Religion ist die, so ein Christ in seinem Herzen hat und auf Gotteswort gegründet ist/ das Übrige feind nur Pfaffengeschwätz."

Es ist erklärlich, wie sehr sie mit diesen Anschauungen ver­ einsamt war.

Häusser.

76 [IV]

Ludwig XIV. befand sich seit den schrecklichen Verwüstungen

der Pfalz in einer Lage, in der er sich selbst und seinen Ruhm vollständig überlebte.

Er sah sein Land verarmt^ sein Haus ausgestorben, seine

Heere verödet, die großen Staatsmänner und Feldherrn wegge­ storben, er selbst war nur wie eine Ruine alten Glanzes,' er sagte wohl einmal: „Zur Zeit, wo ich noch König war." Das war für die gutherzige Elisabeth Charlotte zu viel. Den König, der in seinem Übermut die Städte ihrer Heimat verwüstet, ihren

Glauben verfolgt, hat sie bitter hassen können,- aber der unglück­ liche, schwer gedrückte Monarch, der alles um sich zusammen­ brechen sah, der erfüllte sie mit tiefem Mitgefühl, und in diesen letzten Tagen bildet sich das

eigentümliche Verhältnis,

den König und der König sie häufiger zu treffen sucht.

daß sie

Er hatte

die in rauher Schale eingehüllte Tüchtigkeit und den Edelmut der Frau schätzen gelernt. Der siebzigjährige König hatte die nahezu sechzigjührige Fürstin erst angefangen in ihrem Werte zu er­

kennen, und

den

in

letzten Tagen

durfte ihm niemand näher

treten, als sie. Es war, wie Massillon in der Leichenrede von ihr sagte:

„Hier ist ein Fürstenleben, von dem man ohne Furcht den Schleier wegziehen darf. — Ein edler Freimut, den die Höfe so selten

teiineit, machte sie dem König lieb und wert- er fand bei ihr, was die Könige sonst selten finden, die Wahrheit."

Darum soll sie auch uns und unserem Andenken teuer sein. Es ist in jeder Zeit und namentlich bei unserm Volke selten, wenn jemand, vom heimatlichen Boden losgerissen, in der Fremde

durch eine lange Zeit seine Eigentümlichkeit ungetrübt und mit edlem Stolz bewahrt- in jener Zeit aber war es doppelt selten,

in jenen Kreisen fast ohne Beispiel.

Wie sie

dort mitten in der Fremde lebt,

deutsche Sprache,

stolz

deutsche Nation, so

stolz auf ihre

auf ihr deutsches Haus, stolz auf ihre

muß sie uns teuer bleiben, so

Anrecht auf unsere volle Pietät.

hat sie ein

Der alte Satz, den jeder so

leicht nachspricht und so wenige ernstlich befolgen, daß das Glück

des Menschen nicht außer ihm^ sondern in ihm liege, erhält durch Elisabeth Charlotte eine herrliche Bestätigung.

Alles äußere Leben war ihr ein fremdes^ aufgedrängtes, widerstrebendes^ ihr war von dem ersten Tage ihrer Ehe bis zu ihrem Tode die Welt^

die sie umgab^ ein finsteres, furchtbares Mit ihrem glücklichen, gesunden Naturell hat sie sich

Gefängnis.

weder dieser Welt hingegeben, noch durch unfruchtbares Hinbrüten sich vollends unglücklich gemacht, sie hat sich eine neue, eigne Welt geschaffen, ein Leben der Erinnerung in der Heimat, in der Liebe ihrer Verwandten,- wer in den Briefwechsel hineinblickt, glaubt eine gliickliche, begünstigte Persönlichkeit vor sich zu haben, sie lacht,

sie scherzt, die Siebzigjährige schreibt noch, „wir haben uns fast krank lachen müssen." Es ist ein seltenes Naturell: das äußere Leben ist gegen sie,

das innere ist ihr Ersatz.

So hat sie es

selbst angesehen, kurz vor ihrem Ende sagt sie: „uns Kindern des Herrn Vatters selig ist es auf dieser Welt nicht gut gegangen, ich denke, es wird uns in einer anderen besser gehen."

Heinrich Heine (1797—1856).

15. Tirol. Tirol ist sehr schön, aber die schönsten Landschaften können

uns nicht entzücken bei trüber Witterung und ähnlicher Gemüts­ stimmung.

Diese ist bei mir immer die Folge von jener, und

da es draußen regnete, so war auch in mir schlechtes Wetter. Nur dann und wann durfte ich den Kopf zum Wagen hinaus­

strecken, dann schaute ich himmelhohe Berge, die mich ernsthaft

ansahen und mir mit den ungeheuern Häuptern und Wolkenbärten

eine

glückliche

Reise

zunickten.

Hie

langen

und

da

bemerkte ich auch ein fernblaues Berglein, das sich auf die Fuß­

zehen zu stellen schien und den anderen Bergen recht neugierig über

die Schultern

blickte,

Dabei kreischten überall

wahrscheinlich um

die Waldbäche, die sich

mich

zu sehen.

wie toll von

den Höhen herabstürzten und in den dunkeln Thalstrudeln ver-

des Menschen nicht außer ihm^ sondern in ihm liege, erhält durch Elisabeth Charlotte eine herrliche Bestätigung.

Alles äußere Leben war ihr ein fremdes^ aufgedrängtes, widerstrebendes^ ihr war von dem ersten Tage ihrer Ehe bis zu ihrem Tode die Welt^

die sie umgab^ ein finsteres, furchtbares Mit ihrem glücklichen, gesunden Naturell hat sie sich

Gefängnis.

weder dieser Welt hingegeben, noch durch unfruchtbares Hinbrüten sich vollends unglücklich gemacht, sie hat sich eine neue, eigne Welt geschaffen, ein Leben der Erinnerung in der Heimat, in der Liebe ihrer Verwandten,- wer in den Briefwechsel hineinblickt, glaubt eine gliickliche, begünstigte Persönlichkeit vor sich zu haben, sie lacht,

sie scherzt, die Siebzigjährige schreibt noch, „wir haben uns fast krank lachen müssen." Es ist ein seltenes Naturell: das äußere Leben ist gegen sie,

das innere ist ihr Ersatz.

So hat sie es

selbst angesehen, kurz vor ihrem Ende sagt sie: „uns Kindern des Herrn Vatters selig ist es auf dieser Welt nicht gut gegangen, ich denke, es wird uns in einer anderen besser gehen."

Heinrich Heine (1797—1856).

15. Tirol. Tirol ist sehr schön, aber die schönsten Landschaften können

uns nicht entzücken bei trüber Witterung und ähnlicher Gemüts­ stimmung.

Diese ist bei mir immer die Folge von jener, und

da es draußen regnete, so war auch in mir schlechtes Wetter. Nur dann und wann durfte ich den Kopf zum Wagen hinaus­

strecken, dann schaute ich himmelhohe Berge, die mich ernsthaft

ansahen und mir mit den ungeheuern Häuptern und Wolkenbärten

eine

glückliche

Reise

zunickten.

Hie

langen

und

da

bemerkte ich auch ein fernblaues Berglein, das sich auf die Fuß­

zehen zu stellen schien und den anderen Bergen recht neugierig über

die Schultern

blickte,

Dabei kreischten überall

wahrscheinlich um

die Waldbäche, die sich

mich

zu sehen.

wie toll von

den Höhen herabstürzten und in den dunkeln Thalstrudeln ver-

Heine.

78 [IV]

sammelten.

Die Menschen steckten in ihren niedlichen, netten

Häuschen, die über der Halde an den schroffsten Abhängen und.

bis auf die Bergspitzen zerstreut liegen- niedliche, nette Häuschen,

gewöhnlich mit einer

langen balkonartigen Galerie, und

diese

wieder mit Wäsche, Heiligenbildchen, Blumentöpfen und Mädchen­ gesichtern ausgeschmückt. Auch hübsch bemalt sind diese Häuschen, meistens weiß und grün, als trügen sie ebenfalls die Tiroler

Landestracht, grüne Hosenträger über dem weißen Hemde. Wenn ich solch Häuschen im einsamen Regen liegen sah, wollte mein Herz oft aussteigen und zu den Menschen gehen, die gewiß trocken und vergnügt da drinnen saßen. Da drinnen, dacht ich, muß sichs recht lieb und innig leben lassen, und die alte Großmutter erzählt gewiß die heimlichsten Geschichten. Während der Wagen

unerbittlich vorbeifuhr, schaut ich noch oft zurück, um die bläu­

lichen Rauchsäulen ehen,

aus den

und es regnete

Schornsteinen

kleinen

dann immer stärker,

steigen zu

außer mir und in

mir, daß mir fast die Tropfen aus den Augen herauskamen.

Oft hob sich auch mein Herz, und trotz dem schlechten Wetter klomm es zu den Leuten, die ganz oben auf den Bergen wohnen, herabkommen und wenig

und vielleicht kaum einmal im Leben

erfahren von dem, was hier unten geschieht. Sie sind deshalb

um nichts sie nichts,

minder fromm und glücklich.

Rock und

rote Hosen trägt- das hat ihnen der

zählt,

der

als

daß sie einen Kaiser

es selbst

in Innsbruck

Sepperl, der in Wien gewesen.

Von der

haben,

gehört

der

von

Politik wissen einen weißen alte Ohm er­

dem

schwarzen

Als nun die Patrioten zu ihnen

hinaufkletterten und ihnen beredsam vorstellten, daß sie jetzt einen

Fürsten bekommen, der einen blauen Rock und weiße Hosen trage*), da griffen sie zu ihren Büchsen und küßten Weib und Kind und

stiegen von den Bergen hinab und

ließen sich totschlagen für

den weißen Rock und die lieben, alten roten Hosen. Im Grunde ist es auch dasselbe, für was man stirbt, wenn

*) Durch den Preßburger Frieden 1805 kam Tirol an Baiern, wodurch 1809 der bekannte Aufstand der Tiroler unter Andreas Hofer veranlaßt wurde.

nur für etwas Liebes gestorben wird, und so ein warmer, treuer

Schon allein die solchen Tode, die süßen Reime und lichten

Tod ist besser, als ein kaltes, treuloses Leben.

Lieder

von einem

Worte erwärmen unser Herz, wenn feuchte Nebelluft und zudring­

liche Sorgen es betrüben wollen. Viel solcher Lieder klangen durch mein Herz, als ich über die Berge Tirols dahinfuhr.

Die traulichen Tannenwälder rausch­

ten mir so manch vergessenes Liebeswort ins Gedächtnis zurück. Besonders wenn mich die großen blauen Bergseen so unergründ­

lich sehnsüchtig anschauten, dann dachte ich wieder an die beiden Kinder, die sich so lieb gehabt und zusammen gestorben sind. Es ist eine veraltete Geschichte, die auch jetzt niemand mehr glaubt, und die ich selbst nur aus einigen Liederreimen kenne. Es waren zwei Königskinder, Die hatten einander so lieb, Sie konnten beisammen nicht kommen, Das Wasser war viel zu tief. —

Diese Worte fingen-von selbst wieder an in mir zu klingen,

als ich bei einem von jenen blauen Seen am jenseitigen Ufer einen kleinen Knaben und am diesseitigen ein kleines Mädchen

stehen sah, die beide in der bunten Volkstracht, mit bebänderten,

grünen Spitzhütchen auf dern Kopfe, gar wunderlieblich gekleidet waren und sich hinüber und herüber grüßten. — Sie konnten beisammen nicht kommen, Das Wasser war viel zu tief.

16. London. Ich habe das Merkwürdigste gesehen, staunenden Geiste zeigen kann,

ich

was

die Welt dem

habe es gesehen und staune

noch immer — noch immer starrt in meinem Gedächtnisse dieser

steinerne Wald von Häusern und dazwischen der drängende Strom

lebendiger Menschengesichter mit all ihren bunten Leidenschaften,

mit all ihrer grauenhaften Hast der Liebe, des Hungers und des Hasses — ich spreche von London.

Schickt

einen Philosophen

nach London,-

beileibe

keinen

nur für etwas Liebes gestorben wird, und so ein warmer, treuer

Schon allein die solchen Tode, die süßen Reime und lichten

Tod ist besser, als ein kaltes, treuloses Leben.

Lieder

von einem

Worte erwärmen unser Herz, wenn feuchte Nebelluft und zudring­

liche Sorgen es betrüben wollen. Viel solcher Lieder klangen durch mein Herz, als ich über die Berge Tirols dahinfuhr.

Die traulichen Tannenwälder rausch­

ten mir so manch vergessenes Liebeswort ins Gedächtnis zurück. Besonders wenn mich die großen blauen Bergseen so unergründ­

lich sehnsüchtig anschauten, dann dachte ich wieder an die beiden Kinder, die sich so lieb gehabt und zusammen gestorben sind. Es ist eine veraltete Geschichte, die auch jetzt niemand mehr glaubt, und die ich selbst nur aus einigen Liederreimen kenne. Es waren zwei Königskinder, Die hatten einander so lieb, Sie konnten beisammen nicht kommen, Das Wasser war viel zu tief. —

Diese Worte fingen-von selbst wieder an in mir zu klingen,

als ich bei einem von jenen blauen Seen am jenseitigen Ufer einen kleinen Knaben und am diesseitigen ein kleines Mädchen

stehen sah, die beide in der bunten Volkstracht, mit bebänderten,

grünen Spitzhütchen auf dern Kopfe, gar wunderlieblich gekleidet waren und sich hinüber und herüber grüßten. — Sie konnten beisammen nicht kommen, Das Wasser war viel zu tief.

16. London. Ich habe das Merkwürdigste gesehen, staunenden Geiste zeigen kann,

ich

was

die Welt dem

habe es gesehen und staune

noch immer — noch immer starrt in meinem Gedächtnisse dieser

steinerne Wald von Häusern und dazwischen der drängende Strom

lebendiger Menschengesichter mit all ihren bunten Leidenschaften,

mit all ihrer grauenhaften Hast der Liebe, des Hungers und des Hasses — ich spreche von London.

Schickt

einen Philosophen

nach London,-

beileibe

keinen

Heine.

80 [IV]

Poeten!

Schickt einen Philosophen hin, er wird hier

Ecke von Cheapside,

und

stellt ihn an eine

mehr lernen als

aus allen

Büchern der letzten Leipziger Messe/ und wie die Menschenwogen ihn umrauschen, so

wird

auch

ein Meer von neuen Gedanken

vor ihm aufsteigen, der ewige Geist, ihn

anwehen,

die

lichen Ordnung

der darüber schwebt, wird

Geheimnisse der gesellschaft­ ihm plötzlich offenbaren, er wird

verborgensten

werden sich

den Pulsschlag der Welt hörbar vernehmen und

sichtbar

sehen

— denn wenn London die rechte Hand der Welt ist, die thätige, mächtige rechte Hand, so ist jene Straße, die von der Börse nach Downingstreet führt, als die Pulsader der Welt zu be­

trachten. Aber schickt keinen Poeten nach London! aller Dinge, diese

kolossale Einförmigkeit,

Dieser bare Ernst diese maschinenhafte

Bewegung, diese Verdrießlichkeit der Freude selbst, dieses über­

triebene London erdrückt die Phantasie Und wolltet

ihr gar einen

und zerreißt

deutschen Poeten

das Herz.

hinschicken,

einen

Träumer, der vor jeder einzelnen Erscheinung stehen bleibt, etwa

vor einem zerlumpten Bettelweib oder einem blanken Goldschmied­ laden — o! dann geht es ihm erst recht schlimm, und er wird

von allen Seiten fortgeschoben oder gar mit einem milden God-

damn! niedergestoßen. merkte bald,

Goddamn! das verdammte Stoßen!

dieses Volk hat viel zu thun.

großen Fuße, es

will,

Ich

Es lebt auf einem

obgleich Futter und Kleider in seinem

Lande teurer sind als bei uns, dennoch besser gefüttert und besser gekleidet sein als wir/ wie zur Vornehmheit gehört, hat es auch

große Schulden, dennoch aus Großprahlerei wirft

es zuweilen

seine Guineen zum Fenster hinaus, bezahlt andere Völker, daß

sie sich zu seinem Vergnügen herumboxen, und deshalb hat John

Bull Tag und Nacht zu arbeiten, um Geld zu solchen Ausgaben anzuschaffen, Tag und Nacht muß er sein Gehirn anstrengen zur

Erfindung neuer Maschinen, und er sitzt und rechnet im Schweiße

seines Angesichts und rennt und läuft, ohne sich viel umzusehen, vom Hafen nach der Börse, von der Börse nach dem Strand,

und da ist es sehr verzeihlich, wenn er an der Ecke von Cheapside einen armen deutschen Poeten, der, einen Bilderladen angaffend,

ihm

in

dem Wege

etwas unsanft

auf die Seite stößt.

„Goddamn!"

Das Bild aber, welches ich an der Ecke von Cheapside an­ gaffte, war der Übergang der Franzosen über die Beresina. Als ich, aus dieser Betrachtung aufgerüttelt, wieder auf die

tosende

Straße

blickte,

wo ein buntscheckiger Knäuel

Männern, Weibern, Kindern, Pferden, Postkutschen,

von

darunter

auch ein Leichenzug, sich brausend, schreiend, ächzend und knarrend dahinwälzte: da schien es mir, als sei ganz London so eine Beresinabrücke, wo jeder in wahnsinniger Angst, um sein bißchen Leben zu fristen, sich durchdrängen will, wo der kecke Reiter den

armen

Fußgänger

niederstampft,

wo derjenige,

der zu Boden

fällt, auf immer verloren ist, wo die besten Kameraden fühllos, einer über die Leiche des andern, dahineilen und Tausende, die, sterbensmatt und

blutend,

sich vergebens an den Planken der

Brücke festklammern wollten, in die kalte Eisgrube des Todes

Hinabstürzen.

