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German Pages 204 [205] Year 2004
Minderheitenschutz und Demokratie
Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht Herausgeber im Auftrag der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn: Dieter Blumenwitz, Georg Brunner t , Karl Doehring, Gilbert H. Gornig, Eckart Klein, Hans v. Mangoldt, Boris Meissner t , Dietrich Murswiek, Dietrich Rauschning
Band 20
Minderheitenschutz und Demokratie Herausgegeben von
Dieter Blumenwitz Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek
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Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Die Bände 1-19 der „Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht" erschienen im Verlag Wissenschaft und Politik, Köln
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1434-8705 ISBN 3-428-11572-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort „Minderheitenschutz und Demokratie" war der Titel der 20. Fachtagung der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, die vom 6. bis 8. März 2002 in Königswinter stattfand. Mit dieser Tagung hat die Studiengruppe ihre jetzt über ein Jahrzehnt andauernden Bemühungen um die Stärkung und Weiterentwicklung des Minderheitenschutzrechts fortgesetzt. Der vorliegende Band, der die auf dieser Tagung gehaltenen Vorträge wiedergibt, ist der elfte Band in Folge, der in dieser Schriftenreihe zum Thema Minderheitenschutz erscheint. Auch außerhalb der vorliegenden Schriftenreihe wurden im Rahmen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht eine Vielzahl von Arbeiten zum Thema Minderheitenschutz veröffentlicht, beispielsweise das von Georg Brunner herausgegebene fünfbändige Werk „Der Minderheitenschutz im östlichen Europa. Dokumentation und Analyse". Die meisten der bisher erschienenen Bände sind konkreten rechtlichen und praktischen Problemen der Minderheiten und des Minderheitenschutzrechts in den ost-, mittel- und südosteuropäischen Staaten gewidmet, freilich immer wieder auch untermauert durch Beiträge zu den theoretischen Grundlagen. Im vorliegenden Band steht ein theoretisches Grundsatzproblem des Schutzes von Volksgruppen und ethnischen Minderheiten im Vordergrund - das Verhältnis des Minderheitenschutzes zum Demokratieprinzip. Während der individuelle Minderheitenschutz heute weltweit weitgehend auf Zustimmung stößt, wird der kollektive Minderheitenschutz von vielen Staaten, auch in der westlichen Welt abgelehnt. Individueller Minderheitenschutz ist im wesentlichen Schutz vor Diskriminierung aus ethnischen Gründen, aus Gründen von Herkunft, Abstammung oder Religion. Das paßt ohne weiteres in das Konzept der individuellen Menschenrechte. Dieser individuelle Minderheitenschutz reicht aber nicht aus, um ethnische Minderheiten, die in ihrer angestammten Heimat unter der Herrschaft eines ethnisch differenten Mehrheitsvolkes leben, in ihrer Existenz, in der Bewahrung ihrer kulturellen Besonderheiten und ihrer spezifischen Lebensformen zu schützen; dies gilt besonders für die Erhaltung der eigenen Sprache. Insoweit sind kollektive Rechte - Gruppenrechte - notwendig, die je nach den Besonderheiten von Kultur, Geschichte, Größe oder Siedlungsstruktur der Minderheit unterschiedlich sein und von minderheitensprachlichen Ortstafeln bis zur Territorialautonomie reichen können. Dieser gruppenspezifischen Ausprägung des Minderheitenschutzes wird immer wieder entgegengehalten, daß sie mit dem demokratischen Grundprinzip „one man one vote" nicht vereinbar sei. Privilegierungen von Minderheiten würden dem
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Vorwort
demokratischen Gleichheitsprinzip widersprechen. Kollektiver Minderheitenschutz ist nach dieser Auffassung also mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Trifft diese Auffassung zu, oder ist nicht vielmehr das Gegenteil der Fall? Ist es nicht geradezu ein Gebot der Demokratie, ethnischen Minderheiten effektive politische Einflußmöglichkeiten zu gewähren und ihre Existenz auch gegenüber der gesamtstaatlichen Mehrheit zu schützen? Dieser Frage geht im vorliegenden Band der Beitrag von Dietrich Murswiek nach. Er bejaht sie für autochthone Minderheiten, stellt aber zugleich klar, daß Immigranten diesen Minderheitenstatus nicht beanspruchen könnten, wenn es nicht der Politik des Aufnahmestaates entspricht, ihnen einen solchen Status zu verleihen. Noch fundamentalere Fragen behandelt der Beitrag von Christian Hillgruber: Jede Diskussion über Minderheitenschutz und Demokratie setzt voraus, daß die zentralen Begriffe geklärt werden. Was ist in diesem Zusammenhang unter Minderheit zu verstehen? Was wird mit dem Begriff Volk als Grundlage der demokratischen Staatsorganisation, aber auch als Grundbegriff des Minderheitenschutzes bezeichnet? Diesen Fragen geht Hillgruber in seiner historisch ausgreifenden Analyse nach. Diese Grundsatzreferate werden ergänzt durch eine Reihe von Vorträgen, die praktischen Fragen der Verwirklichung der Demokratie in Staaten mit ethnischen Minderheiten gewidmet sind. Einige Referate behandeln Einzelaspekte praktischer Umsetzung von Minderheitenschutzregelungen in demokratischen Systemen, so der Beitrag zur Sonderstellung von Minderheiten im Wahlrecht zu nationalen Parlamenten (Holger Kremser) oder der Beitrag über die politische Organisation von Minderheiten als Voraussetzung für eine demokratische Mitbestimmung (Christoph Pan). Andere Referate sind spezifischen Problemen einzelner Staaten gewidmet, so die Beiträge von Tore Modeen (Finnland), Jack Hoschouer (USA), Josef Gonschior (Polen - Oberschlesien) und Monica Vlad (Rumänien). Ein Beitrag von Elisabeth Sândor Szalay über die Frage, ob Minderheiten ein permanentes Konfliktpotential darstellen, rundet den Band ab. Die Studiengruppe für Politik und Völkerrecht widmet dieses Buch ihrem langjährigen Mitglied Professor Dr. Dr. h.c. Georg Brunner sowie dem ehemaligen Vorsitzenden der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen Odo Ratza, die im Jahre 2002 verstorben sind. Für die redaktionelle Bearbeitung des Manuskripts, die Herstellung der Druckvorlage und das Erstellen der Register danken die Herausgeber Alexis von Komorowski, Lena Ketterer, Oliver Sauer, Daniel Valerius und Holger Wöckel vom Institut für Öffentliches Recht der Universität Freiburg. Würzburg/Marburg/Freiburg, im Oktober 2003
Dieter Blumenwitz Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek
Foreword "The Protection of Minorities and Democracy" was the title under which the Study Group on Politics and International Law convened its 20 t h academic session, which took place from 6-8 March 2002 in Königswinter. This meeting carried on earlier efforts to strengthen and develop minority protection law, an issue that has been on the Study Group agenda for more than a decade. The current volume contains the presentations held at that meeting and is the eleventh consecutive title on the protection of minorities published in this series. In addition, the Study Group on Politics and International Law has also contributed to numerous publications on issues of minority protection, including the collection Der Minderheitenschutz im östlichen Europa. Dokumentation und Analyse in five volumes, edited by Georg Brunner. Among the titles that have been published so far, most are devoted to specific issues in the law and practice relating to minorities and their protection in Eastern, Central and South Eastern Europe. These contributions are regularly supplemented by research on underlying questions of theory and method. One such theoretical question, a fundamental problem affecting the protection of ethnic groups and minorities, is addressed in the current volume: the relationship of minority protection and democracy. Whereas the individual protection of minorities is largely embraced in all parts of the world, attempts at collective minority protection have been rejected by many states, including some western states. Individual protection essentially amounts to protection against discrimination on the grounds of origin, descent or religion. It can be easily accommodated within the concept of individual human rights. The individual protection of minorities is insufficient, however, to protect the existence, cultural attributes, and specific way of life of ethnic minorities living in their native land under the rule of an ethnically different majority; this applies in particular to the preservation of language. Collective rights - held by a group rather than individuals - become necessary in such cases; they afford adequate consideration to the culture, history, size, and settlement structure of minorities, and can range from installing place name signs in the minority language to full territorial autonomy. This particular expression of minority protection, which centres around groups rather than the individual, is often accused of violating the basic democratic precept of "one man - one vote". Supposedly, granting privileges to minorities goes against the democratic principle of equality. Pursuant to this view, accordingly, the collective protection of minorities cannot be reconciled with the principle of democracy. Is this percep-
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Foreword
tion accurate, or is the opposite actually true? Is it not instead a requirement of democracy to grant ethnic minorities effective means of political participation and to also protect their existence against the majority in a state? These are among the questions approached by Dietrich Murswiek in his contribution. His answer is affirmative to the extent that autochthonous minorities are to be protected, although he also clarifies that immigrants cannot assume minority status if the receiving state generally fails to grant such status. An even more fundamental question is approached in the article by Christian Hillgruber: as he explains, every discussion on minority protection presupposes a clear notion of people, a concept that not only determines the democratic organisation of a particular state, but also the status of ethnic minorities. In an historical excursion, Hillgruber analyses French and German notions of people, concluding that either appreciation is one-sided and therefore to be rejected. In effect, there is a need for a conception which has its starting point in the democratic nation of citizens while also giving consideration to the justified claims of autonomy by ethnic groups. In addition to these fundamental contributions, the volume contains a series of articles devoted to the practical aspects of democracy and its implementation in states with ethnic minorities. Of these contributions, some approach particular aspects of the practical operation of minority protection rules in democratic systems. Holger Kremser, for instance, addresses the legal status of minorities in parliamentary elections, and Christoph Pan raises the question whether political organisation is a prerequisite for democratic participation. The remaining contributions all discuss specific problems in different states, with Tore Modeen writing on the situation in Finland, Jack Hoshouer covering the United States, Josef Gonschior sharing his experiences in Poland and Upper Silesia, and Monica Vlad describing the current state of affairs in Romania. Finally, the question of whether minorities pose a permanent source of potential conflict is discussed by Elisabeth Sândor Szalay in her article, which also concludes the volume. The Study Group on Politics and International Law has decided to dedicate this collection of essays to its former member of many years, professor Dr. Dr. h.c. Georg Brunner, and the former chairman of the Cultural Foundation for German Expellees (Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen), Odo Ratza, both of whom passed away in 2002. Our gratitude goes to Alexis von Komorowski, Lena Ketterer, Oliver Sauer, Daniel Valerius, and Holger Wöckel, all at the Institute of Public Law, University of Freiburg, for editing the manuscript, producing the setting copy, and compiling an index. Würzburg/Marburg/Freiburg, October 2003
Dieter Blumenwitz Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek
Inhaltsverzeichnis
Dieter Blumenwitz / Gilbert H. Gornig / Dietrich Murswiek Nachruf auf Georg Brunner
17
Dieter Blumenwitz / Gilbert H. Gornig / Dietrich Murswiek Nachruf auf Odo Ratza
19
Christian Hillgruber Minderheitenschutz und Volksbegriff in der ideengeschichtlichen Diskussion seit der Aufklärung
21
Abstract
39
Dietrich Murswiek Demokratie und Freiheit im multiethnischen Staat
41
Abstract
57
Holger Kremser Die Sonderstellung von Minderheiten im Wahlrecht zu nationalen Parlamenten....59 Abstract
83
Tore Modeen Organisation von Minderheiten und innerorganisatorische Demokratie Beispiel: Finnland Abstract
85 104
Christoph Pan Die politische Organisation nationaler Minderheiten als Voraussetzung für eine demokratische Mitbestimmung
105
Abstract
120
Inhaltsverzeichnis
10 Jack Hoschouer
Minderheitenschutz in den USA
123
Abstract
133
Josef Gonschior Sprache, Kultur, Meinungsbildung und Information als Voraussetzungen der demokratischen Mitwirkung - an oberschlesischen Beispielen
135
Abstract
152
Monica Vlad Minderheitenschutz und Demokratie in Rumänien. Aktuelle Entwicklung
153
Abstract
165
Elisabeth Sändor Szalay Minderheit - ein permanentes Konfliktpotential? Ein Mythos aus mitteleuropäischer Sicht
167
Abstract
184
Die Autoren
185
Personenregister
197
Sachregister
199
Table of Contents
Dieter Blumenwitz / Gilbert H. G or nig / Dietrich Murswiek In memoriam Georg Brunner
17
Dieter Blumenwitz / Gilbert H. G or nig / Dietrich Murswiek In memoriam Odo Ratza
19
Christian Hillgruber The Philosophical Debate on Minority Protection and the Concept of Nation since the Enlightenment
21
Abstract
39
Dietrich Murswiek Democracy and Freedom in Multiethnic States Abstract
41 ,
57
Holger Kremser The Legal Status of Minorities in Parliamentary Elections
59
Abstract
83
Tore Modeen The Organisation of Minorities and Organisational Democracy in Finland Abstract
85 104
Christoph Pan The Political Organisation of Minorities as a Prerequisite for Democratic Participation
105
Abstract
120
12
Table of Contents
Jack Hoschouer Minority Protection in the United States of America
123
Abstract
133
Josef Gonschior Language, Culture, the Formation of Opinion, and Information as Prerequisites of Democratic Participation - Examples from Upper Silesia
135
Abstract
152
Monica Vlad Minority Protection and Democracy in Romania. Current Developments
153
Abstract
165
Elisabeth Sàndor Szalay Minorities - A Permanent Source of Conflict? Considering a Myth from the Central European Perspective
167
Abstract
184
The Authors
185
List of Names
197
Index
199
Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations
Abs.
