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German Pages 236 Year 2014
Steffen Scholl Musik – Raum – Technik
Musik und Klangkultur
Steffen Scholl (Dr. phil.) lehrt Sound-Design am Medieninstitut der Deutschen Universität in Kairo.
Steffen Scholl
Musik – Raum – Technik Zur Entwicklung und Anwendung der graphischen Programmierumgebung »Max«
Gefördert von der Stiftung Universität Hildesheim und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst. Zugl.: Hildesheim, Univ. Diss., Fachbereich für Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation, Institut für Musik und Musikwissenschaft, 2012 unter dem Titel: »Bang Means Do It! Die graphische Programmierumgebung für Musik und Multimedia MAX als Raumprodukt zur Organisation von Produktionsräumen der ästhetischen Praxis«
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Steffen Scholl, Software-Screenshot Max/MSP 4.6.3 Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2527-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Dank Mein besonderer Dank gilt meiner Frau und meinen Eltern; den Professoren Matthias Rebstock, Miller Puckette und Golo Föllmer; dem Programmierer David Zicarelli; den Künstlern Philippe Manoury, Miller Blank, David Rokeby, Kasper T. Toeplitz, Rand Steiger, Georg Hajdu, Karlheinz Essl und Noriko Matsumoto; der Universität Hildesheim und der University of California San Diego.
Inhalt
Vorwort | 9 Einleitung: Musik (machen) als Organisation von Raum | 13 I. Am I sitting in a room? | 29 I.1 Lebe deinen Raum! | 29 I.2 Fabricando fabricamur: Feedback-Schleifen der Produktion | 36 I.3 My space: Max-Raum | 40
II. Maximalism 1: Max als in-formiertes Raumprodukt | 47 II.1 Raum im Raum im Raum: L’IRCAM et le Système 4X | 47 II.2 The Family: 1985-1994 | 53 II.2.1 La version non graphique | 58 II.2.2 The Patcher | 62 II.2.3 Opcode-Max | 69 II.2.4 IMW/ISPW-Max, Max/FTS und jMax | 74 II.3 The Community: 1990-2010 | 83 II.3.1 Pure Data: Public Domain | 87 II.3.2 MSP: Max Signal Processing | 92 II.3.3 Re: [maxmspd] Re: Re: Re: Max-mailing-lists | 98 II.3.4 www.maxobjects.com/libraries/rtc-lib | 102 II.3.5 GEM, Nato.0+55 und Jitter | 107 II.3.6 Max for Live | 114
Exkurs a) Max als Musikinstrument? | 118 Exkurs b) Max als Notationssystem? | 123
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant | 129 III.1 Max und Moritz: A program that does nothing? | 129 III.2 Live-elektronischer Interaktionsraum | 136 III.2.1 Pluton – Philippe Manoury | 141 III.2.2 Live-Coding – TOPLAP, Blank Pages | 150 III.3 Gestikulierter Raum | 156 III.3.1 The Master of Space – David Rokeby | 162 III.3.2 Capture – Kasper T. Toeplitz | 167 III.4 Netzwerk | 173 III.4.1 Global Visual Music Project – Miller Puckette, Vibeke Sørensen, Rand Steiger | 177 III.4.2 Quintet.net – Georg Hajdu | 184 III.5 Hyperraum | 189 III.5.1 Lexikon Sonate – Karlheinz Essl | 195 III.5.2 Variations for the World Wide Web – Seionshin Yamagishi, Kohij Setoh, Randall Packer, Noriko Matsumoto | 202
Schluss: Max for Life | 209 Literatur | 215
Vorwort
One thing that distinguishes Max and Pd from most software is the sheer openness of a new window; the user literally starts with a blank page. In a sense, then, all that Max or Pd offers is open space. Space is the first requirement for building durable structures: you need a place to put them. And if you are looking for something you made or found at an earlier time, the most natural way to start is to remember where in space the thing was when you last saw it. Musical practice makes literal use of time in space and space in time. Time is the scaffold on which musical values are placed. Space can be used to represent ordering in time (as in a musical score) but also to describe structures that underlie the organization of sound. Each time a user of Max or Pd adds a degree of freedom (a parameter) to a patch, the dimensionality of the compositional space is increased by one. In this sense, the creator of a patch is also creating space. The moment-to-moment changes in the state of the patch are a path through that created space. The path can be thought of as a performance, an ephemerality. The space itself, its dimensionality and the interrelationships between its dimensions, are the composition. In this sense, space is not only the container, but actually the result of the organization of the persistent aspects of a musical work. As the uses of Max and Pd have grown beyond traditional musical practice, space remains the dimension along which it’s easiest to describe the interrelationship between the technological aspects and the practitioners as a composed environment. Regarding the application of the software especially in a live performance context the spatial dimension is useful to deepen our understanding of what it is that Max and Pd are doing in the world. Miller Puckette, San Diego 2011
»Am ärgsten sind wir […] der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten; denn diese Vorstellung, der man heute besonders gern huldigt, macht uns vollends blind gegen das Wesen der Technik.«1 »[…] Klärung kann nicht gelingen, solange die Betrachtung im Kreis der technischen Werke, im Bezirk des Gewirkten und Geschaffenen, verharrt. Die Welt der Technik bleibt stumm, solange man sie lediglich unter diesem Gesichtspunkt betrachtet und befragt – sie beginnt sich erst zu erschließen und ihr Geheimnis preiszugeben, wenn man […] von der forma formata zur forma formans, vom Gewordenen zum Prinzip des Werdens zurückgeht.«2
1 | Martin Heidegger, Die Frage nach der Technik, in: Gesamtausgabe, I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910-1976, Bd. 7, Vorträge und Aufsätze, Frankfurt a.M. 2000, S. 7 2 | Ernst Cassirer, Form und Technik, in: Technikphilosophie, hg. von Peter Fischer, Leipzig 1996, S. 161
Einleitung: Musik (machen) als Organisation von Raum Strategies Against Architecture? (E INSTÜRZENDE N EUBAUTEN)
Die graphische Programmierumgebung für Musik und Multimedia Max1 findet heute, nach über zwei Jahrzehnten Entwicklungs- und Wirkungsgeschichte, als eine Art lingua franca an praxisorientierten Musik-, Kunst- oder Medieninstitutionen weltweit Verwendung und betrifft somit grenzüberschreitend ganz verschiedene künstlerische Ausrichtungen. Der funktionale Ursprung der Software liegt jedoch in einem engeren musikalischen bzw. live-elektronischen Produktionskontext begründet, dessen komplexe Vorgeschichte mit den an dieser Stelle einleitend unternommenen Reflexionen zumindest schwerpunktartig dargestellt werden soll. Mit Blick auf die in der vorliegenden Arbeit ausformulierten Grundthese – Max als Raumprodukt zur Organisation von Produktionsräumen – geht es dabei um die Raumarbeit einer musikhistorischen Kompositionspraxis (vor allem nach 1945), welche eine spezifische Raummusikund Musikraumgestaltung aufweist und damit produktionsästhetisch als eine Organisation von Raum erscheint, deren Entwicklungslinien u.a. auch den Entstehungszusammenhang der Software betreffen.
1 | Die Kursivschreibweise wird im Folgenden immer dann verwendet, wenn die entsprechende Aussage die Gesamtheit oder zumindest mehrere der SoftwareVersionen betrifft.
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Zweifache Raumnahme Im musikwissenschaftlichen Diskurs erscheint das Verhältnis zwischen Musik und Raum häufig geprägt durch einen raumtheoretischen bzw. musikästhetischen Dualismus, welcher auf der Annahme einer Trennung von inner- und außermusikalischem Raum basiert.2 Ist in diesem Zusammenhang vom Raum die Rede, handelt es sich in der Regel um architektonische, gesellschaftliche oder technische Strukturen, welche als kulturell gesetzte (fixierte) Bestandteile eines außermusikalischen Raums den innermusikalischen Klang- und Kompositionsraum3 umgeben oder transportieren. Verbunden mit dieser Annahme ist oftmals die irrige, autonomieästhetische Vorstellung einer möglichen Beziehungslosigkeit zwischen dem Raum der Musik und einem wie auch immer gearteten Außenraum, welcher sich als Produktions- oder Reproduktionsraum den musikalischen Entwicklungsprozessen gegenüber neutral verhält.4 Gegen die Vorstellung einer autonomen (absoluten) Musikproduktion und damit gegen den Mythos einer möglichen Neutralität des Außermusikalischen in einem allgemeinen, nicht raumspezifischen Sinne, wird innerhalb der Musiksoziologie (nach Max Weber) seit beinahe einem Jahrhundert angeschrieben, indem auf die vielschichtige Wechselwirkung zwischen der musikalischen Praxis und den sozio-technischen Produktionsstrukturen verwiesen wird: »Energisch wäre zu untersuchen, wie die ökonomische Basis, gesellschaftliches set-up und musikalisches Produzieren und Reproduzieren spezifisch miteinander zusammenhängen. […] Der Bereich, in dem das am ehesten gelingen kann, ist die Technologie. Im Stand der jeweiligen Technik reicht die Gesellschaft in ihre Werke 2 | Vgl. Helga de la Motte-Haber, Zum Raum wird hier die Zeit, in: Österreichische Musik Zeitschrift, Jg. 41/6, 1986, Sammelband der Staatsbibliothek zu Berlin, S. 282 ff 3 | Bestehend u.a. aus dem imaginären oder intendierten Raum einer kompositorischen Idee im weitesten Sinne, aus dem Tonort als dem vorkomponierten Sitz der Klangquelle und aus dem Klanginnenraum (Partialtongefüge, vertikale Intervall- und Akkordkonstellationen). 4 | Eine erste Ausnahme bildet hier der Fachbereich der Raumakustik, innerhalb welchem gemäß dem Motto der Raum macht die Musik immer schon auf die grundsätzliche Relation zwischen Raum und Musik verwiesen wird, womit eine mögliche Neutralität bereits auf physikalischer Ebene als ausgeschlossen erscheint.
Einleitung: Musik (machen) als Organisation von Raum
hinein. Zwischen den Techniken der materiellen und der künstlerischen Produktion herrschen weit engere Affinitäten, als die wissenschaftliche Arbeitsteilung zur Kenntnis nimmt.« 5
Hinsichtlich der Raumproblematik ist es jedoch die abendländische Musikpraxis insbesondere nach 1945, welche zunächst ohne erkennbare Bezugnahme auf Musik- oder gar Raumsoziologie der angenommenen Beziehungslosigkeit zwischen inner- und außermusikalischem Raum widerspricht. Die eigentliche Verbundenheit der beiden Bereiche findet hier ihre Entsprechung insbesondere auf der künstlerischen Gestaltungsebene, wo nun einerseits außermusikalische Raumstrukturen verstärkt musikalisiert, das heißt in den musikalischen Kreationsprozess einbezogen werden. Andererseits erfolgt im Gegenzug eine tendenzielle Verräumlichung der innermusikalischen Strukturen, wobei sich der Schwerpunkt innerhalb der kompositorischen Arbeit von der Behandlung zeitlicher (horizontaler) Gestaltungsmittel (der Dauer) hin zu einer verstärkten Ausarbeitung räumlicher (vertikaler) Gestaltungsparameter verschiebt.6 Aufgrund dieser zweifachen Raumnahme wird schließlich mit dem noch immer weit verbreiteten Vorurteil gebrochen, Musik sei die Zeitkunst par excellence – eine Definition, welche indirekt zurückgeht auf die Ausdifferenzierung der Künste durch Ephraim Lessing in bildende Raum- und literarische Zeitkünste.7 Infolgedessen wird schließlich auch die Musik (obwohl nicht direkt Gegenstand der Lessingschen Arbeit) in erster Linie als ein Zeitgeschehen definiert, in welchem die sukzessive Abfolge des klanglichen Materials bzw. dessen chronologische Organisation im Mittelpunk steht. Dieses noch das 19. Jahrhundert dominierende Musikdenken hat eine Kunstmusik zur Folge, welche zumindest 5 | Theodor W. Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, Frankfurt a.M. 1968, S. 238 6 | Zur Parametrisierung des musikalischen Materials bzw. zur gleichberechtigten Behandlung der einzelnen Parameter (Dauer, Frequenz, Amplitude, Klangfarbe) und zur Hinzunahme des Raums als dem fünften Gestaltungsparameter während der Seriellen Musik vgl. Gisela Nauck, Musik im Raum – Raum in der Musik. Ein Beitrag zur Geschichte der Seriellen Musik. in: Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Bd. XXXVIII, hg. von Hans Heinrich Eggebrecht, Stuttgart 1997 7 | Vgl. Ephraim Lessing, Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart 1994
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hinsichtlich der Gestaltung des innermusikalischen Raums tendenziell tatsächlich eher einer Zeitkunst entspricht. Erst aufgrund der zweifachen Raumnahme nach 1945 erscheint Musik als eine Raum-Zeit-Kunst, in der zeitliche und räumliche Gestaltungsparameter relativ gleichberechtigt zusammenspielen und die darüber hinaus vielschichtige Relationen zu ihren Umräumen aufweist. Dementsprechend ist es sowohl die Aufhebung der innermusikalischen Dominanz zeitlicher Gestaltungsparameter als auch das komplexe Wechselspiel zwischen inner- und außermusikalischen Raumstrukturen, die Karlheinz Stockhausen visionär im Sinn hat, wenn er prophezeit: »[…] dass Musik in Zukunft Raum-Musik sein wird.«8
Raummusik Hinsichtlich dieser zweifachen Raumnahme weisen die zahlreichen Neuansätze der Raummusiken allerdings zumeist lediglich eine der beiden Grundausrichtungen auf. Im Anschluss an die auf Edgard Varèse zurückzuführende Idee einer spatialen Musik, welche durch die Konzentration auf das konkrete Klangereignis tendenziell zu einer Vertikalisierung des Gestaltungsprozesses beiträgt,9 erfolgt beispielsweise in den frühen Arbeiten von György Ligeti ausschließlich eine Verräumlichung der innermusikalischen Strukturen, um so eine bestimmte Raumwirkung der klanglichen Entwicklungsprozesse (in ihrer Zeit) zu ermöglichen. Ein Blick auf Ligetis Partituren aus den 60er Jahren vergegenwärtigt diese raumgreifende Tendenz auch visuell sehr eindrucksvoll. In Stücken wie Atmosphères (1961), Requiem (1966) oder Lontano (1967) setzt Ligeti seine Erfahrungen, die er zuvor im Kölner Tonstudio des WDR, und hier insbesondere im Zusammenhang mit der räumlichen Wirkkraft von elektronisch erzeugten Klängen machen konnte, mit den instrumentalen Mitteln des Orchesterapparats um. So entstehen durch den klanglichen Transport von räumlichen Dimensionen wie Höhe, Weite, Tiefe etc. quasi dreidimensionale Klangskulpturen10, die im Gegensatz zur Materie der bil8 | Karlheinz Stockhausen, zit.n. Nauck 1997, S. 173 9 | Vgl. Helga de la Motte-Haber, Die Musik von Edgard Varèse, Hofheim 1993, S. 134 ff 10 | Eine aktuellere Spielart dieser Ausrichtung praktiziert u.a. die von Stephen O’Malley und Greg Anderson 1998 gegründete ›Drone-Doom-Formation‹ Sunn O))), welche auf ihrem 2009 erschienenen Album Monoliths & Dimensions und vor
Einleitung: Musik (machen) als Organisation von Raum
denden Kunst, in der vierten Dimension eines massiven (Zeit-)Flusses beständig mutieren: »Das Metier des Tonsetzers nahm […] etwas von der Vorstellungswelt und den formalen Intensionen des Plastikers an. Denn nicht länger ging es darum, Klang- oder Tonpunkte, pseudo-melodische Kurvenverläufe samt ihren Verzweigungen und polyphonen Schichtungen zu erfinden, sondern gleich von komplexen Phänomenen, einer quasi dreidimensionalen Klangmaterie auszugehen […]. Und mit solchen Klangmassen […] ließen sich plastische Formen modellieren […]. Musik war von ihrem Ansatz im Graphischen zu einer totalen Verräumlichung übergegangen.« 11
Ligetis Raumnahme, die sich ausschließlich auf die Organisation des innermusikalischen oder imaginären Raums12 konzentriert, stehen andere Ansätze gegenüber, welche verstärkt den außermusikalischen Raum in Szene setzen. Eine der bekanntesten Arbeiten diesbezüglich ist sicher I Am Sitting In A Room von Alvin Lucier (1969), welcher (live-on-stage) durch die beständige Repetition (Wiederaufnahme) einer Vokalaufnahme ›die Antwort‹ des architektonischen Umraums in Form von reflektierten, sich überlagernden (und dabei zum Teil auslöschenden) Schallwellen, die sich von Mal zu Mal in die Wiederaufnahmen einschreiben, zu Gehör bringt: »Every room has its own melody, hiding there until it is made audible.«13 Indem bei Lucier das vermeintliche Außen instrumentalisiert und musikalisiert wird, avancieren diese Strukturen nun künstlerisch legitimiert zu zentralen Produktionsfaktoren. Ihren ersten Höhepunkt erreicht diese Ausrichtung (der Musikalisierung des Außermusikalischen) jedoch bereits mit 4’33’’ von John Cage (uraufgeführt 1952), ein Stück ( for any instrument or combination of insallem in den entsprechenden Live-Konzerten durchaus vergleichbare Klangräume erzeugt. 11 | Ulrich Dibelius, Ligeti, Eine Monographie in Essays, Mainz 1994, S. 53 12 | Zum imaginären Raum »der alle Raumwirkungen bezeichnet, die mit rein instrumentalen Mitteln ohne Verlegung der Schallquellen erzeugt werden« vgl. Gianmario Borio, Wie aus weiter Ferne, Über den Einbruch des Raumes in die Zeitkunst Musik, in: Musik und Raum, Dimensionen im Gespräch, hg. von Annette Landau und Claudia Emmenegger, Zürich 2005, S. 130 13 | Alvin Lucier, Reflections, Interviews, Scores, Writings, hg. von Gisela Gronemeyer und Reinhard Oehlschlägel, Köln 1995, S. 100
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truments), welches aufgrund einer totalen Reduktion der kompositorischen Intention bzw. der interpretatorischen Expression nicht etwa ›Stille‹ transportiert (Stille im Sinne einer völligen Abwesenheit von Klang ist nicht existent), sondern die situativ-klangliche Vielfalt des jeweiligen Aufführungsraums – des Environments.14 Die Partitur gibt hierbei eine dreisätzige, jeweils mit der Anweisung tacet versehene Struktur vor und beinhaltet darüber hinaus lediglich Hinweise, welche den Rahmen der Performance betreffen,15 so dass letztlich das, was herkömmliche Produktionen oder Inszenierungen nach Möglichkeit zu eliminieren versuchen – die Geräusche des Publikums, Straßenlärm, die gesamte außermusikalische Klangkulisse – als musikalisches Ereignis in Erscheinung treten kann. Eine etwas abseitige, aber dennoch erwähnenswerte Sonderstellung in diesem raummusikalischen Kontext bezieht Erik Saties Idee einer Musique d’ameublement16 (um 1920), welche zum Zweck der klanglichen Raumgestaltung eine Musik vorsieht, die neben anderen Einrichtungsgegenständen als ein aktiv-kreativer Bestandteil für das räumliche Ambiente bzw. für die Atmosphäre zu sorgen hat. Insbesondere hinsichtlich der musikalischen Allmachtsphantasien des 19. Jahrhunderts – Musik als die höchste Ausdrucksform des universalen ›Wesens der Welt‹ (des ›Willens‹ im Schopenhauerschen Sinne) – erscheint diese Idee (wie später bei 14 | »Die historische Bedeutung dieser viereinhalb Minuten […]; sie bildeten einen Ausgangspunkt für die avantgardistische Environment-Kunst im Bereich der ›Musik‹ und haben die Vorstellung davon, was gegenwärtig überhaupt zu Musik gehören könne, stark verändert.« Hermann Danuser, Gegen-Traditionen der Avantgarde, in: Amerikanische Musik seit Charles Ives, hg. von Hermann Danuser, Dietrich Kämper und Paul Terse, Laaber 1987, S. 107 15 | »Note: The title of this work is the total length in minutes and seconds of its performance. At Woodstock, N.Y., August 29. 1952, the title was 4’33’’ and the three parts were 33’’, 2’40’, and 1’20’. It was performed by David Tudor, pianist, who indicated the beginnings of parts by closing, the endings by opening, the keyboard lid. After the Woodstock performance, a copy in proportional notation was made for Irwin Kremen. In it the timelengths of the movements were 30’, 2’33’, and 1’40’. However. The work may be performed by any instrumentalist(s) and the movements may last any lengths of time.« John Cage, 4’33’’, Partitur, Edition Peters, No. 6777, S. 2 16 | Vgl. Motte-Haber 1986, S. 285 f
Einleitung: Musik (machen) als Organisation von Raum
Cage) u.a. als eine provokante Reduktion der künstlerischen Intentionen zur Steigerung des räumlichen Arrangements. Im besten Fall kann diese raummusikalische Ausrichtung als Vorläufer von Environmental- oder Ambient-Art17 betrachtet werden. Als weniger ruhmreiche Weiterführung erscheint hingegen die permanent-penetrante Beschallung durch Fahrstuhl- oder Kaufhausmusiken – sogenannten Klangtapeten – in deren Kontext Musik letztlich nur noch als eine Art räumlicher Geschmacksverstärker fungiert. Angesichts dieser unterschiedlichen Entwicklungslinien von Raummusik werden allerdings auch kritische Stimmen laut. So interpretiert beispielsweise Adorno speziell die innermusikalischen Verräumlichungstendenzen als Fehlentwicklung. Bereits hinsichtlich der musikalischen Entwicklung vor 1945 konstatiert Adorno in der Philosophie der neuen Musik eine Dissoziation bzw. eine Eskamotierung der Zeit und beklagt damit die Auflösung eines linearen Zeitkontinuums, was ihm vor allem als gravierender Formverlust erscheint: »Als Riesenkartons zeigen die Musikdramen [Wagners] Ansätze der […] Verräumlichung des Zeitverlaufs, des zeitlich disparaten Nebeneinander, das dann bei den Impressionisten [Debussy u.a.] und bei Strawinsky vorherrschend und zum Phantasma von Form wird.«18 Dabei können die verschiedenen raummusikalischen Ansätze nach 1945 jedoch häufig gerade als individuelle Alternativen der Formgebung gewertet werden, in denen Zeit als Raumzeit, oder wie bei Morton Feldman als Time Undisturbed19, die Entfaltung der einzelnen Klänge im Raum definiert bzw. mit dieser Entfaltung zusammenfällt, während vor allem die räumliche Arbeit (im Vertikalen) zur formstiftenden Kraft avanciert. In jedem Fall ist innerhalb der musikalischen Praxis ganz offensichtlich ein, wie auch immer motiviertes Umdenken auszumachen – ein spatial turn (vgl. I.1), nach welchem Musik eben nicht länger als die Zeitkunst par excellence missverstanden werden kann, sondern als eine Raum-ZeitKunst behandelt werden muss. Dabei ist die Organisation des musikali17 | Max Neuhaus, Times Square (1973-1977), Brian Eno, Music for Airports (1978), Bill Fontana, Entfernte Züge (1984) u.a. 18 | Theodor W. Adorno, Philosophie der neuen Musik, Frankfurt a.M. 1958, S. 175 19 | Vgl. Gregor Herzfeld, Zeit als Prozess und Epiphanie in der experimentellen amerikanischen Musik, Charles Ives bis La Monte Young, München 2007, S. 256
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schen Materials in zunehmendem Maße bestimmt durch die Distribution und die Bewegung der Klänge im Raum. Über die bisher angeführten Beispiele hinaus diffundiert und mäandert diese neue, von Künstlern wie Edgar Varèse, Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen inszenierte (und reflektierte) Raummusik in ihren Um-Raum hinein, öffnet und transformiert diesen und legt damit den Grundstein für die Aufhebung des bloßen Hör-Raums der konventionellen Konzerthaus-Praxis. Aufgrund dieser räumlichen Bezugnahme und der damit verbundenen Integration vormals außermusikalischer Gegenstandsbereiche erfolgt sowohl eine Erweiterung des innermusikalischen Raumes (in Analogie zur Erweiterung des Materialbegriffs), als auch eine musikalisch motivierte Transformation und Neubestimmung der außermusikalischen Raumstrukturen. Und so verschieden die aus diesem Prozess heraus resultierenden neuen Raummusiken und Musikräume auch sein mögen – angefangen mit den frühen Arbeiten Stockhausens20 bis hin zu dem, was wir heute unter dem Begriff der Klangkunst21 subsumieren – hier entstehen die vielfältigsten Genres, die letztlich verbunden sind, durch die Zentralstellung des Räumlichen in einem künstlerischen Prozess, in dem nun die Musikräume mehr und mehr an Bedeutung gewinnen.22
Musikraum In zunehmendem Maße beansprucht und formuliert jede der in diesem Zusammenhang entstandenen Arbeiten ihren eigenen Existenzraum, was von einer bloßen Infiltration und Transformation gegebener Objekte bis hin zur gänzlichen Neuschaffung der entsprechenden Strukturen reicht. Auf den ersten Blick erscheint hier Richard Wagners ›Musentempel‹ in Bayreuth als direkter Vorläufer dieser Tendenz, was aber nur eingeschränkt zutrifft, da die Wagnersche Raumnahme in erster Linie motiviert ist durch den Willen zur vermeintlich einzig richtigen Rezeptionshaltung gegenüber der Wagnerschen Musikdramatik – dem andächtigen Lauschen, welches dem platonischen Schauen von (Wagnerschen) 20 | Gesang der Jünglinge (1955-56), Gruppen für 3 Orchester (1955-57), Musik für ein Haus (1968) u.a. 21 | Klangperformance, Klangskulptur, Klanginstallation, Soundscape etc. 22 | Weitere Beispiele für Raummusiken vor allem des 20. Jh. vgl. Helga de la Motte-Haber, Musik und bildende Kunst, Von der Tonmalerei zur Klangskulptur, Laaber 1990, S. 252 ff
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Ideen gleichgesetzt wird: »Der Zuschauer befindet sich, sobald er seinen Sitz eingenommen hat, in einem Raume, der für nichts anderes berechnet ist, als darin zu schauen, und zwar dort hin, wohin seine Stelle ihn weist.«23 Somit fungiert dieser Raum zuallererst als Ein-stellung, Vorrichtung oder Halterung, um den Hörer als Zuhörer, und diesem wiederum als Zugehörigen zur Festspiel-Gemeinde regelgerecht zu fixieren. Wagners Bayreuth bleibt also im Grunde dem traditionellen Reproduktions- und Rezeptionsmodel des Konzerthauses verpflichtet, welches eher einem musikspezifischen ›Transportunternehmen‹ gleicht, dessen Relation zur Musik sich letztlich auf die bestmögliche Vermittlung der Wagnerschen Gesamtkunst beschränkt.24 Anders dagegen die Hochzeit25 der Raummusik nach 1945, wo der Musikraum über eine solche Mittlerfunktion hinaus in einem weitaus komplexeren Abhängigkeitsverhältnis zur Musik (ent-)steht. Hier lässt sich eine beständige Wechselwirkung ausmachen, die ausgehend von der ästhetischen Praxis einem Handlungsspielraum entspricht, in welchem die künstlerischen Prozesse Raumstrukturen evozieren, die rückwirkend die Praxis der Musikproduktion beeinflussen.26 Frühe, vergleichsweise noch immer recht konventionell angelegte Beispiele für ein derartiges Wechselspiel wären der von Le Corbusier bzw. seinem damaligen Assistenten Iannis Xenakis entworfene Philips-Pavillon (Welt23 | Richard Wagner, zit.n. Motte-Haber 1986, S. 284 24 | Auch der auf Wagner zurückzuführende Ausspruch Zum Raum wird hier die Zeit, den Gurnemanz im Parsifal singt und dem Helden damit den Weg zum Gralstempel weist, bezieht sich vielmehr auf symbolisch-zeitlose Räume (der ewigen Tempel-Werte) und nicht auf eine konkrete Raumnahme bzw. auf Musikräume, in welchen die musikalische Zeit aufzugehen vermag. 25 | Gisela Nauck macht mit der venezianischen Schule um 1600 und der Seriellen Musik nach 1945 zwei musikhistorische Hochzeiten der Raummusik aus, die sich grundsätzlich unterscheiden: »Während das historische Raumkonzept [der venezianischen Schule] den realen Raum, d.h. architektonische Merkmale desselben, in der Komposition verzeitlicht, und damit formbildend wird, vergegenständlicht das integrale Raumkonzept [der Seriellen Musik] die musikalische Zeit im realen Raum, was ebenfalls formale Konsequenzen hat, die nun allerdings von der Komposition selbst und nicht durch den Raum bestimmt sind.« Nauck 1997, S. 33 26 | »Wir betrachten einen Raum als Instrument – wie eine Geige –, mit ganz spezifischen Raumeigenschaften.« Karlheinz Stockhausen, zit.n. Nauck 1997, S. 200
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ausstellung Brüssel 1958), einem audiovisuellen Erfahrungsraum mit hunderten von Lautsprechern für die von Edgard Varèse komponierten Klangbahnen (routes de son) des Poème électronique; oder das nach den Plänen Stockhausens errichtete Kugelauditorium (Weltausstellung Osaka 1970) für die ebenfalls von Stockhausen stammende Komposition Hinauf – Hinab.27 Über diese auf künstlerische Einzelprojekte beschränkte Relation zwischen Raum und Musik hinaus gestaltet sich insbesondere die Formation der Tonstudios in den 40er und 50er Jahren u.a. in Köln und Paris ebenfalls gemäß der oben beschriebenen Wechselwirkung, da hier Tontechniker und Komponisten (Werner Meyer-Eppler, Herbert Eimert, Robert Beyer, Karlheinz Stockhausen, Pierre Schaeffer, Pierre Henry etc.) gemeinsam räumlich-technische Arrangements vor allem zur Forschung und zur experimentellen Produktion etablieren, welche dann wiederum die einflussreiche Grundlage darstellen für die Entwicklung ganzer Musikrichtungen wie beispielsweise der Elektronischen Musik (Studio des Nordwestdeutschen Rundfunks in Köln) und der Musique Concrète (Studio der Groupe de Recherche de Musique Concrète bzw. der Groupe de Recherche Musicale in Paris).28
Musik (machen) als Organisation von Raum Es zeigt sich hier und im Folgenden, dass eine derartige Musikraumpraxis vor allem auf dem Gebiet der elektroakustischen Musikproduktion oder der sogenannten Mixed-Music (einem Zusammenspiel von elektronischen und konventionell-instrumental erzeugten Klängen) greift. Diese Produktionsformen werden von der herkömmlichen Definition (der musikalischen Moderne), welche Musik bzw. das Machen von Musik in erster Linie als eine Organisation von Klang (Edgar Varèse) betrachtet, nicht mehr hinreichend abgedeckt. Über die Installation von architektonisch 27 | Allerdings wurde Hinauf – Hinab vom Osaka-Komitee abgelehnt, so dass sich Stockhausen gezwungen sah, ein Programm aus bereits bestehenden Kompositionen zu Gehör zu bringen. Vgl. Nauck 1997, S. 205 28 | Zur Entwicklung und Bedeutung des Tonstudios und zu der sich hier anschließenden Wandlung und Neudefinition von Techniker, Komponist und Interpret vgl. Paulo C. Chagas, Folkmar Hein, Thomas Kessler, Thomas Neuhaus, Elena Ungeheuer, Andere Vermittler, in: Elektroakustische Musik, Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, hg. von Elena Ungeheuer, S. 161 ff
Einleitung: Musik (machen) als Organisation von Raum
fixierten Musikraumstrukturen (à la Philips-Pavillon oder Kugelauditorium) hinaus entspricht gerade das jüngere elektroakustische Musizieren einem Kreationsprozess, bei dem das Organisieren von dynamischen Environments, das Provozieren von Situationen und das Kreieren spezieller Spielräume an erster Stelle steht. Der Komponist tritt hier zuallererst als ein Organisator von Raum auf, dessen Komponieren einer Organisation von Raum entspricht, innerhalb welchem sich Musik im weitesten Sinne ereignen kann. Die finale Klanggestaltung ist dabei jedoch nicht unbedingt von geringerer Bedeutung; sie erscheint häufig lediglich ausgelagert aus dem direkten Einflussbereich des Komponisten und befindet sich u.a. in den Händen von Interpreten oder aktivierten Rezipienten, oder sie unterliegt (innerhalb der kompositorisch vorgegebenen Struktur) aleatorischen bzw. algorithmischen Prozessen der verschiedensten, oft Computer-basierten Art. In diesem Zusammenhang beschreibt Atau Tanaka die eigene kompositorische Arbeit wie folgt: »Anstatt Zeit und Raum durch Klang zu kontrollieren, erstelle ich nun Architekturen [Environments, Situationen] für kollektive musikalische Prozesse.«29 Dementsprechend geht es in diesem Kontext ebenso wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit auch weniger um Raummusik oder um das Verhältnis von Raummusik und Musikraum, sondern in erster Linie um den Konstitutionsprozess von Musikraum – um eine Ästhetik des Produktionsraums der musikalischen Praxis – dem gerade auf dem Gebiet der elektroakustischen Musik- und Multimediaproduktion eine besondere Bedeutung zukommt. Hier lässt sich im Anschluss an Stockhausens These, dass Musik in Zukunft Raum-Musik sein wird, weiterführend sagen, dass die zeitgenössische elektroakustische Musikproduktion vor allem Organisation von Raum bedeutet: Der Komponist schafft Raum – der Raum macht die Musik, und das nicht mehr lediglich im Sinne der Raumakustik. Die Eigenschaften und Besonderheiten der Raumkomplexe determinieren sowohl die Performance-Praktiken als auch die jeweiligen Raummusiken, ebenso wie diese wiederum die Generierung der entsprechenden Räumlichkeiten beeinflussen. Innerhalb dieses Produktionskreislaufs spielen Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Elektrotechnik eine bedeutende Rolle. Neue, medientechnische Systeme fungieren dabei keineswegs lediglich als neutrale 29 | Atau Tanaka, von telepräsenz zu co-erfahrung: ein jahrzehnt netzwerkmusik, in: Neue Zeitschrift für Musik, 5 September/Oktober 2004 (a), S. 28
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Transportelemente zur Distribution der Kunst im Raum, sondern motivieren und initiieren als essentielle Bestandteile der jeweiligen Produktionsstruktur die Weiterentwicklung von Raum und Musik, wobei sowohl funktionale als auch formale Gesetzmäßigkeiten der entwickelten (komponierten) Strukturen bis zu einem gewissen Grad an die entsprechenden Basistechnologien gebunden sind. Als richtungweisende Beispiele für eine solch technologische Wirkkraft gelten u.a. die von John Cage ausgehenden Medienkompositionen30 der 40er und 50er Jahre: »Cage ist einer der Wegbereiter einer neuen Aufführungspraxis, die in die Form des interaktiven elektronischen Environments mündet […].«31 Im Vordergrund dieser, durch einen unorthodox-kritischen Umgang mit Medientechnik (Radioapparate, Schallplattenspieler etc.) gekennzeichneten Arbeit steht das Definieren einer räumlichen Situation, welche die Erzeugung und Verarbeitung des Klangmaterials live bedingt, so dass die künstlerische Intention ihren Niederschlag nun in erster Linie im Arrangement des entsprechenden Environments findet. Hinter dem von Cage gewählten Titel für diese frühen Medienkompositionen – Imaginary Landscapes – verbergen sich also nicht nur imaginäre Klanglandschaften (im Stil von Ligeti), sondern eben auch konkret formulierte, wenn auch noch eher kleinformatige Raumstrukturen aus verschiedenartig arrangierten und zueinander in Beziehung gesetzten Objekten und Menschen.
Max, Methode Diese kompositorische Praxis ebnet den Weg für einen live-elektronischen Musikraum, in dessen Kontext der eigentliche Gegenstand dieser Arbeit – die graphische Programmierumgebung für Musik und Multimedia Max – seinen Ursprung hat. Der über 25jährige Entwicklungsprozess der Software liegt in eben diesem Raum-Schaffensprozess einer (interaktiven) Live-Elektronik begründet, und zwar in zweifacher Hinsicht: Max 30 | Vgl. Hans Rudolf Zeller, Medienkomposition nach Cage, in: Musik-Konzepte Sonderband John Cage I, hg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, München 1990, S. 107 ff 31 | Rolf Großmann, Vom Klavier zum Hyperinstrument? Rationalisierung, Interaktion und Synästhesie als Prinzipien digitaler Musikproduktion, in: HyperKult, Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien, hg. von Wolfgang Coy, Georg Christoph Tholen und Martin Warnke, Frankfurt a.M. 1997, S. 407
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erscheint zunächst als das Produkt eines spezifischen Handlungsraums, an dessen Produktion die Software rückwirkend wiederum entscheidenden Anteil hat. Ziel der Beschreibung dieser Wechselwirkung ist das Offenlegen des Beziehungsgeflechts aus Produktion, Produktionsmittel, Produzent und Produkt, welches nur allzu oft hinter der Erzählung vom individuellen, autonomen Kunstschaffen verschwindet, oder aufgrund extremer Spezifikation und Separation von Einzelelementen gar nicht in Betracht kommen kann. Der Reflexionsrahmen muss daher von vornherein möglichst weit gehalten werden, um das was wir schließlich als Max-Raum zu untersuchen gedenken – das ineinandergreifende Gesamtgefüge aus Software, Hardware und User(-action) – in seiner komplexen Aktualität und seinem historischen Gewordensein in den Blick zu bekommen. Jenseits der Vorstellung von architektonisch fixierten, neutralen Musik-Containern ermöglicht der in Kapitel I vorgeschlagene, theoretische Ansatz einer relationalen Raumkonzeption32 eine analytische Bewegung, die es erlaubt, die Software entgegen ihrer bisherigen, separatistisch-informationstechnologischen Behandlungsweise zu beschreiben, nach welcher Max lediglich über das neuste Update begriffen und per Gebrauchsanweisung vermittelt wird. Während letzteres auch kaum in der Absicht geschieht, die Max-Praxis an sich zu begreifen, sondern beispielsweise um Computermusik zu produzieren (die Kenntnis von Bau und Funktion der Software wäre hierbei eher sekundäres Mittel zum Zweck), so ist es das Ziel der folgenden Ausführungen, die auf den technologischen Aspekt beschränkte Sichtweise zu erweitern und die Software einerseits als Produkt eines ästhetischen Handlungsraums bzw. als dessen Repräsentant im entwicklungsgeschichtlichen Gesamtzusammenhang 32 | Grundsätzlich ist die im Rahmen dieser Arbeit speziell zur Analyse des MaxRaums verwendete relationale Raumkonzeption allgemein auch auf weitere Musik-Raum-Konstellationen und künstlerische Produktionsprozesse anwendbar. Insbesondere hinsichtlich der damit einhergehenden Fokussierung auf das ineinandergreifende Wechselspiel zwischen Elementen der Produktionsstrukturen und den entsprechenden Produkten ließe sich beispielsweise das bereits erwähnte Tonstudio als räumlicher Medienkomplex untersuchen, dessen spezifische Ausrichtung der Gesamtanlage noch vor den technologischen Details die künstlerische Produktion und nicht zuletzt auch die Produzenten selbst entscheidend beeinflusst (hat).
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zu analysieren (Kapitel II). Andererseits gilt es, das raumgenerierende Feedback-Potential der Software herauszuarbeiten, wobei insbesondere die Organisation von Produktionsräumen im Zentrum steht, welche auf der Basis der Max-Anwendung schließlich spezifische Raumformate erkennen lässt, die vom Live-elektronischen Interaktionsraum ausgehend, über den Gestikulierten Raum und das Netzwerk, bis hin zum Hyperraum reichen und anhand von konkreten Praxisbeispielen zu untersuchen sind (Kapitel III). Es geht also nicht darum, Max selbst als einen Raum der ästhetischen Praxis zu beschreiben, sondern darum die Software als aktiven Part einer kontinuierlichen Produktionsbewegung kenntlich zu machen, innerhalb welcher das Produkt eines Raumes aufgrund seiner spezifischen Anlage die eigenen Produktionsstrukturen mitgestaltet und darüber hinaus Neuräume evoziert. Die Software wird somit weder als virtuelle Datenstruktur noch als digitale Funktionseinheit aus der Praxis extrahiert, sondern als integrativer Part einer künstlerischen Wirklichkeit behandelt, die ohne Max in dieser Form nicht existieren würde. Neben der Tatsache, dass die Software heute eines der meistgenutzten Programme vor allem im multimedialen (audio-visuellen) Performance-Kontext darstellt, ist es gerade die spezifische Bedeutung von Max als einem Instrumentarium zur Organisation von neuartigen Produktionsräumen der ästhetischen Praxis, welche die folgende wissenschaftliche Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Gegenstand begründet.
Forschungsstand, Quellen Im Anschluss an das erste Handbuch MAX: le manuel d´utilisation von Philippe Manoury (IRCAM 1988) erscheint ein Großteil der Literatur zu Max als anwendungsorientierte Einführung in Bau und Funktionsweise der Software. Die zumeist englischsprachigen Publikationen entstammen dabei häufig dem akademisch geprägten Lehrbetrieb und sind dementsprechend verstärkt musikpädagogisch motiviert (vgl. Manzo 2011, Cipriani/Giri 2010, Kreidler 2009). Exemplarisch für einen zweiten, weniger auf den Lernprozess der Max-technischen Gegebenheiten fixierten, eher produktionsästhetisch ausgerichteten Literaturtypus steht noch immer insbesondere Todd Winklers Buch Composing Interactive Music, Techniques And Ideas Using Max (MIT 1998), in welchem der Autor gemäß dem Titel allerdings in erster Linie interaktive Kompositionsmethoden im Blick hat und nicht Max. Die Software dient hier vielmehr als
Einleitung: Musik (machen) als Organisation von Raum
Medium zum Transport der jeweiligen Techniques and Ideas,33 so dass hier auch kaum von einer tatsächlichen Max-Literatur die Rede sein kann, da die Software in den behandelten Gegenstandsbereichen zwar eine durchaus tragende Rolle spielt, welche dann aber nicht im Zentrum des jeweiligen Erkenntnisinteresses steht. Neben vergleichbaren Publikationen beispielsweise von Robert Rowe34 gilt jedoch wiederum gerade Winklers Buch auch als Beispiel für die wenigen Arbeiten, in denen zumindest der Versuch unternommen wird, sowohl dem entwicklungsgeschichtlichen Background als auch dem ästhetischen Kontext der Software gerecht zu werden. Darüber hinaus soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit speziell eingegangen werden auf das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen der Produktion von Max und der Produktion mit Max. Dies erforderte eine gründliche Sichtung, Ordnung und Auswertung der zum Teil noch gänzlich unaufgearbeiteten Material-Quellen, die den Entwicklungs- und Anwendungsprozess der Software dokumentieren und eingebunden in den Kontext der multimedialen Kunstproduktion schließlich die Grundlage der folgenden Ausführungen bilden. Konkret handelt es sich dabei in erster Linie um die im IRCAM-Paris (dem Entstehungsraum der Software) archivierten Arbeitsberichte (Rapport Annuel de l’IRCAM, Rapport d’Activité), um die zum Thema Max verfassten Proceedings der International Computer Music Conference, und um die zu Max publizierten Artikel im Computer Music Journal, deren Aufarbeitung die nötigen Daten und O-Töne zur detaillierten Rekonstruktion der historischen Max-Praxis lieferte. Die Aktualität des Gegenstandes erforderte außerdem eine intensive Internet-Recherche, welche in Verbindung mit einer umfangreichen Email-Korrespondenz über die einschlägigen Mailing-Listen der MaxCommunity, ebenso wie mit den einzelnen Max-Entwicklern (Miller Puckette, David Zicarelli u.a.) und Künstlern (Philippe Manoury, David Rokeby, Kasper T. Toeplitz, Georg Hajdu, Karlheinz Essl u.a.) zum Tragen kommt. Gleichermaßen bedeutend sind die absolvierten Forschungsaufenthalte am IRCAM-Paris (2008) und an der University of California San Diego (2011), deren Ergebnisse aus Seminaren und persönlichen Gesprä33 | »[…] Max is […] an excellent programming language with which to discuss the techniques of interactive composition.« Winkler 1998, S. 49 34 | Vgl. Robert Rowe, Interactive Music Systems – Machine Listening and Composing, MIT 1993; Robert Rowe, Machine Musicanship, MIT 2001
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chen mit Miller Puckette, Philippe Manoury und Rand Steiger ebenfalls in die vorliegende Arbeit eingegangen sind. Die wissenschaftliche Positionierung des Gegenstands erfolgte insbesondere auf der Grundlage der soziologischen Debatte um den Raum bzw. die Produktion des Raums (Lefèbvre 1974, Löw 2001, Schroer 2006 u.a.), ebenso wie vor dem Hintergrund der zum Teil sehr unterschiedlich motivierten Bemühungen um eine elektroakustische Produktionsästhetik, wie sie beispielsweise in den Publikationen Elektroakustische Musik (Ungeheuer 2002), Netzmusik, Elektronische, ästhetische und soziale Strukturen einer partizipativen Musik (Föllmer 2005) oder Electronic Music (Collins/Escriván 2007) zum Ausdruck kommen. Zusammen mit den in erster Linie historisch-technischen Daten der Max-gebundenen Materialien sollen die in diesen Arbeiten formulierten Ansätze dazu beitragen, eine ganzheitliche, in der künstlerischen Praxis verankerte Darstellung der Software zu vermitteln, welche sowohl die Wechselwirkung zwischen Raumprodukt und Produktionsraum als auch das grundsätzliche Zusammenspiel von Technik- und Kunstproduktion aufzeigt.
I. Am I sitting in a room? »Raum und Zeit gibt es also nicht an sich.«1
I.1 L EBE DEINEN R AUM! Mit der Zeit gehen, sich zeitgenössisch geben, unzeitgemäße Betrachtungen anstellen, zeitlos sein oder das Zeitliche segnen – all diese wohlbekannten Formulierungen sind letztlich weit mehr als leichtfertige Redewendungen; sie zeugen von einer kulturellen Auseinandersetzung, welche nicht erst seit Augustinus dominiert wird durch eine Zentralstellung der Kategorie Zeit.2 Die Zeit bzw. deren fortschreitendes Vergehen erscheint dem Vergänglichen naturgemäß von größter Bedeutung, wohingegen die täuschend »diffuse Vertrautheit«3 des Raums zu einer eher nebensächlichen Behandlungsweise verführt. Das vordergründig evolutionär positivistische und historische Fortschrittsdenken in den Kulturund Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts stellt diesbezüglich sicher einen Höhepunkt dar, der noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den Status der Zeit als kognitive Leitkategorie begründet.
1 | Franz Xaver Baier, Der Raum, Prolegomena zu einer Architektur des gelebten Raumes, Köln 2000, S. 10 2 | »[…] können wir ein Wort nennen, das uns vertrauter und bekannter wäre als die Zeit? Wir wissen genau, was wir meinen, wenn wir davon sprechen, verstehen’s auch, wenn wir einen anderen davon reden hören. Was ist also die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich’s, will ich’s aber einem Fragenden erklären, weiß ich’s nicht.« Augustinus, Bekenntnisse, elftes Buch, München 2000, S. 312 3 | Jörg Dünne, Stephan Günzel, Vorwort zu: Raumtheorie, Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel, Frankfurt a.M. 2006, S. 9
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Auch die ästhetische Praxis (im engeren Sinne einer Produktion und Reflexion von Kunst) bleibt dieser Konzeption lange Zeit verpflichtet. Im Anschluss an die 1766 von Lessing vorgenommene Einteilung der Künste in solche des Raumes (Malerei/Bildhauerei als Simultanität bildlicher Zeichen) und solche der Zeit (Poesie als Sukzessivität sprachlicher Zeichen),4 erfolgt eine Hierarchisierung, innerhalb welcher die literarischen und später auch die musikalischen Zeitkünste den bildenden Raumkünsten gegenüber aufgrund gesteigerter (wahrhaftiger) Aussagekraft als überlegen erscheinen.5 So lässt noch Thomas Mann seinen Hans Castrop in einem eigens eingeschobenen Exkurs6 über den Zeitsinn und die Zeit an sich sinnieren, welche als höchst problematisch empfunden wird, während das Verhältnis zum Raum in einem Nebensatz beigelegt werden kann. Auch in Heideggers philosophischer Existenz-Analyse Sein und Zeit wird zunächst insbesondere auf »die Zeitlichkeit der daseinsmäßigen Räumlichkeit« verwiesen, was besagt, dass »die spezifische Räumlichkeit des Daseins in der Zeitlichkeit« 7 gründet, wobei jedoch anzumerken ist, dass gerade mit diesem Werk auch eine äußerst progressive »Untersuchung der Räumlichkeit des Daseins und der Raumbestimmtheit der Welt«8 vorgelegt wird.9 Erst im Zuge postmoderner Theorien gewinnt ein Denken an Bedeutung, welches dieses theoretische Ungleichgewicht zu Gunsten des Raums aufhebt. Dies mag insbesondere daran liegen, dass es nun gerade die räumlichen Bezüge sind, die angesichts neuer medien- und infor4 | Vgl. Ephraim Lessing, Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart 1994 5 | Die Musik, obwohl nicht direkt Gegenstand des Laokoon, wird im Laufe des 19. Jahrhunderts als die Zeitkunst par exellence geadelt und ganz im Schopenhauerschen Sinne als ein Medium verstanden, welches allein in der Lage ist, über die Welt bzw. den Raum der irrigen Vorstellungen (in dem die bildenden Künste verbleiben) hinaus, der menschlichen Existenz von der eigentlichen, wahrhaftigen Daseinsform (dem Willen) zu künden. Vgl. Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, hg. von Wolfgang von Löhneysen, Frankfurt a.M. 1986, S. 359 u.a. 6 | Vgl. Thomas Mann, Der Zauberberg, Frankfurt a.M. 1952, S. 108 ff 7 | Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1984, S. 367 8 | Ebd. S. 101 9 | Zur »keimhaft revolutionäre[n] Abhandlung über Sein und Raum« in Sein und Zeit vgl. Peter Sloterdijk, Sphären I, Blasen, Frankfurt a.M. 1998, S. 336
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mationstechnologischer Entwicklungsprozesse nicht mehr als selbstverständlich (in ihrer Zeit) erscheinen. Manuel Castells stellt diesbezüglich gar die These auf, dass in unserer technisch hochgerüsteten »Netzwerkgesellschaft der Raum die Zeit organisiert.«10 Zumindest erscheint gerade der Raum der Postmoderne reflexionsbedürftiger denn je: »Weitaus faszinierender als die Zeit (Echtzeit, Lichtgeschwindigkeit, Simultanität) wirkt in der Medienwelt der Moderne die Eroberung des Raums. Infiltration, Invasion und Interaktion im Raum […] wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zum großen topischen Experiment des 21. Jahrhunderts.«11 Anstelle der Diachronie zeitlicher Betrachtungsweisen wird nun das Synchrone der Kategorie Raum als das wesentliche Merkmal einer Epoche empfunden, die Michel Foucault bereits 1967 als ein »Zeitalter des Raumes«12 bezeichnet. Und selbst Positionen wie Heinrich Heines prophetische Befürchtung »durch die Eisenbahnen wird der Raum getötet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig«13 – die unter anderem in Paul Virilios Dromologie weiterwirkt – sind letztlich schon Ausdruck eines Empfindens, welches nun verstärkt die räumlichen Bezüge als problematisch erfährt und gerade darum zentral thematisiert. Entgegen der Befürchtung, dass die Medien der Fortbewegung oder der Kommunikation den Raum oder dessen Bedeutung für den Menschen beseitigen würden, zeigt sich jedoch, dass es gerade die technischen Welten der Medien sind, die dem Thema Raum sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht zu Aktualität und Bedeutung verhelfen.14
10 | Manuel Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Teil 1 der Trilogie Das Informationszeitalter, Opladen 2001, S. 431 11 | Volker Demuth, Topische Ästhetik, Körperwelten Kunsträume Cyberspace, Würzburg 2002, S. 33-34 12 | Michel Foucault, Von anderen Räumen, in: Dünne, Günzel 2006, S. 317 13 | Heinrich Heine, zit.n. Paul Virilio, Ästhetik des Verschwindens, Berlin 1986, S. 135 14 | Die wachsende Bedeutung des Raums angesichts einer avancierten Medienwirklichkeit spiegelt sich nicht zuletzt wieder, in einem beinahe inflationären Sprachgebrauch von Raum-Metaphern (Cyperspace, Global Village etc.), die den eingangs erwähnten, zeitbezogenen Begrifflichkeiten bereits die Allgemeinplätze streitig machen. Vgl. Markus Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes, Frankfurt a.M. 2006, S. 252 ff
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Was also von einer Suche nach der verlorenen Zeit in eine Angst um den verlorenen Raum umzuschlagen drohte, erweist sich heute als eine Suche nach den Jetzt-Räumen einer technisierten Welt, die durch eine totale Verdichtung und Überlagerung polymorpher Raumstrukturen gekennzeichnet ist. Die Tatsache, dass räumliche Bezüge gerade im Zusammenhang mit neuen Technologien »flexibel, kontingent und fragil geworden sind«15, verlangt nach spezifischen Konzeptionen, die es ermöglichen, diese qualitativ zum Teil sehr problematischen Konstellationen im Einzelnen angemessen zu beurteilen. Der mit Blick auf die raumbezogenen Reflexionen der letzten Jahrzehnte ausgerufene spatial turn (oder auch return) scheint einem derartigen Bemühen Rechnung zu tragen, wobei sich Raum als Analysekategorie16 über den Bereich der Technik hinaus auf alle sozial- und kulturwissenschaftlichen Themenbereiche erstreckt. Diese allgemeine Betonung des Räumlichen erweckt dabei zunächst den Verdacht, dass »eine zeitbezogene oder gar evolutionistische Vorstellung von Entwicklung«17 verdrängt werden soll und die Kategorie Zeit im Kontext wissenschaftlicher Analysen an Bedeutung verliert. Dem ist jedoch nicht so. Raum ist auch hier immer als Zeitgeschehen und somit als Zeitraum zu verstehen (Zeit zum Werden und Vergehen von Raum und umgekehrt). Das eine ist nicht ohne das andere zu haben, mit der Konsequenz, dass eine Beschreibung von Raum (und Raumkonzeptionen) nicht ohne Bezugnahme auf den zeitlichen Entwicklungsprozess der jeweils zu beschreibenden Strukturen erfolgen kann.18 Dementsprechend auch hier zunächst ein Rückblick auf das »historische Gewordensein«19 der Raumkonzeptionen selbst, zumindest insofern dies die weiteren Ausführungen zu Max bzw. dem Max-Raum fundiert: 15 | Schroer 2006, S. 13 16 | Vgl. Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns, Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek Hamburg 2006, S. 302 ff 17 | Ebd. S. 285 18 | In ihrem Beitrag zum Handbuch Sozialraum (2005) schlagen Martina Löw und Gabriele Sturm als »Rahmenkonzept den Begriff des RaumZeit-Relativs vor,« um so »die Verschränktheit aller Raumphänomene mit der Zeit nicht aus dem Blick zu verlieren.« Martina Löw, Gabriele Sturm, Raumsoziologie, in: Handbuch Sozialraum, hg. von Fabian Kessl, Christian Reutlinger, Susanne Maurer und Oliver Frey, Wiesbaden 2005, S. 43 19 | Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt a.M. 2001, S. 221
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Eine Vielzahl der im Zuge des spatial turn publizierten Raumvorstellungen geht zurück auf ein relationales Verständnis, welches häufig (nicht immer ganz unproblematisch) in Opposition zu einer absolutistischen Raumkonzeption formuliert wird. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Auffassungen besteht darin, dass die absolutistische Raumvorstellung (nach Aristoteles, Euklid, Newton u.a.) einen absoluten, unveränderlichen, statischen und berechenbaren Raum voraussetzt, der getrennt von allen ›Füllmaterialien‹ vorliegt. Gerade diese ab- und ausgrenzende Tendenz bringt den sich hier anschließenden Konzeptionen die von Albert Einstein stammende Kurzformel »container«20 ein. Dem relationalen Raumverständnis (nach Leibnitz u.a.) gemäß wird diese Trennung nicht vorgenommen, sondern im Gegenteil, Raum als direkte Folge von Körpern (Objekten, Menschen) und deren relationalen Zusammenspiel verstanden, so dass Raum (ebenso wie die Zeit) an sich, als autonome Substanz, nicht existiert.21 Ein Resultat dieser Bestimmung wäre vor allem die Zentralstellung des dynamischen Beziehungsgeflechts aus synchron agierenden Subjekten und arrangierten Objekten, und damit schließlich auch die Konzentration auf den handelnden Menschen im Kollektiv.22 An dieser Stelle der relationalen Konzeption knüpft nun der raumtheoretische Ansatz der vorliegenden Arbeit an: Als fait social23 wird Raum auch hier nicht länger als gegebene Größe vorausgesetzt, welche es im aristotelisch-euklidischen Sinne zu füllen gilt, sondern als (Kollektiv-)Leistung einer sozialen oder kulturtechnischen Praxis verstanden. In diesem 20 | Ebd. S. 24 21 | Zu historischen Raumkonzeptionen in Philosophie und Physik vgl. Schroer 2006, S. 29 ff 22 | Eine derartige Bindung des Raumes an die Existenz des Menschen erfolgt bereits in der Transzendentalen Ästhetik von Kant. Neben der Zeit wird der Raum hier jedoch als eine a priori gegebene Wahrnehmungskategorie aller menschlichen Erfahrung und Handlung vorausgesetzt (und eben nicht als deren Resultat begriffen). Es handelt sich dabei also weniger um einen Raumbegriff, als vielmehr darum, auf fundamentaler Ebene menschliche Wahrnehmungs- und Anschauungsformen zu klären. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Leipzig 1971, S. 92 ff 23 | In Anlehnung an Adorno, obwohl dieser unter fait social nicht den Raum, sondern die »Kunst […] als Produkt gesellschaftlicher Arbeit des Geistes« behandelt. Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, hg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1970, S. 335
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produktionsästhetischen Sinne geht es dann auch weniger um die Frage, Was Raum ist, als vielmehr darum, »das Wie der Entstehung von Räumen«24 nachzuvollziehen. Diesbezüglich schreibt der französische »Metaphilosoph«25 Henri Lefèbvre, der insbesondere aufgrund seiner Schrift La production de l’espace (1974) von Martina Löw und Gabriele Sturm als »Auslöser der Renaissance der Raumsoziologie«26 bezeichnet wird: »Wenn der Raum ein Produkt ist, dann muss die Erkenntnis diese Produktion reproduzieren und darstellen. Das Erkenntnisinteresse […] verschiebt sich von den Dingen im Raum zur Produktion des Raums selbst […].«27 Ziel dieser Reproduktion ist es, spezifische Raumphänomene in ihrem aktuellen und historischen Kontext adäquat zu erfassen, das heißt als Konstruktionen über den jeweiligen Konstitutionsprozess zu beschreiben. Auf den Ursprung des Raums als einem zunächst dekonstruktiven Handlungsgeschehen verweist auch Volker Demuth: »Raum verdankt sich ursprünglich einem dekonstruktiven Handlungsgeschehen, das eine Lichtung im Wald schafft. Raum entsteht demzufolge durch räumenden, rodenden Einschlag in die raumlose Natur. Damit ist von Beginn an eine kulturelle Organisation, Ordnung, Formung oder Zurichtung gemeint.«28 In jedem Fall liegt dem Raum als ein- oder ausgeräumter Natur ein kulturtechnisch bedingtes Handlungsgeschehen zugrunde, welches die Natur als Wald dekonstruiert, die Lichtung jedoch konstruiert.29 Etwas weniger archaisch formuliert hieße das, dass Räume als dynamisch-relationale Konstruktionen zu verstehen sind, die häufig kollektiv begangen 24 | Löw 2001, S. 15 25 | Christian Schmid, Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefèbvre und die Theorie der Produktion des Raumes, Stuttgart 2010, S. 10 26 | Löw, Sturm, in: Kessl, Reutlinger, Maurer, Frey 2007, S. 36 27 | Henri Lefèbvre, Die Produktion des Raums, in: Dünne, Günzel 2006, S. 333 28 | Demuth 2002, S. 219-220 29 | Bei dem Versuch einer Definition von Raum verweist bereits Heidegger auf das menschliche Einräumen von Natur: »Wir versuchen auf die Sprache zu hören. Wovon spricht sie im Wort Raum? Darin spricht das Räumen. Dies meint: roden, die Wildnis freimachen. Das Räumen erbringt das Freie, das Offene für ein Siedeln und Wohnen des Menschen. Räumen ist, in sein Eigenes gedacht, Freigabe von Orten […].« Martin Heidegger, Die Kunst und der Raum, in: Gesamtausgabe, I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910-1976, Bd. 13, Aus der Erfahrung des Denkens, Frankfurt a.M. 1983, S. 206
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werden, und zwar ganz im Sinne eines Spaziergangs,30 während welchem die Spaziergänger mit ihrem Tun (und Lassen) einen Lebensraum konstituieren, der die sozialen und materiellen Gegebenheiten gleichermaßen betrifft und der gebunden ist, an die gesamte Existenz des sowohl körperlich als auch geistig Aktiven: »Der Raum ist in der Welt als einer von uns ausgearbeiteten, gelebten und zu besorgenden Sinnkonstruktion. Raum entsteht erst durch existentielle Beziehungen. […] Raum ist ein Existential des Menschen. […] Wir müssen also Sein und Zeit und Raum durch unsere Existenz leisten.«31 Die Formulierung Sein und Zeit und Raum kann in diesem Zusammenhang durchaus als Verweis auf das ins Heideggersche Programm von Sein und Zeit »subthematisch eingeklemmte Projekt Sein und Raum«32 gelesen werden, nach welchem der Raum gebunden ist an die Sorge und das Besorgen des Daseins als einem aktiven In-der-Weltsein.33 Auf dieser existenzialistischen Grundlage wird anstelle der Container-Vorstellung von einem Leben im Raum, welches unabhängig von diesem geführt wird, ein gelebter Raum angenommen: »Man kann der Sphäre, die einen umschließt, […] nicht gegenüberstehen wie einem Tafelbild. Kurzum, wir befinden uns im Lebensraum schon immer drin. Das klingt banal. Aber es wehrt die Vorstellung ab, dass das Drin-sein wie ein Gegenstand in einer Schachtel vorkommt. Vielmehr ist das Drin-sein eine fundamentale Verfassung unserer Existenz in dem Sinn, dass wir die Wirklichkeit immer durchwirken, sowie sie uns immer durchwirkt.« 34
Somit gestaltet der Raum, den wir gestalten, uns. Der aus dem prozessualen Zusammenspiel der Existenzen heraus resultierende (geleistete) Raum wird nur dann evident, wenn die Analyse der Konstitutionsprozes30 | »Spazieren Vsw std. (13. Jh), mhd. spacieren, spa(t)zieren. Entlehnt aus it. spaziare, dieses aus l. spatiari ›sich ergehen‹, zu l. spatium ›Raum, Strecke, Weite‹, auch ›Gang, Spaziergang‹.« Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage, Berlin/New York 2002, S. 861 31 | Baier 2000, S. 18 32 | Sloterdijk 1998, S. 345 33 | »Der Raum ist weder im Subjekt, noch ist die Welt im Raum. Der Raum ist vielmehr ›in‹ der Welt, sofern das für das Dasein konstitutive In-der-Welt-sein Raum erschlossen hat.« Heidegger 1984, S. 111 34 | Baier 2000, S. 10
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se insbesondere die Wechselwirkung zwischen den jeweiligen Konstitutionsfaktoren beinhaltet.