Wie viel heiterer und wohnlicher ist es dagegen in unserem Wie traumhaft gemach, wie sabbatlich ruhig bewegen sich hier die Dinge! Ruhig zieht die Wache auf, im ruhigen Sonnenschein glänzen die Uniformen und Häuser, an den Fliesen

lieben Deutschland!

flattern die Schwalben, auf den hallenden Straßen ist Platz ge­ nug. Ich hatte mir vorgenommen, über die Großartigkeit Londons, wovon ich so viel gehört, nicht zu erstaunen.

Aber es ging mir

wie dem armen Schulknaben, der sich vornahm, die Prügel, die er empfangen sollte, nicht zu fühlen.

lich in dem Umstande,

daß

Die Sache bestand eigent­

er die gewöhnlichen Hiebe mit dem

gewöhnlichen Stocke, wie gewöhnlich, auf dem Rücken erwartete, und statt dessen eine ungewöhnliche Tracht Schläge auf einem ungewöhnlichen Platze mit einem dünnen Röhrchen empfing. Ich

erwartete große Paläste und sah nichts als lauter kleine Häuser.

Aber eben die Gleichförmigkeit derselben

und

ihre unabsehbare

Menge imponiert so gewaltig. Diese Häuser von Ziegelsteinen bekommen durch feuchte Luft und Kohlendampf gleiche Farbe, nämlich bräunliches Olivengrün,-

sie sind alle von derselben Bauart,

Hessel, Musterprosa. IV.

gewöhnlich

zwei 6

oder drei

Fenster breit, drei hoch und oben mit kleinen, roten Schornsteinen

die wie blutig ausgerissene Zähne aussehen,

geziert, unendlich

dergestalt,

die sie bilden,

daß die breiten, regelrechten Straßen^

nur zwei

lange kasernenartige Häuser zu sein scheinen.

hat wohl seinen Grund

Dieses

in dem Umstande, daß jede

englische

Familie, und bestände sie auch nur aus zwei Personen, dennoch

ein ganzes Haus, ihr eignes Kastell,

bewohnen will, und reiche

Spekulanten, solchem Bedürfnis entgegenkommend, ganze Straßen

In den

bauen, worin sie die Häuser einzeln wieder verhökern.

Hauptstraßen der City, demjenigen Teil Londons, wo der Sitz

des Handels und der Gewerke,

wo noch altertümliche Gebäude

zwischen den neuen zerstreut sind, und wo auch die Vorderseiten der Häuser mit ellenlangen Nanren und Zahlen, gewöhnlich goldig

und relief, bis ans Dach bedeckt sind: da ist jene charakteristische Einförmigkeit der Häuser nicht so auffallend, um so weniger, da das Auge des Fremden unaufhörlich beschäftigt wird durch den

wunderbaren Anblick neuer und schöner Gegenstände, die an den Fenstern der Kaufläden ausgestellt sind.

Nicht bloß diese Gegen­

stände selbst machen den größten Effekt, weil der Engländer alles,

was er verfertigt, auch vollendet liefert, und jeder Luxusartikel,

jede Astrallampe und jeder Stiefel, jede Theekanne und jeder

Weiberrock uns so finished und einladend entgegenglänzt, sondern auch die Kunst der Aufstellung, Farbenkontrast und Mannigfaltig­

keit gibt den englischen Kaufläden einen eignen Reiz,-

selbst die

alltäglichsten Lebensbedürfnisse erscheinen in einem überraschenden Zauberglanze,

gewöhnliche Eßwaren locken uns durch ihre neue

Beleuchtung, sogar rohe Fische liegen so wohlgefällig appretiert, daß uns der regenbogenfarbige Glanz

ihrer Schuppen

ergötzt,

rohes Fleisch liegt wie gemalt auf saubern, bunten Porzellanteller­

chen, mit lachender Petersilie umkränzt, ja, alles erscheint uns wie

gemalt und mahnt uns an die glänzenden und doch so bescheidenen Bilder des Franz heiter

Mieris.

Nur

die ^Menschen sind

wie auf diesen holländischen Gemälden,

mit

nicht so

den

ernst­

haftesten Gesichtern verkaufen sie die lustigsten Spielsachen, und

Zuschnitt und Farbe ihrer Kleidung Häuser.

ist

gleichförmig

wie

ihre

Auf der entgegengesetzten Seite Londons, die man das Westende nennt, und wo die vornehmere und minder beschäftigte Welt lebt, ist jene Einförmigkeit noch vorherrschender,- doch gibt tv hier ganz lange, gar breite Straßen, wo alle Häuser groß Ivie Paläste, aber äußerlich nichts weniger als ausgezeichnet sind, nußer daß man hier, wie an allen nicht ganz ordinären Wohn­ häusern Londons, die Fenster der ersten Etage mit eisengittrigen Balkönen verziert sieht und auch au rez de chaussee ein schwarzes -Gitterwerk findet, wodurch eine in die Erde gegrabene Keller­ wohnung geschützt wird. Auch findet man in diesem Teile der Stadt große Squares- Reihen von Häusern gleich den obenbe­ schriebenen, die ein Viereck bilden, in dessen Mitte ein von schwarzem Eisengitter verschlossener Garten mit irgend einer Statue befind­ lich ist. Auf allen diesen Plätzen und Straßen wird das Auge des Fremden nirgends beleidigt von baufälligen Hütten des Elends. Überall starrt Reichtum und Vornehmheit, und chineingedrängt in abgelegene Gäßchen und dunkle feuchte Gänge wohnt die Armut mit ihren Lumpen und ihren Thränen. Der Fremde, der die großen Straßen Londons durchwandert und nicht just in die eigentlichen Pöbelquartiere gerät, sieht da­ her nichts oder sehr wenig von dem vielen Elend, das in Lon­ don vorhanden ist. Nur hie und da am Eingänge eines dunklen Gäßchens steht schweigend ein zerfetztes Weib, mit einem Säug­ ling an der abgehärmten Brust, und bettelt mit den Augen. Vielleicht, wenn diese Augen noch schön sind, schaut man einmal hinein — und erschrickt ob der Welt von Jammer, die man darin geschaut hat. Die gewöhnlichen Bettler sind alte Leute, meistens Mohren, die an den Straßenecken stehen und, was im -kotigen London sehr nützlich ist, einen Pfad für Fußgänger kehren und dafür eine Kupfermünze verlangen. Die Armut in Gesell-schaft des Lasters und des Verbrechens schleicht erst des Abends

als er von Uri gen Küßnacht auf seine Burg spazieren wollte^

durch das Land zu Schwyz ritt, darüber er auch Landvogt war.

Nun saß zu Steinen in Schwyz ein weiser, ehrbarer Mann von altem Geschlecht, Werner von Stauffach genannt. Derselbe Werner

hatte zu Steinen dieshalb der Bruck ein schön neu Haus gebaut. Wie nun der Landvogt Geßler zum selben Haus kommt und ihn

der Stauffacher,

der vor dem Haus stund, freundlich empfing

und bewillkommt als seinen Herrn, fragt ihn der Landvogt, wesdas Haus wäre — welches er sonst wohl wußte, denn er etwa gegen andere gedrohet, er wollte ihm das Haus nehmen.

Der

Stauffacher gedachte wohl, daß er nicht in Gutem frage, wußte

wohl, daß er ihm aufsässig war, von wegen daß er allweg hand­ lich darwider, daß man sich nicht an die Fürsten von Österreich

ergebe, sondern beim römischen Reich und alten Freiheiten bleibe>

denn dieser Stauffacher hatte viel Anhang und großes Ansehen bei den Landleuten.

Also gab er dem Landvogt Antwort: „Herr,

das Haus ist meines Herrn, des Königs, und Euer und mein

Lehen."

Der Landvogt sprach: „Ich bin an meines Herrn, des

Königs, Statt Regent im Land-

ich will nicht, daß

Bauern

Häuser bauen ohne mein Verwilligen, will auch nicht, daß ihr

also frei lebet, als ob ihr selbst Herrn seiet- ich werd euchs unterstehen zu wehren!" und ritt hiemit vorwärts. Diese Rede beschwert den Stauffacher fast, und er setzte sie sich zu Herzen.

Nun war er ein vernünftiger, verständiger Mann, hatte auch eine weise, sinnreiche Frau, die wohl an ihm merkte, daß er betrübt war und ihm etwas Schweres anlag, und öffnete es doch nicht.

Nun hätte sie gern gewußt, was ihm doch gebrest, und hub so viel an, daß er ihr anzeigt, was Red der Landvogt mit ihm ge­ trieben, und versprach sich keines andern, als daß er ihm Mittler­

zeit sein Haus, Herberg, Hab und Gut nehmen werde. Da sie das vernahm, sprach sie: „Mein lieber Ehewirt, du weißt, daß sich mancher fromme Landmann in unserm Land

Landvogts Wüterei beklagt-

Landleute in Uri und Unterwalden auch

drücke, wie man

auch ob des

so zweifelt nicht, daß viel biderber

dann täglich

das tyrannische Joch

hört, daß sie ihre Not klagen.

Darum wäre gut und vonnöten, daß euer etliche, die einander vertrauen dürfen, heimlich zu Rat zusammen gingen und Nach­

gedenken hätten, wie ihr der mutwilligen Gewalt abkommen möchtet, und einander verhießet, beizustehen und bei der Gerechtigkeit zu

schirmen, so würde euch Gott ohne Zweifel nicht verlassen und die Unbilligkeit helfen dämmen, so wir ihn von Herzen anrufen." Fragte ihn darauf, ob er in den Ländern Uri und Unterwalden zu jemand achtbare Bekanntschaft hätte, denen er vertrauen, seine Not klagen und von diesen Dingen mit ihnen Unterrede haben

dürfte. Er gab Antwort: „Ja, ich kenne allda vornehme Herren­ leut, denen ich wohl vertrauen darf." Also gedachte Stauffacher in ihm selbst,

der Frauen Rat

möchte nicht böse sein, folgte ihr, fuhr gen Uri, lag da etliche

Tage still, zu losen [lauschen], wäre.

wie der gemeine Mann gesinnt

Da hörte er groß Klag und Unwillen wider den Landvogt

182 [IV]

Tschudi.

von wegen des Baus der Feste ^Zwinguri" und insonders von des Huts wegen^ dem man Reverenz beweisen mußte, und merkte^, daß alles Landvolk ungeduldig und dem Landvogt feind waren^ und dursten sich doch öffentlich nicht merken lassen, denn keiner wußte, was er im Fall der Not am andern für Rücken und Bei­ stand hätte. Doch vertraut er diesmals sein Anliegen allein einem namhaften, weisen Ehrenmann von Uri, Walther Fürst genannt, was ihm vom Landvogt seines Hauses halb vorgeworfen, sagt ihm auch dabei, wie er durch seines Ehegemahls Rat bewegt worden, ihm als seinem Vertrauten solches zu klagen und Rats zu Pflegen, ob es nicht gut und vonnöten, sich wider solche tyrannische Gewalt zu setzen und heimlich sich zusammen zu ver­ binden und um Helfer sich zu bewerben. Der Landmann von Uri lobte der Frauen Rat und zeigte ihm an Arnolden von Melchthal, der des Landvogts zu Unterwalden Diener einen Finger zerschlagen, wie sich derselbe noch bei ihnen in Uri auf­ hielte, wandelte aber vielmalen heimlich gen Unterwalden zu den Seinen und wäre ein tapferer verständiger Mann, wiewohl noch jung, hätte auch eine große Blutsfreundschaft in seinem Land^ und sei ihm wohl zu trauen. Also ward er auch berufen, und wurden alsodiese drei Männer: Walther Fürst von Uri, Werner von Stauffach von Schwyz und Arnold von Melchthal von Unterwalden, der Sachen einig. Des schwuren sie einen Eid zu Gott und den Heiligen zusammen, und wurden nachfolgende Bedingungen von ihnen abgeredet, nämlich: daß ihro jeder sollte in seinem Land seine Blutsfreunde und andere vertraute Leute heimlich werben um Hilfe und Beistand, die an sich ziehen und zu ihnen in ihr Bündnis und Eidesgelübde bringen, wieder ihre alte Freiheit zu erobern und die tyrannischen Landvögte zu vertreiben. Solches ward jedem, so in dieses Bündnis ging, vorher eröffnet: daß sie nicht begehrten, jemand, weder Geistlichen noch Weltlichen, des Seinen, was ihm von Recht und Gewohnheit ge­ hört, zu berauben, sondern allein vor böser Gewalt sich zu be­ schirmen und ihre alte Freiheit zu handhaben. Es ward auch abgeredet, wenn etwas vorfiele, daß vonnöten

fei, sich zu unterreden, daß dann sie drei einander berufen und nachts zusammen kommen wollten vor dem Mythenstein, so im

See steht, unter Seelisberg an einem Ende,

und

ob Gott seine Gnade verliehe,

heißt im Rütli,

daß sich ihre Gesellschaft

mehrete, daß dann ihr jeder zween, drei oder mehr mit ihm in

das gemeldete Rütli bringen möchte.

Also fuhr der Stauffacher

wieder heim gen Schwyz und Erni von Melchthal mit Kunrat Baumgarten aus Alzellen, der zur Stund auch den Bund schwur, heimlich miteinander gen Unterwalden,- da praktiziert der eine ob

dem Wald, der andere nid dem Wald, und geschah dies alles

im Herbst. Man fördert und treibt den Handel aufs ernstlichste, denn man besorgt, so man lange Zeit sollte mit umgehen, möchte es ausbrechen, ehe man einigen gemeinen Ratschlag gethan hätte,

und ihnen zu großem Nachteil gereichen.

Deshalb ein endlicher

Tag angesetzt ward in das Rütli, und sollte jeder der gemeldeten

drei Eidgenossen

mit ihm bringen neun oder zehn Mann, die

weisesten und anschlägigsten,

einen endlichen Beschluß und Rat­

schlag zu thun, auf welche Zeit sie die Sache angreifen wollten.

Diese nächtliche

Tagleistung

ward

gehalten am Mittwoch vor

Sant Martinstag. Darnach am Sonntag nach Otmari, was der 18. Winter­

monats, ging ein redlicher, frommer Landmann von Uri, Wil­ helm Tell genannt, der auch heimlich in der Bundsgesellschaft war, zu Altdorf etlichmal vor dem aufgehängten Hut vorüber und that

ihm keine Reverenz an, wie der Landvogt Geßler geboten hatte,das ward dem Landvogt angezeigt.

Also morgendes darnach, am

Montag, beruft er den Tell vor sich, fragt ihn trutzlich, warum er seinen Geboten nicht gehorsam wäre und dem König, auch ihm

zu Verachtung, dem Hut keine Reverenz bewiesen hätte.

Der Tell

gab Antwort: „Lieber Herr, es ist ungefähr und nicht aus Ver­ achtung geschehen, verzeihet mirs! Wär ich witzig, so hieß ich nicht der Tell- bitte um Gnade, es soll nicht mehr geschehen!"

Nun

war der Tell ein guter Armbrustschütz, daß man ihn besser kaum fand, und hatte hübsche Kinder, die ihm lieb waren,- die beschickte der Landvogt und sprach: „Tell, welches unter denen Kindern ist

dir das liebste?"

Der Tell antwortet: „Herr, sie sind mir alle

gleich lieb." Da sprach der Landvogt: „Wohlan, Tell, du bist ein

guter, berühmter Schütz, wie ich höre,- nun wirst du deine Kunst

vor mir müssen bewähren und deiner Kinder einem einen Apfel ab dem Scheitel seines Hauptes müssen schießen.

Darum hab eben acht,

du den Apfel treffest, denn triffst du ihn nicht des ersten

daß

Schusses, so kostet es dich dein Leben."

Der Tell erschrak, bat den

Landvogt um Gottes willen, daß er ihn des Schusses erließe, denn es unnatürlich wäre, daß er gegen sein liebes Kind sollte schießen; er wolle lieber sterben. Der Landvogt sprach: „Das mußt du thun, oder du und das Kind sterben." Der Tell sah wohl, daß

ers thun mußt, bat Gott inniglich,

daß

er ihn und sein lieb

Kind behüte, nahm seine Armbrust, spannte sie, legte den Pfeil

auf und steckte noch einen Pfeil hinten in das Göller,' und legt

der Landvogt dem Kind,

das nicht mehr denn sechs Jahr alt

war, selbst den Apfel auf sein Haupt. Also schoß der Tell dem Kind den Apfel ab dem Haupt, daß er das Kind nicht verletzt. Da nun der Schuß geschehen war, verwundert sich der Landvogt

des

meisterlichen Schusses,

lobt den Tellen

seiner Kunst und

fragte ihn, was das bedeute, daß er noch einen Pfeil hinten ins

Göller gesteckt hätte.

Der Tell erschrak abermals und gedachte,

die Frage bedeute nichts Gutes.

