Mustergedichte: Teil 4 Ein Lesebuch für die 2. und 1. Klasse höherer Mädchenschulen, nach den preußischen Bestimmungen vom 31. Mai 1894 [3. Aufl. Reprint 2020] 9783112359488, 9783112359471


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German Pages 260 [305] Year 1897

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Mustergedichte: Teil 4 Ein Lesebuch für die 2. und 1. Klasse höherer Mädchenschulen, nach den preußischen Bestimmungen vom 31. Mai 1894 [3. Aufl. Reprint 2020]
 9783112359488, 9783112359471

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Mnstergedichte. Z«m Sch«lgebra»ch

ausgewählt von

Karl Hessel.

IV. Teil. Gin Lesebuch für die 2. und 1. Masse höherer Mädchenschulen, nach de» preußischen Bestimmungen vom 31. Mai 1894.

Dritte Auflage.

------ ---------------Könn, Eduard Weber's Verlag

(Julius Flittner).

1897.

N-rbemerkmlg.

Nach den preußischen Bestimmungen vom 31. Mai 1894 empfiehlt sich für die Oberstufe höherer Mädchenschulen „eine Sammlung von mäßigem Umfange, welche außer dem Kanon

der auf der Mittel- und Oberstufe zu lernenden Gedichte eine kleine Auswahl des besten aus der lyrischen und epischen Poesie

des 18. und 19. Jahrhunderts und

aus der Spruchdichtung

Göthes, Schillers und Rückerts enthält".

Demgemäß sind in

diesem 4. Teile der Mustergedichte 25 Gedichte der Mittelstufe

wiederum zum Abdruck gelangt, die zusammen den von dem Herrn Minister geforderten Kanon darstellen- diese Gedichte

sind sämtlich mit einem Sternchen (*) bezeichnet, es find 3 von

Chamiffo, 1 von Claudius, 2 von Freiligrath, 1 von Geibel,

3 von Göthe, 1 von Hoffmann von Fallersleben, 1 von Kerner, 2 von Wilhelm Müller, 2 von Remick, 1 von Rückert, 1 von

Schwab, 7 von Uhland.

Lieder, die allgemein gesungen wer­

den, sind nicht neu abgedruckt, wie z>B. Heines Lorelei, nur bei Deutschland über alles ist eine Ausnahme gemacht worden. Bei Vergleichung mit der vorigen Auslage wird man

finden, daß die Spruchdichtung von Göthe und Rückert noch sorgfältiger ausgewählt und geordnet ist, daß Geibel und noch neuere Dichter in ihren trefflichsten und bezeichnendsten Leistungen

vertreten sind, dagegen manches allmählich doch allzusehr Ver­ altete entfernt ist. Die Absicht war, das Merbeste auSzusuchen, was nach meiner Überzeugung und Erfahrung für die

Jugend sich eignet und thatsächlich auch gern von ihr genoffen wird.

Koblenz, März 1897.

Dr. Karl Kessel.

Ernst Moritz Arndt (1769—1860). 1. Des Deutschen Vaterland (1813). 1.

„Was ist des Deutschen Vaterland?

Isis Preußenland, ists Schwabenland? Isis, wo am Rhein die Rebe blüht? Ists, wo am Belt die Möwe zieht?" —

„O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein." —

2.

„Was ist des Deutschen Vaterland?

Ists Baierland, ists Steierland?

Ists, wo des Marsen Rind sich streckt? Ists, wo der Märker Eisen reckt?" —

„O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein." — 3.

„Was ist des Deutschen Vaterland?

Ists Pommerland? Westfalenland?

Ists, wo der Sand der Dünen weht? Ists, wo die Donau brausend geht?" — „O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein." —

4.

„Was ist des Deutschen Vaterland?

So nenne mir das große -and! Ists Land der Schweizer? ists Tirol?" — „Das Land und Volk gefiel mir wohlDoch nein, nein, nein!

Sein Vaterland muß größer sein." —

5.

„Was ist des Deutschen Vaterland?

So nenne mir das große Land! Reffet, Mustergedichte. IV.

1

2 [IV]

Arndt.

Gewiß, es ist das Österreich,

An Ehren und an Siegen reich?" — „O nein, nein, nein! Sein Vaterland muß größer sein." — 6. „Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne endlich mir das Land!" — „So weit die deutsche Zunge klingt Und Gott im Himmel Lieder singt, Das soll es sein! Das, wackrer Deutscher, nenne dein! 7. Das ist des Deutschen Vaterland, Wo Eide schwört der Druck der Hand, Wo Treue hell vom Auge blitzt Und Liebe warm im Herzen sitzt — Das soll es sein! Das, wackrer Deutscher, nenne dein! 8. Das ganze Deutschland soll es sein! O Gott vom Himmel, sieh darein, Und gib uns rechten deutschen Mut, Daß wir es lieben treu und gut. Das soll es sein! Das ganze Deutschland soll es sein!"

2. Wer soll der Hüter sein? (1818). Auf den Tod Max von Schenkendorfs (f 11. Dez. 1817 zu Koblenz).

1. „Wer soll dein Hüter sein? Sprich, Vater Rhein! Mag dich der Schwerter Glanz, Mögen dich Wall und Schanz, Mag dich von Türmen Ein diamantner Kranz Hüten und schirmen?" — „Ach nein! durch Felsenburg Dringet die List hindurch, Solches schirmt nie genug Gegen den welschen Trug." —

2. „Wer soll dmn Hüter sein? Sprich, Vater Rhein!" — „Eins kann nur Hüter sein," So spricht der Vater Rhein, „Eins kann nur dauernLanzen und Schwerterschein, Felsen und Mauern, Wären sie noch so dicht, Sprenget der HöllenwichtBau diamantne Burg, Er dringet doch hindurch." —

3. „Was soll das eine sein? «Sprich, Vater Rhein!" — „Herz muß das eine sein!"

Spricht Vater Rhein — „Das wird es treffen, Herz, das kein Lügenschein Nimmer kann äffen. Auch ohne Schanz und Wall Brauset mein Wogenschwall Fröhlich in Freiheit hin, Wann ich des mächtig bin." — 4. „Soll das das eine sein?"—

5. „Wohl dir des Hüters dein! Dies soll es sein! Wohl dir! ein deutsches Herz, Tapfres und treues Herz, Köstliche Gabe, Senken wir hier in Schmerz

Nieder zum Grabe. Das sei dir Schild und Hort, Brausende Landespfort! Das soll ein Zeichen sein Ewig am freien Rhein! 6. Wohl dir des Hüters dein! „Ja, das allein! Er hat vom Rhein, Treues und deutsches Herz, Er hat vom deutschen Land, Tapfer in Ernst und Scherz, Er hat vom welschen Tand Mächtig gettungen, Das ist die Mauer, Daß Ehre auferstand, Treues und deutsches Herz Wo er gesungen. Bleibt auf die Dauer; Bei dir, wonach er rang, Brechet die Schwerter klein, Reißet die Wälle ein, Sang er den Schwanensang: Hier sollt er Zeichen sein, Schleifet die Felsenburg — Mit diesem fecht ichs durch!" — Hier sollt er Hüter sein. 7. Wohl dir des Hüters dein! Jauchze nun, Rhein! Brause in Wonne fort, Heilige Landespfort! Klinge in Freuden, Klinge des Sängers Wort Künftigen Zeiten! Und in dem grünen Glanz Liege sein Grab als Schanz! Liege als Ehrenwall Bor deiner Wogen Schwall!"

4 [IV]

Arndt.

3. Los des Schönen (1802). 1. Die Rose blühet auf Dornen, Die Nachtigall singet im Leide, Was hoffest du irdische Freude,

Wo nirgends das Schöne besteht?

Die Blüten verwelkten und starben, Dann klangen die Sicheln für Garben, Doch manche der lieblichsten Blüten

Hat fruchtlos der Winter verweht. 2. Hier steh ich, pflücke mir Blumen, Der Liebsten den Hügel zu schmücken*). Ich hoffte, in Freuden zu pflücken,

Was brachte der lustige Mai. Nun lieget mir still und begraben

Die schönste der irdischen Gaben, Drum pflück ich die Blumen mit Thränen,

Die brachte der lustige Mai. 3. Klingt stiller, zärtliche Saiten, Klingt still um die schlummernde Schöne! Sie kannte den Wohllaut der Töne,

Der Seelen melodischen Klang. Haucht, Blumen, die lieblichsten Düfte!

Die schläft in dem Schweigen der Gn'iste,

Ging, Veilchen zu pflücken und Rosen,

Oft spielend die Auen entlang.

4. Grablied (1818). 1. Geht nun hin, und grabt mein Grab! Denn ich bin des Wanderns müde,

Bon der Erde scheid ich ab,

Denn mir ruft des Himmels Friede, Denn mir ruft die süße Ruh Bon den Engeln droben zu.

*) Arndts Gattin starb im Jahre 1801. Er vermählte sich 1817 zum zweiten Male mit einer Schwester Schleiermachers.

2. Geht nun hin, und grabt mein Grab! Meinen Lauf hab ich vollendet,

Lege nun den Wanderstab Hin, wo alles Irdische endet,

Lege selbst mich nun hinein In das Bette sonder Pein. 3. Was soll ich hienieden noch In dem dunkeln Thale machen?

Denn wie mächtig, stolz und hoch Wir auch stellen unsre Sachen,

Muß es doch wie Sand zergehn,

Wann die Winde drüber wehn. 4. Darum, Erde, fahre wohl, Laß mich nun in Frieden scheiden! Deine Hoffnung, ach! ist hohl,

Deine Freuden sind nur Leiden,

Deine Schönheit Unbestand: Eitel Wahn und Trug und Tand. 5. Darum letzte gute Nacht, Sonn und Mond und liebe Sterne! Fahret wohl mit eurer Pracht!

Denn ich reis in weite Ferne, Reise hin zu jenem Glanz, Worin ihr erbleichet ganz. 6. Weinet nicht, daß nun ich will

Von der Welt den Abschied nehmen,

Daß ich aus dem Jrrland will, Aus den Schatten, aus den Schemen,

Aus dem Eitlen, aus dem Nichts

Hin ins Land des ewgen Lichts. 7. Weint nicht! mein Erlöser lebt/ Hoch vom finstern Erdenstaube

Hell empor die Hoffnung schwebt,

Und der Himmelsheld, der Glaube, Und die ewige Liebe spricht: Kind des Vaters, zittre nicht!

Chamiffo.

« [IV]

Adelbert von Chamiffo (1781—1838). *5. Das Riesenspielzeug. 1. Burg Niedeck ist im Elsaß

der Sage wohlbekannt,

die Burg der Riesen stand/

Die Höhe, wo vor Zeiten

Sie selbst ist nun verfallen,

die Stätte wüst und leer: du findest sie nicht mehr.

Du fragest nach den Riesen?

2. Einst kam das Riesenfräulein

aus. jener Burg hervor.

Erging sich sonder Wartung

und spielend vor dem Thor

Und stieg hinab den Abhang

bis in das Thal hinein,

Neugierig, zu erkunden, wies unten möchte sein. 3. Mit wm'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald, Erreichte gegen Haslach

das Land der Menschen bald, und das bestellte Feld

Und Städte dort und Dörfer

gar eine fremde Welt. 4. Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut,

Erschienen ihren Augen

Bemerkt sie einen Bauer,

der seinen Acker baut/

Es kriecht das kleine Wesen

einher so sonderbar,

Es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar. 5. „Ei, artig Spielding!" ruft sie, „das nehm ich mit nach

Haus!"

behend ihr Tüchlein aus

Sie knieet nieder, spreitet Und feget mit den Händen,

waS da sich alles regt,

Zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammen schlägt, 6. Und eilt mit freudgen Sprüngen — man weiß,

wie

Kinder sind — den Vater auf geschwind:

Zur Burg hinan und suchet

„Ei, Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön! So allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höhn."

7. Der Alte saß am Tische Er schaut sie an behaglich,

und trank den kühlen Wein,

er fragt das Töchterlein:

„Was Zappeliges bringst du

in deinem Tuch herbei?

Du hüpfest ja vor Freuden: laß sehen, was es feil" 8. Sie spreitet aus das Tüchlein und sängt behutsam an. Den Bauer aufzustellen,

den Pflug und das Gespann/

sie zierlich aufgebaut,

Wie alles aus dem Tische

So klatscht sie in die Hände

und springt und jubelt laut. und wiegt sein Haupt und

9. Der Alte wird gar ernsthaft

spricht: Das ist kein Spielzeug nicht!

„Was hast du angerichtet?

Wo du es hergenommm,

da trag es wieder hin!

Der Bauer ist kein Spielzeug: was kommt dir in den Sinn? 10. Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot! Denn wäre nicht der Bauer,

so hättest du kein Brot:

Es sprießt der Stamm der Riesen

aus Bauernmark hervor.

Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor!" — 11. Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt, Dje Höhe, wo vor Zeiten

Sie selbst ist nun verfallen,

die Burg der Riesen stand; die Stätte wüst und leer:

Und fragst du nach den Riesen,

du findest sie nicht mehr.

*6. Des Schloß Boncourt (1827). 1. Ich träum als Kind mich zurücke Und schüttle mein greises Haupt;

Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder,

Die lang ich vergessen geglaubt?

2. Hoch ragt aus schattgen Gehegen Ein schimmerndes Schloß hervor, Ich kenne die Türme, die Zinnen, Die steinerne Brücke, das Thor. 3. Es schauen vom Wappenschilde Die Löwen so traulich mich an, Ich grüße die alten Bekannten

Und eile den Burghof hinan.

4. Dort liegt die Sphinx am Brunnen, Dort grünt der Feigenbaum, Dort, hinter diesen Fenstern, Verträumt ich den ersten Traum.

5. Ich tret in die Burgkapelle

Und suche des Ahnherrn Grab,

Chamifso.

8 [IV]

Dort ists, dort hängt vom Pfeiler Das alte Gewaffen herab.

6. Noch lesen, umflort, die Augen Die Züge der Inschrift nicht, Wie hell durch die bunten Scheiben Das Licht darüber auch bricht.

7. So stehst du, o Schloß meiner Väter, Mr treu und fest in dem Sinn

Und bist von der Erde verschwunden/

Der Pflug geht über dich hin.

8.

Sei fruchtbar, o teurer Boden!

Ich segne dich mild und gerührt

Und segn ihn zwiefach, wer immer

Den Pflug nun über dich führt.

9. Ich aber will auf mich raffen, Mein Saitenspiel in der Hand, Die Weiten der Erde durchschweifen

Und singen von Land zu Land.

*7. Die alte Waschfrau (1833). 1. Du siehst geschäftig bei dem Linnen Die Alte dort in weißem Haar,

Die rüstigste der Wäscherinnen

Im sechsundsiebenzigsten Jahr. So hat sie stets mit saurem Schweiß Ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen Und ausgefüllt mit treuem Fleiß Den Kreis, den Gott ihr zugemesien. 2. Sie hat in ihren jungen Tagen Geliebt, gehofft und sich vermählt/ Sie hat des Weibes LoS getragen,

Die Sorgen haben nicht gefehlt/ Sie hat den kranken Mann gepflegt/

Sie hat drei Kinder ihm geboren/

Sie hat ihn in das Grab gelegt

Und Glaub und Hoffnung nicht verloren.

3. Da galts, die Kinder zu ernähren,Sie griff es an mit heiterm Mut,

Sie zog sie auf in Zucht und Ehren; Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut. Zu suchen ihren Unterhalt,

Entließ sie segnend ihre Lieben,

So stand sie nun allein und alt, Ihr war ihr heitrer Mut geblieben.

4. Sie hat gespart und hat gesonnen Und Flachs gekauft und nachts gewacht,

Den Flachs zu feinem Garn gesponnen, Das Garn dem Weber hingebracht,Der hats gewebt zu Leinewand,Die Schere brauchte sie, die Nadel, Und nähte sich mit eigner Hand Ihr Sterbehemde sonder Tadel.

5. Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es, Berwahrts im Schrein am Ehrenplatz;

Es ist ihr Erstes und ihr Letztes, Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.

Sie legt es an, des Herren Wort

Am Sonntag früh sich einzuprägen; Dann legt sies wohlgefällig fort, Bis sie darin zur Ruh sie legen. 6. Und ich, an meinem Abend, wollte, Ich hätte, diesem Weibe gleich,

Erfüllt, was ich erfüllen sollte In meinen Grenzen und Bereich; Ich wollt, ich hätte so gewußt

Am Kelch des Lebens mich zu laben Und könnt am Ende gleiche Lust

An meinem Sterbehemde haben.

10 [IV]

Chamiffo.

8. Frisch gesungen. 1.

Hab oft im Kreise der Lieben

Und mir ein Liedlein gesungen, Hab einsam auch mich gehärmet

Und habe wieder gesungen,

2.

in duftigem Grase geruht

und alles war hübsch und gut. in bangem, düsterem Mut

und alles war wieder gut.

Und manches, was ich erfahren,

Und kam ich wieder zu singen,

verkocht ich in stiller Wut,

war alles auch wieder gut.

Sollst nicht uns lange klagen, was alles dir wehe thut,

Nur frisch, nur frisch gesungen!

und alles wird wieder gut.

9. Die Kreuzschau. 1. Der Pilger, der die Höhen überstiegen, Sah jenseits schon das ausgespannte Thal

In Abendglut vor seinen Füßen liegen. 2. Auf duftges Gras, im milden Sonnenstrahl Streckt' er ermattet sich zur Ruhe nieder,

Indem er seinem Schöpfer sich befahl. 3. Ihm fielen zu die matten Augenlider, Doch seinen wachen Geist enthob ein Traum Der irdschen Hülle seiner trägen Glieder.

' 4. Der Schild der Sonne ward im Himmelsraum Zu Gottes Angesicht, das Firmament

Zu seinem Kleid, das Land zu dessen Saum.

5. „Du wirst dem, dessen Herz dich Vater nennt, Nicht, Herr, im Zorn entziehen deinen Frieden,

Wenn seine Schwächen er vor dir bekennt.

6. Daß, wen ein Weib gebar, sein Kreuz hienieden Auch duldend tragen muß, ich weiß es lange,-

Doch sind der Menschen Last und Leid verschieden. 7. Mein Kreuz ist allzu schwer- sieh, ich verlange Die Last nur angemessen meiner KraftIch unterliege, Herr, zu hartem Zwange."

8.

Wie er so sprach zum Höchsten kinderhaft,

Kam brausend her der Sturm, und es geschah, Daß aufwärts er sich fühlte hingerafft.

9.

Und wie er Boden faßte, fand er da

Sich einsam in der Mitte räumger Hallen,

Wo ringsum sonder Zahl er Kreuze sah. 10. Und eine Stimme hört' er dröhnend hallen:

„Hier aufgespeichert ist das Leid,- du hast Zu wählen unter diesen Kreuzen allen!"

11. Versuchend ging er da, unschlüssig fast,

Bon einem Kreuz zum anderen umher, Sich auszuprüfen die bequemte Last. 12. Dies Kreuz war ihm zu groß und das zu schwer,

So schwer und groß war jenes andre nicht, Doch scharf von Kanten drückt' es desto mehr.

13. Das dort, das warf wie Gold ein gleißend Licht, Das lockt' ihn, unversucht es nicht zu taffen;

Dem goldnen Glanz entsprach auch das Gewicht. 14. Er mochte dieses heben, jenes fassen, Zu keinem neigte noch sich seine Wahl,

Es wollte keines, keines für ihn passen. 15. Durchmustert hatt er schon die ganze Zahl —

Verlorne Müh! vergebens wars geschehen! Durchmustern mußt er sie zum andernmal.

16. Und nun gewahrt' er, früher übersehen,

Ein Kreuz, das leidlicher ihm schien zu sein,

Und bei dem einen blieb er endlich stehen. 17. Ein schlichtes Marterholz, nicht leicht, allein Ihm Paßlich und gerecht nach Kraft und Maß:

„Herr," rief er, „so du willst, dies Kreuz sei mein!" 18. Und wie ers prüfend mit den Augen maß —

Es war dasselbe, das er sonst getragen,

Wogegen er zu murren sich vermaß. Er lud es auf und trugs nun sonder Klagen.

12 [IV]

Claudius.

Matthias Claudius (1740—1815). *10. Abendlied. 1. Der Mond ist aufgegangen,

Die goldnen Sternlein prangen Am Himmel hell und klar,'

Der Wald steht schwarz und schweiget, Und aus den Wiesen steiget

Der weiße Nebel wunderbar.

2. Wie ist die Welt so stille

Und in der Dämmrung Hülle So traulich und so hold! Als eine stille Kammer,

Wo ihr des Tages Jammer Verschlafen und vergessen sollt.

3. Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen

Und ist doch rund und schön! So sind wohl manche Sachen, Die wir getrost belachen, Weil unsre Augen sie nicht sehn.

4. Wir stolze Menschenkinder Sind eitel arme Sünder

Und wissen gar nicht viel; Wir spinnen Luftgespinste Und suchen viele Künste Und kommen weiter von dem Ziel. 5. Gott, laß uns dein Heil schauen, Auf nichts Bergänglichs trauen, Nicht Eitelkeit uns freun!

Laß uns einfältig werden Und vor dir hier auf Erden Wie Kinder fromm und fröhlich sein! 6. Wollst endlich sonder Grämen

Aus dieser Welt uns nehmen

Durch einen sanften Tod!

Und wenn du uns genommen, Laß uns in Himmel kommen, Du unser Herr und unser Gott! 7. So legt euch denn, ihr Brüder, In Gottes Namen nieder-

Kalt ist der Abendhauch.

Verschon uns, Gott! mit Strafen,

Und laß uns ruhig schlafen Und unsern kranken Nachbar auch!

11.

Bei dem Grabe meines Vaters.

1. Friede sei um diesen Grabstein her, Sanfter Friede Gottes!

Ach, sie haben

Einen guten Mann begraben,

Und mir war er mehr,2. Träufte mir von Segen, dieser Mann, Wie ein milder Stern aus bessern Welten,-

Und ich kanns ihm nicht vergelten, Was er mir gethan. 3. Er entschlief, sie gruben ihn hier ein. Leiser, süßer Trost, von Gott gegeben,

Und ein Ahnen von dem ewgen Leben Düst um sein Gebein,

4. Bis ihn Jesus Christus, groß und hehr. Freundlich wird erwecken! — Ach, sie haben Einen guten Mann begraben,

Und mir war er mehr.

12.

Drr'Tod.

Ach, es ist so dunkel in des Todes Kammer, Tönt so traurig, wenn er sich bewegt Und nun aufhebt seinen schweren Hammer Und die Stunde schlägt.

14 [IV]

Claudius. Dach. 13. Die Liebe.

Die Liebe hemmet nichts; sie kennt nicht Thür noch Riegel

Und dringt durch alles sich,Sie ist ohn Anbeginn, schlug ewig ihre Flügel

Und schlägt sie ewiglich.

14. Wohtthaten. Wohlthaten, still und rein gegeben,

Sind Tote, die im Grabe leben, Sind Blumen, die tut Sturm bestehn,

Sind Sternlein, die nicht untergehn.

Simo» Dach (1608—1659).

15. 1.

Lied der Freundschaft.

Der Mensch hat nichts so eigen, so wohl steht ihm nichts an. und Freundschaft halten kann,

Als daß er Treu erzeigen

Wann er mit seines gleichen

soll treten in ein Band,

mit Herzen, Mund und Hand.

Verspricht sich, nicht zu weichen,

2.

damit wir nicht allein

Die Red ist uns gegeben,

und fern von Leuten fein: Wir sollen uns beftagen und sehn auf guten Rat, Das Leid einander klagen, so uns betreten hat.

Für uns nur sollen leben

3.

Was kann die Freude machen,

die Einsamkeit verhehlt?

Das gibt ein doppelt Lachen,

was Freunden wird erzählt.

Der kann sein Leid vergessen,

der es von Herzen sagt:

Der muß sich selbst auffrefsen,

der in geheim sich nagt.

4.

Gott stehet mir vor allen,

Dann soll mir auch gefallen, Mit diesen Bundsgesellm

die meine Seele liebt,-

der mir sich herzlich gibt

verlach ich Pein und Not,

Geh auf den Grund der Höllen

und breche durch den Tod.

14 [IV]

Claudius. Dach. 13. Die Liebe.

Die Liebe hemmet nichts; sie kennt nicht Thür noch Riegel

Und dringt durch alles sich,Sie ist ohn Anbeginn, schlug ewig ihre Flügel

Und schlägt sie ewiglich.

14. Wohtthaten. Wohlthaten, still und rein gegeben,

Sind Tote, die im Grabe leben, Sind Blumen, die tut Sturm bestehn,

Sind Sternlein, die nicht untergehn.

Simo» Dach (1608—1659).

15. 1.

Lied der Freundschaft.

Der Mensch hat nichts so eigen, so wohl steht ihm nichts an. und Freundschaft halten kann,

Als daß er Treu erzeigen

Wann er mit seines gleichen

soll treten in ein Band,

mit Herzen, Mund und Hand.

Verspricht sich, nicht zu weichen,

2.

damit wir nicht allein

Die Red ist uns gegeben,

und fern von Leuten fein: Wir sollen uns beftagen und sehn auf guten Rat, Das Leid einander klagen, so uns betreten hat.

Für uns nur sollen leben

3.

Was kann die Freude machen,

die Einsamkeit verhehlt?

Das gibt ein doppelt Lachen,

was Freunden wird erzählt.

Der kann sein Leid vergessen,

der es von Herzen sagt:

Der muß sich selbst auffrefsen,

der in geheim sich nagt.

4.

Gott stehet mir vor allen,

Dann soll mir auch gefallen, Mit diesen Bundsgesellm

die meine Seele liebt,-

der mir sich herzlich gibt

verlach ich Pein und Not,

Geh auf den Grund der Höllen

und breche durch den Tod.

Dach.

[IV] 15

16. Annchen von Thara»*). Annchen von Tharau ist, die mir gefällt,

Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld. Annchen von Tharau hat wieder ihr Herz Auf mich gerichtet in Lieb und in Schmerz. 5

Annchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut, Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!

Käm alles Wetter gleich auf uns zu schlahn, Wir sind gesinnt, bei einander zu stahn,-

Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein 10 Soll unsrer Liebe Verknotigung sein. Recht als ein Palmenbaum über sich steigt, Je mehr ihn Hagel und Regen anficht,

So wird die Lieb in uns mächtig und groß Durch Kreuz, durch Leiden, durch allerlei Not.

15

Würdest du gleich einmal von mir getrennt,

Lebtest da, wo man die Sonne kaum kennt: Ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer, Durch Eis, durch Eisen, durch feindliches Heer.

Annchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn, 20 Mein Leben schließ ich um deines herum.

Was ich gebiete, wird von dir gethan, Was ich verbiete, das läßt du mir stahn. Was hat die Liebe doch für ein Bestand, Wo nicht ein Herz ist, ein Mund, eine Hand,

25

Wo man sich peiniget, zanket und schlägt Und gleich den Hunden und Katzen beträgt? Annchen von Tharau, das wolln wir nicht thunDu bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn.

Was ich begehre, ist lieb dir und gut;

*) Gedichtet 1657 auf die Hochzeit der Anna Neander mit Johann Portatius, einem Jreunde des Dichters. Das Original ist samländischniederdeutsch, die vorlieaende hochdeutsche Übersetzung ist von Herder.

16 [IV]

Dach.

Dohm.

30 Ich laß den Rock dir, du läßt mir den Hut.

Dies ist uns, Annchen, die süßeste Ruh, Ein Leib und Seele wird aus Ich und Du:

Dies macht das Leben zum himmlischen Reich, Durch Zanken wird es der Hölle gleich.

Ernst Dohm (1819—1883). 17. Die Schlacht von Metz (am 14., 16. und 18. Aug. 1870). Das war eine Schlacht! Drei Tage lang

Dom Morgen bis zur sinkenden Nacht

Der männermordende Donner kracht' 5 Und des Todes mähende Sichel klang.

Das war eine Schlacht!

Zwischen Kampf und Kampf Hat der Tod je ein Rasttag gemacht, Umnebelt vom schwebenden Pulverdampf, 10 Satt und übersatt Des Blutes, das er zu gierig trank,

Vom blutigen Mähen so müd und matt,

Daß dem knöchernen Arm die Sichel entsank. Das war eine Schlacht!

15 Und als des dritten Tages Gestirn

Zur Rüste ging und von der Berge Firn Ihren Schattenschleier senkte die Nacht, Da lagen, Freund und Feind, An die dreißigtausend! vereint,

20 Im stummen Tode friedlich gesellt —

Ein unabsehbar Leichenfeld. Und auf das klaffende Bölkergrab

Lächelt der Mond vom Sternenzelt Schweigend des Todes Frieden herab.

16 [IV]

Dach.

Dohm.

30 Ich laß den Rock dir, du läßt mir den Hut.

Dies ist uns, Annchen, die süßeste Ruh, Ein Leib und Seele wird aus Ich und Du:

Dies macht das Leben zum himmlischen Reich, Durch Zanken wird es der Hölle gleich.

Ernst Dohm (1819—1883). 17. Die Schlacht von Metz (am 14., 16. und 18. Aug. 1870). Das war eine Schlacht! Drei Tage lang

Dom Morgen bis zur sinkenden Nacht

Der männermordende Donner kracht' 5 Und des Todes mähende Sichel klang.

Das war eine Schlacht!

Zwischen Kampf und Kampf Hat der Tod je ein Rasttag gemacht, Umnebelt vom schwebenden Pulverdampf, 10 Satt und übersatt Des Blutes, das er zu gierig trank,

Vom blutigen Mähen so müd und matt,

Daß dem knöchernen Arm die Sichel entsank. Das war eine Schlacht!

15 Und als des dritten Tages Gestirn

Zur Rüste ging und von der Berge Firn Ihren Schattenschleier senkte die Nacht, Da lagen, Freund und Feind, An die dreißigtausend! vereint,

20 Im stummen Tode friedlich gesellt —

Ein unabsehbar Leichenfeld. Und auf das klaffende Bölkergrab

Lächelt der Mond vom Sternenzelt Schweigend des Todes Frieden herab.

