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German Pages [394] Year 2017
Studien zu Politik und Verwaltung Begründet von Christian Brünner ∙ Wolfgang Mantl ∙ Manfried Welan Herausgegeben von Ernst Bruckmüller ∙ Klaus Poier ∙ Gerhard Schnedl ∙ Eva Schulev-Steindl
Band 113
Jürgen Pirker
Minderheitenschutz und Sprachförderung Pluralismustauglicher Minderheitenschutz am Beispiel des zweisprachigen Kärnten und dreisprachigen Südtirol Perspektiven des Österreichischen Volksgruppenrechts
2017 Böhl au Verl ag Wien · Köln · Weimar
Gedruckt mit Unterstützung durch Universität Graz Land Kärnten Urad Vlade Republike Slovenije za Slovence v zamejstvu in po svetu Bildungshaus Sodalitas Privatstiftung des St.-Josef-Vereins Stadt Graz
Die zugrundeliegende Arbeit wurde ausgezeichnet unter den besten Dissertationen der Karl-Franzens-Universität Graz 2014 und mit dem Leopold Kunschak-Wissenschaftspreis 2016. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.
© 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Co.KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com
Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: Prime Rate, Budapest Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20508-1
Omnia determinatio est negatio. Alle Definition ist Verneinung. (Spinoza)
Inhaltsübersicht
Einleitung
Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse A. Die nationale Frage in Kärnten und Südtirol B. Identität(en) in Kärnten und Südtirol C. Sprache(n) in Kärnten und Südtirol
Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse A. Pluralismustauglicher Minderheitenschutz B. Minderheitenschutz und Sprachförderung in Österreich C. Ausgewählte Minderheitenschutzinstrumente in Kärnten
Zusammenfassung und Ausblick
Inhalt
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Methode . . . . . . . . . . . 16 I. Institutionalisierung von Multilingualität . . . . . . . . . . . . . . . 16 II. Methode und Mehrwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Minderheitenschutz zwischen Nationalismus und Vielfalt . . . . . . . . 29 Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse . . . . . . . . . . 41 A. Geschichte und Gegenwart der nationalen Fragen in Kärnten und Südtirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Nationalismen und Minderheiten: Chimären und Realitäten . . . . 41 II. Die nationale Frage in Kärnten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 III. Die nationale Frage in Südtirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 IV. Parameter der Minderheitensituationen . . . . . . . . . . . . . . . . 68 B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol . . . . . . . . . . . . . 89 I. Identität und Identitätskonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Slowenische Identität(en) in Kärnten . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a. Modelle individueller slowenischer Identifikationen . . . . . . . . 102 b. „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“ . . . . . . . . . . . . . . 116 c. Konzepte der Volksgruppenorganisationen und ihre politischen Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 d. Sprache als Schlüssel zur Institutionalisierung von multiplen Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 III. Deutsche, Italienische und Ladinische Identität(en) in Südtirol . . . 135 IV. Kärnten und Südtirol: Zwischenräume und Parallelwelten . . . . . . 145 C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol . . . . . . . . . . . 149 I. Sprachidentität, -prestige und -funktionalität . . . . . . . . . . . . 149
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II. Sprache und Identität in Kärnten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .158 a. Sprache im nationalen Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .158 b. Sprachverwendung und -funktionalität in einzelnen Lebensbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c. Sprachbewertung und -erwerb: Vom Bekenntnis zum Mehrwert . 169 d. Minderheitenschutzmaßnahmen: Bewertung und Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 III. Sprache und Identität in Südtirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a. Voraussetzungen und Hindernisse der Zwei- und Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b. Sprachkenntnisse und -verwendung in einzelnen Lebensbereichen 186 c. Schule und Kontakt als Schlüssel und Perspektive . . . . . . . . .193 IV. Kärnten und Südtirol: Alles fließt – alles bleibt . . . . . . . . . . . . 197 Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse . . . . . . . . . . . . 201 A. Pluralismustauglicher Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . . . 201 I. Ausgangspunkt und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Kontextsensitive und empiriebasierte Modellbildung . . . . . . . . 203 B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht . . . . . 212 I. System des Volksgruppenrechts in Österreich . . . . . . . . . . . . 212 II. Komplementarität von Rahmenübereinkommen und Sprachencharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 III. Ziele und Zwecke im österreichischen Volksgruppenrecht . . . . . . 228 a. Art 19 Staatsgrundgesetz („Volksstämme“ und „landesübliche Sprachen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b. Art 66 ff StV Germain und Art 7 StV Wien („Minderheiten“) . . 237 c. Art 8 Abs 2 B-VG („Volksgruppen“ und „Sprache dieser Volksgruppen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d. § 1 Volksgruppengesetz („Volksgruppen“) . . . . . . . . . . . . . 243 e. Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC . . . . . . . . 250 IV. Ethnisierung durch Volksgruppenrecht oder Schutz der Minderheit und Sprache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253 V. Vergleich: Sprachgruppenerhebung und Zugehörigkeitserklärung in Südtirol . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 VI. Neuausrichtung des Volksgruppenrechts in Reformvorschlägen 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I. Amtssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
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a. Subjektiver und territorialer Geltungsbereich . . . . . . . . . . . 273 b. Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC . . . . . . . . 286 c. Bewertung: Funktionalität im öffentlichen Leben? . . . . . . . . 295 II. Topographische Aufschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 a. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b. Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC . . . . . . . . 304 c. Bewertung: (Un-)Sichtbare Zweisprachigkeit? . . . . . . . . . . 308 III. Unterrichtssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 a. Subjektiver und territorialer Geltungsbereich . . . . . . . . . . . 312 b. Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC . . . . . . . . 318 c. Bewertung: Beschränkte Mehrsprachigkeit? . . . . . . . . . . . . 329 Fazit und Ausblick: Pluralismustauglicher Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
Danksagung
Eingangs möchte ich allen Personen und Organisationen danken, die mir wertvolle Einblicke geschenkt haben in die Realität der Volksgruppenfrage in Kärnten. Stellvertretend für die vielen Unterstützer danke ich den Organisationen: Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen (Skupnost koroških Slovencev in Slovenk, SKS), Rat der Kärntner Slowenen (Narodni svet koroških Slovencev, NSKS), Zentralverband Slowenischer Organisationen (Zveza slovenskih organizacij na Koroškem, ZSO), Einheitsliste (Enotna lista, EL), Katholisches Bildungshaus Sodalitas Tainach (Dom v Tinjah). Dem Bundeskanzleramt der Republik Österreich danke ich für die Möglichkeit zur Teilnahme an den Arbeitsgruppen im Zuge der Reform des Volksgruppenrechts in Österreich 2009-2012. Für viele lehrreiche Gespräche danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz und am Institut für Minderheitenrecht der Europäischen Akademie Bolzano-Bozen (EURAC). Besonderer Dank gilt Herrn Dekan Univ.-Prof. Dr. Joseph Marko und Herrn Univ.-Prof. Dr. Franz Merli, die sich in vielen Gesprächen meiner Anliegen und Fragen angenommen und mich bei meinem Blick über die Grenzen der Disziplinen stets motiviert und bei vielen Gedankenexperimenten unterstützt haben. Herrn Univ.-Prof. Dr. Christoph Bezemek danke ich für die Förderung meines Forschungsansatzes und die Begleitung als Vorgesetzter in den letzten Phasen der Entstehung dieses Buches. Den Herausgebern der Schriftenreihe „Studien zu Politik und Verwaltung“, Frau Univ-Prof. Dr. Eva Schulev-Steindl, Herrn Univ.-Prof. Dr. Ernst Bruckmüller, Herrn Ass.-Prof. Dr. Klaus Poier und Herrn Ass.-Prof. Dr. Gerhard Schnedl, danke ich für die Aufnahme in die „weiße“ Reihe, die mit ihrer interdisziplinären Ausrichtung die optimale Einbettung bietet für die vorliegende Arbeit und ihren Ansatz. Allen unterstützenden Institutionen danke ich für die Ermöglichung der Veröffentlichung. Herrn Univ.-Prof. Dr. Franz Merli verdanke ich den Begriff „Pluralismustaug licher Minderheitenschutz“. Er bringt das Anliegen der Arbeit auf den Punkt.
Abkürzungsverzeichnis
Abs Absatz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Art Artikel BGBl Bundesgesetzblatt BA/AC Beratender Ausschuss/Advisory Committee BAS Befreiungsausschuss Südtirol BH Bezirkshauptmannschaft B-VG Bundesverfassungsgesetz BZÖ Bündnis Zukunft Österreich (ab 2005; zuvor FPÖ) CERD Committee on the Elimination of Racial Discrimination/Ausschuss zur Beseitigung von Rassendiskriminierung CSCE Conference on Security and Co-operation in Europe EBLUL European Bureau for Lesser-Used Languages/Europäisches Büro für weniger verbreitete Sprachen ECOSOC Economic and Social Council/Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EL Enotna lista/Einheitsliste EMRK Europäische Menschenrechtskonvention Erl/Erl Bericht Erläuterungen/Erläuternder Bericht EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EUV Vertrag über die Europäische Union EVTZ Europäischer Verbund für Territoriale Zusammenarbeit FPK Freiheitliche Partei Kärnten (Die Freiheitlichen in Kärnten; 2010-2013) FPÖ Freiheitliche Partei Österreich GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union IPBPR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte NSKS Narodni svet koroških Slovencev/Rat der Kärntner Slowenen KEL Koroška enotna lista/Kärntner Einheitsliste KHD Kärntner Heimatdienst KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa LIF Liberales Forum
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Abkürzungsverzeichnis
MindSchG Bgl MindSchG Ktn OSCE/OSZE
Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten Organisation on Security and Co-operation in Europe/Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ÖVP Österreichische Volkspartei RG Erk Slg Reichsgericht Erkenntnis Sammlung RÜ/FCNM Rahmenkonvention über den Schutz nationaler Minderheiten/Framework Convention for the Protection of National Minorities SC/ECMRML Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (Sprachencharta)/European Charta for Regional- or Minority Languages SHS-Staat Kraljevina Srba Hrvata i Slovenaca/Königreich der Serben Kroaten und Slowenen SKS Skupnost koroških Slovencev in Slovenk/Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen SPÖ Sozialistische Partei Österreichs (bis 1991), Sozialdemokratische Partei Österreichs (seit 1991) StGG Staatsgrundgesetz 1867 StV Germain Staatsvertrag von St. Germain 1919 StV Wien Staatsvertrag von Wien 1955 SVP Südtiroler Volkspartei UNGEGN United Nations Group of Experts on Geographical Names, Sachverständigengruppe der Vereinten Nationen für geographische Namen UN/UNO United Nations Organization/Vereinte Nationen VfGH Verfassungsgerichtshof VfSlg Verfassungsgerichtshof Sammlung VoGrG Volksgruppengesetz 1976 WVK/VCLT Wiener Vertragsrechtskonvention/ Vienna Convention in the Law of Treaties Z Ziffer ZSO Zveza slovenskih organizacij na Koroškem/Zentralverband Slowenischer Organisationen
Einleitung
Und ich, wofür stehe ich? Ist so etwas wie ein nationales Handeln überhaupt real, oder ist es eine Chimäre? (Maja Haderlap)
Globalisierungs-, Integrations- und Migrationsprozesse fordern den „klassischen“ Minderheitenschutz am Beginn des 21. Jahrhunderts heraus. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Pluralität von Identitäten und Sprachen „autochthoner“ Minderheiten. Sie zielt auf die Verbesserung des Minderheitenschutzes in Österreich, im Speziellen im Bundesland Kärnten. Als Referenzbeispiel dient das „Erfolgsmodell“ Südtirol. Ein Vergleich beider Systeme und ihrer Wirkungen hilft, die Besonderheiten der Kärntner Situation deutlicher zu sehen und Anregungen für die Fortentwicklung des Minderheitenschutzes zu gewinnen. Südtirol bietet sich hierfür nicht nur an, weil es in Literatur und Politik als „Erfolgsbeispiel“ des klassischen Minderheitenschutzes gilt, sondern weil sich Österreich in seiner Position als Schutzmacht für die deutsche Sprachgruppe in Südtirol besonders engagiert hat und Vertreter der slowenischen Volksgruppe in Kärnten sich häufig auf diesen Einsatz Österreichs und das Südtiroler Modell berufen, wenn sie die Umsetzung eigener Minderheitenrechte einmahnen. Aufbauend auf der Entwicklung und den Besonderheiten beider Regionen und ihrer Minderheitensituationen untersucht die Arbeit die Identitätskonzepte der betroffenen Minderheitenangehörigen und die Funktionalität ihrer Sprachen. Sie erhellt die Bedeutung von Ethnie und Sprache für individuelle und kollektive Identitätskonstruktionen und identifiziert Herausforderungen für „klassische“ Minderheitenschutzkonzepte in immer pluralistischeren Gesellschaften. Auf dieser Grundlage entwickelt die Arbeit ein empiriebasiertes, kontextsensitives Modell aus Minderheitenschutz und Sprachförderung. Es kombiniert „klassische“ Instrumente des Minderheitenschutzes mit einem darüber hinaus reichenden Schutz der Sprache und ihrer Förderung. Die Umsetzung dieses Ansatzes und seiner Funktionen im geltenden Recht analysiert die Arbeit, um im Lichte der Ziele des Minderheitenschutzes neue, im geltenden Recht bereits angelegte, Interpretationen vorzuschlagen und an ausgewählten Instrumenten in Kärnten Perspektiven für das österreichische Volksgruppenrecht aufzuzeigen.
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Einleitung
A. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Methode 1.
Institutionalisierung von Multilingualität
Im Zentrum der Untersuchung steht die Institutionalisierung von Mehrsprachigkeit und multiplen (multilingualen) Identitäten in Mehrheiten-Minderheitensituationen. Es geht nicht um allgemeine Fragen der Mehrsprachigkeit, wenn etwa zusätzliche Sprachen erlernt werden, sondern um Mehrsprachigkeit und Sprachenrechte im Kontext einer Minderheitensituation, die Sprachminderheiten oder nationale Minderheiten umfasst: um die Volksgruppenfrage in Kärnten, deren Parameter, Anforderungen und Ausgestaltung des Minderheitenschutzsystems – im Vergleich mit Südtirol – den Untersuchungsgegenstand bilden und an einem Beispiel Perspektiven des österreichischen Volksgruppenrechts eröffnen. Kristallisationspunkt ist ein Zusammenspiel von Sprache, Recht und Identität. Die Sprache nimmt darin eine besondere Rolle ein, denn sie bildet, wie Thim-Mabrey erläutert, „eine wesentliche Grundlage des Selbstverständnisses sowohl von Völkern und ethnischen Minderheiten als auch von kleineren und größeren, regionalen oder sozialen Gruppen. Sie kann als soziales oder politisches Mittel zur Identitätsstiftung und -vergewisserung oder – im Konfliktfall – zur Identitätssicherung verstanden und instrumentalisiert werden. Das Bedürfnis, sich auch auf einer sprachlichen Ebene repräsentiert zu fühlen, das Bedürfnis nach Identität durch Sprache und Sprachidentität, ist ein genuin menschliches, das sich im Zusammenhang mit anderen ergibt.“1
Sprache ist eine zentrale Identitätsressource für Einzelne oder Gruppen.2 Sowohl aus der Innen-, wie auch der Außenperspektive erlaubt sie Zuordnung oder Abgrenzung. Sie hat, wie Toivanen zeigt, „das Potenzial als das entscheidende Merkmal der Minderheitenidentität angesehen zu werden, weil sie sich als Machtinstrument beson-
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Thim-Mabrey, Sprachidentität – Identität durch Sprache. Ein Problemaufriss aus sprachwissenschaftlicher Sicht, in Janich/Thim-Mabrey (Hrsg), Sprachidentität – Identität durch Sprache (2003) 1 (5). Toivanen, Minderheitenrechte als Identitätsressource, Die Sorben in Deutschland und die Saamen in Finnland (2000) 22 f; vgl hierzu schon Pirker, Wir sind Kärnten (2013) 43; am Beispiel der slowenischen Sprache Pirker, Kärntner Ortstafelstreit – Der Rechtskonflikt als Identitätskonflikt (2010) 104 f.
A. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Methode
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ders anbietet.“3 Der Sprachnationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts, aber auch jüngere sprachnationalistische Auseinandersetzungen – zB in der Slowakei oder die Dauerbrenner in Spanien und Belgien – machen das deutlich. Historisch liefern Kärnten und Südtirol eine geradezu paradigmatische Bestätigung (Teil 1.A.II. und III.): Phasenweise dient Sprache in beiden Fällen als nationales Bekenntnis und fungiert als Schlüssel zur Assimilation, sei es für „Germanisierung“ in Kärnten oder „Italianisierung“ in Südtirol. In Kärnten wird die Sprache ideologisch ins „Windische“ umgedeutet und die Wahl der Sprache entscheidet häufig über ökonomischen Aufstieg. In Südtirol kann das Bekenntnis zur Sprache über den Sprachgruppen-Proporz nach wie vor über Einfluss- und Machtsphären, öffentliche Positionen oder Sozialleistungen entscheiden. Für die Minderheit ist der Schutz der Sprache ein Ausdruck der Anerkennung ihrer Identität und mehrsprachiger Identifikationen. Minderheitenschutz und damit Recht schafft die Grundlage für die Existenz einer Minderheit und die Wahrung ihrer Identität. Sie wird „mit Hilfe von Rechten und Gesetzen stabilisiert“4, wie Toivanen an den Saamen in Finnland und Sorben in Deutschland illustriert. Diese „Stabilisierung“ gewährt Sicherheit und erlaubt Gruppen, sich innerhalb der Gesellschaft auf bestimmte Rechte zu berufen und Ansprüche geltend zu machen, die das Gemeinwesen akzeptiert.5 Aus einer Vielzahl sprachlicher und ethnisch-nationaler Identifikationen einerseits und der Perspektive kultureller Vielfalt andererseits erwächst die Aufgabe, eine Entsprechung der Bandbreite – zumindest in abstrahierter Form – im Recht zu gewährleisten. Inwieweit dies gelingt, ist ein Gegenstand der Untersuchung. Um das Wechselspiel von „Sprache – Recht – Identität“ zu analysieren, entfaltet sie in einem ersten sozialwissenschaftlich-empirischen Abschnitt die Herausforderungen einer Institutionalisierung von Multilingualität und multiplen Identitäten an der Situation der slowenischen Volksgruppe und Sprache in Kärnten und zieht in einer vergleichenden Betrachtung die Situation der Sprachgruppen in Südtirol als Referenzbeispiel heran. Daran knüpft eine Modellbildung an, die auf die identifizierten Herausforderungen reagiert und neue Interpretationen im geltenden Recht vorschlägt. Sie findet Anwendung durch eine rechtswissenschaftliche – dogmatische und funktionale – Analyse ausgewählter Instrumente des Minderheitenschutzes in Kärnten. Die Untersuchung folgt den nachstehenden Thesen, die den Gang der Argumentation offenlegen:
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Toivanen, Minderheitenrechte 22 f. Toivanen, Minderheitenrechte 169. Keupp, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne³ (2006) 254 f.
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Einleitung
• Ethnie und Identität: Identitäten sind vielschichtig und variabel. Am Beispiel der Volksgruppe in Kärnten gibt es neben „bewussten Slowenen“ und „Assimilierten“ eine Reihe von „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“. Obwohl sie sich in ihrer Nähe zur Herkunftsethnie, Kultur und Sprache unterscheiden, verfügen sie über eine Schnittmenge in der Sprache. In Südtirol fungiert die Sprache als Grenze. Das System aus Zugehörigkeitserklärung, ethnischem Proporz und getrennten Schulen fixiert Gruppengrenzen, institutionalisiert ethnische Zugehörigkeit und stabilisiert die Identität der Minderheit(en). „Gemischten“ und pluralen Identifikationen wird dieses System nicht gerecht. • Sprache und Identität: Die Identifikation mit einer Sprache und die Bereitschaft, sie zu erlernen und in das Selbstkonzept positiv zu integrieren, sind abhängig vom Wert der Sprache und ihrer Funktionalität im öffentlichen Raum. Insgesamt hebt die Funktionalität der Sprache ihre Attraktivität, erhöht das Sprach prestige und stärkt sprachlich-kulturelle und ethnische Identifikationen. Wenn die Sprache der Minderheit auch von der Mehrheitsbevölkerung gelernt und integriert werden kann und wird, liegt darin gesamtgesellschaftlich ein Beitrag zu kultureller Vielfalt. In Kärnten nimmt das Interesse an der slowenischen Sprache zu: Die Anmeldungen zum Slowenisch-Unterricht steigen und ihre Bewertung vollzieht einen Wandel. Im öffentlichen Raum fehlt es dem Slowenischen jedoch in vielen Bereichen an Funktionalität. Südtirol bietet ein Reservoir für Vielfalt und Mehrsprachigkeit. Alle drei Sprachen genießen Prestige und sind im öffentlichen Raum funktional, doch es mangelt an Sprachkenntnissen in Zweitsprachen und Kontakten zwischen den Sprachgruppen. Sie werden im Schulsystem segregiert, um kulturelle Identitäten zu wahren. Kontakte erhöhen jedoch die Motivation, Sprachen zu erwerben und sind ein Schlüssel für Kompetenzen in Zweit- und Drittsprachen. • Modellbildung zur Institutionalisierung von Pluralität im Minderheitenschutz: In Kärnten steht effektiver Minderheitenschutz vor der Aufgabe, Mehrsprachigkeit und multiple Identitäten zu institutionalisieren, um die Funktionalität der Sprache und ihre Attraktivität zu erhöhen und die Identifikation mit der Sprache und Volksgruppe zu stärken. Dazu ist eine Zwei-Ebenen-Perspektive einzunehmen, die auf einer ersten (engeren) Ebene ethnisch-orientierte Identitäten mit ihren spezifischen Bedürfnissen erfasst. Auf einer zweiten Ebene bleibt sie offen für „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“ und verankert das verbindende Element der Sprache als objektives Schutzobjekt, um Öffnungsprozesse zu ermöglichen und kulturelle Vielfalt durch die Anerkennung und Institutionalisierung der Sprache als Wert für sich zu fördern. In Südtirol ist der ersten Ebene
A. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Methode
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– im Sinne einer Kombination von Autonomie und Integration6 – entsprochen. Problematisch ist das fixierende System aus getrennter Schule, Zugehörigkeitserklärung und ethnischem Proporz, da es keine „gemischten“ oder multiplen Identitäten institutionalisiert und gelebter Mehrsprachigkeit und Pluralität entgegensteht. • Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht: Durch die Brille des vorgeschlagenen Zwei-Ebenen-Modells ergeben sich neue Interpretationen, die im Lichte der Ziele des Minderheitenschutzes bereits im geltenden Recht angelegt sind, wie ausgewählte Beispiele des Kärntner Minderheitenschutzsystems zeigen. Um herauszuarbeiten, wie die Institutionalisierung von Multilingualität und multiplen (multilingualen) Identitäten gelingt und Perspektiven für das Volksgruppenrecht aufzuzeigen, sind eine funktionale und rechtsdogmatische Analyse des Kärntner (österreichischen) Volksgruppenschutzes notwendig – unter Berücksichtigung jüngster Reformmodelle und der Erfüllung internationaler Standards, vor allem in Form des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten (RÜ) und der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (SC) als Beispiele für die Komplementarität von Instrumenten des Minderheitenschutzes und der Sprachförderung.
II. Methode und Mehrwert Die Untersuchung erfolgt interdisziplinär und blickt in einer „Zwei-Linsen-Perspektive“7 zugleich auf Norm und Kontext. Sie teilt sich in einen stärker sozialwissenschaftlich-empirischen und einen rechtswissenschaftlichen Abschnitt: Der erste Teil identifiziert die spezifischen Anforderungen der Minderheitensituation in Kärnten, im Vergleich mit Südtirol. Daraus leitet die Arbeit ein Zwei-Ebenen-Modell ab, vor dessen Hintergrund der zweite Teil eine rechtsdogmatische Analyse des österreichischen Minderheitenschutzsystems mit Fokus auf Kärnten vornimmt und mit Blick auf die Erkenntnisse des ersten Abschnitts funktional-analytisch überprüft und systematisiert. Der Analyse liegen drei Untersuchungsmodi zugrunde: Beschreibung, Bewertung und sozial- oder rechtspolitische Aufforderung. Dies entspricht der „funktionalen“
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Marko, Autonomie und Integration. Rechtsinstitute des Nationalitätenrechts im funktionalen Vergleich (1995) 528 ff. Hierzu eingehend Pirker, Minderheiten zwischen Recht und Politik. Zur wechselseitigen Bereicherung von Rechts- und Politikwissenschaft, in FS Brünner (2014) 618 (630 ff).
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Einleitung
Analyse, die stets am gesellschaftlichen Problem ansetzt,8 bevor die Rechtslage dargestellt wird und im Hinblick auf das Sachproblem eine Analyse und Bewertung erfolgt.9 Zur Beschreibung bedient sich der erste Abschnitt historischer und sozialwissenschaftlicher Methoden, der zweite Teil rechtsdogmatischer, funktionaler und rechtsvergleichender Analyse des Rechts. Bewertung und sozial- und rechtspolitische Vorschläge gründen auf sozialwissenschaftlichen Analysen und Annahmen über die Wirkungsweise der zu untersuchenden Instrumente, aber auch auf einer Reihe von Prämissen, die vorab offenzulegen sind, soweit sie sich nicht aus den Analysen der Wirkungen der spezifischen Minderheitensituationen im ersten Abschnitt ergeben.10 Dazu gehört die Annahme der Notwendigkeit des Minderheitenschutzes und der Förderwürdigkeit der Minderheit. Sie ist in der österreichischen Verfassung zugrunde gelegt, die, wie der VfGH 1981 ausführt, „eine Wertentscheidung zugunsten des Minderheitenschutzes“ (VfSlg 9.924/1981) enthält. Zudem bekennt sich die Republik in einer Staatszielbestimmung in Art 8 (2) B-VG zu ihrer „gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt“, deren „Kultur, Bestand und Erhaltung (…) zu achten, zu sichern und zu fördern“ sind. Eine Reihe weiterer Bestimmungen führt den Minderheitenschutz auf verfassungs- und einfachgesetzlicher Ebene aus (hierzu Teil 2); auf europäischer Ebene bezweckt insb das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten den „wirksamen Schutz nationaler Minderheiten sowie der Rechte und Freiheiten der Angehörigen dieser Minderheiten“ (Präambel RÜ). Die Vielfalt ihrer Sprachen und Kulturen zählt zu den Zielen der Europäischen Union, zu ihren Werten die Achtung von Minderheitenrechten (Art 2 und 3 EUV) und die Grundrechte-Charta schützt vor Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit (Art 21 GRC). 8 9
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Bartels, Methode und Gegenstand intersystemarer Rechtsvergleichung (1982) 67. Kocher, Funktionen der Rechtsprechung (2007) 7 f. Kritiken bemerken zu Recht, dass die Grund annahme funktionaler Äquivalenzen – Rechtsordnungen würden für ähnliche Probleme funktionsäquivalente rechtliche Lösungen finden – den Blick auf (Rechts-)Kulturunterschiede verstellen kann, die zu berücksichtigen sind; vgl Coendet, Rechtsvergleichende Argumentation (2012) 160 ff. Problematisch ist auch die Vorstellung einer – per se durch die Sozialisation in der eigenen Rechtsordnung beeinflussten und daher nicht – neutralen Beobachterperspektive. Ihr versucht Tschentscher durch die Aufgabe der neutralen Haltung zugunsten einer der Perspektive des eigenen Rechts entspringenden „dialektischen Rechtsvergleichung“ zu begegnen; hierzu Tschentscher, Dialektische Rechtsvergleichung – Zur Methode der Komparatistik im öffentlichen Recht, JZ 17/2007, 807 (812 ff); Blankenagel, Die Zukunft der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht – praktische und methodische Überlegungen, in FS 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin (2010) 1401 (1419). So zB die Annahme, dass gelebte Mehrsprachigkeit Kontakte braucht oder Sprachkenntnisse und Kontakte die Einstellung zum Minderheitenschutz und zu Zwei- und Mehrsprachigkeit beeinflussen (Teil 1.C.II.d. und III.c.).
A. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Methode
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Eine weitere Prämisse liegt in der Annahme, effektiver Minderheitenschutz hat nicht nur „bekennenden“ Angehörigen der Minderheit, sondern allen Betroffenen in unterschiedlicher Intensität gerecht zu werden. Dies betrifft etwa „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“ und vielfältige Identitätsformen in Mehrheiten-Minderheitensituationen, die nicht auf ethnische, sondern sprachliche und kulturelle Bezugspunkte abstellen. Ihre Berücksichtigung gewährleistet die Freiheit des Einzelnen, die im österreichischen Verfassungsrecht eine wesentliche Rolle einnimmt11 und im Minderheitenschutz, der gegenwärtig überwiegend individualrechtlich konzipiert ist, in der Bekenntnisfreiheit zum Ausdruck kommt (zB § 1 (3) VoGrG). Nach den Erwägungen des RÜ sind zudem geeignete Bedingungen zu schaffen, die es Minderheitenangehörigen ermöglichen, ihre Identität zum Ausdruck zu bringen und zu bewahren, aber auch „zu entwickeln“ (Präambel RÜ). Der Schutz der Sprache autochthoner Volksgruppen als Ausdruck gewachsener Vielfalt ergibt sich zudem aus Art 8 (2) B-VG, für den Schutz von Regional- oder Minderheitensprachen an sich aus der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen (zB Art 2 (1) iVm 7 SC). Die letzte Prämisse nimmt an, Austausch und institutionalisiertes „Miteinander“ sind gesellschaftlicher Segregation vorzuziehen, um Toleranz und Vielfalt zu verwirklichen. Dies entspricht der Verpflichtung in Art 7 (3) SC, gegenseitiges Verständnis und Toleranz gegenüber Regional- und Minderheitensprachen in die Ziele der Bildung und Ausbildung einzubeziehen oder Art 6 RÜ, der Vertragsparteien verpflichtet, wirksame Maßnahmen zur Förderung gegenseitiger Achtung und gegenseitigen Verständnisses und Zusammenarbeit insb in den Bereichen der Bildung, Kultur und Medien zu treffen. Auch die Erwägungen des RÜ benennen die Notwendigkeit, „ein Klima der Toleranz und des Dialogs zu schaffen, damit sich die kulturelle Vielfalt für jede Gesellschaft als Quelle und Faktor nicht der Teilung, sondern der Bereicherung erweisen kann“ (Präambel RÜ). Dem entsprechend haben Mitgliedsstaaten gem Art 12 RÜ erforderlichenfalls Maßnahmen in Bildung und Forschung zu treffen, um die Kenntnis der Kultur, Geschichte, Sprache und Religion ihrer nationalen Minderheiten und Mehrheiten zu fördern. Dazu gehört nach Abs 2 auch, Kontakte unter Schülern und Lehrern aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu fördern. Die Notwendigkeit zur Interdisziplinarität und Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse ergibt sich aus der zugrundeliegenden Fragestellung. Sie entspricht auch den Anforderungen einer Rechtsdogmatik, die, wie Schmidt-Aß-
11
Vgl zB zu den Funktionen der Verfassung Berka, Lehrbuch Verfassungsrecht (2005) 19 f.
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Einleitung
mann ausführt, das Wirksamkeitsgebot berücksichtigt.12 In diesem Sinne plädiert Funk für die Annäherung an die Wechselbeziehungen von Recht und Wirklichkeit;13 stets freilich vorausgesetzt, es kommt zu keiner Vermengung empirischer und normativer Fragestellungen und ihrer Beantwortung.14 Fragen nach der Eignung einer Norm, ihre Zwecke zu erreichen, somit nach ihrer Funktion, nach der Verhältnismäßigkeit oder ihrer Wirkung und Finalität, die auf die Geltung von Normen zurückwirken, bedürfen häufig empirischer Analyse, wenngleich Rechtswissenschaft und Rechtsprechung – meist notwendigerweise – mit abstrakten Begriffen und Prämissen operieren.15 Allein mit juristischen Methoden der Subsumtion sind Fragen nach der Wirkung nicht zu lösen, woraus Schmidt-Aßmann die Notwendigkeit ableitet, über die Integration von „nicht-juristischen Erkenntnissen“ nachzudenken,16 um zwei Aufgaben eines Verwaltungsrechts zu erfüllen, das, wie Engel darlegt, „sich nicht nur der Kontrolle von Herrschaft verschrieben hat: die Rekonstruktion von Steuerungszwecken und das vergleichende Urteil über Steuerungsinstrumente“17. Hierzu sind die Bezugspunkte im Rechtssystem zu identifizieren und von ihnen und der Perspektive der Rechtswissenschaften ausgehend auf die Ergebnisse anderer Disziplinen zuzugreifen, die Identität der Disziplinen jedoch zu wahren.18 Interdisziplinäre und funktionale Analyse empfiehlt sich besonders in Fragen des Minderheitenschutzes und bei der Gegenüberstellung von Minderheitenschutzmodellen, denn soweit Funktionen ermittelt sind, kann nach Hilpold – theoretisch – beurteilt werden, ob der Zweck der Normen durch die Systeme zu verwirklichen ist.19 Dazu bedarf es eines Ansatzes, der über Vergleiche von Rechtssätzen hinausgeht,20 die sich, so Tschentscher, häufig in einer „Nebeneinanderstellung der Rechtssysteme“ ohne eigent-
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Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik. Eine Zwischenbilanz zu Entwicklung, Reform und künftigen Aufgaben (2013) 21. 13 Funk, Rechtswissenschaft als Erkenntnis und kommunikatives Handeln, JRP 8/2000, 65 (70). 14 Diese Vermengung zu vermeiden ist Zweck einer Abgrenzung der Rechtswissenschaft gegenüber Disziplinen wie der Soziologie im Sinne der Trennung von Sein und Sollen insb durch Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960) 1. 15 Vgl Funk, Rechtswissenschaft 73, der betont, dass die Geltung der Normen von ihrer Effektivität abhängt und die Prüfung der Eignung und Verhältnismäßigkeit vielfach nicht durch Prämissen geklärt werden kann, sondern empirischer Untersuchung bedarf. 16 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik 21. 17 Engel, Herrschaftsausübung bei offener Wirklichkeitsdefinition. Das Proprium des Rechts aus der Perspektive des öffentlichen Rechts, in Engel/Schön (Hrsg), Das Proprium der Rechtswissenschaften (2007) 205 (227). 18 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik 21. 19 Hilpold, Modernes Minderheitenrecht (2001) 13. 20 Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 13.
A. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Methode
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liche analytische Vergleichsleistung erschöpfen.21 Minderheitensituationen sind ebenso individuell wie die gesellschaftlichen, politischen und historischen Faktoren, die sie beeinflussen und prägen. Daher gibt es, wie Pfeil anmerkt, weder „die“ Minderheit – mit Blick auf ihre Merkmale, ihr Selbstverständnis oder ihre Bedürfnisse – noch „den“ Minderheitenschutz oder „ein“ ideales Modell zu ihrem Schutz.22 Keating weist darauf hin, dass eine Von-oben-herab-Perspektive nicht zielführend ist und es kein geschlossenes Instrumentenset gibt, um ethnisch-nationalen Forderungen zu entsprechen. Moderner Konstitutionalismus sei nicht getragen von der Anwendung von Standardmodellen, sondern von der Herausarbeitung gültiger Ansprüche in verschiedensten Situationen mit unterschiedlichen Parametern.23 Effektiver Minderheitenschutz steht vor der Aufgabe, ethnisch kulturelle Vielfalt zu erhalten und hat im Rechtsetzungsprozess auf die situationsspezifischen Parameter – Größe, Siedlungsstruktur, Selbstverständnis und Bedürfnisse von Minderheit und Mehrheit – Rücksicht zu nehmen und sich empirischer Wissenschaften zu bedienen, um im konkreten Einzelfall zu ausgewogenen und friedenssichernden Lösungen zu gelangen.24 Diese Faktoren sind für die Analyse von Minderheitenschutzmodellen relevant, da diese nur unter Berücksichtigung der historischen, politischen und sozialen Parameter zu verstehen und in ihrer Funktionalität zu beurteilen und zu vergleichen sind. Um aussagekräftig zu sein, hat jeder Vergleich, wie Hilpold ausführt, rechtssoziale und rechtspsychologische Faktoren offenzulegen und bedarf der Beachtung des historischen und sozialen Kontexts, aus dem Rechtsbestimmungen entstehen und in dem sie wirken – nur so könne tatsächlich zu einem besseren Verständnis des eigenen Rechtssystems beigetragen werden.25 Um über reine Oberflächenbeschreibung hinauszukommen, empfiehlt Blankenagel für vergleichendes Arbeiten wiederum interdisziplinäres Vorgehen: „Entscheidend ist, dass die Beschreibung eines fremden Rechtssystems als Oberflächenbeschreibung möglich ist (und auch durch die damit erreichte Wissensvermehrung ihren wissenschaftlichen Wert hat), dass aber Verstehen und Bewerten eines interdisziplinären Zugriffs bedürfen.“26 21 22 23 24 25
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Tschentscher, Dialektische Rechtsvergleichung 808 f; vgl hierzu schon Bartels, Methode 66 f. Pfeil, Vorwort der Redaktion. (Minderheiten-)Recht und Wirklichkeit, EJM 1/2013, 3. Keating, Identifying the Nation, Ethnopolitics 6/2007, 607 (610). Pfeil, Vorwort 3 f. Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 10; 14 f. Den Beitrag der Rechtsvergleichung an sich zum besseren Verständnis der eigenen Rechtsordnung und ihrer Weiterentwicklung betont auch Wieser, Vom Wesen und Wert der Verfassungsrechtsvergleichung, in juridikum 2004, 117; so auch Eberle, The Method and Role of Comparative Law, Washington University Global Studies Law Review 3/2009, 451 (470 ff). Blankenagel in FS 200 Jahre Juristische Fakultät 1419. Dazu gehört auch die Einbeziehung kul-
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Einleitung
Ob – bei diesem Blick auf Norm und Kontext – Recht Wirklichkeit schafft oder Wirklichkeit Recht hervorbringt, bleibt ein Problem, dessen Lösung die Arbeit nicht anstrebt.27 Es ist unbestritten, dass Recht aus einem politischen System hervorgeht und sich Politik in den Grenzen des (Verfassungs-)Rechts bewegt und Wechselwirkungen zwischen beiden Sphären auftreten, die eine rein rechtspositivistische Analyse – aus guten Gründen – ausblendet.28 Die Analyse des Kontexts bietet aber die Grundlage für ein Verständnis der Ausgestaltung bestimmter Rechtsnormen, ihrer Genese, Funktionen und Wirkungen – hier der Minderheitenschutzmodelle in Kärnten und Südtirol. In diesem Sinne entwirft Marko eine „neo-institutionalistische rechtsvergleichende Analyse“ für den Vergleich von Rechtsinstitutionen im Nationalitätenrecht, der Ebenen der politischen Kultur als Basis des politischen Entscheidungsprozesses ebenso einbezieht wie dogmatische Analyse und rechtssoziologische Tatsachenforschung, um zu beurteilen, „ob ein bestimmtes Problem durch eine bestimmte Normsetzung ‚gelöst‘ werden kann“29.30 Die Untersuchung widmet sich folglich zuerst der Geschichte und vergleicht historische, politische, soziale und ökonomische Parameter der ausgewählten Minderheitensituationen. Anschließend sind Bedürfnislagen der Minderheiten zu beleuchten und Herausforderungen ihrer Schutzsysteme abzuleiten, die sich aufgrund des jeweiligen Kontexts unterscheiden. Der Fokus liegt stets auf der Situation in Kärnten, die im Vergleich mit dem Referenzbeispiel Südtirol analysiert wird. In beiden Fällen handelt es sich um Systeme mit einem, wie Hilpold feststellt, hoch entwickelten Minderheitenschutz, bei dem weniger negative Aspekte wie Diskriminierung im Vordergrund stehen als die Fortentwicklung positiver Implikationen.31 Dazu gehören die Ausbildung pluraler Modelle und ihre Öffnung für Mehrfachidentitäten, die aus spe-
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tureller Codes der Gesellschaft (1420 ff); zu diesem „cultural turn“ Coendet, Rechtsvergleichende Argumentation 160 ff. Vgl die Kritik an der Trennung von Recht und Gesellschaft aus der Perspektive des Funktionalismus, hierzu Coendet, Rechtsvergleichende Argumentation 160. Vgl zB Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Österreichisches Staatsrecht. Band I Grundlagen2 (2011) 17 ff; Hämmerle, Die Politikwissenschaft als wissenschaftliche Disziplin und ihr Verhältnis zum Verfassungsrecht, in Geiger/Hartlieb/Winkel (Hrsg), Fokus Politikwissenschaft. Ein Überblick (2007) 246; Pelinka, Demokratie und Gesellschaft zwischen Politik und Recht: Anmerkungen zum Verhältnis von Rechts- und Politikwissenschaft in Österreich, in Ehs/Schiegl/Ucakar/Welan (Hrsg), Politik und Recht: Spannungsfelder der Gesellschaft (2012) 433; Öhlinger, Verfassung und Verfassungsrecht zwischen Politik und Recht, in Ehs/Schiegl/Ucakar/Welan (Hrsg), Politik und Recht: Spannungsfelder der Gesellschaft (2012) 51. Marko, Autonomie und Integration 36. Marko, Autonomie und Integration 35 f. Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 14. Zur wechselseitigen Verflechtung des österreichischen und italienischen Minderheitenschutzsystems zudem eingehend 19; 23 ff.
A. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Methode
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zifischen Minderheitensituationen resultieren, aber nur durch sozialwissenschaftliche, politikwissenschaftliche und soziolinguistische Analysen sichtbar werden. Von diesen Kontexten zu trennen, aber im Zusammenhang zu begreifen, ist die normative Ausgestaltung der Minderheitenschutzsysteme, die der zweite Abschnitt der Untersuchung mit Fokus auf Kärnten in den Blick nimmt. Es erfolgt eine rechtsdogmatische Analyse ausgewählter Bereiche des Kärntner Systems und, soweit allgemeine Fragestellungen betroffen sind, des Volksgruppenschutzes in Österreich. Berücksichtigt werden die Ergebnisse der Kontrollverfahren nach der Europäischen Charta zum Schutz von Regional- oder Minderheitensprachen und des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten, sowie Vorschläge aus dem jüngsten Reformprozess, den der Autor von 2010 bis zu seinem Abschluss 2012 begleitet hat.32 Beurteilungen in den europäischen Systemen, aktuelle Entwürfe und Stellungnahmen der Volksgruppenorganisationen legen Probleme der gegenwärtigen Instrumente offen und zeigen Perspektiven auf.33 Der Vergleich mit Südtirol erlaubt, die beiden Systeme in ihrem Kontext zu beurteilen, die spezifischen Eigenschaften der Situation in Kärnten besser zu verstehen und die Frage nach Anregungen des Südtiroler Modells für die Kärntner Minderheit zu stellen – in diesem Sinne ist Rechtsvergleichung mit Fuchs auch als Mittel der Rechtskritik zu verstehen,34 das anwendungsorientierte und rechtsoder, wie Marko ausführt,35 sozialwissenschaftlich basierte Rechtspolitik erlaubt.36 Die Arbeit kann zurückgreifen auf zahlreiche Vorarbeiten: für die vergleichende Analyse des österreichischen und italienischen Minderheitenrechts und seiner Funktionalität 32
Dazu gehört die Teilnahme an mehr als 12 Sitzungen von Arbeitsgruppen, die im Bundeskanzleramt der Republik Österreich eingerichtet wurden, um eine Reform des Volksgruppenrechts mit Experten und Vertretern der Volksgruppen zu erarbeiten. Daraus ergeben sich auch Einblicke in den politischen Prozess iSd Forderungen zur Intensivierung einer politischen Ethnographie, die Gründe, Ursachen und Abläufe hinter den Ergebnissen offenlegt; hierzu zB Auyero, Introductory Note to Politics under the Microscope: Special Issue on Political Ethnography I, Qualitative Sociology 3/2006, 257. Aufgrund ihrer ausstehenden offiziellen Veröffentlichung können und sollen diese Einblicke freilich nicht veröffentlicht werden. Sie erweitern und vertiefen aber im Hintergrund das Verständnis für den Prozess, gegenwärtige Reformansätze und Herausforderungen. Probleme, Kritiken und Lösungsvorschläge finden sich überdies in veröffentlichten Stellungnahmen von Volksgruppenorganisationen und Experten. Sie werden daher auf dieser Grundlage erörtert. 33 ZB Österreichisches Volksgruppenzentrum, Entwurf für eine B-VG-Novelle und ein neues Volksgruppengesetz (2009). 34 Fuchs, Verfassungsvergleichung und Gesetzgebung. Funktionen und Funktionsbedingungen des legislativen Rechtsvergleichs, in JRP 1/2013, 2. 35 Marko, Autonomie und Integration 34. 36 Fuchs, Verfassungsvergleichung 7; vgl zur „rechtswissenschaftlichen Rechtspolitik“ Holoubek, Rechtswissenschaftliche Rechtspolitik?, in Holoubek/Lienbacher (Hrsg), Rechtspolitik der Zukunft – Zukunft der Rechtspolitik (1999) 9.
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Einleitung
auf die Arbeiten von Rautz,37 Hilpold,38 Marko,39 Salzborn et al,40 oder Woelk et al,41 für Analysen des österreichischen Volksgruppenrechts auf das umfangreiche Œuvre von Kolonovits,42 in Kärnten die Arbeit von Novak,43 oder für Modelle und Reformvorschlägen zur Partizipation und Demokratie ethnischer Minderheiten zuletzt Bender-Säbelkampf44 und für europäische Standards zB die Arbeiten von Pan und Pfeil,45 Hofmann,46
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Rautz, Die Sprachenrechte der Minderheiten. Ein Rechtsvergleich zwischen Österreich und Italien (1999); Rautz, Das Zusammenleben in einem mehrsprachigen Gebiet am Beispiel Südtirol, in Marko/Burkert-Dottollo (Hrsg), Multikulturelle Gesellschaft und Demokratie (2000) 69. 38 Vgl Hilpold, Modernes Minderheitenrecht, unter Berücksichtigung des historischen und sozialen Kontexts und der wechselseitigen Verflechtung der beiden Systeme. 39 In einer funktionalen Analyse Marko, Autonomie und Integration; Marko, Is there a “Model” of Conflict Resolution to be Exported?, in Woelk/Palermo/Marko (Hrsg), Tolerance through Law. Self Governance and Group Rights in South Tyrol (2008) 371; zudem ua Marko, Art 8 (2) B-VG, in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (2007); Marko, System des Österreichischen Volksgruppen- und Minderheitenschutzes, in Heißl (Hrsg), Handbuch Menschenrechte (2009) 421. 40 Salzborn, Minderheitenkonflikte in Europa. Fallbeispiele und Lösungsansätze (2006). 41 Woelk/Palermo/Marko (Hrsg), Tolerance through Law. Self Governance and Group Rights in South Tyrol (2008). 42 Zu Sprachenrechten in rechtsdogmatischer und mit gesondert ausgewiesener rechtspolitischer Analyse Kolonovits, Sprachenrecht in Österreich (1999); zudem ua Kolonovits, Art 7 Z 2-4 StV Wien, in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (2005/2016); Kolonovits, Volksgruppenrecht im Jahr 2007 – Oder: Die weiterhin ungelöste Ortstafelfrage und die aktuelle Rechtsprechung des VfGH, in Lienbacher/Wielinger (Hrsg), Öffentliches Recht Jahrbuch 2008 (2008) 189; Kolonovits, Die “Ortstafellösung“ und Amtssprachenregelung in der Volksgruppengesetz-Novelle, BGBl I 2011/46, migraLex 3/2011, 62. 43 Novak, Der Rechtsschutz der slowenischen Minderheit in Österreich vor dem Hintergrund des neuen völkerrechtlichen Minderheitenschutzes (2005). 44 Bender-Säbelkampf, Demokratie ethnischer Minderheiten. Repräsentation und Partizipation in Österreich und der Europäischen Union (2012). 45 ZB Pan/Pfeil, Die Volksgruppen in Europa. Ein Handbuch (2002); Pan/Pfeil, Minderheitenrechte in Europa. Handbuch der Europäischen Volksgruppen. Band 2 (2002). 46 Ua Hofmann, Minderheitenrecht in Europa. Völker- und staatsrechtliche Lage im Überblick (1995); Hofmann, The Framework Convention for the Protection of National Minorities: An Introduction, in Weller (Hrsg), The Rights of Minorities. A Commentary on the European Convention for the Protection of National Minorities (2005) 1; Hofmann, The Evolving Standards of Minority Rights Protection in Europe, in Fort/Ryan (Hrsg), Human Rights and Ethnic, Linguistic and Religious Minorities (2006) 117; Hofmann, Minority Protection in Europe: Standard-Setting by the Council of Europe and the OSCE, in Thürer/Kedzia (Hrsg), Managing Diversity. Protection of Minorities in International Law (2009) 31.
A. Fragestellung, Gang der Untersuchung und Methode
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Lantschner (et al)47 oder Weller,48 die auf älteren Studien basieren – zB von Pernthaler,49 Ermacora50 oder Veiter,51 um nur einige zu nennen. Ähnlich breit ist das Feld sozialwissenschaftlicher Untersuchungen, sowohl quantitativer – von Reiterer52 oder eigene Forschungen53 in Kärnten und die regelmäßigen Untersuchungen des Instituts für Landesstatistik (ASTAT)54 oder die Arbeiten von Wakenhut55 und jüngst Abel et al56 47
Lantschner, Soft jurisprudence im Minderheitenrecht. Standardsetzung und Konfliktbearbeitung durch Kontrollmechanismen bi- und multilateraler Instrumente (2009); Lantschner/Constantin/ Marko (Hrsg), Practice of Minority Protection in Central Europe (2012). 48 Weller (Hrsg), The Rights of Minorities. A Commentary on the European Convention for the Protection of National Minorities (2005). 49 Pernthaler, Modell für eine selbstständige politische Vertretung der Kärntner Slowenen im Landtag, Europa Ethnica 1/1985, 193; Pernthaler, Die Teilnahme der Volksgruppen an Gesetzgebung und Verwaltung des Staates, in Veiter (Hrsg), System eines Internationalen Volksgruppenrechts. 3. Teil. Sonderprobleme des Schutzes von Volksgruppen und Sprachminderheiten (1978) 209; Pernthaler, Der Schutz der ethnischen Gemeinschaft durch individuelle Rechte, Europa Ethnica 1962, 50. 50 ZB Ermacora, Südtirol und das Vaterland (1984); Ermacora, Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht. Ansätze, Hindernisse für Konfliktverständnis u. Konfliktlösung in den Vereinten Nationen und im Europarat (1978). 51 ZB Veiter, Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht. Nationalitätenkonflikt und Volksgruppenrecht im 20. Jahrhundert (1977); Veiter, Das Recht der Volksgruppen und Sprachminderheiten in Österreich. Mit einer ethnosoziologischen Grundlegung und einem Anhang (1970); Veiter, Das Recht der Volksgruppen und Sprachminderheiten in Österreich. 1. Teil: Volk, Volksgruppe, Nation. Theoretische Grundlegung (1966). 52 Ua Flaschberger/Reiterer, Der tägliche Abwehrkampf. Kärntens Slowenen (1980); Reiterer, Lebenswelt Muttersprache. Das Slowenische und seine heutige Wahrnehmung – Ein Bericht, in Anderwald/ Karpf/Valentin (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2000 (2000) 340; Reiterer, Minderheiten Wegzählen? Methodische und inhaltliche Probleme amtlicher Sprachenzählungen, in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik (Hrsg), Ortstafelkonflikt in Kärnten – Krise oder Chance? (2004) 25. 53 Pirker, Wir sind Kärnten; Pirker/Hofmeister, Ergebnisse der Umfrage und Intervention/Rezultati ankete in intervencija, in Pirker (Hrsg), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi (2015) 175/235. 54 Vgl die zahlreichen Publikationen und Untersuchungen in Teil 1.A.IV und C.III. 55 Wakenhut (Hrsg), Ethnische Identität und Jugend. Eine vergleichende Untersuchung zu den drei Südtiroler Sprachgruppen (1999). 56 Ua Abel/Wisniewski/Vettori (Hrsg), KOLIPSI. Die Südtiroler SchülerInnen und die Zweitsprache: eine linguistische und sozialpsychologische Untersuchung Band 1 und 2 (2012); Abel/Vettori/Forer, Learning the Neighbour’s Language: The many Challenges in Achieving a Real Multilingual Society. The Case of Second Language Acquisition in the Minority-Majority Context of South Tyrol, in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller (Hrsg), European Yearbook of Minority Issues. Volume 9, 2010 (2012) 271. Abel/Stuflesser/Voltmer (Hrsg), Aspects of Multilingualism in European Border Regions. Insights and Views from Alsace, Eastern Macedonia and Thrace, the Lublin Voivodeship and South Tyrol (2007).
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Einleitung
in Südtirol – als auch qualitativer Studien: in Kärnten ua zahlreiche Arbeiten zu Zweisprachigkeit und Identität von Vavti,57 Boeckmann et al58 oder Merkač,59 Busch,60 Doleschal,61 Wakounig62 und Gombos,63 in Südtirol Arbeiten von Egger,64 Zappe65 oder Baur und Larcher66. Zuletzt kann die Arbeit auf eigene dogmatische,67 historisch-politische,68 empirische und interdisziplinäre69 Analysen zurückgreifen, die im Forschungszeitraum – unter Publikation erster Ergebnisse – parallel zur vorliegenden Arbeit entstanden sind oder eine Basis für die zugrundeliegende Fragestellung bilden.70 57
Umfassend zuletzt Vavti, „Ich bin einfach ein Mensch“. Ethnische Selbstverortung und lokale Bezüge junger Slowenen in Kärnten (Österreich) (2013); Vavti, „Wir haben alles in uns“. Identifikationen in der Sprachenvielfalt. Beispiele aus Südkärnten (Österreich) und dem Kanaltal (Italien) (2009); weitere in Teil 1.B.II. 58 Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher (Hrsg), Zweisprachigkeit und Identität (1988). 59 Merkač, Lebenswelten Slowenischer Jugendlicher. Volksgruppenidentitätsfindung – Emanzipation in Kärnten (1986). 60 ZB Busch, Sprachen im Disput. Medien und Öffentlichkeit in multilingualen Gesellschaften (2004); Busch, Slowenisch in Kärnten – Sprache jenseits ethnischer Kategorien, in Wintersteiner/ Gombos/Gronold (Hrsg), Grenzverkehr/ungen. Mehrsprachigkeit, Transkulturalität und Bildung im Alpen-Adria-Raum (2010) 174. 61 Ua Busch/Doleschal, Mehrsprachigkeit in Kärnten heute, in Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hrsg), Wiener Slawistisches Jahrbuch 2008 (2008) 7. 62 Ua Wakounig, Der heimliche Lehrplan der Minderheitenbildung. Die zweisprachige Schule in Kärnten (2008). 63 ZB Gombos, Mehrsprachigkeit für unsere Kinder? Thesen über den Umgang mit Sprachen, in Anderwald Karpf/Valentin (Hrsg), Politisches Jahrbuch Kärnten 2002 (2002) 141. 64 Ua Egger, Sprachlandschaft im Wandel. Südtirol auf dem Weg zur Mehrsprachigkeit. Soziolinguistische und psycholinguistische Aspekte von Ein- und Mehrsprachigkeit (2001); Egger, Zweisprachigkeit in Südtirol. Probleme zweier Volksgruppen an der Sprachgrenze (1977). 65 Zappe, Das ethnische Zusammenleben in Südtirol. Sprachsoziologische, sprachpolitische und soziokulturelle Einstellungen der deutschen, italienischen und ladinischen Sprachgruppe vor und nach den gegenwärtigen Umbrüchen in Europa (1996). 66 Zuletzt Baur/Larcher, Fit für Europa: Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit in Südtirol (2011). 67 Pirker, Reform des Volksgruppenrechts. Die Lösung der Ortstafelfrage 2011, ÖJZ 9/2012, 396. 68 Pirker, Über die „Mitte der Brücke“ – Der Weg zur Lösung der Kärntner Ortstafelfrage 2010– 2011, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2011 (2011) 78; Pirker, Wenn die Eule der Minerva ihren Flug beginnt... Zur aktuellen Ausrichtung der Volksgruppenorganisationen, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2010 (2010) 111. 69 Vgl FN 53. 70 Pirker, Kärntner Ortstafelstreit; Pirker, How to Stop a Perpetuum Mobile? Interdisciplinary Insights into the Ongoing Issue of the Slovene Ethnic Minority in Austria: The Question of Bilingual Topography, in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller (Hrsg), European Yearbook of Minority Issues. Volume 9, 2010 (2012) 717. Einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen in Kärnten unter Berücksichtigung von Ergebnissen dieser Arbeit bietet Pirker, Fünf Jahre „Ortstafelregelung“, 40 Jahre Volksgruppengesetz: Bilanz und Perspektiven für das Volksgruppenrecht, Europa Ethnica 3-4/2016, 60.
B. Minderheitenschutz zwischen Nationalismus und Vielfalt
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Insgesamt verläuft die Argumentation entlang der Frage nach der Institutionalisierung von Multilingualität und multiplen Identitäten im Minderheitenschutzsystem Kärntens, im Vergleich mit Südtirol. Die Situation der Ladiner wird nur insoweit berücksichtigt, als dies für den Gang der Untersuchung und den Vergleich der Modelle im ersten Abschnitt notwendig ist.71 Im zweiten Abschnitt erfolgt eine rechtsdogmatische Analyse des Kärntner Systems (mit Bezügen zu allgemeinen Fragen des Österreichischen Volksgruppenrechts) in ausgewählten Bereichen: Minderheitendefinition, Schulwesen, Amtssprache, Topographie. Die Arbeit systematisiert die Rechtslage zum Stand 2016/17, unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Berichtszyklen der Sprachencharta und des Rahmenübereinkommens. Sie bezieht Kontext und funktionale Analysen der Minderheitenschutzsysteme ein, integriert sozialwissenschaftliche Analysen über die Konstruktion von Identitäten und die Funktionalität der Sprache und den Mehrwertdiskurs von Minderheiten. Die Arbeit entwirft daraus ein Zwei-Ebenen-Modell, das eine Kombination von Minderheitenschutz und Sprachförderung empfiehlt – iS einer Komplementarität von Rahmenübereinkommen und Sprachencharta. Es bildet die Grundlage, um seine Entsprechung im geltenden Recht zu untersuchen und kontextsensitive, rechtspolitische Implikationen abzuleiten.
B. Minderheitenschutz zwischen Nationalismus und Vielfalt In Europa leben 350 Minderheiten, denen mehr als 100 Millionen Menschen angehören.72 Die Europäische Union zählt in ihren 28 Mitgliedstaaten mehr als 190 Minderheiten.73 Neben 24 Amtssprachen bestehen mehr als 60 regionale Minderheitensprachen, die bis zu 40 Millionen Menschen sprechen.74 Nationale Fragen führen vielerorts zu Konflikten: 2010, 2012 und 2013 gerät Frankreich wegen massenhafter Abschiebungen von Roma und Zwangsräumung ihrer Lager unter 71 72
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Eine umfassende Darstellung der Situation der Ladiner bieten Hilpold/Perathoner (Hrsg), Die Ladiner. Eine Minderheit in der Minderheit (2005). Pan, Die Minderheitenfrage in der Europäischen Union, EJM 1/2009, 20 zählt 353 Minderheiten; ebenso Pan, Einführung in die Minderheitenproblematik Europas, in Grote/Siller (Hrsg), Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen (2011) 27 (32); dort sind 96 Mio Minderheitenangehörige erwähnt. Pan, Die Minderheitenfrage 20; Pan beziffert 191 in den damals 27 EU-Mitgliedsstaaten (2009). Europäische Kommission, Sprachen, in http://ec.europa.eu/languages/languages-of-europe/facts_ de.htm (9.10.2013); Europäische Kommission, Viele Sprachen für ein Europa (2008) 7; letztere gibt 50 Millionen an.
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Einleitung
internationale Kritik,75 Ungarn verankert ein „nationales Bekenntnis“ in der Präambel seiner neuen Verfassung,76 die Slowakei verordnet per Gesetz die „Erziehung zur Heimatliebe“.77 2009 erregt sie ungarischsprachige Bürger und Nachbarn: Ein Sprachgesetz regelt die Verwendung des Slowakischen in der Öffentlichkeit – an Schulen, auf Gedenktafeln oder beim Arzt – und sanktioniert Verstöße.78 Belgiens nationaler Konflikt spaltet schon 1968 die Universität Löwen: in eine für Flamen und eine für Wallonen; in der jeweils anderen können Studierende ein Erasmus-Semester absolvieren.79 Im Herbst 2013 demonstrieren Tausende in Rumänien für eine Selbstverwaltung der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen.80 Die Türkei versieht Minderheitenangehörige mit einem Code,81 Bosnien kann erst nach Jahren der Diskussion eine Volkszählung beschließen.82 Österreich nimmt im Jahr 2009 eine Reform des Volksgruppenrechts und die Lösung der Ortstafelfrage in Kärnten in Angriff.83 Zwei Jahre später gelingt es, die Auseinandersetzungen um zweisprachige topographische Aufschriften beizulegen und die Minderheitenrechte des Österreichischen Staatsvertrages von 1955 umzusetzen84 – 56 Jahre nach seinem Abschluss. Die Reformbemühungen kommen im Folgejahr zum Erliegen. Zu unterschiedlich sind die Positionen einzelner 75
Vgl zB die Berichte: Der Standard, EU droht Frankreich mit Klage wegen Roma-Abschiebungen, in http://derstandard.at/1282979740264/Genug-ist-genug-EU-droht-Frankreich-mit-Klage-wegen-Roma-Abschiebungen (9.10.2013); ORF, Im Wahlkampf Gegenteiliges versprochen, in http://orf.at/stories/2134893 /2134900/#top (9.10.2013); Der Standard, Herbe Kritik an Paris für restriktive Roma-Politik, in http://derstandard.at/1379293146406/Herbe-Kritik-an-Paris-fuer-restriktive-Roma-Politik (9.10.2013). 76 Vgl Süddeutsche, Ein europäischer Skandal, in http://www.sueddeutsche.de/politik/neue-verfassung-fuer-ungarn-ein-europaeischer-skandal-1.1086364 (9.10.2013). 77 Der Standard, Neues Gesetz schreibt „Heimatliebe“ vor, in http://derstandard.at/1267132306904/ Slowakei-Neues-Gesetz-schreibt-Heimatliebe-vor (9.10.2013). 78 ZB Der Standard, Bis zu 5000 Euro Strafe für zu viel Ungarisch, in http://derstandard. at/1246541422175/Bis-zu-5000-Euro-Strafe-fuer-zu-viel-Ungarisch (9.10.2013). 79 Die Zeit, Fremd im eigenen Land, in http://www.zeit.de/campus/2008/03/belgien-doppelte-uni (9.10.2013). 80 DW, Europa. Massenaufmärsche für Autonomie der Ungarn im rumänischen Siebenbürgen, in http://www.dw.de/massenaufm%C3%A4rsche-f%C3%BCr-autonomie-der-ungarn-imrum%C3%A4nischen-siebenb%C3%BCrgen/a-17186361 (28.10.2013). 81 ORF, Türkei kennzeichnet Minderheiten mit einem Code, in http://orf.at/m/stories/2193259/ (9.10.2013). 82 ORF, Erste Volkszählung seit Kriegsende in Bosnien gestartet, in http://orf.at/stories/2200650/ (9.10.2013). 83 Beide Agenden sind im Regierungsprogramm der SPÖ-ÖVP Bundesregierung verankert: Republik Österreich, Regierungsprogramm 2008-2013. Gemeinsam für Österreich (2008) 258. 84 Volksgruppengesetz, BGBl 1976/396 idF BGBl I 2011/46.
B. Minderheitenschutz zwischen Nationalismus und Vielfalt
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Volksgruppenorganisationen und Parteien.85 Die Gruppe der Polen, die seit Jahren auf eine Anerkennung als Volksgruppe drängt, bleibt weiterhin ausgeschlossen.86 Widerstand erzeugen vor allem Ansätze, für „eine moderne und pluralistische Gesellschaft“87 auf den „völkischen Aspekt“88 in der Volksgruppendefinition zu verzichten und die Volksgruppenbeiräte (Beratungsgremien) „im Sinne eines zivilgesellschaftlichen Modells“89 neu zu konstituieren.90 Kritik kommt aus Südtirol: „Österreich schafft seine Volksgruppen ab“91, „Besser kein neues Gesetz als dieses!“92 titeln Kommentare. Die Südtiroler Volkspartei ersucht den österreichischen Vizekanzler, den Entwurf zu überdenken.93 Zuvor appellieren prominente Südtiroler an Bundesregierung und Nationalrat, die „Ortstafellösung“ nicht in die Verfassung aufzunehmen und unterstützen das Veto des Rates der Kärntner Slowenen.94 Südtirol selbst erhebt 2011 die Sprachgruppenzugehörigkeit, während Topographie-Diskussionen eine heftige Fortsetzung finden. Schon 2010 ertönen Forderungen aus Rom, auch Wanderwege zweisprachig zu beschildern.95 Zwei Jahre später verweist Italiens Regierung ein neues Toponomastik-Gesetz zurück an
85 ZB Österreichisches Volksgruppenzentrum, Stellungnahme zum Entwurf der Novelle zum Volksgruppengesetz (2012); Wiener Zeitung, Volksgruppengesetz seit einem Jahr in der Warteschleife, in http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/563948_Volksgruppengesetz-seit-einem-Jahr-in-der-Warteschleife.html (14.10.2013); ORF, Minderheiten. Kritik an Entwurf zu Volksgruppengesetz, in http://ktnv1.orf.at/stories/403693 (14.10.2013). 86 Die Presse, Polen wollen als Volksgruppe anerkannt werden, in http://diepresse.com/home/panorama/ integration/647924/Polen-wollen-als-Volksgruppe-anerkannt-werden (14.10.2013). 87 371/ME 24. GP Erläut 2. 88 Österreichisches Volksgruppenzentrum, Stellungnahme 2; bezugnehmend auf: Hesse, Autochthonie und neue Minderheiten – Grundlagen und Perspektiven für die Reform des österreichischen Volksgruppengesetzes, Thesenpapier, Vortrag am 23.11.2011 (2011) 2. 89 371/ME 24. GP Erläut 2; 3; zu den Intentionen vgl Hesse, Autochthonie und neue Minderheiten – Grundlagen und Perspektiven für die Reform des österreichischen Volksgruppengesetzes, in Karpf/ Kassl/Platzer/Puschnig (Hrsg), Dialog und Kultur. Europäische Volksgruppenkongresse 2011 und 2012 (2013) 37. 90 ZB Die Presse, Volksgruppen widersprechen Ostermayer, in http://diepresse.com/home/politik/ innenpolitik/736890/Volksgruppen-widersprechen-Ostermayer (14.10.2013). 91 Rautz, Analyse. „Österreich schafft seine Volksgruppen ab!“, in Dolomiten 7./8.12.2011 (2011) 3. 92 Dolomiten, „Besser kein neues Gesetz als dieses!“, 7./8.12.2011 (2011) 3. 93 SVP, Novellierung des Österreichischen Volksgruppengesetzes, Schreiben an den Vizekanzler Außenminister Spindelegger, Bozen, am 21.12.2011. 94 Appell an Bundeskanzler Werner Faymann Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und die Klubchefs im österreichischen Parlament (2011). 95 ZB Kleine Zeitung, Sprachenstreit auf der Alm, in http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/politik/ 2438095/rom-will-36-000-wanderschilder-zweisprachig.story (14.10.2013).
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Einleitung
den Landtag.96 Die Landesregierung erklärt: Eine Einigung bedürfe „vernünftiger Diskussion und dem Respekt vor dem Anspruch aller auf Heimatgefühl und (…) vor geschichtlicher Wahrheit“97. Bislang steht sie aus, da ein Landesgesetz zur Feststellung des Vorhandenseins der deutschen Ortsnamen nicht zustande kommt.98 In Österreich sind jüngere Reformen des Volksgruppenrechts, wie schon der Erlass des Volksgruppengesetzes 1976,99 angestoßen von der Ortstafelfrage in Kärnten und dem Bestreben, den Konflikt um zweisprachige topographische Aufschriften beizulegen. Auch der zuletzt erfolgreiche Anlauf zu seiner Lösung wird im „Paket“ mit einer Gesamtreform des Volksgruppenrechts in Angriff genommen – mehr als dreißig Jahre nach dem Erlass des Volksgruppengesetzes (VoGrG). Unabhängig von dem Stillstand dieser Reformbemühungen auf Bundesebene gelingt es im Jahr 2015, die Nennung der slowenischen Volksgruppe in der Kärntner Landesverfassung zu beschließen – nicht ohne intensive Diskussion, ob ein solches „Bekenntnis“ zur Minderheit überhaupt oder wenn, mit dem Attribut „slowenisch“ oder „autochthon“ erfolgen soll.100 Man einigt sich (vorerst) auf die Formel: „Die Fürsorge des Landes und der Gemeinden gilt den deutsch- und slowenischsprachigen Landsleuten gleichermaßen.“101 Zwei Jahre später schert die Kärntner ÖVP kurzzeitig aus diesem Kompromiss aus. Neuerliche Diskussionen führen – nach nationaler und internationaler Kritik – zu einer Umformulierung in Anlehnung an die Staatszielbestimmung in der Bundesverfassung (Art 8 (2) B-VG): Bekräftigt wird das Bekenntnis des Landes „zu seiner gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, wie sie in Kärnten in der slowenischen Volksgruppe zum Audruck kommt.“ In Orientierung an Art 8 (2) B-VG sind Sprache, Kultur, Traditionen und kulturelles Erbe zu achten, zu sichern und zu fördern. „Die Fürsorge des Lan96 97
Matscher, Das neue Toponomastik-Gesetz für Südtirol, EJM 2/2013, 133 (135). Landesregierung, Regierungserklärung. Toponomastik, in http://www.provinz.bz.it/land/landesregierung/ regierungserklaerung/toponomastik.asp (14.10.2013). 98 zB Suedtirolnews, Toponomastik-Streit: Einigung zeichnet sich ab, in http://www.suedtirolnews. it/d/artikel/2013/08/26/toponomastik-streit-einigung-zeichnet-sich-ab.html (14.10.2013); Perathoner, Die Südtirol-Autonomie als internationales Referenzmodell? Die Internationale Absicherung und die Verallgemeinerungsfähigkeit der Südtiroler Errungenschaften, Europa Ethnica 3-4/2015, 94 (103). 99 Hierzu Teil 1.A.II. 100 ORF, Kärnten bekommt neue Landesverfassung, in http://kaernten.orf.at/news/stories/2738198/ (01.12.2015). 101 ORF, Verfassungsreform: ÖVP lenkt ein, in http://kaernten.orf.at/news/stories/2734219/ (01.12.2015). Im Februar 2017 wird dieser Kompromiss von Seiten der Kärntner ÖVP wieder in Zweifel gezogen, da die Bevölkerung, so der zuständige Landesrat, dem gewählten Kompromissansatz nicht folgen würde. Dazu ORF, Verfassung: ÖVP gegen Slowenenpassus, in http://kaernten. orf.at/news/stories/2823374/ (02.02.2017).
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des“ gilt in der neuen Variante 2017 „allen Landsleuten gleichermaßen“, Deutsch soll explizit als „Landessprache“ genannt werden.102 Die slowenische Musikschule wird, wie in der Ortstafelregelung vereinbart, bereits 2015 in das Regelschulwesen integriert und ein „Dialogforum für die Entwicklung des Gemischtsprachigen Gebietes“ ins Leben gerufen. „Die sprachliche und kulturelle Vielfalt in Kärnten“ werde „mittlerweile ganz klar als gesellschaftlicher und auch ökonomischer Vorteil gesehen“,103 gemeinsam mit Slowenien wolle man die Chancen nutzen, beschreibt Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) die Situation Ende des Jahres 2016 – fünf Jahre nach der Ortstafellösung: „Es tut sich sehr viel, wir wachsen zusammen, wir wachsen gemeinsam.“104 Minderheitenfragen sind (auch) europäische Fragen und ein Erbe des Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert. Die vermeintlich „erwachten“ Nationen105 verbinden ihre Mitglieder durch gemeinsame Praktiken und nationale Symbole.106 Konstruktivismus und Historie haben sie als vorgestellte Gemeinschaften – „imagined communities“107 – entlarvt:108 Entlang verbindlicher Kriterien wie Ethnien, Sprachen, Kulturen oder Religionsbekenntnissen ziehen die nationalen Kollektive ihre Grenzen und schließen andere aus.109 Die Neuordnung Europas erfordert nach dem Ersten Weltkrieg, ihre Identität in neuen Grenzverläufen zu bestimmen.110 In den neuen Staaten bleiben große Bevölkerungsteile als ethnische Gruppen zurück. Sie teilen ein Zugehörigkeitsbewusstsein, das sich von der Mehrheit unterscheidet und berufen sich auf gemeinsame Herkunft, Sprache oder Kultur.111 Die Sprache wird häufig zur zentralen, weil sichtbaren Trennlinie – in Kärnten: Deutsch oder Slowenisch, in Südtirol: Italienisch oder Deutsch. Zwischen Mehrheit und Minderheit 102
ORF, Einigung über „Slowenenpassus“, in http://kaernten.orf.at/news/stories/2824970/ (10.02.2017). Stand der Diskussion Ende Februar 2017. 103 Kaiser, Gemeinsam/Skupno, Europa Ethnica 3-4/2016, 54. 104 Kaiser, Gemeinsam/Skupno 54. 105 So die Annahmen der – überholten – älteren Nationalismus-Theorien, die Nationen als quasi-natürliche Entitäten verstehen, die im 19. Jahrhundert vollends erwachen und ihr legitimes Recht auf einen eigenen Staat durchsetzen. Hierzu ua Wehler, Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen3 (2001) 7 f. 106 Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780 (2005) 108 f. 107 Insb Anderson, Die Erfindung der Nation, Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts2 (1996). 108 Hierzu ua Wehler, Nationalismus 8 f. 109 Vgl Hobsbawm, Nationen 108 f. 110 Heckmann, Ethnos, Demos und Nation, oder: Woher stammt die Intoleranz des Nationalstaats gegenüber ethnischen Minderheiten? in Bielefeld (Hrsg), Das Eigene und das Fremde, Neuer Rassismus in der Alten Welt?2 (1992) 62. 111 Heckmann, Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie inter-ethnischer Beziehungen (1992) 30; 56-58.
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Einleitung
wirkt sie als nationales Symbol, das ethnische Zugehörigkeit anzeigt: Ethnie und Sprache scheinen deckungsgleich.112 Diese Vermengung wurzelt im territorialstaatlich-modernen Verwaltungsapparat, der Bürger nach Sprachgruppen kategorisiert. Einheitliche Verwaltungssprachen erleichtern Administration, homogenisieren aber die Staatsbürger. Volkszählungen erzwingen ein sprachlich-nationales Bekenntnis. Sie bereiten das Fundament für einen Sprachnationalismus, der im 19. Jahrhundert die Sprache zum zentralen Kriterium für Inklusion und Exklusion erhebt.113 Vielvölkerstaaten stellt das Konzept „eine Nation – ein Staat – eine Sprache“ bald auf die Probe. Seine politische Sprengkraft beweist es in der Habsburgermonarchie: Nicht wenige Regierungen stolpern über die Sprachenkonflikte des ausgehenden 19. Jahrhunderts.114 Die Vielfalt zwingt – im Zusammenhang mit dem Ausgleich mit Ungarn – zu ersten Schutzvorkehrungen und Rechten für die „Volksstämme“ im Staatsgrundgesetz 1867.115 Europaweit bewirken die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg – neben den Instrumenten des Völkerbundes – einen wesentlichen Durchbruch im Minderheitenschutz. Sie verpflichten Verliererstaaten zu Zugeständnissen.116 Anstatt das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu verwirklichen, das der US-amerikanische Präsident Wilson propagiert, hinterlassen sie alte Minderheiten in neuen Staaten. Viele Regionen sind gemischt und erlauben keine klaren nationalen Grenzen. Geopolitische Interessen wirken stärker als nationale Impulse.117 Eine zweite Garnitur von Minderheitenschutzinstrumenten schaffen 112
Perchinig, Wir sind Kärnten und damit hat sich’s. Deutschnationalismus und politische Kultur in Kärnten (1989) 134. 113 Hobsbawm, Nationen 113 ff; Anderson, Die Erfindung der Nation 72 ff; 88 ff. 114 Ua Vocelka, Geschichte Österreichs. Kultur – Gesellschaft – Politik3 (2002) 248 ff¸ Rothe, Die Deutschen in der Habsburger Monarchie (1989); Baier, Sprache und Recht im alten Österreich. Art 19 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, seine Stellung im System der Grundrechte und seine Ausgestaltung durch die oberstgerichtliche Rechtsprechung (1983) 32 ff. 115 Staatsgrundgesetz, RGBl 1867/142; vgl Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 24 f; 39 ff; Baier, Sprache 19 f; Pan in Grote/Siller 39 sieht diesen Beitrag zum Entwicklungsfortschritt in Europa ähnlich bedeutsam wie die Französische Revolution. 116 Für Österreich im Staatsvertrag von St. Germain 1919, StGBl 1920/489. Ethnischer Minderheitenschutz hat seine Wurzeln im religiösen Minderheitenschutz, etwa im Augsburger Religionsfrieden 1555 oder dem Edikt von Nantes 1598. Am Ende des Wiener Kongresses werden erstmals Schutzvorkehrungen für nationale Minderheiten vorgesehen, der aufkommende Nationalismus steht aber ihrer Weiterentwicklung entgegen. Hierzu ua Heckmann, Ethnische Minderheiten 225 f; Hafner, Die Entwicklung des Rechts des Minderheitenschutzes, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 13; Eide, The Framework Convention in Historical and Global Perspective, in Weller (Hrsg), The Rights of Minorities. A Commentary on the European Convention for the Protection of National Minorities (2005) 25 (29; 33 ff); Thornberry, International Law and the Rights of Minorities (1991) 38 ff. 117 Vgl Rautz, Die Südtiroler Autonomie als Modell für das Zusammenleben von Volksgruppen,
B. Minderheitenschutz zwischen Nationalismus und Vielfalt
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Friedensverträge nach dem Zweiten Weltkrieg.118 Mit der Herausbildung allgemeiner Menschenrechte wandelt sich der zuvor gruppenzentrierte Minderheitenschutz zu einem Individualschutz.119 Erst der Zerfall der Kommunistischen Staatenwelt bewirkt Anfang der 1990er Jahre europaweit neuerlich eine breitere Diskussion, die Instrumentarien auf mehreren Ebenen hervorbringt (zB Europarat oder KSZE/ OSZE).120 Pan identifiziert nach dem „Völkererwachen“ im 19. Jahrhundert ein Schwanken in der Nationalitätenfrage zwischen Gewalt und Vernunft, das sich an der Wende zum 21. Jahrhundert in Richtung Mehrwert von Minderheiten wandelt und europaweit demokratie-, menschenrechts- und rechtsstaatlichkeitskonforme Methoden der Konfliktregelung hervorbringt.121 Wie in jeder Phase erwachsen derzeit neue Anforderungen an den Minderheitenschutz, die sich in Kärnten und Südtirol als Spannungsfelder eines „postmodernen“ Minderheitenschutzes – zwischen Nationalismus und Pluralität – offenbaren. Kärnten und Südtirol bilden unter anderen Vorzeichen Paradebeispiele der skizzierten Entwicklungen. In Kärnten liegt ein Epizentrum des Nationalismus in all seinen defensiven und offensiven Ausprägungen. Sämtliche Bruchlinien natioin Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig (Hrsg), Dialog und Kultur. Europäische Volksgruppenkongresse 2011 und 2012 (2013) 128; Grote, I bin a Südtiroler. Kollektive Identität zwischen Nation und Region im 20. Jahrhundert (2009) 52 ff; 56 ff; Heckmann, Ethnische Minderheiten 225 f; Suppan/ Heuberger, Nationen und Minderheiten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa seit 1918, in Heuberger/Kolar/Suppan/Vyslonzil (Hrsg), Nationen Nationalitäten Minderheiten. Probleme des Nationalismus in Jugoslawien, Ungarn, Rumänien, der Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen, der Ukraine, Italien und Österreich 1945–1990 (1994) 11 (15 ff); Hafner in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/ Rein Rz 11 ff; Pan, Minderheitenschutz in Europa mit Bezug auf Südtirol – die Gratwanderung zwischen Gewalt und Vernunft, in Barlai/Griessler/Lein (Hrsg), Südtirol. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (2014) 145 (151). 118 Für Österreich in Art 7 des Österreichischen Staatsvertrages (StV); in Südtirol nach Verhandlungen zwischen Italien und Österreich im Gruber-De-Gasperi-Abkommen und dem Vertrag von Paris 1947; vgl Hafner in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein Rz 21 f. Wie Hafner betont, zeigt sich durch solche Übereinkommen, die bestimmte Minderheitensituationen regeln, der Vorrang von Einzelfallregelungen vor generellen Regelungen. 119 Vgl Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 18 f; Heckmann, Ethnische Minderheiten 226; Brunner, Minderheiten und Recht: Die völkerrechtliche Lage, in Heuberger/Kolar/Suppan/Vyslonzil (Hrsg), Nationen Nationalitäten Minderheiten. Probleme des Nationalismus in Jugoslawien, Ungarn, Rumänien, der Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen, der Ukraine, Italien und Österreich 1945-1990 (1994) 33 (43 ff); Hafner in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein Rz 18 ff; Eide in Weller 36 ff; Pan in Barlai/Griessler/Lein 151 120 Vgl Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 18 f; Pan, Einführung 32 ff; Pan in Barlai/Griessler/ Lein 151; Hafner in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein Rz 28 ff; Eide in Weller 42 f; Suppan/ Heuberger in Heuberger/Kolar/Suppan/Vyslonzil 31 f. 121 Pan in Barlai/Griessler/Lein 145 f.
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naler Fragen durchziehen das Bundesland im 19. und 20. Jahrhundert: nationale Überfrachtungen sozialer Unterschiede, kulturnationalistische Entdeckungen und wechselseitige Organisationsphasen, ökonomische, politische und ideologische Assimilation der Minderheit, Bedrohungen der Landeseinheit, Abwehrkampf, Nationalsozialismus, Widerstand und der Konflikt um Minderheitenrechte, um nur einige zu nennen (hierzu Teil 1.A.II.). Auch die Gegensätze Monarchie – Demokratie – Diktatur und die Grenze zum Kommunismus122 prägen das Land und die Volksgruppenfrage. In den nationalen Spannungen entstehen erste Minderheitenschutzbestimmungen mit dem Staatsgrundgesetz 1867, dem Staatsvertrag von St. Germain 1919 und dem Österreichischen Staatsvertrag 1955.123 Sie bilden die Basis des österreichischen Volksgruppenschutzes und verbürgen den Slowenen in Kärnten – neben den Kroaten im Burgenland – das intensivste Schutzniveau. Im europäischen Vergleich schneidet der österreichische Minderheitenschutz gut ab,124 als „Erfolgsmodell“ eines Minderheitenschutzes, der auf dem Gedanken nationaler Selbstbestimmung fußt, gilt jedoch Südtirol.125 Es handelt sich, wie Perathoner dar122 123
Zu dieser Argumentationslinie zB Flaschberger/Reiterer (Hrsg), Der tägliche Abwehrkampf 42 f. Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder (Staatsgrundgesetz), RGBl 1867/142; Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919 (Staatsvertrag von St. Germain), StGBl 1920/489; Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich (Staatsvertrag von Wien), BGBl 1955/152 idF BGBl III 2002/159. 124 ZB Pfeil, Die Minderheitenrechte in Österreich, in Pan/Pfeil, Minderheitenrechte in Europa. Handbuch der europäischen Volksgruppen. Band 22 (2006) 355; Pan, Zusammenfassung, in Pan/ Pfeil (Hrsg), Minderheitenrechte in Europa. Handbuch der europäischen Volksgruppen. Band 22 (2006) 636. 125 In den Medien „als Vorbild“, zB in Kurier, 23.8.2013, Südtirol als Modell für die ganze Welt, in http://kurier.at/politik/eu/suedtirol-als-modell-fuer-die-ganze-welt/23.820.395 (01.12.2015), in der Literatur ua als „ein international anerkanntes Beispiel für erfolgreichen und modernen Minderheitenschutz“, so Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 94 oder „als Beispiel einer erfolgreichen Konfliktbeilegung und als Vorbild des friedlichen Zusammenlebens“ in Toggenburg/Rautz, ABC des Minderheitenschutzes in Europa (2010) 18; ebenso Olt, Tirol als Vorbild, Wie Konflikte um autochthone Minderheiten in Europa zu lösen sein sollten, in Barlai/Griessler/Lein (Hrsg), Südtirol. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (2014) 98 (111), der dem Rat und der Kommission der EU empfiehlt, Vertreter von Staatsnationen und Minderheiten möglichst oft nach Südtirol zu bringen, damit sie „das dortige Neben- und Miteieinander (…) studieren können“. Hilpold attestiert „Vorzeigefunktion“: Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 117; Pfeil attestiert in bestimmten Bereichen „Leitbildfunktion“; Pfeil, Die Südtiroler Leitbildfunktion für die Minderheitenpolitik in Europa, in Grote/Siller (Hrsg), Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen (2011) 42. Pan bewertet das Modell Südtirol aus kulturell-minderheitenpolitscher und sozialökonomisch-entwicklungspolitischer Hinsicht als „Erfolgsmodell“: Pan, Minderheitenschutz und seine Durchsetzung in Südtirol – Die Bedeutung der politischen Organisation von Minderheiten, in Hafner/Pandel (Hrsg), Schutz und Durchsetzung der Rechte nationaler
B. Minderheitenschutz zwischen Nationalismus und Vielfalt
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legt, um ein „defensives Modell“.126 Das System aus Autonomie und ethnischem Proporz regelt den Interessenausgleich der „Sprachgruppen“ und ventiliert ihren Konflikt, institutionalisiert aber Gruppengrenzen und -identitäten. Der ehemalige Landeshauptmann Durnwalder bewertet es als „zweitbeste Lösung“ nach der Selbstbestimmung.127 Angesichts gesellschaftlicher Pluralisierung, der Komplexität individueller Identitäten und der Perspektive mehrsprachiger Regionen stellt sich die Frage, ob diese Form des Minderheitenschutzes noch zeitgemäß ist.128 „Klassischer“ Minderheitenschutz ethnischer oder nationaler Minderheiten wird in Europa – abgesehen von seinen Wurzeln im Schutz religiöser Minderheiten im 16. Jahrhundert und ersten wenig wirksamen Vereinbarungen im Nachhang des Wiener Kongresses 1815129 – wesentlich geprägt vom Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert und antwortet auf seine aggressiven Ausprägungen.130 Nationale Gruppen, die nicht in den neuen „Mutterstaaten“ ihre Heimat finden, bleiben als Minderheiten in anderen Nationalstaaten zurück. Zu ihrem Schutz wird nationale Identität institutionalisiert – auf Grundlage ethnischer (Selbst-)Zuordnung der betroffenen Gruppen und ihrer Angehörigen. Die Stoßrichtung des Minderheitenschutzes ist eine Verteidigungs- und Abwehrposition gegenüber den dominierenden Mehrheiten und der Versuch, nationale Minderheiten als Ausdruck ihres Selbstbestimmungsrechtes vor Assimilation zu schützen und ihre Gruppenidentitäten festzuschreiben – nicht als „Artenschutz“131, der freiwillige Assimilation unter-
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Minderheiten (2008) 179 (180); die Südtirolautonomie erachtet Pan in Barlai/Griessler/Lein 151 als „tatsächlich geeignetes Instrument des Konfliktmanagements ohne Änderung der Staatsgrenzen“. Durnwalder, Autonomie und politische Partizipation als bewährte Modelle zur Sicherung einer gleichberechtigten Koexistenz nationaler Minderheiten am Beispiel Südtirols, in Hafner/ Pandel (Hrsg), Nationale Minderheiten: Recht und Wirklichkeit (2009) 49 sieht Autonomie und politische Partizipation als bewährte Modelle zur Sicherung einer gleichberechtigten Koexistenz nationaler Minderheiten am Beispiel Südtirols. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 94. Durnwalder in Hafner/Pandel 60. So ortet etwa Rautz in den Reglungen des ethnischen Proporzes neben der Bildungspolitik eine der größten Herausforderungen des Südtiroler Systems in den nächsten Jahren: Rautz in Karpf/Kassl/ Platzer/Puschnig 137. Zur Entwicklung ua Heckmann, Ethnische Minderheiten 225 f; Eide in Weller 29 ff; Thornberry, International Law 25 ff. Hafner verweist auf frühere außereuropäische Schutzregime für religiöse Minderheiten, insb das Millet System im Mittleren und Nahen Osten seit dem Frühmittelalter. Als erstes völkerrechtliches Minderheitenschutzinstrument gilt der Westfälische Friede. Hierzu Hafner in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein Rz 2 ff. Ua weist Veiter, Recht 60, darauf hin, dass das Ziel der Minderheitenschutzbestimmungen nach dem Ersten Weltkrieg vor allem der Schutz gegen ethnopolitischen Druck der Mehrheit und gelenkte Assimilation von Minderheiten ist. Für diesen Terminus danke ich Prof. DDr. Rainer Hofmann.
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sagt, sondern als Schutz des Bestandes der nationalen Gruppen(-Identitäten), der ein Bekenntnis zur Gruppe voraussetzt. Die Sprache dient neben anderen Kriterien – zB Autochthonie, Kultur oder Staatsbürgerschaft – als wesentlicher Anknüpfungspunkt für die Definition des Schutzobjektes und fungiert selbst als solches.132 Ein Bewusstsein für die ethnische Gruppenzugehörigkeit und der subjektive Wille zu ihrem Erhalt bilden zusätzliche Elemente der Minderheitendefinition – in Österreich zB vermeintlich festgeschrieben im „Volkstum“133 als Wesensmerkmal der Volksgruppen, an dem sich im Zuge der Reform des Volksgruppenrechts 20092012 die Geister scheiden. Ansätze, es zu streichen und kulturell-sprachliche Merkmale an seiner Stelle vorzusehen, führen zu heftigen Diskussionen. Pluralen Konzeptionen von Identität wird diese Form des Minderheitenschutzes nicht mehr gerecht. Die ethnische Identität kann in Bedrohungsszenarien einer Gruppe besonders in den Vordergrund rücken, sie ist aber nur eine von vielen sozialen Rollen.134 In Kärnten stößt ein national konzipierter Minderheitenschutz an seine Grenzen: Wie Forschungen nahelegen, besteht neben ethnisch-orientierten Identitäten eine Bandbreite an Selbstdefinitionen, die nicht an ethnische, sondern an kulturelle und sprachliche Merkmale anknüpfen und von ethnischen Kriterien nicht zu erfassen sind (hierzu Teil 1.B.II.). Zugleich steigt das Interesse der Mehrheitsbevölkerung an der Sprache der Minderheit (Teil 1.C.II.). In „Gegenbewegung“ zu früheren Assimilierungsprozessen entdecken Angehörige der Mehrheitsbevölkerung ihre slowenischen Wurzeln wieder oder erlernen aus Interesse die slowenische Sprache und identifizieren sich teilweise mit der Gruppe, während andere sich nicht (ausschließlich) mit einer der beiden Gruppen identifizieren können, weil sie etwa gemischten Ehen entstammen. Identitäten sind nicht statisch und auch in Südtirol stellen Diskussionen um die Erhebung der Sprachgruppenzugehörigkeit und die getrennte Schule die Funktionalität des Systems, das auf ethnischen Kriterien und einer Kombination aus Segregation und Proporz beruht, in Frage, da es nicht geeignet scheint, tatsächlich gelebte Mehrsprachigkeit und Gruppenkontakt zu ermöglichen (Teil 1.B.III. und C.III.).135 Diese Überlegungen bedeuten nicht, dass „postmoderne“ und nationale Perspektiven sich ausschließen. Gesamteuropäische Entwicklungen zeigen ein Nebeneinander. Politische Grenzen lösen sich auf. Diese Auflösung erhöht den Ruf nach starken Nationalstaaten: „Paradoxically, the world of expanding deterritorialised identity 132 133 134
Zu den Kriterien der Minderheitendefinition und die Streitbarkeit ihrer Bestandteile Teil 2.B. § 1 Volksgruppengesetz (VoGrG), BGBl 1976/391 idF BGBl 2013/84. Volkan, Blutsgrenzen. Die historischen Wurzeln und psychologischen Mechanismen ethnischer Konflikte und ihre Bedeutung bei Friedensverhandlungen (1999) 41 ff. 135 Vgl Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 136 f.
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politics is a world of many more and, in some case, stronger states.”136, konstatieren Wilson/Donnan. Während der Raum für Identifikationen größer wird, wächst die Verunsicherung und weckt den Wunsch nach klaren Grenzen und verlässlichen Werten: Heimat, Herkunft, Volk. Trotz Europäisierung, Pluralisierung und Globalisierung ist der Nationalismus keineswegs überholt: „Beheimatung“ fungiert in der postmodernen Gesellschaft als Mittel gegen den Verlust traditioneller Räume und verspricht Sicherheit.137 Die Spannungsfelder von Öffnung und Rückzug, nationalen und multiplen Identifikationen beeinflussen Minderheitensituationen, wenn Identitäten – wie in Kärnten – als fließend erkannt werden. Sie stellen den Minderheitenschutz vor neue Herausforderungen. Man könnte argumentieren, dass sei nicht seine Aufgabe. Die vielfältigen Identifikationen beeinflussen aber die Parameter der Minderheitensituationen und ihres Schutzes. Sie sind eine Folge der Minderheitensituation und fordern in ihrer Pluralität und angesichts vielfältiger Öffnungsprozesse eine kritische Reflexion der zugrundeliegenden Konzepte der Gruppen und Individuen, deren Bestand und Identität als Minderheiten(-angehörige) es zu schützen gilt. Diese Entwicklungen mögen Kärntner Spezifika sein, sie verdichten aber europäische Herausforderungen in einem Punkt und legen Probleme offen, die andere Volksgruppen teilen: regionalpolitische, die sich aus spezifischen Siedlungsstrukturen ergeben, wenn Angehörige gezwungen sind, angestammte Gebiete, in denen sie besondere Rechte genießen, zu verlassen, weil die Chancen einen Arbeitsplatz zu finden außerhalb dieser Regionen besser sind, Herausforderungen,138 der Minderheitensprache im öffentlichen Raum eine Funktionalität zu sichern, um ihre Attraktivität zu steigern, oder die Ausbildung der Minderheit in ihrer Sprache zu gewährleisten, sie aber nicht zu segregieren, sondern Modelle zu finden, die Interkulturalität, interkulturelle Kompetenz und das Zusammenleben von Mehrheit und Minderheit fördern und den „Mehrwert“ von Minderheiten nutzen. Dahinter verbirgt sich die Frage, wie – angesichts gesamtgesellschaftlicher Öffnungs- und Verflechtungsprozesse – von einem defensiven zu einem offensiven Minderheitenschutz zu gelangen ist, der nicht auf nationalistischer Segmentierung beruht, sondern ein idS „pluralismustaugliches“ Konzept verwirklicht, das im Nebeneinander ethnischer und sprachlich-kultureller Identifikationen und daraus hervorgehender An136
Wilson/Donnan, Nation, state and identity at international borders, in Wilson/Donnan (Hrsg), Border identities. Nation and state at international frontiers (1998) 2. 137 Keupp, Identitätskonstruktionen 43-44; 55; 141. 138 Pan betont die Bedeutung der wirtschaftspolitischen Aspekte des Erfolgsmodells Südtirols, da Minderheiten nicht selten durch Abwanderung in ihrem Bestand bedroht werden. Pan in Hafner/ Pandel 80.
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knüpfungspunkte bestehen kann. Sie ist am Beispiel Kärnten und vor der Folie Südtirols zu beantworten. All dies zeigt: Der Volksgruppenschutz in Kärnten ist neu zu denken und so zu gestalten, dass neben engen ethnischen Kategorien neue Schutzzwecke und Anknüpfungskriterien wahrgenommen werden, die Sprache und Kultur zu Schutzobjekten erheben, die sowohl den Angehörigen der Mehrheits- als auch der Minderheitsbevölkerung zugänglich sind. Es bedarf zusätzlich zu defensiven Instrumenten, die formelle Gleichheit verwirklichen und der Anti-Diskriminierung dienen, und positiven Maßnahmen (affirmative actions), die materielle Gleichheit fördern, objektiver Anknüpfungspunkte und Instrumente für pluralistische Konzepte. Dadurch wird der Anspruch einer pluralistischen Gesellschaftsordnung erfüllt und der klassische Volksgruppenschutz nicht aufgegeben, sondern durch eine Ebene erweitert, die Sprache als objektives Schutzgut verankert und zumindest schrittweise einen Beitrag zur Überwindung des Nationalismus leisten kann.
Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
An deiner Sprache erkenne ich dich, Affensohn. An unserer Sprache sind wir alle Versammelten hier zu erkennen, erkennen wir uns wenigstens untereinander, jeder von den Unsrigen den andern als einen Unsrigen. Keiner in der Gegend hat so gesprochen wie wir. Keiner im ganzen Land spricht so wie wir. (Peter Handke)
A. Geschichte und Gegenwart der nationalen Fragen in Kärnten und Südtirol I. Nationalismen und Minderheiten: Chimären und Realitäten An der Frage, ob es sich bei Nationen um natürliche und vorgegebene Einheiten mit eigener „Wesenheit“ oder bloß Konstrukte handelt, scheiden sich ältere von neuen Nationalismus-Theorien: „Primordiale“139 – Ansätze verstehen Nationen als quasi-natürliche Einheiten, die im Zuge des 19. Jahrhunderts „erwachen“ und ihr Recht auf einen eigenen Staat durchsetzen.140 In der älteren Forschung gilt ethnisches Gemeinsamkeitsbewusstsein als konstitutiv für staatliche Organisation. „Modernisierungstheoretische“ Positionen – basierend auf den Arbeiten von Anderson,141 Gellner142 oder Hobsbawm143 – argumentieren, dass Nationen konstruierte 139
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Einordnung ua durch Brubaker, Nationalism reframed. Nationhood and the national question in the New Europe (1996) 14; Özkirimli, Theories of Nationalism. A Critical Introduction2 (2010) 49 ff; Jackson-Preece, Origins of ‘nations’: contested beginnings, contested futures, in Cordell/Wolff (Hrsg), Routledge Handbook of Ethnic Conflict (2011) 15 (17 ff). Für ein primordiales Zusammengehörigkeitsgefühl plädieren ua die Arbeiten von Smith (zB Smith, Nations and Nationalism in a global era (1995)) oder bereits Geertz, Primordial Ties, in Hutchinson/Smith (Hrsg), Ethnicity (1963) 40. Vgl für einen Überblick über die Theorien zB Wehler, Nationalismus 7 f; Özkirimli, Theories 9 ff. Anderson, Erfindung. Gellner, Nations and Nationalism (1983). Hobsbawm, Nationen.
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Gemeinschaften darstellen und Staatsorganisation erst danach trachtet, ethnisches Gemeinsamkeitsgefühl zu schaffen.144 Brubaker kritisiert eine gruppenzentrierte Sichtweise, die Nationen als real existierende Gruppen begreift. Er schlägt vor, Nationalismus als Handlungskategorie zu begreifen, die in bestimmten Konstellationen zwischen nationalen Minderheiten, den jeweiligen Nationalstaaten und „Mutterstaaten“ zu einer Mobilisierung von Gruppen führen kann; dabei werden Ansprüche im Namen von Gruppen erhoben, die als gegeben dargestellt werden.145 Dazu greifen Nationen auf Elemente zurück, die ihre Mitglieder vermeintlich verbinden: Herkunft, Stätten, Traditionen, Symbole. Ihre Grenzen ziehen sie entlang von Sprachen, Ethnien oder Religionen und repräsentieren sie durch gemeinsame Symbole.146 Medien transportieren eine gemeinsame Erinnerungskultur, die in nationalen Symbolen und Objekten ihren Ausdruck findet: „Sie symbolisieren nicht nur das Erfundene, sie realisieren es auch.“, bemerkt Jureit.147 Die Vorstellungen werden zu Fixpunkten stilisiert und nationale Identität als natürlich gedeutet. Sprache und Nation bilden Konventionen,148 die Inklusions- und Exklusionstendenzen erlauben, denen nach Pelinka ein dichotomes Gesellschafts- und Politikverständnis zugrunde liegt – unter dem Paradigma: „‚Wir’ stehen gegen ‚die anderen’, die Fremden“.149 Diese Tendenzen gründen, wie Heckmann verdeutlicht, in politisch-staatlichen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Integrationsprozessen der Entwicklung vom mittelalterlichen Personalverband über den neuzeitlichen Territorialstaat zu modernen Nationalstaaten. In den Territorialstaaten bewirken pragmatische Gründe wie die Vereinheitlichung von Wirtschaft, Staat und Verwaltung – mit einheitlichen Verkehrssprachen – die Homogenisierung der heterogenen Bevölkerung. Bildungswesen und Bürokratie setzen neue Einheitssprachen durch, der 144
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Jackson-Preece in Cordell/Wolff 17 ff; Heckmann, Ethnische Minderheiten 52; Brubaker, Nationalism 19; Wodak/de Cillia/Reisigl/Liebhart/Hofstätter/Kargl, Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität (1998) 20 ff. Zu unterschiedlichen Zugängen und Kriterien „modernen Nationalismus“ zu bestimmen Planert, Nation und Nationalsismus in der deutschen Geschichte, APuZ B 39/2004, 11. Brubaker, Myths and Misconceptions in the Study of Nationalism, in Moore (Hrsg), National Self-Determination and Secession (1998) 233; Brubaker, Nationalism 8 ff. Hobsbawm, Nationen 108 f; vgl Putzer, Nation – Staat – Sprache, in Abel/Stuflesser/Putz (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa: Erfahrungen, Bedürfnisse, Gute Praxis (2006) 50. Jureit, Imagination und Kollektiv. Die „Erfindung“ politischer Gemeinschaften, in Jureit (Hrsg), Politische Kollektive. Die Konstruktion nationaler, rassischer und ethnischer Gemeinschaften (2001) 7 (13). Jureit in Jureit 16; Putzer in Abel/Stuflesser/Putz 50 ff. Pelinka, Nationale Identität, in Projekt-Team „Identitätswandel Österreichs im veränderten Europa“ (Hrsg), Nationale und kulturelle Identitäten Österreichs. Theorien, Methoden und Probleme der Forschung zu kollektiver Identität (1995) 28 (29).
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Zensus nach sprachlichen Kriterien kategorisiert Bürger, erzwingt ihre Zuordnung und konstituiert ein Gemeinschaftsgefühl als Basis für den Sprachnationalismus des 19. Jahrhunderts.150 Linguistik und Schule leisten einen wesentlichen Beitrag zur Verbindung von Nationalismus und Sprache: durch Versuche, die eigene Sprache als überlegen auszuweisen und die Durchsetzung einheitlicher Sprachen,151 die zu Fundamenten von Nationen werden.152 Sprache verbindet sich mit Macht;153 Sprachideologien verschärfen wirtschaftliche und soziale Konfliktlinien.154 In der Konstruktion von Abstammungsgemeinschaften gilt die Muttersprache als objektives Kriterium, in das eine Person hinein sozialisiert wird – Bielefeld präzisiert: „‚Was dieselbe Sprache redet‘ wird zur natürlichen ‚Gemeinschaft’ gemacht.“155 Im Bewusstsein der Bürger decken sich Staatsgrenzen und Sprachgrenzen. Einsprachigkeit wird zur Norm, zusätzliche Sprachen werden zu „Fremdsprachen“ und Mehrsprachigkeit erfährt – entgegen ihrer realen Verbreitung – eine negative Konnotation.156 Mit dem Nationalismus wird Homogenisierung politisch-ideologisches Programm und in den Nationalstaaten durchgesetzt, da ihre Souveränität nicht mehr von Fürsten, sondern vom Volk entspringt und Legitimität dessen Homogenität erfordert. Ethnische Vereinheitlichung wird neben staatlicher, ökonomischer und kultureller Homogenisierung zu einem politischen Ordnungsprinzip; der Anpassungsdruck fördert die Konstituierung ethnischer Minderheiten.157 In Europa bringt 150 151
Hobsbawm, Nationen 113 ff; Anderson, Erfindung 72 ff; 88 ff. Paula, Vom Mythos der Ursprache zum Antirassismus. Gedanken zum schwierigen Umgang mit Mehrsprachigkeit, in Paula (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa. Modelle für den Umgang mit Sprache und Kulturen (1994) 11 (12). 152 Vgl Busch, Sprachen 20 f; Putzer in Abel/Stuflesser/Putz 52. 153 Franceschini, Mehrsprachigkeit: das Lernpotenzial von Grenzregionen, in Abel/Stuflesser/Putz (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa: Erfahrungen, Bedürfnisse, Gute Praxis (2006) 33 (38). 154 Mannova/Tancer, Mehrsprachigkeit, in Feichtinger/Uhl (Hrsg), Habsburg neu denken (2016) 133 (135). 155 Bielefeld, Das Konzept des Fremden und die Wirklichkeit des Imaginären, in Bielefeld (Hrsg), Das Eigene und das Fremde: neuer Rassismus in der Alten Welt? (1991) 97 (108). 156 Putzer in Abel/Stuflesser/Putz 53. Burger beleuchtet diesen Prozess am Beispiel der Habsburgermonarchie; Burger, Die Vertreibung der Mehrsprachigkeit am Beispiel Österreichs 1867–1918, in Hentschel (Hrsg), Über Muttersprachen und Vaterländer. Zur Entwicklung von Standardsprachen und Nationen in Europa (1997) 35; vgl ebenso Mannova/Tancer in Feichtinger/Uhl 135. 157 Heckmann, Ethnische Minderheiten 41 ff; 45 f. Suppan/Heuberger weisen auf mehrfache Integrationsformen eines Nationsbildungsprozesses hin: aus einer sich abzeichnenden Homogenität (Abstammung, Siedlungsgebiet, Kultur, vor allem in historischen, sprachlichen, religiösen und politischen Wirkungskräften), die nach außen abgrenzt und nach innen nationsbildend wirkt, indem sie durch zunehmende politische und soziale Mobilität ein Bewusstsein bildet mit gruppenimanenten Wert- und Zielvorstellungen, Loyalitäten und einer Gruppenmoral. Neben der Nation als Gemeinschaft, die sich der politischen Gemeinschaft bewusst ist und den Willen zu einem Staats-
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die Gründung von Nationalstaaten vielerorts nationale Minderheiten hervor, die trotz neuer Minderheitenschutzbestimmungen nach dem Ersten Weltkrieg meist Assimilierungspolitiken ausgesetzt sind.158 Diese Assimilation begreift Bauman als typisch modernes Phänomen, da der moderne Staat danach strebt, seine Bevölkerung zu vereinheitlichen. Der Rückgriff auf vermeintlich naturgegebene Gemeinschaftsmerkmale verwehrt Assimilanten aber per se den Eingang in die dominante Kultur.159 Nationalismus, der als Begriff bereits bei Herder 1774 als Geistesverfassung auftaucht, wandelt sich bis ins späte 19. und 20. Jahrhundert zu einem ethnischen Nationalismus, der eine Ideologie transportiert, die auf gemeinsame Merkmale – Herkunft, Sprache, Kultur und Geschichte – abstellt, um eine Einheit aus einer tatsächlich heterogenen Bevölkerung zu schaffen und dieses „Volk“ höher bewertet als andere. Expansive Nationalismen erheben die Prämisse „ein Volk – ein Staat“ zum Ziel.160 Hroch illustriert die Phasen des Nationalismus, der zuerst von Intellektuellen und Wissenschaftlern angestoßen wird, die Rückbesinnungen auf Sprachen und Kulturgüter der vermeintlichen Nationen auslösen, woraufhin Künstler und Literaten ein Zugehörigkeitsgefühl fördern, das Züge eines kulturellen Gedächtnisses trägt.161 Intellektuelle erzeugen die Idee der Nation, 162 bevor politischer Nationalismus, der aus dem „wiederentdeckten“ Kulturgut politische Forderungen ableitet, breitere Schichten der Bevölkerung erreicht.163 Nicht zu unterschätzen ist
wesen besitzt, bestehen ethnische Gruppen, die keine politische Nation werden. Hierzu Suppan/ Heuberger in Heuberger/Kolar/Suppan/Vyslonzil 11 f. 158 Heckmann, Ethnische Minderheiten 60 f. Zum Verflechtungsgedanken von ethnischen Minderheiten, nationalisierenden Staaten und externen Nationalstaaten Brubaker, Nationalism 58. 159 Bauman, Das Konzept des Fremden und die Wirklichkeit des Imaginären, in Bielefeld (Hrsg), Das Eigene und das Fremde: neuer Rassismus in der Alten Welt? (1991) 41 ff. 160 Heckmann, Ethnische Minderheiten 44 f; Grote, I bin a Südtiroler 16 f; Lorenz, Die Erziehung der Nation, in Aluffi-Pentini/Gstettner/Lorenz/Wakounig (Hrsg), Antirassistische Pädagogik in Europa. Theorie und Praxis (1999) 17 (26 ff); Jayme, Sprache und kulturelle Identität im Recht, in Reichelt (Hrsg), Sprache und Recht. Unter besonderer Berücksichtigung des Europäischen Gemeinschaftsrechts (2006) 15. 161 Grundlegend Hroch, Social preconditions of national revival in Europe. A comparative analysis of the social composition of patriotic groups among the smaller European nations (1985). 162 Gellner, Nations; Haller, Zur Rolle von Ethnizität und nationaler Selbstbestimmung im Prozess der Einigung Europas, in Atz/Buson (Hrsg), Interethnische Beziehungen: Leben in einer mehrsprachigen Gesellschaft (1992) 25 (32); Safran, Nationalism, in Fishman (Hrsg), Handbook of Language and Ethnic Identity (1999) 82. 163 Hroch, Social preconditions; vgl Grote, I bin a Südtiroler 20. Die Rolle der Institutionen des Habsburger Reiches für die Herausbildung von Nationalistischen Bewegungen analyisert Judson, The Habsburg Empire. A New History (2016) 269 ff.
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die Bedeutung von Kirchen und dem Klerus in Zeiten nationaler Unterdrückung, wie das Beispiel Südtirol zeigt (A.III.),164 oder in der Ausbreitung des Nationalismus – ersichtlich am slowenischen Nationalismus in Kärnten (A.II.). Nach Haller instrumentalisieren Nationalismen sprachlich-kulturelle Unterschiede, um Gegensätze hervorzuheben und Feindschaft zu erzeugen, wofür besonders die Geschichte missbraucht werden kann:165 „Das Vergessen – ich möchte fast sagen: der historische Irrtum – spielt bei der Erschaffung der Nation eine wesentliche Rolle, (…)“166 bemerkt Renan bereits 1882. Forciert werden Nationalismen von politischen Bewegungen, die nach dem Wiener Kongress in Deutschland, Italien, im Habsburger Reich und anderorts in Europa entstehen.167 In der bisherigen Darstellung sind die Erkenntnisse verschiedener Disziplinen verdichtet. Planert differenziert diese Ansätze der neueren Literatur zum Nationalismus und identifiziert zwölf Merkmale, um die Definitionen mit variierender Akzentuierung kreisen:168 So versteht man den Nationalismus aus kulturwissenschaftlicher Sicht als konstruiertes System, in dem sich Inklusion und Exklusion bedingen, das sich zudem auf einen – von ihm selbst erzeugten – überzeitlichen ethnischen Kern beruft, dabei Mythen für Legitimation und Verbreitung nutzt und spezifische Geschlechtsidentitäten konstruiert. Aus politischer Sicht bildet der Nationalismus ein säkulares Glaubenssystem, bezieht sich auf ein Territorium, auf dem die Grenzen von Staat und Nation verbunden werden sollen, zeigt Wechselwirkungen zum Krieg, verspricht Teilhabe über die bestehende politische Ordnung hinaus und kann daher Menschen mobilisieren. Aus sozialhistorischer Perspektive keimen nationale Ideen schließlich in einer Trägerschicht mit eigenen Interessen, bevor sie sich verbreiten, wofür es Kommunikations- und Wirtschaftsräume oder Institutionen braucht. „Nationen“ bezeichnen ethnische Kollektive, die politisch im Nationalstaat organisiert sind.169 Als politisch-ideologisches Programm mit staatlicher Organisation im Nationalstaat sind Nationen Konstrukte und Realität zugleich, da sie auf gesellschaftliche Wirklichkeiten wirken.170 Ethnizität als Grundlage für individuelles und kollektives Handeln basiert auf der Vorstellung gemeinsamer Merkmale und schafft die 164 165 166
Haller in Atz/Buson 35. Haller in Atz/Buson 35. Renan, Was ist eine Nation? Vortrag in der Sorbonne am 11. März 1882, in Jeismann/Ritter (Hrsg), Grenzfälle: über neuen und alten Nationalismus (1993) 290 (294). 167 Heckmann, Ethnische Minderheiten 60. 168 Planert, Nation 11. 169 Heckmann, Ethnische Minderheiten 53; Haller in Atz/Buson 32. 170 Vgl Heckmann, Ethnische Minderheiten 53; Putzer in Abel/Stuflesser/Putz 50 f.
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Grundlage für die Bildung ethnischer Kollektive, die über ihre Gemeinsamkeitsvorstellung mobilisiert werden können.171 Wie Identität bleibt Ethnizität aber wandelbar. Es handelt sich bei ethnischen Gruppen nicht um wirkliche Gruppen, sondern um soziale Kategorien. Ihre Einstufung als Minderheit beschreibt gesellschaftliche Macht- und Gruppenverhältnisse.172 „Ethnisierung“ meint die Herausbildung einer Gesellschaftsstruktur, die Ethnizität konstitutiv setzt und Machverhältnisse nach ethnischen Kriterien etabliert.173 Nationale Minderheiten unterscheiden sich von der Mehrheit und beanspruchen Sonderrechte aufgrund ihrer Identitätsdifferenz.174 Häufig sind sie Assimilierungsdruck ausgesetzt und beziehen sich auf einen Nationalstaat, der ihre historisch-kulturelle Identität teilt – Slowenen in Kärnten, Deutsche in Südtirol. Regionale Minderheiten knüpfen meist an vor-nationalstaatlichen Identitäten an und fordern politische und kulturelle Autonomie, da sie sich nicht an einem Nationalstaat orientieren können – zB die Ladiner in Südtirol.175 Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges bleibt Minderheitennationalismus vor allem defensiv und auf den Schutz der gemeinsamen Interessen vor der Expansion moderner Staaten gerichtet; zT verbunden mit Konservativismus und traditionellem Katholizismus.176 Moderne Nationalstaaten gründen auf unterschiedlichen Vorstellungen von „Volk“ und „Ethnie“. In der europäischen Geschichte der Nations- und Staatenbildung identifiziert Brubaker zwei Modelle: das Französische Modell und das Deutsche Modell.177 Wie Marko zeigt, basiert das Französische Modell auf der Souveränität des Volkes und dem normativen Prinzip strikter Gleichheit vor dem Gesetz. Dies bringt die Nation als einheitliche politische und kulturelle Identität hervor, unterdrückt Pluralismus und verweist Ethnizität ins Private. Das Deutsche Modell fußt auf einer vorexistenten kulturellen Gemeinschaft, dem Volk, das über eine gemeinsame Sprache als Basis der Nation definiert wird.178 Das Konzept der Nation (ius sanguinis) geht dem Konzept des 171 172
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Heckmann, Ethnische Minderheiten 30; 56 ff; Guibernau, The Identity of Nations (2007) 11. Heckmann, Ethnische Minderheiten 56; Putzer in Abel/Stuflesser/Putz 52; Özkirimli, Theories 190 ff; Bukow, Feindbild: Minderheit. Ethnisierung und ihre Ziele (1996) 137 ff; Judson, Nationalism and Indifference, in Feichtinger/Uhl (Hrsg), Habsburg neu denken (2016) 148 (153). Bukow, Feindbild 137. Reiterer, Postmoderne Identität vom Statut zur Option, in Hilpold/Perathoner (Hrsg), Die Ladiner – Eine Minderheit in der Minderheit (2005) 171 (172). Heckmann, Ethnische Minderheiten 62 ff. Keating, Minority nationalism and the state: the European Case, in Watson (Hrsg), Contemporary Minority Nationalsm (1990) 174 (179). Brubaker, Citizenship and Nationhood in France and Germany (1992); vgl McCrone/Kiely, Nationalism and Citizenship, in Goulbourne (Hrsg), Race and Erhnicity. Critical Concepts in Sociology. Volume II. Solidarities and Communities (2001) 165 (174); Keating, Minority nationalism 175 ff. Marko, ’United in Diversity’?: Problems of State- and Nation-Building in Post-Conflict Situa-
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Staates (ius soli) vor; in Frankreich ist die Entwicklung umgekehrt: Der Staat besteht vor der Nation.179 Individuen sind im ethnisch-nationalen Konzept Teil von bestimmten ethnischen Gruppen, die durch die Beziehungen von Mehrheit und Minderheit gekennzeichnet sind. Gleichheit verlangt in diesem Modell die Ausstattung mit Rechten und Privilegien für Minderheiten in schwächeren Positionen.180 Beide Modelle entsprechen staatsbürgerlichen (civic) oder kulturellen (cultural) Konzepten der Nation,181 die die Parlamentarische Versammlung des Europarates in einer Empfehlung 2006 unter den europäischen Staaten identifiziert:182 Die Staaten hätten ihre Legitimität entweder auf dem staatsbürgerlichen oder kulturellen Konzept begründet, insgesamt verlaufe der Trend von einem rein ethnisch ausgerichteten Staat zu einem staatsbürgerlich begründeten und von einem rein staatsbürgerlichen zu einem multikulturellen mit spezifischen Rechten für Personen und kulturelle oder nationale Minderheiten.183 Zum Verhältnis von Staatsbürgerschaft und Nation stellen McCrone/Kiely klar, dass Nationalität auf ein in der Essenz kulturelles Konzept abstellt, dass Personen auf Grundlage einer gemeinsamen Identität – iSd der vorgestellten Gemeinschaften – verbindet, während Staatsbürgerschaft (citizenship) ein politisches Konzept umfasst, das die Beziehung von Personen zum Staat definiert:184 „nation-ness and state-ness need not be, and increasingly are not, aligned“.185 In beiden genannten Nationskonzepten können Elemente von ethnischem oder staatsbürgerlichem Verständnis vorkommen – wobei
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tions: The Case of Bosnia-Herzegovina, Vermont Law Review 2006, 503 (505 ff); vgl Aurescu, Cultural Nation versus Civic Nation: Which Concept for the Future Europe? A Critical Analysis of the Parliamentary Assembly’s Recommendation 1735 (2006) on ‘The Concept of ‘Nation’’, in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller (Hrsg), European Yearbook of Minority Issues. Volume 5 (2005/6,07) 147 (149); Malloy, Deconstructing the ‘Nation’ for the 21st Century through a Critical Reading of the Parliamentary Assembly’s Recommendation 1735 (2006), in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller (Hrsg), European Yearbook of Minority Issues. Volume 5 (2005/6,07) 161 (168). McCrone/Kiely in Goulbourne 174 f; vgl Clark, The nation-state: civic and ethnic dimensions, in Cordell/Wolff (Hrsg), Routledge Handbook of Ethnic Conflict (2011) 44 (45 ff). Marko, United 507 f. Malloy, Deconstructing 165. Zum westlich staatsbürgerlichen (civic) Modell der Nation gehören für Smith die Vorstellung eines historischen Territoriums, eine rechtlich-politischen Gemeinschaft, rechtlich politische Gleichheit, eine geteilte Kultur und Ideologie. Als westliches Modell identifiziert Smith die ethnische Konzeption der Nation, die im Gegensatz zu nicht-westlichen Konzepten die Wahl der Zugehörigkeit erlaubt. Smith, National Identity (1991) 9 ff. Parliamentary Assembly, Recommendation 1735 (2006) para 6. Parliamentary Assembly, Recommendation 1735 (2006) para 7. Diese Postion wird in der Literatur aufgrund ihrer telelogischen Deutung kritisiert; so Malloy, Deconstructing 172; Aurescu, Cultural Nation 153 ff. McCrone/Kiely in Goulbourne 171. McCrone/Kiely in Goulbourne 172.
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Kultur mit Malloy als wandelbarer Prozess zu verstehen ist und Ethnizität als Strategie der Abgrenzung.186 Assimilatorische Trends bergen beide Modelle: das staatsbürgerliche nach innen, das kulturelle nach außen.187 In ethnisch-begründeten Nationalstaaten (Deutschland, Italien) ist die Kongruenz von ethnischen und staatlichen Grenzen eine Maxime. Sie erzeugt intensiven Assimilationsdruck. Diesen Druck fördern auch demotisch-unitaristische Konzepte (Frankreich),188 die auf Kategorien der Aufklärung Bezug nehmen und Volk als politisch-rechtliche Einheit verstehen. Dieser Vorstellung der Gleichheit und der zentralistischen Staatsidee sind sprachlich-kulturelle Homogenisierungstendenzen inhärent. Ethnisch-plurale Staatskonzepte (Schweiz) basieren auf der Gemeinschaft von Institutionen, Interessen und Geschichte. Ethnizität bildet keine Grundlage für den Staat, sondern der Interessenausgleich zwischen den Gruppen und Föderalismus schützen ethnische Minderheiten.189 Ein anderes Beispiel bieten die USA: Hier wurde der Staat zur Nation, unabhängig von ethnischen Kriterien. Als Amerikaner gelten Personen, die der gemeinsamen Regierung unterliegen und ihre Loyalität zu den Institutionen bekunden.190 Palermo und Woelk identifizieren in Europa vier Modelle: vom repressiven nationalistischen Staat über den agnostisch-liberalen Staat, zum Staat mit multinationaler und fördernder Bestrebung und den gleichberechtigten Nationalstaat. Im fördernden Staat gibt es eine dominante Gruppe und mehrere anerkannte Minderheiten, wie in Österreich.191 Im 21. Jahrhundert sind angesichts der Globalisierung und Integration auf allen Ebenen exklusive Modelle weder des ethnisch-nationalen noch des staatsbürgerlichen Konzeptes erfolgreich.192 Postmoderne Wendungen zurück zu nationalen Identitäten sind für Pelinka ein „rückwärtsgewandter Protest gegen die ‚postmoderne’ Entwicklung“.193 Gemeinsame Wurzeln und Gemeinschaften versprechen 186 187 188 189
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Malloy, Deconstructing 170; 173. Malloy, Deconstructing 168; Marko, United 506 ff. Hier vermittelt die Schule eine nationale Sprache und Kultur für alle; in Paula 14; Safran in Fishman 84 ff. Heckmann, Ethnische Minderheiten 211 ff; Vincenz, Völker, Nationen und Nationalsprachen: Frankreich, Deutschland und Polen im Zentrum Europas, in Hentschel (Hrsg), Über Muttersprachen und Vaterländer. Zur Entwicklung von Standardsprachen und Nationen in Europa (1997) 3 (8 ff). Während in Frankreich das Individuum im Zentrum steht, setzt man etwa in Großbritannien auf die kollektive Eingliederung ethnischer Gruppen; in Paula 14; Lorenz in Aluffi-Pentini/ Gstettner/Lorenz/Wakounig 23 ff; Putzer in Abel/Stuflesser/Putz 50 f. McCrone/Kiely in Goulbourne 175 ff. Palermo/Woelk, No Representation without Recognition: The Right to Political Participation of (National) Minorities, European Integration 2003, 225 (227). McCrone/Kiely in Goulbourne 176; vgl MacCormick, Liberalism, Nationalism and the Post-sovereign State, Political Studies 44/1996, 553. Pelinka in Projekt-Team „Identitätswandel Österreichs im veränderten Europa“ 32.
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Gewissheiten, wenn die Pluralisierung von Lebenswelten und individuellen Identitätsmodellen persönliche Entscheidungshorizonte und -kapazitäten überfordern.194 Moderner Ethnonationalismus rekurriert auf kulturell-objektive Vorstellungen einer Nation und instrumentalisiert Ethnizität, um Beziehungen von Mehrheit und Minderheit zu gestalten – Merkmale kollektiver Identitäten werden betont, um die eigene Besonderheit hervorzuheben und bestimmte Rechte und Kompetenzen für die eigene Gruppe zu fordern.195 Nationalismus und Ethno-Regionalismus sind Ausdrücke desselben Ethnozentrismus mit ähnlichen Mustern der Argumentation.196 Nationalismus kann mit Özkirimli als „Diskurs“ begriffen werden, der eine homogene Identität unter Trennung in „Wir“ und „Sie“ propagiert, Ansprüche auf die vermeintliche Vergangenheit der Nation gründet und sich räumlich mit einem bestimmten Territorium verbindet.197 Nationen bilden konstruierte Gemeinschaften, die wie der Begriff „Volk“ zuerst innergesellschaftliche Bedeutung haben. Erst im 19. Jahrhundert wird sie von ethnischen Gemeinschaften auf Kollektive übertragen, die sich als Staat organisieren.198 Mit dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts erreicht Fremdheit, wie Behr zeigt, eine exklusive Definition: „Wir“ und „andere“ werden zu essentialistischen und gegensätzlichen binären Konstruktionen, derer sich Nationalstaaten bedienen. Die Zugehörigkeit zur Nation wird zu einer essenziellen Zuschreibung in einem inkludierenden und exkludierenden Prozess.199 Mit Brubaker kann Ethnizität dabei wie Nationen im Sinne kognitiver Ansätze verstanden werden als Perspektive der Wahrnehmung, Sinngebung oder Selbsteinschätzung.200 In dieser Annahme ist der Gruppencharakter als Variable zu sehen, die nicht per se eine Homogenität der Gruppe voraussetzt und der Zugehörigkeit zu ihr eine Relevanz beimisst.201 Stattdessen verlangen kognitive Ansätze, konstruktive Praktiken von Einzelpersonen in den Blick zu nehmen und den Fokus auf Mechanismen der Gruppenbildung zu richten, zB Kategorisierung oder Identifikationen.202 Nationen sind, wie Keating formuliert, „work in progress, defined partly by 194 195 196 197 198 199 200 201 202
Lorenz in Aluffi-Pentini/Gstettner/Lorenz/Wakounig 20. Helmerich, Ethnonationalismus und das politische Potenzial nationalistischer Bewegungen, APuZ B 39/2004, 19 (20 f ). Gadjanova, What is an Ethnic Appeal? Policies as Metonymies for Ethnicity in the Political Rhetoric of Group Identity, Ethnopolitics 3/2012, 307 (319). Özkirimli, Theories 208 f. Heckmann, Ethnische Minderheiten 51; vgl Özkirimli, Theories 207 ff, der Nationalismus als Diskurs und bestimmte Art, die Welt zu interpretieren, begreift. Behr, Politics of Difference. Epistemologies of peace (2014) 62 ff; 67 f. Brubaker, Ethnicity without Groups (2006) 79; 81. Brubaker, Ethnicity 80. Brubaker, Ethnicity 79. Brubaker empfiehlt kognitive Ansätze, um einen „elite bias“ konstruk-
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nationalist mobilization itself“; für die Analyse ist es wesentlich, die Funktionen des Terminus „Nation“ herauszuarbeiten.203 Trotz ihrer Konstruktion und Diskursivität wirken Nationen als Ideen, Handlungsmaximen und Staatskonzepte in gesellschaftliche Realitäten. Sie prägen Identitäten und zeitigen reale Folgen. Für Kärnten und Südtirol sind daher die Genese und Konsequenzen der nationalen Fragen zu skizzieren, da sie Parameter der Mehrheiten-Minderheitensituationen konstituieren und ihre Entwicklung beeinflussen. Daran anschließend sind ethnische Identitäten, ihre Konstruktion und Selbstverortungen in Kärnten und Südtirol zu beleuchten und daraus hervorgehende politische Forderungen zu analysieren.
II. Die nationale Frage in Kärnten204 Mitte des 19. Jahrhunderts präsentiert sich die nationale Frage in Kärnten vor allem als soziale Frage. Wechselseitige Nationalisierungsprozesse verlaufen innerhalb
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tivistischer Untersuchungen zu korrigieren, die meist auf die Konstruktionen von politischen Entscheidungsträgern und staatlichen Akteuren oder Intellektuellen rekurrieren, aber kaum die konstruktiven Tätigkeiten von Personen im Alltag analysieren; hierzu Brubaker, Ethnicity 86. Keating, Nation 610. Einen Überblick über die Konfliktgeschichte in Kärnten bieten ua: Haas/Stuhlpfarrer, Österreich und seine Slowenen (1977); Barker, The Slovene ethnic minority of Carinthia (1984); Inzko, Geschichte der Kärntner Slowenen von 1918 bis zur Gegenwart unter Berücksichtigung der gesamtslowenischen Geschichte (1988); Moritsch (Hrsg), Austria Slovenica (1996); Fräss-Ehrfeld, Geschichte Kärntens Band 3/2. Abwehrkampf – Volksabstimmung – Identitätssuche (2000); Karner (Hrsg), Kärnten und die Nationale Frage. 5 Bände (2005); Fräss-Ehrfeld, Zwischen Bundeskompetenz und Kärntner Realität. Die Kärntner Minderheitenproblematik in der Zweiten Republik 1945-1976, in Fräss-Ehrfeld/Rumpler (Hrsg), Kärnten und Wien. Zwischen Staatsidee und Landesbewusstsein (2005); Valentin, Der Sonderfall. Kärntens Zeitgeschichte 1918-2004/08² (2009); Klemenčič/Klemenčič, Die Kärntner Slowenen und die zweite Republik (2010); Suppan, Zur Geschichte Südkärntens. Aus der Perspektive einer zweisprachigen Region, in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik (Hrsg), Ortstafelkonflikt in Kärnten – Krise oder Chance? (2004) 128; Valentin, Kärnten. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart (2011); Fräss-Ehrfeld, Zur Historie des Ortstafelstreits im Kontext der Kärntner Volksgruppenfrage, EJM 3/2011, 161; Österreichische Rektorenkonferenz (Hrsg), Bericht der Arbeitsgruppe „Lage und Perspektiven der Volksgruppen in Österreich“ (1989) 62 ff; Rumpler, Der schwierige Weg aus der Vergangenheit in die Zukunft, in Rumpler (Hrsg), Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland (1998) 48. Einen umfassenden Überblick über die slowenische Kulturgeschichte Kärntens bietet SturmSchnabl/Schnabl (Hrsg), Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška. Von den Anfängen bis 1942 (2016). Für den Abschnitt vgl Pirker, Kärntner Ortstafelstreit, 36 ff; 118 ff; Pirker, in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 717; Pirker, Wir sind Kärnten 35 ff.
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sozialer Klassen und entlang ihrer Grenzen: Der slowenische Nationalismus erfasst die kleinbäuerliche Landbevölkerung Südkärntens. Seine Intelligenz bildet der slowenischsprachige Klerus. Städtische Zentren und Märkte werden zu Domänen des Deutschnationalismus, der große Teile der Arbeiterschaft, des Bürgertums und grundbesitzenden Adels anspricht.205 Deutsch steht für sozialen Aufstieg. Das gilt schon in den Jahrzehnten zuvor, als ökonomische Motive die Assimilierung jener Bevölkerungsteile fördern, die aus verarmten ländlichen Gebieten in die deutschsprachigen Zentren abwandern, um dort ihr Auskommen zu finden. Ökonomische Assimilation und teils bewusste Germanisierung reduzieren die wirtschaftliche Substanz der zweisprachigen Gebiete und sichern die Herrschaftsinteressen der dominanten Gruppen.206 Ehen über Sprachgrenzen bewirken häufig kulturelle und soziale Assimilation, noch aber meist ohne politischen Impetus.207 Erst mit Ausbreitung des Nationalismus werden Sprache und Kultur, wie Flaschberger/Reiterer anmerken, als Distinktionsmerkmale national aufgeladen und überlagern soziale Unterschiede – „nationale Form, sozialer Inhalt“.208 Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts formen sich zwei opponierende nationale Lager: ein klerikal-konservatives und primär kleinbäuerlich-ländlich strukturiertes slowenisches und ein liberal-fortschrittlich, überwiegend bürgerliches auf deutscher Seite. Sie bilden die Basis des nationalen Konfliktes, der fortan ideologisch, kulturell, wirtschaftlich und politisch ausgetragen wird.209 In der Phase der Ausbildung slowenisch- und deutschnationalen Bewusstseins ab 1848 entzündet sich der Konflikt vor allem an der Ausgestaltung des zweisprachigen Schulwesens. Nach der Trennung von Kirche und Schule (Reichsvolksschulgesetz 1869) forcieren deutschdominierte Gemeinden als Schulerhalter gemeinsam mit dem deutschgesinnten Landesschulrat die frühe Ausbildung in deutscher Sprache. Neben dem Arbeitsplatz avanciert die Schule zur zentralen Stätte gezielter Germanisierung. Slowenisch-nationaler Klerus und deutschnationale Lehrerschaft 205 206
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Perchinig, Wir sind Kärnten 16 ff; Baumgartner, 6 x Österreich, Geschichte und aktuelle Situation der Volksgruppen (1995) 31 ff; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 63 ff. Haas, Assimilation und politische Kultur, in Bauböck (Hrsg), …Und raus bist du! Ethnische Minderheiten in der Politik (1988) 23 (29 ff); Valentin, Nationalismus oder Internationalismus. Arbeiterschaft und nationale Frage mit besonderer Berücksichtigung Kärntens 1918-34 (2000) 292. Perchinig, Wir sind Kärnten 18 ff; Haas/Stuhlpfarrer, Österreich und seine Slowenen 10. Flaschberger/Reiterer, Der tägliche Abwehrkampf 97. Karner/Moritsch, Zur Einleitung: Der nationale Konflikt, in Karner/Moritsch (Hrsg), Aussiedlung – Verschleppung – nationaler Kampf (2005) 8 f; Valentin, Nationalismus 277 ff; Perchinig, Wir sind Kärnten 33 ff; Moritsch, Volk, Nationalität, Assimilation? Forschungseindrücke aus Südkärnten und dem Burgenland, in Bauböck (Hrsg), …Und raus bist du! Ethnische Minderheiten in der Politik (1988) 257; vgl Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 120 ff; Pirker, Wir sind Kärnten 35 ff.