Absatz
Abschn.
Abschnitt
An m.
Anmerkung(en)
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
AVR
Archiv des Völkerrechts
Bd.
Band
ber.
berichtigt
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BT-Drs.
Β undestagsdrucksache
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BWG
Bundeswahlgesetz
bzw.
beziehungsweise
Cong.
Congress
Doc.
Document
d.h.
das heißt
dens.
denselben
ders.
derselbe
DPS
Bewegung für Rechte und Freiheiten
ebd.
ebenda
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 27. 1. 1957
EMRK
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. 11. 1950, BGBl II 1952, 686,953 („Europäische Menschenrechtskonvention")
14 EUV
Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations Vertrag über die Europäische Union v. 7.2.1992, BGBl II 1253 („Maastricht-Vertrag")
f.
folgende
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
ff.
folgende
Fn.
Fußnote
FRV
Frankfurter Reichsverfassung
FUEV
Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen
GG
Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland v. 23. 5. 1949 (BGBl S. 1)
GVBl.
Gesetz- und Verordnungsblatt
GVOBl.
s. GVBl
Hinw.
Hinweis(e)
hrsg.
herausgegeben
Hrsg.
Herausgeber
HStR I, V I I I
Isensee , Josef/Kirchhof
Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der
Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg, Bd. I., 1987 (2. Aufl. 1995); Bd. VIII, 1995 i.V.m.
in Verbindung mit
IPBPR
Internationaler Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte
insbes.
insbesondere
JöR
Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (1.1907 - 25.1938;
JZ
N.F. 1.1951 ff.) Juristenzeitung
k. A.
keine Angabe(n)
Kap.
Kapitel
Komm.
Kommentar
LT-Drs.
Landtagsdrucksache
lit.
littera (Buchstabe)
m.
mit
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations Nachw.
Nachweise
NJW
Neue Juristische Wochenzeitschrift
No.
number
Nr.
Nummer; Number
O.S.
ohne Seite
OVG
Oberverwaltungsgericht
PMDN
Vereinte Menschenrechtspartei
Res.
Resolution
Rn.
Randnummer(n)
S.
Seite(n); Satz, Sätze
Sen.
Senate
Sess.
Session
sog.
so genannte(n/r)
st. Rspr.
ständige Rechtsprechung
SSW
Südschleswigscher Wählerverband
u.
und
u. a.
unter anderem; unter anderen
UN
United Nations
U.S.
United States bzw. Supreme Court Reporter
usw.
und so weiter
v.
vom, von; versus
v.a.
vor allem
VerflGE
Entscheidungen des Verfassungsgericht(hof)s
vgl.
vergleiche
VN
Vereinte Nationen
Vol.
Volume
z. B.
zum Beispiel
zahlr.
zahlreich; zahlreiche
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
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Nachruf auf Georg Brunner Georg Brunner ist zu Recht als Ausnahmeerscheinung der Osteuropaforschung bezeichnet worden. 1936 in Budapest geboren, als Student im Jahre des Ungarnaufstands in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet, überspannt schon sein persönlicher Lebensweg den Osten wie den Westen Europas. Vor seinem existenziellen Erlebenshintergrund konnte sich dann sein wissenschaftliches Interesse entfalten. Mit einer Vielzahl von Arbeiten hat er während der Teilung Europas die Systemvergleichung zwischen kommunistischen und westlich-demokratischen Systemen zum Gegenstand seiner Forschung gemacht, aber auch Rechtsvergleichung zwischen osteuropäischen Staaten, die er wie kaum ein anderer gekannt und auf höchstem Niveau zum Thema seiner Veröffentlichungen gemacht hat. Dabei hat sich Rechtsvergleichung fur ihn nie in Vergleichung von Normsystemen erschöpft. Gerade im Hinblick auf die kommunistischen Systeme, in denen die Rechtsnormen in mancher Hinsicht wenig mit der Wirklichkeit politischer Herrschaft zu tun hatten, wäre dies fruchtlos gewesen. Brunners besondere Leistung besteht darin, daß er in seinen Forschungen auch die Realität der Staaten der kommunistischen Hemisphäre erfasst hat, indem er juristisch-dogmatische mit historischen, soziologischen und politikwissenschaftlichen Fragestellungen verbinden und mit den Methoden dieser Forschungsgebiete bearbeiten konnte. Die persönlichen Erfahrungen in einer kommunistischen Diktatur richteten sein Forschungsinteresse ganz besonders auf die Institutionen der Sicherung individueller Freiheit, auf den Schutz von Grund- und Menschenrechten, auf Gewaltenteilung und Kontrolle staatlicher Macht. Die Defizite des Menschenrechtsschutzes, der mangelnde Rechtsschutz und der diktatorische Charakter der kommunistischen Regime wurden von ihm immer wieder kritisch dargestellt. Diesen Themen waren insbesondere seine Tübinger Dissertation „Die Grundrechte im Sowjetsystem" (1962) und die Kölner Habilitationsschrift „Kontrolle in Deutschland. Eine Untersuchung zur Verfassungsordnung in beiden Teilen Deutschlands" (1972) gewidmet. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftssystems hat sich Brunner mit ganzer Energie dem Prozess der Transformation der Staaten in Ost-, Mittel- und Südosteuropa von diktatorischen Staaten zu Verfassungsstaaten zugewandt und sie mit zahlreichen Publikationen analysierend und befruchtend begleitet.
2 Blumenwitz
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Nachruf auf Georg Brunner
Ein besonderer Forschungsschwerpunkt Brunners war das Minderheitenschutzrecht. Aus seiner ungarischen Heimat war ihm die Problematik der Volksgruppen und nationalen Minderheiten vertraut. Das aus ihr resultierende Konfliktpotential in vielen ost-, vor allem südosteuropäischen Staaten war von der Strenge der kommunistischen Diktaturen nur mühsam überdeckt. Mit zahlreichen Publikationen als Autor und Herausgeber hat Brunner dazu beizutragen, die Sachproblematik zu erhellen und die Entwicklung des Minderheitenschutzrechts zu fordern. Im Rahmen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht hat er ein fünfbändiges Werk „Der Minderheitenschutz im östlichen Europa. Dokumentation und Analyse" herausgegeben und auch als Autor daran mitgewirkt. Professor Dr. Dr. h.c. Georg Brunner war seit 1984 Professor für Öffentliches Recht und Ostrecht sowie Direktor des Instituts für Ostrecht an der Universität zu Köln. Dort hatte er sich 1970 als Schüler von Boris Meissner habilitiert und war danach Professor für Öffentliches Recht, Ostrecht und Politikwissenschaft an der Universität Würzburg (1971-1984). Nur ein Jahr nach seiner Emeritierung ist am 24. Oktober 2002 im Alter von 66 Jahren verstorben. Mit ihm verliert die Studiengruppe für Politik und Völkerrecht ein langjähriges, verdienstvolles Mitglied. Würzburg/Marburg/Freiburg, im Oktober 2003
Dieter Blumenwitz Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek
Nachruf auf Odo Ratza Wenn nunmehr der 20. Band der „Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht" vorgelegt werden kann, so ist dies nicht zuletzt Odo Ratza zu danken. Denn er hat als seinerzeitiger Vorsitzender der Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen maßgeblich dazu beigetragen, dass diese wissenschaftliche Reihe 1983 aus der Taufe gehoben wurde und allein während seiner Amtszeit zwölf ihrer Bände erscheinen konnten. 1916 in der westpreußischen Kreisstadt Stuhm, dem heutigen Sztum, geboren, trat Ratza 1938 in die Wehrmacht ein. Als Artillerieoffizier fand er während des Zweiten Weltkriegs Verwendung an allen Fronten und geriet 1945 als Hauptmann in britische Gefangenschaft. 1958 stellte er sich der neu geschaffenen Bundeswehr zur Verfügung, wo er als Generalstabsoffizier u.a. im Bundesverteidigungsministerium und im Führungsstab der Luftwaffe wirkte. Zuletzt fungierte Odo Ratza als Kommandeur der Schule für das Nachrichtenwesen der Bundeswehr in Bad Ems. 1976 wurde er im Rang eines Brigadegenerals pensioniert. Schon vor dem Ende seiner militärischen Dienstzeit hatte Ratza sich ehrenamtlich am Aufbau der 1974 gegründeten Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen beteiligt. Nach seiner Pensionierung engagierte er sich hauptamtlich für die Stiftung, seit 1979 zugleich als ihr Vorstandsvorsitzender. Auf Grund seines ungeheuren organisatorischen Geschicks und der vertieften Kenntnis behördlicher Entscheidungsabläufe gelang es Ratza, die Stiftung zu einer veritablen Kulturinstitution auszubauen, die zeitweise sechzehn Vollzeitkräfte beschäftigte, darunter acht Wissenschaftler. In den vierzehn Jahren, in denen Ratza ihren Vorsitz inne hatte, konnte die Kulturstiftung rund einhundertdreißig Buchpublikationen vorlegen. In besonderem Maße hat Ratza die Arbeit der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht gefördert. So verdankt sich nicht nur die Reihe der „Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen" seinem tatkräftigen Einsatz. Auch die „Forschungsergebnisse der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht" konnten unter der Ägide Odo Ratzas wieder belebt werden. Allein im vorletzten Jahr seiner Amtszeit erschienen in dieser zweiten wissenschaftlichen Reihe der Studiengruppe nicht weniger als sechs wissenschaftliche Monographien. Es nimmt nach dem Gesagten nicht Wunder, dass auch viele andere Einrichtungen und Gremien auf die Unterstützung des umtriebigen Kulturmanagers 2*
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Nachruf auf Odo Ratza
und -politikers Odo Ratza nicht verzichten wollten. Er war Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen und verwaltete das Kulturressort des Verbands. Über zwanzig Jahre nahm er das Amt des Bundessprechers der Landsmannschaft Westpreußen wahr und bemühte sich insbesondere um die Weiterentwicklung des Westpreußischen Landesmuseums in Münster. Von 1980 bis 1996 gehörte er dem Bundesvertriebenenbeirat beim Bundesinnenminister an und stand dort dem Kulturausschuss vor. Auch nachdem er allmählich aus der unmittelbaren Verantwortung für die Kulturarbeit der deutschen Vertriebenen ausgeschieden war, verfolgte Odo Ratza die Arbeit seiner Nachfolger mit reger Anteilnahme und stand ihnen als Ratgeber zur Seite. Am 13. August 2002 nun verstarb Odo Ratza sechsundachtzigjährig im rheinischen Siegburg. Würzburg/Marburg/Freiburg, im Oktober 2003
Dieter Blumenwitz Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek
Minderheitenschutz und Volksbegriff in der ideengeschichtlichen Diskussion seit der Aufklärung Von Christian Hillgruber
I. Einleitung Die barbarischen Terroranschläge des 11. September 2001 haben in der Nachbetrachtung im Westen vereinzelt auch das selbstzweiflerische Nachdenken über ein möglicherweise unbefriedigtes Verlangen nach kultureller Anerkennung ausgelöst. „In der allenthalben betriebenen Datumsmystik äußert sich", so las man in der FAZ 1 , „auch der Argwohn, dass es ein , Verlangen nach Anerkennung' geben könnte, das durch die westliche Gegenwart doch nicht gestillt wird: das Verlangen nicht zuerst nach politischer und ökonomischer, sondern nach kultureller und religiöser Anerkennung. Offenbar ist das liberale System nicht in der Lage, das Selbstbestimmungsrecht von Kulturen zu respektieren, die nicht vom homo oeconomicus transformiert werden wollen." Diese Analyse gilt zwar dem Konflikt zwischen der westlichen und der islamischen Welt, der die politische und ökonomische Kultur des Westens, die liberale Demokratie und der Kapitalismus, verbreitet als Fremdbestimmung erscheint, aber sie macht zugleich auch auf ein im Westen selbst von Volksgruppen ungeachtet gleicher demokratischer Teilhabe empfundenes Defizit des „politischen Systems" aufmerksam: Das unerfüllte Verlangen nach Anerkennung ihrer Eigenart kennzeichnet auch die Lage zahlreicher nationaler, ethnischer und religiöser Minderheiten in der westlichen Staatenwelt. Damit ist die zentrale Frage nach der Notwendigkeit und der möglichen Rechtfertigung eines besonderen Minderheitenschutzes unter den allgemeinen Bedingungen demokratischer Gleichheit und Freiheit gestellt, und die unterschiedlich ausfallenden Antworten auf diese Frage beruhen nicht zuletzt auf unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Volksbegriffen, wie sie sich in und seit der Aufklärung geistesgeschichtlich entwickelt und im Zeitalter der Nationalstaaten politisch sowie rechtlich durchgesetzt haben. Sie haben nämlich nicht nur die Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts auf je eigene Weise 1 M Siemons, Die Achse des Guten. Kann der Westen andere anerkennen, ohne sich aufzugeben?, FAZ Nr. 30 v. 5.2.2002, S. 43.