25

Das war eine Schlacht! Die ihr, das Vaterland Zu schützen vor Gewaltthat und Schänd,

Euch selber zum blutigen Opfer gebracht —

Ihr treuen Toten, du und du, 30 Die im Gefecht

Mit dem Leben besiegelt Deutschlands Recht, Niedergemäht von des Todes Mahd, Ausgesät als des Friedens Saat,

Fahrt wohl, zur ewigen Ruh! 35

Das war eine Schlacht!

Des Feindes Plan, so keck erdacht, Zu schänden gemacht,

Zerrissen, zerschlissen, wie sein Heer! Er selbst nach knirschender Gegenwehr 40 Zurückgeworfen in die Feste Metz!

Dort fest umsponnen mit ehernem Netz,

Mit eiserner Klammer regungslos An den Fels geschmiedet bewegungslos,

Aller Hilf und alles Entrinnens bar, 45 Aufbäumend in ohnmächtigem Schmerz —

Und der deutsche Aar Stückweis ihm zerhackend das zuckende Herz!

Das war eine Schlacht! Westwärts in wehender Fahnen Pracht, 50 Mit klingendem Spiele, dran und drauf, In nimmer aufgehaltenem Lauf,

Weit, weit übern Rhein Nach Frankreich hinein Deutschlands Banner tragend, sein Recht und Ehr 55 Im Sturmmarschtritt,

Im Siegesschritt Wälzt gen Paris sich das deutsche Heer.

Hessel, Mustergedichte. IV.

2

18 [IV]

Droste-Hülshoff.

Annette Freiin von Droste-Hülshoff (1798—1848). 18. Der Knabe im Moor. 1. O, schaurig ists, übers Moor zu gehn^

Wenn es wimmelt vom Heiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn

Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,

Wenn aus der Spalte es zischt und singt — O, schaurig ists, übers Moor zu gehn, Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

2. Fest hält die Fibel das zitternde Kind

Und rennt, als ob man es jageHohl über die Fläche sauset der Wind — Was raschelt drüben am Hage? Das ist der gespenstige Gräbrrknecht,

Der dem Meister die besten Torfe verzecht-

Hu, hu! es bricht, wie ein irres Rind: Hinducket das Knäblein zage. 3. Vom Ufer starret Gestumpf hervor — Unheimlich nicket die Föhre, Der Knabe rennt, gespannt das Ohr, Durch Riesenhalme, wie SpeereUnd wie es rieselt und knittert darin! Das ist die unselige Spinnerin,

Das ist die gebannte Spinnlenor, Die den Haspel dreht im Geröhre! 4. Boran, voran! nur immer im Lauf! Boran! als woll es ihn holenBor seinem Fuße brodelt es auf, Es pfeift ihm unter den Sohlen, Wie eine gespenstige Melodei:

Das ist der Geigenmann ungetreu, Das ist der diebische Fiedler Knauf,

Der den Hochzeitheller gestohlen!

Droste-Hülshoff. 5. Da birst das Moor, ein Seufzer geht -Hervor aus der klaffenden Höhle: Weh, weh! da ruft die verdammte Margret: „Ho, ho! meine arme Seele!"

Der Knabe springt, wie ein wundes RehWär nicht Schutzengel in seiner Näh,

Seine bleichenden Knöchelchen fände spät

Ein Gräber im Moorgeschwele.

6. Da mählich gründet der Boden sich, Und drüben, neben der Weide,

Die Lampe flimmert so heimatlich, Der Knabe steht an der Scheide. Tief atmet er auf, zum Moor zurück Noch immer wirft er den scheuen Blick: „Ja, im Geröhre wars fürchterlich, O, schaurig wars in der Heide!"

19. Heidebilder. I. Die Heide nach dem Regen.

Es verrieselt, es verraucht! Mählich aus der Wolke taucht Neu hervor der Sonnenadel. In den feinen Dunst die Fichte

■5 Ihre grünen Dornen streckt, Wie ein schönes Weib die Nadel In den Spitzenschleier steckt,

Und die Heide steht int Lichte Zahllos blanker Tropfen, die

10 Am Wachholder zittern, wie Glasgehänge an dem Lüster. Überm Grund geht ein Geflüster, Jedes Kräutchen reckt sich aus,

Und in lang gestrecktem Lauf, 15 Durch den Sand des Pfades eilend. Blitzt das goldne Panzerhemd

[IV] 19

20 [IV]

Droste-Hülshoff.

Des Kuriers*),- am Halme weilend^ Streicht die Grille sich das Naß Bon der Flügel grünem Glas. 20 Grashalm glänzt, wie eine Klinge, Und die kleinen Schmetterlinge, Blau, orange, gelb und weiß, Jagen tummelnd sich im Kreis. Mes Schimmer, alles Licht! 25 Bergwald mag und Welle nicht Solche Farbentöne hegen, Wie die Heide nach dem Regen. II.

Der Weiher.

Er liegt so still im Morgenlicht, So friedlich, wie ein fromm Gewissen/ Wenn Weste seinen Spiegel küssen, DeS Ufers Blume fühlt es nicht/ 5 Libellen zittern über ihn, Blaugoldne Stäbchen und Karmin, Und auf des Sonnenbildes Glanz Die Wafferspinne führt den Tanz/ Schwertlilienkranz am Ufer steht 10 Und horcht des Schilfes Schlummcrliede. Ein lindes Säuseln kommt und geht, Ms flüstr es: Friede! Friede! Friede!

III. Kinder am Ufer. „O, sieh doch! siehst du nicht die Blumenwolke Da drüben in dem tiefsten Weiherkolke? O, das ist schön! hätt ich nur einen Stecken! Schmalzweiße Kelch' mit dunkelroten Flecken, 5 Und jede Glocke ist frisiert so fein, Wie unser wächsern Engelchen im Schrein.

*) Buprestis, ein in allen Farben schimmernder Prachtkäfer, der sich im Heidekraut aufhält.

Droste-Hülshoff.

[IV] 21

Was meinst du, schneid ich einen Haselstab Und wat ein wenig in die Furt hinab?

Pah! Frösch und Hechte können mich nicht schrecken!—

10 Allein, ob nicht vielleicht der Wassermann Dort in den langen Kräutern hocken kann? Ich geh, ich gehe schon — ich gehe nicht — Mich dünkt, ich sah am Grunde ein Gesicht — Komm, laß uns lieber heim, die Sonne sticht!"

20. Am Turme. 1. Ich steh auf hohem Balköne am Turm, Umstrichen vom schreienden Stare,

Und laß, gleich einer Mänade, den Sturm Mir wühlen im flatternden Haare,'

O, wilder Geselle, o, toller Fant, Ich möchte dich kräftig umschlingen

Und Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand, Auf Tod und Leben dann ringen!

2. Und drunten seh ich am Strand, so frisch, Wie spielende Doggen, die Wellen

Sich tummeln rings mit Gekläff und Gezisch Und glänzende Flocken schnellen.

O, springen möcht ich hinein alsbald Recht in die tobende Meute

Und jagen durch den korallenen Wald Das Walroß, die lustige Beute! 3. Und drüben seh ich ein Wimpel wehn,

So keck, wie eine Standarte,

Seh auf und nieder den Kiel sich drehn Von meiner luftigen Warte.

O, sitzen möcht ich im kämpfenden Schiff, Das Steuerruder ergreifen

Und zischend über das brandende Riff

Wie eine Seemöwe streifen! 4. Wär ich ein Jäger auf freier Flur, Ein Stück nur von einem Soldaten,

22 [IV]

Droste-Hülshoff. Wär ich ein Mann doch mindestens nur,

So würde der Himmel mir raten! Nun muß ich sitzen so fein und klar,

Gleich einem artigen Kinde

Und darf nur heimlich lösen mein Haar Und lassen es flattern im Winde!

31. Das Gleichnis vom verdorrten Feigenbaum.

1.

152 [IV]

Mörike.

Maler Müller.

4. Darauf sie ritten schweigend heim,

Rohtraut, Schön-Rohtraut, .ES jauchzt der Knab in seinem Sinn: Und würdst du heute Kaiserin,

Mich sollts nicht kränken. Ihr tausend Blätter im Walde, wißt,

Ich hab Schön-Rohtrauts Mund geküßt! — Schweig stille, mein Herze!

Friedrich Müller (Maler Müller- 1749—1825). 158. Soldatenabschied. 1. Heute scheid ich, heute wandr ich, Keine Seele weint um mich.

SindS nicht diese, sinds doch andre, Die da trauern, wenn ich Wandrer Holder Schatz, ich denk an dich.

2. Auf dem Bachstrom hängen Weiden,

In dm Thälern liegt der Schnee! Trautes Kind, daß ich muß scheiden, Muß nun unsre Heimat meiden,

Tief int Herzen thut mirs weh. 3. Hunderttausend Kugeln pfeifen Über meinem Haupte hin!

Wo ich fall, scharrt man mich nieder, Ohne Klang und ohne Lieder, Niemand fraget, wer ich bin. 4. Du allein wirst um mich weinen,

Siehst du meinen Todesschein. Trautes Kind, sollt er erscheinen, Thu im Stillen um mich weinen,

Und gedenk auch immer mein!

5. Heb zum Himmel unsern Kleinen, Schluchz: nun tot der Vater dein!

152 [IV]

Mörike.

Maler Müller.

4. Darauf sie ritten schweigend heim,

Rohtraut, Schön-Rohtraut, .ES jauchzt der Knab in seinem Sinn: Und würdst du heute Kaiserin,

Mich sollts nicht kränken. Ihr tausend Blätter im Walde, wißt,

Ich hab Schön-Rohtrauts Mund geküßt! — Schweig stille, mein Herze!

Friedrich Müller (Maler Müller- 1749—1825). 158. Soldatenabschied. 1. Heute scheid ich, heute wandr ich, Keine Seele weint um mich.

SindS nicht diese, sinds doch andre, Die da trauern, wenn ich Wandrer Holder Schatz, ich denk an dich.

2. Auf dem Bachstrom hängen Weiden,

In dm Thälern liegt der Schnee! Trautes Kind, daß ich muß scheiden, Muß nun unsre Heimat meiden,

Tief int Herzen thut mirs weh. 3. Hunderttausend Kugeln pfeifen Über meinem Haupte hin!

Wo ich fall, scharrt man mich nieder, Ohne Klang und ohne Lieder, Niemand fraget, wer ich bin. 4. Du allein wirst um mich weinen,

Siehst du meinen Todesschein. Trautes Kind, sollt er erscheinen, Thu im Stillen um mich weinen,

Und gedenk auch immer mein!

5. Heb zum Himmel unsern Kleinen, Schluchz: nun tot der Vater dein!

Maler Müller.

Wilhelm Müller.

[IV] 153

Lehr ihn beten! gib ihm Segen! Reich ihm seines Vaters Degen! Mag die Welt sein Vater sein.

6. Hörst? die Trommel ruft zu scheiden: Drück ich dir die weiße Hand! Still die Thränen! laß mich scheiden!

Muß nun für die Ehre streiten, Streiten für das Vaterland. 7. Sollt ich unter freiem Himmel Schlafen in der Feldschlacht ein,

Soll aus meinem Grabe blühen, Soll auf meinem Grabe glühen Blümchen süß: Vergißnichtmein!

Wilhelm Müller (1794—1827). *159. Morgeulied. 1. „Wer schlägt so rasch an die Fenster mir Mit schwanken, grünen Zweigen?" —

„Der junge Morgenwind ist hier

Und will sich lustig zeigen. 2. Heraus, heraus, du Menschensohn!" —

So ruft der kecke Geselle — „Es schwärmt von Frühlingswonnen schon

Vor deiner Kammerschwelle.

3. Hörst du die Käfer summen nicht? Hörst du das Glas nicht klirren, Wenn sie, betäubt von Duft und Licht, Hart an die Scheiben schwirren?

4. Die Sonnenstrahlen stehlen sich Behende durch Blätter und Ranken

Und necken auf deinem Lager dich Mit blendendem Schweben und Schwanken.

5. Die Nachtigall ist heiser fast, So lang hat sie gesungen,

Maler Müller.

Wilhelm Müller.

[IV] 153

Lehr ihn beten! gib ihm Segen! Reich ihm seines Vaters Degen! Mag die Welt sein Vater sein.

6. Hörst? die Trommel ruft zu scheiden: Drück ich dir die weiße Hand! Still die Thränen! laß mich scheiden!

Muß nun für die Ehre streiten, Streiten für das Vaterland. 7. Sollt ich unter freiem Himmel Schlafen in der Feldschlacht ein,

Soll aus meinem Grabe blühen, Soll auf meinem Grabe glühen Blümchen süß: Vergißnichtmein!

Wilhelm Müller (1794—1827). *159. Morgeulied. 1. „Wer schlägt so rasch an die Fenster mir Mit schwanken, grünen Zweigen?" —

„Der junge Morgenwind ist hier

Und will sich lustig zeigen. 2. Heraus, heraus, du Menschensohn!" —

So ruft der kecke Geselle — „Es schwärmt von Frühlingswonnen schon

Vor deiner Kammerschwelle.

3. Hörst du die Käfer summen nicht? Hörst du das Glas nicht klirren, Wenn sie, betäubt von Duft und Licht, Hart an die Scheiben schwirren?

4. Die Sonnenstrahlen stehlen sich Behende durch Blätter und Ranken

Und necken auf deinem Lager dich Mit blendendem Schweben und Schwanken.

5. Die Nachtigall ist heiser fast, So lang hat sie gesungen,

154. [IV]

Wilhelm Müller.

Und weil du sie gehört nicht hast, Ist sie vom Baum gesprungen. 6. Da schlug ich mit dem leeren Zweig An deine Fensterscheiben: Heraus, heraus in das FrühlingSreich! Er wird nicht lange mehr bleiben." *160.

5

10

15

20

25

Der kleine Hydriot.

Ich war ein kleiner Knabe, stand fest kaum auf dem Bein^ Da nahm mich schon mein Vater mit in das Meer hinein Und lehrte leicht mich schwimmen an seiner sichern Hand Und in die Fluten tauchen bis nieder auf den SandEin Silberstückchen warf er dreimal ins Meer hinab, Und dreimal mußt ichs holen, eh ers zum Lohn mir gab. Dann reicht' er mir ein Ruder, hieß in ein Bot mich gehn^ Er selber blieb zur Seite mir unverdrossen stehn, Wies mir, wie man die Woge mit scharfem Schlage bricht, Wie man die Wirbel meidet und mit der Brandung ficht. Und von dem kleinen Kahne gings flugs ins große Schiff, ES trieben uns die Stürme um manches FelsenriffIch saß auf hohem Maste, schaut über Meer und Land: ES schwebten Berg und Türme vorüber mit dem Strand. Der Vater hieß mich merken auf jedes Bogels Flug, Auf aller Winde Wehen, auf aller Wolken ZugUnd bogen dann die Stürme den Mast bis in die Flut, Und spritzten dann die Wogen hoch über meinen Hut, Da sah der Vater prüfend mir in das Angesicht — Ich saß in meinem Korbe und rüttelte mich nicht — Da sprach er, und die Wange ward ihm wie Blut so rot: „Glück zu auf deinem Maste, du kleiner Hydriot!" Und heute gab der Vater ein Schwert mir in die Hand Und weihte mich zum Kämpfer für Gott und Vaterland. Er maß mich mit den Blicken vom Kopf bis zu den Zehn, Mir wars, als thät sein Auge hinab ins Herz mir sehnJch hielt mein Schwert gen Himmel und schaut ihn sicher an Und deuchte mich zur Stunde nicht schlechter als ein Mann»

ward ihm wie Blut so rot:

Da sprach er, und die Wange

30 „Glück zu mit deinem Schwerte,

du kleiner Hydriot!"

161. Alexander Dpsilanti ans Munkatsch. Alexander Upsilanti saß in Munkatsch hohem Turm. An den morschen Fenstergittern rüttelte der wilde Sturm,

Schwarze Wolkenzüge flogen über Mond und Sterne hin, Und der Griechenfürst erscufzte: „Ach, daß ich gefangen bin!" 5 An des Mittags Horizonte hing sein Auge unverwandt:

„Lüg ich doch in deiner Erde, mein geliebtes Vaterland!"

Und er öffnete das Fenster, sah ins öde Land hinein:

Krähen schwärmten in den Gründen, Adler um das FelsgesteinWieder fing er an zu seufzen: „Bringt mir keiner Botschaft her 10 Aus dem Lande meiner Väter ?" Und die Wimper ward ihm schwer— Wars von Thränen? wars von Schlummer? — und sein Haupt sank in die Hand.

Seht, sein Antlitz wird so helle — träumt er von dem Vaterland?

Also saß er, und zum Schläfer trat ein schlichter Heldenmann, Sah mit freudig ernstem Blicke lange den Betrübten an:

15 „Alexander Upsilanti, sei gegrüßt, und fasse Mut! In dem engen Felsenpaffe, wo geflossen ist mein Blut,

Wo in einem Grab die Asche von dreihundert Spartern liegt, Haben über die Barbaren freie Griechen heut gesiegt.

Diese Botschaft dir zu bringen, ward mein Geist herabgesandt. 20 Alexander Upsilanti, frei wird Hellas heilges Land!" Da erwacht der Fürst vom Schlummer, ruft entzückt: „Leonidas!" Und er fühlt, von Freudenthränen sind ihm Aug und Wange naß.

Horch, es rauscht ob seinem Haupte, und ein Königsadler fliegt Aus dem Fenster, und die Schwingen in dem Mondenstrahl er wiegtk

163. Der Lindenbaum. 1. Am Brunnen vor dem Thore, Ich träumt in seinem Schatten Ich schnitt in seine Rinde

Es zog in Freud und Leide

da steht ein Lindenbaum-

so manchen süßen Traum.

so manches liebe Wort,'

zu ihm mich immer fort.

156 [IV]

Wilhelm Müller.

2. Ich mußt auch heute wandern vorbei in tiefer Nacht, Da hab ich noch im Dunkeln die Augen zugemächt. Und seine Zweige rauschten, als riefen sie mir zu: Komm her zu mir, Geselle, hier findst du deine Ruh! 3. Die kalten Winde bliesen mir grad ins Angesicht, Der Hut flog mir vom Kopfe, ich wendete mich nicht. Nun bin ich manche Stunde entfernt von jenem Ort, Und immer hör ichs rauschen: du fändest Ruhe dort!

163. Bineta. 1. Aus des Meeres tiefem, tiefem Grunde Klingen Abendglocken dumpf und matt, Uns zu geben wunderbare Kunde Bon der schönen, alten Wunderstadt. 2. In der Fluten Schoß hinabgesunken, Blieben unten ihre Trümmer stehn,Ihre Zinnen lassen goldne Funken Wiederscheinend auf dem Spiegel sehn. 3. Und der Schiffer, der den Zauberschimmer Einmal sah im hellen Abendrot, Nach derselben Stelle schifft er immer, Ob auch ringsumher die Klippe droht. 4. Aus des Herzens tiefem, tiefem Grunde Klingt es mir wie Glocken, dumpf und matt,Ach, sie geben wunderbare Kunde Bon der Liebe, die geliebt es hat. 5. Eine schöne Welt ist da versunken, Ihre Trümmer blieben unten stehn, Lassen sich als goldne Himmelsfunken Oft im Spiegel meiner Träume sehn. 6. Und dann möcht ich tauchen in die Tiefen, Mich versenken in den Wiederschein, Und mir ist, als ob mich Engel riefen In die alte Wunderstadt herein.

Wolfgang Müller (1816—1874). 164. Nächtliche Erscheinung zu Speier. 1. Wach auf, erklingts in des Schiffers Traum,

Wach auf, du Wächter am Strome!

Und über ihm rauschet der Lindenbaum, Und zwölfe schlägt es vom Dome. Groß vor ihm steht einer im dunkeln Gewand, Der Schiffer bringt ihn hinunter zum Strand,

Halb schlafend, halb wachend, wie trunken. 2. Und während er träge löset den Kahn, Beginnt es um ihn zu leben,

Biel riesige hohe Gestalten nahn, Er sieht sie nicht schreiten, nur schweben. Es tönet kein Wort, es rauschet kein Kleid, Wie Nebel durchzieh» sie die Dunkelheit,

Sv steigen sie all in den Nachen. 3. Er sieht sie mit Staunen, mit Schrecken an. Stößt schweigend und fürchtend vom Lande, Kaum braucht er zu rudern, es flieget der Kahn, Bald sind sie am andern Strande. „Wir kommen zurück, da sinkst du den Lohn."

Gleich Wolken verschwinden im Felde sie schon.

Fern scheinen ihm Waffen zu klirren. 4. Er aber rudert sinnend zurück Durch der Nacht ernstfriedliche Feier,

Wo sich die Heimat hebet dem Blick, Das dunkeltürmige Speier.

Sitzt wach bis zum Morgen am Lindenbaum, Und war es Wahrheit, und war es ein Traum,

Er hüllet es tief in den Busen.

5. Und sieh, es ruft ihn die vierte Nacht Als Wächter wieder zum Strome.

Wohl hält er schlaflos heute die Wacht,

Da schlägt es zwölfe vom Dome.

X58 [IV]

Wolfgang Müller. „Hol über!" ruft es vom andern Strand,

„Hol über!" Da stößt er den Kahn vom Land In stiller, banger Erwartung.

6. Und wieder ist es die düstre Schar,

Die schwebend den Nachen besteiget, Der Kahn zieht wieder so wunderbar,

Doch jeder der Dunkeln schweiget. Und als sie stoßen zu Speier ans Land, Giebt jeder den Lohn ihm behend in die Hand;

Er aber harret und staunet. 7. Denn unter den Mänteln blinken voll Schein

Viel Schwerter und Panzer und Schilde, Goldkronen und funkelndes Edelgestein

Und Seiden- und Samtgebilde,' Dann aber umhüllt sie wieder das Kleid, Wie Nebel durchfliehn sie die Dunkelheit

Und schwinden am mächtigen -Dome.

8. Doch wachend bleibt er am Lindenbaum

Mit sinnendem, tiefem GemüteJa, Wahrheit war es, es war kein Traum. Als blendend der Morgen erglühte: Er hält in den Händen das lohnende Geld-

Drauf glühen aus alter Zeit und Welt Biel stolze Kaiserbilder.

9. Wohl sah er manchen Tag sie an In forschenden, stillen Gedanken.

Da riefen sie drüben um seinen Kahn,

Das waren die flüchtigen Franken. Geschlagen war die Leipziger Schlacht, Das Vaterland frei von des Fremdlings Macht:

Der Schiffer verstand die Erscheinung.

10. „Und löstet ihr, Kaiser, die Grabesnacht Und die ewigen Todesbande And halft in der wilden, dreitägigen Schlacht

.Dem geängsteten Vaterlande,

Wolfgang Müller.

Opitz.

[IV] 159

Steigt oft noch ctufz und haltet es frei Von Sünden und Schmach und Tyrannei,

Denn es thut not des Wachens!"

Martin Opitz von Boberfeld (1597—1639). 165. Ode. 1. Ich empfinde fast ein Grauen,

Daß, ich, Plato, für und für

Bin gesessen über dir: Es ist Zeit, hinaus zu schauen

Und sich bei den frischen Quellen In dem Grünen zu ergehn,

Wo die schönen Blumen stehn Und die Fischer Netze stellen. 2. Wozu dienet das Studieren, Als zu lauter Ungemach?

Unterdessen läuft die Bach

Unsers Lebens, das wir führen,

Ehe wir es inne werden, Auf ihr letztes Ende hin: Dann kömmt — ohne Geist und Sinn — Dieses alles in die Erden.

3. Holla, Junger, geh, und frage, Wo der beste Trunk mag sein: Nimm den Krug, und fülle Wein!

Alles Trauern, Leid und Klage, Wie wir Menschen täglich haben,

Eh uns Klotho fortgeschafft, Will ich in den süßen Saft,

Den die Traube gibt, vergraben!

4. Kaufe gleichfalls auch Melonen, Und vergiß des Zuckers nicht,

Wolfgang Müller.

Opitz.

[IV] 159

Steigt oft noch ctufz und haltet es frei Von Sünden und Schmach und Tyrannei,

Denn es thut not des Wachens!"

Martin Opitz von Boberfeld (1597—1639). 165. Ode. 1. Ich empfinde fast ein Grauen,

Daß, ich, Plato, für und für

Bin gesessen über dir: Es ist Zeit, hinaus zu schauen

Und sich bei den frischen Quellen In dem Grünen zu ergehn,

Wo die schönen Blumen stehn Und die Fischer Netze stellen. 2. Wozu dienet das Studieren, Als zu lauter Ungemach?

Unterdessen läuft die Bach

Unsers Lebens, das wir führen,

Ehe wir es inne werden, Auf ihr letztes Ende hin: Dann kömmt — ohne Geist und Sinn — Dieses alles in die Erden.

3. Holla, Junger, geh, und frage, Wo der beste Trunk mag sein: Nimm den Krug, und fülle Wein!

Alles Trauern, Leid und Klage, Wie wir Menschen täglich haben,

Eh uns Klotho fortgeschafft, Will ich in den süßen Saft,

Den die Traube gibt, vergraben!

4. Kaufe gleichfalls auch Melonen, Und vergiß des Zuckers nicht,

160 [IV]

Opitz.

Platen.

Schaue nur, daß nichts gebricht I Jener mag der Heller schonen,

Der bei seinem Gold und Schätzen

Tolle sich zu kränken pflegt Und nicht satt zu Bette legt;

Ich will, weil ich kann, mich letzen!

5. Bitte, meine gute Brüder: Auf die Musik und ein Glas! Kein Ding schickt sich, dünkt mich, baß, Als ein Trunk und gute Lieder.

Laß ich schon nicht viel zu erben, Ei, so hab ich edlen Wein,Will mit andern lustig sein, Wann ich gleich allein muß sterben.

August Graf von Platen-Hallermüude (1796—1835),

166. Das Grab im Bnsento. (410

n. Chr.)

1. Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder, Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder. 2. Und den Fluß hinan, hinunter, zieh« die Schatten tapfrer

Goten, Die den Alarich beweinen,

ihres Volkes besten Toten.

3. Allzufrüh und fern der Heimat mußten hier sie ihn begraben, Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben. 4. Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette; Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.

5. In der wogenleeren Höhlung

wühlten sie empor die Erde,

Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde,

6. Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe, Daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe. 7. Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluß herbeigezogen:

Mächtig in ihr altes Bette

schäumten die Busentowogen.

160 [IV]

Opitz.

Platen.

Schaue nur, daß nichts gebricht I Jener mag der Heller schonen,

Der bei seinem Gold und Schätzen

Tolle sich zu kränken pflegt Und nicht satt zu Bette legt;

Ich will, weil ich kann, mich letzen!

5. Bitte, meine gute Brüder: Auf die Musik und ein Glas! Kein Ding schickt sich, dünkt mich, baß, Als ein Trunk und gute Lieder.

Laß ich schon nicht viel zu erben, Ei, so hab ich edlen Wein,Will mit andern lustig sein, Wann ich gleich allein muß sterben.

August Graf von Platen-Hallermüude (1796—1835),

166. Das Grab im Bnsento. (410

n. Chr.)

1. Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder, Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder. 2. Und den Fluß hinan, hinunter, zieh« die Schatten tapfrer

Goten, Die den Alarich beweinen,

ihres Volkes besten Toten.

3. Allzufrüh und fern der Heimat mußten hier sie ihn begraben, Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben. 4. Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette; Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.

5. In der wogenleeren Höhlung

wühlten sie empor die Erde,

Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde,

6. Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe, Daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe. 7. Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluß herbeigezogen:

Mächtig in ihr altes Bette

schäumten die Busentowogen.

8. Und es sang ein Chor von Männern:

„Schlaf in deinen

Heldenehren!

Keines Römers schnöde Habsucht

soll dir je das Grab versehren!"

9. SangenS, und hie Lobgesänge tönten fort im Gotenheere.— Wälze sie, Busentowelle,

wälze sie von Meer zu Meere!

167. Der Pilgrim vor St. Just. 1. Nacht ists, und Stürme sausen für und für, Hispanische Mönche, schließt mir auf die Thür!

2. Laßt hier mich ruhn, bis Glockenton mich weckt, Der zum Gebet euch in die Kirche schreckt!

3.

Bereitet mir, was euer Haus vermag:

Ein Ordenskleid und einen Sarkophag!

4. Gönnt mir die kleine Zelle, weiht mich ein! — Mehr als die Hälfte dieser Welt war mein. 5. Das Haupt, das nun der Schere sich bequemt, Mit mancher Krone wards bediademt.

6. Die Schulter, die der Kutte nun sich bückt,

Hat kaiserlicher Hermelin geschmückt. 7. Nun bin ich vor dem Tod den Toten gleich Und fall in Trümmer, wie das alte Reich.

168. Pindars Tod. Ich möchte, wenn ich sterbe, wie die lichten Gestirne, schnell und unbewußt erbleichen, Erliegen möcht ich einst des Todes Streichen, Wie Sagen uns vom Pindaros berichten. Ich will ja nicht im Leben oder Dichten Den großen Unerreichlichen erreichen,

Ich möcht, o Freund, ihm nur im Tode gleichen.

Doch höre nun die schönste der Geschichten: Er saß im Schauspiel, vom Gesang beweget,

Und hatte, der ermüdet war, die Wangen Auf seines Lieblings schönes Knie geleget. Hessel, Mustergedichte. IV.

11

Als nun der Chöre Melodien verklangen, Will wecken ihn, der ihn so sanft geheget, Doch zu den Göttern war er heimgegangen.