Doch hätte er gern die Sache

glimpflich verantwortet und sprach, Gewohnheit.

es wäre also der Schützen

Der Landvogt merkt wohl, daß ihm der Tell ent-

saß, und sprach: „Tell, nun sag mir fröhlich die Wahrheit, und fürchte dich nicht darum!

du

sollst deines Lebens

sicher sein!

denn die gegebene Antwort nehm ich nicht an, es wird etwas anders bedeutet haben." Da redet Wilhelm Tell: „Wohlan, Herr,

sintemalen Ihr mich meines Lebens versichert habt, so

will ich Euch die gründliche Wahrheit sagen, daß meine endliche Meinung gewesen, wenn ich mein Kind getroffen hätte, daß ich

Euch mit dem andern Pfeil erschossen und ohne Zweifel Euer nicht gefehlt wollte haben." Da der Landvogt dieses hört, sprach er: „Nun wohlan, Tell, ich hab dich deines Lebens gesichert, das will

ich dir halten,' dieweil ich aber deinen bösen Willen gegen

mich verstehe, so will ich dich führen lassen an einen Ort und

allda einlegen, daß

du weder Sonne noch Mond nimmermehr

sehen sollst, damit ich

vor dir sicher sei."

Hieß hiemit seine

Diener ihn sahen und angehends gebunden nach Flüelen führen. Er fuhr auch mit ihnen und nahm des Tellen Schießzeug, Köcher,

Pfeil also

und Armbrust auch mit ihm, wollts ihm selbst behalten-

saß

der Landvogt samt den Dienern und dem gebundenen

Tellen in ein Schiff, wollte gen Brunnen fahren und darnach den Tellen über Land durch Schwyz in sein Schloß gen Küßnacht führen und allda in einem finstern Turm sein Leben lassen

enden- des Tellen Schießzeug

ward im Schiff auf den Bieten

oder Grausen beim Steuerruder gelegt. Wie sie nun auf den See kamen und hinauf fuhren bis an Axen das Ecke, da fügte Gott, daß ein solcher grausamer, un­ gestümer Sturmwind einfiel, daß sie sich alle verwogen hatten, ärmiglich zu ertrinken.

Nun war der Tell ein starker Mann

und konnte fast wohl auf dem Wasser-

da sprach der Diener

einer zum Landvogt: „Herr, Ihr sehet Eure und unsre Not und

Gefahr unsers Lebens, darin wir stehen, und daß die Schiff­ meister erschrocken und des Fahrens nicht wohl berichtet; nun ist

der Tell ein starker Mann und kann wohl schiffen- man sollte ihn jetzt in der Not brauchen!" Der Landvogt sprach zum Tellen: „Wenn du uns getrautest aus dieser Gefahr zu helfen, so

wollte ich dich deiner Bande ledigen."

Der Tell gab Antwort:

„Ja, Herr, ich getraue uns mit Gottes Hilfe wohl hiedannen zu helfen." Also ward er aufgebunden, stand an das Steuer­ ruder und fuhr redlich

Schießzeug,

dahin-

doch lugt er allweg auf das

das zunächst bei ihm lag,

hinauszuspringen- und

wie

er

und auf einen Vorteil,

kam nah zu einer Platten (die

seither den Namen des Tellen Platte behalten und ein Heilig­

häuslein dahin gebaut ist), bedeuchte ihm,

daß er daselbst wohl

hinaus springen und entrinnen möchte, schrie den Knechten zu,

daß sie handlich zugingen, bis man vor dieselbe Platten käme, denn sie hätten dann das böseste überwunden- und als er neben die Platten kam, drückte er den Hintern Gransen mit Macht an die Platten, erwischte sein Schießzeug und sprang hinaus aus die

Platten, stieß das Schiff mit Gewalt von ihm und ließ sie auf

Tschudi.

186 [IV]

Vilmar.

dem See schweben und schwanken.

Der Tell

aber lief über

Morsach durch das Land Schwyz bis auf die Höhe an der Land­

straße zwischen Arth und Küßnacht, da eine hohle Gasse ist und Gestäude darob: darin lag er verborgen, denn er wußte, daß der Landvogt allda vorbeireiten würde gen Küßnacht zu seiner Burg.

Der Landvogt und seine Diener kamen mit großer Not und

Arbeit übern See gen Brunnen, ritten darnach durch Schwhzer-

lanb; und wie sie der gemeldeten hohlen Gasse naheten, hört er

allerlei Anschläge des Landvogts wider ihn. Er aber hatte seine Armbrust gespannt und durchschoß den Landvogt mit einem Pfeils daß er ab dem Roß fiel und von Stund an tot war.

August Friedrich Christian Vilmar (1800—1868).

53. Das deutsche Volkslied. Alle wahre Kunst, die des Wortes, wie des Bildes und des Tones, ist tiefes Bedürfnis des menschlichen Geistes, nicht Spiel der Willkür.

Diejenigen

Erscheinungen der Poesie sind

also

immer die bedeutendsten und anjprechendsten, welche die wenigsten Spuren der Willkür, die meisten Zeugnisse eines tiefen, reinen

Bedürfnisses an sich tragen.

Und wo könnte es sich deutlicher

offenbaren, daß Poesie aus einem solchen kräftigen, gesunden Natur­

drange des Geistes hervorgehe, als da, wo dieselben Dichtungen weit und breit in ähnlicher Gestaltung entstehen, wie die Keime

des Frühlings und die Blüten des Mais aller Orten in gleicher Weise

unaufhaltsam

Hervorbrechen,

und

wie

der Finkenschlag

und Nachtigallengesang aus der Brust der Sänger mit voller, ungehemmter Lust hervorquillt? wo alle oder doch eine große Mehrzahl Gleichgesinnter und Gleichgestimmter dasselbe Bedürfnis fühlen? wo sie in den angeschlagenen Ton sofort mit einstimmen? wie im Vorfrühling bei Sonnenuntergang von einem unbelaubten

Baumgipfel das einsame Lied der Drossel erklingt, bald aber der­

selbe Klang von Wipfel zu Wipfel in immer lauteren, helleren, jubelnden Tönen getragen wird,

bis der ganze Wald gleichsam

Tschudi.

186 [IV]

Vilmar.

dem See schweben und schwanken.

Der Tell

aber lief über

Morsach durch das Land Schwyz bis auf die Höhe an der Land­

straße zwischen Arth und Küßnacht, da eine hohle Gasse ist und Gestäude darob: darin lag er verborgen, denn er wußte, daß der Landvogt allda vorbeireiten würde gen Küßnacht zu seiner Burg.

Der Landvogt und seine Diener kamen mit großer Not und

Arbeit übern See gen Brunnen, ritten darnach durch Schwhzer-

lanb; und wie sie der gemeldeten hohlen Gasse naheten, hört er

allerlei Anschläge des Landvogts wider ihn. Er aber hatte seine Armbrust gespannt und durchschoß den Landvogt mit einem Pfeils daß er ab dem Roß fiel und von Stund an tot war.

August Friedrich Christian Vilmar (1800—1868).

53. Das deutsche Volkslied. Alle wahre Kunst, die des Wortes, wie des Bildes und des Tones, ist tiefes Bedürfnis des menschlichen Geistes, nicht Spiel der Willkür.

Diejenigen

Erscheinungen der Poesie sind

also

immer die bedeutendsten und anjprechendsten, welche die wenigsten Spuren der Willkür, die meisten Zeugnisse eines tiefen, reinen

Bedürfnisses an sich tragen.

Und wo könnte es sich deutlicher

offenbaren, daß Poesie aus einem solchen kräftigen, gesunden Natur­

drange des Geistes hervorgehe, als da, wo dieselben Dichtungen weit und breit in ähnlicher Gestaltung entstehen, wie die Keime

des Frühlings und die Blüten des Mais aller Orten in gleicher Weise

unaufhaltsam

Hervorbrechen,

und

wie

der Finkenschlag

und Nachtigallengesang aus der Brust der Sänger mit voller, ungehemmter Lust hervorquillt? wo alle oder doch eine große Mehrzahl Gleichgesinnter und Gleichgestimmter dasselbe Bedürfnis fühlen? wo sie in den angeschlagenen Ton sofort mit einstimmen? wie im Vorfrühling bei Sonnenuntergang von einem unbelaubten

Baumgipfel das einsame Lied der Drossel erklingt, bald aber der­

selbe Klang von Wipfel zu Wipfel in immer lauteren, helleren, jubelnden Tönen getragen wird,

bis der ganze Wald gleichsam

in einen fröhlichen Frühlingsgesang zusammenstimmt, oder wie im grünen Dunkel des Gebüsches der Amselschlag dem Amsel­ schlag mit langhingezogenem Wiederhall antwortet.

Ein solches Einstimmen und Mitsingen setzen auch unsere

Volkslieder voraus:

in ihren bestimmten Kreisen sind sie eines

solchen fröhlichen, aus der tiefsten Brust der Genossen hervor­ klingenden Wiederhalles gewiß; es sind Lieder der Gemein­ schaft und Geselligkeit, und

so kündigen sie sich auch an: als Lieder der Landsknechte, der freilich rohen, aber in Streit und

Sturm, in Kampf und Krieg, in Lieb und Leid, in Not und Tod treulich verbundenen, leichtsinnig fröhlichen Kriegsgenossen,

die mit lustigem, weitschallendem Gesänge auf und ab durch alle Gauen

zogen und voll brennender

des deutschen Vaterlandes

Kriegslust heute vor Bünterlin (Pontarlier), morgen vor Naney, und dann wieder vor Pavia im Tiergarten standen, freudig ihre Haut zu Markte trugen, ihre Mahlzeit mit Spießen anrichteten

und mit Hellebarden schmalzten und auch die blutigen Wunden und die schwerste Verstümmelung (wenn ihnen ein Flügel vom Leibe

gehauen war) mit lustigen Scherz- und Spottliedern begleiteten,

wie einst in der grauen Vorzeit des gewaltigen Heldentums der Sage der grimme Hagen von Tronei und Walther von Lengers

am Wasichenstein des ausgestochenen Auges und der abgehauenen

Hand mit trotzigem Scherze gespottet hatten. digen sich an als Reiterliedlein,

und sie

Andere Lieder kün­

atmen

den

frischen,

freien und leichten Sinn des „Hänselein, das über die grüne

Heide ausritt" an den zelten und traben",' an

mutigen Rossen,

die

da wohl „hinten

dem lustigen Dahinfliegen durch den

grünen Wald und die weite, breite Heide, über die Rennsteige

und Weinstraßen,' an dem hohnneckenden Kampf mit den Städtern und dem geordneten Reichsregimente; freilich auch an Beute und

— Raub,- mit einem Worte, sie atmen den Sinn und Mut der Reitergesellen, der uns aus Götz von Berlichingen und Hans von

Selbitz, aus Lerse und Georg

als

ein Hauch

des

frischesten,

Ebenso sind die Bergreihen Ge­ meinschaftslieder der frommen und fleißigen Knappschaften, die wahrsten Lebens entgegenweht.

zusammenstanden zum Morgengebet im Zechenhaus,'

zusammen-

188 [IV]

Vilmar.

standen im dunkeln Schoß der Erde am mühseligen Tagewerke/

zusammen an Feiertagen zu heiterm Gesang von dem funkelnden Erze der Tiefe und von den lieblichen Jungfrauen und treuen Gattinnen der heitern Oberwelt/ die zusammenstanden, auch wenn der letzte Feiertag herankam und das einstürzende Gewölbe der

finstern Halde die im Leben Verbundenen auch im grauenvollen Tode vereinigte. Ebenso verhält es sich mit den Jägerliedern, den Trink­ liedern, den Mailiedern und endlich auch mit den zahlreichen Liebesliedern, welche alle zusammen in der Zeit, als sie ent­ standen, als „gute Gesellenliedlein" zusammengefaßt wurden/

die fröhliche Gesellschaft der zusammen Gehörenden, am Tische

des Handwerks, wie des Trinkhauses, auf der Jagd, wie auf dem Tanzboden, ist der Kreis, in dem sie entstehen, der sie versteht,

und der ihnen freudig mit lautem Wiederhall antwortet.

Ein

allgemeines, formloses Publikum, wie den heutigen Dichtern, stand den Sängern der Volkslieder nicht vor Augen: stimmter, aber dem Dichter

es ist ein be­

in Leben, Sinn und Sitte nahe

verwandter Kreis, den sie vor sich haben, und daher rührt die konkrete Anschaulichkeit, die Wahrheit, welche aus diesen Liedern,

selbst aus denen geringeren Wertes uns so ansprechend entgegen­ tritt, zum größten Teile her.

Der Name Volkslieder, den wir

seit Herders Zeit für diese Dichtungen gebrauchen, war damals

gar nicht vorhanden/ es gab eben nur Landsknechtslieder, Reiter­ liedlein, Bergreihen und gute Gesellenliedlein.

Anhang.

54.

Die Akropolis von Athen.

Aus der Ebene von Attika steigt bis zur Höhe von 400 Fuß eine ringsum freistehende Felsmasse, um diese her war das alte

Athen gelagert/ oben aber auf der etwa fünfhundert Schritt langen

und halb so breiten Fläche des Felsens wohnten in prächtigen Tempeln die Schutzgötter des Landes, vor allem Pallas Athena: das ist die Burg von Athen, die Akropolis. Athen ist wieder neu erstanden, am Nordende des Burgfelsens sich ausdehnend,

aber die Göttertempel liegen in Schutt. Wohl lassen ihre Trümmer uns die einstige Herrlichkeit noch ahnen.

Zugänglich ist die Akropolis nur von Westen her, wo nie­ drigere Felshügel wie Treppen sich ihr vorlagern.

In der Ein­

sattelung zwischen letztern und der eigentlichen Akropolis stehen wir vor wildzerrissenen Felsblöcken, dem Areopag, d. h. dem Hügel des Ares. Düstere Sagen umschweben diesen Ort, ihn weihte Athena

selbst zur Richtstätte für Blutschuld. Hier ist der Schauplatz der „Eumeniden" des Äschylos, in der Schlucht der nördlichen

Felswand war das Heiligtum der furchtbaren Jungfrauen.

Hier

stand nach der Erzählung der Apostelgeschichte (Kapitel 17) auch

Paulus und redete zu den „Männern von Athen"/ denn hier

öffnete sich ja der Blick auf die Agora, den prächtig geschmückten Marktplatz des alten Athens: noch erinnert eine dem Paulus ge­

weihte Kapelle an diese Predigt.

Wir steigen weiter hinan und

gelangen ans Burgthor/

deutlich ist der alte Burgweg noch zu erkennen, den einst die Festzüge hinanwallten.

Wir wollen aber diesmal nicht die in

ihren Trümmern noch so großartigen Propyläen schildern, d. h.

den thorartigen Säulengang, welcher vorzeiten den Haupteingang

zur Burg bildete, auch nicht das reizende, der Siegesgöttin ge­ weihte Tempelchen, welches noch erhalten ist: wir eilen aufwärts

auf die Höhe des Felsens.

Da stehen wir endlich auf der weiten

Platte, die in ihrer ganzen Länge ein einziges Trümmerfeld ist,

190 [IV]

Anhang.

besät mit weißen Marmorblöcken von allerlei Gestalt und ver^

schiedenster Größe.

Hier war auch im Altertum schwer durch­

zukommen vor der Menge der Weihgeschenke^ die hier aufgestellt

waren^ Götterbildern und Denkmälern aus Marmor und Erz. Noch erblicken wir hier und da zwischen den Trümmern trauernde

Fußgestelle, deren Inschriften uns erzählen, welchem Werk sie dereinst zur Unterlage dienten.

Dort erhob sich auch das von

Phidias gebildete gewaltige Erzbild der Athena, ihr Heiligtum schirmend.

Jetzt ist sie weg, die Vorkämpferin.

Wohl aber ragt

noch, auf dem erhabensten Punkt des Felsens, dicht vor uns, die einstige Wohnung der jungfräulichen Göttin, der Parthenon,

der herrlichste aller griechischen Tempel!

Nachdem Lerxes alle Tempel hier oben zerstört hatte, be­

schlossen die Athener auf des Perikles Rat, sie wieder aufzubauen, herrlicher als zuvor. Das geschah in den Jahren 454—438 vor Christi Geburt. Nur weißer Marmor vom Berge Pentelikon wurde zum Neubau verwandt,

kein anderes Gestein,-

Bestes sollten die Götter bekommen.

denn nur

Auf einer geebneten Fels­

fläche erheben sich drei Riesenstufen, darauf steigt mit dem säulen­

getragenen, herrlichen Dach das Tempelhaus empor, wie auf einer ein Weihgeschenk an die Götter.

Platte dargebrachr als

Der

Tempel steht genau nach den vier Himmelsgegenden gewandt- sein

Eingang war von Osten her, je acht dorische Säulen umgeben ihn auf den schmalen Seiten, je siebzehn auf den Langseiten, die Ecksäulen doppelt gezählt.

Hinter dem Säulengang erhebt sich die

fensterlose Wand des eigentlichen Hauses.

der Mitte unbedeckt.

Das Innere war in

Hier thronte, wahrscheinlich in einer Nische

der Rückwand, ein Werk des Phidias, stehend, vierzig Fuß hoch, bis beinahe zur Decke reichend, Athena, aus Gold und Elfen­

bein gefertigt, mit dem Speere bewehrt, den greifengeschmückten Helm auf dem Haupte, den Kopf der Medusa vor der Brust, um die Schultern den schweren, ganz goldenen Mantel, auf der

Hand die goldene Siegesgöttin- der Schild ruhte neben ihr.

Zwei

tausend dreihundert und vier Pfund Gold verbrauchte der Künstler

zu seinem Götterbild.