Christian Hillgruber
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geprägt, sondern auch die Behandlung nationaler, ethnischer Minderheiten maßgeblich beeinflusst. Im folgenden sollen daher die Entstehung und Entwicklung dieser Konzeptionen sowie ihrer Auswirkungen auf den Status von Minderheiten im Sinne ihrer Anerkennung oder Nichtanerkennung als eigenständiger politischer Einheiten etwas näher beleuchtet werden. Prototypisch lassen sich zwei Volksbegriffe gegenüberstellen: der aufgeklärte und der historisch-individuelle 2 oder: der „französische" und der „deutsche" Volksbegriff 3 .
I I . Die französische Staatsbürgernation: Nation une et indivisible Der Volksbegriff der politischen Aufklärung wird zu Beginn der Französischen Revolution formuliert. In seiner Ende 1788 verfassten Flugschrift „Qu' est-ce que le tiers état?" fragt der Abbé Emmanuel Sieyès: „Was ist eine Nation?" Seine Definition lautet: „Eine Gesamtheit von vereinigten Individuen, die unter einem gemeinsamen Gesetz stehen und durch dieselbe gesetzgebende Versammlung vertreten sind" 4 . Die französische Nation konstituiert sich voluntativ im revolutionären Akt der Inanspruchnahme verfassunggebender Gewalt. „Der dritte Stand umfasst ... alles, was zur Nation gehört und alles, was nicht der dritte Stand ist, darf sich nicht als zur Nation gehörend betrachten" 5. Die so durch den Status staatsbürgerlicher Gleichheit vermittelte Zugehörigkeit zu der Nation bedarf keiner weiteren Klärung in ethnischer oder kultureller Hinsicht. Indes macht gerade diese Selbstgewissheit deutlich, in welchem Maße die französische Revolution auf den politischen Errungenschaften des ancien régime aufbaut. Es war das französische Königtum gewesen, das unter Verdrängung aller intermediären und regionalen Gewalten seinen absoluten Herrschaftsanspruch durchgesetzt und den einheitlichen, territorial geschlossenen französi-
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Begriffe nach E.R. Huber, Lessing, Klopstock, Möser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Bd. 104(1943), S. 121-159, 132. 3 E.-W. Böckenförde, Die Nation - Identität in Differenz, in: ders., Staat Nation Europa, Frankfurt a.M. 1999, S. 34 unterscheidet - inhaltlich weitgehend gleichbedeutend - den „politisch-voluntativ orientierten Nationbegriff, wie er in Frankreich, aber auch in den USA herrschend sei", von „dem ethnisch-kulturell bestimmten Nationbegriff in Deutschland sowie in Mittel- und Osteuropa". 4 Deutsche Ausgabe: Was ist der dritte Stand, hrsg. und übersetzt von Otto Brandt, Berlin 1924, S. 40. Immanuel Kant sollte wenige Jahre später, 1797, in seiner „Metaphysik der Sitten" den Staat als „die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen" definieren. 5 (Fn. 4).
Minderheitenschutz und Volksbegriff in der ideengeschichtlichen Diskussion
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sehen Staat geschaffen hatte6. Dabei hatte es zugleich das französische Volk unter Zurückdrängung regionalen Sonderbewusstseins bereits zu einem einheitlichen Herrschaftsobjekt, d.h. als „passives" Staatsvolk geformt. In der französischen Revolution erwachte dieses bereits vorhandene Staatsvolk nun zu politischem Selbstbewusstsein und reklamierte für sich die Qualität als Legitimations- und Handlungssubjekt. Der bei Sieyès verfassungstheoretisch gemeinte, die Volkssouveränität ausdrückende Satz: „Die Nation ist vor allem andern da, sie ist der Ursprung von allem" 7 , ist also auch historisch zutreffend. Die französische Nation war schon existent, als die Französische Revolution sie aktivierte. Im absolutistischen Frankreich des ancien régime stand am Ende der einheitlichen königlichen Staatsgewalt bereits die gesellschaftliche Einheit der citoyens français gegenüber. Die „einheitliche Untertanengesellschaft" wurde durch die Revolution dann „lediglich" in eine einheitliche Staatsbürgernation verwandelt. Mit Recht konnte Mirabeau Louis XVI. entgegen halten: „L'idee d'une seule classe de citoyens aurait plue à Richelieu". Das Dogma von der Einheit und Unteilbarkeit der egalitären und homogenen französischen Nation als politischer Willensgemeinschaft lässt für die Anerkennung ethnischer Minderheiten und vertikale Gewaltenteilung in Rücksicht auf historisch gewachsene, regionale Unterschiede keinen Raum. Der sich - nicht weniger als vorher die französischen Könige - absolut setzende nationaldemokratische Radikalismus bekämpft die Föderalisten in gleicher Weise wie die Royalisten als „innere" Staatsfeinde, als Konterrevolutionäre. „ M i t dem Royalismus und dem Klerikalismus wurde der Föderalismus, das Eigenrecht der historisch gewachsenen Landschaften, zum nationalen Feind erklärt. ... Die Identifikation des dritten Standes mit der Nation vernichtete jedes historisch gewordene Recht"8. Die Abschaffung der Vorrechte des ersten und des zweiten Standes geht einher mit der Ersetzung historischer Provinzen durch neu geschaffene Départements. Aufgeklärt gegen die Privilegien des Adels zu kämpfen hieß zugleich jede Differenzierung nach ethnischer Abstammung zu verwerfen, hatten die adeligen Familien doch, wie bei Sieyès nachzulesen, den „närrischen Anspruch" erhoben, „sie seien dem Stamme der [fränkischen; der Verf.] Eroberer entsprossen und hätten ihre Rechte geerbt". Wenn die Nation von diesen Familien „gereinigt" sei, so Sieyès, „wird sie sich, glaube ich, darüber trösten, dass sie sich jetzt nur als eine Zusammensetzung von Nachkommen der Gallier und Römer zu betrachten hat. In der Tat, wenn man daran festhalten will, Ab6
Schon A. de Tocqueville , L'Ancien Régime et la Révolution, Paris 1856 hat die berühmte These aufgestellt, dass die Revolution im Hinblick auf den Prozeß der Zentralisierung die Fortsetzung und Vollendung der Revolution gewesen sei (vgl. Teil II, Kap. 2 u. 5). 7 (Fn. 4), S. 92. 8 ER. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, 1. Aufl., Stuttgart 1957, § 1 II, S. 11, 12.
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kunft und Abkunft zu unterscheiden, könnte man dann nicht unseren armen Mitbürgern ein Licht darüber aufstecken, dass die Abkunft von den Galliern und den Römern mindestens ebensoviel wert ist wie die von den Sigambrern, Welschen und anderen Wilden, die aus den Wäldern und Sümpfen des alten Germaniens hervorgekommen sind" 9 ? Doch kann die vielbeschworene Einheit und Unteilbarkeit der Nation nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor wie nach der Französischen Revolution regionales Sonderbewusstsein, ja sogar vereinzelt Selbständigkeitsbestrebungen zu konstatieren sind, es sich also um die Zeichnung eines Idealbildes handelt, das der historischen Realität nicht ganz entspricht, was seiner Wirkungsmächtigkeit allerdings keinen Abbruch getan hat. Auch wenn die einheitliche königliche Verwaltung mittlerweile über die Provinzen und Länder, in die Frankreich traditionsgemäß eingeteilt war, hinwegging, so ließen „die Sitten, manchmal die Sprache und auch die historische Überlieferung ... die alten Unterschiede zwischen den Provinzen fortbestehen; am Ende des 18. Jahrhunderts waren das bretonische Volk und das provencalische Volk noch sehr lebendige Realitäten mit ihren Gesetzen, Gewohnheiten und Dialekten" 10 . So behält beispielsweise die Bretagne, als letztes großes Lehensfurstentum durch Heirat 1532 der unmittelbaren Herrschaft des französischen Königs unterstellt, bis zur Französischen Revolution einen Sonderstatus und wird nach der Revolution ebenso wie die königstreue Vendée seit 1792 zum Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges, in dem die royalistischen bretonischen Chouans erbitterten Widerstand leisten, der erst 1796 endgültig gebrochen werden kann. Und auf Korsika, das erst 1768 durch Verkauf von Genua unter die Herrschaft Frankreichs gefallen war, kommt es noch vor Ausbruch der Revolution 1789 zum Osteraufstand, an dem auch der Korse Napoléon teilnimmt. Dass sich das von Sieyès aufgestellte Dogma der einen und unteilbaren französischen Nation durchsetzen würde, war anfangs keineswegs sicher. Erst allmählich gewannen die radikalen Zentralisten der Bergpartei, der Montagnards (Marat, Danton, Robespierre), die Oberhand über die föderalistisch gesonnenen Girondisten (J.P. Brissot; A. Condorcet). So war zunächst zu Beginn der Revolution die Verwaltung dezentralisiert worden, und bei der Einteilung der Départements unter dem bestimmenden Einfluss Mirabeaus den geographischen und geschichtlichen Anforderungen Rechnung getragen worden 11 . Weil aber nach
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(Fn. 4), S. 42 f. A. Soboul, Die große Französische Revolution. Ein Abriß ihrer Geschichte (17891799), 1. Abschn., 2. Kap., II. Zentralisation und Autonomie, S. 60-64, 61. 11 Siehe dazu A. Soboul (Fn. 10), 1. Abschn., 3. Kap., III., S. 167, der Mirabeau mit den Worten zitiert: „Endlich befürworte ich eine Unterteilung, die in gewisser Weise nicht als allzu große Neuerung erscheint; die es - wenn ich mich so ausdrücken darf10
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Einschätzung der Jakobiner die Dezentralisation der Verwaltung „ernste Gefahren für die Einheit der Nation" nach sich zog, erschien es ihnen bereits zwei Jahre später zur Verteidigung der revolutionären „Errungenschaften" erforderlich, zur Zentralisation zurückzukehren 12. Die endgültige Entscheidung gegen den Bundesstaat fiel, als der nach dem Sturz des Königs mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragte Nationalkonvent am 25. September 1792 gegen den Willen der Gironde den berühmten Grundsatz „Die französische Republik ist einheitlich und unteilbar" annahm und das Eintreten für den die Einheit der französischen Republik beeinträchtigenden Föderalismus zu einem mit Todesstrafe geahndeten Verbrechen erklärte 13. Die Entmachtung der Gironde durch die Bergpartei führte zur „föderalistischen Revolte". Im Juli 1793 stand die Republik kurz vor der Auflösung. Die Départementsregierungen in der Bretagne, der Normandie, im Südwesten, im Süden und in der Franche-Comté beschlossen die Sezession; darin drückte sich auch das Fortbestehen regionaler Partikularismen aus. Die Niederschlagung der Aufstände führte dann zu einer weiteren Stärkung der Zentralgewalt in Gestalt des Konvents und seines Wohlfahrtsausschusses, der zum Ausdruck der nationalen Souveränität wurde 14 . Aus der Erkenntnis heraus, dass zur Einheit des französischen Staates auch die Einheit der Sprache als Mittel der Verständigung und Medium der Kultur gehörte, hatte schon Richelieu 1635 die Académie Française gegründet, um die französische Sprache zu pflegen und zu vereinheitlichen. Gegenüber seinen Minderheiten betrieb Frankreich eine harte Sprachpolitik - in den Regionen sprach man vom „terreur linguistique". „Ob Bretonen oder Basken, Flamen oder Elsässer - die Untertanen der französischen Krone wurden unerbittlich auf die Staatssprache verpflichtet" 15 . Dass auch eine Staats(-bürger-)nation ohne Spracheinheit nicht auskommt, wurde den Revolutionären bald bewusst. Weil,
zulässt, auf Vorurteile und sogar auf abwegige Vorstellungen einzugehen; die von allen Provinzen gleichermaßen angestrebt wird und auf bereits bekannten Zuständen aufbaut". 12 Vgl. dazu A. Soboul (Fn. 10), 1. Abschn., 3. Kap., III., S. 168. 13 Siehe A. Soboul (Fn. 10), 2. Abschn., 2. Kap., I , S. 239. 14 Siehe A. Soboul (Fn. 10), 2. Abschn., 3. Kap., I.2., S. 282-284, 290. Zur unterschiedlichen Deutung der „föderalistischen Revolte" 1793 und der Bedeutung des Föderalismus in Frankreich siehe einerseits P.J. Proudhon, Du principe fédéraratif et de la nécessité de reconstituer le parti de la Révolution, Paris 1863; Hedwig Hintze, Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution, Stuttgart 1928, andererseits - stellvertretend für die „offizielle" französische Geschichtsschreibung - A. Mathiez, Annales historiques de la Révolution française, Vol., 1928, S. 581 ff., 583-585. Den Meinungsstand zusammenfassend A De Francesco, Föderale Konzeptionen im europäischen Denken zwischen 1789 und 1848, in: M. Kirsch/P. Schiera , Verfassungswandel um 1848 im europäischen Vergleich, Berlin 2001, S. 63-77, 66-68, 75 f. 15 H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Heidelberg 1999, Rn. 1819, S. 624 f.
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abgesehen von den Regionen um Paris, die Sprache Voltaires und der Menschenrechtserklärung in Frankreich kaum gesprochen und verstanden wurde, verfugte das Schulgesetz vom 21.10.1793, dass alle Kinder französisch lesen und schreiben lernen sollten, damit fortan auch die Sprache der Nation „eins wie die Republik" werde 16 .