I.2 F ABRICANDO FABRICAMUR : F EEDBACK-S CHLEIFEN DER P RODUK TION Gemäß der lateinischen Formel fabricando fabricamur 35, nach welcher sich jede Aktion oder deren Folge immer auch auf den Agierenden selbst auswirkt, führt die Annahme eines wechselseitigen Produktionsgeschehens schließlich zur Aufhebung der strikten Trennung zwischen Produkt und Produzent. Das Produkt fungiert hier rückwirkend als Produzent, ebenso wie dieser als Produkt seiner eigenen Produktion erscheint. In diesem Sinne gilt es im Folgenden weitere begriffliche Gegensatzpaare zu hinterfragen bzw. zu relativieren, um mit Blick auf Max die Komplexität der Raumpraxis zu verdeutlichen, die sich mit vorgefassten Dualismen nicht adäquat beschreiben lässt. In Tausend Plateaus, dem zweiten Band von Kapitalismus und Schizophrenie, entwerfen Gille Deleuze und Félix Guattari ein Raumkonzept, welches oberflächlich betrachtet ebenfalls auf einem Dualismus – der Unterscheidung zwischen gekerbtem Raum (der Sesshaftigkeit) und glattem (nomadischem) Raum – zu beruhen scheint: »Es gibt […] unterschiedliche Räume: der Raum der Sesshaftigkeit wird durch Mauern, Einfriedungen und Wege zwischen den Einfriedungen eingekerbt, während der nomadische Raum glatt ist und nur mit ›Merkmalen‹ markiert wird, die sich mit dem Weg verwischen und verschieben.«36 Als Gegensatzpaar (miss-)verstanden, unterscheiden sich beide Grundtypen zunächst dadurch, dass der gekerbte Raum einem Container gleich »begrenzt und gleichzeitig begrenzend« ist, während sich der glatte Raum offen, prozesshaft und heterogen gestaltet und durch eine »Poly35 | »[…] fabricando fabricamur: Etwas gestaltend, gestalten wir uns selbst; durch die Arbeit der Gestaltung etwa eines Gegenstandes werden wir selbst gestaltet; die Herstellung von etwas ist zugleich die Herstellung von uns selbst.« Wilhelm Schmid, Philosophie der Lebenskunst, Eine Grundlegung, Frankfurt a.M. 1999, S. 73 36 | Gilles Deleuze, Félix Guattari, Tausend Plateaus, Kapitalismus und Schizophrenie II, Berlin 1992, S. 523-524
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vozität der Richtungen«37 gekennzeichnet ist. Im Grunde handelt es sich jedoch nicht um verschiedene Raumtypen, sondern um die zwei Seiten ein und derselben Raumpraxis, deren Trennung und Gegenüberstellung rein theoretischer Natur ist.38 Die Praxis erweist sich vielmehr als eine Mixed-Reality, in welcher sich beide Seiten bedingen, so tiefgreifend die Differenzen zunächst auch erscheinen mögen: »[…] manchmal müssen wir uns […] daran erinnern, dass die beiden Räume nur wegen ihrer wechselseitigen Vermischung existieren: der glatte Raum wird unaufhörlich in einen gekerbten Raum übertragen; der gekerbte Raum wird ständig umgekrempelt, in einen glatten Raum zurückverwandelt.«39 Hierbei geht es jedoch weniger um ein Nacheinander als vielmehr um ein Mit- oder Durcheinander der Raumstrukturen, da die Prozesse des Kerbens (schließen, rechnen, mauern etc.) nicht absolut geschehen, sondern immer auch glatte Öffnungen evozieren, welche wiederum ein Kerben des Glatten bzw. ein Schließen des Offenen und damit eine permanente Feedback-Schleife der Raumproduktion ermöglichen. Auf dieser Grundlage einer wechselseitigen, »dem Werden und der Heterogenität«40 verpflichteten Produktionsbewegung kann weder ein vollständig geschlossener Container-Raum noch dessen offene Raum-Opposition für sich bestehen: Jedes Raumschaffen entspricht einem reduktionistischkerbenden Einschnitt, welcher gerade indem er verschließt neue Öffnungen ermöglicht. Art und Ausmaß dieser Verbindung von Verschlossenem und Offenem sind dabei in besonderem Maße von den verwendeten Materialien, Technologien, Werkzeugen oder Instrumenten abhängig – ein Prozess, der hinsichtlich der mit Max kerbenden bzw. gekerbten Produktionspraxis von Bedeutung ist. Weiterführend erlaubt dieses kreisläufig gedachte Produktionsgeschehen die Auflösung einer weiteren dualistischen Setzung, und zwar der beharrlichen Gegenüberstellung von virtuellem und realem Raum. Dieses kulturhistorisch gesehen sehr alte Gegensatzpaar erlangte im Mediendiskurs der letzten Jahrzehnte eine neue Hochzeit und kann angesichts des 37 | Ebd. S. 526 38 | »Die faktischen Vermischungen [der Raumstrukturen] sind allerdings kein Hindernis für eine Unterscheidung in der Theorie […].« Ebd. S. 658 39 | Ebd. S. 658 40 | Stefan Heyer, Deleuzes & Guattaris Kunstkonzept, Ein Wegweiser durch Tausend Plateaus, Wien 2001, S. 28
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Gegenstandes dieser Arbeit nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, auch wenn bereits darauf hingewiesen wurde, dass Max in separierter Form weder als virtueller noch als elektronischer Datenraum zur Diskussion steht, sondern als integrierter Bestandteil einer kollektiven Raumpraxis von Interesse ist, die sich auf keinen Dualismus reduzieren lässt. Mit der dualistischen Konzeption hingegen wird dem realen Raum ein zumeist medientechnisch vermittelter virtueller Raum ohne Orte (überall und nirgendwo) entgegengestellt, wobei mit der Trennung von Raum und Ort ein weiteres, nicht minder fragwürdiges Begriffspaar konstruiert wird.41 Jenseits solcher Dualismen werden Orte zunächst als Raumdaten oder »Informationsmedien«42 verstanden, die als (gekerbte) Rückstände der Konstitutionsprozesse »den Raum über sich selbst«43 informieren. Die einzige Möglichkeit der Beschreibung speziell von Handlungsräumen besteht damit in der Rücksichtnahme auf den entsprechenden Produktionsprozess, und dies wiederum verlangt ein Zitieren der entsprechenden Orte. Die Flüchtigkeit des Jetzt-Raums erlaubt eine reflexive Annährung nur über dessen Rückstände – die Orte und deren Re-Synthese. Orte werden hierbei als relativ stabile, »diskrete Punkte«44 auf- und zusammengelesen, was dem prozesshaft-flüchtigen Raumgeschehen schließlich eine historisch nachvollziehbare, beschreibbare Dimension verleiht (womit auch die Kategorie der Zeit als ver-ortet erscheint).45 Als Informationsmedien erfüllen Orte somit eine Mittlerfunktion, sowohl zwischen Raum und Mensch als auch zwischen Raum und Zeit, indem sie als umfassendes Datum fungieren und beide Kategorien nach41 | Zu derartigen Konzeptionen und den entsprechenden Gegenentwürfen vgl. Schroer 2006, S. 252 ff 42 | Demuth 2002, S. 16 43 | Ebd. S. 15 44 | Johan Frederik Hartle, Der geöffnete Raum, Zur Politik der ästhetischen Form, München 2006, S. S. 151 45 | Darüber hinaus sind die entsprechenden Ortkonstellationen immer auch Resultate einer ordnenden, wissenschaftlich kerbenden Reflexion, die rückblickend das Raumgeschehen greifbar zu machen versucht, indem eine relativ stabile, festgefügte Ordnung (aus Standorten) installiert wird (als datentechnische Funktionseinheiten sind Orte per se mobil und verschieden kombinierbar), welche sich dem Vergangenen jedoch lediglich anzunähern vermag. Im Grunde entspricht diese Praxis selbst einem, die Orte nacherzählenden, eigenen Reflexionsraum.
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vollziehbar fixieren. Im Allgemeinen sind es Geburtsorte, Wohnorte, Arbeits- oder Urlaubsorte, die als Zeitpunkte der Ortschaften einen Lebensraum datieren und er-zählbar machen. Ohne Raum also kein Ort und ohne Ort kein Raum. Im Speziellen gilt dies auch für das medientechnisch gebundene Raumgeschehen, wo der Mythos vom Raum ohne Ort als virtueller Raum ohne konkreten Orts- bzw. Realitätsbezug eigentlich zu Hause ist. Dennoch wird die in diesem Zusammenhang vollzogene Trennung von virtuellem und realem Raum nur selten in Frage gestellt. Ist dies doch einmal der Fall, dann führt die Auflösung des Gegensatzpaares häufig tendenziell entweder zu einer Virtualisierung des Realen 46 oder zu einer Realisierung des Virtuellen 47. Mit Blick auf Max, oder vielmehr auf den Max-Raum, soll an dieser Stelle für eine dritte Möglichkeit plädiert werden, nach welcher das Verhältnis von Realem und Virtuellem gekennzeichnet ist durch eine grundsätzliche Bedingtheit und komplexe Durchdringung beider Zustände. Insbesondere die Vorstellung einer bloßen Dopplung, Simulation oder Substitution (im prothetischen Sinne) des Realen durch das Virtuelle gilt es zu überwinden, denn »[…] reality was already virtual to begin with.«48 So lautet Wolfgang Welschs Antwort auf die von ihm im gleichnamigen Aufsatz formulierte Frage Virtual to Begin With? Mit dieser prägnanten Formulierung könnte die unendliche Geschichte von Virtualität vs. Realität als abgeschlossen betrachtet werden: Im Anfang war das Virtuelle als Voraussetzung (Vergangenheit) und Beginn jeder Realität – als deren Potential, als deren Möglichkeit und damit auch als deren Zukunft. Eine ausschließliche Trennung in virtuelle und reale Komponenten wird der Wirklichkeit in keiner Weise gerecht, da jedwede Existenz als Hybridform beide Aspekte vereint.
46 | Zur Gesellschaft als einer virtuellen Realität vgl. Michael Paetau, Raum und soziale Ordnung – Die Herausforderung der digitalen Medien, in: Raum – Zeit – Medialität, Interdisziplinäre Studien zu neuen Kommunikationstechnologien, hg. von Christiane Funken und Martina Löw, Opladen 2003, S. 205 ff 47 | Zur Kultur der realen Virtualität (Raum und Zeit betreffend) vgl. Castells 2001, S. 375 ff u. 517 ff 48 | Wolfgang Welsch, Virtual to Begin With?, in: Subjektivität und Öffentlichkeit – Kulturwissenschaftliche Grundlagenprobleme virtueller Welten, hg. von Mike Sandbothe und Winfried Marotzki, Köln 2000, S. 26
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Die literarische Beschreibung des bildhauernden Michelangelos, welcher die ebenso virtuelle wie reale Figur seines Davids im Marmorblock nur zu suchen und bloßzulegen braucht, veranschaulicht die Metamorphose, den fließenden Übergang zwischen einer realen Virtualität und einer virtuellen Realität als eigentlichen Seinszustand: »Die Marmorsäule lag noch auf dem Boden. Er legte eine Holzplatte über ihre ganze Länge, von deren Seiten bleibeschwerte Schnüre herabhingen, die anzeigten, in welcher Tiefe er später die rückwärtigen Teile der Figur zu suchen haben würde: den Hinterkopf Davids, die Schleuder, den Felsbrocken in seiner riesigen Hand, den Baumstumpf, der die rechte Wade stützte. Er markierte diese tiefsten Punkte mit Kohle. […] Jetzt schien die Marmorsäule gleichsam darauf zu warten, sich ihm zu fügen.« 49
Entsprechend dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Produkt und Produzent, zwischen Schließen (Kerben) und Öffnen (Glätten) oder zwischen Raum und Ort gilt das Virtuelle als Ausgangspunkt der Realität, ebenso wie das Reale den Ursprung neuer, virtueller Möglichkeiten begründet. Angesichts dieser konkreten Relationen aus gegenseitiger Bedingtheit und permanenter Erweiterung wäre es einseitig und inadäquat einen Gegenstand wie Max als virtuelle Datenstruktur getrennt von der realräumlichen Praxis zu behandeln, da auch hier kein statischer Dualismus auszumachen ist, sondern eine verbindende Feedback-Schleife der wechselseitigen Einfluss- und Anteilnahme mit offenen Ausgängen vorliegt.
I.3 M Y S PACE : M A X -R AUM Der hinsichtlich des Max-Raums – als der Gesamtheit aller Max-bezogenen Aktivitäten – zu beschreibende Produktionsprozess weist drei Ebenen auf, die Henri Lefèbvre in anderen Zusammenhängen als eine ineinandergreifende Dreiheit aus räumlicher Praxis (pratique spatiale), Raumrepräsentationen (représentations de l’espace) und Repräsentationsräumen (espaces de représentation) beschreibt, mittels derer die »konkreten Dinge«50 der Raumorganisation zu analysieren sind: 49 | Irving Stone, Michelangelo, Berlin 1990, S. 349 50 | Henri Lefèbvre, Die Produktion des Raums, in: Dünne, Günzel 2006, S. 338
I. Am I sitting in a room?
»a) Die räumliche Praxis: Sie umfasst die Produktion und Reproduktion, spezielle Orte und Gesamträume, die jeder sozialen Formation eigen sind, und sichert die Kontinuität in einem relativen Zusammenhalt. […] b) Die Raumrepräsentationen: Sie sind mit den Produktionsverhältnissen verbunden, mit der Ordnung, die sie durchsetzen, und folglich auch mit Kenntnissen, Zeichen, Codes und frontalen Beziehungen. c) Die Repräsentationsräume: Sie weisen (ob kodiert oder nicht) komplexe Symbolisierungen auf, sind mit der verborgenen und unterirdischen Seite des sozialen Lebens, aber auch mit der Kunst verbunden, die man möglicherweise nicht als Raumcode, sondern als Code der Repräsentationsräume auffassen kann.« 51
In Anlehnung an dieses dreiteilige Analysemodel, welches allerdings vielmehr als inspirativer Ausgangspunkt denn als operative Grundlage dient,52 verlangt die Untersuchung des Max-Raums ebenfalls drei Arbeitsschritte: In einem ersten Schritt (Kapitel II, Maximalism I) steht
51 | Ebd. S. 333 52 | Lefèbvres Theorie der Produktion des Raums ist schließlich vor dem Gesamthintergrund seiner weitgreifenden Gesellschafts- und Städtetheorie zu lesen, welche sich inhaltlich, begrifflich und nicht zuletzt auch stilistisch so komplex gestaltet, dass im Rahmen dieser Arbeit keine adäquate Darstellung erfolgen kann. Ein solches Vorhaben hätte notwendigerweise die Aufarbeitung der gesamten Schrift zur Folge, da beispielsweise das analytische Zentralelement der Dreiheit immer wieder in verschiedenen, historischen, sozialen und philosophischen Zusammenhängen diskutiert, umgedeutet, verlinkt und nicht zuletzt auch mit unterschiedlichem Vokabular bezeichnet wird (die räumliche Praxis, the spatial praxis als perceived space, die Raumrepräsentationen, the representations of space als conceived space und die Repräsentationsräume, the representational spaces als lived space), was wiederum einen weiten Interpretationsspielraum zuläßt (zur detaillierten Analyse und Einordnung dieser Produktionstheorie vgl. Schmid 2010). Diesen Raum nutzend entspricht die im Folgenden auf Max bezogene Ausführung bzw. Anwendung der Dreiheit einer Neukontextualisierung (im Sinne der von Lefèbvre selbst praktizierten Technik), wobei mit wechselndem Gegenstandsbereich neben dem Inhalt immer auch die Relationen und Interaktionen zwischen den drei Hauptelementen variieren, welche sich »never either simple or stable« gestalten. Henri Lefèbvre, The Production of Space, Blackwell Oxford (UK) Cambridge (USA) 1991, S. 46
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die räumliche Praxis53, das heißt, der Konstitutionsprozess bzw. die entsprechenden Konstitutionsfaktoren im Zentrum. Der zu untersuchende Gegenstandsbereich beschränkt sich hier zunächst auf die kulturtechnischen Prozesse (des Kerbens), die zu Max führen und die Software informieren (gemäß dem lateinischen informare – formen, gestalten).54 Somit gilt der Handlungsraum der ästhetischen Praxis als Ausgangspunkt, während die Programmierumgebung als in-formiertes Produkt dieser Raumpraxis den vorläufigen Zielpunkt darstellt. Abbildung 1: Max-Raum, Produktionskreislauf
53 | »Die räumliche Praxis einer Gesellschaft sondert ihren Raum ab; in einer dialektischen Interaktion setzt sie ihn und setzt ihn gleichzeitig voraus: Sie produziert ihn langsam, aber sicher, indem sie ihn beherrscht und ihn sich aneignet. In der Analyse lässt sich eine räumliche Praxis entdecken, indem man ihren Raum entziffert.« Lefèbvre, in: Dünne, Günzel 2006, S. 335 54 | Mit dem Begriff der In-formation wird in diesem Zusammenhang nichts substanzielles, keine übermittelbare (Daten-)Struktur o. ä. bezeichnet, sondern ein Ereignis bzw. Prozess der Struktur- oder Formgebung angezeigt. Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1984, S. 102 ff
I. Am I sitting in a room?
Der zweite Schritt betrifft die Raumrepräsentation55, wobei das Produkt Max als Repräsentant des ästhetischen Handlungsraums fungiert. Repräsentiert werden die Eigenschaften und Merkmale der in-formierenden Praxis, welche entweder direkt eingeschrieben im System der Software56 weiterwirken, oder aber über dessen Anwendung vermittelt weiterführende Funktionszusammenhänge betreffen. Das qualitative Umschlagen der Software vom Produkt zum Repräsentanten entspricht dabei dem Übergang von einem passiven (in-formierten) hin zu einem aktiven (informierenden) System. Als Übergang betrifft dieser zweite Schritt beide Hauptteile dieser Arbeit (Maximalism I und II) gleichermaßen, wobei die rückwirkende Einflussnahme von Max auf die ästhetische Praxis ins Zentrum rückt ( fabricando fabricamur). Dieser Feedback-Prozess umfasst sowohl die beständige Re-Organisation der bereits bestehenden Konstitutionsfaktoren der Software (Kapitel II, Maximalism I) als auch die Max-basierte Neuschaffung von räumlichen Strukturen der ästhetischen Praxis, welche in Kapitel III (Maximalism II) in einem dritten Schritt als Repräsentationsräume57 behandelt werden und schließlich den zweiten Zielpunkt dieser Arbeit ausmachen.
55 | »Die Raumrepräsentationen, das heißt der konzipierte Raum [espace conçu], der Raum der Wissenschaftler, der Raumplaner, der Urbanisten, der Technokraten, die ihn ›zerschneiden‹ und wieder ›zusammensetzen‹, der Raum bestimmter Künstler, die dem wissenschaftlichen Vorgehen nahe stehen und die das Gelebte und das Wahrgenommene mit dem Konzipierten identifizieren […]. […] Dies ist der in einer Gesellschaft (einer Produktionsweise) dominierende Raum.« Lefèbvre, in: Dünne, Günzel 2006, S. 336 56 | Das System betrifft hier über die Summe der technologischen Teilelemente hinaus insbesondere deren spezifische Relationierung und Konditionierung im Funktionszusammenhang. (»Von System im allgemeinen kann man sprechen, wenn man Merkmale vor Augen hat, deren Entfallen den Charakter eines Gegenstandes als System in Frage stellen würde. Zuweilen wird auch die Einheit der Gesamtheit solcher Merkmale als System bezeichnet.« Luhmann 1984, S. 15) 57 | »Die Repräsentationsräume, d.h. der gelebte Raum [espace vécu], vermittelt durch die Bilder und Symbole, die ihn begleiten, also ein Raum der ›Bewohner‹, der ›Benutzer‹, aber auch bestimmter Künstler […].« Lefèbvre, in: Dünne, Günzel 2006, S. 336
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Abbildung 2: Max-Raum, Produktionskreislauf
Die Repräsentationsräume entsprechen organisierten Settings, die in Gänze oder zu bedeutenden Teilen auf der Anwendung von Max basieren, wobei die Software immer auch als Bestandteil der jeweiligen Raumstruktur fungiert. Als Produktions- oder Spielräume stellen diese von Max in-formierten Raumformationen Erweiterungen oder Öffnungen des ästhetischen Handlungsraums dar, welche gemäß ihrer In-formation durch die Software spezifisch ausgerichtet erscheinen und dementsprechend die Produktion und Repräsentation verschiedenster PerformancePraktiken, Raummusiken etc. begründen.58 Zusammengefasst ergibt sich somit folgender Ablaufplan: Ausgangspunkt ist der Handlungsraum der ästhetischen Praxis und damit der Konstitutionsprozess, aus dem Max als repräsentatives Produkt resultiert. Wendepunkt ist das Umschlagen vom in-formierten Raumprodukt zum in-formierenden Raumrepräsentanten, welches an der produktiven Rückwirkung der Software auf die ästhetische Praxis festzumachen ist und sich manifestiert in der Re-Organisation der Konstitutionsfaktoren der 58 | Im Zusammenhang mit Raumrepräsentation und Repräsentationsraum ist hier nicht etwa eine Repräsentation des Identischen gemeint – es geht nicht um eine identische Wiederholung, sondern um transformative Prozesse, wobei die jeweiligen Repräsentanten Differenzen aufweisen, die zwar nichts gegenteilig-anderes, wohl aber etwas verändertes darstellen. Vgl. Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München 1992, S. 11 ff oder S. 329 ff
I. Am I sitting in a room?
Software und der Vermittlung von neuartigen Repräsentationsräumen. Als creatio continua59 steuert diese zirkulierende Produktionsbewegung jedoch ebenso die weitere Ausrichtung (Extension) der Software, so dass die unter Maximalism I auf der Ebene der Konstitution der Software beschriebenen Vorgänge immer in direktem Zusammenhang stehen mit der im zweiten Hauptteil beschriebenen, Max-basierten Organisation von Raum(-kunst). Dementsprechend ist es das Ziel der folgenden Ausführungen, neben der Entwicklungs- und Wirkungsgeschichte der Software gerade dieses ineinandergreifende und zum Max-Raum verwobene Produktionsgeschehen herauszuarbeiten und Max als funktionales Teilelement eines Handlungsraums zu beschreiben, welcher sich mit der Produktion und Anwendung der Software immer wieder re-formiert. Dabei sind im rhizomhaften Beziehungsgeflecht des ›Großraums Max‹ einzelne Hauptlinien zu orten, nachzuzeichnen und zusammenzuführen, um so bedeutende Plateaus 60 der Max-Praxis herauszuarbeiten, die schließlich den Blick freigeben, auf das gesamte, den Max-Raum ergebende Patchwork aus Ergon und Energeia.
59 | »Früher galt, die Natur kann sich nicht selbst erhalten, sie ist Schöpfung und bleibt auf den steten Zustrom göttlicher Gnade angewiesen, man nannte das die creatio continua.« Rüdiger Safranski, Romantik, Eine deutsche Affäre, München 2007, S. 128; Hier jedoch gedacht als Gegenmodell zur sog. creatio ex nihilo und damit als kontinuierlicher Produktionskreislauf, in welchem das Produzierte immer auch produziert. Vgl. Gilles Deleuze und Félix Guattari, Was ist Philosophie? Frankfurt a.M. 2000, S. 13 60 | »Wir bezeichnen jede Mannigfaltigkeit als ›Plateau‹, die mit anderen Mannigfaltigkeiten durch äußerst feine unterirdische Stränge verbunden werden kann, so dass ein Rhizom entstehen und sich ausbreiten kann. […] Es [das Rhizom] ist aus Plateaus zusammengesetzt oder komponiert.« Deleuze, Guattari 1992, S. 37
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II. Maximalism 1: Max als in-formiertes Raumprodukt »Geh und schreibe Software, damit andere Leute Software schreiben können, damit andere Leute merkwürdige Klänge machen können. Frag nicht warum.«1
II.1 R AUM IM R AUM IM R AUM : L’IRCAM ET LE S YSTÈME 4X »Unser Lebensraum besteht aus mehr als nur einem Raum. Unser Lebensraum, das ist ein Raum im Raum im Raum …«2 – gleiches gilt für eine so komplexe Anlage wie den Max-Raum, welcher nicht nur in sich weitere Räume birgt, sondern selbst auch angeschlossen als Raum im Raum existiert, wobei die zwischenräumliche Beziehung einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis entspricht. Um ein verständliches und adäquates Bild dieser Relationen zu vermitteln, ist es notwendig, zunächst auf den entwicklungsgeschichtlichen Ursprungsraum der Software – l’IRCAM et le Système 4X – einzugehen, von dessen fundamentaler Bedeutung auch Miller Puckette (»universally known as the father of Max«3) überzeugt sein muss, wenn er schreibt: »Max took its modern shape during a heated, excited period of interaction and ferment among a small group of researchers, composers, and performers at IRCAM during the period 1985-1990; writing Max would probably not have been possible in less stimulating and demanding surroundings.«4 Dementsprechend geht es im Anschluss zu1 | Phil Burk, Prinzipien für experimentelle Musik-Software-Werkzeuge, in: Neue Zeitschrift für Musik, 5 September/Oktober 2004, S. 27 2 | Baier 2000, S. 59 3 | Rowe 2001, S. 212 4 | Miller Puckette, Max at Seventeen, in: Computer Music Journal, 26:4, Winter 2002 (a), S. 31
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nächst um die zentralen Aspekte der direkten Vorgeschichte, wobei sich der Übergang zwischen ›Vorraum‹ und Max-Raum fließend gestaltet.
IRCAM Das Institut de Recherche et de Coordination Acoustique/Musique nimmt seine Arbeit in Paris zu Beginn der siebziger Jahre zunächst unter dem Namen Association de Recherche et de Coordination Acoustique/Musique (ARCAM) auf, mit dem Ziel, zunächst einmal die Struktur der zukünftigen Institution zu entwickeln, welche als Musikinstitut des noch nicht fertiggestellten Centre d’Art et de Culture George Pompidou vorgesehen ist. Nach der offiziellen Inauguration des Centre am 31. Januar 1977 avanciert das IRCAM unter der Leitung von Pierre Boulez (Direktorat von 19771992) zu einem international renommierten Zentrum de la recherche musicale et scientifique, dessen Schwerpunkte bis heute insbesondere durch die elektroakustische Musikforschung und -produktion bestimmt werden. Jean-Claude Risset, in den ersten IRCAM-Jahren für die Abteilung Computermusik verantwortlich, beschreibt die nicht ganz unkomplizierte Anfangszeit im Spannungsfeld zwischen einer von Seiten des Instituts ausdrücklich gesuchten Öffentlichkeit (für zeitgenössische Musik) und der individuellen, künstlerischen Arbeit folgendermaßen: »In the initial period, it was very exciting, although i had very little time to do my own research or composition. There were lots of interruptions, lots of visits, pressure to make public appearances. The public relation people didn’t understand that you cannot do research and at the same time manage a museum of musical research and show it to everyone.«5 Die von den Gründern angestrebte »alliance de l’art et de la science«6 wird auf der Basis eines dynamisch-variablen Kollektivs realisiert, welches sich aus Komponisten, Informatikern, Akustikern, Musikwissenschaftlern und künstlerischen Assistenten (assistants musicaux) zusammensetzt. Und auch wenn am IRCAM zum Teil sehr markante Einzelpersönlichkeiten wie Pierre Boulez, John Cage, Morton Subotnick oder Karlheinz Stockhausen tätig waren, so muss es gerade dieses vielseitige Kollektiv ge5 | Jean-Claude Risset, zit.n. Joel Chadabe, Electric Sound, The Past and Promise of Electronic Music, New Jersey 1997, S. 119 6 | Esteban Buch, La Recherche Musicale à l’IRCAM, in: Centre Pompidou, trente ans d’histoire, Conception et direction de l’ouvrage Bernadette Dufrêne, Paris 2007, S. 93
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
wesen sein, welches Miller Puckette nach seinem Arbeitsantritt Mitte der achtziger Jahre als Chercheur invité 7 als so stimulierend empfunden hat. Bereits 1974, während einer ersten offiziellen Stellungnahme am Théâtre de la Ville (Paris), präsentiert Boulez das zukünftige Institute und dessen Ziel mit folgenden Worten: »Si nous nous efforçons d’explorer les matériaux nouveaux, il y aura de moins en moins divergence entre les idées que le compositeur veut exprimer et la façon de les exprimer. C’est pourquoi une collaboration étroite entre scientifiques, musiciens et techniciens est nécessaire.«8 Und über zwei Jahrzehnte später formuliert Boulez‹ Nachfolger, Laurent Bayle, im Rückblick das Ziel der Institutsgründung zusammenfassend: »L’Ircam est […] sans doute le premier exemple d’une institution indépendante, créée dans le but précis et affiché de fair de la recherche musicale.«9 Damit wären die Grundzüge des Instituts benannt – das dynamische, interdisziplinär-interaktive Kollektiv als Basis für die angestrebte Allianz von Kunst und Wissenschaft, mit dem Ziel einer vom Markt unabhängigen, innovativen Forschung, Produktion und Performance. Organisiert wird dieses Unternehmen einer kollektiven recherche musicale zunächst auf der Basis von fünf Départements: Instruments et voix (unter der Leitung von Vinko Globokar), Ordinateur (unter Jean-Claude Risset), Électroacoustique (unter Luciano Berio), Pédagogie (unter Michel Decoust) und schließlich dem Département diagonal unter der Leitung von Gerald Bennett als übergreifendes Koordinations- und Kommunikationselement.10 Im Anschluss an diese erste Equipe von 1977 erfolgen diverse Besetzungswechsel, Namensänderungen, Fusionen oder Abspaltungen einzelner Départements etc. Was jedoch bleibt ist das einflussreiche Zusammenspiel von Kunst- und Technikproduktion. Mit dem Ensemble Intercontemporain, gegründet 1976 unter der Leitung von Pierre Boulez (diesmal in der Rolle des Chef d’orchestre), verfügt das Institut zudem noch über eine hauseigene Exekutivkraft, die den Wirkungsbereich international auf die Aufführungs- und Interpretationspraxis zeitgenössischer Musik ausweitet.
7 | Vgl. Rapport Annuel de l’IRCAM 1985, S. 10 8 | Pierre Boulez, zit.n. Buch, in: Dufrêne 2007, S. 95 9 | Laurent Bayle, Une singularité plurielle, in: Lire l’IRCAM, Coordination éditoriale Peter Szendy, Paris 1996, S. 15 10 | Vgl. Andrew Gerzso, L’Évolution du Projet IRCAM, in: Dufrêne 2007, S. 206 ff
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Neben dieser personellen und strukturellen Konstitution sind es jedoch nicht zuletzt auch die materiellen Bedingungen in Form von hochwertigen Hardware-Tools, welche das Institut zumindest zeitweise zu einem der bedeutendsten Zentren elektroakustischer Musikpraxis machen. Dabei ist es jedoch weniger die Summe der zugänglichen Einzelkomponenten als vielmehr die umfassende, den Menschen und die Technik gleichermaßen betreffende Gesamtrelation durch die das IRCAM dann tatsächlich auch zu einem einflussreichen Produktionsraum avanciert. Das Institut spielt hier eine Mittlerrolle zwischen Mensch, Technik und Kunst, indem es auf institutionalisierter Basis Künstlern und Wissenschaftlern gleichermaßen Raum bietet zum offenen Dialog und zur gemeinsamen Realisation möglicherweise gänzlich unterschiedlicher Ziele: »Creating music in this powerful but new environment called for a collective effort in wich imagination and knowledge together led to innovations. From these activities, new works were born, some of which have been widely accepted by the international community. Several pieces were composed with tools under development, and, in so doing, these tools developed in a musical context; in other cases, the act of composition even helped shape new tools altogether.«11
Als Musikraum ermöglicht das IRCAM insbesondere eine Computer Generated Music (CGM) oder Computer Aided Composition (CAC) in Verbindung mit einer entsprechenden Hard- und Softwareproduktion, wie sie zum damaligen Zeitpunkt, Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre tatsächlich nur auf der Grundlage einer derartigen Raumstruktur realisierbar war. Dabei reicht die Ausrichtung des Instituts in die entsprechenden technischen oder künstlerischen Produktionen hinein, wobei Qualitäten wie Kollektivität, Interdisziplinarität, Interaktivität oder Offenheit vermittelt werden, welche sich in den einzelnen Arbeiten auf verschiedenste Art fortsetzen. Dementsprechend in-formiert das Institut Max im Rahmen der Station de Travail Musical 4X, in deren langjähriger Entwicklungsgeschichte der funktionale Ursprung der Software begründet liegt.
11 | Marc Battier, Computer Music at IRCAM, in: Music Processing, hg. von Goffredo Haus, Oxford 1993, S. 359
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
4X Seinen Anfang nimmt das Projekt 4X mit dem italienischen Physiker Giuseppe Di Giugno, welcher, fasziniert von den Möglichkeiten einer digitalen Klangerzeugung, 1973 die Gruppo Electroacustica di Napoli ins Leben ruft. Grund genug, bereits zwei Jahre später von seinem Landsmann Luciano Berio, der sich zu dieser Zeit auf der Suche nach fähigen Mitarbeitern für das zukünftige IRCAM befindet, zu einer Kollaboration mit Paris aufgefordert zu werden. Di Giugno soll für das IRCAM leistungsfähige, digitale Synthesizer entwerfen, was er in Zusammenarbeit mit Alain Chauveau ab 1976 dann auch sehr erfolgreich umsetzt. Als erstes Resultat dieser Bemühungen gilt der noch in Neapel entworfene Synthesizer 4A, welcher jedoch schon 1977 mit dem 4B und 1979 mit dem 4C in technisch verbesserter Form neu aufgelegt wird. Am Ende dieses Entwicklungsprozesses steht ab 1980 der 4X – »then the most powerful digital synthesizer/audio processor in the world«12 – ein digitales System, welches nach Meinung des Erfinders in erster Linie den spezifischen Gegebenheiten bzw. Bedürfnissen der musikalischen Praxis zu entsprechen hat.13 Funktional deckt der 4X sowohl die digitale Klangsynthese als auch die Klangverarbeitung, das heißt die Analyse und Transformation eines Audiosignals en temps réel ab. Als Chef du Projet 4X14 beschreibt Olivier Koechlin das Système in einer offiziellen Présentation générale, wobei er vor allem den Aspekt der Klangsynthese und Manipulation in Echtzeit betont und somit insbesondere auf die Leistungsfähigkeit der Anlage verweist: »La Station de Travail Musicale 4X est un outil informatique qui permet au musicien ou au chercheur de manipuler numériquement le son. C’est un système à réponse immédiate, ou encore temps réel, c’est à dire qu’il peut aussi bien traiter instantanément un son qu’en faire la synthèse, en réagissant immédiatement à toute modification des paramètres du calcul.«15
12 | Puckette 2002 (a), S. 33 13 | »Synthesizers should be made for musicians, not for the people that make them.« Giuseppe Di Giugno, zit.n. Chadabe 1997, S. 181 14 | Vgl. Rapport Annuel de l’IRCAM 1985, S. 9 15 | Olivier Koechlin, La Station de Travail Musical 4X, Présentation générale, Rapport de Recherche No 39, IRCAM 1985, S. 7
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Außerdem handelt es sich beim 4X um ein »gemischtes digitales System«16, da hier der interne Computer bzw. die Bank der digitalen Oszillatoren durch einen zusätzlichen Computer gesteuert werden kann. Ab 1985 läuft auf diesem externen Rechner Max, und zwar zunächst als Kontrollsoftware zur Steuerung der systeminternen Arbeitsprozesse. In dieser Form erscheint das System 4X als das leistungsfähigste seiner Zeit und kommt aufgrund der hohen Rechenkapazität bzw. der damit einhergehenden Synthese- und Verarbeitungsmöglichkeiten en temps réel auch im liveelektronischen Kreations- und Performanceprozess zum Einsatz.17 In diesem Zusammenhang erfolgt die In-formation von Max mit dem Ziel der Organisation des live-elektronischen Spielraums (vgl. III.2). Das IRCAM und der 4X stehen dabei am Beginn einer Reihe von Entwicklungszusammenhängen, die es herauszuarbeiten gilt, wobei vor allem der In-formationsfluss kenntlich gemacht werden soll, welcher zwischen der SoftwareEntwicklung und den mit der Software realisierten Strukturen zirkuliert. Nachdem der 4X in dieser Konstellation über ein halbes Jahrzehnt elektronischer Musikproduktion dominiert hat – zahlreiche Komponisten, darunter Pierre Boulez, Luciano Berio, Philippe Manoury, Pierre Henry, François Bayle, Robert Rowe oder Thierry Lancino, schreiben für bzw. mit dem System elektroakustische Musikgeschichte – heißt es dann: »The 4X is an old lady now: still beautiful, but too expensive.«18 Zu Beginn der neunziger Jahre wird der 4X ersetzt durch die IRCAM Musical Workstation (IMW) bzw. die IRCAM Signal Processing Workstation (ISPW), deren Anlage sich zwar »roughly equivalent to a 4X machine«19 gestaltet, dabei allerdings wesentlich kostengünstiger ausfällt (vgl. II.2.4). Hinsichtlich dieser immer rascher fortschreitenden technologischen Umbrüche erscheint die beständige Anwendung von Max in diesem Kontext als zentrale Konstan16 | André Ruschkowski, Elektronische Klänge und musikalische Entdeckungen, Stuttgart 1998, S. 355 17 | Die erste öffentliche Präsentation des Systems erfolgt bereits 1981 während den Donaueschinger Musiktagen, wo der 4X im Rahmen einer Aufführung von Pierre Boulez‹ Réponse, einem Stück für sechs Solisten, Ensemble und Elektronik, als Signalprozessor die Solostimmen en temps réel verarbeitet und das Resultat (la Réponse) wiederum über Lautsprecher dem Gesamtklang zuführt. Vgl. Chadabe 1997, S. 181 18 | Philippe Manoury, zit.n. Puckette 2002 (a), S. 34 19 | Rowe 2001, S. 213
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
te, welche sich allerdings in den Folgejahren von solch spezifischen Hardware-Konfigurationen mehr und mehr zu lösen beginnt.
II.2 THE F AMILY : 1985-1994 In Bezug auf das agierende Kollektiv lässt sich der Max-Raum rückblickend in zwei Entwicklungsperioden – The Family und The Community – unterteilen, wobei jedoch weder zeitlich noch räumlich eine strikte Trennung zwischen den Abschnitten auszumachen ist, da die zu einem späteren Zeitpunkt anberaumte Community bis zu einem gewissen Grad als die Fortsetzung der Family mit anderen Mitteln und in einem erweiterten Kontext angesehen werden kann. Gleichzeitig liegt gerade hier auch der hauptsächliche Unterscheidungsgrund – das durchaus überschaubare Arbeitskollektiv der Family bleibt institutionell an die IRCAMStrukturen gebunden, wohingegen die Community räumlich in einem umfassenderen, beständig expandierenden Zusammenhang agiert. Was die Vorgeschichte der Family-Arbeit anbelangt, so verweist Miller Puckette auf zwei entscheidende Einflüsse, ohne die Max kaum möglich gewesen wäre – die Arbeiten von Max Mathews und dessen Schüler Barry Vercoe.20 Der spätere Namensgeber Max Mathews, hinlänglich bekannt für seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der Computermusik, arbeitet in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren in den Bell Telephone Laboratories unter anderem an dem Problem der digitalen Sprachsynthese und schreibt ab 1957 in diesem Zusammenhang mit der »Familie der MUISC-Computerprogramme«21 (MUSIC I-V) die ersten Programme zur digitalen Klangsynthese nach musikalischen Maßstäben, von denen heute insbesondere MUSIC V als Meilenstein gilt. Darüber hinaus sind es jedoch vor allem die nachfolgenden Programme GROOVE (Max Mathews, F. Richard Moore) und RTSKED, welche von Puckette als direkte Einflüsse angeführt werden. Mit RTSKED bearbeitet Mathews »the problem of real-time scheduling of control operations for a polyphonic synthesizer«22 – eine Problematik, die den funktionalen Ursprung von Max als einem Kontrollpro20 | Vgl. Puckette 2002 (a), S. 31 ff 21 | Ruschkowski 1998, S. 288 22 | Puckette 2002 (a), S. 31
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gramm im Zusammenhang mit dem 4X betrifft und deren Bearbeitung durch Max Mathews als wegweisend gilt. Auch die grundsätzliche Überlegung hochleistungsfähige Programme zu verfassen, welche trotz technischer Komplexität noch immer so bedienungsfreundlich gestaltet sind, dass sie nicht nur von Programmierern und Informatikern, sondern vor allem von Künstlern genutzt werden können, lässt sich auf Mathews zurückführen23 – ein Anspruch, der sowohl von Barry Vercoe als auch von dessen Schüler Miller Puckette weitergeführt wird. Die Zentralstellung der Perspektive des Künstlers spielt hinsichtlich der Entwicklung von Max eine entscheidende Rolle, vor allem was die Gestaltung der Benutzerschnittstelle und damit die Man-Machine Interaction24 anbelangt (vgl. II.2.2). Diesen Weg (in Richtung Computer-gestützte Live-Performance) fortsetzend, gründet Vercoe das Experimental Music Studio (EMS) im Rahmen des Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er ab 1973 zahlreiche Systeme und Programme entwirft, von denen das in der Programmiersprache C geschriebene Programm CSound – hervorgegangen aus dem ebenfalls von Vercoe verfassten MUSIC 11 – das wohl bekannteste und bis heute gebräuchlichste ist. Hinsichtlich der Entwicklung von Max verweist Puckette neben MUSIC 11 noch auf eine weniger populäre, dafür aber um so einflussreichere Arbeit seines Mentors: »[…] his less-acknowledged work on real-time computer music systems – dating back to the mid 1970s with the design of a real-time digital synthesizer, and continuing today – will perhaps someday be acknowledged as his most important contribution to the field.«25 Dieses real-time computer music system wird von Vercoe zu Beginn der achtziger Jahre neu aufgelegt und unter der Bezeichnung The Synthetic Performer angewendet. Seine damit verbundenen Absichten beschreibt er folgendermaßen: »The research objective can be clearly stated: to understand the dynamics of live ensemble performance well enough to replace any member of the group by a synthetic performer (i.e. a computer model) so that the remaining live members cannot tell the difference. […] I also mean to recognize the computer’s potential 23 | Vgl. Curtis Roads, Interview with Max Mathews, in: Computer Music Journal, 4:4, Winter 1980, S. 15 ff 24 | Vgl. Johannes Goebel, Man-Machine Interaction, ICMC Proceedings 1988, S. 41 ff 25 | Puckette 2002 (a), S. 32
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not as a simple amplifier of low-level switching or acoustic information (keyboards and live audio distortion), but as an intelligent and musically informed collaborator in live performance as human enquiry.« 26
Ab 1982 bekommt Vercoe dann Gelegenheit, seine Vorstellung bezüglich eines dem Menschen gleichwertigen Synthetic Performers in der Praxis zu testen, und zwar am IRCAM, wo er in Zusammenarbeit mit dem Flötisten Larry Beauregard (Ensemble Intercontemporain) experimentell entsprechende Realisationsmöglichkeiten erprobt: »The research was carried out using standard repertoire (flute sonatas by Handel and W.F.Bach) in which the flute part was played live and the responding harpsichord part was ›performed‹ by a strictly synthetic accompanist. The motivation for the work was an IRCAM commission for Vercoe to compose a work, Synapse, for Larry Beauregard and the 4X real-time audio processor. Proof of how well the computer can behave as chamber music player in both traditional and contemporary contexts was then given in public demonstration at the 1984 International Computer Music Conference […].« 27
Während der Synthetic Performer relativ schnell der Computer-Musikgeschichte angehört, besteht insbesondere eine Teilproblematik dieses Projekts bis heute im Rahmen einer Mixed-Music (aus konventionell erzeugten und elektronischen Klängen) unter der Bezeichnung Score following.28 Dabei handelt es sich im wesentlichen darum, sowohl dem Instrumentalisten bzw. dem Interpreten einer Partitur als auch der digitalisierten Partitur mittels Computerprogramm vergleichend zu folgen, um in real-time an den dafür vorgesehenen (notierten) Stellen elektronische Sounds zu generieren oder den Audio-Input des Instrumentalisten entsprechend zu modifizieren. Mit anderen Worten, der Computer begleitet den Künstler, 26 | Barry Vercoe, The Synthetic Performer in the Context of Live Performance, ICMC Proceedings 1984, S. 199 27 | Barry Vercoe, Miller Puckette, Synthetic Rehearsal: Training the Synthetic Performer, ICMC Proceedings 1985, S. 275 28 | Eine Technik, die ebenso auf die Arbeit von Roger Dannenberg zurückzuführen ist. Vgl. Roger Dannenberg, Tracking a Live Performer, ICMC Proceedings 1984, S. 187 ff und Roger Dannenberg, An On-Line Algorithm for Real-Time Accompaniment, ICMC Proceedings 1984, S. 193 ff
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indem er das eingehende Audiosignal mit der digitalisierten Partitur anhand von verschiedenen Parametern (Tondauer, Tonhöhe u.a.) abgleicht und dementsprechend entscheiden kann, an welcher Stelle des Stücks sich der Interpret befindet bzw. welche Computer-basierte Soundsynthese oder -modulation vorzunehmen ist.29 Im Gegensatz zu der, noch bis Mitte der achtziger Jahre üblichen, komplett vorproduzierten Begleittechnik via Tape, soll das Score-Following idealer Weise dazu dienen, eine tatsächliche Live-Situation herzustellen, innerhalb welcher das gesamte Klangmaterial in einem interaktiven Prozess zwischen Instrumentalist(en) und Computer generiert und modifiziert werden kann. Miller Puckette nimmt sich dieser noch jungen und unausgereiften Technik an, und zwar bereits während seiner Studienzeit bei Vercoe am Experimental Music Studio des Massachusetts Institute of Technology, einer Zeit, deren Erfahrungen von großer Bedeutung für die Entwicklung von Max gewesen sind: »Many of the underlying ideas behind Max arose in the rich atmosphere of the MIT Experimental Music Studio in the early 1980s (which became part of the MIT Media Lab at its inception).«30 Hier wird der Grundstein gelegt für Puckettes künftige Arbeit am IRCAM und insbesondere für die Zusammenarbeit mit dem französischen Komponisten Philippe Manoury auf dem Gebiet der Computer-gestützten LiveElektronik – eine personelle Konstellation, die schließlich den Kern des im Folgenden als Family bezeichneten Arbeitskollektivs ausmacht. Wie bereits beschrieben sind die frühen achtziger Jahre am IRCAM vor allem durch die Zusammenführung getrennter Aufgaben- und Gegenstandsbereiche gekennzeichnet. Beruhend auf der Einsicht, »que la recherche scientifique et technique ne saurait exister indépendant d’une activité de composition musicale«31, formiert sich eine Dreiheit, bestehend aus künstlerischer Produktion, der Bereitstellung der technischen Produktionsmittel und der Mittlerrolle des assistant musical, inner29 | Gelegentlich ist in diesem Zusammenhang auch von einem Pitch Following die Rede, da das ausschlaggebende Moment für die Folgeleistung des Computers neben der Tondauer die jeweilige Tonhöhe (pitch) des Audioinputs ist. Später kommt der Informationsgehalt weiterer Parameter hinzu, so dass der Computer über zusätzliche Anhaltspunkte verfügt, was wiederum die relativ hohe Fehlerquote bezüglich der Folgeleistung der entsprechenden Programme minimiert. 30 | Puckette 2002 (a), S. 31 31 | Andrew Gerzso, L’Évolution du Projet IRCAM, in: Dufrêne 2007, S. 206
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halb welcher Miller Puckette und Barry Vercoe als Collaborateurs extérieurs dem Projet 4X 32 zuarbeiten und somit offiziell dem IRCAM-Staff angehören. Im Jahresbericht des Instituts von 1985 findet sich die von Puckette geleistete Arbeit »autour des Stations de Travail Musical 4X«33 in einem Unterpunkt zusammengefasst: » – réalisation par M. Puckette du MIT, sur la base des travaux de B. Vercoe, d’un système de suivi de partition permettant de contrôler un processus de synthèse ou de traitement en fonction du jeu d’un musicien, dont on prend en compte les nuances d’interprétation.«34 Puckette kommt also im Sommer 1985 ans IRCAM, um dort seine Arbeit auf dem Gebiet des Score-Followings fortzusetzen und diesbezüglich Probleme zu lösen, die bei der technischen Umsetzung von kompositorischen Ideen im Zusammenhang mit dem 4X auftreten. Einer der in diesem Umfeld aktiven Komponisten ist Philippe Manoury, dessen Recherche Musicale35 von den späten Siebzigern bis heute auf das engste mit dem Institut verbunden ist und der an der Seite von Puckette die wohl bedeutendste Kraft hinsichtlich der ersten Entwicklungsphase(n) von Max darstellt: »It was while working with Philippe Manoury and Thierry Lancino[36] on interaktive compositions for traditional instruments and live signal processing on the 4X machine at IRCAM that Puckette first developed and refined the Max language.«37 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass sich ausgehend vom IRCAM ein interdisziplinär agierendes Kollektiv – The Family – formiert, welches sich zunächst insbesondere an der Zusammenarbeit von Miller Puckette und Philippe Manoury festmachen lässt: »Cette collaboration entre un scientifique [Miller Puckette] et un artiste [Philippe Manoury] 32 | Im Mitarbeiterverzeichnis des IRCAM-Jahresberichts von 1985 wird Puckette außerdem noch als Chercheur invité unter der Rubrik Service Informatique geführt. Vgl. Rapport Annuel de l’IRCAM 1985, S. 9-10 33 | Olivier Koechlin, 4X Applications, Activités, Rapport Annuel de l’IRCAM 1985, S. 64 34 | Ebd. S. 65 35 | Vgl. Rapport Annuel de l’IRCAM 1985, S. 8 36 | Puckettes Zusammenarbeit mit dem Komponisten Thierry Lancino beschränkt sich auf die Jahre 1985-87 bzw. auf die Produktion des Stückes Aloni (uraufgeführt 1987) und ist hinsichtlich der Entwicklung von Max vergleichsweise unbedeutend. 37 | Rowe 2001, S. 212
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apparaît aujourd’hui à certains comme un modèle de recherche musicale, au vu des succès cumulés du logiciel [Max] et du cycle d’œuvres ›Sonus ex machina‹.«38 Dieses Kollektiv in-formiert Max vor dem Hintergrund einer Live-Elektronik, die mit den Einsatz der Software entscheidend verändert werden soll.