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treiben nun in den Gemeinden – parallel zur Entwicklung des nationalen Vereinswesens – die Mobilisierung der Bevölkerungsgruppen voran, deren nationale Gegensätze sich ab der Jahrhundertwende und im Vorfeld des Ersten Weltkrieges verstärken.210 Mit dem Ende des Krieges äußert sich der Konflikt in Kärnten militärisch, als Truppen des SHS Staates Teile Südkärntens besetzen und das Königreich SHS Ansprüche auf die gemischtsprachigen Gebiete geltend macht – ein Vorgehen, das militärische Gegenreaktionen der Kärntner Seite hervorruft und den „Kärntner Abwehrkampf“ auslöst.211 Die Neuordnung Europas nach dem Prinzip der nationalen Selbstbestimmung bedeutet, dass zwei Seiten die gemischtsprachigen Gebiete des Landes beanspruchen: Kärntner und Slowenen.212 Erst eine Volksabstimmung beendet – auf internationale Intervention hin – am 10. Oktober 1920 die Konflikte um die Grenze in Kärnten. Der Großteil der Südkärntner Bevölkerung spricht sich für den Verbleib bei Österreich aus; darunter ein erheblicher Anteil an slowenischen Stimmen, ohne die ein derartiges Ergebnis nicht möglich gewesen wäre.213 Im Vorfeld der Abstimmung hatte die Kärntner Landesregierung den Kärntner Slowenen für ihre Stimmen eine Reihe von Versprechungen gemacht, darunter die Zusicherung, „ihre nationale Eigenart“ zu wahren.214 Sie werden nicht erfüllt. Stattdessen verstärkt sich der Assimilationsdruck ideologisch, politisch und ökonomisch – es gilt: „Kärnten bleibt deutsch“. Jene Slowenen, die für Österreich stimmten, werden ideologisch zu „Windischen“ verklärt.215 Diese „Zwischennationalität“ bie-
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Moritsch, Nationale Ideologien in Kärnten, in Moritsch (Hrsg), Kärntner Slowenen 1900–2000 (2000) 9; Moritsch, Modernisierung und nationale Differenzierung, in Moritsch (Hrsg), Austria Slovenica (1996) 45 (52 f ); Moritsch, Formen „ethnischer Säuberung“ in Kärnten, in Moritsch (Hrsg), Austria Slovenica (1996) 28 (37 ff); Valentin, Nationalismus 44 ff; 276 ff; 318 ff; Malle, Wohin verschwanden die Kärntner Slowenen?, Historicum Koroski Slovenci I/2004-2005 23 (24); Perchinig, Wir sind Kärnten 33 ff; Moritsch in Bauböck 257 ff; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 120; vgl Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 120 ff. 211 Vgl FN 213. 212 Haas, Literaturbericht, Kärntner Slowenen – Geschichte als Politische Information, Zeitgeschichte 3/1975, 83 (89); Moritsch, Formen 40. 213 Hierzu ua: Wutte, Kärntens Freiheitskampf 1918–1920 (1985); Ogris, Der 10. Oktober 1920. Kärntens Tag der Selbstbestimmung (1990); Valentin, Abwehrkampf und Volksabstimmung in Kärnten 1918–1920. Mythen und Fakten (1993); Valentin/Haiden/Maier (Hrsg), Die Kärntner Volksabstimmung 1920 und die Geschichtsforschung. Leistungen, Defizite, Perspektiven (2002). 214 Valentin, Nationalismus 288; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 64 f. 215 Messner, Gibt es in Kärnten noch immer „Windische“?, in Fischer/Gstettner (Hrsg), Am Kärntner Wesen könnte diese Republik genesen (1990) 90; Baumgartner, 6 x Österreich 32; Moser, Sprachliche und soziale Identität der Slowenen in Kärnten, in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage (Hrsg), Kein Einig Volk von Brüdern. Studien zum Mehrheiten-/Minderheitenproblem am Beispiel Kärntens (1982) 16 (28 f ).
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tet Kärntner Slowenen, die bereit sind, ihre slowenischen Wurzeln abzulegen, eine neue „deutschfreundliche“ Identität, die sie von „slowenischen“ Nationalisten unterscheidet. Politisch dient der Begriff, der traditionell mit Rückständigkeit gleichgesetzt wird,216 schon zuvor der Besitzstandsicherung der deutschen Oberschicht, die sich bemüht, slowenische Kleinbauern in Abhängigkeit zu halten und ein slowenisches Kleinbürgertum zu verhindern. Nach 1920 erhält der Begriff einen nationalen Überbau, der den Rückgang des Slowenischen im öffentlichen und privaten Leben verstärkt.217 Ab 1925 kommt es zu Annäherungen in Verhandlungen um eine Kulturautonomie für die Kärntner Slowenen, sie scheitern aber an Fragen der Aufsicht über die utraquistische Schule und den Forderungen nach einem subjektiven Bekenntnisprinzip und einem „Volksbuch“.218 Ihren Höhepunkt erreicht die Germanisierung unter dem Regime der Nationalsozialisten, die 1942 etwa 1.000 Kärntner Slowenen aussiedeln. In Kärnten formieren Partisanengruppen daraufhin militärischen Widerstand und am Ende des Zweiten Weltkrieges kommt es erneut zu wechselseitigen Übergriffen, die das historische Gedächtnis prägen: ein Massaker der SS am slowenischen Peršmanhof im April und die Deportation von mehr als 200 Personen aus Kärnten durch Tito-Partisanen im Mai 1945.219 Das nun kommunistische Jugoslawien erhebt neuerlich Ansprüche auf Südkärntner Gebiete. Sie werden in den Verhandlungen um den Österreichischen Staatsvertrag reduziert, als die sowjetische Unterstützung für die jugoslawischen Interessen wegfällt. Aufrecht bleibt die Forderung nach spezifischen Rechten für die Slowenen in Kärnten und die Kroaten im Burgenland.220 Sie finden Niederschlag in 216 217
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Zum Begriff „windisch“ zB Messner in Fischer/Gstettner 90 ff. Fischer, Windischenphantasien, in Fischer/Gstettner (Hrsg), Am Kärntner Wesen könnte diese Republik genesen (1990) 96 ff; Perchinig, Ethnizität, Minderheit, Assimilation, in Bauböck (Hrsg), …Und raus bist du! Ethnische Minderheiten in der Politik (1988) 129 (135); Moser in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 24 ff. Valentin, Nationalismus 285 ff; Suppan in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 175 ff; Moritsch in Bauböck 257 ff; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 65. Hierzu ua: Haas, Literaturbericht 88; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 66; Sima, Gewalt und Widerstand 1941–1945, in Moritsch (Hrsg), Kärntner Slowenen 1900–2000 (2000) 263. Karner, Die Aussiedlung von Kärntner Slowenen 1942, in Karner/Moritsch (Hrsg), Aussiedlung – Verschleppung – nationaler Kampf (2005) 21; Karner/Hartl, Die Verschleppungen von Kärntnern 1945 durch jugoslawische Partisanen, in Karner/Moritsch (Hrsg), Aussiedlung – Verschleppung – nationaler Kampf (2005) 53; Entner, Vergessene Opfer? Die „Verschleppten“ vom Mai 1945 im Spiegel regionaler Geschichtspolitik, in Petritsch/Graf/Kramer (Hrsg), Kärnten liegt am Meer. Konfliktgeschichte/n über Trauma, Macht und Identität (2012) 423; Elste/Koschat/Strohmaier, Opfer, Täter, Denunzianten. „Partisanenjustiz“ am Beispiel der Verschleppungen in Kärnten und der Steiermark im Mai/Juni 1945: Recht oder Rache (2007). Stourzh, Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität³ (1980) 23
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Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrages 1955, der fortan die zentrale Bestimmung der Kärntner Volksgruppenfrage bildet. In den 1950er Jahren steht erneut die Schule im Zentrum der Auseinandersetzungen: Um den Kärntner Slowenen entgegenzukommen und die eigene Position in den Verhandlungen zu stärken, hatte die Kärntner Landesregierung 1945 zweisprachigen Unterricht in Südkärnten verordnet.221 Gegen diese Schulverordnung mobilisieren deutschnationale Organisationen, bis sich der Landeshauptmann 1958 dem öffentlichen Druck beugt. Im Folgejahr ergeht ein neues Minderheitenschulgesetz für Kärnten.222 Es sieht die Möglichkeit der freiwilligen Anmeldung zum Slowenisch-Unterricht vor, die häufig als nationales Bekenntnis gewertet wird.223 Viele Eltern melden ihre Kinder vom Slowenisch-Unterricht ab – jene aus slowenischsprachigen Familien, weil sie von Arbeitgebern unter Druck gesetzt werden oder den Kindern die Lasten der Zweisprachigkeit in Kärnten ersparen wollen.224 Wie schon vor 1945 fördern ökonomische Erwägungen und wirtschaftspolitische Faktoren die Assimilation,225 die sich mit dem Anmeldeprinzip neuerlich intensiviert und das Slowenische weiter aus dem öffentlichen Leben verdrängt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt und ersetzt die Modernisierung der Gesellschaft diese Prozesse. Sie schafft neue Faktoren, die kulturelle Assimilation begünstigen: mit der ff; Domej, Der Konflikt nach dem Krieg 1945-49, in Moritsch (Hrsg), Austria Slovenica (1996) 86 (129 ff); Fräss-Ehrfeld, Die Rolle Kärntens und der Kärntner Vertreter bei den Staatsvertragsverhandlungen ab 1947, in Valentin/Karpf/Puschnig (Hrsg), Der Staatsvertrag von Wien 1955-2005. Die Kärntner Perspektiven (2006) 105 (112 ff); Stergar, Die jugoslawischen Gebietsansprüche ab 1945 und deren schrittweise Zurücknahme, in Valentin/Karpf/Puschnig (Hrsg), Der Staatsvertrag von Wien 1955-2005. Die Kärntner Perspektiven (2006) 89; Valentin, Der Sonderfall 174 ff; Suppan, Jugoslawien und der österreichische Staatsvertrag, in Suppan/Stourzh/Mueller (Hrsg), Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (2005) 431 (439 ff; 464 ff); Tichy, Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrages 1955 und seine Realisierung, in Moritsch (Hrsg), Austria Slovenica (1996) 166 (168 ff). 221 Fräss-Ehrfeld, Das Kärntner Landesbewusstsein, in Rumpler (Hrsg), Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland (1998) 777 (780 f ). 222 Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten, BGBl 1959/101 idF BGBl 2008/2. Zum Konflikt um die Schule ua Malle, Die Position der Kärntner Slowenen im Nationalitätenkonflikt, in Rumpler (Hrsg), Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland (1998) 494 (510 ff). 223 Vgl Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 343 f; Reiterer in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 29; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 121. 224 Suppan in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 182 ff; Moser in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 18 f. 225 Reiterer, Regionale Wirtschaft, Wirtschaftspolitik und Minderheitenfrage, in Karner/Stergar (Hrsg), Kärnten und Slowenien – „Dickicht und Pfade“ (2005) 243 (255); Valentin, Nationalismus 292.
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deutschdominierten Medienwelt und Gesellschaftsstruktur, in der Slowenisch kaum eine Funktion erfüllt.226 Gesellschaftspolitisch verläuft die Anpassung nicht mehr in Richtung Deutschtum, sondern – wie Suppan zeigt – an die „im Prinzip ‚überethnische’ österreichische Nation“227. Gegenläufig zu den Folgen des Anmeldeprinzips kommt es Ende der 1950er Jahre zu einer Entwicklung, die das Selbstbewusstsein der Volksgruppe stärkt: 1957 entsteht in Klagenfurt das Slowenische Gymnasium,228 das sich zur zentralen Bildungsstätte der Volksgruppe und zum Kristallisationspunkt ihrer späteren Elite entwickelt. An die Stelle des Klerus treten ab den 1970er Jahren zunehmend Laien aus allen Gesellschaftsbereichen – vor allem Akademiker, Anwälte, Unternehmer.229 Die junge Intelligenz der Volksgruppe beginnt nun, die staatsvertraglich zugesicherten Rechte, zum Teil Seite an Seite mit der bisherigen Führung ihrer Organisationen, mit Nachdruck einzumahnen. Als Volksgruppenangehörige auf ihre Rechte hinweisen, indem sie einsprachige Ortstafeln „ergänzen“, erreicht der Konflikt 1972 einen weiteren Höhepunkt: Angehörige der Mehrheitsbevölkerung verhindern ein Gesetz, das die SPÖ im Nationalrat durchbringt und das die Aufstellung von 205 zweisprachigen Ortstafeln vorsieht, in dem sie die neuen Tafeln in einem „Ortstafelsturm“ gewaltsam entfernen.230 National und international führen diese Aktionen zu einer gespannten Atmosphäre, die sich durch Bombenanschläge in Südkärnten in den Folgejahren noch verschärft. Positive Impulse setzt die Katholische Kirche, die in einer Kärntner Synode 1972 die Gleichberechtigung beider Landessprachen in der Kärntner Kirche festschreibt.231 Eine Ortstafelkommission, die Bundeskanzler Bruno Kreisky einsetzt, leistet ebenfalls Vorarbeiten, ermöglicht aber keine Lösung der Ortstafel226
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Suppan in Suppan/Stourzh/Mueller 155; Moser in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 22 f. Zur Rolle der Medien in diesem Prozess eingehend Busch, Der virtuelle Dorfplatz. Minderheitenmedien, Globalisierung und kulturelle Identität (1999) 244 ff. Suppan, Das Ringen um die Erfüllung der Minderheitenschutzbestimmungen in Kärnten, in Valentin/Karpf/Puschnig (Hrsg), Der Staatsvertrag von Wien 1955–2005. Die Kärntner Perspektiven (2006) 133 (154). Zur Entwicklung und aktuellen Ausrichtung ua Vrbinc, Das BG/BRG für Slowenen – eine Schule mit (über-)regionalem Bildungsschwerpunkt, in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej (Hrsg), Natürlich zweisprachig (2013) 119. Barker, The Slovene ethnic minority 249 ff; Suppan in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 182 ff; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 67; Domej, Das Schulwesen für die Bevölkerung Südostkärntens, in Moritsch (Hrsg), Kärntner Slowenen – Koroški Slovenci 1900–2000 (2000) 29 (53). Barker, The Slovene ethnic minority 279 f; Valentin, Der Sonderfall 200 ff; Suppan in Valentin/ Karpf/Puschnig 149; Fräss-Ehrfeld, Zur Historie 161; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 47 ff; Pirker in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 720 f. Barker, The Slovene ethnic minority 258 f; Bogataj, Die Kärntner Slowenen (1989) 185; Inzko, Geschichte 186 ff; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 52 f.
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frage.232 Diese bringt erst ein Abkommen zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ, das ein neues Volksgruppengesetz in Aussicht stellt. Dieses neue Gesetz tritt 1976 in Kraft und soll auf einer Minderheitenfeststellung („Volkszählung besonderer Art“) basieren.233 Volksgruppenangehörige und solidarische Teile der Mehrheitsbevölkerung boykottieren sie und machen die Ergebnisse dadurch unbrauchbar. Eine Topographieverordnung sieht 1977 die Anbringung von 91 zweisprachigen Ortstafeln vor. Sie wird nicht vollständig umgesetzt. Vorerst ermöglichen das neue Gesetz und die darauf basierende Verordnung dennoch eine Beruhigung der Ortstafelfrage.234 Die 1980er Jahre beherrschen neuerlich Diskussionen um die zweisprachige Schule,235 bevor wiederum die Ortstafelfrage ins Zentrum der Auseinandersetzungen rückt und die jüngere Geschichte der Volksgruppenfrage in Kärnten prägt: Der Verfassungsgerichtshof hebt 2001 in einem Erkenntnis zur Ortstafelfrage Teile des Volksgruppengesetzes auf und folgt damit seiner Judikatur zur Amtssprache aus dem Vorjahr.236 Mit der Sanierung des Gesetzes – und der Umsetzung des „Ortstafelerkenntnisses“ – bleibt die Bundesregierung lange säumig, während die Kärntner Landesbehörden unter Führung der FPÖ-dominierten Landespolitik mehrfach die Umsetzung dieser und darauffolgender Entscheidungen des Höchstgerichtes torpedieren oder umgehen. Politische Anläufe zur Lösung der Ortstafelfrage scheitern in den Jahren 2002, 2005, 2006 und 2007. Die Bandbreite an Lösungsvorschlägen reicht inzwischen von 141 bis 163 zweisprachigen Aufschriften.237 Der Durchbruch 232
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Hierzu insb Veiter, Die Kärntner Ortstafelkommission, Arbeit und Ergebnisse der Studienkommission für Probleme der slowenischen Volksgruppe in Kärnten 1972-1975 (1980); Matscher, Die Ortstafelfrage aus Sicht der Ortstafelkommission, in Karpf/Kassl (Red), Die Ortstafelfrage aus Expertensicht. Eine kritische Beleuchtung (2006) 111 (116 ff). Volksgruppengesetz, BGBl 1976/396. Bogataj, Die Kärntner Slowenen 139 f; Valentin, Der Sonderfall 211 ff; Inzko, Geschichte 188 ff; Suppan in Valentin/Karpf/Puschnig 152; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 56 ff; Pirker in Åkermark/ Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 721 f. Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 122 ff; Materialien zum Pädagogenmodell 1988 in Unkart (Hrsg), Kärntner Pädagogenmodell und die Minderheiten-Schulreform. Die amtlichen Dokumente (1988); zur Schuldiskussion der 1980er etwa Oblak, Macht-Politik macht Schule. Ausgrenzung und Ghettoisierung der slowenischen Volksgruppe am Beispiel der zweisprachigen Volksschule in Kärnten (1984-1988) (1990); Moritsch, Nationalität und Schule, in Heuberger/Kolar/Suppan/Vyslonzil (Hrsg), Nationen Nationalitäten Minderheiten. Probleme des Nationalismus in Jugoslawien, Ungarn, Rumänien, der Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen, der Ukraine, Italien und Österreich 1945-1990 (1994) 249. VfSlg 16.404/2001 („Ortstafelerkenntnis“); VfSlg 15.970/2000 („Amtssprachenerkenntnis“). Hierzu ua Hämmerle, Die Retourkutsche: Das Ringen um zweisprachige Ortstafeln in Kärnten, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2007 (2007) 39; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 63 ff; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 78; Hiesel, Die Lösung des Kärntner Ortstafelstreites, EJM 3/2011, 173; Hiesel, Der Kärntner Ortstafelstreit, EJM 3-4/2010, 167;
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gelingt erst, als die SPÖ-ÖVP Bundesregierung im Jahr 2010 neuerlich einen politischen Prozess zur Lösung der Ortstafelfrage beginnt und zugleich eine Gesamtreform des Volksgruppenrechts verspricht: In Gesprächen und Verhandlungen zwischen Vertretern des Bundes, Landes und der Volksgruppenorganisationen entsteht der Rahmen einer Gesetzesnovelle,238 die Fragen der zweisprachigen topographischen Aufschriften und den Geltungsbereich der Amtssprache im Verfassungsrang regelt, um den Konflikt endgültig beizulegen.239 Im Nationalrat findet sie die notwendige Zustimmung und wird am 26. Juli 2011 kundgemacht.240 Eine zentrale Streitfrage des Volksgruppenkonfliktes in Kärnten ist damit vorerst vom Tisch.241 Andere Probleme, die Experten-Gespräche und Vorschläge zur Gesamtreform des Volksgruppenrechts aufzeigen, bleiben ungelöst. Die Reformbemühungen münden in einen Gesetzesentwurf, der Mitte des Jahres 2012 nicht über das Verfahren zur Stellungnahme hinauskommt. Eine Reihe weiterhin offener Fragen242 bilden einen Inhalt des zweiten Teiles der Untersuchung. In Kärnten gelingt die – in der Vereinbarung zur Lösung der Ortstafelfrage beschlossene – Einrichtung eines „Dialogforums“ und eine strukturelle Absicherung der slowenischen Musikschule durch Integration in das Regelschulwesen 2015. Im selben Jahr kommt es auch zu einer vorläufigen Einigung in der Diskussion um die Aufnahme der slowenischen Volksgruppe in die Kärntner Landesverfassung. Der gefundene Kompromiss wird zwei Jahre später, kurz vor Abschluss der Verhandlun-
Glantschnig, 10 Jahre Ringen um eine Lösung, in Beclin/Karpf/Kassl/Platzer (Red), Ein Kärnten. Die Lösung. (2012) 106. 238 Memorandum betreffend zweisprachige „topographische Aufschriften“, die Amtssprache sowie Maßnahmen für die Zusammenarbeit mit der slowenischen Volksgruppe, 26.4.2011; ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 3 f; zum Prozess eingehend Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 78 ff; aus einer Multilevel-Governance-Perspektive Maier, Die Kärntner Ortstafelregelung 2011. Ein Ergebnis des erfolgreichen Regierens auf mehreren Ebenen, in Bußjäger/Gsodam (Hrsg), Multi-Level-Governance im Alpenraum. Die Praxis der Zusammenarbeit im Mehrebenensystem (2013) 271. 239 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 6; Hesse, Einige rechtliche Anmerkungen zur Lösung der „Ortstafelfrage“ in Kärnten, in Beclin/Karpf/Kassl/Platzer (Red), Ein Kärnten. Die Lösung. (2012) 115 (118 ff). 240 Volksgruppengesetz, BGBl 1976/396 idF BGBl I 2011/46. 241 Zu offenen Fragen der Novelle ua: Kolonovits, Ortstafellösung 62; Verein der Kärntner Slowenischen Juristen, Volksgruppengesetz 2011: eine Kritik, in Petritsch/Graf/Kramer (Hrsg), Kärnten liegt am Meer. Konfliktgeschichte/n über Trauma, Macht und Identität (2012) 405; Vouk, Jenseits des Rechts. Wie es zur Ortstafellösung kam und ob es tatsächlich eine Lösung ist, in Pandel/Hren (Hrsg), Ein Jahr danach. Die Ortstafelregelung 2011 und was daraus wurde (2012) 147; Pirker, Reform 396; Hesse in Beclin/Karpf/Kassl/Platzer 115 ff. 242 Breiter als die vorliegende Arbeit skizziert Vouk, Fünf Jahre 68 ff, Ende des Jahres 2016 offene Problemlagen im Bereich der Topographie und Amtssprache, der Musikschule und des Bildungswesens, der Volksgruppenförderungen und der Partizipation.
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gen, von der Kärntner ÖVP neuerlich in Frage gestellt und es wird eine Umformulierung im Sinne der Staatszielbestimmung in Art 8 (2) B-VG vorgenommen (siehe Einleitung: B.). Diese Auseinandersetzungen bestätigen die intensive Symbolkraft der nationalen Frage in Kärnten und ihre nach wie vor vorhandene politische Wirkmächtigkeit.
III. Die nationale Frage in Südtirol243 Die nationale Frage Südtirols ist noch stärker als die Kärntner Situation, deren Wurzeln durch das Zusammenleben der beiden Gruppen weit vor die Nationali243 Einen Überblick über die Geschichte Südtirols und des Konflikts bieten ua: Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch28 (2012) 5 ff; insb 21 ff; Baumgartner (Hrsg), Feuernacht. Südtirols Bombenjahre: ein zeitgeschichtliches Lesebuch (1992); Gehler (Hrsg), Verspielte Selbstbestimmung? Die Südtirolfrage 1945/46 in US-Geheimdienstberichten und österreichischen Akten (1996); Gehler (Hrsg), Akten zur Südtirol-Politik 1945–1958. Band 1: Gescheiterte Selbstbestimmung. Die Südtirolfrage, das Gruber-De Gasperi-Abkommen und seine Aufnahme in den italienischen Friedensvertrag 1945–1947 (2012); Gehler, Tirol im 20. Jahrhundert. Vom Kronland zur Europaregion2 (2009); Peterlini, Südtiroler Bombenjahre. Von Blut und Tränen zum Happy End? (2005); Mosser-Schuöcker/Jelinek, Herz Jesu Feuer Nacht. Südtirol 1961. Die Anschläge. Die Folterungen. Die Prozesse. Die Rolle Österreichs (2011); Speckner, Südtirol in Vergangenheit und Gegenwart. Porzescharte 25. Juni 1967 – der „Höhepunkt” des Südtirolproblems, in Barlai/ Griessler/Lein (Hrsg), Südtirol. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (2014) 87; Gehler, Von St. Germain bis zum „Paket“ und „Operationskalender“: Der 50-jährige steinige Weg zur Autonomielösung der Südtirolfrage 1919–1969, in Barlai/Griessler/Lein (Hrsg), Südtirol. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (2014) 13; Oppe, Gesellschaftliche Konflikte nach dem Abschluss des Autonomiestatuts. Das Autonomiestatut 1972 und seine Folgen, in Barlai/Griessler/Lein (Hrsg), Südtirol. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (2014) 49; Alcock, Trentino and Tyrol: from Austrian Crownland to European Region, in Dunn/Fraser (Hrsg), The First World War and contemporary ethnic conflict (1996) 67; Grote, I bin a Südtiroler; Lantschner, History of the South Tyrol Conflict and its Settlement, in Woelk/Palermo/Marko (Hrsg), Tolerance through Law. Self Governance and Group Rights in South Tyrol (2008); Seberich, Südtiroler Schulgeschichte. Muttersprachlicher Unterricht unter fremdem Gesetz (2000); Eichinger, Südtirol, in Hinderling/Eichinger (Hrsg), Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten (1996) 199 (206 ff); Ermacora, Südtirol und das Vaterland (1984); Matscher, Südtirol und das Selbstbestimmungsrecht, EJM 2/2013, 119 (125 ff); Siegl, Die Autonomie Südtirols, EJM 3-4/2010, 229; grundlegend Steininger, Südtirol im 20. Jahrhundert (1999); Steininger, Südtirol. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart (2003); Steininger, Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947–1969 (3 Bd) (1999); Steininger, Autonomie oder Selbstbestimmung? Die Südtirolfrage 1956/46 und das Gruber-De Gasperi-Abkommen (2006). Zur Geschichte der Ladiner ua Perathoner, Der Schutz der ladinischen Minderheit in Südtirol, in Hilpold/Perathoner (Hrsg), Die Ladiner – eine Minderheit in der Minderheit (2005) 31; Kattenbusch, Ladinien, in Hinderling/Eichinger (Hrsg), Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderheiten (1996) 311 (314 ff), zum Ladinischen Nationalbewusstsein 321 ff.
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sierungsprozesse des 19. Jahrhunderts zurückreichen, eine Folge des Ersten Weltkrieges. Schon zuvor leugnet die Nation-Building-Politik in Italien, wie Hilpold zeigt, die sprachliche und ethnische Vielfalt des 1871 entstandenen Staates: Die Staatsbürgerschaft definiert die Zugehörigkeit zur Nation. Minderheiten werden von offizieller Seite weitgehend ignoriert. Der Nationalismus versucht, den Pluralismus des „Vielvölkerstaates“ mit einer Vielzahl von Dialekten, die zT nicht einmal Italiener untereinander verstehen, im Sinne des französischen Modells zu homogenisieren.244 Dies gelingt nicht, weil das wirtschaftliche Gefälle zwischen Nord und Süd nie überwunden und keine Verflechtung der Regionen erreicht wird, sodass viele Bereiche eine kulturelle und sprachliche Eigenheit bewahren.245 Seit dem 14. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gehört das Gebiet Südtirols beinahe durchgehend zum historischen Tirol unter dem Dach der Habsburger Monarchie (während der napoleonischen Kriege fällt Tirol 1805 an Bayern, von 1809-1813 an Frankreich). Historisch identifiziert Gehler für das Land sechs prägende Elemente seines Selbstverständnisses und des historischen Bewusstseins: „Mitbestimmung, Wehrhaftigkeit, Religiosität, Freiheitswille (…), Heimatverbundenheit und die Erhaltung der politisch-administrativen Eigenständigkeit“246. 1809 zeigen sich diese Elemente verdichtet in der Auflehnung unter Andreas Hofer gegen die französische und bayrische Fremdherrschaft – in dem Wunsch nach Eigenständigkeit und Selbstbestimmung der „Tirolischen Nation“ sieht Gehler daher die bleibende Bedeutung dieser Ereignisse, die später immer wieder politischer Mobilisierung dienen.247 Am Ende des 19. Jahrhunderts wird Südtirol besiedelt von einer fast ausschließlich deutschsprachigen Bevölkerungsmehrheit. Zu Tirol gehört der italienischsprachige Trentino, dessen Bewohner sich in urbanen Zentren kulturell-ideologisch eher zu Italien zugehörig fühlen. Die Landbevölkerung vertritt bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges eher pro-österreichische Haltungen. Im Lauf des Krieges ändert sich dies zugunsten italienischer „Irredenta“, die darauf zielt, das gesamte italienische Volk in einem Staat zusammenzufassen. Ursachen bilden das österreichische Misstrauen gegenüber der Bevölkerung und deutschnationale Agitationen, ua durch den Tiroler Volksbund.248 In Südtirol entsteht aus nationalen Schutzbe244 245 246 247 248
Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 42 f; 54 ff. Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 55. Gehler in Barlai/Griessler/Lein 15. Gehler in Barlai/Griessler/Lein 15. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 95; Rautz, Sprachenrechte 191; Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/ Puschnig 128; Voltmer, Languages in South Tyrol: Historical and Legal Aspects, in Abel/Stuflesser/ Voltmer (Hrsg), Aspects of Multilingualism in European Border Regions. Insights and Views from
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wegungen, die sich in den 1870er Jahren um die Sicherung der deutschen Kultur an den Sprachgrenzen bemühen, ein expansiver Nationalismus, den bürgerliche Parteien befürworten. Nationale Interessen, die sich zum Trentino hin erstrecken, verstärken, so Grote, die italienische Irredenta und verhärten die späteren Verhandlungspositionen Italiens.249 Auf die Südtiroler Bevölkerung wirken deutsche und italienische Nationalismen.250 Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verfügt das deutschdominierte Südtirol jedoch weder national, noch wirtschaftlich oder politisch über Verbindungen zu Italien.251 Erst im Verlauf des Krieges versprechen die Entente-Mächte, dem Königreich für einen Kriegseintritt auf ihrer Seite Südtirol und den Trentino zuzuschlagen. Der Friedensvertrag von St. Germain-en-Laye realisiert 1919 dieses Zugeständnis: Südtirol wird (wie der Trentino) an Italien übertragen, das Südtirol bereits im November 1918 mit dem Waffenstillstandsvertrag von Villa Gusti militärisch besetzt und 1920 offiziell annektiert.252 Die neuen Gebiete umfassen fünf ladinische Täler, die über Jahrhunderte zu Österreich gehören, nach den Napoleonischen Kriegen 1810 kurzfristig zwischen Bayern und Italien aufgeteilt werden und sich 1813 wieder vereint unter österreichischer Herrschaft finden. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht hier ein ladinisches Nationalbewusstsein in Abgrenzung zu den anderen Gruppen.253 Obwohl die italienische Regierung – wie die Kärntner Landesregierung den Slowenen – zusichert, die neue deutschsprachige Minderheit zu schützen, werden diese Versprechen nicht erfüllt. Stattdessen folgen – nach kurzen Tendenzen in Richtung Autonomie von 1918-1922 – intensive Phasen der „Italianisierung“.254 Sie wird ab 1922 von den Faschisten vorangetrieben und trifft auch Ladiner:255 Sie erfolgt poliAlsace, Eastern Macedonia and Thrace, the Lublin Voivodeship and South Tyrol (2007) 201 (206); Siegl, Die Autonomie 229; Grote, I bin a Südtiroler 38 ff. Der Widerstand deutschnationaler Kräfte verhindert nach Matscher Autonomie-Bestrebungen der Trentiner ab 1848. Matscher, Südtirol 125 f. 249 Grote, I bin a Südtiroler 40 ff. 250 Gehler in Barlai/Griessler/Lein 16. 251 vgl Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 45; Grote, I bin a Südtiroler 40 ff; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 95. 252 Steininger, Südtirol 11; Lantschner, History 5; Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 128; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 23; Matscher, Südtirol 126. 253 Kattenbusch in Hinderling/Eichinger 315; 320 f. 254 Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 46; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 206 f; Grote, I bin a Südtiroler 72 ff. Einen Überblick über die Maßnahmen bietet Egger, Zweisprachigkeit 20 ff; Lüsebrink, Möglichkeiten und Grenzen des rechtlichen Schutzes von Sprachminderheiten am Beispiel Südtirol/Burgenland, in Hinderling (Hrsg), Europäische Sprachminderheiten im Vergleich. Deutsch und andere Sprachen (1986) 17 (65 f ). 255 Lantschner, History 6; Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 129; Hilpold, Modernes Minderhei-
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tisch, wirtschaftlich und kulturell durch das Verbot deutscher Sprache und Kultur und die Ansiedlung italienischer Bevölkerung insb ab 1935, die von gezielter Industrialisierung vor allem um die zentrale Stadt Bozen angezogen wird. Schon 1921 müssen italienische Kinder italienische Schulen besuchen, wobei ihre Zugehörigkeit zur italienischen Sprachgruppe aus italienischen und ladinischen Namen erschlossen wird (lex corbino).256 Deutsche Vereine werden aufgelöst und 1923 Orts- und Straßenbezeichnungen durch italienische Varianten nach Arbeiten von Ettore Tolomei ersetzt – mit dem Ziel, die deutschsprachige Minderheit zu assimilieren. 257 Auch Vor- und Familiennamen sind ab 1924 und 1926 italienisch zu führen; bei den Nachnamen beenden die öffentlichen Stellen die Umwandlung nach internationalen Protesten. Namen mit den Anfangsbuchstaben A und B sind zu diesem Zeitpunkt bereits bearbeitet und hoher Druck auf die Betroffenen führt zu weiteren freiwilligen Italianisierungen.258 1923 löst die faschistische Regierung das deutsche Schulsystem auf: Alle Gegenstände sind ab der ersten Schulstufe auf Italienisch zu unterrichten, obwohl der Großteil der Bevölkerung der neuen Sprache nicht mächtig ist. Schüler, die bereits in der Muttersprache unterrichtet werden, haben von der zweiten bis zur vierten Klasse fünf, danach sechs Stunden den Italienischunterricht zu besuchen. Einzige Ausnahme bleibt der Religionsunterricht.259 1924 wird er auf die ersten drei Schulstu-
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tenrecht 46; Kattenbusch in Hinderling/Eichinger 314; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 207. 1928 lässt Mussolini in Bozen einen Triumphbogen errichten, der die Inschrift trägt: „Hic partriae fine siste signa. Hinc ceteros excoluimus lingua legibus artibus“. (Hier an der Grenze des Vaterlandes lasst uns ein Zeichen setzen. Von hier aus erzogen wir den Rest in Sprache, Recht und Kunst.) Sie symbolisiert Kontinuität zum Römischen Reich und demonstriert die Vorherrschaft der italienischen Minderheit über die Mehrheit in Südtirol. Der „Piazza della Vittoria“ (Siegesplatz) um den Bogen dient fortan als Bühne für militärische Repräsentationen. Erst im Jahr 2002 bemüht sich der Bozener Bürgermeister mit seiner Umbenennung in „Piazza della Pace“ (Friedensplatz) eine Neubewertung des Denkmals zu erreichen. Dieses Ansinnen schlägt jedoch fehl, weil Teile der italienischen Bevölkerung unter Führung der rechts-orientierten „Allianza Nationale“ die Rückbenennung erzwingen. Hierzu Stachel, Signs and the City. Meaning and Function of “Heroes’ Squares” in Central and Eastern Europe, in Wahnich/Lasticova/Findor (Hrsg), Politics of Collective Memory, Cultural Patterns of Commemorative Practices in Post-War Europe (2008) 69 (71). Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 129; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 34. Abel, Languages in Education and Training, in Abel/Stuflesser/Voltmer (Hrsg), Aspects of Multilingualism in European Border Regions. Insights and Views from Alsace, Eastern Macedonia and Thrace, the Lublin Voivodeship and South Tyrol (2007) 238. Eichinger in Hinderling/Eichinger 218; Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 129 f; Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 46; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 23. Eichinger in Hinderling/Eichinger 222 f. Egger, Sprachlandschaft 202; Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 129 f; Abel in Abel/Stuflesser/ Voltmer 238; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 23.
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fen beschränkt,260 im Jahr zuvor bereits im Bozener Unterland italienischsprachiger Unterricht eingeführt. Erst mit dem Konkordat 1929 darf Religionsunterricht außerhalb der Schule in Deutsch erfolgen.261 Um der „Italianisierung“ zu entgehen, organisieren Deutschsprachige den Unterricht in „Katakombenschulen“, die von Mitgliedern des Klerus und der ehemaligen Lehrerschaft geführt und durch Schmuggelei aus Österreich mit Materialien versorgt werden, die deutschnationale Kreise besorgen. Daraus resultiert eine Verbindung von klerikal-konservativer und deutschnationaler Ausrichtung.262 Im Untergrund lehren die Schulen weiterhin Deutsch. Sie erreichen wegen der beschränkten Mittel kein hohes Niveau.263 Dennoch leisten sie in der Bedrohungsphase – gemeinsam mit den erlaubten deutschsprachigen Gottesdiensten – einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der deutschen Sprache und Kultur in Südtirol.264 Eine besondere Rolle der Kirche und Religion ergibt sich zudem aus der Gleichsetzung Mussolinis mit einem atheistisch-zentralistischen System, das vielen Südtirolern widerstrebt und Teile des Klerus zum Widerstand motiviert.265 Den Höhepunkt erreichen die Angriffe auf die Identität der Minderheit, als die Regierung des faschistischen Italien – gestützt auf ein Umsiedlungsabkommen mit dem Deutschen Reich – die deutschsprachige Bevölkerung 1939 vor die Wahl stellt, Südtirol zu verlassen und für die deutsche Staatsbürgerschaft im Deutschen Reich zu optieren oder als italienische Staatsbürger – ohne Minderheitenschutz – in Südtirol zu bleiben und die deutschsprachige Identität abzulegen („Option“).266 Die Maßnahmen treffen auch die Ladiner, deren Gebiete 1927 auf drei Provinzen aufgeteilt werden. Diese Aufteilung besteht nach dem Krieg fort.267 Obwohl sich von 246.036 optionsberechtigten Personen mehr als 211.000 (86%) für das Deutsche Reich entscheiden, werden nur ca 75.000 umgesiedelt, bevor die Maßnahmen mit 260 261 262 263 264
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Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 130. Eichinger in Hinderling/Eichinger 218. Egger, Sprachlandschaft 202; Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 130; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 23; Grote, I bin a Südtiroler 76 f. Grote, I bin a Südtiroler 76 f; Egger, Zweisprachigkeit 22 f. Hierzu eingehend Seberich, Südtiroler Schulgeschichte; vgl Egger, Sprachlandschaft 202; Eichinger in Hinderling/Eichinger 248; Haller in Atz/Buson 35; Egger, Zweisprachigkeit 23; Haller, Sprache – Sprache Identität und sozialer Zusammenhalt, in Becker/Krätschmer-Hahn (Hrsg), Fundamente soziale Zusammenhalts, Mechanismen und Strukturen gesellschaftlicher Prozesse (2010) 21 (35). Haller in Atz/Buson 29. Fränkel-Häberle, Linguistic Rights and the Use of Language, in Woelk/Palermo/Marko (Hrsg), Tolerance through Law. Self Governance and Group Rights in South Tyrol (2008) 259 (260); Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 130; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 24 f; Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 46 f; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 207; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 96. Kattenbusch in Hinderling/Eichinger 314.
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Fortschreiten des Krieges zum Erliegen kommen. Nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes 1943 besetzt die Deutsche Wehrmacht Südtirol als „Operationszone Alpenvorland“ und wird von Teilen der Bevölkerung als „Befreier“ wahrgenommen.268 Am Ende des Zweiten Weltkrieges untersteht Südtirol erneut der italienischen Staatshoheit. Ein Teil der „Optierer“ (25.000) kann als italienische Staatsbürger nach Südtirol zurückkehren, wo inzwischen rd 100.000 Italiener leben. Ideologisch bleiben Spannungen zwischen den „Optierern“ und jener Minderheit, die sich als „Dableiber“ für den Verbleib ausgesprochen hatte. Je nach Standpunkt bezichtigen sich diese Gruppen wechselseitig des „Verrats“ und berufen sich auf „Heimattreue“ oder „Opferbereitschaft“.269 Diesen Bruch in der Gruppen identität, den die Option in der zuvor überwiegend pro-deutsch orientierten Bevölkerung auslöst, verdeutlicht Grote und betont, es verbiete sich, in „dieser Situation noch von ‚einer‘ kollektiven Identität Südtirols nach 1938 zu sprechen“270. Erst nach dem Krieg gelingt es, wie Eichinger darlegt, die gesellschaftliche Spaltung der Option, die zur Entscheidung zwischen regionaler und ethnisch-kultureller Identität zwingt, einigermaßen aufzufangen.271 In Gegensätzen zwischen „Gehern“ und „Dableibern“ bestehen sie fort, treten aber durch die Integrationswirkung der 1945 als Sammelbewegung entstehenden Südtiroler Volkspartei (SVP) nicht offen zutage.272 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges intensivieren sich in Österreich und Südtirol die Erwartungen, durch Ausübung des Selbstbestimmungsrechts eine Rückkehr zu Österreich zu erwirken, doch die Außenministerkonferenz beschließt in Paris 1946 den Verbleib Südtirols bei Italien. Österreichs Forderung nach einer Volksabstimmung und Grenzberichtigung setzt sich nicht durch.273 Österreich betrachtet die Südtirolfrage als gesamtösterreichisches, nicht bloß tirolerisches, Anliegen274 und engagiert sich, wie Jugoslawien für die Kärntner Slowenen und Burgenlandkroaten, für Schutzrechte für die deutschsprachige Minderheit in Südtirol: 268
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Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 130; Egger, Zweisprachigkeit 35 ff; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 25; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 96. Zu nationalsozialistischer Organisation vor der Okkupation Grote, I bin a Südtiroler 96 ff; 138 ff; 146 f. Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 130; Eichinger in Hinderling/Eichinger 247; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 25 f; Grote, I bin a Südtiroler 103 ff; 146 ff; Egger, Zweisprachigkeit 35 ff. Grote, I bin a Südtiroler 108. Eichinger in Hinderling/Eichinger 248. Grote, I bin a Südtiroler 138. Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 131; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 26; Grote, I bin a Südtiroler 146 ff; Matscher, Südtirol 127 f; Gehler in Barlai/Griessler/Lein 20. Gehler in Barlai/Griessler/Lein 19.
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1946 sichert das Gruber-De Gasperi-Abkommen die Schutzfunktion Österreichs gegenüber der deutschsprachigen Minderheit und gewährt ihr besondere Rechte. 1947 wird es dem Friedensvertrag von Paris angeschlossen und mit einem ersten Autonomiestatut, das auch Rechte der Ladiner vorsieht,275 für die Region Südtirol-Trentino 1948 umgesetzt.276 Es garantiert autonome Gesetzgebung und Verwaltung, Gleichberechtigung bei der Besetzung öffentlicher Ämter, Kompetenzen im Schulwesen, ein Recht auf kulturelle Entfaltung, die Wiederherstellung italianisierter Familiennamen und zweisprachiger Ortsbezeichnungen. Das Statut umfasst nicht nur Südtirol, sondern auch die italienische Provinz Trentino, wodurch die deutschsprachige Bevölkerung – trotz neuer Kompetenzen – in der Gesamtregion einer italienischen Mehrheit gegenübersteht.277 Die Kompetenzverteilung begünstigt die Region und den Staat gegenüber den Provinzen. Für die Minderheit ergibt sich eine „doppelte Majorisierung: einerseits im Zentralstaat Italien und andererseits in der Region mit dem Trentino“.278 Gehler bemerkt, dass lange Zeit kein Verständnis für das Gruber-De Gasperi-Abkommen herrscht und es als untaugliches Instrument für den Minderheitenschutz angesehen werden muss.279 Auch hinsichtlich des Gebrauchs der deutschen und ladinischen Sprache erachtet Rautz den Zweck des Vertrages von Paris „keinesfalls als erfüllt“.280 Die Bevölkerungsverhältnisse in der Region, die mangelhafte Umsetzung der Autonomie, zentralstaatliche Repressionen und Auseinandersetzungen um Wohnbauprogramme für neue italienische Bevölkerungsteile in Bozen rufen eine breite Protestbewegung hervor, die von ersten Sprengstoffanschlägen 1956/57 begleitet wird. SVP-Landeshauptmann Magnago gelingt es, die spannungsgeladenen Proteste mit einer „Los von Trient“-Parole 1957 unter SVP-Führung zu kanalisieren, nachdem mehrere Bombenattentate die Atmosphäre anheizen. 1959 verlässt die SVP aus Protest die regionale Regierung.281 275
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Perathoner in Hilpold/Perathoner 63 weist darauf hin, dass trotz des „dürftigen“ Bezuges auf die ladinische Volksgruppe die Tragweite der Norm im Autonomiestatut nicht zu unterschätzen ist, da erstmals – entgegen der italienischen Position in den Verhandlungen zum Pariser Vertrag 1946 – „die Ladiner als Volksgruppe mit eigener Schule, Toponomastik und Kultur anerkannt wurden“. Eichinger in Hinderling/Eichinger 248; Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 131; Voltmer in Abel/ Stuflesser/Voltmer 207; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 26; Grote, I bin a Südtiroler 146 ff. Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 131 f; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 207; 239; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 26; Siegl, Die Autonomie 230; Grote, I bin a Südtiroler 154; Gehler in Barlai/Griessler/Lein 20 f. Gehler in Barlai/Griessler/Lein 23. Gehler in Barlai/Griessler/Lein 20 f. Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 132. Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 208; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 32 f;
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Die Unzufriedenheit mit der Umsetzung der Autonomie führt in den 1960er Jahren zu weiteren Sprengstoffanschlägen und Übergriffen auf die italienische Staatsgewalt und ihre Symbole durch Angehörige der Minderheit, die sich im „Befreiungsausschuss Südtirol (BAS)“ konzentrieren, der bereits 1956 entsteht.282 Nach dem Scheitern bilateraler Verhandlungen „internationalisiert“283 Österreich die Südtirolfrage 1960 und 1961 vor den Vereinten Nationen, die in zwei Resolutionen Österreich und Italien zu Verhandlungen über die Beilegung ihrer Differenzen auffordern.284 Eine derartige „Internationalisierung“ hat Jugoslawien in diplomatischen Korrespondenzen in der Kärntner Frage mehrfach angedroht, aus ökonomischen und politischen Gründen aber stets davon abgesehen.285 In der Südtirolfrage führen neuerliche Verhandlungen – nach der Sprengung von 37 Strommasten in der „Bozener Feuernacht“ und Anschlägen auf oberitalienische Eisenbahnlinien 1961 – zur Einsetzung einer „Neunzehner-Kommission“ durch die italienische Regierung. Die Kommission ist zusammengesetzt aus Deutschsprachigen, Ladinern und Italienern. Sie erarbeitet bis 1964 ein Maßnahmenpaket, das umstritten bleibt, aber die Basis legt für weitere Verhandlungen und das spätere „Südtirol-Paket“.286
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Grote, I bin a Südtiroler 162 ff; Matscher, Südtirol 130; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 96; Gehler in Barlai/Griessler/Lein 25 ff; zu diesen Konfliktphasen vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung Haller, South Tyrol – An economic or political success story? An investigation of the factors contributing to the solution of an ethnic-national conflict, in FS Steurer (2006) 131 (138 f ). Grote, I bin a Südtiroler 166 ff; Speckner in Barlai/Griessler/Lein 87. Gehler in Barlai/Griessler/Lein 28 f weist darauf hin, dass alle Versuche der Internationalisierung nur zu einer Bilateralisierung der Südtirolfrage führen, da selbst die Vereinten Nationen nur zur Regelung des Problems auf zwischenstaatlicher Ebene aufrufen; dennoch wirkt dieses internationale Forum nachhaltig auf die Lösung ein, entbilateralisiert sie und verhindert eine rein inneritalienische Problemlösung. Die UNO fasst zur Südtirol-Frage zwei Resolutionen: 1497/1960 und 1661/1961. Rautz in Karpf/ Kassl/Platzer/Puschnig 132 f; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 208; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 33 ff; Grote, I bin a Südtiroler 168 ff; Gehler in Barlai/Griessler/Lein 28 f. Barker, The Slovene ethnic minority 282 ff; Csarmann/Heinrich, Österreich – Jugoslawien: Konflikt und Kooperation in den bilateralen Beziehungen, in Höll (Hrsg), Österreich- Jugoslawien: Determinanten und Perspektiven ihrer Beziehungen (1988) 33; Höll, Das Minderheitenproblem in den Österreichisch-Jugoslawischen Beziehungen – Ein historischer Exkurs, in Höll (Hrsg), Österreich- Jugoslawien: Determinanten und Perspektiven ihrer Beziehungen (1988) 205; Urban, Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und Jugoslawien 1955–1985, in Höll (Hrsg), Österreich- Jugoslawien: Determinanten und Perspektiven ihrer Beziehungen (1988) 253; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 76 ff; 86; Valentin, Stolperstein oder Brücke? Die Rolle der Volksgruppen im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Kärnten-Slowenien (1918–2011), in Anderwald/Karpf/Valentin (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2002 (2002) 253 (255 ff). Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 208; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 38;
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Weitere Anschläge ab 1961/62, die Menschen gefährden und Todesopfer fordern, werden weitgehend abgelehnt, wogegen die Anschläge der Feuernacht noch teilweise auf Verständnis in der Tiroler und Österreichischen Öffentlichkeit stoßen.287 Ab 1964 gibt es erste Opfer unter italienischen Sicherheitsbeamten und bis 1967 werden mehrfach Anschläge auf italienische Carabinieri und Soldaten der Guardia di Finanza verübt.288 Den Höhepunkt erreichen die Spannungen 1967, als vier italienische Militärs durch Tretminen auf der Porzescharte nahe der österreichischen Grenze tödlich verletzt werden.289 Für die zwischenstaatlichen Beziehungen wirkt dies negativ: Italiens Außenminister setzt sich gegen Verhandlungen der EWG und EGKS mit Österreich ein und Österreich bleibt bemüht, den Konflikt rasch beizulegen.290 1969 einigen sich die Außenminister Österreichs und Italiens auf ein Paket mit 137 Maßnahmen und einen Operationskalender zu dessen Umsetzung. 1972 tritt ein zweites Autonomiestatut in Kraft.291 Eine Grundlage für diesen Durchbruch ortet Grote in einem Übergang vom Nationalismus zum Regionalismus, den Sprengstoff-Attentäter in Prozessen (sog „Mailänder Prozesse“) bereits nach den Anschlägen 1961 artikulieren. Sie zielen nicht (mehr) auf Selbstbestimmung durch Abspaltung von Italien, sondern – wie die SVP,292 Wien und Rom – auf die Gestaltung der Autonomie in Italien.293 Diese soll nach 1972 in 18 Stufen verwirklicht werden: Die Kompetenzverteilung verschiebt sich in zentralen Agenden der Gesetzgebung und Vollziehung von der Region zu den nun innerhalb der Region autonomen Provinzen Trentino und Bozen. Die Prinzipien des ethnischen Proporzes und sprachlicher Parität gelten für alle öffentlichen Entitäten Südtirols (außer Militär und Polizei) und der Verfassungsrang sichert den Bestand der Sprachgruppen. Seit 1972 ist eine Zweisprachigkeitsprüfung („Patentino“) Voraussetzung für den Staatsdienst und ethnischer Proporz sichert die Verteilung öffentlicher Stellen nach der zahlenmäßigen Stärke der Sprachgruppen, um die Verwaltung durch Beamte der ei-
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Grote, I bin a Südtiroler 176 ff; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 96; Gehler in Barlai/Griessler/ Lein 30; Speckner in Barlai/Griessler/Lein 87. Gehler in Barlai/Griessler/Lein 31. Speckner in Barlai/Griessler/Lein 88 f. Gehler in Barlai/Griessler/Lein 33; Speckner in Barlai/Griessler/Lein 87 ff. Zu den Folgen der Ereignisse auf der Porzescharte eingehend Gehler in Barlai/Griessler/Lein 33 ff; Speckner in Barlai/Griessler/Lein 89 ff. Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 133; Eichinger in Hinderling/Eichinger 248; Voltmer in Abel/ Stuflesser/Voltmer 208 f; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 33 ff; 38 ff; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 96; Gehler in Barlai/Griessler/Lein 35; 37 ff. Die SVP präzisiert diese Vorstellung der Selbstbestimmung als möglichst umfassende Autonomie in ihrem Parteiprogramm 1993; eingehend Grote, I bin a Südtiroler 225 ff. Grote, I bin a Südtiroler 181 f.
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genen Gruppe und den Verkehr in der eigenen Sprache sicherzustellen (Art 62 und 89 Autonomiestatut 1972). Die Landesregierung hat dem Verhältnis der Gruppen im Landtag zu entsprechen, in dem ein Sitz jedenfalls einem Ladiner vorbehalten ist (Art 50 und 62 Autonomiestatut 1972). Grundlage dieses Systems ist seit 1981 eine Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, die Volkszählungen beigegeben ist und seit 1991 gestattet, keine Erklärung abzugeben, aber eine Angliederungserklärung verlangt für den Fall der Bewerbung um öffentliche Stellen. Insgesamt benötigt die Erlassung der Durchführungsbestimmungen des zweiten Statuts 20 Jahre.294 1992 anerkennt Österreich in einer offiziellen Streitbeilegungserklärung vor den Vereinten Nationen die Erfüllung des „Südtirol-Pakets“. In Erfüllung der Vereinbarung unterwerfen sich Österreich und Italien der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes, der über künftige Streitigkeiten aus dem Gruber-De Gasperi-Abkommens entscheidet.295 Die SVP präzisiert 1993 in ihrem Parteiprogramm öffentlich ihre Vorstellung vom Selbstbestimmungsrecht als „umfassende Autonomie“, später „Vollautonomie“, und vollzieht nach Grote den Wandel vom Nationalismus zum Regionalismus.296 Ähnlich ortet Pallaver ab dem zweiten Autonomiestatut eine Entwicklung der SVP von einer Autonomiepartei zu national-föderalistischen Ausrichtungen.297 Die Autonomie garantiert der Provinz Südtirol den überwiegenden Teil der exekutiven und legislativen Rechte, ausgenommen die Bereiche des Militärs, der Justiz, Polizei und einzelner kleinerer Agenden.298 Gegen Südtiroler
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Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 133; Eichinger in Hinderling/Eichinger 210; Voltmer in Abel/ Stuflesser/Voltmer 209 f; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 39 ff; Siegl, Die Autonomie 231; Grote, I bin a Südtiroler 186 ff; 217 ff. Zu den einzelnen Durchführungsbestimmungen der Autonomie: Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 58 ff; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 97; Gehler in Barlai/Griessler/Lein 37 ff. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 97. Grote, I bin a Südtiroler 225 ff; Olt, Korrekturen am Südtirol-Bild, in Barlai/Griessler/Lein (Hrsg), Südtirol. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (2014) 113 (115); SVP, Das neue Programm der Südtiroler Volkspartei. Beschlossen von der Landesversammlung am 8. Mai 1993, in: http://www. svp.eu/smartedit/documents/presse_downloads/grundsatzprogramm.pdf (31.10.2013); SVP, Auf dem Weg zur Vollautonomie, in: http://www.svp.eu/smartedit/ documents/download/vollautonomie-konzept.pdf (31.10.2013). Pallaver stellt zudem fest, dass die SVP nur in der Zeit von Mai 1945 bis zum Abschluss des Pariser Abkommens 1946 als „irredentistische“ Partei charakterisiert werden kann; Pallaver, Südtirols Parteien und Parteisystem im Wandel. Trends und Perspektiven, in Grote/Siller (Hrsg), Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen (2011) 259 (271). Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 135; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 41 ff; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 98 ff. Zu den Kompetenzen der Provinz eingehend Riz/Happacher, Grundzüge des italienischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Aspekte der Südtiroler Autonomie (2013) 325 ff.
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Landesgesetze kann der Staat seit einer Verfassungsreform 2001 kein Veto mehr einlegen, sondern nur Klage beim Verfassungsgerichtshof einbringen und es ist kein römischer Sichtvermerk mehr nötig.299 Die Reform erweitert die Autonomie und die primäre Gesetzgebungskompetenz des Landes und der Name „Südtirol“ findet Eingang in die Verfassung.300 Zehn Jahre später entsteht zwischen Tirol, Südtirol und dem Trentino ein Europäischer Verbund für Territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) „Euregio Tirol-Südtirol-Trentino“.301 Deutschsprachigen und Ladinern sichert die Autonomie besondere Rechte, deren Kern der ethnische Proporz bildet. Ihnen verdankt das Südtiroler Modell die Zuschreibung, eines der erfolgreichsten Reglements für das Zusammenleben von Minderheit und Mehrheit darzustellen.302 Wie zutreffend diese Beurteilung des „power-sharing-Modells“, das auf der Trennung der Gruppen und ihrer Verpflichtung zur Zusammenarbeit beruht,303 tatsächlich ist, zeigen die nächsten Abschnitte im Vergleich mit den Kärntner Entwicklungen.
IV. Parameter der Minderheitensituationen Ein Vergleich der Minderheitensituationen und ihrer Entwicklung in Kärnten und Südtirol legt historische, ökonomische, realpolitische, kulturelle und ideologische Faktoren offen, die unterschiedliche Konzeptionen und Wirkungen der Minderheitenschutzmodelle beeinflussen und erklären. In Österreich entwickelt sich das Minderheitenschutzreglement über einen langen Zeitraum ab 1867 und in mehreren verfassungsrechtlichen Phasen. Italien setzt ab 1948 einen völligen Neubeginn mit einer neuen Verfassung und Autonomiestatuten aufgrund internationaler Verpflichtungen.304 Trotz repressiver historischer Entwicklungen sichern nach Hilpold einige Faktoren das Überleben der Minder299 300
301 302 303
304
Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 135; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 47; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 97. Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 47. Eingriffe des Staates in die Gesetzgebungskompetenz der Provinz, die sich im Bereich transversaler Materien ergeben, die die Reform vorsieht, kann die Provinz in den folgenden Jahren, wie Perathoner bemerkt, jedoch nur teilweise erfolgreich vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpfen. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 97. Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 50. Woelk/Palermo/Marko, Editor’s Preface. Tolerance through Law, in Woelk/Palermo/Marko (Hrsg), Tolerance through Law. Self Governance and Group Rights in South Tyrol (2008) xi. Wolff, Complex Power Sharing as Conflict Resolution: South Tyrol in Comparative Perspective, in Woelk/Palermo/Marko (Hrsg), Tolerance through Law. Self Governance and Group Rights in South Tyrol (2008) 329. Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 48.
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heiten in Kärnten und Österreich: ein partielles Fortwirken der „Volksgruppentradition Österreich-Ungarns“, völkerrechtliche Schutzinstrumentarien nach 1955, internationale, multilaterale und universale Regelungen, die Österreich mit erarbeitet, und seine außenpolitische Reputation, die in der internationalen Behandlung der Südtirol-Frage an dem Umgang mit den Minderheiten im eigenen Land gemessen wird.305 Die Erfolge des Südtirol-Modells differenziert Pan in kulturell-minderheitenpolitischer und sozialökonomisch-entwicklungspolitischer Sicht.306 Historisch gehört zu Erfolgsfaktoren der jüngeren Geschichte der entschlossene Einsatz des „Mutterlandes“ Österreich307 für die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols und die Festschreibung seiner „Schutzfunktion“ im Gruber-De Gasperi Abkommen und im Pariser Vertrag – eine Funktion, die alle politischen Parteien in Österreich seither überwiegend einheitlich ausüben und die von der Südtiroler Bevölkerung – repräsentiert durch die SVP – goutiert wird.308 Die Absicherung der Autonomie und Minderheitenrechte durch das Paket und den Operationskalender identifiziert Perathoner als im internationalen Recht „singuläre Stufenlösung“.309 Durch die über 20 Jahre währende Umsetzungspolitik konnte sich ein „Minderheiten- und Autonomiebewusstsein“ entwickeln.310 Lokal besteht breiter Konsens in Politik und Bevölkerung für eine aktive Autonomiepolitik anstelle von Sezession, der die italienische Regierung über weite Strecken positiv gegenübersteht.311 Zudem werden alle Konfliktparteien – durch die Kommission, Verhandlungen auf internationaler Ebene und die Zustimmungen beider nationaler Parlamente – in die Aushandlungsprozesse einbezogen.312 Das Modell Südtirol ist Ergebnis komplexer Verhandlungen und Prozesse auf zwischenstaatlicher, innerstaatlicher und landesinterner Ebene.313 305 306 307 308
309 310 311
312 313
Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 54. Pan in Hafner/Pandel 180. Zu den sozioökonomischen Faktoren auch Haller in FS Steurer 138 ff. Pan in Barlai/Griessler/Lein 159 bezeichnet die Erfolge als „nachweisbar und messbar“. An dessen Seite zu berücksichtigen ist die politische Schutzmacht Deutschland, so Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 107. Pan in Hafner/Pandel 183; vgl Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 135; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 220; Siegl, Die Autonomie 231; Toggenburg/Rautz, ABC 17 ff; Matscher, Südtirol 130; Pfeil in Grote/Siller 49; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 107. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 107. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 107. Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 135; vgl Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 220; Toggenburg/ Rautz, ABC 17 ff; Grote, I bin a Südtiroler 270. Haller in FS Steurer 149, dort zur Rolle der politischen Führungspersonen (143 ff); Matscher, Südtirol 130; Pfeil in Grote/Siller 49; Lüsebrink in Hinderling 75 f. Pfeil in Grote/Siller 50. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 106.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Seine Schutzfunktion für die slowenische Minderheit in Kärnten nimmt Jugoslawien in weit geringerem Maße wahr und sieht stets ab von einer Internationalisierung, wie sie Österreich im Fall Südtirol Ende der 1960er Jahren betreibt.314 Die slowenische Volksgruppe selbst sieht diese Schutzfunktion lange Zeit ambivalent und fordert sie erst in den 1960er Jahren aktiv ein.315 Österreich kann die Südtirol-Frage aufgrund seiner Stellung nach wie vor internationalisieren, Slowenien steht dieses Recht dagegen nicht zu316 – trotz wiederholter politischer Drohungen, die Nachfolge in den Österreichischen Staatsvertrag zu notifizieren, wovon die slowenische Regierung nach der Ortstafellösung 2011 absieht.317 Beziehungen zu Slowenien und Jugoslawien beeinflussen, wie Jesih analysiert, die Formen der politischen Partizipation der Volksgruppe in Österreich: in Anstrengungen, die ethnische Identität der Minderheit im Nachbarland zu bewahren und in Einflussnahmen auf die Ausgestaltung ihrer politischen Organisationen.318 Sichtbar wird dies zuletzt in der Diskussion um eine gemeinsame Vertretung der Volksgruppe, als Slowenien die Förderung der Volksgruppenorganisationen reduziert und der Rat der Kärntner Slowenen (NSKS) im Frühjahr 2010 die Selbstauflösung ankündigt, um die anderen Organisationen zu einer gemeinsamen Vertretung zu bewegen, angelehnt an die politische Organisation der Minderheit in Südtirol – ein Versuch, der an der fehlenden Zustimmung in den eigenen Reihen scheitert.319 Außerdem verhindert die intensive materielle und politische Unterstützung der Organisationen durch Slowenien und Jugoslawien, die für ihre Tätigkeit und ihren Aufbau essenziell ist, nach dem Urteil Jesihs, ein aktiveres Engagement um die Partizipation an Einrichtungen des österreichischen Staates und bietet Österreich ein „Alibi“ für geringere Subventionen an die Organisationen.320 Kritik an Österreichs Volksgruppenpolitik erfolgt gerade 314
315 316
317 318 319 320
Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 131 ff; Barker, The Slovene ethnic minority 282 ff; Csarmann/Heinrich in Höll 33 ff; Höll in Höll 205 ff; Urban in Höll 253 ff; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 76 ff; 86; Valentin in Anderwald/Karpf/Valentin 255 ff. Barker, The Slovene ethnic minority 282 ff; Csarmann/Heinrich in Höll 33 ff; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 76 ff; 86; Valentin in Anderwald/Karpf/Valentin 255 ff. Österreich verneint Sloweniens Sukzession in den Staatsvertrag unter Berufung auf die clean-state Doktrin. Slowenien setzt auf das Prinzip der Kontinuität, wogegen schon die Formulierung des Art 37 StV Wien spricht: Dem Staatsvertrag kann nur ein Mitglied der Vereinten Nationen beitreten, das sich am 8.5.1945 mit Deutschland im Kriegszustand befunden hat. Hierzu Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 289 ff; Novak, Der Rechtsschutz der slowenischen Minderheit in Österreich vor dem Hintergrund des neuen völkerrechtlichen Minderheitenschutzes (2005) 188 ff, 312 ff; Pirker, Reform 399. Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 93. Jesih, Med narodom in politiko. Politična participacija koroških Slovencev (2007) 224. Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 117 f. Jesih, Med narodom in politiko 226.
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vor dem Hintergrund seiner Position in der Südtiroler Frage, da es sich dort für ein Schutzniveau einsetzt, das Minderheiten im eigenen Land nicht zugestanden wird.321 Politisch verfolgen die Vertreter und Organisationen der slowenischen Volksgruppe unterschiedliche Strategien (hierzu B.II.c.): Der eher kommunistisch-liberal orientierte Flügel betreibt die Integration in bestehende Parteien, während aus dem katholisch-konservativen Teil in den 1970er Jahren mit der „Kärntner Einheitsliste (KEL)“ eine eigene Partei hervorgeht, der – auch aufgrund dieser Divergenzen – der Einzug in den Kärntner Landtag nicht gelingt.322 Die politische Vertretung der slowenischen Volksgruppe zeigt sich nach außen differenziert: Bis 2003 gibt es zwei zentrale Vertretungsorganisationen und eine Partei; ab 2003 tritt durch eine Abspaltung eine weitere Organisation hinzu.323 Historisch scheitern sämtliche Versuche, die politischen Organisationen der slowenischen Volksgruppe zu vereinheitlichen – unabhängig davon, ob sie von Jugoslawien, Slowenien, Österreich oder den Organisationen selbst ausgehen.324 Die Interessensvertretung der deutschen Minderheit in Südtirol konzentriert sich seit mehr als 60 Jahren in der Südtiroler Volkspartei (SVP). Sie bildet traditionell eine Sammelbewegung muttersprachlich deutscher und ladinischer Südtiroler, während die Italiener über keine vergleichbare Vertretung verfügen.325 Die Minderheit artikuliert daher ihre wesentlichen Standpunkte über ein zentrales Sprachrohr geschlossen nach außen, bleibt zugleich nach innen differenziert und führt einen internen Meinungsbildungsprozess – für Pan „der Schlüssel zum Erfolg“, der in Diskussionen um die Minderheitensituation zu wenig gewürdigt werde.326 In Kärnten fördert die Differenzierung der Organisationen und 321 ZB Pelinka, Österreich und seine Minderheiten, in Gstettner/Wakounig (Hrsg), Mut zur Vielfalt. Strategien gegen das Verschwinden ethnischer Minderheiten (1991) 12 (20). 322 Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 83; Smrtnik/Kulmesch, Zum inneren Differenzierungsprozess des Konfliktes zwischen den beiden Zentralorganisationen der Kärntner Slowenen nach 1945. Die Sicht des „Rates der Kärntner Slowenen“, in Karner/Moritsch (Hrsg), Aussiedlung – Verschleppung – nationaler Kampf (2005) 225 (236); Filipič, Die slowenischen politischen Parteien und Organisationen im 20. Jahrhundert, in Drobesch/Malle (Hrsg), Nationale Frage und Öffentlichkeit (2005) 67 (83); Jesih, Med narodom in politiko 225; 229; Zur Spaltung 1949 und Phasen der Annäherung Malle in Rumpler 494. 323 Hierzu ausführlich unten B.II.c. 324 Vgl Jesih, Med narodom in politiko 227. 325 Pallaver, Südtirols politische Parteien 1945–2005, in Ferrandi/Pallaver (Hrsg), Die Region Trentino-Südtirol im 20. Jahrhundert. 1: Politik und Institutionen (2007) 589 (591); Pan in Hafner/ Pandel 184; Kattenbusch in Hinderling/Eichinger 317; Grote, I bin a Südtiroler 269; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 108. 326 Pan in Hafner/Pandel 184; vgl zum Erfolgsfaktor der Geschlossenheit Siegl, Die Autonomie 231; Grote, I bin a Südtiroler 270; Pfeil in Grote/Siller 50.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
ihrer nach außen vertretenen Standpunkte die Strategie des „divide et impera“ auf Seiten des politischen Gegenübers.327 Koordinationsgremien und Bemühungen, das Vorgehen abzustimmen – zB in der Politik der „Aktionseinheit“ ab den 1960er Jahren328 oder zuletzt in der Ortstafelfrage –, ändern daran kaum etwas. Hinzu kommt eine politische Dominanz deutschnationaler Kräfte, die früher in der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ), später in den Freiheitlichen Parteien (FPÖ/BZÖ/FPK) in der Minderheitenfrage – abgesehen vom Vorgehen des SPÖ Landeshauptmannes Sima, der in den 1970er Jahren im Lichte internationaler Beziehungen versucht, auf die Minderheit zuzugehen und die Ortstafelfrage zu lösen329 – restriktiv agieren und sie vor allem im letzten Jahrzehnt nutzen, um Botschaften bei Wählern zu platzieren und Stimmen zu maximieren.330 In Südtirol verkörpert die Minderheitenpartei die wesentliche politische Kraft, die seit 1948 im Landtag mit absoluter Mehrheit vertreten ist und diese erst 2013 verliert.331 Den Kärntner Slowenen gelingt es im selben Jahr erstmals wieder mit Abgeordneten in Landtag (Grüne)332, Bundesrat (SPÖ)333 und Nationalrat (Neos) 327 Vgl hierzu allgemein etwa Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 121 f oder zur Illustration das Vorgehen des Kärntner Landeshauptmanns Dörfler und Sloweniens in den Verhandlungen um die Lösung der Ortstafelfrage: Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 92 f. 328 Jesih, Med narodom in politiko 225. 329 Valentin in Anderwald/Karpf/Valentin 255 ff; Valentin, Kärnten 111 ff. 330 Zum Umgang der Politik mit dem Recht in Kärnten und politischer Agitationen in der jüngeren Phase der Kärntner Minderheitenfrage ua Hämmerle in Anderwald/Filzmaier/Hren 59 ff; Filzmaier, Was macht die Politik mit dem Recht? Gedankensplitter zum Verhältnis von Legislative, Exekutive und Judikative in Kärnten und anderswo, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2005 (2005) 253. 331 Bei den ersten Landtagswahlen 1948 erhält die SVP 67,06% der Stimmen, 2013 45,7%. Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 77; Südtiroler Landtag, Ergebnis der Landtagswahlen vom 21.11.1948, in: http://www.landtag-bz.org/de/wahlen/wahlen-legislatur-11.asp; ORF, Südtirol: SVP verliert „Absolute“, in http://orf.at/stories/2204249/; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Landtagswahlen 2013, in http://wahlen.provinz.bz.it/ (30.10.2013). Die SVP behält weiterhin 17 von 35 Mandaten im Landtag. 332 Im Kärntner Landtag vertritt seit den Wahlen im Frühjahr 2013 Zalka Kuchling als Abgeordnete der Grünen die Volksgruppeninteressen. Sie ist zugleich stellvertretende Vorsitzende der Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen/Skupnost koroških Slovencev in Slovenk (SKS); Land Kärnten, Mag. Rosalia Kuchling, in http://www.ktn.gv.at/159454_DE-Gruene-Kuchling (10.10.2013). Ihr ebenso neu eingezogener Kollege Lojze Dolinar (Team Stronach), auch Kärntner Slowene, ist aus gesundheitlichen Gründen bereits im Juli 2013 wieder ausgeschieden; OTS, Personelle Veränderung im Team Stronach Landtagsklub, in http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130717_OTS0036/personelle-veraenderung-im-team-stronach-landtagsklub (10.10.2013). 333 Seit März 2004 ist Ana Blatnik, stellvertretende Vorsitzende des Zentralverbandes slowenischer Organisationen/Zveza slovenskih organizacij na Koroškem (ZSO), für die SPÖ als Bundesrätin
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bis 2014, ab 2014 im Europäischen Parlament,334 vertreten zu sein. Das ist eine Folge der Integration in politische Parteien. Sie bleibt abhängig von Funktionsperioden einzelner Mandatare und ihrem Engagement für volksgruppenpolitische Anliegen, die sie in den jeweiligen Parteigremien durchsetzen müssen.335 Die slowenische Einheitsliste/Enotna lista (EL) kann regional reüssieren: Neben dem Bürgermeisteramt in Bad Eisenkappel/Železna Kapla 2009/15336 und Globasnitz/Globasnica 2015 337 erobert sie einige Mandate in Gemeinderäten und kooperiert teilweise erfolgreich mit anderen Parteien – zB 1984 mit der „Grünen Alternativen Liste“, ohne den Einzug in den Landtag zu schaffen, 1986 mit den Grünen auf Bundes ebene, wobei Karel Smolle der Einzug auf einem Mandat in den Nationalrat gelingt, 1995 erfolgreich und 1999 erfolglos mit dem Liberalen Forum, 2004 mit den Grünen, woraufhin die Grünen zwei Landtagsmandate erreichen, und 2008 ohne Erfolg mit dem Liberalen Forum auf Bundesebene.338 Der ersehnte Einzug in den tätig; Parlament, Ana Blatnik, in http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_09324/index.shtml (10.10.2013). 334 Nach den Nationalratswahlen im September 2013 nimmt Angelika Mlinar, ehemalige stv Vorsitzende und Mitglied des Volksgruppentages des Rates der Kärntner Slowenen/Narodni svet koroških Slovencev (NSKS), ein Nationalratsmandat für die eben erst eingezogenen Neos ein. Der Standard, Team Stronach und NEOS erfreut über Einzug in den Nationalrat, in http://derstandard.at/1379292451857/Team-Stronach-und-NEOS-erfreut-ueber-Einzug-in-den-Nationalrat (10.10.2013); Rat der Kärntner Slowenen, Dr. Angelika Mlinar zieht in Nationalrat ein!, in http:// nsks.at/deutsch/?p=1543 (10.10.2013). Zuvor besetzt als letzter Kärntner Slowene Karel Smolle ein Mandat: Er fungiert von 1986 bis 1990 als Nationalratsabgeordneter für die Grünen und von Juni 1998 bis Oktober 1999 für das Liberale Forum; Parlament, Karl Smolle, in http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_01894/index.shtml (10.10.2013). 2014 wechselt Angelika Mlinar in das Europäische Parlament; Europäisches Parlament, Abgeordnete. Angelika Mlinar, in http://www. europarl.europa.eu/meps/de/125026/ANGELIKA_MLINAR_cv.html (01.10.2016). 335 Vgl Jesih, Med narodom in politiko 230. 336 Seit 2009 ist Franz Joseph Smrtnik – Einheitsliste/Enotna lista (EL) – Bürgermeister von Bad Eisenkappel; Die Presse, Der erste slowenische Bürgermeister, in http://diepresse.com/home/politik/ innenpolitik/461615/ Franz-Josef-Smrtnik_Der-erste-slowenische-Buergermeister (10.10.2013); EL, Gemeinde Bad Eisenkappel/ Železna Kapla, in http://www.elnet.at/gemeinde_team/badeisenkappel/ (10.10.2013). 337 Zusätzlich haben Bleiburg/Pliberk und Feistritz ob Bleiburg/Bistrica pri Pliberku zweisprachige Bürgermeister (beide SPÖ). Kleine Zeitung, Einheitsliste/Enotna lista stellt jetzt zwei Bürgermeister, in http://www.kleinezeitung.at/kaernten/voelkermarkt/4686741/Stichwahl_Einheitsliste-stellt-jetzt-zwei-Burgermeister- (01.10.2016); ORF, Erstmals zwei EL-Gemeindechefs, in http://volksgruppen.orf.at/slovenci/meldungen/stories/2699903/ (01.10.2016). Auch andere sozialdemokratische Bürgermeister erklären inzwischen – im Unterschied zu früheren Phasen des Ortstafelkonfliktes – ihre Volksgruppenzugehörigkeit, so Vouk, 68. 338 Smrtnik/Kulmesch in Karner/Moritsch 237 ff; Filipič in Drobesch/Malle 84 ff; Smolle, Die Kärntner Slowenen und die österreichischen politischen Parteien, in Moritsch (Hrsg), Kärntner Slowenen
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Landtag gelingt der Einheitsliste nicht – auch wegen der für Minderheitenparteien rigiden Mandatshürden und der nachteiligen Wahlkreiseinteilung in Kärnten.339 Ihr Erfolg bleibt auf die Region beschränkt. Dementsprechend positioniert sie sich bewusst als Regionalpartei. Erfolgreich sind die Kooperationen mit politischen Parteien insoweit, als mit dem Aufkommen der Grünen nach der KPÖ eine weitere Partei Positionen der Minderheit artikuliert, woraufhin sich die Beziehungen der traditionellen Großparteien zur Minderheit und ihren Anliegen verändern.340 Ökonomisch gehört Südtirol zu den wohlhabenden Regionen Europas.341 Obwohl 85% der Landesfläche über 1.500m Seehöhe liegen und es als überwiegend agrarische Region noch vor 50 Jahren von Abwanderungsprozessen geprägt ist,342 umfassen die Einnahmen der Provinz 2015 nach dem Haushaltsvoranschlag rund 5,33 Mrd Euro. 90%-100% der Einnahmen bleiben in der Provinz.343 Sie weist im Jahr 2010 ein Bruttoregionalprodukt je Einwohner von € 36.200,- auf.344 Das Budget des Bundeslandes Kärntens sieht für das Jahr 2015 Einnahmen von rund 2,19
339 340 341
342
343
344
1900–2000 (2000) 213 (233 f ); Valentin, Der Sonderfall, 246 ff; 257; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit, 62; 249; Jesih, Med narodom in politiko 230 ff; Malle in Rumpler 501 ff. Vgl das KEL-Erk des VfGH (VfSlg 9.224/1981; zu einer Wahlanfechtung 1999 auch 15.616/1999). Jesih, Med narodom in politiko 232 f. Das Bruttoregionalprodukt Südtirols liegt 2010 bei 18 697 Mio. Euro, der Kaufkraftstandard pro Einwohner bei 146% des EU-27 Durchschnitts; den höchsten Kaufkraftstandard erreicht Luxemburg mit 266%; Angaben aus: Eurostat, Regional Statistics illustrated, in http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/RSI/ (10.10.2013). Das BIP der Europäischen Union beträgt 2012 12 Bio 945 Mrd 402 Mio. Euro, zB Europäische Union, Die Wirtschaft, in http://europa.eu/about-eu/facts-figures/ economy/index_de.htm (10.10.2013). Zum wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand als Erfolgsfaktor Südtirols auch Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 135; Toggenburg/Rautz, ABC 18. Eichinger in Hinderling/Eichinger 201; Pfeil in Grote/Siller 51 f; Pan in Hafner/Pandel 181 f; dort finden sich weitere ökonomische Parameter. In den 1950er Jahren wanderten tausende Südtiroler in Richtung Deutschland, vor allem in das Ruhrgebiet, ab; dazu Grote, I bin a Südtiroler 191 ff. Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Bericht Haushalt 2015 in http://www.provinz.bz.it/finanzen/ download/relazione_bilancio_2015.pdf (01.12.2015). 2014 sind es rd 5,80 Mrd Euro, nach der Rechnungslegung 2014, abrufbar unter http://www.provinz.bz.it/finanzen/download/rendiconto_2014.pdf (01.12.2015); 2010 sind es rd 4,3 Mrd Euro effektive konsolidierte Einnahmen für die Provinz Bozen (für alle öffentlichen Körperschaften 6,33 Mrd Euro), aus: Astat Landesinstitut für Statistik, Statistisches Jahrbuch 2012 (2013) 501; Siegl, Die Autonomie 232; Grote, I bin a Südtiroler 216; Pan in Barlai/Griessler/Lein 160. Zur rechtlichen Ausgestaltung der Finanzautonomie Südtirols, den öffentlichen Einnahmen und ihrer finanzwissenschaftlichen Analyse Thöni/ Rier, Föderalismus in Österreich und Italien – Auswirkungen auf Tirol und Südtirol-Finanzwissenschaftliche und finanzrechtliche Aspekte, in Hilpold/Steinmeier/Perathoner (Hrsg), Rechtsvergleichung an der Sprachgrenze (2011) 353; Riz/Happacher, Grundzüge 346 ff; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 105; Olt in Barlai/Griessler/Lein 108 führt Wohlstand und Stabilität auf die regionale Selbstverwaltung zurück; beides liege „im Interesse der Staatsnation – in Südtirol der italienischen Volksgruppe – und der Minderheiten“. 2011 sind es € 36.600,-; Astat Landesinstitut für Statistik, Statistisches Jahrbuch 2012 (2013) 338.
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Mrd Euro vor,345 das Bruttoregionalprodukt liegt 2010 pro Kopf bei € 28,700,-.346 Im österreichweiten Vergleich schneidet Kärnten im Bereich „Wohlstand und Bevölkerung“ unterdurchschnittlich ab.347 Die Minderheit in Südtirol befindet sich in einer prosperierenden Region und verfügt – durch den Steuerrückfluss – über beträchtliche Ressourcen. Änderungen in der finanziellen Ausstattung Südtirols bedürfen des Konsenses mit Österreich. Dies ergibt 2014 ein Notenwechsel des italienischen Ministerpräsidenten und österreichischen Bundeskanzlers über den Abschluss eines neuen Finanzabkommens der italienischen Regierung mit den Provinzen Bozen und Trient.348 In der Europaregion Tirol arbeiten Südtirol, Trentino und Nordtirol bereits seit den 1990er Jahren zusammen und rücken durch periodische Dreier-Landtage politisch näher. In einer Erklärung 2011 beschlossen die Landeshauptleute nach gemeinsamer Regierungssitzung die Vertiefung der „Achse Innsbruck-Bozen-Trient“. Dieser „grenzüberschreitende Regionalismus“ bietet Vorteile; EU-Mitgliedschaft und gelebter Regionalismus helfen bei der Überwindung alter 345
Land Kärnten, Budgetvoranschlag 2015, in https://www.ktn.gv.at/302188_DE-Schwerpunktthema-Budget (01.12.2015); 2012 sieht das Budgetprogramm der Regierung rd 2,22 Mrd € vor, Kärntner Landesregierung, Budgetbericht und Budgetprogramm 2010 - 2014 - 2. Änderung, in http://www.ktn.gv.at/269501_DE-Budgetprogramme-Budgetbericht_und_Budgetprogramm_2010-2014_2._Aenderung_%28269501%29 (10.10.2013). 346 Statistik Austria, Das System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR), in http:// www.statistik.at/web_de/statistiken/volkswirtschaftliche_gesamtrechnungen/index.html; Kärnten erreicht 2010 einen Kaufkraftstandard, der bei 107% des EU-27 Durchschnitts liegt; das Bruttoregionalprodukt beträgt 16.055 Mio. Euro; Angaben aus: Eurostat, Regional Statistics illustrated, in http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/RSI/ (10.10.2013). 347 Die Bruttoregionalprodukt pro Einwohner liegt 2008 bei € 28.500,- (Bundes-Durschnitt etwa bei € 33.000,-), der Schuldenstand pro Einwohner 2008 bei € 2.552,-. Die Arbeitslosenquote liegt mit 8,9% 2011 über dem Österreich-Mittelwert von 6,6% (nur Wien erreicht mit 9,2% höhere Werte). Der Anteil an jungen Kärntnern, die 2009/10 ein Studium abschließen ist mit 42,9% überdurchschnittlich hoch (Durchschnitt: 45,1%), der Großteil tut dies jedoch außerhalb des Bundeslandes und kommt nicht zurück; nach Prognosen stagniert die demographische Entwicklung und sowohl Geburten-, als auch Wanderungsbilanz zeigen negative Trends; zu allen Angaben eingehend und mit zahlreichen aufbauenden Analysen: Rodiga-Lasnig/Aigner-Walder/Bliem, Wo steht Kärnten? − Die österreichischen Bundesländer im Vergleich, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2012 (2012) 347. 2013 ist Kärnten das einzige Bundesland, das gegenüber dem Vorjahr einen Bevölkerungsrückgang aufweist; Statistik Austria, Bevölkerungszahl Österreichs stieg 2012 um rund 45.000 Personen, in http://www.statistik.at/web_de/ presse/070030 (10.10.2013). Zur Entwicklung Kärntens auch Klammer/Wastl-Walter, Eine regionalgeographische Einführung, in Rumpler (Hrsg), Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland (1998) 5; zu ökonomischen Voraussetzungen und historischen Entwicklungen Karner, Kärnten im 20 Jahrhundert: Verwerfungen, Narben, Hoffnungen, in Rumpler (Hrsg), Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland (1998) 31. 348 Hierzu Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 105.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Grenzen.349 Der Europäische Verbund für Territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) Nordtirol-Südtirol-Trentino erfüllt eine Brückenfunktion in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und nützt den Minderheiten.350 Das traditionelle Siedlungsgebiet der slowenischen Volksgruppe in Südkärnten ist nach wie vor schwach entwickelt und – wie das gesamte Bundesland – von Bevölkerungsrückgang und Abwanderung in die städtischen Zentren betroffen.351 Die Landflucht entspricht gesamtösterreichischen Trends,352 die Volksgruppe leidet unter diesen Entwicklungen aber besonders, da ihr die spezifischen Rechte des Österreichischen Staatsvertrages nur im autochthonen Siedlungsgebiet zustehen: Personen, die in städtische Zentren abwandern, können diese Rechte dort nicht geltend machen. Pan benennt zwei Gefahren, die Minderheiten in demokratischen Rechtsstaaten in ihrer Existenz bedrohen: Assimilation und Abwanderung353 – beides sieht er in Südtirol „unter Kontrolle gebracht“354, in Kärnten sind beide Bedrohungen aktuell und akut. Realpolitisch ist die deutsche Minderheit in Italien jedenfalls im Bereich ihrer Autonomie die Mehrheit:355 Bei der Volkszählung 2011 unter 505.000 Einwoh349 350
Olt in Barlai/Griessler/Lein 105; 107; 109. Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 140; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 106; Olt in Barlai/ Griessler/Lein 109. 351 Vgl die Daten zum Bevölkerungsrückgang in den Bezirken bei Aigner-Waldner/Bliem, Demographie und Daseinsvorsorge in Kärnten. Herausforderungen und Lösungsansätze auf Kommunaler Ebene (2012) 4; 8 ff: Zwischen 2002 und 2012 entfällt dieser am intensivsten in Hermagor (-4,6%) und Wolfsberg (-4,2%), etwas geringer in Völkermarkt (-3,1%); der Gesamtrückgang im Bundesland liegt im selben Zeitraum bei 0,4%. Vor allem am Beginn des Erwerbslebens verlassen Personen Kärnten. Hierzu auch Rodiga-Lasnig/Aigner-Walder/Bliem, Wo steht Kärnten? 352 ff; 366. In Südtirol wächst die Bevölkerung, was seit 2002 zu zwei Drittel auf den Zuwachs aus Wanderbewegungen zurückzuführen ist; abgesehen von einigen Randgemeinden verzeichnen nahezu alle Gemeinden 2011 ein Bevölkerungswachstum – Landflucht betrifft nur 12 von 116 Gemeinden; ua Teile der ladinischen Täler; Astat Landesinstitut für Statistik, Demographisches Handbuch 2012 (2013) 15; 19 f. 352 Im Gegensatz zu den übrigen Bundesländern stagniert in Kärnten bereits die Bevölkerungsentwicklung und 19,5% der Bevölkerung sind über 64 Jahre alt (nur das Burgenland weist eine vergleichbare Überalterung auf ); Aigner-Waldner/Bliem, Demographie 4, 80 ff; von Alterungsprozessen ist auch Südtirol betroffen: 18,4% sind hier im Rentenalter; Astat Landesinstitut für Statistik, Demographisches Handbuch 2012 41 f; Von 2001 bis 2011 steigt die Bevölkerungszahl um 9% und der Ausländeranteil verdreifacht sich; Astat Landesinstitut für Statistik, 15. Volks- und Wohnungszählung 2011. Endgültige Ergebnisse, astat info 30/2013 2. 353 Pan in Hafner/Pandel 179. 354 Pan in Hafner/Pandel 179. 355 Das gilt auch sprachlich, so Eichinger in Hinderling/Eichinger 238; Eichinger, Wie typisch ist Südtirol. Zu den Strukturen mitteleuropäischer Mehrsprachigkeit, in Spillner (Hrsg), Angewandte Linguistik und Computer : Kongressbeiträge zur 18. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) e.V (1996) 185 (186).
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nern356 erklären sich357 etwa zwei Drittel zur deutschen Sprachgruppe (69,64%), ein Viertel deklarieren sich als Italiener (25,84%) und 4,52% als Ladiner.358 Die eigentlichen Minderheiten in Südtirol bilden Italiener und Ladiner.359 Es handelt sich um „Minderheiten in der Minderheit“: bei Italienern um eine gesamtstaatliche Mehrheit, die sich in einem territorial abgegrenzten Gebiet in der Minderheit befindet,360 im Fall der Ladiner um – wie Marko differenziert – eine „echte“ Minderheit in der Minderheit.361 Hilpold charakterisiert die deutsche und ladinische Minderheit als „starke“ Minderheiten im Gegensatz zu anderen Minderheiten in Italien, die nicht in den Genuss spezieller Rechte kommen.362 Diese Sonderrechte haben die Ladiner in Südtirol an der Seite der deutschsprachigen Minderheit erreicht.363 Sie bewohnen keine völlig geschlossenen Gebiete. Siedlungsschwerpunkte der Ladiner konzentrieren sich auf das Gadertal und Gröden – im Gegensatz zu den drei übrigen ladinischen Tälern in Trient und Belluno durch die Regelungen für die Provinz Bozen besonders gut geschützte Regionen.364 Dort verfügt die ladinische Bevölkerung in acht Gemeinden über eine Mehrheit mit Anteilen zwischen 84,19% (St. Ulrich) und 97,66% (Wengen).365 Aufgrund des hohen Anteils charakterisiert Egger die ladinischen Täler als „geschlossene Sprachgruppenlandschaft“,366 die, wie Kattenbusch anmerkt, durch intensiven Tourismus vor Abwanderungsbewegungen bewahrt wurde.367 Insgesamt lebt mehr als die Hälfte (56,4%) der Bevölkerung Südtirols in länd-
356 357
358 359
360 361 362 363 364 365 366 367
Am 30.6.2015 zählt Südtirol 519.145 Einwohner; Astat Landesinstitut für Statistik, Bevölkerungsentwicklung 2. Quartal 2015, astat info 55/2015 1. Unter jenen, die eine Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung abgeben. 1,68% der gültig Befragten geben nur eine Zuordnungs-, aber keine Zugehörigkeitserklärung ab, 10,3% andere (ansässige Ausländer und vorläufig Abwesende). Astat Landesinstitut für Statistik, Statistisches Jahrbuch 2012 118 f. Astat Landesinstitut für Statistik, Statistisches Jahrbuch 2012 118 f. In 103 Gemeinden ist die deutsche Sprachgruppe am stärksten vertreten, in 8 die ladinische und in 5 die italienische; Astat Landesinstitut für Statistik, Volkszählung 2011. Berechnung des Bestandes der drei Sprachgruppen in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, astat info 38/2012 10. Diesen Minderheitenstatus reklamiert sie in der jüngeren Vergangenheit häufiger, so Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 108. Marko, Autonomie und Integration 529. Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 49. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 107. Egger, Sprachlandschaft 74 f; Kattenbusch in Hinderling/Eichinger 312. Astat Landesinstitut für Statistik, Volkszählung 2011 10. Egger, Sprachlandschaft 36. Kattenbusch in Hinderling/Eichinger 317. Das Gadertal ist stärker von der Landwirtschaft geprägt, sowohl in Gröden als auch im Gadertal ist die holzverarbeitende Industrie ebenfalls von großer Bedeutung.
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lichen Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern, von denen der Großteil dörflichen Charakter aufweist.368 Italiener konzentrieren sich in Städten und Orten an Talsohlen.369 Nur fünf Gemeinden weisen eine italienische Mehrheit auf, mit Anteilen zwischen 73,80% in Bozen und 61,50% in Pfatten (dazwischen liegen Leifers, Branzoll, Salurn).370 In 103 der 116 Gemeinden Südtirols stellt die deutsche Sprachgruppe die Mehrheit: In 26 Gemeinden liegt ihr Anteil über 98%, in 65 über 95% und in 77 immer noch über 90%.371 Der Wohnort bietet für die deutsche Bevölkerung kaum Anlass für Zweisprachigkeit.372 Aufgrund der regionalen Verteilung der Sprachgruppen erachtet Egger das Territorialprinzip als Grundlage für den Minderheitenschutz in ladinischen Tälern und das Personalprinzip für die übrigen Regionen Südtirols für angemessen.373 Pfeil sieht darin Grundelemente von drei Typen der Autonomie verwirklicht: territoriale bezogen auf das gesamte Gebiet Südtirols, kulturelle im Schulwesen und lokale in den ladinischen Gemeinden.374 In Kärnten (mit 557.641 Einwohnern 2015)375 geben bei der letzten Volkszählung im Jahr 2001 nur 2,4% der Bevölkerung „Slowenisch“ als Umgangssprache an. 92,4% verwenden Deutsch als alleinige Umgangssprache.376 Gemeinden mit slowenischer Umgangssprache finden sich vor allem in den Bezirken Südkärntens: Von zwölf Gemeinden mit einem Anteil über 10% liegen sieben im Bezirk Völkermarkt, vier in „Klagenfurt Land“ und eine in „Villach Land“.377 In einzelnen Gemeinden liegt der Anteil deutlich höher (am höchsten in Zell mit 89,2%)378, ebenso in Ortschaften innerhalb der Gemeinden, in denen Anteile unterschiedlich verteilt sind: 197 weisen 2001 mehr als 10% Einwohner mit slowenischer Umgangssprache
368 369 370 371 372 373 374 375
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Astat Landesinstitut für Statistik, Demographisches Handbuch 2012 17. Egger, Sprachlandschaft 35. Astat Landesinstitut für Statistik, Volkszählung 2011 10. Astat Landesinstitut für Statistik, Volkszählung 2011 10; vgl für 1998 Egger, Sprachlandschaft 36 f. Egger, Sprachlandschaft 36; Eichinger in Spillner 186. Egger, Sprachlandschaft 36. Pfeil in Grote/Siller 51. Zum 11.6.2015; Statistik Austria, Bevölkerung zu Jahresbeginn seit 1981 nach Bundesland, in http:// www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/bevoelkerungsstand_ und_veraenderung/bevoelkerung_zu_jahres-_quartalsanfang/031770.html (01.12.2015). Statistik Austria, Volkszählung 2001. Hauptergebnisse I – Kärnten (2003) 17; Statistik Austria, Volkszählung 2001. Textband (2007) 56; zur Aussagekraft der Volkszählungsergebnisse Reiterer in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 29; zu den Kriterien und der Unterscheidung von Mutterund Umgangssprache Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 52. Statistik Austria, Volkszählung 2001. Hauptergebnisse 17 f. Statistik Austria, Volkszählung vom 15. Mai 2001. Demographische Daten. Gemeinde: Zell, in http://www.statistik.at/blickgem/vz7/g20441.pdf (24.10.2013.)
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auf.379 Während die Südtiroler Autonomie mit den Grenzen der Provinz Bozen das gesamte Siedlungsgebiet der deutschen Minderheit einschließt, findet sich in Kärnten kein klar umgrenztes zweisprachiges oder geschlossenes Siedlungsgebiet. Die slowenische Volksgruppe siedelt überwiegend verstreut, woraus Schwierigkeiten in der Umsetzung von Minderheitenrechten und der Festlegung eines zweisprachigen Gebietes resultieren.380 Die Ausdehnung eines solchen Gebietes ist ungeklärt. Die Schulverordnung 1945 erfasst jene Gemeinden, in denen 1910 zumindest 10% der Bevölkerung Slowenisch als Umgangssprache angeben.381 Seit 1955 bemühen sich die Kärntner Slowenen, dieses Gebiet als Geltungsbereich des Art 7 Z 3 StV Wien zu interpretieren, der auf ein „Gebiet mit slowenischer oder gemischter Bevölkerung“ abstellt. Rechtsprechung und Gesetzgebung kommen zu anderen Ergebnissen. Sie definieren einen engeren Geltungsbereich, der primär auf die Umgangssprache in der Volkszählung abstellt, obwohl andere Faktoren herangezogen werden könnten: ein slowenisches Vereins-, Kultur- oder Wirtschaftsleben, das Angebot zweisprachigen Unterrichts im Geltungsbereich des zweisprachigen Schulwesens oder die Präsenz und Nutzung der slowenischen Sprache in der Öffentlichkeit.382 Zumindest 164 Orte in 23 von insgesamt 132 Gemeinden verfügen inzwischen über zweisprachige Ortstafeln.383 Während die deutsche und ladinische Sprachgruppe in Südtirol wachsen384 und 379 Suppan, in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 128 f. 380 Vgl die Erörterungen des VfGH im „Amtssprachen-“ und „Ortstafel-Erk“ (VfSlg 15.970/2000 und 16.404/2001). 381 Hafner, Die Völkerrechtlichen Verpflichtungen aus Artikel 7 des österreichischen Staatsvertrags von 1955, in Pandel/Hren (Hrsg), Ein Jahr danach. Die Ortstafelregelung 2011 und was daraus wurde (2012) 221 (235); Klemenčič/Klemenčič, Die Kärntner Slowenen 66; Pirker, Wir sind Kärnten 55. 382 Vouk, Jenseits des Rechts 153. Der Geltungsbereich für die zweisprachige Topographie und Amtssprache ergibt sich seit der Novelle des Volksgruppengesetzes 2011 (Ortstafellösung) aus § 12 Abs 1 iVm Anlage 1 und § 13 Abs 1 iVm Anlage 2 VoGrG, BGBl 1976/396 idF BGBl I 2011/46; für das zweisprachige Schulwesen aus § 10 Abs 1 Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten, BGBl 1959/101 idF BGBl I 2012/36. 383 Übersicht und Gesamtzahl der Kärntner Gemeinden: Kärntner Landesregierung, Verwaltungsportal Kärntner Gemeinden, in http://www.ktn.gv.at/45086_DE-VERWALTUNG-Gemeinden (24.10.2013). 384 Bei der Volkszählung 2001 unter 460.000 (insgesamt 445.234 Erklärungen) Einwohnern erklären sich von jenen, die eine Zugehörigkeitserklärung abgeben, etwa zwei Drittel zur deutschen Sprachgruppe (69,38%), ein Viertel deklarieren sich als Italiener (26,3%) und 4,32% als Ladiner. 2,24% der gültig Befragten geben nur eine Zuordnungs-, aber keine Zugehörigkeitserklärung ab. In Bozen nehmen die Erklärungen der Zugehörigkeit zur italienischen Gruppe im Vergleich zu 1991 um 0,41% zu, jene zur deutschen um 0,33% ab; in Südtirol nimmt die Zahl der Erklärungen zur italienischen Sprachgruppe um 1,18% ab, jene zur deutschen (+1,16%) und ladinischen zu
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durch die Autonomie – mit ethnischem Proporz und institutionalisierten Aushandlungsprozessen – besonders geschützt sind,385 sinkt die Zahl der (originär) Slowenischsprechenden in Kärnten.386 Neben historischen, ökonomischen und politischen spielen dabei ideologisch-kulturelle Faktoren eine Rolle: Die slowenische Volksgruppe in Kärnten unterscheidet sich in ihren kulturellen Werten kaum von der Mehrheitsbevölkerung. Das zeigt sich deutlich im Kärntner Liedgut, der Kulinarik oder den Umgangsformen, die deutsch wie slowenisch gleich oder sehr ähnlich ausfallen.387 Auch die Religion – ein verbindendes Element der deutschen Minderheit in Südtirol, deren Beitrag zum Erhalt der Sprache in den Katakombenschulen sichtbar ist – erfüllt keine exklusiv verbindende Funktion in der slowenischen Volksgruppe.388 Historisch rekrutiert sich der Großteil der slowenischen Intelligenz aus dem Klerus und die Kirche leistet – wie in Südtirol – einen wesentlichen Beitrag zum Spracherhalt. Ein erheblicher Teil der Kärntner Slowenen orientiert sich nach 1945 christlich-konservativ und die Kirche ist bemüht, in ihren Reihen für einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu sorgen, sie umfasst aber Mehrheit und Minderheit gleichermaßen und dient nicht zur Abgrenzung der einen gegenüber der anderen Gruppe. In den Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Messen und die Wahl der Kirchensprache vor Ort wird dies sichtbar – regional handelt es (+0,01); 2001 bis 2011 zeigt sich ein ähnlicher Trend: Erklärungen zur deutschen und ladinischen Sprachgruppe nehmen leicht zu, jene zur italienischen ab. Astat Landesinstitut für Statistik, Volkszählung 2001, Berechnung des Bestandes der drei Sprachgruppen in der Provinz Bozen-Südtirol, astat info 17/2002 4 f; 11; Astat Landesinstitut für Statistik, Statistisches Jahrbuch 2012 118 f; zur Feststellung der Zunahme der Volksgruppen auch Pan in Hafner/Pandel 179 – Pan wertet diese Zunahme als Zeichen für die „Güte des durch die Südtirolautonomie gewährleisteten Minderheitenschutzes“; Eichinger gibt zu bedenken, es sei aus wirtschaftlichen Kriterien opportun, sich der deutschen Gruppe zuzuordnen; Eichinger in Hinderling/Eichinger 252. 385 Wie Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 106 anmerkt, ist scharf zwischen Autonomie- und Minderheitenrechten zu unterscheiden. Beide Bereiche verfügen aber über wechselseitige Synergien, da sich der Schutz der Minderheit, wie Perathoner anschließt, „erst im Rahmen der Autonomie entfalten und weiterentwickeln konnte“. 386 Die tatsächliche Zahl der Volksgruppenangehörigen lässt sich nicht bestimmen, da in Kärnten – aus historisch-politischen – Gründen keine „Minderheitenerhebung“ durchgeführt wird; die Zahl der Schüler, die mit Slowenischkenntnissen in die Schule kommen, geht aber jährlich zurück; hierzu Bundeskanzleramt Österreich, 3. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2011) 94. 387 Vgl zB Sturm, Ein Paradigmenwechsel in den Köpfen ist notwendig (Kritische Hinterfragung des klassischen Volksgruppenschutzes), in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2005 (2005) 221 (230 ff). 388 Zur Bedeutung der Kirche für den Spracherhalt in Südtirol Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 35; Zur Rolle der Religion Haller in FS Steurer 147 ff. Die italienische Gruppe ist dagegen weitgehend heterogen und nach Haller weniger religiös (148).
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sich nach wie vor um ein sensibles Thema zwischen deutsch- und slowenischsprachigen Kirchenbesuchern.389 Abgesehen davon spaltet die Einstellung zur Kirche die Organisationen der Volksgruppe untereinander – durch die Differenzierung in einen konservativen Flügel mit starker Verbindung zur katholischen Kirche und einen sozialistisch-kommunistischen Flügel. In Kärnten haben historische Traumata und Folgeentwicklungen – der zweifache Angriff auf die Landeseinheit, wechselseitige Übergriffe während des Zweiten Weltkrieges und spätere Konflikte um Schule und Ortstafeln – ein negatives Bild der slowenischen Sprache und des jeweiligen Nachbarlandes im Süden entstehen lassen. Slowenisch zu lernen gilt lange Zeit als nationales Bekenntnis, die Sprache in frühen Nationalisierungsprozessen als „minderwertig“, später häufig als Sprache des kommunistischen Staates Jugoslawien.390 Daraus resultiert eine ablehnende Haltung gegenüber Slowenien und seiner Sprache, deren ökonomischer Wert zwar anerkannt wird, jedoch weit hinter anderen Sprachen – zB Englisch – zurücksteht, weil es sich zwar um einen Zugang zur slawischen Sprachenwelt, aber lediglich um eine vergleichsweise kleine Sprache mit nur wenigen Sprechern handelt.391 Deutsch in Südtirol verfügt – im Gegensatz zur Situation in Kärnten – über einen sicheren Status, der die Bereitschaft der deutschsprachigen Bevölkerung zu (kontextbezogener) Zweisprachigkeit beeinflusst.392 Es knüpft an einen europaweit großen Sprachraum an und ist grundsätzlich aus ökonomischen Gründen attraktiv. Ein Prestigeunterschied des Italienischen und Deutschen besteht kaum. Die Minderheitensprache ist in allen Varietäten funktional.393 Der Spracherwerb begegnet Herausforderungen durch die Siedlungsstruktur, fehlende Kontakte, eine Vielzahl von Dialekten, die für Italiener nur schwer zugänglich sind, und den Zwang, der zum Teil mit dem Sprachenlernen verbunden wird (vgl C.III.). In Kärnten ändert sich die Einstellung zum Slowenischen erst in den letzten Jahrzehnten und Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht erreichen inzwischen Höchstwerte – eine Entwicklung, die vor dem Hintergrund des Zerfalls der kommunistischen Staatenwelt und dem EU-Beitritt Sloweniens zu sehen ist. Auch in Südtirol attestiert Rautz der EU-Integration eine verbindende Wirkung, da sie Unabhängigkeitsbestrebungen obsolet macht und Staaten und Regionen verklammert.394 In Kärnten fördert die europäi389 Vgl Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 104 f; 108 ff. 390 ZB Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 49 f; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 95. 391 Hierzu zB Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 252; 257 f. 392 Eichinger in Hinderling/Eichinger 252. 393 Eichinger in Hinderling/Eichinger 252; Eichinger in Spillner 186. 394 Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 135; so auch Haller in FS Steurer 149 ff.
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sche Integration zumindest eine Neubewertung des Nachbarlandes und seiner Sprache (C.II.c.). In Südtirol beeinflussen historische Konfliktlinien ebenfalls das Verhältnis der beiden großen Bevölkerungsgruppen und bringen gegenseitige Opferdiskurse und historische Mythen hervor, die Gruppenloyalitäten begründen.395 Dazu gehören, wie Voltmer darlegt, wechselnde Dominanzverhältnisse: der Deutschen über die Trentini396 in der Monarchie, der Italiener während der „Italianisierung“ des Faschismus, der Deutschen nach der reichsdeutschen Besetzung 1943, de facto der italienischen Bevölkerung in der Region nach 1948 und der deutschen Sprachgruppe nach dem Autonomiestatut 1972. Sie gehen einher mit widerstreitenden Erinnerungskulturen zwischen den Gruppen, aber auch innerhalb, wie die Kluft zwischen Dableibern und Optanden verdeutlicht. Sie kann innerhalb der SVP ventiliert werden.397 Die Konflikte zwischen Optanden und Dableibern werden von einer „Volkstumspolitik überlagert“,398 während sich eine ähnliche Spaltung in der slowenischen Minderheit Kärntens unter pro-kommunistischen und anti-jugoslawischen Strömungen auf verschiedene Organisationen verteilt. Südtirols Erinnerungskulturen fördern kollektive Identitäten, wechselseitige Minderheitendiskurse, in denen sich beide Gruppen als Minderheit begreifen, und Abgrenzungsstrategien, die in öffentlichen Debatten um Orts- und Flurnamen oder nationale Symbole sichtbar werden.399 Auseinandersetzungen um Toponyme ziehen sich lange durch 395
Dazu zählt Larcher etwa die Verbindung der Südtiroler mit dem Herz Jesu, die Vorstellung und Vermarktung des Landes als Paradies, die Unterdrückung im Faschismus oder Andreas Hofer-Erzählungen, die historische Traumata überdecken; so Larcher, Heimat – Eine Schiefheilung. Südtirols große Erzählungen – Ein Versuch der Dekonstruktion, in Larcher/Schautzer/Thuswald/Twrdy (Hrsg), Fremdgehen. Fallgeschichten zum Heimatbegriff (2005) 165 (172 ff). 396 Eine Gruppe von Italienern, die heute im Trentino beheimatet ist, in der Monarchie aber eine Minderheit in Tirol darstellt und für Diskussionen sorgt; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 211; vgl Veiter, Die Italiener in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie: eine volkspolitische und nationalitätenrechtliche Studie (1965). 397 Grote, I bin a Südtiroler 103 ff; 146 ff. 398 Pallaver in Ferrandi/Pallaver 590; vgl Barlai, Erfolg von separatistischen Parteien in Südtirol. Gefährung der Regionalautonomie? Eine Bilanz der Landtagswahlen 2013, in Barlai/Griessler/Lein (Hrsg), Südtirol. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (2014) 208 (212). 399 Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 211 ff; Wisthaler, Immigration and Regional Identity Politics: An exploratory comparison of Scotland (UK) and South Tyrol (I), in http://uaces.org/documents/ papers/1201/ wisthaler.pdf (01.10.2013) [UACES 42nd Annual Conference (Passau 2012)] 11; Giudiceandrea, SüdtirolerIn als Identität. Die schwierige Ausbildung von Identitätsmodellen in Südtirol, in Grote/Siller (Hrsg), Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen (2011) 281 (282 ff); zu verschiedenen Artikulationen der Erinnerungskulturen ausführlich Grote, I bin a Südtiroler 251 ff. Sie werden auch sichtbar in fehlender Aufarbeitung des Faschismus auf italienischer Seite.
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die öffentliche Diskussion. Mussolini setzte jene Toponyme, die von Senator Ettore Tolomei auf Italienisch entwickelt wurden, durch Namensdekrete 1923 und 1940 um, indem das „Pronuntario“ von Tolomei mit rund 9.000 italienischen Bezeichnungen für Örtlichkeiten in Südtirol zum amtlichen Toponymie-Buch wurde, während die Namen deutsch- und ladinischsprachigen Ursprungs verboten wurden. Der Pariser Vertrag sieht eine Verpflichtung zur zweisprachigen Ortsnamengebung vor, legt aber nicht ihren Umfang fest. Auch die Formulierungen der Autonomiestatute bleiben unklar.400 Konfliktträchtig sind auch Debatten um Relikte des Faschismus in Bozen und nationale italienische Polemik.401 Auf der anderen Seite schaffen die Zuwächse der vor allem deutschen von Oppositionsparteien (Freiheitliche, Union für Südtirol, Südtrioler Freiheit) forcierten Selbstbestimmungs- und „Los von Rom“- Sezessionstendenzen Probleme.402 Sie finden Unterstützung unter den Traditionsverbänden der „Schützen“, die in den Landesteilen der 1500 an die Habsburger gefallenen Grafschaft Tirol verwurzelt sind.403 Bestärkt werden separatistische Tendenzen von der Schuldenkrise in Italien und den Erfolgen und Zuwächsen anderer separatistischer Bewegungen in Europa (zB Schottland oder Katalonien).404 Weitere Schwierigkeiten verursachen Führungskrisen in der SVP, bedingt durch einen Korruptionsfall um die Landesenergiegesellschaft SEL, und der Generationenwechsel in der Führung.405 Semi- und Antiautonomieparteien gewinnen an Zuspruch und ihre Vertreter aktivieren bewusst die sprachlichen Konfliktlinien der Gesellschaft. Die Bildungsdiskussion verstärkt diese in den Autonomieparteien SVP, die für eine Beibehaltung der Trennung im Schulsystem eintritt und der PD, die mehrsprachige Einrichtungen anstrebt.406 Das Verhalten der Parteien verstärkt insgesamt die Bruchlinien der Gesellschaft, was sich am ethnischen Wahlverhalten der Wählerschaft zeigt (näher B.III.).407 Die genannten Faktoren lassen sich synthetisieren und vergleichen anhand eines Modells, das nach Giles et al über die „Vitalität“ einer Minderheit Aufschluss gewährt. Sie beschreibt die Fähigkeit einer Gruppe, im Intergruppenkontext einheitlich zu agieren, beeinflusst ihren Fortbestand und besteht aus den Kernbereichen
400 401 402 403 404 405 406 407
Olt in Barlai/Griessler/Lein 128 ff. Olt in Barlai/Griessler/Lein 131 ff. Olt in Barlai/Griessler/Lein 113 ff; Pan in Barlai/Griessler/Lein 161. Olt in Barlai/Griessler/Lein 120. Barlai in Barlai/Griessler/Lein 215; vgl Pan in Barlai/Griessler/Lein 158. Olt in Barlai/Griessler/Lein 127 f; Pan in Barlai/Griessler/Lein 161. Barlai in Barlai/Griessler/Lein 215 f. Barlai in Barlai/Griessler/Lein 216.
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Status, Demographie und institutioneller Einfluss.408 Zum Status gehören die ökonomische und soziale Stellung in aktueller und historischer Dimension und der Status der Sprache.409 Ökonomische Faktoren sind bedeutsam, weil eine Minderheit, um Durchsetzungsvermögen zu erreichen, wie Haller argumentiert, eines gewissen Maßes an wirtschaftlicher Autarkie und Stärke bedarf.410 Je vielfältiger die Berufsstrukturen, umso größer gestaltet sich der Anteil an qualifizierten höheren Schichten, die erfolgreichere ethnische Mobilisierung ermöglichen,411 wie sich am Beispiel der Kärntner Slowenen mit der Ausbildung einer neuen und breiteren Intelligenz ab den 1970er Jahren bestätigt. Zuvor sind sie aufgrund der sozialen Schichtung vor allem in den Phasen des einsetzenden Nationalismus in geringerem Ausmaß – nur in den unabhängigen bäuerlichen Schichten oder im Klerus – in der Lage, ihre ethnische Identität zu wahren.412 In Südtirol plädiert Haller historisch für den Zusammenhang von ökonomischer schlechter Situation der deutschen Gruppe nach dem Krieg und den intensiven Phasen des Konfliktes.413 Inzwischen verfügen beide Minderheiten wirtschaftlich über erfolgreiche Strukturen und Netzwerke, wenngleich die ökonomische Position der deutschen Südtiroler durch die Autonomie und den Steuerrückfluss in ihrer wirtschaftlich erfolgreichen Region höher zu bewerten ist als die Position der Kärntner Slowenen.414 Diese verfügen – trotz peripherem und schlecht entwickeltem Siedlungsgebiet – über gut etablierte Wirtschaftsstrukturen und bringen sich in grenzüberschreitende Unternehmungen ein,415 woraus ein stabiles Selbstverständnis resultiert, das durch die verhältnismäßig höhere Quote an
408
Giles/Bourhis/Taylor, Towards a theory of language in ethnic group relations, in Giles (Hrsg), Language Ethnicity and Intergroup Relations (1977) 307 ff; Harwood/Giles/Bourhis, The genesis of vitality theory: historical patterns and discoursal dimensions, Int’l. J. Soc. Lang. 108/1994, 167 ff. 409 Harwood/Giles/Bourhis, The genesis 168 ff. 410 Haller in Atz/Buson 30. 411 Haller in Atz/Buson 31. 412 Haller in Atz/Buson 31. 413 Eingehend Haller in FS Steurer 138 ff. 414 Vgl zum wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand als Erfolgsfaktor Südtirols auch Rautz in Karpf/ Kassl/Platzer/Puschnig 135; Toggenburg/Rautz, ABC 18 f. 415 ZB Hren, Die slowenische Volksgruppe und grenzüberschreitende Wirtschaftsprojekte zwischen Kärnten und Slowenien, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2005 (2005) 83. Der Aufbau eines bäuerlichen Genossenschaftswesens nach 1945 zeigt günstige Integrationswirkungen für die slowenische Volksgruppe; hierzu Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 83. Noch 1950 sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung im zweisprachigen Gebiet in der Agrarwirtschaft tätig; Karpf/Apovnik, Der sozio-ökonomische und politische Wandel der slowenischen Volksgruppe in ihrem autochthonen Siedlungsgebiet in Kärnten, in Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria (Hrsg), Minderheiten im Alpen-Adria-Raum. Konferenzbericht (1994) 31 (33).
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Akademikern gegenüber der Mehrheit gestärkt wird.416 Historisch ist der soziale Status beider Gruppen durch die Konfliktgeschichte geprägt: In beiden Fällen handelt es sich um ländliche Bevölkerungsteile, die in der Kärntner Situation durch das Zusammenleben der Gruppen – im Gegensatz zur deutschen Mehrheit im historischen Tirol – schon früh unter ökonomischen, später – wie die Deutschsprachigen in Südtirol – politisch-ideologischen Assimilationsdruck geraten. Die Ereignisse beflügeln in beiden Fällen ein Solidarbewusstsein für die Gruppe,417 das sich in Südtirol politisch in einer gemeinsamen Bewegung konzentriert, in Kärnten auf verschiedene Organisationen aufteilt. Der Sprachstatus ist in der Innen-, wie auch der Außenperspektive in Südtirol hoch, wogegen die Kärntner Entwicklung vielfach zu einem Ablegen der slowenischen Sprache und Wurzeln zwingt und die Sprache nur in geringem Maße gelernt wird. Erst in den vergangenen Jahren sind gegenläufige positive Trends zu beobachten (C.II.a. und c.). Mit Blick auf die Demographie418 – (nationales) Gebiet, Anzahl, Proportion, Emigration oder Immigration – wurde gezeigt, dass die deutsche Minderheit in Südtirol im Gegensatz zur slowenischen Volksgruppe in einem gesamtheitlich geschützten Gebiet siedelt, auf dem sie gegenüber der italienischen und ladinischen Bevölkerung die Mehrheit bildet. Aufgrund der Prosperität Südtirols bedroht die Abwanderung, von der die Volksgruppe in Kärnten betroffen ist, die deutsche Minderheit nicht.419 Immigrationsprozesse stellen beide Systeme vor Herausforderun-
416 Domej, Das Schulwesen 53; Suppan in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 129 ff. 417 vgl Giles/Bourhis/Taylor in Giles 311 ff; Harwood/Giles/Bourhis, The genesis 168 ff. 418 Harwood/Giles/Bourhis, The genesis 168. Hinter den Kriterien eines geschlossenes Gebietes, der Gruppengröße oder der Anzahl gemischter Ehen verbirgt sich die Grundannahme: Je geschlossener und weniger durchmischt, umso vitaler ist eine Minderheit. Für die Einordnung und Unterscheidung demographischer Faktoren trifft dieser Schluss zu, er kann aber nicht gegen gesellschaftliche Realitäten und pluralistische Gesellschaftsmodelle gewendet werden. In Südtirol sind aus historischen Gründen und institutionalisierten Prozessen Enklaven zu finden, für zukünftige Entwicklungen – vor dem Hintergrund der europäischen Integration – und die Situation in Kärnten eröffnet diese Annahme keine Perspektiven, wie die weiteren Abschnitte verdeutlichen (B.II. und C.II.). 419 Vgl die vorhergehenden Ausführungen; auch die Geschlossenheit des Gebietes und die „flächendeckende“ Autonomie ist freilich dafür ein Schlüsselfaktor. In Kärnten bestehen früh mehrgleisige negative Prozesse: So gilt die Zentrums-Peripherie-Problematik nicht nur für das Bundesland insgesamt, sondern in Südkärnten auch hinsichtlich der beiden Zentren Klagenfurt und Villach im Hinblick auf ihre Umgebung; zusätzlich verweigert sich die konservative slowenische Führung der Modernisierung; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 87. Zu den Problemen der Siedlungsstruktur und dem Spracherhalt in Kärnten auch Pohl, Zur Situation der Kärntner Slowenen aus sprachwissenschaftlicher Sicht, in Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria (Hrsg), Minderheiten im Alpen-Adria-Raum. Konferenzbericht (1994) 219 (225).
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
gen. In Südtirol besteht, wie Wisthaler und Piccoli aufzeigen, die Gefahr, Prinzipien der Segregation im Umgang mit neuen Minderheiten zu reproduzieren, in dem sie in die bestehenden Gruppen integriert und assimiliert werden, um die Proporz-Verhältnisse zu stabilisieren, wenn sich Betroffene zu einzelnen Sprachgruppen erklären, wie Ansätze der SVP nahelegen. Eine andere Möglichkeit der Trennung liegt in der Schaffung einer eigenen Kategorie neben bestehenden Gruppen.420 Das Erfordernis der Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst und in vielen Bereichen der Privatwirtschaft erhöht die Bereitschaft von Einwanderern, Deutsch zu lernen, obwohl sie dazu neigen, ihre Kinder auf italienische Schulen zu schicken und die Staatssprache zu erwerben.421 Die Südkärntner Gebiete sind wirtschaftlich wenig attraktiv und zwingen viele gut ausgebildete Volksgruppenangehörige zur Abwanderung in städtische Zentren. Auch in Österreich bestehen intensive Spannungen in der Gestaltung des Minderheitenschutzes zwischen neuen und alten Minderheiten (Teil 2).422 Die wesentlichen Unterschiede liegen im Bereich der institutionellen Unterstützung. Sie umfasst die Repräsentation in politischen Entscheidungsprozessen, Gremien und Medien, die Möglichkeit, die eigene Sprache zu erlernen, und die Förderung der Kultur. In Südtirol gewährleisten Autonomie, das – auf dem Prinzip der Segregation beruhende – Schulsystem und der institutionalisierte Aushandlungsprozess, der mit dem ethnischen Proporz einhergeht, die Unterstützung und Repräsentation der drei Sprachgruppen. Pan ortet darin wesentliche Faktoren für ihre „kulturell-sprachliche Reproduktion“ verwirklicht: Sprache, Unterricht und Chancengleichheit.423 Italienisch fungiert als nationale Amtssprache, Deutsch auf Landesebene als gleichgestellte regionale und Ladinisch im Siedlungsgebiet der Ladiner als lokale Amtssprache.424 Der Schulunterricht sichert den Sprachgruppen den 420
421 422 423 424
Wisthaler, Immigration 11; 13 ff; zur Strategie der SVP und der deutschen Sprachgruppe eingehend Piccoli, Redrawing Identity Boundaries through Integration Policies: Strategies of Inclusion/ Exclusion of Immigrants in Québec and South Tyrol, EDAP 1/2013, 1 (20). Vgl zum Spannungsfeld von Kulturbegegnung und Identitätsverlust im Autonomiesystem Siegl, Die Autonomie 233 f. Der Ausländeranteil liegt in Südtirol 2011 mit 8,7% über dem staatlichen (7,5%) und dem europäischen (2010 6,6%) Durchschnitt; Astat Landesinstitut für Statistik, Demographisches Handbuch 2012 47. Piccoli, Redrawing Identity Boundaries 20. Vgl FN 351; 419 f. Pan in Hafner/Pandel 180; Pan in Barlai/Griessler/Lein 159 f; vgl Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 220. Pan in Hafner/Pandel 180; Pan in Barlai/Griessler/Lein 159; vgl Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 102; zur Sprachregelung eingehend Riz/Happacher, Grundzüge 356 ff; vor Verwaltungsbehörden 438 ff.
A. Geschichte und Gegenwart der nationalen Fragen in Kärnten und Südtirol
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Erwerb der zweiten Sprache: Deutsche Schulen vermitteln als erste Zweitsprache Italienisch, Italienische Schulen Deutsch und in ladinischen Schulen sind Deutsch, Italienisch und Ladinisch gleichberechtigte Unterrichtssprachen.425 Besonders für Ladiner wirkt sich, wie Zappe zeigt, diese Stellung ihrer Sprache und das ethnische Zusammenleben positiv aus.426 Sie erfahren wegen ihres „absoluten“ Status als Minderheit von beiden anderen Gruppen Wohlwollen.427 Chancengleichheit unter allen Südtiroler Sprachgruppen sichert der Proporz. Er verteilt bedeutende öffentliche Ressourcen (Stellen im öffentlichen Dienst oder in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Regional- oder Landesregierung und Gemeindeausschüssen, Finanzmittel für soziale oder kulturelle Zwecke) auf die drei Gruppen nach ihrem Bevölkerungsanteil,428 der alle zehn Jahre bei den Volkszählungen durch Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung festgestellt wird,429 um, wie Pan argumentiert, „permanente Verteilungskämpfe in Schlüsselbereichen“ zu vermeiden430 und zu „entpolitisieren“, 431 wie Rautz ergänzt. In einigen Bereichen, in denen kein Proporz verankert ist, dienen als Kompromiss ein Rotationsprinzip (zB beim Präsidenten des Landtages) oder die Parität der Zusammensetzung der Organe (zB der Haushaltskommission).432 Besonderen Schutz eröffnet Art 56 des Autonomiestatuts, der vorsieht, dass die Mehrheit der Abgeordneten im Landtag die getrennte Abstimmung nach Volksgruppen verlangen kann, wenn angenommen wird, dass ein Gesetzesvorschlag die Gleichheit der Rechte zwischen den Angehörigen der Sprachgruppen oder ihre volkliche und kulturelle Eigenart verletzt.433 Alle diese Mechanismen diskriminieren, wie Perathoner zeigt, jedoch die ladinische Minderheit, der in paritätischen Gremien kein Vertretungsrecht und im Rotationsprinzip nur nachgeordnete Ansprüche zustehen.434 Die Mechanismen resultieren aus den spezifischen Voraussetzungen und Entwicklungen der Südtiroler Minderheitensituation. 425
426 427 428 429 430 431 432 433 434
Pan in Hafner/Pandel 180 f; Pan in Barlai/Griessler/Lein 160; Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 135; Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 103; Wisthaler, Landesbericht Italien, in Hofmann/ Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 30; Riz/Happacher, Grundzüge 366 f. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 103 f. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 104. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 103; zur Regelung des Proporzes Riz/Happacher, Grundzüge 368 ff. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 104; Riz/Happacher, Grundzüge 448 ff. Pan in Hafner/Pandel 181; vgl Pan in Barlai/Griessler/Lein 160. Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 135; Toggenburg/Rautz, ABC 24 ff. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 104. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 104. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 104.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
In Österreich besteht für die Volksgruppe keine Möglichkeit der direkten Mitwirkung auf die Minderheitengesetzgebung und das System erlaubt nur indirekte Partizipation in Gremien wie den Volksgruppenbeiräten. Das Fehlen institutionalisierter Partizipationsmöglichkeiten führt zur Forderung nach effektiven Instrumenten. Eine gleichberechtigte Partnerschaft zur institutionalisierten Mitbestimmung in zentralen Anliegen der Minderheit existiert nicht.435 Mit Blick auf den politischen Prozess argumentiert Jesih, der Drei-Parteien-Pakt 1976 unter SPÖ, ÖVP und FPÖ weiche ab von der österreichischen Form der Konkordanzdemokratie, die traditionell durch die Sozialpartnerschaft geprägt und davon gekennzeichnet ist, unter Einbeziehung der Betroffenen einen Konsens bei widerstreitenden Interessen zu suchen. Der Pakt konzentriert Konsenspolitik in Minderheitenfragen auf die drei großen Parlaments- und Landtagsparteien, jedoch ohne die Minderheit selbst einzubeziehen – im Gegensatz zu den institutionalisierten Aushandlungsprozessen in Südtirol.436 Erst die Entwicklung der Grün-Bewegung und spätere Partei-Kooperationen mit ihrer Integration der Minderheitenanliegen verändern diese Beziehungen, worauf auch andere Parteien reagieren, etwa die SPÖ durch Gründung einer Minderheitenfraktion.437 Dennoch sieht Hren das Paradigma des Drei-Parteien-Paktes auch im Jahr 2011 noch vollkommen intakt, da die Ortstafellösung von der Zustimmung der FPK als stimmenstärkster Partei im Kärntner Landtag abhängig gemacht wird. Allerdings weist die Dynamik dieses Paktes, die dem dritten Lager über weite Strecken ermöglicht, gegen Volksgruppeninteressen zu agieren, nun eine qualitative Veränderung auf, die in einer Neuausrichtung der Freiheitlichen Partei Kärntens selbst gründet: Durch enorme Stimmenzuwächse seit den 1990er Jahren hat sich neben dem breiteren Wählerkreis auch ideologisch ein „liberaler Flügel“ ausgebildet, angeführt von Landeshauptmann Dörfler, der sich innerparteilich für eine Lösung der Ortstafelfrage ein- und durchsetzt.438 Nach der Wahlniederlage der FPK bei den Landtagswahlen 2013 kehrt die Partei zu rigider Rhetorik in Minderheitenfragen zurück und erklärt, wieder stärker Themen wie zweisprachige Ortstafeln aufzuwerfen.439 Mit den Landtagswahlen 2013 verändern sich die politischen 435 436 437 438 439
Jesih, Med narodom in politiko 223; 234. Jesih, Med narodom in politiko 229 f; vgl Hren, Die Ortstafellösung 2011 – ein Paradigmenwechsel?, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2012 (2012) 82 (84 ff). Jesih, Med narodom in politiko 230 f. Hren in Anderwald/Filzmaier/Hren 85 f; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 87 ff. Kleine Zeitung, FPK: „Retten, was zu retten ist“, in http://www.kleinezeitung.at/kaernten/landtagswahl/ 3270559/stimmen-doerfler-co-gehen-ragger.story (01.10.2013). Kurz darauf folgt beim Parteitag der FPK der Zusatz, man dürfe nicht nur auf rechte Themen wie Ortstafeln setzen, wenn man mehr als 17% erreichen wolle; zB Format, Blaue Fusion: Die Rückkehr der Kärntner FPK zur
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol
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Verhältnisse in Kärnten: Die SPÖ wird zur stimmenstärksten Partei und bildet mit ÖVP und GRÜNEN eine „Kenia“-Koalition.440 Insgesamt negieren die politischen Systeme Österreichs und Kärntens – durch ein ungünstiges Wahlrecht für Kleinstparteien, fehlende Partizipationsmöglichkeiten, verschiedene Kooperationsformen der Minderheit mit den Parteien und die inneren Divergenzen zwischen Integration in die Parteien und die Bildung einer eigenen Bewegung –, wie Jesih ausführt, die „Doppelnatur“ der Volksgruppenangehörigen und zwingen sie häufig zur Wahl zwischen Minderheiten- und staatsbürgerlich-ideologischen Positionen, worin funktional ein Beitrag zu Diskriminierung und Assimilation gesehen werden kann.441 Teile der slowenischen Volksgruppe holen sich gerne Anleihen im Südtiroler System. Es ist jedoch, wie Perathoner zeigt, geprägt von einem „defensiven Minderheitenschutz“, der die Gruppen getrennt voneinander schützt, weshalb sich die Frage stellt, ob es „effektiv den ‚Minderheitenschutz der Zukunft‘ charakterisieren kann und als verallgemeinerungsfähiges Modell herangezogen werden kann und soll“.442 Wie es im Vergleich zur Kärntner Situation wirkt und ob es so erfolgreich auf die Herausforderungen modernen Minderheitenschutzes zu antworten vermag, wie die Parameter glauben machen und welche Lehren sich für Kärnten gewinnen lassen, analysieren die folgenden Abschnitte.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol I. Identität und Identitätskonstruktionen „Identität“ – vom lateinischen „idem“ als „Gleichheit“ oder „-sein“ zu übersetzen – steht im Zentrum breit geführter allgemeiner und wissenschaftlicher Diskurse. Sie gehört nach Jörissen zu den zentralen humanwissenschaftlichen Kategorien des 20. Jahrhunderts.443 Identität wird von verschiedensten Disziplinen – Psychologie,
440
441 442 443
FPÖ, in http://www.format.at/articles/ 1326/930/361125/blaue-fusion-die-rueckkehr-kaerntnerfpk-fpoe (01.10.2013). Land Kärnten, Landtagswahl, 3. März 2013, in https://info.ktn.gv.at/ltwahl2013/ (01.10.2016). Die Presse, „Historischer Tag“: Kärntens „Kenia-Koalition“ besiegelt, 26.03.2013, in http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/1380662/Historischer-Tag_Kaerntens-KeniaKoalition-besiegelt (01.10.2016). Jesih, Med narodom in politiko 234 f. Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 108. Jörissen, Identität und Selbst. Systematische, begriffsgeschichtliche und kritische Aspekte (2000) 9.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Soziologie, Philosophie, Geschichts-, Politik- oder Sprachwissenschaft – erforscht. Die Diskussionen sind meist der Begrifflichkeit und Logik der jeweiligen Disziplin verhaftet, woraus zwar partikulare Begriffspräzision resultiert, insgesamt aber der Inhalt von Identität und das Verhältnis der Definitionen untereinander, wie Jörissen kritisiert, unklar bleiben.444 Mitunter wird die „inflationäre“ Verwendung des Begriffs beanstandet,445 die über die Bandbreite der Konzeptionen, so Brubaker/ Cooper, nicht nur der Sprache, sondern auch der Substanz sozialer Analyse abträglich ist.446 Diese „Identitätskrise“ des Konzeptes – in seiner Mehrdeutigkeit und Gespanntheit zwischen essentialistischen und konstruktivistischen Ansätzen447 – weckt Forderungen nach einer Abschaffung oder Neu-Konzeption der Analysekategorie.448 Solche Vorschläge resultieren mit Blick auf die hier relevanten kollektiven Identitäten auch aus der Überlegung, man könne nicht von der Existenz solcher Identitäten sprechen, da es sich um Konstruktionen und fiktive Gemeinschaften handle. Wie schon zu Nationen als „imagined communities“ bemerkt (A.I.) gilt auch hier, dass sie zwar Konstrukte sein mögen, aber in der gesellschaftlichen Realität wirken und ihr Konzept nicht völlig aufgelöst werden kann, sondern sich zur Analyse kollektiver Mechanismen anbietet – unter Beachtung der Vorbehalte, gleichsam „under erasure“: durchgestrichen und dennoch in Verwendung.449 444 Jörissen, Identität 10. 445 Vgl etwa schon Mollenhauer, Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (1983) 156; Jörissen, Identität 9; Bauman, From Pilgrim to Tourist – or a short History of Identity, in Hall/du Gay (Hrsg), Questions of Cultural Identity (1996) 18. 446 Brubaker/Cooper, Beyond „identity“, Theory and Society 29/2000, 1 (2). 447 Konstruktivismus und systemtheoretische Ansätze, die nach strukturalistischen oder materialistisch-marxistischen die aktuellsten Zugänge darstellen, begreifen das Individuum als System innerhalb von Systemen, die in seiner sozialen Umwelt bestehen und zum Individuum in Wechselwirkung stehen. Darin konstruiert sich der Einzelne seine Identität und Realität grundsätzlich frei und selbst, wird jedoch von sozialen Systemen mit bestimmten Erwartungen, Rollen und Funktionen versehen. Soziale Systeme konstruieren sich aus Interaktion ihrer Elemente durch Kommunikation und basieren auf den Prinzipien der Selbstreferenz und Abschließung. Hierzu ua Simon, Einführung in die Systemtheorie und Konstruktivismus (2006) 99 ff; vgl schon Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 98 f. 448 Winkelmann, Kulturelle Identitätskonstruktionen in der Post-Suharto Zeit (2007) 20 f; Straub, Geschichten erzählen, Geschichten bilden. Grundzüge einer narrativen Psychologie historischer Sinnbildung, in Straub (Hrsg), Erzählung, Identität und historisches Bewusstsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte (1998) 81; Niethammer, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur (2002) 625 f; Brubaker/Cooper, identity 2; 34; Dornheim/Greiffenhagen, Einführung: Identität und politische Kultur, in Dornheim/Greiffenhagen (Hrsg), Identität und politische Kultur (2003) 11 (15 ff). 449 Hall, Who Needs ‚Identity‘, in Hall/du Gay (Hrsg), Questions of Cultural Identity (1996) 2 f; Hall, Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4(2004) 167 f; vgl Winkelmann, Kulturelle Identitätskonstruktionen 21; Heckmann, Ethnische Minderheiten 53.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol
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Sozialphilosophie und Politische Theorie haben mehrere Modelle kollektiver Identitäten entwickelt. In einer Typologie differenziert Emcke zwischen Modellen, die einen aktiven und selbstständigen Reproduktionsprozess von kollektiven Identitäten betonen und solchen, die vor allem passive und unreflektierte Elemente der Identitätsbildung fokussieren.450 Zum ersten Typus gehören liberal individualistische Ansätze von Rawls:451 Identitäten entstehen aus individueller rationaler Selbstbestimmung des handelnden Subjekts.452 Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft basiert auf geteilten Anschauungen oder Interessen, nicht auf Schicksal oder Gedächtnis. Nicht beachtet wird, dass Zugehörigkeiten – zB über Fremdzuschreibungen – auch unfreiwillig entstehen.453 In diesem Modell kann der Einzelne Überzeugungen der Gruppen reflektieren und revidieren. Identitäten bleiben wandelbar, in sich differenziert und multiple Zugehörigkeiten sind möglich.454 Aktive Elemente der Identitätsbildung betont auch Kymlicka,455 der als Referenzrahmen für den Einzelnen eine „societal culture“ definiert. In ihrem Sinn- und Wertehorizont orientiert sich das Individuum und verwirklicht persönliche Autonomie.456 Dem Ansatz geht es um den Schutz dieses Sinnhorizontes, in den eine Person hineingeboren ist.457 Sein Kernstück ist eine geteilte Sprache, die im öffentlichen und privaten Leben Verwendung findet.458 Kulturelle Identitäten sind keine rationalen Identifikationen, die einfach gewechselt werden können.459 Die nationale Identität kann sich ändern, es bleibt aber stets das Bewusstsein, dass es sich bei einer neuen Kultur um eine andere handelt.460 Den Austritt aus der nationalen Herkunftskultur versteht Kymlicka als Verlust.461 Problematisch ist die Annahme, individuelle Freiheit sei nur in der 450 451 452 453 454 455
456
457 458 459 460 461
Emcke, Kollektive Identitäten. Sozialphilosophische Grundlagen (2000) 25 ff. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit (1979). Rawls, Political Liberalism3 (2005) 30 ff; Emcke, Kollektive Identitäten 34 ff; 40 f. Emcke, Kollektive Identitäten 46 ff. Rawls, Justice as Fairness: Political not Metaphysical, Philosophy and Public Affairs 3/1985, 223; Emcke, Kollektive Identitäten 35 ff; 40 f. Eine Nation begreift Kymlicka als historische Gemeinschaft, die ein bestimmtes Territorium beansprucht und eine eigene Sprache und Kultur hat. Als ethnische Gruppen werden Immigranten verstanden, die ihre nationale Gemeinschaft verlassen haben, um in eine andere Gesellschaft einzutreten. Kymlicka, Multicultural Citizenship 11; 19; vgl Emcke, Kollektive Identitäten 52 ff; 57; 62. Kymlicka, Multicultural Citizenship 83; 187; Kymlicka, Liberalism, Community, and Culture (1989) 162 ff; vgl Dietrich, Liberalismus, Nationalismus und das Recht auf Selbstbestimmung, Analyse & Kritik 27/2005, 239 (243). Emcke, Kollektive Identitäten 68. Emcke, Kollektive Identitäten 68. Kymlicka, Multicultural Citizenship 76. Kymlicka, Multicultural Citizenship 121; Emcke, Kollektive Identitäten 64. Kymlicka, Multicultural Citizenship 184; vgl Emcke, Kollektive Identitäten 67. Kymlicka, Multicultural Citizenship 86; vgl Emcke, Kollektive Identitäten 68 f.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
eigenen Kultur zu verwirklichen.462Alternative und multiple Zugehörigkeiten zu mehreren Sinnhorizonten werden vernachlässigt. Zugehörigkeit wird, wie Emcke zeigt, als Eingewobenheit in eine räumlich-zeitliche Struktur präsentiert, die nicht ohne Verluste verlassen werden kann.463 Wie Dietrich kritisch hinzufügt, ist durchaus ein Übergang zu Werten und Handlungsmustern einer anderen Kultur möglich, wenngleich dies ein mühevoller Prozess sein kann.464 Die Orientierung in mehreren Sinnhorizonten beschreibt Waldron als kosmopolitische Alternative.465 Sie ist aus Sicht eines liberalen Nationalismus, der kommunitaristische mit individualistischen Ansätzen des Liberalismus verbindet,466 ebenso möglich, wie Assimilation, da der Einzelne zwar im Kontext einer nationalen Kultur aufwachse, die Vielfalt von Kulturen jedoch Alternativen aufzeige und die Mitgliedschaft zu Kollektiven und Kulturen wandelbar sei.467 In Ausnahmefällen sei es möglich, eine „Patchwork-Existenz“ ohne jegliche Bindungen zu führen,468 allerdings verlaufe der Identitätswechsel meist mühevoll und durch äußeren Druck veranlasst. Eine kosmopolitische Identität setze zudem Mobilität und hohe intellektuelle Fähigkeiten voraus.469 Für das Wohlergehen des Einzelnen gilt das Bewusstsein nationaler Zugehörigkeit als bedeutsam,470 Raz/Margalit erkennen eine stärkere Bindung daran als zu anderen sozialen Identitäten, weil dafür – anders als zB im Beruf – keine besonderen Fähigkeiten notwendig sind.471 Wie Dietrich betont, gilt dies nicht generell. Verankerungen in mehreren Kulturen sind ebenso denkbar wie eine kosmopolitische Lebensweise. In pluralistischen Gesellschaften fühlen sich Menschen oft mehreren Gemeinschaften zugehörig und verschiedene Bindungen können primär sein.472 Einen kommunikativen dialogischen Prozess der Ausformung kollektiver Identitäten betont Taylor.473 Kulturen dienen darin dem selbstbestimmten Individuum
462 463 464 465
Dietrich, Liberalismus 244. Emcke, Kollektive Identitäten 69 f. Dietrich, Liberalismus 244. Waldron, Minority Cultures and the Cosmopolitan Alternative, in Kymlicka (Hrsg), The Rights of Minority Cultures (1995) 93. 466 Dietrich, Liberalismus 241. 467 Tamir, Liberal Nationalism (1993) 25 ff; vgl Dietrich, Liberalismus 241 f. 468 Gans, The Limits of Nationalism (2003) 43 ff; vgl, Dietrich, Liberalismus 242. 469 So Nielsen, Liberal Nationalism and Secession, in Moore (Hrsg), Ethics of Nationalism (1998) 103 (127); vgl Dietrich, Liberalismus 242. 470 Nielsen, Liberal Nationalism 120; Dietrich, Liberalismus 244 f. 471 Dietrich, Liberalismus 245; Margalit/Raz, National Self-Determination, The Journal of Philosophy 87/1990, 439 (447). 472 Dietrich, Liberalismus 248. 473 Taylor, The Ethics of Authenticity (1991) 33; vgl Emcke, Kollektive Identitäten 77.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol
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als Interpretations- und Handlungszusammenhang, Kollektive als Vehikel für die individuelle Identität.474 Sie scheinen abhängig von der Zustimmung der Angehörigen, wandelbar und in sich heterogen.475 Nicht-intentionale, passive Ansätze476 fokussieren dagegen Hierarchien und Machtstrukturen. Sie betonen Dimensionen der Fremdzuschreibung, die dazu führen, dass Angehörige von Kollektiven diese Zugehörigkeit nicht frei wählen, sondern sie ihnen aufgezwungen wird.477 Für einen Multikulturalismus ohne Kultur plädiert Phillips, da gegen Multikulturalismus häufig eingewandt werde, dieser verlange authentische Identitätskonzepte von Minderheiten und fördere fixierte Identitätskonzepte.478 Sie kritisiert einen überschnellen Übergang von Multikulturalismus mit statischer Kulturvorstellung zu kosmopolitischen Ansätzen.479 Kultur spiele eine Rolle für die Selbstdefinition, die Interpretation der Umwelt und für den Aufbau sozialer Hierarchien durch die Ungleichheit von Gruppen. Gleichheitsprobleme seien nicht relevierbar, in dem kulturelle Unterschiede wegdefiniert würden, da Machstrukturen durch die Leugnung der Wirkung von Kultur als Kategorie nicht erfasst werden könnten.480 Phillips weist darauf hin, dass in Gruppen meist Eliten ihre Interpretation der gemeinsamen Kultur und Normen durchsetzen und nach außen artikulieren.481 Daher seien korporative Modelle der Rechteübertragung stets problematisch, weil sie Repräsentanten der Gruppen bestimmen und ihre Macht gegenüber anderen Mitgliedern stärken. Der Einzelne gerate bei einer solchen Gruppenperspektive aus dem Blick.482 Marko zeigt, dass Liberalismus und Nationalismus eine „identitäre Metatheorie“ teilen: Liberalismus begreife das Individuum als primäre analytische Einheit und Ziel, Nationalismus die kollektive Identität. Beides seien Konstrukte. Es gehe darum, Vielfalt zur axiomatischen „Norm“ zu erheben und dadurch Gleichheit auf Basis der Differenz zu institutionalisieren.483 474 Emcke, Kollektive Identitäten 89. 475 Emcke, Kollektive Identitäten 90 ff. 476 Dazu zählt Emcke, Kollektive Identitäten 97 ff das passive, serielle Identitätsmodell (zB Young, Together in Difference: Transforming the Logic of Group Political Conflict, in Kymlicka (Hrsg), The Rights of Minority Cultures (1995) 155) und das Modell erzwungener, ausgegrenzter Identität (nach Ansätzen Fucaults). 477 Emcke, Kollektive Identitäten 97 f. 478 Phillips, Multiculturalism without Culture (2007) 14. 479 Phillips, Multiculturalism 15. 480 Phillips, Multiculturalism 15. 481 Phillips, Multiculturalism 161. 482 Phillips, Multiculturalism 166 ff; 179. 483 Marko, Geleitwort. „Minderheitenschutz“ und Friedenspädagogik für das 21. Jahrhundert, in Pirker (Hrsg), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Skepsis erzeugen Identitätskonzepte mit Gruppenfokus aus epistemologischer Sicht. In westlich liberaler Tradition steht das Individuum im Zentrum. Gruppen gelten als Aggregate von Individuen. Liberale Gerechtigkeits- und Staatstheorien können auf individuelle Interessen Bezug nehmen und bedürfen keiner Gruppenkategorien.484 Aus post-positivistischer Perspektive handelt es sich, so Alcoff, bei Gruppen- und Identitätskonzepten um Modelle mit beschränktem Erklärungswert. Gruppen seien heterogen und Individuen Mitglieder multipler Gruppen.485 Der Horizont des Einzelnen umfasst individuelle und gruppenbezogene Aspekte, die der Einzelne interpretiert im Hinblick auf moralische und politische Implikationen der gruppenbezogenen Erfahrungen. Die Vielfalt von Erfahrungen innerhalb von Gruppen ergibt sich aus der Vielfalt der Horizonte und ihrem ausgehandelten Charakter. Gruppenidentität ist dennoch wirkmächtig und Zugehörigkeit bestimmt einen Teil des Horizonts, aber nicht die individuelle Reaktion darauf.486 Aus anthropologischer Perspektive impliziert ein moderner Kulturbegriff Heterogenität und Multivokalität – mit Folgen für den Einzelnen und die Beziehung zur Gemeinschaft:487 „Identität“ wird ersetzt durch „Identifikationen“, die multipel erfolgen, da Globalisierung und multikulturelle Gesellschaften eine zunehmende Komplexität und Hybridität von Identitäten hervorbringen.488 In multikulturellen Kontexten ist Identität von den anderen abhängig und als Prozess offen.489 Durch die Globalisierung können vor allem jüngere Personen multiple, multikulturelle Identifikationen ausbilden. Ein Teil der Identität kann in der Herkunftskultur verankert sein, während sich andere Anteile global ausrichten. Manchen gelingt es, eine „hybride Identität“ auszubilden, andere kämpfen, um ihre Zugehörigkeit zu
484 485 486 487 488
489
Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi (2015) 9 (11 ff). Alcoff, New Epistemologies: Post-Positivist Accounts of Identity, in Wetherell/Mohanty (Hrsg), The SAGE Handbook of Identities (2010) 144 (153). Alcoff in Wetherell/Mohanty 154. Alcoff in Wetherell/Mohanty 159. Van Meijl, Anthropological Perspectives on Identity: From Sameness to Difference, in Wetherell/ Mohanty (Hrsg), The SAGE Handbook of Identities (2010) 63. Van Meijl in Wetherell/Mohanty 64 ff. Seit den 1970er Jahren wird das Selbst als Prozess – zwischen Selbst und der Reflexion des eigenen Platzes in der Gesellschaft – begriffen. Es stehen sich primordiale und instrumentalistische Positionen gegenüber, wobei letztere betonen, dass Ethnizität auf Organisierung zielt und aktiviert wird, wenn Gruppeninteressen in der Verteilung von Ressourcen auftreten. Parallel zu diesen Entwicklungen wird Nationalismus als konstruiertes Phänomen interpretiert (zB Gellner, Anderson; siehe A.I.) Van Meijl in Wetherell/Mohanty 71 ff; vgl Hall in Hall/du Gay 6; Bauman, Liquid Modernity and Beyond (2000).