I I I . Das deutsche Volk als Kulturnation: Die Entwicklung eines Einheitsbewusstseins ohne Staatlichkeit Am Ende des 18. Jahrhunderts schwankt die deutsche Befindlichkeit zwischen Reichspatriotismus, partikularem Staatspatriotismus in den Territorien und weltbürgerlichem Erziehungs- und Bildungsideal; eine ihrer selbst bewusste deutsche Nation aber ist nicht auszumachen: In den von ihnen gemeinsam verfassten, beiden Xenien (1796) „Das Deutsche Reich" und „Deutscher Nationalcharakter" machen Goethe und Schiller darauf schonungslos aufmerksam. Im ersten stellen sie die Frage: „Deutschland? aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden. Wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf." Im zweiten geben sie die Antwort: „Zur Nation euch zu bilden, ihr hofft es, Deutsche vergebens; Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus" 17 . Die Deutschen also ein freies Volk ohne Staat? Sind sie überhaupt ein Volk? 1792 meint Christoph Martin Wieland feststellen zu müssen: „Wer das deutsche Reich aufmerksam durchwandert, lernt zwar nach und nach Österreicher, Brandenburger, Sachsen, Pfälzer, Baiern, Hessen u.s.w. ..., aber keine Deutschen kennen". Johann Gottfried Herder spricht von den „Nationen Deutschlands", von „mehreren Völkern", aus denen „von jeher Deutschland bestand". Die deutsche Aufklärung erblickt darin anfanglich auch keinen wirklichen Mangel 18 . Sie denkt bei der angestrebten Überwindung kleinstaatlicher Enge und absolutistischer Willkürherrschaft in den großen und allgemeinen menschheitlichen, weltbürgerlichen Idealen. So erscheinen Gotthold Ephraim Lessing
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Siehe dazu H. Schulze, Staat und Nation in der Europäischen Geschichte, München 1994, S. 172 f. 17 F. Schiller, Sämtliche Werke, hrsg. von G. Fricke u. H.G. Göpfert, Bd. 1, 3. Aufl., München 1962, S. 267. 18 So erblickte Wieland in der deutschen „Staatsverfassung" des Alten Reichs, die er dafür verantwortlich machte, dass „die Deutschen nie als ein Volk denken und handeln", den großen Vorteil, „dass, solange wir sie erhalten, kein großes policirtes Volk in der Welt einen höhern Grad menschlicher und bürgerlicher Freiheit genießen und vor allgemeiner auswärtiger und einheimischer, politischer und kirchlicher Unterjochung und Sklaverei sicherer sein wird, als die Deutschen"; ders., Patriotischer Beitrag zu Deutschlands höchstem Flor ..., in: Sämtliche Werke, Bd. 30, 1857, S. 364-367. Zu Wielands Haltung siehe auch H. Schulze (Fn. 16), S. 182 m. Fn. 100.
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(1729-1781) in „Ernst und Falk. Gespräche für Freimaurer" (1778) Staat und Vaterland als „abgezogene Begriffe". Der Staat hat für ihn nur die rationale Funktion als Instrument die „Glückseligkeit jedes wirklichen einzelnen Wesens" zu befördern. Die Gliederung der Menschheit in Völker betrachtet Lessing, dem die Gleichheit der Menschen - „der bloßen Menschen als bloße Menschen" eine selbstverständliche Gewissheit war, als äußerliche Trennung, die der Entfaltung der natürlichen und reinen Humanität eher im Wege steht, als dass sie ihr kollektiv zum Durchbruch verhilft. Die sich abgrenzende „Völkerschaft" empfindet er als überwindungsbedürftiges Vorurteil. Und doch sieht Lessing es in seinem dramatischen und kunstkritischen Schaffen auch als seine Aufgabe an, dem gesamten deutschen Volk kulturelles Selbstbewusstsein zu vermitteln. Zwar spottet er „über den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche noch keine Nation sind". Aber die Bildung einer solchen Nation nicht im politischstaatlichen, aber im geistig-kulturellen Sinn erscheint ihm ein erstrebenswertes Ziel: „Ich rede nicht von der politischen Verfassung, sondern bloß von dem sittlichen Charakter (der Deutschen). Fast sollte man sagen, dieser sei: keinen eigenen haben zu wollen. Wir sind noch immer die geschworenen Anhänger alles Ausländischen ..." 19 . Hier finden sich erste Ansätze des Konzepts der vom (deutschen) Bildungsbürgertum getragenen, autonomen Kulturnation der „Dichter und Denker" als Gegenentwurf zur (französischen) Staatsnation. „Deutsche Nationalliteratur, deutsches National- und Musiktheater schufen über die Grenzen der deutschen Territorialstaaten hinweg eine Einheit des Urteils und des Geschmacks.... In der sprachlichen Abgrenzung von der europaweiten französischen Kulturhegemonie erfuhr die deutsche Bildungselite ihre nationale Identität" 20 . Herders großer Plan, eine „Stätte deutschen Gemeingeistes", eine „deutsche Akademie" „für die sämtlichen Völker und Provinzen Deutschlands ... in ihren besten Köpfen" zu schaffen, die ein Zentrum aller Humanitäts- und Bildungsbestrebungen der deutschen Nation sein sollte, gehört in diesen ideengeschichtlichen Zusammenhang21. Schrieb Justus Moser in seiner Abhandlung „Über die deutsche Sprache und Literatur" (1781) - mit kritischem Unterton vom bloß ,,gelehrte[n] Vaterland" 22 , so heißt es bei Friedrich Schiller 1797 - ins 19 Hamburgische Dramaturgie (1768), 101.-104. Stück, in: Sämtliche Schriften, Bd. 10, 1894, S. 213. 20 H: Schulze (Fn. 15), S. 146; E-fV. Böckenförde (Fn. 3), S. 47 f.; zur,„Nation' als geistig-kulturelle[r] Bezugsgröße in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts" siehe B. Schönemann, Stichwort: Volk, Nation IX.3., in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 307-309 m. zahlr. Nachw. 21 Idee zum ersten patriotischen Institut für den Allgemeingeist Deutschlands, 1801, in: Herders Werke in fünf Bänden, Bd. 3, Berlin und Weimar 1964, S. 359-376, 362. 22 Werke, hrsg. von B.R. Abeken, 1842 f., Bd. 9, S. 139. Siehe dazu ER. Huber (Fn. 2), S. 140 ff.
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Positive gewendet - : „Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge ... Abgesondert von dem Politischen hat der Deutsche sich seinen eigenen Wert gegründet, und auch wenn das Imperium unterginge, so bliebe doch die deutsche Würde unangefochten. Sie ist eine sittliche Größe, sie wohnt in der Kultur und im Charakter der Nation, der von ihren politischen Schicksalen unabhängig ist" 23 . Wie verbreitet das Verständnis von Nation als auf gemeinsamer Sprache basierender Kulturgemeinschaft bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts gewesen ist, belegt die Definition in Adelungs Deutschem Wörterbuch von 1776: „Nation, die eingebornen Einwohner eines Landes, so fern sie einen gemeinsamen Ursprung haben, eine gemeinschaftliche Sprache reden, und in etwas engerem Sinne auch durch eine ausgezeichnete Denk- und Handlungsweise sich von andern Völkerschaften unterscheiden, sie mögen übrigens einen einigen Staat ausmachen, oder in mehrere verteilet sein" 24 . Der an die gemeinsame Sprache als objektives Unterscheidungsmerkmal und identitätsstiftenden Faktor anknüpfende Volksbegriff ist von Johann Gottfried Herder (1744-1803) fundiert und maßgeblich geprägt worden. Für Herder ist das Volk eine soziale Gemeinschaft, deren Mitglieder durch eine gemeinsame Sprache als Medium und Produkt ihres Geisteslebens einander eng verbunden sind. Sprache und Kultur aber sind untrennbar. So wird das Volk kraft seiner Sprache zum Träger eigener Kultur. Angeregt u.a. durch den Besuch von Kants Vorlesungen über „physische Geographie", in der die Kultur- und Religionsgeschichte der einzelnen Völker im Zusammenhang mit ihrer geographischen Umwelt dargestellt wurde, entwickelt Herder eine eigene Philosophie der Sprache und Geschichte und macht sich und anderen die kulturelle Eigenart des deutschen Volkes bewusst, wie in der gemeinsam mit Goethe verfassten Schrift „Von deutscher Art und Kunst" (1773). In der Sprachphilosophie Herders findet sein Humanitätsideal vollendeten Ausdruck. In der „Abhandlung über den Ursprung der Sprache" (1772) bezeichnet er die Sprache als „das Organ unserer Vernunft und gesellschaftlichen Tätigkeit, als das Werkzeug jeder Kultur und Unterweisung, als das Band der Geselligkeit und guten Sitten, als das echte Mobil für Beförderung der Humanität in jeder Menschenklasse!" Die Ausbildung einzelner Nationalsprachen dient der allgemeinen Entwicklung der einen Menschheit, der Bildung und Kultivierung aller in ihr enthaltenen Fähigkeiten. Kurz gefasst also: kulturelle Verfeinerung durch sprachliche Ausdifferenzierung. Jede neue Individuation bereichert die gemeinsame „Schatzkammer menschlicher Gedanken, wohin jeder auf seine 23
Deutsche Größe. Ein unvollendetes Gedicht, zitiert nach: F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 6. Aufl., München und Berlin 1922, S. 57 f. 24 J. Ch. Adelung, Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart, Bd. 2, Leipzig 1776, S. 488 f.
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Art etwas beitrug, eine Summe der Wirksamkeit aller menschlichen Seelen". Die Unterschiede in den Sprachen bilden jedoch keine unüberbrückbaren Gegensätze, die das gegenseitige Verstehen der Völker als Kollektivindividuen unmöglich machen würden. „Auch die Vielgestaltigkeit der individuellen Menschensprachen bewegt sich im Bereich des selben göttlichen Wesens der Menschen". Alle sprachlichen Differenzierungen des Gefühls, der Anschauung, des Leidens und Schaffens sind Individuationen innerhalb der universalen Spannweite der einen Humanität und beziehen daraus ihren spezifischen Wert. Es ist dies die Einheit der Menschheit in der Vielfalt der Kulturen, die sie hervorgebracht hat. Für Herder besaß keine Nation den Vorrang vor den anderen, aber jede war verschieden von allen anderen. Seine Gedankenwelt ist bestimmt von der Idee der Individualisierung der Menschheit in einer Vielheit wesensverschiedener Völker, die als Kollektivindividuen eine Art Eigenleben führen. Die v.a. in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (1784) niedergelegte Geschichtsphilosophie Herders wird ebenfalls von der Erkenntnis geprägt, dass die Ausbildung der verschiedenen Völker die Entwicklung der ganzen Menschheit befördert und kulturellen Fortschritt erst ermöglicht hat. „In gewissem Betracht ist also jede menschliche Vollkommenheit national, saekular und am genauesten betrachtet individuell. Man bildet nichts aus, als wozu Zeit, Klima, Bedürfnis, Welt, Schicksal Anlaß gibt". Damit werden die Völker zugleich „die eigentlichen Träger einer von der Vorsehung gelenkten geschichtlichen Gesamtentwicklung"25. Doch ist für Herder die Nation nie Selbstzweck, sondern stets nur die geschichtliche und damit auch veränderliche Form der Entfaltung der Humanität, die sich immer bewusst bleiben muss, dass sie nur in der Gemeinschaft mit den anderen Nationen am Ganzen der Menschheit teilhat. Dem Rassewahn ist er völlig abhold (vgl. Siebtes Buch, I. a.E.); ,,ländererobernde[m] Heldengeist" hat er nichts abgewinnen können 26 . So ist bei aller Anerkennung der historischen Individualität der verschiedenen Völker - Herders Verständnis von der Bedeutung der Völker in der Menschheitsgeschichte aufgeklärt und von tiefer Humanität geprägt. Das aufklärerischkritische „Potential" seiner An- und Einsichten zeigt sich etwa darin, dass er gebürtiger Ostpreuße - sich von dem ost- und baltendeutschen Geschichtsmythos seiner Zeit frei macht und eine neue, respektvollere Einstellung der Deutschen zu den slawischen und baltischen Nachbarvölkern fordert, denen er - entgegen dem verbreiteten Vorurteil „barbarischer" Völker - Anerkennung für ihre kulturellen Eigenleistungen zollt.