169. Parabasen. I. Deutsche Dichtung. Seit ältester Zeit hat hier es getönt, und so oft im erneuenden Umschwung In verjüngter Gestalt aufstrebte die Welt, klang auch ein germanisches Lied nach. Zwar lange verhallt ist jener Gesang, den einst des ArMinius Heerschar Anstimmend gejauchzt in des Siegs Festschritt, auf römischen Gräbern getanzt ihn,5 Doch blieb von der Zeit des gewaltigen Karls wohl noch ein gewaltiges Lied euch, Ein gewaltiges Lied von der mächtigen Frau, die erst als zarteste Jungfrau Dasteht und verschämt, voll schüchterner Huld, dem erhabenen Helden die Hand reicht, Bis dann sie zuletzt, durchs Leben gestählt, durch glühende Rache gehärtet, Graunvoll auftritt, in den Händen ein Schwert und das Haupt des enthaupteten Bruders. 10 Auch lispelt um euch der melodische Hauch aus späteren Tagen des Ruhms noch, Als mächtigen Gangs zu des Heilands Gruft die gepanzerten Friedriche wallten; An den Höfen erscholl der Gesang damals aus fürstlichem Mund, und der Kaiser, Dem als Mitgift die Gestade Homers darbrachte die Tochter des Normanns, Sang lieblichen Ton. Kaum aber erlosch sein Stamm in dem herrlichen Knaben, 15 Der, unter dem Beil hinsterbend, erlag kapetingischer teuflischer Unthat,

und die göttliche Kunst

Schwieg auch der Gesang,

fiel unter die Meister des Handwerks. Spät wieder erhub sie die heilige Kraft, als neue befruchtende Regung

Weit über die Welt

aus Deutschlands Gaun

der begeisterte sächsische Mönch trug; Doch strebte sie nun

langsamer empor,

weil blutiger Kriege Verderbnis Jahrhunderte lang

20 Das entvölkerte Reich

preisgab der unendlichen Roheit; Weil Wechsel des Lauts erst hemmte das Lied, da der bibelentfaltende Luther

Durch männlicher« Ton

auf immer vertrieb

die melodische rheinische Mundart. Doch sollte das Wort

um so reicher erblühn, und es lehrte zugleich es Melanchthon

den einst anschlug

Den gediegenen Klang,

die beglücktere Muse von Hellas.

25 Und so reifte heran

die germanische Kunst,

um entgegen zu gehn der Vollendung! Lang schlich sie dahin, lang schleppte sie noch nachahmende Fessel und seufzte,

und die Welt fortreißt in erhabener Odenbeflüglung

Bis Klopstock naht

Und das Maß herstellt

und die Sprache beseelt

und befreit von der gallischen Knechtschaft; Zwar starr noch und herb und zuweilen Versteint, auch nicht jedwedem genießbar, 30 Doch ihm folgt bald

das Gefällige nach

und das Schöne mit goethischer Sanftheit. II. Schönheit.

Weltgeheimnis ist die Schönheit, das uns lockt in Bild und Wort. Wollt ihr sie dem Leben rauben, zieht mit ihr die Liebe fort: WaS noch atmet, zuckt und schaudert,

alles sinkt in Nacht und

Graus,

Und des Himmels Lampen löschen

mit dem letzten Dichter aus.

164 [IV]

Remick.

Robert Remick (1805—1852). *170. Frühlingsglocken. 1. Schneeglöckchen thut läuten: kling-ling-ling! Was hat das zu bedeuten? ei, gar ein lustig Ding! Der Frühling heut geboren ward, Ein Kind der allerschönsten ArtZwar liegt es noch im weißen Bett, Doch spielt es schon so wundernett. Drum kommt, ihr Vögel, aus dem Süd, Und bringet neue Lieder mit! Ihr Quellen all, Erwacht im Thal! Was soll das lange Zaudern? Sollt mit dem Kinde plaudern! 2. Maiglöckchen thut läuten: bim-bam-bam! Was hat das zu bedeuten? Frühling ist Bräutigam, Macht Hochzeit mit der Erde heut Mit großer Pracht und Festlichkeit. Wohlauf denn, Nelk und Tulipan, Und schwenkt die bunte Hochzeitfahn! Du, Ros und Lilie, schmückt euch sein, Brautjungfern sollt ihr heute sein! Ihr Schmetterling Sollt bunt und flink Den Hochzeitreigen führen, Die Vögel musizieren! 3. Blauglöckchen thut läuten: bim-bim-bim! Was hat das zu bedeuten? Ach, das ist gar zu schlimm! Heute Nacht der Frühling scheiden muß, Drum bringt man ihm den Abschiedsgruß: Glühwürmchen ziehn mit Lichtern hell, Es rauscht der Wald, es klagt der Quell, Dazwischen singt mit süßem Schall Aus jedem Busch die Nachtigall

Und Wird ihr Lied Sobald nicht müd, Ist auch der Frühling schon ferne; Sie hatten ihn alle so gerne.

*171.

Der Strom.

1. Tief in waldgrüner Nacht Ist ein Bächlein erwacht, Kommt von Halde zu Halde gesprungen, Und die Blumen, sie stehn Ganz verwundert und sehn In die Augen dem lustigen Jungen. 2. Und sie bitten: „Bleib hier In dem stillen Revier!" Wie sie drängen, den Weg ihm zu hindern! Doch er küßt sie im Flug, Und mit neckischem Zug Ist entschlüpft er den lieblichen Kindern. 3. Und nun springt er hinaus Aus dem still grünen Haus: „O, du weite, du strahlende Ferne! Dir gehör ich, o Welt!" Und er dünkt sich ein Held, Und ihm leuchten die Augen wie Sterne. 4. „Gebt mir Thaten zu thun! Darf nicht rasten, nicht ruhn, Soll der Väter, der alte, mich loben I" — Hoch zum Flusse geschwellt, Bon dem Fels in die Welt Braust er nieder mit freudigem Toben. 5. „Gebt mir Thaten zu thun, Kann nicht rasten, nicht ruhn!" — Und schon hört man die Hämmer ihn schmettern, Und vorbei an dem Riff Trägt er sicher das Schiff In dem Kampfe mit Sturm und mit Wettern.

166 [IV]

Remick.

Rückert.

6. Immer voller die Lust, Immer weiter die Brust! Und er wächst zum gewaltigen StromeZwischen rankendem Wein Schauen Dörfer darein Und die Städt und die Burgen und Dome. 7. Und er kommt an das Meer, Hell leuchtet es her, Wie verklärt von göttlichem Walten. Welch ein Rauschen im Wind? „Du mein Vater!" — „Mein Kind!" Und er ruht in den Armen des Alten.

Friedrich Rückert (1788—1866). *178. Barbarossa. 1. Der alte Barbarossa, der Kaiser Friederich, Im unterirdschen Schlosse hält er verzaubert sich, Er ist niemals gestorben, er lebt darin noch jetzt; Er hat im Schloß verborgen zum Schlaf sich hingesetzt. 2. Er hat hinabgenommen des Reiches Herrlichkeit Und wird einst wiederkommen mit ihr, zu seiner Zeit. Der Stuhl ist elfenbeinern, darauf der Kaiser sitztDer Tisch ist marmelsteinern, worauf sein Haupt er stützt. 3. Sein Bart ist nicht von Flachse, er ist von Feuersglut, Ist durch den Tisch gewachsen, worauf sein Kinn ausruht. Er nickt, als wie im Traume, sein Aug halb offen zwinktUnd je nach langem Raume er einem Knaben winkt. 4. Er spricht im Schlaf zum Knaben: „Geh hin vors Schloß, o Zwerg, Und sieh, ob noch die Raben herfliegen um den Berg! Und wenn die alten Raben noch fliegen immerdar, So muß ich auch noch schlafen verzaubert hundert Jahr."

166 [IV]

Remick.

Rückert.

6. Immer voller die Lust, Immer weiter die Brust! Und er wächst zum gewaltigen StromeZwischen rankendem Wein Schauen Dörfer darein Und die Städt und die Burgen und Dome. 7. Und er kommt an das Meer, Hell leuchtet es her, Wie verklärt von göttlichem Walten. Welch ein Rauschen im Wind? „Du mein Vater!" — „Mein Kind!" Und er ruht in den Armen des Alten.

Friedrich Rückert (1788—1866). *178. Barbarossa. 1. Der alte Barbarossa, der Kaiser Friederich, Im unterirdschen Schlosse hält er verzaubert sich, Er ist niemals gestorben, er lebt darin noch jetzt; Er hat im Schloß verborgen zum Schlaf sich hingesetzt. 2. Er hat hinabgenommen des Reiches Herrlichkeit Und wird einst wiederkommen mit ihr, zu seiner Zeit. Der Stuhl ist elfenbeinern, darauf der Kaiser sitztDer Tisch ist marmelsteinern, worauf sein Haupt er stützt. 3. Sein Bart ist nicht von Flachse, er ist von Feuersglut, Ist durch den Tisch gewachsen, worauf sein Kinn ausruht. Er nickt, als wie im Traume, sein Aug halb offen zwinktUnd je nach langem Raume er einem Knaben winkt. 4. Er spricht im Schlaf zum Knaben: „Geh hin vors Schloß, o Zwerg, Und sieh, ob noch die Raben herfliegen um den Berg! Und wenn die alten Raben noch fliegen immerdar, So muß ich auch noch schlafen verzaubert hundert Jahr."

173. Geharnischtes Sonett. Die Geister der gefallnen Freiheitshelden, Laut rufen sie hernieder aus Walhalle: „Viel Sänger sind auf Erden, die mit Schalle Bon unserm Preis den Nachgebliebnen melden. Auf, holt von ihnen zu des Himmels Felden Herauf uns einen, der uns sei für alle, Dasi er uns singe, was uns wohlgefalle, Beim Mahle zwischen Hermann und Thusnelden!" Da sank im Kampfgewühl ein Held vom Rosse, Den hoben auf das ihre zwei Walküren Und führten ihn empor samt Schwert und Leier. Nun sitzt er droben im kristallnen Schlosse, Wo ich ihn sehe goldne Saiten rühren. Wenn Geister mir vom Auge ziehn den Schleier.

174. Köruers Geist (1814). 1. Bedeckt mit Moos und Schorfe, ein Eichbaum, hoch und stark, Steht bei Wöbblin, dem Dorfe in Mecklenburger Mark^ 2. Darunter ist von Steine ein neues Grab gemacht, Draus steigt im Mondenscheine ein Geist um Mitternacht. 3. Er richtet auf die Rinden des Baums den Blick und liest Den Namen, der zu finden dort eingegraben ist; 4. Dann sucht er mit den Händen ein Schwert, das liegt amOrt, Und gürtet um die Lenden sich dieses Schwert sofort, 5. Langt dann nach einer Leier, nimmt sie vom Ast herab Und setzt in stiller Feier sich singend auf sein Grab: 6. „Ich war in Jugendbrause ein rascher Reitersmann, Bis hier int dunklen Hause ich Ruh und Rast gewann. 7. Ich war ein freier Jäger in Lützows wilder Schar Und auch ein Zitherschläger, mein Schwertlied klang so klar. 8. Nun reiten die Genossen allein auf ihrer Fahrt, Da ich vom Roß geschossen und hier begraben ward. 9. Ihr mögt nur weiter traben, bis daß ihr kommt ans Ziel: Ihr habet mich begraben, wie es mir wohlgefiel;

168 flVJ

Rückert.

10. Es sind die beiden Lieben, die mir im Leben wert, Im Tode mir geblieben: die Leier und das Schwert. 11. Ich seh auch meinen Namen, daß er unsterblich sei, Geschnitten in den Rahmen der Eiche schön und frei. 12. Es sind die schönsten Kränze gegeben meiner Gruft, Die sich in jedem Lenze erneun mit frischem Duft. 13. Die Eich ob meinem Scheitel, wie ist der Kranz so groß! Mein Ringen war nicht eitel, ich ruh in ihrem Schoß/ 14. Man hat in Fürstengrüften bestatten mich gewollt/ Hier in den frischen Düften ihr ruhn mich lasten sollt!"

175. Die drei Gesellen. 1. Es waren drei Gesellen, die stritten widern Feind Und thäten stets sich stellen in jedem Kampf vereint. Der ein ein Österreicher, der andr' ein Preuße hieß, Davon sein Land mit gleicher Gewalt ein jeder pries. Woher war denn der dritte? Nicht her von Östreichs Flur,

Auch nicht von Preußens Sitte, von Deutschland war er nur. 2. Und als die drei einst wieder standen im Kampf vereint, Da warf in ihre Glieder Kartätschensaat der Feind. Da fielen alle dreie auf einen Schlag zugleich/ Der eine rief mit Schreie: „Hoch lebe Österreich!"

Der andere, sich entfärbend, rief: „Preußen lebe hoch!" Der dritte, ruhig sterbend, was rief der dritte doch? 3. Er rief: „Deutschland soll leben !" Da hörten es die zwei. Wie rechts und links daneben sie sanken nah dabei/ Da richteten im Sinken sich beide nach ihm hin, Zur Rechten und zur Linken, und lehnten sich an ihn. Da rief der in der Mitten noch einmal: „Deutschland hoch!" Und beide mit dem dritten riefens und lauter noch. 4. Da ging ein Todesengel im Kampsgewühl vorbei Mit einem Palmenstengel und liegen sah die drei. Er sah auf ihrem Munde die Spur des Wortes noch, Wie sie im Todesbunde gerufen: „Deutschland hoch!" Da schlug er seine Flügel um alle drei zugleich Und trug zum höchsten Hügel sie auf in Gottes Reich.

176. Abendlied. 1. Ich stand auf Berges Halde, als heim die Sonne ging, "Und sah, wie überm Walde des Abends Goldnetz hing. 2. Des Himmels Wolken tauten der Erde Frieden zu, Bei Abendglockenlauten ging die Natur zur Ruh. 3. Ich sprach: O Herz, empfinde der Schöpfung Stille nun, Und schick mit jedem Kinde der Flur dich auch, zu ruhn! 4. Die Blumen alle schließen die Augen allgemach, Und alle Wellen fließen besänftiget im Bach. 5. Nun hat der müde Sylphe sich unters Blatt gesetzt, Und die Libell am Schilfe entschlummert taubenetzt. 6. Es ward dem goldnen Käfer zur Wieg ein Rosenblatt,' Die Herde mit dem Schäfer sucht ihre Lagerstatt. 7. Die Lerche sucht aus Lüften ihr feuchtes Netz im Klee Und in des Waldes Schliiften ihr Lager Hirsch und Reh. 8. Wer sein ein Hüttchen nennet, ruht nun darin sich ausUnd wen die Fremde trennet, den trägt ein Traum nach Haus. 9. Mich fasset ein Verlangen, daß ich zu dieser Frist Hinauf nicht kann gelangen, wo meine Heimat ist. 177. AuS dem Liebesfrühling. I.

Du meine Seele, du mein Herz, Du meine Wonn, o, du mein Schmerz, Du meine Welt, in der ich lebe, Mein Himmel du, darein ich schwebe, 5 O, du mein Grab, in das hinab Ich ewig meinen Kummer gab! Du bist die Ruh, du bist der Frieden, Du bist der Himmel, mir beschieden! Daß du mich liebst, macht mich mir wert, 10 Dein Blick hat mich vor mir verklärt. Du hebst mich liebend über mich, Mein guter Geist, mein beßres Ich!

Rücken.

170 [IV]

II. Der Himmel hat eine Thräne geweint, Die hat sich ins Meer zu verlieren gemeint.

Die Muschel kam und schloß sie ein: „Du sollst nun meine Perle sein,

5 Du sollst nicht vor den Wogen zagen,

Ich will hindurch dich ruhig tragen!" — O, du mein Schmerz, du meine Lust,

Du Himmelsthrän in meiner Brust! Gib, Himmel, daß ich in reinstem Gemüte 10 Den reinsten deiner Tropfen hüte!

III. Ich bin mit meiner Liebe Ich stellte diese Triebe

vor Gott gestanden^

zu seinen Handen.

Ich bin von diesen Trieben nun unbetreten: Ich kann dich, Liebster, lieben zugleich und beten.

178. KmdertötenKeder. I. Du bist vergangen, Wie eine Blum

Auf die umsonst

5

eh ichs gedacht,

verblüht über Nacht.

Wie eine Blume

über Nacht verblüht,

der Frühtau sprüht.

Es sprüht umsonst

der frühe Tau,

Wie auf dich meine Thränen lau. Es sprühn meine Thränen lau auf dich^

Und du bist nicht erwacht für mich. Und du bist nicht für mich erwacht, 10 Meine Blume,

verblüht über Nacht.

II. 1. Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen.

Bald werden sie wieder nach Haus gelangen. Der Tag ist schön, o, sei nicht bang!

Sie machen nur einen weiteren Gang.

2. Ja wohl, sie sind nur ausgegangen Und werden bald nach Haus gelangen.

O, sei nicht bang! der Tag ist schön, Sie machen den Gang zu jenen Höhn.

3. Sie sind uns nur voraus gegangen Und werden nicht hier nach Haus verlangen. Wir holen sie ein auf jenen Höhn

Im Sonnenschein.

Der Tag ist schön!

179. Das Meer der Hoffnung. 1. Hoffnung auf Hoffnung geht zu Scheiter, Aber das Herz hofft immer weiter, Wie sich Wog über Woge bricht,

Aber das Meer erschöpft sich nicht.

2. Daß die Wogen sich senken und heben, Das ist eben des Meeres Leben, Und daß es hoffe von Tag zu Tag,

Das ist des Herzens Wogenschlag.

180. Schiffahrt. 1. Wie ein Schifflein auf dem Meer,

Schwebt das Leben überm Tod,

Oben, unten, ringsumher Bon Gefahren stets umdroht. 2. Eine schwache Bretterwand

Trennet dich von deinem Grab, Eines Hauches Unbestand Wiegt dich schaukelnd auf und ab. 3. Seien Lüfte noch so klar, Sei die Tiefe noch so still, In Gefahr ist immerdar,

Wer durchs Leben schiffen will.

181. Dem Liebesänger. 1. Wenn du willst in Menschenherzen Alle Saiten rühren an,

Rückert.

172 [IV]

Stimme du den Ton der Schmerzen, Nicht den Klang der Freuden an!

2. Mancher ist wohl, der erfahren Hat auf Erden keine Lust,Keiner, der nicht still bewahren

Mrd ein Weh in seiner Brust.

182. Reisegesellschaft. 1. Wo der Schicksalswege Kreuzen sich so viel

Und auf eignem Stege

Jeder sucht sein Ziel: 2. Hoffe nicht, daß einer Mit dir halte Schritt

Zwei der Weg' und führen

Auseinander.tarnt; 4. Und wer eine Weile Mit dir teilt den Gang: Hoffe nicht, er teile

Länger, als auf deiner

Ihn sein lebelang! 5. Denke, daß er immer

Bahn ist seine mit!

Noch kann seitwärts gehn,

3. Näher nur berühren Hier sich dann und wann

Eh im Abendschimmer

Dir die Berge stehn!

183. Der Schmuck der Mutter (Gasel). Mensch! es ist der Schöpfung Pracht Nicht für dich allein gemacht: Einen Teil hat sich zur Lust

Die Natur hervorgebracht. 5 Darum singt die Nachtigall,

Wo du schlummerst, in der NachtUnd die schönste Blume blüht, Eh des Tages Aug erwacht;

Und der schönste Schmetterling 10 Fliegt, wo niemand sein hat acht; Perle ruht in Meeresschoß

Und der Edelstein im Schacht. Kind! da reichlich Aug und Ohr

Dir mit Füllen ist bedacht, 15 Gönn der Mutter etwas auch, Das sie zum Geschmeid sich macht!

184. AuS bet Jugendzeit. 1. Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit Klingt ein Lied mir immerdarO, wie liegt so weit, o, wie liegt so weit, Was mein einst war! 2. Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang. Die den Herbst und Frühling bringt — Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang Das jetzt noch klingt? 3. „Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, Waren Kisten und Kasten schwerAls ich wieder kam, als ich wieder kam, War alles leer." 4. O, du Kindermund, o, du Kindermund, Unbewußter Weisheit froh, Vogelsprachekund, vogelsprachekund, Wie Salomo ! 5. O, du Heimatflur, o, du Heimatflur, Laß zu deinem Heilgen Raum Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur Entfliehn im Traum! 6. Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm. War die Welt mir voll so sehrAls ich wieder kam, als ich wieder kam, War alles leer. 7. Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt. Und der leere Kasten schwollIst das Herz geleert, ist das Herz geleert, Wirds nie mehr voll. 8. Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt Dir zurück, wonach du weinstDoch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt Im Dors, wie einst: 9. „Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm, Waren Kisten und Kasten schwerAls ich wieder kam, als ich wieder kam, War alles leer."

185. Der Himmel. Der Himmel ist, in Gottes Hand gehalten, Ein großer Brief von azurblauem Grunde, Der seine Farbe hielt bis diese Stunde Und bis an der Welt Ende sie wird halten. In diesem großen Briefe ist enthalten Geheimnisvolle Schrift aus Gottes MundeAllein die Sonne ist darauf das runde Glanzsiegel, das den Brief nicht läßt entfalten. Wenn nun die Nacht das Siegel nimmt vom Briefe, Dann liest das Auge dort in tausend Zügen Nichts als nur eine große Hieroglyphe: „Gott ist die Lieb, und Liebe kann nicht lügen!" Nichts als dies Wort, doch das von solcher Tiefe, Daß kein Verstand kann der Auslegung gnügen.

186. Augereihte Perlen. 1. O, blicke, wenn den Sinn dir will die Welt verwirren. Zum ewgen Himmel auf, wo nie die Sterne irren! 2. Weißt, wo es keinen Herrn und keinen Diener gibt? Wo eins dem andern dient, weil eins das andre liebt. 3. Wer einem Fremdling nicht sich freundlich mag erweisen, Der war wohl selber nie im fremden Land auf Reisen. 4. Du wirst nicht musterhaft durch Jagd nach andrer Fehlern, Und nie wirst du berühmt durch fremden Ruhmes Schmälern.

5. Ich bin ein Blatt des Baums, der ewig neue trägtHeil mir! es bleibt mein Stamm, wenn mich der Wind verschlägt.

6. Wie groß für dich du seist, Dorrn Ganzen bist du nichtigDoch als des Ganzen Glied bist du als kleinstes wichtig. 7. Die kleinste Biene steht dem Feind so ritterlich, Weil sie für sich nicht ist, sie fühlt ihr Volk in sich.

8. Der Prüfstein trügt dich nie: Gut ist, was wohl dir thut, And das ist schlimm, o Herz, wobei dir schlimm zu Mut.

9. Die Strafe macht dich frei von dem Gefühl der Schuld; Drum straft dich, Kind, nicht Zorn des Vaters, sondern Huld. 10. Daß sie die Perle trägt, das macht die Muschel krank: Dem Himmel sag für Schmerz, der dich veredelt, Dank!

11. Bor jedem steht ein Bild des, was er werden soll: So lang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll. 12. Das Wünschen thut es nicht, Anstrengung muß es machen;

Dem schlafenden Löwen läuft das Wild nicht in den Rachen. 13. Das Gute thust du nicht, um zu empfinden Lust,'

Die Lust empfindest du, weil du das Gute thust. 14. Das Gute thun ist leicht, selbst Schwachen eine Lust/ Das Böse meiden schwer, Kampf einer Heldenbrust.

15. Das Gute wissen — weit ist noch das Thun davon,Das Böse kennen — ist des Bösen Anfang schon.

187. Bierzeilen. 1. Wer oben steht, such oben sich zu halten-

Wer unten ist, der tracht hinauf! Ruh und Bewegung sind die zwei Gewalten, Durch die die Welt sich hält im Lauf.

2. Wenn die Wässerlein kämen zuhauf,

Gäb es wohl einen FlußWeil jedes nimmt seinen eigenen Lauf, Eins ohne das andre vertrocknen muß.

3. Nullen, tretend hinter ein Eins, Würden Tausende zählenWeil sie den Führer nicht wählen, Zählen sie alle zusammen keins.

Rückert.

176 [IV]

4. Erfahren ward seit tausend Jahren,

Doch du verfolgst umsonst die Spur:

Dir paßt nicht, was für sich ein anderer erfuhr. Du mußt es wieder für dich selbst erfahren.

5.

Willst du, daß wir mit hinein

In das Haus dich bauen,

Laß es dir gefallen, Stein,

Daß wir dich behauen!

6. Auf das, was dir nicht werden kann,

Sollst du den Blick nicht kehren! Oder ja, sieh recht es an, So siehst du gewiß, du tannsts entbehren. 7. Prahl nicht heute: morgen will

Dieses oder das ich thun!

Schweige doch bis morgen still, Sage dann: das that ich nun!

8. Nicht der ist auf der Welt verwaist,

Dessen Vater und Mutter gestorben, Sondern der für Herz und Geist

Keine Lieb und kein Wissen erworben. 9. Gäbest du doch hier und dort

Dein gutes Geld auch aus vergebens!

Was machst du denn so viel Aufhebens Um ein vergebnes gutes Wort?

10. Wenn das Gute würde vergolten,

So wär es keine Kunst, es zu thun,Aber ein Verdienst ist es nun, Zu thun, wofür du wirst gescholten. 11. Das sind die Weisen, Die durch Irrtum zur Wahrheit reisen.

Die bei dem Irrtum verharren,

Das sind die Narren. 12. Der Erfolg ist offenbar,

Die Absicht aber ist niemals klar.

Drum wird man alle Menschengeschichten Ewig nach dem Erfolge richten. 13. Wenn ganz gleich die Gewicht' in jeder Der zwei Schalen der Wage liegen:

Leg in die eine noch eine Feder, Und sie wird überwiegen. 14. Wo du nicht willst, da wird kein Grund dich beugen;

Doch ist nur wo deine Lust dabei,

So wirst du leicht dich überzeugen, Daß nötig es und nützlich sei. 15. Am Abend wird man klug Für den vergangnen Tag,

Doch niemals klug genug Für den, der kommen mag. 16. Manch artges Büchlein läßt sich einmal lesen,

Zu dem der Leser nie dann wiederkehrt; Doch was nicht zweimal lesenswert gewesen, Das war nicht einmal lesenswert.

188. Aus der Weisheit des Brahmane«. 1. Ursprung der Rose.

Den Rosenzweig benagt ein Lämmchen auf der Weide,

Es thuts nur sich zur Lust, es thuts nicht ihm zu leide. Dafür hat Rosendorn dem Lämmchen abgezwackt Ein Flöckchen Wolle nur, es ward davon nicht nackt.

5 Das Flöckchen hielt der Dorn in scharfen Fingern fest; Da kam die Nachtigall und wollte baun ihr Nest. Sie sprach: Thu auf die Hand, und gib das Flöckchen mir,

Und ist mein Nest gebaut, sing ich zum Danke dir. Er gab, sie nahm und baut', und als sie nun gesungen,

10

Da ist am Rosendorn vor Lust die Ros entsprungen. 2. Die beiden Palme«.

Die beiden Palmen, die dort alternd stehn beisammen, Sie danken nicht ihr Heil dem Grund, aus dem sie stammen, 12

Hessel, Mustergedichte. IV.

5

Sie danken es dem Hauch des Himmels, PoesieSie stehn, weil einmal sprach ein Dichter scheidend hie: „Ihr beiden Palmen, gebt mir euern Abschiedsgruß, Weil ich von allem, was mir lieb ist, scheiden muß!

Nie rastet das Geschick, zu scheiden und zu trennen Auf Erden alle, die sich lieben und sich kennen.

10

Ihr aber, bleibet ungeschieden mir, ihr beiden! Doch wird das Unglück auch einst kommen, euch zu scheiden."

Der Dichter sprachs und ging den schweren Abschiedsgang, Doch in den Lüsten hier blieb seines Liedes Klang.

Es ging von Ohr zu Ohr das Lied, von Mund zu Munde, Und nie droht Axt und Beil dem Heilgen Palmenbunde.

15

Da kam der König her auf seinem Siegeszug-

Die Palme stand im Weg dem Wagen, der ihn trug. Des Beiles Schärfe war schon angelegt dem Fuß-

20

Der Fuhrmann aber sprach des Dichters Abschiedsgruß: „Ihr Palmen, bleibet ungeschieden mir, ihr beiden! Doch wird das Unglück auch schon kommen, euch zu scheiden!" Das war der beiden Heil- der König rief: „Halt ein!

Ich will has Unglück, das sie scheiden soll, nicht sein.

25

Dem Dichterworte mag zur Ehre sich bequemen Mein Siegeswagen wohl, den Umweg hier zu nehmen. Ihr aber steht, bis euch Sturm oder Alter bricht! Das mag das Unglück sein, von dem der Dichter spricht!"

3. Auszug um Auszug. Von einem König wird erzählt, daß im Palast Er hatte sich gehäuft die größte Bücherlast.

Und zog der König aus, so zogen auf den Pfaden

5

Hundert und ein Kamel mit Büchern nach beladen. Da ward er doch gewahr am Ende, daß ihm sei Beschwerlich auf der Fahrt die große Bücherei, Und ließ zu besserer Bequemlichkeit beim Reisen

Auszüge machen von hundert und einem Weisen.

10

Bon diesen ward gemacht ein Auszug, den beim Zug Des Königes gemach ein starkes Maultier trug.

Doch noch bequemer wollt er haben seine Sachen,

Und aus dem Auszug ließ er einen Auszug machen. Ein artges Büchlein ward nun aus der Maultierbürde, Das auf der Reise selbst der König trug mit Würde.

15

Doch immmer noch zu sehr belästigte das ihn,

Des Auszugs Auszug ließ er aus noch einmal zieh».

Da zogen sie ihm aus dem ausgezognen Buch Den Kern zusammen kurz in einen einzgen Spruch. Den faßt' er ins Gemüt und konnt ihn leicht behalten, 20 Um seines Heils danach und seines Reichs zu walten.

Ob ihm dies Heil gelang? Wenn ers nicht ganz vollbracht,

So wars nur, weil er selbst den Auszug nicht gemacht. Das aber ist gewiß, daß aus dem Bücherwust Du machen für dein Heil solch einen Auszug mußt. 4.

Sechs Wörter

Sechs Wörter nehmen mich in Anspruch jeden Tag:

Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag. Ich soll, ist das Gesetz, von Gott ins Herz geschrieben, Das Ziel, nach welchem ich bin von mir selbst getrieben. 5 Ich muß, das ist die Schrank, in welcher mich die Welt Von einer, die Natur von andrer Seite hält. Ich kann, das ist das Maß der mir verliehnen Kraft,

Der That, der Fertigkeit, der Kunst und Wissenschaft.

Ich will, die höchste Kron ist dieses, die mich schmückt, 10 Der Freiheit Siegel, das mein Geist sich aufgedrückt.

Ich darf, das ist zugleich die Inschrift bei dem Siegel, Beim aufgethanen Thor der Freiheit auch ein Riegel.

Ich mag, das endlich ist, was zwischen allen schwimmt, Ein Unbestimmtes, das der Augenblick bestimmt.