Wie hehr die Wolken darüberziehen! wie

still und anbetend der Athener dastehen mochte vor der Göttin mit

dem Glutenauge, der Herrin seines Landes!

Freilich nicht diese

Athena, sondern ein rohes, uraltes Holzbild im Erechtheion, einem

kleinern Tempel auf der Akropolis, war das eigentliche Andachtsbild

— denn ungern mögen die Menschen anbeten, was in der vollen Be­ leuchtung der Geschichte entstand, sei es auch göttlich erhaben, die Heiligenscheine weben sich lieber im geheimnisvollen Dämmerlichte

sagenhafter Vorzeit.

Der Parthenon war überhaupt weniger als

Andachtsstätte errichtet worden, vielmehr als ein großes Weihge­ schenk, als Mittelpunkt des panathenäischen Festes und als Schatz­ haus. Alljährlich im Hochsommer fand dies Fest der Panathenäen statt, aber am herrlichsten jedesmal im vierten Jahr: dann zog ein Festzug hinauf zur Burg, Opfer bringend der Schutzgöttin, und

ein Gewand, von Athens Jungfrauen gestickt, für jenes uralte Holzbild. Der westliche, kleinere Raum des Tempels barg den Staatsschatz. Um die Außenwand

des Tempelhauses,

hoch über dem

Fußboden, geschützt durch das Dach des Säulenumganges, lief rund herum, im ganzen über 500 Fuß lang, ein in stachem Relief gehaltener Marmorfries,

nach

der Erfindung

des Phidias ge­

arbeitet, zusammengesetzt aus Platten von einem Meter Höhe, darstellend den panathenäischen Festzug.

An der Westseite sieht

man die Teilnehmer zum Zuge sich ordnen, Jünglinge legen die

Festgewänder an, bändigen und tummeln die Rosse, Festordner durchwandern die Gruppen.

An den Langseiten strebt der ge­

ordnete Zug voran gen Osten, und zwar zeigt die Südseite dichte Schwärme von Reitern, die kurzen, gedrungenen Pferde bäumen sich prächtig,- Kriegswagen,- Bürger, heilige Ölzweige tragend- die Opferkühe, widerspenstig die einen, die andern willig geführt von

Dienern und

Priestern,-

an

der

Nordseite drängen sich noch

dichter die Reiter und Wagen,- vor ihnen Opfergaben aus den

Kolonien, Träger der Opfergeräte, Zither- und Flötenspieler.

An

der Ostseite endlich naht es sich von links und von rechts her, da bereitet man das Opfer, Frauen und Jungfrauen kommen

feierlichen Schrittes mit Becken und Schalen, Kannen, Rauch­ gefäßen und Stühlen, schon legt der Priester das Obergewand ub, um das Opfer zu beginnen.

Die neun Archonten, auf Stäbe

gestützt, empfangen den Zug hier am Ziele: da thronen auf goldenen Stühlen inmitten ihres Volkes die Götter, Athena vor allem, aber auch Zeus und Hera, Poseidon und Apollo dürfen nicht fehlen, auch Aphrodite nicht mit Eros und Peitho. Rings um den ganzen Tempel her, unter dem Dachgesims, zieht sich ein den dorischen Tempeln eigentümlicher Schmuck aus Marmor, es wechselt immer eine Metope und eine Triglhphe. Die ersteren sind hohe Marmorplatten. Auf den 92 Metopen nun wurden einzelne 5lämpfe dargestellt zwischen Göttern und Giganten, Centauren und Lapithen, alles nicht ohne Anspielung auf den Kriegsruhm der Athener. In den beiden dreieckigen Giebelfeldern des Tempelhauses endlich stellte Phidias in überlebensgroßen, ganz freistehenden Figuren folgendes dar: im Osten die Geburt der Athena, oder vielmehr ihr erstes Auftreten unter den Göttern, denn sie sprang ja völlig gewappnet aus dem Haupte des Zeus. Nike eilt ihr entgegen, die Göttin des Siegs, Iris schwebt vom Olymp herab, die Botschaft zu verbreiten, links taucht Helios mit schnaubenden Rossen aus den Fluten, rechts steigt Selene, die Mondgöttin, ins Meer hinab. Im Westgiebel schaute man Athenas Streit mit Poseidon um den Besitz des attischen Landes: der Meergott schuf eine Salzquelle, aber Athena den Ölbaum, dies Göttergeschenk für das dürre Land, und damit siegte sie. Der Schauplatz ist die Akropolis selbst, die Flußgötter Jlissos und Kephissos rahmen die Szene ein. Der ganze Tempel aber strahlte in buntem Farbenschmuck: goldene Schilde hingen am Steingebälk, Bronze und Elfenbein, Blau und Purpur glänzte in kunstvoller, das Auge erfreuender Verteilung. Auch der Fries war bemalt. Und was ist aus dieser Herrlichkeit geworden? Wie sieht es heute hier aus? Über zweitausend Jahre stand der Tempel

unversehrt, ihn schützte der Umstand, daß er in eine christliche Kirche verwandelt worden war. Und als die Türken hierher kamen, bestimmten sie das hehre Haus auch zu ihrem Gottes­ dienst: es wurde eine Moschee. Als aber im Jahre 1687 die Venezianer Athen belagerten und die Türken in dieser Moschee

ihr Pulvermagazin hatten, da that — es war am 26. September 1687, abends sieben Uhr — ein lüneburgischer Leutnant, der in venezianischen Diensten stand,

schuß — nach seiner Meinung.

aus einem Mörser den Meister­

Donnernd flog die ganze Mitte

des Tempels in die Luft, während Ost-- und Westgiebel stehen

blieben.

Sechs Monate später mußten die Venezianer für immer

abziehen. Der Skulpturenschmuck schwand nun rasch dahin, bis 1811 die Engländer hier wühlten und abrissen, was sich abreißen

ließ: sie schafften nebst vielen andern Herrlichkeiten auch einen großen Teil des vorhin beschriebenen Frieses und die Giebel­ figuren nach London. Trotz alledem ist noch vieles an Ort und

Stelle. Wo einiger Schutz gegen das Wetter ist, da ist der Marmor noch kaum verwittert und abgeblättert: das ist, wir sind unter dem sonnigen griechischen Himmel.

Nur ist das Weiß jetzt

honiggelb und rostbraun geworden, eine edle, satte Färbung, welche die Tempelreste nur um so würdiger kleidet. Wie eben fertig geworden, so scharf sind noch viele der allerzartesten Marmor­ verzierungen an Säulen und Figuren, noch schließen die einzelnen

Trommeln, aus denen die Säulen bestehen, haarscharf aneinander. Und doch ist kein Mörtel verwandt, die gewaltigsten Platten und Blöcke sind übereinander, aneinander gesetzt, gefalzt, höchstens mit Eisenklammern gehalten.

Und gar die Figuren,

besonders die

des Frieses! wundervolle Schönheit und Anmut, beseeltes Leben

atmet aus jeder Linie.

Die feinste Eigenart ist in den zahl­

losen Gruppen wahrzunehmen,

ein Krugträger z. B. hält

den

Krug so, der andre anders, dem droht er von der Schulter zu gleiten, der stellt ihn müde einen Augenblick zur Erde.

wunderbare, große Zeit!

Viele Geschlechter

haben

in

Eine mühe­

voller Kunstübung und langsamem Fortschritt gearbeitet und gesäet, bis Phidias die reife Frucht brach, an der wir uns noch freuen

dürfen, und die noch keimfähigen Samen birgt für viele kommende

Geschlechter der Menschen. Und nun noch einen Blick durch die Säulen hindurch auf das blaue Meer!

Vor allem fesselt uns Salamis, dessen Berge

sich dicht vor uns erheben — man merkt kaum, daß ein Streifen Meeres die Insel vom Festland trennt,' links davon schwimmt in

Hessel, Musterprosa. IV.

13

der dunkelblauen Flut Ägina, umglänzt vom Ruhm der Sagen­

zeit, des Aias und Teukros Heimat, ein einziger, langgedehnter Felsblock mit sanftgeschwungenen Umrissen.

Zerstreut im saroni­

schen Golf noch manche Klippen und Eilande. Das Meer schim­ mert, und weiße Segel tauchen überall auf oder entschwinden.

In der Ferne ragt Akrokorinth, die mächtige, über 2000 Fuß hoch aufsteigende Burg von Korinth, und noch jenseits die Berge Arkadiens.

Blau und duftig dehnt sich vor uns die Felsenküste

von Argos, bis an das äußerste Vorgebirge trägt uns der Blick, und noch darüber hinaus schweift das Auge über das endlose Meer, bis es dessen Grenze findet an dem Himmel, der klar und

blau sich darüber wölbt. Schon schicken die Sonnenrosse sich an, drüben im fernen Westen in die blaue Meerflut hinabzusteigen,'

auf den Bergen

Attikas beginnt ein wundersames Farbenspiel: der Hhmettus glüht rosenrot, der Pentelikon flammt purpurn auf, seine Abhänge leuchten in veilchenblauem Glanze, während die waldigen Massen des Parnes schon blauschwarz und düster daliegen. Die goldenen Marmorsäulen der Akropolis strahlen und glänzen, zitternd um­

spielt sie, von vielfachen Schatten gekreuzt und gebrochen, das

Abendlicht. Aber herrlicher noch

dunkelblau, wo

glänzt und strahlt das Bc^eer,

schon die Schatten lagern,

übergossen mit Gold und Purpur:

hier

dort aber und dort

wie die Wellen dahinrollen,

so stolz und festlich, so unaussprechlich erhaben! die Sonne stehthinter Akrokorinth und den arkadischen Bergen, sie in Gold und Feuer tauchend, die ganze Landschaft ein Bild, gewoben aus Licht und Feuer!

Aber sowie die Sonne hinter die Felsen gesunken ist,

in den korinthischen Golf hinab, ändert sich das Schauspiel: schnell und still legen sich die Schatten der Nacht über die hohen Berge,

über die weite Ebene

und über das schwärzliche Meer.

Allein

gerade, wenn unbestimmter Dämmerschein darum webt, ersteht

aufs neue wieder die alte Herrlichkeit ,' das Zwielicht verdeckt die Lücken der Zerstörung: größer und zusammenhängender scheinen die Mauern, wie von den Geistern der Nacht für flüchtige Stun­

den

wiedererbaut, vollzählig der Säulenwald.

Das Geschlecht

aber, das

den Wunderbau

geschaffen^

scheint uns grüßend die

Hand zu reichen^ in lebenswarmer Nähe, mit seinem Geist un­ mittelbar wirkend auf unsern Geist. Es ist ja auch noch nicht so lange her, daß dies Geschlecht hier gewandelt hat, denn die Jahrhunderte sind nicht lang,

nur uns scheinen sie lang, weil

unser Leben so kurz ist.

55. Der Kölner Dom. Im Oktober 1880

wurde in

glänzender Weise das Fest

der Vollendung des Kölner Doms begangen, an dem Geburts­ tage Friedrich Wilhelms IV., des hochherzigen, deutschgesinnten Preußenkönigs, ohne dessen Huld der Dom schwerlich vollendet waren seit der Gründung verflossen, da­

632 Jahre

dastände.

gegen nur 38 Jahre seit der Wiederaufnahme des Baues. Und was mehr sagen will, als die bloße Thatsache der Vollendung: diese Vollendung ist völlig im Sinne der ersten Erbauer geschehen,

meistens sogar getreu nach den alten Bauplänen,- was Gerhard

von Riele, der erste Baumeister des Domes, und seine Nachfolger im Geiste geschaut, das steht jetzt sichtbar und greifbar da, kein Traumgebilde, sondern wirkliche Wirklichkeit.

Zu Anfang unseres Jahrhunderts war Deutschland seiner eigenen Vergangenheit entfremdet, die so großartige mittelalterliche

Kunst war vergessen- die gotischen Dome standen zwar sichtbar-

lich überall durchs Vaterland verstreut,

aber wie verzauberte

Riesen der Vorwelt, wie volltönende Gedichte in seltsamen, fremden

Niemand verstand sie.

Sprachen.

Aber am geisterhaftesten von allen war doch der Kölner

Dom.

Zu ganz gewaltiger Höhe,

überragend,

stieg

das

Mauer schloß es ab.

alle andern Kölner Kirchen in die Lüfte,' eine kahle

„hohe Chor"

In ansehnlicher Entfernung davon ragte

ein altersschwarzer, mächtiger Turmstumpf in die Höhe, und wie

ein riesiges Fragezeichen krahnen,

der einst dazu

erhob

sich

gedient,

darüber der uralte Dom-

die Bausteine heraufzuziehen,

nun aber verwittert, bemoost und zum Gebrauche längst untaug­ lich war.

hoffend:

Damals sang Schenkendorf sehnsüchtig und schüchtern

aber, das

den Wunderbau

geschaffen^

scheint uns grüßend die

Hand zu reichen^ in lebenswarmer Nähe, mit seinem Geist un­ mittelbar wirkend auf unsern Geist. Es ist ja auch noch nicht so lange her, daß dies Geschlecht hier gewandelt hat, denn die Jahrhunderte sind nicht lang,

nur uns scheinen sie lang, weil

unser Leben so kurz ist.

55. Der Kölner Dom. Im Oktober 1880

wurde in

glänzender Weise das Fest

der Vollendung des Kölner Doms begangen, an dem Geburts­ tage Friedrich Wilhelms IV., des hochherzigen, deutschgesinnten Preußenkönigs, ohne dessen Huld der Dom schwerlich vollendet waren seit der Gründung verflossen, da­

632 Jahre

dastände.

gegen nur 38 Jahre seit der Wiederaufnahme des Baues. Und was mehr sagen will, als die bloße Thatsache der Vollendung: diese Vollendung ist völlig im Sinne der ersten Erbauer geschehen,

meistens sogar getreu nach den alten Bauplänen,- was Gerhard

von Riele, der erste Baumeister des Domes, und seine Nachfolger im Geiste geschaut, das steht jetzt sichtbar und greifbar da, kein Traumgebilde, sondern wirkliche Wirklichkeit.

Zu Anfang unseres Jahrhunderts war Deutschland seiner eigenen Vergangenheit entfremdet, die so großartige mittelalterliche

Kunst war vergessen- die gotischen Dome standen zwar sichtbar-

lich überall durchs Vaterland verstreut,

aber wie verzauberte

Riesen der Vorwelt, wie volltönende Gedichte in seltsamen, fremden

Niemand verstand sie.

Sprachen.

Aber am geisterhaftesten von allen war doch der Kölner

Dom.

Zu ganz gewaltiger Höhe,

überragend,

stieg

das

Mauer schloß es ab.

alle andern Kölner Kirchen in die Lüfte,' eine kahle

„hohe Chor"

In ansehnlicher Entfernung davon ragte

ein altersschwarzer, mächtiger Turmstumpf in die Höhe, und wie

ein riesiges Fragezeichen krahnen,

der einst dazu

erhob

sich

gedient,

darüber der uralte Dom-

die Bausteine heraufzuziehen,

nun aber verwittert, bemoost und zum Gebrauche längst untaug­ lich war.

hoffend:

Damals sang Schenkendorf sehnsüchtig und schüchtern

196 [IV]

Anhang.

„Seh ich immer noch erhoben Auf dem Dom den alten Krahn, Scheint mir nur das Werk verschoben, Bis die rechten Meister nahn." Zwischen dem Turmstumpf und dem hohen Chor waren hier und da einige niedrige Säulen verborgen zwischen Häusern und allerlei Bauwerk, das den Raum ausfüllte/ wo eigentlich die Domkirche selbst stehen sollte. Schneller, als der Dichter es geahnt^ nahten die rechten Meister wirklich. Wie die Zeit der Fremd­ herrschaft und der äußern Schmach unsers Vaterlandes zugleich die Zeit des ruhmvollen Aufschwungs im Geistesleben der Deut­ schen gewesen ist, die Zeit der Selbstbesinnung und der Einkehr in die herrliche Vergangenheit, so war sie auch die Zeit der Wiederentdeckung der altdeutschen Kunst. Sobald man die Denk­ mäler nur einmal ernstlich fragte, thaten sie auch den steinernen Mund auf und erzählten, daß nicht die Goten der Völkerwanderung, sie gebaut, sondern die Deutschen des 13. und 14. Jahrhunderts. Gerade an dem verlassenen Wunderbau des Kölner Domes ward dasund noch viel mehr entdeckt. In Köln lebte damals Sulpiz Boisseree, ein begeisterter Verehrer der Kunst des Mittelalters: er zeichnete und maß und forschte am Dom viele Jahre lang, und über dem Messen und Zeichnen wuchs ihm die richtige Erkenntnis nur so zu. Im Jahre 1823 endlich erschien sein berühmtes Bilderwerk über den Dom. Er fand auch die einst unter den Bauurkunden der Dombauhütte bewahrten, zur französischen Zeit entführten alten Baurisse der noch unvollendeten Turmseite, und zwar, merkwür­ dig genug, auf dem Speicher des Gasthauses zur Traube in Darm­ stadt, wo man die riesigen Pergamente dazu benutzte, Bohnen darauf zu trocknen. Aber Boisseree war es auch, welcher nachwies^ daß ein Ausbau des Domes möglich sei. Er gewann den Kron­ prinzen von Preußen schon 1816 für diesen kühnen Gedanken,- an­ fänglich besserte man nur die alten Schäden aus, dem gänzlichen Verfall zu wehren, aber unterdes wuchs die Zuversicht und der Mut, und 1842 legte der inzwischen König gewordene Friedrich Wilhelm selbst den Grundstein zum Weiterbau. Das Begonnene wurde weitergeführt, die Türme nach den alten Rissen gebaut, nur Nord- und Südportal nach Plänen des Dombaumeisters Zwirner

Völlig neu geschaffen, jedoch ganz im Sinne der alten Meister. Der Dachreiter, d. h. der schlanke Turm auf der Vierung, dem

Kreuzungsort des Langschiffes und Querschiffes,

ist aus Eisen.