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B. Schönemann, Stichwort: Volk, Nation IX.3., in: (Fn. 20), S. 316-319, 317. Nachweise bei B. Schönemann (Fn. 25), S. 319 m. Fn. 181 f. Zu Herders Sichtweise und ihrer Rezeptionsgeschichte umfassend den von R. Otto hrsg. Sammelband, Nationen und Kulturen. Zum 250. Geburtstag Johann Gottfried Herders, Würzburg 1996. 26
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Neben der Sprache und der durch sie vermittelten Kultur ist es vor allem die Geschichte, die nationale Identität begründet. Das Volk erscheint als die durch gemeinsam erlebte und erlittene Geschichte zusammengeschweißte Schicksalsgemeinschaft. So sieht Leopold von Ranke geradezu den Sinn der sich vollziehenden geschichtlichen Entwicklung darin, die ganz besondere Natur jeder einzelnen Nation „auf die von Gott geforderte Weise selbständig auszubilden"27. Ingesamt betrachtet lässt sich festhalten: „Die deutsche Erneuerungsbewegung des 18. Jahrhunderts steht auf den Schultern der Aufklärung; sie ist ohne die Aufklärung nicht denkbar" 28 , wobei das geistige Weltbürgertum allmählich die Erkenntnis in sich aufnimmt, das jenseits der gleichbleibenden Allgemeinheiten die Völker historische Individualität besitzen. Schon daraus erhellt, dass die Konzentration der deutschen Aufklärung und Romantik auf das Volk als Sprach-, Abstammungs- und Kulturgemeinschaft nicht einem antiaufklärerischen, antifranzösischen Affekt entspringt, wie immer wieder behauptet wird, vielmehr in erster Linie aus der politischen „Not" des staat-losen deutschen Volkes geboren ist. Während in Frankreich „das erwachende politische Selbstbewusstsein der sich bildenden Nation seine Orientierung am bereits vorhandenen Staat fand und finden konnte" 29 , musste das Einheitsbewusstsein der Deutschen mangels einer einheitlichen politischen Organisation (trotz des die deutschen Territorialstaaten überwölbenden, aber eben nicht nationalstaatlich, sondern übernational ausgerichteten Reiches) an dem Staat vorausliegende, sozusagen natürliche, gemeinschaftsbildende Kriterien wie Sprache, Abstammung, Geschichte und Kultur anknüpfen. Bis aus geschichtlicher Selbstbesinnung, dichterischer Selbstgestaltung und philosophischer Selbstfindung dem deutschen Volk auch politisches Einheitsund Selbstbewusstsein erwuchs, sollte noch geraume Zeit vergehen. Die politische Bewusstwerdung setzt erst nach dem Zusammenbruch des Alten Reiches mit der napoleonischen Herrschaft über Deutschland ein. Zunächst von vielen Bildungsbürgern (nicht nur von deutschen Jakobinern! 30) aufgrund der von ih-
27 Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im 19. Jahrhundert, in: Sämtliche Werke, hrsg. v. A. Dove , Bd. 49/50, Leipzig 1887, S. 78. 28 So richtig ER. Huber (Fn. 2), S. 122, der sie allerdings „zugleich entscheidend durch den Gegensatz zur Aufklärung bestimmt" sieht. 29 E.-W. Böckenförde (Fn. 3), S. 35. 30 Siehe Georg Forster, Über das Verhältnis der Mainzer gegen die Franken. Gesprochen in der Gesellschaft der Volksfreunde (15.11.1792), in: H. Scheel (Hrsg.), Die Mainzer Republik. Protokolle des Jakobinerklubs, Berlin 1975, S. 220 ff. Forster konnte sich vorstellen, dass „Franken und Mainzer verschmelzen zu Einem Volk": „ ... erst vier Jahre alt ist die Freiheit der Franken und seht, schon sind sie ein neues, umgeschaffenes Volk; sie die Überwinder unsrer Tyrannen, fallen als Brüder in unsre Arme ... Unsere Sprachen sind verschieden - müssen es darum auch unsere Begriffe sein?" Näheres zu Forster bei D.C. Limbach, Der Weltumsegler Georg Forster - „Weltbürger, Europäer,
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nen geteilten Ideale der französischen Revolution und des mit dem Export der Revolution in den deutschen Landen in der Tat ausgelösten Modernisierungsschubs als Befreiung von drückender Ständestaatlichkeit geradezu enthusiastisch begrüßt, wird sie von den Deutschen bald mehr und mehr als Fremdherrschaft erlebt, die es gemeinsam abzuschütteln gilt. Erst das „Erlebnis der Fremdherrschaft" (F. Schnabel) weckt den Wunsch nach Selbstregierung. In den Befreiungskriegen kommt es zur nationalen Mobilisierung der Deutschen. Dass erst die gefühlsmäßige Erfahrung des Fremden das Eigene voll bewusst macht, ist eine psychologische Erfahrungstatsache. Das aller Nationsbildung eigene Abgrenzungsmoment 31 - „Selbstdefinition durch Feindmarkierung" 32 - ist hier allerdings besonders ausgeprägt und schlägt teilweise bereits in problematischer Weise in auf angebliche kulturelle Überlegenheit gestützte Vorherrschaftsansprüche und verächtliche Geringschätzung, ja Ablehnung fremder Kultur (des „Welschen") um. „So nahm in den Jahren des Zerfalls und der Demütigung der im Widerstand wachsende deutsche Patriotismus notwendig die Züge des aggressiven, militanten und revolutionären Nationalismus an" 33 . „Das nationale Prinzip hatte, da es in seinen deutschen Anfängen ganz im weltbürgerlichen Ideal der Humanität, der Kultur, der allgemeinen Bildung und Gesittung verwurzelt war, in Deutschland in dieser Zeit noch nichts von dem Dynamismus und der Dämonie der Macht, die mit der Revolution in Frankreich in die Erscheinung traten" 34 . Mit dem Eintritt in die Sphäre des Politischen aber verliert der romantisch-deutsche Volksbegriff seine Unschuld. Sobald sich die Volksromantik mit politischen Pathos verbindet, dabei sich aus ihrem geistesgeschichtlichen Zusammenhang mit der nach Humanität strebenden Aufklärung herauslöst, wächst die Gefahr des übersteigerten Nationalismus und des Imperialismus. Aus dem völkerverbindendem Gedankengut Herders droht - missverstanden und politisiert - eine andere Völker missachtende Herrschaftsideologie zu werden. In den Jahren 1807/08 im französisch besetzten Berlin gehaltenen „Reden an die deutsche Nation" macht sich Johann Gottlieb Fichte zunächst den Volksbegriff der Romantiker zueigen: „Die geistige Natur vermochte das Wesen der Menschheit nur in höchst mannigfaltigen Abstufungen an Einzelnen und an der Einzelheit im Großen und Ganzen, an Völkern, darzustellen. Nur wie jedes dieser letzten, sich selbst überlassen, seiner Eigenheit gemäß ... sich entwickelt und
Deutscher, Franke": Versuch über einen frühen Verfassungspatrioten, in: Festschrift E. Benda, Heidelberg 1995, S. 361-393. 31 Siehe dazu nüchtern E.-W. Böckenförde (Fn. 3), S. 42. 32 H. Schulze (Fn. 16), S. 193; siehe schon dens., Gibt es überhaupt eine deutsche Geschichte, Berlin 1989, S. 28. 33 ER. Huber (Fn. 7), § 1 III, S. 14. 34 Ebd.
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gestaltet, tritt die Erscheinung der Gottheit in ihrem eigentlichen Spiegel heraus" 35 . Auch die Bedeutung des Historischen für die Entstehung von Nationen hebt er hervor: „Gemeinschaftliche Geschichte oder trennende entscheidet also für die Bildung zum Volke" 3 6 . Dann erfolgt (scheinbar) die Wendung ins Politische: Überall dort, „wo eine besondere Sprache angetroffen wird", sei „auch eine besondere Nation vorhanden", „die das Recht hat, selbständig ihre Angelegenheiten zu besorgen und sich selbst zu regieren" 37 . Das gelte auch für die Deutschen, deren Besonderheit „eben ihre Existenz ohne Staat und über den Staat hinaus, ihre rein geistige Ausbildung" sei 38 . Doch was sich Fichte vom deutschen Einheitsstaat erhofft, ist nicht die Verwirklichung irgendeiner nationalen Idee, sondern die Realisierung „eines universalen ethischen Ideals" 39 : Der Einheitsbegriff des deutschen Volkes soll „nicht irgendeine gesonderte Volkseigentümlichkeit zur Geltung bringen, sondern den Bürger der Freiheit verwirklichen" 40 . Die erste Aufgabe der Deutschen bestehe darin, „dass sie sich selbst mit Bewusstsein machen", im „Zustandebringen ihrer selbst mit Freiheit" 41 . Aus der in seiner Staatslehre von 1813 enthaltenen Verheißung, „Und so wird von ihnen (den Deutschen) aus erst dargestellt werden ein wahrhaftes Reich des Rechts, wie es noch nie in der Welt erschienen ist ... : Für Freiheit, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschengesicht trägt" 42 , spricht zwar bereits ein übersteigertes Sendungsbewusstsein des deutschen Volkes als des „Urvolkes" 43 , aber es steht noch im Auftrag des höchsten Kulturideals, der Vernunft 44 . So ist denn auch dieses „wahrhafte Reich", das Fichte vorschwebt, ein ideelles, geistiges, metaphysisches, kein reales, politisches. Ihm liegt allein daran, mit dem „deutschen Nationalgeist" „moralische Eroberungen" zu machen. Und in-
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Inhaltsanzeige der Dreizehnten Rede, in: J.G. Fichte, Reden an die deutsche Nation, Berlin 1808, S. 407-449, 422 f. 36 Aus dem Entwurf zu einer politischen Schrift im Frühling 1813, in: J.G. Fichte' s Sämtliche Werke, Bd. 7, Berlin 1846, S. 546-573, 567. 37 Zwölfte Rede (Fn. 35), S. 377-406, 395. 38 (Fn. 36), S. 572. 39 F. Meinecke (Fn. 23), S. 93-127, 127. 40 (Fn. 36), S. 573. 41 (Fn. 36), S. 571. 42 Die Staatslehre, oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche, in: J.G. Fichte' s Sämtliche Werke, Bd. 4, Berlin 1845, S. 367-600, 423. 43 Siebte Rede (Fn. 35), S. 208-242, 209. 44 Vgl. dazu auch E.R. Huber (Fn. 8), § 1 III, S. 15. Kritisch dagegen B. Fischer, Das Eigene und das Eigentliche: Klopstock, Herder, Fichte, Kleist. Episoden aus der Konstruktionsgeschichte nationaler Intentionalitäten, Berlin 1995, S. 230 ff., 249-270. Es sind - auffällige Parallelität - in gleicher Weise die universalistischen Ideen der französischen Revolution, die der „grande nation" als Rechtfertigung für den „Export der Revolution" über die Grenzen Frankreichs hinweg dienen und dem napoleonischen Imperialismus „geistige" Rückendeckung geben sollen.
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dem er im „Entwurf einer politischen Schrift im Frühling 1813" den „Zwingherrn zur Deutschheit" herbeisehnt, huldigt Fichte nicht etwa dem Despotismus, sondern erstrebt die „Erziehung zur Freiheit" 45 . So bleibt hier letztlich doch noch „dieser fortdauernde Zusammenhang der deutschen Nationidee mit ihren allgemein-menschheitlichen Grundvoraussetzungen" erhalten 46. Aber schon Fichtes mitunter gewaltsam anmutende „Ideologie", seine Vorstellungen vom Nationalen und seine Idee des „absoluten Staates", sind realpolitisch missverständlich. Politiker und Generäle waren skrupelund rücksichtslos genug, die Volksseele mit emotionalen Parolen und an die Instinkte appellierenden Feindbildern in Wallung zu bringen, den „Volkshass" zu schüren und den „Volkskrieg" zu propagieren 47. So erklärte Freiherr vom Stein ganz unverhohlen: „Nur indem man den Geist der Nationen aufreizt und in Gärung bringt, kann man es dahin bringen, alle ihre moralischen und physischen Kräfte zu entwickeln", und Ernst Moritz Arndt forderte, allen, die gegen das napoleonische Frankreich zu Felde ziehen, solle gepredigt werden, „wie sie ein viel besseres Volk sind als die Franzosen und daher nicht leiden dürfen, dass diese ihre Herren bleiben". Die machtpolitischen Perspektiven eines einheitlichen deutschen Nationalstaates ließen Wilhelm von Humboldt erschaudern: „Niemand könnte dann hindern, dass nicht Deutschland ... auch ein erobernder Staat würde, was kein ächter Deutscher wollen kann; da man bis jetzt wohl weiß, welche bedeutende Vorzüge in geistiger und wissenschaftlicher Bildung die deutsche Nation, solange sie keine politische Richtung nach außen hatte, erreicht hat, aber es noch unausgemacht ist, wie eine solche Richtung auch in dieser Rücksicht wirken würde" 48 . Doch diese Mahnung und Warnung ging im immer stärker anschwellenden Chor und Rausch der nationalen Bewegung unter. „Was ist des Deutschen Vaterland, ist's Baierland, ist's Schwaben?" fragte Ernst Moritz Arndt in seinem Vaterlandslied von 1813, gewissermaßen der ersten deutschen Nationalhymne. Seine Antwort lautet: Das deutsche Vaterland ist überall dort, wo deutsch gesprochen wird: „So weit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt". Das „ganze Deutschland", das ganze deutschsprachige Siedlungsgebiet, sollte es also sein. In diesem, auf den an die 45 Richtig F. Meinecke (Fn. 23), S. 119. Dagegen glaubt Ernst Moritz Arndt 1803 tatsächlich kein anderes Mittel finden zu können, „wie mein Vaterland je zur Einheit eines Volkes gelangen könne", als dass „ein großes Tyrannen- und Feldherrngenie ... erobernd und verderbend die Deutschen zu Einer Masse zusammenarbeitete, woraus endlich ein gesunder Leib würde". 46 ER. Huber (Fn. 8), § 1 III, S. 15. 47 Siehe dazu sowie zu dem eher diffusen Nationalgefiihl der in die Befreiungskriege ziehenden Deutschen siehe H Schulze (Fn. 16), S. 199-203. 48 Über die Behandlung der Angelegenheiten des Deutschen Bundes durch Preußen, 30.9.1816, in: Gesammelte Werke, Bd. XII, S. 53 f.