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol
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bestimmen.490 Das Selbst als Einheitskonzept ist überholt durch kulturelle Verschiedenheit, die einen natürlichen Teil des Lebens bildet; eine Trennung zwischen verschiedenen kulturellen Perspektiven wird – aus anthropologischer Sicht – ein inhärenter Aspekt einer zunehmenden Anzahl von kosmopolitischen Bürgern.491 Für die vorliegende Untersuchung sind insb sozialpsychologische Konzepte relevant, die geprägt sind von Arbeiten Eriksons zur „Ich-Identität“,492 den Differenzierungen Goffmans zur personalen, sozialen und Ich-Identität,493 Meads Konzepten sozialer Interaktion und Rollenübernahme (zwischen sozialem „me“ und spontanem „I“),494 den Weiterführungen von Krappmann495 oder Habermas496 und Ansätzen narrativer und selbstreferentiell konstruierter Identität.497 Sie folgt einer Unterscheidung, die Wagner für die Konzeptionen von Identität in den Sozialwissenschaften verwirklicht sieht: in „personale“ oder subjektive und „kollektive“ Identität.498 Im Sinne konstruktivistischer Ansätze begreift der vorliegende Ansatz Identität – im Gegensatz zu essentialistischen Vorstellungen – nicht als vorgegeben und unwandelbar, sondern als prozesshaft und variabel und ordnet sich in aktuelle Denkströmungen ein.499
490 Van Meijl in Wetherell/Mohanty 77. 491 Van Meijl in Wetherell/Mohanty 78. 492 Ua Erikson, Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze16 (1997). 493 Ua Goffmann, Stigma. Notes on the Management of Spoiled Identity (1968). 494 Ua Mead, Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus (1973); Mead, Philosophie der Sozialität. Aufsätze zur Erkenntnisanthropologie (1969). 495 Ua Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen5 (1978). 496 Ua Habermas, Individuierung durch Vergesellschaftung. Zu G. H. Meads Theorie der Subjektivität, in Habermas (Hrsg), Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze (1992) 187. 497 Ua mit Blick auf die Vergangenheitskonstruktion die Beiträge in Straub (Hrsg), Erzählung, Identität und historisches Bewusstsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte (1998). Vgl Jörissen, Identität 9; Heckmann, Ethnische Minderheiten 196 f; eine umfassende Synthese bietet Keupp, Identitätskonstruktionen; Rex, The Theory of Identity, in Goulbourne (Hrsg), Race and Ethnicity. Critical Concepts in Sociology. Volume I. Debates and Controversies (2001) 232 (233 ff). 498 Wagner, Fest-Stellungen. Beobachtungen zur sozialwissenschaftlichen Diskussion über Identität, in Assmann/Friese (Hrsg), Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität 3 (1999) 44 (45). 499 Hall in Hall/du Gay 1 ff; Winkelmann, Kulturelle Identitätskonstruktionen 20; Baumann in Hall/ du Gay 18 ff. Zum Konstruktivismus und verschiedenen möglichen Auffassungen von Ethnizität und Fremdheit als kulturelle Ressource, Interpretation oder Konstrukt und daraus resultierenden Gefahren bei der Beobachtung von eigener/fremder Ethnizität Reich, Fragen zur Bestimmung des Fremden im Konstruktivismus, in Neubert/Roth/Yildiz (Hrsg), Multikulturalität in der Diskussion. Neuere Beiträge zu einem umstrittenen Konzept3 (2013) 177.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Identität erfasst die Selbstdefinition von Einzelnen und Gruppen – von Individuen und Kollektiven. Sie bildet kein Kontinuum, sondern entsteht aus permanenten Prozessen der Selbstkonstruktion, die auf Abgrenzungen beruhen: Identität grenzt jene Teile aus, die nicht zum Selbst oder – in Kollektiven – zur Gemeinschaft gehören.500 Subjektive Identität schafft die Basis für Handlungen des Individuums und gewährt Stabilität und Orientierung, unterliegt permanenter Neudefinition und ist als beständiger Prozess zu begreifen. Sie zeigt nach Keupp „von allem Anfang an Arbeitscharakter“501 und bildet sich aus von primären Phasen innerfamiliärer Sozialisation über sekundäre Phasen, in denen der Schule eine wesentliche Rolle zukommt,502 in immer weiteren Bereichen des sozialen Lebens, die das Selbstbild beeinflussen. Stets bleibt Identität angewiesen auf Zustimmung der relevanten Umwelt. Das soziale Umfeld unterstützt persönliche Selbstkonzepte und sichert notwendige Anerkennung. Identität wird in einem Wechselprozess zu äußeren Faktoren konstituiert.503 Dabei bleibt sie flexibel. Personen können situativ Teilaspekte ihres Selbstkonzeptes in den Vordergrund stellen und sich über das Medium der Selbsterzählung in kollektive Erzählstrukturen einordnen.504 Werden einzelne Identitätsanteile bedroht, können diese in den Fokus rücken. In ethnischen Konflikten kann ethnische Identität zum bestimmenden Identitätsanteil und zur primären Grenze werden.505 Wie Sen aufzeigt, besteht bei kollektiver Abgrenzung die Gefahr, das Gegenüber auf einzelne Anteile und auf eine „solitaristische Identität“ zu reduzieren, die Gemeinsamkeiten verdeckt und Abgrenzung stabilisiert.506
500
501 502
503
504 505
506
Keupp, Identitätskonstruktionen 153 ff; Perchinig, Wir sind Kärnten 256 ff; Volkan, Blutsgrenzen 122 ff; zu grundlegenden Ausführungen zu Identität im Kontext der Minderheitensituation in Kärnten schon Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 92 ff; Pirker, Wir sind Kärnten 41 ff. Keupp, Identitätskonstruktionen 27. Zur Rolle der Schule für die kulturelle Identität zB Perotti, Die Rolle des Erziehungswesens in einer multikulturellen Gesellschaft, in Wakounig/Busch (Hrsg), Interkulturelle Erziehung und Menschenrechte. Strategien gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit (1992) 129 (131 ff); zum Einfluss der Schule auf die Identifikation mit einer Sprache unten C.I. Keupp, Identitätskonstruktionen 153 f; Rex, Theory 235 f. Zur Orientierungsfunktion sozialer Kategorisierung schon Tajfel, Gruppenkonflikt und Vorurteil. Entstehung und Funktion sozialer Stereotypen (1982) 101 ff. Keupp, Identitätskonstruktionen 215 f; Wodak/de Cillia/Reisigl/Liebhart/Hofstätter/Kargl, Zur diskursiven Konstruktion 61 ff. Volkan, Blutsgrenzen 40; 157 ff; Wodak/de Cillia/Reisigl/Liebhart/Hofstätter/Kargl, Zur diskursiven Konstruktion 59 ff. Haller/Müller zeigen an einer vergleichenden Studie, dass ethnische Identität in Ländern mit ethnischen Konflikten für Personen von besonderer Bedeutung ist: Haller/Müller, Social identities 191. Sen, Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt2 (2007) 8 f.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol
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Kollektive Identität entsteht aus dem Zusammenschluss von Individuen und wirkt auf die Identität der einzelnen zurück: durch soziale Normen, die für jedes neue Mitglied verbindlich und in das eigene Selbstkonzept zu integrieren sind. Sie sichern die Existenz des Kollektivs und ermöglichen Orientierung.507 Individuelle und kollektive Identität stehen in einer Wechselbeziehung. Der eigene Platz resultiert aus Gruppenzugehörigkeiten und ihren mentalen und affektiven Bedeutungen.508 Zugehörigkeiten haben eine emotionale Signifikanz für den Einzelnen, dessen Schicksal mit dem der Gruppe verbunden ist.509 Was Individuen als Gruppenmitglieder tun, ist bestimmt durch soziokulturelle Bedeutungen, die mit sozialen Kategorien verbunden sind.510 Die Identität des Kollektivs zeigt sich in gemeinsamen Aktionsformen und dem Auftreten nach außen. Wesentlich sind Prozesse der Abgrenzung und die Definition des Fremden, das nicht Bestandteil des Kollektivs sein kann – von Gruppen, Vereinen und Organisationen bis hin zu Nationen, die ihre Grenzen entlang von Sprache, Ethnie oder nationalen Symbolen ziehen und sie als Fixpunkte zu stabilisieren versuchen.511 Nationale Identität beruht auf der Vorstellung der Zugehörigkeit zu einer Nation, die sich durch diese Merkmale von anderen unterscheidet und nach Guibernau psychologische, kulturelle, territoriale, historische und politische Dimensionen aufweist.512 Sichtbar werden diese Gruppenzugehörigkeiten erst durch die Wahrnehmung verschiedener Gruppen in einem sozialen Kontext.513 Bewusstsein und Identifikation mit einer Minderheit stehen in Zusammenhang mit der Eindeutigkeit der Grenzen und den Überzeugungen der Mitglieder über sich selbst und die Gesellschaft.514 Die Vorstellung vom Fremden hält die Grenzen aufrecht, da sie der Projektion eigener negativer Anteile und Wünsche dient,515 während die Eigengruppe einem „Eigengruppen-Bias“ unterliegt:516
507
508
509 510 511 512 513 514 515 516
Keupp, Identitätskonstruktionen 153 ff; Perchinig, Wir sind Kärnten 256 ff; Toivanen, Minderheitenrechte 169 ff; Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen2 (1997) 131. Mummendey/Kessler/Otten, Sozialpsychologische Determinanten – Gruppenzugehörigkeit und soziale Kategorisierung, in Beelmann/Jonas (Hrsg), Diskriminierung und Toleranz. Psychologische Grundlagen und Anwendungsperspektiven (2009) 42 (46). Reicher/Spears/Haslam, The Social Identitiy Approach in Social Psychology, in Wetherell/Mohanty (Hrsg), The SAGE Handbook of Identities (2010) 45 (48 f ). Reicher/Spears/Haslam in Wetherell/Mohanty 50 f. Hobsbawm, Nationen 108 f; Jureit in Jureit 16. Guibernau, The Identity of Nations 11 ff. Mummendey/Kessler/Otten in Beelmann/Jonas 45. Tajfel, Gruppenkonflikt 149. Bielefeld in Bielefeld 103 ff. Mummendey/Kessler/Otten in Beelmann/Jonas 47.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Wie Studien zur Theorie der Sozialen Identität zeigen, neigen Individuen dazu, die Mitglieder der eigenen In-Group gegenüber Mitgliedern von Out-Groups zu favorisieren.517 Gruppenmitgliedern werden Eigenschaften zugeschrieben, die mit der Gruppe verbunden sind. Sie werden als untereinander „ähnlich“ wahrgenommen und stereotypisiert.518 Die Grenzen der Gruppen bleiben aber wandelbar und erlauben soziale Mobilität.519 Ethnische Identität ist nur eine von vielen Rollen des Individuums und Teil seiner sozialen Identität, wenngleich ethnische Gruppen häufig als statische und ewige Einheiten vorgestellt werden.520 Ethnische Zugehörigkeit basiert auf einer Vorstellung von Gleichheit mit anderen und einer Unterscheidung jener, die nicht die gleichen Merkmale aufweisen.521 Soziologisch ermöglicht Ethnizität Exklusionsstrategien, weil Abgrenzung für sie zentral ist.522 Inklusion und Exklusion haben einen bedeutenden Einfluss auf die Strukturierung von Identitäten.523 Ethnizität ist eine soziale Kategorie, die organisiert und Verbundenheit produziert unter Bezugnahme auf kulturelle Differenz;524 zT dient der Begriff zur Beschreibung von Machtpositionen.525 Ethnizität umfasst einen Prozess der Anspruchserhebung und damit eher Aktionen von Menschen als ihre Wesenheit.526 In modernen Gesellschaften fungieren ethnische Gruppen oft als politische Interessensgemeinschaften.527 Ethnische Minderheiten stehen unter dem zweifachen Druck, intern ihre spezifischen Eigenheiten (we-ness) zu erhalten und nach außen festzulegen, was sie von anderen 517 518 519 520
521 522 523
524 525 526 527
Reicher/Spears/Haslam in Wetherell/Mohanty 47. Reicher/Spears/Haslam in Wetherell/Mohanty 52; 57 f. Reicher/Spears/Haslam in Wetherell/Mohanty 50 f. Heckmann, Ethnische Minderheiten 198; Wakenhut, Ethnisches und nationales Bewusstsein (1995) 148; Haller/Müller, Social identities in comparative perspective, in Haller/Jowell/Smith (Hrsg), The International Social Survey Programme 1984-2009 (2010) 175 (176); Özkirimli, Theories 190 ff; Sollors, Introduction: The Invention of Ethnicity, in Sollors (Hrsg), The Invention of Ethnicity (1989) ix (xiii f ). Rex, Theory 238. Anthias, The Concept of ‘Social Division’ and Theorising Social Stratification: Looking at Ethnicity and Class, Sociology 35/2000, 835 (838). Anthias, Conzept 838. Einen Überblick über sozialpsychologische Theorien zu Identität und Ethnizität bietet Phoenix, Ethnicities, in Wetherell/Mohanty (Hrsg), The SAGE Handbook of Identities (2010) 297 (299 ff). Anthias, Conzept 844. Phoenix in Wetherell/Mohanty 297. Phoenix in Wetherell/Mohanty 297; vgl Brubaker, Ethnicity. Ringer/Lawless, The “We-They“ Character of Race and Ethnicity, in Goulbourne (Hrsg), Race and Ethnicity. Critical Concepts in Sociology. Volume I. Debates and Controversies (2001) 49 (62 ff). Reiterer, Soziale Identität. Ethnizität und sozialer Wandel: Zur Entwicklung einer anthropologischen Struktur (1998) 70 ff.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol
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unterscheidet (they-ness).528 Hauptmerkmale sind ihr gemeinschaftlicher Charakter, Geschichte, kulturelle Werte und Symbole und formelle und informelle Arrangements, die Ethnizität verstärken.529 Die größere Gesellschaft beeinflusst die Struktur der Gruppe und ist bemüht, die Gruppengrenzen aufrecht zu erhalten.530 Ethnizität bleibt aber konstruiert, wandelbar und (situationsbezogen) flexibel.531 Ethnische Gruppen sind heterogen und ethnische Identitäten basieren auf sozial konstruierten Unterschieden.532 Hall stellt fest, dass jeder multiple und komplexe Identitäten hat, die in spezifische historische und geographische Kontexte eingeordnet sind, sich aber über die Zeit verändern.533 Dieser Zugang fokussiert den Prozess und die Aushandlung von Zugehörigkeit zwischen verschiedenen Identitäten und Narrativen.534 Ethnische Zugehörigkeit unterliegt Akkulturationsprozessen, die in Mehrheiten-Minderheitensituationen Übernahmen von Werten, Einstellungen oder Identitätsanteilen anderer Gruppen fördern und als Personen- oder Gruppen-Akkulturation aufgrund von Kulturkontakten in Erscheinung treten. Machtasymmetrien begünstigen meist kulturelle Veränderungen in Richtung Mehrheit.535 Die Übernahme der anderen Kultur, die im Ergebnis die eigene ablöst, bedeutet Assimilation.536 Sie verläuft nach Suppan in mehreren Phasen: von der Bereitschaft zur Übernahme fremder Innovationen und dem Verlust traditioneller Kulturmerkmale in gemischten Gebieten unter technisch-ökonomischer Modernisierung und sozialer Mobilisierung über die vorerst wirtschaftlich orientierte Zweisprachigkeit und der
528 529 530 531
532 533 534 535
536
Ringer/Lawless, The “We-They“ Character 49. Ringer/Lawless, The “We-They“ Character 49 ff. Ringer/Lawless, The “We-They“ Character 65 f. Cornell/Hartmann, Mapping the Terrain. Definitions, in Goulbourne (Hrsg), Race and Ethnicity. Critical Concepts in Sociology. Volume I. Debates and Controversies (2001) 76 (96); Hall, New Ethnicities, in Donald/Rattansi (Hrsg), “Race”, Culture and Difference (1992) 252 (257). Zur theoretischen Analyse von Mehrfachidentäten Reiterer, Soziale Identität 63 f. Anthias, Connecting “Race” And Ethnic Phenomena, Sociology 26/1992, 421; Phoenix in Wetherell/Mohanty 297. Hall, Questions of cultural identity, in Hall/Held/McGrew (Hrsg), Modernity and ist Futures (1992) 274; vgl Phoenix in Wetherell/Mohanty 310. Phoenix in Wetherell/Mohanty 311. Heckmann, Ethnische Minderheiten 168 f. Eine Übersicht über verschiedene und weiter differenzierende psychologische Zugänge zur Akkulturation bieten ua Zagefka/Nigbur, Akkulturation und ethnische Gruppe, in Beelmann/Jonas (Hrsg), Diskriminierung und Toleranz. Psychologische Grundlagen und Anwendungsperspektiven (2009) 173 (174 ff). Zur psychologischen Dimension eines Bekenntnisses Krainz, Bekenntnis. Dazugehören und Dabeisein. Selbstvergewisserung in Kärnten, in Gstettner/Wakounig (Hrsg), Mut zur Vielfalt. Strategien gegen das Verschwinden ethnischer Minderheiten (1991) 139. Heckmann, Ethnische Minderheiten 169 f.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
zunehmenden Anpassung an die andere Kultur und ihre Verhaltensweisen bis zum völligen Übertritt.537 Assimilationshemmend wirken Faktoren wie ein geschlossenes Siedlungsgebiet, ökonomische Unabhängigkeit, Gruppenbewusstsein, politische Partizipation, Gleichwertigkeit der Sprache als Mittel der Kommunikation, eigenständige Kultur und stabiles Sozialprestige der Minderheitengruppe.538 Jene Identitäten, die zwischen beiden Kulturen bleiben und Unsicherheiten zeigen, weil sie weder vollständig mit der Herkunftskultur brechen noch von den neuen Gruppen akzeptiert werden, versuchen Konzepte der „Marginalität“ zu erfassen.539 Auf ihrer Basis identifiziert Heckmann Orientierungsmuster in Minderheitensituationen: Sie reichen von Assimilation und Überanpassung an die Mehrheit bis zur Politisierung durch aktives Eintreten für die Interessen der Minderheit. Dazwischen finden sich Muster eigentlicher Marginalität als Unsicherheit und Ambivalenz zwischen den Gruppen oder selbstsichere duale Bezüge zur Herkunft bei gleichzeitiger Offenheit für die Mehrheitskultur.540 Zagefka/Nigbur weisen darauf hin, dass Akkulturationsprozesse individuell zu betrachten sind. Erfolge und Wohlbefinden hängen von persönlichen Einstellungen und Strategien ab.541 Der Entwicklung von Ethnizität bei Jugendlichen und Kindern als Teil eines sozialen Aushandlungsprozesses widmet sich die Forschung seit den 1980er Jahren.542 Kinder und Jugendliche nutzen ethnische, sprachliche und nationale Attribute für Zuordnung oder Ausschluss und sind als soziale Akteure in der Lage, Ungleichheit zu reproduzieren.543Akkulturationsstrategien junger Minderheitenangehöriger illustriert zB Kosic an jungen Slowenen in Italien. Sie zeigen, wie ethnische Identität in verschiedenen Kontexten variiert:544 Werden Unterschiede bedroht, betonen Betroffene ihre Besonderheit oder blenden ethnische Identität situationsbezogen aus, um dazuzugehören. Selbstbestärkung erfolgt durch die Akzentuierung positiver Ei537 538 539
540
541 542 543 544
Suppan, Emanzipation oder Assimilation, in Gstettner/Wakounig (Hrsg), Mut zur Vielfalt. Strategien gegen das Verschwinden ethnischer Minderheiten (1991) 32 (37 f ). Suppan in Gstettner/Wakounig 39. Heckmann, Ethnische Minderheiten 180. Zu den psychologischen Wirkungen der Minderheitenangehörigkeit und dem Umgang mit dem Druck und Assimilationsprozessen auch Tajfel, Gruppenkonflikt 151 ff. Heckmann, Ethnische Minderheiten 200 ff. Zu psychologischen Belastungen und ihren Folgen, die sozialepidemiologische Stressforschung in Minderheitensituationen identifiziert hat, mit Blick auf Österreich: Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 132 ff. Zagefka/Nigbur in Beelmann/Jonas 188 f. Phoenix in Wetherell/Mohanty 305. Phoenix in Wetherell/Mohanty 308 f. Kosic, Identity matters: Strategies for coping with ethnic identity threats among Slovene Adolescents in Italy, Treatises and Documents 69/2012, 68 (74 ff).
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 101
genschaften oder Stereotypien der Minderheit, die Überlegenheit zeigen – zB frühe Mehrsprachigkeit.545 In Regionen mit Minderheiten ortet Larcher drei Lösungsmodelle für kulturelle Akkommodationsprozesse546: Assimilierung, Apartheid oder eine Kultur des Zusammenlebens und Sprachpluralismus.547 Diese Bandbreite an Ausprägungen ethnischer Identitäten und ihre Wandelbarkeit legen nahe, dass die dualistische Trennung in „Mehrheit“ und „Minderheit“ eine Verkürzung darstellen, die vor dem Hintergrund konstruktivistischer Ansätze und der Pluralität von Identitätskonstruktionen nicht aufrechtzuerhalten ist. Sie reduziert Identitäten auf einzelne Anteile, die in verschiedensten Ausprägungen und situativ in Erscheinung treten können. Das Konzept „der“ Minderheit verstellt den Blick auf die Vielschichtigkeit innerhalb der Gruppen – von Subgruppen bis zu subjektiven Identitäten. 548 Die Kategorie der ethnischen Identität und der ethnischen Gruppe sind Konstrukte und Verkürzungen, sie bieten sich in der Analyse dennoch an, weil sie in der sozialen Realität wirken und im Minderheitenschutz und rechtlichen Rahmen dieser Wirklichkeit ihre Entsprechung finden und Gestaltung erfahren. Es ist klar, dass Recht abstrakter Anknüpfungspunkte bedarf, die notwendigerweise verkürzen, um möglichst große Bandbreiten an Lebenssachverhalten zu erfassen und zu regeln. Mit Blick auf Konzeptionen der „Minderheit“ als Grundlage für Minderheitenschutz stellt sich die Frage, wie sich ethnische Identitäten im Fallbeispiel Kärnten und in Südtirol konstituieren, welche Prozesse auf Identifikationen und zugrundeliegende Konzeptionen von Minderheiten wirken. Dabei sind die Forderungen von Minderheitenvertretern zu berücksichtigen, um zu analysieren, welche Funktion die Kategorien der nationalen Zugehörigkeit erfüllen.549 Die Minderheit darf nicht undifferenziert gesehen werden, da häufig Eliten die Führerschaft und Repräsentation einer Gruppe bean545 Kosic, Identity 75 ff; vgl Reiterer, Soziale Identität 63 f. 546 „Akkommodation“ beschreibt funktionale Anpassungen in Folge von Kulturwechsel, wenn sich etwa Personen in einer fremden Gesellschaft den Regeln und Glaubenssystemen der neuen Umgebung unterwerfen, um interagieren zu können. Kommt es über diese funktionale Anpassung hinaus zu Sozialisationsprozessen und Veränderungen der eigenen Überzeugungen, ist von Akkulturation zu sprechen. Hierzu Heckmann, Ethnische Minderheiten 168. 547 Larcher, Sprache, Macht und Identität. Eine Einleitung, in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher (Hrsg), Zweisprachigkeit und Identität (1988) 9 (10). 548 Wakounig betont die Rolle der Wissenschaft, die in einem sehr selektiven Blick auf Mehrheit und Minderheit zwei monolithe Gegensatzpaare konstruiert, die auch den Blick auf rassistische Tendenzen in der Minderheit verstellen: Wakounig, Verstrickt in den eigenen Rassismus, in Aluffi-Pentini/Gstettner/Lorenz/Wakounig (Hrsg), Antirassistische Pädagogik in Europa. Theorie und Praxis (1999) 148 (150). 549 Keating, Nation 610.
102
Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
spruchen.550 Das Fallbeispiel der slowenischen Volksgruppe verdeutlicht, wie breit das Spektrum der Identifikationen ausfällt: von stark verwurzelter Zugehörigkeit mit politisch-kulturellen Implikationen bis hin zu kosmopolitischen und multiplen Identifikationen.
II. Slowenische Identität(en) in Kärnten a. Modelle individueller slowenischer Identifikationen Historische – politische, soziale, ökonomische und kulturelle – Assimilationsprozesse haben die slowenische Volksgruppe in Kärnten in zwei Kategorien gespalten: slowenisch-nationale Identitäten und „Assimilierte“, die sich der Mehrheit anpassen (siehe A.II.). Dieser Dualismus entspricht der gesellschaftlichen Zweiteilung in Mehrheit und Minderheit, verkürzt und negiert aber gesellschaftliche Wirklichkeiten: Eine Reihe sozialwissenschaftlicher Studien hat sich in den vergangenen Jahrzehnten der Erforschung von Lebenswelten und Identifikationen von Angehörigen der slowenischen Volksgruppe in Kärnten gewidmet und aufgezeigt, dass es auf einem (gedachten) Spektrum slowenisch-ethnischer Identifikationen zwischen „bewussten Slowenen“ auf der einen und „Assimilierten“ auf der anderen Seite eine Reihe von „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“ (B.II.b.) gibt. Sie unterscheiden sich in ihrer Nähe – und Distanz – zur Herkunftsethnie, zur slowenischen Sprache und Kultur. Als Rekonstruktionen von Identitäten und Lebenswelten handelt es sich um Idealtypen, deren Abgrenzung nicht immer einfach und an vielen Stellen fließend ist.551 Sie erfassen nur Teilaspekte subjektiver Identifikationen: ihre ethnische Selbstverortung. Idealtypische Rekonstruktionen entlang der ethnischen Identifikation erlauben qualitativ begründete und intersubjektiv nachvollziehbare Abstraktionen von Entstehungszusammenhängen ethnischer Identifikation(en). Sie machen individuelles Handeln in seinem strukturellen Kontext auf einer Abstraktionsebene verstehbar.552 In ihrer Aussagekraft sind solche Typisierungen beschränkt auf das Analysematerial und lassen sich nicht auf andere Situationen oder Gruppen über550 551 552
Keating, Nation 608 f. Diese Herausforderung und Einschränkung thematisiert Stefanie Vavti in ihren Analysen mehrfach; vgl etwa Vavti, Wir haben alles in uns 51. Pöllauer, Bemerkungen zur methodischen Projektanlage, in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti (Hrsg), Ethnische Identitätsbildung in der slowenischen Minderheit Kärntens. Bericht zur Studie (1994) 163 (164).
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 103
tragen.553 Für die slowenische Volksgruppe in Kärnten eröffnen sie Einblicke in lebensweltliche Faktoren, die Identitätskonzepte beeinflussen. Sie offenbaren eine Bandbreite an Positionen zwischen ethnisch-identifizierten Volksgruppenangehörigen und Assimilierten (sog „Windische“ A.II.).554 Die Lebenswelten slowenischer Jugendlicher erforscht Merkač 1986. Er identifiziert drei Typen, die sich in ihrer ethnischen Verbundenheit unterscheiden: „Bewusste Slowenen“, „(neutrale) Slowenen“ und solche, die sich mit beiden Gruppen in Kärnten identifizieren.555 „Bewusste Slowenen“ nutzen als Umgangssprache überwiegend Slowenisch und engagieren sich für die Anliegen der Volksgruppe. Ihr Umfeld hat die Volksgruppenzugehörigkeit geprägt und bestärkt.556 „(Neutrale) Slowenen“ zeigen eine stark ethnische Identifikation, sind aber in verschiedenen Situationen gezwungen, den Erwartungen ihrer Umwelt zu entsprechen und ihre Volkgruppenidentität zu verbergen, um Konflikte zu vermeiden und nicht als „Extremisten“ zu gelten.557 Personen der dritten Kategorie nutzen als Umgangssprache in der frühen Kindheit überwiegend Slowenisch, später Deutsch. Dies ist mit bedingt durch den Funktionsverlust der slowenischen Sprache im öffentlichen Raum. Sie passen sich ihrer Umgebung an und fühlen sich Mehrheit und Minderheit gleichermaßen zugehörig.558 Die Auswahl berücksichtigt Jugendliche, die sich der slowenischen Volksgruppe zumindest teilweise zugehörig fühlen.559 Daher weisen die Modelle vor allem Spielarten ethnisch-identifizierter Identitäten auf, sie offenbaren aber auch multiple Identitäten bei Personen, die sich beiden Gruppen zuordnen. Boeckmann et al widmen sich 1988 Identitätskonstruktionen von Angehörigen der slowenischen Bevölkerung in Kärnten. Sie rekonstruieren psychosoziale Lebens-
553 Vgl Pöllauer in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 170; Vavti, Wir haben alles in uns 44; Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 40. Anders sieht dies Larcher, der die Erkenntnisse der Studie „Zweisprachigkeit und Identität“ (1988, FN 548) mit Einschränkungen auf andere Minderheitensituationen übertragbar erachtet; so Larcher, Soziogenese der Urangst, in Boeckmann/Bunner/Egger/ Gombos/Jurić/Larcher (Hrsg), Zweisprachigkeit und Identität (1988) 15 (57). 554 Ein Teil des Spektrums wurde bereits aufgezeigt in Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 135 ff anhand der Studie Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher (Hrsg), Zweisprachigkeit und Identität (1988). Dieses Spektrum wird im Folgenden um zahlreiche Forschungsergebnisse erweitert und unter anderen Gesichtspunkten analysiert. 555 Merkač, Lebenswelten 227 ff; vgl Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 16. 556 Merkač, Lebenswelten 227. 557 Merkač, Lebenswelten 228. 558 Merkač, Lebenswelten 228. 559 Merkač, Lebenswelten 57 ff. Die Typen gründen auf der Analyse von „Gruppengesprächen“ mit 32 Jugendlichen und zwölf zusätzlichen „Informanten“ aus dem Bildungsbereich. Die Jugendlichen sind zwischen 13 und 18 Jahren alt.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
welten und beleuchten Spracherwerbs- und Assimilationsprozesse.560 Zusätzlich zur Selbsteinschätzung berücksichtigen sie die Fremdeinschätzung durch andere Mitglieder der Sprachgruppe. Daraus rekonstruieren sie fünf Modelltypen, die sie durch sozialpsychologisch-historische Entstehungszusammenhänge und Identitätsmerkmale charakterisieren:561 Die ersten beiden Typen untergliedern die Kategorie der „bewussten Slowenen“. Unterschieden wird zwischen „bewussten und politisch aktiven“ und nur „bewussten“ Slowenen. Im Bereich der Zwischen- und Mehrfachidentitäten liegt die Kategorie der „Kulturpendler“. Am Ende des Spektrums teilt sich die Gruppe der Assimilierten in „Assimilierte“ und „radikale Assimilanten“. Sie zeigen keine slowenisch-ethnische Identifikation (mehr).562 Die stärkste slowenische Identität findet sich unter „bewussten und politisch aktiven Slowenen“. Sie verfügen über ein ausgeprägtes Bewusstsein für Österreich und empfinden positiv für Slowenien, ohne dort leben zu wollen.563 Als „(Kärntner) Slowenen“ – so ihre Selbstbezeichnung – sind sie in Kärnten geboren und entstammen dem selbstständig-bäuerlichen Milieu.564 Mit dem Bundesland identifizieren sie sich aus politisch-ideologischen Motiven kaum, sondern nutzen den Kärnten-Bezug eher als Kategorie der Abgrenzung und betonen ihre slowenisch-ethnische Iden560
561
562
563 564
Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 12 f; Larcher in Boeckmann/Bunner/ Egger/Gombos/Jurić/Larcher 57. Die Studie „Zweisprachigkeit und Identität“ wurde bereits herangezogen in Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 135 ff, um die Vielfalt slowenischer Identität(en) aufzuzeigen und das Konstrukt einer homogenen „Volksgruppe“ mit einheitlichem Nationalbewusstsein als vermeintlicher Widerpart einer – ebenso konstruierten – „deutschkärntner“ Mehrheitsgruppe aufzulösen (vgl den Hinweis in FN 554). Die Grundlage bilden empirische Tiefeninterviews; Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/ Jurić/Larcher 12 f; Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 17; 57; Larcher, Die unteren sieben Achtel des Eisberges. Versuch einer Zusammenfassung, in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher (Hrsg), Zweisprachigkeit und Identität (1988) 221 (227). Für einen Überblick über die Identitätstypen – unterschieden nach Herkunft und „Urangst“-Einflüssen – Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 58 ff; nach „Identitätsmustern zweisprachig Sozialisierter“ im Vergleich zu Minderheitenangehörigen im Allgemeinen aaO 60 ff; entlang der ethnisch-nationalen Selbsteinschätzung Brunner, „Wer sind wir?“ Zur ethnischen und nationalen Selbsteinschätzung von Menschen slowenischer Herkunft, in Boeckmann/Bunner/ Egger/Gombos/Jurić/Larcher (Hrsg), Zweisprachigkeit und Identität (1988) 189 (210 ff); ferner Boeckmann, Stereotypen und Typen, in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher (Hrsg), Zweisprachigkeit und Identität (1988) 81 (104 ff); Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/ Jurić/Larcher 227 ff; Obid/Messner/Leben, Haiders Exerzierfeld. Kärntens SlowenInnen in der deutschen Volksgemeinschaft (2002) 36 f; die Darstellung in diesem Abschnitt orientiert sich an Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 135 ff. Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 199; 210. Zur Darstellung dieses Typs vgl Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 136 f. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 58; 60.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 105
tität.565 Der bewusste Einsatz der slowenischen Sprache bestimmt den Alltag der Gruppenmitglieder.566 Auch unter „bewussten Slowenen“ bildet Slowenisch die primäre Umgangssprache.567 Angehörige dieses Typs legen besonderen Wert darauf, sich als Slowenischsprachige in Österreich zu verstehen, und sehen sich selbst als Kärntner Slowenen und Österreicher.568 Ältere Personen definieren sich in ihrer Nationalität eher als Österreicher, während Jüngere dazu neigen, ihre Kärntner Identität in den Vordergrund zu rücken. Im Gegensatz zu politisch aktiven Slowenen sind ihre ethnischen und nationalen Identifikationen meist mit keinem politischen Engagement verbunden und rangieren im Hintergrund.569 Der dritte Identitätstyp lehnt eine absolute ethnische Zuordnung ab: „Kulturpendler“ entstammen meist einer bäuerlichen Familie und wurden durch die Sozialisation mehr oder weniger freiwillig von der slowenischen Kultur getrennt.570 Sie fühlen sich der Minderheit und der Mehrheitsgruppe verwandt, vermeiden nationale Extreme und verhalten sich äquidistant gegenüber beiden Gruppen.571 Dementsprechend hat ihre ethnisch-nationale Identität – abgesehen von der Sprachverwendung, der Bezeichnung als „Kärntner Slowenen“ oder einer emotionalen Bindung – keine Bedeutung.572 Stattdessen verorten sich Kulturpendler regional und sehen sich als „Kärntner“, „Kärntner Slowenen“ oder „Österreicher“; begleitet von der Charakterisierung als „Mischmenschen“.573 Intensiv identifizieren sie sich mit dem Bundesland und nutzen die slowenische Sprache, wenn ihr Gegenüber die Kommunikation in Slowenisch beginnt.574 Die stärkste Identifikation mit dem Bundesland zeigen Assimilierte, die sich unterteilen in „Assimilierte“ und „radikale Assimilanten“. „Assimilierte“ grenzen sich besonders stark von Jugoslawien und Slowenien ab und verstehen sich primär 565 566 567 568 569 570 571
572 573 574
Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 199 f; 210 f. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 60. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 61. Zur Darstellung dieses Typs vgl Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 136 f. Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 200 f; Larcher in Boeckmann/Bunner/ Egger/Gombos/Jurić/Larcher 61; Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 211. Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 200 f; 211f. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 59. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 62; Gombos, Sprache, zwischen Schicksal und Wahl. Umgangsformen mit der Sprache der Kindheit, in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher (Hrsg), Zweisprachigkeit und Identität (1988) 125 (150); Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 213. Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 213. Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 202 ff; 206 f; 212 f. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 61. Zur Darstellung dieses Typs vgl Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 136 f.
106
Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
als Kärntner und in zweiter Linie als Österreicher.575 Sie entstammen meist dem ländlichen Proletariat, dessen sozialer Aufstieg zu einem Ablegen der slowenischen Wurzeln geführt hat.576 Ihre Selbsteinschätzung erfolgt unsicher: Keinesfalls ordnen sie sich der Minderheit zu und sprechen Slowenisch nur im privaten Umfeld, wenn sie slowenisch angesprochen werden.577 Auch zur slowenischen Kultur zeigen sie – unabhängig von ihrer slowenischen Abstammung, die sie noch eingestehen, und (Resten von) Sprachkenntnissen – keine Bezüge. Sie sehen sich am ehesten als „Windische“. Slowenische Sprache und Kultur sind die Überreste der ethnischen Identifikation.578 Ihre vormals slowenische Identität wird durch das Selbstverständnis als Kärntner ersetzt – motiviert durch die (un-)bewusste Angst vor dem Rückfall in bereits überwundene Armut.579 Das gilt noch stärker für „radikale Assimilanten“, die sich unter Rückbezug auf ihre Sprache als „Windische“ deklarieren.580 In diesem Verständnis besteht zwischen dem Windischen und dem Slowenischen keine Verbindung. Das Windische gilt als eigenständiger Dialekt.581 Wie alles Slowenische negieren radikale Assimilanten ihre slowenische Herkunft und betonen deutschkärntner Eigenschaften, um das Unterlegenheitsgefühl der Minderheit zu überwinden. Für deutschnationale Anliegen sind sie daher besonders empfänglich.582 Ethnische und nationale Selbstverortung erscheinen an den Polen des Spektrums gefestigt. Hinzu treten ein staatsorientiertes Österreichbewusstsein unter bewussten Slowenen und regionale Kärnten-Bezüge bei Assimilierten.583 Die Identifikationen
575 576 577 578 579 580
581 582
583
Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 208; 213 f. Zur Darstellung dieses Typs vgl Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 136 f. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 59. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 62. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 62; Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 208; 214. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 59; Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 208; 214; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 135. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 60; 63; Brunner in Boeckmann/Bunner/ Egger/Gombos/Jurić/Larcher 215. Zur Darstellung dieses Typs vgl Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 136 f. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 63; Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 209; 215. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 63; Brunner in Boeckmann/Bunner/ Egger/Gombos/Jurić/Larcher 215; Moser in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 30; Heintel, Zur Sozialpsychologie des Mehrheiten-/Minderheitenproblems, in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage (Hrsg), Kein Einig Volk von Brüdern. Studien zum Mehrheiten-/Minderheitenproblem am Beispiel Kärntens (1982) 301 (325 ff). Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 199 ff; 216; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 137.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 107
der Zwischenpositionen bleiben hybrid und vage. Hier schwindet sukzessive die ethnische Verortung bis zur völligen Umorientierung radikaler Assimilanten. Parallel wächst die Identifikation mit Kärnten und drängt das Österreichbewusstsein in den Hintergrund – unter Kulturpendlern als Ausdruck territorialer Zuordnung, bei Assimilanten zur Abgrenzung von der Minderheit.584 Bewusst-slowenische Typen distanzieren sich keineswegs von Österreich, sondern zeigen eine tiefe Verbundenheit zum Staat, in dessen Gemeinschaft sie die ethnische Identität zu erhalten trachten und mit Nachdruck auf ihre Minderheitenrechte pochen.585 Zupančič bestätigt 1999 diese Parallelität österreichischer und slowenischer Identifikation: Angehörige der Minderheit sehen sich als „Österreicher“ und „(Kärntner) Slowenen“ – beide Zuordnungen schließen einander nicht aus, sondern bilden eine Einheit und werden aus unterschiedlichen Motiven gewählt.586 (Kärntner) Slowene ist man aufgrund der Abstammung, Kultur, Sprache oder emotionalen Verbundenheit, Österreicher als Bürger des Staates, dessen Kultur und Gesellschaftssystem man teilt – stets in dem Bewusstsein, welche Anstrengungen es erfordert, die Identität der Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft zu wahren.587 Auf diese Identität als Minderheitenangehörige berufen sich Personen mit slowenischer Muttersprache auch in einer (eigenen) Umfrage588 aus dem Frühjahr 2013 am häufigsten.589 Sie fühlen sich
584
Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 201 ff; 209; 210 ff; 214; 216 f; Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 230; Obid/Messner/Leben, Haiders Exerzierfeld 37; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 136. 585 Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 60 f; Brunner in Boeckmann/Bunner/ Egger/Gombos/Jurić/Larcher 210 ff; 217 f; Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 230; Obid/Messner/Leben, Haiders Exerzierfeld 37; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 136. 586 In einer statistischen Analyse (n=364), die 1995 Ergebnisse einer Umfrage unter 266 Schülern an slowenischen höheren Schulen in Österreich und weiterführender Interviews unter 104 Personen aus Kärnten, Graz und Wien verbindet. Zupančič, Slovenci v Austriji. The Slovenes in Austria (1999) 217; 234 f. Zusätzlich wählen 15% der Befragten bereits verschiedene andere Zuordnungen: lokale, regionale, europäische oder kosmopolitische. 587 Zupančič, Slovenci 235. 588 Pirker, Getrennte Wege | Gemeinsame Zukunft – Ločene poti | skupna prihodnost. Kärnten und Slowenien: Erinnerungen und Visionen - Koroška in Slovenija: Spomini in vizije. Umfrage an 44 allgemeinbildenden höheren Schulen in Kärnten und Slowenien (n=5141) (2013) [Veröffentlichung und detaillierte Auswertung in Pirker/Hofmeister, Ergebnisse der Umfrage und Intervention/Rezultati ankete in intervencija, in Pirker (Hrsg), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi (2015) 175/235]. 589 77,4% (n=31) antworten mit der Eigenschaft als Minderheitenangehöriger auf die Frage: „Mit welchen der folgenden Eigenschaften würdest du jedenfalls antworten auf die Frage ‚Wer bin ich?‘ (2 auswählen)“; darauf folgen gleichermaßen Österreich und Kärnten (38,7%; n=31).
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
gleichermaßen verbunden mit Österreich und – etwas weniger – mit Kärnten.590 Ihr Stolz, Österreicher zu sein, ist ähnlich intensiv ausgeprägt wie ihr Stolz, slowenischsprachige Kärntner zu sein.591 Die Zuordnungen zur Minderheit und zu Österreich erweisen sich als komplementär. Die ethnische Identität drückt sich, wie Reiterer ausführt, als subnationale Zugehörigkeit aus: Loyalität gilt der Nation, der man politisch angehört, auch wenn eine andere Staatssprache vorherrscht. Die Gruppen identität äußert sich im Wunsch nach politischer Partizipation und Souveränität, die nicht einen unabhängigen Staat bedeuten muss.592 Assimilierte überbetonen ihre „deutschkärntner“ Identität und lassen sich für antislowenische Anliegen mobilisieren.593 Das Spektrum „zwischen ethnischer Persistenz und Assimilation“594 differenzieren Guggenberger et al 1994 weiter aus. In einer „Drei-Generationen-Studie“ 595 zeigen sie auf, wie sich ethnische Identität in ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext konstruiert und im individuellen Lebenslauf und über Generationen hinweg verändert.596 Daraus leiten sie eine Typologie ethnischer Identitätsentwicklung ab, die individuelles Handeln in seinem strukturellen Kontext nachvollzieht.597 Insgesamt konzentriert sich die Studie auf einen Verwandtschaftsverband, dessen Mitglieder sich in der ersten Generation als „slowenisch“ verstehen. Sie nutzen Slowenisch als Umgangssprache, entstammen dem bäuerliche Milieu und wurden zwischen 1915 und 1930 geboren.598 In den nachfolgenden Generationen zeigt der Verwandtschaftsverband zumindest zwei deutlich unterscheidbare Entwicklungsverläufe in den Identitätsprozessen – eine Entwicklung, die als Auswahlkriterium berücksichtig wurde.599 Für die Typisierung wurden die Verwandtschaftsverbände der Geschwister des Mannes und der Frau in der Ursprungsfamilie berücksichtigt 590 „Eng“ oder „sehr eng“ verbunden mit Österreich: 74,2%; mit Kärnten: 64,5% (n=31). 591 Slowenischsprachiger Kärntner: 87,3%; Österreicher: 74,2% (n=31). 592 Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 345. 593 Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 62 f; Brunner in Boeckmann/Bunner/ Egger/Gombos/Jurić/Larcher 215; 218. Obid/Messner/Leben, Haiders Exerzierfeld 37; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 138; Moser in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 30; Heintel in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 325 ff. 594 Vavti, Die Identitätstypen – zwischen ethnischer Persistenz und Assimilation, in Guggenberger/ Holzinger/Pöllauer/Vavti (Hrsg), Ethnische Identitätsbildung in der slowenischen Minderheit Kärntens. Bericht zur Studie (1994) 202. 595 Vavti, Forschungsnotizen, in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti (Hrsg), Ethnische Identitätsbildung in der slowenischen Minderheit Kärntens. Bericht zur Studie (1994) 177 (177). 596 Pöllauer in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 163. 597 Pöllauer in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 164. 598 Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 177 f. 599 Pöllauer in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 170.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 109
und 26 Interviews mit weiterführenden Recherchen durchgeführt, um zehn Identitätstypen zu rekonstruieren.600 Diese sind für den Gang der Untersuchung interessant, weil sie die Ausdifferenzierung der Zwischenpositionen am deutlichsten aufzeigen. Zu persistenten ethnischen Identitäten („bewusste Slowenen“) gehören „aktiv-engagierte“ und „traditionalistisch verwurzelte“. Vertreter der ersten Gruppe sind in slowenische politische Strukturen eingebunden und bekennen sich klar zur Volksgruppe. Ethnische Normen – zB bevorzugte Heirat innerhalb der Eigengruppe – geben sie konsequent weiter und setzen Slowenisch offensiv im öffentlichen Leben ein, auch wenn Deutschsprachige anwesend sind. Sozial entstammen sie wirtschaftlich unabhängigen und in der Gemeinde angesehenen Familien (Bauern, selbstständige Gewerbetreibende).601 „Traditionalistisch-verwurzelte“ Identitäten finden sich eher in den kleinbäuerlichen Schichten und engagieren sich im kulturellen und kirchlichen Bereich, kaum politisch. Im Gegensatz zu „aktiv-engagierten“ Personen, die selbstbewusst auftreten, meiden sie Anderssprachige und sehen in der Zweisprachigkeit eine Gefahr für das Slowenische. Sie tradieren ethnische Normen und entstammen – wie die Aktiv-Engagierten – oft Familien, die im Zweiten Weltkrieg politisch verfolgt und deren Identitäten dadurch im Sinne einer Abwehrhaltung gefestigt wurden.602 Starke Verwurzelung in der slowenischen Herkunftsethnie zeigen auch Vertreter einer „distanziert-persistenten Identität“. Ihre slowenisch-ethnische Identität wird nur im Bedarfsfall aktiviert und steht im Alltag nicht im Vordergrund. Zweisprachigkeit wird als Wert hochgehalten und an die Kinder weitergegeben. Mitglieder dieser Gruppe zeigen Brüche in ihrer eigenen Sozialisation (deutschsprachiger Arbeitsplatz, Intermarriage). Daher erfolgt ihr Sprachgebrauch situationsbedingt gemischt und sie neigen zu kritischer Distanz gegenüber slowenischen Institutionen – eine Haltung, die sie ihren Kindern vermitteln. Zu finden sind Vertreter dieses Typs im großstädtischen Lebensumfeld, in intellektuellen und alternativen Kreisen.603 Ebenso kritisch gegenüber den slowenischen Institutionen, aber durchwegs ethnisch identifiziert sind „entwurzelte 600 601
602 603
Pöllauer in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 172; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/ Vavti 179. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 202 f; Vavti, Neun Lebenswelten, in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti (Hrsg), Ethnische Identitätsbildung in der slowenischen Minderheit Kärntens. Bericht zur Studie (1994) 219 (219 ff); vgl Vavti, Wir haben alles in uns 58 f; 75 ff. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 204 f; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/ Vavti 223 ff; vgl Vavti, Wir haben alles in uns 59 f; 77 f. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 205 ff; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/ Vavti 226 ff; vgl Vavti, Wir haben alles in uns 60 f.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
bzw. entfremdete Identitäten“, die aufgrund ihrer Lebensumstände, insb räumlicher Trennung (zB Studium, auswärtiger Arbeitsplatz), von der Herkunftsethnie entfernt sind. Sie entstammen dem Arbeiter- und Angestelltenmilieu und nehmen Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg wahr. Häufig fehlt ihnen die Einbindung in slowenische Strukturen, wodurch ihre ethnische Identifikation ungesichert bleibt. Diese kann in den nächsten Generationen – bei einer Rückkehr in ethnische Strukturen – wieder erstarken oder sich bis hin zur Umorientierung verlieren.604 Noch vorhanden, aber weiter reduziert ist die ethnische Verortung bei „Privatidentitäten“. Angehörige dieser Kategorie öffnen sich mangels Verwurzelung oder aufgrund von Sozialisationsbrüchen (zB Abmeldung vom Slowenischunterricht) zunehmend gegenüber der Mehrheitsgruppe. Ihr Sprachgebrauch ist zT schon innerhalb der Familie zweisprachig, den jeweiligen Bedingungen im Umfeld angepasst und nützlichkeitsorientiert. Es handelt sich um einen Grenzbereich: In Einzelfällen kann es – je nach Kontext – zur Anpassung an die deutsche Sprache oder zur Rückbesinnung auf die ethnischen Wurzeln kommen.605 Zwischen den ethnisch-persistenten Typen und Assimilierten befinden sich verschiedene Ausprägungen der „Doppelidentität“, die sich in vier Unterkategorien gliedert: „gemischte Identitäten“, die sich als Mischung beider Sprachen beschreiben, „situative Identitäten“, die sich kontextabhängig eher als slowenisch oder deutsch begreifen, „Zwischen-zwei-Stühlen-Identitäten“, die sich keiner der beiden Gruppen zuordnen und „zweisprachige Identitäten“, für die beide Sprachen gleichwertig sind.606 Gemeinsam sind diesen Untertypen der frühe Kontakt mit der deutschen Sprache und eine Offenheit gegenüber beiden Landessprachen. Es fehlt ihnen an einem Bekenntnis zur slowenischen Ethnie und an einer Einbindung in slowenische politische, kulturelle oder wirtschaftliche Strukturen. Ein Engagement in slowenischen Organisationen gilt ihnen als „extrem“. Eine zweisprachige schulische Ausbildung der Kinder wird nicht durchgehend gewährleistet, wodurch Prozesse der Assimilation begünstigt werden.607 In intellektuellen Kreisen kann es zur bewussten Pflege einer „Kultur der Zweisprachigkeit“ kommen, insgesamt finden sich die Doppelidentitäten aber am ehesten unter Angestellten im deutschsprachigen Umfeld. Im Dorf repräsentieren sie den durchschnittlichen Bürger, dessen Familie von der ersten bis zur dritten Generation der soziale Aufstieg vom Kleinbauerntum über das Arbeiter- zum (deutschsprachigen) Angestelltenmilieu gelun604 605 606 607
Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 217 f. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 207 f; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/ Vavti 230 ff; 237 ff; vgl Vavti, Wir haben alles in uns 61; 78 ff. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 208 ff. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 208 ff.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 111
gen ist.608 Ähnlich verläuft die soziale Genese der „arrangierten Identität“. Auch ihr fehlt die Einbindung in slowenische Strukturen und Angehörige verfügen über eine geringe ethnische Identifikation und öffnen sich gegenüber Anderssprachigen. Ihr Sprachverhalten ist dementsprechend kontextabhängig – Slowenisch überwiegt im Privaten, Deutsch in der Öffentlichkeit. Beide Sprachen rangieren gleichwertig nebeneinander, für die Ethnie engagieren sie sich aber nicht. Stattdessen bewerten Arrangierte die aktiv-engagierten und traditionalistisch-verwurzelten Typen als „extrem“ und werden von ihnen als „Assimilierte“ betrachtet. Obwohl Slowenisch in ihrem Lebensalltag eine wichtige Rolle spielt, bekennen sich Angehörige dieser Gruppe nicht ethnisch, wenden sich aber auch nicht vollständig von der Herkunftsethnie ab.609 Ähnlich ambivalent, aber überwiegend rationalisiert ist auch die ethnische Selbstzuordnung der „nützlichkeitsorientierten Identität“. Hier wird das Sprachverhalten der jeweiligen Situation angepasst, die Sprachkenntnisse werden genutzt und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben, wenn es sinnvoll oder erfolgversprechend erscheint (zB Leben im zweisprachigen Gebiet, Beruf ). Als „Slowene“ deklariert man sich nicht.610 An der Grenze zur Assimilation befinden sich „angepasste Identitäten“ unterschiedlicher Ausprägung: „angepasst-passive Identitäten“, die ihre Bindung an die Herkunftsethnie bejahen, „angepasst-normale“ Identitäten und „angepasst-verdrängende Identitäten“, die sich aggressiv gegen die Herkunftsethnie wenden.611 Die Anpassung erfolgt an den Ehepartner (Intermarriage) oder an Umgebungsbedingungen im dörflichen Alltag, der zunehmend Deutsch wird. Emotional bleibt bei „angepasst-passiven“ eine Bindung an die slowenische Sprache und Kultur bestehen. Es fehlt an der Einbindung in slowenische Strukturen und die slowenisch-ethnische Identifikation erfolgt am ehesten über den Dialekt. Deutsch steht für sozialen Aufstieg und wird im Zweifel bevorzugt, Slowenisch überwiegend im Privaten gesprochen. In den nächsten Generationen kommt es meist zur vollständigen Abwendung von der Herkunftsethnie.612 Nur selten führen Rückbesinnungen zu einer „reaktivierten Identität“, die am ehesten bei Intellektuellen zu finden ist, die ihre 608 609
610
611 612
Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 208 ff. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 210 ff; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/ Vavti 233 ff; vgl die „arrangiert-nützlichkeitsorientierte Identität“ in Vavti, Wir haben alles in uns 63; 80 ff. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 213; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/ Vavti 241 ff; vgl die „arrangiert-nützlichkeitsorientierte Identität“ in Vavti, Wir haben alles in uns 63; 80 ff. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 214 f. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 214 f; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/ Vavti 250 ff; vgl Vavti, Wir haben alles in uns 63 f; 82 ff.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Betroffenheit (wieder-)entdecken oder sich mit der Zweisprachigkeit in Kärnten beschäftigen. Auch adoleszente Protesthaltungen oder interethnische Beziehungen können Rückbesinnungen begünstigen. Sie werden durch das verbesserte Image der slowenischen Sprache (zB als Wirtschaftsfaktor) bestärkt. Reaktivierte Identitäten forcieren Zweisprachigkeit und suchen die Nähe zum interkulturellen Umfeld, sind innerhalb der slowenischen Institutionen kaum verankert und bleiben der slowenischen Ethnie vorwiegend auf intellektueller, weniger auf emotionaler Ebene verbunden.613 Am anderen Ende des Spektrums finden sich die Assimilierten als Gegenpol zu ethnisch-identifizierten Typen. In der beschriebenen Studie werden sie nicht näher beleuchtet, da Betroffene die Mitarbeit zumeist verweigern.614 Ein eindeutiges ethnisches Bekenntnis ist, wie Vavti ausführt, nicht zu erwarten von Personen mit „arrangierter“, „nützlichkeitsorientierter“ oder „angepasster“ Identität und eher unwahrscheinlich bei „Reaktivierten“ und „Doppelidentitäten“.615 Ein Bekenntnis ablegen würden nur „Aktiv-Engagierte“, „Traditionalistisch-Verwurzelte“, „Distanziert-Persistente“, „Privatidentitäten“ und möglicherweise „Entfremdete bzw. Entwurzelte“. 616 Sie decken keineswegs jene Typen ab, die sich nicht ethnisch, aber entlang von Sprache und Kultur dem Slowenischen verbunden fühlen. Die Studie verdeutlicht vielfältige Nuancen ethnischer Selbstverortung auf einem Spektrum von Ethnisch-Identifizierten zu Assimilierten.617 Zupančič belegt in einer quantifizierenden Untersuchung 1999, dass nach objektiven Kriterien wie Abstammung, Sprache und Kultur deutlich mehr Personen der slowenischen Volksgruppe zuzurechnen wären als subjektiv eine solche Zuordnung vornehmen.618 Die objektive Zuordnung ist am geringsten bei der ökonomischen und politischen Partizipation in Strukturen der Minderheit. Gründe dafür liegen in 613 614 615 616 617 618
Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 216 f; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/ Vavti 245 ff. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 259. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 261. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 261. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 258. Zupančič, Slovenci 231 f. Hierzu identifiziert er aus einem Corpus von 104 Interviews mit Personen aus Kärnten, Graz und Wien Merkmale slowenischer Identität, die sich in subjektiver und objektiver Ausprägung unterscheiden: kulturell-sprachliche (zB obj: Sprachkompetenz und kulturelles Engagement, subj: Akzeptanz slowenischer Sprache und Kultur als „eigene“), historische (zB obj: slowenische Vorfahren, subj: Akzeptanz der slowenischen Abstammung, slowenisch-historisches Bewusstsein), räumliche (zB obj: Leben im oder Verbindung zum autochthonen Siedlungsgebiet, subj: Verständnis dieses Gebiets als „Heimat“), ökonomisch-soziale (zB obj: Engagement in slowenischen wirtschaftlichen Strukturen, subj: Akzeptanz der wirtschaftlichen Dimensionen slowenischer Identität als „eigene“), politische (zB obj: Teilhabe am politischen Leben der Volksgruppe, subj: Stimmabgabe bei Wahlen für slowenische politische Strukturen).
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 113
der Abwanderung in städtische Gebiete und der Integration in die wirtschaftlichen und politischen Institutionen der Mehrheit.619 Subjektiv fällt die Einschätzung aller Komponenten deutlich höher aus, objektiv reduzieren sich die Anzeichen – und Möglichkeiten – wirtschaftlicher oder politischer Partizipation; somit auch die ökonomischen und politischen Ausprägungen slowenischer Identität.620 Aus diesem Grund begreift Zupančič die Minderheit als Gemeinschaft, die sich ihrer Herkunft bewusst ist, deren Herkunft aber primär sprachlich und kulturell bestimmt ist – auf diese Elemente müsse die Minderheit verstärkt zurückgreifen und nationales Bewusstsein vermitteln, um ethnisch überleben zu können, so die Analyse.621 Tatsächlich zeigt die Auswertung auch den Trend, dass sich Personen, die objektiv – kulturell-sprachlich oder nach Abstammung – vermeintlich der Minderheit zuzurechnen wären, subjektiv anders verorten.622 Sie bestätigt die Bandbreite an Identifikationen, die sich nicht slowenisch bekennen. Zugleich offenbart die Untersuchung – anhand weiterer Daten aus einer Umfrage an slowenischen höheren Schulen in Österreich623 – einen Unterschied bei der Selbstbeschreibung als „Kärntner Slowenen“ unter Personen, die slowenischen oder gemischten Familien entstammen: Sie fällt bei Personen aus gemischten Familien 20% geringer aus und verdeutlicht die Folgen interethnischer Beziehungen für die Identität der Nachkommen.624 2009 bestätigt Stefanie Vavti in einer Studie zur Identitätsbildung in Kärnten und im Kanaltal (Italien) einen Großteil der Identitätstypen von Guggenberger et al.625 Im Gegensatz zur älteren Arbeit, die einen ganzen Verwandtschaftsverband beleuchtet, berücksichtigt sie in der Auswahl Personen (aller Altersgruppen), die sich zumindest teilweise der slowenischen Herkunftsethnie zuordnen. In den 20 Interviews aus Südkärnten sind daher „angepasste“ und „reaktivierte“ Identitäten kaum repräsentiert.626 Neuerlich sichtbar wird die Polarisierung zwischen Personen, die sich der Volksgruppe zuordnen und solchen, die starke Affinitäten zur Assimi-
619 620 621 622
Zupančič, Slovenci 232 f. Zupančič, Slovenci 232 f. Zupančič, Slovenci 233. Vgl die graphische Aufbereitung in Zupančič, Slovenci 232 f, insb im Hinblick auf kulturelle Merkmale und die Herkunft. 623 Oben FN 586. 624 Ableitung aus der graphischen Aufbereitung in Zupančič, Slovenci 234 insb zur Definition als „Kärntner Slowenen“. Kaum Unterschiede zeigen dagegen die Selbstbeschreibung als „Österreicher“ oder die – insgesamt geringeren – Selbstverortungen als „Kärntner“ oder „Slowenen“. 625 Schon 1994 zeichnete Vavti verantwortlich für die Typenbildung in Guggenberger/Holzinger/ Pöllauer/Vavti, so Vavti, Wir haben alles in uns 46. 626 Vavti, Wir haben alles in uns 44; 46.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
lation haben.627 Folgende Typen verstehen sich als „Slowenen“ und sind ethnisch identifiziert: „aktiv engagierte(r) KämpferIn“, „traditional Verwurzelte(r)“, „distanziert-persistente Identität“ und „Privatidentität“. Vertreter einer „angepassten“ oder „(arrangiert-)nützlichkeitsorientierten“ Identität sehen sich als Kärntner oder „normale“ Menschen und verhalten sich distanziert gegenüber der Herkunftsethnie, während sich „Doppelidentitäten“ (wie „Kulturpendler“) in Äquidistanz zu beiden Bevölkerungsgruppen üben.628 Diese Identitätstypen entsprechen den Modellen, die Vavti bereits 1994 in Guggenberger et al vorstellt (zum detaillierten Vergleich Abb 1 unter b.).629 Sie bereichern den Einblick in die Identitätsprozesse der „Zwischenpositionen“, obwohl die Unterschiede zwischen den Typen nicht immer eindeutig sind. Vor allem unter Mischtypen und „angepassten“ Identitäten bleibt die Abgrenzung schwierig und bestimmt durch den Passivitätsgrad – je angepasster, umso fatalistischer die Einstellung.630 In diesen Zwischenstufen befinden sich nach Vavti nur wenige der befragten Personen, die tendenziell den Assimilierten zugerechnet werden. Stärker vertreten sind die traditional-verwurzelten und engagierten Kämpfer.631 Unter jüngeren Personen tritt häufiger das Phänomen der Doppelidentitäten auf, die sich zwischen Mehrheit und Minderheit verorten.632 Sie entstammen zumeist Mischehen (oder leben in Mischehen; Intermarriage) und verfügen über Elternteile oder nahe Verwandte aus der Mehrheitsgruppe und der Minderheit. Zu beiden Gruppen und Sprachen entwickeln sie ein Naheverhältnis und betonen primär ihre Zweisprachigkeit.633 Von ethnisch-identifizierten Slowenen werden sie ausgegrenzt, weil 627 628
Vavti, Wir haben alles in uns 58; 128. Vavti, Wir haben alles in uns 58; 128 f; Gombos in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 150. 629 Vgl Vavti, Wir haben alles in uns 58 ff; 75 ff; vgl die Darstellung der Typen in Guggenberger et al. In der jüngeren Arbeit verdichtet Vavti die „arrangierte“ und „nützlichkeitsorientierte“ Identität zur „arrangiert-nützlichkeitsorientierten Identität“, die über geringe Sprachkompetenzen verfügt und ihre Sprachkenntnisse aktiviert, wenn sie ihr nützen. Das Sprachverhalten selbst bleibt situativ angepasst und kippt zumeist in die deutsche Sprache. Die Identifikation mit der Herkunftsethnie ist dementsprechend gering und es fehlt an der Einbindung in slowenische Strukturen, die diesen Identitätstyp ihrerseits ausgrenzen. Vavti, Wir haben alles in uns 63; 80 ff. 630 Vavti, Wir haben alles in uns 51. 631 Vavti, Wir haben alles in uns 128 f; 166. Diese „mengenmäßige“ Differenzierung zwischen stark repräsentierten „bewussten Slowenen“ und weniger häufig vorzufindenden Zwischenidentitäten bezieht sich freilich nur auf die Ergebnisse der qualitativen Erhebung – somit auf die Verteilung im zugrundeliegenden Analysematerial, nicht auf eine Grundgesamtheit aller Volksgruppenangehörigen. 632 Vavti, Wir haben alles in uns 62; 128 f; 166. 633 Vavti, Wir haben alles in uns 62; 166.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 115
sie kein eindeutiges Bekenntnis zur Herkunftsethnie ablegen, obwohl sie im Alltag die slowenische Umgangssprache nutzen.634 In der Begrifflichkeit der Untersuchung bilden sie eine „Zwischenethnie“635, die im öffentlichen Bewusstsein nicht präsent ist. Ein Entscheidungszwang (zB in slowenischen Organisationen) schließt potenziell viele Angehörige der slowenischen Sprachgruppe aus, die sich nicht offen zur Herkunftsethnie bekennen, ihr aber emotional verbunden sind und/oder die Zweisprachigkeit bewahren.636 Daneben bestehen Typen, die ihre ethnische Identität wahren, sich aber außerhalb slowenischer Strukturen – zT nur mehr im Privaten – als Slowenen definieren.637 2013 beleuchtet Vavti das ethnische Identitätsspektrum unter jüngeren Personen (17–30 Jahre) und differenziert die Typen in der Mitte des Spektrums weiter.638 Neue Modelle bilden die „symbolische Identität“, die „kosmopolitische Identität“ und „multiple Identifikationen“. „Symbolische Identitäten“ entstehen durch Brüche in der Sozialisation (Intermarriage, Schulwechsel, Leben in der deutschsprachigen Großstadt) und zeichnen sich durch wachsende Entfremdung von der Herkunftseth634 635 636 637 638
Vavti, Wir haben alles in uns 139; hierzu schon Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 212; 260 f. Vavti, Wir haben alles in uns 139 f; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 260. Vavti, Wir haben alles in uns 139 f; Gombos in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 150. Vavti, Wir haben alles in uns 166. Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 32 f; Vavti, „Slowenisch ist meine Heimat, irgendwie!“ – Identifikationsmuster bei jungen Sloweninnen und Slowenen in Kärnten, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2012 (2012) 98 f. Sie untersucht Jugendliche und Postadoleszente, die eine Nähe zur slowenischen Sprachgruppe aufweisen und stützt sich auf 35 Interviews aus dem Zeitraum von 2009 bis 2011. Wie in den älteren Arbeiten finden sich unter „bewussten Slowenen“: die „engagiert-politische Identität“ mit intensivem politischen Einsatz für den Erhalt – und starker Identifikation mit – der Gruppe, die „traditional-verwurzelte Identität“ mit primär kulturellem Engagement, die „kritisch-persistente Identität“ mit klarer ethnischer Verwurzelung, aber kritischer Haltung gegenüber den slowenischen Institutionen (vgl die „kritisch-distanzierte Identität“), und „ambivalente Identitäten“, die von Brüchen in der Biographie gekennzeichnet sind und durch frühen Eintritt in ein deutschsprachiges Umfeld ambivalente Haltungen gegenüber der Herkunftsethnie entwickeln. Detailliert Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 41 ff; 44 ff; 50 ff; 59 ff; 62 ff; 65 ff; 143; Vavti in Anderwald/Filzmaier/Hren 101. Den Ergebnissen der Vorstudien (Vavti 2009, Guggenberger et al 1994) entsprechen auch „Doppelidentitäten“, die zumeist als Folge von Intermarriage auftreten und eine Identifikation mit beiden Sprachgruppen zeigen, „angepasste Identitäten“, die häufig noch einen slowenischen Dialekt (meist innerfamiliär oder im dörflichen Umfeld) sprechen, sich aber nicht klar mit der Herkunftsethnie identifizieren und zunehmend an die Mehrheit anpassen, und „reaktivierte Identitäten“, die ihre slowenischen Wurzeln wiederentdecken und besonders für die Belange der Gruppe eintreten (Überkompensation). Siehe Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 44 ff; 65 ff; 70ff; 85 ff; 143 f; Vavti in Anderwald/Filzmaier/Hren 101.
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nie aus. Erhalten bleibt die Identifikation mit der slowenischen Sprache, obwohl die Sprachkompetenz abnimmt.639 Auch „kosmopolitische Identitäten“ entwickeln sich vor allem in räumlicher Distanz zur Herkunftsethnie und weisen eine starke Öffnung gegenüber anderen Kulturen auf. Zu den slowenischen Wurzeln besteht eine emotionale Bindung, die ethnische Identität wird aber als „zu eng“ empfunden und sie verorten sich stattdessen multikulturell.640 Eine emotionale Verbundenheit zum Slowenischen empfinden auch Personen mit „multiplen Identifikationen“. In diesem Fall tritt die Gruppen- und Sprachzugehörigkeit hinter andere Lebensrollen zurück.641 Trotz Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Typen verdeutlichen sie, dass Ethnizität und ethnische Selbstverortung für jüngere Personen an Bedeutung verliert und von anderen Identitätsanteilen und Interessen überlagert wird.642 Zwischen- und Mehrfachidentitäten treten in dieser Generation stärker zutage als in älteren Generationen, die – wie Vavti analysiert – von der Polarität zwischen „bewussten Slowenen“ und „Assimilierten“ gekennzeichnet sind, während in den mittleren Altersstufen (30-50) eine Herauslösung von immer mehr Personen aus slowenischen Institutionen zu beobachten ist, die jedoch die Sprache erhalten und ihren Kindern weitergeben.643 Jüngere Personen, die von der Herkunftsethnie getrennt und nicht in slowenische Strukturen eingebunden sind, neigen eher zur Ausbildung „symbolischer Identitäten“ als sich vollständig zu assimilieren.644 Kinder aus inter ethnischen Partnerschaften identifizieren sich mit beiden Gruppen und Eltern, die selbst nicht mehr die Sprache ihrer Vorfahren erlernen konnten, melden ihre Kinder wieder zum Unterricht an.645 Ökonomische und soziale Rahmenbedingungen (zB Intermarriage, Abwanderung, EU-Integration, Globalisierung) bewirken eine Öffnung jüngerer Generationen, die neben ethnischen Verwurzelungen die Ausbildung von Zwischen- und Mehrfachidentitäten fördert.646
b. „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“ Eine Vielzahl von „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“ erweitert das Spektrum individueller slowenischer Identifikationen, das ursprünglich von der Polarisierung 639 640 641 642 643 644 645 646
Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 75 ff; 144; Vavti in Anderwald/Filzmaier/Hren 101 f. Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 47; 78 ff; 144; Vavti in Anderwald/Filzmaier/Hren 102. Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 47 f; 82 ff; 144; Vavti in Anderwald/Filzmaier/Hren 102. Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 145. Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 144 f. Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 145; Vavti in Anderwald/Filzmaier/Hren 104. Vavti in Anderwald/Filzmaier/Hren 102; 104. Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 146; Vavti in Anderwald/Filzmaier/Hren 102 f.
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zwischen „bewussten Slowenen“ und „Assimilierten“ geprägt ist. Den Bogen von der Minderheit bis zur Mehrheit spannen bereits Flaschberger/Reiterer 1980 und bilden die nationalen Selbstdefinitionen durch die Kategorien „Kärntner Slowenen“, „Windische“ und „Deutschkärntner“647 ab.648 Sie zeigen auf, wie sich „Windische“ (Assimilierte) mit der Gruppe der „Deutschkärntner“ identifizieren, von diesen aber eher mit „slowenischen“ Eigenschaften versehen werden, und wie stark sich „Deutschkärntner“ und „Windische“ von „Slowenen“ abgrenzen, die sich ihrerseits beiden anderen Gruppen verwandt, aber von ihnen missverstanden fühlen.649 Verschiedene Studien untergliedern die ethnisch-nationalen Selbstverortungen von Personen slowenischer Herkunftsethnie (Abb 1). Slowenisch-Ethnische Identität Zwischen- und Mehrfachidentitäten Bewusste Slowenen
(Neutrale) Slowenen
(Merkač 1986) Bewusste Bewusste Sloweund poli- nen tisch aktive Slowenen (Boeckmann et al 1988) Aktiv-en- Distanziert-pergagierte sistente Identität Identität Traditiona- Entwurzelte/ listisch-ver- Entfremdete wurzelte Identität Identität Privatidentität Reaktivierte Identität (Guggenberger et al 1994)
647 648 649
Assimilierte
Beide Ethnien
Kulturpendler
Doppelidentitäten (gemischt, situativ, zwischen, zweisprachig)
Assimilanten
Radikale Assimilanten
Arrangierte Identität Nützlichkeits-orientierte Identität Angepasste Identitäten (passiv, normal, verdrängend)
Dieser Typ entspricht weitgehend dem ebenfalls untersuchten Profil des „Kärntners im Allgemeinen“. Flaschberger/Reiterer, Der tägliche Abwehrkampf 87 ff. Flaschberger/Reiterer, Der tägliche Abwehrkampf 92 ff.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Aktiv-en- Distanziert-pergagierte(r) sistente Identität KämpferIn
Privatidentität Traditional-verwurzelte Identität (Vavti 2009) Kritisch-persisEngagiert-potente Identität litische Identität TraditioAmbivalente nal-verIdentität wurzelte Identität Reaktivierte Identität (Vavti 2013)
Doppelidentität (gemischt, situativ, zwischen, zweisprachig)
Arrangiert-nützlichkeits-orientierte Identität Angepasste Identität
Doppelidentitäten Kosmopoliti- Symbolische Identität sche Identität Multiple Identifikationen
Angepasste Identität
Abb. 1: Spektren slowenisch-ethnischer Identifikation(en) in Kärnten
Vavti (2009; 2013) und Merkač widmen sich den Identitäten von Personen mit partieller Verbundenheit zur slowenischen Herkunftsethnie und jüngeren Generationen, während Guggenberger et al die Entwicklung der ethnischen Verortung über den Generationenlauf hinweg analysieren und Boeckmann et al vor allem Assimilierungsprozesse beleuchten. Auf diese Weise ergeben sich spezifische Einblicke in das Spektrum von „bewussten Slowenen“ bis hin zu „Assimilierten“. Die Abgrenzung der einzelnen Typen fällt nicht immer eindeutig aus (zB zwischen „ambivalenten“ und „kritisch-distanzierten“ oder „kosmopolitischen“, „multiplen“ und „Doppelidentitäten“). Unschärfen und Überschneidungen sind der Komplexität und Vielschichtigkeit individueller Identifikationen geschuldet. Dennoch legen sie eine Reihe von Zwischenpositionen offen, deren Übergänge – hin zu bewussten Slowenen oder Assimilierten – an den Rändern fließend sind. Diese Zwischenpositionen lassen sich mit Blick auf das ethnisch-nationale Bekenntnis und die Argumentation der Untersuchung zusammenfassen im Begriff der „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“. Er bringt zum Ausdruck, dass neben den ethnisch identifizierten und „bekennenden“ Slowenen Identitätstypen bestehen, die
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 119
sich nicht zur Herkunftsethnie bekennen wollen oder können, sich aber mit den slowenischen Wurzeln verbunden fühlen. Diese Verbindung besteht über die Nähe zur slowenischen Kultur und Sprache, die in vielen Fällen aktiv genutzt und an die Kinder weitergeben wird, ohne eine ethnisch-nationale Selbstverortung vorzunehmen. Personen mit Zwischen- oder Mehrfachidentitäten betonen ihre Zwei- und Mehrsprachigkeit. Sie befinden sich „zwischen“ der Minderheit, die sich ethnisch bekennt, und der Mehrheitsbevölkerung und Assimilierten. Zugleich sind sie zu einem großen Teil durch eine „Mehrfachzuordnung“ gekennzeichnet: Sie fühlen sich sowohl der Mehrheit als auch der Minderheit – oder anderen Gruppen – gleichermaßen verbunden und sind nicht in der Lage, ein eindeutiges ethnisches Bekenntnis abzugeben. Die Beziehung zu beiden und anderen Gruppen umfasst der Begriff der „Mehrfachidentitäten“, der spezifisch auf diese Besonderheit der Identifikation mit mehreren Gruppen abstellt und nicht als Beschreibung von Mehrfachidentitäten verstanden werden soll, über die jeder Mensch durch eine Vielzahl individueller Teilidentitäten verfügt. Freilich spielt dieses allgemeine Verständnis von Mehrfachidentifikationen für die einzelnen Identitätstypen, insb in jüngeren Generationen, eine Rolle: dort, wo andere Lebensrollen die ethnische Verortung überlagern, sodass man sich trotz slowenischer Herkunft „kosmopolitisch“ oder „multikulturell“ definiert. Die typisierte Dreiteilung entspricht drei Lösungsmodellen, die Larcher historisch für den Kärntner Konflikt ausmacht: Assimilation (Assimilierte), Apartheid (Bewusste), Sprachpluralismus (Zwischen- und Mehrfachidentitäten).650 Sie erweitert die Perspektive auf das verkürzende Schema einer dualistischen Trennung in „Mehrheit und Minderheit“, indem sie eine Vielfalt von „Minderheiten“, pluralistischen Identitäten und fließenden Prozessen – aus Perspektive der Slowenen in Kärnten – aufzeigt. Das Abstellen auf „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“ erlaubt, die oben beschriebenen Identitätstypen zwischen den Polen des Identitätsspektrums der „bewussten Slowenen“ und „Assimilierten“ zu erfassen und die schwer abzugrenzenden Übergänge zwischen einzelnen Typen – zB „kosmopolitischen“ und „multiplen“ Identitäten – in einer Überkategorie zusammenzuführen, deren Grenzen an den Rändern der Zwischenpositionen fließend bleiben müssen, wie der Übergang bei „Ambivalenten“, die sich nicht mehr eindeutig zur Gruppe bekennen, oder zwischen „Angepassten“ und „Assimilierten“ fließend ist. Es handelt sich um eine Metakonstruktion, die Unschärfen birgt, aber die Gruppe der Zwischenpositionen auf einen gemeinsamen Nenner verdichtet, der primär die ethnische Zuordnung betrifft. Die einzelnen Typen unterscheiden sich in ihrem Naheverhältnis zu einer 650
Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 10.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
oder beiden Gruppen, sind aber verbunden durch das brüchige Bekenntnis zur Herkunftsethnie und die Nähe zur slowenischen Kultur und Sprache. Vor allem in der Mitte der Positionen (Doppelidentitäten, „kosmopolitische“ und „multiple“ Identifikationen) findet sich kein Bekenntnis zur Gruppe, wohl aber zur Sprache. Sie bildet die Klammer der „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“, die wiederum in unterschiedlicher Weise sprachkompetent und bereit sind, die slowenische Sprache und Kultur zu erhalten. Besonders deutlich wird das Phänomen bei bi-ethnischen Identifikationen: Kinder, deren Elternteile beiden Gruppen entstammen, sind zT nicht in der Lage oder lehnen es ab, sich exklusiv einer Gruppe zuzuordnen. Sie fühlen sich beiden Gruppen gleichermaßen zugehörig. Heiraten über die Gruppengrenzen hinweg (Intermarriage), die in der Vergangenheit häufig zur Entscheidung für eine der beiden Gruppen und damit die Abwendung von einer – meist der slowenischen – Sprache geführt haben (C.II.a.), fördern eine zusätzliche Identifikation, die eine Zuordnung zur anderen Gruppe nicht ausschließt, sondern nur der solitaristischen Verengung auf eine der beiden Gruppenzugehörigkeiten entgegensteht – bei klarem Bekenntnis zur Sprache und Kultur beider Gruppen. Ein bloßes Abstellen auf das Bekenntnis zur Herkunftsethnie greift hier zu kurz, weil es diese Personen und weitere Zwischen- und Mehrfachidentitäten ausschließt, obwohl sie durch Sprache und Kultur verbunden sind, ohne sich ethnisch bekennen zu können oder wollen. Ein eindeutig ethnisches Bekenntnis reduziert die Vielfalt an kulturell und/oder sprachlich identifizierten Positionen auf die Gruppe der „bewussten Slowenen“ im weiteren Sinne, die zwar die Positionen von „aktiv-engagierten“ bis hin zu „reaktivierten Identitäten“ erfasst (Abb 1), sämtliche „Zwischen und Mehrfachidentifikationen“ aber ausschließt. Diese „Wir sind Wir!“-Strategie ist in Kärnten ein bekanntes Phänomen – allerdings auf Seiten der Mehrheitsbevölkerung: Sie wurde von Landeshauptmann Haider genutzt, um ein vermeintlich geschlossenes Bild der Mehrheitsbevölkerung zu konstruieren und fand deutlichen Ausdruck in einer Kampagne 2006, in der Haider mit den Slogans „Kärnten wird einsprachig!“ und „Nicht gegen den Willen der Kärntner Bevölkerung!“ gegen weitere zweisprachige Ortstafeln mobilisierte.651 Hier kehrt sich diese Argumentation um in eine „Ihr seid ihr – (geschützt) nur, wenn ihr euch bekennt!“-Formel gegenüber der Minderheit und eine von der Volksgruppe selbst gewählte „Wir sind wir!“-Parole, soweit „bewusste“ Slowenen Personen ausschließen, die sich nicht eindeutig zur Herkunftsethnie bekennen (hierzu B.II.c.). Aus Sicht bekennender Slowenen sind Zwischenund Mehrfachidentitäten nicht der eigenen Gruppe zuzurechnen und gemessen an 651
Hämmerle in Anderwald/Filzmaier/Hren 40; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 82.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 121
der ethnischen Selbstverortung trifft diese Einschätzung auch zu, jedoch nur, soweit ein eindeutiges ethnisches Bekenntnis das Kriterium bildet. Personen mit Zwischen- und Mehrfachidentitäten verorten sich nicht eindeutig, weil sie das Gefühl haben, „mehr“ zu sein als „nur“ Slowene, wobei weitere Gruppenzugehörigkeiten zur ethnischen Verortung hinzutreten und andere Identitätsanteile das ethnische Bekenntnis überlagern – vielfach ohne die Nähe zur slowenischen Kultur und Sprache aufzugeben. Das ethnische Bekenntnis zur Volksgruppe ist in vielen Fällen brüchig und variabel. Es wird durch die Zugehörigkeit zu anderen Gruppen ergänzt oder von anderen Selbstkonzepten eingeschränkt und bleibt nicht exklusiv; zT geht die ethnische Verortung im Prozess der Assimilation verloren – je nach Situation mit besseren oder schlechteren Sprachkenntnissen und intensiven oder geringeren emotionalen Bezügen zur slowenischen Herkunft, Kultur und Sprache. Zugleich gibt es eine Gegenbewegung in die andere Richtung: von der Mehrheit zur Minderheit. „Reaktivierte“ entdecken ihre slowenischen Wurzeln wieder, Personen erlernen die Sprache ihrer Vorfahren oder entdecken slowenische Kultur und Sprache neu für sich – mit oder ohne Bekenntnis zur Volksgruppe. Besonders unter jüngeren Personen zeigen sich verschiedenste Ausformungen der Zwischen- und Mehrfachidentitäten, die keine strikten Zuordnungen mehr erlauben. Am deutlichsten tritt dieses Phänomen bei Personen zutage, die sich als zweisprachig begreifen, die slowenische Sprache und Kultur bewahren, sich aber beiden Gruppen zugehörig fühlen. Die Ursachen für diese fließenden Selbstverortungen sind vielfältig: Personen werden in ihrer ethnischen Selbstverortung von persönlichen Erlebnissen ebenso beeinflusst wie von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Herkunft, Sozialisation und Lebenswelt wirken ebenso wie territoriale Zugehörigkeiten, (Volksgruppen-) Politik oder Geschichte auf die Identitätskonstruktionen ein.652 Die angesprochenen Identitätstypen sind nur sehr oberflächlich zu bestimmen. Sie verdeutlichen die Wandelbarkeit der Identifikationen innerhalb der slowenischsprachigen Bevölke652
Vavti, Zusammenfassung der Ergebnisse, in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti (Hrsg), Ethnische Identitätsbildung in der slowenischen Minderheit Kärntens. Bericht zur Studie (1994) 256 (257); Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 217; Obid/Messner/Leben, Haiders Exerzierfeld 37. In einer weiteren Analyse illustriert Vavti den Einfluss lebensweltlicher Bedingungen und Umstände für die aktuelle Selbstverortung: Vavti, Lebensweltliche Rahmenbedingungen und ihr Einfluss auf die Selbstrepräsentation in biographischen Erzählungen: Fallstudie Katja, Treatises and Documents 67/2012, 52. Sie wählt das Beispiel einer Jugendlichen, die vor ihrem Aufenthalt in Slowenien eine starke Verbindung zur ethnischen Herkunft ausdrückt, nach ihrer Rückkehr aber Zwei- und Mehrsprachigkeit in den Vordergrund stellt; daneben bleibt die ethnische Identität ein wichtiger Teil ihrer Identität (62 f ). Die Wandelbarkeit ethnischer Identifikation erläutert ebenso Kosic, Identity 74 f.
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rung und lösen die Vorstellung einer einheitlichen Minderheitengruppe mit verbindendem ethnisch-nationalem Bewusstsein auf. Das gilt besonders für „Zwischenund Mehrfachidentitäten“, die in unterschiedlicher Weise der slowenischen Kultur und Sprache verbunden sind. Diese Verbindung und daraus hervorgehende Identifikationen werden sich – wie die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht, das im Wandel begriffene Verhältnis zur slowenischen Sprache und die mitunter auftretende Rückbesinnung auf slowenische Wurzeln nahelegen (C.II.c.) – auch auf Seiten der Mehrheitsbevölkerung finden.653 Offen bleibt, wie diese Zwischen- und Mehrfachidentitäten, die sich nicht ethnisch bekennen, aber als zweisprachig begreifen, zu institutionalisieren sind und wer diese Gruppen repräsentiert.
c. Konzepte der Volksgruppenorganisationen und ihre politischen Implikationen Ein Blick auf die Identitätskonzepte der Volksgruppenorganisationen verspricht Antworten auf die Fragen nach der Präsenz und Repräsentation von Zwischenund Mehrfachidentitäten und verdeutlicht – in Ergänzung des individuellen Identitätsspektrums –, welche Konzepte der ethnisch-nationalen Ausrichtung die Volksgruppenvertreter propagieren. Sie erfassen bis in die 1990er Jahre keine Zwischen- und Mehrfachidentitäten. Kulturpendler und Zwischentypen (arrangierte, nützlichkeitsorientierte, angepasste oder reaktivierte Identitäten), die ihrer Herkunft emotional verbunden sind, aber die Nähe zur Mehrheitsbevölkerung suchen oder sich von beiden Gruppen distanzieren, werden – wie Gombos und Vavti zeigen – von „bewussten Slowenen“ und ihren Strukturen als „Assimilierte“ ausgegrenzt und bringen sich selbst nicht in Organisationen der Volksgruppe ein.654 Diese Ausgrenzungsprozesse festigen die ethnischen Grenzen zwischen Mehrheit und Minderheit und verstärken die vollständige Assimilation der Betroffenen, die von Volksgruppenvertretern zT als „Verräter“ betrachtet werden.655 „Arrangierte“ Identitäten, die sich an der Grenze zur Assimilation befinden, sind besonders abhängig von der Politik der Volksgruppenorganisationen, die sie ausgrenzen oder in-
653 654 655
Hierzu schon Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 138. Gombos in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 150; Vavti, Wir haben alles in uns 128; 139 f; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 212; 260 f. Vavti, Wir haben alles in uns 140; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 261; Sturm, Das Verhältnis innerhalb der slowenischen Minderheit. Die Sicht des „Zentralverbandes slowenischer Organisationen“, in Karner/Moritsch (Hrsg), Aussiedlung – Verschleppung – nationaler Kampf (2005) 243 (255).
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 123
tegrieren können.656 Assimilierte finden ihre Heimat in Windischen- und deutschnationalen Organisationen.657 Getragen von dem Anliegen, die Sprache und ihren Kommunikationswert zu erhalten, sind diese Abgrenzungsprozesse durchaus nachvollziehbar: Jede Öffnung über die Gruppe der „bewussten“ und ethnisch identifizierten Slowenen in Richtung Mehrsprachigkeit birgt die Gefahr, schleichende Assimilationsprozesse zu begünstigen, da sich Deutsch als vorrangige Kommunikationssprache anbietet, wenn die Gesprächspartner sich im Slowenischen nicht auf einigermaßen gleichem Sprachniveau bewegen. Slowenisch kann den Kommunikationswert verlieren, wenn es nicht genutzt wird, weil es nur ein Gesprächspartner ausreichend gut beherrscht.658 In der Mehrheiten-Minderheitensituation ist es verständlich, dass die Minderheitengruppe den Kreis um ihre Mitglieder enger zieht und ihre Identität auf einen ethnisch-nationalen „Kern“ reduziert, weil sie sich angesichts des permanenten Assimilationsdrucks in der Mehrheitsgesellschaft ihrer Identität vergewissern muss.659 Macht und Identitätskurse über die Ränder und Zwischenräume nationaler Zugehörigkeiten reichen zurück bis in die Frühphasen der Nationalisierungsprozesse. Bereits nach 1867 wurde, wie Judson zeigt, nationale Zugehörigkeit im sich verstärkenden nationalistischen Diskurs umfassend definiert und schloss viele Bereiche des Alltagsverhaltens innerhalb einer bestimmten Gruppe ein (vom Einkauf nur bei Mitgliedern der Eigengruppe bis zur Eheschließung). Das Verhalten von Personen, die nationalistische Anliegen ignorierten oder sich zwischen oder in mehreren Zugehörigkeiten zu bewegen schienen, wurde als „indifferent“ begriffen und zu einem Fokus nationalistischer Agitation und Rhetorik.660 Ab- und Ausgrenzungsmechanismen kennzeichnen auch die traditionelle Identitätspolitik der zentralen Volksgruppenorganisationen. Sie transportieren nach 1945 ein ethnisch definiertes Konzept der Volksgruppe: Gemeinsame Herkunft und Kultur, kollektiv erlebte Unterdrückung und Diskriminierung gelten, wie Sturm zeigt, als konstitutive Elemente der Minderheit, ihre Homogenität und Geschlossenheit als Voraussetzung zur Durchsetzung ethnischer Gleichberechtigung.661 Erst in den frühen 1990er Jahren bewirken der Zerfall Jugoslawiens und die Unabhängigkeit Sloweniens eine politische und ideologische Neuorientierung 656 657 658 659 660 661
Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 212. Gombos in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 150 f. Vavti, Wir haben alles in uns 141; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 263. Volkan, Blutsgrenzen 41 ff; Heintel in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 312; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 99 f. Judson in Feichtinger/Uhl 150 ff. Sturm in Karner/Moritsch 253 f.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
der beiden zentralen Vertretungsorganisationen.662 Mit Blick auf die Identität der Volksgruppe beginnen sie in dieser Phase nicht mehr strikt zu trennen zwischen „bewussten“ – als den „guten“ – Slowenen und anderen Identifikationen, die sie per se zu den „Assimilierten“ rechnen. Sie rücken ein Stück weit ab vom strengen Bekenntniskriterium,663 das weiterhin eine Rolle spielt, wenn entlang der „ethnischen Identität“ die Grenze gezogen wird, um nur Personen einzuschließen, die ethnische Kriterien als konstitutive Merkmale der Minderheit akzeptieren.664 Vor allem der Zentralverband Slowenischer Organisationen (Zveza slovenskih organizacij na Koroškem, ZSO)665 öffnet sich – beginnend mit der Diskussion um die Minderheitenschulfrage in den 1980er Jahren666 – durch interkulturelle Ansätze und die Vision einer multikulturellen Region in Richtung Zwischen- und Mehrfachidentitäten, während der Rat der Kärntner Slowenen (Narodni svet koroških Slovencev, NSKS)667 weiterhin primär die Gruppe der bekennenden Slowenen repräsentiert, sich gegenüber Assimilierungswilligen abschließt und ein Konzept der „Ethnopartnerschaft“ vertritt, das nationale Gleichberechtigung zur Maxime erhebt und in die politischen Forderungen nach kollektiven Rechten und einer öffentlich-rechtlichen Vertretung der Volksgruppe („Volksgruppenkammer“) mündet.668 Innerhalb der zentralen Organisationen stehen sich zwei Modelle gegenüber: ein „ethnozentristisches“ auf Seiten des Rates, der eine ethnisch-national orientierte Sprachen- und Identitätspolitik perpetuiert,669 und ein „interkulturelles“ Konzept auf Seiten des Zentralverbandes, das die Vielfalt von Sprachen und Ethnien propagiert. Darin bildet die Volksgruppenzugehörigkeit nur eine von vielen Ausprägungen slowenischer Identifikationen – vom Gruppenbewusstsein bis zur bloßen Sprachbeherrschung, weil die Angehörigen der Volksgruppe in zwei Kulturen auf-
662 663 664 665
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Filipič in Drobesch/Malle 86. Vavti, Wir haben alles in uns 140 f; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 261. Wakounig in Aluffi-Pentini/Gstettner/Lorenz/Wakounig 156 f. Der Zentralverband Slowenischer Organisationen entsteht 1955 aus der „Demokratischen Front des wehrtätigen Volkes“ als Volksgruppenvertretungsorganisation mit (ursprünglich kommunistisch-, später vor allem sozialistisch-)liberaler Ausrichtung. Vgl Filipič in Drobesch/Malle 79 f. Sturm in Karner/Moritsch 256. Der Rat der Kärntner Slowenen entsteht 1949 als Vertretungsorganisation der slowenischen Volksgruppe mit christlich-konservativer Ausrichtung. Vgl Filipič in Drobesch/Malle 82 ff; Smrtnik/ Kulmesch in Karner/Moritsch 232. Smrtnik/Kulmesch in Karner/Moritsch 232; Sturm in Karner/Moritsch 256; Vavti, Wir haben alles in uns 140 f; Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 262; in Anderwald/Filzmaier/Hren 112 f. Obid/Messner/Leben, Haiders Exerzierfeld 36; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 135.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 125
wachsen, die nicht nur nebeneinander bestehen, sondern sich überlagern.670 Zur Zielgruppe gehören „bewusste“ und politisch aktive Slowenen ebenso wie Personen mit bi-ethnischen Identifikationen, aber auch Personen ohne eindeutige oder mit kosmopolitischen Verortungen und Windische.671 Der Rat begreift die Volksgruppe hingegen als Gruppe mit nationaler Identität und einem Gruppenbewusstsein, das über die bloße Identifikation mit der Sprache hinausgeht.672 Die Zugehörigkeit zur slowenischen Sprache und Kultur genügt nicht. Zusätzlich wird ein Bewusstsein für die Gruppe verlangt, das sich im ethnischen Bekenntnis ausdrückt und einhergeht mit dem Anliegen, die Gruppe zu erhalten.673 Das Identitätskonzept des Rates ist enger als jenes des Zentralverbandes und erfasst keine Zwischenpositionen, die sich nicht eindeutig der Volksgruppe zuordnen.674 Ein integratives Modell, das auf den Erhalt von Sprache und Kultur setzt und sich abseits der ideologischen Trennung der beiden großen Volksgruppenorganisationen positioniert, vertritt die 2003 aus einer Spaltung des Rates hervorgegangene Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen (Skupnost koroških Slovencev in Slovenk, SKS).675 Sie wendet sich mit Sprachinitiativen an alle Personen, die der slowenischen Sprache in irgendeiner Form verbunden oder an ihr interessiert sind, um zur Wahrung sprachlicher Identität und Vielfalt beizutragen. Ihre Zielgruppe erfasst nicht nur Volksgruppenangehörige, sondern auch Personen aus der Mehrheitsbevölkerung, die ihre slowenischen Wurzeln wiederentdecken („Reaktivierte“), die Sprache aus verschiedensten Motiven erlernen möchten, oder sich selbst als „Windische“ („Assimilierte“) begreifen, ihre slowenische Sprachkompetenz aber erhalten oder verbessern wollen.676 Ähnlich integrativ positioniert sich in den letzten Jahren die Einheitsliste (Enotna lista, EL),677 die als Sammelpartei der Volksgruppe entsteht, sich inzwischen aber für die Anliegen der Mehrheitsbevölke670
Sturm in Anderwald/Filzmaier/Hren 228; Obid/Messner/Leben, Haiders Exerzierfeld 36; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 135; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren beginnt 113. 671 Ogris-Martič, Ist die nationale Frage in Kärnten überholt? – Eine Anregung zum Umdenken: Für eine zeitgemäße politische Einordnung der Volksgruppenfrage, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2012 (2012) 107 (117 f ). 672 Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 226 f; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 112. 673 Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 226 f; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 112. 674 Vgl zur Analyse der unterschiedlichen Ausrichtungen bereits Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 255 f; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 113 f. 675 Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 234 f; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 112. 676 Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 234 f; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 112. 677 Die Einheitsliste (EL) entsteht 1991 aus dem Zusammenschluss des 1973 gegründeten „Klubs der slowenischen Gemeinderäte“ und der 1975 entstandenen „Kärntner Einheitsliste (KEL)“. Vgl Smrtnik/Kulmesch in Karner/Moritsch 236 f.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
rung öffnet und als „Regionalpartei“ für den Schutz der Zweisprachigkeit eintritt, deren identitätsstiftende Besonderheiten für die gesamte Region erhalten werden sollen, um damit der Volksgruppe und der Mehrheit, zu nützen: durch konsequente Öffentlichkeit für die slowenische neben der deutschen Sprache, Ausbau von Informations-, Bildungs- und Kulturinitiativen, Intensivierung grenzüberschreitender Kooperationen und ökonomische Stärkung des zweisprachigen Gebietes.678 Diese Ziele teilen alle Organisationen, vertreten sie aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Alle Organisationen vertreten im Kern Volksgruppenangehörige, die sich als solche definieren, abgesehen vom Rat zielen sie mit Angeboten aber auch auf Zwischenpositionen oder Assimilierte, die ihre slowenische Sprachkompetenz erhalten oder wiedergewinnen wollen. Neben der Vertretung von Volksgruppeninteressen machen sie Angebote an die Mehrheitsbevölkerung – stets im Bestreben durch den verstärkten Einsatz für Sprache und Kultur oder die Regionalentwicklung den Interessen der Volksgruppe zu dienen. Diese Ziele teilt der Rat, in seinem Identitätskonzept ist aber nur derjenige „Slowene“, der sich dazu bekennt. Der Zentralverband integriert Zwischen- und Mehrfachidentitäten, da ihre slowenische Identität als eine von vielen Identifikationen gilt. Aus Sicht der Zwischen- und Mehrfachidentitäten ist diese Repräsentation problematisch, weil sie sich selbst nicht der Volksgruppe zuordnen und sich auch nicht in ihren Organisationen engagieren. Eine eigene Rolle spielen Angehörige jüngerer Generationen, die sich kritisch gegenüber allen Organisationen positionieren und sich nicht von ihren Konzepten erfasst und vertreten fühlen. Gerade sie zeigen besonders ausgeprägte Mehrfachidentifikationen, die sich nur zT in den Identitätsmodellen der Volksgruppenorganisationen wiederfinden, weil sie sich nicht mehr als „Slowenen“, sondern einfach als „zwei-“ oder „mehrsprachig“ begreifen.679 (Volksgruppen-)Politisch gehen die Modelle mit unterschiedlichen Strategien einher: Der Zentralverband erreicht traditionell Teile der linksorientierten Intelligenz und ehemalige Widerstandskämpfer und verfolgt eine Integration in die bestehenden Parteien – vor allem die SPÖ, teilweise die KPÖ. Der Rat, der vor allem die katholische Intelligenz und große Teile der bäuerlichen Bevölkerung versammelt, setzt – nachdem zuvor eine Wahlempfehlung für die ÖVP abgegeben wurde – seit den 1970er Jahren auf eine selbstständige Wahlbewegung in Form der Einheitsliste.680 Ihr Vorgehen koordinieren die Organisationen durch eine Politik der „Akti678 679 680
Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 249 f; Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 113. Vavti, Wir haben alles in uns 141; Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 136. Sturm in Karner/Moritsch 249 f; Smrtnik/Kulmesch in Karner/Moritsch 239 f; Filipič in Drobesch/
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 127
onseinheit“, etwa mit einem gemeinsamen Memorandum der beiden Zentralorganisationen 1955 und vermehrt ab den 1960er Jahren, als sich die Beziehungen des Rates zu Jugoslawien normalisieren.681 Zugleich tritt der Rat für kollektive und politische Volksgruppenrechte ein, die in der Forderung nach einer gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Organisation der Volksgruppe und ihrer Vertretung im Landtag ihren Ausdruck finden. Das Ziel ist eine einheitliche Vertretung der Volksgruppe, die von den Volksgruppenangehörigen direkt gewählt wird und eine demokratische Willensbildung innerhalb der Volksgruppe ermöglicht,682 um ihre Differenzierungen nach innen abzubilden und in politischen Diskussionen und Wahlprozessen zu kanalisieren und nach außen kongruente – demokratisch legitimierte – Positionen zu vertreten.683 Dieses Modell stuft der Zentralverband als „nationalistisch“ ein,684 während die Ablehnung der politischen Eigenständigkeit der Volksgruppe durch den Zentralverband vom Rat im Lichte des „kommunistischen Internationalismus“ gedeutet wird.685 Problematisch ist aus Sicht des Zentralverbandes die Vorstellung eines Kollektivs der Volksgruppe, die sich hinter dem Demokratisierungswunsch des Rates verbirgt, denn die Voraussetzung der aktiven Wahlberechtigung wäre ein ethnisches Bekenntnis.686 Dieses Volksgruppenkonzept des Rates widerspricht in der Deutung des Zentralverbandes der Vielfalt von Identitäten, weil es abweichende Identifikationen benachteiligt, Homogenisierungsdruck verstärkt und ethnische Zugehörigkeiten, die das Ergebnis persönlicher Entscheidung sind, als politisch-öffentliche Steuerungskriterien nutzt.687 Dies münde in ein „Staat im Staat“-Konzept, für das der Rat imMalle 83 f; 86; Jesih, Med narodom in politiko 225; 232; Karpf/Apovnik, Der sozio-ökonomische und politische Wandel 37. 681 Jesih, Med narodom in politiko 225 f; Malle in Rumpler 501 ff. 682 Smrtnik/Kulmesch in Karner/Moritsch 240 f; Pipp, Eine gemeinsame politische Vertretung der Kärntner Slowenen, in Anderwald/Valentin (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 1994 (1994) 207 (208 ff). 683 Vgl Pipp, Eine gemeinsame politische Vertretung 209 ff. 684 Sturm in Karner/Moritsch 250; Sturm in Anderwald/Filzmaier/Hren 232; Ogris-Martič, Worüber reden wir eigentlich? Zentralverband slowenischer Organisationen (ZSO) als Teil der österreichischen Zivilgesellschaft in einem universalistischen Kärnten, (2011) [Übersetzung mit Einleitung von Ogris-Martič Filip, O čem se sploh pogovarjamo? Zveza slovenskih organizacij kot del avstrijske civilne družbe na univerzalističnem Koroškem, in Slovenska prosvetna zveva (Hrsg) Koroški koledar 2011 (2010) 201] 31; Jesih, Med narodom in politiko 232. 685 Pipp, Eine gemeinsame politische Vertretung 220 f. 686 Ogris-Martič in Anderwald/Filzmaier/Hren 118; Ogris-Martič, Worüber 18; 20; vgl Jesih, Med narodom in politiko 232. 687 Sturm in Karner/Moritsch 250 ff; Sturm, Ethnozentrismus und die Kärntner Slowenen, in Gstettner/Wakounig (Hrsg), Mut zur Vielfalt. Strategien gegen das Verschwinden ethnischer Minderhei-
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
mer wieder das Modell Südtirol bemühe.688 Stattdessen spricht sich Sturm dafür aus, zusätzlich zur Strategie, Minderheitenrechte rechtlich und politisch durchzusetzen, die Funktionalität der Sprache zu erhöhen und gruppenübergreifende Zusammenarbeit zu intensivieren, weil die gesamteuropäische Entwicklung und die Volksgruppensituation eine Öffnung der Gruppe – hin zur Pluralität – bedingen.689 Umgekehrt betont Pipp aus Perspektive des Rates die Notwendigkeit, das nationale Bewusstsein der Volksgruppe zu fördern und ihr Autonomie und politische Partizipation zu ermöglichen, um Assimilation wirkungsvoll zu begegnen.690 In diesen Argumentationssträngen wird die Polarität der Positionen sichtbar, die auch von Slowenien beeinflusst wird, das, wie Wakounig erläutert, seine Identität über einen Diskurs herzustellen versucht, der auf Konzepten vom slowenischen Volk und der slowenischen Nation basiert und den der Staat auch „seinen“ Minderheiten im Ausland auferlegt.691 Im Modell des Zentralverbandes gelten Volksgruppenorganisationen als Teil der Zivilgesellschaft, während Ogris-Martič das Selbstverständnis des Gegenübers im Rat als Teil des politischen Systems und der staatlichen Institutionen einordnet. In der politischen Öffentlichkeit wirken beide als nichtstaatliche Vereinigungen für die Gruppeninteressen und verstehen sich als nicht repräsentativ für die Volksgruppe insgesamt.692 In den letzten Jahren verläuft die Trennlinie der Organisationen – neben dem unterschiedlichen Zugang zur politischen Parteiarbeit – entlang dieser Diskussionen.693 Sie sind mit Identitätsvorstellungen und dem Volksgruppenkonzept verbunden. Seinen Schwerpunkt setzt der Zentralverband auf Sprache und Kultur. Sie gelten als Kernelemente der Kärntner slowenischen Identität,694 Minderheitenfragen heute als „Fragen von Sprache und Kultur und nicht Fragen von nationalpolitischer Relevanz“.695 Ethnische Gruppen basieren in diesem Konzept auf sprachlichen
ten (1991) 42 (46 ff); Wakounig in Aluffi-Pentini/Gstettner/Lorenz/Wakounig 154 f. Ogris-Martič in Anderwald/Filzmaier/Hren 119; Ogris-Martič, Worüber 10. Sturm in Anderwald/Filzmaier/Hren 229 f; vgl bereits Sturm, Für eine neue Kultur des Zusammenlebens. Den Nationalismus überwinden, das Zusammenleben gestalten, in Anderwald/Valentin (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 1994 (1994) 257 (262 f ). 690 Pipp, Eine gemeinsame politische Vertretung 221; vgl Wakounig in Aluffi-Pentini/Gstettner/Lorenz/ Wakounig 154 f. 691 Wakounig in Aluffi-Pentini/Gstettner/Lorenz/Wakounig 155. 692 Sturm in Anderwald/Filzmaier/Hren 232; Ogris-Martič in Anderwald/Filzmaier/Hren 120; Ogris-Martič, Worüber 4; 22 f; 27. 693 Vgl Smrtnik/Kulmesch in Karner/Moritsch 241; Sturm in Karner/Moritsch 250 f; 256. 694 Ogris-Martič, Worüber 3. 695 Sturm in Anderwald/Filzmaier/Hren 233. 688 689
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 129
und kulturellen Merkmalen, ein Bekenntnis erfolgt frei und ohne Konsequenzen.696 Weil ethnische Zugehörigkeit als Ergebnis subjektiver Empfindungen und Vorstellungen verstanden wird, kann sie staatlich nicht geregelt werden und bedarf keiner kollektiven Willensbildung.697 Im Konzept des Rates, schlussfolgert Ogris-Martič, bildet die ethnische Gruppe eine politische Gemeinschaft und den Ausgangspunkt kollektiver Willensbildung, wobei erst das ethnische Bekenntnis die Partizipation ermöglicht.698 Einer Verengung der Volksgruppenangehörigen auf die Ethnisch-Bekennenden trat Sturm – in den 1990er Jahren – mit einer konzentrischen Konzeption der Volksgruppenzugehörigkeiten entgegen: vom innersten Kern „der kulturellen und politischen Funktionäre“ über „Kulturliebhaber“ im zweiten Kreis bis hin zu „slowenisch Sprechenden“ im Außenkreis.699 Diese Vereinfachung erachtet Ogris-Martič für verfehlt, weil sie die Vielfalt von Volksgruppenzugehörigkeiten, Gemeinschaften und Organisationen verkürzt und einen „einheitlichen Volkskörper“ mit einem Kern und einem Rand suggeriert.700 Gegen das Modell des Rates gewandt, erwächst daraus das Argument, dass bei Wahlen für eine gemeinsame öffentliche-rechtliche Vertretung, die ein ethnisches Bekenntnis voraussetzen, der politisch-aktive Kern die Gruppen am Rande mit vertritt, die sich nicht ethnisch bekennen und nicht vertreten werden wollen, weshalb letztlich keine einheitliche, sondern nur Vertretungen verschiedenster Interessengruppen der Minderheit möglich wären.701 Konsequenterweise vertreten Volksgruppenorganisationen dann auch „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“ nur, wenn sie vertreten werden wollen, wie es bei Vereinigungen der Zivilgesellschaft der Fall ist. Da sich ein Großteil der Zwischenpositionen und Teile der bekennenden Slowenen (zB kritisch-distanzierte, oder Privatidentitäten), nicht in die Organisationen einbinden, werden sie – obwohl einige Volksgruppenorganisationen auch an diese Gruppen kulturelle, sprachliche Angebote machen oder ökonomische Interessen für die gesamte Region wahrnehmen – von ihnen nicht repräsentiert. In den Volksgruppenkonzepten und Identitätsmodellen der Organisationen sind sie durchaus vorhanden. Sie befinden sich nicht zwischen allen, aber zwischen vielen Stühlen. Offen bleibt, welches Modell in der Lage ist, ihre Interessen zu wahren, und wie Zwischen- und Mehrfachidentifikationen institutionell zu entsprechen ist.
696 697 698 699 700 701
Ogris-Martič in Anderwald/Filzmaier/Hren 121; Ogris-Martič, Worüber 4; 21; 24. Ogris-Martič in Anderwald/Filzmaier/Hren 119; Ogris-Martič, Worüber 11; 14. Ogris-Martič in Anderwald/Filzmaier/Hren 121; Ogris-Martič, Worüber 4; 21; 24. Ogris-Martič, Worüber 15; 29. Ogris-Martič, Worüber 15 f. Ogris-Martič, Worüber 16.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
d. Sprache als Schlüssel zur Institutionalisierung von multiplen Identitäten Ein Blick in die Wirklichkeit(en) der Volksgruppe offenbart eine Wahrheit, die angesichts der Vielfalt subjektiver Identifikationen fast banal erscheint, für die Konzeption kollektiver Identitäten, die Vorstellung von Volksgruppen und die Modelle zu ihrem Schutz aber Konsequenzen hat: Es gibt nicht eine, sondern viele Kärntner Slowenische Identitäten und diese Identitäten verändern sich – 1850 bedeutet es etwas anderes, in Kärnten Slowene zu sein, als 1914, 1940 oder heute.702 Homogenisierungs- und Assimilierungsmechanismen haben die Grenzen um die Gruppen enger gezogen und das Bild einer geschlossenen, ethnisch-identifizierten Volksgruppe suggeriert, das weder sozialen noch psychologischen Realitäten entspricht. Historisch handelt es sich um Prozesse doppelter Homogenisierung und Assimilierung, die direkt (durch gezielten politischen Assimilationsdruck) und indirekt (weil die Assimilation ökonomische Vorteile bringt) von der Mehrheit ausgingen, aber auch von der Minderheit durch Grenzziehung um den ethnisch-identifizierten Kern der Volksgruppe – durch Ausgrenzung von Nicht-Bekennenden und Assimilierten – forciert wurden. Zum Teil wirken diese Mechanismen in der Landespolitik des 20. Jahrhunderts und in der Identitätspolitik der Volksgruppenorganisationen nach und werden von „klassischen“ Minderheitenschutzkonzepten begünstigt.703 Identität ist kein Monolith und ethnische Zugehörigkeit keine Konstante. In den Selbstkonzepten jüngerer Generationen zeigt sich besonders deutlich die Ausdifferenzierung der Identifikationen und Lebenswelten: Multiple, kosmopolitische, symbolische und viele andere Variationen bestehen neben eindeutigen ethnischen Zugehörigkeiten. Sie stellen – in unterschiedlicher Intensität – nur eine von vielen individuellen Teilidentifikationen dar. Auch situativ kann ethnische Zugehörigkeit anders bewertet werden. So deklarieren sich Personen ethnisch, wenn sie dadurch einen Vorteil erlangen, weil sie sich in einem bestimmten Kontext als Mitglieder der Gruppe zu erkennen geben – oder sie vermeiden dies aufgrund von Nachteilen, die sie befürchten.704 Noch viel stärker tritt dieser Effekt bei der slowenischen Sprache zutage, die genutzt und weitergegeben wird, wenn daraus ein Vorteil entspringt („nützlichkeitsorientierte Identität“). Wenn die Sprachwahl als ethnisches Bekenntnis wirkt, ist die Sprachnutzung in der Öffentlichkeit von Anpassung – oder im Gegenteil: von Beharrung – gekennzeichnet.705 Um in bestimmten Situa702 703 704 705
Moritsch, Ethnos 11; vgl Sturm in Karner/Moritsch 243. Toivanen, Das Paradox der Minderheitenrechte in Europa, SWS-Rundschau 2/2005, 185; vgl Ogris-Martič in Anderwald/Filzmaier/Hren 117. Zur flexiblen und situationsabhängigen Verortung anhand eines Beispiels vgl Kosic, Identity 75. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 228.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 131
tionen von der dominanten Gruppe akzeptiert zu werden, blenden manche Personen ihre ethnische Identität aus und betonen andere Eigenschaften, die sie mit den anderen Gruppen verbinden.706 Durch ein ethnisches Bekenntnis zu erfassen sind diese Identitäten kaum oder nur in bestimmten Kontexten, andere wiederum identifizieren sich mit der Sprache, aber nicht mit der Herkunftsethnie. Bei Personen mit bi-ethnischen Identifikationen ist der Versuch, ihre Identität mit ethnischen Kriterien zu erfassen, besonders problematisch, weil sie dadurch gespalten würden, wenn sie sich gleichermaßen mit mehreren Gruppen identifizieren, oder weil sie gezwungen würden, sich zu bekennen, obwohl sie nicht dazu in der Lage sind, wenn sie sich mit keiner der Gruppen identifizieren. Identitäten befinden sich im Fluss, Assimilation ist aber keine Einbahnstraße, wie es die historische Entwicklung in Kärnten vermuten lässt: Studien verdeutlichen den Übergang von der slowenischen zur deutschen Sprache in den älteren Generationen slowenischer Familien und zeigen in Generationenmodellen, wie die Abwendung von der Herkunftsethnie über mehrere Generationen verläuft – von der slowenischen Großmutter bis zur „deutschen“ oder „windischen“ Enkelin (dazu C.II.a.).707 Jüngere Generationen zeigen erhöhte Bereitschaft, die Sprache zu erlernen und Personen entdecken vereinzelt ihre ethnischen Wurzeln in der Volksgruppe neu.708 Identifikationsprozesse laufen in beide Richtungen: von der (ethnisch-identifizierten) Minderheit über sprachliche und multiple Identifikationen zur Mehrheit und – in geringerem, aber vorhandenen Ausmaß – zurück (Abb 2). Personen entdecken Sprache und Kultur für sich, ein kleinerer Teil das ethnische Bewusstsein. Zugleich wächst das Interesse der Mehrheitsbevölkerung an der slowenischen Sprache,709 das aus unterschiedlichsten Motiven ein sprachlich-kulturelles Interesse bildet (C.II.c.). Realiter bestehen vielfältigste Selbstkonzepte nebeneinander. Wie der Konstruktivismus lehrt sind sie letztlich subjektiv und wandelbar: Slowene ist, wer Slowene sein will – ob er sich sprachlich, kulturell, ethnisch oder anders definiert. Die Aufgabe ist festzustellen, nach welchen Kriterien die Vielfalt an Identifikationen zu erfassen und zu institutionalisieren ist. Allen Identitätskonzepten gemeinsam sind Sprache und Kultur. Sie verbinden Zwischen- und Mehrfachidentitäten mit ethnisch-identifizierten slowenischen Identitäten. Einen Bezug zu Kultur oder Sprache teilen Angehörige der Mehrheitsbevölkerung, die Slowenisch – aus verschiedenen Motiven – erlernen und ein Inte-
706 Kosic, Identity 78. 707 Vgl etwa Gombos in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 128. 708 Einen eindrucksvollen Fall schildert Vavti, „Das hinterlässt jo a bei den Kindern die Spuren…“. 709 Vgl Busch/Doleschal in Österreichische Akademie der Wissenschaften 9 f.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Slowenische Identität
ZwischenIdentitäten
Mehrheit Assimilierte
Abb. 2: Identitätskonzepte im Fluss
resse an Sprache oder Kultur zeigen. Um diese Positionen konzeptionell zu erfassen und ihre Vielfalt schematisch zu systematisieren, lassen sich die konzentrischen Erwägungen Sturms zur Volksgruppe adaptieren und weiterdenken – nicht als Untergliederung der Volksgruppe in einen politisch und kulturell aktiven „Volkskern“ und einen kultur- und sprachinteressierten Rand, wie Ogris-Martič kritisiert, sondern zur Systematisierung der Identifikationen mit oder ohne ethnischem Bekenntnis. Diese unterscheiden sich in ihrem Verhältnis zur Herkunftsethnie, Kultur und Sprache. Daher lässt sich das Identitätsspektrum als konzentrisches Modell nach diesen Kriterien abbilden (Abb 3): von „bewussten“ oder ethnisch-identifizierten Positionen über kulturell geprägte Identitäten bis zu Selbstkonzepten, die (nur) sprachliche Bezüge zeigen.
Ethnie
Kultur
Sprache
Abb. 3: Identitätsspektrum als konzentrisches Modell
Mit einem ethnischen Bekenntnis zu erfassen sind Personen, die sich selbst ethnisch verorten (zB Personen mit traditionalistisch-verwurzelter, politisch-aktiver oder reaktivierter Identität), während Kultur und Sprache als Kriterien jene Personengruppen umschreiben, die der slowenischen Kultur oder der Sprache in irgendeiner Form verbunden sind. Sie umfassen alle Zwischen- und Mehrfachpositionen, die sich kulturell oder sprachlich definieren und keine ethnische Verortung vornehmen können oder wollen (Abb 4).
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 133
EthnischIdentifiziert e
Zwischen- und Mehrfachidentitäten
Abb. 4: Identitätskonzepte als konzentrisches Modell
Ohne die Trennung der Volksgruppe in einen Kern und Rand zu suggerieren, illustriert das Modell, nach welchen Kriterien Zwischen- und Mehrfachidentifikationen zu erfassen sind: Ihre Gemeinsamkeit mit ethnisch-identifizierten Identitätskonzepten verkörpern die Bezüge zu Sprache und Kultur. Sie bilden eine Klammer für eine Bandbreite slowenischer Identitäten, unabhängig von ihrem ethnischen Bekenntnis. Diese Schematisierung verkürzt die Vielfalt von Identitäten auf einzelne Merkmale, die ihrerseits in unterschiedlicher Ausprägung auftreten. Sie ist eine Reduktion von Komplexität wie die Typen und Modelle, auf denen sie beruht. Dennoch ist diese Verkürzung und Zusammenfassung notwendig und hilfreich, um Kriterien zu gewinnen, die vielfältigste Identitäten verbinden, und sie als Anknüpfungspunkte nutzbar zu machen, um der Bandbreite an Konzepten gerecht zu werden. Das Modell zeigt: Sprache bildet den kleinsten gemeinsamen Nenner, der das größte Spektrum an Identifikationen verbindet. Ethnisch-Identifizierte teilen sie ebenso wie Personen mit angepassten oder multiplen Selbstkonzepten. In der Sprache liegt der Schlüssel zur Institutionalisierung von Zwischen- und Mehrfachidentitäten. Die Herausforderung besteht darin, der Vielfalt an Identitäten zu entsprechen, ohne Zwischen- und Mehrfachidentitäten durch ein ethnisches Bekenntnis auszuschließen oder „bewussten“ (bekennenden) Volksgruppenangehörigen ihre ethnische Identität zu nehmen, indem sie auf Sprache und Kultur reduziert werden – wie in den jüngsten Diskussionen um eine Neufassung der Volksgruppendefinition anlässlich der Reform des Volksgruppenrechts in Österreich kritisiert wurde. Andererseits dürfen Anknüpfungspunkte die Identifikation nicht einzementieren, sondern müssen breit genug und flexibel sein, um individuelle Veränderungen zuzulassen. Auch ein ethnisches Bekenntnis hat frei und veränderbar zu bleiben. Umgekehrt können vielfältige und multiple Identitäten nur geschützt und gefördert werden, wenn sie nicht auf ein ethnisches Bekenntnis festgelegt werden. Eine Institutionalisierung dieser Vielfalt benötigt beides: Anknüpfungspunkte und Schutzmechanismen für ethnisch-identifizierte Selbstkonzepte, deren Interesse (auch) auf den
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Erhalt der ethnischen Gruppe gerichtet ist, und Kriterien für Identitätskonzepte, deren Anliegen es ist, – ohne ethnische Implikationen – Sprache und Kultur zu erhalten und sprachliche oder kulturelle Identitäten auszuleben (Abb 5).
Ethnie
Sprache (+Kultur)
Abb. 5: Ethnische und sprachlich-kulturelle Anknüpfung
Großzügiger Minderheitenschutz stabilisiert ethnisches Bewusstsein und fördert die Identifikation mit der Eigengruppe.710 Personen mit starker ethnischer Verortung halten Belastungen ihrer Minderheitenidentität leichter stand.711 Minderheitenförderung wirkt der Assimilation entgegen, die ihrerseits Ethnozentrismus, Mythenbildung und die Ablehnung von Zweisprachigkeit begünstigt.712 Klassischer Minderheitenschutz, der sich an ethnischen Kriterien orientiert, erfasst aber keine Zwischenund Mehrfachidentitäten, die zum überwiegenden Teil auch nicht von politischen und kulturellen Organisationen vertreten werden. Er bietet keine Antwort für die Probleme von Personen mit bi-ethnischen oder multiplen Identitäten und bleibt wenig erfolgreich bei Angeboten für „Entfremdete“, die außerhalb der Gruppenstrukturen und in räumlicher Distanz zum Siedlungsgebiet der Volksgruppe keine Schutzmechanismen vorfinden und deren Identität sich dadurch zunehmend abschwächt. Es nützt wenig, wenn die Volksgruppenangehörigen aus ökonomischen Gründen nicht in dem Gebiet bleiben können, in dem sie ihre Rechte wahrnehmen können. Über den klassischen Minderheitenschutz hinaus bedarf es regional- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die zugleich der Volksgruppe und der Region dienen. Die Antwort auf diese Herausforderungen liegt nicht in einem „Entweder-Oder“ – in der Dichotomie zwischen ethnischen und sprachlich-kulturellen Konzepten –, sondern in einem „Sowohl-als-auch“: Ethnische haben neben sprachlichen und kulturellen Anknüpfungspunkten zu bestehen, um der Vielfalt slowenischer Identitäten zu 710 711 712
Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 218. Kosic, Identity 81. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 231.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 135
entsprechen und fließende Übergänge zu ermöglichen, anstatt eine der Konzeptionen zu negieren. Wer will, soll sich bekennen, um jene Rechte geltend machen zu können, die eines Bekenntnisses bedürfen und wer dies nicht will, soll in der Entwicklung seiner Identität durch objektive Kriterien geschützt sein, die zugleich den Wandlungsprozessen der Identitäten und dem steigenden Sprachinteresse der Mehrheitsbevölkerung Rechnung tragen und der Gesamtentwicklung der Region und Gesellschaft in Richtung Multikulturalität dienen. Dieses Nebeneinander der Konzepte ermöglicht Übergangsprozesse vom Ethnozentrismus zur Pluralität, ohne eines dem anderen überzustülpen – in einer Phase, die von der Parallelität von Globalisierung und Öffnung der Identitäten und gleichzeitigem Rückbezug auf ethnisch-nationale Wurzeln geprägt ist. Sprache (und Kultur) bildet in einem solchen Ansatz die größere Klammer, die kleinere das ethnische Bewusstsein, das sich als rein subjektives Kriterium in einem Bekenntnis äußert (Abb 5). Diesen Ansatz haben die weiteren Abschnitte in einem Modell zu verdichten und für die Analyse nutzbar zu machen. Zuvor ist jedoch der Blick nach Südtirol und seine Identitätskonzepte zu richten und die Frage nach der Funktionalität der Minderheitensprachen in Kärnten und Südtirol zu beantworten.