1862 stand der Bau, ohne die Türme, fertig da, und am 14. August

1880, genau 632 Jahre nach der Grundsteinlegung, prangten die Kreuzesblumen auf den Zwillingstürmen.

Wo jetzt der Dom steht, da stand seit dem frühen Mittel-alter ein großer romanischer Bau.

Als im 13. Jahrhundert

eine neue Bauweise aufkam, die von Nordfrankreich her auch in Deutschland Eingang fand, der jetzt so genannte gotische Baustil, da dachten die Erzbischöfe daran, den Dom umbauen zu lassen, zunächst wenigstens das Chor. Als gar ein Brand das romanische Chor zerstört hatte, da war die äußere Veranlassung gegeben:

ließ der Erzbischof Konrad von Hochstädten den

in aller Welt Ruf erschallen,

Neubau beizusteuern

zum



in trüber Zeit.

Denn es war die Zeit des beginnenden Interregnums. Am 14. August 1248 wurde der Grundstein mit großer Feierlichkeit ge­ legt, wenn auch nicht in Anwesenheit des neugewählten deutschen Königs, Wilhelm von Holland, wie vielfach behauptet wird. Jahr

Im

1322 stand das „Summum", oder hohe Chor fertig da.

Es war in wahrhaft riesigen Maßverhältnissen gebaut und galt sofort als das Wunderwerk seiner Zeit.

Teil der Kirche

so sehr in Schatten,

Es stellte den übrigen daß

man ohne weiteres

dazu überging, alles andere niederzureißen und den Bau weiter-

zuführen.

Im Jahre 1347 begann der Weiterbau.

Weil er, wie

gesagt, nicht von Haus aus beabsichtigt war, so ist die Annahme

durchaus unberechtigt,

meister, habe.

bereits Wohl

daß Gerhard von Rile,

der

erste Bau­

den Plan der ganzen jetzigen Kirche entworfen

mag

ihr

heutiges Bild

im

großen und ganzen

fertig vor seines Geistes Augen gestanden haben,

wenn er auch

die Türme sich entschieden anders gedacht hat, als sie später aus­

geführt wurden. entworfen.

Genaue Pläne hat er sicherlich nur vom Chore

Eine andere Annahme entspricht wohl unserm jetzigen

Verfahren, aber nicht dem der mittelalterlichen Werkleute. geriet der Weiterbau bald ins Stocken.

legt, als

Leider

Er war zu groß ange-

daß bei den beständigen Fehden jener Zeit, bei dem

Verfall des Wohlstandes und des Zunftwesens eine Vollendung hätte erreicht werden können. Immer lässiger ging der Bau, und

als man 1437 ihn ganz einstellte, war der südliche Turm un­ gefähr 150 Fuß hoch, der nördliche sah eben aus der Erde heraus^ und die Pfeiler der Kirche selbst hatten kaum die Höhe von 30

Fuß erreicht.

Zu Nord- und Südportal lagen nicht einmal die

Grundmauern. Beschauen

wir

uns

den Dom, wie er hellte dasteht, von

außen, so erscheint er dem nicht kunstverständigen Auge wie er­ stickt von Zieraten und unnützen Türmchen und allerlei tändelndem Beiwerk. Die gotischen Kirchen zu verstehen, ist eben nicht so einfach. Nur soviel sei gesagt, daß die mächtigen Kreuzgewölbe des Innern nicht nur auf den

Pfeilern inwendig

aufruhen,

sondern auch von außen gestützt werden durch einen Wald von so­

genannten Strebepfeilern, welche den Dom umstehen, wie ein glänzendes Gefolge. Untereinander sind diese Pfeiler wieder durch Bögen verbunden, und all dieses Mauerwerk hat man nicht kahl gelassen, sondern hat es teils geradezu vielfach durchbrochen gearbeitet, teils mit sogenanntem Maßwerk und Stabwerk völlig Lbersponnen, kurz, über und über geschmückt.

Das Chor ist von

gleicher Höhe wie die Kirche, es schließt halbrund, und ihm vorge­ lagert sind sieben niedrigere, vieleckige Kapellen, daß das Ganze

einer Krone mit sieben Spitzen zu vergleichen ist.

von der Rheinseite her gegen das Chor,

Schaut man

dann erscheint es wie

ein zerklüftetes Gebirge, beinahe sinneverwirrend kreuzen sich die

Linien der Bögen, Giebel und Strebepfeiler,

der Fialen und

Wimperge, der Krabben und Kreuzesblumen, und doch stellt das ganze Chor eine einzige, schöngeschwungene, deutlich erkennbare

Halbkreislinie dar. Eine fernere Eigentümlichkeit der reicheren gotischen Kirchen ist der Fensterreichtum.

Da die Gewölbe, wie angedeutet, von

wahrhaft riesigen Säulen oder vielmehr Säulenbündeln, die im

Innern der Kirche stehen, und außerdem von ebenso mächtigen

Strebepfeilern, die außen stehen, getragen und gehalten werden, so dienen die Umfassungsmauern nicht zum Zusammenhalten des

Baus, sondern sind bloßer Wandverschluß.

So hat man denn die

Mauern geradezu durch gewaltige Fenster ersetzt, welche die ganzen Räume zwischen den Strebepfeilern ausfüllen.

Sie sind in Spitz­

bögen geschlossen, und ihr oberer Teil zeigt in Steinhauerarbeit

wiederum das dieser Bauweise so eigentümliche reiche und reizvolle Linienspiel: da wogen die Kreise und Halbkreise und Spitzbögen

durcheinander, wie steinerne Musik.

Hohe Spitzgiebel schirmen wie

ein aufgeschlagener Hutrand die einzelnen Fenster. Die Türme endlich zeigen den himmelanstrebenden Zug der mittelalterlichen Kunst so stark, wie kein anderes Bauwerk jener Zeit. Sie stehen an den westlichen Pforten, rechts und links, einander völlig gleich gebildet. Ihr Erdgeschoß birgt die drei tiefen, mit Figuren geschmückten Eingangsthüren, welche gleichsam

die Arme weit öffnen, die Gläubigen zu locken.

Mächtige Wim­

perge (Spitzgiebel) bilden ein schützendes Dach über den Thoren. Fenster von gewaltigster Höhe füllen die folgenden Turmgeschosse-

dann springt das Viereck in ein Achteck um, an dessen Ecken kleinere Türmchen, Fialen genannt, emporsteigen. Acht Fenster füllen wiederum die einzelnen Seiten des Achtecks.

die Turmspitze oder der Helm. einziger steinerner Zierat.

Nun beginnt

Es ist kein Dach, sondern ein

Sogar das Auge klettert nur mühsam

die steilen, achtseitigen Helmpyramiden hinan,

die mit zahllosen

steinernen Kantenblättern (Krabben) wie mit Dornen besetzt sind, und die in ihrer durchbrochenen Arbeit so leicht und schlank und in das unendliche Himmelsblau hineinragen, welches sie umgießt und ganz durchleuchtet — bis der Abschluß endlich,

mühelos

550 Fuß über dem Erdboden, mit der wuchtigen Kreuzesblume erreicht ist. So hoch war bis dahin noch kein Bauwerk sterb­ licher Menschen vorgedrungen in den Äther, selbst die Pyramiden

Ägyptens nicht.

Das ist nun echt deutsche mittelalterliche Bau­

kunst, dieses ruhelose, rastlose, sehnsüchtige Streben nach nach der ewigen Heimat.

„Himmelan geht unsre Bahn!"

oben, diese

Worte sind aufs schärfste in erhabenem Sinnbild hier zu ver­

ständlichem Ausdruck gelangt. Treten wir in das Innere des Domes, so erwartet uns

zuvörderst der überraschende Anblick, daß die ganze Länge der

mächtigen Kirchenhalle bis in das Chorhaupt hinein sofort uns

vor Augen steht/

denn auch

die Turmhalle ist nichts für sich,

sondern schon ein Teil des inneren Kirchenraumes.

Die höchsten

Türme der Erde ruhen nicht auf zusammenhängenden Mauern, son­

dern nur auf den zweimal neun Pfeilern, zwischen welchen wir hier durchwandeln! Fünf Schiffe hat die in Kreuzesform gebaute Kirche,

das Mittelschiff, 50 Fuß breit, erscheint schmal gegen seine Höhe,

die das dreifache beträgt.

Schwindelnd schaut das Auge hinauf

gegen die Kreuzgewölbe, die hoch über uns schweben/ ihnen ent­

gegen klettern die mächtigen, himmelanstrebenden Säulenbündel, die oben sich fächerartig ausbreiten und in die Gewölbe übergehen, so daß sie sich gegeneinander zu neigen scheinen, wie die Baum­

kronen in einem Buchenwald. zu jeder Seite zwei ungleich

Neben dem Mittelschiff ziehen sich

niedrigere Seitenschiffe hin.

Die

Fenster, so riesig sie sind, lassen doch nicht den vollen Tag in das Gotteshaus, denn die Glasmalereien dämpfen das Licht, und zwar strahlen die Chorfenster, die noch aus dem Mittelalter stammen,

in harmonischem, mildem Glanze,

die modernen Fenster, etwas

aufdringlich, in prächtigem, leuchtendem Golde. An Flächenraum wird der Kölner Dom von andern Kirchen

noch übertroffen: St. Paul in London und der Mailänder Dom sind größer, St. Peter in Rom mehr als doppelt so groß. Allein der Blick die

lange Halle

entlang,

während

die Kreuzgewölbe

über uns mitzuwandeln scheinen, gegen die anscheinend aus end­ loser Ferne die dämmernde Kirche durchstrahlenden Chorfenster

hin, das ist einzig, das finden wir weder im Mailänder Dom, noch auch in der Peterskirche. Es ergreift uns unwiderstehlich

ein Gefühl der Andacht: Gott ist gegenwärtig, kommt, laßt uns anbeten

in

seinem

heiligen Tempel!

Es

ist,

wie Max

Schenkendorf singt:

„Es ist ein Wald voll hoher Bäume, Die Zweige seh ich fröhlich blühn Und aus den Wipfeln fromme Träume Zum fernen Reich der Geister ziehn. So kühner Sinn und ernstes Streben, Das aus den Steinen Blumen treibt, Es ist der Väter Art und Leben, Das nimmer auf der Erde bleibt.

von

Das wollen diese Säulen sagen, Die himmelwärts die Blicke ziehn. Dazwischen, wie in grauen Tagen Im Eichenhain, die Beter knien.

Es ist kein eitles Licht der Sonnen, Was durch die bunten Scheiben fällt, Ist Wiederschein der ewgen Wonnen, Ist Strahl aus einer bessern Welt."

56. Ruth. Beschreibung eines Bildes aus der Bilderbibel von Schnorr von Carolsfeld. Eine der schönsten Bilderbibeln, vielleicht die schönste, jeden­ falls aber die deutscheste, ist die von Schnorr von Carolsfeld. Die Zeichnungen dieses Künstlers sind durchgehends innig, seelen­

voll, auf die Sache selbst gehend, nicht, wie z. B. die des fran­ zösischen Malers Dore, sich verlierend in schmückendem Beiwerk, Lichtwirkungen, geographischen, historischen Dingen, Landschaften,

Kunststücken aller Art. Die Figuren sind bei Schnorr überall groß, fast den oberen Rand des Bildes berührend, als entschie­ dene Hauptsache behandelt, die Linien, wie es für den Holzschnitt sich ziemt, einfach, scharf, bestimmt, die Schatten nur angedeutet.

Die Beschreibung mehr erläutern.

die

dieser Bilder wird

eines

das Gesagte

noch

Ich greife Rllth heraus, weil diese Zeichnung

angedeuteten Vorzüge

des

Künstlers

in

besonders

Hellem

Naemi,

ein jü­

Lichte zeigt. Jedermann kennt die liebliche Geschichte:

disches Weib aus Bethlehem, war mit ihrem Mann nach dem Lande

Moab gezogen, wo letzterer starb, und wo dann ihre beiden Söhne Weiber nahmen.

Die Söhne starben auch, und nun will Naemi

in ihre Heimat zurück.

Arpa, die eine Schwiegertochter,

bleibt

im Lande ihrer Väter, aber die andre, Ruth, will mit nach Juda. „Rede mir nicht drein,"

so sprach sie,

sollte und wieder umkehren.

„daß ich dich verlassen

Wo du hingehst,

hingehen,' wo du bleibst, da bleibe ich auch.

da will ich auch

Dein Volk ist mein

Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden." Diesen rührenden

Das wollen diese Säulen sagen, Die himmelwärts die Blicke ziehn. Dazwischen, wie in grauen Tagen Im Eichenhain, die Beter knien.

Es ist kein eitles Licht der Sonnen, Was durch die bunten Scheiben fällt, Ist Wiederschein der ewgen Wonnen, Ist Strahl aus einer bessern Welt."

56. Ruth. Beschreibung eines Bildes aus der Bilderbibel von Schnorr von Carolsfeld. Eine der schönsten Bilderbibeln, vielleicht die schönste, jeden­ falls aber die deutscheste, ist die von Schnorr von Carolsfeld. Die Zeichnungen dieses Künstlers sind durchgehends innig, seelen­

voll, auf die Sache selbst gehend, nicht, wie z. B. die des fran­ zösischen Malers Dore, sich verlierend in schmückendem Beiwerk, Lichtwirkungen, geographischen, historischen Dingen, Landschaften,

Kunststücken aller Art. Die Figuren sind bei Schnorr überall groß, fast den oberen Rand des Bildes berührend, als entschie­ dene Hauptsache behandelt, die Linien, wie es für den Holzschnitt sich ziemt, einfach, scharf, bestimmt, die Schatten nur angedeutet.

Die Beschreibung mehr erläutern.

die

dieser Bilder wird

eines

das Gesagte

noch

Ich greife Rllth heraus, weil diese Zeichnung

angedeuteten Vorzüge

des

Künstlers

in

besonders

Hellem

Naemi,

ein jü­

Lichte zeigt. Jedermann kennt die liebliche Geschichte:

disches Weib aus Bethlehem, war mit ihrem Mann nach dem Lande

Moab gezogen, wo letzterer starb, und wo dann ihre beiden Söhne Weiber nahmen.

Die Söhne starben auch, und nun will Naemi

in ihre Heimat zurück.

Arpa, die eine Schwiegertochter,

bleibt

im Lande ihrer Väter, aber die andre, Ruth, will mit nach Juda. „Rede mir nicht drein,"

so sprach sie,

sollte und wieder umkehren.

„daß ich dich verlassen

Wo du hingehst,

hingehen,' wo du bleibst, da bleibe ich auch.

da will ich auch

Dein Volk ist mein

Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden." Diesen rührenden

Anhang.

202 [TV]

Wendepunkt

der

Erzählung

seines Bildes gewählt. Wir sind im Freien.

hat

der

Maler zum

Gegenstand

Links schweift der Blick weit in die

Ferne^ in ein hügeliges, anscheinend wohl bebautes Land,- Kuppeln

und Häuser sind sichtbar, zum Teil in der Ferne verschwimmend,ein Feldweg schlängelt sich bis in den Vordergrund.

Rechts da­

gegen ist der Gesichtskreis eingeengt durch hohe Berge, die offen­

bar kahl und öde sind,- an den Felsblöcken, die vorne zerstreut liegen, klammern sich die Wurzeln einiger Bäume fest. In dieser einsamen Landschaft sind drei Frauengestalten

sichtbar: im Mittelgrund wankt den Feldweg entlang die eine, sich langsam entfernend von den beiden andern, die im Vorder­

in

grund,

entgegengesetzter

Richtung

wie jene,

rüstig

einher­

schreiten, auf den Beschauer zu.

Jene einsame Frau ist Arpa, die nach Moabs gesegneten Wir erblicken sie nur von

Gefilden, ihrer Heimat, zurückkehrt.

der Rückseite, trotzdem ist uns ihre Seelenstimmung vollkommen

klar.

Ihr Haupt, vom Witwenschleier verhüllt,

der im Winde

flattert, der linke Arm, der zum Auge gehoben ist, offenbar, um

die Thränen zu trocknen, die ganze, nach rechts schwer auf den stützenden Wanderstab sinkende Gestalt, welche bei dem folgenden Schritte ebenso nach links hin schwanken wird: das alles verrät

eine tief Traurige.

Ach, sie hat ja keine menschliche Stütze mehr,

da gehen die beiden fort, die ihre Seele liebt. letzte Abschiedsgruß ist vorbei

dar,-

Auch der aller­

und lebewohl gesagt auf immer­

ohne noch ferner sich umzusehen, zieht Arpa ihre Straße,

stille vor sich hin schluchzend,'

ohne noch ferner sich umzusehen,

ziehen jene in die Weite.