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Sprache anknüpfenden, deutschen Volksbegriff zurückzuführenden, weit ausgreifenden Nationsverständnis lag politischer Sprengstoff: Seine Verwirklichung setzte nicht nur die Auflösung des zur großen Enttäuschung der nationalen Bewegung nach den Befreiungskriegen auf dem Wiener Kongreß 1815 nach dem Willen der europäischen Großmächte geschaffenen, transnational konzipierten Deutschen Bundes voraus, sondern musste in Mittel- und Osteuropa, wo Volksgruppen häufig vermischt siedelten und territorial nicht abgrenzbar waren, notwendig zu Verwerfungen und neuen Nationalitätenproblemen mit ethnischkulturellen Minderheiten führen 49 . „Die revolutionären Konsequenzen lagen für die politische Ordnung Mittel- und Ostmitteleuropas auf der Hand, das Scheitern der deutschen Nationalbewegung 1848/49 in ihrem Ziel, einen Nationalstaat zu schaffen, war darin beschlossen"50. Doch darf das Scheitern des Verfassungswerks der Paulskirche nicht den Blick dafür trüben, dass hier wegweisend der Versuch unternommen worden ist, die „zwei Nationalideen, die subjektiv-politische der Französischen Revolution und die objektiv-kulturelle der deutschen Romantik" 51 in einer Synthese zusammenzuführen. Die von der deutschen verfassunggebenden Nationalversammlung beschlossene Reichsverfassung war ein demokratischer Akt des souveränen deutschen Volkes, das sich damit als einheitliches politisches Subjekt konstituierte. „Nicht aus dem bündischen Zusammenschluß der Länder, sondern aus dem ursprünglichen und souveränen Willen des Volkes sollte das Reich als Nationalstaat sich bilden" 52 . Aber ein nationaler Einheitsstaat nach dem Muster der république une et indivisible konnte und sollte es gleichwohl nicht werden. Dem historisch gewachsenen, inneren Gefüge Deutschlands entsprechend, sollte eine föderale Ordnung geschaffen werden, in der die einzelnen deutschen Staaten ihre Selbständigkeit behielten, soweit dieselbe nicht durch die Reichsverfassung beschränkt wurde (§ 5). Noch bedeutsamer aber ist die zur Entschärfung der Nationalitätenproblematik im Grundrechtsbeschluss abgegebene Nationalitätenschutzerklärung 53. In Übereinstimmung damit gewährleistete § 188 „den nicht Deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands ... ihre volkstümliche Entwicklung ..., namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprachen, soweit deren Gebiete reichen, in dem Kirchenwesen, dem Unterricht, der innern Verwaltung und der Rechtspflege". Die Vorschrift, mit der v.a. der besonderen Situati-
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Siehe dazu nur die kurzen Bemerkungen bei H. Hattenhauer (Fn. 15), Rn. 1810, S. 621. 50 E.-W. Böckenförde (Fn. 3), S. 49 f. Fn. 37. Zur Frage nach der großdeutschen oder kleindeutschen Lösung vgl. nur E R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2, 1. Aufl., Stuttgart 1960, § 59 II, S. 796-807. Zum „Nationalitätenproblem der Paulskirche" siehe auch H. Hattenhauer (Fn. 15), Rn. 1815-1817, S. 623 f. 51 H. Schulze (Fn. 16), S. 171. 52 ER. Huber (Fn. 50), § 59 I 1 d), S. 793 f. 53 Stenographische Berichte, Bd. I, S. 183.
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on des österreichischen Vielvölkerstaates angemessen Rechnung getragen werden sollte, bedeutete „die Anerkennung natürlicher, volklicher Gliederungen und ihrer Gleichberechtigung gegenüber dem Mehrheitsvolk" und beinhaltete damit wichtige Elemente eines Minderheitenschutzes 54. Man wird daher dem Urteil Kühnes beipflichten können: „Bei gehöriger Beachtung des § 188 FRV ab 1849 hätte sich eines der dornigsten Probleme im Zeitalter des europäischen Nationalismus wenn nicht vermeiden, so doch jedenfalls für den mitteleuropäischen Raum erheblich abmildern lassen. - Der viel gescholtene Idealismus der Paulskirche zeigte sich gerade in dieser Bestimmung lediglich als der weitsichtigere Realismus"55.
IV. Der „französische" und der „deutsche" Volksbegriff These, Antithese, Synthese Unsere Überlegungen haben zur Genüge gezeigt, dass beide Volksbegriffe ihre Stärken und Schwächen haben. So ist der die staatsbürgerliche Gleichheit betonende, voluntative französische Begriff der Nation einerseits prinzipiell offen auch für Menschen fremder Volkszugehörigkeit, wenn sie der Staatsnation nur angehören wollen und diesen Willen durch den Erwerb der französischen Staatsangehörigkeit unter Beweis stellen. Andererseits verklärt und mystifiziert das demotisch-unitarische Nationskonzept die „nation une et indivisible", und die zur Bestimmung des Willens der Nation allein maßgebliche „volonté générale" verdammt den Willen partikularer Gemeinschaften wie ethnischer Minderheiten zur politischen Bedeutungslosigkeit. Er erweist sich damit als minderheitenblind und - in seiner Ausschließlichkeit - als potentiell minderheitenfeindlich. Im Nationalstaat französischer Prägung ist „eine Vereinheitlichungs- und Assimilierungstendenz,angelegt', die ethnische Vielfalt prinzipiell als problematisch erscheinen lässt" 56 . So hielt das erste Autonomiestatut für Korsika der verfassungsrechtlichen Nachprüfung durch den Conseil Constitu54
J.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, Frankfurt a.M. 1985, § 10, S. 327. Zur Genese sowohl des § 188 der Paulskirchenverfassung als auch des § 21 des Kremsierer Grundrechtsentwurfs ausführlich G. Stourzh, Frankfurt - Wien - Kremsier, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1987, S. 437-456. 55 Ebd., S. 326 f. So auch G. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848-1918, Wien 1985, S. 17-28. Das gilt um so mehr, als für viele Nationalbewegungen in der frühen und mittleren Phase ihrer Entwicklung die Sprachenproblematik von größerer Bedeutung als die weitergehende politische Forderung nach staatlicher Unabhängigkeit war; vgl. M. Hroch, Programme und Forderungen nationaler Bewegungen. Ein europäischer Vergleich, in: H. Timmermann (Hrsg.), Entwicklung der Nationalbewegungen in Europa 1850-1914, Berlin 1998, S. 17-29, 19 ff. 56 F. Heckmann, Ethnische Minderheiten, Volk und Nation, Stuttgart 1992, S. 216. 3*
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tionnel nicht stand57, weil es die sakrosankte Einheit des französischen Volkes in Frage stellte. Frankreich kennt eben von Verfassungs wegen nur französische Staatsbürger, keine Basken, Bretonen, Elsässer oder Korsen. Der deutsche Volksbegriff dagegen ist „sperriger" als der französische: Dem durch Sprache, Abstammung, Geschichte und Kultur geformten Volk gehört man als Schicksalsgemeinschaft an, in sie wird man hineingeboren, in sie wächst man hinein; jeder Volkszugehörige bleibt an sie durch seine Muttersprache zeitlebens und unentrinnbar gebunden58. Man kann sich ihr nicht einfach aus eigenem Willensentschluss entziehen und sich einem anderen Volk in diesem Sinne anschließen. Andererseits ist dieser individuell-historische Volksbegriff eher in der Lage, die von Sprache, Kultur und Geschichte bestimmten Eigenheiten verschiedener Völker und Volksgruppen angemessen zu berücksichtigen. Es ist zwar richtig, dass „die Norm, Nationalstaaten als kulturell möglichst homogene Gebilde zu etablieren,... die im Sinne der Nationalkultur heterogenen Gruppen, die im Staatsgebiet leben, (überhaupt erst) zu ethnischen Minderheiten [macht]" 59 , aber diese ethnischen Minderheiten haben auch ihrerseits „an der Kraft des nationalen Prinzips Rückhalt und Schutz gewonnen"60. Zugleich kann ein Volkskonzept im humanitären Herderschen Sinne gerade das Bewusstsein für die besondere, schutzbedürftige Lage von Minderheiten schärfen. Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade im deutschsprachigen Raum, in dem sich der „deutsche" Volksbegriff durchsetzte, weit mehr als irgendwo sonst die Fragen der Rechte von Volksgruppen und Minderheiten immer wieder im Mittelpunkt theoretischer Erörterung und vielfältiger praktischer Bemühungen gestanden haben und stehen. Allen Bestrebungen, die beiden Volksbegriffe gegeneinander auszuspielen, in schrecklicher Vereinfachung den einen „französischen" für aufgeklärtmodern, westlich und fortschrittlich, den anderen „deutschen" für mystisch, rückwärtsgewandt-romantisch und fremdenfeindlich zu erklären, ist deshalb eine entschiedene Absage zu erteilen. Es gilt vielmehr, die beiden Volksbegriffe zu kombinieren, weil sie aus unterschiedlichem Blickwinkel einander ergänzende, nicht (notwendig) widersprechende Erkenntnisse auf den Begriff bringen, Erkenntnisse, deren kumulative Beachtung, politische Durchsetzung und rechtliche Transformation erst die normativen Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Volksgruppen innerhalb multiethnischer Staaten schafft.
57 Conseil Constitutionnel, Décision n° 91-290 DC du 9 mai 1991, § 13 (betreffend das „Loi portant statut de la collectivité territoriale de Corse"). 58 Siehe dazu H. Schulze (Fn. 16), S. 170 f. 59 F. Heckmann (Fn. 56), S. 211. 60 E.R. Huber (Fn. 8), § 1 II, S. 9.
Minderheitenschutz und Volksbegriff in der ideengeschichtlichen Diskussion
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Dabei ist zunächst und in erster Linie an dem Konzept der demokratischen Staatsbürgernation unbedingt festzuhalten. Hinter die politische Aufklärung, hinter die Ideen von 1789, darf es kein Zurück geben. Demokratie, dessen Essenz und Substrat das politisch selbstbewusste Volk bildet, ist nach aller, zum Teil leidvollen historischen Erfahrung, die seitdem mit der Erprobung anderer Herrschaftsmodelle gemacht worden ist, nach menschlichem Ermessen die bestmögliche und daher gültige Form der Organisation politischer Freiheit. Es wäre allerdings ahistorisch anzunehmen, dass sich dieses (Staats-)Volk als creatio ex nihilo ohne objektiv vorfmdliche, einheitsstiftende Vorbedingungen als reine Bekenntnisgemeinschaft von selbst konstituiert 61 . Auch Ernest Renans berühmte Formulierung „L'existence d'une nation est une plébiscite de tous les jours" 6 2 , verlegt das fortwährende Dasein, nicht die Essenz einer Nation in die tägliche Volksabstimmung. Demokratie und Menschenrechte allein lösen jedoch noch nicht die spezifischen Probleme von ethnischen Minderheiten, bieten für sich genommen noch keine hinreichende Gewähr für (Fort-)Bestand und Entwicklung von Volksgruppen, d.h für ihre kulturelle Selbstbehauptung. Minderheitenschutz gebietet die Verbindung beider Volksbegriffe zu einer einheitlichen Gesamtkonzeption. Wie aber kann Minderheitsschutz demokratieverträglich organisiert werden? Damit es weder zur Auflösung der (National-)Staatlichkeit noch zu demokratisch inakzeptabler staatsbürgerlicher Ungleichheit innerhalb eines einheitlichen Staatswesens kommt, bietet sich als Lösung in erster Linie das Konzept der (je nach historischer Ausgangslage und gegenwärtiger Situation personellen oder territorialen) Autonomie an. Dieses Konzept greift die Grundidee moderner Staatlichkeit, die politische Selbstbestimmung des Volkes, auf und differenziert sie im Inneren näher aus. So kommt es zu gegliederter Staatlichkeit, die nicht mit ihrer Auflösung verwechselt werden darf. Autonome Selbstverwaltung, funktional begrenzt und durch allgemeine Gesetze im gesamtstaatlichen Interesse beschränkt, schafft für die kulturelle Selbstentfaltung von Volksgruppen innerhalb der größeren nationalstaatlichen Einheit den notwendigen, aber auch ausreichenden Raum.
61 Richtig J.G. Fichte, Reden an die deutsche Nation, 1808, 6. Rede (Fn. 36), S. 344358, 353 f.: „Der vernunftgemäße Staat lässt sich nicht durch künstliche Vorkehrungen aus jedem vorhandenen Stoffe aufbauen, sondern die Nation muss zu demselben erst gebildet und heraufgezogen werden". Nach C. Schmitt, Verfassungslehre, Berlin 1928, S. 236 besteht die vorpolitische, naturgegebene Einheit „in der substanziellen Gleichartigkeit des Volkes". E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR Bd. I, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 22 Rn. 63 f. (S. 929 f.) hält eine „relative Homogenität innerhalb der Gesellschaft" für eine sozio-kulturelle Voraussetzung der Demokratie. 62 Qu'est-ce qu'une nation?, Paris 1882, p. 27. Sie daran die „deutsche" Kritik von F.H. Geffcken, in: A.W. Heffter/F.H. Geffcken, Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart auf den bisherigen Grundlagen, 8. Aufl., Berlin 1888, § 65, S. 149 f. Fn. 4: „Renan ... unterschätzt die Gemeinsamkeit der Abstammung und Sprache".