15

Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag,

Die sechse nehmen mich in Anspruch jeden Tag. Nur wenn du stets mich lehrst, weiß ich, was jeden Tag Ich soll, ich muß, ich kann, ich will, ich darf, ich mag. 5.

Am rechte« Ort das rechte Wort.

Wenn du am rechten Ort das rechte Wort zu sagen Hast unterlassen, bleibt es immer zu beklagen.

Rückert.

180 [IV]

Wenn in Gedanken dann dus sagest hinterher, Wird die Versäumnis dir nur fühlbar um so mehr. 5 Doch unterlaß nur nicht, und sage dir es feinl Vielleicht ein andermal wirst du dann klüger sein. 6.

Höchste Freiheit.

Wenn Freiheit du begehrst, des Menschen höchste Zierde, Herrsch über Leidenschaft und Neigung und Begierde! Doch bilde dir nicht viel auf diese Herrschaft ein! Des freien Willens Stolz ist Gott gehorsam sein. 7.

Duldung.

In allen Zonen liegt die Menschheit auf den Knien Bor einem Göttlichen, das sie empor soll ziehn. Verachte keinen Brauch und keine Flehgeberde, Womit ein armes Herz emporringt von der Erde! 5 Ein Kind mit Lächeln kämpft, ein andres mit Geschrei, Daß von der Mutter Arm es ausgenommen sei. 8.

Gottvertraueu.

Als wie ein Kind int Schlaf empor fein Auge schlägt Und alsobald sein Haupt befriedigt wieder legt, Weil nah das Angesicht sich ihm der Mutter zeigt, Die wachend über ihr geliebtes Kind sich neigt: 5 Beglückt, wer so den Traum des Erdenlebens lebt, Und wenn dazwischen er den Blick zum Himmel hebt, Die Mutterliebe sieht herniederschauen heiter Und lächelnd winken ihm: Ich wache, schlaf nur weiter! 9.

Glücke» Übermaß.

Wen unerwartet Glück mit Unmaß überschüttet, Gefördert wird dadurch sein Heil nicht, nur zerrüttet/ Wie, überströmt mit öl, statt mäßig angefrischt, An ihrer Lebeusfüll oft eine Lamp erlischt. 10.

Der Quell in der Wüste.

In einer Wüste fließt ein Quell durch Gottes Kraft, Der hat für Durstige des Wegs die Eigenschaft:

Rückert.

Schack.

[IV] 181

Wer im Boriibergehn nur schöpfet mit der Hand, Der geht erquickt und kühl hinweg im Sonnenbrand. 5

Doch wer sich niederläßt am Quell und trinkend ruht,

Der trinkt sich durstig und verdurstet an der Flut. Ihr Pilger dieses Wegs, laßt es gesagt euch sein:

Schöpft im Vorübergehn nur mit der Hand allein!

11. Poesie. Hauch Gottes, Poesie! o, komm, mich anzuhauchen, In deinen Rosenduft die kalte Welt zu tauchen!

Was du anlächelst, lacht,' was du anblickest, glänzt] Die Eng erweitert sich, und Weites wird begrenzt.

5

Durch dich ist ewig, was im Augenblick geschwunden, Was ich gelebt, gedacht, genossen und empfunden.

12. Der Dichter über sich selbst. Kann jeder doch die Welt nur seinem Sinn anpassen,'

Und was ich fassen soll, muß ich in Verse fassen. Drum, ob an manchem VerS von mir du habest nichts, So denk: den hat für sich der Meister des Gedichts.

5

Hätt ich den Vers, an dem du nichts hast, nicht gemacht.

Hätt ich auch die, woran du viel hast, nicht erdacht.

Adolf Graf von Schack (1815—1894). 189. Beim Siegesemzug in Berlin (1871). Steig empor, Herrlichste der Sonnen,

Die über Deutschland geleuchtet! O, den Tag, den du bringst,

5

Ganz und voll zu genießen, Ist es genug nicht des Glücks für ein Leben?

Den sterbenden Greis Laß das Auge nicht schließen,

Bevor er ihn erblickt,

Rückert.

Schack.

[IV] 181

Wer im Boriibergehn nur schöpfet mit der Hand, Der geht erquickt und kühl hinweg im Sonnenbrand. 5

Doch wer sich niederläßt am Quell und trinkend ruht,

Der trinkt sich durstig und verdurstet an der Flut. Ihr Pilger dieses Wegs, laßt es gesagt euch sein:

Schöpft im Vorübergehn nur mit der Hand allein!

11. Poesie. Hauch Gottes, Poesie! o, komm, mich anzuhauchen, In deinen Rosenduft die kalte Welt zu tauchen!

Was du anlächelst, lacht,' was du anblickest, glänzt] Die Eng erweitert sich, und Weites wird begrenzt.

5

Durch dich ist ewig, was im Augenblick geschwunden, Was ich gelebt, gedacht, genossen und empfunden.

12. Der Dichter über sich selbst. Kann jeder doch die Welt nur seinem Sinn anpassen,'

Und was ich fassen soll, muß ich in Verse fassen. Drum, ob an manchem VerS von mir du habest nichts, So denk: den hat für sich der Meister des Gedichts.

5

Hätt ich den Vers, an dem du nichts hast, nicht gemacht.

Hätt ich auch die, woran du viel hast, nicht erdacht.

Adolf Graf von Schack (1815—1894). 189. Beim Siegesemzug in Berlin (1871). Steig empor, Herrlichste der Sonnen,

Die über Deutschland geleuchtet! O, den Tag, den du bringst,

5

Ganz und voll zu genießen, Ist es genug nicht des Glücks für ein Leben?

Den sterbenden Greis Laß das Auge nicht schließen,

Bevor er ihn erblickt,

Schack.

182 [IV]

10 Und in der Wiege dem Säugling §)ffne des Geistes Sehkraft,

Daß sein Gedanke ihn fasse Und er einst noch den Enkeln künde: Ich habe den großen Tag erlebt!

15

Horch! Trommelwirbel

Und Fall von hunderttausend Tritten! Sie sind es, sie nahen,

Die durch den Donner der Schlachten Über stürzender Brüder Leichen dahin

20 Deutschlands Banner getragen! Noch scheinen ihre Lanzen

Vom Wirbelsturm des Kampfes zu zittern. Doch „Hoch!" erschallt es, „Hoch!" Durch des Bölkes wogende Reihen,

25 Und mit dem Grün des Friedens bekränzt. Wallen durchs Thor die Siegesfahnen.

Gen Im Der 30 Wie Der

Himmel flackert Sonnenlichte der Glanz wogenden Helme und Waffen, durch die geschmückten Straßen Zug der Krieger sich wälzt —

Und Fansarengeschmetter nun Und Jubelruf von Millionen! Sie kommen, die glorreichen Führer,

35 Die Lieblinge des Ruhmes, Die noch nach Jahrtausenden In ungeborner Völker

Gesängen leben werden! Aus ihrer Mitte hervor, 40 Wie Orion unter den anderen Sternen, Leuchtet der Herrliche, Der Retter Deutschlands! Laßt Platz für sein Roß, Ihr Weiber, die mit euern Kleinen

45 Heran ihr euch drängt,

50

55

60

65

Um, seine Knie umklammernd, ihm zu danken, Daß er euch Haus und Herd Bor Schande geschützt! Wohl mehr als des Krieges Gewühl Liebt er, Kinder um sich spielen zu sehen/ Aber noch einmal heut, zum letzten Male, Eh zur Pflugschar das Schwert sich wandelt, In seines Heeres Mitte Mit den krachenden Feuerschlünden Muß er Zwiesprach halten: Horch! das sind die ehernen Stimmen, Er kennt sie, Die ihn in zwanzig Siegesschlachten umdonnert, Vor denen hundert Festen Und ein Reich in Trümmer gesunken. Bon allen Türmen die Glocken fallen ein, O I und weiter, dahin durch den Blumenregen, Der von Fenstern und Dächern niederstäubt, Zieht er — achtlos vorüber an uns. Denen an der Wimper die Freudenthräne zittert, Während die Lippe verstummt Und nur des Herzens Klopfen Dank ihm stammelt, Daß er uns ein Vaterland geschenkt.

190. Im Grase. 1. Um mich schwärmender Bienen GesummFernher Singen von SchnitternSommerlüfte, die heiß ringsum Über der Wiese zittern! 2. Hoch aus dunkelndem Himmelsblau, Drin die Wolken verschwimmen, Quillt es und rinnt hernieder, wie Tau, Säuselt, wie liebe Stimmen, 3. Gaukelt und lacht mir hinweg das Leid, Hebt die Erdengewichte,

Schack.

184 [IV]

Scheffel.

Bis die Seele, gelöst, befreit, Schwärmt in dem himmlifchen Lichte. 191. Aus der Heimat.

1. Hier ist es, wo ich als Kind gestreift Und die Beere gepflückt, die am Abgrund reift,' Still wars, wie jetzt, im LaubeFernher nur hört ich durch Rankengeflecht Die Schläge der Axt und den pickenden Specht Und das Girren der wilden Taube. 2. O, Träume, schön, wie Märchen der Feen, Umschwebten mich dort, wenn beim Abendwehn Ich ruht am FelsenhangeUnd vor mir lag, wie im Traum ichs sah, Boll goldener Schlösser das Leben da — So lange das her, so lange! 3. Aus der Welt da draußen nun kehr ich zurückWie Märchen alles dahin: das Glück Und Hoffen und Lieb und Glaube! Im Walde lieg ich, wie einst ich lag, Und höre von ferne der Äxte Schlag

Und das Girren der wilden Taube.

Viktor Joseph von Scheffel (1826—1886). 192.

Lied des Trompeters von Säckingen.

1. Alt-Heidelberg, du feine, Du Stadt an Ehren reich, Am Neckar und am Rheine Kein andre kommt dir gleich. 2. Stadt fröhlicher Gesellen, An Weisheit schwer und Wein, Klar ziehn des Stromes Wellen, Blauäuglein blitzen drein.

Schack.

184 [IV]

Scheffel.

Bis die Seele, gelöst, befreit, Schwärmt in dem himmlifchen Lichte. 191. Aus der Heimat.

1. Hier ist es, wo ich als Kind gestreift Und die Beere gepflückt, die am Abgrund reift,' Still wars, wie jetzt, im LaubeFernher nur hört ich durch Rankengeflecht Die Schläge der Axt und den pickenden Specht Und das Girren der wilden Taube. 2. O, Träume, schön, wie Märchen der Feen, Umschwebten mich dort, wenn beim Abendwehn Ich ruht am FelsenhangeUnd vor mir lag, wie im Traum ichs sah, Boll goldener Schlösser das Leben da — So lange das her, so lange! 3. Aus der Welt da draußen nun kehr ich zurückWie Märchen alles dahin: das Glück Und Hoffen und Lieb und Glaube! Im Walde lieg ich, wie einst ich lag, Und höre von ferne der Äxte Schlag

Und das Girren der wilden Taube.

Viktor Joseph von Scheffel (1826—1886). 192.

Lied des Trompeters von Säckingen.

1. Alt-Heidelberg, du feine, Du Stadt an Ehren reich, Am Neckar und am Rheine Kein andre kommt dir gleich. 2. Stadt fröhlicher Gesellen, An Weisheit schwer und Wein, Klar ziehn des Stromes Wellen, Blauäuglein blitzen drein.

3. Und kommt aus lindem Süden Der Frühling LberS Land, So webt er dir aus Blüten Ein schimmernd Brautgewand. 4. Auch mir stehst du geschrieben Ins Herz gleich einer Braut, Es klingt wie junges Lieben Dein Name mir so traut. 5. Und stechen mich die Dornen, Und wird mirs draus zu kahl, Geb ich dem Roß die Spornen Und reit ins Neckarthal.

Max von Schenkendorf (1784—1817). 193. Auf den Tod der Königin Luise.

1. Rose, schöne Königsrose, Hat auch dich der Sturm getroffen? Gilt kein Beten mehr, kein Hoffen Bei dem schreckenvollen Lose? 2. Seid ihr, hochgeweihte Glieder, Schon dem düstern Reich verfallen? Haupt, um das die Locken wallen, Sinkest du zum Schlummer nieder? 3. Sink in Schlummer! aufgefunden Ist das Ziel, nach dem du schrittest, Ist der Kranz, um den du littest, Ruhe labt am Quell der Wunden. 4. Auf, Gesang, vom Klagethale Schweb empor zu lichten Hallen, Wo die Siegeshymnen schallen! Singe Tröstung dem Gemahle! 5. Sink an deiner Völker Herzen, Du im tiefsten Leid Verlorner,

3. Und kommt aus lindem Süden Der Frühling LberS Land, So webt er dir aus Blüten Ein schimmernd Brautgewand. 4. Auch mir stehst du geschrieben Ins Herz gleich einer Braut, Es klingt wie junges Lieben Dein Name mir so traut. 5. Und stechen mich die Dornen, Und wird mirs draus zu kahl, Geb ich dem Roß die Spornen Und reit ins Neckarthal.

Max von Schenkendorf (1784—1817). 193. Auf den Tod der Königin Luise.

1. Rose, schöne Königsrose, Hat auch dich der Sturm getroffen? Gilt kein Beten mehr, kein Hoffen Bei dem schreckenvollen Lose? 2. Seid ihr, hochgeweihte Glieder, Schon dem düstern Reich verfallen? Haupt, um das die Locken wallen, Sinkest du zum Schlummer nieder? 3. Sink in Schlummer! aufgefunden Ist das Ziel, nach dem du schrittest, Ist der Kranz, um den du littest, Ruhe labt am Quell der Wunden. 4. Auf, Gesang, vom Klagethale Schweb empor zu lichten Hallen, Wo die Siegeshymnen schallen! Singe Tröstung dem Gemahle! 5. Sink an deiner Völker Herzen, Du im tiefsten Leid Verlorner,

Du zum Martyrium Erkorner,

Auszubluten deine Schmerzen. 6. Herr und König, schau nach oben, Wo sie leuchtet gleich den Sternen, Wo in Himmels weiten Fernen

Alle Heilige sie loben!

194. FrühlmgSgrnß an das Vaterland (1814). 1. Wie mir deine Freuden winken

nach

der Knechtschaft^

Vaterland, ich muß versinken

nach dem Streit! hier in deiner Herrlichkeit.

Wo die hohen Eichen sausen,

himmelan das Haupt gewandt^

Wo die starken Ströme brausen, 2. Don

alles das ist deutsches Land.

dem Rheinfall hergegangen

komm ich, von der Donau Quell,

Und in mir sind aufgegangen Niedersteigen will ich, strahlen

Liebessterne mild und hellsoll von mir der Freudenschein

In des Neckars frohen Thaten

und am silberblauen Main! 3. Weiter, weiter mußt du dringen, du mein deutscher Frei­ heitsgruß, Sollst vor meiner Hütte klingen an dem fernen Memelfluß l

Wo noch deutsche Worte gelten, wo die Herzen, stark und weich, Zu dem Freiheitskampf sich stellten, ist auch heilges deutsches Reich. 4. Alles ist in Grün gekleidet, alles strahlt im jungen Licht, Anger, wo die Herde weidet, Hügel, wo man Trauben bricht.

Vaterland! in tausend Jahren kam dir solch ein Frühling kaum: WaS die hohen Väter waren, heißet nimmermehr ein Traum. 5. Aber einmal müßt ihr ringen noch in ernster Geisterschlacht Und den letzten Feind bezwingen, der im Innern drohend wacht:

Haß und Argwohn müßt ihr dämpfen,

Geiz und Neid und

Dann, nach schweren, langen Kämpfen

böse Lust, kannst du ruhen, deutsche

6. Jeder ist dann reich an Ehren,

Brust. reich an Demut und an Macht-

So nur kann sich recht verklären

unsers Kaisers heilge Pracht^

Alte Sünden muffen sterben

in der gottgesandten Flut

Und an einen felgen Erben

fallen das entsühnte Gut.

7. Segen Gottes auf den Feldern, in des Weinstocks Heilger

Frucht, in den Hütten frohe Zucht/

Manneslust in grünen Wäldern, In der Brust ein frommes Sehnen,

ewger Freiheit Unterpfand-

nirgends, wie im deutschen Land.

Liebe spricht in zarten Tönen

8. Ihr in Schlössern, ihr in Städten,

welche schmücken

unser Land, Ackersmann, der auf den Beeten

deutsche Frucht in Garben band.

Traute, deutsche Brüder, höret

meine Worte, alt und neu:

wenn ihr einig seid und treu!

Nimmer wird das Reich zerstöret,

195. Das Lied vom Rhein. 1. Es klingt ein Heller Klang, In jedem Hochgesang

ein schönes* deutsches Wort

der deutschen Männer fort:

Ein alter König hochgeboren, Dem jedes deutsche Herz geschworen — Wie oft sein Name wiederkehrt, Man hat ihn nie genug gehört. 2. Das ist der heilge Rhein, ein Herrscher, reich begabt.

Des Name schon, wie Wein,

die treue Seele labt.

Es regen sich in allen Herzen Biel vaterländsche Lust und Schmerzen,

Wenn man das deutsche Lied beginnt Bom Rhein, dem hohen Felsenkind. 3. Sie hatten ihm geraubt der alten Würden Glanz, den grünen Rebenkranz.

Bon seinem Königshaupt

In Fesseln lag der Held geschlagen: Sein Zürnen und sein stolzes Klagen, Wir Habens manche Nacht belauscht,

Bon Geisterschauern hehr umrauscht.

4. Was sang der alte Held? „O, weh dir, schnöde Welt,

— ein furchtbar dräuend Lied:

wo keine Freiheit blüht,

188 [IV]

Schenkendorf.

Bon Treuen los und bar von Ehren!

Und willst du nimmer wiederkehren, Mein, ach! gestorbenes Geschlecht

Und mein gebrochnes deutsches Recht? 5. O, meine hohe Zeit! mein goldner Lebenstag! Als noch in Herrlichkeit

mein Deutschland vor mir lag

Und auf und ab am Ufer wallten Die stolzen adligen Gestalten,

Die Helden, weit und breit geehrt Durch ihre Tugend und ihr Schwert!

6. Es war ein frommes Blut Voll kühnem Leuenmut

in ferner Riesenzeit,

und mild, als eine Maid.

Man singt es noch in späten Tagen,

Wie den erschlug der arge Hagen. Was ihn zu solcher That gelenkt, In meinem Bette liegts versenkt. 7. Du, Sünder! wüte fort! bald ist dein Becher vollDer Nibelungen Hort

ersteht wohl, wenn er soll.

Es wird in dir die Seele grausen,

Wann meine Schrecken dich umbrausmIch habe wohl und treu bewahrt Den Schatz der alten Kraft und Art!^ — 8. Erfüllt ist jenes Wort: der König ist nun frei, Der Nibelungen Hort

ersteht und glänzet neu!

Es sind die alten deutschen Ehren,

Die wieder ihren Schein bewähren: Der Väter Zucht und Mut und Ruhm, Das heilge deutsche Kaisertum! 9. Wir Huldgen unserm Herrn, Die Freiheit sei der Stern!

wir trinken seinen Wein.

die Losung sei der Rhein!

Wir wollen ihm aufs neue schwören! Wir müssen ihm, er uns gehören.

Vom Felsen kommt er frei und hehr,

Er fließe frei in Gottes Meer!

196. Freiheit (1813).

1. Freiheit, die ich meine, Komm mit deinem Scheine,

die mein Herz erfüllt,

süßes Engelbild!

2. Magst du nie dich zeigen Führest deinen Reigen

der bedrängten Welt?

nur am Sternenzelt? in dem lustgen Wald,

3. Auch bei grünen Bäumen Unter Blütenträumen

ist dein Aufenthalt.

4. Ach! das ist ein Leben,

wenn es weht und klingt,

wonnig uns durchdringt,

Wenn dein stilles Weben

5. Wenn die Blätter rauschen Wenn wir Blicke tauschen,

6. Aber immer weiter

Auf der Himmelsleiter

nimmt das Herz den Lauf,

steigt die Sehnsucht auf.

7. Aus den stillen Kreisen

Will der Welt beweisen,

süßen Freundesgruß,

Liebeswort und Kuß.

kommt mein Hirtenkind,

was es denkt und minnt.

8. Blüht ihm doch ein Garten, Auch in jener harten,

reift ihm doch ein Feld

steinerbauten Welt:

9. Wo sich Gottes Flamme

in ein Herz gesenkt,

Das am alten Stamme

treu und liebend hängt/ 10. Wo sich Männer finden, die für Ehr und Recht

Mutig sich verbinden, weilt ein frei Geschlecht. 11. Hinter dunkeln Wällen, hinter ehrnem Thor Kann das Herz noch schwellen

12. Für die Kirchenhallen,

zu dem Licht empor. für der Väter Gruft,

wenn die Freiheit ruft — 13. Das ist rechtes Glühen, frisch und rosenrot: Heldenwangen blühen schöner auf im Tod. Für die Liebsten fallen,

14. Wollest auf uns lenken

Gottes Lieb und Lust,

Wollest gern dich senken in die deutsche Brust, 15. Freiheit, holdes Wesen, gläubig, kühn und zart! Hast ja lang erlesen dir die deutsche Art.

Schiller.

190 [IV]

Friedrich von Schiller (1759—1805).

Da Schillers Gedichte allgemein zugänglich find, so sind hier nur diese Distichen abgedruckt, außerdem aber die Titel derjenigen Gedichte verzeichnet, welche auf dieser Stufe gelesen werden können. Die Anfangsworte derselben stehen auch im Inhaltsverzeichnis zu Liesem Bande.

197. Distichen. Tugend des Weibes.

1.

Tugenden brauchet der Mann,

er stürzt sich wagend ins Leben,

Tritt mit dem stärkeren Glück

in den bedenklichen Kampf.

Eine Tugend genüget dem Weib: Lieblich dem Herzen, dem Aug

sie ist da, sie erscheinet.

lieblich erscheine sie stets!

Weibliches Urteil.

2.

Männer richten nach Gründen,-

des Weibes Urteil ist seine

hat schon gerichtet das Weib.

Liebe- wo es nicht liebt,

Pflicht für jeden.

3.

Immer strebe zum Ganzen,

und kannst du selber kein Ganzes schließ an ein Ganzes dich an!

Werden: als dienendes Glied 4.

Aufgabe.

Keiner sei gleich dem andern,

doch gleich sei jeder dem Höchsten!

Wie das zu machen? Es sei

jeder vollendet in sich.

Der Schwfsel.

5.

Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben! Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz! 6.

Inneres und Äußeres.

^,Gott nur siehet das Herz."

— Drum eben, weil Gott nur das Herz sieht,

Sorge, daß wir doch auch 7.

etwas Erträgliches sehn.

Freund und Feind.

Teuer ist mir der Freund,-

doch auch den Feind kann ich nützen,-

Zeigt mir der Freund, was ich kann,

lehrt mich der Feind,

was ich soll.

Das Höchste.

8.

Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren.

sei du es wollend — das ists!

Was sie willenlos ist, 9.

Erwartung unb Erfüllung.

In den Ozean schifft mit tausend Masten der JünglingStill, auf gerettetem Bot, treibt in den Hafen der Greis. Wissenschaft.

10.

die himmlische Göttin, dem andern

-Einem ist sie die hohe,

Eine tüchtige Kuh, 11.

Zwei sind der Wege,

die ihn mit Butter versorgt. Die zwei Tngendwege.

auf welchen

der Mensch

zur Tugend

emporftrebtSchließt sich der eine dir zu,

thut sich der andre dir auf:

Handelnd erreicht der Glückliche sie, der Leidende duldend. Wohl ihm, den sein Geschick liebend auf beiden geführt! 12.

Kannst du nicht allen gefallen

Wahl.

durch deine That und dein Kunst­ werk,

Mach es wenigen recht!

vielen gefallen, ist schlimm. Der Meister.

13.

erkennt man an dem, was er ausspricht;

Jeden anderen Meister

zeigt mir den Meister des Stils.

Was er weise verschweigt, 14.

Weil ein Bers dir gelingt

Dilettant.

in einer gebildeten Sprache,

Die für dich dichtet und denkt, 15.

Der epische Hexameter.

Schwindelnd trügt er dich fort

Hinter dir siehst du, du siehst 16.

Im Hexameter steigt

glaubst du schon Dichter zu sein?

auf rastlos strömenden Wogen, vor dir nur Himmel und Meer.

Das Distichon.

des Springquells flüssige Säule,

Im Pentameter drauf

fällt sie melodisch herab.

Schiller.

192 [IV]

198. Klage der Ceres. (Ist der 199. Kassandra. (Freude war in 200. Laokoon. (Übersetzung aus

holde Lenz erschienen.) Trojas Hallen.)

der Äneide, Strophe 1—42 r Still wars, und jedes Ohr hing an Äneens Munde.)

201. 202.

Das Siegesfest. (Priams Feste war gesunken.) Die Kraniche des Jbykus. (Zum Kampf der

Wagen und-

Gesänge.)

203. 204.

Der Taucher. (Wer wagt es, Rittersmann oder Der Kampf mit dem Drache«. (Was rennt

Knapp.) das Volk,

was wälzt sich dort.)

205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 212. 213. 214. 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221.

Der Graf von Habsburg. (Zn Aachen in seiner Kaiserpracht.> Der Handschuh. (Bor seinem Löwengarten.) Nadowefsiers Totenlied. (Seht, da sitzt er auf der Matte.) Das Lied vo« der Glocke. (Festgemauert in der Erden.)Das eleusische Fest. (Windet zum Kranze.) Der Spaziergang. (Sei mir gegrüßt, mein Berg.) Die Größe der Welt. (Die der schaffende Geist.) Sprüche des Confucius. (Dreifach ist der Schritt der Zeit.> Die Worte des Glaubens. (Drei Worte nenn ich euch.)> Die Worte des Wahns. (Drei Worte hört man.) Breite und Tiefe. (Es glänzen viele in der Welt.) Sehnsucht. (Ach, aus dieses Thales Gründen.) Der Pilgrim. (Noch in meines Lebens Lenze.) Hoffnung. (Es reden und träumen die Menschen viel.) An die Freunde. (Lieben Freunde, es gab schönre Zeiten.)Riinie. (Auch das Schöne muß sterben.) Das Mädchen ans der Fremde. (In einem Thal bei armen Hirten.)

222. Die Macht des Gesanges. (Ein Regenstrom aus Felsenriffen.) 223. Die vier Weltatter. (Wohl glänzet im Glase der purpurne Wein.)

224.

DaS Mädchen von Orleans.

(Das edle Bild der Mensch­

heit z« verhöhnen.)

225.

Wilhelm Teil.

(Wenn rohe Kräfte feindlich sich entzweien.)-

Friedrich Ernst Schleiermacher (1768—1834). 226. Rätsel.

1. Aus zarten Blumen wird das Erste zubereitet, Von fernen Sternen her das Zweit uns zugeleitet/ Das Ganze seht ihr oft in schöngeschmückten Zimmern Hoch über Blumenpracht, hoch über Sternen schimmern.

2. Mein Erstes ist ja nicht die Sonne, Mein Zweites ist die Wahrheit nichtDrum geb ich oft nur trügerische Wonne Und stets ein ungewisses Licht.

3. Für mich allein bin ich ein gar vieldeutig Wesen, Setz Geld mir vor, gleich wird, wozu ich da bin, klar, Doch ist am wohlsten mir in meiner Haut gewesen, Wenn — oftmals ohne Geld — ich hinterm Winde war.

4. Nimmst du die erst als Hund, die andern zwei als Jungen: Das Ganze nimmst du doch auch nicht zum Hundejungen.

5. Was in dem ersten Paar du hattest, erhascht sich das GanzeMerkst du es zeitig, du wirst „haltet die letzte mir!" schrein.

6. Über das Ganze wird oft

von Knaben noch kämpfend ge­

stritten, Wenn auch der Feind schon längst gänzlich das Innre zerstörtDoch hat das Erste der Feind, so sind oft herrliche Städte Mehr als das Zweite nicht wert, wenn du als taub es verwirfst.

7. Fest umschlungen von den beiden Ersten, Zieht das hochaufschwebende Dritte Das vereinte Ganze empor. Hessel, Mustergedichte. TV.

13

194 [IV]

Schleiermacher.

Schwab.

8. Getrennt mir heilig, Vereint abscheulich.

9. Wir sinds gewiß in vielen Dingen, Im Tode sind wirs nimmermehr,' Die sinds, die wir zu Grabe bringen, Und eben diese sinds nicht mehr. Denn weil wir leben, sind wirs eben Bon Geist und Angesicht/ Und weil wir leben, sind wirs eben Zur Zeit noch nicht.

10. Ich sitze oft in mir, Um meiner selbst zu pflegen Und bin dann um mich selbst Recht herzlich ost verlegen.

11. Ein jeder hats, im Grabe ruhts, Der Herr befiehlts, der Kutscher thuts.

12. In das Herz des größten Weltbezwingers Setze du hinein, Und es wird der größte Leidensüberwinder Bezeichnet sein.

Gustav Schwab (1792—1850). *227. Das Gewitter. 1. Urahne, Großmutter, Mutter und Kind In dumpfer Stube beisammen sind,Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt, Großmutter spinnet, Urahne gebückt Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl — Wie wehen die Lüfte so schwül!

194 [IV]

Schleiermacher.

Schwab.

8. Getrennt mir heilig, Vereint abscheulich.

9. Wir sinds gewiß in vielen Dingen, Im Tode sind wirs nimmermehr,' Die sinds, die wir zu Grabe bringen, Und eben diese sinds nicht mehr. Denn weil wir leben, sind wirs eben Bon Geist und Angesicht/ Und weil wir leben, sind wirs eben Zur Zeit noch nicht.

10. Ich sitze oft in mir, Um meiner selbst zu pflegen Und bin dann um mich selbst Recht herzlich ost verlegen.

11. Ein jeder hats, im Grabe ruhts, Der Herr befiehlts, der Kutscher thuts.

12. In das Herz des größten Weltbezwingers Setze du hinein, Und es wird der größte Leidensüberwinder Bezeichnet sein.

Gustav Schwab (1792—1850). *227. Das Gewitter. 1. Urahne, Großmutter, Mutter und Kind In dumpfer Stube beisammen sind,Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt, Großmutter spinnet, Urahne gebückt Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl — Wie wehen die Lüfte so schwül!