Die ältere Frau, Naemi, die Schwiegermutter der beiden

jüngeren, ist ebenfalls noch ganz erfüllt von dem Trennungs­ schmerz;

der Schleier

der Witwe umhüllt auch ihr Haupt und das Gewand schleppt,- zögernd nur

läßt nur das Gesicht frei;

hebt sich der Fuß.

Die Linke hat sie leise auf den Arm ihrer

Begleiterin gelegt, nicht, um sich zu stützen, sondern so, wie der thut, der in sanfter Überredung jemand bewegen will, etwas zu

thun, dem der andre noch widerstrebt.

Der Kopf ist traurig ge-

senkt, nur das Auge ist gehoben, das müde, thränenschwere Auge,

das bittend, ja beinahe flehend gegen Ruth sich aufschlägt. Wozu sie aber überreden will, das deutet die andere Hand an, welche

rückwärts gewandt ist, nach Moab zu, dahin, wohin Arpa jetzt eilt. Verlorne Worte!

Denn nicht heimwärts strebt der Sinn

der rüstigen Ruth, sondern vorwärts, voll Gottvertrauens, in die

ihr unbekannte Ferne. „Rede mir nicht drein, daß ich dich ver­ lassen sollte und von dir umkehren!" so spricht es aus jeder ihrer Bewegungen.

Verschwunden ist

das Trennungsleid

auS

ihren Zügen,- klar und frei ist das Auge, und wir blicken in das liebliche, jugendlich volle und doch frauenhaft gereifte Antlitz mitten hinein, wie in eine vollerblühte Rose. Mitten hinein, denn indem sie sich ihrer Begleiterin zuwendet, wendet sie sich auch dem Beschauer zu. Der weite, schattengebende Reisehut sitzt auf dem Hellen Haar, dessen reiches Gelock nach rückwärts flattert

vor dem Windhauch, den ihr entschlossenes Vorwärtsschreiten er­

regt.

Das Reisegewand ist bequem gegürtet — es schleppt nicht

nach — und auch die Arme sind frei; über die Schulter hängt

ein bescheidenes Bündel/ die Rechte, die den Reisestab hält, hat das Kleid zu einem Bausch ausgenommen, der wohl noch einigen Mundvorrat bergen mag.

Die Linke ist erhoben und zeigt vor­

wärts in das fremde Land, das Land ihrer Hoffnung, bald auch ihr Heimatland, denn: „Wo du hingehst, da will ich auch hin­

gehen/ wo du bleibst, da bleibe ich auch,- dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott!"

Sie ist es doch eigentlich, welche die traurigere sein müßte,

sie verläßt ihre Heimat, während Naemi in ihr altes Vaterland wiederkehrt.

Aber Jugendmut und leichter Sinn und vor allem

treue Liebe und

Anhänglichkeit

machen es umgekehrt:

eigenen

Leides vergessend, tröstet sie fremden Schmerz,- sie fühlt sich jetzt

als die einzige Stütze der Mutter,

da ist nicht Zeit zu klagen,

da heißt es: Augen helle, Gedanken frei, Kopf oben! solches Ringen

und

Sorgen im

Und ein

schweren Kampfe des Lebens

schützt am besten vor jenen aufreibenden Sorgen und Klagen um

das, was doch nicht wiederkehrt, macht fröhliche Gedanken und frisches Herze.

der das alles

Wie wunderbar ist die Kunst des Malers, darzustellen

der überall durchdringt auf

weiß,

den Kern

der

Sache, auf das rein Menschliche, auf das innerste Leben des Ge­

mütes, auf das Seelische der Handlung, und der zugleich auch edle,

schöne Gestalten und wohlthuend wirkende Linien geschaffen hat,-

alles mit wenig Strichen, ohne Künstelei, ohne einen Ruhm zu suchen in möglichst

Landschaftlichen,

Und

getreuer Wiedergabe des Nebenwerkes,

des Gesichtsschnittes,

so will es ein gesunder,

des

der Kleidertracht.

deutscher Sinn haben,

sucht in seiner Bibel, was die Leute thaten, nicht, wie sie aussahen in Gesichtsfarbe und Lebzeiten. Am Ewigwahren, Bleibenden, bildlichen, daran wollen wir uns erbauen.

der

sprachen und dachten, Kleidertracht zu ihren

für alle Zeiten Vor­ Darum sprechen diese

Bilder zu unserm Herzen, eine wohlgelungene, erbauliche Predigtsie legen die heilige Schrift uns aus,-

auf,

sie

decken

manches

woran wir sonst achtlos vorübergegangen wären,

uns

ohne es

zu finden; sie führen unsere Gedanken in die Tiefen der Schrift und lehren uns immer neue Schätze aus ihr zu Tage fördern.

57. Zu allem Großen ist der erste Schritt der Mut. (Probe eines Aufsatzes in Form der Chrie.)

(Einleitung.)

Allgemeine Sprüche, mögen sie Dichterworte

sein oder zu den Sprichwörtern gehören, enthalten entweder eine

oft auch liegt in einer Wahrheit zu­

Wahrheit oder eine Lehre, gleich eine Lehre verborgen.

untersuchen,

Unsere Aufgabe soll

es

sein,

ob und inwiefern unser Spruch Wahrheit ist,

zu

und

alsdann zu sehen, ob er nicht auch eine mahnende Lehre enthält. (1. Erklärung.)

Große

Dinge, abgesehen davon,

Dinge

sind

wichtige,

bedeutsame

ob sie für die ganze Menschheit,

für

ein ganzes Volk oder nur für wenige Menschen, oder ob sie gar

nur für den einzelnen bedeutsam und wichtig sind.

Es kann sich

also handeln um Kriegszüge, um große Kulturthaten, wie Ent­

deckungsfahrten, Anlage von Kolonien, große gewerbliche Unter­

nehmungen, aber

auch um Wagnisse

und Entschlüsse,

die das

äußere oder innere Glück nur des Handelnden begründen sollen.

Mag auch der Weg

zur Vollbringung solcher Thaten weit sein

der das alles

Wie wunderbar ist die Kunst des Malers, darzustellen

der überall durchdringt auf

weiß,

den Kern

der

Sache, auf das rein Menschliche, auf das innerste Leben des Ge­

mütes, auf das Seelische der Handlung, und der zugleich auch edle,

schöne Gestalten und wohlthuend wirkende Linien geschaffen hat,-

alles mit wenig Strichen, ohne Künstelei, ohne einen Ruhm zu suchen in möglichst

Landschaftlichen,

Und

getreuer Wiedergabe des Nebenwerkes,

des Gesichtsschnittes,

so will es ein gesunder,

des

der Kleidertracht.

deutscher Sinn haben,

sucht in seiner Bibel, was die Leute thaten, nicht, wie sie aussahen in Gesichtsfarbe und Lebzeiten. Am Ewigwahren, Bleibenden, bildlichen, daran wollen wir uns erbauen.

der

sprachen und dachten, Kleidertracht zu ihren

für alle Zeiten Vor­ Darum sprechen diese

Bilder zu unserm Herzen, eine wohlgelungene, erbauliche Predigtsie legen die heilige Schrift uns aus,-

auf,

sie

decken

manches

woran wir sonst achtlos vorübergegangen wären,

uns

ohne es

zu finden; sie führen unsere Gedanken in die Tiefen der Schrift und lehren uns immer neue Schätze aus ihr zu Tage fördern.

57. Zu allem Großen ist der erste Schritt der Mut. (Probe eines Aufsatzes in Form der Chrie.)

(Einleitung.)

Allgemeine Sprüche, mögen sie Dichterworte

sein oder zu den Sprichwörtern gehören, enthalten entweder eine

oft auch liegt in einer Wahrheit zu­

Wahrheit oder eine Lehre, gleich eine Lehre verborgen.

untersuchen,

Unsere Aufgabe soll

es

sein,

ob und inwiefern unser Spruch Wahrheit ist,

zu

und

alsdann zu sehen, ob er nicht auch eine mahnende Lehre enthält. (1. Erklärung.)

Große

Dinge, abgesehen davon,

Dinge

sind

wichtige,

bedeutsame

ob sie für die ganze Menschheit,

für

ein ganzes Volk oder nur für wenige Menschen, oder ob sie gar

nur für den einzelnen bedeutsam und wichtig sind.

Es kann sich

also handeln um Kriegszüge, um große Kulturthaten, wie Ent­

deckungsfahrten, Anlage von Kolonien, große gewerbliche Unter­

nehmungen, aber

auch um Wagnisse

und Entschlüsse,

die das

äußere oder innere Glück nur des Handelnden begründen sollen.

Mag auch der Weg

zur Vollbringung solcher Thaten weit sein

und viele Schritte dazu erforderlich, der erste Schritt ist jeden­

falls der Muy so behauptet unser Spruchs d. h. der feste Wille,

das zu thun, was wir uns vorgesetzt, die Freudigkeit, die aus dem Bewußtsein hervorgeht, daß wir auf dem rechten Wege sind und die Kraft und die Aussicht haben,

(2. Begründung.)

zum Ziele zu gelangen. es völlig der Ver­

In der That scheint

nunft entsprechend, wenn wir gerade das als den ersten Schritt Muß auch gemäß Moltkes Wahl­

zu allem Großen bezeichnen.

spruch: erst wägs, dann wags! die Erwägung, ob die Sache ausführbar ist, vorhergehen, soll anders der Mut nicht blind und tollkühn erscheinen, so ist das Abwägen als solches doch

Sache des Verstandes, der mutvolle Wille aber ist der erste Schritt zur eigentlichen That. Ist dieser Wille da, dann schwinden vor seinem mächtigen Antriebe alle Zweifel und Bedenken, nur das hohe Ziel schwebt uns vor, und dann werden wir auch Hand ans Werk legen und nicht eher ablassen, als bis das Begonnene zu Ende geführt ist.

Der

erste Schritt ist alles,

und das ist

der Mut: ohne Mut kein Entschluß, ohne Entschluß kein Anfang der Ausführung und ohne diesen kein Fortgang. Der Mut ist das von uns gesprochene A, dem das B, das C und schließlich alle andern Buchstaben bis zum Z folgen.

(3. Gegenteil.) Die Wahrheit unseres Satzes ist besonders klar zu erkennen, wenn wir ihn gleichsam von der Rückseite be­ trachten und uns fragen, ob etwas Großes geschehen könne, wenn Das

der Mut fehle.

müssen wir

entschieden verneinen,

denn

der Feige handelt überhaupt nicht, sondern flieht, der Bedächtige aber denkt stets nur an die Möglichkeit des Mißlingens, an die und

Därtigen fehlen,

die beherzt

nichts Großes.

darum

handelt

Schwierigkeiten,

auch

vorangehen,

nicht.

dann

Wenn

geschieht

die eben

Immer sind es einzelne Mutige, die den ersten

Schritt thun, wenn

auch ihre Namen und ihre Thaten in den

sel:ensten Fällen von der Geschichte dauernd ausgezeichnet werden. (4. Beispiele.)

Wenn es aber hier und da geschieht,

dann

werden solche Beispiele Vorbilder für die kommenden Geschlechter. Wir denken

an Winkelrieds That,

Rubikon ging,

an Themistokles,

an Cäsar,

da er über den

wie er in der Bucht von Sa-

206 [IV]

Anhang.

lamis die Perserflotte erwartete, wir denken an Moses, der vor Pharao trat, an David, der dem Goliath sich entgegenstellte, an

Luther, der vor dem Reichstag

erschien.

die christlichen

Oder

Märtyrer steigen vor unserer Seele auf, die Erhebung Preußens

1813, Blücher und die Lützower.

Die Dichtung zeigt uns Ge­

stalten wie Antigone, Johanna d'Arc, die Heldenjungfrau Doro­

thea, die den eindringenden Feinden gegenüber sich männlich zur

Wehre setzte.

Wer

bereitete

die Erhebung

der Schweiz

vor?

Stausfacher. Aber er selbst war bekümmert und verzagt, der Mut seiner Hausfrau Gertrud, das war der erste Schritt, dem

alle andern von selbst folgten. (5. Gleichnis.) Auch im Naturleben bewundern wir die Tiere,

denen Mut in die Seele gepflanzt ist.

Stolz und edel dünkt

uns der Löwe, die Hyäne feig und verächtlich/ dem Löwen zu gleichen, gilt dem tapfern Krieger für ehrenvoll und Ziel seines Auch das Schlachtroß gebrauchen wir gern als Bild

Strebens.

des Mutes, und der Mut, den die Tiere entfalten bei Verteidigung

ihrer Jungen, gibt auch Jesu Veranlassung zu dem lieblichen Bild

von der Henne, die ihre Küchlein unter ihre Flügel versammelt. (6. Beistimmende Aussprüche.) wandt mit allem Großen.

Das

So

erscheint der Mut

sagen uns

auch

ver­

die Dichter.

In Iphigenie heißt es: „Was nennt man groß? . . . Als was mit unwahrscheinlichem Erfolg Der Mutigste begann." Dem Mutigen hilft Gott,- frisch gewagt ist halb gewonnen/ dem

Mutigen gehört die Welt.

Nur frisch

hinein,

es

wird so tief

nicht sein! „Es sitzt keine Krone so fest, so hoch, der mutige Springer erreicht sie doch", lesen wir in Wallensteins Lager.

Nur Mut!

nur Mut!

rufen in allen Formen die Weisen,

Dichter, die Prediger uns zu. (7. Ermahnender Schluß.)

die

Darum laßt uns bei jedem be­

deutsamen Werke, das wir vorhaben, zwar erwägen, dann aber mutvoll,

ohne Bangen und Verzagtheit beginnen!

nimmt die Kraft zur Ausführung, in gefahrvollen Lagen kämpfen,

Sorgen be­

läßt uns mit halber Seele

aber wer mutig wagt, der hat

schon halb gewonnen, zu allem Großen ist der erste Schritt der Mut.

Kebensabriß der Schriftsteller. Arndt Ernst Maritz, geb. 26. Dezember 1769 zu Schoritz auf Rügen, t 29. Januar 1860 zu Bonn. Vgl. Mustergedichte IV. Fürst von Bismarck Otto, geb. 1.April 1815 zu Schönhausen. Er studierte zu Göttingen und Berlin die Rechtswissenschaft, bewirt­ schaftete dann seine väterlichen Güter, wurde Legationssekretär bei der preuhischen Bundestagsgesandtschaft zu Frankfurt, später Gesandter in Petersburg und Paris, seit dem 8. Oktober 1862 Ministerpräsident, nach Gründung des deutschen Reiches Reichskanzler. Am 20. März 1890 nahm er seine Entlassung und lebt seitdem in Friedrichsruh. Brentano Klemens, geb. 8. September 1778 zu Ehrenbreit­ stein, f 28. Juli 1842 zu Aschaffenburg. Seine Mutter war Maxi­ miliane von la Roche, eine Freundin Goethes. Er studierte zu Jena, lebte dann an verschiedenen Orten. Am verdientesten machte er sich durch die Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn", das er mit seinem Schwager Achim von Arnim zusammen herausgab. Vorzüglich sind seine Märchen, deren meiste erst nach seinem Tode ver­ öffentlicht wurden. Curtius Ernst, geb. 2. September 1814 zu Lübeck, f 11. Juli 1896 zu Berlin. Er ward 1844 Professor zu Berlin und Erzieher des späteren Kaisers Friedrich, dann Professor der Altertumswissenschaften zu Göttingen und Berlin. Die „griechische Geschichte" ist sein Hauptwerk. Goethe Elisabeth, geb. 19. Februar 1731 zu Frankfurt a. M., f 13. September 1809 ebenda. Sie war die Tochter des Stadtschultheitzen Textor, heiratete am 20. August 1748 den um vieles älteren Kaiserlichen Rat Johann Kaspar Goethe und wurde am 28. August 1749 Mutter von Johann Wolfgang Goethe. Nach dem Tode ihres Gatten (1782) blieb sie in Frankfurt wohnen, wo sie still für sick lebte, in geselligem Zusammensein besonders mit der Jugend, Tyeater und Musik liebend, in regem brieflichen Verkehr mit den Ihrigen. Sie liefe sich gern Frau Aja nennen, nach der Mutter der Haimonskinder. von Goethe Johann Wolfgang, geb. 28. August 1749 zu Frankfurt a. M., t 22. März 1832 zu Weimar. Vgl. Musterged. IV. Brüder Grimm: 1) Jakob, geb. 4. Januar 1785 zu Hanau, + 20. September 1863 zu Berlin. 2) Wilhelm, geb. 24. Februar 1786 zu Hanau, f 16. Dezember 1859 zu Berlin. Vgl. Musterprosa III. Häusser Ludwig, geb. 26. Oktober 1818 zu Kleeburg im Unter­ elsaff, t 17. März 1867 zu Heidelberg. Seit 1845 wirkte er als Pro­ fessor der Geschichte an der Universität Heidelberg. Berühmt ist seine „Deutsche Geschichte vom Tod Friedrichs des Grofeen bis zur Grün­ dung des deutschen Bundes". Heine Heinrich, geb. 13. Dezember 1797 zu Düsseldorf, f 17. Februar 1856 zu Paris. Vgl. Mustergedichte IV. von Herder Johann Gottfried, geb. 25. August 1744 zu Mohrungen in Ostpreufeen, t 18. Dezember 1803 zu Weimar. Vgl. Mustergedichte IV.