II.2.1 La version non graphique Das Jahr 1985 gilt allgemein als das Geburtsjahr von Max. Der erste Vermerk bezüglich der Software im Rapport Annuel de l’IRCAM 1985 wird dabei von einem Todesfall überschattet: »Le projet noº 3 ›Interaction intelligente avec un instrumentiste‹ a été stoppé par la disparition brutale de son principal acteur, Lawrence Beauregard [Ensemble Intercontemporain]. Le travail a dû cependant reprendre, avec Barry Vercoe, Miller Puckette et Olivier Koechlin. M. Puckette a rassemblé les travaux entrepris auparavent sur le suivi de partition par la 4X à partir de la détection de hauteur dans en environnement unique, MAX, qui a été montré lors de la soirée Atelier de Recherche Musicale du 14 novembre.« 39
Als direkte Vorarbeit zu dem Programm – »which has been in development, under various names, for about five years«, und welches dann 1985 »nearly stable«40 zu Ehren Max Mathews unter der Bezeichnung Max vorliegt – gilt Puckettes Arbeit M, die als »orchestra language in the Music500 system«41 fungiert. Im Rückblick auf 17 Jahre Max schreibt Miller Puckette bezüglich der Anfänge: »The first instance of what might now be called Max was Music500, which I worked on in Vercoe’s laboratory starting around 1982 […]. There was no graphical front ends. The system consisted of a control structure inspired by RTSKED and a synthesis engine distilled form Music 11. […] As a result, I only kept Music500‘s control structure in programming the 4X, renaming it ›Max‹ to acknowledge the 38 | Esteban Buch, La Recherche Musicale à l’IRCAM, in: Dufrêne 2007, S. 96 39 | Rapport Annuel de l’IRCAM 1985, S. 13 40 | Miller Puckette, Interprocess Communication and Timing in Real-time Computer Music Performance, ICMC Proceedings 1986, S. 43 41 | Miller Puckette, The M Orchestra Language, ICMC Proceedings 1984, S. 17
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fundamental influence of RTSKED. There was no graphical programming language, as the 4X’s control computer had no GUI [graphical user interface] support, and I was still skeptical of GUI-based software at the time.« 42
Die ersten öffentlichen Äußerungen zu dieser (noch) nicht graphikbasierten Max-Version lassen sich zurückdatieren auf das Jahr 1986, wo sie im Rahmen der International Computer Music Conference (ICMC) mit den entsprechenden Proceedings publiziert werden. Hier wird die Software zunächst im Zusammenhang mit weiteren »Software Developments for the 4X Real-time System«43 von Miller Puckette selbst als »The Max Real-time Control System«44 beschrieben: »MAX (named in gratitude to Max Mathews) is an implementation of a set of realtime process scheduling and communication ideas aimed at making it possible to design elements of a system which can be combined quickly and without changing code. Many such elements are standardly available, such as processes which read potentiometer values and update 4X synthesis parameters, or which wait for a specified event and carry out an associated action. MAX greatly speeds the development of new 4X applications, making it possible to use a 4X patch without writing a dedicated control program for it. When actions are desired which are outside the score of the standard MAX objects, it is easy to add new objects and interface them to the existing ones.« 45
Was Puckette hier beschreibt ist die früheste Version, welche mit Blick auf nachfolgende Versionen als »La version non graphique de Max«46 bezeichnet wird. Hierbei handelt es sich zunächst um ein ausschließlich textbasiertes, in der Programmiersprache C verfasstes Programm zur Kontrolle des 4X, welches jedoch bereits als objektorientiertes System mit mobilen (Text-)Einheiten (vordefinierten Objekten) operiert, zwischen denen ein Austausch von Informationen in variablen Funktionszusammenhängen 42 | Puckette 2002 (a), S. 33-34 43 | E. Favreau, M. Fingerhut, O. Koechlin, P. Potacsek, M. Puckette, R. Rowe, Software Developments fort he 4X Real-time System, ICMC Proceedings 1986, S. 369 44 | Ebd. S. 372 45 | Ebd. S. 372 46 | Elsa Filipe, Étude de l’interaction temps réel dans les œuvres utilisant le programme MAX depuis les années 1980, IRCAM-Paris 2005, S. 75
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möglich ist: »Communications between the objects, which in MAX are called control processes (CPs), is done by ›letters‹, which are messages with associated times.«47 Dieses dynamische Objekt-Message-System bildet die Grundlage für alle weiteren Versionen von Max und wird später von größter Bedeutung sein, vor allem was die Flexibilität, die Offenheit und die Ausbau- bzw. Anschlussfähigkeit des Programms anbelangt. Eine weitere ICMC-Publikation aus dem Jahre 1986 ist gänzlich der Darstellung von Max gewidmet. Puckette beschreibt hierin das Programm detailliert als »real-time system, […] designed for real-time computer music performances involving many simultaneous digital signal-processing control tasks.«48 Außerdem formuliert er mit Blick auf die Anwendung zum ersten Mal »the power of the MAX paradigm«49, welches zunächst insbesondere eine die Objekte betreffende Standardisierung komplexer Funktionsprozesse zur Beschleunigung und Dynamisierung systeminterner Arbeitsabläufe betrifft. Eine dritte ICMC-Publikation aus dem Jahre 1986 beschreibt die künstlerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem 4X. Der Artikel schließt mit folgender Ankündigung: »New pieces will be created in 87, namely by T. Lancino and P. Manoury, using the flute-4X interface and MAX from M. Puckette […], a real time process scheduler allowing score following.«50 Bei diesen, 1987 durch das Ensemble Intercontemporain uraufgeführten Stücken handelt es sich um Aloni von Thierry Lancino und Jupiter von Philippe Manoury, wobei vor allem Jupiter eng mit der Entwicklung von Max verbunden ist. Als das erste Stück aus dem Werkzyklus Sonus ex machina (vgl. III.2.1) steht Jupiter am Anfang einer musikalischen Ausrichtung, welche (ohne diese Musik damit abwerten zu wollen) auch als eine den jeweiligen technologischen Status quo demonstrierende und dokumentierende Kunst verstanden werden kann. (Typisch für eine solche Kunst wären entweder ihre tendenzielle Kurzlebigkeit oder aber eine beständige Unabgeschlossenheit bzw. Weiterentwicklung – beides bedingt durch einen, sich immer rascher vollziehenden Technikwandel.) 47 | Favreau, Fingerhut, Koechlin, Potacsek, Puckette, Rowe 1986, S. 372 48 | Puckette 1986, S. 43 49 | Ebd. S. 44 50 | P.-F. Baisnee, J.-B. Barrière, O. Koechlin, R. Rowe, Real-time Interaction between Musicians and Computer: Live Performance Utilisations of the 4X Musical Workstation, ICMC Proceedings 1986, S. 239
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Was die Entwicklung und Anwendung von Max anbelangt, so ist nun auch dem IRCAM-Jahresbericht von 1986 deutlich mehr zu entnehmen als noch im Vorjahr. Neben einer zusammenfassenden Beschreibung von Bau und Funktionsweise des Programms bzw. den entsprechenden Funktionszusammenhängen innerhalb des Systems 4X 51 ist hier insbesondere Manourys Jupiter-Präsentation für Soloflöte und Live-Elektronik im Rahmen des Projet interaction flûte-4X 52 von Interesse, da la version non graphique de Max hier praktisch zum ersten Mal zum Einsatz kommt. Vor dem Hintergrund der bereits beschriebenen Technik des Score-Followings skizziert Manoury das von ihm verwendete technologische Environment folgendermaßen: »INTERPOL est, pour une partie, un sous-ensemble de certains modules de HALOS, à savoir 4 harmonizers, 1 frequency-shifter et la réverbération infinie. Au niveau des contrôles à une échelle plus globale, Miller Puckette a conçu un système (MAX) qui permet de contrôler les différents niveaux de processus mis en oeuvre. […] Tout ces concepts sont contenus dans MAX qui en assure l’interconnection et les liaisons.« 53
Bedeutend ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass Max von Beginn an plus global eine interconnection begründet, das heißt, ein aus Soft- und Hardware-Komponenten bestehendes Environment organisiert und kontrolliert, welches im live-elektronischen Kontext wiederum einen spezifischen Repräsentationsraum gewährleistet (vgl. III.2.). Die vom IRCAM ausgehende alliance de l’art et de la science findet ihren Niederschlag in der künstlerischen Produktion ebenso wie in der technischen, wobei die Grenzen zwischen Kunst und Technik schließlich verschwimmen, da sich die Aktions- und Gegenstandsbereiche von Künstlern und Technikern räumlich und zeitlich weitestgehend überlagern und durchdringen: »L’institution [IRCAM] n’est pas réductible à une concentration d’outils. C’est un lieu d’échanges, de rencontres, de circulation des idées. L’Ircam fut très important dans mon développement, autant pour 51 | Vgl. Robert Rowe, Processeurs de Signaux, Rapport Annuel de l’IRCAM 1986, S. 81 ff 52 | Vgl. Philippe Manoury, Projet interaction flûte-4X, Rapport Annuel de l’IRCAM 1986, S. 30 ff 53 | Ebd. S. 32
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les rencontres avec les musiciens ou les scientifiques que pour les travaux que j’y ai réalisés.«54 Hier in-formiert eine spezifische Raumpraxis im Zusammenspiel sowohl künstlerische als auch technische Produkte, welche als Repräsentanten ihres Produktionsraums erscheinen, wobei vor allem Max als Raumprodukt spezifische Qualitäten der Produktion wie Interaktivität, Flexibilität oder Offenheit entweder durch Bau und Funktion repräsentiert oder aber über die Anwendung transportiert, so dass erst die mit Max organisierten Repräsentationsräume entsprechend ausgeprägt erscheinen. Die dabei erfolgende Wechselwirkung zwischen Kunst- und Software-Produktion zeigt sich zuerst am Übergang von La version non graphique zu The Patcher (La version graphique), wo insbesondere die Zentralstellung der Perspektive des Künstlers das Erscheinungsbild und die Funktionsweise der Software prägt.
II.2.2 The Patcher Ein Missverständnis, was die Entwicklungsgeschichte von Max betrifft, ist die irrige Annahme, dass es sich bei The Patcher um die eigentliche Urform – »the first version of Max«55 – handelt. Tatsächlich verbirgt sich dahinter jedoch ein von Miller Puckette verfasster, zunächst relativ eigenständiger Programm-Code, welcher nach einer Experimentalphase in Kombination mit Max schließlich den für die Software so bedeutenden Übergang von einer textbasierten zur graphischen Programmierumgebung markiert. Hierbei entspricht The Patcher einem Window-Type, der seit 1987 das Erscheinungsbild der Software prägt und bis heute die strukturelle Grundlage der Anwendung bildet. Unter der Überschrift Specification pour le Patcher, version 2.0 schreibt Puckette diesbezüglich: »Le Patcher est un environment de programmation graphique destiné à la composition musicale par ordinateur en temps réel. Un prototyp du Patcher tourne 54 | Philippe Manoury, Composition et environnements informatiques, in: La note et le son, écrits et entretiens 1981-1998, Paris 1998, S. 347-348 55 | »Miller S. Puckette implemented the first version of Max (when it was called Patcher) at IRCAM in Paris in the mid-1980s as a programming environment for making interactive computer music.« Ge Wang, A history of programming and music, in: Electronic Music, hg. von Nick Collins und Julio d’Escriván, Cambridge 2007, S. 55
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sous MAX sur le Macintosh depuis fin 1987. Cette spécification décrit comment le Patcher, version 2.0 devrait se comporter, en incluant le support qui lui est nécessaire à partir de MAX ou d’un autre système objet en temps réel. Cette spécification, tout autant que le code du Patcher a été maintenue aussi indépendante du système que possible […].« 56
Wichtiger als die Trennung ist jedoch das Zusammenspiel von Max und Patcher, welches einem sich innerhalb der gesamten ComputermusikSzene abzeichnenden Iconic Turn57 entspricht, mit dem die traditionell textbasierte Entwicklungslinie verlassen wird. Vorbereitet durch das Aufkommen graphischer Benutzeroberflächen mit den Betriebssystemen Mac OS (1984) und Windows (1985) kann Ende der achtziger Jahre von einer allgemeinen Wende zur graphischen Ausrichtung von Software gesprochen werden.58 Mit der Einführung des Patchers wird Max zunächst für den Macintosh-Computer bzw. dessen Betriebssystem eingerichtet,59 was wiederum hinsichtlich der zwei Jahre später erfolgenden Kommerzialisierung der Software (vgl. II.2.3) von Bedeutung ist. Textsbasierte Programme, wie sie heute mit CSound von Barry Vercoe oder SuperCollider von James McCartney vorliegen, spielen seither auf dem Musikmarkt eine deutlich geringere Rolle (quantitativ). Grund dafür ist eine vor allem die Anwendung betreffende Abstraktionsebene, welche im Vergleich zu graphischen Programmen weniger konkrete Bezugspunkte zur übrigen Musikpraxis zulässt: »The visual representation presents the dataflow directly, in a what-you-see-is-what-you-get sort of way. Text-based systems lack this representation and understanding of
56 | Miller Puckette, Specification pour le Patcher, version 2,0, Rapport Annuel de l’IRCAM 1987, S. 38 57 | Zum Iconic Turn in den Kultur- und Medienwissenschaften vgl. BachmannMedick 2006, S. 329 ff 58 | Zum graphischen Urknall in der Geschichte des Computers bzw. zur Graphical User Interface-Entwicklung vgl. Nicholas Negroponte, Total digital, Die Welt zwischen 0 und 1 oder Die Zukunft der Kommunikation, München 1995, S. 108 ff 59 | »[…] I […] rewriting it [Max] as a C program on a Macintosh starting in Summer 1987. (The Macintosh in question was brought to IRCAM by David Wessel, without whose efforts I and the rest of IRCAM might have entirely missed out on the personal computer revolution.)« Puckette 2002 (a), S. 34
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the syntax and semantics is required to make sense of the programs.«60 Angesichts dieser Gegenüberstellung sollte jedoch nicht vergessen werden, dass mit der Bezeichnung graphik- oder textbasiert lediglich die Tendenz der Grundausrichtung angegeben wird. Tatsächlich handelt es sich, was die Ebene der Benutzeroberfläche oder die Relation zwischen Interface und Programm-Code anbelangt, in der Regel um hybride Zeichensysteme bestehend aus Zahlen, Buchstaben, graphischen Elementen etc.61 Die erste öffentliche Präsentation der graphisch ausgerichteten MaxVersion erfolgt 1988 durch Puckette im Rahmen der International Computer Music Conference. Dabei wird in gewisser Weise erstmals tatsächlich die Software beschrieben, die uns seither vorliegt, so dass der mit den Conference-Proceedings publizierte Text The Patcher aus heutiger Sicht auch als ein erster Grundlagentext der Max-History erscheint: »The Patcher is a graphical environment for making real-time computer music, currently with midi-controllable synthesizers. Its main purpose is to control the instantiation and configuration of objects in the Max system […]. The main entities in Max are windows, which may be text editors, patchers, and function tables. […] At the moment the Patcher is the most interesting window type in MAX. […] The Patcher presents a visualization of an object in MAX as a box in a window […].« 62
Als Graphical User Interface (GUI) ermöglicht der Patcher die Realisation individueller Programmstrukturen, indem auf einer unbeschriebenen Arbeitsfläche (patch, patcher-window oder auch blank page genannt) funktionstechnisch vordefinierte Befehlszeichen (Namen, Zahlen etc.) in die operativen Grundfiguren Object-, Message- oder Number-Box eingeschrie-
60 | Wang, in: Collins, Escriván 2007, S. 67 61 | Der Computer-basierten Produktion liegen 3 interagierende Repräsentationsund Aktionsebenen zugrunde: 1. die Ebene der Maschine (Hardware), 2. die Ebene der Programmiersprache (als dem Mediator zwischen Maschine und Programm) und 3. die Ebene des Programms, dessen Oberfläche (Interface) als Mediator zwischen Mensch und Maschine fungiert. 62 | Miller Puckette, The Patcher, ICMC Proceedings 1988, S. 420
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ben werden. Dieser Vorgang wird Max-spezifisch als Patchen bezeichnet,63 wobei ein relativ eigenständiges Regelwerk zum Tragen kommt. Abbildung 3: Patcher-Window (unlocked)
Abbildung 3 zeigt keine Patcher-Graphik von 1987, sondern einen Max-Patch der Cycling74-Version 4.6.3 von 2007, wobei sich auf dieser Grundebene sowohl optisch als auch funktionstechnisch kaum etwas verändert hat, wie man an den Screenshots, die Puckette dem Text The Patcher (1988) beigefügt hat, erkennen kann.
Was hier auf der Grundlage des Patchs visualisiert erscheint, ist in erster Linie das bis heute grundlegende Funktionsprinzip der Software – das Object-Message-System – welches gemäß der objektorientierten Konzep63 | Die durchaus strittige Frage, ob der Akt des Patchens dem des Programmierens entspricht und Max dementsprechend den Status einer (high- oder low-level) Programmiersprache innehat, ist im Rahmen dieser Arbeit nicht zu klären.
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tion alle Programmfunktionen betrifft und zu (namentlich) gekennzeichneten Funktionseinheiten – den Objekten – verbindet. Diese mehr oder minder komplexen Module sind strukturell in unterschiedlichem Maße modifizierbar und multipel anschlussfähig, was den Funktionskontext anbelangt. Die Kommunikation zwischen einzelnen Objekten erfolgt in der Regel über Verbindungslinien, welche vom User zwischen den Einund Ausgängen der Boxen gezogen werden, wobei dem jeweiligen Kontext entsprechend diverse Funktionselemente wie beispielsweise Number- oder Message-Boxen zwischengeschaltet sind. Abbildung 4: Patcher-Window (locked)
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Diese Freifläche zum Patchen von individuellen Funktionen bzw. Programmen begründet schließlich die für Max so signifikante Offenheit und die damit einhergehende Extensibilität des Systems, welche eine uneingeschränkte Produktion und Integration neuartiger Funktionseinheiten ermöglicht.64 Dabei erinnern zahlreiche der hinzugekommenen Elemente nicht nur funktional, sondern auch optisch in Form von Tastaturen, Reglern etc. an die manuellen Bedienungsoberflächen der Studiopraxis, ebenso wie das programmtechnische Ziehen von Verbindungslinien dem Verkabeln von Hardware-Elementen entspricht. Ein weiterer Aspekt, welcher die Max-Arbeit mit nicht-digitalen Kreationsprozessen verbindet, wäre die Realtime-Fähigkeit der Software, womit jede Aktion (Befehlseingabe) eine direkte (echtzeitliche) Reaktion in sicht- oder hörbarer Form zur Folge hat, so dass der jeweilige Patch editiert werden kann, während er aktiv ist. Die hieraus resultierende Möglichkeit zum intuitiven und experimentellen Spiel ist sicher ein ausschlaggebender Faktor für den langfristigen Erfolg der graphischen Ausrichtung.65 Die Einführung der Patch-Technik kann schließlich auch als Reaktion auf einen grundsätzlichen Kritikpunkt gewertet werden, welcher besagt, dass insbesondere Programme, die über einen nichtkommerziellen, akademischen Background verfügen zu komplex seien und sich »als sehr schwer handhabbar zeigen, vor allem dann, wenn keine Einführung in die Nutzung dieser Werkzeuge erfolgt. Die Handbücher erweisen sich eher als eine Barriere denn eine Hilfestellung, so daß die Komponisten sehr vehement dafür plädieren, mit Informatikern zusammenzuarbeiten oder die Systeme sehr viel benutzerfreundlicher zu gestalten. Generell wird zudem eine größere Offenheit und Transparenz der Systeme gefordert. Visualisierungskomponenten und graphische Interfaces erscheinen Einigen als eine mögliche Erleichterung.«66 Derartigen Forderungen kommt Puckette schließlich im Arbeitskollektiv der Family nach: 64 | »Systeme sind offen, wenn eine Änderung ihres Repertoires keine Änderung ihrer Struktur erfordert; im entgegengesetzten Fall sind sie geschlossen.« Vilém Flusser, Medienkultur, hg. von Stefan Bollmann, Frankfurt a.M. 1997, S. 118 65 | »What was so good about the new MAX [+ Patcher] was that it allowed me to think intuitively about my music.« Philippe Manoury, zit.n. Chadabe 1997, S. 184 66 | Barbara Becker und Gerhard Eckel, Künstlerische Imagination und neue Medien, Zur Nutzung von Computersystemen in der Zeitgenössischen Musik, Sankt Augustin 1995, S. 34-35
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»In my experience, computer music software most often arises as a result of interactions between artists and software writers (occasionally embodied in the same person, but not in my own case). This interaction is at best one of mutual enabling and mutual respect. The design of the software cannot help but affect what computer music will sound like, but we software writers must try not to project our own musical ideas through the software. In the best of circumstances, the artists remind us of their needs – which often turn out quite different from what either of us first imagined.« 67
Aus Sicht des Programmierers vollzieht sich die hier beschriebene Interaktion als Aneignung und Zentralstellung der künstlerischen Perspektive.68 Dieses Eingehen auf den Anwender und der damit verbundene, Maxinterne Übergang zum graphisch orientierten Environment wirft nun jedoch die Frage auf, inwiefern sich individuelles Arbeiten, hohe Transparenz und detaillierte Kontrollmöglichkeit tatsächlich mit einem größtmöglichen Maß an Benutzerfreundlichkeit vereinen lassen. Das Problem besteht zunächst darin, dass jede graphische Ausrichtung einhergeht mit dem ›Verstecken‹ oder gar Verschließen von Arbeitsprozessen hinter den so oft kritisierten ›täuschend bunten Bildern‹, was zwar die Abläufe vereinfacht bzw. beschleunigt, aber eben zum Teil auch eine uneinsehbare Vorgabe darstellt, die dann eher selten dem von Ge Wang beschriebenen what-you-see-is-what-you-get sort of way entspricht. Vielmehr fixieren und präsentieren Graphiken häufig äußerst komplexe Prozesse, welche auf Kosten von Transparenz und Handlungsfreiraum unter einem simplen Icon verschlossen liegen.69 67 | Puckette 2002 (a), S. 31 68 | Für die in diesem Zusammenhang ebenfalls erfolgte Aneignung und Zentralstellung der technischen Perspektive auf Seiten des Künstlers spricht wiederum die Tatsache, dass das erste Benutzerhandbuch zu Max nicht von Puckette, sondern von Philippe Manoury stammt. Vgl. Philippe Manoury, Max: le manuel d’utilisation, IRCAM-Paris 1988 69 | Zur Kritik an der graphischen Benutzeroberfläche bzw. an den »Icons, deren sogenannte Benutzerfreundlichkeit nur ein Euphemismus ihrer Dummheit war«, heißt es bei Friedrich Kittler weiter: »Sofern graphische Benutzeroberflächen unsichtbar machen, was der Fall ist, erfüllen sie (streng nach Vilém Flusser) alle Kriterien eines Bildes. Sie geben etwas zu sehen, damit anderes nicht gesehen wird. Insofern bleiben die beweglichen Icons von Papierkörben und Radiergummis,
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
Hinsichtlich Max beinhaltet die Antwort auf die Frage nach einem möglichen Zusammenspiel von Handlungsfreiheit und Benutzerfreundlichkeit jedoch einen beinahe optimalen Kompromiss, welcher gerade aufgrund der graphisch fixierten Gegebenheiten und Begrenzungen einen größtmöglichen Handlungsspielraum gewährleistet. Mit der BlankPage und der dynamisch-extensiblen Objektstruktur bildet das gesamte Patch-System eine grundsätzlich offene Ausgangsposition zur relativ freien Umsetzung individueller, projektgebundener Programme. Das graphische Environment entspricht somit einer Grenzstruktur, die in die verschiedensten Richtungen erweitert werden kann – ein dynamischer Prozess, der nicht nur neuartige Kunstproduktionen ermöglicht, sondern ebenso zur Herausbildung von weiteren Entwicklungslinien und neuen Versionen der Software führt.
II.2.3 Opcode-Max Mit der Einführung von The Patcher erfolgt auch eine erste ›Ausweitung der Kampfzone‹ – die ursprüngliche Family, bestehend aus Miller Puckette und Philippe Manoury, erhält Zuwachs. Bereits im IRCAM-Jahresbericht von 1988 wird diesbezüglich auf eine »collaboration avec Lee Boynton, Cort Lippe, Zack Settel et David Yadegari« 70 verwiesen. Über diesen verstärkten, institutsinternen Zuspruch hinaus erregt Max auch international einiges Interesse: »MAX a suscité un grand intérêt à l’étranger, et les premières copies ont été envoyées à des chercheurs de Stanfort, Berkeley, Massachusetts Institute of Technology (MIT) et de Cornell, pour être testées et évaluées. […] Des négociations en vue d’une version commerciale de MAX […] sont actuellement en cours, et le logiciel devrait être sur le marché début 1990.« 71 Schließlich wird mit der graphischen Ausrichtung das enorme, künstlerische und kommerzielle Potential der Software ersichtlich, welche rückblickend vermutlich den erfolg- und einflussreichsten Exportwas ihr Name schon sagt: Ikonen einer neuen Idololatrie.« Friedrich A. Kittler, Vom Götterbild zur Computeranimation, in: Notation, Kalkül und Form in den Künsten, hg. von Hubertus Amelunxen, Dieter Appelt und Peter Weibel, Berlin Karlsruhe 2008, S. 267 70 | Rapport Annuel de l’IRCAM 1988, S. 25 71 | Ebd. S. 26
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schlager darstellt, der je von einem Institut für zeitgenössische Musikforschung ausgegangen ist. Die angestrebte Publikation der Software zur kommerziellen Nutzung durch die Firma Intelligent Music ruft schließlich den Programmierer David Zicarelli auf den Plan: »In 1988, Zicarelli was invited to lecture at IRCAM. Shortly before he left California for Paris, he attended a demonstration of MAX given by David Wessel at CCRMA. Zicarelli was impressed: ›It seemed clearly superior to the project I was working on at the time…‹ Then, in Paris, following one of his lectures, Miller Puckette invited him for a drink at l’Excelsior, a nearby cafe, and asked him how he thought MAX could be commercialized. Zicarelli was interested.« 72
So der von Joel Chadabe formulierte Beginn einer der bekanntesten und nicht minder bedeutenden Kollaborationen auf dem Gebiet der MusikSoftwareproduktion. Im Unterschied zu Puckette hat Zicarelli allerdings eine Vorgeschichte aufzuweisen, die sich nicht ausschließlich auf dem Gebiet der akademisch geprägten Forschung, sondern ebenso im Musikbusiness abspielt. Internationale Bekanntheit erlangt der Macintosh-Spezialist insbesondere durch seine führende Mitarbeit an den Softwareprodukten von Intelligent Music: »M […] and Jam Factory […] are the first software packages published by Intelligent Music, a company founded by composer Joel Chadabe to provide a commercial outlet for interactive composing software […] and intelligent instruments. M and Jam Factory, commercially available since December 1986, run on Apple Macintosh computers equipped with a MIDI interface […]. Both […] are programs that, through the use of graphic and gestural interfaces, provide an environment for composing and performing with MIDI.« 73
Gerade aufgrund der arbeitstechnischen Verbindung von graphisch orientiertem Environment und Macintosh-PC (auf dem die Software seit 1987 läuft) erscheint Zicarelli prädestiniert für die Publikation von Max: »When I first saw Miller Puckette’s Max, demonstrated in 1988 by David Wessel, I was working on my own blank page scheme, a program called 72 | Chadabe 1997, S. 207-208 73 | David Zicarelli, M and Jam Factory, in: Computer Music Journal, 11:4, Winter 1987, S. 13
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
Riff [dem geplanten Nachfolgeprogramm von M und Jam Factory] that I soon abandoned once I began working with Miller on Max a few months later. A few ideas from Riff have made their way into Max […].«74 Um dem Vorhaben auf dem sogenannten freien Markt eine gewisse Überlebenschance zu sichern, wird mit diesen ideas und Neuerungen75 insbesondere der bereits mit der Integration des Patchers eingeschlagene Weg in Richtung Benutzerfreundlichkeit fortgesetzt und intensiviert. Joel Chadabe, der damalige Firmenpräsident von Intelligent Music, stellt in diesem Zusammenhang die richtige Grundsatzfrage – »What did Zicarelli actually do to turn MAX from a program into a product?«76 – und zitiert anschließend Zicarellis Antwort: »I took a program which was being used in a situation in which the programmer was always there to a situation in which the programmer did not have to be there.« 77 Mit anderen Worten, Zicarelli stellt ein Instrumentarium zur Verfügung, welches dem Nicht-Programmierer Arbeitsprozesse ermöglicht, die bis dahin nur mit Programmierkenntnissen zu bewältigen waren. Diese verstärkte Adaption der Software an die vermeintlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der User bedeutet allerdings weitere Einschnitte auf Seiten der Transparenz und der Handlungsfreiheit. Im Sinne der Arbeitserleichterung werden immer mehr Funktionen zu standardisierten Objekten zusammengefasst, so dass nun bestimmte Prozesse zwar vereinfacht und beschleunigt funktionieren, aber eben auch verschlossen und entsprechend unzugänglich vorliegen. Andererseits begründen gerade diese partiellen Einschränkungen eine Gesamtplattform, auf welcher erstmals eine breite Masse von Usern individuell komplexe Programme realisieren kann, ohne über programmiertechnische Spezialkenntnisse
74 | David Zicarelli, How I Learned to Love a Program That Does Nothing, in: Computer Music Journal, 26:4, Winter 2002, S. 44 75 | Die hier vorgenommenen Eingriffe finden ihren Niederschlag auch in der nichtkommerziellen Weiterentwicklung der Software: »David Zicarelli has made a huge contribution to the Macintosh version of MAX, some of which has made its way to the NeXT version [vgl. III.2.4] […].« Miller Puckette, Combining Event and Signal Processing in the MAX Graphical Programming Environment, in: Computer Music Journal, 15:3, Fall 1991 (b), S. 77 76 | Chadabe 1997, S. 208 77 | Zicarelli, zit.n. Chadabe 1997, S. 208
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zu verfügen (womit schließlich ein entscheidender Schritt in Richtung Max-Community getan ist). Außerdem vertieft bzw. verfestigt sich im Zuge der Kommerzialisierung die Trennung der Max-Anlage in eine dem User zugängliche Ebene des Patchens und eine verschlossene Ebene des Programmcodes (des Quelltextes in C), deren Zugang dem Eigentümer bzw. den angestellten Programmierern der Vertriebsfirma vorbehalten bleibt. Somit erscheint die Ebene des Patchens gewissermaßen vor-programmiert, und zwar nach den Vorstellungen der Company, welche zunächst allein über die Grundausrichtung der Software bestimmt. Im Falle von Max besteht allerdings die Besonderheit, dass der User auf der zweiten Ebene (des Patchens) eine nach individuellen Bedürfnissen gestaltbare und in alle Richtungen ausbaufähige Oberfläche vorfindet, die trotz der verschlossenen Tiefenstruktur einen potentiell unerschöpflichen künstlerischen Freiraum gewährleistet. Der von eventuellen Besitzverhältnissen unabhängige Ausbau dieser Struktur durch den User ist grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten möglich. Ausgehend vom ›einfachen‹ Patchen können zum einen sogenannte Abstractions erstellt werden, also neuartige Funktionseinheiten (Objekte), die auf der Grundlage bzw. unter Verwendung bereits bestehender Objekte erstellt werden. Zum anderen kann der User den vorgeschriebenen Pool an standardisierten Objekten (Internals) erweitern, indem er diesem direkt in C programmierte Externals hinzufügt. Damit bleibt die offene und extensible Grundausrichtung der Software auch im Rahmen der Kommerzialisierung erhalten: »In summary, MAX provided relatively easy-to-learn, high-level, and efficient access to writing software. As Richard Zvonar, composer, consultant, and programmer, wrote: My work includes editing and control software for signal processors and MIDI tone modules. […] I find MAX easy to work with … An especially useful feature is the capacity to edit a patch while it is running … Extensibility is another strong point. Even if one is not a C programmer one can accumulate a personal library of suppatchers [Abstractions], or one can download from several ftp sites any of the libraries created by a global community of MAX developers [vgl. II.3].« 78
78 | Chadabe 1997, S. 209
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
Realisiert wird die eigentliche Publikation dann allerdings nicht mehr von Intelligent Music (»Intelligent Music faced a financial crisis« 79), sondern von der Firma Opcode Systems, das heißt Opcode erwirbt alle Rechte für den kommerziellen Vertrieb der Software »as a full-featured Macintosh programming environment with improved screen graphics, playback of standard MIDI files, multimedia capabilities, and a large collection of new features.«80 Zicarelli fungiert dabei weiterhin uneingeschränkt als technischer Supervisor: »It was agreed with Zicarelli that Opcode Systems would be the best alternative [zu Intelligent Music] to support his preparation of MAX and its eventual publication. […] MAX was published in late 1990 and quickly became an almost universal solution for problems that required customized software.«81 Bezüglich der Erstpublikation heißt es 1991 im Computer Music Journal unter Product Announcements: »The program was orginally intended to control music and audio hardware, but is not dedicated exclusively to music. Users and programmers can also extend MAX with their own objects written in MAX or in traditional programming language like C. An object-oriented program, MAX contains 150 built-in objects that handle calculations, hardware comunications, and user interface functions. Users link graphic modules by drawing a line between them. MAX also makes it possible to construct user interfaces that hide the internal interconnections between the modules. MAX operates in its own multitasking environment, making it possible for an unlimited number of MAX patches to run simultaneously. Opcode is currently seeking development partners to create specialized applications of MAX. Toward this end they are conducting seminars and offering special arrangements for new developers. MAX Player, a special run-time version, will be available to MAX developers for distribution to end users. The current price of MAX is $395.« 82
79 | Ebd. S. 208 80 | Winkler 1998, S. 18 81 | Chadabe 1997, S. 209 82 | Opcode Systems New Music Software for Apple Macintosh Computers, in: Computer Music Journal, 15:1, Spring 1991, S. 81
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II.2.4 IMW/ISPW-Max, Max/F TS und jMax Die zeitliche Begrenzung der Family auf die Jahre 1985-1994 – dem Zeitraum der Festanstellung Puckettes am IRCAM83 – weist zeitlich eine deutliche Überschneidung mit den Daten zur Community auf, welche bereits mit der Publikation der Software 1990 ihren Anfang nimmt. Dennoch muss die hier beschriebene Entwicklung, die sich hauptsächlich nach 1990 abspielt, der Family zugeordnet werden, da sie räumlich größtenteils gebunden bleibt an das am IRCAM tätige Arbeitskollektiv.84 Mit jMax reicht dieser ›Arm‹ der Family schließlich gar bis ins 21. Jahrhundert hinein, wobei es dann jedoch spätestens mit der Jahrhundertwende tatsächlich keinen Sinn mehr macht, die Family-Community-Dualität weiterhin aufrecht zu erhalten, da die entsprechenden Strukturen letztlich immer mehr zusammenwachsen zu einer global operierenden Max-Community. Verbunden mit der Absicht, das in die Jahre gekommene und vor allem extrem teure System 4X zu ersetzen, treffen die Verantwortlichen bereits 1988 die Entscheidung, »de construire une station de travail musicale constitue une entreprise essentielle et novatrice. Eric Lindemann est arrivé à l’IRCAM en août pour prendre en charge la coordination de l’équipe de base, constituée de Bennett Smith, Miller Puckette, Yves Potard et Michel Starkier.« 85 Ergänzt wird diese Equipe wenig später u.a. durch Cort Lippe, Zack Settel und Gerhard Eckel. Im Bericht von 1989 heißt es dann bezüglich der technischen Neuerung: »Un premier système complet a été bien défini en 1989, et sa réalisation a été engagée.«86 Spätestens seit 1990 ist das System 4X dann vollständig ersetzt durch La station de travail musicale de l’IRCAM bzw. die IRCAM Musical Workstation (IMW), welche später (ab 1993) auch unter der Bezeichnung IRCAM Signal Processing Workstation (ISPW) behandelt wird. Die häufig im Rückblick der 83 | Im IRCAM-Rapport von 1995 wird Puckette noch unter Systèmes temps réel als Chercher geführt (Juli-August) und unter Collaborations extérieures erwähnt, angestellt ist er jedoch bereits am Music-Department der University of California San Diego. Vgl. Rapport d’Activité, IRCAM 1995, S. 150 84 | Opcode hat zwar die Rechte für den kommerziellen Vertrieb von Max erworben, die nichtkommerzielle Nutzung und Weiterentwicklung der Software steht dem Institut weiterhin frei. 85 | Rapport Annuel de l’IRCAM 1988, S. 22 86 | Rapport d’Activité, IRCAM 1989, S. 28
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
Fachliteratur erfolgende, vereinfachende Übertragung des Begriffs ISPW auf die Gesamtentwicklung der Workstation liegt vermutlich daran, dass damit eine zentrale Funktion der Anlage – das digitale Signal-Processing – benannt wird, welche jedoch bereits seit den Anfängen der Station von größter Bedeutung ist.87
IMW/ISPW-Max Das Zentrum der IMW-Hardware-Architektur bildet ein Multiprozessor, welcher »consists of a number of processor boards, each with two Intel i860 processors (Intel 1989), that plug into a host computer, the NeXT machine. The host is used for its graphic interface and file system. The i860 processors handle all real-time event processing and signal processing.« 88 Was die Software-Architektur anbelangt, so stellt Max als graphisches User-Interface neben den Programmen Animal (Animated Language von Eric Lindemann und Maurizio De Cecco) und dem IMW Signal Editor 89 (von Gerhard Eckel) die zentrale Schnittstelle dar. Dabei ist Max in diesem neuen Produktionskontext die einzige Komponente, welche dem 4XEnvironment entstammt, was sowohl für die Bedeutung der Software als auch für deren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit spricht. Die IMW-Adaption geht einher mit einer kurzzeitigen Loslösung der Software vom Macintosh und der Übertragung auf the NeXT machine als dem neuen Host-Computer der Workstation (lediglich Opcode-Max bleibt zu diesem Zeitpunkt mit dem Macintosh verbunden). Wichtiger ist jedoch die ebenso neue Verbindung von Max mit dem auf der Ebene des Multiprozessors implementierten Software-System – dem CoProcessor Operating Systems (CPOS) – an dessen ›Spitze‹ das ebenfalls von Miller Puckette entwickelte Programm Faster Than Sound (FTS) läuft. Im IRCAM-Arbeitsbericht von 1990 heißt es diesbezüglich: »FTS […] prend en charge le traitement des signaux numériques dans un contexte d’exécut87 | »The IRCAM Musical Workstation […] is designed to facilitate experimentation with real-time signal processing and event processing. The main focus is on interactive musical composition and performance algorithms.« Eric Lindemann, François Dechelle, Bennett Smith, Michel Starkier, The Architecture of the IRCAM Musical Workstation, in: Computer Music Journal, 15:3, Fall 1991, S. 41 88 | Ebd. S. 41 89 | »The Signal Editor supports viewing and editing of audio signals in time and frequency domains.« Ebd. S. 48
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ion temps réel. Elle se décompose en trois unités fonctionnelles: un système à objets à base de classes, un gestionnaire de communication entre les unités de calcul, et une bibliothèque d’algorithmes de synthèse.«90 Verglichen mit dem 4X, wo sich die notwendige Kommunikation zwischen den strukturell noch klar getrennten Ebenen der Kontrolle und der Soundsynthese umständlich und kompliziert gestaltet, wird nun mit der Entwicklung der IMW eine »unification between control and synthesis«91 angestrebt, welche hinsichtlich der Nutzung eine deutliche Vereinfachung und Beschleunigung der Arbeitsprozesse bewirken soll. Als vermittelnde Instanzen zwischen User, CPOS/FTS und Host-Computer fungieren dabei die graphischen Environments Animal92 und Max: »Max and Animal […] bring the building-block structure of FTS to the user level, using as metaphors the ideas of assembly and interconnection of smaller objects into larger ones.«93 Auf der Interface-Ebene (Max und Animal) vollzieht sich die unification between control and synthesis schließlich, indem the buildingblock structure of FTS – einem (in C verfassten) Object-Message-System, welches insbesondere das digitale Signal-Processing, also die Generierung (Berechnung) eines Datenstroms zur Klangsynthese und Klangverarbeitung in real-time betrifft – graphisch repräsentiert und schließlich kombiniert wird mit dem sogenannten Event-Processing zur Kontrolle, Koordination und Synchronisation einzelner événements musicaux.94 Dabei sind die auf der FTS-Ebene fungierenden Signal-Objects95, welche insgesamt über ein »DSP [Digital Signal Processing] handler object«96 verwaltet werden, auf der Max-Ebene über die sogenannten Tilde-objects97 zu konfigurieren:
90 | Rapport d’Activité, IRCAM 1990, S. 28 91 | Miller Puckette, FTS: A Real-Time Monitor for Multiprocessor Music Synthesis, in: Computer Music Journal, 15:3, Fall 1991 (a), S. 58 92 | »Animal is an interactive system for creating graphic representations of FTS classes and for interacting with networks of objects created from these classes. It provides for persistent storage of objects on disk and object libraries.« Lindemann, Dechelle, Smith, Starkier 1991, S. 48 93 | Puckette 1991 (a), S. 59 94 | Vgl. Puckette 1991 (b), S. 68 ff 95 | Vgl. Puckette 1991 (a), S. 61 96 | Ebd. S. 62 97 | Vgl. Puckette 1991 (b), S. 71 ff
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
»Miller Puckette has developed a version of Max for the ISPW that includes signal processing objects [tilde objects], in addition to many of the standard objects found in the macintosh version of Max […]. Currently [1992], there are over 40 signal processing objects in Max. Objects exist for most standard signal processing tasks, including: filtering, sampling, pitch tracking, threshold detection, directto-disk, delay lines, FFTs [Fast Fourier Transform] etc. With the ISPW version of Max, the flexibility with which one creates control patches in the original Macintosh version of Max is carried over into the domain of signal processing.« 98
Abbildung 5: Event- und Signal-Processing
Wie hier anhand der via Max/MSP (4.6.3) aufgezeigten ProcessingKombination deutlich wird, findet die mit FTS einsetzende Entwicklung ihre Fortsetzung in späteren Software-Versionen wie eben Max/ MSP (vgl. II.3.2) oder auch Pure Data (vgl. II.3.1).
98 | Cort Lippe, A Composition for Clarinet and Real-Time Signal Processing: Using Max on the IRCAM Signal Processing Workstation, 10th Italian Colloquium on Computer Music Proceedings, Milan 1993, S. 428
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Ein Ziel dieser verstärkten Konzentration von Arbeitsprozessen besteht schließlich darin, eine einzige Plattform zu stellen, deren Benutzeroberfläche speziell dem Künstler (»with only a user’s knowledge of computers«99) ein umfassendes Experimentieren in real-time, mit sofortigem visuellen und akustischen Feedback ermöglicht: »With the addition of the highlevel development tools MAX and Animal, the IMW application development becomes accessible even to nonprogrammers, such as technically oriented musicians, or to scientists in a hurry.«100 Was also bereits hinsichtlich der Kommerzialisierung der Software zu beobachten war – die Adaption der Arbeitsstrukturen an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der User – gilt somit auch für die nichtkommerzielle Weiterentwicklung von Max. Künstlerische Pionierarbeit leisten in diesem Zusammenhang u.a. Cort Lippe, Zack Settel, Karlheinz Essl, Philippe Manoury oder auch Pierre Boulez (wobei der artistische Output insbesondere von Lippe und Settel einhergeht mit einer aktiven Beteiligung an der Gestaltung der Workstation, so dass die einst getrennten Gegenstandsbereiche des Technikers und des Künstlers hier längst durch Einzelpersonen repräsentiert werden).101 Und auch wenn im Verlaufe der neunziger Jahre noch immer zahlreiche namhafte Komponisten ans IRCAM kommen, um hier im Rahmen der IMW ihre Ideen zu realisieren,102 so lässt diese institutionelle Fokussierung bereits Mitte der Neunziger deutlich nach. Weltweit verfügen immer mehr Einrichtungen über ein vergleichbares Equipment und gegen Ende des Jahrzehnts geht die Tendenz bekanntermaßen dahin, dass in Abhängigkeit zu einer immer kostengünstigeren und dabei leistungsfähigeren Hard- und Software eine Demokratisierung der Produktionsmittel einsetzt, welche es nun beinahe jedem Privathaushalt er99 | Puckette 1991 (a), S. 59 100 | Lindemann, Dechelle, Smith, Starkier 1991, S. 49 101 | Vgl. Rapport d’Activité, IRCAM 1991, S. 33 ff, oder Cort Lippe, Miller Puckette, Musical Performance Using the IRCAM Workstation, ICMC Proceedings 1991, S. 533 ff 102 | Im Gegenzug beginnt das Institut zu expandieren: »The ISPW system has been installed in approximately 30 computer music centers worldwide at this time [1992-93].« Cort Lippe, Miller Puckette, Zack Settel, Vincent Puig, Jean-Pascal Jullien, The IRCAM Signal Processing Workstation and IRCAM Max User Groups: Future Developments and Platforms, ICMC Proceedings 1993, S. 446
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möglicht, zumindest technisch auf relativ hohem Niveau Computermusik zu produzieren. Gemäß dieser Entwicklung beschließt man am IRCAM von der Produktion ganzheitlich angelegter, relativ statischer Environments abzusehen und auf die Entwicklung von flexiblen Einzelkomponenten zu setzen. So heißt es bereits 1992 – dem Jahr, in dem Eric Lindemann als Responsable der Station d’informatique musicale von Miller Puckette abgelöst wird103 – folgendermaßen: »[…] tout le système qui voit ses éléments devenir plus maniables, se compartimentant et s’interfaçant de manière à procurer un maximum de flexibilité sur le plan de la configuration et de l’évolution. Un bon exemple de cette modularité et de cette indépendance est fourni par le portage de FTS, la couche de gestion en temps réel des événements, qui désormais fonctionne sur d’autres plates-formes que la Sim [Station d’informatique musicale].«104
Max/F TS Die allmähliche Auflösung der IMW in leistungsfähige und vor allem unabhängige Funktionseinheiten mündet im Rahmen der bereits 1991 gegründeten Station d’informatique musicale (SIM) schließlich in dem soft-technologischen Hauptprojekt Max/FTS: »L’année 1993 a vu la finalisation de la carte ISPW […] ainsi que l’amélioration de son environnement logiciel. Ce dernier est le système ›Max/FTS‹ et les applications développées autour, tels que des ›patchs‹ et des ›objets externes‹ offrant des fonctionnalités spécifiques aux paradigmes d’utilisation.«105 Dabei erfolgt eine Loslösung der Software aus dem Funktionskontext der ISPW, denn »Hardware will come and go, while portable software offers continuity for the future.«106 Gleichzeitig wird ein aus Max (IRCAM-Version 0.24) und FTS bestehendes Software-Package entwickelt, welches auf verschiedenen Hardware-Plattformen laufen soll. In diesem Zusammenhang betritt David Zicarelli ein zweites Mal die IRCAM-Bühne, wo er als Chercheur in
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Vgl. Rapport d’Activité, IRCAM 1992, S. 33 Rapport d’Activité, IRCAM 1992, S. 34 Rapport d’Activité, IRCAM 1993, S. 48 Lippe, Puckette, Settel, Puig, Jullien 1993, S. 446
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einer Kooperation zwischen dem IRCAM und Opcode Systems an der Einrichtung von Max/FTS für den Macintosh-Computer arbeitet.107 Was zunächst noch hinsichtlich der IRCAM-internen Arbeit zu beobachten ist – »the Max program […] has become the ›lingua franca‹ at IRCAM for real-time musical scientific research.«108 – trifft mit der hier einsetzenden, soft-technologischen Autonomiebewegung mehr und mehr auf einen weltweiten User-Kreis zu, wobei der wachsende Erfolg des Ensembles Max/FTS nicht allein an der steigenden Anwenderzahl, sondern vor allem am wachsenden Einfluss der Software auf die elektroakustische Musikproduktion gemessen werden muss. Als ein hierfür ausschlaggebender Faktor wäre neben den bereits beschriebenen Softwarequalitäten der Offenheit (the blank page scheme) und der darauf basierenden Extensibilität (via Abstractions oder Externals) insbesondere die Portabilität des technisch relativ ungebundenen Systems zu nennen. Darüber hinaus wird dem User damit jedoch ebenso eine ästhetische Ungebundenheit geboten, die in Verbindung mit der relativen Einfachheit der Arbeitsprozesse auch jenseits vom IRCAM (und der damit verbundenen technischen Assistenz) auf großes Interesse stößt: »La possibilité d’écrire des objets en C [Externals] les rajouter à Max/FTS a été introduite fin 1992 et a beaucoup évolué en 1993, devenant un outil vraiment utilisable, particulièrement à l’extérieur de l’Ircam. Cette fonctionnalité permet aux utilisateurs de Max d’y rajouter leur propres objets.«109 Nachdem Miller Puckette das IRCAM 1994 verlassen hat findet diese in erster Linie Software- bzw. Max-orientierte Arbeit ihre Fortsetzung im Rahmen der Systèmes Temps Réel (IRCAM Real-Time-Platform), dem 1994 unter der Leitung von François Déchelle gegründeten Folgeprojekt der IMW bzw. der SIM. Hierbei wird u.a. auch die Relation zwischen den Software-Komponenten Max und FTS weiter ausgearbeitet,110 welche sich 107 | »L’arrivée de David Zicarelli en septembre 1993 permet de commencer le travail de mise en cohérence des version NeXT et Macintosh de Max, qui continuera en 1994.« Rapport d’Activité, IRCAM 1993, S. 49 108 | Lippe, Puckette, Settel, Puig, Jullien 1993, S. 446 109 | Rapport d’Activité, IRCAM 1993, S. 49 110 | »This paper describes the current evolutions and perspectives of the FTS real time executive as the colonne vertébrale of the Ircam ›Real-Time Platform‹ project, which is a software oriented continuation of the ›Ircam Musical Workstation‹ project.« François Déchelle, Maurizio De Cecco, Miller Puckette,
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auf der Grundlage eines hardwareunabhängigen Kommunikationsprotokolls nach dem Cliente-Serveur-Modèle gestaltet – »FTS étant le serveur et Max une application cliente«111. Diese Grundkonstellation der operativen Kombination (Max/+) kennzeichnet seither die Entwicklung der Software in besonderem Maße.
jMax Aufgrund der sich immer kürzer gestaltenden Anwendungszeit vor allem von Hardware-Komponenten kommt man am IRCAM zu dem Schluss, »that hardware development was not worth the cost and the fact that the market was starting to offer cost-effective machines with computing power comparable to the ISPW, the decision was made to give up expensive hardware development.«112 Im Gegenzug wird nun speziell die Produktion portabler Software gefördert. So starten François Déchelle, Maurizio De Cecco, Enzo Maggi und Norbert Schnell 1996 die Entwicklung von jMax, einer neuen Max-Version, deren User-Interface auf der objektorientierten und vor allem systemunabhängigen Programmiersprache Java basiert: »[…] the emergence of Java gave the possibility to realize GUIs that operate on multiple platforms. The reimplementation in Java of the Max/FTS GUI started late 1996 […], and the name jMax, for Java Max, was given to this new variant of the Max family.«113 Dem IRCAM-Rapport zufolge sprechen die Verantwortlichen zunächst davon, Max zu ersetzen, und zwar durch einen graphischen Editor namens Ermes114 als der neuen Oberfläche (GUI) von FTS. Tatsächlich besteht die eigentliche Neuerung dieser Bestrebung jedoch in der Übersetzung des in C verfassten Max-Codes in die Programmiersprache Java. Darüber hinaus wird die grundsätzliche Objekt-Message-Struktur beibehalten, so dass das gesamte Unternehmen dann ab 1998 schließlich auch unter der Bezeichnung
David Zicarelli, The Ircam »Real-Time Platform«: evolution and perspectives, ICMC Proceedings 1994, S. 228 111 | Rapport d’Activité, IRCAM 1994, S. 48 112 | François Déchelle, Riccardo Borghesi, Maurizio De Cecco, Enzo Maggi, Butch Rovan, Norbert Schnell, jMax: An Environment for Real-Time Musical Applications, in: Computer Music Journal, 23:3, Fall 1999, S. 51-52 113 | Déchelle, Borghesi, Cecco, Maggi, Rovan, Schnell 1999, S. 52 114 | Vgl. Rapport d’Activité, IRCAM 1996, S. 62
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jMax operiert. Hinsichtlich der ebenso beibehaltenen Verbindung zu FTS gemäß der Client-Server-Architektur heißt es: »The server part is a new version of FTS, the ISPW ›monitor‹. Consisting essentially of a message interpreter and scheduler, it supports first of all the execution of the real-time DSP and control computation, but also the editing services (for patch construction, loading, and saving). This part is entirely written in C, for both maximum efficiency and ease of interfacing with low-level system service such as audio or MIDI input/output. The client part is the GUI that is quite close to the Max/Opcode or Max/ISPW user interface. It provides mainly a presentation of all the data residing in the server, patches, tables, sequences etc., in a way that is suitable for editing. Since it is written in Java, it can also run on any platform that has a Java virtual machine.«115
Die Übersetzung des Client in eine hardwareunabhängige Programmiersprache wie Java sollte also in erster Linie für ein Maximum an Flexibilität und letztlich natürlich auch für eine unkomplizierte Anwendung auf breiter Ebene sorgen. Doch auch mit der Publikation des Quellcodes 1999 erfährt jMax (nun als Open-Source-Projekt »sous la licence publique générale GNU«116 und in Verbindung mit dem freien Betriebssystem Linux) relativ wenig Zuspruch, was nicht zuletzt an der bereits eingetretenen ›Sättigung‹ des Marktes durch die Softwareprodukte der beiden Hauptentwicklungslinien – der kommerziellen Opcode- bzw. Cycling74-Linie (vgl. II.3.2) und der Open-Source-Linie Pure Data (vgl. II.3.1) – gelegen haben dürfte. Hier zeichnet sich nun tatsächlich das Ende der ans IRCAM gebundenen Max-Family ab, obwohl die Arbeit am IRCAM bezüglich jMax noch einige Jahre andauert: »The development of jMax seems to stop in 2002, even if the project was shutdown more or less formaly only in 2004.«117 Die jüngste Re-formation von jMax – jMax Phoenix – ist dann allerdings tatsächlich ein IRCAM-unabhängiges Unternehmen mit einer deutlich kommunalen Ausrichtung (eine im Grunde längst überfällige Konse115 | Déchelle, Borghesi, Cecco, Maggi, Rovan, Schnell 1999, S. 52 116 | Rapport d’Activité, IRCAM 1999, S. 111 117 | Francois Déchelle, Maurizio De Cecco, Enzo Maggi, jMax Phoenix: le jMax nouveau est arrivé, Linux Audio Conference 2009, http://lac.linuxaudio.org/2009/ cdm/Friday/11_DeCecco/index.html, S. 2 von 8
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quenz der bereits realisierten Hardwareunabhängigkeit): »In the summer 2008 Maurizio De Cecco successfully involved his old colleagues Francois Dechelle and Enzo Maggi in restarting jMax and to transform it in a community project.«118
II.3 THE C OMMUNIT Y : 1990-2010 Im Folgenden soll die Öffnung des Max-Raums von der Family zur Community und der damit verbundene Einfluss auf die weitere In-formation der Software beschrieben werden. Gemäß dem in Kapitel I erörterten Produktionskreislauf gilt hierbei, dass zwischen dem Produktionsraum und dem Raumprodukt eine ständige Wechselwirkung besteht. Dementsprechend lässt sich die Weiterentwicklung und speziell die Öffnung des Max-Raums ebenso auf die offene Anlage der Software zurückführen. Es gilt hier also immer mitzudenken, was sich im linearen Darstellungsmedium des Schrifttextes nur auf Umwegen vermitteln lässt – und zwar die permanente Feedbackschleife der Produktion, innerhalb welcher jedes Produkt gleichermaßen als Produzent und jeder Produzent unmittelbar als ein Produkt der eigenen Produktion erscheint: Die offene Anlage der Software begründet die Community, welche gemäß ihrer spezifischen Wirkungsweise die weitere Ausrichtung der Software bedingt.119 Ihren Anfang nimmt diese weltweite Arbeitsgemeinschaft um 1990 mit der Publikation von Opcode-Max, welche erstmals einen weiträumigen, nicht institutionell gebundenen Userkreis ermöglicht. Dabei gestaltet sich die Grenze zwischen Family und Community fließend. Bereits im Rahmen der Family werden diverse Schritte zur räumlichen Öffnung unternommen und wichtige Grundsteine für die späteren Organisationsstrukturen der Community gelegt: »The Max user group [IRCAM-Family] will welcome users working on NeXT, Macintosh, and future platforms. This group will have access to software updates, libraries, documentation and to various services dedicated to: […] Providing informa118 | Ebd. S. 2 von 8 119 | »Ein wahrhaft offenes System befindet sich im Besitz der Öffentlichkeit und ist für jedermann zugänglich als eine Basis auf der er oder sie etwas aufbauen kann.« Negroponte 1995, S. 63-64
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tion services through mailings, ftp information, and through an IRCAM Software electronic bulletin board for users and developers covering subjects such as: bug reports and fixes, official software release information, technical information for developers (compilers, external objects etc.) news on user and developer activities, related products […], ISPW concerts, workshops, demonstrations, and software exchange information (external objects, library modules, patches etc.). We will also host discussion on topical issues such as code portability across machine platforms and generations, and attempt to facilitate communication between developers, users and vendors.«120
Darüber hinaus resultiert die Struktur der sich in diesem Sinne konstituierenden Community insbesondere aus der Teilhabe an öffentlichen, medientechnischen Netzwerken, die als Kommunikationsplattformen in Verbindung mit Max den ästhetischen Handlungsraum der Community (re-)organisieren oder gar generieren. Die für Max im Medienkomplex typische Netzwerkkompatibilität (ein Resultat der dynamischen ObjektStruktur), kommt dabei insbesondere in Verbindung mit dem Internet zum Tragen, welches bekanntlich ebenso wie die Software zu Beginn der neunziger Jahre einem breiten Publikum zugänglich gemacht wird.121 Auf die spezifische Vermittlungsleistung dieser technologischen Kooperation verweist Golo Föllmer unter dem Stichpunkt Collective User Instrument (vgl. Exkurs a): »Essentiell ist […], dass die Nutzer dieser Softwareumgebungen [Max/MSP und SuperCollider] technische und ästhetische Fragen in speziellen Mailinglisten diskutieren. Ergebnisse aus diesen Diskussionen werden gesammelt und später ggf. in die Programme integriert. Die Umgebungen, in denen die kollektive Entwicklung von Instrumenten möglich ist, werden also ebenfalls bis zu einem gewissen Grad kollektiv geschaffen.«122 120 | Lippe, Puckette, Settel, Puig, Jullien 1993, S. 448 121 | »An Insider-Communities wie der MAX/MSP-Gemeinde zeigt sich besonders sinnfällig, wie Internetstrukturen der Mentalität elektroakustischer Musikfreaks entgegenkommen.« Elena Ungeheuer, Netzmusik – Stand der elektroakustischen Musik oder Musik von anderen Planeten? ein Printchat von Golo Föllmer und Elena Ungeheuer, in: Elektroakustische Musik, Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, Bd. 5, hg. von Elena Ungeheuer, Laaber 2002, S. 310 122 | Föllmer, ebd. S. 310
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
Neben einer Max-spezifischen E-Mail-Korrespondenz (vgl. II.3.3) handhabt die Community via Internet ein sehr komplexes Bibliothekswesen aus vernetzten elektronischen Datenbanken zum Transfer von Max-Objekten (Externels, Abstractions), Patches oder komplexeren Applikationen (vgl. II.3.4). Die über diese medialen Schnittstellen erfolgende Kommunikation begründet schließlich eine Partizipation an der Software-Entwicklung, welche sich je nach User-Background in die verschiedensten Richtungen bewegt und dabei die unterschiedlichsten Problemfelder der ästhetischen Praxis betreffen kann.123 Die offen-extensible und multipel anschlussfähige Anlage der Software ermöglicht ein User-Kollektiv, dessen spezifische Max-Arbeit wiederum die beinahe uneingeschränkte Funktionsvielfalt der Software bedingt (vgl. II.3.5): »Much of the success of Max can be attributed to contributions made from a community of programmers and composers who have greatly expanded the program’s capabilities with custom libraries of additional functions that are distributed without cost by Opcode, and many more that are exchanged freely over the Internet.«124 In Kombination mit E-Mail- oder Bibliotheks-Funktionen erscheint die rhizomhafte Verknüpfung und Kooperation mit weiteren Kollektiven der elektronischen Kunstszene als ein drittes Strukturelement der Community, welches ebenso auf dem Anschlusspotential von Max beruht und sich in erster Linie an der symbiotischen Verbindung mit Programmen wie beispielsweise AbletonLive bzw. der hieraus resultierende Version Max for Live (vgl. II.3.6) festmachen lässt. Im Unterschied zur Family formiert und organisiert sich die Community zunächst also hauptsächlich online. Dennoch lässt sich auch offline eine u.a. durch Conventions125 oder Expositions126 zum Tragen kommende 123 | »Die Architektur von MAX ist derart offen, dass nahezu sämtliche interaktiven Aufgabenstellungen damit programmiert werden können und viele bereits vor der Einführung von MAX existierende Programme durch einen entsprechenden Einsatz von MAX ersetzt werden können.« Martin Supper, Technische Systeme von Klanginstallationen, in: Klangkunst, Tönende Objekte und klingende Räume, Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, Bd. 12, hg. von Helga de la Motte-Haber, Laaber 1999, S. 134 124 | Winkler 1998, S. 18 125 | PureData-Conventinon in Graz 2004 u.a. 126 | Expo74 (Cycling74) 2009 u.a.