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V. Die Zukunft der europäischen Nationen und Volksgruppen im vereinten Europa Auch das über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg zusammenwachsende Europa kann politisch betrachtet nur ein gegliedertes, die europäischen Nationen und Volksgruppen übergreifendes, aber nicht überwältigendes Ganzes, nur Einheit in Vielheit und Vielfalt 63 sein, um der Nationen und der in ihnen lebendigen Demokratien willen sowie der zahlreichen ethnischen Minderheiten wegen. Von der fiktiven Idee eines „europäischen Volkes", das nur künstlich geschmiedet werden könnte, gilt es Abschied zu nehmen; nur die „Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas" kann das Ziel sein (Art. 1 Abs. 2 EUV 6 4 ); die Unionsbürgerschaft (Art. 17 ff. EGV) begründet denn auch keine einheitliche europäische Staatsangehörigkeit. Die historisch-kontingente Verbindung von Nationalstaat und Demokratie 65 lässt sich nicht einfach auflösen. Der französische Premierminister Lionel Jospin hat recht: „Die Nation bleibt der Ort, in dem das Herz der Demokratie schlägt und der größten Solidarität Ausdruck verliehen wird". Nur muss die Nation, ihrer Eigenart bewusst, dafür offen und bereit sein, sich nicht abzuschließen und absolut zu setzen, sondern gleichberechtigt auch Teil eines größeren Ganzen zu sein und sich darin einzufügen" 66. So wenig sie isoliert, autark und impermeabel gegenüber allen von außen wirkenden, sie mit anderen Nationen zu einer höheren Einheit verbindenden Kräften sein darf, so wenig darf sie in ihrem Inneren auf radikalem Unitarismus bestehen, um in ethnischer Hinsicht Homogenität, ja Uniformität zu erzwingen. Daher muss auch das europäische Haus nicht nur für die Völker der in Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten, sondern auch für die vielen in ihnen existenten minoritären Volksgruppen wohnlich gestaltet werden. Dafür bedarf es v.a. der Anerkennung einer „dritten Ebene", autonomer Körperschaften als Untergliederungen der Mitgliedstaaten, die in vielerlei Gestalt vorstellbar sind. Die bisher eher schüchternen Ansätze eines „Europas der Regionen" im Recht der Europäischen Union 67 müssen - nicht zuletzt zum Wohle der Volksgruppen, damit mittelbar aber auch im gesamteuropäischen Gemeinwohlinteresse - institutionell verstärkt und verfestigt werden; denn nur dann verfügt
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Schon J. Görres' Entwurf einesföderalistischen Modells für „Die künftige teutsche Verfassung" (Rheinischer Merkur, Nr. 104-107 v. 18., 20., 22., 24.8.1814, in: Gesammelte Schriften, Bd. 6-8, Köln 1928, O.S.) in der postnapoleonischen Ära hielt „die starke Einheit in der freien Vielheit" für die beste Lösung. 64 Siehe auch die Formulierungen in Art. 189 Abs. 1, 190 Abs. 1 u. 2 S. 2 EGV. 65 J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, in: ders., Faktizität und Geltung, 1992, S. 632, 637 und 642. 66 E.-W. Böckenförde (Fn. 3), S. 58. 67 Zum beratenden Ausschuß der Regionen siehe Art. 263-265 EGV.
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das europäische Haus über eine insgesamt stabile Statik, und kann die kulturelle Vielfalt, die die europäischen Völker kennzeichnet, voll zur Geltung kommen 68 . Schon Herder schwebte ähnlich wie Kant für Europa als politische Form der Einheit in Vielheit ein „Völkerbund" vor. Als eines der Räder im „Triebwerk Europas im Ganzen" erkannte er den „Handelsgeist in Europa", als eigentliches movens aber eine spezifische „Kultur der Vernunft in Europa" 69 . „Welcher Art die neue Kultur Europas sein konnte, ist aus dem Vorhergehenden auch sichtbar: nur eine Kultur der Menschen, wie sie waren und sein wollten ... ; an eine durch Erziehung, Gesetze und Konstitution der Länder allgemein durchgreifende Bildung aller Stände und Völker war damals noch nicht zu gedenken, und wenn wird daran zu gedenken sein?" Herders optimistische Antwort lautet: „Indessen geht die Vernunft und die verstärkte gemeinschaftliche Tätigkeit der Menschen ihren unaufhaltsamen Gang fort ..." 70 . Hoffen wir gemeinsam auf einen Sieg der politischen Kultur der Vernunft in Europa!
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Abstract Christian Hillgruber. The Philosophical Debate on Minority Protection and the Concept of Nation since the Enlightenment, In: Minority Protection and Democracy. Ed. by Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2004) pp. 21-39. Is minority protection a necessity, and, if so, how may it be justified under general conditions of freedom and equality? Different answers to this question have been suggested, and the reasoning behind them is at least in part based on divergent and competing definitions of ,people'. These conceptions have developed since the age of Enlightenment and became legally and politically established during the period of nation states. A division can typically be made between the enlightened ("French") and the historical-individual ("German") notion of people. Both should ideally be combined, as each draws on a different perspective and is able to contribute mutually complementing insights whose observance, political enforcement, and legal transformation constitute the nor-
68 Allgemein zur Rechtsstellung der „Minderheiten im Unionsrecht" jüngst P. Hilpold, AVR 39 (2001), S. 432-471. 69 Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1784, in: Herders Werke in fünf Bänden, Bd. 4, Berlin und Weimar 1964, Zwanzigstes Buch, I., IV., S. 422-429, 449-458. 70 Ebd., VI. Schlussbetrachtung, S. 465.
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mative prerequisites for a peaceful coexistence of different ethnie groups in multiethnic states. Europe, which is growing together across national borders, can only thrive on a unity based on diversity and multiplicity, not on an overwhelming total.
Demokratie und Freiheit im multiethnischen Staat Von Dietrich Murswiek
I. Wozu Minderheitenschutz? - Theoretische Überlegungen Wozu brauchen wir Minderheitenschutz in einem Staat, der demokratisch organisiert ist und der die individuellen Menschenrechte achtet? Sind nicht in einem solchen Staat die Angehörigen ethnischer Minderheiten genauso gut geschützt wie die Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung? Haben sie nicht exakt dieselben Rechte und Freiheiten und somit auch dieselbe Chance, sich zu entfalten und ihre Ziele zu verwirklichen? Diese Fragen zu stellen, heißt für viele schon, sie zu bejahen. Die Notwendigkeit besonderer Minderheitenrechte wird angesichts der individuellen Freiheitsrechte und des Diskriminierungsverbots immer wieder in Abrede gestellt. Deshalb möchte ich mich in diesem Vortrag mit den theoretischen Grundlagen des Minderheitenschutzes beschäftigen. Ich möchte das Verhältnis von Minderheitenschutz zu Freiheit und Demokratie auf einer allgemeinen, abstrakten, also nicht auf ganz bestimmte Probleme in bestimmten Ländern bezogenen Ebene untersuchen und auf diese Weise einen Beitrag zur Begründung und Rechtfertigung des Minderheitenschutzes leisten. Ich werde meinen Vortrag in drei Hauptteile gliedern: Im ersten Teil werde ich allgemein über Demokratie und Freiheit sprechen, im zweiten Teil über die besonderen Freiheitsfragen, die sich für die demokratische Staatsorganisation aus der ethnischen Differenz der Völker ergeben, und im dritten Teil werde ich auf die Probleme eingehen, die sich für die demokratische Legitimation und die Freiheitsgewährleistung speziell im multiethnischen Staat ergeben. Ich verwende den Begriff des multiethnischen Staates in diesem Vortrag in einem sehr weiten Sinne, nämlich für jeden Staat, auf dessen Gebiet seit jeher mehrere Völker oder Volksgruppen bzw. ethnische Minderheiten leben. In diesem weiten Sinne ist ein multiethnischer Staat nicht nur ein Vielvölker- oder Nationalitätenstaat, sondern auch ein von einem ethnischen Mehrheitsvolk geprägter Nationalstaat, dessen Territorium zugleich die Heimat einer oder mehrerer ethnischer Minderheiten ist.
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I I . Demokratie und Freiheit Nun also zum ersten Teil, Demokratie und Freiheit. Wenn ich in diesem Teil meines Vortrags von Mehrheit und Minderheit spreche, meine ich damit nicht ethnische Mehrheiten und Minderheiten, sondern die Mehrheit und Minderheit bei demokratischen Wahlen und Abstimmungen. - Grundlage der modernen Demokratie, wie sie sich seit der Aufklärung in der westlichen Welt entwickelt hat, ist die Idee der individuellen Autonomie 1. Freiheit und Gleichheit des Individuums sind die Grundideen westlicher Staatsverfassungen und darüber hinaus der universellen Menschenrechte. Auf diesem Fundament kann politische Herrschaft nicht anders legitimiert werden als durch freie Zustimmung der Staatsbürger. Demokratie ist die notwendige staatsorganisatorische Konsequenz aus der Idee der individuellen Autonomie. Sind alle Menschen rechtlich gleich, dann ist es ausgeschlossen, irgendeinem Menschen ein besseres Recht zur Herrschaft zuzusprechen als allen anderen Mitgliedern des Herrschaftsverbandes. Obwohl somit eine zwingende Beziehung zwischen der Idee der Freiheit und Gleichheit und der demokratischen Legitimation politischer Herrschaft gegeben ist, besteht andererseits ein Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Freiheit. Das liegt schon daran, dass auch demokratische Herrschaft Herrschaft ist. Und Herrschaft von Menschen über Menschen ist immer Einschränkung individueller Freiheit. Das ist völlig unvermeidbar. Die von Rousseau postulierte Auflösung dieses Konflikts in der demokratischen Identität von Herrschern und Beherrschten lässt sich praktisch nicht verwirklichen. Demokratie ist in der Praxis nicht Herrschaft aller Menschen über sich selbst, sondern Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. 2 Konflikte zwischen einer so verstandenen demokratischen Herrschaft und individueller Freiheit gibt es insbesondere unter folgenden Gesichtspunkten: Die Freiheit des Einzelnen wird durch staatliche Gebote und Verbote eingeschränkt. Außerdem wirkt der Staat in vielfältiger Weise indirekt auf die faktischen Mög1 Zum Demokratieprinzip umfassend Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR, Bd. I, 1987, § 22, hier insb. Rn. 3. 2 Es kann sogar sein, dass in einem System, das wir als demokratisch ansehen, eine Minderheit über die Mehrheit herrscht. Das kann verschiedene Gründe haben. Zum Beispiel kann das Wahlsystem ein Ergebnis produzieren, das einer Partei, die weniger Stimmen als eine andere oder als mehrere andere zusammen erhalten hat, zur absoluten Parlamentsmehrheit und damit zur Alleinregierung und ihrem Kandidaten zur Position des Premierministers verhilft. Es kann auch daran liegen, dass in bestimmten Sachfragen die große Mehrheit des Volkes eine andere Meinung hat als die von der Mehrheit legitimierte Regierung. Auf solche Besonderheiten gehe ich jetzt nicht weiter ein. Für die Zwecke meines Vortrages reicht es aus, den typischen Fall zu betrachten, in dem Demokratie als Mehrheitsherrschaft verstanden werden kann, genauer: als ein System der Legitimation politischer Herrschaft, in welchem die Regierung - direkt oder indirekt - von der Mehrheit der wahlberechtigten und sich an der Wahl beteiligenden Staatsbürger bestimmt wird.
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lichkeiten ein, die der Einzelne hat, um von seiner Freiheit Gebrauch zu machen, im wirtschaftlichen Bereich beispielsweise durch Konjunkturpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Außenwirtschaftspolitik, oder im kulturellen Bereich durch Bildungspolitik, Medienpolitik, Film- oder Theaterforderung usw. Die indirekten Einflüsse können die realen Freiheitsausübungsmöglichkeiten des Einzelnen verkürzen, aber auch erweitern. Mit der Erweiterung seiner Freiheit wird der Einzelne immer einverstanden sein, wenn sie nicht durch Verkürzungen an anderer Stelle bewirkt wird. Legitimationsprobleme bereiten die Freiheitsverkürzungen. Sie sind unproblematisch, soweit der Einzelne mit ihnen einverstanden ist. Das ist häufig durchaus der Fall. Man denke nur an die Grundregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die notwendig sind, um überhaupt eine Rechtsordnung zu konstituieren, die diesen Namen verdient, im Kern also an den allgemeinen Grundsatz, dass man niemandem Schaden zufügen darf. Das Verbot von Mord, Totschlag, Diebstahl und all die anderen Verbote, die dem Schutz individueller Rechtsgüter dienen, sind zwar Freiheitseinschränkungen, aber sie sind gerade zur Sicherung der individuellen Freiheit notwendig, die ja nicht nur gegen Übergriffe des Staates, sondern ebenso gegen Verletzungen durch Private gesichert werden muss. Der moderne Staat beschränkt sich aber nicht darauf, in diesem Sinne gemäß dem kategorischen Imperativ die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen kompatibel zu machen. Er erlässt Tausende nicht von jedem als unbedingt notwendig akzeptierter Vorschriften, und er schafft - ζ. B. durch wirtschaftspolitische, kulturpolitische, verkehrspolitische, umweltpolitische Maßnahmen, im Extremfall auch durch Kriegführung - reale Verhältnisse, die die Freiheit des einzelnen, die rechtliche Freiheit oder die realen Freiheitsverwirklichungsmöglichkeiten, in einschneidender Weise verkürzen, ohne dass jedem Bürger der Sinn dieser Maßnahmen einleuchtet. Ja, in vielen Fällen wird der Betroffene die Maßnahmen als unsinnig und ungerechtfertigt empfinden. Dieser große Bereich staatlicher Aktivitäten mit freiheitsverkürzender Wirkung, der über das liberale Minimum notwendiger Freiheitseinschränkungen hinausgeht, ist es, der ein Spannungsfeld zwischen Demokratie und Freiheit erzeugt. Natürlich wird es auch in diesem Bereich immer viele von Freiheitseinschränkungen Betroffene geben, die diese für sinnvoll halten und mit ihnen einverstanden sind. Sie werden solche Regelungen oder Maßnahmen nicht als belastend empfinden. Wer mit einem gesetzlichen Verbot einverstanden ist, für den ist dieses Verbot zwar rechtlich eine Freiheitseinschränkung; da er sie aber billigt, ist sie mit seiner Freiheit vereinbar. Freiheit ist immer auch die Freiheit, Bindungen einzugehen, Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Wer einem Gesetz bei einer Volksabstimmung zustimmt oder wer einem Parlamentsgesetz innerlich zustimmt, der wird die durch dieses Gesetz statuierten Freiheitsbeschränkungen nicht als belastend empfinden.