III. Deutsche, Italienische und Ladinische Identität(en) in Südtirol Das Nebeneinander dreier – durch ein „Erfolgsmodell“ geschützter – Sprachgruppen und Kulturen in Südtirol verspricht gelebte Mehrsprachigkeit und Pluralität: sowohl der Sprachen als auch der Identitäten. Bei genauerer Betrachtung zeigen zahlreiche Forschungen jedoch ein „Nebeneinander“ der Gruppen, das nicht zu Austausch und Pluralität anregt, sondern – entsprechend seiner historisch notwendigen, konfliktregulativen Funktion – „erfolgreich“ Gruppengrenzen fixiert und ethnische Identifikationen stärkt: Einheit statt Vielfalt, die entlang der Sprache stabilisiert wird. Im Ergebnis ist Südtirol, wie Zappe Mitte der 1990er darlegt, weniger vielfältig als es scheint, da die Trennungspolitik Austausch und kulturellem Reichtum entgegensteht.713 Die Ursachen identifizieren Forstofer/Rank in korrespondierenden individuellen und kollektiven Abgrenzungsprozessen: Sie erzeugen „eine mehrfach rückgekoppelte Wechselwirkung zwischen politischem System, Medien, sozialem Umfeld und individuellem Bewusstsein, welche die Ethnisierungsprozesse in Südtirol hervorbringt und Selbst- und Fremdbild der ethnischen Gruppen prägt.“714 713 714
Zappe, Das ethnische Zusammenleben 108. Forsthofer/Rank, Empirische Überprüfung des Rahmenmodells zum ethnischen Bewusstsein, in
136
Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Gruppenmerkmal, Symbol und Grenze bildet die Sprache. Wie Gallenmüller-Roschmann aus empirischen Untersuchungen Ende der 1990er Jahre schließt, fungieren Muttersprache und Sprachgebrauch für alle drei Gruppen als „wesentlicher social marker im Intergruppenkontext“.715 Die Referenz auf „Sprachgruppen“ – anstelle von „Volksgruppen“ – verstärkt nach Atz die Bedeutung der Sprache als Identitätsmerkmal der ethnischen Gruppen und dürfte das Selbstverständnis der Betroffenen beeinflussen.716 Der Schlüssel zu Pluralität, Plurilingualität und -kulturalität, in der alle (Sprach-)Kulturen ihren Platz finden, liegt im Erwerb der zweiten oder dritten Sprache,717 den die Mechanismen der Abgrenzung erschweren (C.III.). Daher empfiehlt sich ein Umdenken in Richtung Pluralität – mit Blick auf individuelle und kollektive Identifikationsprozesse, politische Argumentation und im System, das die Zugehörigkeiten stabilisiert.718 In einer vergleichenden Analyse zweier qualitativer Untersuchungen 1990 und 1993719 ortet Zappe in allen Sprachgruppen ein Meinungsspektrum vom „Ethnozentrismus bis hin zur ‚Ethnizitätslosigkeit‘ und zu übergreifenden Identitätsansprüchen“720, überwiegend fixiert die Muttersprache jedoch ethnische Zuordnung, die sich mit Mehrsprachenkompetenz lockert – ausgenommen sind Ladiner, die dreisprachig aufwachsen, ihr ladinisches „Eigenleben“ als Strategie des Überlebens aber besonders sichern.721 Ihnen ist es gelungen, neben den großen Gruppen eine „kulturelle Nische“ einzunehmen.722 Zugleich verstärken regionale Siedlungsver-
Wakenhut (Hrsg), Ethnische Identität und Jugend. Eine vergleichende Untersuchung zu den drei Südtiroler Sprachgruppen (1999) 109 (131). 715 Gallenmüller-Roschmann, Die drei Sprachgruppen Südtirols im Vergleich, in Wakenhut (Hrsg), Ethnische Identität und Jugend. Eine vergleichende Untersuchung zu den drei Südtiroler Sprachgruppen (1999) 83 (98). 716 Atz, Südtirol: Können wir dem Frieden zwischen den Sprachgruppen trauen? Ergebnisse der ASTAT-Bevölkerungsumfrage 1991, in Atz/Buson (Hrsg), Interethnische Beziehungen: Leben in einer mehrsprachigen Gesellschaft (1992) 83 (87). 717 Zappe, Das ethnische Zusammenleben 107. 718 ZB Zappe, Das ethnische Zusammenleben 107 f; Baur/von Guggenberg/Larcher, Zwischen Herkunft und Zukunft. Südtirol im Spannungsfeld zwischen ethnischer und postnationaler Gesellschaftsstruktur. Ein Forschungsbericht (1998) 245 ff. 719 Diese Untersuchung setzt sich zusammen aus einer Interviewreihe mit einflussreichen Personen aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder religiösen Lebensbereichen Südtirols und einer Analyse von Medienberichten. Das gleiche Prinzip liegt der Arbeit 1990 zugrunde. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 19 f; 96 f; 123 ff. 720 Zappe, Das ethnische Zusammenleben 98. 721 Zappe, Das ethnische Zusammenleben 99. 722 Zappe, Das ethnische Zusammenleben 104.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 137
hältnisse nach Erhebungen 1997 „eine Art ethnische Schranke“.723 Übergreifende mehrsprachige Identitäten lassen sich erst in Ansätzen erkennen und finden sich vor allem unter jüngeren Personen. Tief verankert ist das Selbstverständnis in Sprachgruppeneinheiten.724 Klischeebilder der anderen Gruppen erschweren Kontakte und speisen sich häufig aus Erzählungen oder historischen Erfahrungen älterer Generationen, die auch bei Jüngeren fortwirken, wenngleich sie diese Erfahrungen weniger bewusst präsent haben. Ethnozentristische Geschichtsbilder schließen andere Kulturen aus und Sprache erfüllt in Abgrenzungen, wie Zappe ausführt, einen „Volksgruppensinn“:725 Sie sichert ethnische Stabilität, die den Erwerb der anderen Sprache erschwert und den politischen Diskurs beeinflusst. Die Hauptaufgabe der Schule orten Baur/Larcher in der Konstruktion zweier Ethnien: „Sie soll sprachliche Identität und damit ethnische Identität vermitteln.“726 Das Lernen der zweiten Sprache gilt zT als nutzlos, unnotwendig oder Zwang. Offene Haltungen führen zu besseren Kenntnissen und freudigerem Erwerb der anderen Sprache (C.III.). Neubewertungen der Zweisprachigkeit fördern wirtschaftliche Erwägungen, da beruflicher Erfolg im öffentlichen Dienst oder Tourismus sowohl Deutsch als auch Italienisch erfordert und Zweisprachigkeit – zumindest für die Italienischsprechenden ähnlich wie in Kärnten – als Chance am Arbeitsmarkt erkannt wird (differenzierend C.III.). Dennoch behält die Sprache ihren Bekenntnischarakter und ihre Zugehörigkeitssymbolik, wogegen Pluralität und gelebte Mehrsprachigkeit Austausch und den Abbau von Gruppengrenzen erfordern.727 Neben dem Gegensatz übergreifender Identitäten und strenger Abgrenzungsstrategien, die überwiegen und Personen wie auch Gruppen sprachgruppenbezogen definieren,728 zeigt sich ein wachsendes Bewusstsein für gemischte Identitäten: Personen mit Eltern aus beiden Gruppen, die mit Zappe im weitesten als „Mischkultur“ oder „vierte Gemeinschaft“ begriffen werden.729 Baur/Larcher schätzen ihren Anteil aus der Zahl an gemischten Ehen auf 13% der Bevölkerung.730 Ihnen gegenüber bestehen – historische – Ängste vor dem Verwischen der Gruppengrenzen, einer Vermischung der Kulturen und dem Aufgehen der Sprachgruppen. Bekenntnisse 723
724 725 726 727 728 729 730
Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol (Hrsg), Identität und Mobilität der drei Sprachgruppen. Abschließender Bericht (1997) 34. Vor allem die Italienische Bevölkerung weist starke Eigenbezüge auf. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 281. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 100 f. Baur/Larcher, Fit für Europa 179. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 101 ff; 287 f; 295; Egger, Zweisprachigkeit 158 ff. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 281. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 152 f. Baur/von Guggenberg/Larcher, Zwischen Herkunft und Zukunft 53.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
zu Mischkulturen sind – mit bedingt durch die Funktionsweise des politischen Systems – nicht sehr ausgeprägt und nur vereinzelt wird zugestanden, dass sich der Proporz negativ auswirkt auf Personen, die keiner Gemeinschaft zugehören oder durchgehend zweisprachig aufwachsen und sich so definieren.731 Da Identität zwischen den Gruppen primär ethnisch gedacht wird, bergen übergreifende Konzepte die Gefahr, diese Identität zu verlieren. Als Schritt zu multikultureller Identität empfiehlt sich, Klischees und Abgrenzungsstragien im öffentlichen und privaten Diskurs abzubauen. Soweit Diskurse positiv ausfallen, basieren sie auf kosmopolitischen Erwägungen, die den Blick auf Vielfalt als Bereicherung lenken.732 Öffentliche machtpolitische Diskurse forcieren ethnische Zugehörigkeiten, da sie Wähler als Sprachgruppenangehörige ansprechen, die ihrerseits kaum ein Wechselwählerverhalten über die ethnischen Grenzen hinweg zeigen. Die Sprachgruppen bleiben die wesentlichen Interessensverbände, wenngleich die Parteien zuletzt stärker dazu übergehen, auch Wähler in den anderen Gruppen gezielt anzusprechen.733 Die zentrale Bruchlinie bleibt, wie Pallaver analysiert, die ethnische Zugehörigkeit, die politische Subarenen für die Minderheitengruppen hervorbringt.734 Nationale italienische und ethnisch-deutsche Rhetorik grenzen Identitäten und Kulturen ab.735 Baur spricht von einem wechselseitigen „Mechanismus der ‚Entwertung‘“.736 Italienern wird in älteren Diskursen ihre Verwurzelung abgesprochen, da ihnen in den Zuwanderergenerationen, denen die meisten Italienischsprachigen in Südtirol entstammen,737 die gemeinsame Herkunft fehlt.738 Das Bild der Volksgruppen wird so auf wenige Elemente verkürzt und der Differenz-Diskurs rechtfertigt das Handeln für die Eigengruppe.739 Politisch identifiziert Giudiceandrea in der deutschen 731 732 733 734 735
736
737 738 739
Zappe, Das ethnische Zusammenleben 154 ff; Eichinger in Hinderling/Eichinger 213. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 158 f; 171. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 282; 286; Baur/von Guggenberg/Larcher, Zwischen Herkunft und Zukunft 246; Pallaver in Grote/Siller 269 f. Pallaver in Grote/Siller 266 f; 273. Italiener lehnen vor allem Zigeuner und Einwanderergruppen ab, unter Deutschen und Ladinern scheinen ethnische Vorurteile stärker verbreitet; Atz in Atz/Buson 86. In einer Erhebung 1997 findet dagegen eine soziale Integration der Einwanderer unter Deutschsprachigen geringere Unterstützung, während sich Italiener offener für eine Integration aussprechen und sich Ladiner am wenigsten ablehnend äußern. Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 53. Baur, Die Sprache der Anderen. Was erschwert und was erleichtert den Zweitspracherwerb in Südtirol?, in Grote/Siller (Hrsg), Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen (2011) 167 (174). Eichinger in Hinderling/Eichinger 212. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 139 ff. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 144; Baur/von Guggenberg/Larcher, Zwischen Herkunft und Zukunft 246 f.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 139
und italienischen Sprachgruppe historisch gewachsene und wechselseitig bedingte Identitätsmodelle:740 Zu den Angeboten auf deutscher Seite gehören der „Volkstums-Südtiroler“, der Kontakte vermeidet und die Vision der Selbstbestimmung befürwortet, das Modell des „realistischen Südtirolers“, der die Autonomie erweitern möchte und Kontakte zu Italienern pflegt und „alternative“ Modelle, die Historie und Politik kritisch betrachten und Kontakt als Bereicherung bewerten. Auf italienischer Seite besteht lediglich ein Angebot, das die Überlegenheit der eigenen Kultur betont; nur in den 1980er Jahren entsteht ein Trend zu alternativen Modellen auch unter Italienern. Eine Alternative im Sinne eines „zu Hause Seins“ in beiden Kulturen hat sich nicht durchgesetzt.741 In Vorwahlzeiten mobilisieren Parteien durch ethnonationale Anliegen, die Mitte der 1990er Jahre gut angenommen werden, was sich 1993 am Beispiel der „Ladins“ als Partei für die Ladiner zeigt, wohingegen sich die Grüne Alternative Liste mit interethnischen Ansätzen nicht durchsetzen kann.742 1993 entstehen neue regionale, ethno-nationalistische Parteien, deren Spektrum bis dahin die SVP abdeckt: Union für Südtirol, die Freiheitlichen, Südtiroler Freiheit. Sie unterscheiden sich in der Intensität ihrer Forderungen und Vorstellungen von Selbstbestimmung, während die italischen Parteien sich gesamtstaatlich orientieren.743 Auf italienischer Seite erlangen rechte Parteien überdurchschnittlich hohe Zustimmung, wenngleich es keiner Partei gelingt, ähnlich integrativ wie die SVP zu wirken; stattdessen bleiben italienische Parteien zersplittert.744 Der Dominanzanspruch der deutschen de facto-Mehrheit „revitalisiert“ auf italienischer Seite das Nationalbewusstsein – ein 740 741 742 743
744
Giudiceandrea, SüdtirolerIn als Identität 283 ff. Giudiceandrea, SüdtirolerIn als Identität 288 f. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 288; 293. Wisthaler, Immigration 9; Pallaver in Grote/Siller 270 ff; Olt in Barlai/Griessler/Lein 115 ff. In einer Erhebung zum Identitätsempfingen der „Arbeitsgruppe Selbstbestimmung“ 2010 geben unter 540 Befragten 95% an, sich nicht als Italiener zu fühlen und von anderen/außen nicht mit Italien identifiziert werden zu wollen; so Olt in Barlai/Griessler/Lein 125. 2014 befürworten in einer Umfrage unter 1000 Personen 71,8% der Italiener die Selbstbestimmung für Südtirol (siehe http://www.stol.it/Artikel/Politik-im-Ueberblick/Lokal/Mehrheit-der-Italiener-fuer-Selbstbestimmung-fuer-Suedtirol (31.01.2016)). In einer Umfrage der Südtiroler Freiheit 2013 unter 200 deutsch- und ladinischsprachigen Personen sprechen sich 26% für einen Verbleib bei Italien aus; 54 % für die Unabhängigkeit; lediglich 6% geben an, sich als Italiener zu fühlen, 86% bezeichnen sich als Südtiroler; hierzu http://www.suedtiroler-freiheit.com/neue-meinungsumfrage-zur-selbstbestimmung-nur-26-der-sud-tiroler-wunschen-sich-einen-verbleib-bei-italien/ (31.01.2016); vgl Griessler, Südtirol zwischen Selbstbestimmung und nationalstaatlichen Interessen, in Barlai/Griessler/Lein (Hrsg), Südtirol. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (2014) 169 (182). Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 211; Grote, I bin a Südtiroler 269.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Mechanismus, aus dem interethnische, multikulturelle Ansätze einen Ausweg ermöglichen.745 Das Parteienspektrum spiegelt die Segregation der Gesellschaft.746 Der doppelte Regionalismus in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen führt zu einem ethnisch-sprachlichen Cleavage mit zwei getrennten Wettbewerbssphären im politischen Wettbewerb.747 Veränderungen zeigen sich in den letzten Jahren durch zunehmende Erfolge der Grünen und die Akzeptanz italienischer Kandidaten in der SVP.748 Aus zuletzt 2013 erzielten Zuwächsen im Stadtgebiet schließt Marlai, dass viele italienischsprachige Wähler für die SVP votieren, während sich die italienischen Parteien im rechten Parteispektrum marginalisieren.749 Insgesamt reduziert sich der Stimmenanteil der SVP von 52,04% 1993 auf 45,7% 2013, während sich die Anteile der Freiheitlichen und der Union für Südtirol von 6,06% und 4,8% auf 17,9% und 7,2% erhöhen, aber auch die Grünen von 6,92% auf 8,7% zulegen.750 Pallaver ortet einen Wandel in der politischen Landschaft Südtirols, der sich in Trends zur Regionalisierung und der Abnahme gesamtstaatlicher Parteien bei gleichzeitiger Ethnisierung ausdrückt – Ausnahme sind die Grünen als bewusst interethnische regionale Partei. Insgesamt verliert die politische Mitte Stimmen an die rechts orientierten Parteien. Der politische Wettbewerb erfolgt inzwischen in allen Gruppen, es gelingt jedoch erst in geringem Ausmaß, das ethnische Wahlverhalten zu verändern.751 An einer Jugendstudie unter den Sprachgruppen 1994/95752 illustriert Wakenhut, wie Internationalisierung und Pluralisierung – verbunden mit dem Entstehen neuer ethnischer Gruppen – alte Gruppengrenzen reaktivieren kann.753 In der Untersuchung verortet sich, wie Gallenmüller-Roschmann und Forsthofer/Rank ausführen, die Mehrheit der Jugendlichen in einer Sprachgruppe und nimmt die
745 Baur/von Guggenberg/Larcher, Zwischen Herkunft und Zukunft 274. 746 Eingehend Pallaver in Ferrandi/Pallaver 589 ff; vgl Barlai in Barlai/Griessler/Lein 214. 747 Barlai in Barlai/Griessler/Lein 213. 748 Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 219; Abel in Abel/Stuflesser/Voltmer 239; Barlai in Barlai/Griessler/Lein 213. 749 Barlai in Barlai/Griessler/Lein 211. 750 Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Südtirol Handbuch 88 f; Südtiroler Landtag, Ergebnis der Landtagswahlen vom 21.11.1993, in http://www.landtag-bz.org/de/wahlen/wahlen-legislatur-11. asp; Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Landtagswahlen 2013, in http://wahlen.provinz.bz.it/ (31.10.2013). 751 Pallaver in Grote/Siller 279 f. 752 Wakenhut, Ethnische Zugehörigkeit, Modernisierung und Jugend in Südtirol, in Wakenhut (Hrsg), Ethnische Identität und Jugend. Eine vergleichende Untersuchung zu den drei Südtiroler Sprachgruppen (1999) 11 (14 f ). 753 Wakenhut, Ethnische Zugehörigkeit 25.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 141
Gruppengrenzen tendenziell als undurchlässig wahr.754 Diese Ergebnisse entsprechen den Resultaten einer Bevölkerungsumfrage 1991.755 Ethnische Zugehörigkeiten wirken für einen Großteil identitätsstiftend und sind an der Muttersprache als zentralem Distinktionsmerkmal festzumachen, die Abgrenzungen führen aber nicht per se zu Konflikten.756 Diese Annahmen sind umso geringer ausgeprägt je höher die Schulbildung ist – vergleichbar den Vorurteilen in Kärnten – und umso höher fällt die Bereitschaft zu interethnischem Zusammenleben aus, wobei die italienische Sprachgruppe das geringste Abgrenzungspotenzial aufweist.757 Unter Jugendlichen sind sich alle Gruppen sympathisch, am deutlichsten die eigene, gefolgt von Ladinern, für die beide großen Gruppen Sympathien aufbringen.758 Wie eine Erhebung im selben Zeitraum ergibt, erachten Ladiner die Vielfalt eher als Reichtum (65,2%), während 41,2% unter deutschsprachigen und 9,3% der italienischen Jugendlichen meinen, man müsse mit den anderen zurechtkommen. Es zeigt sich eine größere Bereitschaft, Vielfalt als Wert anzuerkennen.759 Deutsche (97%) und italienische (99%) Jugendliche fühlen sich primär der eigenen Sprachgruppe zugehörig. Ladiner sind besonders stolz auf die Zugehörigkeit zu ihrer Gruppe und zeigen – wie schon in der Bevölkerungsumfrage 1991 – das höchste Selbstwertgefühl als Gruppe.760 Diese Werte bestätigt eine Umfrage zehn Jahre später: 2004 zeigen deutsche Muttersprachler die größte Zugehörigkeit zur Sprachgruppe, während sich unter ladinisch- und italienischsprachigen 5,6% und 11% noch anderen Sprachgruppen zugehörig fühlen. Die italienischsprachige Gruppe vertritt vielfältige Standpunkte, wogegen es der deutschen nach Ceccon leichter gelingt, ihre sprachlich-ethnische Identität zu finden.761 Wie Forrer et al zeigen, integrieren Angehörige der deutschen Bevölkerung die Zweitsprache stärker in
754 755 756 757 758 759
760 761
Forsthofer/Rank in Wakenhut 121 f; Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 97 f. Atz in Atz/Buson 87. Forsthofer/Rank in Wakenhut 121 f; Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 97 f. Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 97; 102; 108 f; Atz in Atz/Buson 86; Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 45. Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 107. Egger, Sprachlandschaft 243. 2004 sehen 79,6% der ladinischen, 59,6% der deutschen und 38,2% der italienischen Befragten in einer Erhebung die Existenz der Sprachgruppen in Südtirol als Reichtum an; Egger/Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 190 f. Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 99; Atz in Atz/Buson 86. Ceccon, Sprachidentität, in Astat Landesinstitut für Statistik, Südtiroler Sprachenbarometer. Sprachgebrauch und Sprachidentität in Südtirol 2004 (2006) 105 (160 ff). Egger, Sprachbiographie, in Astat Landesinstitut für Statistik, Südtiroler Sprachenbarometer. Sprachgebrauch und Sprachidentität in Südtirol 2004 (2006) 23 (26): Unter Italienern decken sich Muttersprache und Sprachgruppenzugehörigkeit zu 95,1%, bei Deutschsprachigen zu 98,6%; bei Ladinern zu 88,6%.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
ihre Gruppenidentität und begreifen sich in sozialen Situationen eher auch als „Italiener“ als Italiener dazu neigen, sich als „Deutsche“ zu verstehen. Sie nehmen weniger essentielle Unterschiede zwischen den Gruppen wahr als Italiener.762 Je intensiver sich Kontakte unter den Gruppen gestalten, umso eher tendieren Jugendliche zu gemeinsamen Gruppenidentitäten, erkennen geringere Unterschiede zwischen den Gruppen und integrieren die Zweitsprache in das Verständnis der Eigengruppe. Während Deutschsprachige sich dadurch weniger mit der Eigengruppe identifizieren, steigt – wie Analysen von Daten aus dem Jahr 2007/08 ergeben – unter italienischen Jugendlichen die Identifikation mit der Eigengruppe an, was nahelegt, dass sich Angehörige von Mehrheit und Minderheit im Kontakt dieses Status bewusst sind, der sich bei der deutschsprachigen Mehrheit verliert, bei der Minderheit jedoch präsent bleibt, ohne negative Konsequenzen zu zeitigen.763 Im privaten Kontext verwenden alle Gruppen hauptsächlich die Muttersprache, Ladinisch wird nur von Ladinern gesprochen und findet kaum Verwendung im öffentlichen Raum.764 In der kleinsten Gruppe erweist sich die ethnische Identifikation besonders ausgeprägt und die Gruppe zeigt größere Ablehnung gegenüber Randgruppen.765 Im Kontakt zeigen ladinische Jugendliche geringere Distanzen.766 Einen Sprachgruppenwechsel aus eigennützigen Gründen können sich 17% vorstellen, wohingegen nur 12% und 13% der Deutschen und Italiener dazu bereit
762
Forer/Paladino/Wright, Effects of cross-group contact, direct and extended, on attitudes, linguistic identity and L2 competence of ‘Italian’ and ‘German’ high school students in South Tyrol, in Abel/ Wisniewski/Vettori (Hrsg), KOLIPSI. Die Südtiroler SchülerInnen und die Zweitsprache: eine linguistische und sozialpsychologische Untersuchung Band 2 (2012) 81 (107). 763 Die Integration der zweiten Sprache scheint Situationen zu bedingen, in denen die Sprache auch genutzt wird; für übergreifende Identifikationen müssen (jedenfalls erweiterte) Kontakte regelmäßig stattfinden; Forer/Paladino/Wright in Abel/Wisniewski/Vettori 107 ff. Die Kontakte wurden in der Untersuchung unterteilt in: Kontakte zu Nachbarn der anderen Gruppe, Freundschaften und weitere Kontakte (über Freunde oder Verwandte). 70% der Deutschen und 80% der Italiener haben dabei zumindest einen Freund in der anderen Sprachgruppe angegeben. Freundschaften haben erwartungsgemäß den größten Einfluss auf die Wahrnehmung der anderen Gruppe und die Eigenwahrnehmung. Nähe und Intensität der Kontakte beeinflussen die Wirkung von Freundschaften, Regelmäßigkeit spielt dagegen eine bedeutende Rolle für die Wirkung von erweiterten Kontakten (über Freunde oder Verwandte), die ebenfalls Wahrnehmungen der Gruppenbezüge beeinflussen. Hierzu Forer/Paladino/Wright in Abel/Wisniewski/Vettori 110 ff. 764 Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 101. 765 Forsthofer/Rank in Wakenhut 122. 766 Während 8% sich gegenüber Deutschsprachigen und 14% gegenüber Italienern distanzieren, zeigen diese umgekehrt zu Ladinern zu 20% (Italiener) oder 28% (Deutsche) Distanz. Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 97 f; 103.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 143
wären.767 In Sprachgruppenzugehörigkeitserklärungen kommen taktische Zuordnungen durchaus vor, nach der ersten Erhebung 1981 vor allem von Italienischsprachigen, da der Proporz einen großen Aufholbedarf der deutschen Sprachgruppe ergibt und ihr seither größere Teile öffentlicher Stellen zur Verfügung stehen.768 Regional und national dominiert unter deutschsprachigen Jugendlichen die Bindung an das Land Südtirol (41%); insgesamt sehen sich 77% der Befragten dieser Gruppe als Südtiroler. Von den ladinischen Jugendlichen fühlen sich 64% als Südtiroler, unter ihnen überwiegt aber die Bindung an die Talschaften und Bezirke (42%). Jugendliche aus der italienischen Sprachgruppe verstehen sich zu 66% als Italiener und fühlen sich primär an Italien und nationsübergreifend (48%) gebunden. Sie identifizieren sich eher nationalstaatlich als sprachgruppenspezifisch.769 Eine Regionalidentität erkennt Grote unter Italienern nicht und bemerkt unter Ladinern erst langsam ein wachsendes Gefühl der Zusammengehörigkeit über die administrativen Grenzen der drei Provinzen hinweg, auf die ihre Täler aufgeteilt sind.770 Eine regionale und sprachgruppenübergreifende Südtiroler Identität, deren Fehlen schon Zappe bemängelt, findet sich auch unter Jugendlichen nicht. Identifikationen sind in der deutschen Sprachgruppe traditionell und in der italienischen eher durch ethnozentristische Abneigungen gegen gesellschaftliche Randgruppen motiviert.771 Wie Forsthofer/Rank schließen, liegt das am politisch-rechtlichen System Südtirols, das einem institutionalisierten ethnischen „Dauerkonflikt“ gleichkommt.772 Konflikte treten auf, wenn Entwicklungen als Bedrohung der sprachlich-kulturellen Eigenständigkeit gedeutet werden oder die Aufteilung von Einflusssphären in Frage steht, zB in Debatten um getrennten oder gemeinsamen Unterricht.773 Mit Pelinka betonen sie, die SVP lebe lange von der Balance, das Bewusstsein für den Konflikt aufrechtzuerhalten, ihn aber zugleich zu kontrollieren – eine Strategie, die inzwischen andere Parteien wie die „Ladins“ in den 1990er Jahren kopieren, während sich jede Gruppe in bestimmten Bereichen als am meisten 767 768 769
770 771 772 773
18% der deutsch- und 23% der italienischsprachigen Jugendlichen lehnen diesen explizit ab. Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 104 f. Grote, I bin a Südtiroler 219 f; Lüsebrink in Hinderling 76. Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 106 f; Forsthofer/Rank in Wakenhut 122. Ähnliche Ergebnisse liefern Bevölkerungsumfragen 1991, dazu erläuternd Egger, Sprachlandschaft 242, und 2004; Ceccon, Sprachidentität, in Astat Landesinstitut für Statistik, Südtiroler Sprachenbarometer. Sprachgebrauch und Sprachidentität in Südtirol 2004 (2006) 105 (158 ff); so auch Giudiceandrea, SüdtirolerIn als Identität 285. Grote, I bin a Südtiroler 249. Forsthofer/Rank in Wakenhut 122. Forsthofer/Rank in Wakenhut 130. Forsthofer/Rank in Wakenhut 130 f.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
benachteiligt betrachtet.774 Baur/von Guggenberger/Larcher fassen diese Strategien mit dem Begriff der „Dauermobilisierung“: getrennte Strukturen wahren die Distanz der Gruppen, um Zugehörigkeit zu stabilisieren, während stete Forderungen nach mehr Autonomie den Konflikt wachhalten.775 Dazu tragen die Katasterführung und Zugehörigkeitserklärungen bei.776 Angehörige aller Gruppen halten den darauf basierenden Proporz für ein Mittel, das zum Zusammenleben beiträgt. Deutsche und Ladiner erachten ihn häufiger für sinnvoll als die Italiener.777 Im Diskurs nehmen sowohl die italienische als auch die deutsche Sprachgruppe für sich den Minderheitenstatus in Anspruch: die deutsche Minderheit innerhalb des italienischen Staates, von dem sie größere Autonomie einfordert, und die Italiener innerhalb Südtirols, wo sie wenig Einfluss auf das System nehmen können, in sich – schon durch die Einwanderung aus unterschiedlichen Regionen – inhomogen sind und Unterstützung vom Staat erwarten.778 Dieser Diskurs bedingt sich vor dem Hintergrund der Konfliktgeschichte gegenseitig, einzig der Minderheitenstatus der Ladiner steht außer Frage. Neben den Identitäten als Minderheit bleiben die Gruppen und ihre Grenzen geprägt vom System und der Segregation, die sich in deutschen und italienischen Parallelwelten ausdrückt.779 Obwohl die Gruppen die Existenz der anderen zunehmend akzeptieren, nimmt die SVP, wie Wisthaler verdeutlicht, Abstand von der Vision einer integrierten Gesellschaft und forciert ein statisches Identitätskonzept, das – vergleichbar der Position des Rates der Kärntner Slowenen (B.II.c.) – auf die Wahrung der eigenen Kultur als Basis für Austausch und der Interaktion setzt. Für Mehrsprachigkeit bedeutet das, Unterricht in der Muttersprache zu erhalten und nach und nach die zweite Sprache zu erwerben, um die kulturellen Identitäten der Gruppen zu bewahren, wofür der Schule eine Schlüsselfunktion zukommt. Zentrales Ziel ist, das
774
775 776 777 778 779
Forsthofer/Rank in Wakenhut 131; Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 100 f; Atz in Atz/Buson 92: 80% der Italiener vermeinen zumindest in gewissen Bereichen eine Benachteiligung, unter Deutschen und Ladinern nur etwa halb so viele. Am deutlichsten fühlen sich Italiener in den Bereichen „Arbeit und Beruf“ und „Wohnungswesen diskriminiert“, beides Bereiche, für die der ethnische Proporz relevant ist. Die Verteilung bestätigt sich 1997: Dabei fühlen sich 66,5% der Italiener und 56,% der Ladiner benachteiligt; Italiener wegen Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt und im Wohnungswesen, Ladiner wegen – auch regional bedingtem – erschwertem Zugang zu Dienstleistungen. Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 80. Deutsche sehen sich 2004 vor allem im Sprachgebrauch benachteiligt in Situationen des öffentlichen Lebens; Egger/Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 196 ff; 206. Baur/von Guggenberg/Larcher, Zwischen Herkunft und Zukunft 247 ff. Baur/von Guggenberg/Larcher, Zwischen Herkunft und Zukunft 260 f. Egger/Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 182 ff; 205. Wisthaler, Immigration 11. Forer/Paladino/Wright in Abel/Wisniewski/Vettori 113.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 145
Machtverteilungssystem zu erhalten.780 Dieses System fixiert Gruppengrenzen entlang der Sprache und institutionalisiert – durch Erklärung der Gruppenzugehörigkeit und getrennte Schulen – ein Nebeneinander der Gruppen, das zivilgesellschaftliche Initiativen zunehmend zu überwinden versuchen und das auch das Verhältnis zu neuen Minderheiten beeinflusst, wobei die Gefahr besteht, Segregation zu reproduzieren.781 Einwanderer werden angehalten, die Sprache der Minderheit zu erwerben und sich in die Gruppe zu integrieren, wobei Piccoli feststellt, dass es nicht darum geht, die Sprache als Kommunikationsmittel zu erhalten, sondern als Identitätsmarker.782 Im Südtiroler System konstruieren sich Gruppenidentitäten gegen die Mehrheit, die – unter verschiedenen Vorzeichen und mit einer Sonderstellung der Ladiner als „echter Minderheit“ – in der jeweils anderen Gruppe gesehen wird.783
IV. Kärnten und Südtirol: Zwischenräume und Parallelwelten Die Konfliktgeschichte fördert in Kärnten und Südtirol widerstreitende Erinnerungskulturen, prägt kollektive Identitäten und spaltet sie entlang ethnischer Gren780
781
782 783
Wisthaler, Immigration 11 f; Grote, I bin a Südtiroler 221. Vgl insb SVP, Das neue Programm der Südtiroler Volkspartei. Beschlossen von der Landesversammlung am 8. Mai 1993, in http://www. svp.eu/smartedit/documents/presse_downloads/grundsatzprogramm.pdf (31.10.2013). 2005 kritisiert die SVP die mangelnden Kompetenzen in der deutschen Hochsprache und auch des Italienischen, dessen Probleme die Ergebnisse der Zweisprachigkeitsprüfungen zeigen, weshalb Unterricht in Italienisch ab der ersten Klasse Grundschule als Fortschritt gesehen wird; dazu eingehend Grote, I bin a Südtiroler 222 ff. Zum Einfluss des bestehenden Minderheitenschutzsystems auf das Verhältnis und den Umgang mit neuen Minderheiten insb Wisthaler, Immigration 11 ff. Eine Überwindung der Trennung im Schulsystem deutet nach Wisthaler erstmals die Einrichtung eines gemeinsamen Kompetenzzentrums für die Integration von Migranten an. Es führt angesichts neuer Herausforderungen zumindest auf institutioneller Ebene zu gemeinsamen Ansätzen. Migranten schicken ihre Kinder – entgegen Trends in den 1990er Jahren – heute häufiger an Deutsche Schulen aufgrund des Status, den sie der deutschen Sprache zumessen. Sie gilt als wesentlich für das Leben in Südtirol. Da sie in Städten leben, haben sie dennoch häufiger Kontakt zu Italienern und wünschen sich zu einem erheblichen Teil eine Ausbildung in beiden Sprachen; hierzu eingehend Wisthaler, Identity Politics in the Educational System in South Tyrol: Balancing between Minority Protection and the Need to Manage Diversity, Studies in Ethnicity and Nationalism 3/2013, 358 (366 ff); Medda-Windischer/ Flarer/Girardi/Grandi, Standbild und Integrationsaussichten der ausländischen Bevölkerung Südtirols. Gesellschaftsleben, Sprache, Religion und Wertehaltung (2011) 74 ff; Piccoli, Redrawing Identity Boundaries 19 ff. Herausforderungen kultureller Begegnung angesichts der Befürchtung des Identitätsverlust im Autonomiesystem identifiziert auch Siegl, Die Autonomie 233 f. Piccoli, Redrawing Identity Boundaries 22. Vgl ua Wisthaler, Immigration 11 f.
146
Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
zen, deren sichtbarsten Marker die Sprache bildet. Assimilationsprozesse verändern die Strukturen der Bevölkerung: In Kärnten sinkt der Anteil slowenischsprechender Bevölkerung in einem Jahrhundert von 18% auf 2,4%, während sich in Südtirol der Anteil Italienischsprachiger durch Ansiedelungspolitik und gegen die deutsche Gruppe gerichtete Assimilation von 3% im Jahr 1910 schon bis 1939 auf 24% erhöht; bis in die 1960er Jahre steigt er auf über 30% und pendelt sich bei etwa 25% ein.784 Grenzen der Geschichte durchziehen die Gruppen selbst und lösen das per se reduktionistische Bild von Mehrheit und Minderheit auf, wie in Südtirol an den Gegensätzen zwischen Optanden und Dableibern unter Deutschen oder in Kärnten an pro-kommunistischen und klerikal-konservativen Strömungen unter Kärntner Slowenen sichtbar wird, die in Kärnten verschiedene Organisationen vertreten, während in Südtirol die Integration in einer gemeinsamen Sammelbewegung gelingt. Vielschichtig und komplex präsentieren sich die Identitäten der jeweiligen „Mehrheiten“, wobei in Südtirol unterschiedliche Minderheitendiskurse vorliegen, in denen beide großen Sprachgruppen für sich die Minderheitenposition reklamieren. In Südtirol offenbaren Forschungen ein großes Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu den Sprachgruppen in der Bevölkerung und die Daten der Volkszählungen zeigen eine Zunahme der Deutschen und Ladiner (vgl A.IV.). Zu sehen sind diese Entwicklungen vor dem Hintergrund des Systems aus Zugehörigkeitserklärung, getrennter Schule und ethnischem Proporz, der reale ökonomische, soziale und politische Folgen an die Erklärungen knüpft. Das System gewährleistet einen institutionellen Rahmen für den Gruppenkonflikt und ermöglicht Aushandlungsprozesse, stabilisiert aber Zugehörigkeiten, die an der Sprache anknüpfen. Es ist ein Ziel großzügigen Minderheitenschutzes ethnisches Bewusstsein zu stabilisieren, für Zwischen- und Mehrfachidentitäten bietet klassischer Minderheitenschutz jedoch kein Instrumentarium. Diese vielfältigen Identitäten resultieren, wie das Beispiel Kärnten zeigt, aus der Konfliktgeschichte: Aggressiver Deutschnationalismus hat die Slowenen gespalten in slowenische Nationalisten und deutschfreundliche Windische – in „bewusste“ Slowenen und „Assimilierte“. Dazwischen entsteht durch Öffnungs- und Integrationsprozesse eine Reihe von Zwischenidentitäten, die mit einem ethnischen Bekenntnis nicht zu erfassen sind. Solche Prozesse wirken auch in Südtirol und es finden sich Mehrfachidentifikationen schon aufgrund gemischter Ehen. Das System verlangt eine Zuordnung oder Angliederungserklärung und stabilisiert die Gruppenzugehörigkeiten. Die Autonomie habe die „Südtiroler Iden784
Lantschner, History 8; Peterlini, Wir Kinder der Südtirol-Autonomie. Ein Land zwischen ethnischer Verwirrung und verordnetem Aufbruch (2003) 6.
B. Ethnische Identität(en) in Kärnten und Südtirol 147
tität geschaffen“785 verkündet die SVP 2010. Verbunden mit dem Schutz der eigenen Sprache und Kultur ist die Angst vor dem Verlust der kulturellen Identität im Kontakt mit den anderen Gruppen – eine Angst, die in Kärnten auch Personen mit Zwischen- und Mehrfachidentitäten zu spüren bekommen, wenn sie von ihren Volksgruppenorganisationen ausgegrenzt werden. Für gemischte und Mehrfachidentitäten, die zB aus bi-ethnischen Beziehungen hervorgehen, besteht in Südtirol kaum Bewusstsein, auch nicht für die Folgen des Systems, das möglicherweise Identitätskonflikte auslöst und Personen zu Zuordnungen zwingt, die sich nicht in einer Gruppe verorten können. Solche Konflikte treffen Personen mit „Zwischen- und Mehrfachidentitäten“ in Kärnten. Dieses Spektrum zu institutionalisieren stellt beide Systeme vor eine Herausforderung, die in beiden Ländern kaum erkannt wird. Das Südtiroler System institutionalisiert Gruppenidentitäten und stabilisiert ethnisches Bewusstsein. Innerhalb des Systems bestehen Parallelwelten der Sprachgruppen und Sprachen,786 die Zugehörigkeit repräsentieren. Der Konflikt wird in diesem System stabilisiert, Gruppenkontakte durch gesellschaftliche Segregation erschwert: Nebeneinander statt Miteinander kennzeichnet die Gruppen. Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen öffnen die Zugehörigkeiten und schaffen Mehrfachidentitäten, die das System nicht abbildet. Von der Erklärung der Zugehörigkeit kann man absehen, Sprachgruppen hat man sich aber anzugliedern. Dabei sind opportunistische Angaben möglich, um aus nutzenorientierten Erwägungen die Aussichten auf Vergünstigungen des Systems zu verbessern. Sprache bleibt das Symbol der Gruppenzugehörigkeit und wirkt funktional als Bekenntnis, das reale Folgen hat. Zuordnungen werden festgeschrieben durch die Machtverteilung im politischen System und öffentliche Machtdiskurse, die ethnische Gruppen nach sprachlichen Merkmalen definieren und trennen. Sie verfestigen sich in automatisierten Kommunikationsmustern und Differenzdiskursen.787 Historische, strukturelle, institutionelle, politische und sprachliche Faktoren beeinflussen die Kommunikation der Gruppen untereinander, obwohl ein rechtlich-institutionalisierter 785
786
787
SVP, Autonomie hat Südtiroler Identität geschaffen. Press Release 12.10.2010, in http://www. noodls.com/viewNoodl/7664113/svp---s252dtiroler-volkspartei/autonomie-hat-s252dtiroler-identit228t-geschaffen (05.06.2013). Forer/Paladino/Wright in Abel/Wisniewski/Vettori 113; vgl Baur in Grote/Siller 174. Von einer „unsichtbaren Grenze“ spricht bereits Arnzt, Sprachenrecht und Sprachpolitik im dreisprachigen Südtirol, in Moellken/Weber (Hrsg), Neue Forschungsarbeiten zur Kontaktlinguistik (1997) 10 (16). Zur wechselseitigen Kommunikationsstruktur in Südtirol Baur, Über die Schwierigkeit, die Sprache des Nachbarn zu lernen, in Abel/Stuflesser/Putz (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa: Erfahrungen, Bedürfnisse, Gute Praxis (2006) 337 (339).
148
Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
und ökonomischer Rahmen die Grundlage bietet, um die Identitäten der Gruppen zu wahren.788 In Konflikten ziehen Gruppen die Grenzen ihrer Identität enger: Werden bestimmte Merkmale der Identität, wie Ethnie oder Sprache bedroht, rücken diese in den Vordergrund. Das verdeutlicht die Konfliktgeschichte in Südtirol und in Kärnten. Das System Südtirols entsteht als Mittel zur Konfliktlösung und nutzt diese Grenzkriterien als Merkmale zur Institutionalisierung der Aushandlungsprozesse. Damit ventiliert es den Gruppenkonflikt und setzt dessen Dynamik in Funktionen des politischen Systems um, schreibt sie aber auch fest. Die Notwendigkeit des Bekenntnisses reduziert reale Vielfalt auf einzelne Kriterien, die notwendig sind, um Anknüpfungspunkte zu ermöglichen, es entsteht aber Bekenntnisdruck, der flexible Zuordnungen verwehrt und gesellschaftlicher Vielfalt – insbesondere im Fall bi-ethnischer Identifikationen – nicht gerecht wird. Eine zusätzliche Herausforderung schafft die Segregation, die auf Sicherung der Gruppenidentitäten zielt, Kontakte unter den Gruppen aber erschwert, die wiederum für den Erwerb der Sprachen im Sinne gelebter Mehrsprachigkeit notwendig sind. In Differenz-Diskursen und Segregation liegen Herausforderungen dieses Systems, das erfolgreich Konflikte institutionalisiert und unter diesem Aspekt ein Modell für Konfliktlösung in ethnischen Konflikten bereitstellt. Seine Kehrseite liegt in der Fixierung und Trennung der Gruppen, die gesellschaftliche Vielfalt negiert und Pluralität nicht verwirklicht. Insofern eröffnet das Südtiroler System nur partiell – soweit es die Institutionalisierung ethnischer Identitäten ermöglicht – Perspektiven für Kärnten, während es im Hinblick auf Zwischen- und Mehrfachidentitäten keine Lösungen bereithält, obwohl es mit seinen Ausbildungsmöglichkeiten grundsätzlich eine Basis bereit stellt für Mehrsprachigkeit, Spracherwerb und das Ausleben sprachlicher, kosmopolitischer oder multipler Identifikationen. Wie das System Mehrsprachigkeit verwirklicht und welche Unterschiede zur Situation in Kärnten bestehen, illustrieren die folgenden Abschnitte.
788
Nardin, Interkulturelle Kommunikation entlang institutionalisierter Sprachgrenzen: Das Beispiel Südtirol, in Giordano/Colombo Dougoud/Kappus (Hrsg), Interkulturelle Kommunikation im Na tionalstaat (1998) 129 (140).
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 149
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 1. Sprachidentität, -prestige und -funktionalität Sprache gehört zu den zentralen Identifikationsmerkmalen von Einzelnen und Gruppen. Sie erweist sich als Kriterium der Zuordnung und Abgrenzung – nach innen und außen. Sowohl in der Selbst- wie auch Fremddefinition kann sie eine primäre oder untergeordnete Rolle einnehmen und wird in der Fremdwahrnehmung häufig mit bestimmten positiven oder negativen Eigenschaften von Personen oder Gruppen konnotiert. Im Kontext einer Mehrheiten-Minderheitensituation fungiert Sprache meist als kulturelles Symbol, wird mit Ethnie verbunden und aus der Sprachkenntnis auf Gruppenzugehörigkeit geschlossen.789 Zusätzlich zu dieser Funktion als Identitätsmarker transportiert die Sprache eine Vielzahl kultureller Inhalte.790 Aus soziologischer Sicht attestiert Haller der Sprache eine Funktion bei der Bildung ethnischer Gemeinschaften, weil es sich um eine naheliegende und natürliche Basis für ethnische und nationale Identifikation handelt, die nicht automatisch zu einem Gefühl der Gemeinsamkeit führen muss.791 Sprache symbolisiert Zugehörigkeit und ermöglicht homogene Kommunikation innerhalb einer Gruppe. Einsprachig strukturierte Beziehungssysteme stabilisieren Abgrenzung nach außen.792 Das gilt für Hochsprachen, wie auch für Inklusion- und Exklusionsfunktionen von Dialekten, die Ausdrucksformen der sozialen und regionalen Identität darstellen.793 Sprache ist Bestandteil der Selbstverortung und Träger der Kultur einer Sprachgruppe und ihrer Sichtweisen, die im Prozess der primären und sekundären Sozialisation durch das Medium Sprache vermittelt werden.794 Die 789
Perchinig in Bauböck 134; Thim-Mabrey in Janich/Thim-Mabrey 2; Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 21; Putzer in Abel/Stuflesser/Putz 54. 790 Dorian, Linguistic and Ethnographic Fieldwork, in Fishman (Hrsg), Handbook of Language and Ethnic Identity (1999) 25 (31). 791 Haller in Atz/Buson 27. 792 Vgl Paula 11; Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 21; Cropley, Sprachkonflikt aus sozialpsychologischer Sicht, in Oksaar (Hrsg), Spracherwerb – Sprachkontakt – Sprachkonflikt (1984) 180 (185). Zu Funktionen der Sprache und ihrer Eignung, sich mit Ethnizität zu überlagern Héraud, Das Europa der Volksgruppen, in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage (Hrsg), Zwischen Selbstfindung und Identitätsverlust. Ethnische Minderheiten in Europa (1984) 49 (55 ff). 793 Måwe, Zur Variätetenwahl in Südtirol unter besonderer Berücksichtigung von Begrüßungsformen, in Grote/Siller (Hrsg), Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen (2011) 177. 794 Cropley in Oksaar 187.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Bedeutung der Sprache für die Einzelnen und die Gruppe beeinflusst ihre Bewertung und die Bindung an sie. Ökonomisch, politisch, sozial und kulturell stark integrierten Sprachgemeinschaften gelingt es nach Haller eher, sich zu behaupten.795 Aufgrund der Wechselwirkung von Sprecher, Funktion und Charakteristika der Sprachvarianten identifiziert Heraud „Sprache und die Kultur, die zu jeder Sprachvariante gehört (…)“ als entscheidenden „Indikator für kollektives Bewusstsein, das man heute nationale Identität nennt.“796 In Mehrheiten-Minderheitensituationen können mehrere sich überlappende sprachliche Identifikationen bei Einzelnen Identitätskonflikte auslösen. Gelungene sprachliche Identifikation benötigt die Anerkennung der Sprache als identitätsstiftendes Merkmal durch die einzelnen Gruppenmitglieder. Andere Sprachen werden von der Gruppe nur „geduldet“ und erlangen geringeres Prestige oder verminderten „Marktwert“. Strukturelle Faktoren machen Sprache in bestimmten Kontexten zur politisch bedeutsamen Kategorie und bringen, wie Carlá argumentiert, zwei Denkweisen hervor: Diskriminierung, die Sprache als quasi-biologische Eigenschaft von Personen ansieht, und Minorisierung, die Minderheitensprachen den Wert abspricht.797 Hintergrund solcher kollektiven Einschätzungen von Mehrsprachigkeit, die Vielfalt nur tolerieren, wenn die Identität des Kollektivs nicht bedroht und die Zuordenbarkeit der Individuen gewährleistet sind, bildet nach Oppenrieder/ Thurmaier eine „recht unflexible und ‚eindimensionale’ Vorstellung von Identitätsbildung (die sich im Begriff ‚Leitkultur’ zeigt).“798 Ob eine Sprache als essentielles oder oberflächliches Merkmal der Selbstdefinition fungiert, welche Zuschreibungen und Bewertungen sie erfährt und wie sich die Bereitschaft gestaltet, die Sprache zu erwerben und sie positiv in das Selbstbild aufzunehmen, hängt von Faktoren der Mehrheiten-Minderheitensituation ab: von ihrem Prestige und „Marktwert“, der sich aus der Funktionalität der Sprache im Alltag und öffentlichen Raum ergibt, von der Achtung und Akzeptanz, die eine Sprache erfährt, ob ihr Wertschätzung entgegengebracht oder sie bloß geduldet wird. Sprachprestige erwächst aus der Zahl der Sprecher, dem geistig-kulturellen Niveau einer Sprache und ihrer politischen und rechtlichen Stellung als Amts- oder Nationalsprache, die ihre Funktionalität 795 796 797 798
Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 23. Ein Beispiel für wirtschaftlichen Erfolg bildet für Haller Südtirol (27). Héraud in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 59. Carlá, Living Apart in the Same Room: Analysis of the Management of Linguistic Diversity in Bolzano, Ethnopolitics 6/2007, 285 (289). Oppenrieder/Thurmair, Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit, in Janich/Thim-Mabrey (Hrsg), Sprachidentität – Identität durch Sprache (2003) 39 (44); vgl Pirker, Wir sind Kärnten 44 f.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 151
beeinflusst. Für Mehrsprachigkeit ist entscheidend, ob sie als freiwillige oder erzwungene, individuelle oder kollektive, territoriale oder migrationsbedingte Mehrsprachigkeit in Erscheinung tritt.799 Individuell spielen Vorerfahrungen und -kenntnisse anderer Sprachen, als fremd empfundene Aussprache und die Möglichkeit zur positiven Integration der Sprache in das Selbstkonzept eine Rolle.800 Der Begriff „Mehrsprachigkeit“ umfasst verschiedene Formen individuellen, gesellschaftlichen oder institutionellen Umgangs mit mehreren Sprachen und fungiert in der Sprachwissenschaft als „Überkategorie“, um Formen des Spracherwerbs oder -gebrauchs zu thematisieren. Obwohl sie sich mit der Untersuchung von Migrationsbewegungen in der Forschung etabliert hat, schließt sie Zweisprachigkeit und Minderheitensprachen ein.801 Mit Franceschini kann Mehrsprachigkeit daher definiert werden als „die Fähigkeit von Gesellschaften, Institutionen, Gruppen und Individuen, in Raum und Zeit einen regelmäßigen Umgang mit mehr als einer Sprache im Alltag zu haben. Sprache wird dabei neutral verstanden als Varietät, die in Selbstzuschreibung von einer Gruppe als habitueller Kommunikationscode benutzt wird (somit sind Regionalsprachen und Dialekte eingeschlossen, wie Gebärdensprachen (sign languages)). Man kann eine gesellschaftliche, institutionelle, diskursive und individuelle Mehrsprachigkeit unterscheiden. Mehrsprachigkeit beruht auf der grundlegenden menschlichen Fähigkeit, in mehreren Sprachen kommunizieren zu können und in angemessener Weise von einer Sprache in die andere zu wechseln. Mehrsprachigkeit bezeichnet ein in kulturelle Entwicklungen eingebettetes Phänomen und ist somit durch hohe Kultursensitivität geprägt.“802
Freiwillige Mehrsprachigkeit zeugt von positiven Einstellungen zur Mehrsprachigkeit. Prestigeträchtigere Sprachen mit hohem „Marktwert“ sind leichter in die Selbstdefinition zu integrieren und lassen Mehrsprachigkeit eher als positive Erweiterung erscheinen als Sprachen mit niedrigerem Prestige und geringerer Funktionalität. In Situationen ungewollter Mehrsprachigkeit zwingen soziale oder ökono799
800 801 802
Oppenrieder/Thurmair in Janich/Thim-Mabrey 42 ff; Thim-Mabrey in Janich/Thim-Mabrey 8; Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 23 ff. Zu Motivationsfaktoren des Spracherwerbs im Sinne eines Marktmodells auch Voltmer, Grund und Anlass des Sprachenlernens, in Abel/Stuflesser/Putz (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa: Erfahrungen, Bedürfnisse, Gute Praxis (2006) 481 (485 ff). Hoffmann, Zum Faktor Motivation beim Erlernen von Tertiärsprachen, in Abel/Stuflesser/Putz (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa: Erfahrungen, Bedürfnisse, Gute Praxis (2006) 115 (123 f ). Franceschini in Abel/Stuflesser/Putz 33 ff. Franceschini in Abel/Stuflesser/Putz 38.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
mische Faktoren zur Übernahme einer neuen Sprache. Assimilationsprozesse können den Verlust der sprachlich gestützten Identität auslösen. Damit einher gehen Brüche in Zugehörigkeiten und dem Selbstbild, das mit der Sprache verbunden ist. Identität muss in einer neuen Sprache erst wieder gefunden werden, wofür die Gruppe der „Windischen“ oder „Assimilierten“ in Kärnten ein Beispiel liefert (A.II. und B.II.). Minderheitenangehörige legen in solchen Situationen ihre bisherige Identität (als Minderheitenangehörige) und Sprache ab und übernehmen Identität und Sprache der Mehrheit, um sozialen Aufstieg und Integration in die Dominanzbereiche der Mehrheit zu erreichen. Die Mehrheitssprache ist durch Macht und Prestige bestimmt. Im Verlauf der Assimilation vollzieht sich Sprachwandel nach May in drei Phasen: (1) zunehmender Druck zur Verwendung der Mehrheitssprache in bestimmten Domänen, verbunden mit der Festlegung der Mehrheitssprache im Bildungsbereich, (2) Bilingualismus, wobei beide Sprachen verwendet werden und unter Jüngeren die Minderheitensprache zurückgeht, (3) Ersatz der Minderheitensprache durch die Mehrheitssprache nach etwa zwei bis drei Generationen.803 Identitäts- und Sprachwechsel kann auch Migrantengruppen treffen bei Integration in die Gesellschaften der Zielländer.804 Für den Sprachwechsel verantwortlich ist nach Nelde ein Bündel von kontaktlinguistischen Aspekten: „der Sozialdruck, der auf einer Minderheit lastet, der Prestigewert der verwendeten Sprachvarianten, die Stärke des Identitätsbewusstseins, die von außersprachlichen Faktoren abhängigen Loyalitätsreaktionen, die Vorurteile, Stereotypen und Attitüden einer ethnischen Gruppe.“805
Innerhalb der Gesellschaft bildet die Sprache der Minderheit eine „Klassensprache“, die sich von der primären Umgangssprache unterscheidet und überwiegend in den Domänen des Privatlebens funktional ist. Wird die Sprache als prestigeloses Mittel der Kommunikation erlebt, können sich Anpassungsbemühungen verstärken und „Halbsprachigkeit“ oder „Sprachmischungen“ hervorbringen, die fehlgeschlagene Anpassung ausdrücken.806 Lernen und Erwerb einer Sprache, Identifikation und 803 804 805
806
May, Language Rights. Promoting Civic Multilingualism. in Martin-Jones/Blackledge/Creese (Hrsg), The Routledge Handbook of Multilingualism (2012) 134 ff. Oppenrieder/Thurmair in Janich/Thim-Mabrey 46 ff; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 90; Egger, Zweisprachigkeit 56 f; Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 23; Cropley in Oksaar 186 f. Nelde, Migranten und autochthone Sprachgruppen als soziokulturelle Minderheiten. Soziokulturelle und psychopädagogische Probleme im Sprachunterricht mit Ausländern, in Hess-Lüttich (Hrsg), Integration und Identität (1986) 55 (58). Nelde in Hess-Lüttich 57.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 153
Sprachwechsel werden von Faktoren des sozialen Lebens mitbestimmt. Haller unterscheidet typische Konstellationen, die beeinflussen, ob die Muttersprache beibehalten, zusätzlich neue Sprachen erworben oder die Muttersprache aufgegeben wird: ökonomische Motive, Wechsel in neue sprachliche Umfelder, soziokulturelle Anreize attraktiver großer Sprachen, Minderwertigkeitsgefühle hinsichtlich der eigenen Muttersprache, gesellschaftspolitischer Druck zur Übernahme einer neuen Sprache.807 Zugleich erweist sich Sprache als Schlüsselfaktor zur Wahrung kollektiver Identitäten – aufgrund ihrer Bedeutung als identitätsstiftendes Merkmal. Die Sicherung dieser Identität gewährleisten Minderheitenrechte, die eine Existenzgrundlage für Minderheiten bereitstellen und ihr durch spezifische Rechte – im Fall der Sprache durch kulturelle und Sprachenrechte – erlauben, ihre Identität zu wahren und zu entfalten. Sie gestatten die Geltendmachung von sozial gerechtfertigten Ansprüchen innerhalb des größeren Sozialverbandes. Die Gruppe erfährt Anerkennung, die auf die Selbstwahrnehmung wirkt.808 Einen Einfluss auf diese Wahrnehmung und die Bewertung der Sprache zeitigt die Funktionalität der Sprache in unterschiedlichen Lebensbereichen, die über ihren Marktwert entscheiden. Sie lassen sich differenzieren in Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens. Zu den Sphären des privaten Lebens zählen Familie, Freundeskreis, Freizeit und – die nicht staatlich zu regelnde – Kirche. Daneben bestehen Bereiche des öffentlichen Lebens, die staatlichem Einfluss unterliegen: Bildungswesen (Kindergarten, Schule, Universität), staatliche Institutionen (Behörden und Gerichte), öffentlicher „Raum“ (Topographie und Toponomastik), öffentlich-rechtliche und private Medien (Verpflichtung und Förderung), Arbeit und Wirtschaft (Regelungen für den öffentlichen Dienst, Förderung von Unternehmen und zweisprachigen Initiativen), Vereinswesen (Kulturförderung).809 In diesen Bereichen können staatliche Maßnahmen die Anerkennung und Entfaltung einer Sprache fördern und ihren Marktwert, ihre Funktionalität und ihr Prestige beeinflussen – somit Mehrsprachigkeit institutionalisieren (Abb 6). In den Bereichen des öffentlichen Lebens (Institutionen, Schule, öffentlicher Raum und zT Arbeit, Wirtschaft, Medien und Volksgruppenförderung) liegen Möglich807
Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 25; Haller, Language and Identity in the Age of Globalization, in Cherkaoui/Hamilton (Hrsg), Raymond Boudon – a Life in Sociology. Essays in Honour of Raymond Boudon (2009) 183. 808 Keupp, Identitätskonstruktionen 27. 809 Andere Arbeiten differenzieren nach öffentlichen, semiöffentlichen und privaten Domänen (vgl C.II.b. und C.III.b.). Im vorliegenden Fall bezieht sich die Unterscheidung jedoch aus den genannten Gründen auf jene Bereiche, die staatlichen Maßnahmen zugänglich oder nicht zugänglich sind; zu weiteren Differenzierungen der Domänen in der Literatur und nach ihrer Funktion vgl Egger, Zweisprachigkeit 17 f.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Kindergarten und Schule
Kirche
Institutionen (Amts- und Gerichtssprache) Funktionalität + Öffentlicher Raum Marktwert (Topographie) + Sprachprestige Medien Arbeit und Wirtschaft Öffentliche Lebensbereiche
Familie Freundeskreis Freizeit
Volksgruppenorganisationen, Vereine, Kulturarbeit Private Lebensbereiche
Abb. 6: Institutionalisierung von Mehrsprachigkeit in Lebensbereichen
keiten des Staates, durch gesetzliche Regelungen eine Basis für den Erhalt und die Stärkung einer Sprache zu schaffen: „Wer eine Minderheitensprache in den privaten Bereich zurückdrängen möchte bzw. ihr den öffentlichen Bereich verwehrt, der nimmt ihr die Basis ihrer Existenz.“810, betont Larcher. Diese Rückdrängung aus dem öffentlichen Leben kann, wie Bradean-Ebinger am Beispiel der slowenischen Sprache zeigt, zu negativen Konsequenzen führen: Zunahme von dysfunktionalem Bilingualismus, Verlust der Sprach-Funktionalität und -Authentizität, Entlehnung aus dominierender Sprache, Kompetenzverlust und Sprachverarmung – „mit der Folge, dass die Identifizierung der SprecherInnen mit der slowenischen Sprache erschwert bzw. unterbunden wird.“811 Strategien gegen den Rückgang können Angehörige der Volksgruppe selbst entwickelt, in dem sie die Sprachpflege in den Domänen des Privatlebens (Familie, Freundeskreis, Freizeit, Kulturvereine) intensivieren und Aktivitäten zum Spracherhalt und zur Ausprägung eines kulturellen Bewusstseins setzen. Problematisch ist die fehlende „Nützlichkeit“ im öffentlichen Leben, die einen Prestigeverlust und Rückgänge der Sprachkompetenz in der sekundären, 810 811
Larcher, Fremde in der Nähe, Interkulturelle Bildung und Erziehung – im zweisprachigen Kärnten, im dreisprachigen Südtirol, im vielsprachigen Österreich (1991) 85. Bradean-Ebinger, Deutsch im Kontakt als Minderheits- und als Mehrheitssprache in Mitteleuropa. Eine soziolinguistische Untersuchung zum Sprachgebrauch bei den Ungarndeutschen, Donauschwaben und Kärntner Slowenen (1997) 97.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 155
spätestens tertiären Bildung zugunsten der dominanten Sprache fördert. Medienlandschaft und Sprachpolitik beeinflussen individuelle und soziale Funktionalität der Sprache, wenn die Mehrheitssprache dominiert und die Verantwortung zur Förderung der Sprache überwiegend der Minderheit selbst überlassen bleibt.812 Verschiedene Modelle stehen für die Gestaltung der öffentlichen Sphären zur Verfügung. Nach Busch/Busch haben Sprachenpolitiken mehrere Dimensionen der Sprache zu berücksichtigen: die Dimension der Identität, Instrumentalität (Funktionalität) und sozialen Interaktion.813 Während tolerierende Rechte den Gebrauch der Sprache im privaten und öffentlichen Leben erlauben, unterstützen fördernde Rechte den Sprachgebrauch – von der Veröffentlichung von Dokumenten in den betroffenen Sprachen bis zu ihrer Anerkennung in allen öffentlichen Bereichen.814 Am Fokusbeispiel Kärnten nimmt Teil 2 eine Analyse der Ausgestaltung einzelner Bereiche des öffentlichen Lebens vor. An dieser Stelle sind Tendenzen aufzuzeigen, die beide Modelle beeinflussen, um eine Grundlage für die Ausführungen zur Funktionalität der Sprachen und den Systemen in Kärnten und Südtirol bereitzustellen. Für das öffentliche Leben bieten sich nach Larcher Modelle der Assimilation oder Apartheid an: Das Assimilationsmodell umfasst die herrschaftliche Ausgestaltung eines Mehrheiten-Minderheitenverhältnisses, die Kultur- und Wertvorstellungen der dominanten Gruppe überbetont und die Dominanz ihrer Sprache in Schule, Institutionen und Medien sichert. In diesem System ist sozialer Aufstieg nur durch Beherrschung der Mehrheitssprache möglich.815 Es fördert Sprach- und Identitätsverlust und basiert auf Formen struktureller Gewalt, die „durch Verteilung von Geldern, von Förderungskonzepten, von institutionellen Regeln ausgeübt wird.“816 Modelle der Apartheid trennen die Mehrheit von der Minderheit und schaffen eigene Bereiche für beide Gruppen mit geringen Schnittflächen. Segregation durchzieht Schule, Institutionen, Arbeit und Freizeit. Gesellschaftliche Macht- und Größenverhältnisse werden festgeschrieben, die Ausbildung gemeinsa-
812
813
814 815 816
Bradean-Ebinger, Deutsch 98 f; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 90 f; vgl Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 37; Dessler, Vielfalt in Sprache und Gesellschaft, in Gstettner/Wakounig (Hrsg), Mut zur Vielfalt. Strategien gegen das Verschwinden ethnischer Minderheiten (1991) 23 (28 f ). Busch/Busch, A Speaker-centred Approach to Linguistic Rights. Language as a Transversal Matter in the European Framework Convention for the Protection of National Minorities, in Delas/Leuprecht (Hrsg), Liber Amicorum Peter Leuprecht (2012) 161. Kloss, The American Bilingual Tradition (1977) 2; 24; vgl May, Language Rights: The “Cinderella” Human Right, Journal of Human Rights 10/2011, 265 (266). Larcher, Fremde 85 ff; Dessler in Gstettner/Wakounig 26 f. Larcher, Fremde 87.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
mer Identitäten und Kulturen unterbunden.817 Übergreifende und multikulturelle, regionale Identitäten ermöglichen erst Modelle aus einer Dialektik von Segregation und Integration. Mehrheit und Minderheit verfolgen darin gemeinsame Ziele in zentralen Bereichen und können die eigene Sprache bewahren und weitergeben. Damit verbunden ist ein Verzicht auf Privilegien. Der Minderheitensprache muss Zugang zum öffentlichen Raum gewährt und eine zumindest passive Sprachkompetenz der Minderheitensprache in der Mehrheit sichergestellt werden, da zweiseitige Zweisprachigkeit, wie Dessler bekräftigt, den Erhalt der Minderheitensprache und -kultur sichert.818 Dazu gehört eine positive Neubewertung der Vergangenheit unter Hervorhebung der Gemeinsamkeiten anstelle der Gegensätze.819 Rechten der Minderheit stehen in diesem Modell korrespondierende Pflichten gegenüber: dem Recht auf Gebrauch der Sprache im öffentlichen Raum die Pflicht, sie trotz Schwierigkeiten zu nutzen und weiterzugeben, dem Recht auf sprachlich-kulturelle Zugeständnisse der Mehrheit die Pflicht, die Sprache für diese zugänglich zu machen und dem Recht auf ein positives Geschichtsbild für die eigene Identität die Pflicht, an einer gemeinsamen multikulturellen Identität anstelle von Ethnozentrismus mitzuarbeiten.820 Die Prinzipien dieser Modelle können sich durch die Ausgestaltung aller Bereiche des öffentlichen Lebens ziehen. Während der Bereich der staatlichen Institutionen Einfluss nimmt auf die Funktionalität und den Marktwert einer Sprache, liegt eine grundlegende Verantwortung im Schulsystem, das die Voraussetzungen schafft, um die Sprache später im öffentlichen Leben einzusetzen. Nicht von ungefähr avanciert die Schule in den Phasen des wachsenden Nationalismus – verbunden mit allgemeiner Schulpflicht – zur zentralen Stätte der Vereinheitlichung, um neue Verkehrs- und Verwaltungssprachen durchzusetzen.821 In öffentlichen Pflichtschulen prallen die Interessen an der Ausbildung in der homogenen Nationalsprache und an der Wahrung von Minderheitensprachen aufeinander. Die Schule ist – nach der Familie – die wesentliche Institution zur Sprachsozialisierung. Das Recht auf Unterricht in der Muttersprache wird zu einem Ausdruck von Anerkennung und 817 818 819 820
Larcher, Fremde 87 f. Dessler in Gstettner/Wakounig 24 f. Larcher, Fremde 88 ff. Larcher, Fremde 91; dass die Mehrheit die Minderheitensprache zumindest passiv lernt hebt auch die Österreichische Rektorenkonferenz als Bedingung für das Überleben kleiner Minderheiten hervor: Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 19 f. 821 Vgl zB Hobsbawm, Nationen 108 f; Paula sieht wesentliche Faktoren für die Verbindung von Nationalismus und Sprache in der Linguistik und Schule; Paula 12; vgl zur politischen Rolle der Sprache Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 23; zur Schule 37.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 157
Förderung einer Minderheit und ihrer Sprache.822 Die Schule sichert ihren Bestand und die Qualität des Unterrichts entscheidet über die Grundlagen für ihren Einsatz und ihre Weitergabe.823 Die Bandbreite der Modelle reicht von separatistischen über integrative bis hin zu paritätischen Varianten mit unterschiedlichen Folgen. Integrative – gemeinsame – Unterrichtsformen bergen die Gefahr der Assimilation, getrennte Modelle sichern die eigene Sprache, erschweren aber die Ausbildung von Multikulturalität und (paritätische) Modelle mit gleichberechtigten Unterrichtssprachen laufen Gefahr, für beide Sprachen keine ausreichende Basis zu legen.824 Im Arbeitsleben entscheidet die Aufteilung der Sphären ebenfalls über die Funktionalität der Sprache: Im Idealfall verfügt die Minderheit über eine Sozialstruktur, die in allen Arbeitsbereichen die Verwendung ihrer Sprache zulässt, weniger vorteilhaft ist „ethnisch-nationale Arbeitsteilung“, die eine Minderheitensprache auf einzelne Sektoren beschränkt. Am nachteiligsten wirken ökonomisch-strukturelle Faktoren, die Minderheitenangehörige zwingen, in Ballungsräume zu pendeln, wo sich keine Bereiche finden, in denen die Sprache eine Funktion erfüllt.825 Regionalentwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen im Siedlungsbereich der Minderheit sind wesentliche Instrumente zur Förderung der Sprache und ihres Marktwertes.826 Daneben sind Bereiche des öffentliches Lebens von Bedeutung, die eine Sichtbarkeit der Sprache ermöglichen und auf die Identität einer Minderheit zurückwirken: Topographie oder Toponomastik, die den Raum auch als Raum der Minderheitengruppe ausweisen.827 Zusätzlich kann die Medienlandschaft einen Beitrag zur Funktionalität leisten oder kulturelle Assimilation fördern, wenn nur die Mehrheitssprache dominiert. Zumindest im Bereich öffentlich-rechtlicher Medien ist eine Berücksichtigung der Minderheitensprache möglich. Sie kann durch 822
823 824 825 826 827
Bauböck, Gibt es ein Recht auf Muttersprache? Einwanderungsminderheiten als Testfall. 15 Thesen in Marko/Burkert-Dottollo (Hrsg), Multikulturelle Gesellschaft und Demokratie (2000) 41; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 21; Cropley in Oksaar 187; Dessler in Gstettner/Wakounig 30. Zur Funktion der Schule und Bildungspolitik in Kärnten eingehend Wakounig, Der heimliche Lehrplan. Rautz in Marko/Burkert-Dottollo 76 ff. Rautz in Marko/Burkert-Dottollo 80 f; Toggenburg/Rautz, ABC 24 ff. Larcher, Fremde 85 f; vgl Haller in Becker/Krätschmer-Hahn 37; Dessler in Gstettner/Wakounig 26 f. Larcher, Fremde 85 f; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 20; Dessler in Gstettner/Wakounig 26 f. Vgl die Vorschläge in Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 21 zur flächendeckenden Zweisprachigkeit nach dem Territorialitätsprinzip. Die Bedeutung der sichtbaren Zweisprachigkeit durch Topographie und Toponomastik erläutert eingehend Jordan, Zur Bedeutung zweisprachiger Ortsnamen für die kulturelle Identität, in Pandel/Hren (Hrsg), Ein Jahr danach. Die Ortstafelregelung 2011 und was daraus wurde (2012) 125.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Förderungen in privaten Medien unterstützt werden, um ihr einen Platz im öffentlichen Leben zu sichern. Notwendig sind Förderungen für kulturelle und politische Organisationen der Minderheit, die sich für den Spracherhalt einsetzen und die Ausprägung sprachlich-kulturellen Bewusstseins fördern.828 Alle Maßnahmen unterliegen Wertentscheidungen des Gesetzgebers. Um eine funktionale Analyse dieser Entscheidungen vornehmen zu können und die rechtliche Ausgestaltung zu kontextualisieren sind die Funktionalität der Minderheitensprachen in Kärnten und Südtirol zu analysieren und Faktoren zu identifizieren, die Prestige, Marktwert und Sprachkenntnisse beeinflussen.
II. Sprache und Identität in Kärnten829 a. Sprache im nationalen Konflikt Erhebungen der Umgangssprache in den Volkszählungen zeichnen ein Bild vom Rückgang des Slowenischen in Kärnten im 20. Jahrhundert: 1910 geben 66.463 Personen Slowenisch als Umgangssprache an.830 In der letzten Volkszählung 2001 liegt dieser Wert bei 12.554.831 Der Anteil der Slowenischsprechenden an der Gesamtbevölkerung Kärntens sinkt in einem Jahrhundert von 18,3% (1910) auf 2,4% (2001).832 Wie Reiterer erläutert, nimmt die Zahl der Minderheitenangehörigen in den österreichischen Sprachzählungen längerfristig ab, während die Zählungen 828 Vgl Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 93 f und den umfassenden Maßnahmenkatalog 183 ff. Zur Funktion der Medien Busch, Der virtuelle Dorfplatz 244 ff; zur Rolle der Förderungen als Mitte der Sprachpolitik Busch, Sprachen 77 ff; Dessler in Gstettner/Wakounig 29. 829 Der folgende Abschnitt basiert zT auf den Erkenntnissen der Studie Pirker, Wir sind Kärnten; zusätzliche neuere Ergebnisse resultieren auch aus Pirker, Getrennte Wege | Gemeinsame Zukunft – Ločene poti | skupna prihodnost. Kärnten und Slowenien: Erinnerungen und Visionen - Koroška in Slovenija: Spomini in vizije. Umfrage an 44 allgemeinbildenden höheren Schulen in Kärnten und Slowenien (n=5141) (2013) [Veröffentlichung und detaillierte Auswertung in Pirker/Hofmeister, Ergebnisse der Umfrage und Intervention/Rezultati ankete in intervencija, in Pirker (Hrsg), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi (2015) 175/235]. 830 Inzko, Geschichte 37; Pohl, Sprachkontakt in Kärnten, in Elmentaler (Hrsg), Deutsch und seine Nachbarn (2009) 117 (119); Domej in Moritsch 51. 831 Statistik Austria, Volkszählung (2003) 17; Statistik Austria, Volkszählung (2007) 56. „Windisch“ geben 555 Personen an. 832 Inzko, Geschichte 37; Pohl in Elmentaler 119; Domej in Moritsch 51; Pirker, Wir sind Kärnten 103.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 159
kurzfristig erhebliche Schwankungen aufweisen.833 Das liegt an den Umständen der Zählungen und ihrer Funktion: Sie sagen mehr aus über Zugehörigkeiten als über die tatsächliche Verbreitung einer Sprache.834 Sprache dient als nationales Symbol und ihre (öffentliche) Verwendung oder die Anmeldung zum zweisprachigen Unterricht gelten in Kärnten lange als nationales Bekenntnis.835 Mit der nationalen Überfrachtung der Sprache – die in Kärnten ihre soziale Dimension überlagert – entsteht die Kategorie des „Windischen“, die zur Sprache der Assimilanten wird, die in der Gruppe der „Windischen“ eine neue Identität finden und den deutschnationalen Organisationen zuneigen.836 Wie Reiterer/Flaschberger zeigen, lässt sich Minderheitenpolitik als Sprachenpolitik betreiben, „indem man die nationale Identität der Sprecher vernichtet“837. Jeder Angriff auf die Sprache wirkt, so Merkač, als Angriff auf jene Personen, die sie als Teil ihrer Identität begreifen.838 Für den Sprachwechsel folgert Larcher: „Wer sozialen Aufstieg anstrebt, tut gut daran, sich die Sprache der Macht zu eigen zu machen: ihre formalen Regeln, ihre bevorzugten Inhalte, ihre Tabus.“839 Als bloßer Dialekt bleibt das „Windische“ mit sozial niederen Eigenschaften konnotiert. Es ermöglicht seinen Sprechern keine eigene nationale Identität zu entfalten, sondern zwingt zur Annäherung an die dominante Gruppe.840 Die eigentliche Sprache des Gegners bleibt Slowenisch. Sie birgt ein Element des Bekennens, wird aber gerade deshalb und als Hochsprache höher geachtet als das „Windische“.841 Die ideologische Trennung in nationale Slowenen und deutschfreundliche Windische intensiviert vorhandene soziale und ökonomische, später politische Assimilationsprozesse. In der zweiten Republik überlagern sie kulturelle und gesellschaftliche Prozesse durch die primär deutsch geprägte Umwelt und das öffentliche Leben, in dem es der slowenischen Sprache an Funktionalität mangelt.842 Wakounig bewertet die schul- und bildungspolitische Entwicklung des Slowenischen als „Minorisie833 834 835
836 837 838 839 840 841 842
Reiterer in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 29. Reiterer in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 29. Reiterer in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 28 f; Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 36 ff; Domej in Moritsch 56. Wer Slowenisch wählt, wird im Dorf „abgeschrieben“, illustriert Vavti an einem Interviewpartner: Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 88; Wakounig, Der heimliche Lehrplan 257 ff. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 36 f. Hierzu schon B.II.a. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 37. Merkač, Lebenswelten 225. Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 10. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 36f; vgl Dessler in Gstettner/Wakounig 26. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 37. Moser in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 19 ff.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
rung“ und „Ethnisierung“.843 Sein Verlust an Kommunikativität forciert Anpassung in modernen Berufs- und Lebenswelten.844 Am heftigsten trifft dies jene Generationen, die sich von der Muttersprache entfremden, weil sie diese nur im ländlichen Raum als „funktional“ erleben und sozialen Aufstieg schaffen in der deutschen Umwelt, in dem sie neue Identitäts-Angebote annehmen. Wie Moser darlegt, gelingt vollständige Abkehr von den slowenischen Wurzeln erst in der dritten Generation, da zuvor untereinander ein slowenischer Dialekt gesprochen wird.845 Gombos illustriert diese Übergänge 1988 an einem qualitativ-abstrahierten „Drei-Generationen-Modell“846: Darin spricht die Generation der Großeltern slowenisch, ihre Enkel nur mehr deutsch. Die Eltern sprechen noch beide Sprachen, geben Slowenisch aber nicht mehr an die Kinder weiter.847 Das gesellschaftliche Klima drängt die Betroffenen vom Slowenischen ins Deutsche. Häufig geht dies mit einem Wechsel der Identität und einer Abneigung gegenüber der abgelegten slowenischen Sprache einher. In ökonomisch unabhängigen Familien und solchen, die ihre Kinder einsprachig erziehen, bleibt die Sprache – von den Großeltern bis zu den Enkeln – eher erhalten als in abhängigen und solchen, in denen Kinder in beiden Sprachen erzogen werden und Aversionen gegen das Slowenische entwickeln.848 In gemischten Ehen neigt der slowenischsprachige Partner zur Anpassung und gemischten oder deutschsprachigen Erziehung der Kinder. Frauen trifft dies eher als Männer.849 Diese Verläufe entspringen einem Analyseausschnitt zu einem bestimmten Zeitpunkt, skizzieren aber mögliche Sprach- und Identitätswechsel innerhalb der Generationen. In der „vierten“ Generation treten Prozesse der Neubewertung und des Trends zum Spracherwerb hinzu (C.II.c.).850 Eine Erhebung aus dem Frühjahr 2013 bestätigt die Verlaufsmuster: Von 1275
843 844 845 846
847 848 849
850
Wakounig, Minderheitensprachen in Österreichs Bildungspolitik, in Paula (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa. Modelle für den Umgang mit Sprache und Kulturen (1994) 199 (213). Suppan in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 175 ff. Moser in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage 19 ff. Das Modell ist als qualitative Untersuchung nur für die Betroffenen repräsentativ, illustriert aber eindrucksvoll mögliche Dimensionen der Assimilation im Generationenlauf: Gombos in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 128 f. Gombos in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 128 f. Gombos in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 128 f; Domej in Moritsch 47; Vavti, Wir haben alles in uns 137; Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 354 f. Gombos in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 128 f; Jurić, Der Mann als Ich, die Frau als Wir. Unterschiedliche Weisen, ethnische Identität auszudrücken, in Boeckmann/Bunner/Egger/ Gombos/Jurić/Larcher, Zweisprachigkeit und Identität (1988) 153 (182 f ); Vavti in Guggenberger/ Holzinger/Pöllauer/Vavti 258. Pirker, Wir sind Kärnten 113 f.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 161
Befragten in höheren Jahrgängen der AHS Kärntens geben 90 Deutsch als Muttersprache an, wählen aber für zumindest einen Eltern- oder Großelternteil Slowenisch (Tab 1). Schließt man an das Modell aus dem Jahr 1988 an, handelt es sich bei den Befragten um eine „vierte“ (zum Teil „fünfte“) Generation. Unter den Vorfahren liegt ein deutlicher Bruch von Großeltern zu den Eltern, die der Eltern- und Kindergeneration der älteren Untersuchung entsprächen: Obwohl in mehr als 30% der Fälle zumindest ein Großelternteil Slowenisch als Muttersprache spricht, ist das nur mehr bei knapp 15% der Eltern der Fall. Am häufigsten findet sich Slowenisch als Muttersprache der Großmütter mütterlicherseits (55,6%), bis zu den Enkeln ist sie das nicht mehr. Dies scheint die Annahme zu bestätigen, dass Frauen sich (zumindest früher) eher dem Sprachwechsel ergeben.851 Obwohl die Sprache nicht als Muttersprache benannt wird, geben dennoch 28,9% der Betroffenen an,852 Slowenisch zu sprechen oder zumindest zu lernen. Dabei macht es nun keinen Unterschied mehr, ob es sich um die Muttersprache des Vaters (30,8%) oder der Mutter (34,6%) handelt.853 Muttersprache
Slowenisch
Deutsch
Großmütter (m**)
55,60%
37,80%
Großväter (m**)
40,00%
52,20%
Großväter (v*)
35,60%
51,10%
Großmütter (v*)
34,40%
53,30%
Väter
14,40%
74,40%
Mütter
16,70%
74,40%
Kinder
0,00%
100,00%
* väterlicherseits ** mütterlicherseits Tab. 1: Muttersprache in Generationen (n=90)854 851 FN 849. 852 n=90. 853 n=26. 854 Differenzen auf 100% ergeben sich aus der Angabe „andere“. Pirker, Getrennte Wege | Gemeinsame Zukunft – Ločene poti | skupna prihodnost. Kärnten und Slowenien: Erinnerungen und Visionen - Koroška in Slovenija: Spomini in vizije. Umfrage an 44 allgemeinbildenden höheren Schulen in Kärnten und Slowenien (n=5141) (2013) [Veröffentlichung und detaillierte Auswertung in Pirker/Hofmeister, Ergebnisse der Umfrage und Intervention/Rezultati ankete in intervencija, in Pirker (Hrsg), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost.
162
Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Eine Reihe von Faktoren entscheidet im 20. Jahrhundert über Assimilation oder ethnische Persistenz: Grundsteine legt die innerfamiliäre Sozialisation, die von minderheitenfreundlichen oder -feindlichen dörflichen, schulischen, kulturellen oder politischen Umfeldern beeinflusst werden können. Ausbildungsstätten, Arbeitsplätze, Medien und Volksgruppenpolitik bilden weitere Elemente, die neben persönlichen Erlebnissen, Ängsten855 und anderen Faktoren (zB Entfremdung vom slowenischen Lebensumfeld) auf die Selbstrepräsentation wirken.856 Verfolgung durch das NS-Regime und der Sprachenkonflikt in der Zweiten Republik drängen, wie Vavti darlegt, gerade jene Menschen in die Assimilation, deren ethnische Identität im Alltag eine untergeordnete Stellung einnimmt. Restriktive Minderheitenpolitik – in der Schul- oder Ortstafelfrage – und Ausgrenzung durch slowenische Organisationen setzen „assimilationsfördernde Akzente“.857 Sie wirken auf Identitäten, deren sichtbarste Grenze die Sprache bildet, und beeinflussen ihren Wert und ihre Wahrnehmung.
b. Sprachverwendung und -funktionalität in einzelnen Lebensbereichen Die Rollen- und Funktionsverteilung der Sprachen in Kärnten zeichnet sich bereits um die Jahrhundertwende diglossisch ab: Deutsch dient als sozial höher stehende Verkehrssprache, Slowenisch als untergeordnete Sprache, die mit dem Rückgang ihrer Trägerschichten – im Klerus und einer breiten bäuerlichen Bevölkerung – zunehmend an Funktionalität verliert.858 Kinder in zweisprachiger Sozialisation sind einer Reihe von (inneren) Konflikten ausgeliefert, da sie zwei unterschiedliche Sprachsysteme mit ihren Bewertungen zu intergieren haben: eine kontextgebundene Sprache der Unterschichten und eine dominante universalistische der Mittelschichten.859 Sprachliche Armut, die sich in restringierten Codes der Dialekte ausdrückt wird mit dem zunehmendem Erwerb von Sprachebenen der Hochsprache kompensiert. Im Slowenischen verhindern das zT spezifische Vorurteile, die aus
855 856
857 858 859
Mladi o domovini, narodu in Evropi (2015) 175/235]. Zu Urangst-Faktoren eingehend Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 15 ff. Vavti in Guggenberger/Holzinger/Pöllauer/Vavti 258 f; Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 11; Merkač, Lebenswelten 229 f. Zu Argumentationsmustern der Assimilation Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 66 f. Vavti, Wir haben alles in uns 140. Bradean-Ebinger, Deutsch 83; Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 72; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 90 f; Dessler in Gstettner/Wakounig 25 f. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 71.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 163
dem Konflikt entspringen. Sie führen zu mangelhaften Kenntnissen und begünstigen Assimilation.860 Echter Bilingualismus bleibt beschränkt auf bestimmte Situationen oder Personen: Gilt die Sprache in bestimmten Kontexten als wertlos oder erregt Anstoß, passen Sprecher ihre Sprache unbewusst und situationsspezifisch an.861 Erst mit dem Entstehen einer neuen slowenischen Intelligenz in den 1970er Jahren kann von einem steigenden Sprachbewusstsein gesprochen werden.862 Da überwiegend Angehörige der Volksgruppe beide Sprachen beherrschen, ist die Form der Zweisprachigkeit in Kärnten nach Bradean-Ebinger und Domej als „einseitig“ zu kategorisieren.863 Innerhalb der Volksgruppe tritt an die Stelle natürlicher Zweisprachigkeit, in der Slowenisch die Primärsprache bildet, ein „simultaner Bilingualismus“: Die primäre Sozialisation erfolgt in beiden Sprachen zugleich. Häufig verläuft die sprachliche Erziehung überhaupt einsprachig (deutsch) oder der Zweitspracherwerb beginnt erst mit dem Eintritt in die Schule.864 Jedes Jahr treten weniger Kinder mit originären Slowenischkenntnissen in die Schule ein: 2010/11 weisen 14,46% gute, 16,57% geringe und 68,95% keine Kenntnisse beim Eintritt in die Volksschule auf.865 Nach der Volksschule sieht ein Großteil der Kärntner Slowenen davon ab, die Sprachkompetenz in der Muttersprache weiter zu intensivieren. Ein Bruch zeigt sich am Übergang zur mittleren und höheren Schulbildung: Nur die Hälfte der Angemeldeten besucht nach der Volkschule noch den Slowenischunterricht.866 Die Volksgruppenangehörigen trifft dies besonders, da die Ausbildung in der Muttersprache die Grundlage dafür schafft, sie später in den Sphären des öffentlichen Lebens einzusetzen und ihre Minderheitenrechte wahrzunehmen.867 Da sprachliche Sozialisation mit der Geburt und in außerschulischen Sphä860 861 862 863 864 865
866
867
Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 71. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 72. Bradean-Ebinger, Deutsch 83. Bradean-Ebinger, Deutsch 84 f; Domej, Das Schulwesen 61. Bradean-Ebinger, Deutsch 84 f. Bundeskanzleramt Österreich, 3. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2011) 94; Pirker, Wir sind Kärnten 66; hierzu auch Busch/Doleschal in Österreichische Akademie der Wissenschaften 11. Vgl Sandrieser, Kärnten – Schatzkiste der Möglichkeiten zum Sprachenlernen, in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/ Domej (Hrsg), Natürlich zweisprachig (2013) 110 (115); Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 100. Domej in Moritsch 48; Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 116; Pirker, Wir sind Kärnten 134; Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 106. Domej in Moritsch 48 f; Pirker, Wir sind Kärnten 62.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
ren beginnt, sind die Familien gefordert, die Grundstrukturen bereit zu stellen und ihre Funktion als Hauptvermittler der Sprache zu erfüllen868 – besonders schwierig in Situationen, in denen die Sprache der Mehrheit dominiert, da es für eine gelungene Sprachsozialisation notwendig ist, dass Kinder die Minderheitensprache als nützliches und in sozialen Beziehungen funktionales Kommunikationsmittel erleben.869 Zunehmende Dominanz des Deutschen in allen Sphären des öffentlichen Lebens fördert Assimilation und Sprachwechsel, auch wenn sie – im Gegensatz zu früheren Entwicklungen – nicht mehr bewusst intendiert, sondern strukturell bedingt sind.870 Dieses Urteil bestätigt Merkač schon 1986: Die Betroffenen artikulieren den Wunsch nach einer Funktionalität der Sprache, die über die Sphären des Privatlebens, der Kirche und Kultur hinausreicht.871 Auf ihnen lastet immenser Druck, ausgelöst von Assimilations- und Entfremdungsprozessen, denen sich Betroffene ausgesetzt sehen, wenn Slowenisch nur in traditionellen Einrichtungen vertreten ist. Vor allem „neutrale Slowenen“ oder jene, die sich Mehrheit und Minderheit zuordnen, neigen dazu, ihre Sprachverwendung den Erwartungen der Umwelt anzupassen und auf Slowenisch zu verzichten, um Konflikte zu vermeiden.872 Sprachwechsel offenbaren eine Schwäche der Identität, wenn die Sprache häufig gewechselt und zunehmend abgelegt wird.873 „Bewusste“ Slowenen beharren eher auf ihrer Sprache und widerstehen dem Sprachwechsel, analysiert Vavti.874 Sie zieht aus ihren empirischen Studien den Schluss, der Wert des Slowenischen im öffentlichen Leben sei zu steigern, um den Herausforderungen zu begegnen, die in der Öffnung der Identifikationen in jüngeren Generationen liegen und von Abwanderungsprozessen noch verschärft werden.875 Die Verwendung und Funktionalität des Slowenischen in öffentlichen und privaten Lebensbereichen thematisieren einige Untersuchungen: Die slowenische Sprache fungiert primär als Familiensprache, belegen Reiterer/Flaschberger 1980 im 868
869
870 871 872 873 874 875
Domej in Moritsch 48 f; Bundeskanzleramt Österreich, 3. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2011) 101 ff; Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 115; Pirker, Wir sind Kärnten 62. Domej in Moritsch 49; Busch, Mehrsprachige Bildung in Österreich: Ein Fokus auf Curricula, Lehr- und Lernmaterialien, in Erfurt/Budach/Kunkel (Hrsg), Écoles plurilingues - multilingual schools: Konzepte, Institutionen und Akteure. Internationale Perspektiven (2008) 81 (96 f ). Bradean-Ebinger, Deutsch 84 f; Dessler in Gstettner/Wakounig 30 f. Merkač, Lebenswelten 230 f. Merkač, Lebenswelten 227 ff. Kosic, Identity 78. Vavti, Wir haben alles in uns 90. Vavti, Wir haben alles in uns 167.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 165
zweisprachigen Bezirk Völkermarkt.876 Abgesehen von der Familie – zu Eltern und Großeltern (ca 50%), Geschwistern und Ehepartnern (ca 30%) oder Kindern (ca 20%) – erreicht Slowenisch ähnlich hohe Kommunikationswerte nur zu Nachbarn und dem Pfarrer (ca 54%).877 Während Befragte mit dem Arbeitskollegen noch zu einem Drittel (29,4%) Slowenisch sprechen, legen die Ergebnisse aber nahe, dass sie zwischen öffentlichem und privatem Bereich differenzieren. Die Werte nehmen vom Gemeindesekretär (19%) über Lehrer (17,8%) bis hin zu Gendarmen (10,3%) sukzessive ab.878 Die Rollenverteilung der Sprache machen jene Angaben deutlich, die zeigen, mit welchen Personen hauptsächlich Slowenisch gesprochen wird: Die Werte sinken bei Kollegen (6%), dem Gemeindesekretär (8%), Lehrern (6%) und Gendarmen (1%), woraus sich ableiten lässt, dass Arbeitswelt und staatliche Institutionen deutsch dominierte Domänen sind.879 Die Altersverteilung ergibt eine intensivere Verwendung des Slowenischen mit steigendem Alter und unter 30880 – dies deutet für den damaligen Beobachtungszeitraum auf das steigende Sprachbewusstsein der jungen slowenischen Intelligenz hin. Zupančič erzielt 1999 mit der „Communication-Circle-Method“ ähnliche Ergebnisse,881 differenziert jedoch weiter zwischen der Verwendung in slowenischen und gemischten Familien.882 In gemischten Familien geht die Sprachverwendung schneller zurück als in slowenischen. Mit dem Ehepartner spricht der zweisprachige Partner beide Sprachen oder nur Deutsch, mit seinen Kindern überwiegend Slowenisch. Diese verwenden untereinander häufiger Deutsch.883 Slowenisch zeigt sich in dieser Untersuchung als Sprache der Familie, Kirche, des Freundes- und Bekanntenkreises. Geringere Verwendung findet die Sprache am Arbeitsplatz oder bei Ämtern.884 Die Verwendung im öffentlichen Leben ist zwar stark von Umweltfaktoren abhängig. Zupančič zeigt zudem, dass eine intensivere Verwendung des Slowenischen in der Familie mit einer intensiveren Verwendung im öffentlichen Leben in Zusammenhang steht.885 In gemischten Familien findet die Sprache in allen Bereichen geringeren Einsatz; die Unterschiede sind in jenen Bereichen größer, 876 877 878 879 880 881 882 883 884 885
Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 76 f. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 78 ff. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 80. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 80. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 80. Detaillierten Aufschlüsselung der Einzelbereiche und der Sprache in bestimmten Beziehungen Zupančič, Slovenci 158 ff. Zupančič, Slovenci 237 ff. Zu den Befragten dieser Studie schon B.II.a. Zupančič, Slovenci 238 f. Zupančič, Slovenci 239 ff. Zupančič, Slovenci 240 ff.
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in denen eine Wahlmöglichkeit besteht (Familie oder Freizeit). In öffentlichen Lebensbereichen hängt die Sprachwahl stärker von externen Faktoren ab. In Wien gibt es keine Sprachverwendung im öffentlichen Raum.886 Dort bestehen keine rechtlich gesicherten Möglichkeiten, worin sich Gefahren der Abwanderung in städtische Gebiete außerhalb des Minderheitenschutzbereiches offenbaren. Ein Bild von der Sprachdominanz unter zweisprachigen Jugendlichen zeichnet Bradean-Ebinger 1994/1995. Slowenisch dominiert die Bereiche des Privatlebens: Familie (64,37%), Schule (76,87%) und Kirche (82,50%). Ein leichter Überhang ergibt sich bei der Arbeit (55,66%), zu bedenken ist in dem Fall jedoch das Alter der Befragten.887 Bei allgemeinen sprachlichen Attitüden, im Freundes- und Bekanntenkreis (81,87%), in der Freizeit (83,33%), bei öffentlichen Institutionen (88,33%) und in den Medien (98,00%) überwiegt Deutsch.888 Slowenisch ist vor allem in privaten Lebensbereichen funktional. Das bestätigt eine Erhebung aus dem Jahr 2011: Darin geben von 71 Volksgruppenangehörigen 90,1% an, Slowenisch in der Schule zu sprechen,889 mehr als zwei Drittel verwenden die Sprache in der Familie (77,46%), im Freundes- und Bekanntenkreis (76,05%), in der Kirche (69,01%) oder im Urlaub (69,01%). Dagegen verwenden weniger als die Hälfte der Befragten Slowenisch in politischen Organisationen oder Kulturvereinen (49,29%), als Sprache der Medien (47,88%), am Arbeitsplatz (23,94%) oder bei öffentlichen Institutionen (9,85%).890 Bei diesen Angaben spielt das Alter der Befragten eine Rolle: Es handelt sich um Jugendliche zwischen 16 und 18, die eine allgemeinbildende höhere Schule besuchen. Außerdem weichen die Angaben von der älteren Untersuchung ab, weil sie nicht die Dominanzbereiche zwischen Deutsch und Slowenisch, sondern die bloße Verwendung der Sprache, beschreiben. Dennoch bleibt als Schnittmenge: Slowenisch fungiert weitgehend als Sprache des Privatlebens und darin als „Familiensprache“, die im öffentlichen Leben an Kommunikativität verliert.891 Voraussetzung für die Verwendung einer Sprache und die Geltendmachung von Sprachenrechten im öffentlichen Raum sind Sprachkenntnisse. Entgegen den Angaben in Sprachzählungen und Erhebungen belegen Untersuchungen, dass mehr Personen Slowenisch verstehen oder über partielle Sprachkenntnisse verfügen als dies
886 887 888 889 890 891
Zupančič, Slovenci 239 ff. Bradean-Ebinger, Deutsch 96. Bradean-Ebinger, Deutsch 96; Pirker, Wir sind Kärnten 61. Sie besuchen überwiegend das Slowenische Gymnasium. Pirker, Wir sind Kärnten 61. Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 347; Suppan in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 195.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 167
in offiziellen Erhebungen angeben.892 Reiterer schätzt für das Jahr 1999, dass rund 60.000 Personen in Kärnten noch über partielle Kenntnisse verfügen, wenngleich es sich in den meisten Fällen um mangelhafte Sprachkenntnisse handelt.893 Auch 2011 geben in einer Erhebung mehr Personen an, Slowenisch in Kirche, im Urlaub, in der Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis zu nutzen, als angeben, die Sprache zu sprechen.894 Reiterer/Flaschberger zeigen diese Differenzen bereits 1980: In einer Untersuchung im Bezirk Völkermarkt geben drei Viertel der Befragten an, den slowenischen Dialekt passiv zu verstehen; 18% verstehen die Schriftsprache gut, weitere 20% ein wenig. Die Volkszählung weist für das Jahr 1971 nur 25% der Bevölkerung mit nicht-deutscher Umgangssprache aus.895 Im Verhältnis Dialekt zu Schriftsprache zeigt sich, dass Kenntnisse im Dialekt zurückgehen, unter den Personen, die Kenntnisse in der Schriftsprache haben, diese Kenntnisse aber zunehmen – verbunden mit einer höheren Schulbildung.896 Wie Domej zu bedenken gibt, bewirken die Bildungsprozesse innerhalb der Volksgruppe eine Differenzierung, da sich jene Schichten, die ursprünglich nur örtliche Dialekte sprechen, stärker von der Sprache entfernen als jene Personen, die aktiv die Hochsprache dazu verwenden. Mit steigender Bildungshöhe steigt die Bereitschaft, Slowenisch als Umgangssprache bei der Volkszählung anzugeben.897 In der Volksgruppe finden sich gute Slowenischkenntnisse vor allem bei Personen mit Pflichtschulausbildung, gefolgt von Akademikern, unter denen auch der Anteil an schlechten Kenntnissen hoch ist.898 Partielle Kenntnisse des Slowenischen sind in der Bevölkerung häufig vorhanden, auch wenn sich Personen davon klar distanzieren.899 Das hat zu tun mit dem Bekenntnischarakter der Sprachwahl, der Erhebung von Zugehörigkeiten durch die Frage nach der Sprache und strukturellen Faktoren, die ein Image einer Sprache vermitteln (C.II.a.). Neben der Strukturverantwortung öffentlicher Bereiche liegt eine Grundverantwortung im privaten Leben. Die Angehörigen der Volksgruppe sind gefordert, trotz aller Ansprüche, die auf ihnen lasten, die Basis zu legen für den Spracherwerb in der Familie und im privaten Leben – die Vermittlung der Sprache ist angesichts 892 893 894 895 896 897 898 899
Pirker, Wir sind Kärnten 60; Reiterer in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 29; Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 347. Reiterer in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 29; Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 347. Pirker, Wir sind Kärnten 59 f. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 73. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 75. Domej in Moritsch 53. Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 350. Vavti, Wir haben alles in uns 93.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
der Entwicklung und Strukturen keine Selbstverständlichkeit, sondern erfordert bewusste Entscheidung und große Anstrengung.900 Die Privatsphäre steht unter dem Einfluss der öffentlichen Wahrnehmung und Strukturen, unterliegt aber dem Engagement der Betroffenen. Komplementär zu den öffentlichen Aufgaben haben sie ihre Sprache zu pflegen, weiterzugeben und ein kulturelles Bewusstsein zu fördern.901 Je weniger man im Privaten Slowenisch spricht, umso schlechter fallen die Kenntnisse bei Betroffenen aus.902 Mangelhafte Kenntnisse und fehlende Übung verleiten zum Sprachwechsel ins Deutsche, der durch die verschiedenen Dialekte begünstigt wird, die Personen, die nur die slowenische Hochsprache erlernt haben nicht oder schlechter verstehen oder derer sich Personen mitunter schämen, weil sie als unschön oder historisch als keine „richtige“ Sprache angesehen werden.903 Anpassung in gemischten Familien oder an Personen im Umfeld mit schlechteren oder keinen Ausdrucksfähigkeiten wirken negativ auf die eigene Sprachkompetenz.904 Hier ist der Kontakt zu anderen Slowenischsprechenden und slowenischen Institutionen wichtig,905 der umso häufiger fehlt, je weiter sich Personen – aus beruflichen oder persönlichen Gründen – vom traditionellen Siedlungsgebiet der Volksgruppe entfernen. In der Öffnung liegen auch hier Gefahren für die Sprache, wenn in urbanen Zentren kein Rahmen besteht, um sie in privaten oder öffentlichen Räumen einzusetzen.906 Recht schafft Strukturen für Marktwert und Funktionalität der Sprache im öffentlichen Leben. Diese Funktionalität wirkt auf die Verwendung der Sprache, hebt ihren Marktwert und stabilisiert ethnische Identifikation. Zugleich lassen sich Sprachen mit einem höheren Prestige leichter in das eigene Selbstbild integrieren, womit sowohl ethnische als auch sprachlich-kulturelle Identifikationen unterstützt und für Personen aus der Mehrheitsbevölkerung, die Slowenisch aus unterschiedlichen Motiven erlernen, die Attraktivität der Sprache gehoben wird. Slowenisch ist freilich nicht Slowenisch. In Kärnten besteht eine Vielzahl an Dialekten, wobei Doleschal/ Busch die Herausbildung einer Art regionalen slowenischen Umgangssprache in Kärnten attestieren.907 Die Hochsprache ist ihr gemeinsamer Nenner908 und ihr Er900 Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 359 f. 901 Bradean-Ebinger, Deutsch 98 f; Larcher, Fremde 85 ff. 902 Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 115. 903 Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 113 ff. 904 Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 115. 905 Merkač, Lebenswelten 229. 906 Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 115. 907 Busch/Doleschal in Österreichische Akademie der Wissenschaften 19. 908 Vgl Domej, Das Schulwesen 56. Busch verdeutlich die Vielfalt an slowenischen Varietäten, die aktuell gesprochen wird: Dialekte, Hochsprache in öffentlichen Kontexten (Schule, Medien, Kir-
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 169
werb die Grundlage, um sie in den Sphären des öffentlichen Lebens einzusetzen und Minderheitenrechte wahrzunehmen.909 Die Problematik ist komplementär: Sprache, die nicht beherrscht wird, kann nicht in öffentlichen Bereichen eingesetzt werden – Erhebungen zur Sprachkompetenz zeichnen, trotz steigender Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht, ein alarmierendes Bild.910 Es braucht Strukturen, um qualitativ hochwertige Ausbildungsniveaus bereitzustellen,911 die Reichweite des Slowenischen im öffentlichen Leben zu erweitern und seine Attraktivität und Funktionalität zu steigern.
c. Sprachbewertung und -erwerb: Vom Bekenntnis zum Mehrwert In Kärnten bleibt Slowenisch lange eine untergeordnete Sprache der ländlichen Bevölkerung. Entwicklungen im Sprachenkonflikt versehen die Sprache mit einem negativen Image, das Assimilationsprozesse verstärkt. Es entsteht eine „institutionalisierte Abwertung“912, wie Reiterer darlegt. Für Slowenischsprechende birgt ihre Sprache aufgrund des öffentlichen Klimas und der Strukturen, die ökonomisch begründet und später vom nationalen Konflikt überlagert werden, über weite Strecken eher eine „Belastung“ denn eine Kompetenz.913 Die Sprache wird politisch instrumentalisiert, wirkt als Bekenntnis und Betroffene werden zum Teil „abgeschrieben“, wenn sie öffentlich Slowenisch sprechen.914 In den 1950er Jahren laufen deutsch-
che) oder als erst später erworbene Sprache, Slowenisch als Sprache slowenischer Einwanderer, städtisch-ländlich geprägtes Slowenisch ua; Busch in Wintersteiner/Gombos/Gronold 177. 909 Vgl Vavti in Anderwald/Filzmaier/Hren 102 f. 910 ZB Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 350 ff. 911 Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 115 f sieht Individualisierung und Differenzierung im Rahmen einer flexiblen Unterrichtsgestaltung als notwendige Instrumente im Umgang mit unterschiedlichen Vorkenntnissen in der Erst- und Zweitsprache. Wakounig, Innovative Modelle und zweisprachiger Unterricht, in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej (Hrsg), Natürlich zweisprachig (2013) 155 (156 f ) betont die Notwendigkeit kontinuierlicher und fundierter Sprachbildung, die bereits in der Volksschule schul- und bildungssprachliche Fertigkeiten vermittelt, die über alltagsrelevante Kommunikationsfähigkeiten hinausgehen. Wie Wakounig in Wolf/ Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 158 f berichtet, besteht an einigen zweisprachigen Volkschulen Immersionsunterricht (tageweise oder wöchentliche Immersion) nach dem Vorbild der USA, Kanada oder der Schweiz. Die Einführung erfolgt 2003/04 unter wissenschaftlicher Begleitung und Einbindung der Eltern an der öffentlichen zweisprachigen Volkschule 24 in Klagenfurt/Javna dvojezična šola 24 v Celovcu. 912 Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 351. 913 Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 351. 914 Eindrucksvoll zeigt dies Vavti anhand der Erzählung eines Betroffenen: Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 88.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
nationale Organisationen Sturm gegen die Schulverordnung 1945 und verweigern sich dem „Zwang“, die zweite Sprache zu lernen.915 In den Diskussionen verbreiten sie Vorurteile, die Debatten um die zweisprachige Ausbildung beeinflussen. Noch in den 1980er Jahren sind Annahmen verbreitet, Kinder, die zweisprachig aufwachsen, könnten am Ende keine der beiden Sprachen richtig. Dieser Aussage stimmen in einer Umfrage fast 25% der Befragten zu, wobei vor allem über 60- und unter 30-Jährige aufgeschlossen sind gegenüber zweisprachiger Erziehung.916 Die öffentliche Meinung zum Slowenischen fassen Reiterer/Flaschberger zusammen mit der Aussage: „Da das Deutsche so beherrschend ist, ist es nicht wichtig, Slowenisch zu können, und oft schadet es sogar.“917 Mit höherer Schulbildung fallen die Vorurteile geringer aus.918 Forschungen zur Zweisprachigkeit haben sie widerlegt und aufgezeigt, dass sich Zweitsprachenerwerb wesentlich komplexer gestaltet. Kinder können unter entsprechenden Voraussetzungen919 ohne Schwierigkeiten lernen, in mehr als einer Sprache zu sprechen, zu lesen und zu schreiben.920 Je besser die Aneignung der Erstsprache gelingt, umso besser wird die Zweitsprache erlernt und umgekehrt: je schlechter die Kompetenzen der Erstsprache ausfallen, umso schlechter gestalten sich die Kenntnisse in der Zweitsprache.921 Von Bedeutung ist, ob die erste Sprache wertgeschätzt wird oder als nicht-dominante Sprache von einer gesellschaftlich dominanten ersetzt werden soll.922 Die Anmeldungen zum Zweisprachigen Unterricht deuten inzwischen auf einen anderen Zugang zum Erwerb des Slowenischen hin: Nachdem die Anmelde915 Ua Fräss-Ehrfeld in Rumpler 780 f. 916 Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 83. 917 Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 83. Zwei Drittel der Befragten erachten Slowenisch zwar manchmal für vorteilhaft, 63% meinen aber, in Österreich brauche man Deutsch, Slowenisch sei eher ein Hindernis und 44% glauben, in den meisten Berufen sei es ungünstig, Slowenisch zu können. Zu den Ergebnissen auch Csarmann/Heinrich in Höll 48 ff. 918 Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 83. 919 Hierzu ua Tucker, A Global Perspective on Multilingualism and Multilingual Education, in Cenoz/ Genesee (Hrsg), Beyond Bilingualism. Multilingualism and Multilingual Education (1998) 3 (10 f ); insb auch Gombos in Anderwald Karpf/Valentin 141 ff. 920 Hierzu zB schon Oksaar, „Spracherwerb – Sprachkontakt – Sprachkonflikt“ im Lichte individuumzentrierter Forschung, in Oksaar (Hrsg), Spracherwerb – Sprachkontakt – Sprachkonflikt (1984) 243 (249 ff). 921 Tucker in Cenoz/Genesee 10 ff; zum positiven Effekt von Zweisprachigkeit auf die Fähigkeit weitere Sprachen zu erwerben sowie zu additiven und subtraktiven Faktoren im Spracherwerb Cenoz/ Genesee, Psycholinguistic Perspectives on Multilingualism and Multilingual Education, in Cenoz/ Genesee (Hrsg), Beyond Bilingualism. Multilingualism and Multilingual Education (1998) 16 (23 ff). 922 Cenoz/Genesee in Cenoz/Genesee 24 f.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 171
zahlen im Geltungsbereich des zweisprachigen Schulwesens nach der Aufhebung der Schulverordnung 1945 ab 1958/59 – mit bedingt durch den Konflikt um die Schule – stark zurückgehen,923 steigen sie in den vergangenen zehn Jahren deutlich an (Abb 7). 1989 erreicht der Anteil an Kindern, die den zweisprachigen Unterricht im Geltungsbereich des zweisprachigen Schulwesens besuchen, erstmals mehr als 20%. 2001 besuchen mehr als 30% und ab 2007 mehr als 40% den zweisprachigen Unterricht. 2011/12 steigen die Anmeldungen auf knapp 45%; 2015/16 sind 45,65% der Schülerinnen und Schüler zum zweisprachigen Unterricht angemeldet.924 Auffallend ist dieser Trend angesichts der rückläufigen Gesamtschülerzahlen: Sie sinken von mehr als 11.000 in den frühen 1960er Jahren auf weniger als 4.500 2009/10.925 Nachdem Zweisprachigkeit lange Zeit weitgehend auf die Volksgruppe beschränkt bleibt, belegen die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht, dass auf verschiedenen Ebenen eine Neubewertung der slowenischen Sprache stattfindet:926 Ihr Erwerb wird als Bereicherung gesehen – von Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung und von Personen mit slowenischen Wurzeln, die den Vorteil und die zusätzlichen Kompetenzen ihrer Zweisprachigkeit entdecken und offen ausdrücken, selbst wenn sich diese Personen sprachlich, aber nicht ethnisch verorten.927 Während in früheren Konfliktphasen Traditionen oder gesellschaftspolitische Erwägungen die Entscheidung beeinflussen, seine Kinder zum zweisprachigen Unterricht anzumelden, motiviert heute die zusätzlich erhoffte Kompetenz und Qualifikation am Arbeitsmarkt. Sie machen die zweite Sprache attraktiv.928
923
924
925 926 927 928
Domej in Moritsch 36 ff; Suppan in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik 184; Fischer, Von Minderheitensprachen zu Nachbarsprachen. Die Rolle der Minderheitensprachen in Österreichs Bildungswesen, in Busch/De Cillia (Hrsg), Sprachenpolitik in Österreich Eine Bestandsaufnahme (2003) 72. Pirker, Wir sind Kärnten 63 f. Pirker, Wir sind Kärnten 63 f. Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 100. Auskunft des Kärntner Landesschulrates am 13.10.2011; vgl Graphik in Pirker, Wir sind Kärnten 64 f. Domej in Moritsch 61; Busch/Doleschal in Österreichische Akademie der Wissenschaften 9. Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 351. Busch, Slowenisch 180; Domej in Moritsch 47; Pirker, Wir sind Kärnten 65.
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100,00% 90,00% 80,00% 70,00% Prozent
60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%
Schuljahr
Abb. 7: Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht.929 Quelle: Landesschulrat für Kärnten.
Rationale, materielle und ökonomische Motive greifen ineinander: Slowenisch verspricht Eintritt in die slawische Sprachenwelt – ein Vorteil in internationalen Beziehungen –, in der Europäischen Union bildet Mehrsprachigkeit ein Einstellungskriterium und progressive Kräfte setzen sich für eine Neubewertung der Sprache ein.930 Eine wesentliche Rolle für diese Neubewertung nehmen gesellschaftspolitische Entwicklungen wahr: die Verselbstständigung Sloweniens und der Zusammenbruch Jugoslawiens und der Kommunistischen Staatenwelt in Europa Anfang der 1990er Jahre, der EU-Beitritt Österreichs 1995 und Sloweniens 2004 und die Wirtschaftsbeziehungen beider Staaten. Slowenisch wandelt sich von einer Teil-Sprache des kommunistischen Nachbarlandes zu einer Staatssprache, Wirtschaftssprache und einer Amtssprache der Europäischen Union.931 Slowenisch gilt als „nützlich“. Man929 930 931
Anteil an der Gesamtschülerzahl im Geltungsbereich des zweisprachigen Schulwesens. Angaben in Prozent. Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 352. Busch, Slowenisch 179; Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 349 ff; Vavti, Wir haben alles in uns 93; Pirker, Wir sind Kärnten 65; Wakounig, Der heimliche Lehrplan 320 ff; Sandrieser in Wolf/ Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 112; Wakounig in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 155 f; Busch/Doleschal in Österreichische Akademie der Wissenschaften 16. Hinzu kommt, wie Busch/ Doleschal zeigen, dass auch Personen mit anderen Ausgangssprachen als Deutsch vermehrt Slowenisch lernen. Blajs, Die slowenische Volksgruppe und das zweisprachige Kindergartenwesen, in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej (Hrsg), Natürlich zweisprachig (2013) 103 (105) weist auf eine Wertverschiebung nach dem Beitritt Sloweniens zur EU hin, wodurch zur negativen politi-
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 173
che Personen beneiden andere um ihre Sprachkenntnisse, wenngleich dies nicht als Motivation ausreicht, um die Sprache tatsächlich zu erlernen.932 Ein solches Motiv bildet ein in jüngeren Jahren wahrnehmbarer Trend, die eigenen Wurzeln wieder zu entdecken und das kulturelle Erbe zu schätzen.933 Negative Haltungen zeigen sich freilich weiterhin, etwa in Argumenten, die dem Slowenischen als kleiner Sprache gegenüber dem Englischen als Weltsprache die Nützlichkeit absprechen oder aus vermeintlich ästhetischen Gründen als „schiach“ abqualifizieren.934 Eine Umfrage an AHS Kärntens im Frühjahr 2013 bietet eine Einschätzung über die Bereitschaft, Slowenischen zu lernen im Verhältnis zu anderen Sprachen: 11,2% der Befragten geben an, Slowenisch lernen zu wollen, 19,7% sprechen sich für Englisch aus, 30,2% für Italienisch und 35,5% für Französisch.935 Die „großen“ Sprachen und die Sprache des Urlaubslandes Italien schneiden besser ab und bestätigen die Einschätzung, gegenüber Weltsprachen sei das Slowenische weniger attraktiv. Dennoch zeigen die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht: Das Angebot zum Sprachenerwerb wird immer stärker genutzt, wenn es vorhanden ist. Insgesamt verliert Slowenisch seine Funktion als Grenze und ethnischer Marker. Durch ökonomische, rationale und kosmopolitische Erwägungen entwickelt sich die Sprache zu einer von vielen, die es sich grundsätzlich zu lernen lohnt.936 Ogris verdeutlicht dies anhand qualitativer Einblicke in subjektive Lebenswelten und Motive der Eltern: Es spielt keine Rolle, welche Sprachen die Kinder zusätzlich erwerben; wichtig scheint zu sein, dass sie zusätzliche Sprachen lernen.937 In einer schen Konnotation der slowenischen Sprache in Kärnten eine positive ökonomische und kulturelle Komponente treten. 932 Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 349; 352. 933 Pirker, Wir sind Kärnten 65. 934 Reiterer in Anderwald/Karpf/Valentin 349; 352; Pirker, Wir sind Kärnten 65 f. 935 n=1275; Pirker, Getrennte Wege | Gemeinsame Zukunft – Ločene poti | skupna prihodnost. Kärnten und Slowenien: Erinnerungen und Visionen - Koroška in Slovenija: Spomini in vizije. Umfrage an 44 allgemeinbildenden höheren Schulen in Kärnten und Slowenien (n=5141) (2013) [Veröffentlichung und detaillierte Auswertung in Pirker/Hofmeister, Ergebnisse der Umfrage und Intervention/Rezultati ankete in intervencija, in Pirker (Hrsg), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi (2015) 175/235]. 936 Pirker, Wir sind Kärnten 66. Eine Änderung des politischen Klimas hinsichtlich des Erlernens der Volksgruppensprache und gesteigerte Bereitschaft von Familien, die nicht Slowenisch sprechen, den Kindern eine zweisprachige Ausbildung zu ermöglichen konstatiert auch Sandrieser in Wolf/ Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 111. 937 Es handelt sich um die Ergebnisse einer Untersuchung mit 9 Erziehungsberechtigten: Ogris, Zweiund mehrsprachige Erziehung im Kindergarten. Motiv- und Identitätsforschung (2012) [ng Diplomarbeit]. Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 112 verweist auf eine Elternbe-
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qualitativen Untersuchung bewerten Jugendliche Zwei- und Mehrsprachigkeit im Jahr 2011 grundsätzlich als Vorteil, unabhängig davon, um welche Sprachen es sich handelt.938 Allerdings fordern sie Freiwilligkeit in der Spracherziehung und verlangen zT „Loyalitätsbekundungen“ von Minderheiten in Österreich – als Grundlage für die Sprachenrechte.939 Die Sprache selbst erfährt eine Vielzahl positiver Zuschreibungen und neben ökonomische Erwägungen tritt der Wunsch, die Sprache und Kultur zu erhalten940 – mitunter bereits von den Eltern, die ihre Kinder zum zweisprachigen Unterricht anmelden, um ihnen zu ermöglichen, was sie selbst nicht wahrnehmen konnten.941 In einer Umfrage an höheren Schulen Kärntens erachten es 46% der Befragten als Vorteil, in Kärnten Slowenisch zu sprechen oder zu lernen, 18,1% bleiben unentschlossen und 35,9% sehen darin keinen Vorteil.942 Materiell-rationale, kulturelle, kosmopolitische und reflexhaft-abwertende Bewertungen der Sprache bestehen nebeneinander. Das entspricht der Parallelität von Öffnung, zunehmender Globalisierung und Verflechtung und reflexhaften Rückbesinnungen auf Grenzen und traditionelle Werte.943 Die positive Einstellung zur Mehrsprachigkeit ist verbunden mit der Funktionalität der Sprachen. Die Gewährleistung dieser Funktionalität durch Erweiterung des öffentlichen Raumes, in dem Slowenisch über Marktwert verfügt, kann einen Beitrag leisten zur Bereitschaft, die Sprache zu erlernen.
d. Minderheitenschutzmaßnahmen: Bewertung und Einflussfaktoren Um die Funktionalität der slowenischen Sprache im öffentlichen Raum zu gewährleisten und die Existenz der Minderheit zu sichern, sind Schutzmechanismen für
fragung im Zuge einer Schulinspektion und erwähnt als Motive für die Anmeldungen „Chancen im Berufsleben“ und dass Kinder, die Möglichkeit haben, die Sprache zu erlernen, die den Eltern nicht weitergegeben wurde. 938 Das zeigen qualitative Auswertungen in Pirker, Wir sind Kärnten 116 f. 939 Pirker, Wir sind Kärnten 116 f. 940 Pirker, Wir sind Kärnten 117. 941 Vavti, Ich bin einfach ein Mensch 89. 942 n=1239; Pirker, Getrennte Wege | Gemeinsame Zukunft – Ločene poti | skupna prihodnost. Kärnten und Slowenien: Erinnerungen und Visionen - Koroška in Slovenija: Spomini in vizije. Umfrage an 44 allgemeinbildenden höheren Schulen in Kärnten und Slowenien (n=5141) (2013) [Veröffentlichung und detaillierte Auswertung in Pirker/Hofmeister, Ergebnisse der Umfrage und Intervention/Rezultati ankete in intervencija, in Pirker (Hrsg), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi (2015) 175/235]. 943 Pirker, Wir sind Kärnten 118.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 175
die Volksgruppe und ihre Sprache notwendig. Diese Maßnahmen treffen in der Bevölkerung auf unterschiedliche Wahrnehmungen. 1980 orten Reiterer/Flaschberger eine starke Minderheitenfeindlichkeit, da in einer Umfrage 40% der Befragten selbst traditionell bestehende Minderheitenrechte ablehnen, während nur ein Viertel solche Maßnahmen positiv bewertet.944 Im Durchschnitt begrüßt nur knapp ein Fünftel (19,2%) die unterschiedlichen Minderheitenrechte, mehr als die Hälfte lehnt diese ab (53,3%). Am wenigsten tolerant erweisen sich Personen, die ihre Kindheit rund um den Zweiten Weltkrieg erlebten, während die Einschätzungen älterer und jüngerer Personengruppen offener ausfallen.945 Die negativste Haltung offenbaren Personen, die als „Windische“ – Personen, die slowenischen Dialekt verstehen, mit Kindern deutsch sprechen und zweisprachige Ortstafeln ablehnen – eingeordnet wurden: Sie lehnen die Minderheitenrechte zu 84% ab, nur 3% zeigen Verständnis.946 Unter Deutschsprachigen ist die Zustimmung mit durchschnittlich 12% größer, die Ablehnung mit 62% geringer, aber immer noch hoch – anzumerken ist, dass es sich beim Untersuchungsraum um den in der Volksgruppenfrage hoch politisierten Bezirk Völkermarkt handelt, der zu diesem Zeitpunkt den höchsten Anteil an Slowenischsprachigen aufweist.947 Am tolerantesten positionieren sich Gruppen, die eine weiterführende Schule absolvieren: Unter ihnen begrüßen 38,7% die Maßnahmen, 27,5% lehnen sie ab und 42,3% bleiben unentschlossen.948 Umfragen in diesem Bildungssegment 2011 und 2013 zeigen ähnliche Ergebnisse, liefern aber ein differenziertes Bild der einzelnen Instrumente (Abb 8). Vor allem Maßnahmen, die den Schutz von Sprache und Kultur umfassen, schneiden deutlich positiv ab: Mehr als die Hälfte der Befragten begrüßen zweisprachige Kindergärten (56,3%), knapp zwei Drittel erachten die Förderung kultureller Volksgruppenorganisationen (61%) positiv und noch mehr befürworten Möglichkeiten zum zweisprachigen Unterricht (65%). Auf größere Ablehnung oder überwiegende „Neutralität“ – wohl angesichts der fehlenden Vertrautheit, historischen Erfahrungen, Meinungen des Umfelds oder genereller Abneigung – stoßen dagegen politische Rechte, die Kirchensprache oder Medienförderung.949 Positiv entfällt die Einschätzung von Maßnahmen, die primär dem Erhalt von Sprache und Kultur dienen und der Mehrheitsbevölkerung Möglich944 945 946 947 948 949
Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 59. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 61. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 51 f; 61; 90. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 61. Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 62. Zur detaillierten Analyse und erläuternden Interpretation ähnlicher Ergebnisse für das Jahr 2011 Pirker, Wir sind Kärnten 83 ff.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
keiten bieten, davon zu profitieren – durch den Erwerb einer zweiten Sprache aus ökonomischen oder kulturellen Motiven.950 Minderheitenschutzmaßnahmen (Förderung) Politische Organisationen (n=1235) Kulturelle Organisationen (n=1232) Amts-und Gerichtssprache (n=1237) Zwspr* Unterricht (1232) Zwspr* Kindergärten (n=1233) positiv
Zwspr* Ortstafeln (n=1220)
neutral
Zwspr* Toponomastik (n=1231)
negativ
Zwspr* Medien (n=1233) Kirchensprache (n=1233) Virilmandat im Landtag (n=1233) Slowenisch im Arbeitsleben (n=1231) 0%
20%
40% 60% Prozente
80%
100%
* zweisprachige/r Abb. 8: Einstellung zu Minderheitenschutzmaßnahmen (Umfrage an AHS, 2013).951
Diese Haltungen zu Minderheitenschutzmaßnahmen und zum Slowenischen beeinflussen – neben Alter und Bildungsniveau – besonders deutlich: Sprachkenntnisse, persönliche Kontakte zu Volksgruppenangehörigen und Beschäftigung mit Volksgruppenfragen.952 Sprachkenntnis reduziert Fremdheitsgefühle und intuitiv-emotionale Reaktionen auf Fremdes.953 Sprache, Beziehung und Auseinandersetzung in politischer oder interkultureller Bildung sind wesentliche Maßnahmen, um das Verständnis für Minderheitenschutz und Volksgruppenanliegen zu erhö950 951
952 953
Pirker, Wir sind Kärnten 84. Pirker, Getrennte Wege | Gemeinsame Zukunft – Ločene poti | skupna prihodnost. Kärnten und Slowenien: Erinnerungen und Visionen - Koroška in Slovenija: Spomini in vizije. Umfrage an 44 allgemeinbildenden höheren Schulen in Kärnten und Slowenien (n=5141) (2013) [Veröffentlichung und detaillierte Auswertung in Pirker/Hofmeister, Ergebnisse der Umfrage und Intervention/Rezultati ankete in intervencija, in Pirker (Hrsg), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi (2015) 175/235]. Zu Urangst-Faktoren eingehend Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 15 ff. Pirker, Wir sind Kärnten 99 ff. Putzer in Abel/Stuflesser/Putz 56.
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hen und die Wahrnehmung vom Gegenüber zu beeinflussen. Lernen der Sprache, Austausch und Begegnung führen nicht nur zu einem Zugewinn an Kompetenzen, sondern können die Haltung von Betroffenen in Mehrheiten-Minderheitensituationen verändern. Spracherwerb, Funktionalität der Sprache, breite Information und Begegnungsräume wirken auf die Minderheitensituation zurück.954 Reiterer/Flaschberger empfehlen schon 1980 als vorrangige Maßnahmen, Slowenischsprechende in der Schulfrage großzügig zu behandeln und den Spracherwerb auf allen Ebenen zu ermöglichen. Zusätzlich sollen der Mehrheitsbevölkerung diese Möglichkeiten offen stehen, um Verständigung zu fördern und berufliche Vorteile bereitzustellen. Im öffentlichen Leben müsse Slowenisch sichtbarer und die Sprache ihres Bekenntnischarakters entkleidet werden. Darüber hinaus seien das Wissen über die slowenische Kultur zu verbreitern und der Unterricht neu zu gestalten.955 Des Bekenntnischarakters ist das Slowenische weitgehend entkleidet und Kompetenzen, die im zusätzlichen Spracherwerb liegen, werden erkannt und wahrgenommen. Die übrigen Forderungen haben nichts an Aktualität eingebüßt. Sprache und Kontakt fungieren als Schlüssel, um die Einstellung zum Minderheitenschutz und zum Slowenischen in Kärnten zu beeinflussen. Für die Ausgestaltung des zweisprachigen Unterrichts eröffnet sich ein Spannungsfeld von Integration und Segregation: Gemeinsame Unterrichtsformen bergen die Gefahr, Angehörige der Volksgruppe nicht auf das notwendige Sprachniveau zu führen, da der Lernfortschritt und die Kenntnisse aller Lernenden zu berücksichtigen sind. Getrennter Unterricht wirkt dem Kontakt und Austausch zwischen den Gruppen entgegen.956 Das zeigt sich zB am Slowenischen Gymnasium in Klagenfurt: Es hat große Bedeutung für die Ausbildung in der Sprache der Volksgruppen und als Kristallisationspunkt ihrer Identität.957 Hier können Jugendliche ihr Volksgruppenbewusstsein entfalten,958 Probleme und Anliegen, Politik und Geschichte in einem geschützten Rahmen erörtern, obwohl keine Garantie gegen den Sprachwechsel im privaten Umgang besteht.959 Für den Kontakt zur „Mehrheit“ erfüllt das Gym954 Vgl Pirker, Wir sind Kärnten 135 ff. 955 Reiterer/Flaschberger, Der tägliche Abwehrkampf 98 f. 956 Rautz in Marko/Burkert-Dottollo 80 f. 957 Zur Entwicklung und Ausrichtung als Schule mit (über-)regionalem Bildungsschwerpunkt Vrbinc in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 119. 958 Kontinuierliche Ausbildung in der Sprache trägt zur Festigung des kulturellen Selbstbewusstseins bei Angehörigen der Volksgruppe bei, argumentiert Domej, Das berufsbildende Schulwesen mit slowenischer und deutscher Unterrichtssprache, in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej (Hrsg), Natürlich zweisprachig 135 (136). 959 Merkač, Lebenswelten 200 ff; Wutti, Drei Familien, drei Generationen. Das Trauma des Nationalsozialismus im Leben dreier Generationen von Kärntner SlowenInnen (2013) 105; Wakounig, Der heimliche Lehrplan 254 ff.
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nasium, wie Wutti ausführt, zwei Funktionen: Es wirkt als „Schutzwall“ oder als „Kapsel“, die den Kontakt erschwert960 – Segregation statt Integration. Trennende Modelle laufen Gefahr, Multikulturalität zu erschweren und gemeinsame Unterrichtsformen bergen die Gefahr einer schlechten Sprachausbildung.961 Zwischen diesen Polen bewegt sich die Ausgestaltung des zweisprachigen Unterrichts. Das slowenische Gymnasium eröffnet aber auch eine Perspektive für innovative interkulturelle Sprachdidaktik. In den sog „Kugyklassen“ werden unterschiedliche Sprachen durch die Begegnung mit „native speakers“ im Schulalltag vermittelt:962 Zum Besuch eingeladen sind Personen aus Slowenien, Italien und Österreich, wobei idealerweise die Hälfte nicht aus Österreich stammt. Slowenisch, Italienisch und Deutsch dienen von Beginn an auch als Unterrichtssprachen. Das Immersionsprinzip gilt in allen Fächern. Zusätzlich rotiert die Unterrichtssprache. Ein Gegenstand wird ein Jahr lang in einer, in Jahr zwei in der anderen und in Jahr drei in der dritten Sprache unterrichtet. Um Begegnungspädagogik zu integrieren gibt es mehrwöchige Projektphasen mit Partnerklassen in Italien und Slowenien.963 Das Konzept zielt auf die Erfahrung von Sprache als Teil der Kultur und leistet, wie Larcher/Vospernik feststellen, „mehr als bloßen Spracherwerb: Sie machen Mehrsprachigkeit auf hohem Niveau zur kulturellen Selbstverständlichkeit. Ihr (höchst erwünschtes Nebenprodukt) ist das Hinaussteigen aus dem Gitterzaun einer eng definierten ethnischen Identität zu einer offenen, der eigenen Wurzeln durchaus bewussten, multidimensionalen Identität.“964
Insgesamt bleibt festzuhalten: Die Einstellung zur slowenischen Sprache ändert sich. Sie löst sich von ethnischen Implikationen und ist für Angehörige der Mehrheitsbevölkerung aus kulturellen, ökonomischen oder rationalen Argumenten als zusätzliche Sprache attraktiv. Zugleich bleibt sie der Angelpunkt, um Identitäten zu stabilisieren und zu wahren – für ethnisch Identifizierte ebenso, wie für Personen, die sich sprachlich-kulturell oder multipel verorten, ohne sich eindeutig ethnisch zu bekennen. Mangelnde Funktionalität der Sprache leistet einen Beitrag zu Assimilation. Daher sind die Möglichkeiten zur Verwendung des Slowenischen im öffent960 961 962
Wutti, Drei Familien 105. Rautz in Marko/Burkert-Dottollo 80 f. Zur Entwicklung und Funktion dieses Unterrichtsmodells Larcher/Vospernik, Mehr als ein Wolkenkuckucksheim oder Interkulturelles Lernen am Slowenischen Gymnasium. Die „Kugyklasse“ – vom pädagogischen Abenteuer zum Modell europäischer Sprachenbildung, in Wolf/Sandrieser/ Vukman-Artner/Domej (Hrsg), Natürlich zweisprachig (2013) 125. 963 Näher Larcher/Vospernik in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 130 ff. 964 Larcher/Vospernik in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 130.
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lichen Raum zu erweitern und hochwertige Sprachausbildung sicherzustellen. Für die Mehrheitsbevölkerung sind diese Möglichkeiten zu öffnen, da die Sprache einen Beitrag leistet zu einer minderheitenfreundlichen Einstellung und sprachlich-kulturelle Maßnahmen auf die breiteste Akzeptanz stoßen. Sobald die Sprache erlernt wird, kann sich die Einstellung zu anderen Schutzinstrumenten verändern. In der Sprache offenbart sich neuerlich eine Schnittmenge: als Identitätsstifter für ethnisch und sprachlich identifizierte Personen, als Mehrwert und Zusatzkompetenz für Mehrheit und Minderheit – sofern ihre Funktionalität gesichert ist, damit sie für beide Gruppen attraktiv bleibt – und als Brücke zwischen den Gruppen.
III. Sprache und Identität in Südtirol a. Voraussetzungen und Hindernisse der Zwei- und Mehrsprachigkeit Südtirol verfügt über ideale Voraussetzungen, um ein Biotop für Mehrsprachigkeit zu sein, das den Zielen der Europäischen Union entspricht.965 Sprachlich und kulturell treffen zwei Welten aufeinander: die deutsch-österreichische und die italienische.966 Trotz individueller, territorialer und institutioneller Mehrsprachigkeit (in der Region werden drei Sprachen gesprochen und in Institutionen angeboten) bleiben die Gesellschaftsgruppen, wie Abel et al 2012 feststellen, primär einsprachig orientiert und segmentiert in linguistische Subgruppen.967 Eine Ursache liegt im Bekenntnischarakter der Sprache, den Zappe bereits zwanzig Jahre zuvor attestiert. Er leistet national- und ethnopolitischer Ausrichtung und Instrumentalisierung Vorschub.968 Sprache stabilisiert ethnische Zuordnungen; Kultur und Sprache erscheinen deckungsgleich.969 Zugleich fällt es immer mehr Personen schwer, sich eindeutig in einer Gruppe zu verorten.970 Obwohl Voraussetzungen für zwei- und mehrsprachige Sozialisation vorliegen und viele Ressourcen dafür aufgewendet wer965
966 967
968 969 970
Vgl Ziele, Strategien und Maßnahmen zur Mehrsprachigkeit in Mitteilung der Kommission vom 22.11.2005 an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, ABl C 2005/596, 1. Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 271. Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 279; Vettori/Wisniewski/Abel, Becoming bilingual in a multilingual Kontext. A snapshot view of L2 competences in South Tyrol, in Braunmüller/Gabriel (Hrsg), Multilingual Individuals and Multilingual Societies (2012) 437; Egger, Sprachlandschaft 187. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 221. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 199 ff. Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 138.