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Struktur erkennen, welche wiederum teilweise von Zentren wie dem Music-Department der University of California San Diego (der Wirkungsstätte von Miller Puckette und Philippe Manoury) oder dem Cyling74-Office in San Francisco (dem Sitz der von David Zicarelli gegründeten Company zum kommerziellen Max-Vertrieb) ausgeht. Darüber hinaus steht Max mittlerweile auf dem Lehrplan beinahe jeder größeren Kunst- oder Musikhochschule, so dass auch jenseits der Internet-Plattformen zahlreiche User-Groups zum regelmäßigen Informationsaustausch oder zum gemeinsamen Musizieren zusammenfinden. Im Grunde handelt es sich jedoch auch hier um konzentrierte Produktionszusammenhänge, die sich innerhalb des weltweiten Netzwerks sowohl on- als auch offline formieren. Als Fortsetzung der Family bewirkt die Arbeit der Community insgesamt schließlich eine kontinuierliche Weiterentwicklung der bereits angelegten Software-Qualitäten. Grundeigenschaften wie graphische Direktheit, relative Simplizität der Handhabe, größtmögliche Transparenz, operative Stabilität (in real-time), Offenheit (incompletness), Portabilität, Anschlussfähigkeit (adaptability) oder Extensibilität werden im Zuge der räumlichen Öffnung intensiviert. Vor allem aber erscheint die multidirektional fortschreitende Ausdifferenzierung der Funktionalität zentral. Mit der funktionalen Vielfalt steigt wiederum die Zahl der Anwender und damit immer auch die der potentiellen Entwickler – ein Kreislauf der sich sehr gut an der Aktivität der Community ablesen lässt.127 Die hierbei gemäß dem kollektiven Zusammenspiel entstehende, netzartig verwobene Daten-Struktur aus zum Teil völlig unterschiedlich motivierten und in den verschiedensten Zusammenhängen realisierten Max-Texten (Patches) erscheint durchaus im Sinne der Intertextualität.128 Der häufig über die räumliche Anlage der Community erfolgen127 | »The success of Max/Opcode can be evaluated by the number of objects or patch libraries developed, and the number of Web pages dedicated to its applications.« Déchelle, Borghesi, Cecco, Maggi, Rovan, Schnell 1999, S. 50 128 | Zur Intertextualität in der Literatur vgl. Roland Barthes: »Heute wissen wir, dass ein Text nicht aus einer Reihe von Wörtern besteht, die einen einzigen, irgendwie theologischen Sinn enthüllt (welcher die ›Botschaft‹ des Autor-Gottes wäre), sondern aus einem vieldimensionalen Raum, in dem sich verschiedene Schreibweisen [écritures], von denen keine einzige originell ist, vereinigen und bekämpfen. Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur.« Der Tod des Autors, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000, S. 190
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
de Rückgriff auf bereits bestehende Arbeiten (Objekte) und deren Verwendung bzw. Weiterentwicklung in einem neuen Produktionskontext führt schließlich zu einer kollektiven Autorschaft, welche bis zu einem gewissen Grad die gesamte Max-Praxis betrifft – der User befindet sich immer schon mitten im Text, auch wenn die weiße Seite zunächst einen Neuanfang suggeriert. Aus Sicht des Künstlers und langjährigen Max-Users Kasper T. Toeplitz (vgl. III.3.2) gestaltet sich diese vielschichtige Community-Arbeit zwischen Software- und Kunstproduktion folgendermaßen: »[…] c’est MaxMSP aujourd’hui parce que c’est musical, parce que c’est un outil simple à utiliser par quelqu’un comme moi qui n’est pas programmeur. En plus, c’est un outil qui existe depuis une bonne dizaine d’années ce qui veut dire qu’il possède une certaine solidité. Il y a aussi un énorme répondant de la part de ses développers et utilisateurs: chaque fois que j’ai eu des problèmes, j’ai envoyé un courrier et on m’a proposé un début de solution dans les deux jours. […] C’est également un outil qui n’impose pas une vison particulière de la musique, ce qui est le cas de tous les autres séquenceurs. Il existe des choses comme SuperCollider, mais tant que MaxMSP marche bien, c’est la chose la plus pratique à utiliser.« 129
II.3.1 Pure Data: Public Domain Seit 1994 leitet Miller Puckette das Music-Department der University of California San Diego, von wo aus er mit seiner Arbeit als Programmierer den Grundstein für eine weitere Ausrichtung von Max legt, welche neben der kommerziellen Richtung (vgl. II.3.2) die zweite Hauptentwicklungslinie innerhalb der Community darstellt – Max als Public Domain bzw. als freie Open-Source-Software (OSS) in Form von Pure Data (Pd, 1996). Die Anlage von Pd beruht wiederum auf zwei Entwicklungslinien, einer kulturpolitischen und einer technologischen. Was die technische Struktur der Software anbelangt, so stellt diese zunächst eine Weiterführung der am IRCAM entwickelten Max-Versionen dar: »A new software system, called Pd […], is an attempt to update the Max paradigm to address certain interesting developments of the last decade. These include hard129 | Kasper T. Toeplitz, Interview: Kasper T. Toeplitz, Propos recueillis par Roald Baudoux, in: Les Cahiers de l’ACME, Nr. 214, September 2003, http://sleazeart. com/SA_textes.html, S. 6 von 8
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ware and software platform changes, and also new artistic imperatives, in particular the combination of image and sound using computers.«130 Pd beinhaltet also »the main features of Max«131, welche im Anschluss vor allem an Max/FTS und das Patch-basierte Object-Message-System den gesamten Funktionsbereich des Event- und Signal-Processings abdecken. Mit GEM (Graphics Environment for Multimedia, vgl. II.3.5) kommt darüber hinaus die funktionale Anbindung an den Bereich der Bild- und Videoverarbeitung hinzu, womit produktionsästhetisch erneut völlig neue Maßstäbe gesetzt werden: »In addition to providing audio synthesis and processing capabilities, Pd plays host to the GEM environment, which puts image and 3-D graphics processing in a natural, ›patchable‹ framework similar to the way Pd treats audio signals.«132 Zusammenfassend benennt Puckette die Ziele der Pd/GEM-Entwicklung in fünf Stichpunkten: »a real-time patchable environment ala Max; management of audio and image processing in the same environment; adaptability to a wide range of platforms; long-term stability; a newer and more flexible set of tools to manipulate data.«133 Mit Pd-extended wird mittlerweile ein äußerst komplexes Software-Package aus verschiedensten Pd- und GEM-Elementen angeboten.
130 | Miller Puckette, Pure Data, ICMC Proceedings 1997 (a), S. 224 131 | Ebd. S. 224 132 | Ebd. S. 224 133 | Miller S. Puckette, Pure Data: Recent Progress, Third Intercollege Computer Music Festival Tokyo, Proceedings 1997 (b), S. 1
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
Abbildung 6: Pd-Info-Patch
Neben der technischen Vorproduktion basiert die Entwicklung und Ausrichtung von Pd ebenso auf der kulturpolitischen Konzeption Freie-Software-Bewegung, welche insbesondere mit dem GNU-Projekt134 bzw. der damit verbundenen General Public License (nach dem Copyleft-Prinzip) beginnt und seit den neunziger Jahren häufig mit der Open-Source-Bewegung gleichgesetzt wird.135 Pd ist dabei sowohl frei als auch open-source, 134 | Die GNU-Software entspricht einem Betriebssystem, welches 1983 von Richard Stallman entwickelt wurde und heute in Verbindung mit dem Betriebssystem Linux bzw. dem Linux-Kernel zu den bedeutendsten freien Betriebssystemen zählt. Vgl. www.gnu.de 135 | Zum Unterschied zwischen Freie-Software-Bewegung und Open-Source vgl. Richard Stallman, Warum »Open Source« das Wesentliche von »Freie Software« verdeckt, in: Open Source Jahrbuch 2007, Zwischen freier Software und Gesellschaftsmodell, hg. von Bernd Lutterbeck, Matthias Bärwolff und Robert A. Gehring, Berlin 2007, S. 1 ff
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das heißt, die Software ist (kosten-)frei136 zugänglich und kann aufgrund der offenen Quelltextlage (in C) vom User nach eigenem Ermessen umgearbeitet werden.137 Allerdings existiert auch eine offizielle, von Miller Puckette verwaltete Version der Software (pd-vanilla138), welche nur selektiv kommunale Weiterentwicklungen aufnimmt: »The official code basis is administered by Miller S. Puckette, who […] incorporates certain changes from the Pd community and improves the faulty code. In this way, guarantees the stable functioning of Pd.«139 So wie die Öffnung des Max-Raums selbst aus der Offenheit der Software resultiert oder zumindest durch diese begünstigt wird, so erscheint gerade unter kulturpolitischen Gesichtspunkten die Offenlegung des Quellcodes als eine letzte Konsequenz aus dem räumlichen Öffnungsprozess.140 Die umfassende Öffentlichkeit des kommunalen Handlungsraums findet hier ihre Entsprechung auf der Ebene der Software in einer gleichermaßen geöffneten Anlage, was wiederum zur Folge hat, dass die Entscheidungsgewalt auch hinsichtlich grundlegender Entwicklungsprozesse nun nicht mehr in den Händen einiger Programmierer liegt, sondern vielmehr der Gesamtheit bzw. jedem einzelnen User optional zukommt: »[…] I hate seeing big corporations rob people […]. I see in par-
136 | Frei oder Free steht in diesem Kontext nicht unbedingt für kostenlos, sondern zuallererst für Freiheit bzw. Freedom. 137 | Wie bereits unter II.2.4 beschrieben, sollten die IRCAM-Entwickler von jMax diesem Beispiel 1999 Folge leisten: »[…] soon after I started releasing versions of Pd, IRCAM released Max/FTS [als jMax] on the GNU General Public Licence […]. If they had done this before I started Pd, I might never have started it. But by that time […] it was too late; Max/FTS was already marginalized and Pd was coming into wide use.« Miller Puckette, Two Rooms, A Short Conversation with Miller Puckette, in: Bang Pure Data, koordiniert von Fränk Zimmer, Hofheim 2006, S. 165 138 | http://puredata.info/downloads 139 | Winfried Ritsch, Does Pure Data Dreams of Electric Violins?, in: Zimmer 2006, S. 16 140 | Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Kombinationsmöglichkeit mit dem freien Betriebssystem Linux: »Guenther Geiger has ported Pd und Gem to Linux for PC compatible computers. This platform offers a high-quality, low-cost alternative to Microsoft operating systems.« Puckette 1997 (b), S. 4
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
ticular the increasing use of patents as tools for keeping small players out of the game, and I think we should all resist that.«141 Im weiteren Entwicklungsprozess von Pd tritt die ursprünglich prägende Gestalt des Initiators Miller Puckette zurück, um einem weltweiten Arbeitskollektiv Raum zu geben, welches schließlich den Part der einstigen ›familiären‹ Hauptakteure ausfüllt.142 Im Vergleich zur Family handelt es sich dabei allerdings nicht lediglich um ein überregionales Plus an Mitarbeitern – die kollektive Autorschaft der Pd-Community zeichnet sich insbesondere durch eine nichthierarchische Struktur aus, die es jedem einzelnen User (in Abhängigkeit zu seinen programmiertechnischen Kenntnissen) gleichermaßen ermöglicht, die Software gemäß der eigenen Intentionen auszurichten. Diese Option geht dabei weit über die bisher beschriebenen Extensionsmöglichkeiten via Patch-System bzw. Objekt-Addition (Externals, Abstractions) hinaus. Mit der Publikation des Programm-Codes steht es den Usern frei, die strukturellen und funktionalen Grundzüge der Software umzuprogrammieren. Ziel dieses Demokratisierungsprozesses ist vor allem die eigenverantwortliche Gestaltungsmöglichkeit von musiktechnologischer und schließlich von künstlerischer Zukunft. Neben den technischen bzw. kulturpolitischen Voraussetzungen und Einflussfaktoren leistet insbesondere die künstlerische Praxis selbst von Beginn an entscheidende Entwicklungshilfe, wobei die jeweiligen Produktionen von der Software ausgehen, ebenso wie diese durch die entsprechende Praxis mitgestaltet wird: »Pd’s development has recently been driven by the production of Lemma I (Thessaloniki, Sep. 27, 1997) by Vibeke Sorensen, Rand Steiger, and Miller Puckette [vgl. III.4.1], and of
141 | Puckette, in: Zimmer 2006, S. 168 142 | »The success of Max reflects a lucky confluence of many events: the rise of the Macintosh, the arrival at IRCAM of di Giugno’s 4X machine (which provided the problem that Max had to solve), David Zicarelli’s brilliant work in getting Max published […], and the contributions of Zack Settel, Cort Lippe, Philippe Manoury, Chris Dobrian, David Wessel, and literally dozens of others to the design, documentation, and creative abuse of the program. The success or failure of Pd will ride as much on its finding a similar community as on its design specifics.« Miller S. Puckette, Pure Data: another integrated computer music environment, Second Intercollege Computer Music Concerts Tachikawa, Proceedings 1996, S. 41
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pushit (San Diego, Nov. 8) by Mark Danks.«143 Zahlreiche weitere Projekte lassen sich beispielsweise via Internet auf der Basis eines speziell dafür eingerichteten Pd-Webrings entdecken. Ausgehend von der Pd-Mainpage (puredata.info) kann der Benutzer hier u.a. über die Ring-Option random auf eine Seite wie etwa www.netpd.org gelangen, wo ein Pd-basiertes Environment angeboten wird, welches einen kollektiven Live-Jam in real-time via Internet oder LAN (Local Area Network) ermöglicht. Die Anzahl der auf diese Art vernetzten Arbeiten ist momentan allerdings noch relativ überschaubar, so dass der Ring den tatsächlichen Wirkungskreis nur ansatzweise zu repräsentieren vermag. Die aufgrund der freien Open-Source-Basis insbesondere durch Pd repräsentierte, darüber hinaus jedoch den gesamten Max-Raum kennzeichnende, arbeitstechnische Offenheit weist nun allerdings gerade hinsichtlich der praktischen Teilhabe auch diverse Einschränkungen auf, so dass hier insgesamt eher von einer auf technischen Voraussetzungen (Zugang zu Computer, Internet etc.) beruhenden Teilöffentlichkeit zu sprechen ist. Außerdem geht die sich immer komplexer gestaltende Anlage der Software bzw. des Handlungsraums beinahe zwangsläufig einher mit einem ebenso komplexen Verhältnis von Begrenzungen, welches von Miller Puckette mit folgender Formulierung sehr treffend beschrieben wird: »A favourite metaphor of mine is to compare two rooms, one tiny one and one large one. If you live in the tiny one, you might want to move to the larger one in order to have fewer boundaries. But of course the larger room simply has a larger surface, and hence more boundaries than the small one had. In the same way, the more transparent, malleable, and powerful the tool is that you use, the more ways you can hit the wall with it. So perhaps, even though Pd tries to give you the most freedom, it ends up giving you the richest possibilities for frustration.«144
II.3.2 MSP: Max Signal Processing Mit der Einführung von Max Signal Processing ist nun auch im Rahmen der kommerziellen Entwicklung der entscheidende Schritt in Richtung ›Audio-Max‹ getan. Was mit Max/FTS und Pd bereits vorliegt – die funktionale Zusammenführung von Event und Signal Processing – befindet 143 | Puckette 1997 (b), S. 1 144 | Puckette, in: Zimmer 2006, S. 168
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
sich vor allem auf Betreiben von David Zicarelli zunächst noch für Opcode Systems in Vorbereitung, wobei die eigentliche Publikation der Software 1997 dann bereits über Zicarellis neugegründete Firma Cycling74 erfolgt. Abbildung 7: Max/MSP-Info-Patch
Noch vor der Übernahme von Opcode durch die Gibson Guitar Corporation 1998 sichert sich Zicarelli die Rechte am damaligen Opcode-Max und vertreibt das Software-Package Max/MSP (mit späteren Erweiterungen) seither äußerst erfolgreich als zentrales Hauptprodukt seiner Firma, und
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zwar zuerst ausschließlich eingerichtet für das Macintosh-Betriebssystem, später auch für Windows: »The goal of MSP was to help bring to a wider audience what was until recently a relatively inaccessible technology. The two ways this was accomplished were to use a commonly available hardware and software platform, and through careful refinements to the user interface design, documentation, and supporting materials.«145 Dabei stellt Cycling74 jedoch weitaus mehr als nur den verwaltungstechnischen Rahmen zum kommerziellen Vertrieb der Software dar. Als einer der wenigen auch offline organisierten Fixpunkte der Community erscheint die Firma (mit Sitz in San Francisco) ebenso als Entwicklungszentrum zur In-formation von Max, womit sich wiederum Parallelen zur IRCAM-Family ergeben, auch wenn das relativ feste Team um Zicarelli über den gesamten Globus verteilt ist und dementsprechend auch innerhalb wesentlich weiträumigerer, off- und online organisierter Strukturen agiert.146 Cycling erscheint dennoch als die zentrale Plattform eines begrenzten Arbeitskollektivs, welches der Community vorarbeitet und somit schließlich richtungweisend die produktionsästhetischen Schwerpunkte der soft-technologischen Weiterentwicklung vorgibt. Im Gegensatz zu Pd, wo diese Setzungen von der gesamten Community getragen werden (können), entscheidet hier zunächst eine kleine Gruppe von Insidern über grundsätzliche Entwicklungsprozesse, deren Resultate anschließend für den einzelnen User zum Teil unveränderbar feststehen, da sie auf einem verschlossenen und Copyright-geschützten Quellcode basieren (ein Umstand, der Anhängern freier Software als gänzlich inakzeptabel erscheint). Mit MSP knüpft Zicarelli direkt an den Vorarbeiten FTS bzw. Pd an – »It [MSP] is based on ideas from MAX/FTS […] and incorporates software from Puckette’s cross-platform Pd […]«147 – so dass die Bezeichnung MSP nicht nur auf die funktionale Ausrichtung der Software, sondern ebenso auf deren Spiritus Rector (Miller Smith Puckette) verweist.148 Erste Erfah145 | David D. Zicarelli, An Extensible Real-time Signal Processing Environment For Max, ICMC Proceedings 1998, S. 463 146 | »The Company […] has approximately 20 employees and consultants worldwide.« http://cycling74.com/company/people 147 | Zicarelli 1998, S. 463 148 | »The name MSP was suggested by Christopher Dobrian […]. MSP referred to ›Max Signal Processing‹ and also happened to be Miller’s initials.« David Zicarelli,
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rungen mit FTS macht Zicarelli bereits 1993 am IRCAM, wo er als Chercheur 149 an der Einrichtung von Max/FTS für den Macintosh-Computer arbeitet: »The origin of MSP was the signal processing additions to Max that were part of the ISPW project at IRCAM. […] After being unable to reach agreement with IRCAM about licensing their software for a personal computer implementation, I decided to start over and base a new design on Miller Puckette’s new Pd software. This turned out a better solution […].«150 Verglichen mit Pd ist die Anlage von Max/MSP ebenso »designed to be extended«151, auch wenn sich die Extensionsmöglichkeiten auf das Patchen von Abstractions bzw. das Programmieren von Externals beschränken, während die Ebene des Programmcodes dem Gros der Anwender verschlossen bleibt. Die mögliche Einflussnahme der Gesamt-Community findet ihren Niederschlag vor allem in einer, auf Objekt- oder Applikationszusätzen basierenden, funktionalen Vielfalt, welche gemäß dem verschiedenartigen User-Background aus technischen oder künstlerischen Motiven resultiert.152 Darüber hinaus steuert der Anwender die Software-Ausrichtung auch auf indirektem Weg, da die auf Firmenebene getroffenen Entscheidungen bezüglich weiterer Entwicklungsprozesse zum Teil vom jeweiligen Konsumverhalten (von den Bedürfnissen und Ansprüchen) der potentiellen Kundschaft abhängen: »Making MSP more powerful requires that we look at the needs of people who are encountering the system for the first time in addition to those who have used it
MSP Learns to Ride a Bike, 2005, http://cycling74.com/category/articles/ page/14 149 | Vgl. Rapport d’Activité, IRCAM 1993, S. 49 150 | David Zicarelli, MSP Learns to Ride a Bike, 2005, http://cycling74.com/ category/articles/page/14 151 | »The commercial version of Max/MSP that I work on is not open-source. But it is not entirely closed either, because […] it is designed to be extended.« Zicarelli 2002, S. 48 152 | Unter dem Stichwort Roles Within a Community schreibt Zicarelli: »All of these activities represent different ways of completing the system, but in a sense, even a fully realized composition is incomplete within the context of the community, serving as an inspiration to others to create new works.« Zicarelli 2002, S. 48-49
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for the past decade (or longer). The problems are as much cognitive as they are technological […].«153
Die kollektive Praxis setzt somit auch hinsichtlich Max/MSP ausschlaggebende Impulse zur (direkten oder indirekten) In-formation des Environments. Ein wesentlicher Unterschied zu den In-formationsmechanismen der freien Software-Bewegung (um Pd) liegt allerdings in der geschäftsbedingten Zielsetzung der Weiterentwicklung durch die Company: Während innerhalb der nichtkommerziellen Produktion ausschließlich der künstlerische Ausdruckswille, die Originalität oder die Funktionalität innovativer Ansätze im Vordergrund stehen, kommen bei einer Firma wie Cycling74, welche den Konditionen des Marktes unterliegt, wirtschaftliche Aspekte wie Konkurrenzfähigkeit oder Rentabilität hinzu, so dass eben auch eine entsprechend massenkompatible Ware produziert werden muss, deren Verkäuflichkeit den Fortbestand des Unternehmens sichert. Aus Sicht der User erscheint der in-formierende Handlungsraum hiermit zunächst erheblich eingeschränkt, obwohl schließlich auch die ›Diktatur des Marktes‹ (neben dem Cycling-Team und der übrigen Community) als ein weiterer Produktionsfaktor angesehen werden kann, welcher jenseits vom ›Gut und Böse‹ der Kulturindustrie-Debatte durchaus progressiv in die Formatierung der Software hineinspielt. Mit der bereits 1991 erfolgten Einführung von Max-Play, dem heutigen Max-Runtime, wird auch innerhalb der kommerziellen Entwicklungslinie eine kostenfreie Software zur Verfügung gestellt, welche es ermöglicht, zunächst in Opcode-Max, später auch in Max/MSP verfasste Arbeiten zu nutzen, ohne vorher die kostenpflichtige Stamm-Software erwerben zu müssen.154 Allerdings ist eine solche Anwendung in der Regel mit erheblichen Einschränkungen verbunden, da die auf diesem Wege (ohne den eigentlichen Programmsupport) verwendeten Patches als Standalone Applications zumeist unveränderlich fixiert und somit ausschließlich in der vorgegebenen Weise spielbar sind. Dennoch repräsentiert auch diese Ausrichtung bis zu einen gewissen Grad die in den neunziger Jahren verstärkt aufkommenden Kommunikations- und Produktionsmechanis153 | David Zicarelli, MSP Learns to Ride a Bike, 2005, http://cycling74.com/ category/articles/page/14 154 | Vgl. Product Announcements, Opcode Systems New Music Software for Apple Macintosh Computers, in: Computer Music Journal, 15:1, Spring 1991, S. 81
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men, welche mittlerweile unter dem Begriff File Sharing (via Internet oder LAN) subsumiert werden.155 Eine vergleichbar kollektivierende Wirkung geht von der auf der Cycling-Webseite bereitgestellten Toolbox aus – einer Einrichtung zum Upbzw. Download von Max-Instrumenten.156 Darüber hinaus lässt gerade die umfangreiche Dokumentation der Seite (Berichte, Interviews, Mailing-Forum etc.) die aktuelle Komplexität und Vielseitigkeit des gesamten Handlungsraums erkennen, welcher schließlich auch auf dem Zusammenspiel von Community und Cycling74 basiert. Was speziell die CyclingLeistung anbelangt, so wäre hier neben der verkaufstechnischen Kommunikation der Hauptprodukte beispielsweise auf das hauseigene Label C74157 zu verweisen, welches ausschließlich mit Max realisierte Produktionen publiziert. Außerdem unterstützt die Company seit Jahren weltweit eine Fülle an Bildungsprogrammen (Workshops, Seminare etc.) zum Thema Max,158 was sich u.a. auch in diversen finanziellen Vergünstigungen (academic discounts o.ä.) beim Erwerb der Software durch Studenten, Universitäten oder anderen Lehreinrichtungen niederschlägt. Gemäß dem Firmennamen Cycling entspricht der hiermit geförderte Austausch von Daten und Max-basierten Arbeitsmaterialien insgesamt schließlich einer zwischen Kunst- und Technikentwicklung zirkulierenden Produktionspraxis, deren Kollektivkraft vor allem mit dem beständigen Re-Cycling der verschiedenen Produktionsmittel über die entsprechenden Kanäle der Community (vgl. II.3.3 und II.3.4) zunimmt.
155 | Auf der Community-Page der Cycling-Webseite befindet sich die entsprechende Option Cycling‘74 Share: »We’re working on a better way for people to share files with one another.« http://cycling74.com/share.html 156 | http://cycling74.com/?post_type=toolbox 157 | »This label brought to you by Cycling‘74 is devoted to works by artists […] who use Cycling‘74 software technology to make astounding music and art.« www. cycling74.com/products/c74music 158 | www.cycling74.com/learnmax
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II.3.3 Re: [maxmspd] Re: Re: Re: Max-mailing-lists Die unter II.3.3 und II.3.4 behandelten Gegenstände – die Max-MailingListen und das Max-basierte Bibliothekswesen – stellen im Kontext dieses ersten Hauptteils insofern eine Ausnahme dar, als dass hier insbesondere die in-formierenden Raumstrukturen im Zentrum stehen, während ansonsten von La version non graphique bis zu Max for Live jeweils der Prozess der In-formation bzw. das in-formierte Produkt selbst zentral erscheint. Eine erste Heimat findet die Max-Mailingliste Mitte der Neunziger in Montreal, wo sie über den Server der McGill-University läuft: »The MAX list moved to McGill University’s Faculty of Music early in 1994 and was subsequently transferred to a list server machine at McGill’s Computing Centre. This mailing list averages a membership of more than 200 and discusses everything from simple user question to the development of custom objects.«159 Als Administrator fungiert in dieser frühen McGill-Periode Christopher Murtagh, dessen Geschick in diesem Zusammenhang ebenso wie das der Liste selbst aufs engste verknüpft ist mit der Net-ArtPersonage Netochka Nezvanova (NN) – einem bislang anonym gebliebenen Künstler (oder Künstlerkollektiv), welcher neben einer innovativen (zum Teil Max-basierten) Software-Programmierung (vgl. II.3.5) vor allem durch seine radikal-anarchistische, künstlerisch und politisch motivierte Online-Performance über die Max-Szene hinaus zu einem Mythos der digitalen Kunstwelt avanciert: »[…] Netochka’s greatest contribution to art may not be her software, but her posts. Netochka’s medium is the online mailing list. Posting as ›antiorp‹ and, more recently, ›integer‹, she capriciously takes over technical and artistic discussions in forums […].«160
159 | Jason D. Vantomme, Electronic Resources for Computer Music, in: Computer Music Journal, 18:4, Winter 1994, S. 8 160 | Katharine Mieszkowski, The most feared women on the internet, Netochka Nezvanova is a software programmer, radical artist and online troublemaker. But is she for real? http://dir.salon.com/story/tech/feature/2002/03/01/netochka/ index.html, S. 2 von 4
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Tatsächlich entspricht die hier praktizierte digitale Teilnahme vielmehr einer aggressiven Übernahme,161 wobei verschiedenste Listen von NN (unter wechselndem Pseudonym) täglich mit duzenden von Texten überflutet werden, welche formal und inhaltlich Aussagen transportieren, die sich zumeist überaus provokant und zugleich kryptisch, verschiedene Sprach- und Zeichensysteme mischend (English+, ASCII), sowohl auf die eigenen Arbeiten als auch auf allgemeine (In-)Fragenstellungen der Kunstästhetik und der Kulturindustrie beziehen: »dze b!t revolut!on […] j’en ai marre de la sym=E9trie […] m9ndfukc++ eczper!ment […] 1 c!v!l!zd eRR.or […] 1 melankol! spektakl […] oppoz!t!ion 2 dze maxforum lo.tekk democracy […].«162 Auf der McGill-Liste führt der Unmut über dieses massive Agieren nach lebhaftesten Diskussionen schließlich dazu, dass NN am 20.02.1999 von der Liste ›verbannt‹ wird. Daraufhin richtet sich dessen gesamte Schreibwut u.a. gegen Christopher Murtagh persönlich, welcher mit Spam-Post traktiert und in der Netz-Öffentlichkeit als Faschist ( fasc!zt zlave) diffamiert wird, so dass dieser sich gezwungen sieht, seine administrative Web-Präsens innerhalb der Community einzustellen. Die Liste schließt 1999. Dieser Vorgang wiederholt sich (wenn auch mit anderem Ausgang), nachdem David Zicarelli im Jahr 2000 beschließt, die Liste in Anbindung an Cycling74 weiterzuführen. Als Auslöser des erneuten Konflikts zwischen der Liste bzw. dem Listenbetreiber und NN gilt diesmal allerdings ein Urheberrechtsstreit – NN publiziert 1999/2000 die Copyrightgeschützte und kostenpflichtige Software Nato.0+55 (vgl. II.3.5), einem auf Max/MSP basierenden Environment zur Videoverarbeitung.163 Als sich dann ab 2001 die Cycling-Publikation von Jitter (vgl. II.3.5) – dem ebenfalls zur Videoverarbeitung bestimmten Programmzusatz von Max/MSP – abzeichnet, ist der Eklat perfekt; NN bezichtigt Cycling des Plagiats und protestiert auf seine Art gegen die vermeintliche Kriminalität der Com161 | Die zum Teil schon qualvoll zu nennende Auseinandersetzung verschiedenster Listen mit NN bzw. Antiorp ist teilweise nachzulesen unter: www.mirror service.org/sites/music.calarts.edu/pub/SoundHack/mailinglist/1999 162 | Netochka Nezvanova, www.mirrorservice.org/sites/music.calarts.edu/ pub/SoundHack/mailinglist/1999 163 | Rechtlich gesehen stellt es bis dato kein Problem dar, in Max verfasste Abstractions, Externals oder größer angelegte Applications profitabel zu veräußern.
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puter-Kulturindustrie, woraufhin 2001 ein zweiter Listen-Ausschluss erfolgt.164 Der Liste selbst tut dieser Zwist diesmal jedoch keinen Abbruch. Sie besteht noch bis zum 20.02.2009 als tatsächliche E-Mail-Liste und läuft seither ausschließlich als Web-Forum über die Webpage von Cycling74 (bereits seit 2006 existiert die Liste als Mischform aus Forum und Mailing-Liste). Unter http://cycling74.com/forums sind die einzelnen Beiträge ihrem Inhalt gemäß nach verschieden Themenschwerpunkten (Max/MSP, Jitter etc.) geordnet und archiviert. Bezüglich der aktuellen (24.02.2012) Anzahl an Forum-Usern schreibt Zicarelli: »We have 41,361 people registered as users, but some of these are duplicates, and some are robots.«165 Mit der Liste 55 hat sich bereits im Jahr 2000 eine Alternative formiert, welche im Anschluss an den weltweit ersten Nato.0+55-Workshop am BEK (Bergen Senter for Elektronisk Kunst) von Trond Lossius betreut wird.166 Als Nato-Autor fungiert NN hier als ›Ehrengast‹ und beteiligt sich als solcher wesentlich angepasster an der öffentlichen Diskussion, die sich bald über die Software hinaus auf den gesamten Themenbereich der digitalen Produktion erstreckt.167 Quantitativ bleibt die Listenaktivität jedoch vergleichsweise gering und kommt streckenweise gänzlich zum Erliegen. Wesentlich erfolgreicher verläuft demgegenüber die Entwicklung der zweiten großen Email-Liste, über welche die Pd-Gemeinde kommuniziert. Seit ihrem Beginn im Januar 1998 wird die Liste von der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz betreut. Dabei existieren neben der eigentlichen Pd-list fünf weitere Listen deren Inhalte Pd-spezifische Gegenstandsbereiche betreffen: Pd-announce (announcements for Pd), Pd-cvs (information on commits to the Pd-cvs), Pd-dev (Pd developer’s list), Pd-ot (of topic discussions for the Pd-community), Pd-web (Pd website development). Darüber hinaus besteht die Verbindung zur Liste GEM164 | Vgl. David Zicarelli’s Schreiben auf der Cycling-Liste vom 13. 01. 2001 (Subject: it’s over): »We have removed the user ›netochka nezvanova‹ from the Max/MSP community discussion site. […].« www.nettime.org/Lists-Archives/ nettime-I-0101/msg00100.html 165 | David Zivarelli, Zit. aus persönlicher E-mail-Korrespondenz, 24.02.2012 166 | http://plot.bek.no/55 167 | Vgl. Golo Föllmer, Netzmusik, Elektronische, ästhetische und soziale Strukturen einer partizipativen Musik, Hofheim 2005, S. 78
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dev, wo hauptsächlich Entwicklungen zu GEM (Graphical Environment for Multimedia), dem Pd-Support zur Bild- und Videoverarbeitung (vgl. II.3.5) thematisiert werden.168 Außerdem werden Links zu nicht Pd-spezifischen Listen wie der von Microsound169 angeboten, so dass der User die Möglichkeit hat, diverse Schaltungen in den über Pd hinausreichenden Kommunikationsraum zu tätigen. User, die sich von diesem Informationsfluss überfordert fühlen – an einem beliebigen Tag wie dem 17.09.2010 sind allein auf der Pd-list 75 Posteingänge zu verzeichnen – können die ForumVersion170 nutzen, um sich dort je nach Interesse in die Diskussion einzuschalten. Aktuell (01.03.2012) sind auf allen angeführten Pd/GEM-Listen insgesamt 4193 User registriert, wobei allerdings ca. 1600 Adressen als unzustellbar (delivery disabled) gelten.171 Im Rahmen der Publikation zur ersten offiziellen Pd-Convention (Graz 2004) schreibt Andrea Mayr hinsichtlich der Bedeutung der Liste: »Beyond the engagement in solving purely technical problems, a great potential for identification with the group thus arises, which as a motivational factor ultimately has an impact on (artistic)production with Pd.«172 Dementsprechend sind hier vor allem drei Bedeutungsfaktoren auszumachen, welche über Pd hinaus die Gesamtheit der Max-Mailinglisten betreffen: die Listen fördern die Identifikation mit der Community, sie tragen bis zu einem gewissen Grad zur technologischen Weiterentwicklung der Software bei und haben damit schließlich ebenso Einfluss auf verschiedene Aspekte der Kunstproduktion. Allerdings steht die Reflexion technologischer Vorgänge im Vordergrund, wobei die einzelnen Beiträge von Anfängerfragen bis hin zur Kommunikation von spezifischen Problemkomple168 | http://lists.puredata.info/listinfo 169 | »Microsound presents itself as a forum for the discussion and exploration of a more general ›digital aesthetic‹ manifesting across a wide variety of styles and disciplines – from academic computer music to post-industriel noise to experimental ambient and post-techno.« http://microsound.org 170 | http://puredata.info/community/forums 171 | Vergleicht man diese, von Johannes Zmölnig, dem derzeitigen Pd-Listenbetreuer, stammenden Zahlen mit denen von Andrea Mayr, die im August 2005 1078 aktive Listen-User registriert, so ist hier ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen. Vgl. Andrea Mayr, Pd as Open Source Community, in: Zimmer 2006, S. 36 172 | Ebd. S. 34
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xen reichen. Die kollektive Unterstützung funktioniert erfahrungsgemäß relativ verlässlich; auf die meisten Anfragen gehen postwendend zum Teil schon nach wenigen Minuten sachdienliche Lösungsvorschläge ein, deren Lektüre auch für dritte durchaus interessant und inspirierend sein kann. Neben veranstaltungstechnischen Hinweisen (Werbung in eigener Sache wird nur in beschränktem Maße geduldet) oder entsprechenden organisatorischen Ansagen in Sachen Max (Ankündigungen bzw. Besprechungen der neuesten Max-Versionen o.ä.), entwickeln sich außerdem immer wieder auch umfangreichere Debatten, die über das Technologische hinaus ästhetische oder gar kulturpolitische Gegenstandsbereiche betreffen. So geht es beispielsweise im Zusammenhang mit der NN-Affäre ausführlich um Begrifflichkeiten wie Autorschaft oder Redefreiheit, welche insbesondere vor dem Hintergrund digitaler Produktionsverfahren (erneut) fragwürdig erscheinen. Gerade die kulturelle Praktik des Urheberrechtsschutzes sorgt immer wieder für Diskussionsstoff. So lösen beispielsweise die vermeintlich illegal im Netz kursierenden Max-Patches des britischen Elektro-Duos Autechre eine wochenlange Diskussion aus, in der verschiedenste Positionen zwischen grundsätzlich freiem Informationsfluss und dem konsequenten Rechtsschutz von geistigem Eigentum zur Sprache kommen (»As great as open-source/sharing is, some things should be kept secret.«173). Als Kommunikationsgrundlage der Community beeinflusst die mit den Listen etablierte Struktur die Software-Entwicklung, indem vor allem die Vielfalt an kommunizierten Inhalten zur multidirektionalen Funktionsausrichtung des Environments beiträgt. Dabei zeigt sich einmal mehr, wie die Produktion von Max (ebenso wie die Anwendung bzw. die Max-basierte Projektrealisation) im Grunde immer da, wo sie sich tatsächlich Max-spezifisch gestaltet, als Kollektivleistung erscheint.
II.3.4 w w w.maxobjects.com/libraries/rtc-lib Als eine weitere für die In-formation von Max bedeutende Manifestation des Handlungsraums gilt das mittlerweile äußerst komplexe, digitale Bibliothekswesen der Community. Einen angemessenen, auch für die tatsächliche Praxis relevanten Einstieg in die Problematik gewährt das Web-Portal 173 | Email, Gesendet: Mittwoch, 28. Mai 2008, 22:13:49, von: Wade, an: [email protected], Betreff: Autechre Patch
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Max-Objects-Database (MOD), welches 2003 von Mathieu Chamagne und Lê Quan Ninh gegründet und bis heute betreut wird, um die bereits zum damaligen Zeitpunkt beinahe unübersehbare Masse an im Netz kursierenden Max-Objekten oder Objektsammlungen in einem umfassenden Ordnungsgefüge zu präsentieren. Dementsprechend stellt MOD schließlich eine Art Hyper-Library dar, welche unter ihrem Dach weitere Bibliotheken bzw. deren Objekte via Web-Link-System verwaltet: »This site is designed to find objects, patches, applications, etc… from Max universe (Max/ MSP, Jitter,…). Just as an indication, some objects are listed to be available on Pure Data as well. If you register, you could add objects, libraries, comments and news. You could edit or delete the data you added.«174 Das Upload von Daten setzt also eine Registrierung voraus, nach welcher aktuell (23.02.2012) 4776 Mitglieder verzeichnet sind, die als MaxUser bzw. Entwickler die von ihnen verfassten und in der Regel nach bestimmten Themenbereichen sortierten Objektsammlungen zur weiteren Verwendung bereitstellen. Dabei handelt es sich zu diesem Zeitpunkt um 4258 Objects und 125 Libraries, von denen im Folgenden die Real-TimeComposition-Library (RTC-Lib) des österreichischen Komponisten Karlheinz Essl (vgl. III.5.1) eingehender beschrieben werden soll. Über MOD, wo bereits erste Grundinformationen (bezüglich Betriebssystem, Funktion etc.) sowohl zu den Libraries als auch zu den einzelnen Objekten mitgeteilt werden, erfolgt dann die entsprechende Verlinkung mit dem gewünschten Objekt oder der Objektsammlung. Das eigentliche Download erfolgt somit nicht direkt auf MOD, sondern auf der Seite des jeweiligen Anbieters. Im Falle der RTC-Lib wäre dies die Seite www.essl.at/ software.html, auf welcher Karlheinz Essl seine Softwareprodukte anbietet. Die RTC-Lib ist eine der ältesten, wenn nicht die älteste Sammlung von Max-Objekten (Max/MSP, Jitter und Pd), welche extern bzw. parallel zur offiziellen, mit dem Erwerb der Software verbundenen Objekt-Kollektion, existiert. Der Grundstein dafür wurde von Essl während der Arbeit an den Stücken Entsagung (IRCAM 1991-1993) und Lexikon-Sonate (1992 ff) gelegt. Seither wird die Anlage beständig ausgebaut und den neu erscheinenden Max-Versionen angepasst.175 Hinsichtlich der funktionalen Ausrichtung der Lib schreibt Essl: 174 | http://maxobjects.com 175 | Vgl. RTC-Lib 5.0 (freeware, copyleft) für Max5, released: 10. Januar 2010, www.essl.at/works/rtc.html oder www.essl.at/software.html
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»This software library […] offers the possibility to experiment with a number of compositional techniques, such as serial procedures, permutations and controlled randomness. Most of these objects are geared towards straightforward proceessing of data. By using these specialized objects together in a patch, programming becomes much more clear and easy. Many functions that are often useful in algorithmic composition are provided with this library – therefore the composer could concentrate rather on the composition than the programming aspects.«176
Die RTC-Lib besteht größtenteils aus Abstractions und einigen wenigen Externals, welche allerdings nicht alle von Essl selbst, sondern u.a. von Peter Elsea (Lobjects zur Manipulation von Listen), Gerhard Eckel, Serge Lemouton oder James McCartney stammen. Die einzelnen Objekte sind dann entsprechend ihrer Funktion verschiedenen Kategorien zugeteilt, die auf der Frontpage der Lib im Überblick präsentiert werden. Abbildung 8: RTC-Mainpatch
Per Mausklick auf die entsprechende Kategorie begibt man sich hypertextartig durch die Lib hindurch zum gewünschten Objekt. Hier beispielsweise über die Kategorie Chance zum Objekt alea. 176 | Karlheinz Essl, www.essl.at/works/rtc.html
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Abbildung 9: Chance-Patch
Abbildung 10: Alea-Patch
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Eine weiterführende Spielart der Max-Library ist die tomLib von Thomas Seelig, welche sich momentan allerdings noch im Auf- bzw. Umbau befindet und von daher auch noch nicht auf der MOD vertreten ist.177 Verglichen mit der RTC-Lib besteht Seeligs Neuansatz vor allem darin, komplexe Max-Applikationen, das heißt großformatige und funktionsspezifische Vorlagen zur Verfügung zu stellen, die es dem User ermöglichen, in kürzester Zeit ebenso komplexe Aufgabenfelder zu bearbeiten. Im Gegensatz zur RTC-Lib, die eher auf Einzelobjekten basiert, kann hinsichtlich der tomLib von einer grundsätzlichen Applikations-Orientiertheit gesprochen werden, wobei eine Applikation in diesem Zusammenhang einem spezifischen Funktionskomplex aus Abstractions oder Externals entspricht (im Grunde baut hier immer eins auf dem anderen auf): »Many years of programming audio applications for concerts and live performances with the Max/MSP environment had shown that it would be nice to have a library of modules to speed up the development of new patches. The experience tells that some tasks are necessary for nearly every non trivial patcher (like organizing the succession of effects in a performance, saving and loading settings, manage soundfiles and samples). For all these tasks elementary Max/MSP objects exist, but it is boring to start all over again for each new project to realize. […] This is how tomLib came to its realization. tomLib is a framework mainly built with objects of the standard distribution of Max/MSP plus some third party externals to simplify special tasks.«178
In gewisser Weise wird hiermit die von Essl hinsichtlich der RTC-Lib formulierte Funktionsbestimmung, die besagt, dass durch den Gebrauch der Bibliothek the composer could concentrate rather on the composition than the programming aspects, radikalisiert.179 177 | Download unter http://homepage.mac.com/thomas.seelig/TheSite/index. html 178 | http://homepage.mac.com/thomas.seelig/TheSite/tomLib-EN/About/ About.html 179 | Eine weitere Library-Art, welche allerdings den Max in-formierenden Produktionskomplex kaum mehr betrifft und eher als reines Archiv fungiert, wäre die auf Max basierenden Sound-Library Cycles – »a 4-volume series of audio source libraries which were produced and curated by Sound Library pioneer Ron MacLeod.« http://cycling74.com/products
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Anders als die Mailing-Listen stellen derartige Libraries oder vielmehr deren Inhalte zunächst einen in-formierten Teil der Software dar. Erst mit der Anwendung der Bibliothek als einer Art Datenumschlagplatz wird der weitere In-formationsprozess fortgesetzt. Dies geschieht in der Regel eingebunden in die künstlerische Produktion, wobei einzelne BibliotheksObjekte ihrer Funktion gemäß in verschiedenen Produktionszusammenhängen aufgehen. Diesbezüglich schreibt Essl mit Blick auf die RTC-Lib: »Regardless of the fact that this library was conceived for a particular project [vgl. III.5.1] it became more and more obvious that its functionalities are open and generic enough to be used by other composers in different compositional contexts.«180 Die hierbei zum Teil umformulierten, neu kontextualisierten Objekte werden dann häufig wieder über das Bibliothekswesen in den öffentlichen Gesamtkomplex re-investiert, so dass der beständige Rückfluss von Max-Objekten schließlich als indirekte In-formation der Software erscheint, da es in erster Linie darum geht Kunst zu schaffen, deren Realisation jedoch ebenso von der Software abhängt wie diese von der künstlerischen Praxis. Diese kollektiven Produktionsvorgänge spiegeln sich in den einzelnen Bibliotheken wider. So ist die RTC-Lib, wie zahlreiche andere Libraries auch, als Gemeinschaftswerk zu betrachten, da sie Abstractions und Externals von verschiedenen Autoren beinhaltet, wobei insbesondere die Abstractions wiederum auf vorgefertigten Objekten basieren etc. Somit verdeutlicht gerade das Bibliothekswesen die kollektiven Grundzüge der gesamten, sowohl die Technik- als auch die Kunstproduktion betreffende Max-Praxis, da gerade im Umgang mit diesen Strukturen gezielt auf die verschiedensten Autoren zurückgegriffen wird, womit der Prozess der kollektiven Autorschaft zumindest bis zu einem gewissen Grad transparent und nachvollziehbar bleibt.
II.3.5 GEM, Nato.0+55 und Jitter Die bereits beschriebenen soft-technologischen Extensionen FTS und MSP stellen bereits erste Ausdifferenzierungen dar, welche den ursprünglichen Funktionsbereich des Event-Processings um den des Signal-Pro180 | Karlheinz Essl, Lexikon-Sonate, An Interactive Realtime Composition for Computer-Controlled Piano, in: Musik im virtuellen Raum, hg. von Bernd Enders und Joachim Stange-Elbe, Osnabrück 2000, S. 313
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cessings erweitern. Mit der zunehmenden Öffnung des Max-Raums setzt sich dieser Prozess fort, so dass die Anwendung der Software mittlerweile gemäß der in-formierenden Raumpraxis nahezu uneingeschränkt alle Funktionsbereiche der Computer-basierten Kunstproduktion betrifft: »The beauty of an extensible toolkit is that whatever functions the core system does not offer can be fabricated.«181 Als bedeutendste Domaine dieser Neuausrichtungen gilt dabei die digitale Bild- und Videoverarbeitung (in real-time), welche sich Max-technisch vor allem an drei, mehr oder minder unabhängig voneinander entwickelten Arbeiten festmachen lässt: GEM, Nato.0+55 und Jitter.
GEM »In 1995, Mark Danks started developing GEM […], which has matured into a threedimensional graphical rendering extension to Pd now maintained by Johannes Zmölnig.[182] Other unrelated extensions to Max/MSP and Pd are available which deal in various ways with video. Thus, the Max programs are now addressing visual as well as audio domains.«183 Zu ergänzen wäre hier allerdings, dass sich dieser erste Schritt in Richtung Videoverarbeitung noch im Zusammenhang mit ISPW-Max/FTS vollzieht und dementsprechend auch zunächst unter der Bezeichnung Graphics Environment for Max (GEM) behandelt wird.184 Erst ab 1997 wird daraus dann das Graphics Environment for Multimedia – eine Objektsammlung (in C++), welche seither als »an integral part of Pd«185 die Bild- und Videoverarbeitung mit Pd ermöglicht. Dabei stützt sich GEM auf das Plattform-unabhängige System OpenGL – Open Graphics Library – einer Standard-Softwarespezifikation zum programmieren von Applikationen, die wiederum 2D- und 3D-Graphiken ermöglichen: »Because OpenGL is a 181 | Jeremy Bernstein, A discussion of NATO+3d modular (2001), www.boots quad.com/old _site/nato/nato00.html, S. 18 von 20 182 | Neben Mark Danks und Johannes Zmölnig sollen an dieser Stelle auch die GEM-Entwickler Chris Clepper, Cyrille Henry, Günter Geiger und James Tittle zumindest erwähnt werden. 183 | Puckette 2002 (a), S. 35 184 | Vgl. Mark Danks, The Graphics Environment for Max, ICMC Proceedings 1996, S. 67 ff 185 | Mark Danks, Real-time Image and Video Processing in GEM, ICMC Proceedings 1997, S. 220
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standard which exists on many different computer platforms, GEM can be ported to any operating system which supports OpenGL.«186 Abbildung 11: Pd/GEM-Patch
Die mittlerweile auf über 200 Externals angewachsene Extension kommt heute als open-source Freeware automatisch mit dem Download von Pdextended187 oder kann separat unter http://gem.iem.at erworben werden. Die offen-extensible Ausrichtung von GEM entspricht dabei (Pd-gemäß) dem Max-Paradigma, so dass nach der Initialleistung durch Mark Danks wiederum die gesamte Community über die entsprechenden Extensionsmechanismen an der Weiterentwicklung des Environments beteiligt ist. Das hierfür grundlegende Zusammenspiel aus Kunstschaffen und Software-Entwicklung wird bereits mit dem ersten Projekt – dem Global Visual Music Project von Miller Puckette, Vibeke Sørensen und Rand Steiger (1997-1999) – deutlich, innerhalb welchem die Realisation von Pd/GEM in unmittelbaren Zusammenhang mit den Performance-Experimenten Lemma I und Lemma II geschieht (vgl. III.4.1).