208 [IV]

Lebensabrisz der Schriftsteller.

von Humboldt Alexander, geb. 14. September 1769 zu Berlin, f 6. Mai 1859 daselbst. Als Naturforscher durchwanderte er mit dem Botaniker Bonpland von 1799—1804 Süd- und Mittelamerika, be­ sonders das Orinokogebiet, lebte dann in Paris und Berlin, unter­ nahm 1829—30 eine Forschungsreise nach dem asiatischen Rußland und hielt sich dann wieder dauernd in Berlin auf. Neben seinen Reisebe­ schreibungen ist der „Kosmos" sein Hauptwerk. von Humboldt Wilhelm, geb. 22. Juni 1767 zu Potsdam, f 8. April 1835 zu Tegel. Er ist Alexanders Bruder, als Sprach­ gelehrter und als Staatsmann hervorragend. Von 1789 ab lebte er in Erfurt, Weimar und Jena, innig befreundet mit Schiller- 1800 trat er in den Staatsdienst, ward 1808 preußischer Unterrichtsminister und zog sich 1819 aus der staatlichen Laufbahn zurück. Seitdem lebte er meist auf seinem Landsitze Tegel bei Berlin. Jäger Oskar, geb. 26. Oktober 1830 zu Stuttgart, lebt seit 1865 zu Köln als Gymnastaldirektor. Er schrieb u. a. die Geschichte der Griechen, die Geschichte der Römer, eine Weltgeschichte, die Ge­ schichte des 19. Jahrhunderts u. a. Jahn Friedrich Ludwig, geb. 11. August 1778 zu Lanz in der Priegnitz, t 15. Oktober 1852 zu Freiburg a. d. Unstrut. Als Gymnasial­ lehrer in Berlin eröffnete er 1810 die erste Turnanstalt in der Hasen­ heide, nahm im Lützowschen Korps an den Befreiun^kriegen teil und stand dann an der Spitze des Turnwesens. Die Verfolgungen der Turnsache betrafen auch ihn, so daß er von 1825 ab zurückgezogen in Freiburg a. d. Unstrut lebte. Er ist als „Turnvater" allbekannt. Seine ausführliche Biographie schrieb Karl Euler (1881). König [Kaiser] Wilhelm, geb. 22. Mürz 1797 zu Berlin, t 9. März 1888 zu Berlin, seit dem 2. Januar 1861 König von Preußen, seit dem 18. Januar 1871 Deutscher Kaiser. von Leibnitz Gottfried Wilhelm, Freiherr, geb. 3. Juli 1646 zu Leipzig, f 14. November 1716 zu Hannover. Er war Rat des Herzogs von Hannover, seit 1700 Präsident der neugestifteten Aka­ demie der Wissenschaften in Berlin- er war gleich berühmt als Mathe­ matiker, Philosoph, Rechtsgelehrter und Staatsmann. Lessing Gotthold Ephraim, geb. 22. Januar 1729 zu Kamenz in der Oberlaufltz, f 15. Februar 1781 zu Braunschweig. Er studierte in Leipzig und Wittenberg, war dann in Berlin als Schriftsteller thätig, wo er sich besonders mit Nicolai, Ramler, Mendelssohn befreundete. Im siebenjährigen Kriege Sekretär des Generals Tauenzien, empfing er die Anregung zu seinem Lustspiel „Minna von Barnhelm". (1764)1766 erschien sein „Laokoon"- 1767 ward er Dramaturg in' Hamburg (Hamburgische Dramaturgie), 1770 Bibliothekar in Wolfenbüttel. Das Trauerspiel „Emilia Galotti^ erschien 1772, sein Schauspiel „Nathan der Weise" 1779. Vermählt war Lessing seit 1776 mit Eva König, die jedoch bereits 1778 starb. Lesfing ist gleich groß als Gelehrter, Dichter und Prosaschriftsteller, als Vorgänger Göthes und Schillers von großem Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Litteratur. Luther Martin, geb. 10. November 1483 zu Eisleben, f 18. Februar 1546 daselbst. Der Reformator gilt auch als Reformator der deutschen Prosa und als Begründer der neuhochdeutschen Sprache.

Nicht als ob er diese Sprache aeschaffen hätte, allein er hat sie genau gekannt, studiert, beherrscht uno in seinen zahlreichen Schriften festge­ legt. Besonders seine Bibelübersetzung wurde tonangebend. Graf von Moltke Helmut, geb. 26. Oktober 1800 zu Parchim in Mecklenburg, t 24 April 1891 zu Berlin. Sein Vater war erst preußischer, dann dänischer Offizier, darum trat der Sohn auch zunächst in dänischen, 1823 aber in preußischen Militärdienst. Als Hauptnrann unternahm er 1835 eine Reise nach dem Orient, beteiligte sich an der Umgestaltung des türkischen Heeres und durchwanderte Kleinasien, auch an kriegerischen Unternehmungen sich beteiligend. Er kehrte 1839 zurück, ward in den Generalstab versetzt, ging mit dem Prinzen Heinrich nach Italien, wurde dann Chef des Generalstabes. Er ver­ mählte sich 1841 mit Mary von Burt, der Stieftochter seiner Schwester- seine Ehe war kinderlos, er verlor seine Gattin im Jahre 1868. Reuter Fritz, geb. 7. November 1810 zu Stavenhagen in Mecklenburg, f 12. Juli 1874 zu Eisenach. Er studierte Rechtswissen­ schaft in Jena, ward aber 1833—40 wegen Teilnahme an der Burschen­ schaft in Haft gehalten, dann ward er Landwirt, später Privatlehrer, endlich trat er "als plattdeutscher Schriftsteller hervor. Seine Haupt­ werke sind „Ut de Franzosentied", „Ut mine Festungstied", und ,,Ut mine Stromtied^. Riehl Wilhelm Heinrich, geb. 6. Mai 1823 zu Biebrich, lebt zu München als Professor an der Universität. Er hat zahlreiche kulturge­ schichtliche Schriften verfaßt, so die „Familie", das „Wanderbuch" die „Pfälzer^, die „kulturhistorischen Novellen". von Schiller Friedrich, geb. 10. November 1759 zu Marbach, t 9. Mai 1805 zu Weimar. Vgl. Mustergedichte IV. von Schlegel August Wilhelm, geb. 8. September 1767 zu Hannover, t 12. Mai 1845 zu Bonn. Er studierte zu Göttingen Theologie und Philologie, lebte dann an verschiedenen Orten, beson­ ders in' Jena und als Sekretär der Frau von Stael in der Schweiz. In Wien hielt er 1803 „Vorlesungen über dramatische Kunst und Lit­ teratur", übersetzte von 1797 bis 1810 eine Anzahl Dramen von Shakespeare und ging 1818 als Professor an die neugegründete Uni­ versität Bonn, wo er'bis zu seinem Tode thätig geblieben ist. Schleiermacher Friedrich Ernst, geb. 21. November 1768 zu Breslau, t 12. Februar 1834 zu Berlin' Er wirkte in Berlin seit Gründung der Berliner Universität als Professor der Theologie und Universitütsprediger. Seine sämtlichen Werke umfassen 33 Bände. Schupp Johann Balthasar, geb. 1. März 1610 zu Gießen, f 26. Oktober 1661 zu Hamburg. Er war Pfarrer in Braubach am Rhein, hielt die Friedenspredigt in Münster 1648 und ward dann als Prediger nach Hamburg berufen. Vielgereist, war er einer der wenigen frischen und volkstümlichen Schriftsteller jenes Zeitalters. Springer Anton, geb. 13. Juli 1825 zu Prag, t 31. Mai 1891 zu Leipzig. Er wirkte als Universitätsprofessor in Bonn, Straß­ burg und seit 1873 in Leipzig) besonders bekannt sind seine Bilder aus der neueren Kunstgeschichte und seine Biographien von Raffael und Michelangelo. Hessel, Musterprosa. IV.

14

210 [IV]

Lebensabriß der Schriftsteller.

Nachweis der Quellen.

Tschudi Ägidius, geb. 1505 zu Kirchmatt bei Glarus, f 28. Februar 1572 zu Glarus. Er ist der Vater der schweizerischen Ge­ schichtschreibung- seine helvetische Chronik erschien erst nach seinem Tode. Vilmar August Friedrich Christian, geb. 21. November 1800 zu Solz in Kllrhessen, f 30. Juli 1868 zu Marburg. Er war Pro­ fessor der Theologie in Marburg, hat sich jedoch am meisten durch seine Geschichte der deutschen Nationallitteratur bekannt gemacht.

Nachweis der Quellen. Arndt: Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann, Som­ mer 1812, in den Schriften für u. an s. lieben Deutschen, Leipzig, Weidmann, 1845, 1. Teil (Nr. 1)- Geist der Zeit, 3. Teil, London, Boosey, 1813, S. 439 (Nr. 2); Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze, in den Schriften an und für seine lieben Deutschen, 2. Teil, S. 45 (Nr. 3). Bismarck: Bismarckbriefe 1844—1870. Bielefeld und Leipzig, Velhagen u. Klasing, 2. Aufl., 1877. Brentano: Märchen, herausg. von Guido Görres, 2. Aufl., Stutt­ gart, Cotta, 1879, Bd. 1, S. 3 (gekürzt). Curtius: Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten des General­ feldmarschalls Grafen Helmut vml Moltke. Berlin, Mittler, 1892, Bd. 5, S. 314. Goethe Elisabeth: Frau Rath. Briefwechsel von Katharina Elisabeth Goethe. Nach den Originalen mitgeteilt von Robert Keil. Leipzig, Brockhaus, 1871, S. 254 (7i), 3*28 (7v),185 (7vi). — Briefe von Goethes Mutter. Neu herausg. von Stein. Leipzig, Neelam, o.J., S. 155, 284 (7n), 142, 144 (7m), 161 (7iv). Goethe: Bernays, Der junge Goethe, Leipzig, Hirzel, 1875, 3. Teil, S. 237, 290, 359 (Nr. 8). — Werke in 6 Bden., Stuttgart, Cotta, 1860, Bd. 3, S. 533 (Nr. 9). — Goethes Briefe an Frau von Stein. In 4 Bänden, mit Einleitung von Heinemann. Stuttgart, Cotta, o. I., Bd. 1, S. 160, 179, 189. Grimm: Kinder- und Hausmärchen, grotze Ausg., 18. Aufl., Berlin, Hertz, 1882, Vorrede (Nr. 11, gekürzt) - Deutsche Sagen, Berlin, Nicolai, 1816, Vorrede (Nr. 12, gekürzt) - Jakob Grimm, kleinere Schriften, Berlin, Dümmler, 1864, Bd. 1, S. 376, aus einer Rede auf Schiller, gehalten zu Berlin am 10. November 1859 in der feierlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften (Nr. 13). Häusser: Geschichte des Zeitalters der Reformation, herausg. von Oncken, Berlin, Weidmann, 1868, S. 852 (gekürzt). Heine: Werke, herausg. von Elster, Leipzig, Bibliographisches Institut, o. I., Bd. 3, S. 237, 438. Unbedeutend gekürzt. Herder: Werke, herausg. von Wollheim da Fonseca, Berlin, Hempel, o.J., Nr. 17 aus der Schrift von deutscher Art und Kunst (1773) und zwar aus dem Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker a. a. O. Bd. 5, S. 349 und 367 - das

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Lebensabriß der Schriftsteller.

Nachweis der Quellen.

Tschudi Ägidius, geb. 1505 zu Kirchmatt bei Glarus, f 28. Februar 1572 zu Glarus. Er ist der Vater der schweizerischen Ge­ schichtschreibung- seine helvetische Chronik erschien erst nach seinem Tode. Vilmar August Friedrich Christian, geb. 21. November 1800 zu Solz in Kllrhessen, f 30. Juli 1868 zu Marburg. Er war Pro­ fessor der Theologie in Marburg, hat sich jedoch am meisten durch seine Geschichte der deutschen Nationallitteratur bekannt gemacht.

Nachweis der Quellen. Arndt: Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann, Som­ mer 1812, in den Schriften für u. an s. lieben Deutschen, Leipzig, Weidmann, 1845, 1. Teil (Nr. 1)- Geist der Zeit, 3. Teil, London, Boosey, 1813, S. 439 (Nr. 2); Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze, in den Schriften an und für seine lieben Deutschen, 2. Teil, S. 45 (Nr. 3). Bismarck: Bismarckbriefe 1844—1870. Bielefeld und Leipzig, Velhagen u. Klasing, 2. Aufl., 1877. Brentano: Märchen, herausg. von Guido Görres, 2. Aufl., Stutt­ gart, Cotta, 1879, Bd. 1, S. 3 (gekürzt). Curtius: Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten des General­ feldmarschalls Grafen Helmut vml Moltke. Berlin, Mittler, 1892, Bd. 5, S. 314. Goethe Elisabeth: Frau Rath. Briefwechsel von Katharina Elisabeth Goethe. Nach den Originalen mitgeteilt von Robert Keil. Leipzig, Brockhaus, 1871, S. 254 (7i), 3*28 (7v),185 (7vi). — Briefe von Goethes Mutter. Neu herausg. von Stein. Leipzig, Neelam, o.J., S. 155, 284 (7n), 142, 144 (7m), 161 (7iv). Goethe: Bernays, Der junge Goethe, Leipzig, Hirzel, 1875, 3. Teil, S. 237, 290, 359 (Nr. 8). — Werke in 6 Bden., Stuttgart, Cotta, 1860, Bd. 3, S. 533 (Nr. 9). — Goethes Briefe an Frau von Stein. In 4 Bänden, mit Einleitung von Heinemann. Stuttgart, Cotta, o. I., Bd. 1, S. 160, 179, 189. Grimm: Kinder- und Hausmärchen, grotze Ausg., 18. Aufl., Berlin, Hertz, 1882, Vorrede (Nr. 11, gekürzt) - Deutsche Sagen, Berlin, Nicolai, 1816, Vorrede (Nr. 12, gekürzt) - Jakob Grimm, kleinere Schriften, Berlin, Dümmler, 1864, Bd. 1, S. 376, aus einer Rede auf Schiller, gehalten zu Berlin am 10. November 1859 in der feierlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften (Nr. 13). Häusser: Geschichte des Zeitalters der Reformation, herausg. von Oncken, Berlin, Weidmann, 1868, S. 852 (gekürzt). Heine: Werke, herausg. von Elster, Leipzig, Bibliographisches Institut, o. I., Bd. 3, S. 237, 438. Unbedeutend gekürzt. Herder: Werke, herausg. von Wollheim da Fonseca, Berlin, Hempel, o.J., Nr. 17 aus der Schrift von deutscher Art und Kunst (1773) und zwar aus dem Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker a. a. O. Bd. 5, S. 349 und 367 - das

Nachweis der Quellen.

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Totenlied selbst steht Bd. 5, S. 26- Nr. 17m aus der Vorrede zu &cn Stimmen der Völker in Liedern, Bd. 5, S. 5. A. von Humboldt: Ansichten der Natur, Stuttgart, Cotta, 1826. Nr. 18i Bd. 1, S. 29, aus dem Aussatz: Steppen und WüstenNr. 18n ist aus dem Aufsatz über die Wasserfälle des Orinoko beides gekürzt. W. von Humboldt: Briefwechsel zwischen Schiller und..W. v. Hum­ boldt, Stuttgart, Cotta, o. I. S. 25 (gekürzt). — Über Göthes Hermann und Dorothea. Gesammelte Werke, 4. Bd., Berlin, Rei­ mer, 1843, 13 und 95; Briefe an eine Freundin, Ausg. in einen: Band, Leipzig, Brockhaus, 1860, S. 465 urid 142. Jäger: Geschichte der Griechen, Gütersloh, Bertelsmann, 1866, S. 287 (gekürzt). Jahn: Deutsche Turnkunst von Jahn und Eiselen, Berlin, ans Kosten der Herausgeber, 1816; S. XXII und XLI. (Nr. 23). - Nr. 24 und 25 aus Jahns Werken, herausg. von Euler, Hof, Lion, 1887, Bd. 2, S. 990, zuerst gedruckt im „Turner", 1846, S. 293, und Bd. 2, 2. Abteilung. König W i lhelm: Der Brief ist nbgedruckt aus Hahn, Kaiser Wil­ helms Gedenkbuch, 2. Aust., Berlin, Hertz, S. 229. Leibnitz: Deutsche Schriften, herausg. von Guhrauer, Berlin, Veit & Comp., 1838, Bd. 1, S. 449—473, mit vielen Auslassungen; aus dem Aufsatz: Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Aus­ übung und Verbesserung der deutschen Sprache. Lessing: Werke, Leipzig, Reclam, o. I., Bd. 1, 86 (28); Bd. 5, 173 (29); Werke, Berlin, Hempel, o. I., Bd. 6, S. 99 (30). Die Verse aus Homer sind der Übersetzung von Voß entlehnt. — Reclam, Bd. 4, 146 (31). Luther: Sämtliche Werke, Erlanger Ausgabe, 65 Bände deutsche Schriften, herausg. von Jrmischer, Erlangen, Heyder, 1826—1855. Nr. 32 aus 'dem Sendbrief vom Dolmetschen (1530), Bd. 65, S. 102. — Nr. 33 aus der Vorrede auf den Psalter (1531) Bd. 63, S. 30. — Nr. 34 aus der Hauspostille, Bd. 5, S. 89. Moltke: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei, aus den Jahren 1835—1839. Berlin, 2. Aust., Mittler u. Sohn, 1876 S. 65 (Nr. 35). — Zu Nr. 36—39 vgl. bei Curtius. Reuter: Ut de Franzosentied; Olle Kamellen. 3. Aust. Wismar,Hinstorff, 1862, S. 54. Riehl: Die Familie, 6. Abdruck, Stuttgart, Cotta, 1862, Buch 2, Ka­ pitel 4 (Nr. 41); Wanderbuch, Stuttgart, Cotta, 1869, S. 341 (Nr. 42 mit einigen von: Verfasser für den Abdruck in der Muster­ prosa persönlich angegebenen Kürzungen). Schiller: Werke, herausg. von Maltzahn, Berlin, Hempel, o. I. — Nr. 43 aus der Rezension von Bürgers Gedichten, Bd. 14, S. 532. — Briefwechsel zwischen Schiller und Göthe, 2. Ausg., Stutt­ gart, Cotta, 1862, Bd. 1, Nr. 7,9,347 und 374. - Schillers Brief­ wechsel mit Körner, 2. Aufl. Leipzig, Veit, 1874. 2. Teil, S. 195, 233, 275, 418; 1. Teil, S. 280. — Schiller und Lotte, herausg. von Fielitz, Stuttgart, Cotta, 1879, Bd. 2, S. 231. A. W. Schlegel: Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur, Heidelberg, Mohr und Zimmer, 1809—1811, Bd. 1, S. 185; Bd. 2, S. 199.