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den, bleiben der Modus dieser Sozialisation und individuelle Mehrsprachigkeit, wie Larcher/Baur urteilen, defizitär.971 Bereits das Statut 1948 schreibt getrennten Unterricht für Angehörige der deutschen und italienischen Sprachgruppe in getrennten Schulen und für Ladiner in paritätischen Schulen vor, während das zweite Statut die Pflicht, die andere Sprache zu erlernen, erweitert – durch Lehrkräfte, deren Muttersprache sie ist. Ab 1945 ist Italienisch für die Deutschsprachigen, ab 1972 Deutsch für die Italiener verpflichtendes Unterrichtsfach. In ladinischen Schulen sind Deutsch und Italienisch paritätische Unterrichtssprachen, Ladinisch ein Unterrichtsfach.972 Die Schuleinschreibung bleibt freies Recht der Eltern. Getrennte Modelle erschweren Kontakte über die Gruppengrenzen.973 Vor allem in der deutschsprachigen Bevölkerung scheint der Widerstand gegen eine intensivere bilinguale Ausbildung groß zu sein,974 wobei Baur in ländlichen Gebieten eine zunehmende Aversion gegen das Italienische als Ausdruck eines „falsch verstandenen Patriotismus“ bemerkt.975 Abel sieht Ängste vor Vermischungen durch Sprachkontakte im Sinne von „half spaghetti-half knödel“.976 Insgesamt gehen die Kenntnisse in der anderen Sprache zurück, weshalb der Zweitsprachenunterricht zunehmend Kritik erfährt. 977 Obwohl Südtirol ein Reservoir für Zweisprachigkeit bietet und alle Deutschsprachigen Italienisch lernen, alle italienischen Muttersprachler Deutsch – wodurch die Mehrheit die Minderheitensprache erwirbt978 – und die Ladiner beide Sprachen lernen, bleiben Herausforderungen für den Erwerb der Zweitsprache und ihre Vermittlung bestehen, die vor allem den Kontakt der Gruppen und die Einstellung zur anderen Sprache betreffen. Probleme bei der Entwicklung gelebter Zweisprachigkeit schafft die regionale 971 972
Baur/Larcher, Fit für Europa 175. Eichinger in Hinderling/Eichinger 225; Kattenbusch in Hinderling/Eichinger 325; Abel in Abel/Stuflesser/ Voltmer 236 ff; Carli, Die soziolinguistische Situation des Dolomitenladinischen. Ein Abriss, in Pasinato (Hrsg), Heimatsuche. Regionale Identität im österreichisch-italienischen Alpenraum (2004) 331. 973 Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 136; Abel in Abel/Stuflesser/Voltmer 237. Nach Angaben zur Situation im Jahr 2004 besuchen überwiegend alle (befragten) Sprachgruppenangehörigen Schulen und Kindergärten in der eigenen Sprache; hierzu Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 28. 974 Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 137; Tyroller, Trennung und Integration in Südtirol, in Hinderling (Hrsg), Europäische Sprachminderheiten im Vergleich. Deutsch und andere Sprachen (1986) 17 (33). Zugewanderte Italiener aus dem Trentino zeigen sich nach Tyroller zudem wesentlich offener gegenüber der deutschen Sprache als die Italiener in Bozen. 975 vgl Baur in Grote/Siller 170. 976 Abel in Abel/Stuflesser/Voltmer 239; diese Angst bestätigt Baur in Grote/Siller 175. 977 Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 136 f; vgl Vettori/Wisniewski/Abel in Braunmüller/Gabriel 439; Baur in Grote/Siller 169 ff. 978 Egger, Sprachlandschaft 159. Zur historischen Verteilung des Sprachgebrauchs Egger, Zweisprachigkeit 25 ff.
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Struktur Südtirols: die Verteilung der Bevölkerung und Sprachgruppen eröffnet für die deutsche Sprachgruppe am Wohnort kaum Begegnungsräume und Zonen der Zweisprachigkeit.979 Fehlender Kontakt erschwert den Erwerb der zweiten Sprache. Sie wird wie eine Fremdsprache gelernt.980 Soziolinguistisch sind die Zonen der Stadtgebiete, die großen Täler und die Bergregionen zu unterscheiden und nur ein Drittel der Bevölkerung als effektiv zwei- oder mehrsprachig zu verstehen. Große Teile des Landes sind als einsprachig deutsch zu charakterisieren. In Gebieten mit einem Anteil von mehr als einem Viertel der Bevölkerung aus einer anderen Sprachgruppe ortet Baur zudem „Schließungsmechanismen“ in der minoritären Gruppe, die sie die andere Sprache weniger häufig nutzen lassen.981 Hinzu treten negative Konnotationen der Zweitsprachen: Die deutsche Gruppe hat lange Zeit die Wahrung und Entwicklung des Unterrichts in der Muttersprache im Blick, das Erlernen der zweiten Sprache gilt häufig als bloße Notwendigkeit.982 Italiener erleben das Erlernen der deutschen Sprache vielfach als Zwang. In der Schule wird der Standard unterrichtet, vor Ort werden aber überwiegend Dialekte gepflogen, die Italiener kaum verstehen und deren Kenntnis sie als nutzlos wahrnehmen.983 Angehörige der italienischen Gruppe schätzen, wie Lanthaler ausführt, Deutsch als Kultursprache und versprechen sich durch den Erwerb der Hochsprache Kommunikationsmöglichkeiten im gesamtdeutschen Raum, die über die Unterhaltung mit Nachbarn hinausgehen.984
979
980 981 982 983
984
Egger, Sprachlandschaft 36; Baur/Larcher, Fit für Europa 175; Eichinger in Hinderling/Eichinger 235; Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 163; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 204; Lanthaler, The German in South Tyrol – some Sociolinguistic Aspects, in Abel/Stuflesser/Voltmer (Hrsg), Aspects of Multilingualism in European Border Regions. Insights and Views from Alsace, Eastern Macedonia and Thrace, the Lublin Voivodeship and South Tyrol (2007) 221 (224 f ); Lanthaler, Die Vielschichtigkeit des Deutschen in Südtirol – und wie wir damit umgehen, in Abel/ Stuflesser/Putz (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa: Erfahrungen, Bedürfnisse, Gute Praxis (2006) 371 (373). Hierzu schon A.IV. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 209. Baur in Grote/Siller 168 f. Egger, Sprachlandschaft 164; Egger, Zweisprachigkeit 159; Baur in Grote/Siller 170. Egger, Sprachlandschaft 165 ff; Egger, Zweisprachigkeit 158 ff. Zappe, Das ethnische Zusammenleben 209; Mioni, Zur Soziolinguistischen Lage Südtirols, in Pasinato (Hrsg), Heimatsuche. Regionale Identität im österreichisch-italienischen Alpenraum (2004) 313 (319). Nach einer Umfrage 2004 stört es ein Viertel der Italiener, wenn andere im Dialekt sprechen. Die Notwendigkeit der Dialektbeherrschung für das Zusammenleben sehen Italiener jedoch überwiegend; Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 135 f. Auch innerhalb der Dialekte bestehen große Unterschiede, die innerhalb der ländlichen Bevölkerung stärker variieren als innerhalb der städtischen; das Attribut der Diglossie passt dafür jedenfalls nicht, so Lanthaler in Abel/Stuflesser/Voltmer 233. Lanthaler in Abel/Stuflesser/Voltmer 235.
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Die Hochsprache alleine genügt in Südtirol nicht, da Deutschsprachige meist Dialekt sprechen und im Dialekt antworten, wenn sie in der Hochsprache angesprochen werden.985 Insofern ist in der deutschen Sprache durch Differenz von Dialekt und Hochsprache funktionale Diglossie zu identifizieren,986 wobei jüngere Personen den Dialekt wichtiger erachten als ältere, aber auch kompetenter in der Hochsprache sind.987 Je ländlicher Gebiete strukturiert sind, umso häufiger wird im öffentlichen Leben und im Beruf Dialekt gesprochen. Wie Mawe zeigt, erfüllt er eine besondere soziale Funktion für die Südtiroler Identität und wird höher angesehen als Hochdeutsch, da er Vertrautheit der Sprecher signalisiert.988 In einer Untersuchung 2007/08 unter 1200989 Teilnehmern in der vierten Stufe der höheren Schulen sprechen unter deutschsprachigen Jugendlichen 98,8% Dialekt, während ein Großteil der Italienischsprachigen (70,7%) angibt, den deutschen Dialekt nicht zu verstehen.990 Innerhalb der italienischen Bevölkerung Südtirols hat sich kein regionales Idiom durchgesetzt, sondern eine Variante der Standardsprache weitgehend ohne regionale Besonderheiten.991 Im Kontakt nimmt nur bei Deutschsprachigen die Kompetenz in der zweiten Sprache zu, weshalb auch Italiener zu ermutigen wären, Dialekt zu lernen und Deutschsprachige die Anstrengung zu erbringen haben, den Dialekt im Kontakt zu vereinfachen, denn Kenntnisse der Varietäten wirken positiv auf Sprachkompetenzen.992 Die einfacheren, der Hochsprache näheren,993 Varianten des deutschen Dialekts in den Städten könnten das Verstehen erleichtern und wären ein Eintritt zu interethnischer Kommunikation.994 Umgekehrt gilt 985 986 987 988 989
990 991
992 993 994
Baur/Larcher, Fit für Europa 118 f; Egger, Zweisprachigkeit 10 ff; Lanthaler in Abel/Stuflesser/Voltmer 229 ff. Im Dialekt erfolgt für 95% der Kinder auch die Sozialisation; Mioni in Pasinato 317. Lanthaler in Abel/Stuflesser/Putz 372. Måwe in Grote/Siller 178. Måwe in Grote/Siller 192 f. Das zugrundeliegende Projekt umfasst neben der quantitativen eine qualitative Untersuchung mit 16 Focus-Group-Interviews. Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/ Weller 272 f; 292 f; vgl auch Abel, Werkstattbericht über das Projekt „Die Südtiroler SchülerInnen und die Zweitsprache: eine linguistische und sozialpsychologische Untersuchung”, lingustic online 03/07, in http://www.linguistik-online.de/32_07/abel.pdf (30.10.2013). Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 299. Eichinger in Hinderling/Eichinger 212; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 205; Egger, Zweisprachigkeit 12 f; Cavagnoli, Dimmi di dove sei… Sag’ mir woher du kimmsch’…. Anmerkungen zum Italienischen in Südtirol, in Pasinato (Hrsg), Heimatsuche. Regionale Identität im österreichisch-italienischen Alpenraum (2004) 343 (347). Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 299; Baur/Larcher, Fit für Europa 118 f; Vettori/Wisniewski/Abel in Braunmüller/Gabriel 445. Eichinger in Hinderling/Eichinger 211. Egger, Sprachlandschaft 166; Lanthaler in Abel/Stuflesser/Voltmer 235.
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es, ein Sprachbewusstsein und Wertschätzung für den Dialekt zu entwickeln und seine regionalen Besonderheiten nicht bloß als Interferenzen der Hochsprache zu sehen.995 Lanthaler empfiehlt einen „Varietätenvertrag“ (in Anlehnung an Rousseaus Gesellschaftsvertrag), in dem beide Gruppen in Kontaktsituationen und in ihren Sprachhandlungen bewusst aufeinander zugehen und die Schule angemessene Umgangsformen mit allen Varianten der Sprache vermittelt.996 Mangelnde Sprachkenntnisse behindern Kontakte. Italiener haben in Kontaktsituationen die Befürchtung, Fehler zu machen, weshalb Italienisch als Kontaktsprache überwiegt. In gruppenübergreifenden Freundschaften und Kontakten passen sich Deutschsprachige an. Meist wird Italienisch gesprochen.997 Diese ritualisierte Sprachwahl ist problematisch.998 Den Deutschsprachigen fehlen Übungsflächen, wenn sie in deutschsprachiger, monolingualer Umgebung leben oder Italiener zum Teil – wie in Meran – so viel Deutsch können, dass man nicht Italienisch sprechen muss.999 Nur im Bozener Unterland beherrschen beide Gruppen die Varietäten der anderen Sprachen.1000 Die Wechsel zum Italienischen im Bedarfsfall zeigen nach Eichinger, dass „die individuelle Wahl des Gesprächspartners oder (…) das zufällige Zusammenleben in einem Ort im Normalfall nicht an den Identitätsgrenzen der Sprachgruppen scheitert“1001. Trotz der klar abgegrenzten Gruppenidentitäten beurteilt Atz die Distanzen der Sprachgruppen 1991 eher gering, wobei die deutsche Sprachgruppe größere Abschottungstendenzen zeigt und nur ein kleiner Teil als „multikulturell“ zu bezeichnen ist.1002 Kontakte im Freundeskreis sind zu diesem Zeitpunkt seltener als in 995 996
Lanthaler in Abel/Stuflesser/Putz 377. Lanthaler in Abel/Stuflesser/Putz 378. Bei den Italienern könnte dies zB die Entwicklung einer zumindest passiven Kompetenz im Dialekt und unter Deutschsprachigen ein entsprechend rücksichtsvolles Sprachtempo und Einsetzen des Dialektes in die der Standardform näherstehenden Varianten bedeuten. 997 Eichinger in Hinderling/Eichinger 213; 229; Voltmer in Abel/Stuflesser/Voltmer 205 f; Lanthaler in Abel/Stuflesser/Voltmer 234 f. Unter Jugendlichen sprechen in einer Untersuchung 2007/08 67,9% der Deutschsprachigen mit ihren Freunden nur Italienisch, während nur 5,8% der Italienischsprachigen angeben, nur Deutsch mit Freunden der anderen Gruppe zu sprechen. Lediglich 15% der Befragten wechseln zwischen den Sprachen, hierzu Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/ Marko/Mayall/Packer/Weller 298; Vettori/Wisniewski/Abel in Braunmüller/Gabriel 449 f. 998 Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 301 f. 999 Baur/Larcher, Fit für Europa 120 f; Eichinger in Hinderling/Eichinger 213; Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 293. 1000 Eichinger in Hinderling/Eichinger 213; Lanthaler in Abel/Stuflesser/Voltmer 233. 1001 Eichinger in Hinderling/Eichinger 235. 1002 Atz in Atz/Buson 90. 1997 zeigen besonders Deutschsprachige geringere Probleme im Umgang mit anderen Sprachgruppen; sie heben eher die Distanz zu Personen aus anderen Teilen des Staates hervor; sprachliche Aspekte empfinden vor allem die Italiener als Behinderungen beim Aufbau von Beziehungen. Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 87.
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der Freizeit oder im Beruf, wo die Hälfte der Deutschen und 83% der Italiener – mit bedingt durch ihre Konzentration in den Städten – Kontakte zur anderen Gruppe aufweisen.1003 Mehr als 25 Jahre später zeigt eine Untersuchung unter Jugendlichen ein differenzierteres Bild: 2007/08 geben ein Viertel der Deutschsprachigen und 12% der Italiener an, im vergangenen Jahr keinen Kontakt zur anderen Sprachgruppe gehabt zu haben.1004 Ein Drittel der Deutschsprachigen (31%) und mehr als die Hälfte der Italiener (54%) benennen häufige und intensive Kontakte.1005 Noch 2004 haben in der Gesamtbevölkerung unter drei Viertel der Befragten einer Untersuchung Freunde, die überwiegend zur eigenen Sprachgruppe gehören;1006 unter Jugendlichen in Umfragen 2009 mehr als zwei Drittel (67,3%).1007 Freunde in der anderen Sprachgruppe haben meist jüngere Ladiner oder Italiener. Mit höherem Bildungsgrad nehmen Freundschaften zu. Deutsche bleiben am ehesten unter sich.1008 Unter den Gruppen ergibt sich diese Verteilung auch aus der regionalen Struktur Südtirols. Kontakte wirken positiv auf Erwerb und Einstellung zur zweiten Sprache, Umgang im Alltag bedeutet aber nicht automatisch Nähe.1009 Vordergründig bewirken vor allem Nutzenerwägungen eine Neubewertung der Sprachen, da ökonomische Vorteile die Mehrsprachigkeit attraktiv machen. Sprachenlernen halten alle Gruppen für wichtig, teilen im Durchschnitt aber auch die Meinung, in Südtirol sei es schwer, die Sprachen zu erlernen.1010 Die Beherrschung 1003 Die Hälfte der Befragten hat in einer Umfrage 1991 selten (48%) oder nie (40%) Kontakt zu italienischen Freunden oder Bekannten; Italiener zu 65% seltene und zu 23% keine Kontakte. In der Freizeit liegen die Werte dagegen bei 28% unter Deutschen und 55% bei Italienern; dazu Egger, Sprachlandschaft 184 f, Atz in Atz/Buson 87. Eingehend zur Sprachverwendung am Arbeitsplatz, wo sich zB Kontakte in Schriftstücken (Korrespondenzen) und im direkten Gespräch (Telefon) nach Sprachen unterscheiden Eichinger in Hinderling/Eichinger 236 f. 1004 Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 281; 294. 1005 Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 298. 1006 Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 123. 1007 Plank, Der Umgang mit den anderen, in Astat Landesinstitut für Statistik, Jugendstudie. Werthaltungen, Lebensformen und Lebensentwürfe der Südtiroler Jugend 2009 (2010) 33 (41). 1008 Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 123 f; Plank in Astat Landesinstitut für Statistik 42. Schon 2004 geben Jugendliche zu mehr als zwei Drittel (67,9%) an, Freunde nur in der eigenen Sprachgruppe zu haben; Kromer, Der Umgang mit den anderen, in Astat Landesinstitut für Statistik, Jugendstudie. Werthaltungen, Lebensformen und Lebensentwürfe der Südtiroler Jugend 2004 (2004) 29 (32). 1009 Das zeigen Abel/Stuflesser an einer Pilotstudie mit Berufsschülern, die Distanzen zwischen den Sprachgruppen offenlegt; Abel/Stuflesser, Interviewstudie zum Zusammenspiel von Überzeugungen, Erfahrungen und Sprachenlernen: ein Werkstattbericht, in Abel/Stuflesser/Putz (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa: Erfahrungen, Bedürfnisse, Gute Praxis (2006) 65 (74). 1010 Deutsche orten die Ursachen vor allem in fehlendem Interesse und mangelndem Willen, Italiener in fehlendem Willen und im Schulsystem; Egger/Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 176 f; 204. Vgl Lanthaler in Abel/Stuflesser/Putz 375.
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mehrerer Sprachen empfinden drei Viertel der Südtiroler Bevölkerung in einer Umfrage 2004 als Bereicherung, am häufigsten als persönlichen Reichtum. Je jünger die Befragten und je höher die Bildung, umso intensiver entfällt diese Einstellung.1011 Öffentlicher Dienst, Wirtschaft oder Tourismus fördern und bedingen Kenntnisse in beiden Sprachen, da die Wirtschaft nur im ländlichen und industriellen Bereich über einsprachige Domänen verfügt.1012 In der Privatwirtschaft gilt die Absolvierung der Zweisprachigkeitsprüfung für den Öffentlichen Dienst (Patentino) als vorteilhafte, vielfach vorausgesetzte, Zusatzqualifikation.1013 Nach Soffritti greifen zwei Ansätze ineinander: Einerseits ermöglichen die kulturellen Sprachenrechte im Alltag die eigene sprachliche einsprachige Identität zu wahren, andererseits verlangen öffentlicher Dienst und Wirtschaft zunehmend individuelle Zweisprachigkeit. Es entstehen Spannungen und Überlagerungen zwischen freiwilliger und „erzwungener“ Zweisprachigkeit, in der sich die Motivlage zwischen ökonomischem Vorteil und mühevollem Aufwand und Freude an echter Bereicherung durch Beherrschung der zweiten Sprache und Kultur bewegt.1014 Wie Zappe darlegt, sehen es bereits in den 1990er Jahren alle Gruppen als Vorteil, in der EU von Beginn an zwei Amtssprachen zu beherrschen, vor allem Deutschsprachige lehnen aber aus Furcht vor Assimilation ab, vom getrennten Schulsystem abzugehen.1015 Italienischsprachige (wohlhabende) Familien schicken ihre Kinder in deutschsprachige Schulen. Auch unter ihnen bestehen Reminiszenzen gegen Kontakt und Zweisprachigkeit, soweit sie nicht Tourismus oder Arbeitgeber verlangen.1016 Untersuchungen zeigen, dass diese Formen der „Submersion“1017 kaum Auswirkungen haben auf den Sprachge1011 85,6% der Ladiner, 75,5% der Italiener und 70,3% der Deutschen erachten die Kenntnisse der Zweitsprache für sehr wichtig; Egger/Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 194 f. Abel/Stuflesser zeigen, dass unter Berufsschülern der Erwerb der Zweitsprache, sofern überhaupt, vor allem im späteren Berufsleben angestrebt wird; Abel/Stuflesser, Interviewstudie 74. 1012 Zappe, Das ethnische Zusammenleben199 ff; 204; Baur/Larcher, Fit für Europa 84. 1013 Mioni in Pasinato 319; Soffritti, Zweisprachigkeit und „Patentino“ in Südtirol, in Pasinato (Hrsg), Heimatsuche. Regionale Identität im österreichisch-italienischen Alpenraum (2004) 323 (325 f ). Auch der Patentino überprüft die deutsche Standardsprache, die im Umgang wegen der Dialekte kaum verwendet wird. 1014 Soffritti in Pasinato 327. 1015 Zappe, Das ethnische Zusammenleben 204. 1016 Zappe, Das ethnische Zusammenleben 210 f; Carlá, Living Apart in the Same Room 298. 1017 „Submersion“ beschreibt die Beschulung von Angehörigen einer Minderheit in einem Curriculum, das auf die Sprache der Mehrheit ausgerichtet ist und die Sprache einer – in diesem Fall sprachlichen – Minderheitengruppe nicht berücksichtigt. „Immersion“ meint dagegen grundsätzlich eine in unterschiedlicher Intensität vorhandene Berücksichtigung der Mutter- und einer Zweitsprache im Curriculum.
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brauch zuhause, sondern positiv auf die Stellung des Kindes mit seinen Zusatzkompetenzen in der Familie wirken können.1018 Gerade den Ladinern verlangt der Massentourismus, der das Einkommen vieler Menschen in ihren Tälern sichert, Anstrengungen ab und zeigt neben dem Effekt der Mehrsprachigkeit negative Aspekte wie den Abbau von Umwelt- und Humanressourcen.1019
b. Sprachkenntnisse und -verwendung in einzelnen Lebensbereichen Eine zentrale Bedeutung für die Wahrnehmung von Sprachenrechten und die Beurteilung der Mehrsprachigkeit entfalten Sprachkenntnisse. Um Sprachenrechte nutzen zu können, bedarf es eines Mindestmaßes an Sprachkenntnissen.1020 Am intensivsten entwickelt zeigt sich Mehrsprachigkeit unter den Ladinern. 1021 1997 ist Zweisprachigkeit unter Personen mit deutscher Muttersprache (49,1%) weiter verbreitet als unter Italienern (22,4%). Unter ihnen fällt die Beherrschung des Deutschen in städtischen Zentren am geringsten aus, wo sich die Italienischsprachigen konzentrieren und die Mehrheit stellen: In Städten verhalten sich 19,4% der Italiener und 70,6% der Deutschen zweisprachig. In kleinen Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohner, in denen die deutsche Bevölkerung überwiegt und Italiener auf die zweite Sprache angewiesen sind, finden sich unter Deutschsprachigen 51,6%, unter Italienern 41,6% Zweisprachige.1022 Eine Rolle spielen die regionalen Struk1018 Babault/Puren, Submersion schooling across the French-Belgian borders: bilingual children in monolingual families?, in Abel/Stuflesser/Putz (Hrsg), Mehrsprachigkeit in Europa: Erfahrungen, Bedürfnisse, Gute Praxis (2006) 233 (243). 1019 Zappe, Das ethnische Zusammenleben 104. 1020 Egger, Sprachlandschaft 177. 1021 Unter ihnen verfügen laut einer Umfrage 1994/95 91% über Italienisch- und 97% über Deutschkenntnisse, während umgekehrt nur etwa 3% der Deutschsprachigen und 2% der Italienischsprachigen Ladinisch oder dessen Idiome verstehen, hierzu Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 98. Im Sprachenbarometer 2004 bezeichnen 81,9% der Italiener Deutsch als ihre Zweitsprache, 97,9% der Deutschen nennen Italienisch; Ladiner zu 44,3% Deutsch/Italienisch, zu 44,1% Italienisch und zu 25,3% Deutsch; Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 28. Auch 1997 ist es für alle Befragten unter Ladinern normal, jeden Tag oder äußerst häufig ein Gespräch in der anderen Sprache zu führen, während nur 28,8% der Italiener sich täglich in solchen Situationen befinden und fast die Hälfte der Deutschen (46,6%). Nur 15,4% der Deutschen und 14,5% der Italiener sieht sich nicht in der Lage, ein Gespräch in der anderen Sprache zu führen; im Ladinischen fühlen sich beide Gruppen (97,2% der Deutschen und 96,5% der Italiener) dazu außerstande. Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 82 ff. Dass Mehrsprachigkeit zum Alltag der Ladiner gehört, zeigt Giungaio, Telefonische Umfrage in den ladinischen Tälern, in Astat Landesinstitut für Statistik, Südtiroler Sprachenbarometer. Sprachgebrauch und Sprachidentität in Südtirol 2004 (2006) 209 (232). 1022 Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 105 ff; Egger, Sprachlandschaft 206.
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turen und die Ausbildung: Personen mit höheren Studientiteln kommunizieren am häufigsten in den anderen Sprachen.1023 In der italienischen Sprachgruppe bestehen öfter schlechte Kenntnisse der anderen Sprache.1024 Unter Jüngeren nimmt nach Angaben aus dem Jahr 2004 Italienisch als zweite Sprache zu, Deutsch ist rückläufig. Im Lebensalltag nutzen es drei Viertel der Jugendlichen überwiegend.1025 Jüngere Personen zeigen ausgeprägtere Tendenzen zur Mehrsprachigkeit als ältere.1026 In deutschen und ladinischen Familien bestehen über die Generationen hinweg größere Traditionen der Zweisprachigkeit, während sie im Großteil der italienischen Familien über keine Tradition verfügt.1027 In einer Erhebung der Zweitsprachenkompetenz erreichen 2007/08 44% der deutschsprachigen Jugendlichen das Niveau B1, 40% B2, während nur 4% darunter, aber immerhin 11% darüber liegen. Unter Italienischsprachigen erreicht die Hälfte B1 und 28% B2. 13% liegen darunter und nur 5% darüber (C1).1028 Besonders schlecht schneiden jene ab, die spezialisierte Schulen besuchen und von diesen die Italienischsprachigen.1029 Unter ihnen ist die Zahl der abgelegten Reifeprüfungen und Schulabschlüsse doppelt so hoch wie in der deutschen Sprachgruppe, wofür die Konzentration des Großteils der Italiener in den Städten eine Ursache bildet.1030 1023 Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 99. 1024 Eine Bevölkerungsumfrage weist bereits 1991 einen doppelt so hohen Anteil von Personen mit schlechten Kenntnissen der anderen Sprache in der italienischen Sprachgruppe (48,3%) wie unter Deutschsprachigen (23,1%) aus; hierzu Egger, Sprachlandschaft 213. Bis 1991 ist unter Deutschen auch der Anteil erfolgreicher Absolventen der Zweisprachigkeitsprüfung (47,9%) höher als unter Italienern (30%), am erfolgreichsten schneiden aber Ladiner ab (61,1%); eingehend Egger, Sprachlandschaft 218. Auch 1997 geben in einer Erhebung 20,7% der Italiener an, über so gut wie keine Kenntnisse in Deutsch zu verfügen; dazu Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 104. Inzwischen zeigen nach Abel statistische Angaben zu Zweisprachigkeitsprüfungen hingegen, dass 26% der Deutschen bestehen, aber 31% der Italiener; hierzu Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 289. 1025 Kromer in Astat Landesinstitut für Statistik 39; vgl Lanthaler in Abel/Stuflesser/Voltmer 235. 1026 Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 29 ff; 64. Eltern von Personen über 60 Jahre sind kaum zweisprachig. 1027 Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 32. Unter Italienern 1997 erreicht die jüngste Gruppe die höchsten Werte; insgesamt erklären 61,7% die Sprache besser zu beherrschen als ihre Eltern; Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 108 ff. 1028 Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 285. Aufschlüsselung nach Schultypen: 287 f. Überblick über die Ergebnisse im Detail in Abel/Wisniewski/Vettori, Die Sprachkompetenzen: Ergebnisse, in Abel/Wisniewski/Vettori (Hrsg), KOLIPSI. Die Südtiroler SchülerInnen und die Zweitsprache: eine linguistische und sozialpsychologische Untersuchung Band 1 (2012) 65 (132 ff); vgl Vettori/Wisniewski/Abel in Braunmüller/Gabriel 445. 1029 Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 291. 1030 Wakenhut, Ethnische Zugehörigkeit 20 f.
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Die Basis für Zweisprachigkeit legen nach Egger jene Domänen, die eine Verwendung von Deutsch und Italienisch verlangen: öffentlicher Dienst, Dienstleistungssektor, Tourismus, Schule. Exklusive Lebensbereiche, in denen Italiener nur Deutsch brauchen, gibt es nicht, obwohl Deutsch in einigen Bereichen eine dominante Stellung einnimmt und keine klassische Minderheitensprache darstellt.1031 Die Basis für Zweisprachigkeit bilden jene Domänen, in denen die andere Sprache verwendet werden muss.1032 Egger charakterisiert die Situation der deutschen Sprachgruppe bereits 1977 als „diglossisch“ (Deutsch und Italienisch werden in bestimmten Bereichen verwendet) und „bilingual“ (beide Sprachen werden beherrscht). Unter Italienern finden sich Zweisprachige, ihnen fehlen aber jene Bereiche, in denen die zweite Sprache exklusiv verwendet wird.1033 Sprachverwendung zeigt sich primär kontextabhängig und bezogen auf den Sprachgebrauch des Gegenübers.1034 Allerdings ergibt die Social Survey 1986 eine hohe Sprachloyalität der Personen zu ihren Sprachgruppen. Der Großteil bleibt der eigenen Sprache treu; wiederum mit Ausnahme der Ladiner.1035 Mit Blick auf die Sprachdomänen wählen die Angehörigen der Sprachgruppen in Familie und Freundeskreis bevorzugt ihre Muttersprache zur Kommunikation.1036 In einer Umfrage unter Jugendlichen 1994/95 erreicht Deutsch die höchsten Werte in der Familie, Arbeit, an der Schule und Universität, gefolgt von der Kommunikation mit Behörden, der Polizei und anderen Personen, zB Passanten oder Touristen. Italienisch erreicht ähnlich hohe Werte in Familie und Freundeskreis, aber höhere Werte als Deutsch in den Bereichen Arbeit, Schule und Universität, wie auch in der Kommunikation mit Behörden und anderen Personen auf der Straße 1031 Egger, Sprachlandschaft 61; 221; Eichinger in Hinderling/Eichinger 228. Die Minderheitensprache verfügt zudem über sämtliche funktionalen Varietäten innerhalb der Sprache und unterliegt als Schriftsprache, wie Eichinger anmerkt, keinen Einschränkungen: Eichinger in Spillner 186. 1032 Egger, Zweisprachigkeit 19. Das betrifft in Südtirol vor allem die Situation der Italiener, in Kärnten wäre es die Mehrheit, die aus diesem Grund in den Sprachbereichen kaum einen Antrieb für Zweisprachigkeit findet. Dort fehlt es der Sprache aber schon an Funktionalität für die slowenische Volksgruppe. 1033 Egger, Zweisprachigkeit 9. 1034 Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 98. 1035 Egger, Sprachlandschaft 208 f. Nur ein Drittel der Deutschsprachigen (35,2%) und noch einmal um die Hälfte weniger unter den Italiensprachigen (17,8%) verhält sich 1986 in gemischten Gruppen zweisprachig. Unter Ladinern geben 95,5% an, in gemischtsprachigen Situationen zweisprachig zu agieren. 1036 Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 99. Deutschsprachige verwenden, wie eine Umfrage 2004 zeigt, überwiegend den Dialekt (95,4%); Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 107 ff. In den ladinischen Tälern herrschen die ladinischen Dialekte vor: Giungaio in Astat Landesinstitut für Statistik 232.
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oder im touristischen Kontext. Geringer entfallen diese Werte für die Verwendung des Ladinischen in den öffentlichen Lebensbereichen.1037 Während die beiden großen Gruppen ihre Muttersprache im privaten und öffentlichen Leben – Italiener noch stärker als Deutsche – intensiv einsetzen, neigen Ladiner zur Verwendung des Deutschen und Italienischen im öffentlichen Raum.1038 Am Arbeitsplatz spricht man im Jahr 2004 vor allem deutschen Dialekt oder Italienisch, gefolgt von deutscher Hochsprache. 68,7% der muttersprachlich Deutschsprachigen sprechen bei der Arbeit auch Italienisch.1039 Insgesamt sprechen zwei Drittel der Bevölkerung im Berufsleben häufig eine andere Sprache – am stärksten in den Städten, am geringsten in ländlichen Gebieten und häufiger mit höherem Bildungsgrad.1040 Die Familie erweist sich in Südtirol als zentrale Domäne für die Weitergabe und den Erhalt der Sprache. Einsprachige Familien geben die Sprache in hohem Ausmaß an die Kinder weiter. Deutsche, italienische und ladinische Familien zeigen, wie Egger für die Verhältnisse Ende der 1990er Jahre schließt, keine gravierenden Veränderungen über die Generationen hinweg.1041 Dieses Bild bestätigen Erhebungen im Jahr 2004.1042 In gemischten Familien setzt sich meist das Italienische wegen der besseren Zweitsprachenkenntnisse des deutschen Partners und der Varietäten-Problematik als Familiensprache durch, woraus Identitätskonflikte für Kinder entstehen können, wenn die Kinder in Situationen aufwachsen, in denen sie mit dem anderssprachigen Elternteil diese Sprache selbstverständlich sprechen
1037 Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 99. Schon in Erhebungen 1982/83 gibt der Großteil der Befragten an, Italienisch nur zu nutzen, wenn eine Kommunikation in Deutsch nicht möglich ist; am geringsten entfällt dieser Wert bei jüngeren Altersgruppen, die dazu neigen, sich als zweisprachig zu bezeichnen und angeben, beide Sprachen gleich häufig zu verwenden; eingehend Eichinger in Hinderling/Eichinger 224 f. 1038 Gallenmüller-Roschmann in Wakenhut 99. 1039 Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 2004 69 f. Zu weiteren Differenzierungen Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 117 ff. 1040 Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 127 ff. In der Muttersprache bleiben tendenziell eher ältere, italienischsprachige Personen mit geringerer Schulbildung. 1041 Deutschsprachige geben die Sprache zu 97,1%, Italiener zu 91,3% an die Kinder weiter und auch Ladiner zeigen keine auffallenden Veränderungen, so Egger, Sprachlandschaft 95; 98 ff; 181; zur Sprachverwendung anhand von Erhebungen 1982/83 auch Eichinger in Hinderling/Eichinger 228 f. In einer Umfrage 1997 wird die Treue zur Sprache unter Ladinern besonders hervorgehoben: Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 113. Ähnliche Ergebnisse, mit weiteren Differenzierungen in den verschiedenen Tälern erzielt Holtzmann, Mehrsprachigkeit und Sprachkompetenz in den ladinischen Tälern Südtirols. Eine ethno- und soziolinguistische Untersuchung (2000) [ng Dissertation] 83 ff. 1042 Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 28. Hier liegt die Übereinstimmung der Muttersprache in der ersten und zweiten Generation in allen Sprachgruppen zwischen 93,8% und 97,9%.
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und in ihr Selbstbild integrieren.1043 Ladinisch weist Besonderheiten auf, da es trotz der Diskussionen um die Vereinheitlichung im „Ladin Dolomitan“ in den 1990er Jahren an Sprachprestige gewinnt, hinter der deutschen oder italienischen Hochsprache jedoch als „Minderheitensprache“ zurückbleibt.1044 Die Frage nach „der“ ladinischen Sprache und die Betonung der Unterschiede der ladinischen Idiome bergen zahlreiche Schwierigkeiten, die sich darin äußern, dass die Sprache zB in öffentlichen Kommuniqués außerhalb der Täler weggelassen oder mehrere Varianten gewählt werden, weil man sich nicht auf eine Variante festlegen kann.1045 Im Unterricht werden neue oder zentrale Wissensbegriffe häufig aus dem Deutschen oder Italienischen entlehnt. Daraus resultieren „Schieflagen“, die Ladinisch weniger brauchbar machen.1046 Hinzu treten Probleme, die sich aus der Aufteilung der Täler auf verschiedene Provinzen ergeben, in denen jeweils unterschiedliche Rechtsregime gelten. In Südtirol setzt ein Großteil der ladinischen Familien die Sprache im Alltag und in der Familie ein. Sie herrscht im informellen Bereich vor, ist aber auch im formellen Bereich von Bedeutung.1047 Allerdings spiegelt die Verwendung der Sprache die Sprachkenntnisse, die sich in den Tälern Südtirols unterschiedlich gestalten und im Gadertal stärker verbreitet sind als in Gröden.1048 In den Südtiroler Tälern wechseln Familien vereinzelt vom Deutschen ins Ladinische und Dreisprachigkeit im Sinne eines „Mehrsprachigkeitsmodells“1049 ist weit verbreitet durch Schule, Tou-
1043 Eichinger in Hinderling/Eichinger 230. Auffallend ist, dass, im Gegensatz zu Kärnten, Kinder eher dazu neigen, mit dem deutschsprachigen Vater nicht deutsch zu sprechen als mit der italienischsprachigen Mutter nicht Italienisch; hierzu Egger, Zweisprachigkeit 69 ff. Dieser Trend wird nach Egger beeinflusst von der Nähe zur Mutter und der Zweisprachigkeit des Vaters, der auf Deutsch nicht angewiesen ist. Wenn der Vater Italiener ist, spricht nur ein Viertel der Kinder mit der Mutter nicht Deutsch, nur 15% nicht Italienisch mit dem Vater. Die wesentliche Frage ist daher die Sprachkenntnis des italienischsprachigen Elternteils, schließt Egger. 1044 Egger, Sprachlandschaft 76. Das Prestige ist, wie jenes der deutschen Dialekte, geringer als das Ansehen der deutschen oder italienischen Hochsprache; hierzu Carli in Pasinato 331 f; 337. 1045 Videsott, Im Schatten des großen Bruders: Die Ladiner zwischen alten Trennungen und neuem Zusammengehörigkeitsgefühl, in Grote/Siller (Hrsg), Südtirolismen. Erinnerungskulturen – Gegenwartsreflexionen – Zukunftsvisionen (2011) 293 (298 f ). 1046 Carli in Pasinato 335. 1047 In Gröden fungiert es für 42,4% als Familiensprache, im Gadertal für 78,5%. Egger, Sprachlandschaft 79. Zur Sprachverwendung bestätigend auch Kattenbusch in Hinderling/Eichinger 323 ff; 327 f. 1048 Holtzmann, Mehrsprachigkeit 158. 1049 Carli in Pasinato 332. Einen „hohen Grad an potenzieller Mehrsprachigkeit“ identifiziert im Gadertal und in Gröden auch die Untersuchung von Holtzmann, Mehrsprachigkeit 157. Im Gadertal entfallen die Kenntnisse des Ladinischen höher als in Gröden – umgekehrt verhält es sich beim deutschen Dialekt.
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rismus und Zuzug von Personen anderer Muttersprache.1050 In ladinischen Tälern außerhalb Südtirols identifiziert Carli eine italienisch-ladinische Zweisprachigkeit, die mit Diglossie verbunden ist und in bestimmten Gebieten zur Einsprachigkeit neigt, wodurch sich der ladinische Sprachraum ausdifferenziert – mit den besten Voraussetzungen für den Spracherhalt in Südtirol.1051 Über die individuelle Mehrsprachigkeit hinaus fungieren Institutionen des öffentlichen Lebens zwei- oder dreisprachig.1052 Selbst die Funktionalität des Ladinischen ist gewährleistet durch seine Stellung als dritte Amtssprache, die in bestimmten Fällen – soweit sich Landesämter überwiegend mit ladinischen Angelegenheiten befassen – auch außerhalb der ladinischen Gebiete als Amtssprache zugelassen ist.1053 Eine Erhebung 2004 bietet ein differenzierteres Bild über Bereiche der öffentlichen Verwaltung, in denen die Sprache nicht verwendet wird: Es gibt weniger Probleme in der Gemeinde- und Landesverwaltung als etwa bei Finanzwache, Polizei und Carabinieri, im Sanitätswesen oder bei Eisenbahn und Post. Ursachen dafür reichen von Opportunismus, weil man sich von der anderen Sprache eine bessere Behandlung verspricht bis zu schlechten Sprachkenntnissen der Beamten und Bediensteten.1054 Auch Ladiner neigen dazu, eine der beiden anderen Sprachen als amtliche Sprache zu verwenden und sind nur zu 50,6% nicht für eine stärkere Verwendung des ladinischen in amtlichen Texten. In weniger formellen Bereichen (Veranstaltungen, Plakate, Konferenzen, Theater und Kirche) wird ein stärkerer Einsatz gewünscht. Unter jüngeren Personen mit höherer Bildung intensivieren sich diese Forderungen.1055 Sie bewerten Ladinisch eher als nützlich, wobei der Beruf eine Rolle spielt und Personen mit häufigem Kontakt zu Anderssprachigen der Sprache geringeren Nutzen zuschreiben. In dieser geringeren wirtschaftlichen Brauchbarkeit erkennt Carli eine Ursache für die Offenheit des Ladinischen gegenüber anderen Einflüssen.1056 Die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum in Fragen der Topographie ist für Teile der Bevölkerung ebenfalls ein wichtiges Thema, wo1050 Egger, Sprachlandschaft 81 ff. Im Gadertal ziehen SchülerInnen das Ladinische eher dem deutschen Dialekt vor als in Gröden, so Holtzmann, Mehrsprachigkeit 98 ff; dort finden sich auch Faktoren der Sprachpräferenz. 1051 Carli in Pasinato 332. 1052 Zur Sprachverwendung in semiöffentlichen Räumen (öffentliche und nicht-instutionelle, aber auch nicht intime private Räume, zB Bank, Vereine, Geschäfte, Nachbarschaft) Eichinger in Hinderling/Eichinger 231 ff; zur Sprachverwendung vor Ämtern auch Egger, Zweisprachigkeit 49 ff. 1053 Egger, Sprachlandschaft 78. 1054 Egger/Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 199 f. 1055 Carli in Pasinato 337 ff. 1056 Giungaio in Astat Landesinstitut für Statistik 127 f; 233. Im Gadertal sind die Werte mitunter deutlich höher als in Gröden für einen verstärkten Gebrauch.
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bei jüngere Personen der Frage tendenziell eine geringere Bedeutung zumessen.1057 2004 sprechen sich drei Viertel der Italiener und 60% der Ladiner, hingegen nur ca ein Drittel der Deutschen dafür aus, dass alle Orts- und Flurnamen zwei- oder dreisprachig sein sollten.1058 Unter den großen Sprachgruppen verfügen beide über zweisprachige Domänen, da etwa der öffentliche Dienst beide Sprachen erfordert.1059 Auch die Medienlandschaft bietet ein breites Repertoire in beiden Sprachen. Zeitungen veröffentlichen regelmäßig ladinische Beiträge und der staatliche Sender Rai strahlt ladinische Sendungen aus.1060 Dennoch bleibt die Medienwelt nach ethnischen Kriterien segmentiert und der jeweiligen Gruppe verpflichtet.1061 Für Printmedien zeigen bereits ältere Daten in den jüngeren Generationen eine verstärkte Nutzung in beiden Sprachen.1062 Im Rundfunk entscheidet nach Eichinger meist das Interesse an bestimmten Sendungen oder Informationen und Inhalte über die Wahl des Senders, wobei die Mehrsprachigkeit die Wahlmöglichkeiten – zunehmend unter Jüngeren – erweitert.1063 Für den Spracherhalt von Bedeutung ist auch die Kirche, die ein soziales Netz, gemeinsame Werte und persönliche Kontakte innerhalb der Sprachgruppen gewährt und durch die Landessprachen als Liturgiesprachen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch Sprachen der Minderheiten entgegenkommt. In Südtirol hat die Kirche Verdienste erworben um den Erhalt der deutschen Sprache in der Zeit des Faschismus, nunmehr versucht sie den Sprachgruppen Messen in allen Sprachen zu gewährleisten. Aus praktischen Gründen werden sie zT zweisprachig zelebriert.1064 Insgesamt zeigt sich nach Eichinger schon 1982/83 folgende Durchschnittsverteilung, die in einzelnen Gemeinden aufgrund der regionalen Verteilung deutlich
1057 1058 1059 1060 1061
1062 1063 1064
Egger/Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 200. Egger/Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 206. Egger, Sprachlandschaft 181. Egger, Sprachlandschaft 191; Zappe, Das ethnische Zusammenleben 104; Eichinger in Hinderling/ Eichinger 238 f. Forsthofer/Rank in Wakenhut 127. Eine Bevölkerungsumfrage aus dem Jahr 1992 verdeutlicht, dass etwa ein Viertel der Deutschsprachigen und nur 10,2% der Italienischsprachigen Sendungen in der anderen Sprache konsumieren. Mehr als ein Drittel (35,4%) der Deutschsprachigen und über die Hälfte der Italienischsprachigen (57,7%) verfolgt Nachrichtensendungen nur in der eigenen Sprache, hierzu Egger, Sprachlandschaft 194. Eichinger in Hinderling/Eichinger 239. Eichinger in Hinderling/Eichinger 238. Zu Mediennutzung nach Sprachen für das Jahr 2004 Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 153 ff. Egger, Sprachlandschaft 201 f. Zur Ausgestaltung in Ladinien, wo Seelsorger meist Ladiner sind, Kattenbusch in Hinderling/Eichinger 328.
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abweicht: In den inneren Sphären der Familie und Arbeit,1065 in der Schule und im halböffentlichen Raum erscheint Südtirol deutsch geprägt, im alltäglichen Kontakt und an den Grenzbereichen des täglichen Lebens nimmt die Zweisprachigkeit zu, ebenso in den öffentlichen Domänen.1066 Deutsch existiert in allen Bereichen neben dem Italienischen und der Sprachgebrauch erweist sich situationsbezogen – im Gegensatz zum „aufstiegsorientierten“ Gebrauch des Deutschen in Kärnten in frühen Konfliktphasen. Stabilisiert durch den institutionellen Rahmen ist Deutsch in Südtirol nicht auf bestimmte Domänen oder Schichten beschränkt.1067
c. Schule und Kontakt als Schlüssel und Perspektive Entscheidend für die Situation in Südtirol sind Kontakte und Sprachvermittlung in der Schule.1068 Für sie als zentrale Instanz der Sprachsozialisierung ermitteln Baur/ Larcher in qualitativen Untersuchungen zu Spracherwerb und Mehrsprachigkeit unter Jugendlichen eine „Hidden Agenda“, die Jugendliche im Bildungsbereich segregiert, um ihre kulturelle Identität zu wahren1069 – dies widerspricht dem andauernden Prozess der Identitätskonstruktion.1070 Schule schafft in Südtirol keine Inklusion. Es besteht ein Nebeneinander ohne Kontakte, die für Zweisprachigkeit notwendig sind.1071 Selbst die entsprechenden Studiengänge des Lehramts oder Kindergartenpädagogik bleiben – entgegen der sonst multilingual gehaltenen Ausbildungen der Freien Universität Bozen – nach Sprachgruppen getrennt und sind ein Ausfluss der Konstruktion vermeintlicher Verschiedenheiten – ein Konstrukt, das sich in automatisierten Diskursen fortsetzt, die als Ausweg eine bessere Didaktik beschwören.1072 Übersehen werden Schwierigkeiten im Zweitsprachenerwerb ohne institutionalisierten Kontakt zu jenen Personengruppen, die sie als Muttersprache 1065 Im Beruf erreicht Deutsch Höchstwerte bei Bauern und Arbeitern. Über Angestellte und Selbstständige sinken die Werte auf bis unter 50% bei Akademikern; Eichinger in Hinderling/Eichinger 244. 1066 Eichinger in Hinderling/Eichinger 242. 1067 Eichinger in Hinderling/Eichinger 252. 1068 Vgl die Ergebnisse der Untersuchungen von Vettori/Wisniewski/Abel in Braunmüller/Gabriel 451. 1069 Vgl Eichinger in Hinderling/Eichinger 224. Danach wird die eigenständige Entwicklung der Sprachgruppen schon im Pariser Vertrag am besten durch getrennte Schulpolitik als gewährleistet erachtet. 1070 Baur/Larcher, Fit für Europa 16, 172 f. 1071 Baur/Larcher, Fit für Europa 175; Baur/von Guggenberg/Larcher, Zwischen Herkunft und Zukunft 238 f. 1072 Baur/Larcher, Fit für Europa 158 ff; Abel in Abel/Stuflesser/Voltmer 241 f; Wisthaler, Identity Politics 365; Baur in Abel/Stuflesser/Putz 339.
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sprechen. Kinder lernen die zweite Sprache wie eine Fremdsprache.1073 Vor Schuleintritt sind Kontakte häufiger und führen zu einem selbstverständlichen Umgang und Erwerb der zweiten Sprache, wobei Italiener stärker den deutschen Dialekt als die Hochsprache lernen.1074 Diese Kontakte verlieren sich mit dem Beginn der Schule und lassen sich später schwerer wieder herstellen – nach Baur/Larcher versuchen dies manche im Ausland unter dem Vorwand, dort lerne man besseres Deutsch als in Südtirol.1075 Historisch ist die Abneigung vor gemeinsamen Schulen verständlich, vor allem unter Deutschsprachigen, die den Assimilierungsdruck der faschistischen Schulpolitik erlitten.1076 Der Schule gelingt es nicht, Freude oder Lust am Erwerb der zweiten Sprache zu vermitteln. Viel häufiger verbinden Jugendliche damit Leistungsdruck und die Schule bleibt der primäre Ort des Zweitspracherwerbs. Einen Einfluss auf den Lehrplan hat die Zweisprachigkeitsprüfung, die Jugendliche bestehen wollen, weil sie die Voraussetzung für einen Posten im Öffentlichen Dienst bildet.1077 Darin offenbart sich ein extrinsisches Motiv für den Zweitsprachenerwerb – Berufschancen, die sich nur erfüllen, wenn man zweisprachig ist.1078 Am ausgeprägtesten ist dieses Motiv bei Deutschsprachigen in ländlichen Gebieten.1079 Übersehen wird bei diesen nutzenorientierten Zugängen, dass die gemeinsame Arbeit an Projekten, persönlicher Kontakt und Freundschaften eine essentielle Bedeutung für den Erwerb der zweiten Sprache aufweisen.1080 Notwendig wären Begegnungsmöglichkeiten, in Form von Projekten, Lehrer- oder Klassentausch oder Klassenpartnerschaften, Immersion, integrierte Sprachdidaktik, Sprache als Medium zur Vermittlung von Sachinhalten, die zT auf Ablehnung stoßen oder zu wenig genutzt werden und von der Initiative engagierter Personen abhängen.1081 Erleben der anderen Sprache und 1073 1074 1075 1076
1077 1078 1079 1080 1081
Baur/Larcher, Fit für Europa 164 ff. Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 234 f. Baur/Larcher, Fit für Europa 161 f; Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 41. Baur/Larcher, Fit für Europa 159 f. In der Diskussion der deutschen Seite legen Schulen, wie Abel zeigt, besonders Wert auf die Vermittlung der Muttersprache. Erst 2004 entwickelt das Pädagogische Institut für die deutsche Sprachgruppe ein Sprachenkonzept, dem die Annahme zugrunde liegt, die Erstsprache ist wesentliche Voraussetzung für die Zweitsprache. Italienische Schulen betonen ebenfalls lange primär die italienische Sprache, das Autonomiestatut 1972 gewährt dem Deutschen jedoch Funktionalität in vielen Bereichen und erhöht die Sensibilität für die Notwendigkeit besserer Sprachkenntnisse unter Italienern, wodurch neue Projekte entstehen; zu diesen Abel in Abel/Stuflesser/Voltmer 239 ff. Baur/Larcher, Fit für Europa 103 ff. Baur/Larcher, Fit für Europa 130 ff. Baur/Larcher, Fit für Europa 141. Baur/Larcher, Fit für Europa 141; 149. Baur/Larcher, Fit für Europa 175; Egger, Sprachlandschaft 167 ff. Zu Diskussionen um den Im-
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Kontakte mit ihren Sprechern bleiben der Eigeninitiative überlassen. Vor allem Italiener nehmen kostenintensive Aufenthalte in Österreich oder Deutschland auf sich, um die Sprache zu lernen. 1082 Der Schlüssel zum Erwerb der zweiten Sprache und einer positiven Einstellung zu ihr und ihren Sprechern bleibt der Kontakt: Vor allem Freundschaften beeinflussen, wie Abel et al zeigen, die Einstellung zur anderen Gruppe positiv und erhöhen die Motivation, sie zu erlernen. Das gilt selbst dann, wenn Freunde oder Verwandte Kontakte zur anderen Gruppe haben.1083 Motivierte und integrativ orientierte Jugendliche verfügen über bessere Sprachkenntnisse.1084 Umgekehrt zeigen Erhebungen 1997, dass mangelndes Verständnis der Sprache einen entscheidenden Faktor für Unbehagen in den sozialen Beziehungen bildet. Das betrifft vor allem die italienische Sprachgruppe.1085 Die größte Distanz wird zu Personen empfunden, die eine andere Sprache sprechen. Unter Jugendlichen sind Ursachen für Unbehagen eher in fehlender Dialogbereitschaft zu suchen als in sprachlichen Barrieren.1086 Verharren in der Muttersprache ist vor allem auf fehlende Kenntnisse zurückzuführen.1087 Je enger Kontakte ausfallen, umso intensiver wirken sie auf tatsächliche Sprachkompetenzen.1088 Auch innerhalb von Familien wird Zweitsprachenerwerb begünstigt, wenn ein Verwandter der anderen Sprachgruppe zugehört oder in gemischten Ehen Modelle und Vorbilder für die Kompetenzen in der zweiten Sprache vorliegen.1089 Kontakte sind auf institutioneller Ebene zu ermöglichen, da sie förderlich auf das Zusammenleben, den Spracherwerb und die Sprachkompetenzen in der zweiten
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mersionsunterricht Wisthaler in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Landesbericht Italien Rz 31 f. Baur/Larcher, Fit für Europa 175. Italiener nutzen diese Aufenthalte stärker als Deutsche und konsumieren eher privaten Sprachunterricht; Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 41. Es nehmen zudem eher Bewohner ländlicher Gebiete und häufiger Personen mit niedrigem Studientitel keine zusätzlichen sprachlichen Weiterbildungsmaßnahmen wahr. Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 297 f; 300 f; Forer/ Paladino/Wright in Abel/Wisniewski/Vettori 90 ff; 103 ff. Vettori/Wisniewski/Abel in Braunmüller/Gabriel 448 ff. Unter Italienern ist dieser Zusammenhang, vor allem in der integrativen Ausrichtung, noch stärker als unter Deutschen zu erkennen. Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 82 ff. Insgesamt äußern 51,7% Unbehagen im Kontakt, das für 19,6% auf mangendem Sprachverständnis beruht (bei Italienern zu 42,1%, bei Deutschen zu 9,5% und unter Ladinern zu 1,8%). Unter Jugendlichen beruht Unbehagen weniger auf Sprachproblemen als auf der Einschätzung von der Verschlossenheit anderer Sprachgruppen. Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 84; vgl Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 126. Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 132. Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 301. Baur/Larcher, Fit für Europa 84; 175.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
Sprache wirken. Notwendig sind, so Abel et al, Unterrichtsformen, die Beziehungen zwischen den Sprachgruppen intensivieren – ein Nebeneinander genügt nicht und der nutzenorientierte Zugang über Berufschancen ist durch Gruppenkontakte zu erweitern, da Kontakt zwischen den Gruppen einen stärkeren Einfluss auf den Erwerb der zweiten Sprache zeigt als umgekehrt.1090 Über die Autonomie, die Gleichheit gewährleistet, hinaus, sind daher Gruppenkontakte notwendig, um regionale Vorteile zu nutzen und neue Kulturen der Schul- und Lehrerbildung zu entwickeln, die Diskurse der Verschiedenheit durchbrechen.1091 Wie in Kärnten begrüßen auch in Südtirol zwei Drittel der Befragten in einer Erhebung 2004 die Einführung des Zweitsprachenunterrichts schon ab dem Vorschulalter.1092 Als Alternative zur Identitätspolitik der Sprachgruppen fordern Baur/Larcher einen „dritten Raum“, der Mehrsprachigkeit in einer multikulturellen europäischen Gesellschaft ermöglicht, wofür es gilt, eine „mehrsprachige Identität als Alternative zu nationalstaatlich oder ethnisch vermittelter Einsprachigkeit für sich selbst als Möglichkeit zu erkennen.“1093 Wie Untersuchungen zeigen, können nicht nur direkte und institutionalisierte Kontakte, sondern auch indirekte und erweiterte Kontakte (über Erfahrungen von Freunden, Verwandten oder in Medien) die Wahrnehmung der Eigen- und Fremdgruppen verändern, worin, wie Forrer et al anregen, gerade für die Situation in Südtirol wegen seiner regionalen Verteilung, in denen Kontakte in einsprachiger Umgebung schwierig sind, Perspektiven liegen.1094 Politik, Medien, Schulen, aber auch Familien und die Kultur sind gefordert, Zweisprachigkeit zu leben und erfahrbar zu machen.1095
1090 Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 300. 1091 Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 301; Baur/Larcher, Fit für Europa 179; Forer/Paladino/Wright in Abel/Wisniewski/Vettori 113 f. 1092 Egger in Astat Landesinstitut für Statistik 52; 55f. Den Unterricht von Fächern in der zweiten Sprache begrüßen 98,1% der Ladiner, mehr als drei Viertel der Italiener (83,4%) und 56,8% der Deutschsprachigen. 1093 Baur/Larcher, Fit für Europa 181. 1094 Forer/Paladino/Wright in Abel/Wisniewski/Vettori 113 f. 1095 Abel/Vettori/Forer in Åkermark/Bloed/Hofmann/Marko/Mayall/Packer/Weller 302 f. Schon 1997 sehen in einer Umfrage 44,8% das Schulsystem und 34,0% die Politik als Schlüssel für eine bessere Zusammenarbeit und Austausch unter den Sprachgruppen. Censis/Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Identität und Mobilität 41.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 197
IV. Kärnten und Südtirol: Alles fließt – alles bleibt Sprache eint und trennt: In Kärnten und Südtirol entzündet sich der nationale Konflikt lange an der Sprache – als Symbol für Zugehörigkeit und Grenze von Mehrheit und Minderheit. In beiden Fällen verändern Konfliktgeschichte und Assimilationsprozesse ihre Wahrnehmung und führen zu teils unterschiedlichen, teils ähnlichen Ergebnissen. So konnte in Kärnten lange Zeit Politik gemacht werden mit Slogans wie „Kärnten wird einsprachig“ und auch in Südtirol entbrennen immer wieder Diskussionen um zweisprachige Topographie und Toponomastik.1096 In der Schule ist man sich einig: Sprachenlernen ist ein Vorteil, jedenfalls aus rational-materieller und ökonomisch-nutzenorientierter Perspektive. In Europa bietet Mehrsprachigkeit Chancen, soviel ist unbestritten. In Kärnten steigen die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht, in Südtirol ist die zweite Sprache als Unterrichtsfach verankert. Als Kehrseite bleibt die Priorität, die eigene kulturell-sprachliche Identität zu wahren und die Angst, sie im Kontakt zu verlieren, die sich in Südtirol, wie Larcher/Baur zeigen, ausdrückt im Prinzip des getrennten Schulsystems: „Mach mich zweisprachig, bring mich aber nicht in Kontakt mit jenen, die diese zweite Sprache als Erstsprache sprechen.“1097 Probleme dieser Ambiguität finden sich auch in Kärnten am Beispiel des slowenischen Gymnasiums: Es ist ein Faktor für die Identität der Minderheit und ihr Bewusstsein, erschwert aber den Kontakt zur Mehrheit – eine Mauer, die schützt und trennt zugleich. In Südtirol berichten Personen von „invisible walls“1098 zwischen Gruppen und Parallelwelten ihrer Sprachen. Hier durchziehen sie – aufgrund des politischen Systems, der getrennten Schule und der Siedlungsstruktur – die ganze Gesellschaft. Die Polarität von Kontakt und Segregation, Schutz und Inklusion ist eine Herausforderung für beide Mehrheiten-Minderheitensituationen, jeweils freilich unter anderen Vorzeichen. In Kärnten fungiert Slowenisch lange als untergeordnete Sprache überwiegend ländlicher Bevölkerungsteile, der Sprachwechsel ins Deutsche verspricht sozialen Aufstieg. In Südtirol verdrängt der Faschismus – wie in Kärnten Deutschnationalismus und Nationalsozialismus – die Minderheitensprache aus dem öffentlichen Raum, das Modell der Konfliktlösung sichert ihr jedoch – jedenfalls seit dem Autonomiestatut 1972 – die Funktionalität in öffentlichen Domänen. Die Größe der Minderheit, ihre Dominanz und regional relativ geschlossene Siedlungsstruktur in 1096 Bei der Toponomastik sind 75% der Italiener und 60% der Ladiner für mehrsprachige Aufschriften, hingegen befürworten nur etwa ein Drittel der Deutschen, dass alle Orts- und Flurnamen dreisprachig sein sollten; dazu Egger/Ceccon in Astat Landesinstitut für Statistik 206. 1097 Baur/Larcher, Fit für Europa 164. 1098 Forer/Paladino/Wright in Abel/Wisniewski/Vettori 110.
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
der Provinz und breite Medienlandschaft sichern – vor dem Hintergrund des großen deutschen Sprachraums – diese Funktionalität und den Marktwert der Sprache. Das Sprachprestige beider großen Sprachen in Südtirol ist hoch und auch Ladinisch, dessen Funktionalität in regionalen Teilbereichen institutionalisiert ist, gewinnt an Prestige, wenngleich es nicht über einen großen Sprachraum verfügt wie die Staatssprache oder Deutsch und überwiegend auf Minderheitenangehörige beschränkt bleibt, die ihrerseits in öffentlichen Bereichen zu Deutsch oder Italienisch tendieren. Die Weitergabe der Sprachen und Zugehörigkeiten sind in allen drei Gruppen stabil, die Mehrsprachigkeit unter Ladinern am intensivsten ausgeprägt. In Kärnten ist Slowenisch weitgehend Familiensprache und im öffentlichen Raum nur beschränkt präsent und funktional. Die Dominanz und Allgegenwärtigkeit des Deutschen begünstigen kulturelle Assimilation. Es gibt neben privaten Bereichen kaum Domänen für Slowenisch oder solche, in denen Zweisprachigkeit durchgehend gewährleistet ist und selbst aus den Familien kommen immer weniger Kinder mit originären Sprachkenntnissen an die Schulen. Wie in Südtirol spielt die regionale Struktur eine wesentliche Rolle, allerdings unter anderen Bedingungen: Es gibt kaum ausschließlich slowenische Gebiete in Kärnten, wohl aber gemischte Gemeinden in Südkärnten, in denen Slowenisch im öffentlichen Raum funktional ist. Aus diesen Gemeinden wandern viele Angehörige der Volksgruppe – wie die Gesamtbevölkerung – ab, um auswärts bessere Einkommenschancen wahrzunehmen. Dort ist die Sprache im öffentlichen Raum meist nicht funktional und ihr Einsatz auf private Domänen und das Engagement der Volksgruppenangehörigen zurückgeworfen. Ihr Marktwert und Prestige nehmen dadurch ab. Insgesamt zeigt sich ein Trend, die andere Sprache aus verschiedensten Motiven zu erlernen. Dabei spielt es sowohl in Kärnten, wie auch in Südtirol eine Rolle, die Zweitsprachen ohne Zwang und Druck zu erwerben, wobei gerade das System der Zweisprachigkeitsprüfungen in Südtirol Druck erzeugt und den Unterricht beeinflussen kann. Gezwungenes Sprachenlernen bleibt weniger erfolgreich als motivierter Spracherwerb. Sprachkenntnisse und die Ausgestaltung des Sprachunterrichts sind in beiden Fällen eine Herausforderung: in Kärnten, weil sie ein hochwertiges Ausbildungsniveau der Volksgruppe in ihrer Sprache zu gewährleisten und gleichzeitig dem steigenden Interesse der Mehrheit, die zumeist ohne Vorkenntnisse den Unterricht wahrnimmt, gerecht zu werden haben. Darin zeigt sich ein Spannungsfeld von Integration, die Kontakt und Austausch der Gruppen ermöglicht, und Segregation, die zumindest die Kenntnisse der Minderheit in der eigenen Sprache fördern kann, vor allem, da der Slowenischunterricht insgesamt zu verbessern ist.1099 Zudem brechen 1099 Vgl zB Gombos in Anderwald/Karpf/Valentin 148; Busch in Erfurt/Budach/Kunkel 97.
C. Sprachwelten und -grenzen in Kärnten und Südtirol 199
die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht nach der Volksschule ein. In Südtirol ist der Unterricht in der jeweils anderen der beiden großen Sprachen – und für Ladiner in allen drei Sprachen – gewährleistet. Dennoch weisen die Sprachkenntnisse der anderen Sprachen Defizite auf. Innerhalb der deutschen Sprachgruppe besteht ein Verbesserungsbedarf auch hinsichtlich der deutschen Hochsprache, da große Teile im Dialekt kommunizieren, der für Italiener eine Hürde bildet, Deutsch zu erwerben. Auch in Kärnten spielen unterschiedliche Dialekte der slowenischen Volksgruppe eine Rolle und in der Schule ist die Hochsprache ihr gemeinsamer Nenner. Im Südtiroler Alltag ergeben sich kaum Übungsflächen, da Italiener mit den deutschen Dialekten Schwierigkeiten haben, Deutschsprachige im Kontakt oft ins Italienische wechseln und für Deutschsprachige schon aufgrund der regionalen Bevölkerungsverteilung keine Bezugspunkte zum Italienischen bestehen. Umso wichtiger sind institutionelle Kontakte, die beiden Gruppen lustvollen Spracherwerb der Zweitsprachen ermöglichen. Kontakte erhöhen die Motivation, Sprache zu erwerben und beeinflussen Sprachkenntnisse. Das Südtiroler System der getrennten Schule verhindert diese Kontakte. Sie wären eine Perspektive für gelebte Mehrsprachigkeit und Pluralität. Südtirol hat zur Konfliktregulation Aushandlungsprozesse institutionalisiert, der nächste Schritt ist nach Forrer et al eine Institutionalisierung des Gruppenkontaktes, da Bilingualismus, obwohl im System zugrunde gelegt, nicht verwirklicht wird. Die Ursache liegt in der Trennung der Gruppen, die ihre wechselseitige Wahrnehmung und sprachliche Identifikation beeinflussen. Gruppenkontakte wirken positiv, verändern die Einstellung zur anderen und zur eigenen Gruppe und zeitigen Effekte auf sprachliche Identifikationen.1100 Kontakte haben das Potenzial, Spracherwerb lustvoll werden zu lassen. Daraus eröffnen sich Perspektiven für Kärnten: eine Anlehnung an das Südtiroler System würde die Grenzen um die Gruppen enger ziehen, „bewusste“ Slowenen einschließen und den Rest nivellieren oder zu einer Zuordnung zwingen – das Gegenteil einer Öffnung zu Pluralität und Zwischen- und Mehrfachidentitäten und keine Abkehr vom Ethnonationalismus wären die Folge. In einem getrennten Schulsystem treffen zwei Pole aufeinander, die in Südtirol ein Grundproblem des Spracherwerbs der Zweitsprachen ausmachen: zwischen Trennung und gemeinsamen Unterrichtsformen. Getrennte Formen ermöglichen der Minderheit eine Ausbildung in der eigenen Sprache und festigen kulturelle Identitäten, stehen jedoch multilingualen und multiplen Identitäten im Wege und erschweren den Erwerb der zweiten Sprachen.1101 Sprache und Ethnie bleiben ver1100 Forer/Paladino/Wright in Abel/Wisniewski/Vettori 110. 1101 Eine Ausnahme bilden sicherlich die Julius-Kugy-Klassen am Slowenischen Gymnasium, die in
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Teil 1: Empirische Grundlagen und vergleichende Analyse
bunden. Eine zentrale Perspektive liegt darin, grundsätzlich regionale Sprachen in den Unterricht zu integrieren und als Zweit- oder Drittsprachen bereitzustellen, vorausgesetzt – und das lässt sich aus den Erfahrungen des Südtiroler Modells lernen, dessen erfolgreichste Exponenten sich in der kleinsten Gruppe finden, die alle drei Sprachen lernt – der Unterricht wird flankiert von institutionalisierten Kontakten, die nicht nur den Erwerb der Zweit- oder Drittsprachen verbessern, sondern Grenzen zwischen den Gruppen reduzieren. „Jede Gruppe lernt die andere Sprache“ ist eine wertvolle Lektion des Südtiroler Systems, die im Hinblick auf Modus und Umsetzung Adaptionen bedarf: Kontakt erweist sich als Schlüssel zur Einstellung zu Minderheitenschutz, der anderen Gruppe und ihrer Sprache. Diese Lektion verspricht eine erste Antwort auf die Frage, wie multiple Identitäten und Mehrsprachigkeit zu institutionalisieren sind – und bewegt sich in dieser Antwort weiter im Spannungsfeld zwischen der Bewahrung ethnischer Identität und der Öffnung zu pluralen, multiplen und sprachbezogenen Identitäten. Im zweiten Teil ist sie in einem Modell zu verdichten und am geltenden Recht für Kärnten (Österreich) zu überprüfen.
vier Sprachen Schülern aus Kärnten, Slowenien und Italien Unterricht erteilen; zum Konzept ua Busch in Busch/Busch 16.
Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. (Ludwig Wittgenstein)
A. Pluralismustauglicher Minderheitenschutz I. Ausgangspunkt und Zielsetzung Der zweite Teil der Arbeit intendiert eine kohärente Deutung des österreichischen (insb. Kärntner) Minderheitenrechts, die soziale und soziolinguistische Parameter der Mehrheiten- Minderheitensituation berücksichtigt – vereinfacht ausgedrückt: eine Deutung im Lichte der Ziele des Minderheitenschutzes, die der Wirklichkeit standhält. Dazu sind die Ziele der völker- und verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu identifizieren und einzuornden in ein kontextsensitives Modell, das auf den Ergebnissen des ersten Abschnittes aufbaut. Erarbeitet wird ein Zwei-Ebenen-Modell aus Minderheitenschutz und Sprachförderung. Die weitere Analyse überprüft, inwieweit es im geltenden Recht angelegt ist. Im Lichte der Ziele des Minderheitenschutzes und des Modells deutet der Abschnitt ausgewählte Instrumente des Minderheitenschutzes kohärent und kontextsensitiv und schlägt neue Interpretationen vor. Neben den Erkenntnissen aus Teil 1 berücksichtigt die Untersuchung Umsetzungsprobleme, die Kontrollverfahren nach dem Rahmenübereinkommen und der Sprachencharta aufzeigen. Die Abkommen zielen auf den Schutz der Minderheit und Sprache und entsprechen in komplementärer Betrachtung der Kombination von Minderheitenschutz und Sprachförderung. Die folgenden Abschnitte konzentrieren sich auf Regelungen, die über Definition und Anerkennung von Minderheiten und die Zugehörigkeit bestimmen. Zum Vergleich werden Proporz, Volkszählung und Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung in Südtirol erläutert. Daran schließt die Untersuchung einzelner Instrumente in Kärnten: Amtssprache, Topographie und Unterricht. Definition und Anerkennung bilden die Voraussetzung, um in den Genuss spezifischer Rechte kommen und die Minderheitenidentität wahren zu können. Die Ausbildung in der Minder-
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
heitensprache schafft die Grundlage für die Ausübung von Sprachenrechten wie der Amtssprache.1102 Sie stellt die Kommunikation mit Behörden und damit die Funktionalität der Sprache im öffentlichen Leben sicher. Zweisprachige Topographie und Toponomastik gewähren die Sichtbarkeit der Sprache als Teil des kulturellen Erbes und Symbol für die Anerkennung der Minderheit. Mit Blick auf die Institutionalisierung interessieren die Geltungsbereiche der Rechte, nicht die verfahrensrechtlichen Fragen – zB der Amtssprache.1103 Berücksichtigt werden Entwicklungen, die für die Konzepte des Volksgruppenrechts von Bedeutung sind, zB die Grenze zwischen „neuen“ und „alten“ Minderheiten als Teil der Minderheitendefinition. Nicht betrachtet werden Regelungen des Gleichheitsschutzes, der Gerichtssprache oder der Volksgruppenförderung. Medienförderung, Wirtschafts- und Regionalpolitik oder Fragen der Partizipation finden nur im Ausblick Berücksichtigung. Für Südtirol ergeben sich Parameter und Funktionalität des Minderheitenschutzes aus Teil 1, zB das Bestehen dreier Schulmodelle, verbunden mit Segregation zwischen deutschen und italienischen Schulen oder die Anwendung des Territorialitätsprinzips bei der Amtssprache, an dessen Vorbild sich das Volksgruppengesetz orientiert.1104 Für einen Vergleich werden die Regelungen im zweiten Teil nicht herangezogen sondern aufbauend auf den Erkenntnissen aus Teil 1 und anhand ausgewählter Bereiche die „Pluralismustauglichkeit“ des Minderheitenschutzes in Kärnten (Österreich) untersucht und Perspektiven für das Volksgruppenrecht abgeleitet. Die jüngste Reform initiative bezweckt 2012 eine „Modernisierung“ – „im Hinblick auf eine moderne und pluralistische Gesellschaft“1105. Wie der erste Abschnitt zeigt, sind Herausforderungen des Minderheitenschutzes in zunehmender Pluralisierung ethnische Identitäten zu schützen,1106 sich zugleich der Vielfalt von Sprachen und Kulturen zu öffnen und den Anforderungen einer postmodernen Gesellschaft gerecht zu werden, wofür die folgenden Abschnitte eine Komplementarität aus Schutz der Minderheit und Sprache vorschlagen.
1102 Zu diesem Verständnis des „Sprachenrechts“ als Summe der Bestimmungen, die den Gebrauch der Volksgruppensprache „im Verkehr mit Behörden“ regeln Kolonovits, Sprachenrecht 2 ff; zu weiteren Verständnissen vgl Rautz, Sprachenrechte 15 ff. 1103 Umfassend erarbeitet sie für die Amts- und Gerichtssprache bereits Kolonovits, Sprachenrecht. 1104 Hilpold, Minderheitenrecht 297. 1105 371/ME 24. GP Erläut 2. 1106 Wie Marko für den Minderheitenschutz im 21. Jahrhundert andeutet, geht es „darum, die ‚Vielfalt‘ in allen ihren Erscheinungsformen zur axiomatischen »Norm« zu machen, ohne gleichzeitig in eine Ideologie des Pluralismus zu verfallen, die alle sozialen Praktiken und damit auch eine kulturell begründete Anwendung von Gewalt gegen Personen für ‚gleichwertig‘ hält“, so Marko in Pirker 11 ff.
A. Pluralismustauglicher Minderheitenschutz 203
II. Kontextsensitive und empiriebasierte Modellbildung Moderner Minderheitenschutz bewegt sich zwischen der Institutionalisierung von Ethnizität und pluralen Konzepten – mit Roshwald zwischen „Balkanisierung und Banalisierung ethnisch-kultureller Diversität“ 1107. Sichtbar werden diese Pole und Bewegungen dazwischen, sowohl in Kärnten, wie in Südtirol. In Kärnten verbindet der Konflikt, so Pelinka, Geschichte und sprachliche Identitäten zu objektiven Werten, die eine statische Wahrnehmung von Differenz fördern, Segregation begründen und Ethnizität zu einem primären Wert verklären.1108 In Südtirol spricht Marko von einem „ethnischen Midas-Effekt“ des Systems, das Ethnizität nicht nur institutionalisiert und ethnische Unterschiede in gesellschaftlichen Realitäten festschreibt, sondern ein Übergreifen der Trennung auf mehr und mehr Bereiche im privaten Leben fördert und Grenzen verstärkt.1109 In beiden Regionen sind historisch alle Formen kultureller Akkommodation in Minderheitensituationen verwirklicht: Assimilation, Apartheid und Sprachpluralismus.1110 Beide Regionen bergen Potenziale für Pluralität und Plurilingualität. In beiden Fällen machen empirische Befunde (Teil 1) deutlich, dass sich Grenzen gesellschaftlicher Wirklichkeiten nicht per se entlang ethnischer Kriterien ziehen lassen und Mehrsprachigkeit Kontakte statt Segregation benötigt. Sie offenbaren eine Bandbreite von Identitäten, die sich nicht ethnisch verorten, und legen Herausforderungen für gelebte Mehrsprachigkeit offen. In Kärnten besteht eine Reihe von Zwischen- und Mehrfachidentitäten, die das Spektrum zwischen „bewussten Slowenen“, die mit einem ethnischen Bekenntnis zu erfassen sind, und „Assimilierten“, die ihre slowenischen Wurzeln vollständig abgelegt haben, erweitern. In Südtirol treten sie zB als „gemischte“ Identitäten in Erscheinung, die aus Intermarriage hervorgehen. Ihr gemeinsamer Nenner in Kärnten sind Bezüge zur slowenischen Sprache und mitunter zur Kultur. Zugleich verliert die Sprache hier ihre Funktion als nationale Grenze und wird von einer wachsenden Zahl von Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung gelernt. Die Bereitschaft, die Sprache zu erlernen und sie positiv ins Selbstkonzept zu integrieren, ist abhängig 1107 Roshwald, Between Balkanization and Banalization: Dilemmas of Ethno-cultural Diversity, Ethnopolitics 3/2007, 365 (369 ff). 1108 Pelinka, Kärnten – ein europäischer Sonderfall, in Pandel/Polzer-Srienz/Polzer/Vospernik (Hrsg), Ortstafelkonflikt in Kärnten – Krise oder Chance? (2004) 103 (108). 1109 Marko in Woelk/Palermo/Marko 386; Vgl Baur/von Guggenberg/Larcher, Zwischen Herkunft und Zukunft 71 ff; Carlá, Living Apart in the Same Room 298. 1110 Für Kärnten attestiert dies Larcher in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 10; für Südtirol Meßner, Ethnizität, dominanter Bestimmungsgrund von Einstellungen und Verhaltensweisen? Der Fall Südtirol, in Böckler (Hrsg), Wiederkehr des Ethnischen? Ethnizität zwischen Dekonstruktion und Rekonstruktion (1998) 473 (479).
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
von ihrem Marktwerkt im öffentlichen Leben. Somit ergeben sich mehrere Anforderungen: der Schutz von Minderheiten und ihrer Sprache und die Förderung von Mehrsprachigkeit und gesellschaftlicher Vielfalt. Um diesen Herausforderungen zu begegnen und der Dichotomie von Balkanisierung und Banalisierung zu entgehen, die in der jüngsten Diskussion um eine Neuausrichtung der Volksgruppendefinition nach sprachlich-kulturellen statt völkisch-nationaler Kriterien als Gegensatz von Ethnisierung und Folklorisierung zusammengefasst werden kann, wird ein Zwei-Ebenen-Modell vorgeschlagen: Es perpetuiert auf einer ersten Ebene Prinzipien des „klassischen“ Minderheitenschutzes und institutionalisiert ethnische Identitäten, öffnet sich jedoch auf einer zweiten Ebene und verankert Sprache (und Kultur) als Schutzobjekt, um Zwischen- und Mehrfachidentitäten zu erfassen, Mehrsprachigkeit zu institutionalisieren und Pluralität zu ermöglichen (Abb 9).
Ebene 2
Ebene 1
Sprache (+Kultur)
Ethnie
Abb. 9: Zwei-Ebenen-Schutzmodell/Perspektive
Großzügiger Minderheitenschutz – Ebene 1 – ist notwendig, um ethnische Identitäten zu schützen, ethnisches Bewusstsein zu stabilisieren und Assimilation vorzubeugen. Zusätzlich zu einem Sprachenschutz braucht es Instrumente, um die soziale, politische und sozioökonomische Basis der Minderheit zu sichern.1111 Besonders eignen sich Partizipation und Repräsentation in politischen und legislativen Entscheidungsprozessen. Diese haben aus verfassungsrechtlicher Perspektive erhöhte Anforderungen demokratischer Legitimation zu erfüllen, da sichergestellt werden muss, welche Gruppen von welchen Vertretern repräsentiert oder allenfalls selbstverwaltet werden. Dazu ist es notwendig, die jeweiligen Gruppen zu bestimmen. Ohne eine Form des Bekenntnisses ist das kaum möglich. Auf dieser „engeren“ 1111 Brunner in Boeckmann/Bunner/Egger/Gombos/Jurić/Larcher 218; vgl Kosic, Identity 81.
A. Pluralismustauglicher Minderheitenschutz 205
Ebene 1 geht es um Rechte, die Autonomie und Integration1112 verwirklichen. Diese sind in Südtirol erfolgreich umgesetzt, bergen aber die Gefahr der Segregation. Zusätzlich umfasst Ebene 1 subjektive Rechte, die mit der Volksgruppenzugehörigkeit verbunden sind. Fokus bildet der Schutz der Volksgruppen und ihrer Angehörigen. Dieser Schutzlevel ist stärker und umfasst individuelle oder kollektive Rechte, die zum Teil einer Erklärung der Zugehörigkeit bedürfen. Hier lässt sich vom Modell Südtirol lernen: für exportfähig erachtet Perathoner zB den ethnischen Proporz bei Vergabe öffentlicher Stellen oder Ressourcen, ethnische Parität oder Rotation, die Abstimmung nach Sprachgruppen im Parlament oder das Schulsystem (mit den beschriebenen Einschränkungen) und die besonderen Sprachenrechte (vgl Teil 1 A.IV.).1113 Eine zusätzliche zweite Ebene anerkennt – aus Gründen historischer Gewachsenheit und als Bekenntnis zu gesellschaftlicher Vielfalt – die Sprache der Volksgruppen als Schutzobjekt und legt über die Sprache als Anknüpfungspunkt die Basis, um in einem flexiblen System ohne Notwendigkeit zur Erklärung von Zugehörigkeit Zwischen- und Mehrfachidentitäten zu institutionalisieren, aber auch der Mehrheitsbevölkerung und der Volksgruppe den Zugang zu sprachlicher Vielfalt zu ermöglichen – zB durch Regionalsprachenkonzepte, die erlauben, die jeweilige Volksgruppensprache zu lernen, sprachliche Identifikationen zu wahren und dem Interesse der Mehrheitsbevölkerung an der Sprache zu entsprechen, ohne subjektive Rechte der Volksgruppenangehörigen einzuschränken; durch regional- und wirtschaftspolitische Maßnahmen, die Zweisprachigkeit positiv zu berücksichtigen oder Instrumente, die Personen ohne verfassungsrechtlich gesichertes subjektives Recht zB die Verwendung der Amtssprache ermöglichen. Es handelt sich um Maßnahmen, die der Minderheit und der Region an sich zugutekommen – im Stufenmodell von „klassischem“ Minderheitenschutz über einen Schutz der betreffenden Sprachen zu einem Schutz sprachlicher und gesellschaftlicher Vielfalt. Ein in dieser Weise integratives Modell wird den Bedürfnissen aller Gruppen gerecht und öffnet sich den Chancen der Mehrsprachigkeit: Ein stärkeres Schutzlevel institutionalisiert auf Ebene 1 ethnische Identitäten, deren Interessen sich (über den Erhalt der Sprache hinaus) auf den Erhalt der Gruppe und ihrer Volksgruppeniden1112 Zum Gedanken der Integration als Basis für politische Teilhabe und effektive Partizipation, die einer Ausgrenzung und Polarisierung entgegenwirken: Blumenwitz, Volksgruppen und Minderheiten. Politische Vertretung und Kulturautonomie (1995) 41 ff. Marko plädiert für die notwendige Kombination von Autonomie und Integration: Marko, Autonomie und Integration 523 ff. Für die Schaffung „echter Vertretungskörper“ spricht sich etwa bereits der Bericht der Österreichischen Rektorenkonferenz 1989 aus: Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 21. 1113 Perathoner, Die Südtirol-Autonomie 108 f.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
tität richten. Ebene 2 öffnet das System des Spracherwerbs und ihrer Verwendung für Zwischenpositionen und Interessierte, die Bezüge zur Sprache (und Kultur) teilen. Hier können sich Personen mit bi-ethnischen, multiplen und multilingualen Identitäten einordnen, und es ergeben sich Grundlagen für den Schutz von Personen, die sich von ihrer Identität als Volksgruppenangehörige entfremden, weil sie außerhalb des klassischen Siedlungsgebietes ihre Rechte nicht wahrnehmen können. In diesem Fall kommt es zu Überschneidungen der ersten und zweiten Ebene, da sowohl an ein Regionalsprachenkonzept (Ebene 2), wie auch an Formen der Kulturautonomie (Ebene 1) gedacht werden kann. Der Angelpunkt für ein derart zweigliedrig konzipiertes System liegt in der Sprache. Die Anknüpfung an sie lässt im Gegensatz zu rein ethnisch konzipierten Modellen die Öffnung zu Zwischenidentitäten und zur Mehrheitsbevölkerung zu (Abb 10). Sie ermöglicht eine Institutionalisierung von Mehrsprachigkeit und erfasst nicht nur Volksgruppenangehörige und Zwischenpositionen, sondern auch Sprachzugewandte, die keine Einheit bilden, aber überlagernde und aus der Mehrheiten-Minderheitensituation hervorgehende komplementäre Interessen teilen.
Slowenische Identität
Ethnie
ZwischenIdentitäten
Mehrheit Assimilierte
Sprache (+Kultur)
Abb. 10: Identitäten und Institutionalisierung
Sprache ist der Schlüssel und gemeinsame Nenner aller Bedürfnisse und Interessen. Sie bietet die Grundlage für eine zweite Ebene, die klassischen Minderheitenschutz in Richtung des Schutzes von Mehrsprachigkeit und Vielfalt erweitert. Anstatt ethnische durch sprachlich-kulturelle Merkmale zu ersetzen, wird in einer zweigliedrigen Variante weder das eine noch das andere ausgeschlossen, sondern Schutz der Ethnie durch ein stärkeres Schutzlevel und eine Institutionalisierung von Mehrsprachigkeit und Zwischen- und Mehrfachidentitäten auf einer weiteren Ebene ermöglicht. Wer will, kann die Voraussetzungen der „engeren“ Ebene erfüllen und die damit verbundenen Rechte wahrnehmen und wer dies – aus welchen
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Gründen auch immer – nicht kann oder möchte, kann die Vergünstigungen einer zweiten Ebene nutzen, die gesamtgesellschaftliche Vorteile bieten. Damit erübrigen sich Einwände, Minderheiten könnten nicht auf sprachlich-kulturelle Merkmale reduziert werden, weil verschiedene Ebenen der Zuordnung mit unterschiedlichen Möglichkeiten bestehen. Sie verhindern eine bloße „Folklorisierung“ 1114 der Volksgruppen und entsprechen im Schutz der Minderheit, ihrer Sprache und Mehrsprachigkeit der Ambiguität von Sprach-Nationalismus und Sprachen-Vielfalt. Damit überwindet das Modell die Gegensätze, die in Ansätzen der Volksgruppenorganisationen sichtbar werden, wobei der Rat für Ebene 1, der Zentralverband stärker für einen Übergang zu Ebene 2 eintritt (Teil 1 B.II.c.), während der vorgestellte Ansatz beide Level nicht exklusiv, sondern komplementär begreift. Sprachschutz wirkt auf Minderheitenschutz zurück, weil die Sprache als Mittel zur Kommunikation und zur Wahrung der Identität fungiert.1115 Ebene 1 und 2 des vorgeschlagenen Ansatzes können als „direkt“ (1) und über den Sprachschutz als „indirekt“ (2) minderheitenfördernd verstanden werden.1116 Das Modell öffnet sich dem Mehrwertpotenzial von Minderheiten, dessen Beitrag zur wirtschaftlichen oder kulturellen Entwicklung einer Region zunehmend erkannt wird,1117 zB in zwei Dokumenten des Europarates 2010 (Recommendation 1114 Gemeint sind die politischen Implikationen der Folklorisierung durch Reduktion auf Sprache und Kultur, die, wie kritische Stimmen meinen, die Volksgruppe musealisiert, weil sie politische Partizipation verwehrt. Diesem Verständnis ist – abgesehen von der möglichen Reduktion politischer Mitbestimmung – entgegenzuhalten, dass auch die Kulturarbeit der Volksgruppe selbst gefordert ist, eine „Folklorisierung“ im Sinne eines musealen Abstellens auf überkommene Traditionen zu verhindern. Dabei oszilliert Kulturarbeit, wie schon Fischer zeigt, zwischen der Popularisierung, Kommerzialisierung, Verflachung der Identität und Konservatismus einerseits und Herausforderungen andererseits, zugleich zeitgenössische Bedürfnisse zu berücksichtigen, Betroffene einzubeziehen und politisch zu bilden. Hierzu Fischer, Sprache und Identität im bikulturellen/zweisprachigen Kontext. Ansätze für eine innovative Kultur- und Forschungspraxis, in Arbeitsgemeinschaft Volksgruppenfrage (Hrsg), Zwischen Selbstfindung und Identitätsverlust. Ethnische Minderheiten in Europa (1984) 26 (28 ff). 1115 Pan in Pan/Pfeil 636 ff; vgl die grundlegenden Ausführungen in Abschnitt Teil 1. 1116 In Anlehnung an die Analyse in Pan, Die Bedeutung von Minderheiten- und Sprachschutz für die kulturelle Vielfalt Europas, EJM 1/2008, 11 (22 f ) zu Rahmenübereinkommen und zur Sprachencharta; eingehend B.II. 1117 Zur „Mehrwertdiskussion“ ua Vogt, Mehrwert durch Minderheiten? Das VIII. Collegium PONTES Görlitz-Zgrozelec-Zhořelec, in EJM 2/2009, 55; Kreck, Zur Diskussion gestellt: Autochthone Minderheiten und ökonomischer Mehrwert, EJM 3/2011, 149; Pfeil, Minderheiten: Anerkennung – Toleranz und Förderung – Mehrwert, EJM 3/2011, 145; Pfeil/Pan, Neue Perspektive beim Europarat: Minderheitensprachen als Instrument der Regionalentwicklung, EJM 2/2010, 100; zum Mehrwert in historisch-sprachlicher Hinsicht aus Perspektive der Sprachwissenschaft Franceschini in Abel/Stuflesser/Putz 39 f; Pan in Barlai/Griessler/Lein 145 ff.
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286 und Resolution 310).1118 Um dieses Potenzial auszuschöpfen, ist es notwendig, autochthone Sprachen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu fördern und die Ausbildung in der Sprache sicherzustellen, sie für alle Kinder zu öffnen, bis zur höheren Ausbildung fortzuführen und Angebote für Erwachsene zu schaffen.1119 Wie der Erl Bericht nahelegt, sind Minderheitensprachen der Status als lokale oder regionale Amtssprache zu gewähren, ihre Sprecher zu schützen und der Vorteil der Mehrsprachigkeit für die Mehrheit zu nutzen, die durch den Erwerb der zweiten Sprache in eine zweite Kultur einzutauchen lernt und interkulturelle Kompetenzen erwirbt. Daher spricht sich der Europäische Rat 2002 für die Ausbildung in zwei Sprachen ab der frühen Kindheit in der Europäischen Union aus.1120 Zusätzlich weist Pan auf Instrumente der Union hin, die Minderheiten indirekt zugutekommen, obwohl sie primär andere Schutzzwecke verfolgen: Förderung von strukturschwachen Gebieten, in denen traditionell Minderheiten siedeln, soziale Integration, grenzüberschreitende Zusammenarbeit oder die Schaffung eines EVTZ als Instrument der Kooperation in multi-ethnischen Grenzregionen.1121 Sie bieten Chancen, um den Mehrwert zu nutzen, der im positiven Zusammenhang von Minderheitensprachen und regionalem Entwicklungspotenzial liegt.1122 Zu Aspekten des Mehrwerts gehören nach Kreck „harte“ und „weiche“ Standortfaktoren, die sich in kultureller Kompetenz und ökonomischen Vorteilen mehrsprachiger Regionen 1118 The Congress of Local and Regional Authorities, Resolution 301 (2010), in CPR(18)3; Dokument und Erläuterungen auch abgedruckt in Pfeil/Pan, Neue Perspektive 102 ff; The Congress of Local and Regional Authorities, Recommendation 286 (2010), in CPR(18)3; Dokument und Erläuterungen auch abgedruckt in Pfeil/Pan, Neue Perspektive 103 ff; vgl Pan in Barlai/Griessler/Lein 149 f. 1119 Resolution 301 und Recommendation 286 (FN 1118). 1120 Explanatory Memorandum (FN 1118); ebenfalls abgedruckt in Pfeil/Pan, Neue Perspektive 105 ff; vgl zu den Feststellungen auch Pan, Die Bedeutung 28. Zur interkulturellen Kompetenz und der Notwendigkeit über den Spracherwerb hinausgehender Maßnahmen Woltin/Jonas, Interkulturelle Kompetenz – Begriffe, Methoden und Trainingseffekte, in Beelmann/Jonas (Hrsg), Diskriminierung und Toleranz. Psychologische Grundlagen und Anwendungsperspektiven (2009) 463 (472 ff); zur Auseinandersetzung mit multilingualer Kompetenz Cenoz/Genesee in Cenoz/Genesee 17 ff. Für ein mehrsprachiges Bildungskonzept als Grundlage einer Erziehung zu Toleranz plädieren ua Gstettner/Wakounig, Interkulturelles Lernen als ein Mittel demokratischen Zusammenlebens auf der Grundlage von Menschenrechten, in Wakounig/Busch (Hrsg), Interkulturelle Erziehung und Menschenrechte. Strategien gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit (1992) (41) 55 f. Putzer weist darauf hin, dass die Sprachenpolitik der EU zwar Vielsprachigkeit propagiert, dabei jedoch keinen Abbau nationaler Grenzen verfolgt, sondern lediglich auf die Funktionalität des Binnenmarktes bedacht ist und daher keinen bewussten Beitrag zur Überwindung der Fixierung auf Nationalsprachen leistet: Putzer in Abel/Stuflesser/Putz 58 f. 1121 Pan, Zur Wende 161 f; Pan in Barlai/Griessler/Lein 148 f. 1122 Vgl Pan, Zur Wende 162 f; Pan in Barlai/Griessler/Lein 148.
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äußern.1123 Diese Startvorteile sind nicht losgelöst von strukturellen Bedingungen zu betrachten – in Südtirol zB der Selbstverwaltung und dem Rückfluss an Steuereinnahmen.1124 Dennoch lassen sich in mehrsprachigen Regionen Faktoren aufzeigen, die als Grundlage für wirtschafts- und regionalpolitische Maßnahmen dienen können, zB Möglichkeiten, in der frühen Kindheit in zwei Sprachsysteme parallel einzutauchen, wodurch sich Abstraktionsfähigkeiten verbessern und Gehirnareale erschlossen werden, die bei bloß einsprachiger Sozialisation weniger stark ausgebildet bleiben.1125 Diesen Mehrwert nützt, so Vogt, besonders Finnland, wo bei einem Anteil von 92% Finnen und 5% Schweden alle Kinder in Vor- und Grundschulen Schwedisch lernen.1126 Kompetenzen, die aus dem Nebeneinander mehrerer Kulturen entstehen, begünstigen Innovation, bieten Wettbewerbsvorteile, stellen Kulturgüter bereit, können Tourismus und Wertschöpfung in einer Region steigern und eröffnen persönliche Vorteile am Arbeitsmarkt durch individuelle Mehrsprachigkeit.1127 Mehrsprachige Individuen werden, wie Franceschini schließt, aufgrund ihres Umgangs mit Diversität „zu Trägern europäischer Kommunikationsfähigkeit“.1128 Ausschöpfen lässt sich der Mehrwert von Minderheiten, wie Pfeil und Pan anmerken, nur, wenn ein fördernder Minderheitenschutz gewährleistet ist.1129 Dies betrifft im vorgeschlagenen Modell Ebene 1 (zB Gruppen- oder Individualschutz, Sprachenrechte, Selbstverwaltung). Sie wird auf Ebene 2 durch indirekte, breitere kulturell-sprachliche Maßnahmen ergänzt. Diese sind für die Mehrheit offen (Regionalpolitik und Wirtschaftsförderung, Bildungskonzepte). Die Maßnahmen dürfen, wie Pfeil warnt, nicht „von oben“ oktroyiert werden,1130 sondern sollen für die Mehrheit attraktiv sein und von ihr akzeptiert werden. Ein Zwei-Ebenen-Ansatz integriert diesen Mehrwertdiskurs von Minderheiten und ihren Sprachen, die ein wertvolles kulturelles – mitunter auch ökonomisches – Vermögen der Gesamtgesellschaft bergen. Stellt man das Kärntner und Südtiroler Modell gegenüber, besteht zwischen den Modellen keine Wertung in „besser“ oder „schlechter“. In Kärnten scheint 1123 Kreck, Zur Diskussion 150 f 1124 Dies räumt auch Kreck ein: Kreck, Zur Diskussion 155 ff. 1125 Vogt, Mehrwert 60 ff; Javier, The bilingual mind. Thinking, Feeling and Speaking in Two Languages (2007) 23 ff; zu weiteren Vorteilen Gombos in Anderwald/Karpf/Valentin 145 f. 1126 Vogt, Mehrwert 60 ff. 1127 Kreck, Zur Diskussion 154 ff; Pan, Zur Wende 159 f; Pan in Barlai/Griessler/Lein 153. 1128 Franceschini in Abel/Stuflesser/Putz 37. 1129 Pfeil, Minderheiten 145; Pan, Zur Wende 163. 1130 Pfeil, Minderheiten 145.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
die Sprache den Status als ethnischer Marker zu verlieren. Angehörige der Mehrheitsbevölkerung lernen sie aus zweckrationalen oder kulturellen Motiven. Südtirol bietet ein „erfolgreiches“ Modell der Konfliktregulation. Es kombiniert Gleichheit, Autonomie und Integration in politischen Entscheidungsprozessen, die, so Marko, Separationstendenzen entgegenwirken.1131 Autonomie (Territorial- oder Kulturautonomie) und Integration sind Perspektiven für Ebene 1. Zur Integration in die Gesetzgebung empfiehlt Marko ein Stufenmodell, um Repräsentation und Partizipation zu effektivieren.1132 Diese Instrumente politischer Mitbestimmung – zB Volksgruppenkammern oder Virilmandate – betreffen den engeren Kreis des Modells, der auf den Schutz der Gruppe und primär von Individuen in ihren Gruppenbezügen abzielt. Sie leisten einen Beitrag zur gesellschaftlichen Vielfalt, indem sie gesellschaftliche Differenzen institutionalisieren.1133 Wie Pan bemerkt, sind die Mechanismen in Südtirol der Schlüssel, um Assimilation und Abwanderung zu begegnen. 1134 Insofern ist das Modell „erfolgreich“. Seine Kehrseite ist die „Zementierung“1135 ethnischer Differenz, die keine „anderen“ Verortungen wahrnimmt und Gruppen trennt. Die sprachlichen Beziehungen der Gruppen institutionalisiert das Modell Südtirol, wie Carlá bekräftigt, als „living apart in the same room“.1136 Es verschließt sich fließenden Identitäten, die in einem Zwei-Ebenen-Modell in Kärnten zu erfassen sind. Kritisch könnte man Zwischenkategorien, die zT aus Assimilationsprozessen hervorgehen, als „Kollateralschaden“ des österreichischen Minderheitenschutzsystems betrachten, das es verabsäumt hat, ethnische Identitäten durch Autonomie und Integration zu sichern, während dies in Südtirol gelingt. Allerdings finden sich in Südtirol ebenfalls Zwischenpositionen, die aus „gemischten“ Ehen oder Öffnungsprozessen zu multiplen Identitätskonzepten resultieren. Sie belegen die Notwendigkeit, von institutioneller Trennung zu integrativen Modellen zu gelangen.1137 In Kärnten bietet eine Zwei-Ebenen-Perspektive durch Sprache als Schutzobjekt Chancen für die Institutionalisierung von Mehrsprachigkeit, multiplen Identitäten und ein additives Nebeneinander von Minderheiten-, Sprach- und Vielfaltenschutz. 1131 Marko, Autonomie und Integration 528. 1132 Marko, Autonomie und Integration 528; für eine Übersicht über eine Bandbreite von Ausgestaltungsformen für die Partizipation und innere Selbstbestimmung von Minderheiten vgl Blumenwitz, Volksgruppen 87 ff. 1133 Marko, Autonomie und Integration 523 ff. 1134 Pan in Hafner/Pandel 179. 1135 Marko in Woelk/Palermo/Marko 386. 1136 Carlá, Living Apart in the Same Room 299; 304. 1137 Marko in Woelk/Palermo/Marko 387.
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Mehrsprachigkeit zu institutionalisieren bedeutet, die Funktionalität der Sprachen vor allem im öffentlichen Raum zu gewährleisten und im Schulsystem die Grundlage für den Erwerb der Sprachen zu legen. In Südtirol ist die Funktionalität der Sprachen im öffentlichen Raum gesichert und das Prinzip des Lernens der eigenen und anderen Sprache hat Vorbildcharakter, soweit es mit Kontakten verbunden wird und Sprachkenntnisse sichert. In Kärnten ist die Funktionalität der slowenischen Sprache im öffentlichen Raum zu stärken und Bedrohungsfaktoren von Mehrsprachigkeit zu begegnen, die nach Vavti resultieren aus historischen Traumata, unzureichender Umsetzung von Minderheitenschutzbestimmungen, fehlenden Möglichkeiten, die Sprache im Alltag einzusetzen, Landflucht, Misch ehen und der Dominanz der Mehrheitssprache.1138 Chancen eröffnen die Förderung von Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum, eine Ausweitung des zweisprachigen Unterrichts und weiterführender Angebote für Jugendliche und Erwachsene, die Intensivierung kultureller, ökonomischer und politischer Kooperationen mit dem Nachbarland, eine Stärkung des Sprachbewusstseins, damit die Sprache in den Familien weitergegeben wird und eine Öffnung zur Vielfalt,1139 die Volksgruppen als Mehrwert begreift – unter einem Paradigma der Multikulturalität, die interkulturelle Kompetenz fördert und regional gewachsene Vielfalt zu einem Schutzobjekt erhebt – im Interesse der Minderheits- und Mehrheitsbevölkerung. Ein Zwei-Ebenen-Modell bietet dafür eine Grundlage und Betrachtungsweise, die der Ambivalenz von postmodernem Identitätspluralismus und Rückzug auf lokale oder ethnische Verwurzelungen entspricht. Die Entsprechung eines solchen Zwei-Ebenen-Modells im geltenden Recht untersucht die Arbeit in Kärnten (Österreich). Wie Marko zeigt, geht es auf normativer Ebene „um die rechtliche Institutionalisierung von ‚Gleichheit als Diversität‘“1140. Sprachenrechte bilden die Schnittmenge für einen Schutz der Volksgruppe, der Institutionalisierung von Zwischenpositionen und (regionaler) Vielfalt. Recht ist – wie Pfeil zum Minderheitenschutz bestätigt – seiner Natur nach abstrakt und in seiner Formenvielfalt begrenzt.1141 Es setzt sinnvolle Anknüpfungspunkte voraus, um zu definieren, welche Gruppen mit welchen Rechten ausgestattet werden. Bestehen eindeutige Zuordnungen, etwa nach objektiven Kriterien oder subjektiven Bekenntnissen, ist das eine bewältigbare Aufgabe. Schwierig wird es, wenn Kriterien nicht eindeutig ausfallen oder nicht erfassen können, was sie zu erfassen verspre-
1138 1139 1140 1141
Vavti, Wir haben alles in uns 153 ff. Vavti, Wir haben alles in uns 158 ff. Marko in Pirker 12. Pfeil, Vorwort 3.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
chen, zB pluralistische, multiple Identitäten. Minderheitenschutzbestimmungen können selbst ein Teil des Problems sein, wenn sie auf Vorstellungen einer homogenen Minderheitengruppe basieren und kontextabhängige Variablen wie Kultur oder Identität auf statische Konzepte reduzieren, wodurch Minderheiten und ihre Angehörigen, wie Toivanen am Beispiel europäischer Instrumente zum Minderheitenschutz demonstriert, dazu gezwungen sind, sich als quasi-essentialistische Gruppen zu definieren.1142 Für die Analyse ist von Interesse, nach welchen Kriterien Schutzobjekte definiert werden: nach ethnischen oder kulturell-sprachlichen Merkmalen. Sie können ethnisch Identifizierte oder Personen mit Zwischen- und Mehrfachidentitäten erfassen. Die Staatszielbestimmung in Art 8 (2) der österreichischen Bundesverfassung (BVG) deutet ein Stufenmodell an, wenn sie sich zum Schutz der Vielfalt bekennt, die in den Sprachen der autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Inwieweit im geltenden Recht tatsächlich eine Institutionalisierung von Multilingualität angelegt ist, die durch neue Interpretationen im Lichte der Ziele des Minderheitenschutzes umgesetzt werden könnte, beleuchten die folgenden Abschnitte mit Fokus auf Sprachenrechte. Sie berücksichtigen das Rahmenübereinkommen und die Sprachencharta als zwei (völkerrechtliche, in Österreich umgesetzte) komplementär zu denkende Instrumente aus Minderheiten- und Sprachschutz (näher B.II.).
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht I. System des Volksgruppenrechts in Österreich Das „Minderheitenrecht“ in Österreich entspringt einer Vielzahl von Rechtsquellen, die verschiedenen historischen Phasen entstammen und keinen einheitlichen Regelungskomplex bilden.1143 Eine systematische Betrachtung verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Normen führt von allgemeineren zu spezifischen Bestimmungen. Auf Ebene des Völkerrechts sind – neben im Verfassungsrang umgesetzten Staatsverträgen und anderen Abkommen1144 – insb das Rahmenübereinkommen zum 1142 Toivanen, Das Paradox 193 ff; 201 ff. 1143 Vgl Hilpold, Minderheitenrecht 48; ErläutRV 437 BlgNR 21. GP 39. 1144 ZB der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), BGBl 1978/591, dessen Art 27 festlegt: „In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen An-
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 213
Schutz nationaler Minderheiten (RÜ) und die Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (SC) zu erwähnen. Österreich hat sie als Staatsverträge mit gesetzesänderndem bzw -ergänzendem Charakter genehmigt – mit Erfüllungsvorbehalt.1145 In seiner interpretativen Erklärung zum RÜ verweist Österreich auf das Volksgruppengesetz und wiederholt dessen Merkmale zur Definition einer „nationalen Minderheit“ iSd RÜ (Erklärung RÜ). Unter diesen Minderheiten sollen die „Volksgruppen“ iSd VoGrG verstanden werden.1146 Für die Sprachen dieser Volksgruppen erklärt Österreich ebenfalls die Anwendbarkeit der Sprachencharta – allerdings in Entsprechung zum unterschiedlichen Niveau der Volksgruppenrechte in Österreich: mit spezifischeren Maßnahmen für Kroatisch und Ungarisch im Burgenland und Slowenisch in Kärnten (Erklärung SC).1147 Der ältesten Schicht1148 im Verfassungrecht entstammt Art 19 Staatsgrundgesetz (StGG) aus dem Jahr 1867. Er sichert die Gleichberechtigung der „Volksstämme“. Ihnen gewährt die Bestimmung besondere Rechte zur Wahrung ihrer Identität und Nationalität. 1149 Sie hat eine kollektivrechtliche Ausrichtung1150 und berechtigt die gehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.“ Österreich hat den IPbpR 1978 ratifiziert, jedoch nur auf einfachgesetzlicher Ebene umgesetzt; vgl Novak, Rechtsschutz 58f. 1145 Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, BGBl III 1998/130; Europäische Charta zum Schutz der Regional- oder Minderheitensprachen, BGBl III 2001/216; ErläutRV 889 BlgNR 20. GP 24; Vgl Kolonovits, Sprachenrecht 499 f; Hilpold, Sprachenrechte in Österreich – Neue Herausforderungen vor dem Hintergrund der aktuellen Fluchtbewegungen, Europa Ethnica 3-4/2016, 73 (77 f ). 1146 ErläutRV 889 BlgNR 20. GP 24; vgl Lantschner, Landesbericht Österreich, in Hofmann/Angst/ Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 26. 1147 Die erheblich bessere Situation der Sprachen in Kärnten und im Burgenland stellt auch das Expertengremium in seinem ersten Bericht fest. Der Gesetzesrahmen für diese Sprachen wird als vorbildlich bewertet, jedoch mit Lücken in der Umsetzung. Vgl Kletzander, Europarat kritisiert Volksgruppenpolitik. Sachverständige bescheinigen Österreich mangelhafte Vertragserfüllung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, in Anderwald/Filzmaier/Hren (Hrsg), Kärntner Jahrbuch für Politik 2005 (2005) 197 (202 f ). 1148 So Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 152; Marko in Heißl 422. 1149 Art 19 StGG (RGBl 1867/142): „Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt. In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält“. Gem Art 149 (1) B-VG steht Art 19 StGG im Verfassungsrang. 1150 Vgl Hilpold, Minderheitenrecht 240; Marko in Heißl 422; Pfeil, Zur Novellierung des österreichischen Volksgruppengesetzes. Einführung und Kommentar, EJM 2/2012, 88 (89).
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
ethnischen Gruppen „selbst“.1151 Nach der Rechtsprechung des VfGH ist sie nicht mehr anwendbar, da es in Österreich im Gegensatz zur Monarchie keine „Volksstämme“ oder „landesüblichen Sprachen“ mehr gibt.1152 Die Lehre hat sich zT gegen diese Position ausgesprochen und nachgewiesen, dass das „personale Substrat“ der „Volksstämme“ und „Minderheiten“ dasselbe ist1153 und die „landesübliche Sprache“ eine bestimmte Sprache umfasst, die in einem Gebiet im größeren Ausmaß als Umgangssprache dient – somit jedenfalls die Sprachen der Minderheiten.1154 Auf die Periode des Völkerbundes und der Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg gehen die Art 62-69 des Staatsvertrages von St. Germain (StV Germain) zurück.1155 Die Bestimmungen erfüllen eine „Bindegliedfunktion (…) zwischen altösterreichischem Nationalitätenrecht und modernem Minderheitenrecht“1156. Sie verbürgen Angehörigen der „Minderheiten“ Gleichbehandlungsrechte als Spezifikation des Gleichheitsgrundsatzes1157 und normieren Maßnahmen eines fördernden Minderheitenrechts, zB „angemessene Erleichterungen“ beim Gebrauch der Sprache vor Gericht (Art 66 Abs 4 StV Germain) oder ermöglichen Angehörigen der Minderheiten den Unterricht in der Muttersprache – im letzten Fall beschränkt auf ihr Vorhandensein in einer „verhältnismäßig beträchtlichen Zahl“ (Art 68 StV Germain).1158 Die Bestimmungen sind individualrechtlich konzipiert. Der Schutz der ethnischen Gruppe ergibt sich, wie Hilpold argumentiert, nur als „Reflexwirkung“.1159 Marko erkennt in der Wendung vom Gruppenschutz in Art 19 StGG zu einem Individualschutz, der lediglich „Erleichterungen“ vorsieht, und der zugleich erfolgten Verankerung der deutschen Sprache als Staatssprache in Art 8 B-VG die Zielsetzung der „Assimilation“.1160
1151 Marko in Heißl 422. 1152 VfSlg 1952/2459. Vgl Hilpold, Minderheitenrecht 240; Hilpold, Sprachenrechte 74. 1153 Marko in Heißl 423; Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 30. vgl insb Kolonovits, Sprachenrecht 85 ff; Kolonovits, Minderheitenschulrecht im Burgenland (1996) 36 ff. 1154 Vgl Veiter, Recht 426; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 152; vgl zur Geltung des Art 19 StGG unter Bezugnahme auf eine Reihe weiterer Lehrmeinungen auch Veiter, Volksgruppenrecht 30 f. 1155 Auch die Art 62-69 StV Germain gelten gem Art 149 (1) B-VG als Bundesverfassungsrecht. Vgl Hilpold, Minderheitenrecht 241 ff; Marko in Heißl 422. 1156 Hilpold, Minderheitenrecht 243. 1157 Hilpold sieht darin nicht nur einen „formellen, sondern einen faktischen“ – sohin materiellen – Gleichheitsgrundsatz zugrunde gelegt: Hilpold, Minderheitenrecht 245. 1158 Vgl Hilpold, Minderheitenrecht 244 ff; Hilpold, Sprachenrechte 74. 1159 Hilpold, Minderheitenrecht 247; vgl Marko in Heißl 422. 1160 Marko in Heißl 422; Marko in Korinek/Holoubek Art 8 (2) B-VG Rz 2.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 215
In einer dritten verfassungsrechtlichen Schicht verankert Art 7 des Staatsvertrages von Wien (StV Wien) spezifische Rechte der slowenischen Minderheiten in Kärnten und der Steiermark und der kroatischen Minderheit im Burgenland.1161 Die Bestimmung geht auf Forderungen Jugoslawiens nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Sie verbrieft (nur) den genannten Minderheiten besondere Rechte, zB die Zulassung ihrer Sprachen zusätzlich zur deutschen als Amtssprache, zweisprachige topographische Aufschriften (Art 7 Z 3 StV Wien), „Elementarunterricht“ in Kroatisch oder Slowenisch und eine „verhältnismäßige Zahl eigener Mittelschulen“ (Art 7 Z 2 StV Wien).1162 Die Normen sind – wie die Rechtsprechung des VfGH belegt1163 – zT individualrechtlich (Unterricht, Amtssprache), zT objektivrechtlich im Sinne eines Auftrags an die Staatsorgane (Topographie) konzipiert.1164 Die Gewährung erfolgt nach dem Personalitätsprinzip (Unterricht)1165 und es sind territoriale Einschränkungen vorgesehen (Amtssprache oder Topographie). Eine Novelle des Volksgruppengesetzes 2011 regelt den Geltungsbereich der Amtssprache und Topographie neu und setzt die Verpflichtung des Art 7 Z 3 StV Wien im Verfassungsrang um. Mit Blick auf Südtirol ist anzumerken, dass der Berichterstatter des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten bei seinem Bericht zu den Verhandlungen des Staatsvertrages 1955 im Bundesrat festhält, man leite aus Art 7 StV Wien „das moralische Recht“ ab,1166 für die Minderheit in Südtirol „als mahnende Fürsprecher aufzutreten“,1167 solange „Volkstumsrechte unserer Freunde in Südtirol“1168 verletzt würden.1169 Auf verfassungsrechtlicher Ebene ist schließlich eine Staatszielbestimmung in Art 8 (2) B-VG zu nennen, die im Jahr 2000 eingeführt wird. Mit ihr bekennt sich die Republik Österreich zu ihrer gewachsenen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Die Sprachen dieser Volksgruppen, ihr Bestand und ihre Kultur sind zu achten, zu sichern und zu fördern. Diese Zielbestimmung räumt keine subjektiven Rechte ein, ist nach Hilpold aber als Versuch zu deuten, 1161 Im Verfassungsrang befinden sich Art 7Abs 2-4 des StV Wien; vgl Hilpold, Minderheitenrecht 262; Hilpold, Sprachenrechte 74. 1162 Vgl zu verfassungsrechtlichen Bestimmungen im Minderheitenschulgesetz für Kärnten FN 1774. 1163 ZB VfSlg 16.404/2001 („Ortstafelerkenntnis“); VfSlg 15.970/2000 („Amtssprachenerkenntnis“); zur Frage der Geltendmachung des Rechts auf zweisprachige topographische Aufschriften insb VfSlg 17.327/2004; 17.416/2004. 1164 Vgl Pfeil, Zur Novellierung 90. 1165 Vgl Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 157. 1166 StenProtBR 103, 08.6.1955, 7. GP 2362. 1167 StenProtBR 103, 08.6.1955, 7. GP 2362. 1168 StenProtBR 103, 08.6.1955, 7. GP 2362. 1169 StenProtBR 103, 08.6.1955, 7. GP 2362.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
„die Basis für ein modernes Minderheitenrecht zu schaffen“1170. Für Marko vollendet sie einen Paradigmenwechsel „von der Assimilation zur Integration“1171. Es wird nicht mehr die Aufgabe der eigenen Sprache zugunsten der Mehrheitssprache und -kultur begünstigt, sondern ethnische Identitäten werden als Ausdruck kultureller Vielfalt anerkannt, bewahrt und gefördert.1172 Die Staatszielbestimmung lässt sich daher als „vierte“ Schicht im verfassungsrechtlichen1173 Minderheitenschutzsystem begreifen. Auf einfachgesetzlicher Ebene führen das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten1174 (MindHSchG Ktn) und das Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland1175 (MindHSchG Bgl) die Bestimmungen des Art 7 Z 2 StV Wien aus. Letzteres geht über die Verpflichtungen des Staatsvertrages hinaus, da es die ungarische Volksgruppe und zT die Gruppe der Roma berechtigt.1176 Zentral für die Durchführung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen ist das Volksgruppengesetz (Vo-
1170 Hilpold, Minderheitenrecht 241. Hilpold, Sprachenrechte 77, würdigt die Staatszielbestimmung als „Bekenntnis zur Multikulturalität“. 1171 Marko in Heißl 422; Marko in Korinek/Holoubek Art 8 (2) B-VG Rz 4. 1172 Marko in Heißl 422. 1173 Neben den genannten Normen bestehen auf verfassungsrechtlicher Ebene noch einige gleichheitsrechtliche Bestimmungen, die für Minderheitenangehörige relevant sind; so zB grundlegend der Gleichheitssatz in Art 7 B-VG, Art 14 EMRK oder das BVG über die Beseitigung rassischer Diskriminierung (BGBl 1973/390), aber auch Art 7 Z 4 StV v Wien (Z 1 enthält ein einfachgesetzliches Diskriminierungsverbot); vgl in verdichteter Darstellung auch ErläutRV 437 BlgNR 21. GP 39. 1174 Bundesgesetz vom 19. März 1959, womit für das Bundesland Kärnten Vorschriften zur Durchführung der Minderheiten-Schulbestimmungen des Österreichischen Staatsvertrages getroffen werden (Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten), BGBl 1959/101 idF BGBl I 2012/36. Im Verfassungsrang stehen kompetenzrechtliche Bestimmungen in Art I lit a MindSchG Ktn, die allgemeinen Bestimmungen des Art II lit b MindSchG Ktn (Ausführung des Rechts auf Unterricht in Slowenischer Sprache und Verankerung der deutschen Sprache als Pflichtgegenstand) und Art II § 9 (2) MindSchG Ktn (Notwendigkeit erhöhter Quoren im Nationalrat für die Änderung der Grundsatzbestimmungen betr die Festlegung des Gebietes, der Versorgungspflicht und der Berechtigungssprengel in Art II MindSchG Ktn); vgl StenProtNR 85, 19.3.1959, 8. GP 4114 f. 1175 Bundesgesetz über besondere Bestimmungen betreffend das Minderheitenschulwesen im Burgenland (Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland), BGBl 1994/641 idF BGBl I 2012/36. Verfassungsrang genießen § 1 (1) MindSchG Bgl (Ausführung des Rechts auf Unterricht in Kroatisch oder Ungarisch) und § 20 (1) MindHSchG Bgl (Vollziehungsklausel); vgl ErläutRV 1637 BlgNR 18. GP 7 ff; 13. 1176 Zur Entwicklung der Gesetze insb Hilpold, Minderheitenrecht 262 ff; Hilpold, Sprachenrechte 74 f. Auf einfachgesetzlicher Ebene befindet sich zudem die Bestimmung des Art 7 Z 5 StV Wien, die ein Verbot von Organisationen festschreibt, die darauf zielen, Minderheitenangehörigen ihre Rechte als Minderheit zu nehmen.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 217
GrG).1177 Es gilt für alle anerkannten Volksgruppen in Österreich und regelt die Einrichtung von Volksgruppenbeiräten und die Volksgruppenförderung, sowie die Verwendung der Volksgruppensprachen als Amtssprachen und in zweisprachigen topographischen Aufschriften nach Art 7 Z 3 StV Wien. Das Gesetz aus dem Jahr 1976 normiert, so Pfeil, „spezifisches ‚Volksgruppenrecht‘“ in einer Zeit, als Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg primär mit der Ausformung eines individualrechtlichen Menschenrechtsschutzes befasst ist.1178 Es stärkt zu diesem Zeitpunkt die Glaubwürdigkeit Österreichs in seiner Position gegenüber Südtirol,1179 dessen Autonomiestatut ein Vorbild bei Erarbeitung des Volksgruppengesetzes darstellt.1180 Die Zielsetzung des Volksgruppengesetzes liegt darin, eine gesetzliche Grundlage für die besondere Förderung der Volksgruppen zu schaffen, um ihren Bestand und den Erhalt ihres „Volkstums“ zu sichern – wie die Erl betonen, nicht nur aus staatspolitischen und kulturellen Erwägungen, sondern um die freie „Entfaltung der Persönlichkeit und Individualität“1181 ihrer Angehörigen zu unterstützen.1182 Mit den Volksgruppenbeiräten soll den Volksgruppen ein Forum bereitgestellt werden, um ihre Interessen zu vertreten. Insgesamt dient das Gesetz der Umsetzung der Verpflichtungen Österreichs aus den Staatsverträgen von St. Germain und Wien und der Konzentration in einem zentralen Gesetz, mit Ausnahme der Bestimmungen über den Unterricht.1183 Seit der Novellierung des VoGrG 2011 ergeben sich die Geltungs- und Anwendungsbereiche der Amtssprache und Topographie, die zuvor durch Verordnungen zu konkretisieren waren, aus dem Gesetz selbst. Mit Verordnung der Bundesregierung erfolgt nur mehr die Festlegung der Volksgruppen, für die ein Volksgruppenbeirat eingerichtet wird, und der Zahl seiner Mitglieder (§ 2 VoGrG). Sie entspricht de facto der „Anerkennung“ einer Volksgruppe, die selbst nicht Gegenstand eines eigenen Rechtsaktes ist. Aufgrund dieser Verordnung1184 (VGBeiträte-VO) sind Beiräte eingerichtet für die slowenische, kroatische, ungarische, tschechische, slowakische Volksgruppe und die Volksgruppe der Roma (§ 1 VGBeiträte-VO). Die Konstituierung eines Beirates für die slowakische Volks-
1177 Bundesgesetz über die Rechtsstellung der Volksgruppen in Österreich (Volksgruppengesetz – VoGrG), BGBl 1976/396 idF BGBl I 2013/84. 1178 Pfeil, Zur Novellierung 90 f. 1179 Pfeil, Zur Novellierung 91. 1180 Hilpold, Minderheitenschutz 297. 1181 ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 7. 1182 ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 7. 1183 ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 7. 1184 Verordnung der Bundesregierung vom 18. Jänner 1977 über die Volksgruppenbeiräte, BGBl 1977/38 idF BGBl 1993/895.