186 | Ebd. S. 220 187 | http://puredata.info/downloads
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Nato.0+55 Die bereits unter II.3.3 beschriebene Net-Art-Personage Netochka Nezvanova (NN) ist neben ihren anarchistischen Web-Auftritten ebenso für eine grenzüberschreitende Softwareprogrammierung bekannt, welche sowohl auditive als auch visuelle Elemente vereint in Szene setzt. So ist Nebula. m81 ein in der Programmiersprache Java verfasstes Programm, welches sich durch die verschiedenen Datenformate des Internets gewissermaßen hindurcharbeitet (URL synthesis) und diese gleichzeitig in Sound und entsprechende visuelle Ausformungen umrechnet.188 Fortgesetzt wird diese Konzeption mit dem auf Max basierenden Programm Nato.0+55: »Nebula.m81 […] research continues with NATO.0+55 […], an Internet, audio, video, VR, 2-D, and 3-D graphics environment for the IRCAM/Opcode Max programming language […].«189 In einer der ersten öffentlichen Publikationsanzeigen, die NN (zum Teil auch unter den Bezeichnungen m9ndfuke oder 0f0003.MASCHIN 3NKUNST agierend) für Nato.0+55 via Internet schaltet, heißt es auf der Pd-mailing-list am 21. Juni 1999: »[…] nato.0+55 is a max object one is not limited to one centralized control structure – one is invited and may combine multiple objectz for increased/decreased complexity and/or flexibility.«190 Nato ermöglicht speziell dem Max/MSP-User den Umgang mit jeder Art von QuickTime-Medien (Video, Bild, Sound, QuickDraw etc.) auf der Macintosh-Plattform. Jeremy Bernstein, einer der maßgeblichen Jitter-Entwickler, stellt in einer von ihm geführten discussion of NATO+3d modular (vs. Nato classic) die Frage »What can you build with it?« und führt anschließend einige Beispiele auf – »VJ control environment: […] NATO as a platform for live video performance […]. Sound to visual processor: […] NATO to trigger or alter images (or generate images on the fly) in response to the sound. Live video processor: Incoming video data […] can be manipulated and then displayed on any connected monitor or saved to disk.«191 Im Gegensatz zu GEM ist Nato kostenpflichtig und Copyright-geschützt, was allerdings die Weiterentwicklung der Anlage durch den User 188 | Vgl. Föllmer 2005, S. 113 f 189 | Netochka Nezvanova, The Internet, A Musical Instrument in Perpetual Flux, in: Computer Music Journal, 24:3, Fall 2000, S. 41 190 | http://lists.puredata.info/pipermail/pd-ot/1999-06/000044.html 191 | Jeremy Bernstein, A discussion of NATO+3d modular (2001), www.boots quad.com/old _site/nato/nato00.html, S. 2 von 20
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in Form von Objekt-Addition nicht einschränkt. Im Vorfeld der JitterPublikation kommt es jedoch zu einem, insbesondere die Urheber- und Verwertungsrechte betreffenden Konflikt zwischen Cycling74 und NN, der zur Folge hat, dass die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Nato bereits 2001 gänzlich zum Erliegen kommen. Dennoch hat die Software auch innerhalb dieser kurzen Zeitspanne einen relativ umfangreichen und vor allem erfolgreichen User-Kreis aufzuweisen. Erwähnenswert wären hier u.a. die 242.pilots (Kurt Ralske, HC Gilje, Lukasz Lysakowski), einem Ensemble für Live-Video-Improvisation, welches auf der Transmediale 2003 in der Kategorie Image ausgezeichnet wird für die zum Großteil mit Nato realisierte Videoperformance-DVD Live In Bruxelles (2002).192
Jitter Mit Jitter (2002) publiziert dann auch Cycling eine Extension zur Videoverarbeitung, deren Anlage maßgeblich gestaltet ist durch die Autoren Joshua Kit Clayton, Wesley Smith, Jeremy Bernstein, Derek Gerstmann, Randall Jones oder Luke DuBois,193 welche als Cycling-Programmierer im Vorfeld der weiterführenden Extensionsmöglichkeiten durch die Community die Grundausrichtung der Software vorgeben. In einer Werbeanzeige wird Jitter folgendermaßen angekündigt: »Cycling‘74 has released the first version of Jitter, a set of […] objects for the Max/ MSP graphical programming environment. Jitter 1.0 provides object-oriented modularity in graphics processing applications. It comprises a set of 133 new objects for describing and manipulating matrix data [194] […]. It is useful for real-time video processing, custom effects, 2D/3D graphics, audio/visual interaction, data visualization, and analysis.«195 192 | Bereits der Name 242.pilots fungiert hier als Verweis auf die Arbeitsgrundlage Nato, deren Objektbezeichnungen alle mit dem Präfix 242 beginnen. 193 | Vgl. Max5, Version 5.0.3, About Max 194 | Jitter basiert auf dem multidimensionalem Daten-Präsentationsformat der Matrix: »A matrix is a grind, with each location in the grind containing some information. For example, a chess board is a matrix in which every square contains a specific item of information […].« Max-Version 5.0.3, Jitter/Tutorials/Topics, zur Frage What is a Matrix? 195 | Products of Interest: Cycling‘74 Jitter 1.0 Video/Matrix/3D Graphics Processing Extension to Max/MSP, in: Computer Music Journal, 27:1, Spring 2003, S. 112
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Abbildung 12: Max/MSP/Jitter-Patch
In den ersten Jahren muss Jitter als separater Programmteil extra erworben werden. Erst mit der Publikation von Max5 (2007/08) werden die drei Parts Max/MSP/Jitter als ein Software-Package veräußert.196 In dieser Kombination ist es Cycling gelungen, die Software tatsächlich als eine lingua franca zu etablieren, welche mittlerweile über den musikalischen Bereich hinaus an zahlreichen Kunsthochschulen, an Theater- und Medieninstituten weltweit gelehrt, gelernt und angewandt wird. Bezüglich der mit Jitter gesteigerten multimedialen Wirkkraft heißt es: »[…] the general nature of the Jitter architecture is well-suited to specifying interrelationships among different types of media data […].«197 Gleiches gilt für das Zusammenspiel von Pd und GEM. Und mit Blick auf die sich ergebenden audio-visuellen Gestaltungsmöglichkeiten nach der Einführung von Nato spricht Jeremy Bernstein gar von einem »mixed-media dream«: »Through NATO, I’ve rediscovered Max in a very meaningful way, and I’m using it to accomplish tasks I’d never considered before – not just with video, but
196 | http://cycling74.com/products/maxmspjitter 197 | Randy Jones, Ben Nevile, Creating Visual Music in Jitter: Approaches and Techniques, in: Computer Music Journal, 29:4, Winter 2005, S. 55
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with audio and text work as well. […] Before NATO, Max was useful. After NATO, Max is indispensable.«198 Über den audio-visuellen Funktionsbereich hinaus begründet die funktionale Vielfalt der in-formierten Extensionen insgesamt eine mit Max agierende, interdisziplinäre Praxis, die sich vor allem über die Kreation spezifischer Produktionsformate Torwards a new Gesamtkunstwerk199 bewegt. Die von dieser Praxis ausgehenden Rückwirkungen manifestieren sich dabei wiederum in verschiedensten Max-technischen Neuerungen. So kommen weitere Objektsammlungen u.a. zur Videoverarbeitung zum Tragen, von denen softVNS von David Rokeby – »a set of external objects for Max/MSP that allows you to process video in real-time«200 – eine der bekanntesten sein dürfte (vgl. III.3.1). Hinsichtlich Nato und Jitter ist beispielsweise auf die Arbeit von Kurt Ralske zu verweisen, der mit 242. miau (für Nato) und Auvi (für Jitter) zwei Libraries angelegt hat,201 von denen vor allem letztere noch heute eine bedeutende und oft verwendete Objektsammlung darstellt.202 Mit dieser Anlage verfolgt Ralske (seit 2008 auf nichtkommerziellem Wege) folgendes Ziel: »[…] I wanted each Auvi Object to be like a guitar effect pedal. You plug it in and it instantly does something interesting.«203 Doch wie alle Max-Libraries dokumentiert Auvi (audio-video) nicht nur die künstlerischen Intentionen des Autors, 198 | Jeremy Bernstein, A discussion of NATO+3d modular (2001), www.boots quad.com/old _site/nato/nato00.html, S. 19 von 20 199 | Vgl. Golo Föllmer, Torwards a New Gesamtkunstwerk? Total Sampling, Re-Bricolage und Media-Hopping im Netz, in: Konzert – Klangkunst – Computer, Wandel der musikalischen Wirklichkeit, hg. vom Institut für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt, Mainz 2002, S. 19 ff 200 | http://homepage.mac.com/davidrokeby/softVNS.html 201 | www.maxobjects.com/?v=authors&id_auteur=107 202 | Ursprünglich war Auvi 2002 für Nato konzipiert: »Auvi for Jitter (released September 2003) is a massive expansion of the earlier version [for Nato]. The (currently) 85 objects were first developed to refine and consolidate the capabilities of the prototype release, but then grew many new, exciting features that surpass its its predecessor. Auvi for Jitter is not a ›port‹: all legacy code has been 100 % rewritten, before additional powerful features were added. Auvi brings to Jitter new, unique ways of working with real-time video.« www.auv-i.com 203 | Kurt Ralske, An Interview with Kurt Ralske, by Marsha Vdovin, August 16, 2010, http://cycling74.com/2010/08/16/an-interview-with-kurt-ralske/#more-5631
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sondern immer auch das für die Arbeit mit Max typische, zirkulierende Produktionsgeschehen, welches neben dem Kunstschaffen einen beständigen Re-Cycling-Prozess von Max-Materialien in Gang hält.
II.3.6 Max for Live Funktionstechnisch integriert in einen Medienkomplex aus verschiedensten Hard- und Softwarekomponenten gestaltet sich Max grundsätzlich kompatibel, anschlussfähig und interkommunikativ. Bereits als Kontrollprogramm im 4X-Ensemble besteht die Notwendigkeit zur Interaktion. Heute läuft die Software äußerst flexibel in beinahe jedem Funktionszusammenhang (via MacOSX, Windows oder Linux). Hinzu kommen programminterne Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Funktionseinheiten (Objekten, Applikationen, Extensionen) ebenso wie zwischen den Hauptentwicklungslinien CyclingMax und Pure Data. Außerdem nimmt die Zahl der programmübergreifenden Kooperationen beständig zu – »Open software projects have a tendency to interact with each other.«204 Schließlich entspricht der gesamte Max-Raum einem Plateau, welches als Raum im Raum eines rhizomhafttransmedialen Aktionsfeldes aufgeht. Für den Datentransfer innerhalb dieser Hyperstruktur sorgen u.a. spezifische Kommunikationsprotokolle wie MIDI (Musical Instrument Digital Interface 205) oder OSC (Open Sound Control206). Eine weitere Verbindungsmöglichkeit basiert auf dem Prinzip der Software-Inkorporation (Programm im Programm), welches von Eric Lyon allgemein als »software cannibalism«207 bezeichnet wird, während 204 | David Topper, RTcmix and the Open Source/Free Software Model, ICMC Proceedings 1999, S. 597 205 | Der 1983 aufkommende MIDI-Standard lässt sich zurückzuführen auf die Initiative einer boomenden Musikindustrie zur Schaffung einer standardisierten Kommunikationsschnittstelle, die den Austausch von musikbezogenen Informationen zwischen digitalen Musikinstrumenten verschiedener Hersteller ermöglicht. 206 | »[…] a protocol for communication among computers, sound synthesizers, and other multimedia devices that is optimized for modern networking technology.« http://opensoundcontrol.org/introduction-osc 207 | Eric Lyon, Dartmouth Symposium on the Future of Computer Music Software: A Panel Discussion, in: Computer Music Journal, 26:4, Winter 2002, S. 14
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
David Zicarelli mit Blick auf Max von einer integrativen Kooperation spricht, die entweder darin besteht, »to incorporate other software into it [Max] as an object«, oder aber umgekehrt einer Instrumentalisierung der Software entspricht »for the purpose of customizing other software.«208 Gemäß der ersten Möglichkeit fungiert Max als Host für weitere Software-Elemente, sogenannten Plug-ins (häufig via VST~), wobei es vorkommen kann, dass Max selbst genutzt wird, um Prototypen für diese Funktionselemente zu erstellen: »My […] relationship with Max/MSP is that I am a plug-in developer. The reason I use Max/MSP is to prototype all my software. […] So I built this all up as a huge patch, before I ever went to the C compiler. Then after I built the patch, I was able to quickly go into C and built a plug-in out of it.«209 Als ein Instrumentarium for the purpose of customizing other software gilt die von Cycling 2009 publizierte Neuausrichtung Max for Live (MfL), welche als integrierte Funktionserweiterung des Programms Live der Berliner Firma Abelton oder umgekehrt als funktionsspezifische Extension von Max angesehen werden kann.210 Diese soft-technologische Kollaboration stellt einen Brückenschlag zwischen zwei völlig verschiedenen Programmansätzen dar, der von Robert Henke (Mitbegründer von Abelton und Mitinitiator von MfL) wie folgt beschrieben wird: »[…] MaxForLive is a version of Max, which runs inside Live. This combines two very different applications into something new and exciting. The benefit of Max which runs in Live is: if you come from a Max perspective, you have access to features which are difficult to realize in Max. Max is really good for things that have nothing to do with a timeline at all. Live is really good in dealing with timeline-based operations […]. So if you want to control a Max patch to create a change over a long period of time, and you need a timeline, MaxForLife is a very good answer for that. […] From a Live perspective, MaxForLive opens up the possibility to create your own effects, and to create your own synthesizer. It also allows you control Live in a new way, and therefore extend the functionality of Live, helps to customize Live.
208 | David Zicarelli, ebd. S. 14 209 | Tom Erbe, An Interview with Tom Erbe, by Marsha Vdovin, http://cycling74. com/2011/02/02/an-interview-with-tom-erbe 210 | Download unter http://cycling74.com/downloads oder www.ableton.com/ maxforlive
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[…] MaxForLive allows people to solve their very individual problems with a high degree of elegance.« 211
Abbildung 13: Max (Vordergrund) for Live (Hintergrund)
Gerade auf der Verschiedenheit der Grundausrichtungen basiert schließlich das gelungene Zusammenspiel der beiden Produkte. Hier trifft die Offenheit (für ein individuelles und experimentelles Patchen mit der kompletten Palette an Max/MSP- und Jitter-Funktionen) von Max auf die detailliert vororganisierte Betriebsstruktur von Live, welche auf zwei Ebenen dazu dient, Clips bzw. Samples zu bearbeiten, zu spielen oder zu mixen und dementsprechend hauptsächlich als Audio-Workstation und Sequencer Verwendung findet. Diese Samples können nun nicht mehr nur live kombiniert und in real-time moduliert werden – mit MfL ist es möglich, die einzelnen, mit einem Edit-Button versehenen MfL-Instrumente selbst in real-time, also auch während einer Live-Performance zu modulieren und schließlich fundamental in ihrer Struktur zu verändern 211 | Robert Henke, http://cycling74.com/2009/11/21/an-interview-with-roberthenke/#more-3329, S. 6-7 von 10
II. Maximalism 1: Max als in-formier tes Raumprodukt
oder gänzlich neue Instrumente zu erstellen. Damit rückt nun auch im Ableton-Kontext der Prozess des Instrumentendesigns (und damit ebenso die Frage nach dem Wesen des Künstlers bzw. der Kunst im Zusammenhang mit offenen Produktions-Environments) ins Zentrum des Kreationsprozesses (vgl. Exkurs a), welcher mit dem Einsatz von Jitter (als Bestandteil von MfL) über das Auditive hinaus auch die live-elektronische Videoverarbeitung betrifft.212 Gemäß dem auf der MfL-Webpage publizierten Motto »dream it. build it. share it.«213 erfolgt mit der zwischen Cycling-Max und Ableton-Live etablierten Intertechnologie eine Erweiterung der Community: »[…] we [Cycling] extend our community to include a new group of people who can benefit from what Max has to offer. This is what I hope to accomplish with our collaboration with Ableton.«214 Darüber hinaus bewirken die grundsätzlich von der offen-extensiblen Anlage der Software ausgehenden Anschluss- und Vermittlungsmöglichkeiten eine Ausweitung des technisch-künstlerischen Gesamtspielraums, welcher vor allem auf live-elektronischer Ebene mit dem Netzwerk (vgl. III.4) oder dem Hyperraum (vgl. III.5) Max-basierte Produktionsformate aufweist, die ihrerseits als relativ offene, vielschichtig verknüpfte Repräsentationsräume einer spezifischen Kunst- und Performance-Praxis qualitativ den eigenen Organisationselementen entsprechen.
212 | Vgl. Andrew Benson, http://cycling74.com/2010/01/07/a-video-processingdevice-for-max-for-live/#more-4086 213 | http://maxforlive.com 214 | David Zicarelli, http://cycling74.com/2007/03/28/our-collaboration-with-able ton/#more-1649
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E XKURS A) M A X ALS M USIKINSTRUMENT ? »Komponieren heißt: ein Instrument klauen.«1
Die Geschichte der Musik ist immer auch eine Geschichte der Musikinstrumente. Technologische Innovationen ermöglichen musikalische Entwicklungen. Die Einführung des Hammerklaviers bildet die Grundlage für die klassisch-romantische Klaviermusik etc. Ebenso verlangen ästhetische Entwicklungen nach einem neuem Instrumentarium: »So eng geworden ist unser Tonkreis, so stereotyp seine Ausdrucksform […]. […] Plötzlich, eines Tages, schien es mir klar geworden: daß die Entfaltung der Tonkunst an unseren Musikinstrumenten scheitert.«2 Und weiterführend schreibt der Busoni-Schüler Edgar Varèse: »Unser musikalisches Alphabet muss bereichert werden, und wir haben neue Instrumente nötig, die fähig sind, sich verschiedenen Kombinationen anzupassen und neue Klangvorstellungen auszudrücken, und die nicht nur das schon oft gehörte immer wieder reproduzieren. Die Komponisten müssten dieses Problem zusammen mit spezialisierten Ingenieuren studieren […]. Wir benötigen Instrumente des XX. Jahrhunderts. Komponist und Elektriker müssen zusammenarbeiten.« 3
Dieses Unbehagen gegenüber einem künstlerischen Stillstand hält u.a. einen musiktechnologischen Prozess in Gang, dessen jüngere Entwicklung Netochka Nezvanova zu einem Artikel mit der Überschrift The Internet, A Musical Instrument in Perpetual Flux berechtigt.4 Die Bezeichnung Musikinstrument erscheint dabei im weitesten Sinne als durchgängiger, die verschiedenen Entwicklungen verbindender Verweis auf eine 1 | Nach Helmut Lachenmann (Komponieren bedeutet, ein Instrument bauen.), Blog von Johannes Kreidler, Über eigene und andere Kunst, neue Technologie und ihre Politik, 7. Februar 2010, www.kulturtechno.de/?p=2894 2 | Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, Frankfurt a.M. 1974, S. 43 3 | Edgar Varèse, Erinnerungen und Gedanken, in: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik, hg. von Wolfgang Steinecke, Mainz 1960, S. 66 4 | Inhaltlich behandelt der Artikel allerdings in erster Linie die von NN stammende Software Nebula.m81, welche via Internet als Instrument zur Klang- und Bildproduktion dient. Vgl. Nezvanova 2000, S. 38 ff
E xkurs a) Max als Musikinstrument?
wie auch immer geartete Wechselwirkung zwischen Instrumentarium und Musikproduktion. Die damit einhergehende Abgrenzung zu sonstigen Produktionsmitteln, Werkzeugen etc. ohne direkten Musikbezug ist jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht immer unproblematisch und sorgt hinsichtlich neu aufkommender Technologien regelmäßig für Diskussionsstoff. Vor allem das breite Spektrum an Computer-basierten Innovationen bietet diesbezüglich genügend Angriffsfläche, wobei die in diesem Zusammenhang unternommenen Definitionsversuche dem Gegenstand gemäß häufig vermittelnde Zwischenpositionen einnehmen: »As music has increasingly become deployed on digital technologies, the question arises: is the digitization of music driven by a desire for optimization and convenience, or is there a creative potential inherent and particular to digital technology that can be harnessed and heard in the resulting music? If this is true, then what can we do to transform a generalized tool-like technology into an expressive instrument-like medium? […] I claim that digital technologies have a voice in the way that traditional instruments do. Whereas in the case of digital instruments, these may be processes running on general purpose computers, each interactive system brings with it a personality of its own.« 5
Und tatsächlich kann gerade im Zusammenhang mit digitalen Produktionsmitteln die Frage Musikinstrument oder Werkzeug? nicht abschließend beantwortet werden. Angesichts der Komplexität dieser Anlagen ist keine definitive Differenzierung mehr möglich, da hier die verschiedenartigsten Komponenten zu großformatigen, multifunktionalen und damit hybriden Medienkomplexen vereint werden.6 Dieser grundsätzlich hybride Charakter setzt sich auf der Ebene der Einzelelemente fort. Gerade Max entspricht diesem Typus der Hybrid-Technologie. Dabei gilt zunächst: »Musical Interfaces Are Not Musical Instruments« 7 – denn als Graphical 5 | Atau Tanaka, Interaction, Experience and the Future of Music, in: O’Hara, Brown 2006, S. 273-274 6 | Zum Computer zwischen multifunktionalem Musikinstrument und musik-spezifischem Werkzeug vgl. Christoph Reuter, Bernd Enders, Daten verschicken. Mechanische Musikinstrumente – MIDI – Internet, in: Ungeheuer 2002, S. 282 ff 7 | Begründung: »Musical instruments transform the actions of one or more performers into sound.« Sergi Jordà, FMOL: Toward User-Friendly, Sophisticated New Musical Instruments, in: Computer Music Journal, 26:3, Fall 2002, S. 24
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User Interface (GUI) erscheint die Software immer als funktional eingebundener Teilaspekt im Medienkomplex Computer und ist somit weder als Werkzeug noch als Musikinstrument in eigenständiger Form präsent (in gewisser Weise vergleichbar mit der Tastatur eines Klaviers). Unter Berücksichtigung dieser technischen Zusammenhänge erscheint die Programmierumgebung dann zunächst als ein Werkzeug (Tool/Toolkit)8 ohne spezifische Musikbindung,9 auf dessen Grundlage jedoch die unterschiedlichsten Funktionseinheiten (Objekte) erstellt bzw. kombiniert werden können, so dass schließlich der formulierte Patch (die Applikation) tatsächlich als ein Instrument u.a. zur Musikproduktion erscheint. Die von Miller Puckette stammende Aussage – »I think of Max as a musical instrument, not a musical assistant«10 – gilt es somit dahingehend zu korrigieren, dass hier nicht Max generell sondern erst der funktionsspezifisch entsprechend ausgerichtete Patch im technischen Gesamtzusammenhang als Musikinstrument erscheint. Damit sind es gerade Teilelemente wie Max, die als operative Schnittstellen den Übergang der Computer-basierten Technikkomplexe vom Werkzeug zum Musikinstrument ermöglichen. Im Zusammenspiel mit Max wird der ›unmusikalische‹ Computer instrumentalisiert, indem insbesondere die charakteristische Offenheit der Programmierumgebung (des Werkzeugs) ein relativ freies, experimentelles Spiel erlaubt, welches zur Realisation von Instrumenten (Objekte, Patches, Applikationen) führt, die als spezifische Produktionsmittel allerdings weit über den Bereich der Musik hinaus beinahe alle Computer-gebundenen Kunstformen betreffen.11 Angesichts dieser multidirektionalen Ausrichtung wird das 8 | Insofern ist die Bezeichnung Tools for Media von Cycling74 bezüglich der hauseigenen Produkte durchaus zutreffend. 9 | »[…] does Max know about music? No.« Miller Puckette, Putting Max in Perspective, in: Computer Music Journal, 17:2, Summer 1993, S. 6 10 | Ebd. S. 6 11 | Das unlimitierte Potential zur Kombination von funktional unterschiedlich ausgerichteten Instrumenten sowohl auf der Max-Ebene als auch im technischen Gesamtkomplex führt schließlich vom Instrument zum Hyperinstrument: »Hyperinstrument research is an attempt to develop musically intelligent and interactive performance and creativity systems. We believe that the combination of machineaugmented instrumental technique, knowledge-based performance monitoring, and intelligent music structure generation, will lead to a gradual redefinition of
E xkurs a) Max als Musikinstrument?
Max-basierte Instrumentarium mit der Bezeichnung Musikinstrument nicht hinreichend abgedeckt. Die Beantwortung der eingangs gestellten Frage Max als Musikinstrument? muss dementsprechend gleich in zweifacher Hinsicht relativiert werden: Die Software kann je nach Arbeitslevel sowohl einem funktional ungebundenen Werkzeug als auch einem spezialisierten Instrument entsprechen und dabei als Musikinstrument ebenso wie als Instrument beispielsweise zur Bildbearbeitung fungieren. Insbesondere auf der durch das gesamte Kollektiv geprägten Ebene der Kreation von multifunktionalen Extensionen erscheint Max außerdem als ein Collective User Instrument (CUI). Unter diesem Stichpunkt schreibt Golo Föllmer: »Die Auffächerung der Bestandteile von Musikinstrumenten erreicht eine neue Ebene, wenn mehrere Menschen nicht nur gleichzeitig auf einem Instrument spielen, sondern dieses auch noch zusammen entwickeln. Diverse hoch entwickelte Software-Anwendungen, von denen Max/MSP und Supercollider zu den wichtigsten gehören, machen so etwas möglich. Beide Programme spielen bei der Entwicklung neuer musikalischer Ideen eine enorme Rolle, weil sie die Rahmenbedingungen für neue musikalische Konzepte auf der Grundlage flexibler Prozesse schaffen.«12
Die kollektiven Programm-Extensionen entsprechen dabei Instrumenten, welche nicht nur bei der Entwicklung neuer musikalischer Ideen von Bedeutung sind, sondern deren Kreation selbst bereits eine zentrale Stellung im künstlerischen Prozess einnimmt. Im Gegensatz zum traditionellen Gewerbe des Instrumentenbaus, welches sich trotz wechselseitigem Abhängigkeitsverhältnis zeitlich, räumlich und vor allem personell getrennt von der Kunstproduktion vollzieht, ist gerade hinsichtlich der Anwendung von Max eine verstärkte Annäherung oder gar Übereinkunft der beiden
musical expression.« Tod Machover, Joe Chung, Hyperinstruments: Musically Intelligent and Interactive Performance and Creativity Systems, ICMC Proceedings 1989, S. 186 12 | Golo Föllmer, Netzmusik – Stand der elektroakustischen Musik oder Musik von anderen Planeten? ein Printchat von Golo Föllmer und Elena Ungeheuer, in: Ungeheuer 2002, S. 309-310
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Gegenstandsbereiche auszumachen.13 Das Max-basierte Instrumentendesign erscheint vor allem dann als der eigentliche künstlerischen Akt, wenn es spielerisch, experimentell, intuitiv oder improvisiert im jeweiligen Performance-Kontext erfolgt (vgl. III.2.2). Doch im Grunde tritt der mit Max arbeitende Künstler immer zuallererst als Instrumentendesigner auf, so dass die Kreation des Instrumentariums einen bedeutenden Teilschritt der in Kapitel III beschriebenen Organisation von Raum darstellt, welche im Detail auch auf der Organisation bzw. dem Patchen und schließlich dem Spielen von verschiedenen Instrumenten beruht.
13 | »It appears that the act of instrument-making has once again become connected to composition.« Serge de Laubier, The Meta-Instrument, in: Computer Music Journal, 22:1, Spring 1998, S. 29
E xkurs b) Max als Notationssystem?
E XKURS B) M A X ALS N OTATIONSSYSTEM ? »Draw a straight line and follow it.«1
Die mit Max gegebene Möglichkeit eines digitalen Instrumentendesigns, welches insbesondere die Umsetzung individueller künstlerischer Vorstellungen auf instrumentaler Ebene betrifft, vereint schließlich zwei in der Praxis zumeist räumlich und zeitlich getrennte (aber dennoch zusammengehörige) Gegenstandsbereiche – den des instrumentalen Realisationssystems und den des Notationssystems. In Bezug auf den vorangegangenen Exkurs entsprechen die folgenden Ausführungen somit lediglich einem Perspektivwechsel, welcher schließlich den eigentlichen Zusammenhang von Max-basiertem Instrumentendesign und in erster Linie musikorientiertem Notationssystem aufgezeigt. Dabei geht es nicht um die auf verschiedenste Art praktizierten Kombinationsmöglichkeiten von Max und konventioneller Musiknotation, wie sie beispielsweise im Rahmen des bereits beschriebenen Score-Followings (vgl. II.2) oder auf der Basis von MaxScore 2 möglich sind. Es geht auch nicht um »a facility for making computer music scores with user-specifiable graphical representations«3, wie sie Miller Puckette hinsichtlich graphischer Notationsmöglichkeiten mit Pd beschreibt. Und ebensowenig geht es um eine, wie auch immer geartete, individuelle Übersetzungsleistung, welche der Programmierer (als künstlerischer Assistent) erbringt, wenn er die vom Komponisten vorgegebenen Instruktionen mit Max zu realisieren versucht. Es geht vielmehr darum, das Max-spezifische Arbeiten – das Patchen selbst – als einen Kompositionsprozess und den Patch als ein Notationssystem zu beschreiben, was es wiederum erforderlich macht, die konventionell differenzierten Gegenstandsbereiche von Technikern (Instrumentendesign), Komponisten und Interpreten (Notationspraxis) zusammenzudenken. Auf den offensichtlichen Zusammenhang zwischen traditionellem Notationsprozess und der Arbeit mit Max verweist bereits Puckette: »Even 1 | La Monte Young, Composition 1960 #10 (Score-Instruction) 2 | MaxScore ist ein von Nick Didkovsky und Georg Hajdu entwickeltes MaxObjekt zur Kombination von standardisierter Musiknotation und Max (vgl. III.4.2). 3 | Miller Puckette, Using Pd as a score language, ICMC Proceedings 2002 (b), S. 184
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this blank page carries stylistic and cultural freight in at least one interesting respect: the whole idea of incorporating paper in music-making endeavor is central to Western art music […].«4 Das unbeschriebene Notenblatt kann hier ebenso mit der weißen Seite des Patchs verglichen werden, wie das Komponieren mit dem Vorgang des Patchens. Beides gilt im weitesten Sinne als ein Akt der Vermittlung bzw. des Einschreibens von künstlerischen Intentionen in ein Medium, welches eine adäquate Konservierung, Repräsentation und Reproduktion dieser Intentionen ermöglicht. Dennoch sind diese Praktiken keinesfalls gleichzusetzen. In Les Partitions Virtuelles (1987) stellt Philippe Manoury die Frage: »Pourquoi ne pourrait-on pas composer de la même manière, que l’on ait en face de soi du papier réglé ou un ordinateur?«5 Und ohne an dieser Stelle Manourys Argumentation im Detail nachvollziehen zu können, lässt sich darauf im Sinne Manourys antworten: Weil hier ausgehend vom Trägermedium zwei grundverschiedene Aufnahme- und Repräsentationsformen mit entsprechend unterschiedlichem Potential vorliegen. Als primäre Eigenschaft oder Funktion der Notation allgemein gilt die Definition eines Werkes, welches nach Nelson Goodman als identifizierbarer Erfüllungsgegenstand eindeutig aus den Charakteren (Symbolen) des jeweiligen notationalen Systems hervorgeht.6 Dies wird jedoch mit der musikalischen Notationspraxis via Musikpartitur – angefangen bei den mittelalterlichen Neumen über die konventionell-standardisierte Notenschrift (nach Guido von Arezzo) bis hin zu graphischen Notationsexperimenten à la Earle Brown oder John Cage – nur in eingeschränktem Maße gewährleistet (oder ist, wie im Falle von Brown und Cage, gar nicht beabsichtigt). In der Regel sind diese Notationsformen hybrider Art und bestehen u.a. aus Zahlen, Noten, Bildern oder Sprachsymbolen, welche zum einen aufgrund ihres relativen, nicht eindeutig fixierten Informa4 | Puckette 2002 (a), S. 39 5 | Philippe Manoury, Les Partitions Virtuelles, in: Manoury 1998, S. 62 6 | Insgesamt verlangt Goodman von einem Notationssystem 4 Grundmerkmale: »[…] die von einem Notationssystem geforderten Eigenschaften sind Eindeutigkeit, syntaktische und semantische Disjunktivität und Differenzierung. Dies sind keineswegs bloße Empfehlungen für eine gute und nützliche Notation, sondern es sind Merkmale, die notationale Systeme – gute wie schlechte – von nichtnotationalen Systemen unterscheiden.« Nelson Goodman, Sprachen der Kunst, Entwurf einer Symboltheorie, Frankfurt a.M. 1997, S. 150-151
E xkurs b) Max als Notationssystem?
tionsgehalts lediglich ungefähre Reproduktionen erlauben, so dass die »Aufführungen eines Werkes […] beträchtlich und in vielerlei Hinsicht variieren« 7 müssen. Zum anderen birgt gerade die standardisierte, symbolische Notation an sich bereits eine problematische Distanz zwischen Charakter und Erfüllungsgegenstand bzw. zwischen Signifikant und Signifikat (vergleichbar mit der des Schrifttextes), welche mit der Zeitspanne zwischen Notation und Reproduktion zunimmt. Geht der hierbei aufkommende interpretatorische »Spielraum« 8 über ein tolerierbares Maß hinaus (in Richtung Beliebigkeit), so wird eine Identifikation des Werks unmöglich, was wiederum (gemäß Goodman) den Status als Notationssystem grundsätzlich in Frage stellt.9 Mit der Max-basierten Zusammenführung von Notation- und Realisationsmittel ohne Zwischenschaltung von symbolischen Informationsträgern, wird die Distanz zwischen den bezeichnenden Charakteren und den bezeichneten Erfüllungsgegenständen aufgehoben. Die graphischen Icons der Programmierumgebung entsprechen dabei lediglich einer Art Pseudosymbolik und sichern eigentlich als Oberflächen von mehr oder minder komplexen Funktionsmechanismen die kausale Verbindung zwischen Notations- und Realisationsebene, wobei letztere schließlich von der Software über die Soundkarte des Computers bis hin zu den Lautsprechern reicht (Max im Medienkomplex).10 Der 7 | Ebd. S. 170 8 | Ebd. S. 127 9 | »Ausgehend von der Frage: was ist ein musikalischer Text. Keine Anweisung zur Aufführung, keine Fixierung der Vorstellung, sondern die notwendig fragmentarische, lückenhafte, der Interpretation bis zur endlichen Konvergenz bedürftige Notation eines Objektiven.« Adorno, Theodor Wiesengrund, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion, Aufzeichnungen, ein Entwurf und zwei Schemata, hg. von Henri Lonitz, Nachgelassene Schriften, T. W. Adorno Archiv, Abteilung I: Fragment gebliebene Schriften, Bd. 2, Frankfurt a.M. 2001, S. 11 10 | »Das sogenannte ›Monitoring‹ hat mehrere Dimensionen: Das Monitorbild visualisiert die inneren Zustände der Maschine, des technischen Mediums Computer, gleichzeitig repräsentiert es als Bild das kulturelle Medium ›Musik‹. Von der visualisierten Musik einer Partitur, eines Notentextes unterscheidet sich dieses ›Oberflächenbild‹ durch seine unmittelbare technische Verknüpfung mit Prozessen der Steuerung und Klangerzeugung.« Rolf Großmann, Monitor – Intermedium zwischen Ton, Bild und Programm, in: HyperKult II, Zur Ortsbestimmung analoger
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Komponist vermittelt seine Intentionen, indem er das zur Realisation nötige Instrumentarium notiert (patcht), gleichzeitig die klanglichen Resultate in real-time mitverfolgt und anschließend das Notierte so absichert, dass auf der Grundlage des Patchs jederzeit eine absolut identische Reproduktion der Komposition möglich ist. Die Anforderungen an ein Notationssystem wären damit, zumindest was die Eindeutigkeit des Notierten anbelangt, erfüllt. Tatsächlich zeigt die Praxis jedoch, dass ein derartiger Umgang mit der Software aus verschiedensten Gründen eher untypisch ist. Verantwortlich dafür sind weniger eventuell auftretende Probleme bei der Übersetzung von künstlerischen Ideen ins Technische. Derartige Übersetzungsprobleme bestehen im Rahmen eines jeden Notationssystems, so dass analog zu den kompositorischen Vorstellungen immer wieder neue Darstellungs- und Vermittlungswege gesucht und gefunden werden.11 Es ist vielmehr die Max-spezifische Funktionsweise, welche anstelle konventioneller Arbeitsmethoden neuartige Kreationsprozesse evoziert. Für Max gilt dabei, was bereits für frühere Neuerungen galt: mit der Arbeitsgrundlage ändert sich die Arbeit ebenso wie deren Resultate.12 Als ein dynamisches System13 verfügt die Software über flexible Charaktere (Objekte), deren multidirektionale Anschluss- und Kombinationsmöglichkeiten in Verbindung mit einem beinahe unlimitierten Ex tensionspotential (via Externels) den gesamten Kompositions- und Aufschreibprozess dynamisieren. Hinzu kommt die aus dem Ineinandergreifen von Notations-, Speicher- und Realisationsebene bzw. aus dem audio-visuellen Feedback (in real-time) resultierende, arbeitstechnische und digitaler Medien, hg. von Wolfgang Coy, Martin Warnke und Georg Christoph Tholen, Bielefeld 2005, S. 188 11 | Zur Wechselwirkung von Notationssystem und ästhetischer Praxis vgl. Peter Weibel, Notation zwischen Aufzeichnung und Vorzeichnung, Handlungsanweisungen – Algorithmen – Schnittstellen, in: Amelunxen, Appelt, Weibel 2008, S. 32 ff 12 | »Die Schallplatte sorgte dafür, dass Merkmale die der selektive Speicher des Notenpapiers gesperrt hatte, verfügbar wurden, vor allem der Klang und die Feinheiten von Phrasierung und Rhythmus.« Stefan Heidenreich, FlipFlop, Digitale Datenströme und die Kultur des 21. Jahrhunderts, München Wien 2004, S. 167 13 | Zu static information vs. dynamic behavior vgl. Roger B. Dannenberg, Music Representation Issues, Techniques, and Systems, in: Computer Music Journal, 17:3, Fall 1993, S. 25
E xkurs b) Max als Notationssystem?
Direktheit, welche einen Kreationsprozess ermöglicht, der sich in verstärktem Maße experimentell gestaltet. Zusammen mit den Möglichkeiten der offenen System-Dynamik fördert gerade das unmittelbare Erleben des Komponierten, der Fehler, der gelungenen oder gescheiterten Versuche etc. tendenziell ein eher improvisatorisches Spiel mit den konkreten Klang- und Bildmaterialien (und nicht bloß mit den Symbolen des Notationssystems). Der Spieler verfährt dabei weniger gezielt werkorientiert, sondern komponiert (patcht), indem er ausprobiert, kombiniert, interpretiert und rezipiert.14 Die Resultate (Patches) dieser für die Anwendung von Max typischen Verfahrensweise bleiben qualitativ in vergleichbarer Weise der Dynamik der Arbeitsgrundlage verpflichtet. Mit Max erscheint das Notationssystem nicht mehr lediglich als Transportmedium oder als Read-Only-Memory zur dauerhaften Vermittlung von Kunstwerken. Das jederzeit mögliche Wechselspiel aus Montage, Demontage und Remontage hält einen, die einzelnen Arbeiten kennzeichnenden, tendenziell unabgeschlossenen Entwicklungsprozess in Gang, welcher sowohl technisch (aufgrund veränderter Realisationsgrundlagen im Medienkomplex) als auch ästhetisch motiviert sein kann. Das in diesem Zusammenhang übliche Re-Cycling von arbeitstechnischen Fragmenten (Patches, Objects) und deren Verwendung in immer neuen Produktionszusammenhängen bewirkt wiederum ein vielschichtiges Crossover zwischen verschiedenen Arbeiten ebenso wie zwischen einzelnen Autoren. Anknüpfend an die im vorherigen Exkurs beschriebene Kreation von Collective User Instruments öffnet sich damit ein Handlungsspielraum, welcher schließlich nicht nur die individuelle Ebene der Kreation betrifft, sondern die gesamte Community zur Teilhabe aktiviert, so dass der Komponist bzw. das Komponierte über die bereits beschriebenen Kommunikationswege des Max-Raums immer auch eine mehr oder minder ausgeprägte Beziehung zur Kollektivleistung unterhält. Dieser spezifische Öffnungsprozess führt schließlich über die Max-internen 14 | Dies trägt wiederum zur Auflösung des konventionellen Sender-EmpfängerModells bei: »Seit die Musiker danach trachten, Musik im Schriftbild zu fixieren, trennen sich zunehmend zwei musikalische Berufe: der des Komponisten, der schreibt, und der des Interpreten, der spielt.« Karlheinz Stockhausen, Musik und Graphik, in: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik, hg. von Wolfgang Steinecke, Mainz 1960, S. 5
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Vorgänge hinaus und bildet die Grundlage für eine Organisation von multimedialen Produktionsstrukturen, deren Konstitutionsprozesse im Folgenden als die zentralen Kompositionsleistungen zu beschreiben sind.
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant »[…] ein Plateau ist niemals von den Kühen zu trennen, die es bevölkern und die auch die Wolken am Himmel sind.«1
III.1 M A X UND M ORIT Z : A PROGR AM THAT DOES NOTHING ? How I Learned to Love a Program That Does Nothing – betitelt David Zicarelli seinen Rückblick auf 17 Jahre Max und bezieht sich damit in leicht zugespitzter Form auf das wesentliche Merkmale der Software: the blank page scheme. Diese technische Ausrichtung entspricht einem offenen System, welches zunächst nichts weiter vorgibt, als eine unbeschriebene Arbeitsfläche. Im Gegensatz zu anderen Computerprogrammen wird hiermit ausdrücklich der Versuch unternommen, hinsichtlich der Produktion von Kunst jedwede technisch formale oder ästhetische Determination zu vermeiden, um dem Künstler schließlich einen größtmöglichen Handlungsfreiraum zur Umsetzung seiner Intentionen, das heißt zum Schreiben seiner eigenen Programme zu gewährleisten: »From this inauspicious beginning, Max users have apparently taken up the challenge, faced a collection of components and tools represented by boxes, placed them into the blank page, connected them together to make new components and tools (called patchers), and eventually made some music. In other words, Max – the program that does nothing – offers the promise that learning it and figuring out how to create its ›documents‹ can lead to results that are satisfying in a way that using prefabricated software would never be.« 2 1 | Deleuze, Guattari 1992, S. 39 2 | Zicarelli 2002, S. 44
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Ganz ähnlich heißt es auf der Website von Cycling74 in schillernder Werbemanier: »Cycling’74 makes software for creating media applications that work the way you want, without limits.«3 Oder: »In use for over twenty years by performers, composers, artists, scientists, teachers, and students, Max is the way to make your computer do things that reflect your individual ideas and dreams.«4 Man zeigt sich also bemüht, den Basisgedanken einer völlig neutralen blank page zur freien künstlerischen Entfaltung im Zusammenhang mit Max als realisiert zu kommunizieren. Doch wie leer oder weiß bzw. neutral ist diese Seite tatsächlich? Der erste Versuch einer öffentlichen und kritischen Auseinandersetzung, welche u.a. auch das eventuelle Tun oder Lassen der Software betrifft, erfolgt bereits nach dem ersten Publikations- und Erfolgsschub 1993, und zwar in Form einer schriftlichen Diskussionsrunde mit Beiträgen von verschiedenen Max-Entwicklern (Miller Puckette, Cort Lippe, Zack Settle u.a.), die in gekürzter Fassung unter der Überschrift Putting Max in Perspective5 im Computer Music Journal publiziert wurde. Doch auch hier können die Reaktionen der Teilnehmer auf die vorgebrachten Kritikpunkte unter dem Motto a program that does nothing zusammengefasst werden. Auf die Kritik der Initiatoren Peter Desain und Henkjan Honing bezüglich mangelnder Strukturelemente (zur musikalischen Organisation), antworten Cort Lippe und Zack Settel: »One of the strong points of Max, from our point of view, is that it is general enough (and stupid enough) to allow us to create our own musical world, without any dependence on another’s definitions or preconceptions.«6 Damit wird auch hier vor allem das unabhängige Arbeiten auf der Basis einer nicht gänzlich vorstrukturierten, in alle Richtungen offenen, intentionslosen und im positiven Sinne gar stupiden Anlage als wesentliche Eigenschaft hervorgehoben. Auf diese grundsätzliche Intentionslosigkeit zielt auch Miller Puckette ab, indem er die von ihm selbst gestellte Frage »[…] does Max know about music?« mit einem deutlichen »No.« 7 beantwortet.
3 | www.cycling74.com 4 | www.cycling74.com/products/max5 5 | Titel der originalen Textsammlung: The Minds of Max 6 | Cort Lippe, Zack Settel, Putting Max in Perspective, in: Computer Music Journal, 17:2, Summer 1993, S. 5 7 | Miller Puckette, ebd. S. 6
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
Dass ein derartig neutral dienendes Produktionsmittel auf Seiten der Musikschaffenden als wünschenswert erscheint, ist verständlich. So schreibt Morton Subotnick: »Since my first work with electronics in music, I have felt strongly that music should come from one human to another and that the medium should always be at the service of the artist.«8 Diesbezüglich eher kritisch wird die Lage (vor allem zu Beginn der achtziger Jahre) von Philippe Manoury eingeschätzt, der insbesondere die Technik-Abhängigkeit der Kunstästhetik beklagt: »Il y a eu souvent un total assujettissement de l’esthétique à la technologie.«9 Dieser vermeintliche Missstand soll nun mit dem Aufkommen neuer Technologien wie Max beseitigt werden: »On arrive aujourd’hui avec des logiciels – comme MAX […] à sortir de cette dépendance.«10 Während also in anderen Zusammenhängen immer wieder das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis von Kunst und Technik betont oder beklagt wird, soll Max nun aufgrund seiner offenen und intentionslosen Anlage eine Aufhebung dieser Bindung ermöglichen, oder zumindest eine Lockerung bewirken. Damit deutet sich bereits eine erste Funktionsbestimmung der Software an – die Befreiung der Kunst aus den Zwängen einer deterministischen Technologie. Dennoch bleibt die Frage, wie sich eine solche von Max ausgehende Kunstproduktion gestaltet? Was tut eine Software, die nichts tut? Im Gegensatz zu vielen anderen Programmen ist Max in beinahe jeder Computer-basierten Kunstform auf unterschiedliche Art präsent. Es scheint also oberflächlich, auf der Produktebene betrachtet keine spezielle Max-Kunst, keinen eigentlichen Max-Style zu geben (es sei denn, man wertet die Vielfalt selbst als ein Merkmal, welches aus der Offenheit des Environments resultiert). Erst wenn man die grundlegende Ebene der Produktionsprozesse in Betracht zieht, wird der Einfluss der Software in Form einer vermittelnden (freiräumenden) Strukturbildung offenbar: Max organisiert spezifische Produktionsräume der ästhetischen Praxis,
8 | Morton Subotnick, The Use of Computer Technology in an Interactive or ›Real Time‹ Performance Environment, in: Aesthetics of Live Electronic Music, hg. von Marc Battier, Harwood 1999, S. 113 9 | Philippe Manoury, Composition et environnements informatiques, in: Manoury 1998, S. 342 10 | Ebd. S. 342
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welche als Repräsentationsräume verschiedene Kunst- und PerformancePraktiken evozieren.11 Als ein Instrumentarium der Kommunikation, welches die Vermittlung, Kombination und Organisation verschiedenster, bis dahin zum Teil getrennter Gegenstandbereiche ermöglicht, in-formiert und fundiert die Software neuartige Raumkonstellationen bzw. Produktionssituationen. Im Gegensatz zu fixierten Containern oder architektonischen Behältnissen handelt es sich hierbei um dynamisch-prozesshafte Kommunikations- und Handlungsstrukturen, die als Repräsentationsräume (mit der Zeit) spezifisch in-formierte Formate erkennen lassen. Dass gerade Max in der Lage ist, »die Verschiedenartigkeit der Dinge zu überschreiten«12 und Neuraum zu vermitteln (zu kommunizieren), liegt vor allem an der spezifischen Konstitution der Software: Als offenes System ist Max unvollständig, so dass das Eingehen auf Fremdgegenstände, deren (digitalisierte) Aufnahme, Verarbeitung, Vermittlung und Neukombination überhaupt erst möglich wird (ein geschlossenes System würde demgegenüber immer nur die zu erwartenden, berechenbaren und im Grunde bekannten Ergebnisse liefern).13 Gemäß der in Kapitel II beschriebenen In-formation der Software in-formiert diese nun ihrerseits die ästhetische Praxis in Form von spezifisch ausgerichteten Produktionsstrukturen, die als Repräsentationsräume nicht nur Kunst, sondern immer auch die Software selbst repräsentieren. Als in-formierende Kraft ist Max ein aktives Funktionselement innerhalb der jeweiligen Struktur und ausschlaggebend, was deren qualitative Ausrichtung anbelangt. Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, 11 | Dementsprechend auch die Einordnung und Beschreibung der Software im Computer Music Tutorial als Performance Software: »Performance software is designed for the concert hall, the gallery, and the interactive media channel, as well as the studio. Hence it must be able to respond in real time […].« Und speziell zu Max heißt es weiter: »The Max program is a prime example of an iconic toolkit tailored for interactive music performance […].« Curtis Roads, The Computer Music Tutorial, MIT 1996, S. 661 u. 668 12 | Niklas Luhmann, Das Medium der Kunst, in: Aufsätze und Reden, Stuttgart 2001, S. 211 13 | »Mindestvoraussetzung für das Zustandekommen von […] Kommunikation ist natürlich: daß […] ein System fungiert, das nicht vollständig durch die eigene Vergangenheit determiniert ist […].« Luhmann 1984, S. 197
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
dass die Software immer in einem aus verschiedenen Hard- und Software-Elementen bestehenden Medienkomplex funktioniert und somit für die jeweilige Raumkonstitution nicht allein verantwortlich zu machen ist, wenngleich sie in den folgenden Beispielen den entscheidenden Faktor darstellt. Die profunde Bedeutung der Software wird schon dadurch ersichtlich, dass Max nun bereits über Jahrzehnte als fester Bestandteil in den entsprechenden Strukturen fungiert, während ein Großteil der den Medienkomplex komplettierenden Funktionselemente einem beständigen Austausch unterliegt. Bereits im Rückblick auf den Entstehungskontext der Software wird klar, dass Max speziell dafür geschaffen wird, konkrete räumliche Strukturen (Settings) zu vermitteln und zu kontrollieren, welche wiederum eine entsprechende Performance-Praxis ermöglichen. Die oft zitierte Aussage, dass Max designed wurde »[…] for making interactive music programms […]«14, trifft somit nur bedingt zu, denn in erster Linie wird Max entwickelt, um eine interaktive, live-elektronische Musik bzw. den dafür nötigen Live-elektronischen Interaktionsraum (vgl. III.2) zu realisieren.15 Was also zunächst als allgemeine Tendenz innerhalb der elektroakustischen Kompositionspraxis erscheint – Musik machen als Organisation von Raum – lässt sich insbesondere anhand der Max-Praxis nachvollziehen. Dabei gilt es ästhetische Prozesse zu erfassen, die im Umgang mit der Software räumliche Konstellationen generieren und schließlich den Blick freigeben auf das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Produzent, Produktionsmittel, Produktion und Produkt. Auf der Grundlage exemplarischer mit Max realisierter Arbeiten sind hierbei zunächst Unterscheidungsmerkmale hinsichtlich der immanenten Raumqualitäten aufzuzeigen, die eine entsprechende Klassifikation der verschiedenen Strukturen zulassen. Allerdings weisen die im Folgenden unterschiedenen Raumformate ebenso qualitative Zusammenhänge auf, die insbesondere auf der Anwendung der Software beruhen und ausgehend vom Liveelektronischen Interaktionsraum bis hin zum Hyperraum einer beständigen Ausdifferenzierung unterliegen, wobei schließlich hybride Strukturen entstehen, die sich tendenziell gegenseitig beinhalten können (Raum im Raum im Raum). 14 | Rowe 1993, S. 26 15 | Somit bezeichnet der Programmtitel Max for Live ebenso den funktionalen Ursprung der Software.
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Angesichts dieser Komplexität kann die folgende Differenzierung keiner absoluten Typisierung, sondern lediglich einer Charakterisierung entsprechen, welche jedoch anhand der prägnanten und dominierenden Raumeigenschaften den Kern des jeweiligen Formats zu bezeichnen versucht. Der Zugang zu diesen Raumformaten erfolgt dabei über exemplarische Arbeiten.16 Ausschlaggebend für die Wahl der Beispiele war die historische Position ebenso wie eine besondere Anschaulichkeit, so dass neben den Pionierarbeiten auch jüngere Produktionen behandelt werden, die historisch betrachtet sicher von geringerer Bedeutung sind, was die Etablierung der entsprechenden Formate anbelangt, dafür aber um so mehr die mögliche Vielfalt der Max-basierten Praxis dokumentieren. Keinesfalls geht es darum, einen repräsentativen Querschnitt der gesamten (historischen oder aktuellen) Max-Praxis zu liefern, was bei der Masse der Arbeiten unmöglich wäre. So wird u.a. das mittlerweile mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit größte Anwendungsgebiet von Max, das der Elektro-, Dance- und Indiepop-Szene, nicht behandelt. Grund dafür ist, dass mit Max produzierende Künstler wie Aphex Twin (Richard David James) oder Formationen wie Autechre 17 (Rob Brown und Sean Booth), Monolake (Robert Henke) oder auch Radiohead (Jonny Greenwood v.a.) eine eher konventionelle Organisation von Klang praktizieren, wobei die Software lediglich als Instrument im traditionellen Sinne Verwendung findet, so dass dieses reiche und an sich spannende Feld den Gegenstandsbereich dieser Arbeit – die Organisation von neuartigen Produktionsstrukturen – nicht betrifft. Außerdem erfährt die Software mittlerweile großen Zuspruch aus der Design- und Architekturszene, in der mit Max vorwiegend Animationen und Präsentationen betrieben werden.18 Auch in der Musikpädagogik ist 16 | Als bereits vergangene Zeit-Räume sind die konkreten Produktionsstrukturen häufig nur noch über ihre konservierten Produkte rekonstruierbar. 17 | Mit dem Album Confield (2001) wussten Autechre einen Meilenstein zu setzen, der fast ausschließlich auf Max basiert: »When I first encountered Max, I thought it was totally head-exploding. […] We began using Max for live work, and then ended up using it in the studio. Most of Confield came out of experiments with Max that weren’t really applicable in a club environment.« Sean Booth, www. soundonsound.com/sos/apr04/articles/autechre.htm 18 | Vgl. Interview mit Dana Karwas, www.cycling74.com/story/2008/12/8/ 11464/7100
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Max präsent, da sich mit Hilfe der Software sehr anschaulich beispielsweise elektroakustische Phänomene erörtern lassen.19 Ebenso entdeckte die Game-Industrie die Software – Pd wird als Sound-Engine für das Computerspiel Spore der Firma EA Games genutzt.20 Doch vergleichbar mit der Tatsache, dass Max in den Neunzigern genutzt wurde, um die Laser-Show von U2 zu steuern,21 so sind diese Anwendungsbereiche sicher neuartig und außergewöhnlich für ein Programm, welches in erster Linie für die live-musikalische Praxis konzipiert wurde; dennoch sind hier (noch) keine strukturellen Neuerungen zu erkennen, die als Folgen dieser Anwendung zu beschreiben wären. Hier werden keine neuen Räume geöffnet, sondern lediglich bestehende bedient. Davon abgesehen, zeigt sich jedoch auch hier, wie sich über die Offenheit der Software (bereits bestehende) Arbeits- und Funktionsbereiche erschließen lassen, die zumindest für ein Programm wie Max neu sind.22 Was uns interessiert sind Produktionsräume der ästhetischen Praxis, die in besonderem Maße von Max ausgehen und die Software als aktiven Bestandteil und als ausschlaggebenden In-formanten beinhalten. Und so unterschiedlich sich die Arbeiten der einzelnen Künstler auf der Ebene des Produkts auch gestalten, ihre grundlegenden Max-basierten Produktionsstrukturen weisen charakteristische Zusammenhänge auf, die es im Folgenden zu beschreiben gilt. Darüber hinaus sollen diejenigen Anknüpfungspunkte kenntlich gemacht werden, die verdeutlichen, dass die Produktion mit Max zeitgleich mit der in Kapitel II beschriebenen Produktion von Max erfolgt und die Anwendung (die Organisation von Raum) immer auch eine entsprechende Weiterentwicklung (Extension) der Software und somit eine Fortsetzung der beständig zirkulierenden Einflussnahme zwischen Max und der künstlerischen Praxis bedeutet.
19 | Vgl. Johannes Kreidler, loadbang. Programming Electronic Music in Pure Data, Hofheim 2009 20 | Vgl. http://puredata.info/exhibition 21 | Vgl. Chadabe 1997, S. 211 22 | Einen Eindruck von der Vielschichtigkeit der Max-Anwendung erhält man u.a. auf der Cycling-Site http://cycling74.com/category/articles, auf http://puredata. info oder auf YouTube unter dem Suchbegriff Cycling74 Perspectives.