2. Das Kind spricht: „Morgen ists Feiertag, Wie will ich spielen im grünen Hag, Wie will ich springen durch Thal und Höhn, Wie will ich pflücken viel Blumen schön: Dem Anger, dem bin ich hold!" — Hört ihrs, wie der Donner grollt? 3. Die Mutter spricht: „Morgen ists Feiertag, Da halten wir alle fröhlich Gelag,Ich selber, ich rüste mein Feierkleid: Das Leben, es hat auch Lust nach Leid, Dann scheint die Sonne wie Gold!" — Hört ihrs, wie der Donner grollt? 4. Großmutter spricht: „Morgen ists Feiertag, Großmutter hat keinen Feiertag: Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid, Das Leben ist Sorg und viel Arbeit; Wohl dem, der that, was er sollt!" — Hört ihrs, wie der Donner grollt? 5. Urahne spricht: „Morgen ists Feiertag, Am liebsten morgen ich sterben mag: Ich kann nicht singen und scherzen mehr, Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer, Was thu ich noch auf der Welt?" — Seht ihr, wie der Blitz dort fällt? 6. Sie hörens nicht, sie sehens nicht, Es flammet die Stube, wie lauter Licht: Urahne, Großmutter/ Mutter und Kind Bom Strahl miteinander getroffen sind, Bier Leben endet ein Schlag — Und morgen ists Feiertag.

Adolf Stöber (1810—1892). 228. A« Dichter und Leser. 1. Willst du dichten, sammle dich, Sammle dich, wie zum Gebete!

2. Das Kind spricht: „Morgen ists Feiertag, Wie will ich spielen im grünen Hag, Wie will ich springen durch Thal und Höhn, Wie will ich pflücken viel Blumen schön: Dem Anger, dem bin ich hold!" — Hört ihrs, wie der Donner grollt? 3. Die Mutter spricht: „Morgen ists Feiertag, Da halten wir alle fröhlich Gelag,Ich selber, ich rüste mein Feierkleid: Das Leben, es hat auch Lust nach Leid, Dann scheint die Sonne wie Gold!" — Hört ihrs, wie der Donner grollt? 4. Großmutter spricht: „Morgen ists Feiertag, Großmutter hat keinen Feiertag: Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid, Das Leben ist Sorg und viel Arbeit; Wohl dem, der that, was er sollt!" — Hört ihrs, wie der Donner grollt? 5. Urahne spricht: „Morgen ists Feiertag, Am liebsten morgen ich sterben mag: Ich kann nicht singen und scherzen mehr, Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer, Was thu ich noch auf der Welt?" — Seht ihr, wie der Blitz dort fällt? 6. Sie hörens nicht, sie sehens nicht, Es flammet die Stube, wie lauter Licht: Urahne, Großmutter/ Mutter und Kind Bom Strahl miteinander getroffen sind, Bier Leben endet ein Schlag — Und morgen ists Feiertag.

Adolf Stöber (1810—1892). 228. A« Dichter und Leser. 1. Willst du dichten, sammle dich, Sammle dich, wie zum Gebete!

196 [IV]

Stöber. Stolberg. Daß dein Geist andächtiglich Vor das Bild der Schönheit trete;

Daß du feine Züge klar, Seine Fülle tief erschauest

Und es dann getreu und wahr Wie in reinen Marmor hauest.

2, Willst du lesen ein Gedicht,

Sammle dich, wie zum Gebete! Daß vor deine Seele licht Das Gebild des Dichters trete;

Daß durch seine Form hinan Du den Blick dir auswärts bahnest

Und, wies Dichteraugen sahn, Selbst der Schönheit Urbild ahnest.

Friedrich Leopold Graf zu Stolberg (1750—1819). 329. Der Felsenstrom. Unsterblicher Jüngling! du strömest hervor Aus der Felsenkluft. Kein Sterblicher sah

Die Wiege des Starken,' es hörte kein Ohr Das Lallen des Edlen im sprudelnden Quell.

5

Wie bist du so schön in silbernen Locken! Wie bist du so furchtbar

Im Donner der hallenden Felsen umher! Dir zittert die Tanne. Du stürzest die Tanne Mit Wurzel und Haupt. 10 Dich fliehen die Felsen.

Du haschest die Felsen

Und wälzest sie spottend, wie Kiesel, dahin.

Dich lleidet die Sonne in Strahlen des Ruhmes. Sie malet mit Farben des himmlischen Bogens Die schwebenden Wolken der stäubenden Flut.

15

Was eilst du hinab zum grünlichen See?

Ist dir nicht wohl beim näheren Himmel?

196 [IV]

Stöber. Stolberg. Daß dein Geist andächtiglich Vor das Bild der Schönheit trete;

Daß du feine Züge klar, Seine Fülle tief erschauest

Und es dann getreu und wahr Wie in reinen Marmor hauest.

2, Willst du lesen ein Gedicht,

Sammle dich, wie zum Gebete! Daß vor deine Seele licht Das Gebild des Dichters trete;

Daß durch seine Form hinan Du den Blick dir auswärts bahnest

Und, wies Dichteraugen sahn, Selbst der Schönheit Urbild ahnest.

Friedrich Leopold Graf zu Stolberg (1750—1819). 329. Der Felsenstrom. Unsterblicher Jüngling! du strömest hervor Aus der Felsenkluft. Kein Sterblicher sah

Die Wiege des Starken,' es hörte kein Ohr Das Lallen des Edlen im sprudelnden Quell.

5

Wie bist du so schön in silbernen Locken! Wie bist du so furchtbar

Im Donner der hallenden Felsen umher! Dir zittert die Tanne. Du stürzest die Tanne Mit Wurzel und Haupt. 10 Dich fliehen die Felsen.

Du haschest die Felsen

Und wälzest sie spottend, wie Kiesel, dahin.

Dich lleidet die Sonne in Strahlen des Ruhmes. Sie malet mit Farben des himmlischen Bogens Die schwebenden Wolken der stäubenden Flut.

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Was eilst du hinab zum grünlichen See?

Ist dir nicht wohl beim näheren Himmel?

20

25

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35

Nicht wohl im hallenden Felsen? Nicht Wohl im Hangenden Eichengebüsch? O, eile nicht so zum grünlichen See! Jüngling, du bist noch stark, wie ein Gott, Frei, wie ein Gott. Zwar lächelt dir unten die ruhende Stille, Die wallende Bebung des schweigenden Sees, Bald silbern vom schwimmenden Monde, Bald golden und rot im westlichen Strahl: O Jüngling, was ist die seidene Ruhe, Was ist das Lächeln des freundlichen Mondes, Der. Abendsonne Purpur und Gold Dem, der in Banden der Knechtschaft sich fühlt? Noch strömest du wild, wie dein Herz gebeut. Dort unten herrschen oft ändernde Winde, Oft Stille des Todes im dienstbaren See. O, eile nicht so zum grünlichen See! Jünglitlg, noch bist du stark, wie ein Gott, Frei, wie ein Gott.

Theodor Storm (1817—1888). 230. Abseits. 1. Es ist so still; die Heide liegt Im warmen Mittagssonnenstrahle, Ein rosenroter Schimmer fliegt Um ihre alten Gräbermale/ Die Kräuter blühn; der Heideduft Steigt in die blaue Sommerlust. 2. Laufkäfer hasten durchs Gesträuch In ihren goldnen Panzerröckchen, Die Bienen hängen Zweig um Zweig Sich an der Edelheide Glöckchen; Die Bögel schwirren aus dem Kraut — Die Luft ist voller Lerchenlaut.

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Nicht wohl im hallenden Felsen? Nicht Wohl im Hangenden Eichengebüsch? O, eile nicht so zum grünlichen See! Jüngling, du bist noch stark, wie ein Gott, Frei, wie ein Gott. Zwar lächelt dir unten die ruhende Stille, Die wallende Bebung des schweigenden Sees, Bald silbern vom schwimmenden Monde, Bald golden und rot im westlichen Strahl: O Jüngling, was ist die seidene Ruhe, Was ist das Lächeln des freundlichen Mondes, Der. Abendsonne Purpur und Gold Dem, der in Banden der Knechtschaft sich fühlt? Noch strömest du wild, wie dein Herz gebeut. Dort unten herrschen oft ändernde Winde, Oft Stille des Todes im dienstbaren See. O, eile nicht so zum grünlichen See! Jünglitlg, noch bist du stark, wie ein Gott, Frei, wie ein Gott.

Theodor Storm (1817—1888). 230. Abseits. 1. Es ist so still; die Heide liegt Im warmen Mittagssonnenstrahle, Ein rosenroter Schimmer fliegt Um ihre alten Gräbermale/ Die Kräuter blühn; der Heideduft Steigt in die blaue Sommerlust. 2. Laufkäfer hasten durchs Gesträuch In ihren goldnen Panzerröckchen, Die Bienen hängen Zweig um Zweig Sich an der Edelheide Glöckchen; Die Bögel schwirren aus dem Kraut — Die Luft ist voller Lerchenlaut.

198 [IV]

Storm. 3. Ein halbverfallen niedrig Haus Steht einsam hier und sonnbeschienen,' Der Kätner lehnt zur Thür hinaus, Behaglich blinzelnd nach den Bienen,Sein Junge auf dem Stein davor Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr. 4. Kaum zittert durch die Mittagsruh Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten; Dem Alten fällt die Wimper zu, Er träumt von seinen Honigernten. Kein Klang der aufgeregten Zeit Drang noch in diese Einsamkeit.

231. Im Walde. 1. Hier an der BergeShalde Verstummet ganz der Wind; Die Zweige hängen nieder, Darunter sitzt das Kind. 2. Sie sitzt in Thymiane, Sie sitzt in lauter Duft; Die blauen Fliegen summen Und blitzen durch die Luft. 3. Es steht der Wald so schweigend. Sie schaut so klug darein; Um ihre braunen Locken Hinfließt der Sonnenschein. 4. Der Kuckuck lacht von ferne, Es geht mir durch den Sinn: Sie hat die goldnen Augen Der Waldeskönigin.

Gerhard Tersteegen (1697—1769). 232. Pilgerlied. 1. Kommt, Kinder! laßt uns gehen, der Abend kommt herbei,' Es ist gefährlich stehen in dieser WüsteneiKommt! stärket euren Mut, Zur Ewigkeit zu wandern, Bon einer Kraft zur andern, Es ist das Ende gut. 2. Ist gleich der Weg was enge, so einsam, krumm und schlecht, Der Dornen in der Menge und manches Kreuzchen trägtEs ist doch nur ein Weg: Laß sein! wir gehen weiter, Wir folgen unserm Leiter Und brechen durchs Geheg! 3. Kommt, Kinder Haßt uns wandern, wir gehen Hand in HandEins freuet sich am andern in diesem wilden Land: Kommt, laßt uns kindlich sein, Uns auf dem Weg nicht streiten! Die Engel uns begleiten Als unsre Brüderlein. 4. Es wird nicht lang mehr währen, halt noch ein wenig auS, Es wird nicht lang mehr währen, so kommen wir nach Haus: Da wird man ewig ruhn, Wann wir mit allen Frommen Daheim zum Bater kommen: Wie wohl, wie wohl wirds thun!

Ludwig Tieck (1773—1853). 233. Herbstlied. 1. Feldeinwärts stog ein Bögelein Und sang im muntern Sonnenschein

Gerhard Tersteegen (1697—1769). 232. Pilgerlied. 1. Kommt, Kinder! laßt uns gehen, der Abend kommt herbei,' Es ist gefährlich stehen in dieser WüsteneiKommt! stärket euren Mut, Zur Ewigkeit zu wandern, Bon einer Kraft zur andern, Es ist das Ende gut. 2. Ist gleich der Weg was enge, so einsam, krumm und schlecht, Der Dornen in der Menge und manches Kreuzchen trägtEs ist doch nur ein Weg: Laß sein! wir gehen weiter, Wir folgen unserm Leiter Und brechen durchs Geheg! 3. Kommt, Kinder Haßt uns wandern, wir gehen Hand in HandEins freuet sich am andern in diesem wilden Land: Kommt, laßt uns kindlich sein, Uns auf dem Weg nicht streiten! Die Engel uns begleiten Als unsre Brüderlein. 4. Es wird nicht lang mehr währen, halt noch ein wenig auS, Es wird nicht lang mehr währen, so kommen wir nach Haus: Da wird man ewig ruhn, Wann wir mit allen Frommen Daheim zum Bater kommen: Wie wohl, wie wohl wirds thun!

Ludwig Tieck (1773—1853). 233. Herbstlied. 1. Feldeinwärts stog ein Bögelein Und sang im muntern Sonnenschein

200 [IV]

Tieck. Uhland.

Mit süßem, wunderbarem Ton: Ade! ich fliege nun davon, Weit! weit! reis ich noch heut. 2. Ich horchte auf den Feldgesang, Mir ward so wohl und doch so bangMit frohem Schmerz, mit trüber Lust Stieg wechselnd bald und sank die Brust. Herz! Herz! brichst du vor Wonn oder Schmerz? 3. Doch als ich Blätter fallen sah, Da sagt ich: Ach! der Herbst ist da, Der Sommergast, die Schwalbe, zieht, Vielleicht so Lieb und Sehnsucht flieht, Weit! weit! rasch mit der Zeit. 4. Doch rückwärts kam der Sonnenschein, Dicht zu mir drauf das Bögelein, Es sah mein thränend Angesicht Und sang: die Liebe wintert nicht, Nein! nein! ist und bleibt Frühlingsschein.

Ludwig Uhland (1787—1862).

*234. Einkehr (1811). 1. Bei einem Wirte, wundermild, Da war ich jüngst zu gaste: Ein goldner Apfel war sein Schild An einem langen Aste. 2. Es war der gute Apfelbaum, Bei dem ich eingekehretMit süßer Kost und frischem Schaum Hat er mich wohl genähret. 3. Es kamen in sein grünes Haus Mel leichtbeschwingte GästeSie sprangen frei und hielten Schmaus Und sangen auf das beste.

200 [IV]

Tieck. Uhland.

Mit süßem, wunderbarem Ton: Ade! ich fliege nun davon, Weit! weit! reis ich noch heut. 2. Ich horchte auf den Feldgesang, Mir ward so wohl und doch so bangMit frohem Schmerz, mit trüber Lust Stieg wechselnd bald und sank die Brust. Herz! Herz! brichst du vor Wonn oder Schmerz? 3. Doch als ich Blätter fallen sah, Da sagt ich: Ach! der Herbst ist da, Der Sommergast, die Schwalbe, zieht, Vielleicht so Lieb und Sehnsucht flieht, Weit! weit! rasch mit der Zeit. 4. Doch rückwärts kam der Sonnenschein, Dicht zu mir drauf das Bögelein, Es sah mein thränend Angesicht Und sang: die Liebe wintert nicht, Nein! nein! ist und bleibt Frühlingsschein.

Ludwig Uhland (1787—1862).

*234. Einkehr (1811). 1. Bei einem Wirte, wundermild, Da war ich jüngst zu gaste: Ein goldner Apfel war sein Schild An einem langen Aste. 2. Es war der gute Apfelbaum, Bei dem ich eingekehretMit süßer Kost und frischem Schaum Hat er mich wohl genähret. 3. Es kamen in sein grünes Haus Mel leichtbeschwingte GästeSie sprangen frei und hielten Schmaus Und sangen auf das beste.

4. Ich fand ein Bett zu süßer Ruh Auf weichen, grünen Matten,Der Wirt, er deckte selbst mich zu Mit seinem kühlen Schatten. 5. Nun fragt ich nach der Schuldigkeit: Da schüttelt er den Wipfel. Gesegnet sei er allezeit Von der Wurzel bis zum Gipfel!

*235. Siegfrieds Schwert (1812). 1. Jung Siegfried war ein stolzer Knab, Ging von des Vaters Burg herab. 2. Wollt rasten nicht in Vaters Haus, Wollt wandern in alle Welt hinaus. 3. Begegnet ihm manch Ritter wert Mit festem Schild und breitem Schwert. 4. Siegfried nur einen Stecken trug, Das war ihm bitter und leid genug. 5. Und als er ging im finstern Wald, Kam er zu einer Schmiede bald. 6. Da sah er Eisen und Stahl genug, Ein lustig Feuer Flammen schlug. 7. „O Meister, liebster Meister mein! Laß du mich deinen Gesellen sein, 8. Und lehr du mich mit Fleiß und Acht, Wie man die guten Schwerter macht!" 9. Siegfried den Hammer wohl schwingen kunnt, Er schlug den Amboß in den Grund. 10. Er schlug, daß weit der Wald erklang Und alles Eisen in Stücken sprang. 11. Und von der letzten Eisenstang Macht er ein Schwert, so breit und lang. 12. „Nun hab ich geschmiedet ein gutes Schwert, Nun bin ich wie andre Ritter wert. 13. Nun schlag ich wie ein andrer Held Die Riesen und Drachen in Wald und Feld."

202 LIV]

Uhland.

»236. Die Kapelle (1805). 1. Droben stehet die Kapelle, Schauet still ins Thal hinab, Drunten singt bei Wies und Quelle Froh und hell der Hirteriknab. 2. Traurig tönt das Glöcklein nieder, Schauerlich der Leichenchor,Stille sind die frohen Lieder, Und der Knabe lauscht empor. 3. Droben bringt man sie zu Grabe, Die sich freuten in dem ThalHirtenknabe! Hirtenknabe! Dir auch singt man dort einmal.

*237. Schäfers SonntagSlied (1805). 1. Das ist der Tag des Herrn! Ich bin allein auf weiter Flur,Noch eine Morgenglocke nur. Nun Stille nah und fern! 2. Anbetend knie ich hier. O, süßes Graun! geheimes Wehn!

Als knieten viele ungesehn Und beteten mit mir. 3. Der Himmel, nah und fern, Er ist so klar und feierlich. So ganz, als wollt er öffnen sich. Das ist der Tag des Herrn!

*238. DeS Knabe« Berglieb (1806). 1. Ich bin vom Berg der Hirtenknab, Seh auf die Schlösser all herab. Die Sonne strahlt am ersten hier, Am längsten weilet sie bei mir. Ich bin der Knab vom Berge! 2. Hier ist des Stromes Mutterhaus, Ich trink ihn frisch vom Stein heraus,Er braust vom Fels in wildem Lauf, Ich fang ihn mit den Armen auf. Ich bin der Knab vom Berge!

3. Der Berg, der ist mein Eigentum, Da zieh« die Stürme rings herum; Und heulen sie von Nord und Süd,

So überschallt sie doch mein Lied: Ich bin der Knab vom Berge! 4. Sind Blitz und Donner unter mir,

So steh ich hoch im Blauen hier,Ich kenne sie und rufe zu:

Laßt meines Vaters Haus in Ruh!

Ich bin der Knab vom Berge!

5. Und wann die Sturmglock einst erschallt, Manch Feuer auf den Bergen wallt, Dann steig ich nieder, tret ins Glied

Und schwing mein Schwert und sing mein Lied: Ich bin der Knab vom Berge!

*289. Das Schloß am Meere (1805).

1. „Hast du das Schloß gesehen,

das hohe Schloß am Meer?

Golden und rosig wehen die Wolken drüber her. 2. Es möchte sich niederneigeu in die spiegelklare Flut. Es möchte streben und steigen in der Abendwolken Glut." —

3. „Wohl hab ich es gesehen, das hohe Schloß am Meer, Und den Mond darüber stehen und Nebel weit umher." — 4. „Der Wind und des Meeres Wallen, Vernahmst du aus hohen Hallen

gaben sie frischen

Klang? Saiten und Festgesang?" —

5. „Die Winde, die Wogen alle lagen in tiefer Ruh,hört ich mit Thränen zu." —

Einem Klagelied aus der Halle

6. „Sähest du oben gehen

den König und sein Gemahl,

Der roten Mäntel Wehen, der goldnen Kronen Strahl? 7. Führten sie nicht mit Wonne eine schöne Jungfrau dar, Herrlich wie eine Sonne, strahlend im goldnen Haar?" —

8. „Wohl sah ich die Eltern beide, Im schwarzen Trauerkleide,-

ohne der Kronen Licht,

die Jungfrau sah ich nicht."

204 [IV]

Uhland.

*240. Die Rache (1810). 1. Der Knecht hat erstochen den edeln Herrn, Der Knecht wär selber ein Ritter gern. 2. Er hat ihn erstochen im dunkeln Hain Und den Leib versenket im tiefen Rhein. 3. Hat angeleget die Rüstung blank, Auf des Herren Roß sich geschwungen frank. 4. Und als er sprengen will über die Brück, Da stutzet das Roß und bäumt sich zurück. 5. Und als er die güldnen Sporen ihm gab, Da schleuderts ihn wild in den Strom hinab. 6. Mit Arm, mit Fuß er rudert und ringt, Der schwere Panzer ihn niederzwingt.

241. Frühlingslieder. 1. Frühlingsglaube (1812). 1. Die linden Lüfte sind erwacht, Sie säuseln und weben Tag und Nacht, Sie schaffen an allen Enden. O, frischer Duft! o, neuer Klang! Nun, armes Herze, sei nicht bang! Nun muß sich alles, alles wenden. 2. Die Welt wird schöner mit jedem Tag, Man weiß nicht, was noch werden mag: Das Blühen will nicht enden. Es blüht das fernste, tiefste ThalNun, armes Herz, vergiß der Qual! Nun muß sich alles, alles wenden.

2. Frühlingsruhe (1812). 1. O, legt mich nicht ins dunkle Grab, Nicht unter die grüne Erd hinab! Soll ich begraben sein, Lieg ich ins tiefe Gras hinein. 2. In Gras und Blumen lieg ich gern, Wenn eine Flöte tönt von fern.

Und wenn hoch obenhin Die Hellen Frühlingswolken ziehn.

3. Frühliugstrost (1833). Was zagst du, Herz, in solchen Tagen,

Wo selbst die Dorne Rosen tragen?

4. Künftiger Frühling (1827). Wohl blühet jedem Jahre

Er ist dir noch beschieden

Sein Frühling mild und licht, Am Ziele deiner Bahn, Auch jener große, klare —

Du ahnest ihn hienieden,

Getrost! er fehlt dir nicht-

Und droben bricht er an.

5. Frühlingslied des Rezensenten (1812). 1.

Frühling ists, ich laß es gelten,

Und mich freuts, ich muß gestehen, Daß man kann spazieren gehen, Ohne just sich zu erkälten.

2.

Störche kommen an und Schwalben,

Nicht zu frühe, nicht zu frühe!

Blühe nur, mein Bäumchen, blühe! Meinethalben, meinethalben!

3.

Ja! ich fühl ein wenig Wonne,

Denn die Lerche singt erträglich,

Philomele nicht alltäglich, Nicht so übel scheint die Sonne. 4. Daß es keinen überrasche, Mich im grünen Feld zu sehen!

Nicht verschmäh ich auszugehen, Kleistens Frühling in der Tasche.

242. Märznacht (1810). Horch! wie brauset der Sturm

Schaurig süßes Gefühl!

und der schwellende Strom iit

der Nacht hin! lieblicher Frühling, du nahst!

243. Das Schifflein (1810). 1. Ein Schifflein ziehet leise

Den Strom hin seine Gleise.

206 [IV)

Uhland. Es schweigen, die drin wandem, Denn keiner kennt den andern.

2. Was zieht hier aus dem Felle Der braune Weidgeselle? Ein Horn, das sanft erschallet/ Das Ufer wiederhallet. 3. Bon seinem Wanderstabe

Schraubt jener Stift und Habe Und mischt mit Flötentönen

Sich in des Hornes Dröhnen. 4. Das Mädchen saß so blöde, Als fehlt' ihr gar die Rede,

Jetzt stimmt sie mit Gesänge Zu Horn und Flötenklange.

5. Die Rudrer auch sich regen Mit taktgemäßen Schlägen-

Das Schiff hinunter flieget,

Bon Melodie gewieget. 6. Hart stößt es auf am Strande, Man trennt sich in die Lande: Wann treffen wir uns, Brüder,

Auf einem Schifflein wieder?

244. Ruhethal (1812). Wann im letzten 'Abendstrahl Goldne Wolkenberge steigen Und wie Alpen sich erzeigen, Frag ich oft mit Thränen:

Liegt wohl zwischen jenen Mein ersehntes Ruhethal?

245. Der Wirtin Töchterlein (1809).

1. Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein, Bei einer Frau Wirtin, da kehrten sie ein: 2. „Frau Wirtin! hat Sie gut Bier und Wein?

Wo hat Sie Ihr schönes Töchterlein?" —

3. „Mein Bier und Wein ist frisch und klar. Mein Töchterlein liegt auf der Totenbahr."

4.

Und als sie traten zur Kammer hinein,

Da lag sie in einem schwarzen Schrein.

Der erste, der schlug den Schleier zurück

5.

Und schaute sie an mit traurigem Blick:

6. „Ach, lebtest du noch, du schöne Maid! Ich würde dich lieben von dieser Zeit." Der zweite deckte den Schleier zu

7.

Und kehrte sich ab und weinte dazu:

8. „Ach, daß du liegst auf der Totenbahr! Ich hab dich geliebet so manches Jahr." Der dritte hub ihn wieder sogleich

9.

Und küßte sie an den Mund so bleich: 10.

„Dich liebt ich immer, dich lieb ich noch heut

Und werde dich lieben in Ewigkeit." 246. 1.

Der Schilfer (1805).

Der schöne Schäfer zog so nah

Vorüber an dem Königsschloß,'

Die Jungfrau von der Zinne sah, Da war ihr Sehnen groß.

2. Sie rief ihm zu ein süßes Wort: „O, dürst ich gehn hinab zu dir! Wie glänzen weiß die Lämmer dort,

Wie rot die Blümlein hier!" 3. Der Jüngling ihr entgegenbot:

„O, kämest du herab zu mir! Wie glänzen so die Wänglein rot. Wie weiß die Arme dir!"

4.

Und als er nun mit stillem Weh

In jeder Früh vorübertrieb,

Da sah er hin, bis in der Höh

Erschien sein holdes Lieb.

5.

Dann rief er freundlich ihr hinauf:

„Willkommen, Königstöchterlein!"

208 [IV]

Uhland.

Ihr süßes Wort ertönte drauf: „Biel Dank, du Schäfer mein!" 6. Der Winter floh, der Lenz erschien, Die Blümlein blühten reich umher,' Der Schäfer that zum Schlöffe ziehn, Doch sie erschien nicht mehr. 7. Er rief hinauf so klagevoll: „Willkommen, Königstöchterlein!" Ein Geisterlaut herunter scholl: „Ade, du Schäfer mein!"

247. Die Biitergrnst (1805). 1. Es ging wohl über die Heide zur alten Kapell empor Ein Greis im Waffengeschmeide und trat in den dunkeln Chor. 2. Die Särge seiner ,Ahnen standen die Hall entlang, Aus der Tiefe thät ihn mahnen ein wunderbarer Gesang. 3. „Wohl hab ich euer Grüßen, ihr Heldengeister, gehört, Eure Reihe soll ich schließen? Heil mir! ich bin es wert." 4. Es stand an kühler Stätte ein Sarg noch ungefüllt,' Den nahm er zum Ruhebette, zum Pfühle nahm er den Schild. 5. Die Hände thät er falten aufs Schwert und schlummert ein. Die Geisterlaute verhallten, da möcht es gar stille sein.

248. Der schwarze Ritter (1806). 1. Pfingsten war, das Fest der Freude, Das da feiern Wald und Heide. Hub der König an zu sprechen: „Auch aus den Hallen Der alten Hofburg allen Soll ein reicher Frühling bre­ chen !" 2. Trommeln und Drommeten schallen, Rote Fahnen festlich wallen. Sah der König vom Balköne;

In Lanzenspielen Die Ritter alle fielen Bor des Königs starkem Sohne. 3. AbervordesKampfesGitter Ritt zuletzt ein schwarzer Ritter. „Herr! wie ist Eur Nam und Zeichen?" — „Würd ich es sagen, Ihr möchtet zittern und zagen,' Bin ein Fürst von großen Rei­ chen."

4. Als er in die Bahn gezogen, Dunkel ward desHimmelsBogen, Und das Schloß begann zu beben. Beim ersten Stoße Der Jüngling sank vom Roste, Konnte kaum sich wieder heben. 5. Pfeif und Geige ruft zu Tänzen, Fackeln durch die Säle glänzen,Wankt ein großer Schatten drin­ nen. Er thät mit Sitten Des Königs Tochter bitten, Thät den Tanz mit ihr beginnen. 6. Tanzt im schwarzen Kleid von Eisen, Tanzet schauerliche Weisen, Schlingt sich kalt um ihre Glieder. Bon Brust und Haaren Entfallen ihr die klaren Blümlein welk zur Erde nieder. 7. Und zur reichen Tafel kamen Alle Ritter, alle Damen. Zwischen Sohn und Tochterinnen Mit bangem Mute Der alte König ruhte,

249.

Sah sie an mit stillem Sinnen. 8. Bleich die Kinder beide schienenBot der Gast den Becher ihnen': „Goldner Wein macht euch ge­ nesen." Die Kinder tranken,Sie thäten höflich danken: „Kühl ist dieser Trunk gewesen." 9. An des Vaters Brust sich schlangen Sohn und Tochter- ihre Wangen Thäten völlig sich entfärben. Wohin der graue, Erschrockne Vater schaue, Sieht er eins der Kinder sterben. 10. „Weh! die holden Kinder beide Nahmst du hin in JugendfreudeNimm auch mich, den Freude­ losen!" Da sprach der Grimme Mit hohler, dumpfer Stimme: „Greis, im Frühling brech ich Rosen."

Die sterbenden Helden (1805).

1. Der Dänen Schwerter drängen Schwedens Heer Zum wilden Meer, Die Wagen klirren fern, es blinkt der Stahl Im Mondenstrahl. Da liegen, sterbend, auf dem Leichenfeld Der schöne Sven und Ulf, der graue Held. 2. „O Vater! daß mich in der Jugend Kraft Die Norne rafft! Hessel, Mustergedichte. IV.