212 [IV]

Nachweis der Quellen. Register I.

Schleiermacher: Sämtliche Werke, Berlin, Reimer, 1846—1864. — Nr. 48: Predigten, Bd. 4, S. 63. — Nr. 49: ebend. Bd. 1, 231; 360; 394. Schupp: Nr. 69 aus dem „deutschen Lehrmeister, ein Diseurs von Erlernung und Fortpflanzung der freien Künste und Wissenschaften in deutscher Sprache. Gehalten mit dem edlen Daphnis aus Cimbrien" [d. h. mit dem Dichter Johann Rist aus Königsberg]; abgedruckt aus Wackernagels Proben der deutschen Prosa seit dem Jahre 1500, Basel, Schweighauser, 3. Ausg. 1876, Bd. 1, S. 764. Springer: Raffael und Michelangelo, Leipzig, Seemann, 1878, S. 271. Tschudi: Chronicon Helveticum, herausg. von Jselin, Basel, bei Hanff Jacob Bischoff, 1734, Teil 1, S? 235; erwas gekürzt und der jetzigen Schriftsprache gemäff sprachlich geändert. Vilmar: Handbüchlein für Freunde des deutschen Volksliedes, 2.Aufl., Marbilrg, Koch, 1868, S. 1. Anhang: Nr. 54 aus einem Aufsatz (Reiseskizzcn aus Griechenland) von K. H. im Wetzlarer Gymnasialprogramm für 1874; für den Abdruck in der Musterprosa etwas geändert. — Nr. 55 nach einem Aufsatz „Der Kölner Dom als Klmstwerk gewürdigt" von K. H., in der Zeitschrift für weibliche Bildung, Leipzig, Teubner, 1881, S. 533, frei bearbeitet. — Nr. 56 aus Musterprosa, 1. Aufl., III, S. 53. — Nr. 57 aus der Schulpraxis, von K. H.

Register I. Zusammenstellung gleichartiger Prosastiicke. (Die Zahlen beziehen sich auf die Nummern der Lesestücke).

A. Nach dem Inhalt.

I. Vaterland und Fremde. 1. Deutsche Sprache. 32 Luther, Aus dem Sendbrief vom Dolmetschen. — 50 Schupp, Sprachreinigung im Deutschen. — 27 Leibnitz, Über Verbesserung der deutschen Sprache. — 23 Jahn, Die deutsche Sprache. — 7n Eli­ sabeth Goethe, Über lateinische Lettern.

2. Deutsches Land und Volk. 1, 3 Arndt, Bon Freiheit und Vaterland; Der Rhein, Deutsch­ lands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze. — 55 Der Kölner Dom. — 10 Goethe, Briefe aus der Schweiz an Frau von Stein. — 15 Heine, Tirol. — 38 Moltke, Das Wildbad Gastein.

3. Deutsche Sage, Geschichte und Kulturgeschichte. 25 Jahn, Die Raben des Asenberges. — 52 Tschudi, Wihelm Tell. — 2,3 Arndt, Am Vorabend des Befreiungskrieges; Der

212 [IV]

Nachweis der Quellen. Register I.

Schleiermacher: Sämtliche Werke, Berlin, Reimer, 1846—1864. — Nr. 48: Predigten, Bd. 4, S. 63. — Nr. 49: ebend. Bd. 1, 231; 360; 394. Schupp: Nr. 69 aus dem „deutschen Lehrmeister, ein Diseurs von Erlernung und Fortpflanzung der freien Künste und Wissenschaften in deutscher Sprache. Gehalten mit dem edlen Daphnis aus Cimbrien" [d. h. mit dem Dichter Johann Rist aus Königsberg]; abgedruckt aus Wackernagels Proben der deutschen Prosa seit dem Jahre 1500, Basel, Schweighauser, 3. Ausg. 1876, Bd. 1, S. 764. Springer: Raffael und Michelangelo, Leipzig, Seemann, 1878, S. 271. Tschudi: Chronicon Helveticum, herausg. von Jselin, Basel, bei Hanff Jacob Bischoff, 1734, Teil 1, S? 235; erwas gekürzt und der jetzigen Schriftsprache gemäff sprachlich geändert. Vilmar: Handbüchlein für Freunde des deutschen Volksliedes, 2.Aufl., Marbilrg, Koch, 1868, S. 1. Anhang: Nr. 54 aus einem Aufsatz (Reiseskizzcn aus Griechenland) von K. H. im Wetzlarer Gymnasialprogramm für 1874; für den Abdruck in der Musterprosa etwas geändert. — Nr. 55 nach einem Aufsatz „Der Kölner Dom als Klmstwerk gewürdigt" von K. H., in der Zeitschrift für weibliche Bildung, Leipzig, Teubner, 1881, S. 533, frei bearbeitet. — Nr. 56 aus Musterprosa, 1. Aufl., III, S. 53. — Nr. 57 aus der Schulpraxis, von K. H.

Register I. Zusammenstellung gleichartiger Prosastiicke. (Die Zahlen beziehen sich auf die Nummern der Lesestücke).

A. Nach dem Inhalt.

I. Vaterland und Fremde. 1. Deutsche Sprache. 32 Luther, Aus dem Sendbrief vom Dolmetschen. — 50 Schupp, Sprachreinigung im Deutschen. — 27 Leibnitz, Über Verbesserung der deutschen Sprache. — 23 Jahn, Die deutsche Sprache. — 7n Eli­ sabeth Goethe, Über lateinische Lettern.

2. Deutsches Land und Volk. 1, 3 Arndt, Bon Freiheit und Vaterland; Der Rhein, Deutsch­ lands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze. — 55 Der Kölner Dom. — 10 Goethe, Briefe aus der Schweiz an Frau von Stein. — 15 Heine, Tirol. — 38 Moltke, Das Wildbad Gastein.

3. Deutsche Sage, Geschichte und Kulturgeschichte. 25 Jahn, Die Raben des Asenberges. — 52 Tschudi, Wihelm Tell. — 2,3 Arndt, Am Vorabend des Befreiungskrieges; Der

Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze. — 14 Häusser, Die Pfalzgrüfin Elisabeth Charlotte. — 4 Bisniarck, Se­ dan. — 26 Köni^ ^Wilhelm, Sedan. — 7 Elisabeth Goethe, Briefe. — 41 Rieht, Ludwig Richter. — Man dgl. auch Nr. 16 dieses Registers (Briefe). 4. Deutsche Freiheilskämpfe.

1, 2, 3 Arndt, Von Freiheit und Vaterland- Am Vorabend des Befreiungskrieges- Der Rhein, 'Deutschlands Strom, aber nicht Deutsch­ lands Grenze. — 40 Reuter, Niederdeutschland im Frühling 1813. — 49 Schleiermacher, Predigten. — 4 Bismarck, Sedan. — 26 König Wilhelm, Sedan. — 39 Moltke, Von der Belagerung vor Paris. 5. Charakterbilder deutscher Männer nnd Frauen.

Die Pfalzgrüfin Elisabeth Charlotte: 14.— Elisabeth Goethe: 7.— Goethe: 7, 10, 44, 45i. — Schiller: 19, 212. 44, 45, 46. — Königin Luise: 48. — Ludwig Richter: 41. — Haydn: 42. — Moltke: 6, 36. 6. Ferne Zeiten und Lande.

22 Jäger, Aufführung der Orestie des Äschylvs. — 47 Schle­ get, Die Antigone des Sophokles- Racines Esther und Athalie. — 16 Heine, London. — 37, 35 Moltke, Schloß Windsor- Reise nach Brussa und Nicäa. — 54 Die Akropolis von Athen. — 18 A. v. Hum­ boldt, Aus den Ansichten der Natur.

II. Dichtung und bildende Künste. 7. Didaktische Dichtung.

28, 29 Lessing, Einige Fabeln - Aus den Abhandlungen über die Fabel. 8. Epische Dichtung.

5 Brentano, Das Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf. — 11 Grimm, Das Märchen. —„12 Grimin, Die Sage.— 25 Jahn, Die Raben des Asenberges. — Über Goethes Hermann und Dorothea: 73; 20. — 9 Goethe, Novelle. — 8 Goethe, Aus Wer­ thers Leiden (Roman). 9. Lyrische Dichtung. Volksdichtung.

43 Schiller, Das Schaffen des Dichters. — 21x W. v. Hum­ boldt, Über das Lernen von Gedichten. — 30 Lessing, AusLaokoon. — 17 Herder, Aus den Stimmen der Völker. - 24 Jahn, Das Volkslied.— 53 Vilmar, Das deutsche Volkslied. — 8m Goethe, Des Barden Alpin Totenklage. 10. Dramatische Dichtung.

31 Lessing, Aus der Hamburgischen Dranmturgie. - Antikes Drama: 22, 47j. — Racine: 47n.— Goethes Dramen: 7n. — Schillers Dramen: 19- 44- 45- 52. 11. Bildende Künste und Musik.

54 Die Akropolis von Athen. — 30 Lessing, Aus Laokoon. — 55 Der Kölner Dom. — 51 Springer, Petri Fischzug von Raffael. — 56 Ruth. Beschreibung eines Bildes von Schnorr v. Carolsfeld. —

214 [IV]

Realster I.

41 Riehl, Ludwig Richter. — 17 Herder, Aus deu Stimmen der Völker. — 24 Jalni, Das Volkslied. — 53 Vilmar, Das deutsche Volkslied. — 42 Riehl, Rohrau (Haydll).

B. Nach der Form der Darstellung. 12. Beschreibung und Schilderung. 4 Bismarck, Sedan. — 26 König Wilhelm, Sedan. — 39 Moltke, Bon der Belagerung vor Paris. — 40 Reuter, Nieder­ deutschland im Frühling 1813. — 8i, 10 Goethe, Am Brunnen- Briefe aus der Schweiz. — 15, 16 Heine, Tirol- London. — 18 A. v. Humboldt, Aus den Ansichten der Natur. — 35, 37, 38, Moltke, Re se nach Brussa und Nicäa; Schloß Windsor- Das Wildbad Gastein. — 42 Riehl, Rohrau. — 54 Die Akropolis von Athen. — 55 Der Kölner Dom. — 51 Springer, Petri Fischzug von Raffael. — 56 Ruth. Beschreibung eines Bildes. 13. Novelle und Roman. 9 Goethe, Novelle. — 8Goethe, Aus Werthers Leiden (Roman). 14. Rede (Rhetorische Prosa). 34 Luther, Aus der Hauspostille. — 47 Schlegel, Aus den Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur. — 48, 49 Schleier­ macher, Aus den Predigten. — 13 Grimm, Aus der Rede auf Schiller. — 6 Curtius, Aus der Gedächtnisrede auf Moltke. 15. Abhandlung. 33 Luther, Aus der Vorrede auf den Psalter. — 29, 30, 31 Lessing, Aus den Abhandlungen über die Fabel- Aus Laokoon- Aus der Hamburgischen Dramaturgie. — 17 Herder, Aus den Stimmen der Völker. — 20 W. v. Humboldt, Über Goethes Hermann und Dorothea. — 47 Schlegel, Aus den Vorlesungen über Litteratur. — 1, 3 Arndt, Über Freiheit und Vaterland- Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze. — 11,12 Grimm, Das Mär­ chen- Die Sage. — 14 Häusser, Die Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte. — 57 Zu allem Großen ist der erste Schritt der Mut. 16. Briefe. 32 Luther, Aus dem Sendschreiben vom Dolmetschen. — 7 Eli­ sabeth Goethe, Briefe an ihren Sohn und die Seinen. — 10 Goethe, Briefe an Frau von Stein. — 44—46 Schiller, Briefe an GoetheAn Körner- An Lotte. — 21 W. v. Humboldt, Briefe an eine Freundin. — 4 Bismarck, An seine Gemahlin. — 26 König Wil­ helm, An seine Gemahlin. — 35—39 Moltke, Briefe. 17 Mundartliches. 40 Reuter, Niederdeutschland im Frühling 1813.

Register II. (Die Zahlen in Klammern sind die Seitenzahlen der vorigen Auflage.) 1. 2. 3. 4.

5. 6. 7. 8. 9. 10.

11. 12. 13.

14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.

23. 24. 25.

26.

Arndt: Seite Von Freiheit und Vaterland......................................... (7) 1 Am Vorabend des Befreiungskrieges............................ (8) 2 Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze............................................................................... (10) 4 Bismarck: Sedan. Brief an seine Gemahlin................................... (—) 6 Brentano: Das Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf (II1Z17) 8 Curtius: Aus der Gedächtnisrede auf den Generalfeldmarschall Grafen Moltke............................................................... (—) 21 Elisabeth Goethe: Briefe an ihren Sohn und die Seinen............................ (-) 23 Goethe: Aus Werthers Leiden......................................................... (26) 32 Novelle................................................................................. (-) 36 Briefe aus der Schweiz an Frau bon Stein.... (—) 58 Brüder Grimm: Das Märchen....................................................................... (34) 64 Die Sage.............................................................................(35) 65 Goethe und Schiller.............................................. (37) 67 Häusser: Die PfalzgräfinElisabethCharlotte..................................... (39) 69 Heine: Tirol...................................................................................... (-) 77 London........................................................................... ( —) 79 Herder: Aus denStimmen derVölker inLiedern..................... (48) 84 A. von Humboldt: Aus den Ansichten der Natur.................................... (53) 88 W. von Humboldt: Schillers Charakterbild................................................ (—) 94 Goethes Hermann und Dorothea................................. (59) 97 Aus den Briefen an eine Freundin............................. (63) 101 Jäger: Aufführung derOrestie des Äschylos im Dionysostheater zu Athen, 458 v. Chr. Geb....................................... (65) 103 Jahn: Die deutsche Sprache.................................................... (72) 108 Das Volkslied................................................................ (74) 111 Die Raben des Asenberges......................................... (—) 112 König Wilhelm von Preußen: Sedan. Brief an die Königin Augusta..................... (91) 113

216 [IV]

Register II. Seite

27. 28. 29. 30.

31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39.

40. 41. 42.

43. 44. 45. 46. 47. 48. 49.

50. 51.

52.

53. 54. 55. 56.

57.

Leibnitz: Über Verbesserung der deutschen Sprache........................ (100) 117 Lessing: Einige Fabeln.............................................................................. (103) 120 Aus den Abhandlungen über die Fabel....................... (-) 123 Aus Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie....................................................................................... (105) 125 Aus der hamburgischen Dramaturgie. . ....................... (-) 129 Luther: Aus dem Sendbrief vom Dolmetschen.................................(111) 131 Aus der Vorrede auf den Psalter..................................... (114) 132 Aus der Hauspostille.............................................................. (115) 134 Moltke: Reise nach Brussa und Nicäa......................................... (-) 135 Lebensregeln............................................................................ (—) 137 Schloß Windsor................................................................. (-) 139 Das Wildbad Gastein ..................................................... (-) 140 Von der Belagerung von Paris.................................... (—) 146 Reuter: Niederdeutschland im Frühling 1813................................ (127) 148 Riehl: Ludwig Richter, der Maler des deutschen Hauses. . . (132) 149 Rohrau. Ein Idyll.................................................................. (134) 151 Schiller: DasSchaffen des Dichters.................................................... (149) 160 Aus Schillers Briefen an Goethe.............................................(150) 161 Aus Schillers Briesen an Körner.................................. (—) 162 Aus einem Briefe Schillers an seine Braut................ (-) 167 Schlegel: Aus den Vorlesungen über dramatische Kunst u. Litteratur (152) 168 Schleiermacher: Königin Luise von Preußen..................................................(164) 171 Aus 'Schleiermachers Predigten........................................ (161) 172 Schupp: Sprachreinigung im Deutschen............................................. (165) 175 Springer: Petri Fischzug von Raffael................................................. (168) 177 Tschudi: Wilhelm Teil.......................................................................... (174) 179 Bilinar: Das deutsche Volkslied........................................................... (181) 186 Anhang: Die Akropolis von Athen..................................................... (187) 189 Der Kölner Dom...................................................................... (193) 195 Ruth. Beschreibung eines Bildes aus der Bilderbibel von Schnorr von Earolsfela....................................... (-) 201 Zu allem Großen ist der erste Schritt der Mut . . . (--) 204

UniversitätS Buchdruckerei von Carl Georgi in tionn.