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III.2 L IVE - ELEK TRONISCHER I NTER AK TIONSR AUM In seinem Aufsatz Der Computer als Inspirationsquelle für Komponisten unterteilt Georg Hajdu die Geschichte der elektronischen Computer-Musik in drei Phasen, die spekulative Phase (1950-1970), die explorative Phase (1970-2000) und die interaktive Phase (seit 2000). Ausgehend u.a. von Innovationen im Hard- und Softwarebereich sorgt dabei insbesondere der Übergang zur interaktiven Phase für ein grundlegend verändertes Verständnis von Musik, Komposition, Komponist und Aufführungspraxis: »In der interaktiven Phase offenbart sich ein Paradigmenwechsel, der durch das Verwischen von Identitäten und Funktionen charakterisiert ist: Die Trennung zwischen Komposition und Improvisation in der Live-Performance wird genauso aufgehoben, wie im Falle der Installation der Unterschied zwischen Interpret und Publikum. Neue Begriffe tauchen auf: Partizipative Musik, Netzmusik, Echtzeitkomposition, Autopoiese (griechisch autos = selbst und poiein = machen, also eigentlich ›Sich-Selbstgestaltung‹), Streaming, autogenerative Prozesse usw. Ein neuer Typ von Komponist entsteht, der durch die allgemeine Verfügbarkeit von erschwinglicher Hardware und hoch entwickelter Software ohne profunde musiktheoretische und informatische Kenntnisse intuitiv und interaktiv zu arbeiten in der Lage ist.« 23
Dass diese jüngste interaktive Phase über Jahrzehnte hinweg vorbereitet und Stufenweise realisiert wird, zeigen die folgenden Ausführungen am Beispiel von Max. Die Software wird bereits seit Mitte der achtziger Jahre entwickelt »for specifying real-time interactions«24, das heißt, die eigentliche Kernfunktion bestand und besteht noch immer darin, einen live-elektronischen Interaktionsraum zu organisieren, um damit eine entsprechende Performancepraxis zu ermöglichen. Es gilt also zunächst zu klären, was in diesem Zusammenhang unter Live-Elektronik und Interaktion bzw. Interaktionsraum zu verstehen ist. Die Frage, was Live-Musik generell ausmacht, beantwortet Marco Stroppa folgendermaßen: »Two components seem to be indispensable: the visible presence of a performer and his or her playing an instrument that is 23 | Georg Hajdu, Der Computer als Inspirationsquelle für Komponisten, ein historischer Überblick, in: Mathematische Musik – musikalische Mathematik, hg. von Bernd Enders, Saarbrücken, 2005, S. 58 24 | Jean-Claude Risset, Composing in Real-time?, in: Battier 1999, S. 32
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accepted as such by the musical community.«25 Hinsichtlich elektronisch und hier speziell digital erzeugter Musik erweist sich diese Definition jedoch als problematisch, nicht nur was die Sichtbarkeit des Performers oder die Akzeptanz des Instruments anbelangt. Lange Zeit erscheint es geradezu paradox von einer Computer-basierten Live-Musik zu sprechen. Der Mainstream der Produktionen erscheint hier dominiert durch eine intensive Studioarbeit, in welcher die Musik generiert, arrangiert und zu Performance-Zwecken reproduzierbar auf entsprechende Tonträger fixiert wird (Tape-Music). Während die analoge Produktionstechnik spätestens seit den sechziger Jahren als live-fähig gilt, ist es im Rahmen Computer-basierter Produktionen aufgrund der technischen Standards noch bis weit in die achtziger Jahre hinein unmöglich, die Studio-Leistungen live-on-stage zu realisieren, so dass eine Performance kaum mehr als die Wiedergabe eines Tonträgers darstellt, welche lediglich durch den Mix am Mischpult gewisse Live-Impulse erhält. Eine derartige, auf Vorproduktionen beruhende Aufführungspraxis erweist sich jedoch in vielerlei Hinsicht als unbefriedigend. Vor allem im Falle einer Mixed-Music (aus elektronischen und nichtelektronischen Klängen) gestaltet sich die Live-Realisation so, dass der jeweilige Instrumentalist bzw. das Ensemble der elektronischen Vorproduktion zu folgen hat, was jedweden Interpretations- und Interaktionsfreiraum extrem einschränkt und die Musik auch im Moment der Aufführung konserviert und bis zu einem gewissen Grad ›leblos‹ wirken lässt. Komponisten wie Philippe Manoury, die an beiden Klangquellen gleichermaßen interessiert sind, arbeiten diesen Umständen entgegen und streben eine gleichwertige Integration der elektronischen Musik auf der Ebene der herkömmlichen Live-Musik an, mit dem Ziel, nun auch die elektronischdigitale Klangerzeugung und -verarbeitung live in einem interaktiven Abhängigkeitsverhältnis zu den sonstigen klanglich-szenischen Ereignissen präsentieren zu können. Im Anschluss daran wird mit live ein Geschehen bezeichnet, welches im Moment seines Vollzuges grundsätzlich von den aktuellen, zeitlichen und räumlichen Bedingungen geprägt erscheint. Für die Live-Elektronik bedeutet dies, Klangerzeugung und Modifikation passieren in Echtzeit, was wiederum den Raum der Live-Produktionen weitet, welcher nun 25 | Marco Stroppa, Live electronics or…live music? Towards a critique of interaktion, in: Battier 1999, S. 51
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nicht mehr beschränkt bleibt auf die konventionelle Auftrittssituation im Bühnenkontext, sondern ebenso alternative Bereiche wie Klanginstallation oder Net.art betreffen kann. Mit Blick auf die Realisation dieser Vorstellung einer Computer-basierten Live-Elektronik und dem damit einhergehenden Wechselspiel zwischen künstlerischer und technischer Produktion schreibt Winfried Ritsch: »The desire for live usage created a new generation of programs, real-time computer music programs, and thus created the new character of the computer musician.«26 Mit interaktiv wird in diesem live-elektronischen Kontext (im Unterschied zum zwischenmenschlichen Interaktionsbegriff) zunächst die Relation zwischen Mensch und Maschine bestimmt. Im Rückblick auf die Produktionen der vergangenen drei Jahrzehnte erscheint diese MenschMaschine-Interaktion jedoch eher als Ausdruck einer Hoffnung bzw. als ein »Versprechen«27, dessen Einlösung von Werk zu Werk erneut zu versuchen ist: »Interaktion im Zusammenhang mit [elektronischer] Musik soll in diesem Sinne etwas Neues bedeuten. […] Es ist kein Prädikat wie ›besonders wertvoll‹, sondern es gibt Hinweise auf die Herstellungsweise.«28 Dementsprechend wird mit interaktiv zunächst ein Produktionsprozess beschrieben, innerhalb welchem mindestens zwei agierende Aktivposten (Mensch und Maschine) zusammenspielen und in einer zirkulierenden Wechselwirkung (live) die Materialentwicklung auslösen, beeinflussen oder vorantreiben.29
26 | Winfried Ritsch, Does Pure Data Dream of Electric Violins?, in: Zimmer 2006, S. 12 27 | Johannes Goebel, Mensch-Maschine-Interaktion, in: Computer: Musik: Ästhetik, Klang – Technologie – Sinn, Aufsätze, Texte und Sendungen, Mainz 2006, S. 121 28 | Johannes Goebel, Interaktion und Musik, ebd. S. 191 29 | Verglichen mit der Mensch-Mensch-Interaktion kann einer Maschine wie dem Computer der durchaus berechtigte Vorwurf gemacht werden, dass sie nie agiert bzw. interpretiert, sondern aufgrund vorprogrammierter Befehlsketten immer reagiert und letztlich Interaktion lediglich simuliert: »Computers simulate interaction in this constructed world by allowing users to change aspects of their current state and behavior. This interactive loop is completed when the computers, in turn, affect the further actions of the users. […] Computer programs are more or less interactive, depending on how they respond to human actions and how they engage human response. Interactivity comes from a feeling of participation […].« Winkler 1998, S. 3
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Robert Rowe beschreibt Interactive Music Systems, indem er grundsätzlich drei Prozessebenen unterscheidet: 1. The sensing stage, als Ebene der Datenaufnahme (Human-Input), 2. The processing stage, als Ebene der maschinellen Verarbeitung und Interpretation bzw. Analyse, und 3. The response stage, als Ebene der Reaktion (System-Output).30 Um den Tatbestand der Interaktion zu erfüllen muss jedoch ein zweiter, möglicherweise menschlicher Part hinzukommen: 1. System-Input, 2. Verarbeitung und Interpretation, 3. Human-Output, womit sich der Aktionskreis schließt bzw. erneut öffnet und fortsetzt.31 Demnach ist Max an sich kein Interactive Music System, sondern lediglich Teil eines interaktiven Prozesses vor allem zwischen Mensch und Maschine, wobei jedoch gerade die vermittelnde Wirkkraft der Software einen ganz entscheidenden Anteil hat am Zustandekommen der Interaktivität. Im Hinblick auf die musikalische Praxis muss dieses Interaktionskonzept häufig noch durch einen Zwischenschritt zur Mensch-Instrument-Maschine-Interaktion erweitert werden. Abbildung 14: Interaktionskreislauf
30 | Vgl. Rowe 1993, S. 9 ff 31 | Anstelle des Menschen wäre durchaus auch eine weitere Maschine denkbar. Zahlreichen Künstlern erscheint gerade die Interaktion zwischen Maschinen interessant, da sie im Gegensatz zur Mensch-Maschine-Interaktion noch weniger vorhersehbar erscheint und jenseits von menschlichen Reaktionsmechanismen und Routinen zu überraschen vermag.
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Doch wie bereits hinsichtlich der Möglichkeit einer Live-Elektronik festgestellt: »Computer music […] did not begin as an interactive art form.«32 Der Entwicklungsprozess, welcher dazu führt, geht einher mit verschiedensten, vor allem die kompositorische Praxis betreffenden Veränderungen. Gemäß der unter Punkt II.2.2 beschriebenen Zentralstellung der künstlerischen Perspektive auf Seiten der Techniker vollzieht sich hier im Gegenzug eine Annäherung der Künstler an die technologischen Gegenstandsbereiche. Um ihre künstlerischen Vorstellungen zu realisieren, sehen sich Komponisten wie Philippe Manoury gezwungen, ihr angestammtes Metier (der Organisation von Klang) wenn nicht zu verlassen, so doch entschieden zu erweitern, da die entsprechenden Realisationsmöglichkeiten, wie beispielsweise eine interaktionsfähige Live-Elektronik, zunächst kreiert werden müssen. Auf den ästhetisch motivierten Umgang mit neuer oder zu erneuernder Elektrotechnik und dem davon ausgehenden Innovationspotential verweist auch Nick Collins: »It is certainly the case that the phrase ›live electronic music‹ strikes many a music fan as oxymoronic. Isn’t the purpose of electronics to do things for us so we don’t have to do them ›live‹ ourselves? To record, perfect and play back performances so we can listen while cycling stationarily? […] While there is no question that composers of tape music and computer music (and a fair number of pop music producers as well) have employed electronics to exactly these ends, electronic technology has another, and possibly more profound power: enabling new and volatile connections. […] Since the 1930s (well before the advent of tape) composers have been using this property of electronics to produce not just new sounds but fundamentally new approaches to organising the sonic world.« 33
Die Befürchtung, dass mit dem Aufkommen der elektronischen oder computertechnischen Speichermedien und den damit einhergehenden neuartigen Rezeptionsmöglichkeiten die Kultur der Live-Musik sukzessive verschwinden würde, hat sich keineswegs bewahrheitet. Doch um eine Computer-basierte Musik zu realisieren, die tatsächlich einer Live-Elektronik entspricht, ist es zunächst notwendig, noch vor jeder Klangorganisation das entsprechende Environment zu kreieren (to organising the sonic world, not just new sounds). In diesem Sinne geschieht die Einrichtung von 32 | Winkler 1998, S. 10 33 | Nicolas Collins, Live electronic music, in: Collins, Escriván 2007, S. 38
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Max mit dem Ziel, einen live-elektronischen Interaktionsraum zu organisieren, welcher das Agieren von Mensch und Maschine in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis ermöglicht.34 Aus diesem steten Entwicklungsprozess resultieren schließlich weitere Raumformate, welche jedoch allesamt die Grundqualitäten live und interaktiv aufweisen. Der Live-elektronische Interaktionsraum gilt somit als Haus Ur (Gregor Schneider), dessen Format in den folgenden Raumstrukturen fortbesteht. Die dennoch auszumachende, vom Interaktionsraum bis zum Hyperraum fortschreitende, qualitative Ausdifferenzierung, die eine Unterteilung in einzelne Formate rechtfertigt, geht einher mit Veränderungen, welche über die räumliche Organisation hinaus sowohl das künstlerische Produkt als auch den Künstler selbst betreffen. So ermöglicht die beständige Weiterentwicklung des Max-basierten Interaktionsraums zunächst eine allmähliche Öffnung der konventionellen Umraum-Situation bzw. eine Loslösung von traditionellen Spielstätten (Konzertsaal etc.), während im Gegenzug eine Annäherung an alternative Produktionsbereiche erfolgt. In Verbindung damit vollzieht sich eine ästhetische Entwicklung hin zum offenen Gesamtkunstwerk, welche wiederum einhergeht mit dem eingangs von Georg Hajdu für die interaktive Phase deklarierten neuen Typ von Komponisten.
III.2.1 Pluton — Philippe Manour y »There is very seldom something new under the sun of composition« vermerkt Robert Rowe und beschreibt anschließend mit Blick auf Systeme wie Max, unter welchen Umständen eine dieser seltenen kompositorischen Neuerung der jüngeren elektroakustischen Musikgeschichte zustande kommen konnte:
34 | Auch das Ausbleiben der Aktion im Sinne einer Interpassivität (gedacht als ironisch-augenzwinkernder Gegenspieler zur allgegenwärtigen Interaktivität) entspricht diesem Interaktionskonzept, da eben auch jedes Unterlassen, jede Leerstelle von einfluss- und folgenreicher Bedeutung ist. Vgl. Interpassives Theater von Robert Pfaller und René Pollesch: »Interpassives Theater wäre, wenn der Schauspieler am Ende der Vorstellung mit ihrem Partner nach Hause geht. Dann müssen sie das nicht tun.« René Pollesch, zit.n. Dirk Pilz, Berliner Zeitung, Nr. 13, 16./17. Januar 2010, S. 33
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»Using processes in performance that change their behavior according to an analysis of other player’s music, however, was never possible before the advent of computers and interactive music systems. Such systems therefore engender a realm of composition that was unknow only a few decades ago. […] By transferring musical knowledge to a computer program and compositional responsibility to performers onstage, however, the composer of interactive works explores the creative potentials of the new technology at the same time that he establishes an engaging and fruitful context for the collaboration of humans and computers.« 35
Philippe Manoury ist ein solcher composer of interactive works, wobei sich interaktiv nicht allein auf den Prozess der Musikkreation (der Mensch-Maschine-Relation) bezieht, sondern ebenso auf die Kollaboration insbesondere zwischen dem Komponisten und dem Programmierer Miller Puckette verweist. Aus diesem interdisziplinären Agieren zwischen Kunst und Technik resultiert sowohl Max als auch der Werkzyklus Sonus ex machina (1987-1991), dessen einzelne Parts (Jupiter, Pluton, La partition du ciel et de l’enfer und Neptune) ebenso als ›Versuchsergebnisse‹ der experimentellen Max-Entwicklung gelten, wie Max umgekehrt vom Realisationsprozess der einzelnen Kompositionen geprägt erscheint: »L’histoire du cycle [Sonus ex machina] pourrait ainsi se résumer à la généalogie d’une partition informatique unique – appelée patch – reprise et développée d’une pièce à l’autre. Le programme Max avec lequel elle est réalisée fut lui-même conçu pour répondre aux nécessités compositionnelles telles qu’elles apparurent au cours des diverses étapes de la composition du cycle. Sa conception a bénéficié de l’expérience de la composition des œuvres, tout en influençant profondément celle-ci.« 36
Die Titel der einzelnen Sonus-Stücke bezeichnen antike Gottheiten und verweisen gemäß dem jeweiligen göttlichen Element (Himmel, Feuer oder Wasser) auf die entsprechende Grundcharakteristik der Musik. Die Klangerzeugung beschränkt sich dabei jedoch in keinem der Stücke lediglich auf die Möglichkeiten der Maschine (ex machina), sondern erfolgt 35 | Robert Rowe, The Aesthetics of Interactive Music Systems, in: Battier 1999, S. 87 36 | Patrick Odiard, De la Confrontation à la Conjonction, A propos de Sonus ex machina, in: Compositeurs d’aujourd’hui, Les cahiers de I’IRCAM-Paris 1995, S. 42
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auf der Basis einer Max-vermittelten Mensch-Instrument-Maschine-Interaktion. So entsteht Jupiter (1987) im Zusammenspiel von Flöte und 4X + Max, Pluton (1988/1989) im Zusammenspiel von Piano und 4X + Max, La partition du ciel et de l’enfer (1989) im Zusammenspiel von Flöte, Klavier und 4X + Max, und Neptune (1991) im Zusammenspiel von Vibraphon, Marimba und IMW + Max.37 Dieses Pionierprojekt stellt den Versuch dar, eine elektroakustische Live-Musik auf der Basis einer zeitgemäßen Computer-Technik zu ermöglichen, deren Entwicklung in unmittelbarem Zusammenhang mit der künstlerischen Konzeption erfolgt. Dabei ist ein beständig zirkulierender In-formationsfluss auszumachen, welcher ausgehend von der ästhetischen Praxis sowohl den Raumrepräsentanten (Max) als auch den live-elektronischen Repräsentationsraum bzw. die entsprechende Raummusik (Sonus) betrifft. So steht vor allem der Übergang der Software von La version non graphique zu The Patcher in engster Verbindung zu der künstlerischen Entwicklung, die von Jupiter zu Pluton führt: »There was a reciprocal influence while Miller [Puckette] solved my [Manoury] problems and my problems gave Miller ideas for how to make the program easier for musicians to use. So following our experience with Jupiter, Miller rewrote the program [Max] for the Macintosh with a graphic interface called Patcher. It was more interactive, with sliders, for example, that allowed me to test the elements that I was working with. For me, the graphic interface made a conceptual change in my ways of working because it gave me a way to do more easily what I had done with great difficulty before. This was very important, because with the Jupiter system, which was not interactive, I had to formalize every thougth in programming terms, and that was not intuitive for me, or for any musician.« 38
In seiner Gesamtheit entspricht das hierbei in-formierte System einem Max-vermittelten live-elektronischen Interaktionsraum, welcher insbesondere mit Pluton zum ersten Mal zum Tragen kommt und seither beinahe modellhaft weiterwirkt: »Cette œuvre [Pluton] est probablement celle qui marquera le plus fortement mon expérience dans le domaine de 37 | Das 1993 von Manoury komponierte Stück En écho gilt als Fortsetzung des Sonus mit den Mitteln der menschlichen Stimme (Sopran) im live-elektronischen Max-Kontext. 38 | Philippe Manoury, zit.n. Chadabe 1997, S. 184
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l’interaction entre instrument et ordinateur.«39 Auf den exemplarischen Charakter der Komposition verweist auch Patrick Odiard: »Le programme Max [+Patcher], que celui-ci écrivit peu après à la lumière des problèmes rencontrés dans la composition de Jupiter, incarne le véritable point de départ du cycle [Sonus], succédant à la phase expérimentale. […] La réalisation du programme et contemporaine de l’écriture de Pluton, de telle sorte que chacun bénéficie des influences de l’autre. Max fut donc au départ un programme conçu pour une œuvre particulière, avant de devenir un outil universel utilisé par un grand nombre de compositeurs. Les œuvres suivantes poursuivent les travaux engagés autour des concepts inaugurés par Pluton.« 40
Darüber hinaus gilt Pluton als konkreter Realisationsversuch der von Manoury in dem Text Les partitions virtuelles (1987) dargelegten Konzeption, welche basierend »sur une volonté d’unification de ces deux univers«41 – der elektronischen und der nichtelektronischen Musikproduktion – das Ziel verfolgt, eine auf ›Augenhöhe‹ operierende, interaktionsfähige Relation zwischen Mensch und Maschine zu gewährleisten. Im Gegensatz zu der bis dahin praktizierten Confrontation von vorproduzierter elektroakustischer (Tape-)Musik mit konventionell-instrumentaler Live-Musik streben Manoury und Puckette mit der Realisation des Sonus eine Zusammenführung – Conjonction – dieser Parts an.42 Die hierfür erstellte Produktionsstruktur entspricht schließlich einem von Richard Povall als environment-driven system 43 beschriebenen Verbund aus 39 | Manoury 1998, S. 403 40 | Odiard 1995, S. 40 41 | Manoury 1998, S. 61 42 | Vgl. Odiard 1995, S. 65 43 | In Anlehnung an Robert Rowe unterscheidet Povall zunächst zwischen scoredriven und performance-driven systems: »Score-driven systems are those in which predetermined or ›scored‹ materials are compared or matched with incoming performance data, placing the composer in his or her traditional role as the final arbiter of the piece. Performance-driven systems, on the other hand, rely on interpreting typically improvisational performance data, attempting to recognise classes of data, such as repetition, speed, pitch range, and so on.« Angesichts einer sich immer komplexer gestaltenden, elektroakustischen Aufführungspraxis wird dann jedoch ein weiteres, zusammenfassendes environment-driven system
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Software, Hardware und Mensch, welcher »a fully interactive feedback situation«44 ermöglicht. Im Falle von Pluton besteht dieses System aus zwei interaktionsfähigen Parts – Pianist und Instrument (MIDI-Piano) auf der einen, und der 4X auf der anderen Seite. Die Vermittlerposition zwischen beiden Teilen wird von Max (zu diesem Zeitpunkt erstmals auf einem Macintosh-Computer laufend) erfüllt. Diese Vermittlungsleistung lässt sich wiederum in zwei Funktionsbereiche unterteilen, und zwar in den Bereich des bereits unter II.2 beschriebenen Score-Followings und den Kontrollbereich der Befehlsvermittlung zur konkreten Soundsynthese oder Soundmodulation durch den 4X. Letzterem geht allerdings der Prozess des Score-Followings voraus, wobei die über ein MIDI-Kabel vom Piano in den Computer eingehenden Daten analysiert und mit der digitalisierten Partitur verglichen werden, um so an der exakt dafür vorgesehenen Stelle die entsprechende soundtechnische (Re-)Aktion zu veranlassen. Mit dem hierbei zentralen Max-Objekt der Analyse Follow kann der jeweilige Input aufgrund der Tonhöhe (Pitch) identifiziert und dem zeitlichen Verlauf der Partitur zugeordnet werden. Sobald dies geschehen ist erfolgt das durch die Partitur festgeschriebene, via Max organisierte und mit dem 4X realisierte digitale Signal-Processing (DSP) – die elektronische Modulation des an dieser Stelle bereits digitalisierten Inputs – in Form von réverbération infinie, freqency (pitch) shifter, harmonizer, échantillonneurs (loop) oder spatialisation (für vier Lautsprecher). Hinzu kommen mittels additiver Synthese erzeugte Computerklänge, welche sich jedoch ebenfalls in Abhängigkeit zum Human- bzw. Instrumental-Input ereignen, dessen Amplitude die via FFT (Fast Fourier Transform) erfolgende Klangberechnung beeinflusst. Somit sorgt insbesondere die individuelle Lautstärkebehandlung durch den Instrumentalisten dafür, dass auch dem Computer-Part von Auffühbeschrieben: »In an environment-driven system, the performer is working within an algorithmic environment in which there are elements of both score-driven and performance-driven systems. The environment is listening to the performance data, which in its turn can trigger predetermined or algorithmic, or even aleatoric processes. By the same token, the performer is also reacting to the environment, placing herself into a fully interactive feedback situation.« Richard Povall, Compositional Methods in Interactive Performance Environments, in: Journal of New Music Research, Vol. 24, 1995, S. 110 44 | Ebd. S. 110
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rung zu Aufführung ein gänzlich verschiedenartiges Timbre zukommt. Außerdem gelangen die Pianoklänge auf einem zweiten Signalweg direkt ins Mischpult und können so jederzeit auch unbearbeitet erklingen. Diese Vorgänge erfolgen en temps réel, das heißt, dass die maschinellen Rechenvorgänge mit einer Geschwindigkeit von wenigen Millisekunden ablaufen, so dass die entsprechenden Aktionen in Echtzeit, also nicht zeitverzögert wahrgenommen werden.45 Damit wäre jedoch erst die eine Hälfte des Interaktionskreislaufs beschrieben. Erfüllt wird die gesamte interactive feedback situation schließlich durch die Rückwirkung ex machina auf den Interpreten bzw. dessen Interpretation. Dieses maschinelle Feedback ›lebt‹ in diesem Fall von Unvorhersehbarkeiten, welche resultieren aus der vom Input-Volumen abhängigen FFT-Analyse-Synthese und vor allem aus les matrices de Markov46, einem von Manoury in die Komposition eingearbeiteten Algorithmus (in Max repräsentiert durch die von Puckette entwickelten MarkovObjekte), welcher den Piano-Input aleatorisch verwertet und dabei relativ unvorhersehbares Klangmaterial produziert. Aufgrund dieser algorithmischen Unbestimmtheit können beständig neuartige Impulse in den Interaktionskreislauf eingespeist werden, welche wiederum die weitere Performance des Pianisten beeinflussen (sollten): »[…] il y a là un échange permanent, une interdépendance presque ›vitale‹ entre l’un et l’autre: le musicien doit être en permanence à l’écoute de ce que la machine lui renvoit pour lui faire ›dire‹ toujours de nouvelles choses et le pousser 45 | Eine detaillierte Analyse dieser Vorgänge liefert David Waxman, Eléments d’analyse technique: Pluton (1988/1989) de Philippe Manoury, Cahier d’analyse création et technologie, Documentation musicale, IRCAM-Paris 1991 (a) 46 | »Dans Pluton, j’ai utilisé un procédé qui s’appelle les ›matrices de markov‹: il s’agit d’un processus d’engendrement aléatoire qui donne des probabilités de successions entre des événements quelconques. […] Dans l’exemple de Pluton, l’ordinateur enregistre la succession d’événements, de notes, de rythmes, que produit le pianiste: il joue une séquence musicale que la machine analyse dans tous ses constituants: hauteurs, durées, longueur de sons, dynamique… Elle développe alors immédiatement une séquence dérivée de cette analyse selon certaines règles de permutation aléatoire.« Philippe Manoury, Machines apprivoisées, in: Va-Et-Vient, Entretiens avec Daniela Langer, Musica falsa Société de Presse 2001, S. 111
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ainsi à s’inventer une approche de la partition toujours renouvelée. Il engendre le processus musical mais aussi le modifie en cours de route par sa propre interprétation.« 47
Gemäß dem via Algorithmus offen gehaltenen Aktionsradius der Maschine besteht auch auf Seiten des Instrumentalisten ein gewisser Handlungsfreiraum, dessen Grenzen vor allem durch die Pluton-Partitur vorgegeben werden. Das Stück ist in fünf Teile – Toccata, Antiphonie, Séquences, Modulations und Variations – untergliedert, von denen insbesondere die Séquences »une forme ouverte« darstellen, »où le pianiste engendre le ›texte‹ produit par la 4X«48. Dementsprechend erfolgen in der Partitur Spielanweisungen wie: »L’ordre d’apparition de ces sequences est laissé au choix de l’interprète.« Oder: »Les durées entre les séquences sont laissées au choix de l’interprète.«49 Diese Tendenz zur Offenheit setzt sich mit der weiteren Max-Arbeit fort, welche dem Potential der Produktionsstrukturen entsprechend verstärkt offene Produktionen begründet. Begleitet wird dieser Öffnungsprozess von einer sukzessiven Auflösung der konventionellen Relation zum Umraum (Konzertsaal), die allerdings im Falle des gesamten Sonus noch ebenso Bestand hat wie die traditionelle Rollenverteilung zwischen Techniker (Miller Puckette) und Künstler (Philippe Manoury). Was sich mit der engen Zusammenarbeit der Family-Mitglieder zwar bereits andeutet, kommt erst in späteren Produktionen tatsächlich zum Tragen, in denen Komponisten wie Karlheinz Essl, Kasper T. Toeplitz oder Georg Hajdu tatsächlich beide Aufgabenbereiche mit ihrer Tätigkeit vereinen. Die eingeschränkte (einkomponierte) Offenheit des Sonus entspricht schließlich der ›familiären‹ Produktionssituation am IRCAM, wo die durchaus offenen Arbeitsverhältnisse noch immer institutionell gebunden bleiben. Eine über diesen Rahmen hinausreichende Handlungsstruktur, wie sie nach der Publikation der Software in dem für die Community so charakteristischen, offenen Austausch von Max-Materialien zum Tragen kommt, kann in dieser Frühphase der Max-Anwendung 47 | Ebd. S. 111-112 48 | Philippe Manoury, Pluton, Notes de programme de la creation, in: Waxman 1991 (a), S 64 49 | Philippe Manoury, Pluton, Partitur, Durand Éditions Musicales, Paris 1993, S. 27
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noch nicht ausgemacht werden. Dennoch wird ein solch überregionales Arbeitskollektiv bereits im Family-Kontext vorgedacht bzw. angeregt. So schreibt David Waxman in seiner Pluton-Analyse: »It is my hope that this document will permit composers with similar projects to avoid having to ›reinvent the wheel‹. Certain patches […] are sufficiently general to be ›cut and past‹ directly into other applications. […] Example patches on floppy disk are provided for the purpose of experimenting with these processes in an isolated environment.« 50
Eine öffnende bzw. öffentliche Weiterführung der etwas anderen Art erfährt Pluton (ebenso wie Jupiter) durch das von Miller Puckette, Kerry Hagan und Arshia Cont seit den späten neunziger Jahren entwickelte Pd Repertory Project, welches sich der Restauration von Werken der live-elektronischen Musikgeschichte widmet. Ziel ist das Reenactment spezieller Arbeiten wie beispielsweise Dialogue de l’Ombre Double von Pierre Boulez oder Mantra von Karlheinz Stockhausen, welche ähnlich wie der Sonus aufgrund ihrer essenziellen Bindung an spezifische technische Elemente in einem sich beständig wandelnden technischen Umfeld häufig schon nach kurzer Zeit jede Realisationsgrundlage verlieren: »In addition to making it much easier to perform these specific pieces […] the project aims to fill three other useful functions. First, the realizations will serve to document the pieces in a way that will be useful to musicologists. Second, they will serve as a model showing how one might realize pieces involving real-time electronics in a less ephemeral way than is now often the practise. Finally, these realizations should be able to attain a higher level of audio quality than previous ones.« 51
Mit Linux (Betriebssystem) und Pure Data kommen in diesem Zusammenhang Freie-Software-Produkte zum Einsatz, die aufgrund ihrer Anlage in besonderem Maße geeignet sind, ein solches Unternehmen dauerhaft zu unterstützen – »because it is available with source so that people should be able to recompile it at will in the future, and for its platform
50 | Waxman 1991 (a), S. 3 51 | http://crca.ucsd.edu/~msp/pdrp/latest/files/doc/
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independence.«52 Die entsprechenden Performance-Patches, wie beispielsweise der folgende, größtenteils im Originalzustand belassene Pluton-Mainpatch53 (hier als Pd-Import), sind unter http://crca.ucsd.edu/~msp/ pdrp/latest/files/doc ebenfalls frei erhältlich. Abbildung 15: Pluton-Mainpatch 52 | http://crca.ucsd.edu/~msp/pdrp/latest/files/doc/ 53 | »The Pluton patch, now existing in various forms, is in essence the first Max patch.« Puckette 2002 (a), S. 34
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III.2.2 Live-Coding — TOPL AP, Blank Pages Im Gegensatz zu der soeben beschriebenen, frühesten Max-Arbeit, die sich konkret an bestimmten Personen und einzelnen Werken festmachen lässt, gestaltet sich das sogenannte Live-Coding – eine der jüngeren Erscheinungsformen der live-elektronischen Max-Praxis – zunächst weder personen- noch werkgebunden. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Performance-Praxis mit gewissem Event- bzw. Happeningcharakter, wobei sich mehr oder minder spontan Kollektive zusammenfinden, die auf einer gemeinsamen Basis wie Max (oder vergleichbaren Anlagen wie SuperCollider) programmierend musizieren bzw. improvisieren, was wiederum die grundsätzliche Flüchtigkeit des räumlichen Arrangements, des Personals und der Musik begründet – »No Load No Save«54. Dies geschieht jedoch nicht ohne im Vorfeld fixierte, formgebende Rahmenbedingungen (wie beispielsweise die Performance-Anweisung no load no save), die als Spiel-Regelwerk durchaus gewisse Parallelen zum Poetry Slam oder zum Dogma-Film aufweisen und dabei eine nicht unbedeutende politische Motivation erkennen lassen, womit die Praxis des Live-Codings unmittelbar an die im Zusammenhang mit Pure Data beschriebene Open-Source-Thematik anknüpft. Trotz der eigentlichen personellen Ungebundenheit lässt die Geschichte des Live-Codings dennoch vereinzelt ›tragende‹ Formationen erkennen. Eine davon ist das mit den Anfängen der Bewegung untrennbar verbundene Kollektiv TOPLAP – (Temporary/Transnational/Terrestrial/ Transdimensional) Organisation for the (Promotion/Proliferation/Permanence/Purity) of Live (Algorithm/Audio/Art/Artistic) Programming: »TOPLAP exists to promote the writing and modifying of rules while they are followed. This includes the writing of software while it is being executed, allowing programmers to improvise music and visuals live before an audience as well as conduct exploratory research with live source code.« 55
Die Personalliste dieser 2004 gegründeten Organisation of Live Programming ist lang und enthält u.a. die Namen von Amy Alexander, Adrian Ward, Alex McLean oder Nick Collins, deren Träger sich in diesem Zusammenhang dem künstlerischen Ziel verschrieben haben, die Praxis des Live-Co54 | www.blankpages.fr/score.html 55 | http://toplap.org/index.php/Main_Page
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dings, das heißt, des Erstellens von Algorithmen und Programmcodes im live-elektronischen Kontext als multimediale bzw. audio-visuelle Kunstform zu etablieren – coding as a musical act, programming as art. Was sonst häufig als Vorbereitung einer Live-Performance gilt und als unästhetisches Techno-Machwerk verborgen bleibt, wird hier an exponierter Stelle zentral präsentiert. Dabei erfolgt das Sicht- bzw. Hörbarmachen der Programmiervorgänge zum einen über visuelle Echtzeit-Projektionen, welche neben dem akustischen Material ebenfalls als manipulierbare Gegenstände der Performance fungieren können, wobei immer das Zeigen der originalen, experimentell-improvisatorischen Arbeitsprozesse im Vordergrund steht. Zum andern sind diese Prozesse eben zu hören, und zwar ›ungeschminkt‹ (pure) mit all ihrer Fehlern, die in diesem Zusammenhang vielmehr als bedeutende evolutionäre Momente die künstlerische Durchführung beeinflussen: Fehler, egal ob menschlich oder maschinell verursacht, erscheinen hierbei als das augenblickliche Fehlen von (vor-)bestimmenden Konventionen, als unkonventionelle Leerstellen, durch die eine Offenheit ins Spiel kommt, welche neue Wege (durch den Interaktionsraum) zu provozieren vermag.56 Auch wenn TOPLAP sicher nicht die Erfinder des Live-Codings sind – das Kollektiv verweist auf eine musikhistorische Linie, die zurückgeht bis auf die Netzmusikpioniere von The Hub – so wird doch gerade in diesem Kontext das ›Kind‹ beim Namen genannt, und zwar in der konzentrierten Form eines Manifestes, welches eine relativ klare Vorstellung von dem fixiert und vermittelt, was heute als Live-Coding weltweit praktiziert wird: »ManifestoDraft from Toplap We demand: • Give us access to the performer’s mind, to the whole human instrument. • Obscurantism is dangerous. Show us your screens. • Programs are instruments that can change themselves. • The program is to be transcended – Artificial language is the way. • Code should be seen as well as heard, underlying algorithms viewed as well as their visual outcome. • Live coding is not about tools. Algorithms are thoughts. Chainsaws are tools. That’s why algorithms are sometimes harder to notice than chainsaws. 56 | Vgl. Kim Cascone, The Aesthetics of Failure: »Post-Digital« Tendencies in Contemporary Computer Music, in: Computer Music Journal, 24:4, Winter 2000, S. 12 ff
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We recognise continuums of interaction and profundity, but prefer: • Insight into algorithms • The skillful extemporisation of algorithm as an expressive/impressive display of mental dexterity • No backup (minidisc, DVD, safety net computer) We acknowledge that: • It is not necessary for a lay audience to understand the code to appreciate it, much as it is not necessary to know how to play guitar in order to appreciate watching a guitar performance. • Live coding may be accompanied by an impressive display of manual dexterity and the glorification of the typing interface. • Performance involves continuums of interaction, covering perhaps the scope of controls with respect to the parameter space of the artwork, or gestural content, particularly directness of expressive detail. Whilst the traditional haptic rat timing deviations of expressivity in instrumental music are not approximated in code, why repeat the past? No doubt the writing of code and expression of thought will develop its own nuances and customs. Performances and events closely meeting these manifesto conditions may apply TOPLAP approval and seal.« 57
Die hier formulierte Ästhetik einer Kunst des Programmierens inspirierte in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von ähnlich dynamischen Kollektiven, die sich beständig re-formieren, wobei immer auch das Reglement zumindest im Detail variiert und auf die speziellen Konstellationen zugeschnitten erscheint. So wird beispielsweise das Projekt Blank Pages (oder Pages Blanches), welches 2008 von Miller Blank als Anleitung zur Organisation von Live-Coding-Sessions gegründet wurde, gemäß der individuellen Ausrichtung und Interpretation der Idee des Live-Codings wie folgt beschrieben: »This project is based on a score that leads to the meeting and the improvisation of musicians, video artists and programmers […]. The ›Blank Pages‹ score describes the situation in 4 points: 1- Each participant has to use one of the two programming language written by Miller Puckette, Pure Data or Max/MSP. 2 – The session length is fixed to 60 min. 3 – Participants need to start a session with an empty 57 | http://toplap.org/index.php/ManifestoDraft
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programming page. 4 – it is strictly forbidden to load or recall any program during the session. Each participant has a computer and one of the mentioned applications, and elaborates a program that will make sound and/or video. Max/MSP and Pure Data programming languages permit to write and modify applications in a live situation, while continuing to work on the application itself, therefore one can code and immediatly listen to this code result. There are no links between the computers, the participants have to listen and watch the others in order to play together. With the score and the four instructions, the listening is stimulated, and the quality of the audio-visual production becomes everyone’s responsibility.« 58
Dem Vorwurf der ›Verdunkelung‹ von künstlerischen Entwicklungsprozessen, welcher bekanntlich gerade der Computer-basierten Live-Elektronik anhaftet, wirkt Blank entgegen, indem er die Session als eine für den Rezipienten begehbare Performance inszeniert haben möchte, wobei eine unbegrenzte Anzahl von Spielern nach Möglichkeit eher mittig positioniert auftritt, während das Publikum die gegebenen Freiräume nutzen kann, um die einzelnen Screens der Performer einzusehen: »The performance must be set up in a way that the public is free to move around all sides of the performers.«59 Abbildung 16: Blank Pages, Performance-Setting
58 | http;//www.blankpages.fr/project.html 59 | http;//www.blankpages.fr/technical.html
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Abbildung 17: Blank Pages, Performance-Setting
Abbildung 18: Blank Pages, Performance-Setting
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Als gemeinsame Größe der Live-Coding-Szene gilt schließlich das zentrale Element der verschiedenen, immer wieder aufs Neue zu konstituierenden live-elektronischen Handlungsräume – the blank page. Die Mehrzahl der in diesem Kontext realisierten Arbeiten basiert auf dem Umgang mit Max (oder vergleichbaren Environments wie SuperCollider), so dass die Kunst des Programmierens in diesem Zusammenhang durchaus einer Kunst des Patchens entspricht.60 Doch anders als im vorangegangenen Beispiel (III.2.1), bei dem der konkret ausformulierte Patch als Vermittler eines ebenso größtenteils auskomponierten Mensch-Maschine-Interaktionsraums fungiert, ist der Ausgangspunkt hier immer der unbeschriebene Patch. Das Wesentliche des Live-Codings – die Offenheit der Ausgangssituation – resultiert also aus der spezifischen Offenheit des Max-Systems und auf der unmittelbaren Direktheit der programmtechnischen Reaktion (in real-time). Das spontan-improvisierte Patchen vermittelt hier einen Interaktionsraum, der über die Mensch-Maschine-Relation hinaus sowohl die verbindenden, kommunikativen Prozesse zwischen den Akteuren als auch die mögliche Einbindung des Rezipienten betrifft: »Live coding allows the exploration of abstract algorithm spaces as an intellectual improvisation. As an intellectual activity it may be collaborative. Coding and theorising may be a social act. If there is an audience, revealing, provoking and challenging them with the bare bone mathematics can hopefully make them follow along or even take part in the expedition.« 61
Damit besteht die Möglichkeit eines offenen Handlungsraums, welcher lediglich durch das vorgegebene Reglement begrenzt wird. Gemäß der Grundregel no load no save ist es beispielsweise nicht erwünscht, bereits bestehende Aufnahmen oder Samples zu verwenden, so dass während einer Live-Coding-Session neben der real-time Synthese häufig auch die gesamte Bild-, Klang- und Geräuschkulisse des jeweiligen Umraums 60 | Ob das Max-basierte Patchen tatsächlich noch einem Programmiervorgang und Max selbst einer high-oder gar low-level Programmiersprache entspricht oder nicht, darüber gehen die Meinungen auseinander (mit low- bzw. high-level wird hier die Nähe zum jeweiligen Betriebssystem angezeigt). In einem weiter gefassten Sinne wird jedoch sowohl beim Patchen als auch beim Programmieren codiert, so dass die Bezeichnung Live-Coding in jedem Fall zutrifft. 61 | http://toplap.org/index.php/Read_me_paper
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als weiterzuverarbeitendes Material in den Kreationsprozess einfließt. Schließlich führt die Öffnung der räumlichen Performancesituation in Verbindung mit der Offen-Sichtlichkeit der Produktionsprozesse zu einer genreübergreifenden Performance-Kunst, die grundsätzlich sowohl auditive als auch visuelle Elemente gleichermaßen beinhaltet. Der hier auf der vermittelnden Grundlage des unbeschriebenen Patchs bestehende Spielraum ermöglicht ein grundsätzlich multimedial-interdisziplinäres Arbeiten, welches nicht nur zur Auflösung einstiger Gegensatzpaare wie Komposition-Improvisation oder Komponist-Interpret beiträgt, sondern vor allem die Trennung von Kunst und Technik bzw. Künstler und Techniker überwindet. Mit dem Live-Coding wird der Akt des Programmierens, Patchens oder Codierens auf der Ebene der spontanen, experimentell-spielerischen Schöpfung zur Kunstform erhoben. Der Patch wird dabei nicht mehr zum Instrument ausgearbeitet, um anschließend damit Kunst zu machen. Eingebunden in den live-elektronischen Kreationsprozess geschieht das Patchen (das Instrumentendesign) selbst als Kunst bzw. als Kunstvollzug, in welchem nun tatsächlich zusammenspielt was bisher lediglich zusammengehörte: Technik, Kunst, Sound, Image, Komponist, Interpret und Rezipient.
III.3 G ESTIKULIERTER R AUM Der im Folgenden beschriebene Gestikulierte Raum entspricht grundsätzlich einem live-elektronischen Interaktionsraum, welcher allerdings mit dem Element des Gestischen ein so charakteristisches Kriterium aufweist, dass er an dieser Stelle als ein eigenständiges Raumformat behandelt wird. In seinem Versuch einer Phänomenologie definiert Vilém Flusser Gesten als Bewegungen des (menschlichen) Körpers und den eventuell damit verbundenen Werkzeugen bzw. Instrumenten, welche ihrer Ausrichtung gemäß einen bestimmten Zweck erfüllen bzw. Intentionen zum Ausdruck bringen etc.62 Dementsprechend verfügt jeder Gegenstandsbereich über typische Gesten, die Flusser exemplarisch untersucht, wobei insbesondere die Gesten des Schreibens, des Malens, des Fotografierens und des Filmens zur Sprache kommen. Bezogen auf die Musik definiert 62 | Vgl. Vilém Flusser, Gesten, Versuch einer Phänomenologie, Frankfurt a.M. 1994, S. 7 ff
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Flusser allerdings lediglich eine Geste des Musikhörens, die in erster Linie die spezifische Haltung des Hörenden in Abhängigkeit zum Gehörten betrifft: »Das Musikhören ist eine Körperstellung, das heißt eine innere Spannung, die sich lockert, also selbst verneint, wenn sie sich als Bewegung äußert.«63 Oder: »Das Hören von Musik ist eine Geste, die sich der empfangenen Botschaft anpasst, und eben dass sie ihre Form von Botschaft zu Botschaft wechselt ist das Wesentliche und allen diesen Formen Gemeinsame und macht sie zu Gesten des Musikhörens.«64 Dieser gespannten (unbewegten) Bewegtheit des Musikhörens geht jedoch in der Regel eine Geste des Musizierens voraus, die als das entscheidende Element des Gestikulierten Raums hier zunächst näher zu bestimmen ist: In der Musik entsprechen Gesten zumeist intentionalen Bewegungen oder Bewegungskomplexen zur Erzeugung von Klang und darüber hinaus möglicherweise auch zur Vermittlung von künstlerischen Intentionen. In Verbindung mit einem speziellen Instrumentarium wird aus dieser Geste der Klangproduktion eine trainierte (wiederholbare) Geste des Musizierens zur Erzeugung von konkreten (vordefinierten) Klangereignissen, wobei mehr oder minder der gesamte Körper agieren kann, wenngleich insbesondere Hände, Füße und Mund als die vordergründigen Mensch-Instrument-Schnittstellen zentral erscheinen. Diese an instrumentalisierte Materialien wie Holz, Metall oder Luft gebundenen Gesten gelten im Folgenden als funktionale Gesten des Musizierens, welche technisch trainiert, kontrolliert, ökonomisiert und standardisiert der direkten, zielgerichteten Klangerzeugung dienen. Außerdem lassen sich ästhetische Gesten des Musizierens ausmachen, welche zwar häufig in Verbindung mit funktionalen Gesten ablaufen, tendenziell aber unkontrolliert oder gar unbewusst erfolgen.65 Der wesentliche Unterschied besteht insbesondere in dem Raum, den beide Gesten hinsichtlich Klangerzeugung bzw. Klangerzeuger in Anspruch nehmen. Im Falle der funktionalen Geste handelt es sich um einen konzentrierten, begrenzten (und begrenzenden), klar definierten Funktionsraum zur 63 | Ebd. S. 154 64 | Ebd. S. 153 65 | Zur Gegenüberstellung von essentiel vs. nonessentiel gesture, vgl. Atau Tanaka, Musical Performance Practice on Sensor-based Instruments, in: Trends in Gestural Control of Music, hg. von Marc Battier und Marcelo M. Wanderley, IRCAM-Paris 2000, S. 401 f
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direkten und im Abschluss distanzlosen Klangerzeugung (durch Körperkontakt), während die ästhetische Geste in einem relativ unkonventionellen und ungebundenen Freiraum lediglich indirekt, also distanziert an der Klangerzeugung beteiligt ist. Was die konventionelle Praxis der Musikpädagogik (Instrumentalunterricht etc.) anbelangt, so besteht hier im Dienste der optimalen Klangerzeugung eine Hierarchie, innerhalb welcher die funktionale Geste als die bedeutendere der ästhetischen Geste übergeordnet und dementsprechend separat gefördert wird.66 Erst mit neuartigen, vor allem elektroakustischen Instrumenten wie beispielsweise dem Ätherophon (1920) von Leo Theremin setzt eine Bewegung ein, die ein spielerisches Ineinandergreifen von funktionaler und ästhetischer Geste bewirkt und schließlich in den hier zu beschreibenden Gestikulierten Raum mündet. Das Ätherophon ist ein mittels Handbewegungen minutiös bespielbarer »Radioapparat zur Musikerzeugung«67, dessen Antennen elektromagnetische Schwingungen aufnehmen und so Frequenz- und Lautstärkemodulationen ermöglichen. Dies erlaubt zuerst eine funktionale Geste zur direkten Klangerzeugung, die allerdings über den Freiraum der ästhetischen Geste verfügt und distanziert (ohne Körperkontakt, aber nicht unabhängig) vom Klangerzeuger erfolgt. Auch die im Gestikulierten Raum vollzogenen Gesten bleiben auf Distanz, obwohl sie der direkten Klangerzeugung dienen. Mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung des für diese Entwicklung ausschlaggebenden Instrumentariums, und hier vor allem mit der Einführung einer auf Sensoren basierenden Computer-Technologie, erscheint diese Distanz zwischen Geste und Klangerzeuger aus der Sicht des Rezipienten fälschlicherweise häufig als Beziehungslosigkeit zwischen Geste und 66 | Hier steht das Ausbilden bzw. der Vollzug standardisierter Gesten im Vordergrund, während die ästhetische Bewegtheit entweder als Störfaktor weitestgehend zu minimieren ist oder als unvermeidbare Begleiterscheinung, individuelle Note oder Showeffekt akzeptiert wird. Bestenfalls wird beispielsweise der kreisende Oberkörper eines Kontrabassisten, der als ästhetische Geste nicht direkt an der Klangerzeugung beteiligt ist, als notwendig interpretiert, wenn es darum geht, die Gesamtheit des musikalischen Aus- und Eindrucksvermögens zu optimieren. 67 | Joachim Stange-Elbe, Das andere Musikinstrument. Von elektrischen Spielinstrumenten zum Synthesizer, in: Ungeheuer 2002, S. 267
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Klangereignis, was wiederum die Akzeptanz Computer-basierter LiveProduktionen allgemein beeinträchtigt. Hinsichtlich der Einführung des Computers als Live-Musikinstrument und den damit einhergehenden, möglichen Irritationen bei der Zuordnung von Geste und Klang schreibt Kasper T. Toeplitz: »Que le geste musical sur l’ordinateur ne soit pas perceptible, je le comprends très bien. Mais un orgue d’eglise, on ne sait ce qu’il fait non plus et ça ne pose pas de problème. Donc, je crois que c’est vraiment une question de mentalité.«68 Demnach wäre es lediglich eine Frage der Zeit, bis sich das Publikum auf die neuartigen Produktionsverhältnisse einstellt und entsprechende Rezeptionsroutinen entwickelt. Auf Seiten der Produktion gehört diese Art der technisch begründeten Irritation allerdings längst zu den zentralen Elementen im kreativen Prozess und muss deswegen vielmehr als spezifisches Stilmittel gewertet werden. Sowohl die Distanz zwischen Geste und Instrument als auch die zwischen Geste und Klang gilt es im Rahmen der live-elektronischen Performance als bedeutende Spielräume zu durchmessen: »Distance becomes one of the issues of the composition.«69 Diese Aussage bezieht sich zwar auf die zu überbrückende geographisch-räumliche Distanz zwischen einzelnen Musikern (der Sensorband) während einer Performance, trifft jedoch auch auf den Gestikulierten Raum zu, dessen spezifische Distanzen insbesondere auf dem Einsatz neuer Sensor-Technologien beruhen, welche bereits seit den frühen Neunzigern vor allem in Kombination mit Max neuartige Performance-Situationen evozieren. Von der funktionalen Geste aus betrachtet könnte man in diesem Kontext tatsächlich von einer ›Befreiung der Geste des Musizierens‹ sprechen, wobei auf der Basis von sensor-based instruments Freiräume eröffnet werden, in denen nun ein im Grunde unbegrenztes Spektrum an ungebundenen Gesten (des Alltags, der Kunst etc.) in immer neuen Funktionszusammenhängen erscheint, womit neben der Klangerzeugung weitere Gegenstandsbereiche an Bedeutung gewinnen. Aufgrund ihrer Eigenständigkeit (im Raum) erscheint hierbei zuerst die Geste selbst so zentral, dass sie unabhängig von ihrer Funktion immer schon einer szenisch68 | Kasper T. Toeplitz, Interview: Kasper T. Toeplitz, Propos recueillis par Roald Baudoux, in: Les Cahiers de l’ACME, Nr. 214, September 2003, http://sleazeart. com/SA_textes.html, S. 5 von 8 69 | Edwin van der Heide, zit.n. Bert Bongers, Interview with Sensorband, in: Computer Music Journal, 22:1, Spring 1998, S. 21
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tänzerischen Bewegungseinheit entspricht, welche über einen gewissen künstlerischen Eigenwert verfügt. Dieser sich beinahe zwangsläufig einstellende Effekt führt schließlich zu einem neuartigen Zusammenspiel von Musikproduktion und Tanz (im weitesten Sinne). Gemäß dem unter III.2 beschriebenen Interaktionskreislauf kreieren und modifizieren die Gesten des Tänzer-Musikers nun tatsächlich die Klänge, ebenso wie die Klänge rückwirkend für Bewegung sorgen, so dass die bisher zumeist in traditioneller Koexistenz lediglich parallel geführten Entwicklungsprozesse von Choreographie und Komposition (Ballett u.a.) nun direkt ineinanderspielen. Diese vom Zentralelement der Geste gestiftete, produktionsästhetische Einheit von Tanz und Klang wird in zahlreichen Arbeiten noch erweitert durch den Bereich der ebenfalls gestisch gesteuerten Bilderzeugung, so dass die von Golo Föllmer aufgeworfene Frage Towards a New Gesamtkunstwerk?70 in diesem Kontext der gestikulierten Freiräume eindeutig zu bejahen ist. Hier werden die verschiedenen Gegenstände (Klang, Bewegung und Bild) nicht lediglich in Zeit und Raum parallel geführt, sondern miteinander kreiert.71 Die Masse der seit den neunziger Jahren auf der Basis von neuen Sensor-Technologien und Max realisierten Arbeiten ist schließlich in entscheidendem Maße an der Entstehung des mittlerweile etablierten Genres der Sensor-based-live-performance-art beteiligt, dessen Vielfalt an dieser Stelle lediglich angedeutet werden kann. Pionierarbeit leistet hier insbesondere Michel Waisvisz, welcher (ebenso wie David Rokeby, vgl. III.3.1) bereits seit den frühen achtziger Jahren, also deutlich vor Max, mit Arbeiten wie The Hands speziell auf dem Gebiet der gestural instruments live-elektronische Musikgeschichte geschrieben hat.72 Allerdings verwendet auch Waisvisz in späteren Jahren neben seinen eigenen SoftwareKreationen (LiSa, junXion, The Lick Machine) Max, und zwar vor allem zur Bild- und Videoverarbeitung. Eine vergleichbare Zuwendung erfährt 70 | Föllmer 2002, S. 19 71 | Zur Verbindung von Max und dem Interactive Dance, wo es ebenfalls auf der Grundlage einer, häufig Max-vermittelten motion-tracking-technology um die Interaktion zwischen Bewegung, Sound und Image geht, vgl. Wayne Siegel und Jens Jacobsen, The Challenges of Interactive Dance: An Overview and Case Study, in: Computer Music Journal, 22:4, 1998, S. 29 ff 72 | Vgl. Volker Krefeld, The Hands in The Web: An Interview with Michel Waisvisz, in: Computer Music Journal, 14:2, Summer 1990, S. 28 ff
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die Software im Falle der Meta-Instruments von Serge de Laubier (»We hear the gesture.« 73), deren erste Generation (1989) noch ohne, die zweite (1995) dann mit Max (als einem offen-variablen Instrument im Instrument) funktioniert.74 In den neunziger Jahren sind es dann vor allem Formationen wie die von Atau Tanaka, Edwin van der Heide und Zbigniew Karkowski gegründete Sensorband75, welche den Bau und das Spiel von gestural instruments im live-elektronischen Performance-Kontext und vor allem im Zusammenhang mit Max (»the structural ›brain‹ of the system« 76) weiterführen: »We have precedents like Michel [Waisvisz], and before that, Theremin and Max Mathews. In fact, there is much research happening in our field on gestural control. But we should not forget about purely musical influences and artistic objectives. This is what is new – not necessarily the technology, or the idea of sensor control over computer-generated music, but the aesthetic, structural approaches, and the performance practice we establish.« 77
Auch Todd Winkler, der im Zusammenhang mit Max vor allem als Autor von Composing Interactive Music, Techniques And Ideas Using Max (MIT 1998) bekannt ist, kreiert auf der Basis von Max-vermittelten Sensor-Environments interaktive Sound- und Videoinstallationen wie Light Around the Edges (1997).78 Und dass die Software heute noch immer gerade auf dem Gebiet der Sensor-basierten Multimedia-Produktionen zentral erscheint, belegen jüngere Publikationen wie beispielsweise die von Dan Overholt, John Thompson, Lance Putnam, Bo Bell, Jim Kleban, Bob Sturm und
73 | Laubier 1998, S. 29 74 | »The Meta-Instrument is a musician-machine interface and a gesture transducer intended for electro-acoustic music, multimedia work, and, more generally, for controlling algorithms in real time.« Ebd. S. 25 75 | »[…] an ensemble of musicians who use sensor-based gestural controllers to produce computer music. Gestural interfaces – ultrasound, infrared, and bioelectric sensors – become musical instruments.« Bongers 1998, S. 13 76 | Ebd. S. 15 77 | Atau Tanaka, zit.n. Bongers 1998, S. 23 78 | Vgl. Todd Winkler, Audience Participation and Response in MovementSensing Installations, ICMC Proceedings 2000, S. 137 ff
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JoAnn Kuchera-Morin.79 Dabei gilt es wiederholt zu betonen, dass Max grundsätzlich in einem Medienkomplex funktioniert und somit nicht als alleiniger Ausgangspunkt der jeweiligen Produktionsstrukturen angesehen werden kann. Dennoch zieht sich die Software wie ein roter Faden durch die Szene, während andere Strukturelemente im Laufe der Jahre auch innerhalb der einzelnen Arbeiten ausgetauscht und ersetzt werden, was einmal mehr die zentrale Position der Software hinsichtlich der Information dieser Spielräume bestätigt.80
III.3.1 The Master of Space — David Rokeby Der Titel The Master of Space bezieht sich an dieser Stelle auf den Künstler David Rokeby bzw. auf dessen Arbeitsschwerpunkt – die (De-)Konstruktion und das Infragestellen (Um-stellen) von räumlichen Strukturen (in ihrer Zeit) mit dem Ziel der Dynamisierung von Wahrnehmungsmustern und Rezeptionsroutinen. Auf Rokebys Werk mit dem Titel (Perception is) The Master of Space (1990) hingegen wird hier nur indirekt Bezug genommen, da das Stück, wie alle Arbeiten Rokebys, zwar diesen raumgebundenen Kreationsprozess verkörpert, darüber hinaus allerdings einer Schaffensperiode angehört, welche noch nicht unter dem Einfluss von Max steht und sich somit dem eigentlichen Gegenstandsbereich dieser Arbeit entzieht. Da Rokeby jedoch auch während dieser frühen Periode seit 1982, also Jahre vor Max, bereits im Spannungsfeld vor allem des Gestikulierten Raums experimentiert und dies nach Hinzunahme der Software fortsetzt, oder vielmehr gerade wegen dieser produktionsästhetischen Ausrichtung auf die Software zurückgreift, gilt es hier zunächst einige Arbeitsschwerpunkte aufzuzeigen, die zu dieser soft-technologischen Neuorientierung führen. Während die bisherigen Beispiele noch allesamt mehr oder minder vom Musikalischen ausgehen und die jeweiligen Akteure dementsprechend als Musiker gelten, betritt mit David Rokeby ein Installations79 | Vgl. Dan Overholt, John Thompson, Lance Putnam, Bo Bell, Jim Kleban, Bob Sturm, JoAnn Kuchera-Morin, A Multimodal System for Gesture Recognition in Interactive Music Performance, in: Computer Music Journal, 33:4, Winter 2009, S. 69 ff 80 | Vgl. Steve Dixon, Digital Performance, A History of New Media in Theater, Dance, Performance Art, and Installation, MIT 2007, S. 183 ff
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Künstler die Bühne, welche nun nicht mehr im Konzerthaus sondern in Galerien oder öffentlichen Raumkomplexen zu finden ist. Dabei installiert bzw. inszeniert Rokeby häufig in direkter Verbindung mit diesen variablen Räumlichkeiten seine zahlreichen, zumeist live-elektronischen Arbeiten, von denen Very Nervous System eine der ältesten und langwierigsten darstellt. Die Arbeit erstreckt sich über die Jahre 1986-1990 und wird in den unterschiedlichsten Kontexten präsentiert. Mit (Perception is) The Master of Space (1990) und Measure (1992-1994) reichen Variationen von Very Nervous System noch bis weit in die neunziger Jahre hinein. Das zentrale und verbindende Moment dieser Arbeiten besteht aus dem von Rokeby ebenfalls über Jahre entwickelten System VNS I-III (nicht gleichzusetzen mit dem Artwork Very Nervous System),81 welches durch das Zusammenspiel von Soft- und Hardware-Komponenten, Sensor-, Kamera- und Computertechnologie eine tiefgreifende Verbindung von Körperbewegung, Klang- und Bilderzeugung ermöglicht: »[…] I use video cameras, image processors, computers, synthesizers and a sound system to create a space in which the movements of one’s body create sound […]. […] I created the work for many reasons, but perhaps the most pervasive reason was a simple impulse towards contrariness. The computer as a medium is strongly biased. And so my impulse while using the computer was to work solidly against these biases. Because the computer is purely logical, the language of interaction should strive to be intuitive. Because the computer removes you from your body, the body should be strongly engaged. Because the computer’s activity takes place on the tiny playing fields of integrated circuits, the encounter with the computer should take place in human-scaled physical space. Because the computer is objective and disinterested, the experience should be intimate.« 82
Als Software läuft in diesem System-Zusammenhang zunächst das ebenfalls von Rokeby stammende Programm IntAct, eine textbasierte Programmierumgebung zur Datenverarbeitung in real-time. Dieses Programm wird schließlich zwischen 1991 und 1993 durch Max ersetzt, ein Prozess den der Künstler folgendermaßen beschreibt:
81 | »As an artist, I create systems rather than pictures […].« David Rokeby, http://homepage.mac.com/davidrokeby/sorting.html 82 | David Rokeby, http://homepage.mac.com/davidrokeby/vns.html
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»[…] I ran into an early version of Max. Although its graphical structure was much different than the text-based character of my language […]. I quickly realized that I could comfortably adopt Max instead of IntAct as my main vehicle for programming interactions […]. […] I was very attracted to the visual patching metaphor of Max (related in part to my early experiences with analog synthesizers with mountains of patch cordes). Since then I have maintained an every growing set of external objects for Max that implement things particular to my approach to making things. Max has become the core framework for my creative toolset.« 83
Ende 1991 beginnt Rokeby mit dem Schreiben von Max-Externals, welche schließlich um 1993 in Verbindung mit dem VNS-System erste Arbeiten organisieren: »The vns hardware processed the video images and extracted motion information. This information was further analyzed and processed in […] Max to create the actual installation.«84 Zu nennen wären hier u.a. die Installationen Silicon Remembers Carbon (1993-2000) und Watch (19952008), welche in zum Teil modifizierter Form in den verschiedensten Zusammenhängen (Galerien, Festivals etc.) präsentiert werden. Das Zentrale Element in Silicon Remembers Carbon ist eine 4 x 3 Meter große Videoprojektion auf einem Bett aus Sand auf dem Boden des Ausstellungsraums. Diese Fläche wird von Infrarotkameras observiert, um die Bewegungen der Passanten aufzunehmen, welche schließlich sowohl die Videoprojektion als auch die Klanggestaltung beeinflussen: »Visitors‹ movements subtly affect the mixing and dissolving of video images and sounds. Each visitor leaves traces which affect the experience of the work for later visitors.«85 Die hier bestehende Einschränkung durch den Umraum der Galerie wird in Watch schließlich aufgehoben, indem das von Rokeby installierte System eine verbindende Öffnung schafft zwischen dem Innen der Galerie und dem öffentlichen Außenraum. Wie schon in Silicon Remembers Carbon erfolgt auch hier der Kreationsprozess live (in real-time), wobei allerdings der Interaktionsprozess weniger direkt verläuft. Via Kameratechnik wird Bildmaterial aus dem öffentlichen Raum ins Innere der Galerie übertragen und hier in modulierter Form wiedergegeben. Die in diesem Fall rein visuellen Transformationen sind abhängig von der Beweglichkeit bzw. Unbeweglichkeit der gefilmten Objekte (möglicherweise Fuß83 | David Rokeby, Zit. aus persönlicher E-mail-Korrespondenz, 21.02.2011 84 | David Rokeby, Zit. aus persönlicher E-mail-Korrespondenz, 24.02.2011 85 | David Rokeby, http://homepage.mac.com/davidrokeby/src.html
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gänger auf dem Weg in die Ausstellung), wobei aufgrund der räumlichen Öffnung die Gesten des Alltags, der Fortbewegung etc. in einem neuen Funktionszusammenhang zur Bilderzeugung dienen. Dabei geht es Rokeby (nicht nur in Watch) weniger um das entstehende Bild an sich, als vielmehr darum, einen Kreislauf anzuregen, welcher über die abbildende Kunst hinaus vor allem den Wahrnehmungsprozess von Welt, von Realitäten und Lebensräumen dynamisiert: »The artwork is a live perceptual filter through which the audience watches. The system has embedded itself into the feedback-loop of perception, transforming the process of looking.«86 Erst mit dieser möglichen Transformation von Rezeptionsroutinen, der Sensibilisierung von Sehgewohnheiten und der anschließenden Rückkehr der Ausstellungsbesucher in den öffentlichen Raum (wo sie wiederum zur Bilderzeugung beitragen können) schließt bzw. öffnet sich der Interaktionskreislauf erneut. Die variierenden Produktions- und Präsentationszusammenhänge (wechselnde Ausstellungsräume, immer neue Ein- bzw. Ausgangsmaterialien etc.) tragen dabei vor allem auf inhaltlicher Ebene zur beständigen Modifikation der einzelnen Arbeiten bei. In gleichem Maße gilt dies jedoch auch für das Produktionssystem, welches von Rokeby kontinuierlich weiterentwickelt wird. So werden Neuauflagen von Arbeiten aus den neunziger Jahren, wie beispielsweise von Watch, im 21. Jahrhundert nicht mehr via VNS (+Max) sondern mittels softVNS realisiert. Die Entwicklung und der Ausbau von softVNS zur Max-Library beginnt 1998 in Verbindung mit dem PowerPC (Performance Optimization With Enhanced RISC – Performance Computing) von Macintosh, welcher in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre Video-Processing in real-time ohne weitere Hardware-Zusätze ermöglicht. Die Funktion von softVNS liegt dementsprechend hauptsächlich in der individuellen Organisation dieser Domain, welche allerdings aufgrund der Kombination mit MSP und später auch mit Jitter sowohl die Video- als auch die Klangverarbeitung betrifft.87 Mit dieser beständig weiterentwickelten Objektsammlung operiert Rokeby bis heute. Seit Watched and Measured (2000) wurden ausnahmslos alle Arbeiten mit softVNS realisiert oder zumindest vorbereitet. Letzteres trifft lediglich auf Cloud (2007) und long wave (2009) zu, beides Werke, die nach ihrer Fertigstellung jenseits des live-elektronischen 86 | David Rokeby, http://homepage.mac.com/davidrokeby/watch.html 87 | Vgl. http://homepage.mac.com/davidrokeby/softVNS.html
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Interaktionsraums eher fixierten Installationen entsprechen und damit auch eher untypisch für Rokeby sind. Die typischen Elemente hingegen – die live-elektronische Interaktion zwischen Bewegung, Bild und Klang, zwischen Installation und Rezipient, zwischen Innen- und Außenräumen – lassen sich in allen Arbeiten wiederfinden, in denen softVNS tatsächlich im Live-Kontext aktiv ist. Erst hier verbindet die spezifische Offenheit der Max-basierten Produktionsstruktur schließlich Werke wie Watch (1995-2008), Seen (2002) oder San Marco Flow (2005), indem sie den für diese Arbeiten charakteristischen, relativ offenen Interaktionskreislauf zur Dynamisierung von Bewegungsund Wahrnehmungsroutinen in Gang zu setzen vermag. Dabei äußern sich nun auch die jeweiligen Umräume der Ausstellungen (in Kwangju, Graz, San Marco, Montréal u.a.) als bewegte (und bewegende) Handlungsräume site-spezifisch durch die Öffnungen des installierten Systems, so dass hier in ganz besonderem Maße von einer grundsätzlich situationsbedingten Raumkunst gesprochen werden kann. Mit seiner jüngsten und was den Umraum anbelangt wieder eher (ein-)geschlossenen Arbeit Dark Matter (2010) wendet sich Rokeby verstärkt der Interaktion von Bewegung und Klang zu. Rokebys System organisiert dafür eine Art Dunkelkammer: »The darkened gallery space is dominated by an invisible sculpture of silent sound. Your body probes the space listening for the sculpture’s spatial form to be expressed though the sounds of your contact with its immaterial presence.«88 Der sich durch die Dunkelheit bzw. durch digital vordefinierte Zonen (the invisible sculpture) tastende Besucher wird von mehreren Infrarotkameras observiert, welche mit einem Computer bzw. mit den entsprechenden softVNS-Elementen korrespondieren, wo schließlich die verlinkten Informationen aus Bewegung und Zone den jeweiligen Sound (in real-time) generieren. Wie in den meisten Arbeiten Rokebys fungiert der Rezipient innerhalb dieses Spielraums zuallererst als aktiver Interpret und Performer, dessen Gesten die sculpture of silent sound zum Klingen bringen, ebenso wie diese den Bewegungsfluss der Besucher ausrichten kann. Die Tatsache, dass Rokeby den Software-Part seines Systems der Öffentlichkeit (wenn auch nicht kostenfrei) zur Verfügung stellt, hat innerhalb der letzten zehn Jahre dazu beigetragen, dass softVNS in zahlreichen mit Max realisierten Arbeiten insbesondere auf dem Gebiet des Gesti88 | David Rokeby, http://homepage.mac.com/davidrokeby/Dark_Matter.html
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kulierten Raums Verwendung findet (vgl. III.3.2). Gerade diese charakteristische Re-Cycling-Situation von Max-Materialien verdeutlicht den im Vorfeld beschriebenen, weiterführenden Produktionskreislauf zwischen Software-Entwicklung und künstlerischer Arbeit. Gemäß der spezifischen Konstitution des Max-Raums werden dabei neben den Produkten (Klängen, Bildern etc.) vor allem deren Produktionsmittel (Objects, Patches, Extensions, Libraries etc.) über die entsprechende Kanäle wie z.B. www.maxobjects.com (wo Rokeby mit 130 Objekten und der softVNS-Library vertreten ist) kommuniziert, so dass im Grunde jede individuelle Kreation in mehr oder minder ausgeprägtem Maße an der Leistung des Kollektivs partizipiert.