14

Nun schlichtet nimmer meine Mutter mir Der Locken ZierVergeblich spähet meine Sängerin Vom hohen Turm in alle Ferne hin." — 3. „Sie werden jammern, in der Nächte Graun Im Traum uns schaun. Doch sei getrost! bald bricht der bittre Schmerz Ihr treues HerzDann reicht die Buhle dir bei Odins Mahl, Die goldgelockte, lächelnd den Pokal." — 4. „Begonnen hab ich einen Festgesang Zum Saitenklang Bon Königen und Helden grauer Zeit In Lieb und Streit. Verlassen hängt die Harfe nun, und bang Erweckt der Winde Wehen ihren Klang." — 5. „Es glänzet hoch und her im Sonnenstrahl Allvaters Saal, Die Sterne wandeln unter ihm, es ziehn Die Stürme hin. Dort tafeln mit den Vätern wir in Ruh, Erhebe dann dein Lied und end eö du!" — 6. „O Vater! daß mich in der Jugend Kraft Die Norne rafft! Noch leuchtet keiner hohen Thaten Bild Auf meinem SchildZwölf Richter thronen hoch und schauerlich, Die werten nicht des Heldenmahles mich." — 7. „Wohl wieget eines viele Thaten auf — Sie achten drauf — Das ist um deines Vaterlandes Not Der Heldentod. Sieh hin! die Feinde fliehen. Blick hinan! Der Himmel glänzt, dahin ist unsre Bahn!"

250. Der König auf dem Turme (1805). 1. Da liegen sie alle, die grauen Höhn,

Die dunkeln Thäler in milder Ruh,Der Schlummer waltet, die Lüfte wehn Keinen Laut der Klage mir zu.

2. Für alle hab ich gesorgt und gestrebt, Mit Sorgen trank ich den funkelnden Wein,-

Die Nacht ist gekommen, der Himmel belebt, Meine Seele will ich erfreun.

3. O, du goldne Schrift durch den Sterneraum! Zu dir ja schau ich liebend empor. Ihr Wunderklänge, vernommen kaum, Wie besäuselt ihr sehnlich mein Ohr!

4. Mein Haar ist ergraut, mein Auge getrübt, Die Siegeswaffen hängen im Saal,

Habe Recht gesprochen und Recht geübt,

Wann darf ich rasten einmal?

5. O, selige Rast, wie verlang ich dein! O, herrliche Nacht, wie säumst du so lang? Da ich schaue der Sterne lichteren Schein Und höre volleren Klang!

251. Des Sängers Fluch (1811 und 1814). 1. Es stand in alten Zeiten Weit glänzt' es über die Lande

ein Schloß, so hoch und hehr,

bis an das blaue Meer,

Und rings von duftgen Gärten ein blütenreicher Kranz, Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz. 2. Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich, Er saß auf seinem Throne

so finster und so bleich,-

Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut, Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

3. Einst zog nach diesem Schlöffe ein edles Sängerpaar, Der ein in goldnen Locken, der andre grau von Haar,Der Alte mit der Harfe,

der saß auf schmuckem Roß,

-Es schritt ihm frisch zur Seite

der blühende Genoß.

4. Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn! Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton, Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz." 5. Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal, Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl,' Der König furchtbar Prächtig, wie blutger Nordlichtschein, Die Königin süß und milde, als blickte Bollmond drein. 6. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll,' Dann strömte himmlisch Helle des Jünglings Stimme vor, Des Alten Sang dazwischen, wie dumpfer Geisterchor. 7. Sie singen von Lenz und Liebe, von seiger goldner Zeit, Bon Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit, Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt, Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt. 8. Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott, Des Königs trotzge Krieger, sie beugen sich vor Gott. Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust, Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust. 9. „Ihr habt mein Volk verführet,' verlockt ihr nun mein Weib?" Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib, Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durch­ dringt, Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt. 10. Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm. Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm,Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß, Er bindt ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß. 11. Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis, Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis, An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt, Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt: 12. „Weh euch, ihr stolzen Hallen! nie töne süßer Klang Durch eure Räume wieder, nie Saite, noch Gesang,

Mein, Seufzer nur und Stöhnen

und scheuer Sklavenschritt, der Rachegeist zertritt!

Bis euch zu Schutt und Moder

13. Weh euch, ihr duftgen Gärten -Euch zeig ich dieses Toten

im holden Maienlicht!

entstelltes Angesicht,

Daß ihr darob verdorret,

daß jeder Quell versiegt,

Daß ihr in künftgen Tagen

Versteint, verödet liegt.

14. Weh dir, verruchter Mörder,

du Fluch des Sängertums!

Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen Mutgen Ruhms! Dein Name sei vergessen, in ewge Nacht getaucht,

in leere Luft verhaucht!"

Sei, wie ein letztes Röcheln,

15. Der Alte hats gerufen, der Himmel hats gehört, Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört; Noch eine hohe Säule

zeugt von verschwundner Pracht;

Auch diese, schon geborsten,

kann stürzen über Nacht.

16. Und rings, statt duftger Gärten,

ein ödes Heideland:

Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,

kein Lied, kein Heldenbuch,'

Des Königs Namen meldet

Versunken und vergessen!

das ist des Sängers Fluch.

252. Vertrau de Born (1829). 1. Droben, auf dem schroffen Nun der halbe dich nicht rettet, Steine, Ruf den ganzen doch herbei, Raucht, in Trümmern, Autafort, Daß er neu dein Schloß dir baue, Und der Burgherr steht gefesselt Deine Ketten brech entzwei!"— Vor des Königs Zelte dort:

„Kamst du, der mit Schwert

3. „Wie du sagst, mein Herr und König,

Steht vor dir Vertrau de Born, und Liedern Aufruhr trug von Ort zu Ort, Der mit einem Lied entflammte Der die Kinder aufgewiegelt Perigord und Ventadorn,

Gegen ihres Vaters Wort?

Der dem mächtigen Gebieter 2. Steht vor mir, der sich ge-> Stets im Auge war ein Dorn,

rühmet In vermeßner Prahlerei, Daß ihm nie mehr als die Hälfte

Seines Geistes nötig sei?

Dem zuliebe Königskinder

Trugen ihres Vaters Zorn. 4. Deine Tochter saß im Saale, Festlich, eines Herzogs Braut,

214 [IV]

Uhland.

Und da sang vor ihr mein Bote, Dem ein Lied ich anvertraut; Sang, was einst ihr Stolz ge­ wesen, Ihres Dichters Sehnsuchtlaut, Bis ihr leuchtend Braut­ geschmeide Ganz von Thränen war betaut. 5. Aus des Ölbaums Schlum­ merschatten Fuhr dein bester Sohn empor, Als Mt zorngen Schlachtge­ sängen Ich bestürmen ließ sein Ohr. Schnell war ihm das Roß ge­ gürtet, Und ich trug das Banner vor, Jenem Todespfeil entgegen, Der ihn traf vor Montforts Thor. 6. Blutend lag er mir im Arme; Nicht der scharfe, kalte Stahl — Daß er sterb in deinem Fluche, Das war seines Sterbens Qual.

Strecken wollt er dir die Rechte Über Meer, Gebirg und Thal^

Als er deine nicht erreichet, Drückt' er meine noch einmal. 7. Da, wie Autafort dort oben. Ward gebrochen meine Kraft; Nicht die ganze, nicht die halbe Blieb mir: Saite nicht, noch Schaft. Leicht hast du den Arm gebunden. Seit der Geist mir liegt in Haft; Nur zu einem Trauerliede Hat er sich noch aufgerafft." 8. Und der König senkt die Stirne: „Meinen Sohn hast du verführt. Hast der Tochter Herz verzaubert. Hast auch meines nun gerührte Nimm die Hand, du Freund des Toten, Die verzeihend ihm gebührt! Weg die Fesseln! deines Geistes Hab ich einen Hauch verspürt."

253. Der Waller (1829). In den Städten, in den Klöstern Werden alle Glocken wach. Und es schweigt die Meereswoge, Die noch kaum sich tobend brach. Und der Schiffer kniet am Ruder, Bis er leis sein Ave sprach. 3. An dem Tage, da man feiert Der Gepriesnen Himmelfahrt, 2. Rührt sich dort die Abend­ Wo der Sohn, den sie geboren. Sich als Gott ihr offenbart, glocke, Hallt es weit die Gegend nach, Da in ihrem Heiligtume

1. Auf Galiziens Felsenstrande Ragt ein heilger Gnadenort, Wo die reine Gottesmutter Spendet ihres Segens Hort. Dem Verirrten in der Wildnis Glänzt ein goldner Leitstern dort, Dem Berstürmten auf dem Meere Öffnet sich ein stiller Port.

Wirkt sie Wunder mancher Art- Bis ein himmlisch Gnadenwunder Wo sie sonst im Bild nur wohnet, Sprenget feine Kettenlast. 8. Trüg er Sohlen auch von Fühlt man ihre Gegenwart.

4. Bunte Kreuzesfahnen ziehen Durch die Felder ihre Bahn,

Eisen, Wie er wallet ohne Schuh,

Mit bemalten Wimpeln grüßet Lange hätt er sie zertreten, Und noch ward ihm nirgend Ruh.

Jedes Schiff und jeder Kahn,

Auf dem Felsenpfade klimmen

Nimmer findet er den Heilgen,

Waller, festlich angethan-

Der an ihm ein Wunder thuAlle Gnadenbilder sucht er, Eine volle Himmelsleiter, Steigt der schroffe Berg hinan. Keines winkt ihm Frieden zu. 5. Doch den heitern Pilgern 9. Als nun der den Fels er­ folgen Andre, barfuß und bestaubt,

stiegen Und sich an der Pforte neigt,

Angethan mit harnen Hemden, Tönet schon das Abendläuten,

Asche tragend auf dem Haupt; Dem die Menge betend schweigt. Solche sinds, die der Gemein­ Nicht betritt sein Fuß die Hallen,

schaft

Drin der Jungfrau Bild sich zeigt,

Frommer Christen sind beraubt, Farbenhell im Strahl der Sonne, Denen nur am Thor der Kirche Die zum Meere niedersteigt.

Hinzuknieen ist erlaubt. 10. Welche Glut ist ausgegossen 6. Und nach allen keuchet einer, Über Wolken, Meer und Flur! Dessen Auge trostlos irrt.

Blieb der goldne Himmel offen,

Den die Haare wild umflattern, Als empor die Heilge fuhr?

Dem ein langer Bart sich wirrt- Blüht noch auf den Rosenwolken Einen Reif von rosigem Eisen Ihres Fußes lichte Spur? Trügt er um den Leib geschirrt, Schaut die Reine selbst hernieder Ketten auch um Arm und Beine, Aus dem glänzenden Azur?

Daß ihm jeder Tritt erklirrt. 11. Alle Pilger gehn getröstet, 7. Weil erschlagen er den Bru­ Nur der eine rührt sich nicht, der Liegt noch immer an der Schwelle

Mit dem bleichen Angesicht. Ließ er aus dem Schwerte schmie­ Fest noch schlingt um Leib und Einst in seines Zornes Hast,

den Jenen Ring, der ihn umfaßt.

Glieder

Sich der Feffeln schwer GewichtFern vom Herde, fern vom Hofe Aber frei ist schon die Seele, Wandert er und will nicht Rast, Schwebet in dem Meer von Licht

254. Die Bidaffoabriicke (1834). 1. Auf der Bidaffoabriicke

Einmal wirbelt noch dieTrommel,

Steht ein Heilger, altergrau, Und ein alter Kriegsmann spricht: Segnetrechts die spanschen Berge, 5. „Rollt die Fahne denn zu­ Segnet links den fränkschen Gau. sammen, Wohl bedarfs an dieser Stelle Die der Freiheit Banner war!

Nicht zum erstenmale wandelt Milden Trostes himmelher, Wo so mancher von der Heimat Diesen Grenzweg ihre Schar; Scheidet ohne Wiederkehr.

2. Auf der Bidassoabrücke Spielt ein zauberhaft Gesicht:

Wo der eine Schatten siehet, Sieht der andre goldnes Licht/

Nicht zum erstenmale sucht sie

Eine Freistatt in der Fern; Doch sie zieht, nicht arm an Ehre, Zieht nicht ohne günstgen Stern:

6. Der von borgen Freiheitskämpfm

Wo dem einen Rosen lachen,

Sieht der andre dürren Sand; Mehr, als einer, Narben führt,

Heute, da wir alle bluten, Jedem ist das Elend finster. Jedem glänzt sein Vaterland. Mina! bliebst du unberührt; 3. Friedlich rauscht die Bidaffoa Ganz und heil ist uns der Retter, Zu der Herde Glockenklang,

Noch verbürgt ist Spaniens Glück.

Schreiten wir getrost hinüber! Knall auf Knall den Tag entlang ; Einst noch kehren wir zurück." 7. Mina rafft sich auf vom Und am Abend steigt hernieder Steine, Eine Schar zum Flußgestad,

Aber im Gebirge dröhnet

Unstet, mit zerrißner Fahne,

Blut beraufelt ihren Pfad*).

4. Auf der Bidassoabrücke

Müde saß er dort und still, Blickt noch einmal nach den Bergen,

Wo die Sonne sinken will. Binden sich die frischen Wunden, Seine Hand, zur Brust gehalten, Hemmt nicht mehr desBlutesLauf; Zählen, wer noch übrig fei; Lehnen sie die Büchsen bei,

Auf der Bidassoabrücke Doch ihr Häuflein wächset nicht. Brachen alte Wunden auf.

Lange harren sie Vermißter,

*) Dies geschah int Oktober 1830. Spaniens, 3. Band, S. 93.)

(Baumgarten, Geschichte

255. Die Kaiserwahl (1808). Aus denk Trauerspiel: Ernst, Herzog von Schwaben. Kaiserwahl war am 8. September 1023.

5

10

15

20

25

30

Der fromme Kaiser Heinrich war gestorben, Des sächsischen Geschlechtes letzter Zweig, Das glorreich ein Jahrhundert lang geherrscht. Als nun die Botschaft in das Reich erging, Da fuhr ein reger Geist in alles Volk, Ein neu Weltalter schien HeraufzuziehnDa lebte jeder längst entschlafne Wunsch Und jede längst erloschne Hoffnung auf. Kein Wunder jetzo, wenn ein deutscher Mann, Dem sonst so hohes nie zu Hirne stieg, Sich, heimlich forschend, mit den Blicken maß. Kanns doch nach deutschem Rechte wohl geschehn, Daß, wer dem Kaiser heut den Bügel hält, Sich morgen selber in den Sattel schwingt! Jetzt dachten unsre freien Männer nicht An Hub- und Haingericht und Markgeding, Wo man um Esch und Holzteil Sprache hält. Nein, stattlich ausgerüstet, zogen sie Aus allen Gauen, einzeln und geschart, Ins Maienfeld hinab zur Kaiserwahl. Am schönen Rheinstrom, zwischen Worms und Mainz, Wo unabsehbar sich die ebne Flur Auf beiden Ufern breitet, sammelte Der Andrang sich- die Mauern einer Stadt Vermochten nicht das deutsche Volk zu fassen. Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt Die Sachsen samt der slavschen Nachbarschaft, Die Baiern, die Ostfranken und die SchwabenAm linken lagerten die rheinschen Franken, Die Ober- und die Niederlothringer. So war das Mark von Deutschland hier gedrängt, Und mitten in dem Lager jeden Volks Erhub sich stolz das herzogliche Zelt. Da war ein Grüßen und ein Händeschlag,

Die

35 Ein Austausch, ein lebendiger Verkehr! Und jeder Stamm verschieden an Gesicht, An Wuchs und Haltung, Mundart, Sitte, Tracht, An Pferden, Rüstung, Waffensertigkeit,

Und alle doch ein großes Brüdervolk,

40 Zu gleichem Zwecke festlich hier vereint! Was jeder im besondern erst beriet,

Im hüllenden Gezelt und im Gebüsch Der Jnselbuchten, mählich wars gereift

Zum allgemeinen, offenen Beschluß.

45 Aus vielen wurden wenige gewählt, Und aus den wenigen erkor man zween, Allbeide Franken, fürstlichen Geschlechts, Erzeugt von Brüdern, Namensbrüder selbst, Kunrade, längst mit gleichem Ruhm genannt.

50

Da standen nun auf eines Hügels Saum Im Kreis der Fürsten, sichtbar allem Volk,

Die beiden Männer, die aus freier Wahl Das deutsche Volk des Thrones wert erkannt Bor allen, die der deutsche Boden nährt.

55 Von allen würdigen die würdigsten Und so einander selbst an Würde gleich, Daß fürder nicht die Wahl zu schreiten schien, Und daß die Wage ruht' im Gleichgewicht.

Da standen sie, das hohe Haupt geneigt,

60 Den Blick gesenkt, die Wange schamerglüht, Von stolzer Demut überwältiget. Ein königlicher Anblick wars, ob dem

Die Thräne rollt in manchen Mannes Bart. Und wie nun harrend all die Menge stand

65 Und sich des Volkes Brausen so gelegt, Daß man des Rheines stillen Zug vernahm — Denn niemand wagt' es, diesen oder den

Zu küren mit dem hellen Ruf der Wahl,

Um nicht am andern Unrecht zu begehn,

70 Noch aufzuregen Eifersucht und Zwist: —

Da sah man plötzlich, wie die beiden Herrn

Einander herzlich faßten bei der Hand Und sich begegneten im Bruderkuß.

Da ward es klar: sie hegten keinen Neid,

75 Und jeder stand dem andern gern zurück. Der Erzbischof von Mainz erhub sich jetzt: „Weil doch," so rief er, „einer es muß sein, So seis der öftre!" Freudig stimmten bei

Gesamte Fürsten und am freudigsten

80 Der jüngre Kunrad.

Donnergleich erscholl, Oft wiederholt, des Volkes Beifallsruf. Als der Gewählte drauf sich niederließ,

Ergriff er seines edeln Vetters Hand Und zog ihn zu sich auf den Königssitz.

85 Und in den Ring der Fürsten trat sofort Die fromme Kaiserwitwe Kunigund: Glückwünschend reichte sie dem neuen König

Die treubewahrten Reichskleinode dar.

90

Zum Festzng aber scharten sich die ReihnBoran der König, folgend mit Gesang Die Geistlichen und Laien- so viel Preis Erscholl zum Himmel nie an einem Tag. Wär Kaiser Karl gestiegen aus der Gruft, Nicht freudiger hätt ihn die Welt begrüßt.

95

So wallten sie den Strom entlang nach.Mainz,

Woselbst der König im erhabnen Dom Der Salbung heilge Weihe nun empfing. Wen seines Volkes Ruf so hoch gestellt, Dem fehle nicht die Kräftigung von Gott!

100 Und als er wieder aus dem Tempel trat, Erschien er herrlicher, als kaum zuvor,

Und seine Schulter ragt' ob allem Volk.

256. An das Vaterland (1813). 1. Dir möcht ich diese Lieder weihen. Geliebtes deutsches Vaterland!

Uhland.

220 [IVJ

Denn dir, dem neuerstandnen, freien, Ist all mein Sinnen zugewandt. 2. Doch Heldenblut ist dir geflossen,

Dir sank der Jugend schönste Zier. Nach solchen Opfern, heilig großen, Was gälten diese Lieder dir?

257.

Die verlorene Kirche (1812).

1. Man höret oft im fernen Wald Von obenher ein dumpfes Läuten,

Doch niemand weiß, von wann es hallt,

Und kaum die Sage kann es deuten. Von der verlornen Kirche soll

Der Klang ertönen mit den Winden-

Einst war der Pfad von Wallern voll,

Nun weiß ihn keiner mehr zu finden.

2. Jüngst ging ich in dem Walde weit,

Wo kein betretner Steig sich dehnetAus der Verderbnis dieser Zeit Hatt ich zu Gott mich hingesehnet. Wo in der Wildnis alles schwieg, Vernahm ich das Geläute wiederJe höher meine Sehnsucht stieg, Je näher, voller klang es nieder.

3. Mein Geist war so in sich gekehrt, Mein Sinn vom Klange hingenommen,

Daß mir es immer unerklärt, Wie ich so hoch hinauf gekommen. Mir schien es mehr denn hundert Jahr,

Daß ich so hingeträumet hätte, Als über Nebeln sonnenklar

Sich öffnet eine freie Stätte.

4. Der Himmel war so dunkelblau, Die Sonne war so voll und glühend, Und eines Münsters stolzer Bau

Stand in dem goldnen Lichte blühend.

Mir dünkten Helle Wolken ihn

Gleich Fittichen emporzuheben, Und seines Turmes Spitze schien Im feigen Himmel zu verschweben. 5. Der Glocke wonnevoller Klang

Ertönte schütternd in dem Turme/

Doch zog nicht Menschenhand den Strang, Sie ward bewegt von Heilgem Sturme. Mir wars, derselbe Sturm und Strom Hätt an mein klopfend Herz geschlagen/

So trat ich in den hohen Dom Mit schwankem Schritt und freudgem Zagen.

6. Wie mir in jenen Hallen war, Das kann ich nicht mit Worten schildern.

Die Fenster glühten dunkelklar Mit aller Märtrer frommen Bildern/ Dann sah ich, wundersam erhellt,

Das Bild zum Leben sich erweitern, Ich sah hinaus in eine Welt

Bon Heilgen Frauen, Gottesstreitern. 7. Ich kniete nieder am Altar, Bon Lieb und Andacht ganz durchstrahlet.

Hoch oben an der Decke war

Des Himmels Glorie gemalet/ Doch als ich wieder sah empor,

Da war gesprengt der Kuppel Bogen, Geöffnet war des Himmels Thor Und jede Hülle weggezogen. 8. Was ich für Herrlichkeit geschaut

Mit still anbetendem Erstaunen, Was ich gehört für selgen Laut,

Als Orgel mehr und als Posaunen:

Das steht nicht in der Worte Macht/

Doch wer darnach sich treulich sehnet. Der nehme des Geläutes acht, Das in dem Walde dumpf ertönet!

Uhland. Volkslieder.

222 [IV]

258.

Freie Kunst (1812).

1. Singe, wem Gesang gegeben, Was die Stunden dir verleih»:

In dem deutschen Dichterwald! Gib

fliegend

ein

Blatt

den

Winden! Wenns von allen Zweigen schallt. Muntre Jugend hascht es ein. Das ist Freude, das ist Leben,

2. Nicht an wenig stolze Namen

Ist die Liederkunst gebannt^ Äusgestreuet ist der Samen Über alles deutsche Land.

6. Fahret wohl, geheime Kun­ den, Nekromantik, Alchymie! Formel hält uns nicht gebunden,

3. DeinesvollenHerzensTriebe, Unsre Kunst heißt Poesie. Gib sie keck im Klange frei!

Säuselnd wandle deine Liebe,

7. Heilig achten wird die Geister,

Aber Namen sind uns Dunst/

Donnernd uns deinZorn vorbei! Würdig ehren wir die Meister, 4. Singst du nicht dein gan­ Aber frei ist uns die Kunst.

zes Leben, Sing doch in der Jugend Drang!

8. Nicht in kalten Marmor­

Nur im Blütenmond erheben

steinen, Nicht in Tempeln dumpf und tot:

Nachtigallen ihren Sang.

In den frischen Eichenhainen

5.

Kann mans nicht in BücherWebt und rauscht der deutsche Gott. binden,

259. Bolkslieder. 1. 1.

O Straßburg.

O Straßburg, o Straßburg,

Darinnm liegt begraben

du wunderschöne Stadt!

so manicher Soldat.

2. So mancher, so schöner, auch tapferer Soldat, Der Vater und lieb Mutter böslich verlaffen hat. 3.

Berlaffen, verlaffen,

es kann nicht anders sein!

Zu Straßburg, ja zu Straßburg Soldaten müssen sein. 4. Der Vater, die Mutter, die gingen vors Hauptmanns Haus: „Ach, Hauptmann, lieber Herr Hauptmann,

gebt mir meinen

Sohn heraus!"

5.

„Euern Sohn kann ich nicht geben

Euer Sohn, der muß marschieren

für noch so vieles Geld;

ins weit und breite Feld,

Volkslieder.

[IV] 223

6. Ins weite, ins breite und auch noch vor den Feind, Wenn gleich sein schwarzbrauns Mädchen so bitter um ihn weint." 7. Sie weinet, sie greinet, sie klaget also sehr: „Ade, Herzallerliebster! wir sehn uns nimmermehr." 2. Schlachtgesang.

Kein seliger Tod ist in der Welt, Als wer fürm Feind erschlagen Auf grüner Heid, im freien Feld,'

Darf nicht hörn groß Wehklagen. 5

Im engen Bett, da einer allein Muß an den Todesreihen, Hie aber findt er Gesellschaft fein,

Fallen mit, wie die Kräuter im Maien. Und Pfeifengesang

Ich sag ohn Spott:

Wird man begraben,

10 Kein seliger Tod

Davon man thut haben

Ist in der Welt, Als so man fällt

Unsterblichen Ruhm.

Auf grüner Heid

Mancher Held frumm Hat zugesetzt Leib und Blute

Ohn Klag und Leid! 15 Mit Trommelnklang

Dem Vaterland zu gute.

3. Der Flug der Liebe. 1.

Wenn ich ein Vöglein wär Wenn ich erwachen thu,

Und auch zwei Flüglein hätt,

Bin ich allein.

Flöz ich zu dir, Weil es aber nicht kann sein, Bleib ich allhier.

3. Es vergeht keine Stund in der Nacht, Da mein Herze nicht erwacht

2. Bin ich gleich weit von dir, Und an dich gedenkt, Bin ich doch im Schlaf bei dir Daß du mir viel tausendmal

Und red mit dir:

Dein Herz geschenkt. 4. Gruß.

1. So viel Stern am Himmel stehen, So viel Schäflein, als da gehen In dem grünen grünen Feld-

So viel Vöglein, als da fliegen, Als da hin und wieder fliegen,

So viel Mal sei du gegrüßt!

20

Volkslieder.

224 [IV]

Voß.

2. Weiß nicht, ob auf dieser Erden Nach viel Trübsal und Beschwerden Ich dich Wiedersehen soll. Was für Wellen, was für Flammen

Schlagen über mir zusammen!

Ach, wie groß ist meine Not!

3. Ja, ich will dich nicht vergessen,

Wenn ich sollte unterdessen Auf dem Todbett schlafen ein. Auf dem Kirchhof will ich liegen, Wie ein Kindlein in der Wiegen, Das die Lieb thut wiegen ein.

Johann Heinrich Boß (1751—1826). 260. Der siebzigste Geburtstag Auf die Postille gebückt,

zur Seite des wärmenden Ofens,

Saß der redliche Tamm,

seit vierzig Jahren des Dorfes

Organist, im geerbten und künstlich gebildeten Lehnstuhl, Mit braunnarbichtem Jucht voll schwellender Haare bepolstert. 5 Oft die Hände gefaltet,

und oft mit lauterem Murmeln

Las er die tröstenden Spruch und Ermahnungen. Aber allmählich Starrte sein Blick, und er sank

in erquickenden Mittagsschlummer.

Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener JackeDenn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag, 10 Und ihm hatte sein Sohn,

der gelehrte Pastor in Marlitz,

Zuließ, ihn zu besuchen

voll alten balsamischen Rheinweins in den hohlen Wegen es irgend mit seiner jungen Gemahlin.

Eine der Flaschen hatte

der alte Mann bei der Mahlzeit

Jüngst vier Flaschen gesandt

Und gelobt, wenn der Schnee

15 Fröhlich des Siegels beraubt und mit Mütterchen auf die Gesundheit Ihres Sohnes geklingt

und seiner jungen Gemahlin,

Die er so gerne noch sähe

Auf der Postille lag

vor seinem seligen Ende.

sein silberfarbenes Haupthaar,

Volkslieder.

224 [IV]

Voß.

2. Weiß nicht, ob auf dieser Erden Nach viel Trübsal und Beschwerden Ich dich Wiedersehen soll. Was für Wellen, was für Flammen

Schlagen über mir zusammen!

Ach, wie groß ist meine Not!

3. Ja, ich will dich nicht vergessen,

Wenn ich sollte unterdessen Auf dem Todbett schlafen ein. Auf dem Kirchhof will ich liegen, Wie ein Kindlein in der Wiegen, Das die Lieb thut wiegen ein.

Johann Heinrich Boß (1751—1826). 260. Der siebzigste Geburtstag Auf die Postille gebückt,

zur Seite des wärmenden Ofens,

Saß der redliche Tamm,

seit vierzig Jahren des Dorfes

Organist, im geerbten und künstlich gebildeten Lehnstuhl, Mit braunnarbichtem Jucht voll schwellender Haare bepolstert. 5 Oft die Hände gefaltet,

und oft mit lauterem Murmeln

Las er die tröstenden Spruch und Ermahnungen. Aber allmählich Starrte sein Blick, und er sank

in erquickenden Mittagsschlummer.

Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener JackeDenn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag, 10 Und ihm hatte sein Sohn,

der gelehrte Pastor in Marlitz,

Zuließ, ihn zu besuchen

voll alten balsamischen Rheinweins in den hohlen Wegen es irgend mit seiner jungen Gemahlin.

Eine der Flaschen hatte

der alte Mann bei der Mahlzeit

Jüngst vier Flaschen gesandt

Und gelobt, wenn der Schnee

15 Fröhlich des Siegels beraubt und mit Mütterchen auf die Gesundheit Ihres Sohnes geklingt

und seiner jungen Gemahlin,

Die er so gerne noch sähe

Auf der Postille lag

vor seinem seligen Ende.

sein silberfarbenes Haupthaar,

von violettenem Sammet,

20 Seine Brill und die Mütze

und geschmückt mit goldener Troddel.

Mit Fuchspelze verbrämt

Mütterchen hatte das Bett

und die Fenster mit reinen Gardinen

Ausgeziert, die Stube gefegt und mit Sande gestreuet, Über den Tisch die Decke mit roten Blumen gebreitet

25 Und die bestäubten Blätter Auck der Winterlevkoj

des Feigenbaums an dem Fenster,

und des Rosenbusches gereinigt,

Samt dem grünenden Korb

Maililien hinter dem Ofen. die zinnernen Teller und Schüsseln

Ringsum blinkten gescheurt

ein paar stettinische Krüge,

Auf dem Gesims, und es hingen

30 Blaugeblümt, an den Pflöcken, Desem und Mangelholz

die Feuerkieke von Messing,

und die zierliche Elle von Nußbaum.