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gruppe – ihre „Anerkennung“ – erfolgt 1992,1185 für die Roma 1993.1186 Alle sechs Volksgruppen kommen in den Genuss der Volksgruppenförderung und haben die Möglichkeit, in Volksgruppenbeiräten vertreten zu sein (§ 2 ff und § 8 ff VoGrG). Die Bestimmungen über die Amtssprache (§ 13 ff VoGrG) und die Topographie (§ 12 VoGrG) sind beschränkt auf Slowenisch in Kärnten, Kroatisch und Ungarisch im Burgenland. Es besteht ein unterschiedliches Schutzniveau der Volksgruppen, das (abgesehen von Rechten für die Ungarn im Burgenland) schon in den Bestimmungen der Staatsverträge von St. Germain und Wien zugrunde gelegt ist. Dem Anliegen der Volksgruppen, diese Unterschiede auszugleichen und die fördernden Rechte auf einem einheitlichen Niveau zusammenzuführen, wurde bislang nicht entsprochen. Selbst die jüngsten Reformvorschläge 2012 sehen keine Angleichung vor. Andere Anforderungen an diese Reform betreffen die Flexibilisierung des Volksgruppenrechts, um der Abwanderung von Volksgruppenangehörigen aus ihren traditionellen Gebieten zu begegnen, die Ausweitung der Geltungsbereiche der Amtssprache oder die Effektivierung zweisprachigen Unterrichts und die Reflexion der Ausrichtung des Volksgruppenschutzes angesichts einer zunehmenden gesellschaftlichen Pluralisierung und seiner Abgrenzung „autochthoner“ gegenüber „neuen“ Minderheiten. Offen bleiben die Wünsche von Volksgruppenvertretern nach stärkeren politischen Rechten und Möglichkeiten zur Durchsetzung kollektiver Rechte.1187 In der Präzisierung der teils vagen, teils zersplitterten Regelungen des Minderheitenrechts in Österreich spielt die Rechtsprechung des VfGH eine wesentliche Rolle. Er beseitigt vielfach verfassungswidrige Ausführungsbestimmungen (zB Regelungen im Bereich Schule, Amtssprache oder Topographie) und verhilft, wie Öhlinger festhält, einzelnen „Rechten überhaupt erst zum Durchbruch“1188. Grundlegend hält der VfGH 1958 fest, das Nationalitätenrecht obliege in Gesetzgebung und Vollziehung dem Bund (Art 10 Abs 1 Z 1 B-VG: Kompetenztatbestand „Bundesverfassung“).1189 In der Verfassung selbst erkennt der Gerichtshof 1981 „eine Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers zugunsten des Minderheitenschutzes“. Dieser Wertentscheidung genügt, führt der VfGH fort, eine „mehr oder minder
1185 Verordnung der Bundesregierung, mit der die Verordnung über die Volksgruppenbeiräte geändert wird, BGBl 1992/425. 1186 Verordnung der Bundesregierung, mit der die Verordnung über die Volksgruppenbeiräte geändert wird, BGBl 1993/895. 1187 Vgl zB Österreichisches Volksgruppenzentrum, Stellungnahme 2 ff. 1188 Öhlinger, Verfassung 64. 1189 VfSlg 3.314/1958.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 219
schematische Gleichstellung“1190 der Minderheitenangehörigen nicht immer.1191 Ihr Schutz kann es „sachlich rechtfertigen oder sogar erfordern“, sie in bestimmten Bereichen – im Sinne positiver Diskriminierung – „zu bevorzugen“.1192 Bestimmungen zum Schutz der Minderheit sind zudem, wie der VfGH mehrfach feststellt, „schon vom Regelungszweck her nicht restriktiv“ auszulegen. Die Auslegung hat sich am „Ziel und Zweck“ der Regelungen zu orientieren.1193 Verfassungsgesetzlich gewährleistete subjektive Rechte erkennt der VfGH im Recht auf Unterricht in der Minderheitensprache1194 und im Recht auf ihre Verwendung als Amtssprache (zur weiteren Rspr vgl die folgenden Abschnitte).1195
II. Komplementarität von Rahmenübereinkommen und Sprachencharta Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten ist die erste multilaterale, rechtsverbindliche Vereinbarung, die auf den Schutz nationaler Minderheiten ausgerichtet ist.1196 Es entsteht vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Osteuropa am Beginn der 1990er Jahre. Die Sprachencharta geht auf frühere Initiativen des Europarates zurück, die sich vor allem an Bedürfnissen der – zu dieser Zeit – überwiegend westeuropäischen Staaten orientieren.1197 Ihre Bedeutung wird, wie der Erl Bericht darlegt, für die mittel- und osteuropäischen Länder sicht-
1190 1191 1192 1193 1194 1195 1196 1197
VfSlg 9.224/1981. VfSlg 9.224/1981. VfSlg 9.224/1981. VfSlg 12.245/1989; 15.970/2000; Marko in Heißl 424. VfSlg 12.245/1989. VfSlg 15.970/2000; 16.404/2001; 17327/2004. ErläutRV 889 BlgNR 20. GP 22. Dunbar, Comparative Study of the working methods and conclusions of the Committee of Experts of the European Charter for Regional or Minority Languages and the Advisory Committee of the Framework Convention for the Protection of National Minorities (2005) 12; Explanatory Report of the European Charta for Regional- or Minority Languages, ETS No. 148 para 12 (iFa ECRML, Explanatory Report); Zur Geschichte der Charta Boysen, Einführung, in Boysen/Enbers/ Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier (Hrsg), Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Handkommentar (2011) Rz 4 ff; Phillips, The Beginning, in Malloy/Caruso (Hrsg), Minorities, their Rights, and the Monitoring of the European Framework Convention for the Protection of National Minorities (2013) 15 (16 ff); zur Ausgangslage des Rahmenübereinkommens Hofmann, Das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. Einführung, Würdigung, Überblick, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 4 ff; Hafner in Hofmann/Angst/ Lantschner/Rautz/Rein Rz 38 ff.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
bar in deren Interesse an europäischen Normen in diesem Bereich.1198 Im Gegensatz zum RÜ, das auf den „wirksamen Schutz nationaler Minderheiten sowie der Rechte und Freiheiten der Angehörigen dieser Minderheiten“ (Präambel RÜ) zielt, beabsichtigt die Sprachencharta den „Schutz der geschichtlich gewachsenen Regional- oder Minderheitensprachen“ als Teil des „kulturellen Erbes Europas“ (Präambel SC). Ihre Ausrichtung ist kultureller Natur: Sie schützt Regional- oder Minderheitensprachen (als kulturelle Ausdrucksformen)1199 im öffentlichen Leben.1200 Damit sichert die Charta, wie Oeter betont, ein zentrales Element europäischer Identität, um kulturelle Vielfalt angesichts von Globalisierung zu schützen.1201 Ihr Grundsatz besteht in entschlossener Förderung (Art 7 (1) lit c SC);1202 aktive Maßnahmen, die über ein Diskriminierungsverbot hinausgehen,1203 werden angeboten, um die Sprachen zu schützen.1204 Wie Dunbar zeigt, steht kulturelle Diversität im Fokus der Charta, während das RÜ den Schutz nationaler Minderheiten als Beitrag zu „Stabilität, Sicherheit und Frieden“ (Präambel RÜ) versteht.1205 Obwohl der Erl Bericht zur Sprachencharta den Einfluss ihrer Maßnahmen auf die betroffenen Bevölkerungsgruppen erkennt und den Fokus auf die Verwendung der Sprache in all ihren Lebensbereichen richtet, schützt sie primär Regional- und Minderheitensprachen, nicht sprachliche Minderheiten.1206 Ihnen räumt sie grundsätzlich keine individuellen oder kollektiven Rechte ein.1207 Sie folgt einem funktionalen und objektivrecht1198 ECRML, Explanatory Report para 12; vgl Dunbar, Comparative Study 12. 1199 Boysen, Artikel 1, in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier (Hrsg), Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Handkommentar (2011) Rz 1 ff; Woehrling, The European Charter for Regional or Minority Languages: A Critical Commentary (2006) 16 ff; Thornberry/Estébanez, Minority Rights in Europe. A review of the work an standards of the Council of Europe (2004) 158. 1200 ECRML, Explanatory Report para 10. 1201 Oeter, Ensuring the Charta is effective in the European legal order, in Council of Europe (Hrsg), Minority language protection in Europe: into a new decade (2010) 187 (198); vgl Thornberry/ Estébanez, Minority Rights 158. 1202 Vgl Tichy, Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und das österreichische Recht (2000) 58 f. 1203 ECRML, Explanatory Report para 3; 10. 1204 Tichy, Charta 58 f; Oeter in Malloy/Caruso 220; Dunbar, Definitively Interpreting the European Charter for Regional or Minority Languages: The Legal Challenges, in Dunbar/Gwynedd (Hrsg), The European Charter for Regional or Minority Languages. Legal Challenges and Opportunities (2008) 37 (39). 1205 Dunbar, Comparative Study 12. 1206 ECRML, Explanatory Report para 11. 1207 ECRML, Explanatory Report para 11. Aus einzelnen präzise formulierten Verpflichtungen kann, wie im Fall von Art 10, aus einem Reflex ein individuelles Recht gegenüber dem Staat ableitbar sein; hierzu am Beispiel von Art 10 Engbers, Artikel 10, in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Lan-
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 221
lichen Ansatz.1208 Minderheiten werden nicht als Träger von Rechten, sondern indirekt in einem Reflex geschützt.1209 Aus Sicht der Charta ist der Minderheitenschutz mit Dunbar als „happy by-product“ zu charakterisieren. Dies gilt umgekehrt auch für den Schutz kultureller Diversität an sich aus Perspektive des Rahmenübereinkommens.1210 Dennoch anerkennt das RÜ die Förderung gegenseitigen Verständnisses als Voraussetzung für die effektive Gewährung von Sprachenrechten und als Beitrag zu einer kohäsiven Gesellschaft (vgl Art 6 RÜ).1211 Der Definition ihres Schutzgutes legt die Sprachencharta kulturelle Aufgaben der Sprache zugrunde.1212 Sie enthält keine subjektiv-rechtlichen Komponenten zum Schutz der eigenen Sprache. Die Definition verzichtet, so der Erl Bericht explizit, auf eine „politisch-soziale oder ethnische Definition“1213, die Sprache als Kommunikationsmittel einer bestimmten Gruppe beschreibt.1214 Stattdessen wird Sprache als solche und als Teil des kulturellen Erbes Europas geschützt.1215 Erfasst sind nur historisch gewachsene Sprachen, die im betreffenden Land über einen langen Zeitraum gesprochen werden, nicht die Sprachen neuer Minderheiten (Art 1 (a) letzter Satz SC).1216 Die Charta umfasst primär Territorialsprachen, die sich von der Staatssprache unterscheiden (Art 1 (a) ii SC) und in einem bestimmten Gebiet traditionell von einer Gruppe von Staatsangehörigen gesprochen werden, deren Zahl kleiner ist als die Gesamtbevölkerung (Art 1 (a) i SC).1217 Die Sprache hat „Ausdrucksmittel einer Zahl von Menschen“ zu sein, „welche die Übernahme der (…) vorgesehenen verschiedenen Schutz- und Fördermaßnahmen rechtfertigt“
1208 1209 1210 1211
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genfeld/Rein/Richter/Rier (Hrsg), Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Handkommentar (2011) Rz 6. Boysen in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier Rz 11. Oeter in Malloy/Caruso 210; vgl Woehrling, Charter 27. Dunbar, Comparative Study 12 f. Advisory Committee on the Framework Convention for the Protection of National Minorities, Thematic Commentary No. 3. The Language Rights of Persons belonging to National Minorities under the Framework Convention (2012), in ACFC/44DOC(2012)001 rev para 32 (iFa AC, Thematic Commentary FCNM No 3). ECRML, Explanatory Report para 17. ECRML, Explanatory Report para 17. In der Entwicklung der Charta wurde der kulturelle Ansatz auch für jene Staaten intendiert, die keine Minderheiten anerkennen. Hierzu Blair, Der Entwurf einer „Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ des Europarates, in Ermacora/Tretter/Pelzl (Hrsg), Volksgruppen im Spannungsfeld von Recht und Souveränität in Mittelund Osteuropa (1993) 291 (294); Thornberry/Estébanez, Minority Rights 159. ECRML, Explanatory Report para 17. ECRML, Explanatory Report para 17; 26. ECRML, Explanatory Report para 31. ECRML, Explanatory Report para 33.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
(Art 1 (b) SC).1218 Die Zahl ist nach Art der Maßnahmen von den Mitgliedsstaaten zu bestimmen.1219 Durch das Abstellen auf Staatsangehörige, so die österreichischen Materialien, sei klargestellt, dass es sich auch um die Sprachen sprachlicher Minderheiten handle.1220 Der geographische Bezugsraum ergibt sich aus der Konstruktion der Maßnahmen, die durchwegs einen Anwendungsbereich erfordern, der sich vom Staatsgebiet unterscheidet.1221 Ziel des überwiegenden Teils der spezifischen Maßnahmen ist der Schutz der Sprachen in Verbindung zu dem Gebiet, in dem sie Verwendung finden.1222 Daneben sind „nicht-territoriale Sprachen“ erfasst, die keinem bestimmten Gebiet zugeordnet werden können (Art 1 (c) SC). Die Festlegung der Sprachen, die dem Abkommen unterstellt sind, obliegt den Staaten (Art 3 (1) SC), die gem Art 7 (1) b SC zu berücksichtigen haben, dass Gliederungen ihrer Verwaltungseinheiten die Förderung der betreffenden Sprachen nicht behindern.1223 Das Rahmenübereinkommen enthält aus „pragmatischen“ Erwägungen keine Definition der nationalen Minderheit selbst, da eine Festlegung innerhalb der Staatengemeinschaft nicht möglich ist.1224 Es handelt sich um ein Rahmenübereinkommen, das grundsätzlich normative Prinzipien enthält, die durch mitgliedsstaatliche Gesetzgebung und Praxis umzusetzen sind.1225 Die Auslegung erfolgt dynamisch, aktuelle Entwicklungen sind zu berücksichtigen.1226 Die vagen Begrifflichkeiten erlauben eine flexible Anwendung auf spezifische Situationen.1227 Inzwischen ist klar, 1218 Der Erl Bericht spricht an dieser Stelle von einem signifikanten („significant“) Ausmaß (in der amtlichen deutschen Übersetzung: „beträchtlichen“; in der inoffiziellen Übersetzung des Europarates „erheblichen“). ECRML, Explanatory Report para 34; zur Übersetzung des Europarates European: Explanatory Report Charta for Regional- or Minority Languages. German Version. Unofficial Translation, in: http://www.coe.int/t/dg4/ education/minlang/textcharter/Charter/Report_de.pdf (01.10.2013); zur amtlichen Deutschen Übersetzung: Stellungnahme des Bundesrates, Drucksache 125/98 (Beschluß) 64. Die Erl zur Charta in Österreich beziehen sich nur auf eine „Zahl von Menschen“ und bekräftigen, die Charta vermeide es, spezifische Prozentsätze vorzusehen; hierzu ErläutRV 437 BlgNR 21. GP 45; so auch ECRML, Explanatory Report para 35. 1219 ECRML, Explanatory Report para 35. 1220 ErläutRV 437 BlgNR 21. GP 45. 1221 ECRML, Explanatory Report para 34. 1222 ECRML, Explanatory Report para 37. 1223 ECRML, Explanatory Report para 34. 1224 Explanatory Report of the Framework Convention for the Protection of National Minorities, ETS No. 157 para 15 (iFa FCNM, Explanatory Report); vgl Angst, Art 3 RÜ, in Hofmann/Angst/ Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 1 f. 1225 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Rahmenübereinkommen Rz 16; vgl Thornberry/Estébanez, Minority Rights 91. 1226 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Rahmenübereinkommen Rz 15. 1227 Thornberry/Estébanez, Minority Rights 92.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 223
dass der Beratende Ausschuss (BA), der das Ministerkomitee des Europarates in seiner Prüftätigkeit berät, von einem „inclusive approach“ ausgeht1228 und die Bestimmungen in einem article-by-article approach nicht nur auf historische, sondern auf neue Minderheiten Anwendung finden, soweit sie auf diese passen.1229 Wie der thematische Kommentar – eine Synopse der Interpretationen1230 – des Beratenden Ausschusses erläutert, zielt das Rahmenübereinkommen auf den Schutz der Sprecher einer Sprache selbst, nicht auf deren Gemeinschaft und nicht auf die Sprache an sich.1231 Es wird aber die Komplementarität des Schutzes der Minderheit und ihrer Sprache durch das RÜ und der SC in ihrer jeweiligen Ausrichtung erkannt, da die engeren individualrechtlich1232 konzipierten Maßnahmen des RÜ gemeinsam mit breiteren kulturellen Instrumenten der Charta einen Beitrag leisten, um den rechtlichen Rahmen zu schaffen, der für den Schutz von Sprachenrechten der Minderheitenangehörigen notwendig ist.1233 Wie Oeter darlegt, nähert sich das RÜ den Problembereichen aus der Perspektive eines klassischen Menschenrechtsschutzes, 1228 Hofmann, The Evolving Standards 54; AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 7. 1229 Hofmann, The Evolving Standards 54 f; Pfeil, Zur Novellierung 96 f; Dunbar, Comparative Study 14 f; Angst in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 3 RÜ Rz 9; Heintze, Article 3, in Weller (Hrsg), The Rights of Minorities. A Commentary on the European Convention for the Protection of National Minorities (2005) 107 (112 f ). In der Praxis beschränkt sich der Beratende Ausschuss bei Überprüfung des Anwendungsbereiches (den einige Mitgliedstaaten durch Erklärungen präzisiert haben) auf die Beanstandung diskriminierender oder willkürlicher Ausschlüsse bestimmter Gruppen; er empfiehlt meist konstruktiven Dialog mit den Betroffenen über eine Erweiterung des Anwendungsbereiches. Die Bestimmungen des RÜ stellen nach der Auffassung des Beratenden Auschusses zudem auf verschiedene Personengruppen ab, zB Art 6 RÜ auf alle im Hoheitsgebiet lebenden Menschen, Art 10 (2) oder 11 (3) auf Gebiete, die traditionell von nationalen Minderheiten bewohnt werden. Näher Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Rahmenübereinkommen Rz 18. 1230 Es handelt sich um eine Zusammenfassung der Stellungnahmen, um den Mitgliedstaaten Hinweise für eine konforme Umsetzung des RÜ zu bieten, die zT auch in den Stellungnahmen des Beratenden Ausschusses bisher nicht angesprochene Fragen behandelt und für das Verständnis der betreffenden Normen von großer Bedeutung ist; Hofmann, Art 10 RÜ, in Hofmann/Angst/ Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 5; Hofmann, Art 11 RÜ, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 3. 1231 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 12. 1232 Der thematische Kommentar verdeutlicht, dass die individuellen Rechte eine kollektive Dimension aufweisen, weil einzelne Rechte – wie zB die Sprachenrechte – nur in Gemeinschaft mit anderen ausgeübt werden können; jedenfalls hat die Gewährung von Sprachenrechten in Kombination mit anderen Rechten zu erfolgen: Ausbildung, Medien, Teilnahme an kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten (dies auch als Argument für die Komplementarität der vorliegenden Analysebereiche); so AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 3. 1233 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 11.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
die Charta mit dem Ziel, objektive Standards für die notwendigen positiven Maßnahmen zu entwickeln. Beide Instrumente wählen unterschiedliche Zugänge zum selben Problemkreis.1234 Durch die Umsetzung der Charta können Staaten auch die Ziele des Rahmenübereinkommens im sprachlichen Bereich verwirklichen.1235Der Ansatz des RÜ zu Sprachenrechten ist sprecherinnenzentriert. Er entspricht der Konstruktion und Flexibilität von Zuordnungen, die nicht verdinglicht werden. Das RÜ anerkennt die Funktionen der Identität, Instrumentalität und der Interaktion von Sprachen (zB durch die Ausübung mit anderen oder das Bekenntnis zum interkulturellen Dialog).1236 Wie Palermo zeigt, erkennt der Beratende Ausschuss in seinem thematischen Kommentar zu Sprachenrechten die Wandelbarkeit sprachlicher Identifikation und erlaubt zB mehrfache Zuordnungen.1237 Um seine Ziele zu verwirklichen, gibt das Rahmenübereinkommen nur programmatische Zielsetzungen vor, die Mitgliedsstaaten durch konkrete Maßnahmen zu verwirklichen haben. Sie können auf die jeweiligen Umstände Bezug nehmen.1238 Die Charta sieht 90 Maßnahmen vor, aus denen die Mitgliedstaaten 35 wählen können (Art 2 (2) SC). Nur die allgemeinen Grundsätze gelten für alle Regionalund Minderheitensprachen (Art 2 (1) iVm Art 7 SC). Minderheitenangehörige können vollständig dem Schutzbereich des RÜ unterliegen, aber nur in geringem Ausmaß von den Schutzwirkungen der Sprachencharta profitieren.1239 Österreich hat nur solche Maßnahmen der SC ausgewählt, die hinter dem Reglement des Staatsvertrages von Wien zurückbleiben.1240 Im Vergleich der beiden Abkommen zeigt sich, dass die Charta – entsprechend ihrer kulturellen Zielsetzungen – spezifischere, aber zT weniger weitreichende Auflagen verlangt als das RÜ: ZB sieht das RÜ tiefergehende Gleichheitsgarantien vor, während die SC verpflichtet, ungerecht1234 Oeter in Malloy/Caruso 220. Dass einzelne Verpflichtungen auch der Charta, obwohl sie nicht als solche formuliert sind, menschenrechtlichen Charakter haben, zeigt sich – wie Oeter anmerkt – zB am Recht auf Grundschulunterricht in der betreffenden Sprache nach Art 8 (1) lit b SC; hierzu näher Woehrling Charter 31; Boysen in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Einführung Rz 5. 1235 Thornberry/Estébanez, Minority Rights 158. 1236 Zu diesem sprecherinnenzentrierten Ansatz und den Dimensionen der Sprachenrechte Busch/ Busch in Delas/Leuprecht 161 ff. 1237 Insb AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 3; 8; 18. Palermo, Addressing Contemporary Stalemate in the Advancement of Minority Rights: Commentary on Language Rights of Persons Belonging to National Minorities, in Malloy/Caruso (Hrsg), Minorities, their Rights, and the Monitoring of the European Framework Convention for the Protection of National Minorities (2013) 121 (132 ff); Thornberry/Estébanez, Minority Rights 108. 1238 FCNM, Explanatory Report para 11. 1239 Dunbar, Comparative Study 15. 1240 ZB Novak, Rechtsschutz 96 ff.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 225
fertigte Unterscheidungen der Sprachen oder Einschränkungen ihres Gebrauchs zu beseitigen (Art 7 (2) SC).1241 Zentrale Überschneidungen von RÜ und SC liegen in Sprachenrechten und der Repräsentation von Sprachen im öffentlichen Leben,1242 in der SC zB durch Maßnahmen zur Förderung der Sprachen in der Bildung, Verwendung vor Justiz- und Verwaltungsbehörden, in Medien oder kulturellen Einrichtungen, im wirtschaftlichen und sozialen Leben oder im Zuge grenzübergreifenden Austausches.1243 Im Bereich Bildung enthalten beide Instrumente Maßnahmen, um das Wissen über Minderheiten in der Mehrheitsbevölkerung zu intensivieren (Art 8 (1) g SC; Art 12 (1) RÜ), im Fall der Charta auf das Gebiet beschränkt, in dem die Sprachen gebraucht werden (Art 8 (1) erster Satz SC).1244 In den allgemeinen (unabhängig von der Auswahl verbindlichen) Grundsatzbestimmungen enthält die SC die Verpflichtung, Personen, die eine Sprache nicht sprechen, aber im betreffenden Gebiet leben, den Erwerb der Sprache zu ermöglichen (Art 7 (1) g SC).1245 Das RÜ normiert zum Unterricht in der Minderheitensprache, die Staaten hätten das Recht der Minderheitenangehörigen, ihre Sprache zu lernen, anzuerkennen (Art 14 (1) RÜ). Die Möglichkeiten dazu sind aber nur sicherzustellen bei „ausreichender Nachfrage“ in Gebieten, in denen Angehörige nationaler Minderheiten „traditionell oder in beträchtlicher Zahl“ wohnen (Art 14 (2) RÜ). Zudem haben sich Staaten darum nur zu „bemühen“ (Art 14 (2) RÜ).1246 Die Bestimmungen der SC stellen verschiedene Systeme zur Wahl, die ua vorsehen, den Unterricht der oder in der Sprache über die traditionellen Gebiete hinaus auf allen Bildungsebenen zuzulassen, wenn die Zahl ihrer Sprecher dies rechtfertigt (Art 8 (2) SC) – diese Maßnahme bleibt freilich abhängig von ihrer Auswahl durch den Staat.1247 Im Gegensatz zum RÜ han-
1241 Dunbar, Comparative Study 17; vgl Albanese in Council of Europe 27 ff; Dunbar in Dunbar/ Gwynedd 38. 1242 Vgl Dunbar, Comparative Study 17; Albanese in Council of Europe 29; Oeter in Malloy/Caruso 220. 1243 Vgl AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 3; 97. Oeter weist darauf hin, dass es in Überschneidungsbereichen nicht nur zu komplementären, sondern auch zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen kann, weshalb die Institutionen der Überwachungsmechanismen besonders gefordert sind, Inkonsistenzen in der Operationalisierung der Standards gegenüber den Mitgliedstaaten zu vermeiden. 1244 Vgl Dunbar, Comparative Study 17 f; Altenhöner-Dion, Art 12 RÜ, in Hofmann/Angst/Lantschner/ Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 3 ff. 1245 Vgl Dunbar, Comparative Study 17 f. 1246 Vgl Brohy, Art 14 RÜ, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 10; 13 ff. 1247 Vgl Dunbar, Comparative Study 18 f.
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delt es sich nicht um die Einräumung eines subjektiven Rechts für die Angehörigen der Minderheit, sondern um eine objektive Verpflichtung des Staates, die auf den Erhalt der Sprache zielt. Sie wirkt aber reflexiv auf den Minderheitenschutz, die Funktionalität der Sprache und die Identität ihrer Angehörigen.1248 Wie der thematische Kommentar bekräftigt, ist es insb für kleinere Minderheiten notwendig, den Sprachgebrauch im öffentlichen Leben aktiv zu unterstützen. Damit ist auch gemeint, ein Umfeld zu schaffen, das dem Sprachgebrauch zuträglich ist.1249 Die Regelungen über die Verwendung der Sprache in der Kommunikation mit den Behörden in Art 14 (2) RÜ unterliegen ebenfalls Einschränkungen auf ein traditionelles Siedlungsgebiet, ein Verlangen der Angehörigen und einem „tatsächlichen Bedarf“ (Art 10 (2) RÜ). Sie sind mit Dunbar eher als Auftrag an den Staat zu lesen, der lediglich zu einem „Bemühen“ verpflichtet wird (Art 10 (2) RÜ).1250 Die entsprechende Bestimmung der Charta bietet eine Palette an Möglichkeiten, die auf traditionelle Sprachräume beschränkt sind, aber keine Nachfrage voraussetzen (Art 10 SC).1251 Wiederum ist das Schutzniveau der Auswahl der Staaten überlassen. Die Kontrollmechanismen beider Abkommen sehen Staatenberichte vor, die das Ministerkomitee des Europarates überprüft, um die Einhaltung zu überwachen. Unterstützt wird das Ministerkomitee durch Berichte eines Beratenden Ausschusses (BA) für das RÜ (Art 26 (1) RÜ) und eines Sachverständigenausschusses für die Sprachencharta (Art 16 (3) SC). 1252 In diesem System prüft ein Expertengremium die Umsetzung eines verbindlichen Abkommens und gibt eine nicht rechtsverbindliche Stellungnahme an das Ministerkomitee des Europarates ab, das daraus eine rechtsverbindliche Resolution erarbeitet. Soweit sie die Anregungen der Berichte aufnehmen, sind die Dokumente des BA und des Ministerkomitees, wie Hofmann
1248 Auf die Bedeutung der Sprache für die Identität der Minderheitenangehörigen verweist auch AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 13; Hofmann, The Evolving Standards 67 ff. 1249 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 24. 1250 Dunbar, Comparative Study 20. 1251 Dunbar, Comparative Study 20 f. 1252 Zum Überwachungs- und Kontrollverfahren ua Novak, Rechtsschutz 82 ff; Hilpold, Minderheitenrecht 342 f; Lantschner, Soft jurisprudence 39 f; Hofmann, The Evolving Standards 38 ff; Oeter in Malloy/Caruso 221 ff; Hofmann, Die ECRM aus rechtswissenschaftlicher Sicht. Begriffe und Maßnahmen auf dem Prüfstand, in Lebsanft/Wingender (Hrsg), Die Sprachpolitik des Europarats. Die „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ aus linguistischer und juristischer Sicht (2012) 9 (16 ff); zu Funktion und Kritik dieses Mechanismus im Fall des RÜ Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Rahmenübereinkommen Rz 20; Phillips in Malloy/Caruso 29 ff.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 227
ausführt, als „soft jurisprudence based on hard law“1253 einzuordnen.1254 Mit ihnen lässt sich, so Oeter zur SC, den Mitgliedsstaaten „ein Spiegel vorhalten, in dem Stärken wie Schwächen des Schutzsystems deutlich sichtbar werden“1255. Dieser Spiegel könne als „Hilfestellung“ für notwendige Neuausrichtungen genutzt werden.1256 Er ermöglicht den Vergleich mit anderen Mitgliedstaaten und bietet Sprechern von Regional- oder Minderheitensprachen ein Instrument zum effektiveren Sprachschutz.1257 Als wichtigste inhaltliche Errungenschaft des RÜ identifiziert Hofmann das „standard-setting“ durch eine Vielzahl an spezifischen Stellungnahmen und thematischen Kommentaren.1258 Für die vorliegende Analyse eignen sich die Berichte und Empfehlungen, um Probleme des Minderheitenschutzes aufzuzeigen, soweit die Umsetzung der Sprachenrechte und die Institutionalisierung von Mehrsprachigkeit betroffen sind – wenngleich das spezifische Schutzniveau in Österreich (zB Art 7 StV Wien) in vielen Bereichen über den Basisgarantien der beiden Abkommen liegt. Komplementär wirken die Schutzziele und Instrumente beider Abkommen.1259 Wie Pan analysiert, zielt das Rahmenübereinkommen direkt auf den Schutz der Minderheit. Die Sprachencharta nützt Minderheiten indirekt, da sie sprachlich-kulturelle Maßnahmen enthält, die notwendig sind, um Minderheitensprachen zu erhalten. Insofern verhält sich der Schutz der Sprecher („Minderheitenschutz“) komplementär zum Schutz der Regional- oder Minderheitensprache („Sprachschutz“).1260 Gemeinsam entsprechen die völkerrechtlichen Grundlagen einem zwei 1253 Hofmann, The Evolving Standards 39. 1254 Hofmann, The Evolving Standards 39; zur Funktion der Stellungnahmen des BA und Expertenausschusses bei der Entwicklung harter Standards durch soft jurisprudence eingehend Lantschner, Soft jurisprudence 28 ff. 1255 Oeter, Minderheitensprachen in Österreich – ein europäischer Vergleich im Blick auf die europäische Sprachencharta, FUEV-Kongress 2011, Eisenstadt (1.6.-4.6. 2011) 1. 1256 Oeter, Minderheitensprachen 16. 1257 Hofmann in Lebsanft/Wingender 20. 1258 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Rahmenübereinkommen Rz 27 ff. 1259 Die Intensität des Schutzes kann – abhängig von den Normen, aber auch der Auswahl der Staaten – in beiden Fällen erheblich voneinander abweichen. Vgl Dunbar, Comparative Study 23, der aus diesen und weiteren Überlegungen die Notwendigkeit ableitet, beide Überwachungsgremien stärker miteinander zu koordinieren. 1260 Pan, Die Bedeutung 22 f; Pan, Zur Wende in der Minderheitenfrage: Zwischen Gewalt und Vernunft, vom Konflikt- zum Mehrwertpotenzial, EJM 3/2012, 147 (156 f ); Pan in Pan/Pfeil 636 ff; vgl zur Dualität der Ansätze von Rahmenübereinkommen und Sprachencharta De Varennes, Language protection and the European Charter for Regional or Minority Languages: quo vadis? in Dunbar/Parry (Hrsg), The European Charter for Regional or Minority Languages. Legal Challenges and Opportunities (2008) 25 (26); Albanese, The Position of the European Charter for
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Ebenen-Modell aus Minderheitenschutz und Sprachförderung – gerichtet auf den Schutz der Minderheiten und ihrer Angehörigen oder auf den Schutz ihrer Sprache. Zur Analyse der Funktion einzelner Instrumente und ihrer Bewertung werden die Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC daher in den folgenden Abschnitten berücksichtigt (insb C.).
III. Ziele und Zwecke im österreichischen Volksgruppenrecht Um der Institutionalisierung von Multilingualität und multiplen Identitäten nachzugehen, ist zu klären, welche Ziele und Schutzzwecke die Bestimmungen des Volksgruppenrechts umfassen. Die Schutzbereiche legen fest, welche Gruppen, Individuen oder Schutzobjekte erfasst sein sollen. Zu unterscheiden ist die Definition der Minderheiten von der Frage, wer als Angehöriger der Minderheiten gilt. Im Zusammenhang mit dieser Festlegung ist die Abgrenzung „alter“, autochthoner Minderheiten gegenüber „neuen“ Minderheiten zu sehen. Die Analyse untersucht, welche Konzepte das österreichische Minderheitenrecht für eine „Pluralisierung“ vorsieht, ob es „Ethnisierung“ fördert oder den Schutz von Minderheiten und Sprachen verankert und welche Potenziale die jüngste Reform des Volksgruppenrechts 2012 eröffnet. Zum Vergleich wird das System aus Volkszählung, Zugehörigkeitserklärung und Proporz in Südtirol erläutert.
a. Art 19 Staatsgrundgesetz („Volksstämme“ und „landesübliche Sprachen“) Art 19 StGG verankert das Prinzip eines fördernden Nationalitätenrechts.1261 Er schützt „Volksstämme des Staates“. Die Rechtsprechung des Reichsgerichtes (RG) und Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) entwickeln das Verständnis dieses Begriffs.
Regional or Minority Languages in the General Context of the protection of minorities, in Council of Europe (Hrsg), Implementation of the European Charter for Regional and Minority Languages (1999) 29; Oeter, The Complementarity of the FCNM and the Language Charter, in Malloy/ Caruso (Hrsg), Minorities, their Rights, and the Monitoring of the European Framework Convention for the Protection of National Minorities (2013) 205 (218 ff). Busch, Sprachen 73 merkt zur Sprachencharta kritisch an, sie anerkenne bestimmte Sprachen in den jeweiligen Nationalstaaten, gehe jedoch – wie klassische Minderheitenpolitik – weiterhin von „fixen und räumlich fixierbaren Gruppenidentitäten“ aus. 1261 Näher Veiter, Volksgruppenrecht 40 f; Veiter, Nationalitätenkonflikt 143 ff; Zwitter, Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen – Das Minderheitenschulwesen in Kärnten und im Burgenland (2010) [ng Diplomarbeit] 56.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 229
Es wurde in der Literatur systematisiert und auf einzelne Kriterien verdichtet.1262 Definitionen des Volkes oder der Nationalität spielen in der Einzelfallbeurteilung der Gerichte, wie Pernthaler betont, eine untergeordnete Rolle;1263 die Rechtsprechung greift zur Beurteilung, ob Kriterien erfüllt sind, zB auf statistische Erhebungen zurück. In einzelnen Fällen gelangt sie zu unterschiedlichen Ergebnissen.1264 Kolonovits präzisiert das Verständnis des RG: Es handelt sich um eine „Gruppe von Menschen, die in historischer, geographischer und sprachlicher Hinsicht eine gewisse Einheit bildet, und durch ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl gekennzeichnet ist“1265. Marko bestätigt, das Reichsgericht stelle auf objektive Kriterien wie die Sprache ab.1266 Zusätzlich gehe das RG von einem subjektiven Zugehörigkeitskriterium aus.1267 Beide Systematisierungen rekurrieren auf eine zentrale Entscheidung, in der das RG im Fall der böhmischen Nationalität, so Kolonovits, „eine ‚Definition‘ geprägt“1268 habe. Der „allein entscheidende Umstand“1269 sei, wie das RG ausführt, das Bestehen des Volksstammes „als nationale Individualität“1270.1271 Als Voraussetzung für die nationale Individualität erachtet das RG, dass die „nationale Gemeintätigkeit der (…) wohnhaften Angehörigen in dem öffentlichen Leben des Landes (…) jene historischen Wurzeln geschlagen“ hat, die „ihnen als einer geschlossenen Einheit, den das wesentliche Merkmal eines Volksstammes des 1262 Eingehend Kolonovits, Sprachenrecht 52 ff; Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 28 f. 1263 Pernthaler, Nationalitätenrecht 59. 1264 Pernthaler, Nationalitätenrecht 59. Dazu führt Pernthaler die Gruppe der Juden an, die einmal mangels Nationalität als Religionsgemeinschaft, einmal mangels eigener Sprache nicht als Volksstamm beurteilt wird. Vgl Kolonovits, Minderheitenschulrecht 20 (dort in FN 26). 1265 Kolonovits, Sprachenrecht 52; so bereits Kolonovits, Minderheitenschulrecht 20. Hermann von Herrnritt, Nationalität und Recht dargestellt nach der österreichischen und ausländischen Gesetzgebung (1899) 69 definiert den Volksstamm als „eine Bevölkerungsgruppe (…), welche ihr eigenenartiges auf gemeinsamer Kultur und gemeinsamen geschichtlichen Schicksalen beruhendes Wesen besitzt, also im staatlichen Zusammenleben noch nicht ihre Individualität eingebüßt hat“, wobei das „rechtlich relevante Merkmal des Volksstammes (…) die Stammessprache“ sei. Nach Raschhofer, Das Minderheitenrecht der Republik Österreich [ng Dissertation] (1928) 110 handelt es sich um „größere sprachlich ... geeinte Gruppen von Menschen in territorial geschlossener Siedlung, die sich nach Sitte, Brauch, durch Lebensgewohnheiten und bewusstes Gefühl von anderen ebensolchen Gruppen unterscheiden“; vgl Veiter, Recht 48. 1266 Auf die Sprache als stetes Merkmal eines Volksstammes in der Rspr des RG verweist auch Kolonovits, Minderheitenschulrecht 20 (dort in FN 26). 1267 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 29. 1268 Kolonovits, Minderheitenschulrecht 20. 1269 Hye 1284. 1270 Hye 1284. 1271 Kolonovits, Minderheitenschulrecht 20.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Landes bildenden Charakter einer nationalen Individualität im Lande“ verleihe.1272 Dies erfordere „eine historische Entwicklung“, die sich in einer „bleibenden Ansiedlung“ und einem „Verwachsensein mit dem Leben der Gesamtbevölkerung“ ausdrücke.1273 Es handelt sich nicht um die Elemente einer Definition der „Volkstämme“ an sich, wie Ableitungen in der Literatur nahelegen.1274 Das Erk ist im Zusammenhang mit der zugrundeliegenden Fragestellung zu sehen. Es geht nicht darum, zu beurteilen, ob die böhmische Nationalität an sich einen Volksstamm bildet, sondern ob sie das in Art 19 (3) StGG1275 verbriefte Recht geltend machen kann, das voraussetzt, dass in dem betreffenden Land mehrere Volksstämme „wohnen“. Die Grundfrage ist, wie das RG ausführt, „ob in Österreich u. d. Enns mehrere Volksstämme wohnen“.1276 Dies verneint das RG, weil für den böhmischen Volksstamm nicht der „allein entscheidende Umstand gegeben“ sei, dass dieser in Österreich u. d. Enns „als nationale Individualität besteht“.1277 Das RG entscheidet über das Kriterium der „Ansässigkeit“ als Voraussetzung von Art 19 (3) StGG. Für dieses spezifiziert es die Bedingungen, gibt aber keine Definition der Volksstämme an sich. Bestärkt wird diese Ansicht durch den Umstand, dass das RG durchwegs auf die Merkmale eines „Volksstammes des Landes1278“ abstellt und das Vorbringen der Beschwerdeführer, ihre nationale Betätigung drücke sich in ihrem Vereinsleben aus, als „ohne Bedeutung“ bewertet mit dem Argument, durch diese Tätigkeit üben sie „bloß“ das „Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Nationalität“ iSd Art 19 (1) StGG aus, das „den Mitgliedern aller Volksstämme des Staates zusteht, ohne Unterschied, ob sie auch ein Volksstamm des betreffendes Landes1279 sind“.1280 1272 Hye 1284. 1273 Hye 1284. 1274 So erschließt Kolonovits, Minderheitenschulrecht 20 das Verständnis des Reichsgerichts aus diesen Voraussetzungen der nationalen Individualität. Ebenso bemerkt Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 27, das RG habe „zur Begründung der Entscheidung, dass die Tschechen in Wien und Niederösterreich als Arbeitsmigranten keinen ‚Volksstamm‘ im Sinne des Art 19 StGG bilden“ die erwähnten „Begriffselemente für die „eigenartige Individualität einer ‚Volksgruppe‘ herausgearbeitet, ‚welche man als Volksstamm bezeichnet‘“; vgl Hermann von Herrnritt, Nationalität 70 f. 1275 Art 19 (3) StGG: „In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält.“ 1276 Hye 1284. 1277 Hye 1284. 1278 Hervorhebung durch den Verfasser. 1279 Hervorhebungen durch den Verfasser. 1280 Hye 1284.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 231
„Nationale Individualität im Lande“ bildet die Voraussetzung für einen im jeweiligen Land „wohnhaften“ oder „ansässigen“ Volksstamm in Abgrenzung zu dort nicht wohnhaften Volksstämmen iSd Art 19 (1) StGG. Ihr entspringt, wie Pernthaler zeigt, das Kriterium der „Autochthonie“ als Unterscheidungskriterium zwischen neuen und alten Minderheiten.1281 Einen dauerhaften Wohnsitz erachtet auch Herrnritt als kennzeichnendes Moment für eine Bevölkerungsgruppe als „Volksstamm des Staates“; dazu treten ein „natürlicher“ Zusammenhang und ein räumliches Übergreifen von einem Land in das andere.1282 Die Grenze zu neuen Minderheiten sieht Marko im Erfordernis einer „generationenübergreifenden, dauerhaften Integration“ ohne „bestimmte Mindestgröße“.1283 Sie zeigt sich insb durch das „subjektive Element“ der „nationalen Individualität“:1284 „die auf einem subjektiven Zugehörigkeitsgefühl basierende ‚nationale Gemeintätigkeit‘“.1285 Das Reichsgericht greift zur Beurteilung dieser Umstände auf statistische Daten zurück. Im betreffenden Erk bemerkt es, Angehörige der böhmischen Nationalität wohnten in einer „nicht unbeträchtliche[n] Zahl“ in Wien, diese Zahl ge1281 Pernthaler, Nationalitätenrecht 59. Dieses Kriterium findet sich in der Gegenschrift des Kulturministeriums, das den Begriff der „landesüblichen Sprache“ unter Rückgriff auf die Literatur als dort autochthone Sprache zu charakterisieren versucht. Hye 1284; vgl den Hinweis bei Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 27 (dort FN 57). Dazu ist festzuhalten, dass zumindest in Hye 1284 die Ausführungen des RG in die Umstände der Zeit einzubetten sind und die böhmische Gruppe nicht auf ihre Eigenschaft als Volksstamm an sich – die ihr das RG wie schon gezeigt wurde mit dem Hinweis auf Art 19 (1) StGG nicht abspricht – sondern auf ihre Eigenschaft als Volksstamm „im Lande“ überprüft wurde, um spezifische Rechte geltend zu machen. Sohin konnte sehr wohl ein Volkstamm existieren (in anderen Gebieten der Monarchie oder insgesamt), der in dem betreffenden Gebiet oder Land noch keine „Wurzeln“ geschlagen hat. Vergleichbar scheint dieses Urteil im Hinblick auf Volksstämme, die zB in anderen Ländern der Monarchie Ansässigkeit iSd „nationalen Individualität“ als Kriterium des § 19 (3) StGG haben könnten oder zumindest in ihrer Eigenschaft als „Volksstamm“ iSd § 19 (1) StGG Rechte geltend machen können, eher mit der Situation der „Volksgruppen“ iSd VoGrG (arg: „beheimatet“), die in vergleichbarer Weise nach Wien abwandern, um dort zu arbeiten und deren Angehörige zwar Volksgruppengehörige sind, die aber dort keine spezifischen Rechte geltend machen können, die ihnen im autochthonen Siedlungsgebiet zukommen. 1282 Hermann von Herrnritt, Nationalität 70 f; zum übergreifenden Kriterium Hye 129: in diesem Erk geht das RG davaon aus, dass den Slaven in niederösterreichischen Grenzgemeinden der Charakter als Volksstamm zukommt, wenn sie „ihre Fortsetzung in Mähren haben“. 1283 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 29. Auch Kolonovits verweist auf das nicht Vorhandensein des Erfordernisses einer bestimmten Zahl in der Definition des Volksstammes: Kolonovits, Minderheitenschulrecht 20. 1284 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 29. 1285 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 29. Das RG selbst spricht ein „subjektives Zugehörigkeitsgefühl“ nicht an; es leitet sich vielmehr aus der vorausgesetzten „nationalen Gemeintätigkeit“ ab.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
nüge für sich allein aber nicht, um das Erfordernis der „nationalen Individualität“ zu erfüllen. Es fehle die „historische Entwicklung“ – bleibende Ansiedlung und Verwachsenheit.1286 Der Bevölkerungszuwachs in Wien gründe in einem Zuzug aus Nachbarländern.1287 Weder aus der Zahl noch aus der nationalen Betätigung ließen sich, schließt das RG, die „historischen Voraussetzungen“ ableiten, die notwendig seien, um die nationale Individualität in Wien zu belegen.1288 Die nationale Individualität, die das Erk als Kriterium der Ansässigkeit der Volksstämme (Autochthonie) zugrundelegt,1289 ist zu bemessen an der nationalen Gemeintätigkeit, die „im öffentlichen Leben“ Wurzeln schlägt. Sie muss über erhebliche Zeiträume hinweg ausgeübt werden. Für die Beurteilung dieser Verwurzelung spielen statistische Daten eine nicht unerhebliche Rolle. Ihre Berücksichtigung führt im Erk dazu, dass Hinweise auf nationale Betätigung in Vereinen angesichts der Bevölkerungsstruktur, die sich aus der Zuwanderung ergibt, „ohne Bedeutung“ bleiben.1290 Aus der Judikatur leitet Marko insgesamt eine „Kontinuität der Rechtsprobleme“1291 bei Unterscheidung von Volksstämmen, Minderheiten und „autochthonen“ Volksgruppen ab und zeigt, dass sich die Begriffe stets auf „alte“ Minderheiten beziehen.1292 Ihnen liegt „kein unterschiedliches personelles Substrat“1293 zugrunde. Sie rekurrieren auf „dasselbe soziale Phänomen der ethnischen Differenz von Gruppen“.1294 Ähnlich argumentiert Kolonovits für eine Fortgeltung von Art
1286 Hye 1284. 1287 Hye 1284. 1288 Hye 1284. 1289 Vgl Pernthaler, Nationalitätenrecht 59. 1290 Hye 1284. Auch die „Landesüblichkeit“ der böhmischen Sprache in Wien verneint RG mit Blick auf den mangelnden Gebrauch der Sprache im „gegenseitigen Verkehr“ der Angehörigen der böhmischen Nationalität, die sich aus der Siedlungsstruktur ergibt, die zeigt, dass die Angehörigen in Wien zerstreut und in einzelnen Bezirken in sehr unterschiedlicher Zahl wohnen. Die „Landesüblichkeit“ der tschechischen Sprache in Troppau begründet das RG in Hye 1601 mit der „nicht unbedeutenden Zahl von Einwohnern“, die sich in der letzten Volkszählung zu ihr bekannt hat und auch damit, dass „auch in der Umgebung Troppaus die Zahl der Tschechen eine bedeutende ist“; vgl zur differenten Bedeutung der Begriffe in Art 19 (2) – „landesübliche Sprache“ – und (3) – „Landessprache“ – StGG Kolonovits, Sprachenrecht 96; Kolonovits, Minderheitenschulrecht 24 f. Demnach handelt es sich bei einer landesüblichen Sprache um eine, die in einzelnen Orten oder auch Bezirken üblich, bei der Landessprache um eine Sprache, die darüber hinausgehend in einem Land als staatsrechtlicher Kategorie gesprochen wird. 1291 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 27. 1292 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 30. Einschränkend die Überlegung in FN 1281. 1293 Marko in Korinek/Holoubek , Art 8 (2) B-VG Rz 30. 1294 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 30; Marko in Heißl 423.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 233
19 StGG,1295 die der VfGH 1952 mit der Feststellung verneint, es gebe in Österreich keine „Volksstämme“ und keine „landesüblichen Sprachen“ mehr.1296 Als Recht der „Volksstämme“ wird Art 19 StGG häufig ein kollektivrechtlicher Ansatz attestiert.1297 Die Bestimmung geht jedoch über die Berechtigung von Volkstämmen oder ihren Angehörigen hinaus. Art 19 StGG verbürgt ein „Grundrecht des Nationalitäten- und Sprachenschutzes“1298. Die Dualität von „Nationalitäten- und Sprachenschutz“ kommt zum Ausdruck in den ersten beiden Absätzen der Bestimmung, die eine Gleichberechtigung der Volksstämme (Art 19 (1) StGG) und eine Gleichberechtigung der landesüblichen Sprachen (Art 19 (2) StGG) normieren.1299 Diese Konstruktion ist für die Kombination von Minderheitenschutz und Sprachenförderung interessant. Auch Veiter weist darauf hin, dass es sich bei Art 19 (2) um eine Bestimmung mit sprachenrechtlichen Gehalt handelt, die den volksgruppenrechtlichen Inhalt mit umfasst. Der Schutz der Sprache kommt den Volksgruppen zugute, soweit der hier primär intendierte Schutz der Sprache dem Erhalt der Volksgruppen nützt.1300 Der Ausdruck „Pflege“ deutet auf förderndes Nationalitätenrecht im Sinne einer Pflicht, die Pflege von Sprache und Kultur zu ermöglichen.1301 In der Judikatur des RG und VwGH setzte sich, wie Kolonovits zeigt, die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen durch, die natürlichen und juristischen Personen ein subjektives Recht gewährte – die ursprüngliche Intention war,
1295 Kolonovits, Minderheitenschulrecht 36 ff; Kolonovits, Sprachenrecht 53. 1296 VfSlg 2459/1952. Zum Staatsvertrag von St. Germain steht Art 19 StGG nicht im Widerspruch. Er stimmt mit dessen Reglement nicht überein und wurde nicht aufgehoben. Art 19 StGG gelte daher nach Kolonovits, Minderheitenschulrecht 35, neben den Bestimmungen des StV Germain. Im konketen Fall sei die günstigere Norm anzuwenden. Zwitter, Charta 56; Siller, Das Minderheitenschulrecht in Österreich, Europa Ethnica 2009, 15 (15); kritisch zur Judikatur ebenso Veiter, Recht 421 ff; 432 ff; Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 Abs 2 B-VG Rz 27 ff. 1297 Vgl FN 1150. Einschränkend Kolonovits, Minderheitenschulrecht 21 unter Verweis auf die systematische Stellung im Grundrechtskatalog der Staatsbürger; dennoch liege ein kollektivrechtlicher Ansatz in der Anerkennung der Beschwerdelegitimation für juristische Personen, Gemeinden oder Vereine, so Kolonovits, Sprachenrecht 95. 1298 Pernthaler, Nationalitätenrecht 52. 1299 Pernthaler, Nationalitätenrecht 52 argumentiert, dass darin nicht nur die Freiheitsrechte, sondern auch dahinter liegende Staatsstrukturnormen – iSv Wertentscheidungen, Gewährleistungspflichten und institutionellen Garantien – zugrunde gelegt sind, die für die Durchsetzung individueller Grundrechte notwendig sind; vgl zur Interpretation Hermann von Herrnritt, Nationalität 53 f; zum Begriff der Landessprache und landesüblichen Sprache 83 ff. 1300 Veiter, Recht 427. 1301 Veiter, Recht 448 f.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
ein Verheißungsgesetz zu schaffen, das Durchführungsbestimmungen benötige.1302 Anders als der Wortlaut ausdrückt, werden, wie Pernthaler bestätigt, nicht „Volk stämme“1303 oder „Sprachen“ berechtigt, sondern es handelt sich um individuelle Freiheits- und Gleichheitsrechte, die in der Judikatur durch „Hilfskonstruktionen“ wie juristische Personen, Assoziationsfreiheit und Gemeindeautonomie konkretisiert werden.1304 Sprache und Nationalität des Volksstammes kann individuell nur verteidigen, wer Angehöriger eines Volksstammes ist.1305 Diese Zugehörigkeit wird zT an objektiven, zT an subjektiven Kriterien bemessen, wobei der VwGH nach Kolonovits ein „beschränktes Bekenntnisprinzip“ entwickelt.1306 Dieses stellt auf objektive Kriterien ab, bei Unklarheit der Nationalität ist auf das subjektive Bekenntnisprinzip zurückzugreifen – also zu fragen, zu welcher Nationalität sich der Einzelne bekennt.1307 Beim Anspruch auf Errichtung einer Schule stellt der VwGH auf ein Bekenntnis der Eltern ab.1308 RG und VwGH konkretisieren,1309 wie Pernthaler ausführt, das Grundrecht und dessen „Doppelnatur als Freiheitsrecht und Leistungsanspruch“1310. Der Leistungsanspruch richtet sich auf Sprachenrechte vor Gericht, Verwaltung und auf Unterricht in der Muttersprache.1311 Diese Gewährleistungspflichten und Freiheitsrechte entsprechen, soweit sie Angehörigen der Volksgruppen eingeräumt sind, Ebene 1 1302 Kolonovits, Minderheitenschulrecht 21; Kolonovits, Sprachenrecht 94; Hermann von Herrnritt, Nationalität 54 ff; Bernatzik (Hrsg), Die österreichischen Verfassungsgesetze mit Erläuterungen2 (1911) 883. Die unmittelbare Anwendbarkeit des Art 19 (2) StGG nimmt das RG zB in Hye 1601 an; zuletzt verneint es sie hingegen in Hye 1930. Differenzierend zur Judikatur des VwGH ua Pernthaler, Nationalitätenrecht 53 ff; Kolonovits, Sprachenrecht 94. 1303 Auch Kolonovits legt dar, dass den Volksstämmen die Rechtsfähigkeit fehlt und sie nur „als ‚soziale‘ Gemeinschaften“ zu sehen sind, denen die Rechtsfähigkeit fehlt und die daher nicht Träger von Rechten sein können; Kolonovits, Minderheitenschulrecht 20 f. 1304 Pernthaler, Nationalitätenrecht 56. Zur Entwicklung dieser Umsetzung aaO 57 ff; vgl bereits Hermann von Herrnritt, Nationalität 53 f; Bernatzik, Verfassungsgesetze 883. Veiter, Recht 427 sieht in Art 19 (2) StGG eine formale Gleichberechtigung aller Österreicher im Hinblick auf ihre Umgangssprache, sofern diese eine landesübliche ist. 1305 Pernthaler, Nationalitätenrecht 58. 1306 Kolonovits, Sprachenrecht 54. 1307 Kolonovits, Sprachenrecht 54; vgl Kolonovits, Minderheitenschulrecht 22 f; Hermann von Herrnritt, Nationalität 77 ff. 1308 Erk B. 9708, 3. Juni 1896; Kolonovits, Minderheitenschulrecht 22; Hermann von Herrnritt, Nationalität 79; zu weiteren Voraussetzungen 93 ff. 1309 Vgl die Zusammenstellung bei Hermann von Herrnritt, Nationalität 61 ff. 1310 Pernthaler, Nationalitätenrecht 60; zur Notwendigkeit der „positiven Vorkehrungen“, um die Sprache im Verkehr mit dem Amt nutzen zu können auch Kolonovits, Sprachenrecht 102; als Plicht zur „positiven Förderung“ in Kolonovits, Minderheitenschulrecht 19. 1311 Pernthaler, Nationalitätenrecht 60.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 235
des vorgeschlagenen Analysemodells: Sie sichern subjektive Rechte, Freiheiten und Ansprüche der „Volksstammangehörigen“ – im Fall der Amtssprache nach Art 19 (2) StGG nur in Gebieten, in denen die Sprache „landesüblich“ ist.1312 Bemerkenswert ist, dass in diesen Gebieten neben Staatsbürgern, die den betreffenden Volksstämmen angehören, iSd Territorialitätsprinzips allen Staatsbürgern die Verwendung der Sprache gewährt wird.1313 Voraussetzung für das Territorialitätsprinzip sind geschlossene Gebiete. Aus Gründen der Verwaltungsökonomie findet es dort Anwendung, wo die Sprachen „üblich“ sind.1314 Daneben besteht die Tendenz, das Recht iSd Persönlichkeitsprinzips an die Volksgruppenzugehörigkeit zu knüpfen, es aber über diese Gebiete hinaus zu gewähren.1315 Dies verspricht eine Lösung für jene Volksstamm- oder Volksgruppenangehörigen, die aus solchen Gebieten abwandern, in denen die Sprachen „geschützt“ sind. Freilich stößt auch das Personalitätsprinzip an Grenzen der Leistbarkeit.1316 Die Gleichberechtigung der landesüblichen Sprachen steht in engem Konnex zur Sprache eines Volksstammes. Aus Art 19 (1) StGG ergibt sich, wie Kolonovits betont, dass es sich um eine solche Sprache „handeln muss“.1317 Art 19 (2) StGG verbürgt, wie das RG und die Einordnung in den Grundrechtskatalog über die Rechte der Staatsbürger bestätigen, ein subjektives Recht, das Angehörige der Volksstämme geltend machen können; im Hinblick auf die kollektive Dimension des Schutzes der Volksstämme auch Vereine, juristische Personen oder Gemeinden. Dabei handelt es sich – individuell oder kollektiv – um Ebene 1: Schutz der „Volksgruppen“. In der Ausweitung auf alle Staatsbürger, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem Volksstamm, liegt eine Erweiterung, die – wenn nicht explizit, so doch – funktional auch dem „Schutz der Sprache“ dient. Sie entspricht Ebene 2 und gewährt die Vorteile der „Nationalitätenbestimmungen“ auch anderen Staatsbürgern. Dies gelingt insb durch Abstellen auf das Territorialitätsprinzip. Dass die Sprachen selbst ein Schutzgut – iSv Ebene 2 – bilden, deutet der Wortlaut des Art 19 (2) StGG („Gleichberechtigung der landesüblichen Sprachen“) zwar an, ist aufgrund der Stel1312 Zu diesem Kriterium eingehend Kolonovits, Sprachenrecht 95 ff; vgl auch Hye 1601. 1313 Kolonovits, Sprachenrecht 94 f (dort ins auch FN 315); 97. 1314 Dazu eingehend Kolonovits, Sprachenrecht 97. 1315 Eingehend Kolonovits, Sprachenrecht 97. Nur in einem Fall hat das RG, wie Kolonovits ausführt, eine derartige „zweisprachige Gleichberechtigung“ als zulässig bestätigt. 1316 Kolonovits, Sprachenrecht 97. 1317 Kolonovits, Sprachenrecht 95. Der Schutz der Nationalität sei folglich auch weiter gefasst als nur der Schutz der Sprache (als Schutz der Nationalität). Sprache eines Volksstammes kann, so die Judikatur des RG, zudem nur eine Sprache sein, die von allen Angehörigen gesprochen wird; hierzu Kolonovits, Sprachenrecht 95 f; dort finden sich auch die weiteren Kriterien der „Landesüblichkeit“ einer Sprache.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
lung im Grundrechtekatalog „über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“ aber zu verneinen. Vielmehr sind die Formulierungen, wie Pernthaler und Kolonovits zeigen, Ausdruck der „Gleichberechtigung der Nationalitäten“, wie sie bereits 1848/49 formuliert wird.1318 Für die spätere Analyse einzelner Instrumente des Minderheitenschutzes ist festzuhalten, dass Art 19 (3) StGG1319 den Volksstämmen in öffentlichen Unterrichtsanstalten ein Recht auf die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in ihrer Sprache einräumt. Das RG erkennt darin ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht der Eltern und Gemeinden, dass den Kindern Unterricht in ihrer – landesüblichen – Sprache erteilt werde.1320 Dieser Unterricht sei „prinzipaliter, (…) nicht bloß aushilfsweise“1321 in der Muttersprache zu erteilen.1322 Als unzulässigen Zwang erachtet das RG die Einführung der deutschen Unterrichtssprache ab der vierten Schulstufe und die Fortführung des Slowenischen als bloßem Pflichtgegenstand in einer Schule mit slowenischer Unterrichtssprache.1323 Der VwGH entwickelt einen Anspruch auf Errichtung von „Nationalitätenschulen“. Gemeinden könnten etwa verpflichtet sein, Volksschulen mit einer bestimmten Unterrichtssprache einzurichten.1324 Die Voraussetzungen umfassen eine Mindestzahl von schulpflichtigen Kindern mit Wohnsitz in der Gemeinde, die österreichische Staatsbürgerschaft und das Bekenntnis zu einem Volksstamm.1325 Zur Gleichberechtigung der Sprachen im „öffentlichen Leben“ gehören für VwGH und RG auch topographische Hinweiszeichen, zB Straßenbezeichnungen oder Schilder. Es handelt es sich, wie das RG festhält, 1318 Pernthaler, Nationalitätenrecht 56; Kolonovits, Sprachenrecht 8 ff. Teleologisch könnte eine andere Lesart der Bestimmung angezeigt sein, die im Wortlaut Deckung finden würde. Diese Frage stellt sich aufgrund der Derogation aber an dieser Stelle nicht; vgl stattdessen die Erwägungen zur Staatszielbestimmung in Art (2) B-VG unten (c.). 1319 Art 19 (3) StGG bestimmt, in Ländern, in denen mehrere Volksstämme wohnen, müssen „die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, dass ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält“. 1320 Kolonovits, Minderheitenschulrecht 23 f. 1321 Hye 269. 1322 Kolonovits, Minderheitenschulrecht 24. 1323 Kolonovits, Minderheitenschulrecht 24 unter Bezugnahme auf Hye 1780; 1781. Das RG schafft zudem, wie Kolonovits zeigt, den Ausgangspunkt für die späteren Diskussionen um das Abmeldeprinzip, da es den Eltern das Recht zugesteht, über die Teilnahme der Kinder am Unterricht in einer zweiten Landessprache zu entscheiden: Kolonovits, Minderheitenschulrecht 25 f. Kommt den Eltern ein derartiges Recht zu, stellt die Einführung einer zweiten Sprache als Lerngegenstand an einer Schule mit anderer Unterrichtssprache keinen Zwang iSd Art 19 (3) StGG dar. 1324 ZB Budw 2314; hierzu Kolonovits, Minderheitenschulrecht 26 f. 1325 Eingehend Kolonovits, Minderheitenschulrecht 27 f.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 237
um private Aufschriften, nicht um „Straßentafeln im eigentlichen – technischen – Sinne“. Deren Anbringung falle „in den selbstständigen Wirkungsbereich der Gemeinde bei Ausübung der Straßenpolizei“1326. Angehörigen eines Volksstammes, dessen Sprache landesüblich ist, dürfe es „nicht verwehrt werden, sich zur Bezeichnung der (…) Häuser in der Öffentlichkeit überall dort, wo sie es in ihrem Interesse geboten“ erachten,1327 der „Straßennamen“ in ihrer Sprache zu bedienen.1328 Zur Durchsetzung dieses Rechtes erachtet das RG auch Vereine als legitimiert, worauf sich spätere Diskussionen um die Ausübung kollektiver Rechte beziehen. Die Anwendungsbereiche des Art 19 StGG werden durch die Judikatur ausgeformt, in der Pernthaler eine „gewaltige rechtspolitische und rechtsdogmatische Entwicklungsarbeit“1329 erkennt. Sie vermitteln einen Eindruck von der Tragweite der Norm, deren Anwendbarkeit umstritten ist, in der Judikatur des VfGH jedoch verneint wird.1330
b. Art 66 ff StV Germain und Art 7 StV Wien („Minderheiten“) Die Minderheitenschutzbestimmungen der Staatsverträge von St. Germain und Wien rekurrieren auf einen völkerrechtlichen Minderheitenbegriff, dessen Kriterien strittig sind.1331 Die Staatsverträge stellen explizit (nur) auf „österreichische 1326 1327 1328 1329 1330
Hye 844. Hye 844. Hye 844. Pernthaler, Nationalitätenrecht 52. Zu Fragen der Fortwirkung des Art 19 StGG und den Folgen eingehend Kolonovits, Sprachenrecht 85 ff. 1331 Kolonovits, Sprachenrecht 54 f. Anerkannt ist eine Definition, die Francesco Capotorti 1979 zur Auslegung des Begriffs „nationale Minderheit“ in § 27 IPbpR vorgenommen hat: Dabei handle es sich um eine Gruppe, die im Staat zahlenmäßig dem Rest der Bevölkerung unterlegen ist, eine nicht-dominante Position einnimmt und deren Mitglieder sich durch ethnische, sprachliche oder religiöse Merkmale von der übrigen Bevölkerung unterscheiden und einen gemeinsamen, wenn auch impliziten, Wunsch zum Ausdruck bringen, ihre Kultur, Traditionen, Religion oder Sprache zu erhalten; Capotorti, Study on the Rights of Persons belonging to Ethnic, Religous or Linguistic Minorities, UN-Doc.E./CN.4/Sub.2/384/Rev.1 (1979) para 568; vgl zB Brunner in Heuberger/ Kolar/Suppan/Vyslonzil 46 f. Das darin begründete Element der Staatszugehörigkeit wird in der Praxis internationaler Organe (zB dem Menschenrechtskomitee des Europarates oder dem BA des RÜ; zu letzterem schon B.II.) und in der Literatur relativiert und die Ausweitung empfohlen. Eingehend zum Minderheitenbegriff Thornberry, International Law 6 ff. Zum subjektiven Element, das im Wunsch der Erhaltung der spezifischen Identität und der Anerkennung als Minderheit zum Ausdruck kommt, zusammenfassend auch Lahnsteiner, Minderheiten. Versuch einer völkerrechtlichen Begriffsbestimmung (2014) 199 ff; für einen Vergleich der Minderheitenbegriffe in internationalen Instrumenten 275 ff. Einen einführenden Überblick zu den Begrifflichkeiten im österreichischen Volksgruppenrecht bietet: De Cillia, Von Volksstämmen, Minderheiten und
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Staatsangehörige“ ab.1332 Die Bestimmungen des Art 66 (3) 1333 und 66 (4) 1334 StV Germain regeln die Freiheit des Sprachgebrauches in bestimmten Bereichen und sehen angemessene Erleichterungen bei Gericht vor. Sie sind nicht auf Angehörige von Minderheiten beschränkt, sondern beziehen sich, wie der Wortlaut nahelegt, auf „österreichische Staatsangehörige“.1335 Sie gewähren Schutz und Rechte für alle Staatsangehörigen. Das Ziel der fördernden Bestimmung des Art 66 (4) StV Germain ist, wie Hilpold bemerkt, die Gewährung einer geschützen Position für Angehörige der Minderheiten, nicht der „Schutz der Fremdsprache an sich bzw. ihrer Verwendungsmöglichkeit“1336. Art 66 (3) StV Germain zielt aber darauf, indem er die Freiheit des Sprachgebrauches einräumt. Insofern ist diese Bestimmung als Mittel des Sprachschutzes an sich (Ebene 2) zu begreifen, die allen Staatsbürgern die Freiheit in privaten Bereichen zusichert. Eine Förderung der Sprache liegt darin freilich noch nicht.1337 Art 67 (1) StV Germain verbürgt „österreichischen Staatsbürgern, die einer Minderheit nach Rasse, Religion oder Sprache angehören,“ ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot und gewährt ihnen das Recht, „eigene Wohltätigkeits-, religiöse oder soziale Einrichtungen, Schulen und andere Erziehungsanstalten“ zu errichten. In Städten und Bezirken mit einer „verhältnismäßig beträchtliche[n] Zahl anderssprachiger als deutscher österreichischer Staatsangehöriger“ sieht Art 68 Abs 1 StV Germain angemessene Erleichterungen vor, um Kindern Unterricht in der eigenen Sprache sicherzustellen.1338 Abs 2 gewährt unter der weiteren Voraussetzung, dass
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Volksgruppen. Terminologische Bemerkungen zum Thema, in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner / Domej (Hrsg), Natürlich zweisprachig (2013) 11. Kolonovits, Sprachenrecht 56. Keine Beschränkung „im freien Gebrauch irgendeiner Sprache im Privat- oder Geschäftsverkehr, in Angelegenheiten der Religion, der Presse oder irgendeiner Art von Veröffentlichungen oder in öffentlichen Versammlungen“. Es werden „angemessene Erleichterungen beim Gebrauch ihrer Sprache vor Gericht in Wort und Schrift geboten“. Dies gilt nicht für die Verwaltung. Fremdsprachigkeit ist keine Voraussetzung; hierzu Hilpold, Minderheitenrecht 247; vgl Kolonovits, Sprachenrecht 114. Hilpold, Minderheitenrecht 246. Kolonovits leitet aus einem Vergleich der Vertragstextvarianten ab, dass es sich jedenfalls um „Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache“ handelt, somit jedenfalls um „Angehörige sprachlicher Minderheiten“; so Kolonovits, Sprachenrecht 60. Hilpold, Minderheitenrecht 247. Einschränkend ist zuzugestehen, dass uU Gewährleistungsrechte aus dieser Bestimmung abzuleiten sind; zB Versammlungsfreiheit, die zu gewährleisten ist. An Volksschulen, so ua Siller, Minderheitenschulrecht 16, ist solcher Unterricht zu erteilen; Marauhn, Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Österreich, in Frowein/Hoffmann/Oeter (Hrsg), Das Minderheitenrecht europäischer Staaten I (1993) 225 (243); Zwitter, Charta 56. Sowohl ein-
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 239
es sich dabei um Angehörige einer Minderheit nach Rasse, Religion oder Sprache handelt, einen „angemessenen Teil“ von allen Beträgen, die aus öffentlichen Mitteln für „Erziehungs-, Religions-, oder Wohltätigkeitszwecke (…) ausgeworfen werden“. In diesem Zusammenhang ist auf Art 8 (1) B-VG hinzuweisen, der die „deutsche Sprache unbeschadet“ der bundesgesetzlich gewährten Rechte der „sprachlichen Minderheiten“ zur Staatssprache erklärt. Wie Kolonovits darlegt, ist diese Bestimmung in einem zeitlichen und systematischen Konnex zu Art 66 (4) StV Germain zu deuten, sodass ihr der völkerrechtliche Minderheitenbegriff zugrunde zu legen ist und darunter jedenfalls die Volksgruppen nach VoGrG zu verstehen sind.1339 Diese Argumentation bekräftigt ein Verweis auf Art 4 (6) PersFrG,1340 der „sprachliche Minderheiten“ nennt.1341 Nach den Materialien sind darunter die Volksgruppen gem VoGrG zu verstehen.1342 Zu einem anderen Ergebnis gelangt Marko, der den Begriff der „sprachlichen Minderheiten“ in Art 8 (1) B-VG nicht subjektiv-historisch im Sinne des StV Germain oder des B-VG 1920 interpretiert. Durch teleologische Auslegung – unter Heranziehung der Feststellung des VfGH, Minderheitenschutzbestimmungen seien nicht restriktiv, sondern orientiert an ihrem Zweck auszulegen – argumentiert Marko, dass auch neue Minderheiten vom Vorbehalt des Art 8 (1) B-VG erfasst sind. Sie könnten sich auf die Begünstigungen der Art 66-68 StV Germain berufen.1343 Strukturell sei das Ziel der Integration damit auch für die neuen Minderheiten verwirklicht, Pflichten zu fördernden Maßnahmen ergeben sich expressiv verbis Art 8 (2) B-VG nur für „autochthone“ Minderheiten.1344 Art 7 StV Wien bezieht sich auf „österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten und im Burgenland“ (zur territorialen Beschränkung in Z 3 und ihrer Folge für den subjektiven Geltungsbereich C.I.a.).1345 Die Überschrift stellt klar, dass es sich um „Rechte der slowenischen und
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sprachiger Unterricht in der Mindehreitensprache als auch zweisprachiger Unterricht sind möglich. Kolonovits, Sprachenrecht 60 f. Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG), BGBl 1988/684 idF BGBl I 2008/2. Kolonovits, Sprachenrecht 61. AB 667 BlgNR 17 GP 3; Kolonovits, Sprachenrecht 61. Marko in Heißl 424. Marko in Heißl 424; Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 31 f. Explizit in Z 1 und 4, mittels Verweis in Z 2 („Sie“), durch die Formulierung „der kroatischen und slowenischen Bevölkerung“ in Z 5 und durch die Überschrift „Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten“; so schon Kolonovits, Sprachenrecht 61. Fraglich ist jedoch, ob durch die territoriale Beschränkung der Amtssprache in Z 3 das Territorialitätsprinzip statuiert wird, hierzu C.I.a.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
kroatischen Minderheiten“ handelt. Die Existenz der Minderheit wird vorausgesetzt und der völkerrechtliche Begriff zugrunde gelegt. Wer als Minderheitenangehöriger gilt und vom Schutzbereich der Normen erfasst sein soll, ist zu den einzelnen Rechten der Unterrichtssprache, Amtssprache und Topographie im Zusammenhang mit den Ausführungsgesetzen zu beantworten (C.). Aus der Geschichte des Staatsvertrages ist festzustellen, dass in den Varianten der Westmächte auf die Attribute „national“ oder „sprachlich“ zur Beschreibung der Minderheiten verzichtet wurde. Nur in der ebenfalls authentischen russischen Vertragsvariante wurde „national“ beibehalten.1346 Für die Einordnung von Art 7 StV Wien (nur) als Minderheitenrecht der Ebene 1 des vorgeschlagenen Modells spricht seine Überschrift. Allerdings regelt Art 7 Z 3StV Wien1347 die Zulassung der slowenischen oder kroatischen Sprache als Amtssprache und ihre Verwendung auf topographischen Aufschriften. Sie spricht nicht von „Staatsangehörigen der … Minderheiten“ wie Z 1oder 3 und enthält keinen diesbezüglichen Verweis wie Z 2 („Sie“). Abgestellt wird nur auf die „Sprache“. Vom Wortlaut gedeckt ist eine doppelfunktionale Auslegung der Z 3 – als Recht der Minderheit und Schutz der Sprache iSv Ebene 2.1348 Bei den staatsvertraglichen gesicherten Minderheitenschutzbestimmungen des StV Germain und Wien handelt es sich aber primär – auch im historischen Kontext gedeutet – um solche, die den Minderheiten und ihren Angehörigen spezifische Rechte iSv Ebene 1 gewähren.
c. Art 8 Abs 2 B-VG („Volksgruppen“ und „Sprache…dieser Volksgruppen“) Eindeutig ist die Formulierung der Staatszielbestimmung in Art 8 (2) B-VG. In ihr bekennt sich die Republik zu „ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern“. Ein Bekenntnis zur „ethnischen“ Vielfalt, die das zugrundeliegende Memorandum der Volksgruppen 19971349 neben sprachlicher und kultureller 1346 Marko, Autonomie und Integration 356; Hafner, Die Völkerrechtlichen Verpflichtungen 221 ff. 1347 „In den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken … wird die slowenische Sprache … als Amtssprache zugelassen. In solchen Bezirken werden die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfaßt.“ 1348 Dafür spricht auch die Auslegung, die der VfGH im Lichte von Ziel und Zweck des Vertrages vornimmt (VfSlg 16.404/2001): Er erkennt im Recht auf zweisprachige topographische Aufschriften einen objektivrechtlichen Auftrag an die Staatsorgane. Die Amtssprache sei demgegenüber ein subjektives Recht der einzelnen Minderheitenangehörigen (differenzierend C.II.a.). 1349 Memorandum in AE Memorandum der Volksgruppen 1997, 11/AE 21. GP.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 241
Vielfalt gefordert hat, findet keine Berücksichtigung in der Bestimmung. Sie stellt nur auf „sprachliche und kulturelle“ Vielfalt ab.1350 Aus dem Wortlaut ergibt sich unzweifelhaft, dass Art 8 (2) B-VG nur „autochthone Volksgruppen“ umfasst. Die Erl1351 bestätigen, dass die Volksgruppen iSd § 1 (2) VoGrG (d.) gemeint sind. Die Staatszielbestimmung gewährt keine subjektiven Rechte, dient aber als Interpretation- und Handlungsmaßstab für Exekutive und Legislative.1352 Marko gibt mit Blick auf die Judikatur des VfGH zum Staatsziel Umweltschutz zu bedenken, dass einer solchen Norm zumindest „subjektive Reflexwirkungen“ entspringen können.1353 IdS hatte der VfGH die Notwendigkeit angenommen, Staatszielbestimmungen als Interpretationsmaßstab heranzuziehen, um die Parteistellung in einem Verfahren zu begründen.1354 Zwei denkbare Bindungen der Gesetzgebung bennent Merli ebenfalls am Beispiel Umweltschutz: die Garantie eines Minimalniveaus oder eines Verbotes von Verschlechterungen ohne ausreichende Rechtfertigung.1355 Auffallend ist die Konstruktion des Art 8 (2) B-VG: Er legt fest, dass „Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen (…) zu achten, zu sichern und zu fördern“ sind.1356 Vom Wortlaut der Norm gedeckt ist eine Kombination von Minderheitenschutz und Sprachförderung, die mit dem Schutz der Minderheit einen darüber hinausgehenden Schutz der Sprache verbindet, da die „Sprache (…) dieser Volksgruppen zu achten, zu sichern und zu fördern“ ist. Dem Einwand, die Achtung, Sicherung und Förderung der „Sprache“ beziehe sich nur auf die Volksgruppen, weshalb eine Erhaltung nur für die Volksgruppen gemeint sein könnte, ist entgegenzuhalten, dass sich eine Förderung der Sprache nicht vom Bestand und Schutz der Volksgruppen löst, sondern – wie die Instrumente der Sprachencharta oder die Judikatur des VfGH mit Blick auf zB die Siedlungsschwerpunkte der Volksgruppe deutlich machen – nur soweit zu gewährleisten ist, als Volksgruppen 1350 Die zugrundeliegenden Initiativanträge sahen ein Bekenntnis zur sprachlichen und kulturellen Vielfalt vor und verpflichteten, diese „Vielfalt zu achten, zu bewahren, zu fördern und zu schützen“ (IA 13/A 21. GP); empfahlen ein „Bekenntnis zu den Volksgruppen“ und der aus ihrem „Bestehen ergebenden historisch gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt“ und verpflichteten zu deren besonderen Schutz und Förderung (13/A 21. GP). 1351 ErläutRV 127 BlgNR 21. GP 3. 1352 Vgl die Intention in RV 127 BlgNR 21. GP 3. 1353 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 9 f. 1354 VfSlg 13.210/1992. 1355 Merli, Unzumutbare Gesetzgebung: Die neue Gastgartenregelung der Gewerbeordnung, JRP 19/2011, 195 (212 f ). 1356 Im Gegensatz zur Formulierung der RV. Sie sah das Bekenntnis des Art 8 (2) B-VG vor, bestimmte aber, „Sprache und Kultur dieser Volksgruppen sind zu achten, ihre Erhaltung und ihr Bestand sind zu sichern, ihr Wohlergehen ist zu fördern“ (RV 127 BlgNR 21. GP).
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
(noch) bestehen. Eine funktionale, teleologische Perspektive bestärkt das Ergebnis, da eine allgemeine Förderung der Sprache einer Volksgruppe, wie dargelegt wurde (A.II.), auf den Schutz der Volksgruppe zurückwirkt. Dass zu ihrer Förderung interkulturelle Verständigung und eine Öffnung der Sprache zur Mehrheitsbevölkerung gehören, zeigen – wenn auch einfachgesetzlich – die einschlägigen Normen des Rahmenübereinkommens und der Sprachencharta nur zu deutlich. In der Staatszielbestimmung finden beide Seiten des vorgeschlagenen Modells ihre Deckung: der Schutz der autochthonen Volksgruppen und ihrer Sprachen. Art 8 (2) B-VG liegt ein ähnlich janusköpfiges Verständnis zugrunde, wie es in Art 19 StGG verbrieft ist. Letzteres hat das RG ausdifferenziert. Für Art 8 (2) B-VG wurde dies vom VfGH bisher nicht geleistet (vgl VfSlg 17.327/2004; 17.416/2004 oder zuletzt 19.693/2012). Art 8 (2) bietet eine Grundlage für Fördermöglichkeiten:1357 Der Begriff „fördern“ schreibt epxlizit eine Pflicht des Staates zur Förderung der Sprache vor.1358 Sie enstpricht der Judikatur des VfGH über die „Wertentscheidung“. Der OGH erachtet die Wahrung der Möglichkeiten eines zweisprachigen Kindes, sich in der zweiten Sprache fortzubilden, als im Interesse der gedeihlichen Entwicklung gelegen, weil es nur so in die Lage versetzt werde, später zweisprachigen Unterricht zu konsumieren.1359 Daraus leitet Marko funktional eine Schutzpflicht vor Assimilation ab, um einen Gesetzgebungsauftrag für die Einrichtung von zweisprachigen Kindergärten, die nicht dem Schutzbereich des Art 7 StV Wien unterliegen,1360 zu begründen.1361 Dies lässt sich auch für den Schutz der Sprache, ihrer Sprecher und die „Vielfalt“ vorbringen. Jedenfalls begründet Art 8 (2) B-VG eine Vorschrift, die einfachgesetzliche Schutzsysteme absichert.1362 Fraglich ist, ob in der Praxis die Einleitung eines Verfahrens, zB unter Berufung auf den Gleichheitssatz, gelingen würde, um vor dem VfGH die Verfassungswidrigkeit einfachgesetzlicher Bestimmungen zu relevieren – Marko nennt als Beispiel das Anmeldeprinzip zum zweisprachigen Unterricht in Kärnten gegenüber dem Abmeldeprinzip im Burgenland.1363 Dort sind Kinder 1357 In diese Richtung gehend sieht auch Boysen in Art 8 (2) B-VG im Zusammenhang von Sprachencharta und österreichischem Recht einen Förderauftrag, ohne nähere Ausführung: Boysen, Einführung in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier (Hrsg), Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Handkommentar (2011) Rz 22. 1358 Zum Gehalt der Begriffe „achten“ und „sichern“ Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 14 ff. 1359 OGH 14.3.1979, 1 Ob528/79. 1360 Hierzu Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2 -4 StV Wien Rz 22 ff. 1361 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 42 f. 1362 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 8. 1363 Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 7; entspr der Judikatur des VfGH ist anzunehmen,
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 243
im autochthonen Gebiet grundsätzlich zum zweisprachigen Unterricht angemeldet, es sei denn, der gesetzliche Vertreter spricht sich für die Abmeldung aus (§ 4 (2) MindHSchG Bgl);1364 in Kärnten ist dies umgekehrt (§ 10 (2) MindHSchG Ktn). Das birgt funktional die Gefahr der Assimilation; ein Abmeldeprinzip könnte auf den Schutz und die Förderung der Sprache gestützt werden. Insgesamt kann Art 8 (2) B-VG doppelfunktional in ein Modell aus Minderheiten- und Sprachschutz eingeordnet werden und bietet die Grundlage für eine Erweiterung des Minderheitenschutzes zu einem Schutz der Sprache. Die Folgen dieser Einordnung sind an einzelnen Instrumenten in Kärnten aufzuzeigen. Es könnte zB die Abstufung des territorialen Geltungsbereiches im Schulwesen fraglich sein (C.III.a.) – mit Blick auf die Sprachförderung, aber auch das Interesse der Mehrheitsbevölkerung an der Sprache, das auf den Schutz der Minderheit zurückwirkt.
d. § 1 Volksgruppengesetz („Volksgruppen“) Einfachgesetzlich führt das Volksgruppengesetz 1976 die Bestimmungen der StV Wien und Germain aus.1365 Es stellt auf den Begriff „Volksgruppen“ ab und bietet für diesen in § 1 (2) VoGrG eine Legaldefinition.1366 Sie spricht von „in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum“ (§ 1 (2) VoGrG). Es muss sich um österreichische Staatsbürger handeln, die eine Gruppe bilden.1367 Wie die Erl1368 ausführen, wird von der Festlegung einer Mindestzahl abgesehen. Stattdessen werden „innere Beziehungsmerkmale“ festgelegt, die notwendig sind, um eine „Gruppe“ iSd VoGrG bilden zu können: ein territoriales Element, das Ansässigkeit verlangt, und ein kulturelles Element, das auf die „kulturelle Verbundenheit“ abstellt.1369 Diese Verbundenheit sei für die Volksgruppe konstitutiv. Die Erl räudass bloß partielles, nicht aber vollständiges Unterlassen vor dem VfGH bekämpft werden kann (VfSlg 14.453/1996). 1364 Näher Kolonovits, Minderheitenschulrecht 141 ff. 1365 ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 7. 1366 Vgl Kolonovits, Sprachenrecht 68. 1367 Dies bestätigen auch die ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8. Eine genaue Mindestzahl ist nicht vorgesehen; vgl Kolonovits, Sprachenrecht 68. 1368 ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8. 1369 ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8. Veiter, Recht 47 erachtet die Gruppe als Charakteristikum für den Begriff der „Volksgruppe“; gemeint sei eine Gemeinschaft. Im Gegensatz zu einer nationalen Minderheit ohne Volksgruppencharakter könne sich, so Veiter, die Volksgruppe wieder erheben; der Begriff sei stärker. Eine nationale Minderheit umfasse eine Volksgruppe; Volk basiere auf Vokstum. Wesentlich für eine Volksgruppe im Gegensatz zu Fremarbeitern seien das Verwurzeltsein
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
men selbst die Problematik dieses Elements ein, da andere als kulturelle Beziehungen zwischen Angehörigen der Volksgruppen bestehen könnten und die kulturelle Verbundenheit selbst „vielverzweigt“ sein könne.1370 Die Definition nennt explizit nur zwei Elemente der kulturellen Verbundenheit: Muttersprache und „Volkstum“.1371 Die Muttersprache erklären die Erl mit der Sprache, die in der Familie tradiert wird und noch im Gebrauch ist.1372 Eigenes „Volkstum“ meint, wie die Erl indizieren,1373 Formen kultureller Beziehungen, die kulturelle Verbundenheit erzeugen.1374 Das territoriale Element stützt sich auf die Verbundenheit zum Siedlungsgebiet und die Notwendigkeit der Nähe der Volksgruppenangehörigen zueinander, da man nur unter diesen Voraussetzungen von einer Volksgruppe sprechen könne.1375 Die Literatur erkennt in der Definition ein Kriterium des Gruppenbewusstseins, zu dem eine längere Ansässigkeit hinzutritt.1376 Die Merkmale der Volksgruppendefinition werfen Auslegungsfragen auf. Sie betreffen das territoriale und kulturelle Element. Für das territoriale Element ist Kolonovits beizupflichten, dass von einer „Ansässigkeit“, somit dem Aufenthalt von Personen in einem Gebiet, nicht von deren Wohnsitz auszugehen ist.1377 Diese Interpretation ist auch angezeigt, da das VoGrG auf die Ansässigkeit der „Gruppen“ von Personen abstellt und diese, wie der Begriff „beheimatet“ indiziert, eine gewisse (generationenübergreifende) Kontinuität bedingt. Es geht um die dauerhafte Ansässigkeit einer Vielzahl von Gruppenmitgliedern, die nicht im Einzelfall, sondern für die Gruppe in ihrer Gesamtheit vorliegen muss. Für die kulturelle Verbundenheit, die „konstitutiv“ sein soll, gilt dies sinngemäß. Unter Muttersprache ist, so Tichy und Kolonovits,1378 jene Sprache zu verstehen, die einem Kind als erstes vermittelt wird. Tichy argumentiert, dass die Muttersprache unter das Volkstum subsumierbar ist,
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und der Zusammenhalt. Volkstum umfasse daher mehr als ethnische Kriterien, es meine volkliche Ausdrucksformen. Veiter, Recht 50 f (insb FN 16). ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8. ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8. ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8. Zur Auslegung und Diskussion dieses Begriffs insb Kolonovits, Sprachenrecht 70 (dort auch in FN 249), der klarstellt, dass es sich durch den Bezug auf die Muttersprache um sprachliche, nicht etwa religiöse Minderheiten handeln muss. ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8. So auch Kolonovits, Sprachenrecht 70. ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8. Veiter, Recht 44; Kolonovits, Sprachenrecht 67. ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8. Tichy, Der Begriff „Muttersprache“ im österreichischen Volksgruppenrecht, Europa Ethnica 43/1986, 113 (117); Kolonovits, Sprachenrecht 70.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 245
weshalb auf die aktuell gesprochene Sprache abgestellt werden könne.1379 Dem entgegnet Kolonovits zutreffend, dass die Muttersprache explizit genannt werde und für die Zwecke des § 1 (1) VoGrG bedeutend ist, in dem der Bestand der Gruppen gesichert und Assimilation vorgebeugt werden soll, weshalb für die Frage des Bestandes einer Gruppe (§ 1 (2) VoGrG) jede Person nicht-deutscher Muttersprache relevant sei, während Fragen der individuellen Zugehörigkeit – die Tichy seinem Argument zugrunde legt – durch das freie Bekenntnis erfasst wären.1380 Aus dieser Sicht handelt es sich um ein objektives Kriterium. Es läuft darauf hinaus, jedenfalls auf eine Volksgruppe zu schließen, solange die Sprache in Familien dieser Gruppe weitergegeben wird. Das entspricht der Intention des Gesetzes. Problematisch wäre es, den Bestand der Volksgruppe an der Zahl von Personen mit nicht-deutscher Muttersprache zu bemessen. Damit würden, wie Tichy argumentiert,1381 Personen dem Bestand zugerechnet, die sich nicht (mehr) zu ihr bekennen. Insgesamt ist auf die Formulierung der Erl zu verweisen und die Muttersprache als jene zu verstehen, die in einer Gruppe österreichischer Staatsbürger tradiert wird und noch im Gebrauch steht – ob es sich tatsächlich um die „erste“ Sprache handelt, muss angesichts der Zweisprachigkeit vieler Volksgruppenangehöriger unerheblich bleiben. Zum „Volkstum“ ist zu bemerken, dass es Elemente einer verbindenden Kultur enthält, die über Sprache hinausgehen, sich aber nicht in Bräuchen erschöpfen müssen.1382 Die kulturelle Betätigung hat eine kulturelle Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. Die Intention stellt auf den Gruppenbezug und eine Verbindung der Mitglieder (in ihren Beziehungen) ab. Dies lässt auf Formen gemeinsamer kultureller Betätigung schließen, in welcher Gestalt sie sich auch präsentieren, zB in einem kulturellen Vereinsleben der Gruppe. Die Feststellung des Bestandes einer Volksgruppe sichert ihr besondere Förderungen iSd VoGrG. Die persönliche Zugehörigkeit als Volksgruppenangehöriger gewährt subjektive Rechte. Sie folgt gem § 1 (3) VoGrG dem subjektiven Bekenntnisprinzip: Das Bekenntnis zur Volksgruppe erfolgt frei, keiner Person dürfen daraus Nachteile erwachsen und es ist nicht nachzuprüfen. Das freie Bekenntnis ist 1379 Tichy, Der Begriff Muttersprache 118; vgl die Argumentation in Kolonovits, Sprachenrecht 70 (dort in FN 249). 1380 Kolonovits, Sprachenrecht 70. Dem Verweis auf die Sprache der Volksgruppen im Gegensatz zur Muttersprache ist für die Frage deshalb nichts abzugewinnen, weil es sich dabei um die Sprache der Gruppe handelt, die sich aus der nicht-deutschen Muttersprache ihrer Mitglieder ergibt; diese Begrifflichkeit ist auch konsequent, weil sie im Zusammenhang mit der Regelung über Verwendung der Amtssprache erfolgt. 1381 Tichy, Der Begriff „Muttersprache“ 118. 1382 So auch Kolonovits, Sprachenrecht 70.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Ausfluss des Diskriminierungsschutzes1383 und enthält zwei Stoßrichtungen: Jeder kann, niemand muss sich zu einer Volksgruppe bekennen. Da keine Nachweise zu erbringen sind und eine Überprüfung ausgeschlossen ist, können keine objektiven Merkmale (zB die Muttersprache) herangezogen werden, um dies im Einzelfall zu kontrollieren.1384 Hilpold und Kolonovits weisen darauf hin, dass sich jeder österreichische Staatsbürger beliebig einer Volksgruppe zuordnen kann. Das Bekenntnis ist offen für jene „Reaktivierten“, die ihre Wurzeln wieder entdecken und Volksgruppenrechte wahrnehmen möchten, wie auch für jene, die sich aus Sympathie, Bezügen zur Sprache und Kultur oder anderen Motiven zur Volksgruppe zugehörig erklären wollen. Nach innen ist die subjektive Zuordnung zur Volksgruppe de facto flexibel – weil frei und nicht überprüfbar. Schwierigkeiten bestehen bei der Bestimmung des Bestandes von Volksgruppen an sich iSd § 1 (2) VoGrG. Dazu gehören sämtliche Probleme, die in Teil 1 für die Sprache als Zugehörigkeitskriterium und individuelle Zuordnungen illustriert sind. Kolonovits regt an,1385 durch das Abstellen auf objektive Merkmale könnten Assimilationsfaktoren (zB überwiegend deutsche Umgangssprache im Alltag) abgefedert werden.1386 Der VfGH geht davon aus, dass zur Bestimmung, ob es sich um ein Gebiet mit „gemischter Bevölkerung“ iSd Art 7 Z 3 StV Wien handelt, eine „vergröberte statistische Erfassung“1387 heranzuziehen ist. Dazu zieht er die Umgangssprache heran. Welche Probleme solche Referenzen auf objektive Merkmale (insb die Sprache) bergen, zeigt die Beschwerde einer Person, die sich bei der Volkszählung 1976 als Slowenin bekennen will, obwohl ihre Muttersprache Deutsch ist.1388 Konkret sieht sie sich gezwungen eine Angabe zu machen, die nicht den Tatsachen entspricht, da abgesehen von der Frage nach der Sprache keine Möglichkeit für ein 1383 ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 8 ff; Kolonovits, Sprachenrecht 71. 1384 Vgl Kolonovits, Sprachenrecht 71; Hilpold, Minderheitenrecht 295; zu Problemen eines Bekenntnisses auch Marko, Autonomie und Integration 355 ff. Bereits in der Jud zu Art 19 StGG ging der VwGH davon aus, dass lediglich die Erklärung einer Partei maßgeblich sei bei Feststellung der Zugehörigkeit zu einem Volksstamm; hierzu Hermann von Herrnritt, Nationalität 78; Raschhofer, Hauptprobleme des Nationalitätenrechts (1931) 67 f. 1385 Vgl Kolonovits, Sprachenrecht 71; zum individuellen Bekenntnis Marko, Autonomie und Integration 355 ff. 1386 Vgl Kolonovits, Sprachenrecht 71. Auch der thematische Kommentar des Beratenden Ausschusses zu den Sprachenrechten sieht ein Abstellen auf objektive Kriterien vor, bemerkt jedoch dass auch die Zuordnung zu mehreren Minderheitengruppen möglich sein muss und eine Datensammlung notwendig ist, die nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Kriterien berücksichtigt und die Auswahl mehrerer Sprachen zulässt; AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 15; 18; 19. 1387 VfSlg 11.585/1987. 1388 Hierzu eingehend Hilpold, Minderheitenrecht 294. Die Bf richtet ihre Beschwerde zuerst an den VfGH, sodann an die Europäische Kommission für Menschenrechte.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 247
Bekenntnis vorgesehen ist.1389 Der VfGH weist die Beschwerde ab, da das zugrundeliegende Gesetz nicht an einem freien Bekenntnis zur Volksgruppe hindert, auch wenn nur nach der Sprache gefragt wird.1390 Wie Hilpold argumentiert und Teil 1 der Analyse bestätigt, ist das alleinige Abstellen auf die Sprache – ob Mutter- oder Umgangssprache – nicht zielführend, weshalb sich Volksgruppenschutz nicht im Sprachschutz erschöpfen könne.1391 Dem ist zuzustimmen, soweit es um den Schutz der Gruppe an sich geht. Bedenklich ist die „Wiedereinbeziehung“ von Personen, die zwar eine slowenische Muttersprache oder nur mehr eine deutsche Mutter- oder Umgangssprache haben, sich aber nicht mehr zur Gruppe bekennen wollen. Ihnen fehlt es – auch wenn dies zT Assimilationsfolgen sind – am implizit vorausgesetzten Gruppenbewusstsein, das für den Bestand der Gruppe (in den Beziehungen zur Gruppe) konstitutiv sein soll.1392 Mit Blick auf das Ziel des Gruppenschutzes und die Intention, Assimilation entgegenzuwirken, wird dies aber großzügig zu interpretieren sein.1393 Für die Rechtsstellung von Volksgruppen und ihrer Angehörigen sind die Rückgriffe auf Statistiken, amtliche Erhebungen und Volkszählungsergebnisse von erheblicher Bedeutung. Das VoGrG stellt in der Definition der Volksgruppen, wie Hilpold zeigt, auf eine Realität ab.1394 § 2 (2) VoGrG1395 verpflichtet bis zur Novelle 2011 auf amtliche Erhebungen zurückzugreifen, um die zahlenmäßige Größe der Volksgruppen, die Verbreitung ihrer Angehörigen, das Verhältnis zu anderen Staatsbürgern und spezifische Bedürfnisse bei der Erhaltung des Bestandes berücksichtigen zu können beim Erlass der Verordnungen über die Amtssprache, Beiräte und Topographie und bei der Volksgruppenförderung. Der VfGH greift in seiner Judikatur mehrfach auf statistische Erhebungen zurück, um zB den Geltungsbereich
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Hilpold, Minderheitenrecht 294 f. Hilpold, Minderheitenrecht 295. Hilpold, Minderheitenrecht 296. So etwa Rautz, Sprachenrecht 60, dem zufolge die Zurechnung der Angabe „Windisch“ zur Gruppe der Kärntner Slowenen zu Recht erfolgt oder Hilpold, der unter dem Begriff „Windische“ Personen versteht, die zwar eine deutsche Muttersprache haben, ihre ethnische Identität aber bewahren wollen; vgl Hilpold, Minderheitenrecht 296 (dort in FN 295). Zu letzterem sei angemerkt, dass „Windische“ ein Gruppenbewusstsein höchstens als „Windische“ bzw Deutschkärntner entfalten und sich – sei dies auch durch Assimilation begründet – nicht mit der slowenischen Volksgruppe identifizieren. Personen, die hingegen nicht Slowenisch sprechen, sich aber slowenisch bekennen wollen, bringen das objektive Feststellungssystem aber tatsächlich an seine Grenzen. 1393 So schon Kolonovits, Sprachenrecht 70. 1394 Hilpold, Minderheitenrecht 292. 1395 IdF 35/2002.
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der Topographie- oder Amtssprache zu bestimmen.1396 Auch die jüngste Novelle des VoGrG 2011 stellt zur Festlegung des territorialen Anwendungsbereiches der Amtssprache und Topographie auf die Ergebnisse der Volkszählung 2001 ab.1397 Das Volksgruppengesetz zielt auf den Schutz der Volksgruppen und ihrer Angehörigen und gewährt diesen besondere Rechte. In einem Modell aus Minderheitenschutz und Sprachförderung ist es grundsätzlich auf Ebene 1 einzordnen, Einzelne Instrumente bieten aber komplementäre Anknüpfunkspunkte für einen Schutz der Sprache (dazu C.). Nach derzeitiger Rechtslage besteht kein Anspruch auf Anerkennung als Volksgruppe iSd VoGrG. Sie ergibt sich aus der Einrichtung eines Volksgruppenbeirates iSd § 2 VoGrG durch die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates nach Anhörung der jeweiligen Landesregierung (§ 2 VoGrG). In der „Anerkennungspraxis“ wirft die Anwendung der Kriterien des VoGrG eine Reihe von Fragen auf. Dies verdeutlicht das Beispiel der Gruppe der Polen. Ihr Verein „Strzecha“ bringt bereits 1996 den Antrag auf Einrichtung eines Volksgruppenbeirates bei der österreichischen Regierung ein. Die Gruppe bleibt in der jüngsten Reform des VoGrG 2012 von der Anerkennung ausgeschlossen.1398 Die Grundlage dafür liefert ein sozialwissenschaftlich (insb statistisch) basiertes Gutachten, auf das sich Österreich in seiner Rechtfertigung gegenüber dem Europarat und dessen Kritik an der mangelnden Rechtsstellung der Polen beruft.1399 Fraglich ist vor allem die „Beheimatung“ der Polen in Österreich, konkret im Bundesland Wien. Das Gutachten greift auf die Daten der Volkszählungen zurück, um das kontinuierliche Vorhandensein eines „ethnischen Kerns“ zu prüfen und kommt zum Schluss, dass „eine Kontinuität eines zahlenmäßig ausreichenden ethnischen Kerns bis an die Gegenwart heran mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auszuschließen“ sei.1400 Eine „mehrere Generationen umfassende Kontinuität“ lasse sich nicht belegen. Sie könne auch nicht aus der Tätigkeit von Vereinsstrukturen abgeleitet werden, da die Rechtslage es zulasse, dass ein Ver-
1396 zB VfSlg 15.970/2000; 16.404/2001. 1397 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 5 f. 1398 ZB Die Presse, Polen wollen als Volksgruppe anerkannt werden, in http://diepresse.com/home/ panorama/ integration/647924/Polen-wollen-als-Volksgruppe-anerkannt-werden (14.10.2013) für das Jahr 2011. 1399 Veröffentlicht ist nur jener Teil des Gutachtens, der sich auf die Polen in Österreich bezieht, obwohl auch andere Gruppen von dem Gutachten erfasst sind. Auch das Gutachten über die Polen findet sich nur – ausführlich – zusammenfassend in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage: 1975/AB 21. GP. 1400 1975/AB 21. GP.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 249
ein fortbesteht, selbst wenn er nicht aktiv ist.1401 Die Analyse der Bevölkerungsstruktur ergäbe schließlich, dass „die Gruppe, die sich über die Umgangssprache ethnisch als Polen definiert, in ihrem derzeitigen Umfang jungen Datums ist.“1402 Zugleich gesteht das Gutachten zu, es sei nicht auszuschließen, dass ein gewisser Teil schon länger ansässig sei. Langfristige Kontinuität lasse sich aber „für eine auch nur ansehnliche Minderheit (Reproduktionsumfang) (…) nicht feststellen“.1403 Die angewandten Maßstäbe und ihre Methoden decken sich mit den vom RG vorgenommenen Beurteilungen einer „Individualität“ von Volksstämmen im Lande, somit ihrer Autochthonie. Hier bestätigt sich die von Marko ins Treffen geführte „Kontinuität der Rechtsprobleme“.1404 Als ausschlaggebend gelten die ethnische Gruppenbildung über einen langen Zeitraum und die Beheimatung. In der konkreten Prüfung ergeben sich, wie das Gutachten zugesteht, Zweifel, ob nicht vielleicht doch ein „ethnischer Kern“ bestehe, der nicht nachgewiesen werden kann.1405 Der Hinweis auf das Vereinsgesetz vermag die Tätigkeit eines Vereines nicht grundsätzlich zu widerlegen, sondern spricht genauso dafür wie dagegen. All dies sind konkrete Feststellungsprobleme. Festzuhalten ist, dass Beheimatung in concreto daran gemessen werden soll, wie lange eine Gruppe in einem bestimmten Gebiet lebt und dort einen gewissen Gruppencharakter erkennen lässt. In Verbindung mit der Anerkennung von Volksgruppen stellt sich die Frage, ab wann „neue“ Volksgruppen zu „alten“ iSd VoGrG werden können. In der Lit1406 wird bisher für die „Beheimatung“ auf einen Zeitraum abgestellt, der etwa 3 Generationen umfasst, somit 90-100 Jahre. Diese Voraussetzung könnten in zeitlicher Nähe einige Gruppen erfüllen. Angehörige dieser Gruppen müssen gem § 1 (2) VoGrG über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügen, eine nicht-deutsche Muttersprache und ein eigenes Volkstum aufzuweisen. Sprache und „Volkstum“ werden bei den in Frage stehenden Gruppen keine Probleme bereiten. Das Volkstum wäre zB durch kulturelle Betätigungen, die den Gruppencharakter zum Ausdruck bringen, nachzuweisen. Sofern eine Gruppe diese Kriterien und die notwendige Kontinuität erfüllt, steht § 1 (2) VoGrG einer Anerkennung als Volksgruppe nicht 1401 1402 1403 1404 1405
1975/AB 21. GP. 1975/AB 21. GP. 1975/AB 21. GP. Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 27. Ganz davon abgesehen, dass Volkszählungsergebnisse dafür herangezogen werden, die, wie Teil 1 zeigt, alles andere als ein zuverlässiger Indikator für die Zugehörigkeit sind. Das räumt das Gutachten auch ein, weshalb letztlich nur eine wahrscheinliche Aussage möglich ist. 1406 Veiter, Das österreichische Volksgruppenrecht seit dem Volksgruppengesetz von 1976 (1979) 39; Rautz, Sprachenrechte 35.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
entgegen. Die Grenze zwischen „neuen“ und „alten“ Minderheiten wird vor allem durch die Staatsbürgerschaft und die Kontinuität als Gruppe über einen Zeitraum von mehreren Generationen gezogen.1407
e. Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC Der Beratende Ausschusses und das Ministerkomitee des Europarates kritisieren in den Berichtszyklen des RÜ mehrfach das strikte Verständnis der Autochthonie, die territoriale Beschränkung einzelner Rechte und den statistisch orientierten Ansatz in der Umsetzung von Minderheitenrechten. Im Sinne seines inclusive approach1408 spricht sich der Beratende Ausschuss dafür aus, den Anwendungsbereich des RÜ auf Gruppen zu erweitern, die nach der Erklärung Österreichs nicht dem VoGrG unterliegen.1409 Österreich rechtfertigt seinen Ansatz mit den Unterschieden zwischen alten und neuen Minderheiten. Sie erforderten ein Eingehen auf die spezifischen Bedürfnisse der Gruppen. Bei neuen Minderheiten ginge es um die Integration, bei alten um den Schutz ihres Brauchtums und ihrer Identität. Die Nicht-Anerkennung der Polen begründet Österreich mit der mangelnden Kontinuität.1410 Diese erachtet der Beratende Ausschuss im dritten Zyklus für gegeben und verweist auf Vorbringen der Vertreter der polnischen Gruppe.1411 Für die Polen empfiehlt der Beratende Ausschuss folglich einen flexiblen Ansatz und den Dialog mit den Vertretern anstatt die Anerkennung an Statistiken zu binden, die häufig unvollstän-
1407 In systematischer und ausführlicher Bearbeitung auch Bachmann, Migrationsminderheiten als künftige österreichische Volksgruppen?, migraLex 2/2010, 46. 1408 Vgl FN 1229 f; näher Angst in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 3 RÜ Rz 9. 1409 ACFC/OP/II(2007)005 para 34; vgl Röggla, Art 3 RÜ. B. 2. Österreich, in Hofmann/Angst/ Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 5. Österreich verweist immer wieder auf die nach dem VoGrG „anerkannten“ Gruppen und erläutert die konstituierenden Elemente einer Volksgruppe im vierten Staatenbericht zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten: Bestehen einer Gruppe, wobei eine Mindestgröße nicht vorgesehen sei, einzeln verstreut siedelnde Familien jedoch nicht ausreichen würden; österreichische Staatsbürgerschaft; nichtdeutsche Muttersprache; eigenes Volkstum und Beheimatung in Teilen des Bundesgebietes, worunter „eine kontinuierliche Siedlungsgeschichte in einem bestimmten Territorium über einen Zeitraum von mindestens drei Generationen, wobei eine Generation mit 30 Jahren bemessen wird, sohin insgesamt etwa 100 Jahre“ zu verstehen sei; siehe ACFC/SR/IV(2016)001/German version 18¸ vgl ACFC/SR/IV(2016)001 18. Zu dieser Diskussion auch Hilpold, Sprachenrechte 78 f. 1410 ACFC/OP/I(2002)009 para 19; ACFC/SR/III(2010)010 rev 15; vgl Röggla in Hofmann/Angst/ Lantschner/Rautz/Rein, Art 3 RÜ. B. 2. Österreich Rz 6. 1411 ACFC/OP/III/(2011)005 para 26.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 251
dig sind und tendenziell eng ausgelegt werden.1412 In seinem vierten Staatenbericht bekräftigt Österreich seine Ansicht mangelnder Siedlungskontinuität, die bei einer „rollierenden Minderheit“, bei der „wiederholt neue Zuzüge erfolgen, während die früher Zugezogenen sich entweder assimilieren oder zurück- oder weiterziehen“,1413 nicht vorliege.1414 Auch der Sachverständigenausschuss problematisiert bei Überprüfung der Sprachencharta die polnische Sprache. Er verweist auf das Gutachten der Regierung und Treffen mit den Vertretern der polnischen Bevölkerung und ermutigt Österreich, die Präsenz der polnischen Sprache zu prüfen und weitere Informationen beizubringen.1415 Da Österreich diese Informationen im Folgezyklus nicht beibringt, Vertreter der betroffenen Bevölkerung jedoch darlegen, dass die polnische Sprache seit mindestens zwei Jahrhunderten in Wien vertreten ist, ersucht der Sachverständigenausschuss die Behörden, im Dialog mit der Bevölkerung die Präsenz der polnischen Sprache zu klären.1416 In seinem dritten Bericht erkennt der Ausschuss eine Kontinuität nach den Volkszählungen und der langen Tätigkeit des Vereins Strzecha und aufgrund der Tatsache, dass Polen bei ihrer Ankunft in Wien als Subjekte der Monarchie und nicht als Migranten erachtet wurden. Auch die Dokumente der polnischen Kirche könnten zur Klärung der langen Präsenz beitragen. Der Ausschuss erinnert Österreich, dass Teil 2 der Charta automatisch anwendbar ist auf alle Sprachen, die der Definition der Charta entsprechen, unabhängig davon, ob sie im Zuge der Ratifizierung spezifiziert wurden. Daher ermutigt der Ausschuss zu einem weiteren Dialog, um die Präsenz der polnischen Sprache in Wien zu klären.1417 Österreich bekräftigt in seinem vierten Staatenbericht indes seine Position, dass die polnische Bevölkerung die „soziographischen Merkmale einer Zuwanderergruppe“ aufweise und es an der „Siedlungskontinuität über den erforderlichen Zeitraum“ fehle, weshalb die Voraussetzungen einer Volksgruppe nicht vorlägen.1418 Im Zuge der Prüfung des RÜ weist der Beratende Ausschuss auf die Anliegen von Volksgruppenangehörigen hin, die außerhalb der autochthonen Siedlungsgebiete leben.1419 Die Abwanderung der Minderheitenangehörigen erreiche zT ein erhebli1412 1413 1414 1415 1416 1417 1418
ACFC/OP/III/(2011)005 para 26 ff. ACFC/SR/IV(2016)001/German version 18; vgl ACFC/SR/IV(2016)001 18. ACFC/SR/IV(2016)001/German version 19 f; vgl ACFC/SR/IV(2016)001 19 f. ECRML (2009) 1 para 17 ff. ECRML (2005) 1 para 46 ff. CM(2012)142 para 58 f. Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 29. 1419 ACFC/OP/I(2002)009 para 16 ff, ACFC/OP/II(2007)005 para 31; vgl Röggla in Hofmann/Angst/ Lantschner/Rautz/Rein, Art 3 RÜ. B. 2. Österreich Rz 4; Angst in Hofmann/Angst/Lantschner/
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
ches Ausmaß, woraus für den Beratenden Ausschuss ein negativer Einfluss auf ihre Möglichkeiten entstehe, Sprache und Kultur zu wahren.1420 Diese Probleme erkennt Österreich an, weist aber auf eine geringe Siedlungsdichte außerhalb der autochthonen Gebiete und faktische Schwierigkeiten hin, den Betroffenen dieselben Rechte einzuräumen – insb hinsichtlich des Unterrichts in der Muttersprache.1421 Das Ministerkomitee fordert dazu auf, unmittelbare Maßnahmen zu treffen, um die Rechte der Minderheiten in konsistenter und inklusiver Weise überall in Österreich zu wahren und eine effektive Partizipation ihrer Vertreter zu gewährleisten, bevor Maßnahmen getroffen werden.1422 Es bestätigt in seiner dritten Resolution die fehlende konsistente und inklusive Anwendung des RÜ, da außerhalb traditioneller Siedlungsgebiete den Angehörigen der Minderheiten substantielle Rechte nicht zukommen. Der Ansatz der Behörden scheine, so das Komitee, stark an Statistiken orientiert, im Hinblick auf die Anerkennung einer Minderheit, aber auch auf Sprachenrechte und den Unterricht. Es bestünde kein verlässliches System der Datenerhebung, wodurch eine gezielte Förderpolitik erschwert würde. 1423 Wegen der Diskrepanzen zwischen Volkszählungen und Angaben der Minderheitenvertreter regt der Beratende Ausschuss an, in Zusammenarbeit mit den Betroffenen und entsprechend internationaler Verpflichtungen Wege zur Datenerhebung zu finden, die die sozioökonomische Situation und Ausbildungssituation der Minderheiten berücksichtigen.1424 Er spricht die starke Ermutigung aus, zukünftige Zählungsversuche, die auf die Sprache abstellen, mit offenen Listen durchzuführen und zu erlauben, mehrfache Zuordnungen mit Blick auf Sprachen und Identitäten vorzunehmen.1425 Österreich teilt dazu in seinem vierten Staatenbericht mit, dass es keine Vereinheitlichungen der Rechtslage für alle Volksgruppen und Siedlungsgebiete anstrebe, weil die Voraussetzungen unterschiedlich seien. Ursachen lägen in den staatsvertraglichen Bestimmungen und den tatsächlichen Situationen der Minderheiten: weder Steiermark noch Wien wiesen die erforderliche Siedlungsdichte auf, die Bildungssituation in Wien sei durch Sprachpluralismus gekennzeichnet und die zahlenmäßig größte Gruppe entstamme den neuen Minderheiten, weshalb der Schwerpunkt in Wien auf deren Integration liege.1426 Rautz/Rein, Art 3 RÜ Rz 22, die zeigt, dass der Beratende Ausschuss eine Beschränkung des RÜ auf bestimmte Territorien regelmäßig rügt. 1420 ACFC/OP/III/(2011)005 para 24. 1421 ACFC/SR/III(2010)010 rev 16; vgl Röggla in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 3 RÜ. B. 2. Österreich Rz 4. 1422 CM/ResCMN(2012)7. 1423 CM/ResCMN(2012)7; stellt auch das AC fest: ACFC/OP/III/(2011)005 para 10. 1424 ACFC/OP/III/(2011)005 para 34. 1425 ACFC/OP/III/(2011)005 para 37. 1426 Wie Österreich zuletzt in seinem Bericht zur Sprachencharte feststellt, ist die Schaffung eines Ge-
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 253
Dennoch sei Österreich bemüht, die Situation der Volksgruppen im städtischen Umfeld zu verbessern durch eine Förderung der Volksgruppenorganisationen.1427
IV. Ethnisierung durch Volksgruppenrecht oder Schutz der Minderheit und Sprache? Das Volksgruppengesetz zielt auf den Schutz der Volksgruppen und ihrer Angehörigen und die Sicherung und Erhaltung des Bestandes der Volksgruppen (§ 1 (1) VoGrG). Maßnahmen der Volksgruppenförderung dienen der Sicherung dieses Bestandes und ihres Volkstums (§ 8 (1) VoGrG). Aufgrund dieser Zielsetzung wird dem Volksgruppengesetz zT eine „ethnisierende“ Wirkung unterstellt, die auf die Konzeption der Schutzobjekte als Volksgruppen rekurriert.1428 Zu ihr berichtet Ermacora, man wählte den Ausdruck im Gegensatz zum Begriff der „Minderheit“, der nur das Verhältnis des Staates zur Gruppe umschreibt.1429 „Volksgruppe“ knüpfe an „die modernen demokratiepolitischen Überlegungen zur Identitätsfrage an: Heimatgefühl, Gruppenbewusstsein, Wille zur Erhaltung der Gruppencharakteristika stehen im Vordergrund“.1430 Das österreichische Volksgruppenrecht greift zurück auf eine Begrifflichkeit, die vermeintlich modernen Identitätskonzeptionen entspricht, wie Salzborn auf europäischer Ebene zeigt, aber zurückführt auf ein völkisches Verständnis, das Volks-
1427 1428
1429 1430
setzes für Volksgruppensprachen in Wien nicht geplant. Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 30. vgl ACFC/SR/IV(2016)001 20. Zum Volkstumsbegriff insg auf Europäischer Ebene Salzborn, Ethnisierung der Politik. Theorie und Geschichte des Volksgruppenrechts in Europa (2005) 274 ff; zum österreichischen VoGrG zB Wakounig, Der geheime Plan 114 ff; Hentges, „Brücken für unser Land in einem neuen Europa“? Minderheiten- und Volksgruppenpolitik in Österreich, in Butterwege/Hentges (Hrsg), Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik (2006) 183. Eine ethnozentristische Perspektive europäischer Minderheitenschutzinstrumente, die durch die Praxis der Überwachungsorgane bestätigt wird, identifiziert auch Lahnsteiner, Minderheiten 173 ff. De Cillia in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 13 betont ebenfalls die ethnische Konzeption vor allem des Heimatbegriffs in der Volksgruppendefinion und des Begriffs „Volkstum“, der mit dem deutschen „Volksbegriff“ konnotiert ist, „der eher die Bedeutung von ‚Ethnos‘ hat als von ‚Demos‘ und Assoziationen von genetischer, zumindest historisch gesehen auch ‚rassischer‘, Verwandschaft evoziert“. Ermacora, Zum Recht auf Schutz der Minderheiten, in Henke (Hrsg), Leben lassen ist nicht genug. Minderheiten in Österreich (1988) 215. Ermacora, Zum Recht 215.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
gruppen als Generationengebilde begreift, deren Eigenständigkeit sich ausdrückt in kollektiver Identität von Sprache, Kultur, Abstammung und Siedlungsweise – ein Verständnis, das in eine „objektive“ rechtliche Kategorie transformiert wird.1431 Mit Blick auf das VoGrG präzisiert Wakounig, dieses stelle auf veraltete Orientierungsmuster ab, zwinge zu einer permanenten Herstellung der In-Group-Situation und widerspreche interethnischen Lebensformen.1432 Das strikte Verständnis der Beheimatung negiere moderne Entwicklungen der Abwanderung von Volksgruppenangehörigen und Erkenntnisse zur Mehrsprachigkeit, die zeigen, dass Sprachen nicht an Zugehörigkeiten zu Gruppen gebunden sind.1433 In ähnlicher Weise argumentiert Toivanen, dass die europäischen Instrumentarien die Vorstellung von Gruppen mit homogener Kultur und Identität voraussetzen, woraus das Paradox erwächst, dass sich diese Gruppen als homogen darzustellen bemühen, um in den Genuss der Rechte zu kommen.1434 Dass diese Fragen nicht nur sozial- und politikwissenschaftliche Implikationen enthalten, sondern ihnen eine rechtliche Dimension innewohnt, zeigen die Darstellungen zur Volksgruppendefinition. Auf die Frage nach der Repräsentation von Zwischen- und Mehrfachidentitäten bietet die Literatur zum Volksgruppenrecht, sofern sie diese berücksichtigt, unterschiedliche Antworten. Als Vertreter der beschriebenen Volksgruppen-Konzeption bemerkt Pan,1435 Mischehen seien stets Ausgangspunkte für Assimilationsverluste von Volksgemeinschaften, wobei beide daraus Gewinne verbuchen könnten.1436 Auch Veiter – der Völker und Volksgruppen für nicht juristisch definierbar, sondern nur soziologisch bestimmbar hält und als 1431 Salzborn, Ethnisierung 289. Vgl zur Begrifflichkeit des VoGrG De Cillia in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 13 mit dem Hinweis, dass „im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ein derartiges essentialistisches Konzept zur Definition von Minderheitengruppen eingeführt wurde, das auf den ersten Blick auf ‚objektiven‘ Kriterien beruht, aber de facto auch auf einem veralteten und im deutschsprachigen Raum nicht unbelasteten Volksbegriff“. Der international übliche Minderheitenbegriff impliziere dagegen eine zusätzliche Aussage über das Machtverhältnis zwischen den Gruppen. 1432 Wakounig, Der geheime Plan 115. 1433 Wakounig, Der geheime Plan 116 f. 1434 Toivanen, Das Paradox 193 ff; 201 ff. 1435 Pan hält für die Begrifflichkeit von Völkern ein Generationengebilde mit eigenem Kultursystem für wesentlich. Dadurch wären sie eindeutig historisch identifizierbar anhand objektiver Merkmale wie Sprache, Abstammung, Siedlung. Entscheidend ist dabei ein Kultursystem, das den „Vergemeinschaftungsakt begründet und dem Gebilde Eigenständigkeit verleiht“; so Pan, Südtirol 57. Unter „Volkstum“ versteht er die Gesamtheit aller Inhalte, die als gemeinsamer geistiger Besitz der Volksgemeinschaft dienen. Einer nationalen Minderheit fehle im Gegensatz zur Volksgruppe zudem das Gruppenbewusstsein und zT auch das ererbte Gebiet; Pan, Südtirol 66. 1436 Pan, Südtirol 125.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 255
ens sociale begreift, die vom Einzelnen unabhängig bestehen1437 – spricht von Assimilanten, um die sich der Staat nicht „zu kümmern“ brauche, weil sie kein Recht hätten, für eine Gruppe zu sprechen, von der sie sich entfernen.1438 Teilweise wird von einem „schwebendem Volkstum“1439 gesprochen oder von „Sprachslowenen“, die aus Assimilationsprozessen entstanden und daher den Minderheiten zuzuzählen seien.1440 Diese Diskussion betrifft mit Blick auf die Erkenntnisse aus Teil 1 nur den Bereich der Assimilierten im eigentlichen Sinne, somit jene, die jedenfalls ihre Wurzeln abgelegt haben und sich als „Windische“, Deutsche oder völlig ohne Bezüge zum Slowenischen definieren, nicht aber jene, die sich aus anderen Motiven nicht bekennen, doch Sprache (und Kultur) erhalten wollen. Im Zusammenhang mit der Zurechnung dieser Personen – wie auch immer sie bestimmt werden – zum Bestand der Volksgruppen ist Hilpold beizupflichten, dass eine Funktion des Minderheitenschutzes ohne Zweifel darin liegt, Assimilationsprozessen entgegenzuwirken und zu einem gewissen Grad auszugleichen, dass dies aber nicht eine Reaktivierung „historischer Identitäten“ bedeuten kann, sondern auf die Interessen der derzeitigen Schutzadressaten abzustellen ist.1441 Zugleich bestätigen die Überlegungen zur Feststellung der Minderheiten und zur Funktion der Sprache in Teil 1, dass Volkszählungen nicht zielführend sind als handlungsleitendes Kriterium. Es entspricht nicht dem subjektiven Bekenntnisprinzip, das der VfGH als Intention des Minderheitenschutzes identifiziert.1442 Das subjektive Bekenntnisprinzip gewährt de facto Möglichkeiten, Zwischenund Mehrfachidentitäten zu berücksichtigen, indem Betroffene Minderheitenrechte nutzen können ohne einen Nachweis ihrer Zugehörigkeit erbringen zu müssen. Daher kommt in diesem Fall die Problematik der Bekenntnisfeststellung, die im Sinne des Schutzes vor Diskriminierung die Volksgruppenangehörigen davor
1437 Veiter, Nationalitätenkonflikt 165; 245; 250. Konkret liege der Seiensgrund eines Volkes als ens sociale in präpositiven Rechtsgrundsätzen, es sei eine vorstaatliche Erscheinung. Als Zielsetzungsgemeinschaft gründe daher eine Volksgruppe nicht nur in objektiven Merkmalen wie Abstammung oder Sprache, sondern auch in geistigen Komponenten. 1438 Veiter, Nationalitätenkonflikt 226. Das Recht, die Gruppe zu verlassen, steht freilich nicht in Zweifel. 1439 Veiter, Nationalitätenkonflikt 161. 1440 Vgl Rautz, Sprachenrechte 60 unter Bezugnahme auf die Praxis der Volksgruppenvertreter. 1441 Hilpold, Minderheitenrecht 401. Hilpold führt dies an im Zusammenhang mit der Diskussion um die Anerkennung der Slowenen als Volksgruppe in der Steiermark. 1442 Hilpold begründet die Ablehnung als handlungsleitendes Kriterium mit dem Bezug auf das subjektive Bekenntnisprinzip als Primärnorm im Völkerrecht; Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 53.
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bewahrt,1443 ihre Zugehörigkeit ausweisen zu müssen oder nach objektiven Kriterien einer Volksgruppe zugezählt zu werden, auch Zwischen- und Mehrfachidentitäten zugute. Die Zuordnung zur Volksgruppe ist im System offen.1444 Es bedeutet grundsätzlich, dass jedermann Volksgruppenrechte – als Volksgruppenangehöriger, dessen Bekenntnis nicht überprüft werden kann – wahrnehmen kann, die intentional auf den Schutz der Volksgruppe abstellen. Anders stellt sich diese Frage, wenn man überprüfen möchte, ob die Rechte darüber hinaus auch einem allgemeinen Schutz der Sprache dienen. Sie ist für einzelne Bereiche gesondert zu beantworten (siehe unten). Mehrfach angeklungen ist das Konzept, das den Volksgruppenrechten, insb dem Volksgruppengesetz an sich zugrunde liegt. Es zielt auf den Schutz von Gruppen, die in einem bestimmten Verständnis vom Schutzbereich erfasst werden sollen. Dabei stellt es vor allem auf ein Kriterium ab, das einer Pluralismustauglichkeit in mehrfacher Hinsicht entgegensteht: die Autochthonie. Sie bildet die zentrale Grenze in der Differenzierung von neuen und alten Minderheiten. Sie legt ein Konzept von Territorialität zugrunde, das sich in den Bereichen der Minderheitenrechte selbst als dysfunktional erweist, wenn sie auf das angestammte, traditionelle Siedlungsgebiet der Minderheitenangehören beschränkt bleibt. Mit dieser Beschränkung bildet sie – wie zu zeigen sein wird – eine Grenze der allgemeinen Förderung der Minderheitensprache, die auch im Interesse der „Mehrheit“ erfolgt und die Sprache als Ausdruck des kulturellen Erbes und Wert an sich schützt. Deutlich zeigt dies die territoriale Beschränkung der Normen der Sprachencharta, die – abgesehen von der Ausnahme nicht-territorial gebundener Sprachen – auf ein traditionelles Siedlungsgebiet abstellt. Wie solche territorialen Einschränkungen im Fall einzelner Instrumente wirken und welche Implikationen sich daraus für allgemeinen Schutz und die Förderung der Sprache ergeben, verdeutlicht die Analyse ausgewählter Instrumente (C.). Neben dem Kriterium der Autochthonie finden sich Komponenten einer ethnischen Konzeption, die die Kritik der erwähnten Autoren zu bestätigen scheinen: Das VoGrG stellt auf innere Zugehörigkeiten und Beziehungen der Gruppe ab, die sich neben der Bindung an ein bestimmtes Siedlungsgebiet, in dem die Nähe der Gruppe garantiert ist, in kultureller Betätigung ausdrücken, die ein Gruppenbewusstsein zum Ausdruck bringt. Unabhängig davon, welche Motive zur Aufnahme dieser Merkmale geführt haben, bleibt die Frage, ob damit nicht 1443 Vgl zum Bekenntnisproblem Kolonovits, Sprachenrecht 62 ff; Marko, Autonomie und Integration 355 ff. 1444 Zur Amtssprache als Beispiel für die Inklusion C.I.a. Marko, Autonomie und Integration 355 ff.
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nur Gruppen geschützt sein sollen, die ihre Muttersprache und Kultur in gemeinschaftlicher Betätigung erhalten wollen. Die Formulierung der „Volksgruppen“ und die Festlegung des „Volkstums“ scheinen dagegen zu sprechen und auch die Intentionen zur Reform des Volksgruppenrechts bekräftigen dies, wenn sie mit dem „Volkstum“ zugleich den „völkischen Aspekt“1445 aus der Definition streichen möchten. Bevor ein Blick auf die Intention dieser Reform gerichtet wird, ist festzuhalten, dass den Konzeptionen des Volksgruppenrechts ein enges Verständnis zugrunde liegt, wenn zB dem Bestand – wie Kolonovits argumentiert – auch Personen nicht-deutscher Muttersprache zugerechnet werden, selbst wenn diese sich nicht zur Volksgruppe bekennen und umgekehrt die nicht-deutsche Muttersprache eine Voraussetzung für die Zugehörigkeit bildet, Identitäten, wie der erste Teil der Arbeit zeigt, jedoch fließen und nicht oder nicht nur an diesen Konzepten festgemacht werden können.
V. Vergleich: Sprachgruppenerhebung und Zugehörigkeitserklärung in Südtirol Die zentrale Grundlage für den Minderheitenschutz in Italien bildet Art 6 der Verfassung, der den Schutz der sprachlichen Minderheiten normiert.1446 Zu diesem ist erst 1999 ein Ausführungsgesetz in Form des allgemeinen Minderheitenschutzgesetzes1447 ergangen.1448 Wie Hilpold erläutert, gewährt die Zeitspanne zwischen dem In-Kraft-Treten der Verfassungsbestimmung 1946 und dem Minderheitenschutzgesetz zumindest Zeit, auf die europäischen Entwicklungen einzugehen, die im Gesetz Berücksichtigung finden, weshalb dieses als „vom Geist des modernen europäischen 1445 Österreichisches Volksgruppenzentrum, Stellungnahme 2; bezugnehmend auf: Hesse, Autochthonie und neue Minderheiten – Grundlagen und Perspektiven für die Reform des österreichischen Volksgruppengesetzes, Thesenpapier, Vortrag am 23.11.2011 (2011) 2. 1446 Zu weiteren Bestimmungen, die im Zusammenhang mit dem Minderheitenschutz in der Verfassung zu sehen sind Hilpold, Minderheitenschutz in Italien: völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen, in Hilpold (Hrsg), Minderheitenschutz in Italien (2009) 29; Wisthaler in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Landesbericht Italien Rz 10 ff; Hilpold, Minderheitenrecht 59 ff; Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 11 ff. Zum Begriff der sprachlichen Minderheit in der Italienischen Verfassung Hilpold, Minderheitenrecht 65, der darauf hinweist, dass gerade in Statuten von Grenzregionen wie Trentino-Südtirol sehr wohl der Hinweis auf sprachliche Minderheiten enthalten ist. Hilpold kommt zum Schluss, es sei unzulässig Art 6 der Verfassung nur den Schutz sprachlicher Minderheiten zuzuschreiben. 1447 Nr 482/1999. 1448 Hilpold in Hilpold 29.
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Minderheitenschutzes getragen“ gesehen werden kann.1449 Das Gesetz sieht weitreichende Bestimmungen vor für die „historischen“ Minderheiten, die das Gesetz explizit anführt und deren Sprache und Kultur gem Art 2 Minderheitenschutzgesetz geschützt werden. Es enthält umfangreiche Bestimmungen – zB auf dem Gebiet der Amtssprache oder Schule. Für Regionen mit Sonderstatuten sieht Art 18 eine Günstigkeitsklausel vor: Dort sollen jene Bestimmungen zur Anwendung gelangen, die für die Minderheiten günstiger sind.1450 Das Südtiroler System aus Volkszählung, Erklärung der Sprachgruppenzugehörigkeit und Proporz basiert auf dem Autonomiestatut. Seine Regelungen zum Schutz der Sprachgruppen genießen Verfassungsrang.1451 Toggenburg/Rautz bewerten das System als „Grundpfeiler des Minderheitenschutzes in Südtirol“1452. Die ursprüngliche Grundlegung des Proporzes findet sich in Art 1 (2) d des Pariser Vertrages, der Italien verpflichtet, die Gleichberechtigung deutschsprachiger Staatsbürger bei der Zulassung zu öffentlichen Ämtern zu sichern, um eine angemessene Verteilung zu verwirklichen.1453 Gem Art 89 (3) Autonomiestatut ist der Proporz auf alle Bürger anzuwenden, die einer der drei Sprachgruppen angehören.1454 Für sie entfaltet das System unmittelbare Wirkung: Die Erklärung der Sprachgruppenzugehörigkeit dient dazu, den Bestand der Gruppen festzustellen, um ihn der Bewirtschaftung öffentlicher Ressourcen und Stellen zugrunde zu legen.1455 Er findet insb Anwendung bei Vergabe von Stellen im Bereich der Verwaltung und im öffentlichen Dienst, bei der Zusammensetzung von Organen öffentlicher Körperschaften und bei der Verteilung von Haushaltsmitteln.1456 Gem Art 89 (3) Autonomiestatut 1449 Hilpold in Hilpold 29. 1450 Hilpold in Hilpold 30 ff. Dort auch zur Übersicht über die verschiedenen Regelungsbereiche. 1451 Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 134; Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung in Südtirol. Die Neuregelung der Sprachenerhebung unter besonderer Berücksichtigung EU-rechtlicher Vorgaben (2007) 31; Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 282 f. 1452 Toggenburg/Rautz, ABC 213. 1453 Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 31; Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 19. 1454 Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 32; Lantschner/Poggeschi, Quota System, Census and Declaration of Affiliation to a Linguistic Group, in Woelk/Palermo/Marko (Hrsg), Tolerance through Law. Self Governance and Group Rights in South Tyrol (2008) 219 (220); Riz/Happacher, Grundzüge 450 f. 1455 Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 137 f; Rautz/Toggenburg, ABC 213; Hilpold in Hilpold 13; Grigolli, Sprachliche Minderheiten in Italien, insbesondere Südtirol und in Europa. Der Gebrauch der Sprache vor Behörden und Gerichten und die Vergabe öffentlicher Stellen (1997) 282; Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 24 ff. 1456 Zu den Rechtsgrundlagen des Proporzes eingehend Grigolli, Sprachliche Minderheiten 257 ff. Zur Ausgestaltung der Stellen in öffentlichen Körperschaften und privatisierten Betrieben Brunner/
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 259
sind sämtliche staatlichen Stellen den Bürgern im Verhältnis zum jeweiligen der Sprachgruppen vorbehalten, wie es sich aus den Volkszählungen ergibt.1457 Artikel 15 (2) Autonomiestatut sieht die Verwendung von Mitteln für Wohlfahrt, soziale und kulturelle Zwecke der Provinz nach dem Gruppenverhältnis und ihren Bedürfnissen vor.1458 Flankiert wird der Proporz von der Zwei- oder Dreisprachigkeitspflicht der Beamtenschaft. 1459 Ursprünglich dient der Proporz der Herstellung einer der Volksgruppenstärke entsprechenden Berücksichtigung im öffentlichen Bereich und der Wiedergutmachung.1460 Dieser Zweck ist, wie Toggenburg/Rautz zu bedenken geben, bereits im Jahr 2006 erreicht, womit seine Abschaffung zumindest überlegenswert wäre.1461 Im Zusammenhang mit Privatisierungen zeigt sich in der Vergangenheit die Tendenz, dass diese genutzt werden, um den Proporz zugunsten der deutschen Gruppe zu umgehen, während sich die quotenmäßige Besetzung der öffentlichen Stellen, wie Lantschner/Poggeschi ausführen, zunehmend als Schutzmechanismus für die italienische Gruppe erweist.1462 Die Erhebung eines verpflichtenden Bekenntnisses zu einer Gruppe erfolgt erstmals 1981. Jeder Bürger über 14 Jahren hat eine Erklärung der Zugehörigkeit zu einer der drei Sprachgruppen abzugeben. Für Kinder unter 14 erfolgt die Erklärung durch die Eltern.1463 Nach einem Rekurs an den Staatsrat stellt dieser fest, dass die Verweigerung einer Kategorie für „Andere oder Gemischtsprachige“ unzulässig ist, weil damit ein Zwang vorgesehen wird, sich ausschließlich zu einer der drei Gruppen zu bekennen.1464 Personen dürften, so der Staatsrat, nicht gezwungen werden, sich falsch zu erklären und ihre sprachliche und kulturelle Identität zu verleug-
1457 1458 1459 1460 1461 1462
1463 1464
Ladurner/Zeller, Volkszählung 34. Vollständig privatisierte Unternehmen sind nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nicht erfasst: Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 222. Zur Verteilung der Stellen nach Quotensystem Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 33; Riz/ Happacher, Grundzüge 369 f. Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 224 f; Riz/Happacher, Grundzüge 451. Die Bedürfnisse ergeben sich aus dem Verhältnis der Anfragen zu den bewilligten Ansuchen. Rautz/Toggenburg, ABC 213 f; Hilpold in Hilpold 13. Grigolli, Sprachliche Minderheiten 258. Rautz/Toggenburg, ABC 214. Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 223. Problematisch ist andererseits auch, dass Stellenvergaben horizontal nach Ebenen vorgesehen sind, wodurch Angehörige der italienischen Gruppe auf einem niedrigerem Level eingesetzt werden können, wenn die höchsten Stellen nach Quoten fixiert sind; die vertikale Vergabe ist nämlich nicht geregelt. Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 229; Wisthaler in Hofmann/Angst/Lantschner/ Rautz/Rein, Landesbericht Italien Rz 26. Dies erachtet auch der Staatsrat für zulässig. Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 47; Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 228.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
nen.1465 Dies begründet die Entscheidung mit dem Recht auf Gleichheit.1466 Das Problem der anonymen Datenerhebung und ihrer Geheimhaltung sei durch den Verfassungsrang von Art 89 Autonomiestatut gedeckt.1467 Aufgrund weiterer Urteile wird die Volkszählung 1991 modifiziert: Nun ist eine Zuordnung zur Gruppe „Anders- oder Gemischtsprachig“ möglich.1468 Um von einer Verfassungsänderung des Statuts absehen zu können, wird diese zusätzliche Möglichkeit vorgesehen. Sie wirkt nicht auf die Proporzverhältnisse. Diese bestimmen sich gem Art 89 Autonomiestatut weiterhin nach den drei Sprachgruppen. Bei Zuordnung zur Kategorie „Andere“ ist eine „Angliederungserklärung“ erforderlich. Diese Erklärungen wirken sich nicht auf den Bestand der Gruppen und somit nicht auf deren Verhältnis aus. Sie bilden aber die Grundlage für den Einzelnen, um öffentliche Güter, die den jeweiligen Gruppen zugeordnet sind (zB Stellen im öffentlichen Dienst), beanspruchen zu können.1469 Die Erklärungen werden auf drei Formblättern im Rahmen der Volkszählung abgegeben, wovon zwei anonym bleiben. Das dritte hat der Erklärende nach Abgabe seiner Erklärung in einen Umschlag zu legen, der mit seinem Namen versehen ist. Diesen übermittelt der Betreffende an das zuständige Gericht. Nur auf Verlangen des Erklärenden (oder einer Gerichtsbehörde) kann die Zugehörigkeit bestätigt werden.1470 Sie wird herangezogen, sofern eine Person Ansprüche auf öffentliche Güter stellt. Da dies nur auf etwa ein Viertel der Bevölkerung zutrifft, ist fraglich, ob die Abgabe einer Zugehörigkeitserklärung verhältnismäßig ist.1471 Auf Beanstandung der Kommission der Europäischen Union und im Hinblick auf Bedenken über die Unvereinbarkeit mit der Datenschutzrichtlinie RL 95/46/ EG1472 wird das System 2005 reformiert. Die Sprachgruppenerklärung erfolgt gesondert von der Angliederungserklärung, die nicht mehr alle 10 Jahre, sondern grundsätzlich nur einmal abgegeben werden muss. Sie ist nicht mehr für alle Bürger 1465 Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 47; Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 228. 1466 Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 70. 1467 Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 47 f; Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 9 f. 1468 Rautz/Toggenburg, ABC 296 f; Wisthaler in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Landesbericht Italien Rz 26. Zu den Problemen bei Umsetzung der Entscheidung des Staatsrates Mamming, Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 285 ff. 1469 Rautz/Toggenburg, ABC 297; Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 58. 1470 Mamming, Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 287; Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 58 f; Riz/Happacher, Grundzüge 452 f. 1471 Rautz/Toggenburg, ABC 297. Sie ist nun auch für Bürger unter 14 Jahren durch die Erziehungsberechtigten vorzunehmen; Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 59. 1472 Hierzu eingehend Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 30 ff.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 261
verpflichtend, sondern nur für in der Provinz Bozen ansässige, sofern sie bestimmte Rechte beanspruchen.1473 Individuelle Sprachgruppenzugehörigkeitsbögen sind beim Landesgericht versiegelt zu hinterlegen, wobei eine Bescheinigung durch das Gericht auf Antrag des Betroffenen oder einer Gerichtsbehörde ausgestellt werden kann. Sie darf nur in taxativ vorgesehenen Fällen verlangt werden.1474 Die Erklärung wirkt unbegrenzt, wird aber mit bestimmten Ausnahmen erst 18 Monate nach der Hinterlegung bei Gericht wirksam, um Missbräuche auszuschließen.1475 Eine Umerklärung ist erst nach 5 Jahren möglich und wird mit einer Verzögerung von zwei Jahren wirksam.1476 Die zu statistischen Zwecken erhobene anonyme Erklärung bleibt weiterhin Pflichterklärung, die alle 10 Jahre im Zuge der Volkszählung erhoben wird. Der anonyme Umschlag wird vom Erhebungsbeauftragten beglaubigt und dem Gemeindeamt für Volkszählung weitergeleitet, das ihn ungeöffnet dem Volkszählungsamt für die Provinz Bozen übermittelt. Wer sich „anders“ erklärt, hat eine Angliederungserklärung abzugeben, die einer der drei Gruppen zugezählt wird, um die Verhältnisse für den Proporz zu bestimmen.1477 Zudem hat bei Wahlen jeder Kandidat bei Antritt eine Zugehörigkeitserklärung abzugeben.1478 Der Beratende Ausschuss des RÜ hat im Zusammenhang mit den Wahlen bemerkt,1479 das System verstoße gegen das subjektive Bekenntnisprinzip in Art 3 1473 Rautz/Toggenburg, ABC 298; Hilpold in Hilpold 14; Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 144 f; Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 42 ff. Die Reform dient auch der Verbesserung der Geheimhaltung Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 231; Riz/Happacher, Grundzüge 452 ff. 1474 Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 145. Bei einer Bewerbung um eine öffentliche Stelle werden nur die Umschläge erfolgreicher Kandidaten geöffnet; Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/ Marko 222. 1475 Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 147; Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 227 ff; Riz/Happacher, Grundzüge 455. 1476 Brunner/Ladurner/Zeller, Volkszählung 147; 153 ff; Riz/Happacher, Grundzüge 455. 1477 Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 50 ff. Eltern, die sich nicht über die Zugehörigkeit des Kindes einigen können, können eine Erklärung des Kindes auch ablehnen. Mamming, Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung 56; Riz/Happacher, Grundzüge 453 ff. 1478 Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 226; 230. Bekannt ist der Fall Langer, dem der Antritt zur Wahl des Bürgermeisters von Bozen 1995 verweigert wird, weil er 1991 im Zuge der Volkszählung keine Erklärung zu einer Sprachgruppe abgibt. 1999 akzeptiert der Verfassungsgerichtshof eine ad hoc Erklärung. 1479 Problematisiert wird die fehlende Anonymität der Zuordnung, die 10 Jahre lang in Kraft bleibt, negative Folgen für Betroffene im Fall der Versäumnis einer Zuordnung, sowie die Pflicht, sich auch bei Auswahl der Kategorie „andere“ einer Sprachgruppe zuordnen zu müssen. Begrüßt wird die Änderung 2005, nach der die Zuordnung jederzeit geändert werden kann, aber erst 18 Monate später wirksam wird und die erhöhte Vertraulichkeit der Daten; problematisch bleiben die Verpflichtung zur Zuordnung zu einer der drei Sprachgruppen und Folgen einer Nicht-Zuord-
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
RÜ,1480 zu dem der Erl Bericht feststellt, es könne nicht völlig willkürlich ausgeübt werden, sondern sei auch an objektive Kriterien gebunden.1481 Tatsächlich könne sich aber, wie Hilpold entgegnet, jeder der Kategorie „andere“ zuordnen und damit einer Deklaration „in der Substanz“ enthalten.1482 Der Einzelne ordnet sich nur hinsichtlich der damit verbundenen Rechte zu, womit kein individuelles Bekenntnis verbunden ist.1483 Das Ministerkomitee selbst hat den Minderheitenschutz auch als vorbildhaft gewürdigt.1484 Wie die Erkenntnisse des ersten Abschnitts zeigen, birgt das System jedoch Probleme, weil es von Einzelpersonen eine Zuordnung zu einer Sprachgruppe verlangt und über den Proporz, der ursprünglich dem Ausgleich dient, und durch trennende Modelle im Schulwesen eine Aufteilung der Gruppen in den Institutionen des öffentlichen Lebens aufrechterhält. Wie bereits ausgeführt, liegt in diesem Konzept ein Grundstein für den Erfolg des Konfliktlösungsmodells Südtirol, es ist angesichts der Bevölkerungsentwicklungen und auch im Hinblick auf die Herausforderungen der Integration jedoch fraglich, ob dieses System noch zeitgemäß ist – weil es, wie in aktuellen Diskussionen1485 häufig bemerkt wird, am Ziel vorbeigeht, wenn Personen sich einer Gruppe zugehörig erklären, von deren Verhältnisrelation sie sich bessere Chancen bei Zuteilung bestimmter Ressourcen erhoffen und die Kategorie „andere“ zwar in der Volkszählung vorgesehen ist, die Institutionalisierung – gestützt durch den Verfassungsrang – aber nur für die drei Gruppen erfolgt. Im Lichte postmoderner Pluralisierung ist dieses System, das sich vom Minderheitenschutz in Kärnten aufgrund der Autonomie wesentlich unterscheidet, in seiner Funktionalität zu verbessern. Für den Minderheitenschutz in
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1481 1482 1483 1484
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nung etwa für die Ausübung politischer Rechte. ACFC/OP/I(2002)007 para 19 ff; ACFC/OP/ II(2005)003 para 46; ACFC/OP/III(2010)008 para 53; vgl Lantschner/Poggeschi in Woelk/Palermo/Marko 230; Röggla, Art 3 RÜ. B. 4. Autonome Provinz Bozen, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 3 f; Wisthaler in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Landesbericht Italien Rz 26. Grundsätzlich begrüßt der BA in seiner Praxis die Durchführung von Datenerhebungen als Basis zur Umsetzung von Minderheitenrechten und stellt dazu einige Kriterien auf: freie Zuordnung, Transparenz von Methodik und Ziel einer Erhebung, uU Einbindung von Minderheitenvertretern. Näher Angst in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 3 RÜ Rz 25 f. FCNM, Explanatory Report para 35; vgl Angst in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 3 RÜ Rz 3. Hilpold in Hilpold 15. Hilpold in Hilpold 15. Hilpold in Hilpold 15. Hilpold sieht die Problematik „Gemischtsprachiger“ bereits 2001 mit der Abgabe einer Zugehörigkeitserklärung als „Anders- oder Gemischtsprachig“ behoben und stellt fest, die Kategorisierung der Bevölkerung könne der Sache nach jedoch nicht vermieden werden: Hilpold, Minderheitenrecht 296. Vgl ua Rautz in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 136 f.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 263
Kärnten können aus dem System vor allem Lehren für Ebene 1 des vorgeschlagenen Modells gezogen werden. Es bleibt die Frage nach der Pluralismustauglichkeit des österreichischen Minderheitenschutzes (iSv Ebene 2).