III.3.2 Capture — Kasper T. Toeplitz Bei Capture von Kasper T. Toeplitz handelt es sich um eine Produktion, deren Titel ebenso als programmatische Kurzformel auf einen bedeutenden Aspekt des künstlerischen Gesamtwerks verweist: die zumeist Sensor-basierte Verbindung von Klang, Bewegung und Bild. Dieser produktionsästhetische Grundzug resultiert wiederum aus einem vielgestaltigen liveelektronischen Handlungsraum, dessen verbindendes Element Max heißt. Toeplitz arbeitet seit Ende der neunziger Jahre mit der Software, die seither entscheidend zur Realisation seiner Projekte beiträgt.89 Das Aktionsfeld des Künstlers betrifft dabei den Installationsbereich90 ebenso wie das konzertante Bühnengeschehen und wird sowohl von solistischen als auch von kollektiven Performance-Praktiken91 getragen. Letztere zeigen sich vor allem geprägt durch eine intensive Kooperation zwischen Tanz- und 89 | Zur Bedeutung von Max vgl. www.sleazart.com/SA_docs/SA_textes/MAXR&C.pdf 90 | Als eine der bekanntesten Arbeiten gilt in diesem Zusammenhang die mit Max realisierte »multi-site gallery installation« Global String (2000), eine Kooperation zwischen Kasper Toeplitz und Atau Tanaka, bei welcher es sich um ein Musikinstrument handelt (eine 15 m lange Stahlseite), welches »in the mixed realities of acoustical space and network space« existiert. Atau Tanaka, Bert Bongers, Global String, A Musical Instrument for Hybrid Space, ICMC Proceedings 2002, S. 299 91 | Zu nennen wäre hier u.a. KERNEL, ein seit 2007 agierendes, und nicht mit der Komposition Kernel (Toeplitz 2002) zu verwechselndes Ensemble of live electronic music, bestehend aus Eryck Abecassis, Kasper T. Toeplitz und Wilfried Wendling.
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Musikschaffenden, wobei insbesondere die langjährige Zusammenarbeit mit der Tänzerin und Choreographin Myriam Gourfink zentral erscheint. Von frühen Arbeiten wie Überengelheit (1999) über Sensor-basierte Werke wie beispielsweise Contraindre (2004) bis hin zur jüngsten, ebenso Sensor-basierten Arbeit The Monster Which Never Breathes (2010) – die Kollaboration zwischen Toeplitz und Gourfink demonstriert immer auch die Einbindung neuer Computer-Technologien wie Max in den Kreationsprozess, mit dem Ziel, Raumstrukturen für neue Performance-Praktiken zu etablieren, welche das Zusammenspiel von Bewegung, Klang und Bild in immer neuen Facetten und Zusammenhängen präsentieren.92 Auch das Stück Capture (2004) entspricht grundsätzlich dieser Ausrichtung. Die hier nicht mehr nur koexistierende sondern tatsächlich ineinandergreifende Dreiheit aus Klang, Bewegung und Bild entspringt einem kollektiven Kreationsprozesses,93 welcher letztlich weit über das werkbezogene Zusammenwirken von Musiker (Toeplitz), Tänzer (Myriam Gourfink, Cindy Van Acker, Carole Garriga) und Video-Künstler (Dominik Barbier) hinausreicht. Die Arbeit mit Max, das typische Re-cycling von vorgefassten Objekten, Applikationen, Extensionen etc. entspricht einer weitgreifenden Kollektivarbeit, welche sich im Falle von Capture zumindest bis zu einem gewissen Grad differenzierbar und damit nachvollziehbar gestaltet, was das Stück zu einem anschaulichen Exempel macht für das spezifische Raumformat ebenso wie für die Max-Praxis insgesamt. Als Resultat einer derartigen Ausrichtung bewegt sich das »dance/ music/images project«94 Capture beinahe zwangsläufig in Richtung Gesamtkunstwerk: »CAPTURE is a piece which is as much music as choreography as video, and whose interpreters interpret this piece in its glo92 | Zur Relation zwischen Tanz, Yoga, Choreographie, (offener) Partitur und sensorbasierter Computer-Technologie vgl. www.myriam-gourfink.com 93 | Ein Künstler wie Kasper T. Toeplitz, welcher im Falle von Capture gemäß der offiziellen Werkbeschreibung (www.sleazeart.com/CAPTURE_CD.pdf) allein sowohl für die musikalische als auch für die choreographische Programmation und Konzeption steht, weiß seine Autorschaft durchaus zu relativieren: »For the official declaration I am the choreographer. In reality the choreography of each of the 3 dancers was made by that dancer and me (as it is often the case in dance).« Kasper T. Toeplitz, Zit. aus persönlicher E-mail-Korrespondenz, 19.03.2011 94 | Kasper T. Toeplitz, www.sleazeart.com/CAPTURE_CD.pdf, S. 2 von 13
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bality (dance, music, images) and not by separating the different artistic fields. The final form is as much a concert than a dance piece or even a live video installation. All of it.«95 Dieses Zusammenspiel ist schließlich der Max-vermittelten Produktionsstruktur und hier speziell der verwendeten Sensor-Technologie geschuldet. Die Auflösung der direkten Bindung des Performers an das Instrumentarium bzw. der daraus resultierende Performance-Freiraum wird hier durch drei Kameras ermöglicht, die jeweils über vordefinierte, in verschiedene Zonen (Quadrate) unterteilte ›sensible Blickfelder‹ verfügen.96 Diese Felder definieren die Bewegungsund Spielräume der drei Tänzer und gewähren einen Aktionsradius von circa 2 m Höhe, 2 m Breite und 3,50 m Tiefe. Innerhalb dieser Räume verhalten sich die einzelnen Zonen in unterschiedlichem Maße sensibel vor allem gegenüber qualitativ unterschiedlichen Bewegungseinheiten (schnell, langsam), welche gemäß dem Interaktionskreislauf als Informationen sowohl die Klangsynthese97 als auch die Videosequenzen live steuern, ebenso wie diese rückwirkend via monitoring die Performance beeinflussen.
95 | Ebd. S. 2 von 13 96 | Zur Verbindung von physischer Aktion, Kamera und Max bzw. Jitter vgl. Andrew Benson, Making Connections: Camera Data, http://cycling74.com/2009/10/26/ making-connection-camera-data/#more-2758 97 | »No pre-recorded sounds, no samples, no sequences – the 3 dancers are the solo musicians of CAPTURE.« Kasper T. Toeplitz, www.sleazart.com/CAPTURE_CD.pdf, S. 3 von 13
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Abbildung 19: Capture, Performance-Setting
Wie schon bei Manoury wird diese mit den Produktionsstrukturen grundsätzlich gewährleistete freie Interaktionsmöglichkeit durch die relativ bindende Vorgabe einer Partitur eingeschränkt. Somit liegt hier zunächst wiederum ein relativ geschlossener Spielraum vor, innerhalb welchem der Interaktionsprozess sowohl zwischen den Tänzern als auch zwischen Tänzern und Computer zielgerichtet erfolgt und (vergleichbar mit der komplexen und zugleich subtilen Wechselwirkung zwischen den Musikern eines Streichquartetts) der Realisation bzw. Interpretation einer im Vorfeld formulierten künstlerischen Intention dient.98 Dabei ist jedoch im Falle der Capture-Partitur (dem Träger dieser Intention) die Offenheit und damit schließlich der Interpretations- und Interaktionspielraum weitaus größer als beim Spiel nach konventionellen Noten, da hier lediglich die Frequenzverhältnisse (K1, K2, K3) und die Videosequenzen (V34, V35, V36) konkret fixiert sind, während der dynamische Verlauf und vor allem die Gestaltung des insgesamt offen gehaltenen Zeitfensters buchstäblich in den Händen der Tänzer liegen. Die Bewegungsabläufe selbst unterliegen nur richtungsweisenden Vorgaben (le mouvement s’uni98 | »[…] the dancers actually become the musical interpreters of the piece.« Ebd. S. 3 von 13
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formise etc.), so dass hier letztlich doch ein relativ freier Handlungsraum die musikalische Zeit organisiert. Abbildung 20: Capture-Partitur Max (+MSP und Jitter) stellt in diesem relationalen Gefüge die zentrale Funktionseinheit dar, welche auf der Grundlage der ertanzten Informationen die Generierung und die Organisation des audio-visuellen Materials in real-time realisiert. Gemäß der im Vorfeld beschriebenen Kollektivpraxis interagieren die in diesem Zusammenhang von Toeplitz kreierten Patches mit bereits vorgearbeiteten Produktionsmitteln, wobei mit softVNS
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von David Rokeby (vgl. III.3.1) und Holophon99 von Laurent Pottier zwei spezifische Max-Extensionen Verwendung finden, welche die Funktionsbereiche Video Processing und Spatialization100 betreffen: »The capture and the coding of the images of the dancers in data of control is made by the SoftVNS software. The data is send to a second computer on which is running a program written in Max/MSP – it is there that the sound creation is made. […] The last computer also uses SoftVNS to articulate the mixes and the time management of the video images seen on the screens.«101 Mit den Software-Tools von Holophon und hier speziell mit dem in Max/MSP verfassten Teil Holo-Spat102 inszeniert Toeplitz zusätzlich einen dynamischen Klangraum, welcher als das einzige Element der Arbeit nicht direkt über die Bewegungen der Tänzer gesteuert werden kann. Hiefür positioniert der Künstler sechs Lautsprecher und belebt die dazwischenliegende Fläche durch Computer-gesteuerte ›Klangwanderungen‹ der verschiedensten Art.103 Tatsächlich kann diesbezüglich jedoch nur sehr bedingt von einer wirklichen Klangbewegung die Rede sein, da die Klänge eigentlich stationär von den einzelnen Lautsprechern ausgehen und erst die stark beschleunigte Abfolge der Wiedergabe dann beispielsweise so etwas wie eine kreisende Bewegung simuliert. Dieser Rückgriff auf bereits realisierte Arbeiten offenbart eine für den Umgang mit Max typische und von der Community(-struktur) grundsätzlich gestützte, kollektive Praxis, deren interdisziplinäre Wirkkraft auf dem beständigen Austausch von Objekten oder Objektsammlungen 99 | Vgl. Laurent Pottier, Dynamical spatialization of sound. HOLOPHON: graphic and algorithmic editor for Sigma1, Proceedings of DAFx98, Barcelona 1998, S. 254 ff 100 | Betrifft die Distribution und die Bewegung von Klängen im Raum. 101 | Kasper T. Toeplitz, www.sleazeart.com/CAPTURE_CD.pdf, S. 5 von 13 102 | »[…] a group of spatializers working in real-time on Max/MSP, allowing the user to spatialize several sound sources independently over an array of multiple speakers.« http://dvlpt.gmem.free/web/static.php?page=Holophon_main 103 | Mit Blick auf die Spatialization via Holophon spricht Jean-Claude Risset, der in Produktionen wie Echappés (2004), Resonant Sound Spaces (2002) oder Pentacle (2006) mit der Extension arbeitet, gar von einem »milestone toward composing space.« Jean-Claude Risset, Interaction and Spatialization: Three Recent Musical Works, www.smc-conference.org/smc06/papers/23-Risset.pdf, S. 5 von 6
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beruht, was schließlich den intertextuellen Charakter einer jeden MaxArbeit begründet. Über einfache Copy-Paste-Techniken hinaus ist die Integration von bestehenden Max-Arbeiten in den entsprechenden ProjektKontext häufig verbunden mit einer Weiterentwicklung der integrierten Module, so dass die kollektive Autorschaft zuallererst die Organisation der Produktionsstrukturen betrifft. Der damit einhergehende Artmix 104 in Arbeiten wie Capture erscheint dabei schließlich bis zu einem gewissen Grad als das Resultat der bereits »im technischen Prozess selbst angelegten Relationen von Ton, Bild und Text.«105
III.4 N E T Z WERK Die kulturwissenschaftlichen Bemühungen hinsichtlich der Verbindung von Kunst und elektrotechnisch vernetzten Strukturen verlaufen häufig dahingehend, dass sie lediglich die Produktebene behandeln, ohne dabei die zugrundeliegenden Produktionsstrukturen zu erfassen. Eine Ausnahme bildet hier u.a. der Musik- und Medienwissenschaftler Golo Föllmer, welcher bereits seit den neunziger Jahren insbesondere zum Thema Netzmusik publiziert und dabei wiederholt auf die permanente Wechselwirkung zwischen Musikproduktion und Produktionsraum verweist: »Die Strukturen des Internets [hier beispielhaft für alle Formen von Computernetzwerken] dienen nicht nur der Verbreitung oder Darstellung von Musik, sondern gehen in sie ein und prägen sie.«106 Bei Axel Volmar heißt es diesbezüglich: »Die Netze beginnen, die Beschaffenheit von Klängen und die Musikästhetik als solche zu beeinflussen, indem sie nicht nur die Infrastruktur einer Datenübermittlung darstellen, sondern das Grundkonzept von Klangproduktion überhaupt bilden.«107
104 | Vgl. Peter Weibel, Artmix, Die Entgrenzung der Künste, in: Neue Zeitschrift für Musik, 5 September/Oktober 2007, S. 17 105 | Rolf Großmann, Monitor – Intermedium zwischen Ton, Bild und Programm, in: Coy, Warnke, Tholen 2005, S. 188 106 | Föllmer 2005, S. 1 107 | Axel Volmar, Signalwege, Physikalische und metaphorische Netze in der Geschichte der elektronischen Musik, in: musik netz werke, Konturen der neuen Musikkultur, hg. von Lydia Grün und Frank Wiegand u.a., Bielefeld 2002, S. 60
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Als Pioniere einer derartigen vom Netzwerk geprägten Musikproduktion gelten vor allem The League of Automatic Music Composers (Jim Horton, John Bischoff, Rich Gold und Tim Perkis), deren ProduktionsEnvironment bereits Ende der siebziger Jahre aus einer lokal vernetzten Computer-Technologie besteht, welche im live-elektronischen Kontext die kollektive Klangproduktion begründet. In späteren Jahren führen John Bischoff und Tim Perkis diese Praxis mit der Formation The Hub fort, wobei sie u.a. auch mit Max arbeiten.108 Technische Innovationen wie MIDI (Musical Instrument Digital Interface), ISDN (Integrated Services Digital Network), Internet oder Max sorgen schließlich für eine beständige Ausdifferenzierung dieser Produktionsstrukturen. Dabei resultiert insbesondere Max selbst (als in-formiertes Raumprodukt) aus den vernetzten Strukturen der Community (die ihrerseits wiederum zum Teil auf der Anlage der Software beruhen). Ausgehend von der Tatsache, dass die Software als Raumrepräsentant verschiedene Qualitäten ihrer Produktionsstätten repräsentiert oder zumindest transportiert, gilt es im Folgenden zu zeigen, wie die spezifische Konstitution von Max rückwirkend wiederum die Realisation von Netzwerken zur künstlerischen Produktion ermöglicht: Die grundsätzliche Netz-Kompatibilität von Max resultiert in erster Linie aus der Offenheit bzw. aus der multi-direktionalen Anschluss- und Kommunikationsfähigkeit, welche die Software gerade für die Vermittlung, die Organisation und den Erhalt von Netzstrukturen prädestiniert. Die Software, welche intern bereits einem Netzwerk aus unterschiedlichsten Funktionseinheiten entspricht,109 vernetzt nun ihrerseits technische Elemente nebst deren Usern,110 wobei die daraus resultierende kollektive, interdisziplinäre und in zunehmendem Maße global agierende Produktions- und Performancepraxis häufig über den eigentlichen Max-Raum 108 | »1998 […] benutzen The Hub das für die Autoren-Software Max geschriebene Objekt ›otudp‹ in Verbindung mit der […] Synthese-Software Grainwave, um damit ihre Computer gegenseitig von beliebigen Orten aus über das Internet zu steuern […].« Föllmer 2005, S. 153 109 | Zur Funktion von Max-internen Netzwerken zum Datentransfer zwischen Usern bzw. deren Rechnern vgl. Ben Nevile, Networking: Max talking to Max, http:// cycling74.com/2006/10/23/networking-max-talking-to-max/#more-1517 110 | »Thinktanks in Gestalt von Patcharchiven mit SuperCollider-, MAX/MSPoder Reaktordateien bilden Netzwerke, die Menschen und ihre Ideen durch ›filesharing‹ verbinden.« Volmar, in: Grün, Frank 2002, S. 67
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hinausgreift: »Die junge Generation […] entwickelt in stilistisch hoch differenzierten Peer-Groups kollektiv Stücke und benutzt in Online-Jams experimentelle Musik-Software wie Max und JSyn, die früher nur in Kreisen akademischer Kompositionskultur verwendet wurde […].«111 Gemäß der in Kapitel I herausgearbeiteten Raumtheorie relationaldynamischer Produktionsprozesse entspricht das Max-interne Patchen ebenso wie das sich daran anschließende Netzwerk einem kollektiven Patchwork112, welches im live-elektronischen Zusammenspiel interaktiv die Organisation des Produktionsraums begründet. Dementsprechend muss die bereits in der Einleitung angeführte Formulierung von Atau Tanaka – »Anstatt Zeit und Raum durch Klang zu kontrollieren, erstelle ich nun Architekturen für kollektive musikalische Prozesse.«113 – relativiert werden, da das hier kreierende Ich, insbesondere im Umgang mit Max, in der Regel immer für ein Wir steht. Komposition als Organisation von Raum auf der Grundlage von Systemen wie Max schafft nicht nur die Möglichkeit kollektiver Kreativität, sondern ist selbst auch als ein kollektiver Prozess zu verstehen: »Ziel ist nicht einfach die Erzeugung kollektiver Werke oder von Strukturen gemeinsamer Repräsentation (wie in einer Gruppenausstellung), sondern von Systemen im Stil einer ›groupware‹. Diese Systeme stellen neue Aktions- und Operationsfelder für Audio-Künstler dar. Die Systeme und die Praktiken, die sie ermutigen, eröffnen den Zugang zu ästhetischen und künstlerischen und technischen (›techno-logischen‹) Besonderheiten, die Forschung und Experimente […] erfordern. So wurden diese Aktivitäten sehr schnell nicht nur zu Orten der Zusammenarbeit, sondern […] auch durchlässige Experimentationsräume, die zum Austausch und zur Verbindung unterschiedlicher Fähigkeiten auffordern und dabei in die Entwicklung offener Systeme münden. […] Wir können heute folgende Hypothese
111 | Golo Föllmer, Linien der Netzmusik, in: Neue Zeitschrift für Musik, 5 September/Oktober 2004, S. 17 112 | »[…] zur Herstellung eines Patchworks [werden] […] ganz spezielle Arbeitsgruppen gebildet […]. Der glatte Raum des Patchworks macht deutlich, dass ›glatt‹ nicht homogen heißt, ganz im Gegenteil: es ist ein amorpher, informeller Raum […].« Deleuze, Guattari 1992, S. 660-661 113 | Tanaka 2004 (a), S. 28
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vorschlagen: Wenn Netzwerke kritische und emanzipatorische Räume darstellen, wird Kooperation zur Notwendigkeit bzw. zur definitiven Möglichkeit.«114
Der Autor ist tot (Roland Barthes), es leben die Autoren! Dabei erscheinen die agierenden Kollektive der im Folgenden beschriebenen NetzwerkProjekte (vor allem im Vergleich zum Hyperraum-Format) noch immer relativ begrenzt und (ein-)geschlossen, insbesondere was die Kollaborations- und Partizipationsmöglichkeiten im Moment der Live-Performance anbelangt. Dies liegt u.a. daran, dass die grundlegenden Netzwerke größtenteils gebunden bleiben an konventionelle Aufführungsstrukturen wie Konzerthaus oder Galerie. Das Netz erscheint hier entweder gänzlich in einen dieser prä-formierten Umräume integriert oder verbindet diese über räumlich-geographische Distanzen hinweg. Diesbezüglich sei an dieser Stelle ein weiteres Mal auf die u.a. mit Max realisierten Arbeiten der Sensorband (vgl. III.3) verwiesen: Das 1996 entwickelte Soundnet (inspiriert von The Web, Michel Waisvisz) entspricht einem im Bühnenraum installierten multiuser instrument – »comprised of the physical structure, the sensors and interface, and the computer and software.«115 Konkret handelt es sich dabei um ein 11x11 Meter großes Netz bzw. Gerüst, dessen Stahlverstrebungen von den drei Musikern der Band kollektiv erstiegen werden, wobei die an den Streben befindlichen und durch die Konstruktion miteinander verbundenen 11 Spannungs-Sensoren die jeweiligen Kletterbewegungen der Performer aufnehmen und dementsprechend ein variables voltage control signal an eine Interface-Box (iCube) senden. Diese wandelt die Signale in digitale MIDI-Daten um, welche anschließend an den Host-Computer bzw. an Max gesendet werden, wo die Organisation der Daten gemäß der musikalischen Intention wiederum die Vermittlung zwischen Mensch und Maschine begründet. Darüber hinaus organisiert die Sensorband Mitte der neunziger Jahre Network Concerts, bei denen es zur Überbrückung von Distanzen bzw. zur Verbindung räumlich getrennter Performance-Situationen kommt, indem die Soloauftritte der einzelnen Musiker bzw. deren Max-basierte Sensor-Instrumente mittels ISDN-Schaltung verbunden werden. Da114 | Jérôme Joy, Vernetzte Audiosysteme, in: Neue Zeitschrift für Musik, 5 September/Oktober 2004, S. 29-30 115 | Atau Tanaka, Musical Performance Practice on Sensor-based Instruments, in: Battier, Wanderly 2000, S. 394
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bei geht es weniger um den entsprechenden Showeffekt der jeweiligen technologischen Ersatzleistung, als vielmehr darum, die technikbasierte Anwesenheit der Abwesenden als künstlerisches Novum zu integrieren, indem gerade die audiovisuellen Eigenheiten (Qualität der Übertragung, eventuelle Störungen etc.) dieser Schaltungen inszeniert werden. Sowohl das technische Überbrücken der geographischen Distanz als auch die damit einhergehenden Fehlleistungen avancieren in diesem Zusammenhang zu zentralen Elementen der künstlerischen Produktion, was wiederum die eingangs beschriebene und schließlich für alle auf diesem Gebiet realisierten Arbeiten grundsätzlich zutreffende Wechselwirkung zwischen Netzwerk und Netzkunst veranschaulicht: »In our ISDN […] concerts, we use videoconferencing technology to perform a live concert. This network technology consists of a certain audio quality which is not CD quality, a certain video quality which makes the image look like it is coming from the moon, and time delay. When other musicians are confronted with the system, the first thing they request is to eliminate the time delay. But we feel that it is a characteristic of this system, and consider this transmission medium, video conferencing, as part of our extended instrument. A Sensorband concert for ISDN is different from Sensorband live. We never use it to compensate for a missing member, it has never been for replacement.«116
III.4.1 Global Visual Music Project — Miller Puckette, Vibeke Sørensen, Rand Steiger Dem von Miller Puckette, Vibeke Sørensen und Rand Steiger inszenierten Global Visual Music Project117 (GVMP, 1996-2000) liegt eines der ersten Max-vermittelten Netzwerke zugrunde, dessen Entstehung zusammenfällt mit der Entwicklung von Pd (Pure Data) und GEM (Graphics Environment for Multimedia). Diese ineinander verwobenen Entwicklungsprozesse sind nicht zuletzt der Situation am Musikinstitut der University of California San Diego (UCSD) geschuldet, dessen Leitung Miller Puckette 1994 übernimmt. Vergleichbar mit der vorherigen Arbeitsumgebung am IRCAM agiert Puckette auch hier wieder in einem Kollektiv aus verschiedensten Künstlern (Sørensen, Steiger u.a.) und Programmierern (Mark 116 | Atau Tanaka, zit.n. Bongers 1998, S. 21 117 | Verschiedentlich auch als Global Visual Music Jam Session bezeichnet.
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Danks u.a.), welches insbesondere für eine durch gegenseitige Einflussnahme geprägte Entwicklung von Kunst und Technologie steht. So wie bereits anhand der Verbindung von Patcher und Sonus ex Machina beschrieben, wird mit Blick auf das GVMP einmal mehr der Produktionskreislauf deutlich, innerhalb welchem Max als Produkt und Produzent der ästhetischen Praxis erscheint. Während in anderen Projekten häufig von zum Teil völlig unabhängigen Interessengruppen sowohl räumlich als auch zeitlich versetzt zuerst die Entwicklung des technischen Equipments und erst im Anschluss daran die entsprechende Kunst betrieben wird, fallen hier beide Entwicklungsprozesse zusammen: »In this project […], we started by going directly into a concert production, writing software as needed (and as time permitted).«118 Gemäß dieser Ausrichtung verfolgt das durch das Intel Research Council geförderte GVMP drei Hauptziele: »A. To develop software for the creation, mediation, and dissemination of real-time multimedia content, including high resolution two and three dimensional graphics, digital audio and video. B. To develop a networking capability for this software, so that multimedia data could be shared between users in many locations. C. To organize a high profile event to unveil these resources by staging a networked multiple site public performance with accomplished artists in established artistic and technological venues.«119
Diese Zielsetzungen manifestieren sich in den Performance-Experimenten Lemma I und Lemma II bzw. in den Max-Elementen Pd und GEM, welche schließlich einen Interaktionsraum mit spezifischer NetzwerkAusrichtung organisieren, dessen Anlage über die lokale Performance-Situation hinausreicht. Was jedoch das überregionale Netzwerk hinsichtlich Lemma I anbelangt, so muss das Experiment im Grunde als gescheitert betrachtet werden, da das angestrebte Ziel einer »two-site performance«120 zwischen San Diego und Thessaloniki, dem Veranstaltungsort der International Computer Music Conference 1997, nicht erreicht wird. Erst zwei 118 | Vibecke Sørensen, Rand Steiger, Miller Puckette, Final Report: Global Visual Music Jam Session, submitted to the Intel Research Council 1999, S. 2 von 8 119 | www.visualmusic.org/gvm/gvmjs.htm 120 | Sørensen, Steiger, Puckette 1999, S. 4 von 8
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
Jahre später findet mit Lemma II im Rahmen des Interactive Arts Festival der Columbia University eine Performance für Live-Elektronik, Percussion und Piano statt, welche simultan in New York und in Hillsboro (Oregon) zu erleben ist. In diesem Zusammenhang ermöglicht Pd/GEM eine spielerisch ineinandergreifende audio-visuelle Performance-Praxis,121 wobei gemäß dem Genre der Visual Music122 das Video-Processing auf der improvisierten, lediglich an einen ungefähren Zeitplan gebundenen Instrumentalmusik basiert.123 Die in real-time ermittelten und analysierten Audiodaten der Live-Performance werden zur Verarbeitung der Visuals genutzt, welche damit gleichermaßen improvisiert erscheinen: »The audio computers were used to analyze the instrumental signals, to control MIDI samplers and mixers, and to manage the interchange of analysis data between sites so that all four computers had ready access to data from all four musicians. […] The graphics computers used took as inputs the instrumental analyses and used them in a variety of ways to control 3-D graphical rendering. […] In addition to computer graphics, each site had miniature video cameras, one controlled by the percussionist and one fixed on the piano keyboard; the three signals were combined using a video mixer and projected onto a large screen above and between the two musicians at each site.«124
121 | Bezüglich der Einführung von GEM schreibt Mark Danks: »Combined with Pd, a single unified environment has been created, bringing together visual and sonic media for creative expression.« Danks 1997, S. 224 122 | Entspricht einer Kunstform, welche sowohl die Übertragung und Integration musikalischer Parameter in den Bereich der darstellenden und filmischen Kunst als auch die direkte, zumeist Technik-basierte Umsetzung von Sound(-Daten) ins Visuell-Graphische betrifft. Vgl. Brian Evans, Foundations of a Visual Music, Computer Music Journal, 29:4, Winter 2005, S. 11 ff 123 | Lemma I (Thessaloniki): Schlagzeug – Steven Schick, Posaune – George Lewis, Live-Elektronik – Miller Puckette, Rand Steiger, Vibeke Sørensen; Lemma II (NY): Schlagzeug – Steven Schick, Piano – Anthony Davis, Live-Elektronic – Miller Puckette, Rand Steiger, Vibeke Sorensen; Lemma II (Hillsboro): Schlagzeug – Vanessa Tomlinson, Piano – Scott Walton, Live-Elektronik – Harry Castle, Shahrokh Yadegari 124 | Sørensen, Steiger, Puckette 1999, S. 3 von 8
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Die Produktionsstruktur weist hierbei zwei grundlegende Arbeitsprozesse der Analyse und der Kommunikation auf, die sich im Detail festmachen lassen an den für das Projekt zentralen Pd-Objekten bonk~ und netsend bzw. netreceive. Innerhalb des Analyseprozesses der InstrumentalSounds ermöglicht bonk~ die Interpretation (attack detection and spectral envelope measurment) und Umcodierung der Audiosignale, was einer Reduktion von äußerst komplexen Datenmengen u.a. zur beschleunigten Kommunikation zwischen vernetzten Rechnern entspricht. Beschränkt auf den Percussion-Input125 der Live-Session werden die Klänge ihrer Amplitude gemäß (envelope following) durch entsprechende Zahlenwerte (»Max-style control messages«126) repräsentiert, welche im Vergleich zu gewöhnlichen Audio-Files als weit weniger komplexe Datenform bei der weiteren Verarbeitung und Versendung eine wesentlich geringere Rechenkapazität beanspruchen. Die daraus resultierende Möglichkeit einer beschleunigten Kommunikation (in real-time) begründet schließlich den Live-Charakter des hier kreierten Mensch-Maschine-Interaktionsraums, dessen Computer in einem zweiten Schritt sowohl auf lokaler als auch auf überregionaler Ebene durch die Pd-Objekte netsend und netreceive vernetzt werden: »A pair of objects, netsend and netreceive, serve to connect different computers running Pd. Netreceive opens a TCP/IP socket and ›listens‹ for connections on it. […] On another computer, a netsend object can then be asked to connect to the netreceive’s socket, using its internet host name and port number. If the connection succeeds, the netsend can be asked to forward any Pd message to the receiving computer.«127
Darüber hinaus gestaltet sich die Realisation des GVMP-Netzwerks in Kooperation mit dem Transmission Control Protocol (TCP) bzw. dem Internet Protocol (IP), welche als Kommunikationsprotokolle den Datentransfer kontrollieren.128 Die eigentliche Transmission der Daten zwischen den 125 | »The bonk~ object is intended for analysis of noisy sounds […]. […] bonk~ is intended for use with percussion instruments.« Puckette 1997 (b), S. 3 126 | Miller S. Puckette, Theodore Apel, David D. Zicarelli, Real-time audio analysis tools for Pd and MSP, ICMC Proceedings 1998, S. 109 127 | Puckette 1997 (b), S. 2 128 | Zusammengefasst werden beide Protokolle auch als Internet Protocol Suite (TCP/IP) bezeichnet.
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
Veranstaltungsorten New York und Hillsboro erfolgt dann schließlich via ISDN, also über das öffentliche Telefonnetz. Auf dieser Grundlage kann nun beispielsweise das Videomaterial in NY mit dem Datenmaterial aus Hillsboro gesteuert werden etc., so dass es hier insgesamt zu einem interaktiven Spiel aller Beteiligten kommen kann, welches im digital-zirkulierenden Datenfluss des Netzwerks einer multidirektionalen und -funktionalen Ausrichtung unterliegt. Was diesen Medienkomplex in Gänze anbelangt, so verfolgen die GVMP-Macher das Ziel, die Vielzahl der kooperierenden Einzelkomponenten weitestgehend zu reduzieren. Externe Hardware-Elemente (Sampler etc.) sollen nach Möglichkeit durch Software-Applikationen ersetzt werden, um so zukünftige Produktionen unkomplizierter, kompakter und nicht zuletzt kostengünstiger gestalten zu können. Aufgrund der technischen Gesamtentwicklung Ende der neunziger Jahre entspricht dies jedoch einer Zukunftsmusik, welche ebenso wie die geplante Erweiterung des Netzwerks129 im Rahmen des GVM-Projects nicht mehr realisiert werden kann. Auf andere Weise erfährt das hier etablierte Netzwerk jedoch durchaus die angestrebte, weiterführende Öffnung. Der Produktionsraum des Projects endet nicht mit Lemma II: »We see these performances on a trajectory leading towards a true realization of a global visual music jam session that we hope will serve as an inspiration for others to explore this new territory of real-time multi-modal art with the software resources we develop.«130 Gemäß der Bedeutung des Wortes Lamma131 dienen die hier realisierten Strukturen als Ausgangspunkt für zahlreiche weitere Produktionen, Performances oder Installationen. Bereits parallel zum GVMP präsentiert Mark Danks seine Arbeiten headingsouth (1996), pushit (1997), softhard (1998) und ratgut (1999), welche ebenso wie Marocco Memory II (1999) von Vibeke Sørensen mit den Produktionsmitteln des GVM-Projects und hier insbesondere mit Pd/GEM operieren. Gleiches gilt für Die Farben 129 | »We are planning an eight hour global percussion concert involving musicians in twenty cities to take place in Fall of 2001.« Sørensen, Steiger, Puckette 1999, S. 7 von 8 130 | www.visualmusic.org/gvm/gvmjs.htm 131 | Das aus dem griechischem stammende Wort Lemma steht hier (wie u.a. auch in der Mathematik) für eine Pro-Position, von welcher aus sich weitere Schritte unternehmen lassen, vergleichbar mit einer Stufe oder Leitersprosse, welche in neue Regionen führen kann.
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Schwarz (1999) von Winfried Ritsch, Autoregulative Spaces (1998) von Andrea Sodomka, Martin Breindl und Norbert Math, oder kontam!naz!on\+\ tox!kolog!e (1999) von Netochka Nezvanova.132 Mit dem wiederholten Aufgehen der Strukturelemente in immer neuen Produktionszusammenhängen bilden hier vor allem die soft-technologischen Instrumente eine übergeordnete Netz-Instanz, welche eine grundsätzliche Vernetzung der damit realisierten Arbeiten bewirkt, auch wenn diese im engeren Sinne als Werk eventuell keine spezifischen NetzQualitäten aufweisen. Durch das beständige Re-Cycling einzelner Objekte entspricht im Grunde jedes Arbeiten mit Max auch einem Arbeiten im bzw. am Netz. Was Winfried Ritsch mit Blick auf das GVMP bzw. die in diesem Rahmen entstandenen Objekte beschreibt, welche als Internals via Pd-Extended frei erhältlich sind (ebenso wie GEM), gilt im übertragenen Sinne letztlich für jede Max-Produktion: »The [netsend] and [netreceive] objects were implemented very early in Pd. This permits not only the cluster formation of computers in order to distribute processor load but also playful networking and thereby making music with others.«133
132 | Vgl. Sørensen, Steiger, Puckette 1999, S. 4-7 von 8 133 | Winfried Ritsch, Does Pure Data Dream of Electric Violins?, in: Zimmer 2006, S. 15-16
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Abbildung 21: Lemma II, Mainpatch
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III.4.2 Quintet.net — Georg Hajdu In den bisherigen Beispielen erfolgte der Zugang zur jeweiligen Produktionsstruktur über einzelne Werke, Performance-Situationen (Live-Coding) oder Projekte. Mit Quintet.net von Georg Hajdu hingegen wird hier zunächst vielmehr die bereits unter Kapitel II begonnene Beschreibung der funktionalen Ausdifferenzierungen von Max fortgesetzt. Vergleichbar mit soft-technologischen Extensionen wie beispielsweise softVNS zur Videoverarbeitung (vgl. III.3.1) oder Holophon zur Distribution von Klang im Raum (vgl. III.3.2) entspricht Quintet.net einem Max-basierten Instrumentarium zur Realisation von Netzkunst: »The interactive network performance environment Quintet.net is a flexible music application, which allows the realization of music and multimedia projects in a local network setting or on the Internet.«134 Darüber hinaus ist Quintet.net jedoch selbst bereits als eigenständige Komposition zu verstehen, innerhalb welcher sich eine konkrete künstlerische Intention manifestiert, die auf die Organisation von spezifisch ausgerichteten Produktionsräumen (Netzwerken) und auf die damit verbundene Performance-Praxis abzielt. Nach einer ersten Besprechung des Environments 1999 (KlangArt, Osnabrück) wird dementsprechend zunächst auch die Aufführung der Software selbst angekündigt: »Quintet. net wird […] am 28.10.2000 in Münster beim Musikfestival Mystik und Maschine erstaufgeführt […]«135 – womit dann allerdings ebenso die Uraufführung von MindTrip (Georg Hajdu), dem ersten mit Quintet.net realisierten Stück bezeichnet wird. Seither unterliegt das Programm einem stetigen, sowohl der künstlerischen Anwendung als auch dem technischen Fortschritt geschuldeten Entwicklungsprozess: »Die Applikation hat sich von einem einfachen vernetzten Sampler mit einigen Zusatzfunktionen in ein […] Multimedia-Environment gewandelt, mit dem praktisch jede Form der Interaktion und Vernetzung möglich ist […].«136 134 | Georg Hajdu, Composition and Improvisation on the Net, Sound and Music Conference Proceedings, IRCAM-Paris 2004, S. 5 135 | Georg Hajdu, Quintet.net – Präliminarien zur Entwicklung einer vernetzten, interaktiven Echtzeitkompositionsumgebung, in: Global Village–Global Brain– Global Music, hg. von Bernd Enders und Joachim Stange-Elbe, Osnabrück 2003, S. 303 136 | Georg Hajdu, Zit. aus persönlicher E-mail-Korrespondenz, 10.05.2011
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
Heute basiert das Environment auf den vier Grundkomponenten (Patch-Komplexen) Server, Client (5), Conductor und Listener. Der Server stellt hierbei die zentrale Schaltstelle (send/receive) dar, wo jeder der Beteiligten, ob Client, Conductor oder Listener, eingeloggt sein muss, um (inter-)aktiv am Geschehen teilnehmen zu können. Die auf diese Art vernetzten Clienten entsprechen einer dialogisierenden Quintett-Besetzung (auch wenn jeder der fünf Clienten letztlich ein gesamtes Kollektiv repräsentieren kann). Die Beiträge der Mitwirkenden (Instrumental-Parts etc.) werden über Mikrophon, MIDI-Controller oder über die Rechnertastatur in die Netzstruktur eingebracht. Die Koordinationsleistung des Servers ermöglicht dabei ein interaktives Zusammenspiel, welches über das lokale Netzwerk hinaus größere Distanzen via Internet überbrückt. Als sechster Spieler fungiert der Conductor, welcher über diverse Möglichkeiten zur Selektion und Modifikation der künstlerischen Gesamtsituation verfügt. Die Listener-Komponente (Chat-Option) dient dem Teil des Publikums, der als ›cyber-audience‹ die Performance via Internet verfolgt und hierüber beeinflussen kann. Somit stellt das Listener-Kollektiv den siebten Mitspieler, welcher allerdings im Unterschied zum Client keine direkte Input-Option besitzt, also nur modifizieren kann was bereits gegeben ist, und auch das nur indirekt, da letztlich der Conductor über Sein oder Nichtsein der ›vox populi‹ entscheidet. Ergänzt werden diese vier Basiselemente durch die Extension Viewer, zur Video-Verarbeitung von Live-Streams oder vorproduzierten Clips, und durch The Composition Development Kit, ein Modul, welches speziell den kompositorischen Kreationsprozess unterstützen bzw. vereinfachen soll, indem es die gesamten kompositorischen Grundmaterialien verwaltet.137
137 | Vgl. Georg Hajdu, Quintet.net: An Environment for Composing and Performing Music on the Internet, in: Leonardo, 38:1, 2005, S. 24 f
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Abbildung 22: Quintet.net, Performance-Setting
Der Datentransfer zwischen den einzelnen Spielern im lokalen oder Internet-gestützten Netzwerk wird größtenteils über das Kommunikationsprotokoll Open Sound Control (OSC) geregelt,138 welches Ende der neunziger Jahre von Adrian Freed und Matt Wright am UC Berkeley Center for New Music and Audio Technology (CNMAT) entwickelt wurde und seither als Freie Software innerhalb der Computer-Kunstszene diverse Interaktionsmöglichkeiten zwischen Programmen wie Max, SuperCollider oder CSound offeriert.139 Wie bereits unter II.3.6 beschrieben entspricht eine solche Programm-Kombination schließlich einer Öffnung, welche über den Max-Raum hinaus auf die rhizomhafte Komplexität der technologischen Gesamtsituation aus verlinkten Strukturen verweist. Aufgrund dieser spezifischen Anlage gibt Quintet.net die produktionsästhetische Grundausrichtung der damit realisierten Projekte vor und verbleibt darüber hinaus in der jeweiligen Performance-Situation stets präsent, und zwar nicht nur als organisierendes Interface, sondern durchaus als ästhetisch formstiftendes Prinzip. Vor allem im Zusammenhang
138 | http://opensoundcontrol.org 139 | Zur Verbindung von Max, OSC und Internet vgl. Föllmer 2005, S. 50
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
mit dem Internet140 determiniert das Environment eine spezifische Produktions- und Prerformance-Praxis. Dies gilt allerdings nur bis zu einem gewissen Grad und erfolgt schließlich mit dem weiterführenden Ziel eine Plattform zu stellen, welche wiederum einen möglichst offenen Spielraum zur Realisation von verschiedenartigen Projekten141 gewährleistet: »Durch die Erfahrung mit dutzenden von Musikern und Komponisten habe ich mit einer modularen Öffnung der Programmarchitektur die Umgebung schrittweise […] so geweitet, dass sich jede mir bekannte ästhetische Praxis damit realisieren ließe, vorausgesetzt, sie findet auf dem Digitalcomputer statt und benutzt Standartschnittstellen wie MIDI oder OSC.«142
Mit der Gründung des European Bridges Ensemble (EBE, 2005), dessen Performance insbesondere auf Quintet.net basiert,143 erstrecken sich die Netzwerke über die künstlerisch-technischen Komponenten hinaus auch auf die geo-politischen Aspekte der jeweiligen Produktion. Dabei stehen die ›Brücken‹ als Metapher für einen verbindenden, interkulturellen Austausch zwischen europäischen Teilregionen (Ungarn, Deutschland u.a.), welche aufgrund der politischen oder wirtschaftlichen Entwicklungslage aktuell nur wenig Berührungspunkte aufweisen, obwohl sie in unmittelbarer Nachbarschaft existieren und kulturgeschichtlich aufs Engste verbunden sind:
140 | »The internet thus gives birth to its own aesthetic.« Georg Hajdu, Quintet. net – A Quintet on the Internet, ICMC Proceedings 2003, S. 317 141 | Manfred Stahnke (Orpheus Kristall, 2002 und Sisyphos, 2005), Anne la Berge (Vamp.net, 2002), Kai Niggemann, Marlon Schumacher, Johannes Kretz, Andrea Szigetvári, Ivana Ognjanovic (Bridges, 2005), Georg Hajdu (Ivresse’84, 2007), Ádám Siská (185, 2008) oder Fredrik Olofsson (the choir, the chaos, 2009) u.a. – eine vollständige Auflistung der mit Quintet.net produzierten bzw. performten Arbeiten findet sich unter: http://193.175.151.238/groups/quintetnet/wiki/2728d/Pieces.html 142 | Georg Hajdu, Zit. aus persönlicher E-mail-Korrespondenz, 19.01.2010 143 | »The European Bridges Ensemble was established for Internet and network performance. Its current members are Kai Niggermann (Münster, Germany), Ádám Siská (Budapest, Hungary), Johannes Kretz (Vienna, Austria), Andrea Szigetvári (Budapest, Hungary), Ivana Ognjanovic (Belgrade, Serbia), Georg Hajdu (Hamburg, Germany) and Stewart Collinson (Lincoln, England), performing with Georg Hajdu’s interactive network performance environment Quintet.net.« http://e-b-e.eu
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»The aim of the project is to further explore the potential of taking participating musicians and artists out of their political and social isolation by creating communities of like-minded artists united by their creativity and mutual interests. The focal points of the project have traditionally stood out as major centers of Central European cultural life and it is our aim to use digital technology to ›(re)connect the dots‹.«144
Seit der ersten EBE-Produktion Bridges145 (Wien/Stuttgart/Münster, 2005) geht es vor allem darum, via Quintet.net auf internationaler Ebene ein Netzwerk zu etablieren, welches von verschiedenen europäischen Künstlern geteilt und dabei (aufgrund seiner Offenheit) von Produktion zu Produktion auf neuartige Weise in Szene gesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang werden so unterschiedliche Arbeiten wie beispielsweise Brokenheart Syndrome (2007) von Anne La Berge oder Ivresse‘84 (2007) von Georg Hajdu realisiert. Die Komposition Ivresse‘84 (für Violine, Laptop-Quartett und Electronic-Conductor), welche ihr Material aus einer bereits vorliegenden Arbeit (Freeman-Etüde Nr. 1 von John Cage) und Interview-Sequenzen (Hajdu interviewt den Violinisten János Négyesy u.a. zum Thema Uraufführung der Freeman-Etüden 1-16 in Ivrea, Italien 1984) bezieht,146 basiert im live-elektronischen Kontext auf dem häufig nicht ganz unproblematischen Zusammenspiel von Computer-generierten Klängen und notierter Instrumentalmusik (vgl. III.2.1). Die Suche nach entsprechenden Realisationsmöglichkeiten im Vorfeld von Ivresse’84 führt schließlich zu Max-
144 | http://e-b-e.eu 145 | »Bridges is a collaborative composition composed by Kai Niggemann, Marlon Schumacher, Johannes Kretz, Andrea Szigetvári and Ivana Ognjanovic […]. The participating composer Kai Niggemann writes: Bridges is a ten-minute Quintet.net piece consisting of five parts, each written by one of the original performers. Every part has it’s own sounddesign, as well as matching video images.« http://193.175.151.238/groups/quintetnet/wiki/0e2cc/Bridges.html 146 | Hajdus Komposition Schwer… unheimlich schwer (für Bassklarinette, Viola, Klavier und Schlagzeug, 2009), deren Material aus der Sprachanalyse eines Interviews (Stefan Aust interviewt Ulrike Meinhof) hervorgeht, kann als Weiterführung dieser quasi dokumentarischen Herangehensweise betrachtet werden.
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
Score 147, einer von Georg Hajdu (Max-Programming) und Nick Didkovsky (Java bzw. Java Music Specification Language-Programming) entwickelten Max-Extension, welche »standard western music notation in Max/MSP und Ableton Live«148 ermöglicht: »MaxScore is a Max object which accepts messages that can create a score, add notes to it, transform them, perform it, save and load the score, as well as export the score to popular formats for professional publishable results.«149 Dabei ist MaxScore kein bloßes Notationsprogramm, sondern »[…] an interactive performance object. MaxScore can play back a score and drive your MSP patches through an instrument interface. Scores can be created and modified in real-time.« 150 Mit dieser Extension wird zum wiederholten Male die kreisläufige Wechselwirkung zwischen der Produktion mit Max und der Produktion von Max deutlich. Die mit Max bzw. Quintet.net organisierte Produktionsstruktur ermöglicht eine Performance-Praxis, welche ihrerseits neuartige Software-Funktionen evoziert. Fortgesetzt wird dieser Kreislauf, indem die technischen Innovationen über die entsprechenden CommunityStrukturen re-investiert und damit erneut der künstlerischen Praxis zugänglich gemacht werden. So lassen sich auf www.maxobjects.com neben Quintet.net und MaxScore weitere Objekte oder Objekt-Sammlungen wie The Sadam Library 151 von Ádám Siska finden, welche ebenfalls im Zusammenhang mit dem hier beschriebenen Netzwerk entstanden ist und rückwirkend die Weiterführung dieser Produktionsstrukturen ermöglicht.