Aber das grüne Klavier,

vom Greise gestimmt und besaitet,

und schimmerte,' unten befestigt,

Stand mit bebildertem Deckel Hing ein Pedal,- es lag

auf dem Pult ein offnes Choralbuch. 35 Auch den eichenen Schrank, mit geflügelten Köpfen und Schnörkeln, Schraubenförmigen Füßen und Schlüsselschilden von Messing (Ihre selige Mutter,

die Küsterin, kauft' ihn zum Brautschatz),

Hatte sie abgestäubt

und mit glänzendem Wachse gebohnet.

ein Hund und ein züngelnder Löwe, Beide von Gips, Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern, 40 Zween Theetöpfe von Zinn und irdene Taffen und Äpfel.

Oben stand auf Stufen

Jetzo erhob sie sich vom binsenbeflochtenen Spinnstuhl, Langsam, trippelte leise auf knirrendem Sande zur Wanduhr

des Schlaggewichts an den Nagel, Daß den Greis nicht weckte das klingelnde Glas und der Kuckuck,45 Sah dann hinaus, wie des Schnees dichtstöbernde Flocken am Fenster Rieselten, und wie der zuckende Sturm in den Eschen des Hofes Hin und knüpfte die Schnur

Rauscht' und verwehte die Spuren

Und sie schüttelt' das Haupt

50 „Lieber Gott, wie es stürmt

der hüpfenden Krähn an der

Scheune. und flüsterte halb, was sie dachte:

und der Schnee in den Gründen sich aufhäuft!

Arme reisende Leute!

Kein Mensch wohl jagte bei solchem

Wetter den Hund aus der Thüre, $ es fei, Mustergedichte. IV.

wer seines Viehs sich erbarmet!

15

226 [IV]

Voj;.

Aber mein Sohn kommt doch zum Geburtstag! gar zu besonders Wühlt mir das Herz! und seht, wie die Katz auf dem Tritte des Tisches Schnurrt und ihr Pfötchen leckt und Bart und Nacken sich putzet! 55 Das bedeutet ja Fremde, nach aller Vernünftigen Urteil!" Sprachs und setzte die Tassen mit zitternden Händen in Ordnung, Füllte die Zuckerdos und scheuchte die sumsenden Fliegen, Die ihr Mann mit der Klappe verschont, zur Wintergesellschaft,' Nahm zwei irdene Pfeifen, mit grünen Posen gezieret, 60 Von dem Gesims und legte Tabak auf den zinnernen Teller. Jetzo ging sie und rief mit leiser, heiserer Stimme Aus der Gesindestube Marie vom rummelnden Spulrad, Wo sie gehaspeltes Garn von der Wind abspulte zum Weben: „Scharre mir Kohlen, Marie, aus dem tiefen Ofen, und lege 65 Kien und Torf hinein und dürres buchenes Stammholz,' Aber sacht, daß der Vater vom Mittagsschlummer nicht aufwacht. Sinkt das Feuer zu Glut, dann schiebe den knorrigen Klotz nach; Denn der alte Vater, das wissen wir, klaget beständig Über Frost und sucht die Sonne sogar in der Ernte.

70 Auch die Kinderchen hätten

ein warmes Stübchen wohl nötig." Also sprach sie; da scharrte Marie aus dem Ofen die Kohlen, Legte Feurung hinein und weckte die Glut mit dem Blasbalg, Hustend, und schimpfte den Rauch undwischtediethränenden Augen; Aber Mütterchen brannt am Feuerherd in der Pfanne 75 Über der Glut den Kaffee und rührt ihn mit hölzernem Löffel. Knatternd schwitzten die Bohnen und bräunten sich, während ein dicker Duftender Qualm aufstieg, die Küch und die Diele durchräuchernd. Und sie langte die Mühle herab vom Gesimse des Schornsteins, Schüttete Bohnen darauf und nahm sie zwischen die Kniee, 80 Hielt mit der Linken denRumpf und drehte den Knopf mit der Rechten; Sammelt auch oft haushältrisch die hüpfenden Bohnen vom Schoße; Goß dann auf braunes Papier den grobgemahlenen Kaffee. Aber nun hielt sie mitten im Lauf die raffelnde Mühl an, Wandte sich gegen Marie, die den Ofen schloß, und gebot ihr: 85 „Eile, Marie, und sperre den wachsamen Hund in den Holzstall,

Daß, wenn der Schlitten kommt, sein Gebell den Vater nicht wecke. Aber versäumt auch Thoms, vor dunkler Nacht von dem Fischer Unsere Karpfen zu holen? Aus Vorsicht bring ihm den Beutel. Wenn er auch etwas Holz, die Gans am Spieße zu braten, 90 Splitterte! Bring ihm das Beil, und bedeut ihn. Dann im Vorbeigehn und sieh, ob der Schlitten nicht ankommt!" Also sprach sie; da eilte die fleißige Magd aus der Küche, Nahm von der rußichten Wand das Beil und den maschigen Beutel; Lockte mit schimmligem Brote den treuen Monarch in den Holzstall, 95 Krampte die Thüre zu und ließ ihn kratzen und winseln; Lief durch den Schnee in die Scheune, wo Thoms mit gewaltiger Arbeit Häckerling schnitt, denn ihn fror, und bedeutet' ihn; eilte dann weiter, Stieg auf den Taubenschlag und pustete, rieb sich die Hände, Steckte sie unter die Schürz und schlug sich über die Schultern. 100 Jetzo sah sie im Nebel des fliegenden Schnees, wie der Schlitten Dicht vor dem Dorfe vom Berg herklingelte; stieg von der Leiter Eilend herab und brachte der alten Mutter die Botschaft. Hastig enteilte die Mutter mit bebenden Knieen, ihr Herz schlug Ängstlich, ihr Atem war kurz, und im Laufen entflog der Pantoffel.

Steig auf den Taubenschlag,

105 Jene ging zu der Pfort und öffnete. Näher und näher Kam das Gekling und das Klatschen der Peitsch und der Pferde Getrampel,' Und nun schwebte der Schlitten herein durch die Pforte des Hofes, Hielt an der Thür, und es schnoben, beschneit und dampfend, die Pferde. Mütterchen eilte hinzu: „Willkommen!" rief sie, „Willkommen!" HO Küßt' und umarmte den lieben Sohn, der zuerst aus dem Schlitten Sprang, und half der Tochter aus ihrem zottigen Fußsack, Löst' ihr die samtne Kapuz und küßte sie; Thränen der Freude Rannen von ihrem Gesicht auf die schönen Wangen der Tochter. „Aber wo bleibt mein Vater? er ist doch gesund am Geburtstag?" 115^ragte^erSohn^atuscht^^nitwinkendenHänden^ieMutter:

228 {IV]

Wackernagel.

Botz.

,/Still, er schläft! nun laßt

die beschneiten Mäntel euch abziehn-^

Und dann weck ihn mit Küssen,

du liebe, trauteste Tochter!

Armes Kind, das Gesicht ist dir ganz rot von dem Ostwind. Aber die Stub ist warm, und gleich soll der Kaffee bereit sein!" 120 Also sprach sie und hängt' an gedrechselte Pflöcke die Mäntel,Öffnete leise die Klink und ließ die Kinder hineingehn. Aber die junge Frau

mit schönem, lächelnden Antlitz

Hüpfte hinzu und küßte

des Greises Wange- erschrocken

Sah er empor und hing

in seiner Kinder Umarmung.

Postille — Predigtbuch - Kalmank — glänzender WollenstoffMaililien — Maiblumen- Feuerkieke — Wärmpfanne für die FüßeDefem — Schnellwage - Posen = Federkiele/ auf das Mundstück der Tabakspfeifen gesteckt.

Wilhelm Wackernagel (1806—1869). 261. Zmn neue« Jahr. 1.

Ein Jahr geht hin, das andre kommt,

Nur eines bleibt und stehet fest, Und eines bleibt, das ewig frommt: Gott, der die Seinen nie verläßt,' Gott, der die Seinen nie verläßt, Sie hebt und hält, sie hegt und pflegt

Und doppelt fest Ans Herz sie preßt, Wenn seine Vaterhand sie schlägt.

2.

Das Jahr wird alt, das Jahr wird neu,

Gott aber ist stets neu und alt, Neu in der Lieb, alt in der Treu.

Laß uns auch leben dergestalt! Laß uns auch leben dergestalt: So werden stets, jahraus, jahrein

Und grau und alt Und todeskalt Wir Gottes und er unser sein.

228 {IV]

Wackernagel.

Botz.

,/Still, er schläft! nun laßt

die beschneiten Mäntel euch abziehn-^

Und dann weck ihn mit Küssen,

du liebe, trauteste Tochter!

Armes Kind, das Gesicht ist dir ganz rot von dem Ostwind. Aber die Stub ist warm, und gleich soll der Kaffee bereit sein!" 120 Also sprach sie und hängt' an gedrechselte Pflöcke die Mäntel,Öffnete leise die Klink und ließ die Kinder hineingehn. Aber die junge Frau

mit schönem, lächelnden Antlitz

Hüpfte hinzu und küßte

des Greises Wange- erschrocken

Sah er empor und hing

in seiner Kinder Umarmung.

Postille — Predigtbuch - Kalmank — glänzender WollenstoffMaililien — Maiblumen- Feuerkieke — Wärmpfanne für die FüßeDefem — Schnellwage - Posen = Federkiele/ auf das Mundstück der Tabakspfeifen gesteckt.

Wilhelm Wackernagel (1806—1869). 261. Zmn neue« Jahr. 1.

Ein Jahr geht hin, das andre kommt,

Nur eines bleibt und stehet fest, Und eines bleibt, das ewig frommt: Gott, der die Seinen nie verläßt,' Gott, der die Seinen nie verläßt, Sie hebt und hält, sie hegt und pflegt

Und doppelt fest Ans Herz sie preßt, Wenn seine Vaterhand sie schlägt.

2.

Das Jahr wird alt, das Jahr wird neu,

Gott aber ist stets neu und alt, Neu in der Lieb, alt in der Treu.

Laß uns auch leben dergestalt! Laß uns auch leben dergestalt: So werden stets, jahraus, jahrein

Und grau und alt Und todeskalt Wir Gottes und er unser sein.

Etwas vom deutschen Versbau (Metrik).

[IV] 229

Etwas vom deutschen Bersbau (Metrik). Der Versbau ist im Deutschen an sehr einfache Gesetze -gebunden, da er sich lediglich nach der Betonung richtet, wohingegen die Metrik der Griechen auf Messung der Sil­ benlänge beruhte, d. h. der Zeitdauer, die eine Silbe zur Aussprache erforderte. Der Vortrag der griechischen Dich­ tungen war auf Gesang oder doch mindestens auf taktgemäße Begleitung von Flöten berechnet, wir hingegen denken zunächst nur an das Sprechen. Trotzdem hat man seit Opitz versucht, griechische Bersgesetze auf deutsche Dichtkunst anzuwenden. Es wird dies jedoch weder im Ganzen noch im Einzelnen jemals gelingen können, weil eben die Grundlage des Versbaues bei beiden Völkern von Haus aus verschieden ist. Doch ist man nach dem Vorgang von Opitz stillschweigend übereingekommen, daß man die Länge der Silben, wie die griechische Vers­ lehre sie kennt, gleich achten wolle der Betonung, wie das Deutsche sie kennt, und die Kürze der Silben der Tonlosig­ keit oder auch der schwächern Betonung. Man hat ferner die griechische Bezeichnung „Hebung" (was dort die Hebung des Fußes bedeutete beim Angeben des Taktes) gleichgesetzt mit „Betonung", und mit dem Ausdruck „Senkung" (was im Griechischen das Stampfen mit dem Fuß zur Taktangabe be­ deutete) hat man die Tonlosigkeit bezeichnet, indem man sich einredete, Hebung solle die Hebung der Stimme, d. h. Be­ tonung ausdrücken, Senkung aber die Senkung der Stimme, also Tonlosigkeit. Damit wäre angenommen, daß jedesmal die betonten Silben hoch gesprochen würden, was manchmal zu­ trifft, manchmal nicht, da es doch ganz auf den Sinn der Worte ankommt, ob die Stimme in die Höhe geht oder sich senkt. Hören wir nunmehr, wie die griechischen Verstakte oder Versfüße — so genannt nach dem Fußstampfen zum Takt — in deutschen Gedichten sich ausnehmen. Wir nennen also nach Vorbild der Griechen einen Jam­ bus die Aufeinanderfolge einer unbetonten und einer betonten Silbe, wie in „gewiß". Die Worte: „es klingt ein heller Klang" sind demnach drei Jamben. Eine jambische Zeile be­ ginnt unbetont,- der jambische Gang der Verse heißt auch „steigender Rhythmus." — Umgekehrt ist ein Trochäus die Folge einer betonten und einer unbetonten Silbe, z. B. „König".

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Etwas vom deutschen Versbau (Metrik).

Die Worte „Preisend mit viel schönen Reden" sind vier Trochäen- der trochäische Gang der Verse wird auch „fallender Rhythmus" genannt. — Der jambische Gang erscheint hüpfender^ wenn zwei unbetonte Silben der betonten voraufgehen, wie in „General", ein solcher Takt heißt Anapäst- „an den Höfen er­ scholl der Gesang" sind drei Anapäste - in jambischen VersganK »verden ost Anayäste eingestreut, z. B. „zu tauchen in diesen Schlund". — Ähnlich erscheint der trochäische Rhythmus be­ wegter, wenn der betonten Silbe zwei unbetonte folgen- der so veränderte Takt oder Versfuß heißt Daktylus, z. B. „lieb­ licher". Die Worte „die ihn so lieb.lich bescheint" sind zwei Daktylen mit einer Nachschlagsilbe. Eine Langzeile von sechs Daktylen, die aber beliebig mit Trochäen vertauscht sein können, ist der Hexameter. Wohl­ gemerkt: der deutsche Hexameter, denn der echte griechische Hexameter zeigt Daktylen mit Spondeen gemischt, d. h. mit Verstakten von zwei langen Silben, was in Deutschland zwei betonten Silben gleichzusetzen wäre. Da dies aus mancher­ lei Gründe im Deutschen nicht gut thunlich ist, so gestattet man sich anstatt dessen, je nach Wahl auch Trochäen anzuwen­ den. Der Hexameter ist der erzählende Bers der Griechen, der Vers Homers. Er zerfällt in zwei ungleiche Hälften, deren erste betont, die zweite aber unbetont beginnt, denn der VerK hat eine Pause (Einschnitt, Cäsur) im dritten oder auch im vierten Takt, wohlgemerkt: im Takt, nicht nach dem Takt! Ist die Pause im vierten Versfuß, dann ist auch im zweiten Takt eine kleine Pause, so daß die Verszeile dann in drei Teile zerfällt. Beispiele der ersten und zweiten Art: „Himmlischer! sucht nicht dich || mit ihren Augen die Pflanze, Streckt nach dir | die schüchternen Arme || der niedrige Strauch nicht? (Hölderlin: an den Äther.)

Der fünfte Takt des Hexameters darf nur sehr aus­ nahmsweise zweisilbig sein, der sechste jedoch m u ß es sein. Die zwei letzten Takte des Hexameters für sich allejn heißen der adonische Vers, in solchen bewegt sich Lenaus: Primula veris. Wird dem Hexameter eine kürzere Berszeile beigesügt, die im Grunde nur die zweimalige Setzung der ersten Hälfte des Hexameters ist und Pentameter heißt (Fünfmaß), so nennt man dies das elegische Versmaß; je zwei solcher Zeilen heißen ein Distichon (Mehrzahl: die Distichen, d. h. Zwei­ zeilen). Ein Gedicht in diesem Versmaß hieß eine Elegie- in

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Distichen bildete man auch gern kurze Sprüche (Epigramme, d. h. Aufschriften), so auch Schiller. Künstliche Strophen des griechischen Altertums sind unter andern die alkäische Strophe des Dichters Alkäos und die sapphische Strophe der Dichterin Sappho. Oft haben jambische oder trochäische Verse eine über­ zählige Nachschlagsilbe oder, wenn man will, eine Silbe zu wenig/ in Preisend mit viel schönen Reden Ihrer Länder Wert und Zahl

besteht die erste Zeile aus vier Trochäen, die zweite aus drei Trochäen mit einer Nachschlagsilbe, man kann auch sagen: aus vier Trochäen mit einer fehlenden Silbe. Von Versen mit un­ betonter letzter Silbe sagt man: sie haben weiblichen Ausgang, wogegen männlicher Ausgang vorhanden ist, wenn die letzte Silbe der Zeile betont ist. Auch Reime unterscheidet man glei­ chermaßen in männliche und weibliche, z. B. Dieb — lieb ist ein männlicher, Diebe — Liebe ein weiblicher Reim. Die klassische Dichtung des Altertums kennt den Reim nur zufällig, nicht als Versgesetz, erst das lateinische christliche Kirchenlied hat aus der Volksdichtung der Römer den Reim ausgenommen. Die ursprünglich nationaldeutsche, heidnische Dichtungsform ist der Stabreim (Alliteration) d. h. der mehr­ mals wiederkehrende Ansangslaut der sinnschweren Worte, z. B. Geld und Gut, Wehr und Waffen. Dieser Anfangsreim steckt uns noch tief im Blute, und er wird noch immer mehr oder weniger absichtlich sehr häufig in Poesie und Prosa ange­ wandt. Die christliche Zeit brachte den Endreim, d. h. den Gleichklang der Endwörter je zwei aufeinanderfolgender Zeilen von dem letzten betonten Vokal an. In jeder Berszeile wurden vier Silben durch stärkere Betonung über die anderen erhoben. Auf diese Silben — wir nennen sie auch Hebungen — kam es vorzugsweise an: ihre Zahl war bestimmt, riicht so die der unbetonten Silben oder Senkungen. Die Hebungen konnten unmittelbar aufeinander folgen oder durch Senkungen getrennt sein; vollends gleichgültig war es, ob der Vers mit einer be­ tonten Silbe anfing, oder ob der ersten Hebung noch eine oder mehrere unbetonte Silben (Auftakt) vorangingen. Jedoch ist von Anfang an das Bestreben wahrzunehmen, Hebungen und Senkungen regelmäßig abwechseln zu lassen, und immer mehr wurde die alte Freiheit im Gebrauch der Senkungen einge-

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Etwas vom deutschen Bersbau (Metrik).

schränkt. Man nennt diese Verse auch kurze Reimpaare,' sie sind die weitaus häufigste Form der erzählenden Dichtung des Mittelalters. Einige epische Gedichte jedoch sind in Strophen abgefaßt, vor allem das Nibelungenlied. Die Nibelungen­ strophe ist die berühmteste Strophenform der Zeit geworden. Sie besteht aus vier paarweis durch den Reim gebundenen Langzellen,' jede Langzeile ist durch einen Einschnitt (Pause, Cäsur) in zwei Teile von je drei Hebungen zerlegt, nur die letzte Halbzeile hat deren vier. Die Reime sind männlich, die Ausgänge vor dem Einschnitt jedoch weiblich. Die spätere Zeit führte auch Binnenreime an der Cäsurstelle ein, so wie sich dies bei der Eingangsstrophe des Nibelungenliedes selbst findet, setzte auch das Maß der letzten Halbzeile auf das der übrigen herab. Diese Abart, auch Hildebrandston genannt, ward außerordentlich beliebt und hat alle Stürme der Zeit über­ dauert- besonders dem protestantischen Kirchengesang (Paul Gerhardt: Befiehl du deine Wege) verdanken wir das Fortbe­ stehen dieses Hildebrandstones. Bon größter Bedeutung für die Entwickelung des Vers­ baues zur regelmäßigen Abwechselung betonter und unbetonter Silben hin war das Erblühen einer vielgestaltigen Lyrik im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts. Die enge Verbindung der Poesie mit der Musik, die regelmäßige Wiederkehr derselben Weise (Melodie) in mehreren Strophen verlangte eine bestimmte Silbenzahl für den einzelnen Bers, und so führte die Rück­ sicht auf die Betonung einerseits, auf die Silbenzahl andrer­ seits zu einem regelmäßigen Wechsel von Hebung und Senkung. An den Auftakt stellte man weniger strenge Forderungen, doch soviel ist unverkennbar, daß man auch ihm gegenüber nicht gleichgültig war: es gibt viele Lieder, in denen Verse mit und ohne Auftakt nach bestimmtem Gesetz mit einander wechseln, so daß der steigende und fallende (jambische und trochäische) Rhyth­ mus jenem Zeitalter keine durchaus unbekannte Sache war. Ja, auch daktylische Rhythmen sind der mittelalterlichen Lyrik nicht völlig fremd (Walther v. d. Vogelweide: wol mir der stunde, da ich sie erkante). Die Strophenformen, welche der Minnegesang hervorge­ bracht hat, sind sehr mannigfaltig; die meisten sind dreiteilig gebaut, d. h. auf zwei metrisch und musikalisch sich völlig ent­ sprechende Teile — die beiden Stollen oder der Aufgesang — folgt ein dritter von ihnen verschiedener Teil: der Abgesang.

Die gefällige Bersform, welche die mittelhochdeutsche Lyrik allmählich herausgebildet hatte^ hielt sich leider nicht lange. Die Rücksicht auf die Silbenzahl hatte sich anfangs mit der älteren Rück­ sicht auf die Zahl der Hebungen glücklich vereinigt, allmählich riß jedoch der jüngere Grundsatz die Herrschaft an sich, und wo überhaupt Regelmäßigkeit im Versbau erstrebt ward, da ließ man sich daran genügen, die Silben zu zählen. So ist es im Meistergesang, so verfuhr auch der berühmteste Meistersänger, Hans Sachs. Dadurch entstanden Verse, welche für unser Ge­ fühl nichts sind als Knittelverse: wir vermissen in ihnen die Rücksicht auf die Sprachbetonung und empfinden die Regelmäßig­ keit, die in der Gleichheit der Silbenzahl liegt, gar nicht als solche. Es ist nun zwar nicht zu verkennen, daß manche Dichter, durch ein natürliches Gefühl geleitet, in ihren Versen einen ziemlich regelmäßigen Wechsel zwischen Hebung und Senkung eintreten ließen, wie die alten Minnesänger, aber als Gesetz war dieser Wechsel nicht anerkannt. Es ist das große Verdienst von Martin Opitz, daß er cs klar aussprach: „Nachmals ist auch ein jeder Vers entweder ein jambicus oder trochaicus,- nicht zwar, daß wir auf Art der Griechen und Lateiner eine gewisse Größe der Silben können in acht nehmen,sondern daß wir aus den Accenten und dem Tone erkennen, welche Silbe hoch nnd welche niedrig gesetzt soll werden. Ein Jambus ist dieser: Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, der folgende ein Trochäus: Mitten wir im Leben sind." Neben dem Jambus und Trochäus, auf welche Opitz hin-weist, wird von jetzt ab am häufigsten daktylischer, auch anapästischer Rhythmus gebraucht. Für die Litteraturperiode, die Opitz eingeleitet hat, ist der Alexandriner der charakteristische Vers, ein sechsfüßiger Jam­ bus mit einer Pause nach dem dritten Fuß, der französischen mittelalterlichen Dichtung (Alexanderlied) entstammend. Der sechsfüßige Jambus der mltiken Dramen (Senar), den auch Schiller zuweilen verwandt hat, hat Pause im dritten oder vierten Verstakt. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts tritt der Alexandriner ganz zurück: vergeblich suchten später Dichter wie Rückert und Freiligrath ihn wieder zu Ehren zu bringen. Obwohl der Alexandriner nur durch eine einzige Silbe sich von unserm Hildebrandston unterscheidet, ist gerade dadurch sein Charakter ganz anders,- für unser Ohr hat der Alexandriner etwas Unangenehmes und Eintöniges.

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Dagegen wurden um die Mitte des 18. Jahrhunderts neue Formen ausgenommen: für das Drama seit Lessings Nathan der fünffüßige reimlose Jambus (der Blankvers der Engländer), der eine Nachbildung des elfsilbigen italienischen Verses ist, für das Epos nach Älopstocks mächtigem Beispiel der Hexameter. Der letztgenannte Dichter suchte auch die künstlichen lyrischen Strophen der Alten neu zu beleben, aber obwohl es ihm nicht an Nachfolgern fehlte, sind sie doch nie recht heimisch geworden. Neben diesen neueren Maßen wurden auch die alten Reimpaare nicht ganz vergessen, wenn sie auch in der gelehrten Litteratur gering geachtet wurden. Göthes Kunst weihte sie aufs neue. Als man dann dem deutschen Mittelalter ein liebevolles Studium zuwandte, lebten auch andere Formen wieder auf: besonders wurde seit Uhland, Arndt, Rückert rc. die Nibelungen­ strophe ein beliebtes Maß, entweder in der Abart des Hilde­ brandstones, oder mehr der ursprünglichen Form angenähert (vgl. Hamerling, Vaterlandslied) auch vielfach dadurch verschleiert, daß die Dichter gerne je zwei Langzeilen zu einer Strophe von vier Kurzzeilen zusammcnstellen, so schon Göthe im König von Thule, Heine in der Lorelei rc. Schreibt man solche Gedichte in Langzeilen, wie es in vorliegender Sammlung öfters geschehen ist, dann wird es auch für das Auge deutlich erkennbar, wie häufig diese echt nationale Strophenart noch immer angewandt wird. Auch die dreiteilige Strophe ist nicht ausgestorben, wenn­ gleich sie verhältnismäßig selten auftritt. Das Volkslied hat schon in früheren Jahrhunderten eine Anzahl einfacher zweiteiliger Strophen geschaffen, die im Grunde nur Abänderungen der kurzen Reimpaare sind: sie haben in jeder Zeile vier oder drei Betonungen und bestehen meist aus vier oder sechs oder acht Zeilen mit mannichfacher Abwechselung in der Anordnung der Reime. Solche Strophen hat mit Vorliebe und Erfolg besonders Uhland erneuert, sie finden sich bei ihm, bei Wilhelm Müller, Hoffmann von Fallersleben, Eichendorff und andern als das weitaus überwiegende Versmaß, meistens jam­ bisch, manchmal auch trochäisch gebildet. Seit dem 18. Jahrhundert sind auch italienische Vers­ maße beliebt geworden,- die Italiener haben meist elfsilbige Berszeilen mit fünf Betonungen, in jambischem Gange: da die italienische Sprache, ähnlich wie die französische, betonte En­ dungen hat, so ist es sehr leicht, in dieser Sprache zu reimen,' infolgedessen liebt die italienische Dichtung künstliche Reim-

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Verschlingungen: Das Sonett hat 14 Zeilen, zu 2 Strophen von je vier und 2 Strophen von je 3 Zeilen geordnet, mit zwei Gruppen verschlungener Reime, deren erste die beiden ersten Strophen beherrscht, die zweite die dritte und vierte Strophe. — Die Terzinen, die Strophe Dantes, sind drei­ zeilige Strophen, wo jedes Reimwort dreifach wiederkehrt, und zwar so, daß die erste und letzte Zeile jeder Strophe auf die mittlere Zeile der vorhergehenden Strophe reimt; der allererste Reim kommt demnach nur zweimal vor, und der letzten Strophe wird noch eine Zeile zugefügt, um der Mittelzeile derselben doch wenigstens einen Reim zu geben. —Die Stanze ist eine achtzeilige Strophe von elfsilbigen oder zehnsilbigen Zeilen, von denen 1, 3, 5 und 2, 4, 6 miteinander reimen, 7 und 8 aber ein Reimwort für sich besitzen. Verse mit fünf Betonungen klingen im Deutschen durchweg etwas schwer, feierlich und fremdartig, sie werden darum nicht sehr häufig angewandt. Im Drama liegt die Sache anders, da der fehlende Reim dort die Sprache der Prosa nähert. Die Spanier lieben vierzeilige Strophen, deren jede Zeile aus vier reimlosen Trochäen besteht, die durch Gleichklang der Vokale (Assonanz) verbunden sind. Herder, Scheffel im Trom­ peter von Säckingen und andere haben solche Verse gebildet. Dem Orient ist das von Rückert und Platen besonders gepflegte Gas el entliehen, d. h. Gedichte, deren beide ersten Zeilen sich reimen und wo dieser selbige Reim durch das ganze Gedicht hindurch sämtlichen geraden Zeilen gegeben wird, wäh­ rend die ungeraden Zeilen reimlos bleiben. Noch von anderer Seite hat der Orient auf die Form unserer Dichtung eingewirkt. Die althebräischen Dichtungen der Bibel, besonders die Psalmen, zeigen einen eigentümlichen freien rhythmischen Gang, der in Luthers deutscher Bibelübersetzung frei wiedergegeben ist, z. B. Der Herr ist mein Hirte, Mir wird nichts mangeln. Er weidet mich

Auf einer grünen Aue Und führet mich Zum frischen Wasser.