VI. Neuausrichtung des Volksgruppenrechts in Reformvorschlägen 2012 Die jüngsten Reformbestrebungen zur Neuausrichtung des Volksgruppenrechts führen 2012 zu einem Gesetzesentwurf, der die Modernisierung des Volksgruppengesetzes „zum Schutz und zur Förderung der Volksgruppen sowie der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in Österreich“ bezweckt.1486 Diskussionen um die Zielsetzung des Gesetzes, die Neuregelung der Volksgruppendefinition und der Volksgruppenbeiräte erhellen das gegenwärtige Verständnis und die Konzeption des österreichischen Volksgruppenrechts und seine (Neu-)Ausrichtung.1487 Der Gesetzesentwurf 2012 sieht in § 1 VoGrG(Entwurf ) eine Umgestaltung der Volksgruppendefinition vor. Sie nimmt eine taxative Auflistung der Volksgruppen im Gesetz selbst vor und nennt die sechs bisher anerkannten Volksgruppen.1488 Diese bezeichnet der Entwurf ausdrücklich als „autochthone“ Volksgruppen und nimmt, wie die Erl zeigen, Bezug auf den Begriff der autochthonen Volksgruppen in Art 8 (2) B-VG.1489 Dieser Begriff sei verfassungsgesetzlich prädeterminiert,1490 womit der Anwendungsbereich wie nach geltender Rechtslage beibehalten wird.1491 Auffallend sind die Erl, die eine andere Begriffsbestimmung der Volksgruppen vornehmen, als dies § 1 (1) VoGrG nach geltender Rechtslage vorsieht: Darunter sollen die – wie bisher – in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten
1486 371/ME 24. GP Erläut 2. 1487 Ein überwiegender Teil der Diskussionen rückt zudem auch die Nicht-Berücksichtigung des Entwurfs einer Expertengruppe 2009 im Rahmen des Österreichischen Volksgruppenzentrums in den Mittelpunkt. Kritik erfährt vor allem die Nicht-Einrichtung von Verbandsklagerechten für Vereine, deren rechtlicher Zweck die Vertretung der Volksgruppe ist, auf Verfassungsebene, wie auch Neuregelungen und Modifikationen der Amtssprache etwa im Bereich Eberndorf und St. Kanzian; hierzu Kolonovits, Zur Novellierung des österreichischen Volksgruppengesetzes: Eine Stellungnahme im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, EJM 2/2012, 100. 1488 § 1 (1)VoGrG des Entwurfes bestimmt: „Volksgruppen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind folgende autochthone Volksgruppen: die kroatische Volksgruppe, die Volksgruppe der Roma, die slowakische Volksgruppe, die slowenische Volksgruppe, die tschechische Volksgruppe und die ungarische Volksgruppe“ (371/ME 24. GP). 1489 371/ME 24. GP Erläut 3. 1490 371/ME 24. GP Erläut 3. 1491 Vgl Kolonovits, Zur Novellierung 103.
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Gruppen österreichischer Staatsbürger mit – hier weichen die Erl vom aktuellen Verständnis ab – „eigener (nicht-deutscher) Sprache und Kultur“ verstanden werden.1492 Über den Sinn dieser Änderungen geben die Erl nur bedingt Aufschluss. Sie führen einleitend an, der Entwurf enthalte „im Hinblick auf eine moderne und pluralistische Gesellschaft aktualisierte Zielbestimmungen und Begriffsdefinitionen“.1493 Bekräftigt wird, dass unabdingbare Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe die österreichische Staatsbürgerschaft sei und es sich bei der Sprache um die „‚tatsächlich von den Volksgruppen in Österreich gesprochene‘“ handle, womit ausgedrückt wird, dass etwa Burgenlandkroatisch und nicht Kroatisch im Allgemeinen gemeint ist.1494 Auf den ersten Blick scheinen die begrifflichen Änderungen bemerkenswert: Es fehlen die „Mutter“-Sprache und das „Volkstum“. Die Reform wählt – wie die zugrundeliegende Diskussion erhellt – Sprache und Kultur als zentrale Elemente der Volksgruppendefinition.1495 In den bisherigen Kriterien erkennen die Verantwortlichen, wie Gerhard Hesse, Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, erläutert, „stark überkommene Elemente mit ethnisch-völkischem Kern“1496. Gemeint sind die Begriffe „beheimatet“ und „eigenes Volkstum“.1497 Im Zuge der Reform sollen die Begriffe einer neuen Realität angepasst werden: Sie liege rechtlich in den Abkommen des Europarates und dem unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot aufgrund ethnischer Zugehörigkeit begründet. De facto lebten die Volksgruppen in Österreich nicht als „kleine Nationen“. Der nationale Kern der Volksgruppendefinition sei nach gegenwärtiger Rechtslage verschwunden. Die Volksgruppen seien ein integraler Bestandteil der Republik und als Teil der Zivilgesellschaft zu verstehen. Daher bedürften sie keiner „Repräsentations- und Kommunikationsorgane“ mit einem „Mehrheitsvolk“,1498 wie zB Selbstverwaltungskörper, die eine Feststellung der Zugehörigkeit voraussetzen.1499 Da Sprache und Kultur als Ausdruck der Vielfalt der Gesellschaft selbst zu sehen seien, relativiere sich auch die Grenze zu neuen Minderheiten, weil beide Gruppen Teil einer pluralistischen Gesellschaft seien. Aus der Zuwanderung lasse sich, so Hesse, errechnen, dass demnächst neue Gruppen als nationale Min-
1492 1493 1494 1495 1496 1497 1498 1499
371/ME 24. GP Erläut 3. 371/ME 24. GP Erläut 3. 371/ME 24. GP Erläut 3. Hesse, Autochthonie 39. Hesse, Autochthonie 38. Hesse, Autochthonie 38. Hesse, Autochthonie 38 f. Hesse, Autochthonie 40.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 265
derheiten entstehen könnten.1500 Ein „historisch-pragmatischer“ Ansatz sichere die Volksgruppenförderung und -beiräte für die autochthonen Volksgruppen.1501 Daher würden die Volksgruppen im Gesetzesvorschlag explizit genannt.1502 Durch die Kombination eines historisch-pragmatischen Ansatzes und eines modernen Volksgruppenverständnisses scheine „die Dichotomie zwischen autochthonen Volksgruppen und neuen Minderheiten lösbar“.1503 Diese Argumentation zur Neuausrichtung vermengt einige Elemente – verkürzt lautet sie: Volksgruppen sind keine kleinen Nationen. Sie unterscheiden sich durch Sprache und Kultur. Daher sind sie Teil der Zivilgesellschaft und bedürfen keiner repräsentativen Mechanismen. Gegenüber neuen Minderheiten relativiert sich in einer pluralistischen Gesellschaft die Grenze. Historisch bedingt sind autochthone Gruppen besonders zu fördern. Dass der aktuellen Volksgruppendefinition nach § 1 (1) VoGrG ethnische Konzeptionen zugrunde liegen, kann nicht bestritten werden. Sie finden Niederschlag in den Formulierungen „Volkstum“, das einen Gesamtkomplex kultureller Bindungen umschreibt, der „Mutter“-Sprache, soweit auf Abstammung und objektive Kriterien rekurriert wird, und in der „Beheimatung“, die eine generationenübergreifende, 90-100 Jahre währende, Verbindung zum Territorium verlangt. Das Abstellen auf Sprache und Kultur könnte auf ein Abgehen von der ethnischen Konzeption hindeuten: Das Begriffsverständnis der Sprache nähert sich der tatsächlich in Verwendung stehenden Sprache und einem Verständnis an, wonach Personen der Volksgruppe zugehören, unabhängig davon, ob sie die Sprache als Erst-oder Zweit-, Vater- oder Muttersprache lernen, wenn sie sich dazu bekennen. Die Erl selbst fixieren lediglich die Grenze zu neuen Minderheiten, in dem sie auf die Sprache der autochthonen Volksgruppen abstellen. Beim Volkstum stellt sich die Frage, was es zusätzlich beinhält außer der „Kultur“, durch die es ersetzt werden soll. Im ursprünglichen Verständnis umfasst das Volkstum den Ausdruck kultureller Beziehungen der Gruppe(nmitglieder). Ersetzt man den Begriff durch die Kultur, ändert sich im Ergebnis nichts. Aus dem Gesamtzusammenhang ist klar, dass die Kultur „der Volksgruppen“ gemeint ist, die für sich insofern ein Gruppenelement birgt, als die Kultur nicht ohne Gruppe zu denken ist. Zu dieser Kultur der Volksgruppen bekennt sich auch Art 8 (2) B-VG. Subtrahiert man die „Kultur“ vom Begriff „Volkstum“, bleiben die inneren Beziehungen, die in dieser Gruppe ihren Ausdruck finden – fraglich ist allerdings, ob damit ein Zugehörigkeitsbewusstsein verbunden
1500 1501 1502 1503
Hesse, Autochthonie 39. Hesse, Autochthonie 40. Hesse, Autochthonie 40. Hesse, Autochthonie 41.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
sein muss. Soweit es individuell ist, kommt es für den Einzelnen im Bekenntnis zur Gruppe zum Ausdruck – frei, ohne Nachweis und ohne Verpflichtung. In concreto zu erkennen wäre die gemeinsame Kultur an gemeinsamer kultureller Betätigung. Sohin bliebe nur die begriffliche Bereinigung, um das „Volks“-tum, das weiterhin in der „Volks“gruppe verbleibt, und unter Umständen die Bereinigung um ein Element innerer Beziehungen. Diese Änderung in der Begrifflichkeit bestünde nur in den Erläuterungen, die Definition im Gesetz würde – aus „pragmatischen“ Gründen – ersetzt durch eine taxative Auflistung der „autochthonen“ Volksgruppen.1504 Das Abstellen auf Kultur und Sprache ist bemerkenswert, da § 1 (2)1505 VoGrG-Entwurf die Staatszielbestimmung des Art 8 (2) B-VG wiederholt und ausgeführt, während § 1 (3)1506 VoGrG-Entwurf eine neue Zielbestimmung verankert, die an Art 6 (1) RÜ angelehnt ist und die Förderung des interkulturellen Dialogs vorsieht. Zusätzlich schreibt die Bestimmung explizit „Förderung der sprachlichen Vielfalt in der Gesellschaft“ fest, worin Kolonovits ein Spannungsverhältnis zu Art 8 (2) B-VG erkennt, der sich auf die Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt, bezieht.1507 Kolonovits empfiehlt die Klarstellung durch Bezugnahme auf die Volksgruppen oder Hinweis, dass es sich um ein zusätzliches Ziel des Gesetzes handle.1508 Dem ist zuzustimmen. In beiden Fällen bleibt die Bestimmung bemerkenswert, weil sie sich explizit zur Förderung sprachlicher Vielfalt bekennt und damit eine Bestimmung in das VoGrG aufnimmt, die eine Grundlage bildet für die funktionale Komplementarität eines Schutzes der Minderheit und Sprache. Die Grenze zwischen neuen und alten Minderheiten verläuft – wie gezeigt wurde – entlang der Autochthonie, somit der Beheimatung und nicht entlang von Kriterien wie dem „Volkstum“ als Ausdruck kultureller Verbindungen, die durchaus auch neue Minderheiten aufweisen. Wie Hesse feststellt, könnten neue Minderheitengruppen in absehbarer Zeit die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Die 1504 Das Österreichische Volksgruppenzentrum erkennt in dieser begrifflichen Veränderung iVm dem zivilgesellschaftlichen Modell ebenfalls eine „Denationalisierung der autochthonen Volksgruppen“, so Österreichisches Volksgruppenzentrum, Stellungnahme 2. 1505 § 1 (2)VoGrG des Entwurfes bestimmt: „Die Volksgruppen in Österreich und ihre Angehörigen genießen den Schutz der Gesetze. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern“ (371/ME 24. GP). 1506 § 1 (2)VoGrG des Entwurfes bestimmt: „Ziel dieses Bundesgesetzes ist die Förderung der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in der Gesellschaft, des interkulturellen Dialoges, der gegenseitigen Achtung und des gegenseitigen Verständnisses sowie der Zusammenarbeit zwischen den Volksgruppen und der übrigen Bevölkerung“ (371/ME 24. GP). 1507 Kolonovits, Zur Novellierung 103. 1508 Kolonovits, Zur Novellierung 103.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 267
Autochthonie bleibt das entscheidende Kriterium1509 und sie kann durch Beheimatung und Zeitablauf von entsprechenden Gruppen österreichischer Staatsbürger erfüllt werden. An dieser Stelle vollzieht die Argumentation aber einen auffallenden Schluss: Da sich die Grenze zwischen neuen und alten Minderheiten in der pluralistischen Gesellschaft auflöse und alte Minderheiten keine Nationen seien, bräuchten sie keine repräsentativen Verfahren oder Selbstverwaltung.1510 Die bisherigen Volksgruppenbeiräte sollen im Sinne eines „zivilgesellschaftlichen Modells neu konstituiert“ werden.1511 Dazu sieht die Novelle Änderungen vor, die die Aufgaben der Beiräte umgestalten, die Besetzung verändern und repräsentativen Organisationen nicht mehr die Beschwerdemöglichkeit gem § 4 Abs 1 VoGrG gegen die Bestellung beim VwGH einräumen.1512 Von den Volksgruppenorganisationen werden diese Änderungen kritisiert, weil sie die Stellung der Beiräte verschlechtern und sie gem § 2 (1) VoGrG-Entwurf nur mehr als Beiräte des Bundeskanzlers eingerichtet werden sollen. Schon die bisherige Konstruktion mit bloßen Beratungs- und Anhörungsrechten wurde mehrfach durch den Beratenden Ausschuss des RÜ und das Ministerkomitee auf Grundlage von Art 15 RÜ über die effektive Partizipation kritisiert.1513 Marko bemerkt dazu, dass die Beiräte „selbst das Minimum an demo1509 Anders Rautz, der darauf hinweist, das in völkischen und nationalen Aspekten das grundlegende Unterscheidungsmerkmal zwischen alteingesessenen und neuen Minderheiten liege; Rautz, Die Ortstafellösung als Beispiel eines sich im ständigen Wandel befindlichen Rechts- und Gesellschaftssystems, in Pandel/Hren (Hrsg), Ein Jahr danach. Die Ortstafelregelung 2011 und was daraus wurde (2012) 241 (249). Hinzuweisen ist auch darauf, dass die Erl keineswegs auf die Staatsbürgerschaft verzichten. Rautz wirft an dieser Stelle nämlich die Frage auf, ob die Gleichmachung nicht zur Folge hätte, „dass Migranten verstärkt Rechte geltend machen, die bisher alteingesessenen Volksgruppen vorbehalten waren“. 1510 Zur Argumentation im Hinblick auf das RÜ sei festgestellt, dass diesfalls aus „pragmatischen“ Gründen – mangels Einigung – auf die Minderheitendefinition verzichtet wurde, nicht weil man sich den „modernen“ Gegebenheiten anpassen wollte, wie es die Novelle versucht. 1511 371/ME 24. GP Erläut 2. 1512 § 2 ff VoGrG-Entwurf; 371/ME 24. GP Erläut 3; Kolonovits, Zur Novellierung 104. 1513 Zuletzt CM/ResCMN(2012)7; ACFC/OP/III/(2011)005 para 129 ff; vgl Kössler, Art 15 RÜ. 2. Österreich, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 2 ff; Lantschner/Kmesić, Political Participation of Minotities in Central Europe: Is it Effective or Just Window-Dressing?, in Lantschner/Constantin/Marko Joseph (Hrsg), Practice of Minority Protection in Central Europe (2012) 223 (248 ff); zu Anforderungen an beratende Gremien Lantschner, Art 15 RÜ, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 25 ff; Lantschner in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Landesbericht Österreich Rz 53 f; Weller, Article 15, in Weller (Hrsg), The Rights of Minorities. A Commentary on the European Convention for the Protection of National Minorities (2005) 429 (447 ff). Österreich tritt der Ansicht mangelnder Repräsentativität in seinem vierten Staatenbericht entgegen, da der Einfluss der repräsentativen
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
kratischer Repräsentation und Effizienz unterschreiten, die sich aus dem Gebot der Wahrung und Förderung der Vielfalt durch selbstbestimmte Gruppenautonomie ergibt“,1514 das er aus Art 8 (2) B-VG ableitet.1515 Organisationen der Volksgruppen plädieren anstelle der Beiräte für die Einrichtung von Möglichkeiten, die die Durchsetzung und Wahrnehmung korporativer Rechte iS eines Verbandsklagerechtes oder die Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern vorsehen.1516 Die Diskussionen zur Neuausrichtung des Volksgruppenrechts offenbaren Gegensätze, die Pfeil auf zwei konkurrierende Ansätze zurückführt: ein individualrechtlich begründetes Konzept, das unter dem Vorzeichen des „Pluralismus“ darauf drängt, die Grenze zwischen neuen und alten Minderheiten zu überwinden, und ein Ansatz, der historisch gewachsenen und nationalen Minderheiten und ihren Angehörigen zusätzlich zu individuellen Menschenrechten „im Zeichen der Vielfalt (auch) der Kulturen (…) ein Recht auf – kollektive – kulturelle Existenz“1517 zuerkennt. Zu gewährleisten sind „spezifische Minderheitenrechte“, die aus dem Grundsatz positiver Diskriminierung hervorgehen.1518 Zwischen diesen Polen befinde sich Österreich an einem „politischen Scheideweg“, auf dem es einen Schutz seiner historisch gewachsenen Gemeinschaften verwirklicht oder einer individualrechtlichen Konzeption des Minderheitenschutzes folgt, die Unterscheidungen zwischen neuen und alten Minderheiten aufhebt und „von welcher man sich in Europa spätestens seit den Kriegen in Ex-Jugoslawien immer weiter abgewandt“1519 habe.1520 Europaweit erblickt Pfeil eine Entwicklung zum Ansatz der „Vielfalt der Kulturen“, wenngleich sich die Staaten im Europarat noch nicht auf eine Minderheitendefinition festlegen konnten und kollektive politische Teilhabe in Art 15 RÜ nur vorsichtig angesprochen ist.1521 Die Grenze zwischen neuen und alten Minderheiten respektieren auch die Sprachencharta, die Sprachen neuer Minderheiten ausklammert
1514 1515 1516 1517 1518 1519 1520 1521
Organisationen bereits jetzt „erheblich“ sei und territoriale, aber auch geschlechterspezifische und altersbezogene Aspekte berücksichtigt würden; überdies könnten sich die Volksgruppenbeiräte zu allen die Volksgruppen betreffenden Angelegenheiten äußern, üben Einfluss auf die Verteilung der Volksgruppenförderung und Steuerung von Entwicklungen in der Volksgruppe aus; so ACFC/SR/ IV(2016)001 15. Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 47. Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 45 ff. Österreichisches Volksgruppenzentrum, Stellungnahme 2 ff. Pfeil, Zur Novellierung 96. Pfeil, Zur Novellierung 96. Pfeil, Zur Novellierung 98. Pfeil, Zur Novellierung 98. Pfeil, Zur Novellierung 96.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 269
(Art 1 (a) ii SC),1522 und das RÜ, das iSd „article by article-approaches“ auf neue Minderheiten anzuwenden ist, soweit die jeweiligen Regelungen auf sie passen.1523 Dahinter stehe, so Pfeil, die Erkenntnis, neue und alte Minderheiten dürften schon aufgrund ihrer ungleichen Interessenlagen unterschieden werden.1524 Die Trennung bleibe gerechtfertigt, da alte Minderheiten spezifischer situationsadäquater Rechte bedürfen.1525 Die Beurteilung betrifft die Differenzierung zwischen alten und neuen Minderheiten als einen wesentlichen Strang der Reform des österreichischen Volksgruppenrechts. Sie versieht den Ansatz individualrechtlichen Minderheitenschutzes und der vermeintlichen Einebnung der Unterscheidung neuer und alter Minderheiten mit dem Prädikat „Pluralismus“. Konzeptionen, die kollektive Dimensionen der Minderheiteneigenschaft und somit spezifische – auch kollektive – Rechte anerkennen, werden als Ausdruck der „Vielfalt von Kulturen“ begriffen. Gemessen an letzterem Pol wäre die Reform ein Rückschritt, weil sie keine kollektiven Rechte anerkennt, sondern bestehende Partizipationsmöglichkeiten zugunsten von „Pluralismus“ reduziert. Die Bewertung verbindet – wie die zugrundeliegende Reform – die Trennung von neuen und alten Minderheiten mit Fragen eines individualrechtlich oder kollektivrechtlich konzipierten Minderheitenschutzes und dem Verständnis der Volksgruppen als Teil des „Staates“ oder der Zivilgesellschaft. Beide – Beurteilung und Reform – kommen zum Schluss, autochthone Minderheiten bedürften eines spezifischen Schutzes – im Fall der Reform begründet mit einem historisch-pragmatischen Ansatz1526 und verankert durch eine taxative Aufzählung der Volksgruppen im Volksgruppengesetz1527. Umgesetzt bliebe die Unterscheidung zu neuen Minderheiten durch die Volksgruppenbeiräte, die Förderung und das Minderheitenschulwesen.1528 Eine differenzierte Bewertung erlaubt der Zwei-Ebenen-Ansatz aus Minderheitenschutz und Sprachförderung. Darin besteht zwischen „Pluralismus“ und „Vielfalt der Kulturen“ kein Gegensatz. Pluralismustauglicher Minderheitenschutz versteht diese Pole integrativ: Er anerkennt nicht nur die Vielfalt der Kulturen und die Vielfalt des Einzelnen, die den Minderheitenschutz auf bloße Individualrechte insb zum Schutz vor Diskriminierung reduziert, sondern auch die Vielfalt innerhalb 1522 Pfeil, Zur Novellierung 96. 1523 Pfeil, Zur Novellierung 96 f. 1524 Pfeil, Zur Novellierung 97. 1525 Pfeil, Zur Novellierung 97. 1526 Hesse in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 40. 1527 371/ME 24. GP Erläut 3. 1528 Vgl Hesse in Karpf/Kassl/Platzer/Puschnig 40.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
und neben diesen Kulturen und deren kollektive Dimension. Er integriert Ansätze beider Konzepte: durch die Anerkennung subjektiver und kollektiver Minderheitenrechte auf Ebene 1 und die Ergänzung durch eine zweite Ebene, die Elemente der historisch gewachsenen Vielfalt abstrahiert und selbst zum Schutzobjekt erhebt, das allen Betroffenen in Mehrheiten-Minderheitensituationen offensteht. Die jüngsten Reformbemühungen bringen nur in Teilen einen Fortschritt auf Ebene 1.1529 Sie schränken die Partizipation ein und sehen insb keine Möglichkeit zur Geltendmachung kollektiver Rechte vor – wie sie zB ein Expertenentwurf 2009 in Anlehnung an Vorschläge vorgesehen hat, die bereits im Österreichkonvent entwickelt wurden.1530 Diese hätten auf Verfassungsebene repräsentativen Vereinigungen der Volksgruppen Parteirechte eingeräumt, um die Vorschriften geltend machen zu können.1531 Zusätzlich werden Forderungen von Volksgruppenvertretern nicht berücksichtigt, insb Rechtsansprüche auf kontinuierliche zweisprachige Erziehung, die Zulassung der Amtssprache in allen Gebieten mit zweisprachigen topographischen Aufschriften, an allen Bezirksverwaltungsbehörden innerhalb deren Sprengel zweisprachige Gemeinden liegen und angemessene Erleichterungen zur Verwendung der Amtssprache außerhalb dieser Gebiete, Verpflichtungen zur Anbringung weiterer topographischer Aufschriften oder die Kodifikation von Grundrechten im Bereich der Bildung und Kultur für alle Volksgruppen, Ausweitungen der volksgruppenspezifischen Presseförderung und des öffentlichen Medienangebotes.1532 Diese Bereiche betreffen Ebene 1 und deuten auf Entwicklungspotenzial des Volksgruppenrechts im engeren Sinne. Negativ ist das völlige Aufgeben eines kollektivrechtlichen Ansatzes – in Form von Individualrechten mit Gruppenbezügen und angemessenen Möglichkeiten ihrer Durchsetzung1533 – zugunsten eines rein
1529 ZB durch eine neue Förderstruktur oder die Möglichkeit gem § 1 (5) VoGrG-Entwurf, nach der die repräsentativen Vereinigungen, die sich nach dem Zweck Volksgruppeninteressen widmen, sofern es ein Betroffener verlangt, in Rechtsstreiten nach § 62 Gleichbehandlungsgesetz als Nebenintervenienten auftreten können. 1530 Kolonovits, Vorschläge der Expertengruppe für ein neues österreichisches Volksgruppenrecht, migraLex 1/2010 17; Kolonovits, Zur Novellierung 103 f. 1531 Kolonovits, Vorschläge der Expertengruppe 17 ff; Kolonovits, Zur Novellierung 103; Österreichisches Volksgruppenzentrum, Stellungnahme 3 f. 1532 Österreichisches Volksgruppenzentrum, Stellungnahme 3 f. 1533 Problematisch im Schulwesen ist etwa, wenn zB Schüler davon absehen, ihre Rechte auf dem Rechtsweg geltend zu machen, da die Verfahrensdauer bedeuten kann, dass sie selbst nicht mehr von ihrer Durchsetzung profitieren. So etwa in VfSlg 15.759/2000, mit dem der VfGH die Verfassungswidrigkeit der Einschränkung des Unterrichts in Slowenisch in der vierten Stufe der Volksschule erkennt. Volksgruppenvertreter fordern daher Möglichkeiten zur vertretenden Geltendmachung dieser (individuellen) Rechte.
B. Minderheitenschutz und Sprachförderung im geltenden Recht 271
individualrechtlichen Ansatzes, der sich auf Abgrenzung zu neuen Minderheiten stützt. Freilich zeigen die Ausführungen in Teil 1, dass Identitäten und Identitätskonstruktionen individuell und zunehmend pluraler sind, es bestehen aber auch und gerade eine Reihe von Minderheitenangehörigen, die sich zu dieser Gruppe, die für die Identität der Mitglieder reale Wirkungen zeitigt, bekennen, weshalb dieser Zugang nicht zu nivellieren, sondern durch komplementäre Öffnung zu erweitern wäre. Fortschritte birgt die Reform auf Ebene 2: durch die Betonung von Sprache und Kultur und die Zielsetzung, die sprachliche Vielfalt der Gesellschaft zu fördern. Zu nennen sind auch die Bestimmungen in §12 (5) VoGrG-Entwurf, wonach Gebietskörperschaften und sonstige Körperschaften öffentlichen Rechts über die Verpflichtungen des VoGrG hinaus zur „Sicherung, Erhaltung und Förderung der Sprache und Kultur der Volksgruppen sowie zur Hervorhebung der Bedeutung der Volksgruppen und deren Beitrag zur sprachlichen und kulturellen Vielfalt (…) tunlichst“1534 topographische Aufschriften und andere Aufschriften zwei- oder mehrsprachig anbringen sollen. Nach den Erl wären keine Ortstafeln der StVO umfasst (hierzu C.II.a.). Für solche Maßnahmen könnten Förderungen nach § 8 (3) VoGrG-Entwurf gewährt werden.1535 Bemerkenswert sind die Betonung der Förderung der Sprache und Kultur der Volkgruppen und ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen Vielfalt. In dieser Zielsetzung geht der Entwurf, entgegen der Qualifikation der Bestimmung als spezifische Minderheitenschutzbestimmung in den Erl1536 darüber hinaus und ermöglicht die Förderung der Sprache im mehrfachfunktionalen Sinn zweisprachiger Topographie (C.II.c.), die zugleich als Förderung der Volksgruppe zu sehen ist. Zusätzlich wird nicht nur auf topographische, sondern auch auf andere Aufschriften und Bezeichnungen abgestellt, womit sich der Anwendungsbereich gegenüber der Regelung zur Topographie erweitert und zusätzliche Hinweise vorsieht, die sowohl dem Schutz der Volksgruppe als auch ihrer Sprache zugutekommen. Bedenklich ist die Formulierung der Bestimmung als bloße Empfehlung ohne Verbindlichkeit. Sie erfolgt zumindest mit dem Hinweis auf Anreize in den Erl. Eine sinngemäße Regelung sieht § 13 (4) VoGrG-Entwurf für die Amtssprache vor: Gebietskörperschaften und sonstige Körperschaften öffentlichen Rechts sind dazu angehalten, „tunlichst“ die Sprache der Volksgruppen in Veröffentlichungen zu verwenden, insb in allgemeinen Kundmachungen oder Internetseiten. Dafür können Förderungen gewährt werden. Positiv ist die Aufforderung, bedenklich die 1534 Hervorhebungen durch den Verfasser. 1535 371/ME 24. GP Erläut 3. 1536 371/ME 24. GP Erläut 3.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
bloße Empfehlung.1537 Jedenfalls einen Fortschritt brächte die Verpflichtung in § 13 (5) des Entwurfes über die Verpflichtung zur Verwendung der diakritischen Zeichen der jeweiligen Volksgruppensprache. Während die Vorschläge auf Ebene 1 zT den Status quo festschreiben, zT dahinter zurückgehen und nur vereinzelt Verbesserungen vorsehen, gibt es Fortschritte auf Ebene 2 zur Förderung und zum Schutz der Sprache der Volksgruppen als Teil der Vielfalt der Gesamtgesellschaft, die wiederum auf die Volksgruppen und ihren Schutz zurückwirken. In seinem jüngsten Staatenbericht nach dem RÜ 2016 skizziert Österreich die Reformbemühungen ab 2009, verweist auf die Regelung der Topographie und Amtssprache 2011 und stellt fest, das nach dem Entwurf 2012 keine Einigung erzielt werden konnte und die Novelle bisher nicht weiter verfolgt wird. Das aktuelle Regierungsprogramm1538 sieht keine weitere Novelle zum Volksgruppenrecht vor.1539 Auf Kärntner Landesebene gäbe es, so der Bericht, Überlegungen, die slowenische Volksgruppe in der Landesverfassung verbunden mit einer Staatszielbestimmung ausdrücklich zu nennen. Diskutiert werde ebenfalls, ein „Dialogforum“ in der Kärntner Landesverfassung zu verankern. Dieses Kärntner Dialogforum wurde im Zuge der Vereinbarung über die Ortstafelfrage eingerichtet und soll die Zusammenarbeit in Kärnten erleichtern. Vertreten sind die slowenischen Organisationen, die slowenische Enotna lista/Einheitsliste, alle Landtagsfraktionen, Experten der Landesregierung und Bürgermeister aus zweisprachigen Gemeinden. In einer Reihe von Treffen wurde in diesem Gremium zB an einer Regelung über die Finanzierung der Musikschule/Glasbena šola gearbeitet. Sie wurde durch eine Novellierung des Kärntner Musikschulgsetzes 2015 in das System der Kärntner Musikschulen integriert.1540 Weitere Themen, die bisher behandelt wurden, sind amtliche Formulare in der slowenischen Sprache und die Staatszielbestimmung für den Schutz der slowenischen Volksgruppe in der Kärntner Landesverfassung.1541 Ende des Jahres 2016 greift die zuständige Staatsekretärin für Diversität den Vorschlag aus dem Paket 2012 über die Einrichtung eines Forums der Volksgruppenbeiräte als Koordinationsgremium auf, das insb Stellungnahmen, Empfehlungen und Anregungen an die 1537 Vgl das Urteil von Kolonovits, Zur Novellierung 105. 1538 Republik Österreich, Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013-2018. Erfolgreich. Österreich. (2013). 1539 ACFC/SR/IV(2016)001 10 ff. Ebenso Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 18 f. 1540 Ebenso Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 22. 1541 ACFC/SR/IV(2016)001 126.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 273
Gesetzgebung erstatten soll, um dadurch den interkulturellen Dialog zwischen den Volksgruppen und dem Staat zu fördern.1542 Der Rat der Kärntner Slowenen lehnt diesen Vorschlag ab und erneuert stattdessen die Forderungen nach Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft und einem Verbandsklagerecht für gewählte Volksgruppenorganisationen.1543 In den Reformdiskussionen treten Spannungsfelder zu Tage, die in der Arbeit sichtbar geworden sind: die Notwendigkeit zur Sicherung der Funktionalität der Sprache nicht nur für die Volksgruppe, sondern als Ausdruck kultureller Vielfalt, die Definition von Minderheiten und ihren Angehörigen zwischen nationalen und kulturellen Kriterien, kollektive und individualrechtliche Schutzkonstruktionen und die Abgrenzung von neuen und alten Minderheiten. Sie betreffen Grundprobleme des aktuellen Systems. Wo es Komplementarität von Minderheitenschutz und Sprachförderung verwirklicht und wie pluralismustauglich das österreichische Volksgruppenrecht bereits ist, zeigt der folgende Abschnitt an einzelnen Instrumenten des Minderheitenschutzes in Kärnten. Er beleuchtet die Zielsetzungen und Geltungsbereiche der Instrumente mit Blick auf die Institutionalisierung von Multilingualität. Um ihre Funktionalität im Schutz der Minderheit und Sprache zu beurteilen, werden auch die Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC berücksichtigt.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten I. Amtssprache a. Subjektiver und territorialer Geltungsbereich Eine Novelle des Volksgruppengesetzes 2011 regelt mit der zweisprachigen Topographie auch den Geltungsbereich für die Zulassung des Slowenischen als Amtssprache in Kärnten (neu).1544 Für die Institutionalisierung von Multilingualität interessiert der personelle Anwendungsbereich, der sich aus Art 7 Z 3 StV und den Ausführungsbestimmungen in den §§ 13 ff VoGrG ergibt. Den territorialen Geltungsbereich regelt § 13 (1) VoGrG selbst im Verfassungsrang. 1542 Vgl bereits 371/ME 24. GP; Entwurf 19.12.2016. 1543 NSKS, Schreiben an Staatssekretärin Muna Duzdar, 14.12.2016. 1544 Zur Rechtslage vor der Novelle 2011 insb Kolonovits, Sprachenrecht.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Als Rechtssubjekte nennt Art 7 StV Wien in Z 1 und 4 „österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten“. Die Überschrift bestätigt, dass die Regelungen „Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten“ beinhalten.1545 Unklar bleibt die Auslegung der Z 3 des Art 7 StV Wien,1546 die Slowenisch in „Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens (…) mit slowenischer (…) oder gemischter Bevölkerung“ neben der deutschen Sprache als Amtssprache zulässt. Abgesehen vom Inhalt der Begriffe „Verwaltungs- und Gerichtsbezirke“ und „slowenischer oder gemischter Bevölkerung“ ist fraglich, welche Personen die Rechte des Art 7 Z 3 StV in Anspruch nehmen können: Jeder, Angehörige der genannten Minderheiten, österreichische Staatsbürger oder nur Angehörige der slowenischen oder gemischten Bevölkerung, die in den erwähnten Bezirken wohnen.1547 Kolonovits hat herausgearbeitet, dass es sich jedenfalls, wie der Wortlaut der Z 1 ausdrückt, im systematischen Zusammenhang um „österreichische Staatsangehörige“ handeln muss, die den Minderheiten angehören; somit nicht um „andere Staatsangehörige“, jedermann oder – aufgrund des systematischen Zusammenhangs zu den übrigen Rechten und der Überschrift – solche, die in den Bezirken wohnen.1548 Wortlaut, Systematik und subjektiv-historische Interpretation1549 sprechen dafür, dass die Bestimmung auf österreichische Staatsbürger abstellt, die der slowenischen Minderheit angehören. Marko vertritt unter Berufung auf ein Erk des VfGH1550 die konsequente Anwendung des Territorialitätsprinzips, da sich, so der VfGH, in den von Art 7 Z 3 StV Wien genannten Gebieten „jedermann (…) ohne Nachweis seiner Zugehörigkeit (…) der Sprache der Minderheit bedienen“1551 kann.1552 Mit dem Abstellen auf das Territorialitätsprinzip löst der 1545 Hierzu schon Kolonovits, Sprachenrecht 61. Einschränkend im Hinblick auf die „Sprache“ in Z 3 B.III.b. 1546 Hierzu zB bereits Unkart, Ein Beitrag zur Auslegung des Art 7 des Staatsvertrages 1955, ÖJZ 4/1974, 91. Art 7 Z 3 StV Wien lautet: „In den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens, des Burgenlandes und der Steiermark mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung wird die slowenische oder kroatische Sprache zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache zugelassen. In solchen Bezirken werden die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfaßt.“ 1547 Zu letzterem insb Kolonovits, Sprachenrecht 61; 148 ff. 1548 Kolonovits, Sprachenrecht 61 f; Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 14 (dort mwN in FN 98). 1549 Eine Reihe von Autoren belegt, dass in den Staatsvertragsverhandlungen auf Staatsangehörige abgestellt wird; siehe die Nachweise in Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 14 (dort in FN 98). 1550 VfSlg 11.885/1987. 1551 VfSlg 11.885/1987. 1552 Marko, Autonomie und Integration 359 f.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 275
VfGH, wie Marko argumentiert,1553 Fragen des personellen Geltungsbereiches auf – vor dem Hintergrund des Diskriminierungsschutzes der Minderheitenangehörigen, die davor geschützt sein sollen, ihre Zugehörigkeit in jedem Verfahren nachweisen zu müssen.1554 Die „menschenrechtliche Konsequenz“ dieser Rechtsprechung iVm der systematischen Interpretation der Z 1 und 4 des Art 7 StV Wien wäre ein Abgehen von dieser Voraussetzung, da Art 7 Z 3 StV Wien nicht explizit österreichische Staatsbürger der Minderheiten nennt. In einem in einem Folge-Erk1555 bezieht sich der VfGH wiederum auf „österreichische Staatsbürger“.1556 Anspruchsberechtigt nach Art 7 Z 3 StV Wien sind jedenfalls Angehörige der slowenischen Minderheit – in näher zu bestimmenden Bezirken – in Kärnten. Ihnen gewährt Art 7 Z 3 Satz 1 StV Wien, wie der VfGH feststellt,1557 ein „subjektives öffentliches Recht“. Dies begründet der VfGH mit dem Charakter der Bestimmung als Sonderregelung zum „Schutz sprachlicher Minderheiten“, die Art 8 B-VG ergänzt. Daher könne sich die Norm, wie die Überschrift bestätigt, „nicht in einem bloßen Auftrag an Staatsorgane erschöpfen“.1558 Ob das verfassungsmäßig gewährleistete Recht anderen Staatsbürgern zukommen soll, lässt der VfGH offen. Er repliziert im genannten Erk1559 auf die Bedenken der Bundesregierung. Sie verneint die unmittelbare Anwendbarkeit der Norm aufgrund der unklaren Bestimmbarkeit der Anspruchsberechtigten in einem Verfahren, zB durch subjektives oder objektives Bekenntnis. Dazu bemerkt der VfGH unter Hinweis auf die Ausführungsbestimmung im VoGrG,
1553 Marko, Autonomie und Integration 359 f. 1554 VfSlg 11.885/1987. 1555 VfSlg 12.836/1991. Auf dieses Erk und weitere weist auch Kolonovits hin in der Referenz auf die Meinung von Marko und sieht diese Wendung des VfGH als Bewegung „in die Richtige Richtung“, wofür zwei weitere Entscheidungen – VfSlg 14.452/1996 und VfSlg 15.582/1999 – als Beleg dienen, in denen der VfGH die Beschwerdeführer als „‚erklärte Angehörige der slowenischen Volksgruppe‘“ bezeichnet oder als „Angehörige der slowenischen Volkgruppe“ nennt; so Kolonovits, Sprachenrecht 62 (dort in FN 220). Im ersten Fall bemerkt der VfGH aber nur, dass es sich bei den Antragstellern um solche handelt, die von Art 7 Z 3 Satz 1 StV Wien erfasst sind. Dieser, so der VfGH, „garantiert ua. österreichischen Staatsbürgern, die der slowenischen Minderheit (Volksgruppe) angehören, (…) das Recht auf Gebrauch der slowenischen Sprache im Verkehr mit Behörden“; durch die Verwendung „ua.“ könnte der VfGH auch offen gelassen haben, ob es sich auch um andere handeln kann, weil in diesem Fall klar ist, dass die Bf sich als Angehörige der Minderheit bekennen. 1556 Marko, Autonomie und Integration 359 (dort in FN 351). 1557 VfSlg 9.744/1983. 1558 VfSlg 9.744/1983. 1559 VfSlg 9.744/1983.
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„dass eine von der Bundesregierung aufgezeigte wesentliche Schwierigkeit, nämlich die Feststellung, ob im Einzelfall ein Verfahrensbeteiligter, der die Verhandlung in einer Minderheitensprache verlangt, Angehöriger einer Minderheit ist, nicht besteht. Entgegen der Ansicht, die der Vertreter der Bundesregierung in der Verhandlung vor dem VfGH äußerte, kann sich in den in Art 7 Z 3 des Staatsvertrages von Wien bezeichneten Gebieten jedermann, der in der Sprache der Minderheit verhandeln will, ohne Nachweis seiner Zugehörigkeit zu einer Minderheit der Sprache der Minderheit bedienen. Diese Auslegung entspricht auch dem Grundgedanken des Minderheitenschutzes, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe nicht in jedem einzelnen Verfahren nachweisen zu müssen, was unter Umständen zu einer Diskriminierung führen könnte.“1560
Über den Anwendungsbereich von Art 7 Z 3 StV Wien trifft der VfGH keine Aussage. Er hält nur fest, dass die Feststellung der Zugehörigkeit selbst dem Diskriminierungsverbot unterliegen würde. Kritisch bemerkt Kolonovits zu dieser Judikatur, dass Art 7 Z 3 StV Wien die Zugehörigkeit zur Minderheit voraussetzt und die Art ihrer Feststellung offen lässt.1561 Zum Diskriminierungsschutz führt Kolonovits an, dass Art 7 Z 3 StV wie die in Betracht kommenden Schutznormen (zB Art 7 B-VG, Art 66 (1) und 67 StV Germain, Art I (1) BVG Rassendiskriminierung) in Verfassungsrang steht. Durch die Bestimmungen des StV Wien würden Angehörige der Minderheiten nicht diskriminiert, sondern gefördert.1562 Letzterem ist entgegenzuhalten, dass – wie der VfGH zu bedenken gibt – ein Bekenntnis erheblichen Druck auf Betroffene ausüben kann, selbst wenn es um begünstigende Normen geht. Erhellend ist die Interpretation der Norm, die der VfGH mit Blick auf „Ziel und Zweck“ vornimmt, wie es völkerrechtlich gem Art 31 (1) iVm 33 (4) WVK geboten ist: Den Grund für die Zulassung des Slowenischen zur Amtssprache bildet die „Möglichkeit zur Bewahrung und Pflege der eigenen (Minderheiten)Sprache“.1563 Es geht darum, den Angehörigen der Volksgruppe die Pflege ihrer Sprache zu si-
1560 VfSlg 11.885/1987. Dafür spricht die wörtliche Interpretation, die auf die „Sprache“ abstellt (B.III.b.). 1561 Kolonovits, Sprachenrecht 64. 1562 Kolonovits, Sprachenrecht 64. 1563 VfSlg 15.970/2000; 9.801/1983 („Nicht die Unverständlichkeit der Staatssprache für die Minderheit, sondern die Möglichkeit der Bewahrung und Pflege der eigenen Sprache ist der Grund für die Zulassung des Slowenischen als Amtssprache.“) In letzterem Erk hält der VfGH fest, dass Art 7 Z 3 StV Wien nur den Sprachgebrauch im Verkehr mit lokalen Behörden oder Gerichten sicherstellt; somit nur „das Gespräch und der Schriftwechsel mit den staatlichen Organen (…) - auf Verlangen - in slowenischer Sprache stattzufinden hat“, nicht aber Aktenübersetzungen notwendig sind. Hervorhebung durch den Verfasser.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 277
chern, wie historische Argumente belegen.1564 Dies spricht für die Gewährung eines subjektiven öffentlichen Rechts nach Art 7 Z 3 StV Wien nur für die betreffenden Volksgruppenangehörigen, nicht für „jedermann“. Nur funktional kann man zu einem anderen Ergebnis gelangen, wenn die Intention des allgemeinen Sprachschutzes, nicht nur die „eigene“ Sprache zu pflegen, sondern die Sprache der Minderheit zu pflegen, als Teil des Minderheitenschutzes berücksichtigt wird. Die Grenzen des Wortlauts werden nicht überschritten (Art 7 Z 3 stellt auf die „Sprache“ ab; siehe B.III.b.). Jedenfalls für die Volksgruppenangehörigen in Kärnten lässt sich der personelle Anwendungsbereich erschließen; außerhalb der spezifischen Gebiete Kärntens gewährt Art 7 Z 3 StV Wien keine Rechte.1565 Für Personen, die sich nicht ethnisch, aber sprachlich, identifizieren, ist jedenfalls einfachgesetzlich eine klare Regelung vorgesehen: § 13 (2) VoGrG erlaubt „jedermann“, sich der Sprache der Volksgruppe im Verkehr mit Behörden und Dienststellen zu bedienen. Die Regelung des Geltungsbereichs in § 13 (1) VoGrG im Verfassungsrang könnte das subjektive Recht der Volksgruppenangehörigen aus Art 7 Z 3 StV Wien einschränken. § 13 (1) VoGrG spezifiziert den territorialen Geltungsbereich von Art 7 Z 3 StV Wien und benennt in Anlage 2 (ebenfalls im Verfassungsrang) jene Behörden und Dienststellen, an denen sicherzustellen ist, dass die slowenische (im Burgenland die ungarische und kroatische) Sprache zusätzlich zur deutschen als Amtssprache genutzt werden kann. Als lex specialis auf gleicher Ebene geht § 13 VoGrG dem Art 7 StV Wien vor und könnte das subjektive Recht der Volksgruppenangehörigen einschränken. Ein anderes Ergebnis ließe sich auch nicht mit der Staatszielbestimmung in Art 8 (2) B-VG begründen, die sich ebenso im Verfassungsrang befindet. Bis zur Novelle 2011 bestehen die Regelungen des VoGrG als einfachgesetzliche Ausführung neben dem Art 7 Z 3 StV Wien, sodass Angehörigen der Minderheiten sowohl das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht in Art 7 Z 3 StV Wien als auch die einfachgesetzlichen Rechte des VoGrG zukamen.1566 Allerdings war, wie Kolonovits zeigt, davon auszugehen, dass Art 7 Z 3 erster Satz StV Wien insofern nicht unmittelbar anwendbar war, soweit Ausführungsvorschriften – wie die Amtssprachenverordnungen zur Konkretisierung des räumlichen Geltungsbereiches – präzisere Regelungen vorsahen.1567 Im Wortlaut entspricht § 13 (1) VoGrG seiner Vorgängerbestimmung,1568 ver1564 Hierzu schon FN 1348. 1565 Vgl schon Marko, Autonomie und Integration 361. 1566 Eingehend Kolonovits, Sprachenrecht 181 f. 1567 Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 82. 1568 § 13 (1) VoGrG lautet: „Die Träger der in der Anlage 2 bezeichneten Behörden und Dienststellen haben sicherzustellen, dass im Verkehr mit der jeweiligen Behörde und Dienststelle die kroatische,
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
weist auf Anlage 2 und bestimmt in diesen Behörden und Dienststellen, die zuvor durch Verordnung festzulegen waren,1569 die Sicherstellung der Verwendung der Amtssprache nach „Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnitts“. In Abs 2 folgt das einfachgesetzliche Recht, das „jedermann“ die Verwendung der Amtssprache bei Behörden und Dienststellen nach Abs 1 gewährt. Unabhängig von der Interpretation des Begriffs „jedermann“ könnte man zu dem Schluss gelangen, § 13 (1) VoGrG enthalte aufgrund seiner Formulierung als objektive Norm bloß einen Auftrag an die Staatsorgane („Die Träger (…) haben sicherzustellen, dass (…)“) und nur eine Festlegung des räumlichen Geltungsbereiches, sowie den Verweis auf das einfachgesetzlich gewährte Recht in § 13 (2) VoGrG. Sofern § 13 (1) VoGrG überhaupt den subjektiven Anwendungsbereich betrifft, ist dem entgegenzuhalten, dass der VfGH in Art 7 Z 3 StV ein hinlänglich individualisiertes Parteiinteresse (der Volksgruppenangehörigen) erkannte und daraus ein subjektives öffentliches Recht ableitete. Dies müsste folglich auch für § 13 (1) VoGrG gelten, jedoch im Rahmen des von diesem iVm Anlage 2 definierten territorialen Geltungsbereiches. Diese Interpretation wäre angezeigt vor dem Hintergrund, dass der VfGH in der Verfassung eine „Wertentscheidung zugunsten des Minderheitenschutzes“1570 erkennt und bemerkt, Minderheitenschutznormen dürften „schon vom Regelungszweck her nicht restriktiv“1571 ausgelegt werden. Nimmt man dagegen an, § 13 (1) VoGrG trifft keine Aussage über den persönlichen, sondern präzisiert nur den territorialen Anwendungsbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts in Art 7 Z 3 StV Wien, bleibt die Geltung dieses subjektiven Rechts aufrecht – innerhalb des in § 13 (1) VoGrG iVm Anlage 2 definierten Bereiches.1572 Der VfGH hält dazu in einem Erk 2012 fest: slowenische oder ungarische Sprache nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache verwendet werden kann.“ Die Vorgängerbestimmung normierte: „Die Träger der Behörden und Dienststellen haben sicherzustellen, daß im Verkehr mit diesen Behörden und Dienststellen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes die Sprache einer Volksgruppe gebraucht werden kann.“ 1569 Eingehend Kolonovits, Sprachenrecht 215 ff. 1570 VfSlg 9.224/1981. 1571 VfSlg 12.245/1989; 15.970/2000; Marko in Heißl 424. 1572 Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 83 stellt fest, Verwaltungsbehörden und Gerichte haben bei Anwendung der Bestimmungen des Volksgruppengesetzes das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht in Art 7 Z 3 StV erster Satz Wien zu beachten und Ausführungsvorschriften im Zweifel verfassungskonform zu interpretieren. Die örtliche Zuständigkeit kann aufgrund ihrer Festlegung im Verfassungsrang nicht releviert werden. Unmittelbar anwendbar bleibt Art 7 Z 3 erster Satz StV Wien, so Kolonovits weiter, in jenen Bereichen für die Behörden, die nicht von Ausführungsvorschriften erfasst sind. Eingriffe in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nach Art 7 Z 3 erster Satz StV Wien durch die Vollziehung können nach Art 144 B-VG releviert werden.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 279 „§13 Abs1 sowie die Anlage 2 zum VolksgruppenG, in der die zur Verwendung der Minderheitensprachen verpflichteten Behörden aufgezählt werden, stehen ebenso wie der Staatsvertrag von Wien im Verfassungsrang und sind daher ungeachtet der sich aus diesem ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht (mehr) - wie dies bei der vor dem 27. Juli 2011 geltenden Rechtslage der Fall war - am Maßstab des Art 7 StV Wien 1955 zu messen.“1573
Im Erk spricht der VfGH über die Zulassung der Amtssprache in Orten ab, die nach der Novelle nicht mehr vom Anwendungsbereich des § 13 iVm Anlage 2 VoGrG erfasst sind. Außerhalb dieses Bereiches ist keine Berufung auf verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte möglich. Innerhalb muss die Berufungsmöglichkeit für die Angehörigen der Minderheiten jedenfalls bejaht werden. Für die Institutionalisierung von Multilingualität sind insb einfachgesetzliche Regelungen des VoGrG von Bedeutung. § 13 (2) VoGrG gewährt „jedermann“ das Recht, sich der Sprache einer Volksgruppe zu bedienen. Für das Verständnis als „Jedermannsrecht“ spricht nach Kolonovits der systematische Vergleich mit anderen Bestimmungen, in denen auf Volksgruppenangehörige abgestellt wird, soweit diese betroffen sind.1574 Auch die frühere Verordnungsermächtigung in § 2 (1) Z 3 VoGrG sah die Möglichkeit zur Beschränkung auf „bestimmte Personen“, nicht „Volksgruppenangehörige“ vor.1575 Somit ist von einem weiten Begriffsverständnis auszugehen, das durch Wegfall der Einschränkung in der entsprechenden Amtssprachenverordnung nicht mehr auf „österreichische Staatsangehörige“ beschränkt ist.1576 Das Recht auf Verwendung einer Minderheitensprache als Amtssprache steht nach der Judikatur des EuGH in Bickel und Franz1577 Unionsbürgern zu: Sie können vor Behörden eines anderen Mitgliedsstaates die Sprache einer Minderheit nutzen, wenn diese Sprache dort als Amtssprache zugelassen ist. 1578 Im Geltungsbereich des § 13 Abs 1 iVm Anlage 2 VoGrG ist somit, wie Kolonovits bereits für die Rechtslage vor der Novelle zeigt, zu einem gewissen Grad ein Territorialitätsprinzip verwirklicht.1579 1573 VfSlg 19.693/2012. 1574 Kolonovits, Sprachenrecht 72 f. Aus den Erl ist für diese Frage nichts zu gewinnen. Sie sprechen davon, dass „der einzelne sich der Sprache einer Volksgruppe bedienen kann“; ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 13. 1575 Kolonovits, Sprachenrecht 72 f in Bezug auf § 2 (1) Z 3 VoGrG idF BGBl 2009/52. 1576 Kolonovits, Die “Ortstafellösung“ und Amtssprachenregelung in der Volksgruppengesetz-Novelle, BGBl I 2011/46, migraLex 3/2011 62 (67); zum Begriffsverständnis Kolonovits, Sprachenrecht 73. 1577 EuGH, C-274/96, Bickel und Franz, Slg 1988, I-7637. 1578 Vgl Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 Rz 19 ff. 1579 Kolonovits, Sprachenrecht 74. Kolonovits gibt zu bedenken, dass im Sinne eines „reinen“ Territo-
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In diesem Gebiet kann sich jedermann der Volksgruppensprache bedienen – wie der VfGH in VfSlg 11.885/1987 anmerkt, ohne seine Zugehörigkeit nachweisen zu müssen. Dies entspricht § 1 (3) VoGrG über die Bekenntnisfreiheit und die Festlegung, dass niemand verpflichtet ist, seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe nachzuweisen.1580 Über diese Bestimmungen erlaubt das VoGrG – unabhängig von den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der Volksgruppenangehörigen – die Verwendung des Slowenischen allen Personen, die die Sprache nutzen möchten. Die Grenze findet dies an einem möglichen Missbrauch der Rechte, wie § 13 (2) VoGrG nahelegt. Wenngleich die Zulassung der Volksgruppensprache als Amtssprache, die sich zum Zeitpunkt der Erlassung des VoGrG aus Art 7 Z 3 StV Wien ergibt, dem Schutz der Volksgruppen und der Wahrung ihrer eigenen Sprache dient, öffnet sich die Amtssprachenregelung im Zusammenhang mit der Freiheit und Nicht-Überprüfbarkeit des Bekenntnisses – in ihrer faktischen Wirkung – auch dem Schutz der Sprache an sich (Ebene 2). Den territorialen Anwendungsbereich legt § 13 iVm Anlage 2 VoGrG im Wesentlichen in Entsprechung zu den früheren Amtssprachenverordnungen fest. Nach den Erl1581 beseitigt die Novellierung rechtlich nicht mehr relevante Bestimmungen, zB jene über Wohnsitzerfordernisse in der slowenischen Amtssprachenverordnung. Davon ausgenommen sind Wohnsitzerfordernisse, die § 13 iVm Anlage 2 VoGrG für Bürger der Gemeinden St. Kanzian und Eberndorf erst schafft. In beiden Gemeinden haben nur Personen das Recht, Slowenisch als Amtssprache zu nutzen, die in Orten wohnen, die in Anlage 2 genannt sind. Es handelt sich um jene Orte in der Gemeinde St. Kanzian, die über zweisprachige Ortstafeln verfügen (§ 12 iVm Anlage 1 VoGrG). Diese Regelung ist problematisch, weil der VfGH in seiner Judikatur zur Amtssprache stets auf die Ebene der Gemeinde abgestellt hat,1582 um den Begriff eines „Verwaltungsbezirkes“ iSv Art 7 Z 3 StV Wien zu bestimmen. Hierzu hat der VfGH eine Auslegung vorgenommen, die sich am Ziel des Vertrages orientiert, die Pflege und Wahrung der Minderheitensprache zu gewährleisten.1583 Dabei sei, so der VfGH, zu berücksichtigen, dass die Volksgruppen überwiegend in Streulage siedeln1584 und daher „ein Verständnis beizulegen, das sich an den tatsächlichen, dh. gemeindebezogenen, Siedlungsschwerpunkten dieser Volksgruppen ori-
1580 1581 1582 1583 1584
rialitätsprinzips in diesem Fall nicht nur eine Sprache in einem bestimmten Gebiet zugelassen ist, sondern die Minderheitensprache zusätzlich. Kolonovits, Sprachenrecht 74. ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 7. Insb VfSlg 15.970/2000. VfSlg 15.970/2000; 9.801/1983. VfSlg 9.224/1981.
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entiert“1585. Entgegen dieser Festlegung im zentralen „Amtssprachenerkenntnis“,1586 mit dem der VfGH im Jahr 2000 Teile des VoGrG aufhebt, die als Voraussetzung für die Zulassung der Amtssprache ein 25%-Kriterium an slowenischsprachiger Bevölkerung vorsehen, bezieht sich die Novelle auf einzelne Orte in den Gemeinden St. Kanzian und Eberndorf. Der VfGH hat nur für die Regelung der zweisprachigen Topographie nach Art 7 Z 3 Satz 2 StV Wien auf die administrative Einheit der Ortschaften abgestellt. Er hat in einem Erk 2011 bestätigt, dass für die Amtssprache die Gemeindeebene heranzuziehen ist, da die Orientierung, im Gegensatz zur Topographie, nicht an „ortschaftsbezogenen Siedlungsschwerpunkten“ erfolgen kann, weil es „unterhalb der Gemeinde keine kleinere Verwaltungseinheit mehr gibt“.1587 Diese Unterscheidung ist mit Blick auf den Zweck der Regelungen sinnvoll, den der VfGH darin erkennt,1588 dass die Zulassung der Amtssprache den einzelnen Angehörigen der Volksgruppen Erleichterungen gewähren soll, wohingegen die zweisprachigen topographischen Aufschriften der Allgemeinheit anzeigen, „dass im betreffenden Ort eine verhältnismäßig größere Zahl von Minderheitenangehörigen lebt“.1589 Dieses Ziel ist auf Ortschaftsebene besser zu verwirklichen. Der Geltungsbereich der Amtssprache hat schon wegen der Verwendung vor Gemeindeämtern die gesamte Gemeinde zu sein.1590 Im Erkenntnis zur Amtssprache im Jahr 2000 hat der VfGH die Zulassung der Amtssprache in der Gemeinde Eberndorf explizit festgestellt.1591 Die Schaffung von Wohnsitzerfordernissen durch § 13 iVm Anlage 2 VoGrG widerspricht nicht nur der Judikatur des VfGH, sie diskriminiert die Einwohner jener Ortschaften in den Gemeinden St. Kanzian und Eberndorf, die in Orten wohnen, die nicht in Anlage 2 angeführt sind. Um die Folgen dieser Regelung zu verdeutlichen verweist Kolonovits auf Personen, die aus Orten der Anlage 2 in solche ziehen, die nicht ihrem Geltungsbereich unterliegen und damit das Recht auf Verwendung der Amtssprache vor demselben Gemeindeamt verlieren, worin er „eine krasse, durch die Verfassungsform ‚gedeckte‘ Ungleichbehandlung der Einwohner der verschiedenen Ortschaften einer Gemeinde“ erblickt.1592 Die Regelung ist sachlich nicht zu rechtfertigen und widerspricht dem Gleichheitssatz nach Art
1585 1586 1587 1588 1589 1590 1591 1592
VfSlg 15.970/2000. VfSlg 15.970/2000; vgl Teil 1.A.II. 19.313/2011; vgl hierzu insgesamt auch Pirker, Reform 401 f; Kolonovits, Ortstafellösung 66. VfSlg 16.404/2001. VfSlg 16.404/2001. VfSlg 15.970/2000; 16.404/2001. VfSlg 15.970/2000; Kolonovits, Ortstafellösung 66. Kolonovits, Ortstafellösung 66.
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7 B-VG.1593 Aufgrund ihres Verfassungsranges kann sie jedoch nicht an diesem gemessen und nicht vom VfGH überprüft werden. Dies gilt unabhängig von der völkerrechtlichen Dimension des Art 7 Z 3 StV Wien, wie der VfGH in einem Erk 2012 bestätigt.1594 § 13 (1) iVm Anlage 2 VoGrG sieht eine eindeutige Festlegung des territorialen Anwendungsbereiches der Amtssprachenregelung vor, mag sie gleichheits- oder völkerrechtswidrig sein. Ad absurdum geführt wird sie durch die Judikatur des EuGH, der zufolge sich zwar Unionsbürger vor den Gemeindebehörden in Eberndorf und St. Kanzian der slowenischen Sprache bedienen können, nicht jedoch Einwohner der Orte, die nicht in der Anlage 2 genannt sind.1595 In der unsachlichen territorialen Begrenzung auf bestimmte Orte innerhalb einzelner Gemeinden liegt eine gravierende Einschränkung der Minderheitenrechte (Ebene 1), die dem Zweck der zugrundeliegenden Bestimmung in Art 7 Z 3 StV Wien zuwiderläuft, die Pflege und Wahrung der eigenen Minderheitensprache sicherzustellen.1596 Gerade zu diesem Zweck hat der VfGH eine Orientierung an gemeindebezogenen Siedlungsschwerpunkten für notwendig erachtet.1597 Sofern Volksgruppenangehörigen diese Möglichkeit genommen wird, weil sie in Orten ohne zweisprachige Ortstafeln wohnen, widerspricht dies den Prinzipien des Minderheitenschutzes, insb dem Schutz der Sprache für diese Volksgruppenangehörigen. Von einem darüber hinausgehenden Sprachschutz oder ihrer Förderung kann ohnehin keine Rede sein. Die Beschränkung schließt dies vielmehr aus. § 13 (3) VoGrG enthält eine Ermächtigung anderer Organe als der in § 13 (1) VoGrG bezeichneten Behörden und Dienststellen, die jeweilige Volksgruppensprache im mündlichen oder schriftlichen Verkehr zu verwenden, sofern es den „Verkehr mit Personen erleichtert“. Nach den Erl1598 handelt es sich um eine „spezifische Minderheitenschutzbestimmung“, die „von der Ausnahmeklausel des Art 8 Abs 2 B-VG gedeckt ist“.1599 Behörden können dies „freiwillig“ tun. Der Verfassungsausschuss im Nationalrat stellt klar, dass die Organe die Volksgruppensprachen als Amtssprachen „verwenden sollten, wenn sie dazu grundsätzlich in der Lage sind“1600. Es handelt sich um eine Ermächtigung für Organe, die nicht schon durch 1593 Vgl Holzinger, Die Lösung 57. 1594 VfSlg 19.693/2012. Auch für eine Gesamtänderung der Bundesverfassung durch die Neuregelung der Novelle bestehen keine Anhaltspunkte. Vgl Holzinger, Die Lösung des Kärntner Ortstafelstreits – fünf Jahre danach, Europa Ethnica 3-4/2016, 55 (56). 1595 Vgl hierzu Pirker, Reform 401 f. 1596 VfSlg 15.970/2000; 9.801/1983. 1597 VfSlg 15.970/2000. 1598 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 7 f. 1599 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 7 f. 1600 AB 1312 BlgNR 24. GP, 2.
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§ 13 (1) VoGrG iVm der Anlage zur Zulassung der Volksgruppensprache verpflichtet sind. Die Bestimmung selbst gewährt – anders als § 13 (1) iVm § 13 (2) VoGrG – kein subjektives Recht.1601 Dennoch schafft sie eine Grundlage für die Gemeindebehörden in Eberndorf und St. Kanzian, freiwillig Einwohnern der Orte, die nicht in Anlage 2 genannt sind, die Verwendung der slowenischen Sprache zu gewähren. Die Gemeindebehörden sind dazu aufgrund ihrer Verpflichtung in § 13 (1) VoGrG jedenfalls in der Lage. Aus der fehlenden Verpflichtung ergibt sich kein Verbot, die Eingaben der Einwohner der betreffenden Orte in Slowenisch zu erledigen.1602 In dieser Ermächtigungsnorm ist daher funktional eine Öffnung für „jedermann“ zu erblicken (Ebene 2), auch wenn sie auf den Schutz der Volksgruppenangehörigen zielt.1603 Die Erl1604 2011 führen aus, dass auch Vertreter juristischer Personen, deren satzungsgemäßer Zweck Angelegenheiten der Volksgruppe beinhaltet, die Möglichkeit zukommt,1605 Anbringen in Slowenisch einbringen können. Da dies so ausgelegt werden könnte, dass andere juristische Personen nicht berechtigt sind, hat der Verfassungsausschuss festgestellt, dass auch andere als solche mit satzungsgemäßem Zweck der Volksgruppenangelegenheiten die Sprache einer Volksgruppe vor den genannten Behörden nutzen können.1606 Art 118 (7) B-VG erlaubt Gemeinden, Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches an die Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung (idR die Bezirksverwaltungsbehörden) zu übertragen. Die Regelungen über die Amtssprache beschränken diese Möglichkeiten nicht.1607 Die Erläuterungen führen aus, Gemeinden könnten „ihre Zuständigkeit in bestimmten Verwaltungsangelegenheiten, die nicht in deutscher Sprache zu besorgen sind, an die örtlich zuständige Bezirkshauptmannschaft übertragen“1608. Als Gründe für eine solche Übertragung werden insb begrenzte Leistungsfähigkeit, Effizienz, Sparsamkeit oder Wirtschaftlichkeit genannt.1609 Es kann jedoch zu einer Einschränkung der Amtssprachenrechte kommen, wenn (nur) Angelegenheiten in slowenischer Sprache auf die Bezirksebene übertragen wer-
1601 Zur Vorgängerbestimmung siehe Kolonovits, Sprachenrecht 232 f. 1602 Vgl Pirker, Reform 403 f. 1603 ErläutRV 217 BlgNR 14. GP 14. Die Erl 1976 stellen klar, dass die Verwendung einer Volksgruppensprache jedenfalls keine Verletzung von Art 8 (1) B-VG darstellt. 1604 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 7. 1605 Zum Problemkreis der juristischen Personen als Träger von Sprachenrechten insb Kolonovits, Sprachenrecht 75 ff. 1606 AB 1312 BlgNR 24. GP 2. 1607 Vgl Pirker, Reform 402 f; ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 7. 1608 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 7. 1609 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 7.
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den.1610 Wenig aufschlussreich bemerkt der Verfassungsausschuss zur Novelle 2011, dass die „bestehende bewährte Praxis nicht geändert wird“1611. Art 118 (7) B-VG regelt die Delegation „einzelner“ Angelegenheiten, um insb kleinere Gemeinden zu entlasten. 1612 Nicht zulässig ist eine Übertragung des überwiegenden Teils der Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches. Auch für Einzelmaßnahmen oder konkrete Angelegenheiten kann die Übertragung ausgeschlossen sein.1613 Erforderlich ist eine zumindest abstrakte Umschreibung der Aufgaben und die Übertragung darf nicht unsachlich motiviert sein.1614 Zur Verfahrenskonzentration können zB Abschnitte eines behördlichen Verfahrens delegiert werden. Eine generelle Übertragung ist aber ausgeschlossen und Übertragungsverordnungen sind aufzuheben, sobald ihre Gründe wegfallen.1615 Für die Angelegenheiten in slowenischer Sprache ist anzunehmen, dass sie abstrakt ausreichend zu bestimmen sind und eine Delegation, wie die Erläuterungen andeuten, mit der mangelnden Leistungsfähigkeit einer Gemeinde zu rechtfertigen wäre. 1616 Der Wortlaut des Art 118 (7) B-VG („Angelegenheiten“) stellt jedoch materienspezifisch auf bestimmte Aufgabenbereiche ab und steht einer Übertragung (bloß) nach dem Kriterium der Sprache entgegen.1617 Angelegenheiten sind in Anknüpfung an die Materie zu übertragen und nicht wegen der Sprache, in der sie eingebracht werden. Andernfalls 1610 Mit dieser Intention wurde die Übertragungsmöglichkeit im Rahmen der Ortstafelverhandlungen berücksichtigt (Auskunft des Volksgruppenbüros und des Kärntner Verfassungsdienstes am 31.10.2011). 1611 AB 1312 BlgNR 24. GP 2. Für Kärnten besteht keine Praxis (Auskunft des Volksgruppenbüros und des Kärntner Verfassungsdienstes am 31.10.2011). 1612 Weber, Art 118/1-7 B-VG, in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (1999) Rz 46; Weber, Gemeindeaufgaben, in Österreichischer Gemeindebund/Österreichischer Städtebund (Hrsg), 40 Jahre Gemeindeverfassungsnovelle 1962 (2002) 31 (54 f ); Bußjäger, Die Übertragung von Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches auf staatliche Behörden als Instrument der Verwaltungsmodernisierung, in ÖGZ 8/2000, 12 (12 f ); Berchtold, Die Übertragung der Besorgung von Gemeindeaufgaben, in JBl 1970, 25 (26); Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht (1972) 630 f; Neuhofer, Gemeinderecht² (1998) 151 ff. 1613 VwSlg 7.368 A/1968. 1614 Bußjäger, Die Übertragung 13. 1615 Bußjäger, Die Übertragung 13; Neuhofer, Gemeinderecht 153; Weber in Korinek/Holoubek, Art 118/1-7 Rz 47. Weber geht davon aus, dass für eine Übertragung triftige Gründe vorliegen müssen. Neuhofer merkt dagegen an, dass Angaben von Gründen nicht notwendig sind, da Art 118 B-VG keine Begründungspflicht einschließt. Vgl Pirker, Reform 402 f. 1616 Aus diesem Grund wird die Übertragungsmöglichkeit in der Novelle berücksichtigt. Einzelne Gemeinden äußern in den Verhandlungen der Ortstafelfrage Bedenken, die Verpflichtungen mangels Personal nicht erfüllen zu können. (Auskunft des Volksgruppenbüros und des Kärntner Verfassungsdienstes am 31.10.2011); vgl Pirker, Reform 402 f. 1617 Vgl Pirker, Reform 402 f.
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läge, wie Kolonovits zeigt, auch ein Widerspruch zu Art 7 Z 3 StV Wien und § 13 (1) VoGrG vor. Für Angelegenheiten der Amtssprache bilden sie speziellere Normen auf Verfassungsstufe als Art 118 (7) B-VG. Zumindest nach § 13 VoGrG ist die Verwendung der Sprache vor den genannten Behörden ausdrücklich „sicherzustellen“.1618 Würde man eine sprachbezogene Delegation unter Art 118 (7) B-VG subsumieren, ergäben sich eine Reihe weiterer Probleme, wenn Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches in slowenischer Sprache übertragen wären, solche des übertragenen Wirkungsbereiches jedoch in der Gemeinde verblieben. Bürgern wäre die bedenkliche Möglichkeit gewährt, über die Sprache die zuständige Behörde zu wählen und die Delegation könnte zu einer Schlechterstellung von Antragstellern in slowenischer Sprache gegenüber anderen führen, da die Bezirkshauptmannschaft von der Gemeinde weiter entfernt ist.1619 Widersprochen wäre der Judikatur des VfGH, der für das Ziel der Sprachpflege auf „gemeindebezogene Siedlungsschwerpunkte“ abstellt und die Ebene der Gemeinde für den Schutzzweck der Amtssprachenregelung als adäquat erachtet.1620 Eine Delegation von Aufgaben in deutscher und slowenischer Sprache ist daher – bezogen auf bestimmte Materien – nicht grundsätzlich ausgeschlossen, wohl aber die Übertragung von Angelegenheiten nur in slowenischer Sprache.1621 Zusammenfassend bergen die Regelungen zur Amtssprache einige Probleme. Die Beschränkungen des Anwendungsbereiches in den Gemeinden St. Kanzian und Eberndorf widersprechen Art 7 Z 3 StV Wien (als Verfassungs- und Völkerrecht) und dem Gleichheitsgrundsatz in Art 7 B-VG. Aufgrund der Stellung von § 13 (1) iVm Anlage 2 VoGrG im Verfassungsrang ist eine Verfassungs- oder Völkerrechtswidrigkeit, wie der VfGH 2012 bestätigt, nicht relevierbar.1622 Zu sehen sind die systemwidrigen Regelungen1623 im Zusammenhang mit der Lösung der Kärntner Ortstafelfrage (Teil 1.A.II.). In die Verhandlungen wurde die Amtssprache integriert und im Verfassungsrang geregelt, ohne die Volksgruppen im Burgenland einzubeziehen. Welche Probleme sich bei der Anwendung und Umsetzung der Bestimmungen des RÜ und der Sprachencharta im Zusammenhang mit der Amtssprache ergeben, zeigt der nächste Abschnitt.
1618 Kolonovits, Ortstafellösung 67 f. 1619 Vgl Pirker, Reform 402 f. 1620 VfSlg 15.970/2000; 16.404/2001; vgl Kolonovits, Ortstafellösung 66. 1621 Die Regelungen in Anlage 2 über die Zulassung vor sonstigen Behörden und Dienststellen entspricht dem Stand der Verordnungen vor der Novelle; vgl Pirker, Reform 403. 1622 VfSlg 19.693/2012. 1623 Hierzu Hesse in Beclin/Karpf/Kassl/Platzer 120.
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b. Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC Die zentrale Regelung der Amtssprache findet sich in Art 10 (2) RÜ.1624 Dem Erl Bericht ist zu entnehmen, dass sie nur den Verkehr mit Verwaltungsbehörden umfasst. Der Begriff ist weit auszulegen.1625 Die Bestimmung ist flexibel formuliert und gewährt Mitgliedsstaaten Ermessensspielraum. Soweit die Voraussetzungen erfüllt sind und ein tatsächlicher Bedarf vorliegt, den die Staaten aufgrund objektiver Kriterien zu ermitteln haben, bemühen sie sich, der Verpflichtung nachzukommen.1626 Die Auslegung der Begriffe „traditionell bewohnt“, „in beträchtlicher Zahl“, „verlangen“ und „tatsächlicher Bedarf“ dürfen nicht nur dem Ermessen der Behörden anheimgestellt bleiben, sondern haben nach klaren Kriterien für alle Minderheiten zu erfolgen.1627Ausreichend ist das Bestehen einer gegenwärtigen Nachfrage oder eines Gebietes, das traditionell von Minderheitenangehörigen bewohnt wird.1628 In diesem Gebiet muss eine nationale Minderheit in beträchtlicher Zahl siedeln oder es muss von einer Minderheit traditionell bewohnt sein. Dies gilt auch für Minderheiten, die zB aufgrund von Binnenmigration in beträchtlicher Zahl außerhalb der autochthonen Gebiete siedeln.1629 Entscheidend für den tatsächlichen Bedarf ist die Sicherung der Funktionalität der Minderheitensprache oder ihr Überleben im öffentlichen Raum.1630 Die Beurteilung eines tatsächlichen Bedarfs ist nicht daran auszurichten, ob Angehörige der Minderheit die Amtssprachen beherrschen, sondern danach, dass die Funktionalität der Sprache gesichert wird.1631 Der the1624 Zur Bestimmung siehe B.II.; Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ; De Varennes, Article 10, in Weller (Hrsg), The Rights of Minorities. A Commentary on the European Convention for the Protection of National Minorities (2005) 301 (309 ff). 1625 Er umfasst zB auch Ombudsmänner; FCNM, Explanatory Report para 64; Hofmann in Hofmann/ Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 15 1626 Die vage Formulierung birgt die Intention, verschiedene Faktoren auf Seiten der Staaten – insb finanzielle – bei der Bereitstellung der Sprachen berücksichtigen zu können; FCNM, Explanatory Report para 65 f. Auch die Formulierung der traditionell oder in beträchtlicher Zahl bewohnten Gebiete ist bewusst flexibel gehalten und bezieht sich nicht auf historische Minderheiten, sondern auf solche, die noch immer in demselben Gebiet leben; vgl Hofmann in Hofmann/Angst/ Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 2; 14 ff; De Varennes in Weller, Article 10 311 f; Thornberry/ Estébanez, Minority Rights 105. 1627 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 16. 1628 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 17; De Varennes in Weller, Article 10 316. 1629 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 58; Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/ Rein, Art 10 RÜ Rz 17. 1630 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 18. 1631 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 18.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 287
matische Kommentar des Beratenden Ausschusses bemerkt, Maßnahmen zur Verwendung einer Amtssprache sollten auch sichergestellt werden, wenn die Nachfrage klein ist und Beschlüsse über die Zurücknahme nicht in Gremien ohne Beteiligung der Minderheiten getroffen werden.1632 Die Bestimmung ist von wesentlicher Bedeutung, weil sie den Angehörigen der Minderheit die Möglichkeit bietet, nicht nur Verwaltungsakte in der eigenen Sprache zu erhalten, sondern vor allem auch in dieser Sprache mit den Behörden zu kommunizieren.1633 Um die Kriterien festzulegen haben sich Behörden, wie der Beratende Ausschuss zu Art 10 (2) RÜ mehrfach bemerkt,1634 nicht nur statistischer Erhebungen zu bedienen, sondern auch demographische Entwicklungen und andere Parameter mit einzubeziehen.1635 Grundsätzlich begrüßt der BA numerische Quoten als klare Kriterien. Problematisch sind Regelungen, die einen Anteil von bis zu 50% oder eine relative Mehrheit im jeweiligen Bezirk vorrausetzen. Quoten sollten in der Praxis möglichst flexibel angewendet werden.1636 Auf einen exakten Mindestanteil legt sich der BA nicht fest. 30% werden als zu hoch angesehen, das 10%-Kriterium, das der VfGH anwendet, hingegen sehr begrüßt. Die Notwendigkeit der Amtssprache ist zudem nicht nur an Mindestanteilen festzumachen, sondern hat expressis verbis auch jene Gebiete zu berücksichtigen, in denen Minderheitenangehörige traditionell – wenn auch in geringer Zahl – leben.1637 Es bedarf einer Nachfrage der Amtssprache durch die Angehörigen der Minderheiten. Mit Blick auf Österreich hält der Beratende Ausschuss mehrfach fest, dass das Erk des VfGH zur Amtssprache (aus dem Jahr 2000) umzusetzen ist, auch wenn die Angehörigen selten von ihrem Recht Gebrauch machen.1638 Vielmehr sieht der Ausschuss die Staaten in der Pflicht, die Verwendung der Sprache positiv zu unterstützen.1639 Wie Lantschner argumentiert,
1632 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 56; vgl De Varennes in Weller, Article 10 316. 1633 Lantschner, Soft jurisprudence 81; vgl Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 1 ff.; De Varennes in Weller, Article 10 313. 1634 Zu Österreich ACFC/OP/I(2002)009 para 44 ff; vgl ACFC/OP/II(2007)005 para 120 ff. 1635 Lantschner, Soft jurisprudence 85. 1636 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 19. 1637 So zB für Österreich zuletzt ACFC/OP/III/(2011)005 para 85; bereits ACFC/OP/I(2002)009 para 45; vgl Lantschner, Soft jurisprudence 85 f; 87; Pirker, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 6. De Varrenes kritisiert, dass der Beratende Ausschuss in seiner Stellungnahme nicht näher erläutert, weshalb er den spezifischen Prozentsatz für die Erfordernisse des RÜ für relevant erachtet, wenn die Volksgruppe traditionell in dem Gebiet lebt. Dazu De Varennes in Weller, Article 10 317. 1638 Lantschner, Soft jurisprudence 87; für Österreich ACFC/OP/I(2002)009 para 45. 1639 Für Österreich zuletzt ACFC/OP/III/(2011)005 para 82.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
handelt es sich beim Kriterium der Nachfrage eher um eine verstärkende, nicht aber um eine kumulative Voraussetzung.1640 Dazu ist anzufügen, dass der Ausschuss auch ein Verhalten der Behörden und Organe berücksichtigt, das seinerseits zu einer Reduktion der Nachfrage führt und nicht zu einer Auslegung entgegen den Interessen der Minderheit führen kann. Häufig mangelt es an der notwendigen Zahl kompetenter Mitarbeiter und Antragsteller müssen auf behördliche Akte länger warten und sehen von der Geltendmachung ihres Rechtes ab. Dies beeinträchtigt seine praktische Gewährleistung, weshalb der BA mahnt, entsprechend kompetentes Personal einzustellen.1641 Eine Kenntnis der Staatssprache der Minderheitenangehörigen kann ebenfalls – wie schon der VfGH mehrfach feststellt,1642 weil es um die Pflege der Sprache geht – nicht rechtfertigen, dass kein Bedarf an der Verwendung der Sprache in der Kommunikation mit Behörden festgestellt werde.1643 Zur Sicherstellung der Förderung empfiehlt der Ausschuss die Verbesserung der Kenntnisse der Verwaltungsmitarbeiter in den Minderheitensprachen, insb durch Ausbildungsmaßnahmen oder durch Einstellung von Beamten mit Kenntnissen in den Minderheitensprachen.1644 Zu Österreich stellt das Ministerkomitee im dritten Stellungnahmezyklus fest, dass die Angehörigen der Minderheiten wenig Motivation der Beamten wahrnehmen, Anliegen in der Minderheitensprache zu bearbeiten, selbst in Gemeinden, in denen sie ausdrücklich zugelassen ist. Notwendig erachtet wird, sicherzustellen, dass Art 10 RÜ eingehalten wird und die Erkenntnisse des VfGH umgesetzt werden.1645 Zu diesem Zeitpunkt vor Inkrafttreten der Novelle 2011 begrüßt der Beratende Ausschuss zwar Bemühungen zur Beilegung eines langen Disputs – in der Ortstafelfrage –, bemerkt jedoch, die individuellen Rechte der Minderheitenangehörigen, die sich aus internationalen Vereinbarungen ergeben, dürften nicht zum Gegenstand von „deal-making“ gemacht werden, indem auf lokale Politik und Kompromissverhandlungen abgestellt wird. Ebenso wenig seien sie in Verbindung mit der Gewährung ähnlicher Rechte in Nachbarstaaten zu bringen und davon abhängig
1640 1641 1642 1643 1644
Lantschner, Soft jurisprudence 87 f. Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 20. Vgl VfSlg 15.970/2000; 9.801/1983. Lantschner, Soft jurisprudence 89. So auch zu Österreich, zB ACFC/OP/II/(2007)005 para 121; 123; ACFC/OP/III/(2011)005 para 87; weitere Beispiele aus anderen Stellungnahmen bei Lantschner, Soft jurisprudence 89 (dort in FN 307); Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 7. 1645 CM/ResCMN(2008)3; CM/ResCMN(2012)7; ACFC/OP/I/(2002)009 para 45; 89; ACFC/OP/ II/(2007)005 para 120; 122; ACFC/OP/III/(2011)005 para 18; 84; näher Pirker in Hofmann/ Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 6.
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zu machen.1646 In diesem Fall bezieht sich der Beratende Ausschuss auf politische Diskussionen, die rund um die Ortstafelfrage die Frage der Reziprozität gegenüber Slowenien und die fehlende Anerkennung der dort lebenden deutschsprachigen Minderheit aufwerfen.1647 Im Hinblick auf die konkrete Umsetzung der Verpflichtungen begrüßt der Ausschuss, dass zwar Formulare in Minderheitensprachen erhältlich sind, bedauert aber zugleich, dass sie nur als Ausfüllhilfe für die deutschsprachigen Formulare dienen würden. Zudem äußert der Ausschuss Bedenken, weil die Gewährleistung der Minderheitenrechte vielerorts von den Sprachkompetenzen der zuständigen Verwaltungsmitarbeiter abhängt. Diese sei zum Teil inadäquat und die nicht durchgehende Verfügbarkeit kompetenten Personals schränke die Möglichkeiten der Sprachverwendung ein. Daher erinnert der Ausschuss die Regierung an die Verpflichtung des RÜ, die auch damit verbunden ist, die Verwendung der Sprache aktiv zu ermutigen, indem positive Anreize für die Minderheitenangehörigen bereitgestellt werden, um die Funktionalität der Sprache zu gewährleisten.1648 Bedenken erzeugen die Berichte von Minderheitenvertretern, denen zufolge Eingaben (auch) in Slowenisch mit weniger Sorgfalt behandelt würden, weshalb Minderheitenangehörige zum Teil erheblich unverhältnismäßige Verzögerungen in Kauf nehmen müssen, sodass nur wenige sich überhaupt dafür entscheiden, ihre Sprache tatsächlich zu nutzen. Dazu kommt, dass viele Angehörige der Minderheit, die ihre Sprachen in der Kommunikation eingesetzt haben, keine Antwort in derselben erhalten haben und sich folglich an den VfGH wenden mussten.1649 Besonders mit Blick auf die Bindung an statistische Erhebungen in der österreichischen Diskussion um die Gewährung der Minderheitenrechte und der Wahrnehmung, diese Rechte werden mit der Frage zweisprachiger Aufschriften verbunden – wie es letztlich geschieht – äußert der Beratende Ausschuss Bedenken und erinnert Österreich daran, dass die Rechte der Minderheiten nach Art 10 (2) RÜ nicht nur in Gebieten mit einer erheblichen Zahl von Minderheitenangehörigen zu gewähren sind, sondern auch dort, wo diese traditionell leben. Daher unterstreicht der Ausschuss, dass die Rechte zur Sprachenverwendung flexibel angewendet wer1646 ACFC/OP/III/(2011)005 para 19; 51 ff. 1647 Zu diesen Diskussionen Pirker in Anderwald/Filzmaier/Hren 92 ff. 1648 ACFC/OP/III/(2011)005 para 82; Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 7. 1649 ACFC/OP/II/(2007)005 para 120; ACFC/OP/III/(2011)005 para 83. Der BA bedauert, dass lokale Behörden mitunter nicht gewillt sind, in der Debatte um die Minderheitenrechte eine rechtliche Perspektive einzunehmen; vgl Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 7.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
den müssten, weil die Verwendung der Sprache einen essentiellen Ausdruck der Identität der Minderheitenangehörigen bildet.1650 Der Ausschuss regt an, Verwaltungsmitarbeiter auf ihre Verantwortlichkeit hinzuweisen, Amtshandlungen in Slowenisch durchzuführen. Die Anwendung der Sprachenrechte müsse flexibel erfolgen, um Nachteile bei der Ausübung dieser Rechte zu vermeiden.1651 Dazu sind positive Maßnahmen notwendig, die bereits erwähnt wurden: Ausbildung der Mitarbeiter, Anstellung von Personal mit Kenntnissen in den Minderheitensprachen, um die Angehörigen der Minderheiten zu ermutigen, ihre Sprachen auch tatsächlich zu verwenden.1652 Letztlich weist der Beratende Ausschuss zum Entwurf der Novelle und den 164 darin enthaltenen Ortschaften darauf hin, dass Minderheitenvertreter diese Liste zum Teil als diskriminierend betrachten, da sie Orte mit einem Anteil von etwa 10% slowenischsprachiger Bevölkerung aufgrund früherer VfGH-Erk erfasst, während andere mit einem Anteil von 20% ausgeschlossen bleiben.1653 Österreich stellt in seinem vierten Staatenbericht 2016 fest, dass die Ortschaften und Gemeinden, die als gemischtes Siedlungsgebiet angesehen werden, durch die Novelle des VoGrG 2011 explizit im Gesetz genannt seien. Dies garantiere Rechtssicherheit für Behörden und Betroffene. Den Bestimmungen komme zudem erhöhte Bestandsgarantie zu; zukünftige Schwankungen in der Siedlungsdichte würden daher keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Sprachenrechte haben.1654 Bei den Bezirksverwaltungsbehörden sei überdies sichergestellt, dass allen Verlangen zum Gebrauch der Volksgruppensprache entsprochen werden könne.1655 Zur Empfehlung zielgerichteter Personalaufnahmen und Sprachunterricht für das Personal merkt der Bericht an, die Justiz sei bestrebt, bei Gerichten Personal einzusetzen, das Slowenisch beherrsche. Laufend werde ein Sprachkurs angeboten. Im Rahmen eines Projekts am Oberlandesgericht Graz würden bei der Personalaufnahme Slowenischkenntnisse als wesentliches Kriterium berücksichtigt; künftig solle bei Stellenausschreibungen darauf hingewiesen werden, dass bevorzugt Personal mit fundierten Kenntnissen aufgenommen werde. Im Land Kärnten werde nach Möglichkeit auf das Kriterium der Zweisprachigkeit Bedacht genommen; in internen Ausschreibun1650 ACFC/OP/III/(2011)005 para 85. Auch die Komplexität des Rechts auf Sprachverwendung selbst erzeugt Bedenken, weil es ein erhebliches Hindernis bei der Umsetzung bildet. So könnten Minderheitenangehörige in zweisprachigen Gebieten häufig vor Gericht nicht ihre Sprache nutzen; vgl Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 8. 1651 ACFC/OP/III/(2011)005 para 86. 1652 ACFC/OP/III/(2011)005 para 87. 1653 ACFC/OP/III/(2011)005 para 85 (dort auch in FN 22). 1654 ACFC/SR/IV(2016)001 para 14. 1655 ACFC/SR/IV(2016)001 para 88 f.
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gen sei es ausdrücklich als gewünscht erachtet und spiele bei der Personalauswahl eine Rolle. Die Verwaltungsakademie biete Slowenischkurse an, die Teilnahme sei freiwillig und werde von den Dienststellenleitern unterstützt.1656 Im Dialogforum wurde außerdem ein Pilotprojekt zu zweisprachigen Onlineformularen vorgestellt. Seit Jänner 2015 seien in der Gemeinde Ludmannsdorf bereits 75 Formulare auf Deutsch und Slowenisch verfügbar.1657 Das Expertenkomitee der Sprachencharta weist – in Überprüfung von Art 10 SC1658 – ebenfalls auf Probleme bei der Umsetzung der Amtssprache in der Praxis hin und stellt fest, dass häufig die Voraussetzungen fehlen. Besonders der Mangel an Sprachkompetenz des Personals erschwere den Gebrauch des Slowenischen.1659 Der Gebrauch der Sprache ist auf Gemeindeebene möglich, wo die zuständigen Beamten ihn aber nicht ermutigen. Zusätzlich weist der Ausschuss mehrfach auf die Notwendigkeit zur Umsetzung des Amtssprachenerkenntnisses hin.1660 Die Verpflichtung zum Sprachgebrauch auf Anfrage, die Österreich eingegangen ist, verlangt eine strukturelle Absicherung und die Behörde hat auf die Möglichkeit zum Sprachge-
1656 ACFC/SR/IV(2016)001 para 90. 1657 ACFC/SR/IV(2016)001 para 90. 1658 Österreich hat sich insb verpflichtet, in Verwaltungsbezirken, in denen es die Zahl der Sprecher einer Sprache rechtfertigt, „im Rahmen des Zumutbaren (…) sicherzustellen, dass Personen, die Regional- oder Minderheitensprachen gebrauchen, in diesen Sprachen mündliche oder schriftliche Anträge stellen und eine Antwort erhalten können“ (Art 10 (1) lit a iii SC) und „zuzulassen, dass die Verwaltungsbehörden Schriftstücke in einer Regional- oder Minderheitensprache abfassen“ (Art 8 lit c SC). Weiters besteht insb die Verpflichtung, für örtliche Behörden, in deren Zuständigkeitsbereich es die Zahl der Sprecher rechtfertigt, zuzulassen oder zu ermutigen, dass Personen mündliche oder schriftliche Anträge in Regional- oder Minderheitensprachen stellen (Art 8 (2) lit b SC) und Behörden amtliche Schriftstücke in diesen Sprachen veröffentlichen (lit d). Zur Auslegung von Art 10 Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 1 ff. Für Verfahren vor den Verwaltungsgerichten einschlägig sind die Verpflichtungen nach Art 9 lit c ii und iii SC, wonach Österreich sich insb verpflichtet, in Gebieten, wo die Zahl der Sprecher einer Sprache dies rechtfertigt unter Berücksichtigung der Situation der Sprache und der Bedingung, dass eine ordentliche Rechtspflege nach Auffassung des Richters nicht behindert wird, zuzulassen, dass eine Prozesspartei, die persönlich vor Gericht erscheinen muss, ihre Sprache ohne zusätzliche Kosten verwenden kann und dass Urkunden und Beweismittel in den betreffenden Sprachen vorgelegt werden können, nötigenfalls durch Heranziehung von Dolmetschern oder Übersetzern. Zur Auslegung von Art 9 Engbers, Artikel 9, in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier (Hrsg), Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Handkommentar (2011) 223; Thornberry/Estébanez, Minority Rights 152 f. 1659 ECRML(2005)1 para 252; Kletzander, Europarat 204 f. 1660 ECRML(2005)1 para 252 ff; ECRML (2009) 1 para 238 f. Kletzander, Europarat 204 f. Die Umsetzung empfiehlt auch das Ministerkomitee; CM/RecChL(2005)1 para 2; CM/RecChL(2005)1 para 2.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
brauch aktiv aufmerksam zu machen. Zumindest ein anwesender Mitarbeiter hat in der Lage zu sein, auf Anfragen mündlich zu reagieren;1661 für schriftliche Anfragen genügt eine passive Kompetenz.1662 Eine Antwort in der Regional- oder Minderheitensprache ist nicht vorgesehen, aber zweckmäßig im Sinne der Regelung.1663 Eine ausschließliche oder regelmäßige Behandlung in der Staatssprache ist unzulässig.1664 Der Hinweis auf zusätzlichen Verwaltungsaufwand oder eine Situation, in der sich der Betroffene für die Verwendung der Sprache rechtfertigen muss, stellt eine unzulässige Diskriminierung dar.1665 Nicht ausreichend ist ein Anschreiben in der Regional- oder Minderheitensprache, das auf eine Beilage in der Staatssprache verweist oder die bloße Übersendung staatssprachlicher Formulare.1666 Zu den erlaubten Schriftstücken gehören nicht nur Dokumente des originären Verwaltungshandelns, sondern auch Mitteilungen ohne regelnden Charakter. Die Bestimmung erfordert, dass Staaten legislative Hürden durch Öffnungsklauseln begegnen und die Verwaltungsbehörden aktiv auf diese Möglichkeit hinweisen.1667 Amtliche Bekanntmachungen können die lokalen Behörden nach der Bestimmung in Art 10 (2) lit d SC in der Regional- oder Minderheitensprache veröffentlichen, zusätzlich Veröffentlichungen jeder Art, die von einer Behörde veranlasst werden.1668 Sie müssen nicht notwendig zweisprachig erfolgen, aber in derselben Form und Wertigkeit wie die staatssprachlichen.1669 Legislative Maßnahmen haben dies sicherzustellen und Behörden sind darauf hinzuweisen.1670 Die Erfüllung der Verpflichtungen durch Bundesbehörden ist noch in der ersten Überprüfung des Expertengremiums fraglich.1671 Im zweiten Zyklus wird festgestellt, dass das Finanzamt zweisprachige Sprachpolitik betreibt und der Ausschuss begrüßt, dass die Verwaltungsakademie in Klagenfurt Slowenischkurse anbietet und bei einigen Stellenausschreibungen im Bezirk Klagenfurt Slowenisch eine Voraussetzung bildet.1672 Auch Polizeibeamte beherrschen zT die Sprache und die Sicherheits1661 1662 1663 1664 1665 1666 1667 1668 1669 1670 1671 1672
Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 17. Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 43. Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 45. Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 45. Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 18. Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 19. Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 29 f; 46. Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 47. Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 48. Engbers in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 10 SC Rz 49. ECRML(2005)1 para 252. ECRML(2009) para 242.
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akademie bietet entsprechende Kurse an.1673 Slowenisch ist nach der Reform 2011 auch als Amtssprache vor Bundesbehörden in Wien zulässig, wenn ihr Gebiet sich ganz oder teilweise mit dem Gebiet der aufgezählten lokalen Behörden oder Gerichte deckt.1674 Ausbildungskurse werden angeboten für Soldaten und Zivildiener und es ist ein Wörterbuch für militärische Ausdrücke erhältlich. Kurse gibt es auch für Finanz- und Zollbeamte, was der Ausschuss begrüßt.1675 Die Regelung ist daher im zweiten und dritten Zyklus erfüllt.1676 Im Hinblick auf die Bestimmung, die Möglichkeit zu gewähren, dass Personen Anträge in Regional- und Minderheitensprachen stellen, stellt das Komitee fest, dass die Praxis bei Landesbehörden und in den Gemeinden erheblich variiert: Zum Teil ist eine vollständige Kommunikation in Slowenisch möglich, zum Teil nicht. Die Volksgruppenvertreter orten Personalmangel.1677 In der ersten Überprüfung begrüßt der Ausschuss die Leistungen des Kärntner Volksgruppenbüros, das online Verwaltungsformulare zur Verfügung stellt und die Landesregierung in Volksgruppenangelegenheiten berät und zum Dialog mit der Volksgruppe beiträgt.1678 Problematisch sind Sprachkenntnisse von Verwaltungsmitarbeitern, die oft die Schriftsprache nicht ausreichend beherrschen. Das Volksgruppenbüro, das Anträge für die Behörden übersetzt, sei überlastet. Daher ermutigt der Ausschuss die Behörden im ersten Zyklus, Beamte dazu aufzufordern, weitere Sprachkurse zu besuchen.1679 Im zweiten Zyklus erscheint die Situation ambivalent.1680 Nach Angaben von Volksgruppenvertretern wird Slowenisch in der mündlichen Kommunikation nur verwendet, wenn die Sprecher wissen, dass es slowenischsprachige Verwaltungsmitarbeiter gibt. Abgesehen von einzelnen Gemeinden fehle es an einer strukturierten Politik für die Sprachverwendung, lautet die Kritik.1681 In Klagenfurt, wo viele Organisationen ihren Sitz haben und sich viele Verwaltungsbüros befinden, kann Slowenisch nicht verwendet werden, was Vertreter der Volksgruppe bedauern.1682 Der Ausschuss erachtet die Bestimmung im zweiten Zyklus nur teilweise erfüllt und fordert die Behörden auf, die Möglichkeit schriftlicher oder mündlicher Anträge in
1673 1674 1675 1676 1677 1678 1679 1680 1681 1682
ECRML(2009) para 243. CM(2012)142 para 301. CM(2012)142 para 304. ECRML(2009) para 244; CM(2012)142 para 306. ECRML(2005)1 para 252 ff; ECRML(2009) para 245 f; Kletzander, Europarat 213. ECRML(2005)1 para 250. ECRML(2005)1 para 251. ECRML(2009) para 240 f. ECRML(2009) para 247. ECRML(2009) para 248.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
allen Gemeinden sicherzustellen, in denen Slowenisch traditionell präsent ist.1683 Die Praxis, Slowenisch in der Sprache von Veröffentlichungen zu verwenden, wie es § 13 (4) VoGrG ermöglicht, sieht der Ausschuss nicht gegeben, womit Österreich die Verpflichtung der Charta nicht erfüllt, amtliche Schriftstücke in Regional- oder Minderheitensprachen zu veröffentlichen.1684 Der Ausschuss ermutigt zu Maßnahmen, um Veröffentlichungen lokaler Behörden in Slowenisch zu forcieren.1685 Der Ausschuss empfiehlt allgemein eine flexiblere Anwendung der Charta, um Sprachen auch außerhalb autochthoner Gebiete einen besseren Schutz einzuräumen.1686 Österreich betont in seinem vierten Staatenbericht, dass alle zweisprachigen Behörden angewiesen sind, Anliegen nach Verwendung der Amstssprache zu entsprechen, betont die Leistungen des Volksgruppenbüros und der zuständigen Bezirkshauptmannschaften.1687 Darüber hinaus bekräftigt Österreich die Möglichkeit zur zusätzlichen Verwendung einer Volksgruppensprache über die gesetzliche Verpflichtung hinaus (§ 13 Abs 3 VoGrG), räumt jedoch ein, dass über die tatsächliche Nutzung dieser Ermächtigung keine Informationen vorlägen. Von der Möglichkeit zusätzlicher öffentlicher Kundmachungen in der Volksgruppensprache (§ 13 Abs 4 VoGrG) werde kein Gebrauch gemacht.1688 Zum Amtssprachenerkenntnis des VfGH bemerkt der Ausschuss wiederholt, dass die Behörden keinerlei Maßnahmen ergriffen haben, um dieses umzusetzen, insb in Eberndorf, aber auch in anderen Gemeinden, die den Kriterien des VfGH unterliegen würden. Daher wird Österreich ermutigt, dieser Obliegenheit nachzukommen und die Sprachverwendung in anderen Gemeinden zuzulassen, die den Kriterien entsprechen würden, aber in der zugrundeliegenden Amtssprachenverordnung nicht genannt sind.1689 Die Gewährleistungen in Kärnten sind vergleichs-
1683 ECRML(2009) para 249. 1684 ECRML(2005)1 para 257; ECRML(2009) para 147 ff; 250 ff; 320 ff; CM(2012)142 para 314 ff; Kletzander, Europarat 214; vgl Oeter, Minderheitensprachen 9; zuletzt auch CM(2012)142 para 314 ff. 1685 CM(2012)142 para 315 f. 1686 CM(2012)142 para 40 f. 1687 Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 116 f. 1688 Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 118. 1689 ECRML(2005)1 para 255 f; ECRML (2009) 1 para 245 ff; Kletzander, Europarat 213; Das Ministerkomittee fordert zur Umsetzung auf und empfiehlt, dass die Behörden sicherstellen, dass die slowenische Sprache in der Praxis vor Gerichten und Verwaltungsbehörden genutzt werden kann; CM/RecChL(2005)1 para 2; 5; CM/RecChL(2009)1 para 2; 4; CM/RecChL(2012)7 para 4.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 295
weise weitgehend, zeigen aber, wie auch der Beratende Ausschuss des RÜ feststellt, erhebliche Probleme in der Umsetzung auf, da sich Behörden in Kärnten zum Teil weigern, die Amtssprache zu verwenden.1690 Im Lichte der Charta beurteilt Oeter den gewählten Prozentsatz von 17,5% für die Auswahl der Gemeinden im Zuge der Novellierung 2011 als zu hoch.1691 Mit dieser Neuregelung stellt das Expertenkomitee fest, dass Wohnsitzerfordernisse bei der Regelung der Amtssprache beseitigt wurden und diese nun vor Gemeindebehörden, Dienstleistern und Polizei in Klagenfurt und Völkermarkt und über die Verpflichtung in Anlage 2 hinaus von anderen Behörden genutzt werden kann. Nach den Informationen sind auch alle Formulare zweisprachig erhältlich.1692 Für die Verwendung der Sprache ist die Regelung im Verfassungsrang nach Ansicht von Minderheitenvertretern jedoch ein Rückschritt, da sie nicht mehr bekämpft werden kann und das Recht auf bestimmte Gemeinden beschränkt bleibt. Ebenso indizieren die Angaben von Vertretern der Minderheit, dass die Auswahl der Ortschaften in der Liste inkonsistent ist. Zudem könnten Gemeinden nun die Verpflichtung auch delegieren, weshalb die Behörden angehalten werden, auch außerhalb der Gebiete in Kooperation mit den Vertretern der Minderheit die Verwendung der Sprache sicherzustellen.1693 Die Analysen der Gremien stützen somit die Bedenken, die bereits die Ausführungen zum subjektiven und territorialen Anwendungsbereich ergeben haben. Sie verdeutlichen, dass es mit der Verpflichtung alleine nicht getan ist, sondern zusätzlicher Maßnahmen bedarf, um eine effektive Gewährleistung der Sprachenrechte zu sichern. In den Analysen der rechtlichen Grundlagen und in den Ergebnissen der Kontrollverfahren nach RÜ und SC ist bereits die Funktionalität der Amtssprache sichtbar geworden, die im Folgenden zu beurteilen ist.
c. Bewertung: Funktionalität im öffentlichen Leben? Zur Amtssprachenregelung ist festzuhalten, dass Art 7 Z 3 StV Wien dieses Recht zumindest seiner historischen Konzeption nach grundsätzlich als Recht „der (…) Minderheiten“, somit als klassisches „Volksgruppenrecht“ der Ebene 1 konzipiert – wie der VfGH präzisiert, als verfassungsmäßig gewährleistetes subjektives Recht. Dies stellt der VfGH für sein Ziel fest: es geht um die „Möglichkeit zur Bewahrung und Pflege der eigenen (Minderheiten)Sprache“,1694 das zuallererst den Angehöri1690 1691 1692 1693 1694
ECRML(2009)1; Oeter, Minderheitensprachen 10. Oeter, Minderheitensprachen 10. CM(2012)142 para 301 ff; 315. CM(2012)142 para 307 ff. VfSlg 15.970/2000; 9.801/1983; Hervorhebung durch den Verfasser.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
gen der Minderheit zukommt und im Übrigen nur „auf Verlangen“ zu gewähren ist.1695 Erst über den Diskriminierungsschutz öffnet der VfGH dieses Recht für jedermann – nicht, weil das Ziel der Sprachförderung dies verlangen würde, sondern weil Minderheitenangehörige nicht gezwungen werden können, sich zu bekennen und dieses Bekenntnis in jedem Verfahren nachzuweisen. Auch in diesem Fall wird die Kehrseite des Schutzes vor Diskriminierung der Angehörigen einer Volksgruppe für jedermann und somit auch für Personen, die sich nicht bekennen wollen oder die Sprache verwenden möchten, wirksam. Das VoGrG setzt diese Gewährleistung einfachgesetzlich fort und garantiert jedermann (§ 13 (2) VoGrG) die Möglichkeit, die slowenische Sprache vor Behörden in den Gemeinden der Anlage 2 zu nutzen. An sich handelt es sich bei der Amtssprache um ein funktionales Volksgruppenrecht, weil es Volksgruppenangehörigen die Möglichkeit gibt, ihre Sprache im öffentlichen Leben und im Verkehr mit Behörden einzusetzen. Zugleich wirkt die Zulassung der Amtssprache für jedermann doppelfunktional und dient neben dem Schutz der Angehörigen der Förderung der Volksgruppensprache in ihrer Präsenz im öffentlichen Leben, wie sie in den objektivrechtlichen Bestimmungen der Sprachencharta zugrunde gelegt ist. In diesem Sinne können auch die Funktionen von „Ermächtigungsnormen“ wie jener des § 13 (4) VoGrG, Verlautbarungen in der Volksgruppensprache vorzusehen, nicht nur als Maßnahme zugunsten der Volksgruppe selbst, sondern auch als Maßnahme zum Schutz und zur Sicherung der Funktionalität der Sprache an sich begriffen werden – umso mehr vor dem Hintergrund der doppelfunktionalen verfassungsrechtlichen Ausnahmeklausel in Art 8 (2) B-VG. In diese Richtung gehend sind Vorschläge der Bundesregierung, diese Möglichkeiten im Zuge der Reformvorschläge 2012 (B.VI.) zu erweitern, als Element sowohl eines Schutzes der Volksgruppen an sich als auch einer Sprachförderung zu werten. An der Amtssprache zeigt sich sehr deutlich ein grundlegendes Spannungsfeld des Minderheitenschutzes: zwischen Territorialitäts- und Personalitätsprinzip. Mit dem Abstellen auf einen territorialen Geltungsbereich wird die Funktion des Schutzes der Minderheit und der Sprache beschränkt auf ein bestimmtes Gebiet. Aus ökonomischen Gründen ist dies nachvollziehbar, da die Zulassung einer Sprache als Amtssprache über das gesamte Territorium des Bundeslandes oder des Staates im Gegensatz zu Südtirol nur schwerlich umzusetzen ist. In Südtirol ist dies aufgrund der geographischen Verteilung der deutschen Minderheit, ihrer Nachfrage und der vorausgesetzten Sprachenqualifikation möglich. Die Amtssprache ist, wie Teil 1.C.II.b. und III.b. zeigen, umfassender gesichert und funktionaler als in Kärn1695 VfSlg 9.801/1983.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 297
ten. Es zeigt sich das Problem in Kärnten in verstärkter Weise, weil die Angehörigen der slowenischen Volksgruppe vielfach in die städtischen Zentren abwandern und selbst in der Landeshauptstadt Klagenfurt die slowenische Amtssprache nur in bestimmten Situationen zugelassen ist.1696 Völlig dysfunktional erweisen sich Minderheiten- und Sprachschutz in der territorialen Beschränkung in den Gemeinden Eberndorf und St Kanzian. Durch diese Ausnahme wird den Angehörigen der Minderheit ihr spezifisches Schutzrecht verwehrt. Einen Ausgleich hierfür bietet – wie gezeigt wurde (a.) – nur die Möglichkeit für Organe, über ihre Verpflichtung aus dem Volksgruppengesetz hinausgehend, die Verwendung der Sprache zuzulassen. In diesem Fall erweist sich die Ermächtigungsnorm – sofern sie Anwendung findet, was der Verfassungsausschuss aber verlangt, wenn es dem Grunde nach möglich ist – als Kompensation, die ebenfalls doppelfunktional dem Schutz der Minderheit und Sprache dient. Sie ist umso mehr als „Pflicht“ zu begreifen, als auch die Sprachencharta, wie das Expertenkomitee ausführt, nicht nur zur Nutzung von Bestimmungen wie jener über die Verlautbarungen mahnt, sondern ein aktives Eintreten von den Behörden und eine direkte (im Kontakt) Förderung der Sprachverwendung verlangt. Dadurch ist ein Klima der interkulturellen Verständigung zu fördern, wie es RÜ und SC vorsehen, da Minderheitenangehörige und allgemein Sprachinteressierte motiviert werden, die Sprache tatsächlich im öffentlichen Leben zu nutzen. Damit wird im Sinne der Sprachförderung und eines Mehrwerts der Minderheit(ensprache) einem Geist entgegengewirkt, der Minderheitenangehörige dazu bewegt, ihre Sprache nicht im Verkehr mit Behörden einzusetzen, und dem letztlich die gleichheitswidrige Sonderregelung im Verfassungsrang entsprungen ist. Diese ist nur vor dem Hintergrund der spezifischen Konfliktgeschichte (Teil 1.A.II.) zu verstehen und im Zusammenhang zu sehen mit der zweisprachigen Topographie, die es als zweites Instrument zu beleuchten gilt.
II. Topographische Aufschriften a. Geltungsbereich1697 Topographische Aufschriften zählen in Kärnten und Südtirol zu den umstrittensten Elementen des Minderheitenschutzes. Das liegt, wie noch näher zu zeigen sein wird (c.), vor allem an ihrer Funktion, ein Gebiet als zweisprachiges auszuweisen. In 1696 § 13 iVm Anlage 2 VoGrG. 1697 Der Abschnitt über den territorialen Geltungsbereich basiert auf Pirker, Reform 396 ff.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Kärnten konnte ein jahrzehntelanger Konflikt um zweisprachige „Ortstafeln“, der sich aufgrund dieser Funktion und vor dem Hintergrund der Geschichte entzündet hat, 2011 durch eine Neuregelung im Verfassungsrang beigelegt werden. In der vorliegenden Untersuchung dient die Topographie als ein Element der Sichtbarkeit der Minderheit und der Minderheitensprache im öffentlichen Raum. Daher interessiert der Anwendungs- und Geltungsbereich der Regelungen über zweisprachige topographische Aufschriften. Die Grundlage für die Anbringung zweisprachiger topographischer Aufschriften normiert Art 7 Z 3 StV Wien. Satz 2 der Bestimmung verpflichtet zur Anbringung zweisprachiger topographischer Aufschriften in Gerichts- und Verwaltungsbezirken Kärntens mit slowenischer oder gemischter Bevölkerung. Unklar bleiben die Auslegungen der Termini „Gerichts- und Verwaltungsbezirke“, „gemischte Bevölkerung“ und „Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur“. Auslegungsbedürftig ist ebenso das Verhältnis der Regelungen über die Topographie zur Amtssprachenregelung.1698 Viele dieser Fragen beantwortet der VfGH in seiner Judikatur.1699 Darin ist das „Ortstafelerkenntnis“ von zentraler Bedeutung: In diesem hebt der VfGH 20011700 unter Heranziehung seiner Judikatur zur Amtssprache aus dem Jahr 20001701 eine Regelung des Volksgruppengesetzes auf, die ein 25% Kriterium an slowenischsprachiger Bevölkerung als Voraussetzung für die Anbringung von zweisprachigen topographischen Aufschriften vorsieht. Der VfGH stellt in diesem Erk klar, dass ein Prozentsatz von 25% aufgrund des Zwecks und der Entstehungsgeschichte des Art 7 Z 3 StV Wien1702 innerhalb des völkerrechtlichen Spektrums von 5-25% 1698 Hierzu ua Kolonovits, Art 7 Z 2-4 StV Wien; Tichy, Artikel 7 177 ff; Matscher, Die Minderheitenregelungen im Staatsvertrag, in Suppan/Stourzh/Mueller (Hrsg), Der österreichische Staatsvertrag 1955 (2005) 783 (793 ff); Hilpold, Minderheitenrecht 276 ff; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 150 ff; Hafner, The Austrian State Treaty 1955/Der Österreichische Staatsvertrag 1955, in Hafner/ Pandel (Hrsg), Volksgruppenfragen Kooperation statt Konfrontation (2011) 75. Völkerrechtlich ist eine Auslegung nach Art 31 WVK geboten. Hierzu Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 7 ff; Kolonovits, Der Minderheitenschutz nach Art 7 Staatsvertrag von Wien, in Hummer (Hrsg), Staatsvertrag und immerwährende Neutralität Österreichs (2007) 87 (95 ff); Matscher, Die Minderheitenregelungen 799; Hilpold, Modernes Minderheitenrecht 280. 1699 Einen Überblick über die Judikatur bieten ua Adamovich, Verfassungsrecht und Minderheitenschutz, in Karpf (Hrsg)/Kassl (Red), Die Ortstafelfrage aus Expertensicht. Eine kritische Beleuchtung (2006) 9; Öhlinger, Verfassungsrecht und Volksgruppenschutz, in Karpf (Hrsg)/Kassl (Red), Die Ortstafelfrage 124; Holzinger, Die Lösung 55; Holzinger, Die Rechte der Volksgruppen in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, in FS Adamovich (2002) 193; Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 158 ff. 1700 VfSlg 16.404/2001. 1701 VfSlg 15.970/2000. 1702 Der britische Vorschlag einer „considerable Proportion“ (erhebliche Zahl) wird nicht in Art 7 Z 3 StV Wien aufgenommen.
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jedenfalls zu hoch bemessen ist. Die Anbringung von Aufschriften topographischer Natur hat sich mit Blick auf das Verständnis des „Verwaltungsbezirkes“ an der Siedlungsstruktur der Volksgruppe zu orientieren, da ihnen der Zweck innewohnt, der Allgemeinheit anzuzeigen, dass im betreffenden Gebiet „eine ins Auge springende – verhältnismäßig größere – Zahl von Minderheitsangehörigen lebt“1703. Dazu müsse „ein zumindest nicht ganz unbedeutender (Minderheiten-) Prozentsatz gefordert werden“1704. Um diesen festzustellen, sei von einer „vergröberten statistischen Erfassung“ auszugehen.1705 Unter „Verwaltungsbezirk“ ist auch eine Ortschaft zu verstehen, die eine Untergliederungseinheit der Gemeinde bildet. Auf dieser Ebene ist eine Orientierung an den Siedlungsschwerpunkten der Volksgruppe möglich, die überwiegend in Streusiedlung lebt. Das Vorhandensein einer gemischten Bevölkerung ist schließlich, so der VfGH, anzunehmen, wenn eine Ortschaft1706 über einen längeren Zeitraum hinweg einen Anteil von mehr als 10% slowenischsprachiger Bevölkerung aufweist.1707 Um diesen Zeitraum festzustellen, zieht der VfGH die Ergebnisse der vier vorangehenden Volkszählungen 1961-1991 heran.1708 In Folgeerkenntnissen wendet er dieses Element restriktiv an und qualifiziert die Ortschaft Gallizien mit 9,9% in der Zählung 2001 nicht mehr als Ortschaft, die über längeren Zeitraum hinweg einen Anteil von mehr als 10% slowenischsprachiger Bevölkerung aufweist.1709 Bereits in einer Vorentscheidung hat der VfGH dem Ort St. Kanzian die Eigenschaft als gemischtsprachiger Ort abgesprochen, weil er eine fallende Tendenz an slowenischer Bevölkerung und einen Anteil von weniger als 10% in den letzten beiden Volkszählungen aufweist.1710 In den letzten Erkenntnissen vor der Ortstafellösung 2011 zieht der VfGH wieder die vier vorangehenden Volkszählungen heran und betont erneut, Daten der Volkszählung können zulässigerweise als „vergröberte sta1703 VfSlg 12.836/1991; 15.970/2000. 1704 VfSlg 12.836/1991. In diesem Erk erachtet der VfGH einen Anteil von 1,9 % kroatischer Bevölkerung in Eisenstadt als zu gering, um das Bestehen einer „gemischten“ Bevölkerung anzunehmen. Ob der ebenfalls angesprochene Prozentsatz von 5% genügt hätte, bleibt in der Entscheidung offen. 1705 VfSlg 11.585/1987. 1706 Bei einer Ortschaft handelt sich um eine Untergliederungseinheit des Gemeindegebietes. Gem Allgemeiner Kärntner Gemeindeordnung ist damit eine Siedlung mit geschlossener Nummerierung zu verstehen (§ 3 (2) K-AGO). Zum Begriff näher VfSlg 8.283/1978; VwSlg 13.416 A/1991. 1707 VfSlg 16.404/2001. 1708 VfSlg 16.404/2001; vgl VfSlg 17.733/2005. 1709 Die Volkszählungen zu Gallizien ergeben 12,5% 1961, 11,6% 1971, 9,3% 1981, 10,1% 1991 und 9,9% 2001. 1710 VfSlg 17.895/2006.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
tistische Erfassung“ herangezogen werden, soweit es an anderen zuverlässigen Daten mangelt.1711 Dazu ist festzuhalten, dass Art 7 Z 3 StV Wien gerade keinen Prozentsatz vorsieht und daher dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum verbleibt und der VfGH nur von Fall zu Fall entschieden hat, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, damit ein Ort als gemischtsprachig angesehen werden kann.1712 Es wäre durchaus möglich gewesen, eine Regelung für einen Prozentsatz im Gesetz festzulegen, der sich an den Vorgaben des VfGH orientiert oder von diesen – bis zu einem gewissen Ausmaß – abweicht. Stattdessen wurde eine Liste von Ortschaften in politischen Verhandlungen erarbeitet und mit der Novelle des VoGrG 2011 in Verfassungsrang gehoben, um den Konflikt endgültig beizulegen. Die Bestimmungen über zweisprachige topographische Aufschriften finden sich in § 12 (1) iVm Anlage 1 VoGrG. § 12 (1) VoGrG verpflichtet zur Anbringung zweisprachiger topographischer Aufschriften in den Gebietsteilen, die abschließend in Anlage 2 aufgeführt sind und von Gebietskörperschaften oder sonstigen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts angebracht werden. Für die Regelung der Topographie zu unterscheiden sind nun „Ortstafeln“ iSd Straßenverkehrsordnung, die Anfang und Ende eines Ortsgebietes kennzeichnen,1713 und „Ortsbezeichnungstafeln“, die von der Gemeinde angebracht werden können, um den Namen des Ortes anzuzeigen. Umfasst von der Auflistung sind Orte, die schon vor 2011 von den Topographieverordnungen für Kärnten erfasst sind, jene, über die durch den VfGH abgesprochen wurde und Ortschaften die einen Anteil mit einer gemischtsprachigen Bevölkerung von mindestens 17,5% slowenischsprachiger Bevölkerung nach der Volkszählung von 2001 aufweisen.1714 Die Zusammensetzung dieser Auswahl resultiert aus den Bemühungen, die Ortstafelfrage in Kärnten in
1711 Vgl VfSlg 18.478/2008; 18.019/2006 1712 Zur Bestimmung im Einzelfall näher Kolonovits, Volksgruppenrecht 202 ff. 1713 § 53 Z 3 17a und b StVO. Die Ortstafeln haben den „amtlichen“ Namen der Gemeinde anzugeben, wie er sich aus gemeinderechtlichen Bestimmungen ergibt. Zuständig zur Anbringung von Ortstafeln nach der StVO ist die Bezirksverwaltungsbehörde gem § 94 b StVO. Die Anbringung der Hinweiszeichen „Ortstafel“ und „Ortsende“ richtet sich nach § 53 Abs 1 lit 17 a und b StVO. Sie sind in den betreffenden Gebietsteilen der Anl 1 gem § 12 Abs 1 VoGrG zweisprachig auszuführen. Zuständig ist die Bezirksverwaltungsbehörde (§ 94 b StVO). Sie wird in Angelegenheiten der „Straßenpolizei“ tätig. Mangels Durchführungsbestimmung geht der VfGH in einer Entscheidung 2005 (VfSlg 17.733/2005) von der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art 7 Z 3 StV Wien aus, woraus sich die Pflicht der Bezirksverwaltungsbehörde ergibt, bei Erlassung der straßenpolizeilichen Verordnung die Ortsbezeichnung in deutscher und slowenischer Sprache auszuführen; zur Vollziehung Jabloner, Am Rande des Rechtsstaates, ZfV 4/2006, 426 (429 ff). Seit 2011 ergibt sich die Verpflichtung aus § 12 Abs 1 und 2 VoGrG. 1714 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 6.
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politischen Verhandlungen zu lösen, um einen „Konsens aller Beteiligten“ sicherzustellen.1715 Trotz dieser Absicht ist die Auswahl der Gemeinden insoweit bedenklich, als einzelne nicht berücksichtigt sind, die über einen Anteil von mehr als 17,5% slowenischsprachiger Bevölkerung verfügen; andere Orte mit geringerem Prozentsatz werden dagegen integriert, weil sie Teil von Verfahren vor dem VfGH gewesen sind.1716 Wie Holzinger bestätigt, folgt daraus eine unterschiedliche Behandlung von Ortschaften mit vergleichbarer Bevölkerungsstruktur.1717 Dadurch erscheint die Sachlichkeit der Auswahl fraglich, sie kann aber aufgrund des Verfassungsranges der Bestimmung keiner Überprüfung vor dem VfGH zugeführt werden.1718 § 12 Abs 2 VoGrG bestimmt, dass die Verpflichtungen aus Abs 1 für die Hinweiszeichen „Ortstafel“, „Ortsende“ und für „sonstige Hinweisschilder“ gelten, wenn sie von einem Gebietsteil der Anl 1 in einen Gebietsteil weisen, der ebenfalls von der Verpflichtung erfasst ist. Der Begriff „sonstige Hinweisschilder“ stellt auf Wegweiser ab, die von einem Ort in den anderen weisen – von einem zweisprachigen in einen zweisprachigen. Das bedeutet, das auf Orte, die mit einer zweisprachigen Ortstafel versehen sind, verschiedentlich mit deutschen oder zweisprachigen Wegweisern hingewiesen wird, je nachdem, ob sich der Wegweiser in einem zweisprachig zu beschildernden Ort befindet oder nicht. Im Gegensatz zu Ortstafeln normiert § 12 VoGrG keine Pflicht, überhaupt Wegweiser anzubringen, sondern lediglich, diese zweisprachig auszuführen, falls entsprechende Wegweiser angebracht werden. Für Wegweiser, die bereits vor Inkrafttreten der Novelle stehen, legt § 24 (8) VoGrG eigens eine Bestandsgarantie fest: Sie dürfen nicht entfernt werden. Der Verfassungsausschuss hat hierzu festgehalten, dass die Garantie „konsequenterweise für alle bestehenden Aufschriften gelten soll“ 1719, also für vorhandene Ortsbezeichnungstafeln und Wegweiser; unter Berücksichtigung von Art 8 (2) B-VG wohl auch für andere Aufschriften, zB Funktionsbezeichnungen (Gemeindeamt, Schule etc). Vorgesehen ist eine Ausführung der Bezeichnungen in gleicher Form und Größe wie die Bezeichnungen in deutscher Sprache (§ 12 (2) 1715 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 6. 1716 Die Ortschaft Dobein mit mehr als 17,5% findet sich nicht in der Auflistung, weil sie im Zuge der Verhandlungen als Streusiedlung qualifiziert wurde; siehe Pirker, Reform 402. Andere Beispiele und Probleme, die sich in der Umsetzung der Regelung auch für zB Wegweiser ergeben, beschreibt Vouk, Fünf Jahre 69. 1717 Holzinger, Die Lösung 56. 1718 Völkerrechtlich könnte die Judikatur des VfGH iS einer späteren „Übung bei Anwendung des Vertrages“ gem Art 31 (3) b WVK von Bedeutung sein, da sie jedenfalls auch von den Vertragsparteien des StV Wien unwidersprochen geblieben ist. Eine Überprüfung in einem Verfahren nach Art 37 StV ist aber überwiegend als rein hypothetisch anzusehen; genauer Pirker, Reform 399. 1719 AB 1312 BlgNR 24. GP 2.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
VoGrG).1720 Den Terminus „topographische Bezeichnungen und Aufschriften“ beschränkt § 12 (2) VoGrG auf Ortstafeln, Ortsbezeichnungstafeln und Wegweiser. Dieses enge Verständnis von Topographie rechtfertigen die Erl1721 mit dem bisherigen Verständnis in der österreichischen Staatspraxis, womit keine Aufschriften zB auf Gemeindeämtern und anderen Dienststellen, Bezeichnungen in Landkarten, Wanderwege oder Aufschriften von Privaten erfasst sein sollen. Diese Präzisierung entspricht der österreichischen Praxis, wie Kolonovits zeigt, ergibt sich aus dem Vergleich der Vertragstextvarianten des StV Wien aber ein weites Verständnis der Topographie, das an sich sämtliche Aufschriften meint, die Hinweise auf örtliche Gegebenheiten enthalten: auf Orte, Berge, Flüsse der jeweiligen Bezirke.1722 Dazu hat der VfGH festgestellt, Ortstafeln fielen typischerweise unter den Begriff iSd Art 7 Z 3 StV Wien, er hat jedoch offen gelassen, ob dies auch für andere Aufschriften und Bezeichnungen topographischer Natur gelten könnte.1723 Schon der Zweck des Art 7 Z 3 StV Wien, zu zeigen, dass in dem Ort eine verhältnismäßig größere Zahl von Minderheitenangehörigen lebt, ist, wie Kolonovits zutreffend argumentiert, typischerweise auch durch Aufschriften auf öffentlichen Gebäuden zu verwirklichen. Demzufolge wären alle Aufschriften zweisprachig zu halten, die einen Ortsnamenbestandteil enthalten.1724 Dieses Verständnis wäre im Lichte einer funktionalen Interpretation angezeigt, da die Topographie auch den Zweck erfüllt, ein Gebiet als Teil des kulturellen Erbes auszuweisen und zur Wahrung der Minderheitensprache durch Sichtbarkeit – iSd ähnlich gelagerten Bestimmung der Sprachencharta – beizutragen (c.). Für dieses Ergebnis spricht die Staatszielbestimmung in Art 8 (2) B-VG, die zur Förderung der Sprache der Volksgruppen verpflichtet. Der Wortlaut des § 12 (2) VoGrG steht diesem Verständnis durch Abstellen auf die „sonstigen Hinweisschilder“ und deren Spezifikation entgegen.1725 Daher bleibt 1720 Diese Regelung entspricht der Judikatur des VfGH, der Umgehungsvarianten der Kärntner Landesbehörden wiederholt aufgehoben hat: Diese sahen zB die Aufbringung einer slowenischen Zusatztafel unter der Ortstafel vor oder montierten diese zuletzt in die Ortstafeln hinein (VfSlg 18.044/2006; 18.318/2007; 19.128/2010). 1721 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 5. 1722 Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Rz 92 ff; Kolonovits, Volksgruppenrecht 198. 1723 VfSlg 16.404/2001. 1724 Kolonovits, Volksgruppenrecht 198 f. 1725 Kolonovits bemerkt zu einem ähnlichen Gesetzesantrag 2007 mit der Formulierung „sonstige Hinweisschilder“, dass die Erl aufgrund der völkerrechtskonformen Auslegung erfasst sein müssten. Hierzu Kolonovits, Volksgruppenrecht 211. Im Gegensatz zur aktuellen Bestimmung des § 12 VoGrG bezog sich der Entwurf auf Schilder, „mit denen auf von der Anlage erfasste örtliche Gegebenheiten [aktuell: ‚Gebietsteile’] hingewiesen wird“. Mit Blick auf den völkerrechtlichen Gehalt könnte man auch im Fall der Topographie von einer unwidersprochenen Staatenpraxis Österreichs iSv Art 31 Abs 3 lit b WVK ausgehen.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 303
als Ergebnis die Beschränkung auf Wegweiser. Darin ist ein Defizit der Rechtslage (auch) auf Ebene 2 auszumachen. Die Festlegung des territorialen Anwendungsbereiches der zweisprachigen Topographie erfolgt schließlich für die Ortstafeln iSd StVO taxativ. Die Erl betonen, den Gemeinden sei es aber weiterhin unbenommen, im eigenen Wirkungsbereich freiwillig Namen für Orte in Slowenisch festzulegen und Ortsbezeichnungstafeln zu errichten. Dies stützen die Erl explizit auf die Staatszielbestimmung des Art 8 (2) B-VG.1726 § 12 VoGrG sieht eine Mindestverpflichtung für Ortsbezeichnungstafeln vor,1727 sofern in den Orten eine Ortstafel nach StVO nicht vorgesehen ist. Sofern Gemeinden in den Orten der Anlage 1 zusätzlich Ortsbezeichnungstafeln anbringen, haben diese zweisprachig ausgeführt zu sein gem § 12 (1) VoGrG.1728 Gemeinden können also im Rahmen der Gemeindeautonomie freiwillig über die Verpflichtung hinaus zweisprachige Ortsbezeichnungstafeln anbringen;1729 die Errichtung weiterer Ortstafeln iSd StVO ist ausgeschlossen.1730 Die Zahl der Ortsbezeichnungstafeln ist erweiterbar, zusätzliche zweisprachige Tafeln nach der StVO sind ausgeschlossen. Einer extensiveren Interpretation durch Heranziehung von Art 8 (2) B-VG würde der Vorrang von § 12 (1) VoGrG als lex specialis entgegenstehen.1731 Als Instrument des Volksgruppenschutzes stellen die zweisprachigen topographischen Aufschriften eine Besonderheit dar, da es sich bei der Bestimmung des Art 7 Z 3 Satz 2 StV Wien, wie der VfGH ausführt, um eine völkerrechtliche Verpflichtung der Republik und einen Auftrag an die Staatsorgane handelt, auf dessen Durchführung ein subjektives Recht nicht besteht, und der auch nicht durch eine Gruppe von Minderheitenangehörigen oder Vereine geltend gemacht werden kann.1732 Es bestehe – im Gegensatz zur Amtssprache – kein hinlänglich individua1726 1727 1728 1729
ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 6 f. ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 6. Die Erl sprechen von „zumindest“. Die slowenischen Namen hierfür ergeben sich aus Anlage 1. Das können auch Orte innerhalb der Gemeinden sein, etwa die Gemeinde Keutschach für den Ort Dobein; siehe Pirker, Reform 399. 1730 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 6; eingehend zum Zusammenhang von freiwilliger Namengebung und Anbringung der Ortstafeln im Zuge der Vollziehung der StVO Pirker, Reform 400 f. 1731 Pirker, Reform 401. 1732 VfSlg 17.416/2004; 17.327/2004. Dazu bemerkt Marko kritisch, dass unter Beachtung der Vorjudikatur des VfGH sehr wohl vom Bestehen individueller Rechtspositionen mit Gruppenbezug auszugehen sei und belegt anhand der Theorie des subjektiven des öffentlichen Rechts nach Jellinek, das „Träger“ eines Willen und „Destinatär“ des Interesses nicht ident sein müssten und sich somit der einzelne Angehörige einer Volksgruppe durchaus als Träger des Willens eines gruppenbezogenen Interesses angesehen werden könnte und zudem auch die Staatszielbestimmung in Art 8 (2)
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
lisiertes Parteiinteresse an der Einhaltung der objektiven Norm.1733 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Bestimmung des ersten Satzes des Art 7 Z 3 StV Wien ebenso „objektivrechtlich“ formuliert ist wie jene des zweiten Satzes, für erstere hat der VfGH jedoch sehr wohl ein hinlängliches Parteiinteresse aus dem Ziel der Bestimmung abgeleitet, die eigene Sprache wahren und pflegen zu können (I.a.). Diesem Ziel würden grundsätzlich auch zweisprachige Ortstafeln dienen, die der Sprache Sichtbarkeit verleihen und – wie gleich zu zeigen ist (c.) – einen wesentlichen Einfluss für die Identität der Minderheitenangehörigen selbst erfüllen.1734 Auf die Feststellungen des VfGH über den Charakter des Rechts auf zweisprachige topographische Aufschriften stützen sich Diskussionen über Reformen zur Durchsetzung von kollektiven Rechten, die bisher und in der letzten Neuausrichtung des Volksgruppenrechts keine Berücksichtigung gefunden haben. Derartige Einrichtungen (insb Verbandsklagerechte) wären ein wesentlicher Beitrag auf Ebene 1 (B.VI.). Darüber hinaus erfüllen topographische Aufschriften eine Reihe weiterer Funktionen, die nach einer Betrachtung der Stellungnahmen zu RÜ und Sprachencharta zu analysieren sind.
b. Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC Zweisprachige topographische Aufschriften regelt Art 11 (3) RÜ.1735 Die Struktur der Bestimmung ähnelt der Regelung über die Amtssprache,1736 ist aber schwächer ausgestaltet.1737 Beide Bestimmungen betreffen die Verwendung von Minderheitensprachen durch staatliche Behörden.1738 Wie Hofmann betont, zählen die sprachbezogenen Bestimmungen der Art 10 und 11 RÜ „zu den für die Erhaltung
1733 1734 1735
1736 1737 1738
B-VG subjektive Reflexwirkungen entfalten hätte können; Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 19 ff; vgl zur „Signalwirkung“ auch Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 86 ff. VfSlg 17.416/2004; 17.327/2004. In dieser Hinsicht wurde auch eine Beschwerde unter Berufung auf Art 8 EMRK eingebracht, die der VfGH auf Grundlage der Vorjudikatur jedoch zurückweist: VfSlg 18.022/2006. Art 11 (3) RÜ bestimmt: „In Gebieten, die traditionell von einer beträchtlichen Zahl von Angehörigen einer nationalen Minderheit bewohnt werden, bemühen sich die Vertragsparteien im Rahmen ihrer Rechtsordnung, einschließlich eventueller Übereinkünfte mit anderen Staaten, und unter Berücksichtigung ihrer besonderen Gegebenheiten, traditionelle Ortsnamen, Straßennamen und andere für die Öffentlichkeit bestimmte topographische Hinweise auch in der Minderheitensprache anzubringen, wenn dafür ausreichende Nachfrage besteht.“ Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ. De Varennes, Article 11, in Weller (Hrsg), The Rights of Minorities. A Commentary on the European Convention for the Protection of National Minorities (2005) 329 (348). De Varennes in Weller, Article 11 348.