III.5 H YPERR AUM Ausgehend vom Live-elektronischen Interaktionsraum ist eine beständige Ausdifferenzierung der Max-basierten Produktionsstrukturen auszumachen. Der Hyperraum kann nun als ein (vorläufiges) Finale dieser 147 | Vgl. Georg Hajdu, Nick Didkolovsky, MaxScore: Music Notation in Max/ MSP, ICMC Proceedings 2008, www.georghajdu.de/fileadmin/material/articles/ cr1303.pdf 148 | www.computermusicnotation.com/content/?page _id=2 149 | www.algomusic.com/maxscore 150 | www.computermusicnotation.com/content/?page _id=2 151 | »A set of several externals with different purposes, mainly network communication.« www.maxobjects.com/?v=authors&id_auteur=332
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Entwicklung betrachtet werden, innerhalb welchem alle bisher beschriebenen Tendenzen – die Öffnung der konventionellen Produktions- und Performance-Situation, die Tendenz zum Gesamtkunstwerk, die Wandlung der kompositorischen Arbeit etc. – vereint und in zugespitzter Form erscheinen. Demgemäß wird an dieser Stelle auch der Grundthese Komposition als Organisation von Raum am vollständigsten entsprochen, da hier die künstlerische Arbeit nicht mehr nur in erster Linie (vgl. Philippe Manoury), sondern häufig sogar ausschließlich die Organisation von Produktionsstrukturen betrifft, während die konventionellen Aufgabenfelder der Klang- oder Bildkreation ausgelagert (indeterminiert) erscheinen und als mögliche Gestaltungsfaktoren dem Rezipienten, dem User oder der Maschine überlassen werden. Die offene und extensible Max-Anlage bedingt dabei ein beständiges Weitergreifen dieser Organisation, welche mit dem Hyperraum-Format über die traditionellen Aufführungsstätten hinaus im Grunde jeden öffentlichen oder privaten Raumkomplex einzubinden vermag. Es kommt zur Bildung von spezifischen Raumketten, wobei innerhalb der einzelnen Projekte auch die bisher beschriebenen Formate auf verschiedenste Art zum Tragen kommen. Als live-elektronischer Interaktionsraum ist der Hyperraum zunächst nicht vom Netzwerk zu unterscheiden, sondern beinhaltet dieses ebenso wie möglicherweise den Gestikulierten Raum. Die Eigenheit des Raumformats beruht schließlich auf der Hypertextur dieser Kopplungen, welche in verstärktem Maße über Öffnungen verfügen, die nun beispielsweise dem (aktivierten) Rezipienten als relativ freie und bis zu einem gewissen Grad unkontrollierte oder gar unkontrollierbare Eingriffsflächen dienen. Somit repräsentieren die im Folgenden beschriebenen Produktionsräume neben Klängen oder Bildern immer auch das entsprechende Basiselement Max (im Medienkomplex/Computer), dessen hypertextartige Verzweigungen sich auf der Ebene der künstlerischen Produktion fortsetzen. Vergleichbar mit den verlinkten Funktionseinheiten im HTML-basierten Hypertext152 verbindet die Software nun wiederum qualitativ verschiedenartige Strukturen zu ineinandergreifenden Produktionskomplexen. Diese Hyperräume sind weder auf einen n-dimensionalen physikalischen 152 | Zur Geschichte des Computer- bzw. Hypertext-basierten Hyperraums als einer wirklichen Unwirklichkeit vgl. Stephan Porombka, Hypertext, Zur Kritik eines digitalen Mythos, München 2001, S. 189 ff
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
Raum (Hyperspace) noch auf die Hypertext-Struktur des Computers bzw. auf dessen Vernetzung durch das Internet (Cyberspace) beschränkt, sondern können potentiell alle Raumtypen auf innovative Weise miteinander kombiniert beinhalten. Die innerhalb dieser Raumkopplungen auszumachenden Öffnungen ermöglichen sowohl dem Performer als auch dem Rezipienten (als Performer) aktiv in die künstlerischen Entwicklungsprozesse einzugreifen, auch wenn der jeweilige Aktionsradius zumeist im mehr oder minder fest gefügten Rahmen der räumlich-situativen Strukturvorgaben des Komponisten verbleibt: »If the performer is composing, what does the composer do? […] First, the composer designs the specific modes of operation of the instrument, which include control and compositional algorithms and, as in a real fly-by-wire system, may include context sensitivity. […] Second, the composer also designs the space through which the performer moves. The space includes the sounds. It also includes the rules which determine how the sounds react to the performer’s movements.«153
Was aus der Sicht des Performer-Rezipienten als Partizipative Kunstform erscheint, basiert schließlich auf einer kompositorischen Praxis, die zunächst Strukturen gestaltet, deren künstlerische Aktivierung schließlich »die situativen Zusammenhänge buchstäblich wieder ins Spiel«154 bringt. Der offen gestaltete Produktionsraum lässt ebenso offene Situationen zu, welche die spontane und (relativ) autonome Partizipation des einstigen Zuhörers im Zusammenspiel mit den jeweiligen räumlichen Gegebenheiten ermöglichen. Eine solch »Situationale Ästhetik […] entläßt den Adressaten von Kunst aus seiner fixierten Perspektive. Sie entwickelt damit den seit 250 Jahren fortschreitenden Prozeß der Autonomie der Kunst dahingehend weiter, daß sich die künstlerischen Setzungen auch aus den Bindungen herkömmlicher Präsentationsformen herausgelöst haben.«155 Im Gegensatz zur 153 | Joel Chadabe, The Performer is Us, in: Battier 1999, S. 28 154 | Rolf Großmann, Monitor – Intermedium zwischen Ton, Bild und Programm, in: Coy, Warnke, Tholen 2005, S. 200 155 | Helga de la Motte-Haber, Zwischen Performance und Installation, Zeit – Raum : Umwelt, in: Klangkunst, Tönende Objekte und klingende Räume, Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, Bd. 12, hg. von Helga de la Motte-Haber, Laaber 1999, S. 279
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One-Way-Ausrichtung dieser herkömmlichen Präsentationsformen, innerhalb welcher die Aktionsrichtung determiniert vom aktiven Sender (Komponist, Performer) zum passiven Empfänger verläuft, handelt es sich bei den künstlerischen Setzungen hinsichtlich der mit Max organisierten Hyperräume um geöffnete, multidirektionale Anlagen, innerhalb welcher der User (Performer, Rezipient) sowohl als Empfänger als auch als Sender agieren kann. Mit Vilém Flusser gesprochen wird hier ein »Totalitarismus« verabschiedet und eine »Technik des Dialogisierens«156 – von Flusser als Telematik157 bezeichnet – auf den Weg gebracht, welche die Erzeugung, Verarbeitung und Verbreitung von Daten innerhalb eines interkommunikativ-dynamischen Kollektivs von relativ gleichberechtigten Akteuren ermöglicht. Erst diese Dreiheit aus kompositorischer Arbeit, interpretatorischer bzw. rezeptorischer Ungebundenheit und vermittelnder Produktionsstruktur ermöglicht (oder ist) das offenes Kunstwerk, welches in der Vergangenheit häufig einseitig aus der werkästhetischen Perspektive des Rezipienten heraus thematisiert wurde. So beschreibt Umberto Eco das offene (literarische) Kunstwerk »als Vorschlag eines ›Feldes‹ interpretativer Möglichkeiten […], so dass der Perzipierende zu einer Reihe stets veränderlicher ›Lektüren‹ veranlasst wird […].«158 Darüber hinaus soll es hinsichtlich des Hyperraums insbesondere um den Vorschlag eines Feldes selbst, das heißt um die Organisation der Produktionsstruktur gehen, deren Aktivierung anstelle von offenen Kunstwerken vielmehr eine offene Kunst evoziert, die unabgeschlossen an den situativen Produktionsprozess gebunden bleibt. In diesem Sinne schreibt Karlheinz Essl hinsichtlich der mit Max realisierten Lexikon-Sonate (vgl. III.5.1) auch von einem Prozess mit Werkcharakter und verweist damit schließlich auf den ideellen oder theoretischen Charakter einer rein offen-prozesshaften bzw. einer rein geschlossenwerkhaften Kunst: »Ich möchte […] die These aufstellen, dass es reine WERKE ebenso wenig gibt wie reine PROZESSE.«159 Und weiter heißt es: 156 | Vilém Flusser, Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen 1992, S. 184 157 | »Die Technik, welche erlaubt, den gegenwärtigen diskursiven Schaltplan der technischen Bilder in einen dialogischen umzubauen, heißt Telematik. Dieser Name ist ein junger Neologismus, der aus der Verschmelzung von ›Telekommunikation‹ und ›Informatik‹ entstanden ist.« Ebd. S. 86 158 | Umberto Eco, Das offene Kunstwerk, Frankfurt a.M. 1977, S. 154 159 | Karlheinz Essl, Plädoyer für »Das Offene Kunstwerk«, Zur Frage: »Für und wider das Kunstwerk«, www.essl.at/bibliogr/ok.html, S. 3 von 8
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
»Ich möchte […] für eine neue Sichtweise plädieren, die WERK und PROZESS nicht als Widersacher gegeneinander ausspielt, sondern die Polarität dieser beiden Wesensformen in sich vereint. WERK und PROZESS ließen sich demnach […] als Extremwerte auffassen, zwischen denen vielfältige Zwischenstufen und Übergangsformen denkbar sind.«160 Derartige Übergangsformen lassen sich beispielsweise in den hypermusikalischen Spielarten der Mobile Music oder der Telemusic161 (Musique en réseau) wiederfinden, deren Kreation zunächst das Réseau, also die Produktionsstruktur, das spezifische Setting bzw. das Netzwerk betrifft, welches sich gemäß dem Format des Hyperraums tendenziell offen gestaltet und eine prozesshaft-situative, kollaborative und partizipative Produktion ermöglicht. In diesem äußerst vielgestaltigen Zusammenhang spielt Max seit den neunziger Jahren eine bedeutende Rolle insbesondere was das Zusammenspiel der verschiedenen Raumschaltungen bzw. die kommunikative Vermittlungsleistung zwischen den in real-time interagierenden Raumkomponenten anbelangt. So entwickelt Atau Tanaka – bekannt vor allem für seine mit Max realisierten Environments BioMuse 162 und Global String 163 – ein Mobile-Music-System »for collaborative musical creation 160 | Ebd. S. 4 von 8 161 | Die von Karlheinz Stockhausen stammende Komposition Telemusik (1966) kann in diesem Zusammenhang nur bedingt als Vorläufer betrachtet werden, da es sich hierbei zwar ebenfalls um Verbindungen handelt, die sich jedoch nicht auf die räumliche Produktionssituation, sondern auf die inhaltlichen Material-Aspekte der im Tonstudio des japanischen Rundfunks entstandenen, elektroakustischen Kollage beziehen: »›Telemusik‹ heißt […], dass etwas, was sehr weit voneinander entfernt ist, nah zueinander komponiert wird. Etwas, was eben ›tele‹, also weit weg – auch in der Geschichte, zeitlich – voneinander entfernt ist, habe ich komponiert.« Karlheinz Stockhausen, Interview über Telemusik, in: Texte zur Musik 1963-1970, Schauberg/Köln 1971, Bd. 3, S. 79 162 | Ein im musikalischen Sinne instrumentalisiertes System auf der bioelektronischen Basis von neuronalen Signalen der Armmuskulatur, mit welchem Tanaka seit den frühen neunziger Jahren experimentiert und (zumeist im Rahmen der Sensorband) konzertiert. Vgl. Atau Tanaka, Musical Performance Practice on Sensor-based Instruments, in: Battier, Wanderly 2000, S. 391 ff 163 | Eine Kooperation zwischen Atau Tanaka und Kasper Toeplitz, bei welcher es sich um die Installation eines Musikinstruments (15 m lange Stahlseite) handelt »for heterogeneous space and democratic use requires implementation of diverse
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on mobile wireless networks.«164 Hierbei handelt es sich um ein aus drei Hauptkomponenten bestehendes System: »1) a handheld device that is the main input/output hardware, 2) a generative music engine, and 3) network services that manage authentication and media delivery.«165 Unabhängig von jeder prä-installierten Infrastruktur ermöglichen diese zusammenwirkenden Komponenten einer beliebigen Anzahl von Spielern kollektiv, mobil und über geographische Distanzen hinweg zu musizieren. Zu diesem Zweck haben die Akteure kleinformatige Apparate (Personal Digital Assistants) zur Hand, die über ein standardisiertes Wi-Fi-Network kommunizieren. Der kreative Input erfolgt dabei via Touchscreen und Sensor-System. Das Kernstück der Anlage – the music generation engine – ist in Max verfasst, so dass die Software wiederum als Umschlagplatz von Daten und als Vermittler zwischen künstlerisch-humaner und technologischer Sphäre erscheint, wobei die jeweiligen Situationen, in denen sich die Spieler im Moment der Live-Schaltung befinden (Straßenkreuzung, Stadtpark etc.), bzw. die mobile Kopplung dieser variablen Räumlichkeiten den (indeterminiert-situativen) Hyper-Produktionsraum ergeben. Eine zunächst gänzlich verschiedenartig erscheinende HyperraumProduktion, die ausgehend von der konventionellen Konzertbühnen-Situation einen vergleichsweise stabilen Produktionsraum aufweist, der via Internet schließlich bis ins heimische Wohnzimmer reicht, wäre die programmatisch betitelte Komposition bzw. Live-Performance Telemusic #1 (vgl. III.5.2) von Randall Packer166, Steve Bradley und John P. Young: »During the event, visitors to the site [www.telemusic.org] navigated through a virtual interface, and while manipulating elements, projected their actions in the modes and techniques satisfying needs of tactile local presence, and tangible telepresence. The result is an artistic project destined for multi-site gallery installation and performance. It is a musical instrument that exists in the mixed realities of acoustical space and network space.« Atau Tanaka, Bert Bongers, Global String, A Musical Instrument for Hybrid Space, ICMC Proceedings 2002, S. 299 164 | Atau Tanaka, Mobile Music Making, New Interfaces For Musical Expression Proceedings, Nime 2004, S. 154 165 | Ebd. S. 154 166 | Gründer u.a. von Zakros Interarts (1988) – »dedicated to the creation of forms of art and technology that dissolve the distinction between disciplines and defy categorization.« www.zarkos.com/zarkos/zarkos.html
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
form of triggered sounds into the physical space. Simultaneously, the live audio performance was streamed back out to the Internet participants. Thus, anyone could take part in the collective realization of the work and hear the musical results in real time. The underlying technology is […] the first standards-based implementation linking the Web with Cycling’74’s MAX.«167
Was beide Arbeiten über Max hinaus verbindet, ist schließlich die Offenheit der Produktionsbedingungen, auch wenn Produktionen mit Tanakas Mobile-System in einem vollständig offen gehaltenen Environment entstehen, während sich der Produktionsraum der Telemusic #1 lediglich an einem Punkt, welcher das Kreationselement der Partizipation via Internet betrifft, offen gestaltet. Insgesamt entsprechen die hier zugrundeliegenden Produktionsstrukturen, ebenso wie die folgenden Beispiele, dem Format des Hyperraums, da sie tendenziell unabgeschlossene Raumkopplungen aufweisen, welche letztlich eine ebenso unabgeschlossene Kunst ermöglichen.
III.5.1 Lexikon-Sonate — Karlheinz Essl In seinem Buch Netzmusik beschreibt Golo Föllmer unter der Teilüberschrift Hypermusik Projekte »die Interakteuren eine Eingriffsmöglichkeit bieten, welche dem Navigieren in Hypertextdokumenten ähnelt.«168 Das erste in diesem Kontext angeführte Beispiel ist die mit Max realisierte Lexikon-Sonate von Karlheinz Essl, welche »näherungsweise eine Umsetzung des Hypertext-Prinzips«169 darstellt. Diese Umsetzung gilt es im Folgenden anhand der spezifischen Produktionskonditionen aufzuzeigen, wobei mit der Real Time Composition Library (RTC-Lib, vgl. II.3.4), welche in einem engen Entwicklungszusammenhang mit der Sonate steht, wiederum auch die Software selbst als Produkt der ästhetischen Praxis erscheint. Name und Grundkonzeption der Sonate gehen zurück auf den 1970 erschienenen Lexikon-Roman des Schriftstellers Andreas Okopenko, welcher eine literarische Vorform der späteren digitalen Hypertexte darstellt. 167 | John P. Young, Networked Music: Bridging Real and Virtual Space, in: Organised Sound, 6:2, 2001 (a), S. 107 168 | Föllmer 2005, S. 107 169 | Ebd. S. 108
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Der Roman präsentiert seine zahlreichen Kapitel nicht als Folge einer intentionalen Erzählstruktur, sondern in alphabetischer Reihenfolge und stellt so einen Rahmen von Möglichkeiten, in welchem der Leser in Eigenregie zum Kombinieren und Kreieren seiner Version der Geschichte angehalten ist.170 Zu Beginn der neunziger Jahre wird dieses Grundmaterial von der Künstlergruppe Libraries of the Mind, zu der auch Okopenko gehört, digitalisiert und als ELEX (Electronic Lexikon-Roman) mit einigen neuen Features und zusätzlichen Medien (Bild und Ton) ausgestattet im CD-ROMFormat publiziert. In diesem erweiterten Kontext fungiert Karlheinz Essl als Komponist und formuliert seine Anforderungen bezüglich der klanglichen Umsetzung des Projekts wie folgt: »a) Music for the ›Lexikon-Roman‹ cannot merely consist of ›jingles‹ which are played whenever a certain text particle has been selected. With music the problem of time emerges: music – unlike a static pictorial object or even a text – is always related to time: it takes place ›in time‹, whereas beholding a picture or reading a text happens ›out of time‹. One can mediate over a poem for a long time, or just read over it. But music is always linked to a certain time span, reflecting time. So it became clear that the music cannot consist of pre-recorded pieces that are simply recalled. It should reflect the reading behavior of the reader: if he spends a long time on a chapter, the music should stay in the same ›mood‹ or character, and if she starts zapping nervously between the textural links, this should also be reflected by the music, resulting in quick changes of character. b) The complex structure of the novel challenged me to achieve something related in musical composition: a complex network of musical meanings, an infinite maze of sounds. c) The lexical principle of references – starting at a certain point and arriving somewhere else by reference arrows – gave me an idea of the formal aspect of the composition. If the
170 | In abgewandelter Form findet sich diese Konzeption heute wieder bei Künstlern wie Nanni Balestrini, welcher mittels computergenerierten Zufallsoperationen aus einem Text z.B. tausende von Liebesromane (Tristano) montiert und somit jedem Leser sein persönliches Exemplar verkauft, wobei allerdings der Aspekt der Partizipation auf Seiten des Lesers völlig entfällt. Vgl. Thomas Hübener, Und lesen immer wieder: Liebeslieder, in: Spex, Magazin für Popkultur, #324 Jan/Feb 2010, S. 108
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
music changes, this change should not be abrupt, but taking some aspects of its former state and perpetuate it, while something new is added.«171
Um diesen eigenen Anforderungen gerecht zu werden, erstellt Essl, der als Komponist bereits seit Mitte der 80er Jahre mit computergestützten Kompositionsumgebungen experimentiert, zunächst ein technologisches Environment, in dem Max die zentrale Rolle spielt. Dabei geht das Resultat jedoch weit über das ursprüngliche Vorhaben – die musikalische Umsetzung des Romans – hinaus und entwickelt sich zu einem eigenständigen »hyper-piano piece«172, welches u.a. den engen Zusammenhang zwischen der Produktion mit Max und der Produktion von Max veranschaulicht: In den Jahren 1991 bis 1993 ist Essl zu Gast am IRCAM, wo der Komponist erstmals mit Max in Berührung kommt: »Immediately I realised that this was the very programming language I was looking for since a long time – a powerful tool which allows to experiment with compositional strategies and to listen to the result immediately.«173 Neben der Realisation des Stücks Entsagung (1991-1993) für Flöte, Klarinette, Perkussion und Elektronik wird in diesen IRCAM-Jahren insbesondere der Grundstein gelegt für die spätere RTC-Library. Ausgehend von bereits vorkonzipierten MaxObjekten implementiert Essl neuartige Funktionselemente (Abstractions) wie beispielsweise spezielle Random- oder Rhythmusgeneratoren, denen weitere Module zum algorithmischen Komponieren folgen, welche dann zusammengefasst die Library ergeben – »which later became the starting point for ›Lexikon-Sonate‹.«174 Im Gegenzug trägt die sich über Jahre erstreckende, kompositorische Arbeit an der Sonate (ebenso wie andere Essl-Produktionen) zur beständigen Weiterentwicklung der Library und damit zur funktionalen Ausdifferenzierung der Software bei. Das Kern-Environment der Sonate basiert zunächst auf einer Vielzahl von funktional verschiedenartig ausgerichteten Structure-Generators zur Klanggestaltung. Als Ausgangsmaterial verwendet Essl historische 171 | Karlheinz Essl, Lexikon-Sonate, An Interactive Realtime Composition for Computer-Controlled Piano, in: Musik im virtuellen Raum, hg. von Bernd Enders und Joachim Stange-Elbe, KlangArt-Kongreß 1997, Musik und Neue Technologie (MTec), Bd. 3, Osnabrück 2000, S. 311-312 172 | Ebd. S. 312 173 | Ebd. 313 174 | Ebd. 313
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Klaviermusik (von Bach über Beethoven, Brahms, Schönberg bis hin zu Webern, Stockhausen und Boulez), welche jedoch re-synthetisiert nie als Zitat sondern immer als fragmentarische Anklänge (Allusionen) erscheinen. Auf der Grundlage von Algorithmen spricht jeder dieser Generatoren seine eigene ›Sprache‹ und bringt (s)eine ganz besondere Charakteristik ein. Das Zusammenspiel von jeweils drei aktiven Generatoren ist via Random-Generator steuerbar, so dass sich der klangliche Entwicklungsprozess von Performance zu Performance variabel und schließlich nicht reproduzierbar gestaltet. Dementsprechend lautet der Untertitel der Sonate auch »Infinite Interactive Realtime Composition for ComputerControlled Piano«175. Angesichts der zahllosen Kombinations- und Entwicklungsmöglichkeiten kommt dieser Produktionsprozess nun tatsächlich einem Navigieren in Hypertextdokumenten gleich. Der eigentliche Hyperraum lässt sich jedoch keineswegs auf diese Max-internen Abläufe reduzieren, sondern erstreckt sich auf die gesamte live-elektronische Performance-Situation, welche sich ebenso offen und variabel gestaltet, wie die Klangentwicklung. Dabei lassen sich insbesondere hinsichtlich der zwanzigjährigen Entwicklungsgeschichte der Lexikon-Sonate gänzlich verschiedenartige Produktionssituationen ausmachen, die von einer eher traditionell-konzertanten Aufführung, über den Bereich der Installation bis hin zur WebPräsentation reichen.176 Der Hyperraum der Sonate erweist sich somit in verstärktem Maße auch als ein Zeitraum, innerhalb welchem sich immer wieder neue Struktur-Konstellationen manifestieren. Dabei kommen die im Vorfeld beschriebenen Hyperraum-Qualitäten jeweils in ganz unterschiedlicher Konzentration zum Tragen, so dass nicht jede einzelne dieser strukturellen Ausrichtungen exakt der Hyperraum-Definition entsprechen muss. In Gänze betrachtet erscheint hier jedoch ein Produktions-Environment, dessen beständiges Max-Zentrum multidirektional anschluss- und entwicklungsfähig in den unterschiedlichsten Kontexten funktioniert und neuartige Raumverknüpfungen ermöglicht, welche offen sind für eine ebenso offene und situative Performance-Praxis. Zusammengenommen entsprechen die verschiedenen Produktionsräume der Sonate einem Hyper(zeit)raum, welcher wie die Musik selbst als langjähriger Prozess mit 175 | Vgl. www.essl.at/concerts/Lexikon-Sonate.html 176 | Vgl. www.essl.at/concerts/Lexikon-Sonate.html
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
Werkcharakter 177 erscheint. Diesen Prozess gilt es im Folgenden anhand einiger exemplarischer Stationen bzw. Variationen der rhizomhaft verknüpften Produktionen darzustellen. Nach diversen Präsentationen im universitären Rahmen findet die eigentliche Premiere der Sonate 1994 als Live-Schaltung des österreichischen Rundfunks im Rahmen der Sendung Kunstradio – Radiokunst statt: »The radio listeners […] had the possibility to interact with the computer program by dialing a certain telephone number. Whenever a call came through, ›LexikonSonate‹ would change its compositional behavior by adding a new and randomly selected module into its combination chain. In this way the totality of radio listeners would ›govern‹ the form of the music, even though nobody could know the actual effect of their contribution.«178
Jenseits traditioneller (Re-)Produktionsstrukturen ermöglicht das hier komponierte Setting aus Max-Environment, Radio und Telephon einen Hyperraum zwischen Sendezentrale, heimischem Wohnzimmer, Arbeitsplatz etc., welcher wiederum einem live-elektronischen Interaktionskreislauf zwischen maschineller und menschlicher (partizipaziv-kollaborativer) Klanggestaltung dient.179 In den folgenden Jahren wird die Sonate in den unterschiedlichsten Zusammenhängen präsentiert, wobei das Produktions-Environment mehrfach variiert und verstärkt intermediale Züge aufweist. Dementsprechend handelt es sich beim Lexikon-Projekt (1996-1998) um eine von Karlheinz Essl (Komposition und Gesamtkonzeption), Andreas Okopenko (Autor) und Regina Freimüller (Ausstellungsarchitektur und Raumkonzeption) inszenierte, multimediale Rauminstallation im Klangturm St. Pölten. Als Hauptkomponenten der Installation fungieren die bereits beschriebenen und miteinander verbundenen Elemente Lexikon-Roman und Lexikon-Sonate, welchen nun mit dem Lexikon-Orakel (Essl) eine weitere Relationsebene hinzugefügt wird. Der sich durch den Klangturm be177 | Vgl. Karlheinz Essl, Plädoyer für »Das Offene Kunstwerk«, Zur Frage: »Für und wider das Kunstwerk«, www.essl.at/bibliogr/ok.html 178 | Essl, in: Enders, Stange-Elbe 2000, S. 323 179 | Als Vorläufer einer solchen Produktions-Art via Radio- und Telephonnetz gilt das Stück Radio Net (1977) von Max Neuhaus. Vgl. John Rockwell, All American Music, Composition in the Late Twentieth Century, New York 1983, S. 147
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wegende Besucher hat die Möglichkeit, über die ›offenen Momente‹ der Installation (via Max) sowohl die literarische als auch die klangliche Entwicklung aktiv mitzugestalten. Dabei hat jeder literarische Eingriff Auswirkungen auf die Klangentwicklung: »[B]eim Anklicken eines Stichworts im Lexikon-Roman wird ein Steuerbefehl an den Zentralcomputer im Hauptraum geschickt, der die Lexikon-Sonate generiert, wodurch sich die Musik sofort ändert.«180 Das Lexikon-Orakel fungiert in diesem Kontext »als meditativ-suggestive Kommentierung des lexikalen Geschehens: theoretische Texte über die Lexikon-Sonate werden mit einem speziellen [in Max verfassten] Markov-Ketten-Algorithmus dekonstruiert und in Echtzeit mittels Zufallsoperationen neu zusammengesetzt. Diese Texte werden direkt vom Computer gesprochen: Eine sanfte Flüsterstimme kreist im Inneren der 3. Klangkugel [des Turms], wird aber auch in das Stiegenhaus und auf die Klangsessel im Kassenbereich übertragen, wodurch die verschiedenen Räume miteinander verbunden werden.«181
Des Weiteren gilt die Lexicon-Lecture (1998) »as another reflection on the mysteries of [the] infinite piano piece Lexikon-Sonate«182 . Hierbei handelt es sich um eine interaktive Multimedia-Installation »for realtime generated computer speech, live video processing and realtime composed piano music«183, die aufgrund des integrierten Sonaten-Environments wiederum mit Arbeiten wie beispielsweise MindShipMind (1996-1998) von Vibeke Sørensen und Karlheinz Essl verbunden ist. Als Verbindungselement ist das Environment (und damit Max bzw. die RTC-Lib) maßgeblich an der Organisation dieser ineinandergreifenden Produktionsstrukturen beteiligt. Allerdings sind jedoch gerade hinsichtlich so komplexer Produktionen wie MindShipMind – einer »Realtime-Generated Multimedia Computer/Web Installation with Text, Pictures, Animations, Sound and Computer Speech«184 – zahlreiche weitere Organisationsfaktoren wie beispielsweise das Internet involviert, was die spezifische Organisationsleistung des Environments ebenso wie die Ausgangsthese Max als in-formierender Raumrepräsentant relativiert. 180 | www.essl.at/works/Lexikon-Projekt.html 181 | www.essl.at/works/Lexikon-Projekt.html 182 | www.essl.at/works/lexicon-lecture.html 183 | www.essl.at/works/lexicon-lecture.html 184 | www.essl.at/works/mindshipmind.html
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Mit der Lexikon-Sonate als Online-Freeware185 erfolgt auf indirektem Weg schließlich eine nochmalige Erweiterung dieser Hyperpraxis. Die Freigabe der Produktionsmittel via Internet evoziert einen öffentlichen Möglichkeitsraum, innerhalb welchem die Sonate über den Aktionsradius des Komponisten hinaus in den unterschiedlichsten Konfigurationen weiterwirken kann. Abbildung 23: Lexikon-Sonate, Mainpatch
Als Prozess mit Werkcharakter entspricht die Sonate somit insgesamt einer Komposition, deren Offenheit sich noch vor aller Klangorganisation insbesondere auf die Kreation der miteinander verbundenen Produktionssituationen bezieht. Wie in vergleichbaren Arbeiten von Essl (z.B. Amazing Maze 186, 1993-2007) fördert hier die technologische Konstante Max, welche diesen unabgeschlossenen, über Jahrzehnte verlaufenden kompositorischen Prozess durchdringt und zum Hyperraum verknüpft, ein experimentelles Arbeiten, dessen Resultate vor allem im Zusammenhang betrachtet ihre wesentliche künstlerische Dimension preisgeben.
185 | www.essl.at/works/Lexikon-Sonate.html 186 | www.essl.at/works/amazing.html
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III.5.2 Variations for the World Wide Web — Seionshin Yamagishi, Kohij Setoh, Randall Packer, Noriko Matsumoto Die Produktionsstrukturen der hier unter dem Titel Variations for WWW zusammengefassten Beispiele basieren vor allem auf der medialen Interaktion zwischen Max und dem Internet bzw. dem World Wide Web – eine Kombination, welche in den vergangenen Jahren eine spezifische und äußerst vielgestaltige Praxis ermöglicht hat, die bereits im Vorfeld mit Arbeiten wie Quintet.net oder Lexikon-Sonate gestreift wurde. Dabei ist das WWW hier ebensowenig wie Max als (virtueller) Raum zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein Kommunikationssystem u.a. zur Vermittlung von konkreten Raumstrukturen, welches im Zusammenspiel mit Max insbesondere die Organisation von Produktionsräumen der ästhetischen Praxis betrifft. Die Anlage dieser kompositionstechnisch zumeist komplex geschalteten Hyperraumstrukturen zeichnet sich insbesondere durch eine spezifische Offenheit, Unvollständigkeit bzw. Indeterminiertheit aus und ergibt erst in Verbindung mit dem individuellen Environment des Users eine vollständige Produktionseinheit. Die beständige Öffnung des Produktionsraums, die bei der Uraufführung der Lexikon-Sonate 1994 noch via Rundfunk- und Telephonnetz erfolgt, wird hier mit Hilfe des Internets umgesetzt, welches nicht nur zur Distribution und Rezeption dient, sondern neben Max als in-formierender Produktionsfaktor in den Raum bzw. die Raumkunst hineinwirkt. Die durch diese Öffnung ins Spiel kommenden, produktionsästhetischen Unwägbarkeiten einer relativ unvorhersehbaren, von der individuellen Situation (Wohnzimmer, Café, Park) geprägten User-Partizipation, gehören hierbei ebenso wie die Latenz- bzw. Delay-Problematik bei der Datenübertragung im Netzwerk zu den zentralen künstlerischen Gestaltungsfaktoren. Ihren Anfang nimmt die Max-Web-Kommunikation mit dem Wprotocol (1996) von David Zicarelli, einer Brückentechnologie, welche ursprünglich entwickelt wurde, um eine interne »MAX to MAX communication for users connected to a TCP/IP network«187 zu ermöglichen 187 | Seionshin Yamagishi und Kohij Setoh, »Variations for WWW«, Network Music by MAX and the WWW, http://silakka.fi/net_composition/comp/varwww. pdf, S. 2 von 4
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(auf dieser Ebene ist das Protokoll vergleichbar mit dem unter III.4.1 beschriebenen und ebenfalls um 1996 entstandenen Pd-internen Netzmechanismus netsend-netreceive). Mit der Arbeit Variations for WWW (1997) von Seionshin Yamagishi und Kohij Setoh – »a network music application utilizing the possibilities of the Internet«188 – erfolgt dann eine künstlerisch motivierte Öffnung dieser Produktionsstruktur (vom Netzwerk zum Hyperraum), welche in Verbindung mit dem WWW eine über Max hinausgehende, öffentliche Kommunikations- und Kollaborationssituation begründet: »›Variations‹ is a project that transforms the act of accesing a web-site into a process of composing/playing music interactively.«189 Über einen standardisierten Web-Browser hat der Client (Performer, Rezipient) Zugriff auf ein Ausgangsmaterial, welches als musikalisches »kernel theme«190 zur Variation freigegeben ist. Der Max-basierte Variationsprozess selbst, der bereits mit den Access-Daten der User (Name, Zugangszeit) einsetzt, kann dabei in real-time verfolgt werden. Abbildung 24: Variations for WWW, Performance-Setting
Präsentiert wird die Arbeit 1997 in Tokio (NTT/ICC) und ein Jahr später im Jofukuji-Tempel in Kanagawa als Media-Art-Event unter der Bezeichnung flow. In der Zwischenzeit bleibt das Environment als Web-Application bzw. -Installation aktiv, welche durchgehend über den Server des Computer-Musik-Laboratoriums der Universität Keio läuft (klingt) und 188 | Ebd. S. 1 von 4 189 | Ebd. S. 1 von 4 190 | Ebd. S. 1 von 4
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somit als Plattform zur kollektiven Klanggestaltung dauerhaft zur Verfügung steht: »Sharing an experience of playing/listening to music in a media-space brought into existence by the network, rather than in a tactile space is what we believe to be a form of music in the network-age.«191 Die hier postulierte Trennung zwischen physischem (tactile space) und medialem Raum (media space) erscheint allerdings als inadäquat. Vielmehr begründet das interagierende Kollektiv ein relationales Handlungsraumgefüge, welches einer medientechnisch via Max und WWW organisierten Verknüpfung von konkreten Raumstrukturen zum Hyperraum entspricht. Eine vergleichbare Raumkopplung liegt auch dem folgenden Beispiel zugrunde, dessen Autoren die Variations explizit als bedeutende Vorarbeit angeben – »Variations for WWW […] was a breakthrough for its time.«192 Die bereits erwähnte Produktion Telemusic #1 – eine »long-held artistic vision of Randall Packer«193, welche allerdings von einem Arbeitskollektiv bestehend aus Randall Packer, Steve Bradley, Gregory Kuhn, Christopher Styles, Jorge Castro, Andrew Bruntel, Geoff Janjua und Jason Corso realisiert wird – beschreibt der ebenfalls an dem Projekt beteiligte John Paul Young (Network Design) zunächst mit Blick auf das grundlegende Zusammenspiel von technischer und künstlerischer Entwicklung folgendermaßen: »Through the process of close collaboration and harmonization of compositional goals with technical feasibility, it became realized as an interactive musical work incorporating live performers, signal processing, and real-time participation via a public Web site. Making this concept a reality required the extension and integration of existing technologies, in ways that had not previously been documented. One primary objective for the software development was to adhere to open, established standards as much as possible.«194
Ausgehend von einem (auch zeitlich) fixierten Aufführungsraum – die Arbeit wird am 3. November 2000 während dem Sonic Circuits VIII Inter191 | Ebd. S. 1 von 4 192 | John P. Young, Using the Web for Live Interactive Music, ICMC Proceedings 2001 (b), S. 302 193 | Young 2001 (a) S. 107 194 | Ebd. S. 107
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national Festival of Electronic Music and Art in St. Paul (Minnesota) präsentiert – greift auch hier der live-elektronische Interaktionsraum schließlich über den Konzertsaal hinaus. Vor allem auf der Grundlage des soft-technologischen Zusammenspiels von Open Sound Control (OSC) und Max wird in Verbindung mit dem WWW ein dezentraler und bis zu einem gewissen Grade unvorhersehbar-offener Hyperproduktionsraum etabliert, welcher eine entsprechend weitreichende User-Partizipation ermöglicht: »The resulting system enables anyone interacting with a Web site to send data over the Internet to a computer running MAX, which can then process the input as it would from any other source. In a sense, one can transform the Web into a musical instrument performed by an unseen ensemble of limitless proportions.«195 Über die für das Projekt freigeschaltete Web-Seite www.telemusic.org haben die User weltweit Zugriff auf das von Packer vorgegebene, kompositorische Ausgangsmaterial. Im Rahmen dieser Vorgaben erlebt jeder Spieler seine Aktionen und das entsprechende Feedback der Mitspieler im klanglichen Gesamtprozess in real-time, womit eine Situation entsteht, die ein tatsächliches Interagieren und kollektives Kreieren ermöglicht. Darüber hinaus hat das Walker Art Center (Minneapolis), einer der Veranstaltungssponsoren, seine hauseigene Web-Seite so manipuliert und mit der Telemusic-Seite verlinkt, dass jeder Nutzer automatisch am Sound-Processing beteiligt ist: »The resulting work was a dynamic balance of precomposed elements and improvisation, as the input received from the Internet was inherently unpredictable.«196 Auf der Basis der Max-Web-Verbindung entwickelt sich in den Folgejahren eine äußerst vielgestaltige Szene, welche nicht nur weit über den Gegenstandsbereich der Musik hinaus in Richtung intermediale Gesamtkunst geht, sondern häufig überhaupt jenseits von etablierten Kunstrichtungen agiert und damit den Kunstbegriff selbst beständig in Frage stellt. So spielen sich die Arbeiten der Medien-Designerin Noriko Matsumoto u.a. in einem Bereich ab, der zwischen Media-Art und kommerziellen Werbestrategien für den Verkauf von Industriewaren liegt. Die Produktion Love Distance 197 (2008) kann dementsprechend zunächst als »campaign 195 | Ebd. S. 107 196 | Ebd. S. 108 197 | Mit Gold ausgezeichnet auf dem Cannes Lions International Advertising Festival 2009.
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web site for a condom maker«198 betrachtet werden, ist aber gleichzeitig auch eine medien-technisch inszenierte Performance-Dokumentation, deren live-elektronischer Produktionsraum als komplexe Schaltung zwischen Medien-Center (dem Sitz der Aufnahme- und Produktionsleitung), öffentlichen Räumen (die Straßen Japans) und den privaten Räumen der Rezeption via Internet funktioniert: »For this project, a couple in a long-distance relationship ran from two different places in Japan to meet each other. The couple was chosen from public applications. They met each other on a Chrismas Eve and it was after 24 days since they started to run. GPS und acceleration sensors were used to make this real-time ineractive documentary. MaxMSP/Jitter was used for the back-end system to broadcast them running for 1,000 km. We know that we might have some technical problems related to receiving the images from where they were while they were running, so we developed a system which can analyze the images in real time and send information automatically from there.«199
Bei Kurelife (2008-2011), einer weiteren mit Max (im Medienkomplex) realisierten Arbeit von Matsumoto, handelt es sich ebenfalls vordergründig um eine campaign web site für die Firma Kureha bzw. deren Produkt KureWrap (eine Frischhaltefolie für Lebensmittel). Ziel der Campagne ist es, eine dauerhafte Plattform zu installieren, auf deren Basis der User seinen eigenen Werbespot realisiert, indem er aus 200 verschiedenen Daten-Fragmenten auswählt und diese Auswahl dann in Eigenregie inszeniert. Außerdem kann das Firmen-Maskottchen Kichinto-san (vgl. Abbildung 25, 26 und 27) mit selbstverfassten Texten zum Sprechen gebracht werden: »MaxMSP and Jitter are used for all parts of this to generate the voice and movies.«200 Anschließend besteht die Möglichkeit, den End-Mix über die einschlägigen Internet-Kanäle (z.B. Nico Nico Douga) zu versenden.201
198 | Noriko Matsumoto, An Interview with Noriko Matsumoto, gef. von Gregory Taylor, http://cycling74.com/2009/07/28/an-interview-with-noriko-matsumoto, S. 6 von 8 199 | Ebd. S. 6 von 8 200 | Ebd. S. 4 von 8 201 | Weitere Arbeiten der Künstlerin unter: www.norikomatsumoto.jp
III. Maximalism 2: Max als in-formierender Raumrepräsentant
In beiden Arbeiten betrifft die Organisation des Produktionsraums in erster Linie die Server-Seite, welche gemäß der bereits angeführten Hyperraum-Definition einer in-formierten Anlage zur Raumkopplung entspricht. Was jedoch die Browser-Seite des sich einschaltenden Users anbelangt, welche den Handlungsraum zum Hyperraum vervollständigt, so bleibt diese aus der Sicht von Matsumoto ebenso wie bei Packer oder Yamagishi und Setoh relativ unbestimmt und offen. Dieser Teil des Produktionsraums wird von der kompositorischen Praxis in der Regel lediglich als ein Feld von Möglichkeiten vorkonzipiert, welches erst durch den User bzw. durch das interagierende Kollektiv entsprechend aktiviert und inszeniert erscheint. Insgesamt betrachtet ist hierbei eine Schwerpunktverlagerung hin zu einer Produktionsästhetik auszumachen, in deren Zentrum schließlich der handelnde, kommunizierende Mensch steht, dessen Aktionen allerdings durch den organisierten Raum in unterschiedlichem Maße vermittelt und geleitet werden, so dass es am Ende wiederum ebenso der Raum ist, der die Musik macht.
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Abbildung 25, 26, 27: Kurelife, Web-Application
Schluss: Max for Life »Das Dasein ist gemäß seiner Räumlichkeit zunächst nie hier, sondern dort, aus welchem Dort es auf sein Hier zurückkommt […].«1 »We have come to the ultimate fulfillment in the digital age of appropriation: remix the life.« 2
Gemäß dem im Vorfeld beschriebenen, zirkulierenden In-formationsprozess gilt Max zunächst als das repräsentative Produkt eines spezifischen Handlungsraums der ästhetischen Praxis, welches rückwirkend eben diese Praxis mitgestaltet – fabricando fabricamur. Dieses von der Software ausgehende Feedback betrifft dabei zunächst die eigenen, von der Family und vor allem von der Community getragenen Produktionsstrukturen, deren kontinuierliche Öffnung via Email-List, Library oder Software-Connection u.a. auf der offen-extensiblen Anlage der Software beruht. Darüber hinaus evoziert die Anwendung von Max neuartige Raumformationen, welche sich dem in-formierenden System (Max im Medienkomplex) entsprechend tendenziell offen gestalten und als dynamisch-situative Strukturangebote eine experimentelle, interdisziplinäre, interaktive und partizipative Kunst- und Performancepraxis ermöglichen. Der zumeist an konkrete Projekte gebundene Konstitutionsprozess dieser Produktionsformate kann dabei wiederum in unterschiedlichem Maße zur Weiterentwicklung von Max beitragen, so dass sich Software und ästhetische Praxis in einem beständigen Abhängigkeitsverhältnis gegenseitig bedingen.
1 | Heidegger 1984, S. 107 2 | Randall Packer, www.randallpacker.com/?cat=15
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Die Max-basierte Organisation führt vom Live-elektronischen Interaktionsraum (dem Basisformat) über den Gestikulierten Raum und das Netzwerk bis hin zum Hyperraum, wobei die fortschreitende Ausdifferenzierung der ineinandergreifenden Produktionsformate mit einem beständigen Öffnungsprozess einhergeht, so dass die in diesem Zusammenhang realisierten Arbeiten über etablierte Produktionsstrukturen (Konzerthaus, Galerie) hinausreichen und verstärkt alternative Gegenstandsbereiche betreffen. Dieser Prozess der ›Entrahmung der Produktion‹ lässt schließlich eine Tendenz erkennen, welche auf ganz verschiedene Art das live der realtime-fähigen Strukturen mit einem life verbindet, dessen Ursprünge häufig jenseits der konventionellen Kunstproduktion zu finden sind. So ermöglichen beispielsweise die strukturbedingten Öffnungen der Quintet.net-Produktionen (Hajdu) oder der Lexikon-Sonate (Essl) Eingriffsflächen, über welche nun nicht mehr allein die spezialisierte Fachkraft (der ausgebildete Musiker etc.), sondern im Grunde jedermann aktiv am kreativen Prozess teilhaben kann. Noch deutlicher wird diese Tendenz angesichts der raumgreifenden Anlagen von David Rokeby oder Noriko Matsumoto, in denen sowohl der öffentliche als auch der private Lebensraum der User eine bedeutende Rolle spielt. In Arbeiten wie Watch, Seen oder San Marco Flow reflektiert Rokeby das menschliche Dasein vor allem im urbanen Raum mit dem Ziel, durch die Installation von neuartigen Wahrnehmungskonditionen (durch die System-bedingte Verschiebung von Standpunkten, Perspektiven und Situationen) gefestigte Wahrnehmungsmuster zu dynamisieren. Der diesbezüglich durchaus programmatisch erscheinende Werktitel – (Perception is) The Master of Space – gilt somit auch umformuliert: Space is the master of perception. Die von der System-, Raum- oder Situationskonzeption abhängige Einflussnahme auf die Wahrnehmung (von Lebensräumen) erfolgt dabei entsprechend gebrochen (gefiltert), durch die ›Brille‹ bzw. das installierte (Wahrnehmungs-)System des Künstlers. Die vom System erfassten Ausstellungsbesucher, Passanten, Autofahrer etc. fungieren dabei häufig gleichzeitig als aktiv partizipierende Gestaltungsfaktoren und als zu gestaltendes Ausgangsmaterial. Oberflächlich betrachtet erfolgt die Einbindung von Mensch und Lebensraum bei Matsumoto auf ähnliche Weise, vor allem was die im Zusammenhang mit der Werbebranche entstandenen Arbeiten anbelangt. Auch hier sollen zunächst die Gewohnheiten, speziell die Konsumgewohnheiten der sich einschaltenden Personen beeinflusst werden. Darü-
Schluss: Max for Life
ber hinaus erscheint jedoch insbesondere der (mit-)spielende Mensch im Zentrum, welcher im Falle von Love Distance seine eigene Privatsphäre einbringt, performt und veröffentlicht, während er bei Kurelife als eigenverantwortlich handelndes Subjekt die von Matsumoto entworfene Bühne bespielt. Verglichen mit Rokeby liegt hier die Betonung vielmehr auf dem Aspekt einer künstlerisch eher unkommentiert zur Sprache kommenden (oder sich zur Schau stellenden) Alltagswelt, die als dynamischer Lebensraum die vorkonzipierten Produktionsstrukturen vervollständigt. Das hier ebenfalls bereits im Titel anklingende und via Produktionsraum repräsentierte life erscheint somit nie als vollständig vorgegebene, künstlerisch-medientechnische Inszenierung, sondern bis zu einem gewissen Grad als unvorhersehbare, spontane Lebensäußerung aus der nicht gänzlich vordefinierten (oder vordefinierbaren), individuellen ›Handelszone‹ der verschiedenen Teilnehmer. Aus Sicht der Raum-Schaffenden geht es dabei weniger um das ausgearbeitete Produkt (Ergon) als vielmehr um die ausführenden Handlungsprozesse (Energeia), womit zuallererst das Relativierende der Mensch-Maschine-Interaktion in Szene oder gar aufs Spiel gesetzt wird. Im Sinne dieser produktionsästhetischen Zusammenführung von Sein und Raum besteht der Beitrag des Künstlers in erster Linie darin, räumliche Strukturen, Situationen etc. zu organisieren, in denen sich Äußerungen aus allen Lebensbereichen ereignen können. So kann das Dasein gemäß seiner Räumlichkeit auf sein Hier zurückkommen (Heidegger), und zwar mittels einer unabgeschlossen-durchlässigen Technologie, womit schließlich der ebenfalls eingangs zitierten Zeit-Raum-Diagnose remix the life (Packer), welche sich zunächst auf die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft (der Kommunikation, der audio-visuellen Dokumentation etc.) bis hin zum Gesamtdatenwerk (Packer) bezieht, eine weitere Bedeutungsebene hinzugefügt wird: Vor dem Hintergrund der Entrahmung der digital-elektronischen Produktionsformen bezeichnet der Remix hier die tendenzielle Auf hebung der Trennung von Lebensvollzug und Kunstproduktion auf der Grundlage einer offenen Technologie. Keine medientechnische Übernahme, keine totale Digitalisierung des Lebens, sondern ein durch wechselseitige Einflussnahme geprägtes Zusammenspiel von Kunst- und Lebensgestaltung auf der Grundlage eines (u.a. digitalen) Instrumentariums, welches sich idealerweise offen, transparent und flexibel genug gestaltet, um diesem in-
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einandergreifenden Prozess das nötige Spielfeld einzuräumen.3 Entgegen der Heideggerschen Vorstellung von einem schaurig-gefahrvollen, verbergenden und abschließend-verstellenden Wesen der modernen Technik – dem Ge-stell 4 – können mit offenen Instrumenten Räume etabliert werden, die das Dasein als Existenz der Spielenden im Spiel halten, da sie nicht als gegebene Container vorliegen, sondern durch aktive Teilnahme geleistet werden. Ebenso wie die In-formation von Max, und hier vor allem die Einführung des Patchers als graphischem User-Interface u.a. aus der Annäherung zuvor getrennter Gegenstandsbereiche von Technikern und Künstlern resultiert, so eröffnet oder verknüpft das Max-basierte Arbeiten wiederum verschiedenste Aufgabenfelder, Akteure und Lebensbereiche im erweiterten Gesamtspielraum. Die Software, die Nicht-Programmierern das Programmieren bzw. das Schreiben eigener Programme ermöglicht, unterstützt nun im Medienkomplex die organisierte Ausweitung der Kunstzone – das Kunstschaffen durch Nicht-Künstler, das Musizieren durch Nicht-Musiker, das Inszenieren und Partizipieren durch ›Freischaffende‹ (im Sinne von ungelernt Spielenden), oder gar das Produzieren (von Zufälligem) durch Zufälliges und Zufälle jeder Art. Damit betrifft die Kunst hier tendenziell zuallererst das spielerische Wirken selbst, auch wenn dafür wiederum zunächst durchaus Werke in Form von offenen Raumstrukturen zu organisieren sind, welche dieses Wirken ermöglichen oder provozieren. Die interagierende Dreiheit aus pratique spatiale, représentation de l’espace und espace de représentation (Lefèbvre) fundiert hier eine ästhetische Praxis, deren vertikale Orientierung unabgeschlossene Strukturen aufweist, welche multi-direktional anschlussfähig mit der Zeit (horizontal) als dynamische Handlungsräume in den unterschiedlichsten Kontexten aktiviert werden können. Ob der aktivierende Mensch dabei zum Künstler oder gar zum Kunstwerk tendiert (wie es Nietzsche im Zusammenhang mit der von ihm vergeblich erhofften Re-Renaissance der 3 | »Dieses ›Raum-geben‹, das wir auch Einräumen nennen, ist das Freigeben des Zuhandenen auf seine Räumlichkeit. […] Das Dasein kann als umsichtiges Besorgen der Welt nur deshalb um-, weg- und ›einräumen‹, weil zu seinem In-derWelt-sein das Einräumen – als Existenzial verstanden – gehört.« Heidegger 1984, S. 111 4 | Vgl. Heidegger 2000, S. 20 ff
Schluss: Max for Life
griechischen Tragödie aus dem Geiste der Musik Wagners zum Ausdruck brachte5), oder ob umgekehrt eine Auflösung der Kunst im Leben erfolgt, erscheint eher zweitrangig. Von Bedeutung bleibt hingegen die beständige Provokation und Freisetzung von Kreationspotential bzw. die aktive Teilhabe am Handlungsraum Max, welcher schließlich insgesamt als gelebter Raum eines Kollektivs erscheint und dementsprechend auch durch den im Rahmen dieser Arbeit versuchten Nachvollzug der entwicklungsgeschichtlichen Hauptlinien (Plateaus) nicht in Gänze zu ergründen ist, sondern letztlich gemacht, kommuniziert oder gespielt werden muss – BANG means do it!: »Bildet Rhizome und keine Wurzeln, pflanzt nichts an! Sät nichts aus, sondern nehmt Ableger! Seid weder eins noch multipel, seid Mannigfaltigkeiten! Zieht Linien, setzt nie einen Punkt! Geschwindigkeit macht den Punkt zur Linie! Seid schnell, auch im Stillstand! Glückslinie, Hüftlinie, Fluchtlinie. Lasst keinen General in euch aufkommen! Ihr braucht keine richtigen Ideen zu haben, nur habt eine Idee (Godard). Habt kurzlebige Ideen. Macht keine Photos oder Zeichnungen, sondern Karten. Seid rosarote Panther und ihr werdet euch lieben wie Wespe und Orchidee, Katze und Pavian.« 6
5 | »Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden: die Kunstgewalt der ganzen Natur, zur höchsten Wonnebefriedigung des Ur-Einen [des schöpferischen Lebens], offenbart sich hier unter den Schauern des Rausches.« Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, Stuttgart 1993, S. 23-24 6 | Deleuze, Guattari 1992, S. 41
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A BBILDUNGEN Abbildung 1: Max-Raum, Produktionskreislauf, Software-Screenshot, Max/MSP Version 4.6.3 Abbildung 2: Max-Raum, Produktionskreislauf, Software-Screenshot, Max/MSP Version 4.6.3 Abbildung 3: Patcher-Window (unlocked), Software-Screenshot, Max/MSP Version 4.6.3 Abbildung 4: Patcher-Window (locked), Software-Screenshot, Max/MSP Version 4.6.3 Abbildung 5: Event- und Signal-Processing, Software-Screenshot, Max/ MSP Version 4.6.3 Abbildung 6: Pd-Info-Patch, Software-Screenshot, Version 0.42.5-extended Abbildung 7: Max/MSP-Info-Patch, Software-Screenshot, Version 4.6.3 Abbildung 8: RTC-Mainpatch, Software-Screenshot, Version 4.6 Abbildung 9: Chance-Patch, Software-Screenshot, Version 4.6 Abbildung 10: Alea-Patch, Software-Screenshot, Version 4.6 Abbildung 11: Pd/GEM-Patch, Software-Screenshot, Version 0.42.5-extended Abbildung 12: Max/MSP/Jitter-Patch, Software-Screenshot, Version 5.0.3
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Abbildung 13: Max (Vordergrund) for Live (Hintergrund), SoftwareScreenshot, Version 8.2.6 Abbildung 14: Interaktionskreislauf, Software-Screenshot, Max/MSP Version 4.6.3 Abbildung 15: Pluton-Mainpatch, Software-Screenshot, Pd Version 0.42.5 Abbildung 16: Blank Pages, Performance-Setting, Website-Screenshot, http;//www.blankpages.fr/technical.html Abbildung 17: Blank Pages, Performance-Setting, Website-Screenshot, http;//www.blankpages.fr/technical.html Abbildung 18: Blank Pages, Performance-Setting, Website-Screenshot, http;//www.blankpages.fr/technical.html Abbildung 19: Capture, Performance-Setting, die Skizze ist der von Kasper T. Toeplizt verfassten Capture-Partitur vorangestellt, welche in Livraison #7 (Paris 2006) veröffentlicht wurde, www.r-diffusion.com/rhinolivraison07.html Abbildung 20: Capture-Partitur, S. 12, www.r-diffusion.com/rhino-livraison 07.html Abbildung 21: Lemma II, Mainpatch, Software-Screenshot, Pd Version 0.42.5 Abbildung 22: Quintet.net, Performance-Setting, Skizze aus: Georg Hajdu, Quintet.net: An Environment for Composing and Performing Music on the Internet, in: Leonardo, 38:1, 2005, S. 23 Abbildung 23: Lexikon-Sonate, Mainpatch, Software-Screenshot, Version 4.0 Abbildung 24: Variations for WWW, Performance-Setting, Skizze aus: Seionshin Yamagishi und Kohij Setoh, »Variations for WWW«, Network Music by MAX and the WWW, http://silakka.fi/net_composition/ comp/varwww.pdf, S. 2 von 4 Abbildung 25: Kurelife, Web-Application, Youtube-Screenshot, www.you tube.com/watch?v=rv3Pfyv2_yc Abbildung 26: Kurelife, Web-Application, Youtube-Screenshot, www.you tube.com/watch?v=rv3Pfyv2_yc Abbildung 27: Kurelife, Web-Application, Youtube-Screenshot, www.you tube.com/watch?v=rv3Pfyv2_yc
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Musik und Klangkultur Sylvia Mieszkowski, Sigrid Nieberle (Hg.) Unlaute Noise/Geräusch in Kultur, Medien und Wissenschaften seit 1900 Mai 2014, ca. 300 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2534-9
Christina Richter-Ibáñez Mauricio Kagels Buenos Aires (1946-1957) Kulturpolitik – Künstlernetzwerk – Kompositionen März 2014, ca. 340 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2662-9
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