Diese biblischen Rhythmen haben Macpherson angeregt, seine Ossianlieder zu dichten, in Deutschland Klopstock zu schwungvollen Oden begeistert, vor allem aber den jungen Göthe zu jenen präch­ tigen Gesängen veranlaßt: „Des Menschen Seele gleicht dem Wasser" und manchen ähnlichen. In seinen Fußtapfen sind dann viele gewandelt, von Heine an (Nordseelieder) bis zu Martin Greif (Frühling der Heide). Diese freien Rhythmen

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finden sich auch in ganz freien Reimen entfaltet, nach dem arabischen Vorbild der Makamen, sie bekommen dann leicht etwas Scherzhaftes, wie in Rückerts und Gülls Kindermärchen. Die nach dem Rhythmus zu betonenden Silben müssen auch beim Lesen betont werden, wenn der Sinn es irgend ge­ stattet- oft sogar ist der Rhythmus ein Fingerzeig für die richtige Betonung, z. B. bei Uhland: „Das Blühen will nicht enden", wo zu betonen sind die Silben: Blüh- will- end- das Wort nicht aber tonlos ist. Erlaubt jedoch der Sinn durchaus nicht, eine bestimmte Hebung zu betonen, dann ist sie doch wenigstens etwas mehr hervorzuheben, als der Sinn es eigentlich verlangt, wohingegen die dem Sinne nach zu betonende Senkung etwas schwächer gesprochen werden muß, als sie es verdiente. Dies nennt man „schwebende Betonung". In Versen verfaßte Dramen liest man besser völlig nach dem Sinn, ohne Beachtung der Versenden, damit die Rede natürlicher erscheine- das regelmäßige Schaukeln der Jamben macht sich schon ganz von selbst für das Ohr geltend. Man liebt auch nicht — und das gilt für alle Arten Ge­ dichte — die einzelnen Berstakte durch Pausen zu trennen, läse man z. B. Herrlich, | sprach der | Fürst von | Sachsen | so klänge das wie Geklapper, wogegen das Durchschneiden der Verstakte durch Pausen natürlicher und doch melodisch sich anhört, also: Herrlich, | sprach | der Fürst | von Sachsen | . Nach jeder Bers­ zeile soll eine kleine Pause gemacht werden, greift der Sinn in die andere Zeile über, so muß diese Pause sehr kurz sein, kann unter Umständen sogar ganz unterdrückt werden. Zuletzt noch eine Bemerkung über die Reime. Sie sind ein Gleichklang, der dem Ohr schmeicheln und zugleich dem Ver­ stand sagen soll, daß die gereimten Zeilen eng zusammen ge­ hören- es muß aber dem Gefühl des Dichters überlassen blei­ ben, zu entscheiden, wie weit er im Gleichklang gehen will: mit Unrecht spricht man darum da, wo der Gleichklang nicht völlig ist, von „unreinen" Reimen und tadelt solche sogar bei großen Dichtern. Wirkliche Dichter leiden nicht an Reimnot, wo sogenannte unreine Reime vorliegen, sind sie beabsichtigt, z. B. bei Heine: Leise zieht durch mein Gemüt- bei Eichen­ dorff: Thür — zurück- vor allem wird Gleichklang nur für das Ohr, nicht fürs Auge verlangt- heimwärts —Herz ist also ein reiner Reim. Manchmal kehrt statt des Reims dasselbe Wort wieder, es ist das gegen die Regel, findet sich aber bei den. besten Dichtern.

Verzeichnis der Dichter. 16. Jahrhundert und später.

Volkslieder. 17. Jahrhundert.

Opitz, Fleming, Dach, Gerhardt, Grimmelshausen. 18. Jahrhundert.

Gleim, Lichtwer, Pfeffel, Bertuch. — Gellert, Tersteegen. — Bürger, Voh, Stolberg, Holty, Miller, Claudius. — Klopstock^ Herder, Göthe, Schiller. — Maler Müller, Hölderlin. 19. Jahrhundert.

Romantiker: Tieck, Brentano, Fouque, Arndt, Schenken­ dorf, Schleierniacher. — Chamisso, Eichendorff, Wilhelm Müller, Heine. Der Romantik teils verwandt, teils sie bekämpfend: Uhland, Rückert, Platen. Schwäbische Dichter und ihnen verwandt: Uhland^ Schwab, Kerner, Hauff, Lenau. Freiheitssänger und Baterlandsdicht'er: Arndt, Körner^ Schenkendorf, Fouquö, Rückert. — Harries/Sollet, Maßmann^ Becker, Schneckenburger, Dohm. Dichter seit Göthes Tod/die vorwiegend in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts blühten: Bechstein, Deinhardstein, Eberhard, Freiligrath, Geibel, Gtesebrecht, Grün^ Herwegh, Hoffmann von Fallersleben, Kinkel, Kopisch, Kugler, Mosen, Wolfgang Müller, Pfarrius, Remick, Seidl, Simrock, Stöber, Vogl, Wackernagel. Dichter aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Eichrodt, Gerok, Greif, Hamerling, Heyse, Keller, Lingg, K. F. Meyer, Mörike, Reinick, Schack, Scheffel, Schwab, Stöber, Storm, Sturm, Trojan. Fabeldichter: Fröhlich, Hey. Kinderliederdichter: Dieffenbach, Enslin, Görres, Güll, Hoffmann von Fallersleben, Kletke, Kopisch, Löwenstein, Reinick, Trojan. Dialektdichter: Frau Engelhard, Groth, Hebel, Holtei,. Reuter, Rosegger, Rottmann, Stieler. Dichterinnen: Luise Brachmann, Annette Droste-Hülshoff, Frau Engelhard, Luise Hensel. Dichter vorwiegend frommer Lieder: Falk, Knapps Krummacher, I. F. Meyer, Spitta, Sturm. Nur durch einzelne Lieder bekannt: Curtman, Feuchtersleben, Kilzer.

Kebensabriß der Dichter. Arndt Ernst Moritz, geb. 26. Dezember 1769 zu Schoritz auf Rügen, unter schwedischer Herrschaft, t 29. Januar 1860 zu Bonn. Er studierte Theologie und Philosophie, durchreiste Deutschland, Un­ garn, Italien und Frankreich und ließ sich 1800 als Dozent der Geschichte an der Universität Greifswald nieder. Während der Un­ terdrückung Deutschlands durch die Franzosen lebte er wiederholt in Schweden. Unter fremdem Namen zurückgekehrt, trat er mit Blücher, Scharnhorst, Gneisenau u. a. in Verbindung und ging 1811 nach Petersburg, wo er bei dem früheren preußischen Minister von Stern eine Anstellung erhielt. Mit diesem reiste er 1813 nach Deutschland und arbeitete an der Erhebung des Volkes eifrig mit, besonders durch Schriften und Lieder. 1818 erhielt er eine Professur der Ge­ schichte an der neu gegründeten Universität Bonn, ward aber wegen angeblicher politischer Umtriebe 1820 seines Amtes enthoben. Friedrich Wilhelm IV. setzte ihn 1840 in seine Stellung wieder ein- 1854 legte er sein Lehramt wegen hohen Alters nieder. von Chamisso Adelbert, geb. 31. Januar 1781 auf Schloß Boncourt in der Champagne, f 21. August 1838 zu Berlin. In der Revolution floh er mit seinen Eltern, ward Page am Hof Friedrich Wilhelm II. von Preußen, später Leutnant, ging 1810 nach Frank­ reich, kehrte aber 1811 wieder nach Berlin-zurück. 1815 bis 1818 machte er auf dem russischen Schiffe „Rurik" eine Weltumseglung mit. Er hat sich auch als Naturforscher ausgezeichnet und war lange Custos des botanischen Gartens zu Berlin. Nur selten verraten ge­ wisse Wendungen in seinen Gedichten, daß deutsch nicht seine Mutter­ sprache gewesen ist. Claudius Matthias, geb. 15. August 1740 zu Reinfeld in Holstein, t 21. Januar 1815 zu Hamburg. S. Mustergedichte III. Dach Simon, geb. 29. Juli 1608 zu Memel, f 15. April 1659 zu Königsberg. Er war Professor der Dichtkunst an der Univer­ sität zu Königsberg. Sein besonderer Gönner war der Große Kurfürst. Dohm Ernst, geb. 24. Mai 1819 zu Breslau, t 5. Februar 1883 zu Berlin. Er studierte Theologie und Philosophie, widmete sich aber ganz schriftstellerischer Thätigkeit, leitete insbesondere seit 1849 die Herausgabe des „Kladderadatsch".

von Droste-Hülshoff Annette, geb. 12. Januar 1798 zu Hülshoff bei Münster, -f 24. Mai 1848 zu Meersburg am Bodensee. Ihre dichterische Begabung entwickelte sich sehr frühe, wurde jedoch von ihren Angehörigen wenig unterstützt. Ihre letzten Lebensjahre brachte sie auf dem Schlosse Meersburg am Bodensee zu, welches dem Gemahl ihrer Schwester, dem als Sprachforscher bekannten Freiherrn von Laßberg, gehörte. Die Sammlung frommer Lieder

„Das geistliche Jahr", sowie viele andere Gedichte wurden erst nach dem Tode der Dichterin veröffentlicht. von Eichendorfs Joseph, geb. 10. März 1788 zu Lubowitz in Oberschlesien, f 26. November 1856 zu Neiße. Er studierte Rechts­ wissenschaft, machte den Freiheitskrieg in Lützows Freischar mit und wurde später Geheimer Rat im Ministerium in Berlin. Außer Ro­ manen und Erzählungen ist er vorzugsweise durch seine Gedichte be­ rühmt geworden, welche in den einfachen Formen des deutschen Volks­ liedes geschrieben sind. Eichrodt Ludwig, geb. 2.Februar 1827 zu Durlach, f 2. Fe­ bruar 1892 zu Lahr in Baden. Er lebte seit 1871 als Oberamts­ richter in Lahr und zeichnete sich besonders als humoristischer Dichter aus. Seine gesammelten Dichtungen umfassen zwei Bände. von Feuchtersleben Ernst, geb. 29. April 1806 zu Wien, t 3. September 1849 ebenda. Er war Arzt in seiner Vaterstadt und veröffentlichte außer verschiedenen Dichtungen zahlreiche wissen­ schaftliche Werke. Besonders bekannt ist seine „Diätetik der Seele." Fleming Paul, geb. 17. Oktober 1609 zu Hartenstein im Erzgebirge, f 2. April 1640 zu Hamburg. Er studierte in Leipzig Medizin und machte dann als Arzt Gesandtschaftsreisen nach Ruß­ land und Persien mit. In Reval verlobte er sich und wollte sich als Arzt dort niederlassen. Doch starb er, ehe er diesen Plan aus­ führen konnte, in Hamburg. Fleming ist neben Gerhardt der vor­ züglichste Liederdichter des 17. Jahrhunderts. Freiligrath Ferdinand, geb. 17. Juni 1810 Zu Detmold, t 18. März 1876 zu Kannstatt. Sein Vater war Lehrer,- er selbst er­ lernte die Kaufmannschaft. Sein Beruf führte ihn nach Amsterdam, Soest, Barmen. Seine Gedichte machten schon sehr früh Aufsehen,die Unterstützung Friedrich Wilhelm IV. erlaubte ihm, ganz der Poesie zu leben. In das Parteigetriebe der vierziger Jahre ver­ wickelt, floh er ins Ausland, lebte als Kaufmann in der Schweiz, Belgien, England, bis er 1866 wieder nach Deutschland kam und zurückgezogen in Kannstatt bei Stuttgart wohnte. Auch als Über­ setzer ist Freiligrath berühmt. Geibel Emanuel, geb. 18. Oktober 1815 zu Lübeck, t 6. April 1884 ebendaselbst, war oer Sohn eines Pfarrers, studierte in Bonn und Berlin, ward Erzieher in Athen und veröffentlichte, zurückge­ kehrt, 1840 seine Gedichte. Friedrich Wilhelm IV. gewährte ihm ein Jahrgehalt. König Max II. von Bayern gab ihm eine Professur für deutsche Litteratur in München- doch hat Geibel nur selten Vor­ lesungen gehalten. Er lebte seit 1868 als Ehrenbürger in seiner Vaterstadt. Besonders begeistert hat ihn die Idee der Wiederher­ stellung eines mächtigen deutschen Kaiserreiches. Seine gesammelten Dichtungen umfassen acht Bände. Gerhardt Paul, geb. 12. März 1607 zu Gräfenhainichen, f 7. Juni 1676 zu Lübben. Bon seinem Bildungsgang ist nur bekannt, daß er Theologie studiert hat- er erhielt aber erst nach dem 30jährigen Kriege 1651 eine Anstellung als Pfarrer in Berlin. Er verlor 1666 sein Amt infolge von Zwistigkeiten mit dem Großen Kurfürsten. Der Herzog von Sachsen gab ihn; eine Stelle in Lübben. Die Zahl der von ihm gedichteten Lieder beträgt 123.

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Lebensabriß der Dichter.

von Goethe Johann Wolfgang, geb. 28. August 1749 zu Frankfurt a. M., f 22. März 1832 zu Weimar. Sein Vater hmr kaiserlicher Rat- er erhielt seinen Unterricht vom Vater selbst und von einzelnen Lehrern, studierte von 1765 bis 1771, mit Unterbrechung durch längere Krankheit, in Leipzig und Straßburg die Rechte. Kurze Zeit Advokat in Frankfurt, 1772 beim Kammergericht in Wetz­ lar thätig, lebte er bis 1775 in seiner Vaterstadt. Am 7. November 1775 kam er auf Einladung des Herzogs. Karl August nach Weimar, wo er, nach und nach verschiedene hohe Ämter bekleidend, zuletzt Mi­ nister, 1)t§ zu seinem Tode verblieben ist. Er machte wiederholt größere Reisen, besonders 1786—1788 nach Italien. Als lyrischer Dichter ist Göthe unübertroffen, er ist aber auch in allen andern Dichtungsarten Meister, besonders im Drama (Götz von Berlichingen, Egmont, Iphigenie, Taffo, Faust), im EpoS (Hermann und Doro­ thea, Balladen), in der Prosadichtung (Werther, Wilhelm Meister, Wahrheit und Dichtung u. a.). Greif Martin, geb. 18. Juni 1839 zu Speier. Sein eigent­ licher Name ist Friedrich Hermann Frey. Von 1859 bis 1867 war er bairischer Offizier, seitdem aber lebt er ganz seinen dichterischen Neigungen in München. Außer Gedichten hat er auch eine Reihe von Dranien geschaffen, deren Stoffe meistens der deutschen Geschichte entnommen sind. von Grimmelshausen Christoph, geb. um 1625 zu Geln­ hausen, f 17. August 1676 zu Renchen im Schwarzwald. Bon seinen Schriften fand der „Simplicissinms" die weiteste Verbreitung, die Geschichte eines Abenteurers, worin die Zustände während des 30jührigen Krieges geschildert sind. Grün Anastasius, eigentlich: Anton Graf von Auersperg, geb. 11. April 1806 zu Laibach, t 12. September 1876 zu Graz. stu­ dierte Rechtswissenschaft und widmete sich dann der Verwaltung seiner Güter. Gleichzeitig entfaltete er eine einflußreiche politische Tbütigkeit. Als Dichter machte er sich bekannt durch den Romanzencyklus „Der letzte Ritter" (Maximilian I.), sowie durch zahlreiche Gedichte. Hamerling Robert, geb. 24. März 1830 zu Kirchbach am Wald in Niederösterreich, f 3. Juli 1889 zu Graz. Er studierte Philologie, lebte als Gymnasiallehrer in Graz und Triest, seit 1866 aber ausschließlich seinem dichterischen Berufe in Graz. Außer lyri­ schen Gedichten ist besonders sein Roman „Aspasta" berühmt geworden. Hauff Wilhelm, geb. 29. November 1802 zu Stuttgart, 1-18. November 1827 daselbst. Er studierte Theologie, widmete sich bald ausschließlich schriftstellerischer Arbeit und starb als Herausgeber des „Morgenblattes". Er ist berühmt als Erzähler (Lichtenstein, Mär­ chen, Novellen). Heine Heinrich, geb. 13. Dezember 1797 zu Düsseldorf, f 17. Februar 1856 zu Paris. Bon jüdischen Eltern geboren, besuchte er das Gymnasium seiner Vaterstadt bis zur Prima, wurde erst Kauf­ mann, dann studierte er, von seinem reichen Oheim unterstützt, in Bonn, Göttingen und Berlin Rechtswissenschaft. Um eine Anstellung als Jurist erhalten zu können, trat er 1825 zum Christentum über. Er zog es aber vor- nur als Schriftsteller thätig zu sein. Nach der

Dulirevolution siedelte er 1831 nach Paris über, wo er nach neun­ jährigem Krankenlager starb. Hensel Luise, geb. 30. März 1798 zu Linum (Brandenburg), t 18. Dezember 1876 zu Paderborn. Tochter eines Pfarrers, trat ste später zur katholischen Konfession über und wirkte lange Jahre als Erzieherin im Kloster Nonnenwerth bei Rolandseck. Sie hat sich durch zahlreiche fromme Lieder bekannt gemacht. von Herder Johann Gottfried, geb. 25. August 1744 zu Mohrungen in Ostpreußen, f 18. Dezember 1803 zu Weimar. Sohn eines Lehrers, studierte er zu Königsberg Theologie, ward Prediger in Riga, machte dann Reisen durch Europa- in Straßburg ward er mit Göthe befreundet, der damals dort studierte. Als Hofprediger kam er nach Bückeburg und durch Göthes Vermittlung 1776 als Ge­ neralsuperintendent nach Weimar. Herder lenkte die Aufmerksamkeit e nachdrücklich auf die Volkspoesie (Stimmen der Völker)- unter i Dichtungen zeichnen sich besonders die Legenden aus. Auch der „Cid" ist allgemein bekannt. Herwegh Georg, geb. 31. Mai 1817 zu Stuttgart, s 7. April 1875 zu Baden-Baden. Er studierte Theologie in Tübingen, ging aber bald zu ausschließlich schriftstellerischer Thätigkeit über. In die politischen Umtriebe der vierziger Jahre verwickelt, lebte er lange im Auslande, beteiligte sich 1849 am badischen Aufstande, mußte fliehen, kehrte aber später wieder nach Deutschland zurück. eyse Paul, geb. 15. März 1830 zu Berlin, lebt zu München, ater wie sein Großvater sind als deutsche Sprachforscher wohlbekannt. Er selbst studierte Philologie und wurde schon 1854 vom König Maximilian von Bayern nach München berufen, um dort ganz als Schriftsteller wirken zu können. Er ist besonders hervor­ ragend als Erzähler. Hoffmann von Fallers leben August Heinrich, geb. 2. April 1798 zu Fallersleben (Hannover), f 19. Januar 1874 zu Corvev an der Weser. Er studierte Sprachwissenschaft, lebte als Universitäts­ lehrer in Breslau, verlor aber seine Stellung in Folge der politi­ schen Berhältniffe, so daß er seit 1841 ohne feste Stellung an ver­ schiedenen Orten lebte. Zuletzt war er Bibliothekar in Corvey. Hölderlin Friedrich, geb. 29. März 1770 zu Lauffen am Neckar, f 7. Juni 1842 zu Tübingen. Er studierte Theologie in Tübingen, ward dann Hauslehrer in Frankfurt a. M. und lebte darauf eine zettlang in Jena, wo er mit Schiller befreundet ward. Darauf ging er als Hauslehrer nach Bordeaux. In Frankfurt be­ reits hatte er seinen Roman „Hyperion oder der Eremit in Griechen­ land" vollendet, der im modernen Griechenland spielt. Die lyrischen Gedichte Hölderlins sind alle in antiken Bersformen gedichtet. Die Neigung des Dichters zur Schwermut steigerte sich nach und nach zum Wahnsinn. Zerrüttet kam er nach Deutschland zurück und lebte als Geisteskranker noch viele Jahre in Tübingen. Keller Gottfried, geb. 19. Juli 1819 zu Glattfelden bei Zürich, t 15. Juli 1890 zu Höttingen bei Zürich. Er bildete sich erst als Landschaftsmaler aus, studierte dann Philosophie und that sich viel­ fach als Schriftsteller hervor (Der grüne Heinrich, Die Leute von Hessel, Mustergedichte. IV. 16

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Lebensabriß der Dichter.

Seldwyla). Bon 1861—1876 Züricher Staatsschreiber, lebte er seit­ dem ganz seinen schriftstellerischen Arbeiten. Kerner Justinus, geb. 18. September 1786 zu Ludwigsburg, t 23. Februar 1862 zu Weinsberg. Er war seit 1819 Arzt in Weinsberg. Mit Uhland und andern schwäbischen Dichtern war er eng befreundet, sein Haus wegen seiner Gastlichkeit berühmt. Im Leben war er heiter, doch haben seine meisten Gedichte etwas Schwer­ mütiges. Kinkel Gottfried, geb. 11. August 1815 zu Oberkassel bei Bonn, f 13. November 1882 zu Zürich. Er studierte Theologie, ward sodann Univerfitätslehrer in Bonn, bis er 1848 sich an der Revolution beteiligte und in Folge dessen in Spandau eingekerkert wurde. Er entfloh und lebte lange in England, seit 1866 als Pro­ fessor der Kunstgeschichte in Zürich. Klop stock Friedrich Gottlieb, geb. 2. Juli 1724 zu Quedlin­ burg, t 14. März 1803 zu Hamburg. Er besuchte die Schule zu Schulpforte, studierte in Jena Theologie und schrieb als Student die drei ersten Gesänge des „Messias". Diese wurden 1748 in den „Bremischen Beiträgen" gedruckt. Bodmer in Zürich lud den jungen Dichter zu sich ein, konnte ihn aber nicht in der Schweiz festhalten. Der König von Dänemark gab ihm ein Jahrgeld, damit er in Ruhe den Messias vollenden könne. Er zog nach Kopenhagen, 1754 nach Hamburg, wo er sich Meta Moller vermählte, die jedoch schon 1758 starb. Bon 1763—1771 lebte Klopstock in Kopenhagen, von da ab wieder in Hamburg. 1792 vermählte er sich nochmals. — Klopstock hat die deutsche Poesie von der Herrschaft des Alexandriners befreit und statt dessen die antiken Bersformen eingeführt- nur in Kirchen­ liedern wandte er den Reim an. Körner Karl Theodor, geb. 23. September 1791 zu Dresden, f 26. August 1813 bei Gadebusch in Mecklenburg. Sein Baier war der bekannte Freund Schillers- Theodor studierte Bergwissenschast in Freiberg, Leipzig und Berlin; 1811 ging er nach Wien und wurde dort zum Hoftheaterdichter ernannt. Am 19. Mäitz 1813 trat er in das Lützowsche Freicorps. Er fiel als Adjutant Lützows in einem Gefechte. Die Sammlung seiner vaterländischen Lieder, die sein Vater später herausgab, heißt „Leier und Schwert". Seine zahl­ reichen Dramen sind als Jugendwerke zu betrachten. Lenau Nikolaus, geb. 13. August 1802 zu Csatad in Südungarn, t 22. Allgust 1850 bei Wien. Sein eigentlicher Name war Nikolaus Niembsch Edler von Strehlenau. Seine Jugend verbrachte er an verschiedenen Orten Ungarns, studierte zuerst Philosophie, dann Rechtswissenschaft, dann' Landwirthschaft zu Preßburg und Wien, später Medizin in Heidelberg. 1832 unternahm er eine Reise nach Amerika und lebte von 1833 ab bald in Wien, bald in Württem­ berg, wo er sich enge an die schwäbischen Dichter anschloß. In seinen Dichtungen herrscht das Schwermütige durchaus vor. Seine düstere Seelenstimmung ging von 1844 ab in unheilbaren Wahnsinn über. Lingg Hermann, geb. 22. Januar 1820 zu Lindau am Bo­ densee. Er war bis 1851 bairischer Militärarzt, lebt aber seitdem nur seinem dichterischen Berufe in München.

Meyer Konrad Ferdinand, geb. 12. Oktober 1825 zu Zürich. Er studierte Philologie, lebt aber seit 1858 nur schriftstellerisch thätig zu Kilchberg bei Zürich. Mörike Eduard, geb. 8. September 1804 zu Ludwigsburg, t 4. Juni 1875 zu Stuttgart. Er studierte Theologie, war tu ver­ schiedenen Orten Württembergs Pfarrer, von 1851 bis 1866 Lehrer um Katharincnstift zu Stuttgart. Müller Friedrich, geb. 13.Januar 1749 zu Kreuznach, f 23. April 1825 zu Rom. Er lebte seit 1776 als Maler in Rom, wid­ mete sich aber mehr und mehr dem Studium der römischen Alter­ tümer. Müller ist als Dichter berühmter geworden wie als Malerman rechnet ihn zu den Dichtern der „Sturm- und Drangperiode"er dichtete pfälzische Idyllen, ailch Dramen (Faust, Niobe, Genovefa). Müller Wilhelm, geb. 7.Oktober 1794 zu Dessau, -s-30.Sep­ tember 1827 daselbst. Er studierte zu Berlin Philologie, machte als Freiwilliger den Befreiungskrieg mit und wirkte von 1819 ab als Lehrer am Gymnasium seiner Vaterstadt. Seine zahlreichen Gedichte sind in der einfachen Art der Volkslieder gehalten. Viele Lieder widmete er dem Freiheitskampf der Griechen. Müller Wolfgang, geb. 5.März 1815 zu Königswinter, f 29. Juni 1893 zu Neuenahr. Er lebte als Arzt in Düsseldorf und Köln und hat mir Vorliebe rheinische Sagen dichterisch gestaltet. Opitz Martin, geb. 23. Dezember 1597 zu Bunzlau, f 20. August 1639 zu Danzig. Er studierte an verschiedenen Hochschulen, lebte in Holland, Holstein und Siebenbürgen, darauf in Liegnitz als herzoglicher Rat. Im Jahr 1624 erschien sein Büchlein „von der deutschen Poeterei", welches umwälzend auf die ganze deutsche Litte­ ratur gewirkt hat. Kaiser Ferdinand II. gab ihm den Lorbeerkranz als Dichter und erhob ihn in den Adelstand. Nach vielen Reisen trat er zu Danzig m die Dienste des Königs von Polen. Dort starb er an der Pest. Seine Gedichte erlebten zahlreiche Auflagen. Platen August, Graf von Platen-Hallermünde, geb. 24. Ok­ tober 1796 zu Ansbach, f 5. Dezember 1835 zu Syrakus Er machte als bairischer Offizier den Feldzug gegen Napoleon mit, studierte dann Philosophie und hielt sich von 1826 ab dauernd in Italien auf. Platen suchte, ähnlich wie früher Klopstock, die antiken Bersformen auf deutsche Dichtungen anzuwenden. Re in ick Robert, geb. 22. Februar 1805 zu Danzig, f 7. Fe­ bruar 1852 zu Dresden. Er lebte als Maler in Berlin und Düssel­ dorf, hielt sich von 1838—1841 in Italien auf, von 1844 ab in Dresden. Rückert Friedrich, geb. 16. Mai 1788 zu Schweinfurt, f 31. Januar 1866 zu Neuseß. Er studierte erst die Rechte, wandte sich jedoch bald der Sprachwissenschaft zu. Rückert wurde in Erlangen 1820 Professor der orientalischen Sprachen. Der König von Preußen berief ihn 1840 nach Berlin, doch legte er 1847 sein Amt nieder und zog sich auf das Gut Neuseß bei Kobnrg zurück, wo er bis an sein Ende litterarischem Schaffen lebte. Sein Familienleben war sehr glücklich, obwohl ihm auch Leid nicht erspart blieb, so der Tod zweier seiner Kinder. Rückert war als Dichter unermüdlich thätig- seine Stoffe entnahm er zum großen Teile dem Orient, doch ist er auch als va-

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Levensabritz der Dichter.

terländischer Sänger berühmt. DaS Hauptwerk seines Lebens ist die „Weisheit des Brahmanen", eine Sammlung von beinahe 2000 kurzen Lehrgedichten, in denen er seine gesamten Lebenserfahrungen nieder­ gelegt hat. Schack Adolf, Graf von, geb. 2. August 1815 zu Brüsewitz bei Schwerin- f 14. April 1894 zu Rom. Er studierte Rechtswissenschaft, be­ reiste wiederholt Südeuropa und den Orient, zum Teil als preußischer Legationsrat. Der deutsche Kaiser erhob ihn 1876 in den Grafen­ stand. Nachdem Schack sich schon früher durch Übersetzungen bekannt gemacht hatte, trat er seit den sechziger Jahren mit vielen eigenen Dichtungen an die Öffentlichkeit. von Scheffel Viktor Joseph, geb. 26. Februar 1826 zu Karlsruhe, f 9. April 1886 daselbst. Er studierte Rechtswissenschaft^ war Beamter in Säckingen und andern Orten, dann Bibliothekar in Donaueschingen, lebte dann aber nur seinem Dichterberufe, teils am Bodensee, teils in Karlsruhe. Sein Roman Ekkehard und sein Epos Der Trompeter von Säckingen find die bekanntesten seiner Werke. von Schenkendorf Max, geb. 11. Dezember 1784 zu Tilsits t 11. Dezember 1817 zu Koblenz. Er studierte in Königsberg die Rechte, machte trotz einer lahmen Hand 1813 den Feldzug mit, ward nach dem Frieden Reaierungsrat in Koblenz, und zwar auf seinen Wunsch, da er eine besondere Vorliebe für den Rhein hatte. Doch starb er schon nach zwei Jahren. Seine vaterländischen Gedichte machen ihn zu einem der hervorragendsten Freiheitssänger. von Schiller Friedrich, geb. 10. November 1759 zu Marbach am Neckar, t 9. Mai 1805 zu Weimar. Sein Vater war Haupt­ mann. Nachdem er seine Jugend an verschiedenen Orten Württembergs­ verlebt, nahm ihn Herzog Karl Eugen in die Karlsschule auf, wo er Medizin studierte. Dieser Beruf entsprach seiner Neigung nicht, eben­ sowenig die strenge Aufsicht in der Karlsschule. So bildete sich eine glühenoe Sehnsucht nach Freiheit in ihm aus, die als Grundgedanke leine meisten größeren Dichtungen durchzieht. Er wurde Regiments­ chirurg in Stuttgart, da er aber ohne Urlaub sich entfernt hatte^ um der Aufführung des schon als Karlsschüler von ihm gedichteten Trauerspiels „Die Räuber" in Mannheim beizuwohnen, so mutzte er schließlich dem Herzog geloben, nur noch medizinische Schriften drucken zu lassen. Dieser Zwang war ihm so unerträglich, daß er 1782 die Flucht ergriff. Er ging nach Mannheim als Theaterdichter, dort schuf er den „Fiesko" und „Kabale und Liebe". Auf Einladung. Körners, der si ch ihm brieflich genähert hatte, ging er 1785 nach Leizig und lebte dann bis 1787 bei diesem in Dresden. Er vollendete 1788 dort den „Don Karlos", entsagte aber dann völlig der Dicht­ kunst und studierte eifrig Philosophie, besonders das Kantische System^ und Geschichte, um dadurch sich eine gesicherte Lebensstellung zu schaffen. 1789 ward er Professor der Geschichte in Jena und ver­ heiratete sich mit Charlotte von Lengefeld. 1791 zeigten sich die ersten Anfänge des Brustleidens, dem er später unterliegen sollte. 1793 brachte er mehrere Monate in seiner Heimat zu. 1794 schloß, er enge Freundschaft mit Göthe und begann auch wieder dichterisch thätig zu sein, angeregt durch Göthe und Wilhelm von Humboldts Er schuf zunächst viele philosophische Gedichte, dann den „Wallenstein",