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und Förderung der eigenständigen Identität nationaler Minderheiten in Europa wichtigsten Bestimmungen“.1739 Die vorsichtige Formulierung1740 resultiert aus der heiklen Symbolfunktion zweisprachiger Topographie und sieht eine Reihe von Einschränkungen vor.1741 Der thematische Kommentar legt nahe, es gehe um Gebiete, die traditionell und in größerer Zahl von Minderheitenangehörigen bewohnt werden, wobei Entwicklungen, insb der Assimilation zu berücksichtigen sind.1742 Die Zeichen sind wichtig und zu fördern, weil sie das friedliche Zusammenleben mehrerer Gruppen anzeigen.1743 Im Gegensatz zur Regelung über die Amtssprache ist eine „ausreichende Nachfrage“ verlangt, und die betroffenen Gebiete müssen traditionell und nach wie vor von einer beträchtlichen Zahl von Angehörigen einer Minderheit bewohnt sein. Im Fall der Amtssprache oder des Unterrichts genügt eine dieser beiden Voraussetzungen. Der Bezug auf die Rechtsordnung und Gegebenheiten in der Formulierung schaffen weitere Einschränkungen im Vergleich zur Amtssprache.1744 Zur Auslegung der weitläufig formulierten Verpflichtung hat der Beratende Ausschuss wesentlich beigetragen und festgestellt, dass es sich nicht bloß um freiwillige Gewährungen handelt, sondern ein gesetzlicher Rahmen notwendig ist, der die Kriterien für die Anbringung topographischer Aufschriften festlegt.1745 Eine bloße Verwaltungspraxis genügt nicht.1746 Das Fehlen gesetzlicher Regelungen stellt ebenso einen Verstoß dar wie eine unzureichende Umsetzung wegen lokaler politischer Widerstände.1747 Finanzielle Einwände rechtfertigen in finanzkräftigen Staaten mangelndes Handeln nicht und Staaten müssen Angehörige der Minderheiten auf ihr Recht hinweisen und Bedenken, solche Forderungen könnten aus historischen Gründen nicht opportun sein, entgegenwirken. Grundsätzlich erkennt der Aus1739 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ. 1740 Vgl insb Hilpold, Ortsnamenregelungen aus völkerrechtlicher und aus europarechtlicher Sicht – unter besonderer Berücksichtigung der Kärntner Ortstafelfrage, JBl 4/2007 (228) 229; Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ Rz 18. 1741 De Varennes in Weller, Article 11 348. 1742 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 66 f; vgl Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/ Rautz/Rein, Art 11 RÜ Rz 21 f. 1743 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 66 f. Zur Einschätzung des Thematischen Kommentars als Dokument, das über eine bloße Zusammenfassung der Stellungnahmen hinausgeht Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ Rz 5; Hofmann in Hofmann/ Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ Rz 3; Thornberry/Estébanez, Minority Rights 106. 1744 De Varennes in Weller, Article 11 349; Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ Rz 19 ff. 1745 Lantscher, Soft jurisprudence 94. 1746 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ Rz 20. 1747 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ Rz 18.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
schuss in zweisprachigen Aufschriften ein Zeichen für das harmonische Zusammenleben mehrerer Bevölkerungsgruppen, weshalb solche Maßnahmen zu fördern seien.1748 Das Kriterium einer „ausreichenden Nachfrage“ spielte in der Praxis des BA bisher keine Rolle.1749 Für den notwendigen Anteil an Minderheitenangehörigen begrüßt der Ausschuss jedenfalls das 10%-Kriterium des VfGH, das er über einen längeren Zeitraum hinweg zur Anwendung gebracht hat. Zugleich wird deutlich, dass bloßes Abstellen auf die Daten der letzten Volkszählung nicht genügen würde. Zu berücksichtigen sei die demographische Struktur eines Gebietes über einen längeren Zeitraum.1750 Besonders im dritten Bericht weist der Beratende Ausschuss Österreich darauf hin, dass die Referenz auf Zahlen zT paradoxe Ergebnisse hervorbringe, wenn die Gemeinden klein sind und es von wenigen Einwohnern abhängt, ob die notwendigen Prozentsätze erreicht werden oder nicht.1751 Bereits in der ersten und zweiten Resolution mahnt das Ministerkomitee Österreich zur Umsetzung der Bestimmungen über zweisprachige topographische Aufschriften, bewertet die Frage als ernsthaftes Problem für das Zusammenleben in Kärnten und bemerkt die fremdenfeindliche Rhetorik lokaler Politik.1752 In seinem dritten Bericht bedauert der Beratende Ausschuss nach wie vor, dass das Erk des VfGH nicht umgesetzt wurde und stellt mit Besorgnis fest, dass Minderheitenangehörige über zehn Jahre hinweg ihre Anliegen vor den VfGH bringen mussten. Dies wird verstärkt durch die Tatsache, dass die Verzögerungen realiter gegen die Minderheiten wirken, weil die Zahl der Angehörigen der slowenischen Minder-
1748 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ Rz 24. 1749 Hofmann in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ Rz 23. 1750 ACFC/OP/I(2002)009 para 50; ACFC/OP/III/(2011)005 para 88; vgl Lantschner, Soft jurisprudence 95 ff; Pirker, Art 11 RÜ. B. 2. Österreich, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 5. Die flexible Formulierung des Beratenden Ausschusses, der die Interpretation des VfGH in Übereinstimmung mit dem Rahmenübereinkommen und als großen Schritt zur Entwicklung der Minderheitenrechte sieht, resultiert, wie De Varennes erläutert, aus der Berücksichtigung der „besonderen Gegebenheiten“ im Mitgliedstaat. Hierzu De Varennes in Weller, Article 11 354. 1751 Dies bemerkt der BA im Hinblick auf das Erk des VfGH in dem für St. Kanzian mit bloß 9,9% Bevölkerung mit slowenischer Umgangssprache nach der letzten Volkszählung die Eigenschaft als „gemischter“ Ort verneint wird; ACFC/OP/III/(2011)005 para 84 (dort in FN 20); Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 11 RÜ. B. 2. Österreich Rz 6. 1752 CM/ResCMN (2004)1; CM/ResCMN (2008)3. Der BA rügt zudem, dass in einer Reihe von Gemeinden trotz der VfGH-Erk keine zweisprachigen Ortstafeln angebracht wurden; ACFC/ OP/I(2002)009 para 90; ACFC/OP/II/(2007)005 para 126; 129; 212; vgl Oeter, Minderheitensprachen 11; Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 5.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 307
heit einen kontinuierlichen Rückgang zeige.1753 Daher begrüßen der Beratende Ausschuss und das Ministerkomitee die neuerlichen Anstrengungen der Bundesregierung, einen Kompromiss mit den lokalen und regionalen Verantwortlichen in Kärnten herbeizuführen, da dieser zu einer Klarheit hinsichtlich der Orte führen könne, in denen zweisprachige Tafeln aufzustellen sind. Zugleich äußert der Ausschuss Bedenken an der 17,5%-Marke, die weit hinter dem Maßstab des VfGH zurückbleibe und letztlich zu einem Diktat von Verhandlungen gegenüber der Ansicht eines Höchstgerichts führe. Durch das Vorhaben, die Regelung im Verfassungsrang zu erlassen, wären die Minderheitenangehörigen fortan nicht mehr in der Lage, ihre Rechte vor dem VfGH geltend zu machen.1754 Verpflichtungen von internationalen Verträgen dürften nicht zum Gegenstand lokaler Politik gemacht werden, wie es etwa eine „Umfrage“1755 der Kärntner Landesregierung zur Lösung der Ortstafelfrage macht.1756 Zudem legt der Beratende Ausschuss der Regierung nahe, die Anliegen der Minderheitenvertreter zu berücksichtigen, weitere topographische Hinweise nach Art 11 (3) RÜ in der Sprache der Minderheit anzubringen.1757 Bedauert wird die fehlende Einbindung von Vertretern der Minderheiten im Burgenland in die Verhandlungen über die Ortstafelfrage.1758 Österreich berichtet in seinem vierten Staatenbericht vom Ergebnis dieser Verhandlungen und der Novelle des Volksgruppengesetzes 2011, die Rechtssicherheit schaffe und eine erhöhte Bestandsgarantie gewähre. Aufgrund des Verfassungsranges der Regelung seien keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Sprachenrechte durch Rückgänge der Bevölkerung zu erwarten.1759 Zur Empfehlung, den Wunsch der Volksgruppenvertreter nach weiteren topographischen Aufschriften und Bezeichnungen über Ortstafeln hinaus wohlwollend zu prüfen,1760 bemerkt der Bericht, es liege in der 1753 ACFC/OP/III/(2011)005 para 89; Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 5. 1754 ACFC/OP/III/(2011)005 para 90; CM/ResCMN (2012)7; vgl Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 5 f. 1755 Die Kärntner Landesregierung führt im Anschluss an die Verhandlungen in der Ortstafelfrage und parallel zum Gesetzgebungsprozess landesweit eine umstrittene, unverbindliche Volksbefragung über die Lösung in Kärnten durch, um – wie man betont – nicht gegen den Willen der Bevölkerung zu entscheiden. Darin sprechen sich von 67,9% der Befragten (bei einer Beteiligung von 33,2%) für die gefundene Lösung der Ortstafelfrage aus. Näher Pirker, Über die Mitte 81 f. 1756 ACFC/OP/III/(2011)005 para 91; vgl Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 7. 1757 ACFC/OP/III/(2011)005 para 94. 1758 ACFC/OP/III/(2011)005 para 92; vgl Pirker in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 10 RÜ. B. 2. Österreich Rz 5. 1759 ACFC/SR/IV(2016)001 13 f. 1760 ACFC/OP/III/(2011)005 para 94; ACFC/SR/IV(2016)001 91.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Gemeindeautonomie, allenfalls weitere topographische Bezeichnungen und Aufschriften zu beschließen.1761 Das Expertenkomitee der Sprachencharta, dessen einschlägige Bestimmung zur Topographie in Art 10 (2) g SC1762 Österreich nicht ausgewählt hat, bemerkt allgemein, dass eine positive Entwicklung zur Verwendung der Sprache in der Öffentlichkeit festzustellen sei. Immer weniger Sprecher würden davor zurückschrecken, ihre Sprache in der Öffentlichkeit einzusetzen, was aus Sicht der Betroffenen auf die Regelung der zweisprachigen Topographie zurückzuführen sei.1763 Eine Verbesserung des Klimas bestätigen auch Volksgruppenvertreter.1764 Das Expertenkomitee bemerkt auch, dass Vertreter der Minderheiten auf die fehlende Beteiligung an dieser Lösung hinweisen und hofft daher, dass einige Inkonsistenzen der Regelung durch freiwillige Vereinbarungen behoben werden.1765 Damit beziehen sich beide Gremien auf die Konfliktdimension der zweisprachigen Topographie, die in den vergangenen Jahren im Zentrum der öffentlichen Diskussion um Minderheitenrechte in Kärnten gestanden hat. Sie gründet in den Funktionen der topographischen Bezeichnungen, die sich als Symbole zur politischen Instrumentalisierung eignen und letztlich systemwidrige Lösungen der Amtssprache und Topographie im Verfassungsrang (!) hervorbringen, um den Konflikt – ähnlich der Proporzregelung in Südtirol – endgültig zu befrieden und beizulegen.
c. Bewertung: (Un-)Sichtbare Zweisprachigkeit? Zweisprachige topographische Aufschriften erfüllen mehrere Funktionen: Sie zeigen, wie der VfGH am Beispiel der „Ortstafeln“ als engerem Bereich der Topographie bemerkt, an, dass in einem Ort eine „ins Auge springende Zahl“ von Angehörigen der Minderheit lebt. Damit erfüllen sie Signalfunktion,1766 um die Präsenz einer Minderheit nach außen anzuzeigen. Dieses Ziel erkennt der VfGH in der Be1761 ACFC/SR/IV(2016)001 91. 1762 Art 2 SC bestimmt: „In Bezug auf die örtlichen und regionalen Behörden, in deren örtlichem Zuständigkeitsbereich die Zahl der Einwohner, welche die Regional- oder Minderheitensprachen gebrauchen, die nachstehenden Maßnahmen rechtfertigt, verpflichten sich die Vertragsparteien, folgendes zuzulassen und/oder dazu zu ermutigen: (…) g) den Gebrauch oder die Annahme der herkömmlichen und korrekten Formen von Ortsnamen in Regional- oder Minderheitensprachen, wenn nötig in Verbindung mit dem Namen in der (den) Staatssprache(n).“ 1763 CM(2012)142 para 151 f. 1764 Vouk, Fünf Jahre 68. 1765 CM(2012)142 para 254. 1766 Zur „Signalwirkung“ und der Regelung als objektives Recht Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 86 ff.
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stimmung des Art 7 Z 3 StV Wien. Wie Kolonovits bemerkt, gilt dies ohne Zweifel auch für zweisprachige topographische Aufschriften im weiteren Verständnis. Aus sozialwissenschaftlicher und -psychologischer Perspektive erfüllt die Topographie die Funktion, der Minderheit selbst anzuzeigen, dass sie in dem betreffenden Ort „beheimatet“ und „willkommen“ ist.1767 Über die Benennung von Orten nehmen Menschen und Gruppen ein Gebiet symbolisch „in Besitz“, womit es zu „ihrem“ wird. Die öffentliche Sichtbarkeit bestätigt diesen Anspruch und bildet die Präsenz der Gruppe in ihrer Heimat nach innen und nach außen ab.1768 Für die Minderheit und ihre Angehörigen ergibt sich daraus eine zweifache Wirkung: die sichtbare Anerkennung als Gruppe im Gebiet und die Präsenz der Sprache als Ausdruck der individuellen Identität. Auf diese Überlegungen ließe sich funktional ein Gruppeninteresse mit Individualbezug, aber auch ein Individualinteresse mit Gruppenbezug gründen. Der VfGH hat stattdessen nur auf die Signalfunktion der Aufschriften gegenüber der Allgemeinheit abgestellt. Aus den Funktionen wird deutlich, dass es sich bei der Topographie um ein Recht handelt, das als „Volksgruppenrecht“ auf Ebene 1 zu verorten ist. Die Funktionalität dient – wie die Amtssprache, hinsichtlich der Art 7 Z 3 StV dieselbe objektive Formulierung wählt – sowohl dem Einzelnen, als auch der Minderheit an sich. Dazu kommt eine wesentliche Funktion auf Ebene 2: Zweisprachige Topographie weist ein Gebiet als zweisprachig aus und verleiht der Sprache Sichtbarkeit als Teil des kulturellen Erbes der Region – ein Erbe für die „Minderheit“ und „Mehrheit“ gleichermaßen. IdS finden sich Bestimmungen zur Topographie im RÜ und in der SC, wie wohl diese ob der symbolischen Funktion topographischer Aufschriften sehr vorsichtig formuliert sind. Über die Frage zweisprachiger Ortstafeln als topographische Hinweiszeichen im engeren Sinne erfüllen Topographie und Toponomastik diese Funktionen in einem weiteren Sinne: durch Benennung von Flüssen, Bergen, Straßen und Bezeichnungen auf öffentlichen Gebäuden. Sie leisten nach Hilpold einen Beitrag, „damit die die Minderheit umgebende Realität in ihrer Gesamtheit den Minderheitenkontext möglichst umfassend widerspiegelt“1769. Damit reichen die Funktionen über das Verständnis der österreichischen Staatenpraxis und des VfGH hinaus. Aber nicht nur das: Topographie und Toponomastik dienen dem Schutz der Sprache an sich und der Wahrung des kulturellen Erbes als Mehrwert für Mehrheit und Minderheit.1770 1767 Hierzu eingehend mwN Pirker, Kärntner Ortstafelstreit 111 ff. 1768 Siehe zur symbolischen Funktion der Ortsnamenbezeichnungen eingehend Jordan, Zur Bedeutung 125 ff. 1769 Hilpold, Ortsnamenregelungen 229. 1770 In der Praxis zeigt sich zudem, so Vouk, Fünf Jahre 69, das Problem, dass in kleineren Orten durch
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Die Voraussetzungen für die Topographie lassen sich auf unterschiedliche Weisen bestimmen. Das Abstellen des VfGH auf statistische Erhebungen der Umgangssprache ist eine gangbare und pragmatische Lösung, die aber – wie die Ausführungen in Teil 1 und die Bemerkungen des BA und Expertenkomitees zeigen – nicht unbedingt geeignet sind, die Realität der Volksgruppe zu spiegeln. Um dies zu erfüllen, könnte, wie Volksgruppenvertreter mehrfach kritisieren, auf die Tätigkeit von Vereinen, Wirtschaftsverbänden, Banken oder anderen Organisationen der Volksgruppe abgestellt und die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht berücksichtigt werden1771 – letztere allerdings nur, wenn ein allgemeiner Schutz der Sprache intendiert ist, nicht im Lichte des Volksgruppenschutzes im engeren Sinne. Für den Ausdruck des kulturellen Erbes hätte man zudem auf ein historisches Siedlungsgebiet abstellen können, wie Angehörige der Volksgruppe in den Verfahren vor dem VfGH vorbringen (vgl zum autochthonen Gebiet als Geltungsbereich für das Recht auf Unterricht III.a.).1772 Zur geltenden Rechtslage der zweisprachigen Topographie ist positiv zu bemerken, dass die Auswahl der Orte im Gegensatz zu früheren Vorschlägen und Verordnungen nun zentrale und größere Orte berücksichtigt,1773 von denen eine stärkere Anzeigewirkung für die Volksgruppe und für die slowenische Sprache an sich ausgeht. Auch die Bestimmung über Wegweiser und sonstige Hinweisschilder ist insofern positiv, als damit ein Bestandschutz verbunden ist, der die Sichtbarkeit weiterhin garantiert. In der Umsetzung bestehen jedoch Defizite.1774 Bei Wegweisern ist zudem bedenklich, dass ein derart striktes Reglement vorgesehen wurde, das nur Wegweiser umfasst, die von einem zweisprachigen Ort in einen zweisprachigen Ort weisen. Damit wird das zweisprachige Gebiet in seiner inneren Struktur abgebildet, nicht jedoch seine Sichtbarkeit nach außen gewährleistet, sodass man etwa erkennen kann, wenn man von einem nicht-zweisprachig beschilderten Ort in einen zweisprachig zu beschildernden fährt.1775 Dies hätte die Sichtbarkeit der zweiten Einführung von Straßenbezeichnungen frühere zweisprachige Bezeichnungen ersetzt werden können (zB Töschlinger Straße 5 statt früher „Töschling/Tešinja Nr. 5), da Straßenbezeichnungen nicht von der zweisprachigen Topographie umfasst sind. 1771 Vouk, Jenseits des Rechts 153. 1772 VfSlg 16.404/2001. 1773 Eingehend Vouk, Synopse der amtlichen Vorschläge zur Regelung der zweisprachigen Topographie in Kärnten, in Hafner/Pandel (Hrsg), Volksgruppenfragen. Kooperation statt Konfrontation (2011) 223; Vouk, Fünf Jahre 68. 1774 Probleme attestiert Vouk, Fünf Jahre 68 allerdings bei der Umsetzung der Bestimmungen, da ua zahlreiche Wegweiser rechtswidrig nicht zweisprachig ausgeführt seien, wogegen jedoch kein Rechtsmittel bestehe. 1775 Eindrückliche Umsetzungsprobleme, die sich aus der Systematik der Regelung ergeben, beschreibt
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Sprache um ein vielfaches erhöht und würde allen genannten Zwecken entsprechen. Die „Öffnungsklausel“ im Rahmen der Gemeindeautonomie bietet eine Möglichkeit, die Sichtbarkeit der Sprache und die Präsenz der Minderheit über die Verpflichtungen hinaus – allerdings auf kleineren Tafeln – zu fördern und im Sinne der SC und des RÜ ein friedliches Zusammenleben von Gruppen verschiedener Sprachen zu signalisieren. Diese Option ist doppelfunktional und nützt der Minderheit, aber auch der Sprache. Eine echte „Öffnungsklausel“ im Sinne eines Antragsrechts für eine bestimmte Zahl von Einwohnern eines Ortes, wie sie in Entwürfen vorangegangener Versuche zur Lösung der Ortstafelfrage wiederholt vorgesehen war und an denen die Lösung auch gescheitert ist, wurde dagegen nicht vorgesehen, um die Diskussionen um die Symbole „endgültig“, wie die Erl bekräftigen, beizulegen.1776 Aus den Annahmen einer „objektiven“ Norm und den Funktionen, die der VfGH der Topographie zuschreibt – der Allgemeinheit die Präsenz einer Minderheit anzuzeigen – wäre an sich abzuleiten, dass es sich um ein objektives Recht handle, das auf Ebene 2 einzuordnen ist. Tatsächlich zeigt sich eine Vielzahl von Funktionen, die zweisprachige topographische Aufschriften im mehrfachen Sinne funktional für den Schutz der Sprache und der Minderheit ausweisen: Sie wirken auf Einzel- und Gruppenidentitäten, bringen ein kulturelles Erbe zum Ausdruck und können Vielfalt und Kohäsion repräsentieren. Soweit ihre Regelung im Verfassungsrang zugrunde gelegt ist, bleiben die Funktionen der Topographie auf einem bestimmten Status „eingefroren“, aber zumindest vor weiteren Abänderungen der Rechte intensiver geschützt.1777 Dass auch die Bestimmungen für die ungarische Sprache, die Art 7 Z 3 StV Wien nicht umfasst, in die Regelung der Topographie im Verfassungsrang integriert wurden, zeige, wie die Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Gerhart Holzinger und Ludwig Adamovich, die beide mit der Topographiefrage befasst waren, urteilen, das „Bestreben, die Angelegenheit aus dem konfliktträchtigen Bereich herauszunehmen und zu neutralisieren“1778 und das Ziel einer „Entemotionalisierung der lange Zeit auf das Land Kärnten fokussierten Thematik“1779. Der Kompromiss sei nicht in jeder Hinsicht konsequent, so Adamovich, habe aber zur „Befriedung“ beigetragen.1780 Vouk, Fünf Jahre 69. 1776 ErläutRV 1220 BlgNR 24. GP 6; Vgl auch Hesse, Einige rechtliche Anmerkungen 118 ff. 1777 Hesse erläutert den Verfassungsrang der Bestimmung unter Verweis auf ihren „Antwortcharakter“: Hesse, Einige rechtliche Anmerkungen 118 f. 1778 Adamovich, Fünf Jahre nach der verfassungsrechtlichen Lösung des Ortstafelstreits in Kärnten, Europa Ethnica 3-4/2016, 58. 1779 Holzinger, Die Lösung 56. 1780 Adamovich, Fünf Jahre 59.
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III. Unterrichtssprache a. Subjektiver und territorialer Geltungsbereich Art 7 Z 2 StV Wien gewährt Angehörigen der slowenischen Minderheit in Kärnten Anspruch auf Elementarunterricht in der eigenen Sprache und eine verhältnismäßige Zahl eigener Mittelschulen.1781 Wie der VfGH feststellt, steht „jedem Kind, das zur slowenischen Minderheit zählt,“ das Recht auf Elementarunterricht zu. Es ist verfassungsgesetzlich gewährleistet.1782 Der zweite Satz der Bestimmung ist hingegen, wie Marko ausführt, so zu interpretieren, dass es sich um die Minderheiten selbst handelt, die anspruchsberechtigt sind.1783 Das ist insofern konsequent, als einzelne Angehörige keinen Anspruch auf Mittelschulen haben können und erschließt sich auch im Zusammenhang mit der Überschrift „Rechte der (…) Minderheiten“.1784 Entsprechend dem Erk des VfGH ist das Recht auf Elementarunterricht nicht darauf gerichtet, jedem Schüler einzeln den Unterricht zu ermöglichen, sondern ihn ganzen Gruppen von Schülern zu erteilen, wodurch mit dem Recht eine Einrichtungsgarantie für den Elementarunterricht an öffentlichen Schulen verbunden ist. Die Einrichtung von Privatschulen und deren Förderung ist zur Erfüllung der Verpflichtung nicht ausreichend.1785 Soweit sich die Frage stellt, 1781 Die Bestimmung ist unmittelbar anwendbar (VfSlg 12.245/1989). Unklar war der persönliche Anwendungsbereich (Art 7 Z 2 StV Wien spricht von „Sie“). Dies ist systematisch als Verweis auf Z 1 zu sehen, in der die österreichischen Staatsbürger genannt sind, die einer der in Art 7 erfassten Minderheiten angehören. Die Verpflichtungen des Staatsvertrages von St. Germain verpflichten im Vergleich zu den Bestimmungen des StV Wien nur zu „angemessenen Erleichterungen“ für den Unterricht an Volksschulen (vgl B.III.b.). Vgl Tichy, Charta 120; Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 38. 1782 VfSlg 12.245/1989; Vgl Marko in Heißl 435; Marko, Autonomie und Integration 353. Damit ist kein Elternrecht verbunden. In VfSlg 15.759/2000 erachtet der VfGH, wie Marko hinweist, Schüler der vierten Klasse auch ohne Prüfung der Legitimation für Beschwerdeführer; Marko in Heißl 436. 1783 Marko, Autonomie und Integration 353 f. 1784 Die Formulierung steht einer Differenzierung der Anspruchsberechtigten (in Minderheit und Einzelner) schon vom Zweck her auch nicht entgegen. In diesem Sinne differenziert der VfGH die ebenso diffizile Formulierung in Z 3 aus in ein subjektives Recht und ein objektives Recht; vgl VfSlg 11.585/1987. Mit Marko ist festzuhalten, dass die Überschrift des Art 7 StV Wien („Rechte der (…) Minderheiten“) andeutet, dass die Bestimmung kollektive Minderheitenrechte verbrieft; Marko, Autonomie und Integration 354. 1785 VfSlg 12.245/1989. Zur Ableitung der Einrichtungsgarantie Marko, Autonomie und Integration 361. Nach Kolonovits, Minderheitenschulrecht 72 umfasst der Anspruch auf eine verhältnismäßige Zahl eigener Mittelschulen ebenfalls eine institutionelle Garantie. Dazu gehört die Einrichtung
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inwieweit zu überprüfen ist, ob ein Schüler der slowenischen Minderheit angehört, kann auf die Ausführungen des VfGH in I.a. verwiesen werden. Die Ausübung des Rechts impliziert – de jure nach der Intention der Norm,1786 de facto bestätigt in den Konfliktphasen der Kärntner Geschichte1787 – ein Bekenntnis, das nicht überprüft werden kann. Da objektive und subjektive Kriterien zur Feststellung der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, wie Marko betont,1788 nicht geeignet sind, ist nur auf die Inanspruchnahme des Rechts abzustellen.1789 Für den subjektiven Anwendungsbereich sieht § 7 MindHSchG Ktn (ebenfalls im Verfassungsrang) vor, dass das Recht, die Slowenische Sprache als Unterrichtssprache oder Pflichtgegenstand zu erlernen, jedem Schüler zukommt, wenn dies dem Willen des gesetzlichen Vertreters entspricht. Damit räumt das MindSchG Ktn jedermann – innerhalb eines bestimmten Territoriums – das Recht ein, die Sprache einer Volksgruppe zu erlernen und öffnet sich – in Konsequenz zum Diskriminierungsverbot über das Kriterium der Zugehörigkeit hinaus.1790 Verwirklicht ist im konkreten Fall durch § 13 MindHSchG Ktn ein Anmeldeprinzip: Kinder im Geltungsbereich des Gesetzes sind nicht automatisch zum zweisprachigen Unterricht angemeldet, sondern nur auf Anmeldung. Wie Öhlinger betont, führt dies zu
1786
1787 1788 1789 1790
einer eigenen Abteilung in der Schulaufsichtbehörde für die slowenische (und kroatische) Sprache und die Überprüfung der Schullehrpläne. Vgl Tichy, Charta 120; Zwitter, Charta 58. Da im Zuge der Staatsvertragsverhandlungen der Begriff der „linguistic minorities“ aus dem britischen Entwurf gestrichen wurde und im russischen Entwurf die Bezeichnung „national“ verblieben ist, ist davon auszugehen, dass mit der Ausübung der Rechte eine Form des Bekenntnisses verbunden ist; eine Überprüfung dieses Bekenntnisses ist jedoch nicht möglich; hierzu Marko, Autonomie und Integration 361. De facto sind – wie Teil 1 zeigt – auch „objektive Kriterien“ nicht geeignet, die Zugehörigkeit zu einer Minderheit festzustellen. Marko führt zudem weiter aus, dass kein Bekenntnis notwendig und kein Nachweis zu verlangen sei, weil es kein geeignetes Mittel zur Feststellung gibt und gerade bei der Prüfung von Sprachkenntnissen etwa zu bedenken wäre, das implizit wohl auch das Recht enthalten sein muss, die Sprache erst zu lernen. Es schließt auch nicht aus, das Recht auch anderen Kindern zukommen zu lassen, da dadurch Modelle möglich werden, die nicht auf Segregation, sondern auf Integration hin angelegt sind. Vgl dazu zB Wakounig, Der geheime Lehrplan 269 ff. Zur Problematik subjektiver oder objektiver Kriterien Marko, Autonomie und Integration, 355 ff; vgl Kolonovits, Sprachenrecht 62 ff. Marko, Autonomie und Integration 358 f.; vgl Zwitter, Charta 75. Der Wille zur Inanspruchnahme des Rechts nach Art 7 Z 2 StV Wien kommt in der Anmeldung zum Unterricht zum Ausdruck. Vgl zur Amtssprache I.a.: Nach der Judikatur des VfGH (VfSlg 11.585/1987; 12.836/1991) kann jedermann ohne Nachweis der Zugehröigkeit zu einer Minderheit das Recht in Anspruch nehmen. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbotes (nach Art 14 EMRK) darf die Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht überprüft werden. Kolonovits, Minderheitenschulrecht 140; Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 16; Zwitter, Charta 75.
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einem hohen Assimilationsdruck schon im autochthonen Siedlungsgebiet. Mit der Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers zugunsten des Minderheitenschutzes ist dies nicht vereinbar.1791 Es steht, wie Marko zeigt, im Widerspruch zur Staatszielbestimmung in Art 8 Abs 2 B-VG.1792 Jedenfalls im autochthonen Siedlungsgebiet ist das Anmeldeprinzip verfassungsrechtlich bedenklich. Art 7 Z 2 StV Wien entspringen verfassungsmäßig gewährleistete Rechte jedenfalls für die Angehörigen der Minderheiten. Wie Marko ausführt, ist dies konsequent, da das Recht auf Unterricht nicht erfordert, nur auf Minderheitenangehörige beschränkt zu werden, sondern jedermann gewährt werden kann, was für integrative Schulmodelle erst die Basis bereitet.1793 Dies gilt nur innerhalb eines bestimmten Geltungsbereiches, den §§ 10 und 11 MindHSchG Ktn definieren und auf zwei Bereiche aufteilen: Innerhalb jenes Gebietes, in dem 1958/59 zweisprachiger Unterricht an Volks- und Hauptschulen erteilt wurde, sind in jeder Gemeinde in Betracht kommende Volks- und Hauptschulen festzulegen, außerhalb des Gebietes nur für jene, in denen ein nachhaltiger Bedarf besteht.1794 Letztere Regelung gilt für das gesamte Bundesland Kärnten außerhalb des „zweisprachigen Gebietes“, das § 10 MindHSchG Ktn festlegt. Innerhalb dieses Gebietes ist für jeden Schüler, dessen Eltern ihn anmelden, Vorsorge zu treffen, dass er Unterricht in Slowenisch erhalten kann.1795 Grundsätzlich gilt der Anspruch des Art 7 Z 2 StV Wien „landesweit“.1796 Allerdings hat der VfGH im bereits erwähnten Erk1797 eine Differenzierung vorgenommen. Im Erk hebt er die Beschränkung des zweisprachigen Unterrichts nur für das autochthone Siedlungsgebiet der Minderheit auf, unter Verweis auf den Wortlaut1798 und die Entstehungsgeschichte1799 des Art 7 Z 2 StV Wien. Folglich sieht der VfGH eine Differenzierung vor: Innerhalb des „autochthonen“ Gebie1791 Öhlinger, Der Verfassungsschutz ethnischer Gruppen in Österreich, FS Koja (1998) 371 ( 381); Zwitter, Charta 75. 1792 Marko in Korinek/Holoubek Art 8 (2) B-VG Rz 7; vgl Zwitter, Charta 76. Marko, Autonomie und Integration, 366 f erkennt einen Widerspruch zur Einrichtungsgarantie für den Elementarunterricht, die der Assimilationsdruck auf Eltern de facto untergräbt. 1793 Marko, Autonomie und Integration 360. 1794 Dieser entspricht gem § 11 MindHSchG Ktn für Vorschul- und bis zur 4. Volksschulklasse sieben Anmeldungen, ab der fünften Schulstufe neun Anmeldungen und an Hauptschulen fünf Anmeldungen. 1795 Durch Ausführungsgesetz des Landes. 1796 VfSlg 12.245/1989. 1797 VfSlg 12.245/1989. 1798 „Sie“ iVm Art 7 Z 1 StV Wien: „Angehörige (…) in Kärnten“. 1799 Das Erfordernis einer „beträchtlichen Zahl“ wurde fallengelassen.
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tes1800 sind von der Zielsetzung des Art 7 Z 2 StV her in jeder Gemeinde die für die Minderheit in Betracht kommenden Schulen festzulegen, außerhalb können „Aspekte des tatsächlichen Bedarfs und des ökonomischen Einsatzes öffentlicher Mittel“ berücksichtigt werden. Nach „Wortlaut und Sinngehalt“ ist ein nachhaltiger lokaler Bedarf bei Zustandekommen einer Schülergruppe (aus mehreren Gemeinden) verpflichtend.1801 Im zugrundeliegenden Fall wird ein solcher Bedarf für eine Gemeinde angenommen, in der eine zweisprachige Volksschule besteht, an der 40 Kinder unterrichtet werden.1802 Aufgehoben wird eine nur auf jene Schulen beschränkte Regelung, an denen zu Beginn des Jahres 1958/59 zweisprachiger Unterricht erteilt wurde. Er ist bei nachhaltigem Bedarf auch außerhalb dieses Gebietes zu erteilen.1803 Mit der Festlegung eines abgestuften Geltungsbereiches für das Bundesland Kärnten durchbricht der VfGH, wie Glantschnig ableitet, das reine Territorialprinzip, das an sich für die Wahrnehmung der Minderheitenrechte kennzeichnend sei und trägt mit dieser Öffnung den Wanderbewegungen der Angehörigen der Minderheit in urbane Zentren Rechnung.1804 Der VfGH interpretiert die Norm des § 7 (1) MindHSchG dahingehend, dass das darin verbürgte Recht jenen Angehörigen der Minderheit nicht vorenthalten wird, die „in bestimmten Teilen Kärntens (d.h. außerhalb der ‚Sprachinseln‘) leben“. Damit stehe die Norm im Einklang zu Art 7 Z 2 StV Wien. Das Recht auf Elementarunterricht sei nämlich das den anderen Rechten „bedeutungsmäßig vorrangige und vorgelagerte Recht“.1805 Der VfGH kombiniert Personalitäts- und Territorialitätsprinzip1806 und erkennt nach Pernthaler unterschiedliche Intensitäten der verfassungsrechtlichen Garantien:1807 eine allgemeine Personalgarantie in ganz 1800 VfSlg 12.245/1989. Hierzu verweist der VfGH auf Art 7 Z 3 StV. 1801 VfSlg 12.245/1989. Bei der Beurteilung ist ein nachhaltiger Bedarf zu ermitteln, wie ihn zB Anmeldezahlen nahelegen können. 1802 VfSlg 12.245/1989. Vgl zu den Erwägungen des VfGH auch Marko, Autonomie und Integration 363 f; Lantschner in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Landesbericht Österreich Rz 42. 1803 VfSlg 12.245/1989. Seit 1991/92 kann außerhalb des Geltungsbereiches des Minderheitenschulgesetzes ab einer Mindestzahl von sieben Anmeldungen bei nachhaltigem Bedarf eine zweisprachige Klasse eingerichtet werden. In Klagenfurt besteht, wie Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 113 ausführt, neben der privaten Volkschule Hermagoras/Mohorjeva seit 1991 die öffentliche zweisprachige Volkschule 24/Javna dvojezična ljudska šola 24. 1804 Glantschnig, Das Minderheitenschulrecht, in Rumpler (Hrsg), Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland (1998) 537. 1805 VfSlg 12.245/1989. 1806 Zwitter, Charta 76; Marauhn in Frowein/Hofmann/Oeter, 250; Hilpold, Sprachenrechte 75. 1807 Pernthaler, Personalitätsprinzip und Territorialitätsprinzip im Minderheitenschulwesen, JBl 1990, 613 (615).
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Kärnten, territorial gesteigert für die Minderheit im autochthonen Siedlungsgebiet.1808 Um dieses Recht zu gewährleisten sieht § 12 MindSchG Ktn verschiedene Modelle vor: Volks- und Hauptschulen mit slowenischer Unterrichtssprache, zweisprachige Volkschulen, Volkschulklassen und Volkschulabteilungen, sowie Abteilungen für Unterricht in slowenischer Sprache an deutschsprachigen Hauptschulen. Die Variante der slowenischen Volks- und Hauptschulen wird mangels Bedarf nicht realisiert. Seit 1988 ist die Möglichkeit der Beiziehung von Teamlehrern vorgesehen, wenn die Zahl von neun Kindern für die Führung einer eigenen zweisprachigen Klasse nicht zustande kommt (§ 16 a Z 3 MindSchG Ktn). Den Zweitlehrern obliegt die Beschäftigung mit den Kindern, die nicht den zweisprachigen Unterricht besuchen. Problematisch ist, dass sie über keine Slowenischkenntnisse verfügen müssen.1809 Ab dieser Zahl sind für zweisprachige Volkschulen Parallelklassen zu führen. Darin liegt eine Grundlage für Segregation, die Pflichtschüler nach sprachlichen Merkmalen trennt und Integration verhindert. Das Modell intensiviert eingangs den Druck auf die Eltern zu einem Bekenntnis, soll aber die Basis für bessere Bedingungen für den zweisprachigen Unterricht legen.1810 Marko sieht in der zugrundeliegenden Novelle 1988 (sog „Kärntner Pädagogenmodell“) einen „strukturellen Konflikt zwischen Assimilation und Minderheitenschutz“, da sie Trennung verstärkt, aber durch Förderelemente (Förderunterricht, Senkung von Schülerhöchstzahlen) Minderheitenschutz verwirklicht.1811 Wie Sandrieser hervorhebt, ist eine positive Einstellung der Schulpartner gegenüber der Mehrsprachigkeit für erfolgreichen zweisprachigen Unterricht entscheidend.1812 Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Schulleitung zu, vor allem, wenn diese selbst über eine zweisprachige Qualifikation verfügt. Eine solche Voraussetzung ist derzeit in Kärnten nicht gesetzlich verankert.1813 Für den Umfang des zweisprachigen Unterrichts bestimmt § 16 MindHSchG Ktn ein annähernd gleiches Ausmaß in deutscher und slowenischer Sprache. In der Praxis variiert dieser Anteil.1814
1808 Pernthaler, Personalitätsprinzip 616; vgl Zwitter, Charta 77. 1809 Marko, Autonomie und Integration 381; Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 113 f. 1810 Hilpold, Minderheitenrecht 264; Rautz, Sprachenrechte 95; 97; Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht 126 f; Domej, Der Weg zur getrennten Schule, in Domej (Hrsg), Das Jahr danach (1989) 8 (14); Marko, Autonomie und Integration 377 ff; 382 f. Unkart, Rechtspolitische Erwägungen zur Minderheitenschule, ÖJZ 1986, 399; Zwitter, Charta 80. 1811 Marko, Autonomie und Integration 383; Zwitter, Charta 81. 1812 Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 114. 1813 Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 114. 1814 Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 114.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 317
Seit einem Erk1815 des VfGH aus dem Jahr 2000 ist klargestellt, dass der zweisprachige Unterricht jedenfalls die ersten vier Schulstufen der Volksschule zu umfassen hat. Damit präzisiert der VfGH den sachlichen Geltungsbereich des Art 7 Z 2 StV Wien über den Begriff „Elementarunterricht“, für den die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Unterrichtssystems notwendig ist.1816 Die bloße Einrichtung von Privatschulen oder Gewährung besonderer Förderungen genügen nicht den Anforderungen des Art 7 StV Wien, wie Marko präzisiert.1817 Die Erteilung eines bloßen Sprachunterrichtes anstelle des Unterrichts in der Volksgruppensprache ist nicht zulässig.1818 Allerdings stellt der VfGH bei Auslegung des Begriffs „Elementarunterricht“ nur auf den Volkschulunterricht ab, nicht auf die Haupt- oder Mittelschule.1819 Das für die sprachliche und kulturelle Identität ebenfalls bedeutsame Kindergartenwesen ist von Begriff ausgenommen.1820 Dieses Verständnis ist 1815 VfSlg 15.759/2000. 1816 VfSlg 12.245/1989. 1817 Marko in Heißl 436. 1818 Vgl Lantschner in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Landesbericht Österreich Rz 41. Lantschner leitet daraus weiter ab, dass es eine verhältnismäßige Zahl von Mittelschulen geben muss, an denen biligual oder monolingual Slowenisch unterrichtet wird. Es gibt nur das Slowenische Gymnasium, verfassungswidriger Weise jedoch keine zweisprachigen Hauptschulen oder solche mit slowenischer Unterrichtssprache. In deutschsprachigen Hauptschulen, in denen Slowenisch angeboten wird, ist es gem § 16 Abs 3 MindHSchulG Ktn im Ausmaß von vier Stunden pro Woche als Pflichtgegenstand vorgesehen. 1819 Unter Berücksichtigung des zeitlichen Kontexts könnte man zu dem Ergebnis gelangen, der Elementarunterricht umfasse acht Schulstufen: hierzu Kolonovits, Minderheitenschulrecht 55 f und Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 22; 36, der argumentiert, der VfGH habe die Auslegung des Begriffs „Mittelschule“ offen gelassen, der jedoch bedeutsam sei für die Bestimmung des Umfangs des „Elementarunterrichtes“. Art 68 StV Germain beziehe sich auf die Volksschule mit acht Schulstufen und bilde einen Standard, den die Vertragsparteien, so Kolonovits, sicher nicht unterminieren wollten. Der Begriff „Elementarunterricht“ umfasse folglich Volksund Hauptschule, unter „Mittelschule“ seien nach Kolonovits in Korinek/Holoubek, Art 7 Z 2-4 StV Wien Rz 24 (FN 158) allgemeinbildende höhere Schulen zu verstehen. Vgl Zwitter, Charta 57 f; zur Frage des Elementarunterrichts und des Kindergartenwesens Novak, Rechtsschutz 227 ff; Hilpold, Minderheitenrecht 265; Kolonovits, Einige rechtliche Fragen des Schulrechts und des Kindergartenwesens der Volksgruppen in Österreich, Europa Ethnica 1997, 108 (110); Pernthaler, Personalitätsprinzip 619 f. Marko geht in teleologischer Interpretation davon aus, dass der ursprüngliche englische Begriff „secondary schools“ auch die Hauptschule umfasst, die folglich unter Art 7 Z 2 StV Wien zu subsumieren ist, wodurch sich auch ein Anspruch auf eine verhältnismäßige Zahl von Hauptschulen ergibt: Marko in Heißl 436; Marko, Autonomie und Integration 371, vgl Zwitter, Charta 58. Gem § 30 MindHSchulG Ktn kann Slowenisch an Mittelschulen in Kärnten als unverbindlicher Unterrichtsgegenstand angeboten werden. 1820 Kolonovits, Minderheitenschulrecht 205 und Kolonovits, Die rechtliche Situation der kroatischen und der slowenischen Volksgruppe in Österreich, Europa Ethnica 1996, 99 (106), der den Kin-
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
nach Hilpold für einen umfassenden Minderheitenschutz unzureichend.1821 Marko interpretiert Kindergärten als „kulturelle Einrichtungen“ iSv Art 7 Z 4 StV Wien und plädiert für eine Einrichtungsgarantie.1822 Vouk schließt von der Einführung eines verpflichtenden Kindergartenjahres darauf, dass der Kindergarten als Teil des Elementarschulwesens zu verstehen sei.1823 Das Kärntner Kindergartenfondsgesetz (K-KGFG) sieht keine öffentlichen zweisprachigen Kindergärten vor.1824 Erst im Jahr 2001 wird ein Anspruch auf finanzielle Zuwendungen verankert zur Deckung des Betriebsabganges von Trägern zwei- oder mehrsprachiger Kindergärten (§ 3 lit a K-KGFG), die nicht von Gemeinden oder Gemeindeverbänden betrieben werden (§ 4 (2) K-KGFG). Ein öffentliches zweisprachiges Kindergartenwesen besteht nicht.
b. Ergebnisse der Kontrollverfahren nach RÜ und SC Das Recht auf Unterricht in der Minderheitensprache regelt Art 14 (2) RÜ.1825 Es
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1823 1824
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dergarten nicht vom Begriff „Elementarunterricht“ umfasst erachtet. Vgl Marauhn in Frowein/ Hofmann/Oeter 245. Hilpold, Minderheitenrecht 274 f. Marko in Korinek/Holoubek, Art 8 (2) B-VG Rz 31; 41 ff verweist auf Kolonovits, Sprachenrecht 143, der die Schulen und die Schulaufsichtsbehörden aufgrund des systematischen Zusammenhangs unter den Begriff der „kulturellen Einrichtungen“ subsumiert. Wie Marko weiter ausführt, seien im jugoslawischen Entwurf „educational branches“ diskutiert worden; aufgrund der Judikatur (VfSlg 12.245/1989 und 15.970/2000) über die Wertentscheidung der Verfassung zum Minderheitenschutz und die Notwendigkeit zur Auslegung von Minderheitenschutzbestimmungen nach Ziel und Zweck des Vertrages seien Kindergärten unter den Begriff „kulturelle Einrichtungen“ iSv Art 7 Z 4 StV Wien zu subsumieren und in Zusammenschau mit der Staatszielbestimmung in Art 8 Abs 2 B-VG eine gesetzliche Einrichtungsgarantie für zweisprachige Kindergärten abzuleiten. So auch Zwitter, Charta 59. Art 7 Z 4 StV Wien bestimmt: „Österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten, Burgenland und Steiermark nehmen an den kulturellen, Verwaltungs- und Gerichtseinrichtungen in diesen Gebieten auf Grund gleicher Bedingungen wie andere österreichische Staatsangehörige teil.“ Vouk, Fünf Jahre 71. Gesetz vom 12. Juli 2001, mit dem ein Fonds zur Förderung von zwei- oder mehrsprachigen Kindergärten eingerichtet wird (Kärntner Kindergartenfondsgesetz - K-KGFG), LGBl 2001/74 idF LGBl 2004/37. Mangels öffentlicher Kindergärten hat die slowenische Volksgruppe ein breites Netz an privaten zweisprachigen Kindergärten etabliert; zur Koordination und Öffentlichkeitsarbeit dient seit 1999 der Verein „Arbeitsgemeinschaft privater zwei- und mehrsprachiger Kindergärten“. Ausführlich Blajs in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 105 f. Ausnahmen, in denen auf Gemeinderatsbeschluss in öffentlichen Kindergärten zweisprachige Gruppen geführt werden, erwähnt Blajs in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 107. Dieser bestimmt: „In Gebieten, die von Angehörigen nationaler Minderheiten traditionell oder in beträchtlicher Zahl bewohnt werden, bemühen sich die Vertragsparteien, wenn ausreichende
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 319
ist an die Voraussetzungen spezifischer Nachfrage und ein traditionell bewohntes Gebiet gebunden. Der Beratende Ausschuss gibt zu erkennen, dass der Schwerpunkt auf der Nachfrage liegt und er es positiv begrüßt, wenn die Unterrichtsmöglichkeit ab geringen Schülerzahlen möglich ist. Die Nachfrage ist nicht nur quantitativ zu bemessen, sondern flexibel und großzügig zu behandeln.1826 Sie kann sich aus Anliegen von Minderheitenvertretern ergeben.1827 Die mangelnde Präzisierung der konditionalen Ausdrücke erlaubt eine flexible Anwendung und Besonderheiten des Schulsystems zu berücksichtigen.1828 Ein Grundwissen in der Minderheitensprache ist keine Voraussetzung und Kinder sollen durch den Unterricht nicht nur an die Staatssprache herangeführt werden.1829 Umfasst sind Einrichtungen der vorschulischen Erziehung, die ganz oder zum Teil in der Minderheitensprache angeboten werden.1830 Zur nachhaltigen Entwicklung ist eine Kontinuität bis zur tertiären Bildung zu gewährleisten.1831 Der Beratende Ausschuss spricht sich für zweisprachige und integrative Unterrichtsformen aus.1832 Von besonderer Bedeutung sind mehrere Bestimmungen, die auf den interkulturellen Dialog und die Berücksichtigung von Kultur und Geschichte der Minderheiten im Unterricht und Unterrichtsmaterialien abzielen. Unterricht hat die ethnische Diversität eines Landes zu zeigen und zu einem Klima des Dialoges beizutragen.1833 Auch außerhalb des Siedlungsgebietes sei der Zugang zum Unterricht zu gewährleisten, wie der thematische Kommen-
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Nachfrage besteht, soweit wie möglich und im Rahmen ihres Bildungssystems sicherzustellen, daß Angehörige dieser Minderheiten angemessene Möglichkeiten haben, die Minderheitensprache zu erlernen oder in dieser Sprache unterrichtet zu werden.“ Der Begriff der „Minderheitensprache“ wird im RÜ nicht definiert; vgl Brohy in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ Rz 3. Brohy in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ Rz 22. Lantschner, Soft jurisprudence 108; Brohy in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ Rz 10; 13; De Varennes/Thornberry, Article 14, in Weller (Hrsg), The Rights of Minorities. A Commentary on the European Convention for the Protection of National Minorities (2005) 407 (419 ff); Thornberry/Estébanez, Minority Rights 107. Brohy in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ Rz 13; 22. Brohy in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ Rz 21. Für Kärnten zB ACFC/OP/III/(2011)005 para 116; Brohy in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/ Rein, Art 14 RÜ Rz 14 f. Brohy in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ Rz 16 f. ACFC/OP/III/(2011)005 para 98. Vgl insb Advisory Committee on the Framework Convention for the Protection of National Minorities, Commentary on Education under the Framework Convention for the Protection of National Minorities (2006), in ACFC/25DOC(2006)002 para 1ff; 27; Lantscher, Soft jurisprudence 116. Auch der thematische Kommentar zu Sprachenrechten empfiehlt bilinguale Modelle, in denen beide Sprachen gleichermaßen repräsentiert sind, so AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 81. Hierzu eingehend Lantscher, Soft jurisprudence 115 ff; Thornberry/Estébanez, Minority Rights 107.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
tar feststellt. Um die Sprachen zu sichern sei auch eine aktive Bewusstseinsbildung notwendig und zwei- und mehrsprachige Modelle vorzusehen, die Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung und solchen aus gemischten Familien offenstehen.1834 Folglich empfiehlt der Kommentar bi- und multilinguale Ausbildung und Schulen zu fördern, um nicht nur individuelle Bereicherung zu gewähren, sondern einen Beitrag zur Kohäsion der Gesamtgesellschaft zu leisten.1835 Herausforderungen des Unterrichts sind idealerweise gemeinsam mit Vertretern der Minderheiten zu lösen und die Kontinuität des Unterrichts von der Vorschule bis hin zum Erwachsenenalter müssten gewährleistet sein, da vor allem die Übergänge zu sekundärer oder tertiärer Ausbildung Brüche im Spracherwerb bedeuten. Soweit die Sprache nicht auch auf dem höchsten Bildungslevel im Rahmen der tertiären Ausbildung gelernt werden könne, reduziere dies ihre Funktionalität.1836 Österreich verfügt, wie der Beratende Ausschuss in seiner dritten Stellungnahme attestiert, über ein erfolgreiches zweisprachiges Schulsystem in Kärnten, das für Angehörige der Mehrheitsbevölkerung von Interesse ist. Problematisch sei, dass keine Garantien der Rechte der Minderheitenangehörigen außerhalb der autochthonen Gebiete bestehen, weshalb die Präsenz der Minderheitensprachen durch die steigende Mobilität bedroht ist.1837 Zumindest die Nachfrage von deutschsprachigen Kindern aus der Mehrheitsbevölkerung sichere den Fortbestand der zweisprachigen Schulen, während die Zahl der Kinder mit originären Slowenischkenntnissen fortwährend sinkt. Besorgnis erregt die Schulreform, die zu Zusammenfassungen in wenigeren größeren Schulen führt, da dies negative Effekte auf Qualität und Quantität der zweisprachigen Ausbildung haben könnte. Wenige Fortschritte erkennt der Ausschuss darin, die Ausbildung über die Volksschule hinaus zu ermöglichen.1838 Er empfiehlt daher, wie schon in seiner ersten und zweiten Stellungnahme, die Ausweitung des Unterrichts über die Volkschule hinaus zu gewährleisten, um durch die Kontinuität einen angemessenen Spracherwerb auf hohem Niveau zu ermöglichen und verweist auf Anliegen der Minderheitenvertreter, im verpflichten-
1834 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 69 ff; vgl Brohy in Hofmann/Angst/Lantschner/ Rautz/Rein, Art 14 RÜ Rz 23. 1835 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 72. 1836 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 74 f; vgl Brohy in Hofmann/Angst/Lantschner/ Rautz/Rein, Art 14 RÜ Rz 14 ff. 1837 ACFC/OP/III/(2011)005 para 20; 98. Hervorgehoben werden auch die Leistungen der pädagogischen und akademischen Institutionen, denen es gelingt, moderne zweisprachige und interkulturelle Konzepte zu entwickeln, die die Attraktivität des zweisprachigen Unterrichts zusätzlich steigern; vgl Zwitter in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ. B. 2. Österreich Rz 11. 1838 ACFC/OP/III/(2011)005 para 121.
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den Kindergartenjahr die Zweisprachigkeit sicherzustellen.1839 Der BA begrüßt die Einrichtung zweisprachiger Kindergärten, kritisiert aber, dass sie nicht ausreichend gesetzlich reguliert seien und Eltern für private Einrichtungen zahlen müssten.1840 Eine Empfehlung ergeht an die Kärntner Regierung, ein angemessenes Kindergartengesetz zu erlassen, damit zumindest ein Jahr der Vorschulerziehung öffentlich zweisprachig verfügbar wird.1841 Zur Schließung von Schulen im Siedlungsgebiet der Volksgruppe hält der Beratende Ausschuss fest, es sei notwendig, bei Entscheidungen über die Schließung eines Schulstandortes zu berücksichtigen, dass Schulen die Erhaltung der Identität, Sprache und des kulturellen Erbes einer Minderheit in einem Gebiet sichern. Entscheidungen sind nicht nur an Schülerzahlen zu binden.1842 Unzureichend erachten Vertreter der Minderheiten die Repräsentation von Kultur und Geschichte der Minderheiten im Unterricht, weshalb Österreich mit seiner Geschichte als multiethnischer Staat, wie der BA empfiehlt, in Schulbüchern und Curricula entsprechende Inhalte vorsehen müsse.1843 In seinem vierten Staatenbericht teilt Österreich zur Empfehlung eines Gesetzes für zweisprachige (öffentliche) Kindergärten mit, dass sich an der rechtlichen Situation nichts geändert habe. Das Netz von privaten zweisprachigen Kindergärten und auf freiwilliger Basis eingerichteten zweisprachigen Gruppen in Gemeindekindergärten gewährleiste eine weitgehende Versorgung des zweisprachigen Gebietes mit zweisprachigen Kindergärten.1844 Mit dem Kindergartenförderungsgesetz (K-KGFG) habe Kärnten Anreize geschaffen, zweisprachige Kindergärten einzurichten und seine klaren Richtlinien würden eine qualitativ hochwertige zwei sprachige Betreuung sicherstellen. Private Kindergärten hätten den Vorteil, dass Anmeldungen nicht an Gemeindegrenzen gebunden seien und ein slowenisch1839 ACFC/OP/I/(2002)009 para 65; ACFC/OP/II/(2007)005 para 166; ACFC/OP/III/(2011)005 para 20; 119. Dies empfiehlt auch das Ministerkomitee, da positive Ergebnisse des zweisprachigen Grundschulunterrichts oft nicht genutzt werden können, weil keine Möglichkeiten in der höheren Ausbildung bestehen. Zudem ist die Lehrerausbildung zu verbessern CM/ResCMN(2012)7; vgl Zwitter in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ. B. 2. Österreich Rz 7. 1840 ACFC/OP/I/(2002)009 para 64; ACFC/OP/III/(2011)005 para 116; Brohy in Hofmann/Angst/ Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ Rz 15; Zwitter in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ. B. 2. Österreich Rz 4. 1841 ACFC/OP/III/(2011)005 para 118; vgl Zwitter in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 14 RÜ. B. 2. Österreich Rz 4. 1842 ACFC/OP/I/(2002)009 para 63; ACFC/OP/II/(2007)005 para 167. 1843 ACFC/OP/III/(2011)005 para 99. Auch in der Resolution im dritten Zyklus weist das Ministerkomitee auf die fehlende Präsenz der Minderheiten in Schulbüchern und Curricula hin und bemerkt, die Informationen scheinen mehr auf Stereotypen zu beruhen. Die Geschichte der Minderheiten ist daher effektiv in Textbüchern und Curricula zu berücksichtigen CM/ResCMN(2012)7. 1844 ACFC/OP/III/(2011)005 para 118; ACFC/SR/IV(2016)001 105 f.
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sprachiges Kind Angebote von Nachbargemeinden nutzen könne. Der Zuspruch der Bevölkerung sei groß und das Niveau der zweisprachigen Kleinkindpädagogik gelte als hoch.1845 Vereinzelt würden Kindergärten grenzüberschreitende Initiativen durchführen und zu Offenheit und einer Verbesserung des interkulturellen Klimas beitragen.1846 Die Statistik belege den Wunsch nach Formen mehrsprachiger Erziehung und Bildung, wobei Kinder mit unterschiedlichstem Sprachhintergrund am zweisprachigen Unterricht teilnehmen.1847 Um unterschiedlichen Sprachniveaus zu begegnen, legen die Pädagogischen Hochschulen einen Fokus auf den Unterricht heterogener Schülergruppen. Modelle, die ein längeres Verweilen in der Sprache ermöglichen, würden positiv wirken.1848 Zur Empfehlung, alle Möglichkeiten auszuloten, um nach der Primarstufe den zweisprachigen Unterricht auszuweiten, teilt Österreich mit, der Lehrplan der Neuen Mittelschule (NMS) ermögliche den Einsatz der Volksgruppensprache in ausgewählten Unterrichtsgegenständen.1849 Um die Attraktivität des Unterrichts in weiterführenden Schulen zu erhöhen, bestehe die Möglichkeit, Reifeprüfungen in Slowenisch abzulegen.1850 Dennoch sei es nicht gelungen, den Unterricht in der Sekundarstufe auszubauen. Dies sei zurückzuführen auf knapp bemessene Ressourcen für das Angebot an Frei- und Wahlpflichtgegenständen und die Konkurrenz anderer Unterrichtsangebote; teilweise würden personelle Ursachen eine Rolle spielen. Zentral sei daher die Bedeutung der drei höher bildenden Schulen, an denen der Unterricht auch anderer Fächer in Slowenisch stattfindet (BG für Slowenen, zweisprachige HAK und HLW).1851 Außerhalb 1845 1846 1847 1848
ACFC/SR/IV(2016)001 105 f. ACFC/SR/IV(2016)001 106. ACFC/SR/IV(2016)001 110. ACFC/SR/IV(2016)001 110. Zur Qualitätssicherung wurden zudem Sprachenportfolios für die Primarstufe und Sekundarstufe 2 sowie Kompetenzbeschreibungen für Slowenisch auf der vierten bis achten Schulstufe entwickelt. Zur Ausgestaltung der Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule Kärnten (unter Berücksichtigung von Sprachkompetenzen, interkultureller Kompetenzen, Teamkompetenz, schulpraktischer Kompetenz und fachdidaktischer Kompetenzen) ausführlich Angerer-Pitschko, Zweisprachige Lehrer/innenbildung an der Pädagogischen Hochschule, in Wolf/ Sandrieser/Vukman-Artner/Domej (Hrsg), Natürlich zweisprachig (2013) 146. 1849 ACFC/OP/III/(2011)005 para 123; ACFC/SR/IV(2016)001 111; Lehrplan der Abteilungen für den Unterricht in slowenischer Sprache, die in Neuen Mittelschulen mit deutscher Unterrichtssprache eingerichtet sind, Anlage 5, BGBl II 2012/185. 1850 ACFC/SR/IV(2016)001 111. Die neue Form der standardisierten Reifeprüfung kommt Ende des Jahres 2015 am BG für Slowenen, 2016 an der HAK und HLW zur Durchführung. 1851 ACFC/SR/IV(2016)001 111. Slowenischunterricht wird im Ausmaß von vier Stunden an Hauptschulen als Pflichtgegenstand angeboten; daneben besteht die Möglichkeit, Slowenisch als Freigegenstang zu besuchen. Allerdings findet der Unterricht aus organisatorischen Gründen oft
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des Geltungsbereiches des Minderheitenschulgesetzes gäbe es die meisten Anmeldungen an allgemeinbildenden und berufsbildenden höheren Schulen. Auch hier entfallen sie wesentlich geringer als in der Volksschule.1852 Zur Empfehlung des BA, mehr Angebote für Volksgruppenangehörige außerhalb des Geltungsbereiches zu schaffen, damit sie ihre Sprache lernen können, bemerkt Österreich, einzelne Volksschulen würden Slowenisch als unverbindliche Übung anbieten, an einzelnen Haupt- und neuen Mittelschulen sei es Wahlpflicht- oder Freigegenstand.1853 Um eine neue Kommunikationsstruktur zwischen Bildungsministerium, Schulaufsicht, Bildungseinrichtungen für die Pädagogenausbildung und den Volksgruppen zu etablieren, sei ein Prozess „Strategieentwicklung Minderheitenschulwesen“ initiiert worden, der Entwicklungen im Minderheitenschulwesen unter Konsultation der Volksgruppe anstoßen soll.1854 Das Expertenkomitee zur Sprachencharta, die zweisprachigen Unterricht in Art 8 SC regelt,1855 attestiert der Minderheitensprache in Kärnten bereits in der ersten
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nachmittags statt, was zu einer Zusatzbelastung der Schüler führt. Ein weiterer Nachteil ergibt sich aus dem Umstand, das Englisch nur als Freigegenstand gewählt werden kann, wenn Slowenischunterricht nach dem Minderheitenschulgesetz besucht wird, so Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 116 f. Mit der Implementierung der Neuen Mittelschule (anstelle der Hauptschule) wurde diese Alternativstellung behoben und die Stellung des Slowenischen gestärkt. Vier Wochenstunden sind nun grundsätzlich für den Slowenischunterricht vorgesehen in Schulen mit und ohne Schwerpunkt, sodass keine Mehrbelastung mehr für Angemeldete entsteht. Schulautonom kann die Anzahl der Unterrichtsstunden erhöht werden und Slowenisch kann als Arbeitssprache in anderen Unterrichtsgegenständen genutzt werden; außerdem im Rahmen von Projekten. Hierzu Sandrieser in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 117. ACFC/OP/III/(2011)005 para 122. ACFC/OP/III/(2011)005 para 128; ACFC/SR/IV(2016)001 122. ACFC/SR/IV(2016)001 126. Für den zweisprachigen Unterricht hat Österreich insb ausgewählt: Art 8 (1) lit b ii SC mit der Verpflichtung, in dem Gebiet, in dem die Sprachen gebraucht werden unter Berücksichtigung der Situation dieser Sprachen und unbeschadet des Unterrichts in der Amtssprache „einen erheblichen Teil des Grundschulunterrichts in den betreffenden Regional- oder Minderheitensprachen als integrierenden Teil des Lehrplans vorzusehen“ und lit c iii, die verpflichtet, „innerhalb des Unterrichts im Sekundarbereich den Unterricht der betreffenden Regional- oder Minderheitensprachen als integrierenden Teil des Lehrplans vorzusehen“. Im Bereich der vorschulischen Erziehung besteht die Verpflichtung, das Angebot der jeweiligen Sprachen zu begünstigen (Art 8 (1) lit a iv SC); ebenso im Bereich der Berufsbildung, soweit dies in Betracht kommt, oder Schüler oder deren Familien dies wünschen (Art 8 (1) lit d iv SC). Zu sorgen ist weiters ua „für den Unterricht der Geschichte und Kultur, die in der Regional- oder Minderheitensprache ihren Ausdruck finden“ (Art 8 (1) lit g SC), ebenso für die entsprechende Ausbildung der Lehrkräfte (lit h). Nach Art 8 (2) SC verpflichtet sich Österreich, den Unterricht der betreffenden Sprachen auf allen geeigneten Bildungsstufen auch außerhalb von Gebieten zuzulassen, in denen die Sprachen herkömmlicherweise gebraucht werden, zu diesem zu ermutigen oder ihn anzubieten, wenn es die Zahl der Sprecher rechtfertigt.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Stellungnahme in ähnlicher Weise einen vorbildlichen Rahmen, weist aber auf Lücken in der Umsetzung hin.1856 Positiv erachtet der Ausschuss das Erk des VfGH zum vierten Volksschuljahr.1857 Begrüßt wird die Möglichkeit deutschsprachiger Kinder, den zweisprachigen Unterricht zu besuchen. Eine Herausforderung würden die unterschiedlich gelagerten Sprachkenntnisse bilden.1858 Die steigende Nachfrage nach dem Unterricht in Regional- und Minderheitensprachen sei durch ein angemessenes Angebot für Sprecher und Nicht-Sprecher zu befriedigen.1859 Besorgt zeigt sich der Ausschuss über die Slowenischkenntnisse von Schülern an zweisprachigen Schulen.1860 Materialien für eine Sprachausbildung seien österreichweit nicht adäquat, kritisiert das Gremium. Auch die Lehrerausbildung zeige Mängel.1861 Die Bestimmung über die Ausbildung von Lehrkräften verpflichtet, für ausreichend Nachwuchs zu sorgen, um den erkennbaren Bedarf zu decken. Dies betrifft nicht nur den Unterrichtsgegenstand, sondern auch andere Fächer, die in der betreffenden Sprache unterrichtet werden sollen.1862 Dies bedingt qualifizierte Lehrmaterialien und eine institutionalisierte universitäre Ausbildung.1863 In seinem Bericht bemerkt der Ausschuss, der steigenden Nachfrage nach zweisprachigem Unterricht sei mit einer entsprechenden Zahl an Lehrern zu begegnen.1864 Deren Ausbildung sei zu verbessern1865 und es bedürfe neuer Methoden, um der Nachfrage nachzukommen.1866 Der Unterricht von Geschichte und Kultur der Minderheiten und ihrer Sprachen ist nach Ansicht des Experten- und des Ministerkomitees nur unzureichend gewährleistet und in Lehrbüchern und Curricula berücksichtigt, obwohl dies für die
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Vgl zur Bestimmung des Art 8 SC B.II.; zur Interpretation eingehend Langenfeld, Artikel 8, in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier (Hrsg), Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Handkommentar (2011) 183; Thornberry/Estébanez, Minority Rights 149 ff. ECRML (2005) 1 para 198 ff. ECRML (2005)1 para 206 ff; vgl Kletzander, Europarat 203; Oeter, Minderheitensprachen 6. So auch CM(2012)142 para 268 ff. Vgl Kletzander, Europarat 203. CM/RecChL(2009)1 para 4. ECRML (2009)1 para 205. ECRML(2009)1 para 139 ff; 125ff. Vgl Kletzander, Europarat 203; Oeter, Minderheitensprachen 6. Lehrer verfügen häufig nicht über die notwendigen Kompetenzen, da ihre Ausbildung nicht darauf ausgelegt ist, sprachliche Inkompetenzen auszugleichen. Zuletzt CM(2012)142 para 276 ff. Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 35. Die Regelung entspricht Art 12 Abs 2 RÜ. Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 35 f. CM/RecChL(2009)1 para 3. CM(2012)142 para 261 f. CM(2012)142 para 263 ff.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 325
slowenische Minderheit und Sprache von erheblicher Bedeutung ist.1867 Zu fördern ist daher der Unterricht in Geschichte und Kultur für die slowenische Sprache für alle Schüler in Kärnten.1868 Die Vermittlung hat in angemessenem Umfang und in qualifizierter und systematischer Weise zu erfolgen.1869 Im Bereich der vorschulischen Erziehung, die für die Entwicklung der Sprachkompetenz im frühkindlichen Alter wesentlich ist, darf das Angebot nach der Charta nicht nur von einem Engagement der Eltern abhängen. Es ist vielmehr für einen gesicherten rechtlichen Rahmen zu sorgen.1870 Die von Österreich gewählte Verpflichtung, die Vermittlung der Sprache zu begünstigen oder dazu zu ermutigen, betrifft vor allem private Träger. Sie verlangt positive Maßnahmen zur Förderung der Präsenz der Sprache in der Vorschulerziehung. Liegt nur eine private Organisation der Vorschulerziehung vor, trifft den Staat eine Gewährleistungspflicht. Förderungen sind sicherzustellen und Anreize zu gewähren für die Vermittlung der Regional- oder Minderheitensprache.1871 Bereits im ersten Zyklus sieht der Sachverständigenausschuss die Verpflichtung über Kindergärten in Kärnten, für die das Kindergartenfondsgesetz gilt, als erfüllt an. Er ermutigt, eindeutige Verantwortlichkeiten für Gemeindekindergärten festzulegen.1872 Aufgrund der Nachfrage und der unterschiedlichen Slowenischkenntnisse bei Schuleintritt gelangt der Ausschuss im zweiten Bericht zu der Ansicht, dass die Kindergärten ausgebaut werden sollen.1873 Österreich hat sich verpflichtet, einen erheblichen Teil der Grundschulerziehung in der Regional- oder Minderheitensprache anzubieten. Dies gilt für das gesamte
1867 Zuletzt CM/RecChL(2012)7; CM(2012)142 para 274. ECRML(2009)1 para 211 ff; Oeter, Minderheitensprachen 8; zur Präsenz der Volksgruppenfrage im Unterricht auch eingehend 130 ff. 1868 ECRML (2009)1 para 212 ff; CM(2012)142 para 272 ff. Dies empfiehlt in der dritten Stellungnahme auch das Ministerkomitee CM/RecChL(2012)7 para 2. Die Verpflichtung besteht gegenüber allen Schülern im Sprachgebiet. Vgl Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/ Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 34. Die Bestimmung ist vergleichbar mit Art 12 Abs 1 RÜ. Zu Art 12 (1) RÜ Altenhöner-Dion in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein, Art 12 RÜ Rz 5 ff; in Österreich Pirker, Art 12 2. B. Österreich, in Hofmann/Angst/Lantschner/Rautz/Rein (Hrsg), Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (2015) Rz 1 ff. 1869 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 34. 1870 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 18 f. 1871 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 20. 1872 ECRML (2005)1 para 202 ff. Zur Ermutigung, Möglichkeiten zu prüfen, damit neue Kindergärten in das System aufgenommen werden können, bemerkt der Ausschuss im zweiten Bericht, dass neue Kindergärten nicht vom System ausgeschlossen sind. ECRML (2009) 1 para 198. 1873 ECRML (2009)1 para 198.
326
Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
Sprachgebiet.1874 Bei Wegfall des Bedarfs kann sich diese Verpflichtung erledigen.1875 Anlass zu Bedenken bietet eine Schulreform, die größere Schuleinheiten vorsieht mit Exposituren in ländlichen Gebieten.1876 Der Ausschuss ermutigt zu einem Dialog, um Problemen im Zusammenhang mit der Schließung von Volksschulen zu begegnen, insb wenn Standorte aufgrund geringerer Schülerzahlen in Außenstellen umgewandelt werden. Dies motiviere Eltern, ihre Kinder in andere Schulen zu schicken und erhöhe die Gefahr einer Schließung. Schüler hätten jedoch, so der Ausschuss, in Gebieten, wo die Sprache originär gesprochen wird, bessere Chancen, sie zu erlernen.1877 Das Ministerkomitee bestätigt in seinen Empfehlungen, dass ein geänderter Status von Schulen oder Änderungen von Verwaltungsvorschriften – zB über die Qualifikationsvoraussetzungen von Direktoren zweisprachiger Schulen, die vor dem ersten Zyklus selbst slowenisch sprechen mussten1878 – keine negative Auswirkungen auf den slowenischen Unterricht zeitigen dürften.1879 Die Gefahr der Schließung oder Konzentration von Schulen zu Schulzentren trifft den Sekundarbereich in verstärktem Maße. Durch die Rationalisierung dürfen Angebote in Minderheitensprachen nicht gefährdet werden. Auch nach Schließung einer Schule sollte den Schülern grundsätzlich ein entsprechendes Angebot in zumutbarer Entfernung zur Verfügung stehen.1880 Dadurch können längere Schulwege entstehen, es sind aber zumutbare Verhältnisse für Schüler zu gewährleisten.1881 In der Schulplanung sind Verpflichtungen der Charta zu berücksichtigen. Es handelt sich um objektive Verpflichtungen des Staates.1882 Zu den Brüchen in der Kontinuität des Unterrichts von der Volksschule zur sekundären Bildung ermutigt der Ausschuss, eine Lösung gemeinsam mit der Volksgruppe zu suchen.1883 Dem Absinken der Anmeldungen nach der Volkschule sei entgegenzuwirken.1884 Dieser Trend bleibt auch im vierten Staatenbericht Öster1874 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 21. Zur aktuellen Lage Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 99 ff. 1875 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 21. 1876 ECRML (2005)1 para 206 ff; vgl Kletzander, Europarat 203; Oeter, Minderheitensprachen 6. 1877 ECRML (2005)1 para 209 ff; ECRML (2009)1 para 202. 1878 ECRML(2005)1 para 208. 1879 CM/RecChL(2005)1 para 4. 1880 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 25. 1881 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 26. 1882 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 25. 1883 ECRML (2009)1 para 209. 1884 CM(2012)142 para 257; 267 ff.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 327
reichs bestehen. Als Ursache identifiziert Österreich knapp bemessene Ressourcen im Angebot von Frei- oder Wahlpflichtgegenständen und Konkurrenz mit anderen attraktiven Angeboten, organisatorische Faktoren und den Erwartungshorizont des sozialen Umfelds der Kinder, wobei Einstellungen über die gesellschaftliche Bedeutung einer Volksgruppensprache und ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit eine Rolle spielen.1885 Grundsätzlich ist nach den Verpflichtungen der Charta eine rechtliche Einbindung der Sprache in den Lehrplan der Sekundarstufe von Maßnahmen zu flankieren, die das Interesse der Schüler und Eltern für solche Angebote fördern. Lösungen für die Aufrechterhaltung bei geringeren Schülerzahlen sollten gefunden werden und das Fach für die Reifeprüfung zugänglich gemacht werden. Nach der Verpflichtung, die Österreich gewählt hat, ist es zB als Wahlfach oder -pflichtfach vorzusehen und hat integrierender Teil des Curriculums zu sein.1886 Für die Berufsschulbildung und Berufsbildung hat Österreich nur die geringste Verpflichtung gewählt. Die Kontinuität ist in diesem Bereich wegen der Differenzierung der Fachbereiche besonders problematisch, obwohl die Berufsbildung für die Funktionalität einer Sprache im öffentlichen Raum einen wesentlichen Beitrag leistet. Daher sollten Staaten nach den Grundsätzen der Charta fördernde Maßnahmen vorsehen, insb auch in Pflegeberufen oder im Sozialbereich.1887 In Österreich erachtet der Sachverständigenausschuss die Bestimmung im ersten Zyklus als erfüllt durch die zweisprachige Bundeshandelsakademie in Klagenfurt, das private Lehrinstitut für Wirtschaftsberufe in St. Peter und mehrere Berufsschulen, die Slowenisch als Pflicht- oder Wahlfach anbieten.1888 Nach Art 8 (2) SC sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, außerhalb autochthoner Siedlungsgebiete den Unterricht einer Sprache anzubieten oder dazu zu ermutigen, wenn die Zahl der Sprecher dies rechtfertigt. Die Bestimmung betrifft Migrationsprozesse. Sie gewährt den Staaten erheblichen Gestaltungsspielraum und die Angebote können nachfragebezogen ausgerichtet werden.1889 In Österreich sieht der Ausschuss die Verpflichtung bereits im ersten Zyklus als erfüllt an,1890 da slowenischsprachiger Unterricht auch außerhalb des autochthonen Siedlungsgebietes 1885 Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 106. 1886 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 24. 1887 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 27. 1888 ECRML (2005)1 para 216. Zum berufbildenden Schulwesen näher Domej in Wolf/Sandrieser/ Vukman-Artner/Domej 135 ff. 1889 Langenfeld in Boysen/Enbers/Hilpold/Körfgen/Langenfeld/Rein/Richter/Rier, Artikel 8 Rz 39. 1890 Vgl den jüngsten Staatenbericht: Bundeskanzleramt Österreich, 4. Bericht der Republik Österreich gemäß Artikel 15 Abs. 1 der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (2015) [submitted 8/11/2016] 109.
328
Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
zulässig ist. Wo eine Nachfrage im Vorschulbereich durch die Volksgruppe nicht selbst besorgt werden kann, ersucht der Ausschuss, dieses Problem im Dialog mit der Volksgruppe zu lösen.1891 Lokal bestehen immer stärkere Trends zu Sprachwechsel und Assimilation. Dem stehe, wie der Expertenausschuss bemerkt, die wachsende Nachfrage von Kindern aus der Mehrheitsbevölkerung gegenüber. Sie kompensiere zu einem gewissen Grad den Rückgang der Minderheitenangehörigen, berge aber Probleme wegen ungleicher Sprachkenntnisse.1892 Notwendig wären daher Immersionsmodelle, die in Österreich nicht institutionalisiert sind.1893 Der Anteil des Unterrichts in der Minderheitensprache bleibt zudem unbestimmt. Nur für Deutsch wird ein Mindestanteil vorgesehen.1894 In der Praxis variieren die Slowenischanteile. Dies widerspricht nach Oeter den Bestimmungen des Art 8 (1) b iii SC, einen erheblichen Teil der Ausbildung zweisprachig zu gestalten. Die Verpflichtung meine mehr als 50%.1895 Das Slowenische Gymnasium ist für den Spracherhalt von erheblicher Bedeutung. Es birgt aber eine Reihe von Herausforderungen für die Familien, da es außerhalb des traditionellen Gebietes liegt.1896 Insgesamt erkennt der Sachverständigenausschuss im dritten Bericht eine zunehmende Verwendung des Slowenischen in der Öffentlichkeit, die sich in Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht spiegelt.1897 Die österreichische Bundesregierung bemerkt bereits in ihrer ersten Stellungnahme, es müsse auf ein regionales Bildungskonzept hingearbeitet werden, das sowohl die Mitgliedschaft in der slowenischen Minderheit stärkt, als auch ein offenes System für alle bietet und Elemente einer europäischen Grenzregion enthält.1898 In einem solchen System sind Ansätze der Kombination aus Minderheitenschutz und Förderung der Sprache zu erkennen. Die Umsetzung der Charta weist dennoch, wie Oeter zusammenfassend feststellt, im Unterrichtswesen nicht unerhebliche Schwächen auf.1899
1891 ECRML (2005)1 para 229 ff. 1892 Diese Probleme bestehen weiterhin CM(2012)142 para 255 ff; 265; ECRML(2009)1 201 ff; 206 ff; Oeter, Minderheitensprachen 4; 6. 1893 Oeter, Minderheitensprachen 5. Wakounig in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 157 f verweist auf die Einführung von Immersionsmodellen an einigen zweisprachigen Volksschulen in Klagenfurt. 1894 ECRML(2009)1 para 200; 204; Oeter, Minderheitensprachen 6. 1895 Oeter, Minderheitensprachen 6. 1896 Oeter, Minderheitensprachen 7. 1897 CM(2012)142 para 151. 1898 ECRML (2005)1 Annex II; vgl ECRML(2009)1 Annex II; Kletzander, Europarat 207 f. 1899 Oeter, Minderheitensprachen 4.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 329
c. Bewertung: Beschränkte Mehrsprachigkeit? Das Recht auf Unterricht in der Muttersprache definiert der VfGH als „unverzichtbar“ und den anderen Sprachenrechten in Z 3 (Amtssprache) und Z 4 (kulturelles Leben) des Art 7 StV Wien „vorgelagertes Recht“. Aus dem Ziel des Art 7 Z 2 StV Wien leitet er ab, dass dieses Recht notwendigerweise über vier Volkschulstufen hinweg als Elementarunterricht und innerhalb des autochthonen Siedlungsgebiets zu gewährleisten ist. Folglich bildet es, wie Teil 1.C.I. präzisiert, die notwendige Voraussetzung für die Nutzung der übrigen Sprachenrechte, womit weitgehende Garantien auf Ebene 1 verbunden sind. Gerade bei diesem Recht handelt es sich – soweit es Art 7 Z 2 StV Wien entspringt – um ein zentrales Minderheitenrecht. Daher ist es im Lichte der Zielsetzung, den einzelnen Minderheitenangehörigen zu befähigen, seine Sprache zu erlernen, konsequent, dieses Recht nicht (nur) an das Siedlungsgebiet der Minderheit zu knüpfen und dort vom Zweck her auf jede Gemeinde zu beziehen, sondern dieses Recht in allen anderen Gebieten Kärntens zuzulassen. Zum autochthonen Gebiet ist zu bemerken, dass es sich um jenes Gebiet handelt, in dem vor dem Erlass des Gesetzes 1958/59 zweisprachige Schulen bestehen und vor Einführung des Abmeldeprinzips zweisprachiger Unterricht erteilt wird. Damit wird für den Unterricht in der Muttersprache eine „Versteinerung“1900 vorgenommen, die keine Anwendung findet im Bereich der Amtssprache oder zweisprachigen Topographie, die für die Funktionalität der Sprache und ihre Sichtbarkeit im öffentlichen Leben essentiell sind und ebenfalls auf die Identität der Angehörigen der Minderheit zurückwirken. In diesen Fällen orientiert sich der VfGH an Siedlungsschwerpunkten, die aus den Ergebnissen der Volkszählungen abgeleitet werden. Freilich steht auch in diesem Fall das Effizienzgebot dem reinen Personalitätsprinzip gegenüber, im Fall des Unterrichts löst der VfGH dies jedoch durch ein intensiveres Prinzip der Territorialität im autochthonen Siedlungsgebiet und ein abgeschwächteres Prinzip in den übrigen Gebieten Kärntens: Nur bei entsprechendem Bedarf ist zweisprachiger Unterricht zu erteilen. Trotz dieser Einschränkung erlaubt die Interpretation, der Abwanderung von Minderheitenangehörigen in städtische Zentren zu entsprechen – nur innerhalb Kärntens. Mit der Ausdehnung des Rechts auf „Jedermann“ handelt es sich um ein intensives Recht auf Ebene 2. Die Erweiterung birgt jedoch Konsequenzen, da in diesem Fall die Interessen der Mehrheitsbevölkerung, die zweite Sprache zu erlernen, den Bedürfnissen der Minderheitenangehörigen gegenüberstehen, die Sprache auf ei1900 Rautz, Sprachenrechte 88.
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Teil 2: Modellbildung und rechtsdogmatische Analyse
nem möglichst hohen Niveau zu erlernen.1901 Daraus erwächst ein Spannungsfeld, das die Stellungnahmen zum RÜ und zur Sprachencharta erhellen und der erste Teil (in C.II.b.) offenlegt: Je unterschiedlicher die Vorkenntnisse der Schüler ausfallen, die am zweisprachigen Unterricht teilnehmen, umso schwieriger ist es, die Minderheitenangehörigen auf ein adäquates Sprachniveau zu führen. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass zunehmend mehr Schüler aus deutschsprachigen Familien den zweisprachigen Unterricht besuchen und durch ihre Nachfrage das System des zweisprachigen Unterrichts – angesichts eines kontinuierlichen Rückgangs von Schülern mit originären Sprachkenntnissen – stabilisieren und ausweiten. Wie Teil 1 zeigt, sind Sprachkenntnisse und Kontakt von Bedeutung für die Einstellung zur Minderheit und damit der zweisprachige Unterricht für die Mehrheitsbevölkerung in mehrfacher Hinsicht von Interesse für die Minderheit. Die Lösung für dieses Spannungsfeld von Ebene 1 und 2 kann einerseits in der Segregation liegen, die zwar die Kenntnisse der Minderheit in ihrer Sprache fördert und ihre Identität stärkt, einer Zweisprachigkeit der deutschsprachigen Bevölkerung aber – wie das Beispiel Südtirol lehrt – entgegensteht und die für die Ausübung von Minderheitenrechten ebenfalls notwendige Voraussetzung von Toleranz und Verständnis erschwert. Eine andere Lösung liegt, wie die Stellungnahmen zu RÜ und Sprachencharta andeuten, in der Entwicklung innovativer Unterrichtsformen wie dem Eintauchen in die Sprache über längere Zeiträume hinweg – die Immersion, die in Südtirol politisch umstritten diskutiert wird.1902 Eine weitere Möglichkeit mit Blick auf den territorialen Anwendungsbereich deutet die Bundesregierung an, wenn sie von der Ausarbeitung eines regionalen Bildungskonzeptes spricht. In diesen Bereichen sind Didaktik und Organisationsstrukturen gefordert, eine Lösung bereitzustellen. Problematisch im Lichte eines fördernden Minderheitenschutzes auf Ebene 1, aber auch auf Ebene 2 ist schließlich das Anmeldeprinzip, das im Gegensatz zum 1901 Vgl Hilpold, Minderheitenrecht 266. 1902 Als notwendige Grundlage für innovative Unterrichtsformen identifiziert Sandrieser in Wolf/ Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 114 einen geregelten Sprachwechsel (sog Sprachordnung), der wöchentlich oder tageweise erfolgen kann. Wakounig in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 157 f verweist auf Immersionsmodelle nach Vorbildern aus den USA, Kanada oder der Schweiz, die an einigen Volkschulen umgesetzt werden – als Pilotptojekt seit 2003/04 unter wissenschaftlicher Begleitung und Einbindung der Eltern eingeführt an der öffentlichen zweisprachigen Volksschule 24 in Klagenfurt/Javna dvojezična šola 24 v Celovcu. Ein erfolgreiches Beispiel für interkulturelle und regionalspezifische Sprachdidaktik bieten die Kugyklassen am Slowenischen Gymnasium in Klagenfurt; hierzu Larcher/Vospernik in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 130 ff. Domej in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 139 f betont die Notwendigkeit eines geregelten, systematischen und konsequenten Sprachgebrauchs, um eine Sprache nicht nur als Bildungssprache zu erleben, sondern auch gebrauchen zu können.
C. Ausgewählte Instrumente in Kärnten 331
Abmeldeprinzip, wie es im Burgendland vorgesehen ist, nicht festlegt, dass die Kinder im Geltungsbereich des Gesetzes automatisch für den zweisprachigen Unterricht angemeldet sind und von den Eltern abgemeldet werden können. Vor dem spezifischen Hintergrund der Geschichte der Minderheitenfrage in Kärnten ist dies bedenklich, weil in der aktiven Anmeldung zum zweisprachigen Unterricht häufig ein Bekenntnis zur Minderheit gesehen wird. Aus diesem Grund erblickt Rautz darin jedenfalls einen diskriminierenden Faktor.1903 Wie Teil 1.C.II.c. zeigt, erodiert diese Ansicht zunehmend und die slowenische Sprache wird immer häufiger als Mehrwert gesehen und gelernt. Dennoch wäre es nicht nur im Hinblick auf den Schutz der Minderheit, sondern auch die Förderung der Sprache zielführend, ein Abmeldeprinzip im Bereich des zweisprachigen Schulwesens vorzusehen oder – wie die Vorschläge der jüngsten Reformbemühungen vorsehen – ein regionales Bildungskonzept zu verankern, in dem die zweite Sprache automatisch als Unterrichtsfach vorgesehen ist. Im Gegensatz zur Rechtslage vor dem Erk des VfGH erfüllt die Volkschule durch die Gleichberechtigung der slowenischen Unterrichtssprache bis zur vierten Klasse nicht mehr die Funktion, Schüler an die deutsche Sprache heranzuführen. Effektiv im Lichte der Ziele einer Befähigung zur Ausübung der Sprachenrechte im späteren Leben wäre die Einbeziehung des Kindergartens1904 als an die Schule heranführende Institution der Sprachsozialisation und die Ausweitung der Möglichkeiten, die slowenische Sprache nach der Volksschule auf angemessenem Niveau zu erlernen – dies nicht nur für den Schutz der Minderheit, sondern auch im Hinblick auf die Sicherung der Sprache und ihrer Funktionalität im Allgemeinen.
1903 Rautz, Sprachenrechte 95. 1904 Wie Blajs in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 104 f ausführt, ist es gerade im Kindergarten, wo die Kinder erstmals intensiven Kontakt mit der Gesellschaft und Umgebung erleben, wesentlich, dass die Muttersprache als gleichwertig erfahren werden kann. Notwendig, so Blajs in Wolf/ Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 108 f, ist die Entwicklung sprachpädagogischer Standards auch für öffentliche Kindergärten und Bereitstellung von Anreizen für die Errichtung neuer zweisprachiger Gruppen; ebenso die Verbesserung der Ausbildung für Kindergartenpädagogik. Wakounig in Wolf/Sandrieser/Vukman-Artner/Domej 156 f plädiert für die Vermittlung schul- und bildungssprachlicher Fertigkeiten bereits in der Volksschule und dann kontinierlich in allen Bildungsstufen; Sprachbildung wird dabei verstanden als Aufgabe aller Erziehungs- und Bildungsinstitutionen unter Bereitstellung entsprechender außerschulischer Angebote.
Fazit und Ausblick: Pluralismustauglicher Minderheitenschutz
Der Blick in die Realität der Minderheitensituationen in Kärnten und Südtirol zeigt: Ethnische Selbstverortung kennt viele Facetten. In Kärnten gibt es mehr als „bewusste“ Slowenen und „Assimilierte“. Daneben besteht eine Bandbreite von „Zwischen und Mehrfachidentitäten“, die sich in ihren Bezügen zu Herkunft, Sprache und Kultur unterscheiden. Allen gemeinsam ist die Sprache. Die Funktionalität dieser (Minderheiten-)Sprache im öffentlichen Leben steigert ihren Wert und stärkt die Möglichkeiten, sie positiv in das eigene Selbstkonzept zu integrieren. In Südtirol sind die Sprachen im öffentlichen Leben funktional, sie bilden aber auch eine Grenze. Ihr entlang institutionalisiert das System aus Zugehörigkeitserklärung, ethnischem Proporz und getrennter Schule Gruppengrenzen. Effektive Mehrsprachigkeit braucht aber Kontakte, um die Potenziale der Vielfalt auszuschöpfen. In Kärnten erfordert effektiver Minderheitenschutz, die Funktionalität des Slowenischen zu gewährleisten.1905 Das beeinflusst ethnische Identitätskonzepte ebenso wie sprachlich-kulturelle, aber nicht nur: Es zeigt sich ein wachsendes Interesse der Mehrheitsbevölkerung an der slowenischen Sprache. Sie verliert ihre Zuschreibung als ethnischer Marker und wird zunehmend attraktiv. Wenn die Mehrheitsbevölkerung die Sprache lernt und positiv integriert, besteht darin ein gesamtgesellschaftlicher Beitrag zur Vielfalt, der den „Mehrwert“ von Minderheiten achtet und nutzt und auf das Umfeld wirkt, in dem Minderheitenrechte wahrgenommen werden. Der Minderheitenschutz steht in Kärnten vor der Herausforderung, diesen Entwicklungen zu entsprechen, die Funktionalität der Sprache zu gewährleisten und der Pluralität von Identitäten gerecht zu werden. Dazu ist eine zwei Ebenen Perspektive notwendig, die auf einer ersten Ebene Prinzipien des klassischen Minderheitenschutzes fortführt und ethnisch-orientierte Konzepte erfasst, sich auf einer zweiten Ebene öffnet und die Sprache als objektives Schutzgut verankert, um Mehrsprachigkeit zu institutionalisieren und Pluralität zu ermöglichen, die auf den Minderheitenschutz zurückwirkt. Ein solches Zwei-Ebenen-Modell überlagert den
1905 Dazu sind freilich, unabhängig vom Anliegen und der theoretischen Konzeption der vorliegenden Arbeit, offene Fragen in der Umsetzung des Volksgruppenrechts zu lösen, wie sie Vouk, Fünf Jahre 68 ff, Ende des Jahres 2016 in den Bereichen der Topographie und Amtssprache, der Musikschule und des Bildungswesens, der Volksgruppenförderungen oder der Partizipation skizziert.
334
Fazit und Ausblick: Pluralismustauglicher Minderheitenschutz
Schutz der Minderheit durch subjektive oder kollektive Rechte, die auf die Verwirklichung von Autonomie und Integration zielen, mit einer komplementären zweiten Ebene, die sich in Richtung Mehrheit öffnet und auf einem weiteren Schutzlevel die Sprache aus Gründen historischer Gewachsenheit und kultureller Vielfalt als objektives Schutzgut verankert (Abb 11).
Ebene 2
Ebene 1
Sprache (+Kultur)
Ethnie
Abb. 11: Zwei-Ebenen-Schutzmodell/Perspektive (= Abb. 9 in Teil 2.A.)
Die Komplementarität aus Minderheitenschutz (Ebene 1) und Sprachförderung (Ebene 2) erfüllt zwei Funktionen: Sie dient dem Schutz der Minderheit und ihrer Identität und zielt auf den Schutz der Sprache als kulturelles Erbe der Gesamtgesellschaft. Damit erfasst sie ethnische, wie auch kulturell-sprachliche Identifikationen und sichert die Funktionalität der Sprache sowohl für die „Minderheit“, als auch für die „Mehrheit“. Darüber hinaus leistet sie einen Beitrag zur Kohäsion der Gesamtgesellschaft, da, wie der thematische Kommentar des Beratenden Ausschusses (zur Überprüfung des Rahmenübereinkommens) zu den Sprachenrechten festhält, diese Sprachenrechte nur in Zusammenhang mit der Mehrheitsbevölkerung ausgeübt werden können und ein Klima der Toleranz voraussetzen, das durch Mehrsprachigkeit gefördert werden kann.1906 Das ergibt sich aus den Funktionen der Sprache selbst, die Teil 1 für die Mehrheiten- und Minderheitensituationen in Kärnten und Südtirol in ihrer Pluralität und ihrem Wandel über das letzte Jahrhundert hinweg zeigt. Der Schutz der Gruppe ist gegenüber dem Schutz der Sprache als zueinander in Beziehung stehend, aber nicht exklusiv, sondern integrativ zu verstehen, um dem Schutz der Gruppen und der Sprachen im Interesse der Gesamtgesellschaft zu dienen. In einem Modell aus Minderheiten- und Sprachschutz verwirklicht sich der 1906 AC, Thematic Commentary FCNM No 3 para 25 ff.
Fazit und Ausblick: Pluralismustauglicher Minderheitenschutz 335
„Mehrwert“ von Minderheiten. Es nutzt und sichert historisch gewachsene Formen der Multilingualität und ist mehrfach integrativ: Durch Schutz der Minderheit und Sprache entspricht es Identitätsvielfalt, institutionalisiert Zwischen- und Mehrfachidentitäten neben ethnischen Konzepten und dient den Interessen der „Minderheit“ und der „Mehrheit“. Es verbindet gegensätzliche politische, ideologische und konzeptionelle Ansätze der Volksgruppenorganisationen und empfiehlt ihre Kombination anstelle wechselseitiger Ausgrenzung. Die Kombination aus Minderheitenschutz und Förderung der Sprache entspricht nicht nur gesellschaftlichen Anforderungen, sie gründet auch auf rechtlichen Prämissen: In der Staatszielbestimmung in Art 8 (2) B-VG bekennt sich die Republik Österreich zu ihrer kulturellen Vielfalt, die in den Volksgruppen zum Ausdruck kommt und verpflichtet sich, Sprache, Kultur und Bestand der Volksgruppen zu achten, zu sichern und zu fördern. Darin ist eine Doppelfunktion zugrunde gelegt für den Schutz der Minderheiten und ihrer Sprachen. Art 8 (2) B-VG hat zwei Seiten. Sie finden sich auch in den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten und der Europäischen Charta zum Schutz der Regional- oder Minderheitensprachen. Aus ihrer Komplementarität und dem Zusammendenken ihrer Schutzgüter ergeben sich neue Einsichten in die Funktionen des geltenden Rechts und neue Interpretationsmodelle für vorhandene Zielsetzungen. Auf ihrer Grundlage lassen sich Defizite identifizieren und rechtspolitische Implikationen ableiten, wie die Arbeit an einzelnen Instrumenten des Minderheitenschutzes in Kärnten demonstriert. Die Analyse der Anwendungs- und Geltungsbereiche von Amtssprache, Topo graphie und Unterrichtssprache in Kärnten durch die Brille eines Modells aus Minderheitenschutz und Sprachförderung zeigt: Es gibt Elemente mit beiden Funktionen, die genutzt und erfüllt werden. Es gibt aber auch Elemente, die nur einseitig interpretiert und in ihrer Funktionalität zum Schutz von Minderheiten und Sprachen verkürzt werden. Wie ausgeführt, sind auf der ersten Ebene jene Rechte zu sehen, die direkt auf den Schutz der Minderheiten gerichtet sind: jedenfalls politische Rechte der Partizipation,1907 die voraussetzen, zu bestimmen, wer zur Geltendmachung legitimiert sein soll, und subjektive Rechte, die direkt als Begünstigung der Minderheitenangehörigen zu sehen sind. Dazu gehören zB die Rechte des Art 7 Z 2 StV Wien auf Unterricht der (oder in der) Muttersprache. Können Personen mit Zwischen- und Mehrfachidentitäten, Sprachinteressierte und andere Personen diese (in der Konzeption) „klassischen“ Volksgruppenrechte nutzen, handelt es sich um 1907 Zu Problemen der Partizipation und ihrer Umsetzung jüngst Bender-Säbelkampf, Demokratie ethnischer Minderheiten (2012).
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Fazit und Ausblick: Pluralismustauglicher Minderheitenschutz
doppelfunktionale Rechte auf Ebene 1 und 2. Zweisprachige topographische Aufschriften sind ebenfalls als mehrfachfunktionale Instrumente zu sehen. Sie sind als objektive Normen zum Schutz der Minderheit konzipiert, die in der mangelnden Geltendmachung über zB Verbandsklagerechte ein erhebliches Defizit auf Ebene 1 zeigen. Der Teufel steckt im Detail, weil die Funktionen häufig Beschränkungen unterliegen: Im Fall zweisprachiger Ortstafeln legen der VfGH und das Gesetz einen Anwendungsbereich fest, der sich aus Prozentsätzen nach slowenischer Umgangssprache ermittelt, eine Öffnung für Tafeln nach der StVO ist nicht vorgesehen, Toponomastik oder andere topographische Hinweise und Bezeichnungen sind gar nicht erfasst und Wegweiser weisen nur aus zweisprachigen Orten auch auf Slowenisch in zweisprachige Orte, nicht aber aus „deutschsprachigen“. Die Amtssprache ist in bestimmten Gemeinden für bestimmte Einwohner ausgeschlossen. Ermächtigungsnormen sind zwar vorgesehen, aber eben nur als Ermächtigungsnormen, obwohl die territoriale Einschränkung nicht der Lebenswirklichkeit vieler Volksgruppenangehörige entspricht. Im Fall der Unterrichtssprache ist diese – sowohl auf Ebene 1 als auch 2 – für alle und auch über das traditionelle Gebiet hinaus offen, umfasst aber nicht die vorgelagerten Kindergärten und nur beschränkt die nachfolgenden Bildungswege. Die Spannungsfelder des Unterrichts von Kindern mit und ohne originären Slowenischkenntnissen sind durch Didaktik oder Modelle zu lösen, die Ebene 2 in den Blick rücken und die Minderheitensprache in der Region zu einem verpflichtenden oder einem wählbaren Unterrichtsfach erheben, wie Konzepte im Zuge der jüngsten Diskussionen um eine Neuausrichtung des Volksgruppenrechts vorschlagen. Grundprobleme des aktuellen Systems bestehen insb in der Rückbindung an territoriale Anknüpfungspunkte, die ein Siedlungsgebiet voraussetzen, da Minderheitenangehörige zunehmend mobiler werden, aber auch in Begriffselementen, die nicht den Anforderungen einer pluralistischen Gesellschaft entsprechen – neben den weiterhin bestehenden fehlenden Möglichkeiten der Partizipation. Die Diskussionen um eine Weiterentwicklung des Volksgruppenrechts durch Abgehen von nationalistischen Kriterien verleiten zu einem naheliegenden Schluss: Zieht man vom Minderheitenschutz den Nationalismus ab, bleibt der Schutz der regionalen Vielfalt, kultureller Besonderheiten und regionaler Sprache. Dieser Schluss bedeutet, wie die Arbeit zeigt, aber gerade nicht, dass der Schutz der Minderheiten zu nivellieren, sondern durch eine zweite Ebene oder Perspektive komplementär zu ergänzen ist, die auf den Schutz sprachlich-kultureller Vielfalt zielt. Aus funktionaler Perspektive sind durchaus Elemente mit doppelfunktionalen Anknüpfungspunkten zu erkennen. Um sie zu nutzen, sind eine Reihe weiterer Maßnahmen notwendig. Viele Beispiele liefern aktuelle Expertenvorschläge für die Öffnung „klassischer“
Fazit und Ausblick: Pluralismustauglicher Minderheitenschutz 337
Minderheitenrechte: zB durch gezielte Regionalförderung, die Zweisprachigkeit betont, Presseförderung, die nicht nur Minderheitenmedien, sondern allen Medien zugutekommt, die zweisprachig berichten, Ausbau eines Bildungskonzeptes, das die Volksgruppensprachen im Regelunterricht stärker verankert und die Kultur und Geschichte der Minderheiten berücksichtigt, eine Schaffung von Fördertatbeständen für zweisprachige Kindergärten (die § 8 (3) VoGrG-Entwurf 2012 vorsieht) und Einrichtungen, die der Sicherung der Sprache und Kultur dienen (wie § 9 (2) VoGrG-Entwurf 2012 anstelle des besonderen Volkstums vorsieht). Solche Maßnahmen kommen nicht nur den Minderheiten zugute. Sie öffnen sich dem Schutz der Sprache und erfüllen komplementäre Funktionen. Zu stützen sind solche Instrumente auf Art 8 (2) B-VG, der sich zu den „autochthonen Volksgruppen“ bekennt und expressis verbis verpflichtet, „ihre Sprache (…) zu achten, zu sichern und zu fördern“. Seine Grenzen findet ein pluralismustaugliches System an Konzepten, die auf territoriale Verhältnisse abstellen, die der Lebenswirklichkeit der Volksgruppen und ihrer Angehörigen nicht mehr entsprechen und den Mehrwert der Sprachen begrenzen, aber auch dort, wo die politische Diskussion, die hinter den Normen steckt, nicht auf den Schutz und den Ausdruck – auch der eigenen – Vielfalt abstellt, sondern in der Diskussion um ein Mehr oder Weniger an klassischen Minderheitenrechten verfangen bleibt. Zusätzliche Herausforderungen birgt die Dichotomie neuer und alter Minderheiten. Sie sollte nicht zu einem Abgehen von zT notwendigen Formen der Rechtsdurchsetzung (zB Verbandsklagerechten) führen. Stattdessen bedingt sie ein Nebeneinander von Minderheitenschutz im engeren Sinne und allgemeiner Förderung von Sprachen, um pluralistischen Konzeptionen gerecht zu werden, die nicht nur individualistische, sondern gruppenbezogene Identitäten umfassen. Aus Kärnten und Südtirol lässt sich hierfür vieles lernen und es bleibt zu wünschen, dass sich daraus Perspektiven eines Volksgruppenrechts ergeben, die sich nicht in einem Entweder-Oder erschöpfen, sondern ein Sowohl-alsAuch verwirklichen.
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 1
KORRUPTION UND KONTROLLE. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER.
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UNBEHAGEN IM PARTEIENSTAAT. JUGEND UND POLITIK IN
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LANDESVERFASSUNGSREFORM. HG. VON REINHARD RACK. 1982. 255 S. BR. ISBN 978-3-205-08459-4 (VERGRIFFEN)
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NATION ÖSTERREICH. KULTURELLES BEWUSSTSEIN UND GESELLSCHAFTLICH-POLITISCHE PROZESSE. VON ERNST BRUCKMÜLLER. 2. ERWEITERTE AUFLAGE 1996. 472 S. ZAHLR. GRAF. BR. ISBN 978-3-205-98000-1
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KRISE DES FORTSCHRITTS. HG. VON GRETE KLINGENSTEIN. 1984. 172 S. BR. ISBN 978-3-205-08461-2 (VERGRIFFEN)
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PARTEIENGESELLSCHAFT IM UMBRUCH. PARTIZIPATIONSPROBLEME VON GROSSPARTEIEN. VON ANTON KOFLER. 1985. 132 S. 58 TAB. BR.
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GRUNDRECHTSREFORM. HG. VON REINHARD RACK. 1985. 302 S. BR.
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AUFGABENPLANUNG. ANSÄTZE FÜR RATIONALE VERWALTUNGSREFORM. VON HELMUT SCHATTOVITS. 1988. 220 S. BR.
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DEMOKRATIERITUALE. ZUR POLITISCHEN KULTUR DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT. HG. VON FRITZ PLASSER, PETER A. ULRAM UND MANFRIED WELAN. 1985. 291 S. 91 TAB. BR. ISBN 978-3-205-08467-9
10 POLITIK IN ÖSTERREICH. DIE ZWEITE REPUBLIK: BESTAND UND WANDEL. HG. VON WOLFGANG MANTL. 1992. XV, 1084 S. GB.
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11 FLEXIBLE ARBEITSZEITEN. EINE FIXE IDEE. VON RUDOLF BRETSCHNEIDER, RUPERT DOLLINGER, JOACHIM LAMEL UND PETER A. ULRAM. 1985. 133 S. 33 TAB. BR. ISBN 978-3-205-08469-1 (VERGRIFFEN) 12 VERFASSUNGSPOLITIK. DOKUMENTATION STEIERMARK. VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL, DIETMAR PAUGER UND REINHARD RACK. 1985. 294 S. BR. ISBN 978-3-205-08465-9 (VERGRIFFEN)
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 13 KRISEN. EINE SOZIOLOGISCHE UNTERSUCHUNG. VON MANFRED PRISCHING. 1986. 730 S. ZAHLR. TAB. UND GRAF. BR.
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14 SCHWEIZ – ÖSTERREICH. ÄHNLICHKEITEN UND KONTRASTE. HG. VON FRIEDRICH KOJA UND GERALD STOURZH. 1986. 279 S. BR.
ISBN 978-3-205-08902-2 (VERGRIFFEN)
15 WAS DIE KANZLER SAGTEN. REGIERUNGSERKLÄRUNGEN DER ZWEITEN REPUBLIK 1945–1987. VON MAXIMILIAN GOTTSCHLICH, OSWALD PANAGL UND MANFRIED WELAN. 1989. VI, 325 S. BR. ISBN 978-3-205-08900-6 (VERGRIFFEN) 16 TECHNIKSKEPSIS UND NEUE PARTEIEN. POLITISCHE FOLGEN EINES „ALTERNATIVEN“ TECHNIKBILDES IN ÖSTERREICH. VON ERICH REITER. 1987. 167 S. BR. ISBN 978-3-205-08904-9 (VERGRIFFEN) 17 DEMOKRATIE UND WIRTSCHAFT. HG. VON JOSEPH MARKO UND ARMIN STOLZ. 1987. 367 S. BR. ISBN 978-3-205-08905-7 (VERGRIFFEN) 18 SOCIETY, POLITICS AND CONSTITUTIONS. WESTERN AND EAST EUROPEAN VIEWS. VON ANTAL ADAM UND HANS G. HEINRICH. 1987. 212 S. BR. ISBN 978-3-205-08907-3 (VERGRIFFEN) 19 USA: VERFASSUNG UND POLITIK. VON FRANCIS H. HELLER. 1987. 120 S. BR. ISBN 978-3-205-08906-5 (VERGRIFFEN) 20 UMWELTSCHUTZRECHT. VON BERNHARD RASCHAUER. 2. AUFL. 1988. 304 S. BR. ISBN 978-3-205-05143-2 (VERGRIFFEN) 21 VERFALL UND FORTSCHRITT IM DENKEN DER FRÜHEN RÖMISCHEN KAISERZEIT. STUDIEN ZUM ZEITGEFÜHL UND GESCHICHTSBEWUSSTSEIN DES JAHRHUNDERTS NACH AUGUSTUS. VON KARL DIETRICH BRACHER. 1987. 348 S. BR. ISBN 978-3-205-08909-2 (VERGRIFFEN) 22 DAS ÖSTERREICHISCHE PARTEIENSYSTEM. HG. VON ANTON PELINKA UND FRITZ PLASSER. 1988. 800 S. BR. ISBN 978-3-205-08910-0 (VERGRIFFEN) 23 PARTEIEN UNTER STRESS. ZUR DYNAMIK DER PARTEIENSYSTEME IN ÖSTERREICH, DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND DEN VEREINIGTEN STAATEN. VON FRITZ PLASSER. 1987. 344 S. BR. ISBN 978-3-205-08911-1 (VERGRIFFEN)
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 24 IDEOLOGIE UND AUFKLÄRUNG. WELTANSCHAUUNGSTHEORIE UND POLITIK. VON KURT SALAMUN. 1988. 142 S. BR. ISBN 978-3-205-05126-2 (VERGRIFFEN) 25 DIE NEUE ARCHITEKTUR EUROPAS. REFLEXIONEN IN EINER B EDROHTEN WELT. HG. VON WOLFGANG MANTL. 1991. 332 S. GB. ISBN 978-3-205-05412-2 26 DIE GROSSE KRISE IN EINEM KLEINEN LAND. ÖSTERREICHISCHE FINANZ- UND WIRTSCHAFTSPOLITIK 1929–1938. VON DIETER STIEFEL. 1989. X, 428 S. BR. ISBN 978-3-205-05132-7 (VERGRIFFEN) 27 DAS RECHT DER MASSENMEDIEN. EIN LEHR- UND HANDBUCH FÜR STUDIUM UND PRAXIS. VON WALTER BERKA. 1989. II, 356 S. BR.
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28 STAAT UND WIRTSCHAFT. AM BEISPIEL DER ÖSTERREICHISCHEN FORSTGESETZGEBUNG VON 1950–1987. VON WERNER PLESCHBERGER. 1989. 579 S. BR. ISBN 978-3-205-05204-8 (VERGRIFFEN) 29 WEGE ZUR GRUNDRECHTSDEMOKRATIE. STUDIEN ZUR BEGRIFFS- UND INSTITUTIONENGESCHICHTE DES LIBERALEN VERFASSUNGSSTAATES. VON GERALD STOURZH. 1989. XXII, 427 S. BR. ISBN 978-3-205-05218-0 (VERGRIFFEN) 30 GEIST UND WISSENSCHAFT IM POLITISCHEN AUFBRUCH MITTELEUROPAS. BEITRÄGE ZUM ÖSTERREICHISCHEN WISSENSCHAFTSTAG 1990. HG. VON MEINRAD PETERLIK UND WERNER WALDHÄUSL. 1991. 268 S. BR. ISBN 978-3-205-05464-1 31 FINANZKRAFT UND FINANZBEDARF IM ÖSTERREICHISCHEN FINANZAUSGLEICH. HG. VON CHRISTIAN SMEKAL UND ENGELBERT THEURL. 1990. 307 S. BR. ISBN 978-3-205-05237-1 (VERGRIFFEN) 32 REGIONALE UNGLEICHHEIT. VON MICHAEL STEINER. 1990. 258 S. BR. ISBN 978-3-205-05281-4 33 BÜROKRATISCHE ANARCHIE. DER NIEDERGANG DES POLNISCHEN „REALSOZIALISMUS“. VON AUGUST PRADETTO. 1992. 156 S. BR.
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 34 VOR DER WENDE. POLITISCHES SYSTEM, GESELLSCHAFT UND POLITISCHE REFORMEN IM UNGARN DER ACHTZIGER JAHRE.
HG. VON SÁNDOR KURTÁN. AUS DEM UNGAR. VON ALEXANDER KLEMM. 1993. 272 S. BR. ISBN 978-3-205-05381-1 (VERGRIFFEN)
35 HEGEMONIE UND EROSION. POLITISCHE KULTUR UND POLITISCHER WANDEL IN ÖSTERREICH. VON PETER A. ULRAM. 1990. 366 S. BR.
ISBN 978-3-205-05346-X (VERGRIFFEN)
36 GEHORSAME REBELLEN. BÜROKRATIE UND BEAMTE IN ÖSTERREICH 1780–1848. VON WALTRAUD HEINDL. 1991. 388 S. 12 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-205-05370-5 (VERGRIFFEN) 37 KULTUR UND POLITIK – POLITIK UND KUNST. VON MANFRED WAGNER. 1991. 367 S. BR. ISBN 978-3-205-05396-5 38 REVOLUTION UND VÖLKERRECHT. VÖLKERRECHTSDOGMATISCHE GRUNDLEGUNG DER VORAUSSETZUNGEN UND DES INHALTS EINES WAHLRECHTS IN BEZUG AUF VORREVOLUTIONÄRE VÖLKERRECHTLICHE RECHTE UND PFLICHTEN. VON MICHAEL GEISTLINGER. 1991. 554 S. BR. ISBN 978-3-205-05414-6 (VERGRIFFEN) 39 SLOWENIEN – KROATIEN – SERBIEN. DIE NEUEN VERFASSUNGEN. HG. VON JOSEPH MARKO UND TOMISLAV BORIC. 1994. 467 S. BR.
ISBN 978-3-205-98283-5 (VERGRIFFEN)
40 DER BUNDESPRÄSIDENT. KEIN KAISER IN DER REPUBLIK. VON MANFRIED WELAN. 1992. 119 S. BR. ISBN 978-3-205-05529-7 41 WEGE ZUR BESSEREN FINANZKONTROLLE. VON HERBERT KRAUS UND WALTER SCHWAB. 1992. 167 S. BR. ISBN 978-3-205-05530-6 42 BRUCHLINIE EISERNER VORHANG. REGIONALENTWICKLUNG IM ÖSTERREICHISCH-UNGARISCHEN GRENZRAUM. VON MARTIN SEGER UND PAL BELUSZKY. 1993. XII, 304 S. ZAHLR. S/W- UND FARB. ABB. GB. ISBN 978-3-205-98048-3 (VERGRIFFEN) 43 REGIERUNGSDIKTATUR ODER STÄNDEPARLAMENT? GESETZGEBUNG IM AUTORITÄREN ÖSTERREICH. VON HELMUT WOHNOUT. 1993. 473 S. BR. ISBN 978-3-205-05547-1
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 44 DIE ÖSTERREICHISCHE HANDELSPOLITIK DER NACHKRIEGSZEIT 1918 BIS 1923. DIE HANDELSVERTRAGSBEZIEHUNGEN ZU DEN NACHFOLGESTAATEN. VON JÜRGEN NAUTZ. 1994. 601 S. BR.
ISBN 978-3-205-98118-3 (VERGRIFFEN)
45 REGIMEWECHSEL. DEMOKRATISIERUNG UND POLITISCHE KULTUR IN OST-MITTELEUROPA. HG. VON PETER GERLICH, FRITZ PLASSER UND PETER A. ULRAM. 1992. 483 S. ZAHLR. TAB. UND GRAFIKEN. BR. ISBN 978-3-205-98014-8 (VERGRIFFEN) 46 DIE WIENER JAHRHUNDERTWENDE. EINFLÜSSE, UMWELT, WIRKUNGEN. HG. VON JÜRGEN NAUTZ UND RICHARD VAHRENKAMP. 2. AUFL. 1996. 968 S. ZAHLR. S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-205-98536-5 47 AUSWEG EG? INNENPOLITISCHE MOTIVE EINER AUSSENPOLITISCHEN UMORIENTIERUNG. VON ANTON PELINKA, CHRISTIAN SCHALLER UND PAUL LUIF. 1994. 309 S. BR. ISBN 978-3-205-98051-3 48 DIE KLEINE KOALITION IN ÖSTERREICH: SPÖ – FPÖ (1983–1986). VON ANTON PELINKA. 1993. 129 S. BR. ISBN 978-3-205-98052-2 (VERGRIFFEN) 49 MANAGEMENT VERNETZTER UMWELTFORSCHUNG. WISSENSCHAFTSPOLITISCHES LEHRSTÜCK WALDSTERBEN. VON MAX KROTT. 1994. 325 S. BR. ISBN 978-3-205-98129-9 (VERGRIFFEN) 50 POLITIKANALYSEN. REFLEXIONEN IN DER AUFKLÄRUNGSWELT. VON WOLFGANG MANTL. 2007. XII, 345 S. BR. ISBN 978-3-205-98459-7 51 AUTONOMIE UND INTEGRATION. RECHTSINSTITUTE DES NATIONA - LI TÄTENRECHTS IM FUNKTIONALEN VERGLEICH. VON JOSEPH MARKO. 1995. 632 S. BR. ISBN 978-3-205-98274-6 52 GRUNDZÜGE FREMDER PRIVATRECHTSSYSTEME. EIN STUDIENBUCH. VON WILLIBALD POSCH. 1995. XXVIII, 205 S. BR. ISBN 978-3-205-98387-3 53 IDENTITÄT UND NACHBARSCHAFT. DIE VIELFALT DER ALPEN-ADRIALÄNDER. HG. VON MANFRED PRISCHING. 1994. 424 S. BR.
ISBN 978-3-205-98307-1
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 54 PARLAMENTARISCHE KONTROLLE. DAS INTERPELLATIONS-, RESOLUTIONS- UND UNTER SUCHUNGSRECHT. EINE RECHTSDOGMATISCHE DARSTELLUNG MIT HISTORISCHEM ABRISS UND EM P IRISCHER ANALYSE. VON ANDREAS NÖDL. 1995. 198 S. BR. ISBN 978-3-205-98161-9 (VERGRIFFEN) 55 ALFRED MISSONG. CHRISTENTUM UND POLITIK IN ÖSTERREICH. AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN 1924–1950. HG. VON ALFRED MISSONG JR. IN VERBINDUNG MIT CORNELIA HOFFMANN UND GERALD STOURZH. 2006. 476 S. GB. ISBN 978-3-205-77385-6 56 STAAT UND GESUNDHEITSWESEN. ANALYSEN HISTORISCHER FALLBEISPIELE AUS DER SICHT DER NEUEN INSTITUTIONELLEN ÖKONOMIK. VON ENGELBERT THEURL. 1996. 302 S. BR. ISBN 978-3-205-98461-0 57 ELITEN IN ÖSTERREICH. 1848–1970. VON GERNOT STIMMER. 1997. 2 BDE., 1151 S. 38 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-205-98587-7 58 FRANKREICH – ÖSTERREICH. WECHSELSEITIGE WAHRNEHMUNG UND WECHSELSEITIGER EINFLUSS SEIT 1918. HG. VON FRIEDRICH KOJA UND OTTO PFERSMANN. 1994. 307 S. 19 S/W-ABB. BR.
ISBN 978-3-205-98295-1
59 FAHNENWÖRTER DER POLITIK. KONTINUITÄTEN UND BRÜCHE. HG. VON OSWALD PANAGL. 1998. 351 S. BR. MIT SU.
ISBN 978-3-205-98867-0
60 AVANTGARDE DES WIDERSTANDS. MODELLFÄLLE MILITÄRISCHER AUFLEHNUNG IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT. VON RICHARD G. PLASCHKA. 1999. 2 BDE. IM SCHUBER. 1077 S. 32 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-205-98390-3 61 BERNARD BOLZANO UND DIE POLITIK. STAAT, NATION UND RELIGION ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIE PHILOSOPHIE IM KONTEXT VON SPÄTAUFKLÄRUNG, FRÜHNATIONALISMUS UND RESTAURATION. HG. VON HELMUT RUMPLER. 2000. 423 S. BR. ISBN 978-3-205-99327-8 62 UM EINHEIT UND FREIHEIT. STAATSVERTRAG, NEUTRALITÄT UND DAS ENDE DER OST-WEST-BESETZUNG ÖSTERREICHS 1945–1955. VON GERALD STOURZH. 5. DURCHGESEHENE AUFL. 2005. 848 S. 19 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-205-77333-7
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 63 ÖSTERREICH UNTER ALLIIERTER BESATZUNG 1945–1955. HG. VON ALFRED ABLEI TINGER, SIEGFRIED BEER UND EDUARD G. STAUDINGER. 1998. 600 S. BR. ISBN 978-3-205-98588-4 64 EVALUATION IM ÖFFENTLICHEN SEKTOR. VON EVERT VEDUNG. 1999. XVIII, 274 S. 47 GRAFIKEN U. TAB. BR. ISBN 978-3-205-98448-1 65 LIBERALISMUS. INTERPRETATIONEN UND PERSPEKTIVEN. HG. VON EMIL BRIX UND WOLFGANG MANTL. 1996. 320 S. GB. ISBN 978-3-205-98447-4 (VERGRIFFEN) 66 HERBERT STOURZH – GEGEN DEN STROM. AUSGWÄHLTE SCHRIFTEN GEGEN RASSISMUS, FASCHISMUS UND NATIONALSOZIALISMUS 1924–1938. HG. VON GERALD STOURZH. 2008. 186 S. BR. ISBN 978-3-205-77875-2 67 DIE UNIVERSITÄT ALS ORGANISATION. DIE KUNST, EXPERTEN ZU MANAGEN. VON ADA PELLERT. 1999. 346 S. 5 S/W-ABB. BR.
ISBN 978-3-205-99080-2 (VERGRIFFEN)
68 GEMEINDEN IN ÖSTERREICH IM SPANNUNGSFELD VON STAATLICHEM SYSTEM UND LOKALER LEBENSWELT. VON DORIS WASTL-WALTER. 2000. 248 S. 18 GRAFIKEN, 17 KT. 71 TAB. 1 FALTKT. BR.
ISBN 978-3-205-99212-7
69 NOCH EINMAL DICHTUNG UND POLITIK. VOM TEXT ZUM POLITISCHSOZIALEN KONTEXT, UND ZURÜCK. HG. VON OSWALD PANAGL UND WALTER WEISS. 2000. 462 S. BR. ISBN 978-3-205-99289-9 70 POLITIK, STAAT UND RECHT IM ZEITENBRUCH. SYMPOSION AUS ANLASS DES 60. GEBURTSTAGS VON WOLFGANG MANTL. HG. VON JOSEPH MARKO UND KLAUS POIER. 2001. 188 S. 3 S/W-ABB. GB.
ISBN 978-3-205-99259-2
71 QUALITÄTSSICHERUNG UND RECHENSCHAFTSLEGUNG AN UNIVERSITÄTEN. E VALUIERUNG UNIVERSITÄRER LEISTUNGEN AUS RECHTS- UND SOZIALWISSENSCHAFTLICHER SICHT. VON EVA PATRICIA STIFTER. 2002. 410 S. BR. ISBN 978-3-205-99317-9 72 KULTURGESCHICHTE DES HEILIGEN RÖMISCHEN REICHES 1648 BIS 1806. VERFASSUNG, RELIGION UND KULTUR. VON P ETER CLAUS HARTMANN. 2001. 510 S. ZAHLR. S/W- UND FARB. ABB. GB. ISBN 978-3-205-99308-7
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 73 MINDERHEITENFREUNDLICHES MEHRHEITSWAHLRECHT. RECHTS- UND POLITIKWISSENSCHAFTLICHE ÜBERLEGUNGEN ZU FRAGEN DES WAHLRECHTS UND DER WAHLSYSTEMATIK. VON KLAUS POIER. 2001. 379 S. 18 TAB. 8 GRAFIKEN. BR. ISBN 978-3-205-99338-4 75 GIGATRENDS. ERKUNDUNGEN DER ZUKUNFT UNSERER LEBENSWELT. HG. VON FRANZ KREUZER, WOLFGANG MANTL UND MARIA SCHAUMAYER. 2003. XII, 339 S. 13 S/W-ABB. UND 2 TAB. GB. ISBN 978-3-205-98962-2 76 AUTONOMIE IM BILDUNGSWESEN. ZUR TOPOGRAPHIE EINES BILDUNGSPOLITISCHEN SCHLÜSSELBEGRIFFS. VON WALTER BERKA. 2002. 213 S. TAB. UND GRAFIKEN. BR. ISBN 978-3-205-99309-4 77 HOCHSCHULZUGANG IN EUROPA. EIN LÄNDERVERGLEICH ZWISCHEN ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, ENGLAND UND DER SCHWEIZ. VON ELISABETH HÖDL. 2002. 227 S. 5 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-205-99421-3 (VERGRIFFEN) 78 FORSCHUNG UND LEHRE. DIE IDEE DER UNIVERSITÄT BEI HUMBOLDT, JASPERS, SCHELSKY UND MITTELSTRASS. VON HEDWIG KOPETZ. 2002. 137 S. 4 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-205-99422-0 (VERGRIFFEN) 79 EUROPÄISCHE KULTURGESCHICHTE: GELEBT, GEDACHT, VERMITTELT. VON MANFRED WAGNER. 2009. 922 S. GB. ISBN 978-3-205-77754-0 80 KULTUR DER DEMOKRATIE. FESTSCHRIFT FÜR MANFRIED WELAN ZUM 65. GEBURTSTAG. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER, WOLFGANG MANTL, ALFRED J. NOLL UND WERNER PLESCHBERGER. 2002. XV, 385 S. ZAHLR. TAB. UND 1 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-205-77005-3 81 OKKUPATION UND REVOLUTION IN SLOWENIEN (1941–1946). EINE VÖLKERRECHT L I C HE UNTERSUCHUNG. VON DIETER BLUMENWITZ. 2005. 162 S. BR. ISBN 978-3-205-77250-7 82 DER KONVENT ZUR ZUKUNFT DER EUROPÄISCHEN UNION. HG. VON WOLFGANG MANTL, SONJA PUNTSCHER RIEKMANN UND MICHAEL SCHWEITZER. 2005. 185 S. BR. ISBN 978-3-205-77127-2
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 83 ART GOES LAW. DIALOGE ZUM WECHSELSPIEL ZWISCHEN KUNST UND RECHT. HG. VON DIETMAR PAUGER. 2005. 269 S. 9 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-205-77128-9 84 DIREKTE DEMOKRATIE UND PARLAMENTARISMUS. WIE KOMMEN WIR ZU DEN BESTEN ENTSCHEIDUNGEN? HG. VON THEO ÖHLINGER UND KLAUS POIER. 2015. 407 S. BR. ISBN 978-3-205-79665-7 85 HOCHSCHULRECHT – HOCHSCHULMANAGEMENT – HOCHSCHULPOLITIK. SYMPOSION AUS ANLASS DES 60. GEBURTSTAGES VON CHRISTIAN BRÜNNER. HG. VON GERHARD SCHNEDL UND SILVIA ULRICH. 2003. 258 S. 7 GRAFIKEN. UND 5 TAB. GB. ISBN 978-3-205-99468-8 86 DAS ZERRISSENE VOLK. SLOWENIEN 1941–1946. OKKUPATION, KOLLA BORATION, BÜRGERKRIEG, REVOLUTION. VON TAMARA GRIESSER-PEČAR. 2003. IX, 583 S. GB. ISBN 978-3-205-77062-6 (VERGRIFFEN) 87 ZUR QUALITÄT DER BRITISCHEN UND ÖSTERREICHISCHEN DEMOKRATIE. EMPIRISCHE BEFUNDE UND ANREGUNGEN FÜR DEMOKRATIEREFORM. VON E. ROBERT A. BECK UND C HRISTIAN SCHALLER. 2003. XXII, 620 S. ZAHLR. TAB. BR. ISBN 978-3-205-77071-8 88 DIE ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. AUFGABEN, RECHTS S TELLUNG, ORGANISATION. VON HEDWIG KOPETZ. 2006. XX, 457 S. 7 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-205-77534-8 89 RAUMFAHRT UND RECHT. FASZINATION WELTRAUM. REGELN ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER, ALEXANDER SOUCEK UND EDITH WALTER. 2007. 200 S. 66. FARB. ABB. BR. ISBN 978-3-205-77627-7
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 90 SOZIOKULTURELLER WANDEL IM VERFASSUNGSSTAAT. PHÄNOMENE POLITISCHER TRANSFORMATION. FESTSCHRIFT FÜR WOLFGANG MANTL ZUM 65. GEBURTSTAG. HG. VON HEDWIG KOPETZ, JOSEPH MARKO UND KLAUS POIER. 2004. 2 BDE. IM SCHUBER. 1700 S. ZAHLR. TAB., GRAF. UND ABB. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-77211-8 91 NATIONALES WELTRAUMRECHT. NATIONAL SPACE LAW. DEVELOPMENT IN EUROPE – CHALLENGES FOR SMALL COUNTRIES. HG. VON CHRISTIAN BRÜNNER UND EDITH WALTER. 2008. 232 S. ZAHLR. ABB. BR. ISBN 978-3-205-77760-1 93 KARL LUEGER (1844–1910). CHRISTLICHSOZIALE POLITIK ALS BERUF. EINE BIOGRAPHIE. VON JOHN W. BOYER. AUS DEM ENGLISCHEN ÜBERSETZT VON OTMAR BINDER. 2009. 595 S. 19 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-205-78366-4 94 DER ÖSTERREICHISCHE MENSCH. KULTURGESCHICHTE DER EIGENART ÖSTERREICHS. VON WILLIAM M. JOHNSTON. BEARBEITET VON JOSEF SCHIFFER. 2009. 394 S. GB. ISBN 978-3-205-78298-8 (VERGRIFFEN) 95 FUNKTIONEN DES RECHTS IN DER PLURALISTISCHEN WISSENSGESELLSCHAFT. FESTSCHRIFT FÜR CHRISTIAN BRÜNNER ZUM 65. GEBURTSTAG. HG. VON SILVIA ULRICH, GERHARD SCHNEDL UND RENATE PIRSTNER-EBNER. 2007. XXIV, 696 S. GB. ISBN 978-3-205-77513-3 97 DEMOKRATIE IM UMBRUCH. PERSPEKTIVEN EINER WAHLRECHTSREFORM. HG. VON KLAUS POIER. 2009. 329 S. MIT ZAHLREICHEN TAB. BR. ISBN 978-3-205-78434-0
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 98 DIE FREIHEIT DER POLITISCHEN MEINUNGSÄUSSERUNG. IHRE ENTWICKLUNG IM ÖSTERREICHISCHEN UND BRITISCHEN VERFASSUNGSRECHT UND IHRE STAATSPHILOSOPHISCHEN WURZELN. VON STEPHAN G. HINGHOFER-SZALKAY. 2011. 308 S. 2 TAB. UND 3 GRAFIKEN. BR. ISBN 978-3-205-78622-1 99 DER UMFANG DER ÖSTERREICHISCHEN GESCHICHTE. AUSGEWÄHLTE STUDIEN 1990–2010. VON GERALD STOURZH. 2011. 334 S. BR.
ISBN 978-3-205-78633-7
101 SKURRILE BEGEGNUNGEN. MOSAIKE ZUR ÖSTERREICHISCHEN GEISTESGESCHICHTE. MIT EINEM VORWORT VON WILLIAM M. JOHNSTON. VON NORBERT LESER. 2011. 254 S. 2 S/W-ABB. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-78658-0 102 SOFT LAW IN OUTER SPACE. THE FUNCTION OF NON-BINDING NORMS IN INTERNATIONAL SPACE LAW. HG. VON IRMGARD MARBOE. 2012. 407 S. FRANZ. BR. ISBN 978-3-205-78797-6 103 EUROPASPRACHEN. HG. VON PETER CICHON UND MICHAEL MITTERAUER. 2011. 166 S. BR. MIT SU. ISBN 978-3-205-78608-5 104 BILDUNG, WISSENSCHAFT, POLITIK. INSTRUMENTE ZUR GESTALTUNG DER GESELLSCHAFT. CHRISTIAN BRÜNNER ZUM 72. GEBURTSTAG. HG. VON WERNER HAUSER UND ANDREAS THOMASSER. 2014. 1042 S. ZAHLR. S/W- UND FARB. ABB. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-78944-4 105 LEBENSZEUGNISSE ÖSTERREICHISCHER VIZEKANZLER IM SOZIOPOLITISCHEN KONTEXT. HG. VON WOLFGANG MANTL. 2016. CA. 504 S. CA. 16 S/W-ABB. ISBN 978-3-205-77759-5 106 ÖSTERREICH AUF DEM WEG ZUR DEMOKRATIE? AUFMERKSAME
BEOBACHTUNGEN AUS EINEM HALBEN JAHRHUNDERT. VON MANFRIED WELAN. 2012. 358 S. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-78853-9
107 JOSEPHINISCHE MANDARINE. BÜROKRATIE UND BEAMTE IN ÖSTERREICH. BAND 2: 1848–1914. VON WALTRAUD HEINDL. 2013. 332 S. 11 S/W- UND 1 FARB. ABB. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-78853-9
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STUDIEN ZU POLITIK UND VERWALTUNG HG. VON ERNST BRUCKMÜLLER, KLAUS POIER, GERHARD SCHNEDL, EVA SCHULEV-STEINDL 108 HEIMATRECHT UND STAATSBÜRGERSCHAFT ÖSTERREICHISCHER JUDEN. VOM ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS BIS IN DIE GEGENWART. VON HANNELORE BURGER. 2014. 274 S. 22 S/W-ABB. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-79495-0 109 TRANSPARENZ UND KOMMUNIKATION DER EUROPÄISCHEN UNION IM LICHTE DES ART. 15 AEUV. VON JOSEF MANTL. 2016. 248 S. BR. ISBN 978-3-205-79608-4 110 ZUR KULTURGESCHICHTE ÖSTERREICHS UND UNGARNS 1890–1938. AUF DER SUCHE NACH VERBORGENEN GEMEINSAMKEITEN. VON WILLIAM M. JOHNSTON. 2015. 328 S. GB. MIT SU. ISBN 978-3-205-79541-4 111 DAS RECHT AUF SAUBERE LUFT. BÜRGER UND BÜRGERINNEN ZWISCHEN POLITIK UND GERICHTEN. HG. VON EVA SCHULEV-STEINDL, GERHARD SCHNEDL UND MARLIES MEYER. 2016. 192 S. BR. ISBN 978-3-205-20278-3 112 KLIMASCHUTZRECHT ZWISCHEN WUNSCH UND WIRKLICHKEIT. HG. VON GOTTFRIED KIRCHENGAST, EVA SCHULEV-STEINDL UND GERARD SCHNEDL. 2017. CA. 232 S. CA. 8 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-205-20520-3 113 MINDERHEITENSCHUTZ UND SPRACHFÖRDERUNG. PLURALISMUSTAUGLICHER MINDERHEITENSCHUTZ AM BEISPIEL DES ZWEISPRACHIGEN KÄRNTEN UND DREISPRACHIGEN SÜDTIROL. PERSPEKTIVEN DES ÖSTERREICHISCHEN VOLKSGRUPPENRECHTS. VON JÜRGEN PIRKER. 2017. 382 S. BR. ISBN 978-3-205-20508-1 114 PRIVATE IM UMWELTRECHT. VON KERSTIN GOTTHARD. 2017. CA. 240 S. BR. ISBN 978-3-205-20522-7
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