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Es gibt aber immer eine Vielzahl staatlicher Freiheitsbeschränkungen oder sonst sich auf die Freiheit negativ auswirkender staatlicher Maßnahmen, denen viele Einzelne nicht zustimmen. Wir hätten kein Freiheitsproblem, wenn alle Menschen mit allen staatlichen Vorschriften und Maßnahmen einverstanden wären. Dann gäbe es so etwas wie eine herrschaftsfreie Gesellschaft. Niemand würde von anderen beherrscht, auch wenn nur wenige Parlamentsfunktionen und Regierungsämter ausüben; es geschähe politisch ja nur das, was jeder einzelne ebenfalls will. Das ist natürlich nie der Fall. Es ist ein Gedankenspiel, das dazu dient, das Freiheitsproblem zu veranschaulichen. Wirkliche Freiheitseinbußen, Herrschaftsunterworfenheit, gibt es nur insoweit, wie der Einzelne den politisch Handelnden nicht zustimmt. Da dies praktisch immer in sehr großem Umfang der Fall ist, gibt es in der Demokratie in großem Umfang Herrschaft von Menschen über Menschen, also (im besten Falle) von der Mehrheit legitimierte Herrschaft über die Minderheit. Weil dies so ist, ist die individuelle Freiheit auch in der Demokratie gefährdet, wenn sie nicht wirksam gegen Machtmissbrauch geschützt wird. Dazu dienen die rechtsstaatlichen Vorkehrungen, die die Staatsmacht beschränken, auf verschiedene Organe verteilen, die sich gegenseitig ausbalancieren und kontrollieren sollen. Dazu dienen vor allem die Grundrechte, die die individuelle Freiheit auch gegen die Parlamentsmehrheit schützen, und dazu dient ein System des Rechtsschutzes durch unabhängige Gerichte. Dies alles verhindert, wenn es denn gut funktioniert, dass die Mehrheit sich zur Tyrannei über die Minderheit aufschwingt und Demokratie zur Mehrheitsdespotie entartet. Es verhindert aber nicht, dass es in einem System der Mehrheitsherrschaft Freiheitseinschränkungen geben kann, die sehr weitgehend sind und von der Minderheit als kaum tragbar empfunden werden. Die individuellen Grundrechte können zwar verhindern, dass der einzelne in seinen eigenen individuellen Rechtspositionen unzumutbar beeinträchtigt wird. Sie verhindern aber nicht, dass der Staat sehr weitreichende, vielfältige Freiheitseinschränkungen vornimmt, die der betroffene Einzelne als nicht sinnvoll und nicht gerechtfertigt ansieht. Und was die Grundrechte von vornherein nicht verhindern können, ist, dass die Mehrheit Lebensverhältnisse schafft, die der Mehrheit zwar behagen, unter denen die Minderheit jedoch nicht leben mag, ja, die vielleicht sogar fur diese völlig unerträglich sind. Auch das betrifft die Freiheit des einzelnen, nämlich die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen der individuellen Freiheitsausübung. Auf diese aber erstreckt sich die Schutzfunktion der Freiheitsrechte grundsätzlich nicht. Wir können also zunächst festhalten: Die Verbindung von Demokratie und Rechtsstaat verhindert zwar, dass die Demokratie zur Diktatur der Mehrheit entartet. Was sie nicht verhindern kann, ist, dass die Freiheit - jedenfalls die der Minderheit, unter Umständen auch die der Mehrheit - in sehr weitreichender und von den Betroffenen als nicht tragbar angesehener Weise beeinträchtigt wird.
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I I I . Demokratie und Ethnos Daher kommt es darauf an, ein demokratisches Gemeinwesen so zu gestalten, dass Freiheitseinschränkungen, die mit jeder politischen Herrschaft unvermeidlich verbunden sind, aufs Ganze gesehen so wenig einschneidend wie möglich ausfallen. Um zu einer unter diesem Gesichtspunkt optimalen Staatsorganisation zu kommen, muss man sich zunächst vor Augen fuhren, wovon es abhängt, dass Freiheitseinschränkungen als belastend - und damit überhaupt als Ausübung von Herrschaft - empfunden werden. Mit einer rein formalen Betrachtung, die allein die Anzahl und Reichweite staatlicher Verbote oder Gebote in Betracht zieht, wenn es darum geht, den Umfang staatlicher Freiheitseinschränkungen zu „messen", wäre hier nichts gewonnen. Denn viele solcher Ge- und Verbote erweitern die effektiven Freiheitsausübungsmöglichkeiten vieler oder der meisten Menschen. Ob jemand die Entscheidungen der Regierung und insbesondere Gesetze mit freiheitseinschränkenden Wirkungen als belastend und als negativ für seine persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten empfindet, hängt von seinen persönlichen Einstellungen und Interessen ab. Das sind subjektive Faktoren, die man dem Gesetz nicht ablesen kann. Sie drücken sich vielmehr in Zustimmung oder Ablehnung des Gesetzes bzw. anderer staatlicher Maßnahmen aus. Werden Freiheitseinschränkungen immer dann als belastend empfunden, wenn man mit ihnen nicht einverstanden ist, dann hängt die Intensität der Herrschaft in einem Staat und als Kehrseite davon die Intensität der Freiheitseinschränkungen, die insgesamt in diesem Staat vorgenommen werden, vom Umfang der Meinungs- oder Interessengegensätze ab, die zwischen Herrschern und Beherrschten bestehen. Hätten alle Menschen zu allen politischen Fragen dieselben Auffassungen und Interessen, dann gäbe es keine Freiheitseinschränkungen und keine Herrschaft, angesichts der Interessenidentität zwischen Herrschern und Beherrschten genau genommen auch keine Politik (im Innern des Staates). Herrschaft und Freiheitseinschränkungen gibt es deshalb, weil es Interessen· und Meinungsunterschiede gibt. Herrschaft besteht darin, dass sich ein politisches Interesse einseitig gegen ein anderes durchsetzt. Wie intensiv die Herrschaft ist und wie groß die entsprechenden realen Freiheitsverluste sind, hängt deshalb davon ab, wie groß die Unterschiede und Auffassungen innerhalb eines Gemeinwesens in bezug auf das sind, was politisch als entscheidungsbedürftig angesehen wird. Umgekehrt: Je größer der allgemeine Konsens darüber, wie man in dem Gemeinwesen zusammenleben will, und je geringer die Auffassungsunterschiede, die es hierüber gibt, desto weniger intensiv ist die Herrschaft und desto größer die Freiheit auch derjenigen, die in der Minderheit sind. Je umfangreicher die Selbstverständlichkeiten des Zusammenlebens sind, die von niemandem in Frage gestellt werden, desto geringer ist der Umfang der Materien, über die überhaupt politisch entschieden und in bezug auf die überhaupt Herrschaft ausgeübt werden muss. Und auf den Gebieten, auf denen Auffas-
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sungsunterschiede bestehen, kommt es entscheidend darauf an, wie groß die Auffassungsunterschiede sind. Geht es nur um Unterschiede hinsichtlich der Frage, wie man bestimmte Dinge am zweckmäßigsten, am effektivsten löst, oder geht es um grundlegende Wertentscheidungen, um weitreichende ethische Differenzen, um Fragen, die die sittliche Existenz des Einzelnen berühren? Die Intensität der politischen Herrschaft hängt von quantitativen und vor allem von qualitativen Aspekten ab. Interessenunterschiede sind in der pluralistischen Gesellschaft normal. Sie bestehen in Tausenden von Fragen auf einem sozusagen kleinen oder mittleren Niveau individueller Betroffenheit. Meist berührt es den Einzelnen nicht sehr tief, wenn er sein Interesse nicht oder nicht in vollem Umfang durchsetzen kann. Und regelmäßig wird es so sein, dass die Interessen unter den vielen Menschen so gemischt sind, dass bei der Durchsetzung der Interessen ein Ausgleich stattfindet und der Einzelne bei der Interessendurchsetzung nicht immer den Kürzeren zieht, sondern mal mehr, mal weniger seine Interessen wahren kann. Sind die Interessenunterschiede in einer Gesellschaft gering, dann können regelmäßig alle Einzelnen mit der Mehrheitsherrschaft ganz gut leben, auch wenn die Quantität der Fälle, in denen der Staat das eine Interesse mit seinen Maßnahmen begünstigt und das andere benachteiligt, groß ist. Für die individuelle Freiheit und für die Legitimation staatlicher Herrschaft ist deshalb weniger die Zahl der Fragen von Bedeutung, in bezug auf die irgendwelche Interessenunterschiede bestehen, als vielmehr die Größe, die Qualität der in der Gesellschaft vorhandenen Interessen- bzw. Meinungsdifferenzen. Je größer die Differenzen innerhalb einer Gesellschaft, desto problematischer wird die Mehrheitsentscheidung, der die Minderheit sich zu beugen hat. Denn je größer die Differenzen, desto intensiver ist die mit der Mehrheitsentscheidung verbundene Freiheitseinschränkung 3. Was folgt daraus für die Organisation politischer Herrschaft? Wenn die Intensität der Herrschaft auf der einen, der mit ihr verbundenen Freiheitseinschränkung auf der anderen Seite davon abhängt, wie groß die politischen Gegensätze innerhalb des Gemeinwesens sind, dann muss die unter dem Aspekt individueller Freiheit optimale Staatsorganisation so aussehen, dass die territo3 Diese Betrachtung erfasst das Freiheitsproblem materiell-wertend, im Unterschied zu einer formalen Betrachtungsweise, wie sie im Ansatz in der Grundrechtsdogmatik angewandt wird. Für eine formale Betrachtungsweise spielt die gesellschaftliche Differenz keine Rolle. Für die materiell-wertende ist sie aber entscheidend: Würde beispielsweise ein Staat den Mittwoch als gesetzlichen Feiertag bestimmen und wären die in diesem Staat lebenden Menschen allesamt Agnostiker oder Atheisten, dann wäre diese Regelung keine intensivere Freiheitseinschränkung als die Bestimmung des Sonntags zum gesetzlichen Feiertag. Handelt es sich bei der Mehrheit oder auch nur bei einem großen Teil der Bevölkerung um gläubige Christen, dann wirkt die formal gleiche Regelung als eine um ein Vielfaches stärkere Freiheitseinschränkung. Praktisch wirkt sich in diesem Beispiel die gesellschaftliche Differenz dann als freiheitsrelevant aus, wenn es innerhalb eines Staates verschiedene Religionen gibt, die von ihren Gläubigen an unterschiedlichen Tagen Arbeitsruhe verlangen.
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rialen politischen Entscheidungseinheiten so zugeschnitten werden, dass innerhalb ihres Gebietes die vorgegebenen Differenzen möglichst gering sind. Dabei kann natürlich nicht auf zufällige, wechselnde Meinungsdifferenzen abgestellt werden, sondern nur auf vorgefundene, relativ stabile Differenzen. Und da der Staat eine territoriale Entscheidungseinheit ist, kann nur an Merkmale angeknüpft werden, die auch territorial zugeordnet werden können. Solche Differenzen sind - und nun kommen wir zum Thema Ethnos und ethnische Minderheiten - vor allem ethnisch bedingte Differenzen: Sprache, Abstammung, historisch-kulturelle und religiöse Prägung, die Merkmale also, die ein Volk oder eine Volksgruppe im ethnischen Sinne ausmachen. Diese Merkmale sind im Hinblick auf die Freiheitsverwirklichungsmöglichkeiten des Einzelnen qualitativ besonders bedeutsame Merkmale, weil sie zum einen für die Lebensgestaltung besonders wichtig sind, ja geradezu existenziellen Charakter haben können, und es sich zum anderen nicht um beliebig wählbare Eigenschaften handelt. Der Einzelne wird in seine ethnische Gruppe hineingeboren, wächst mit seiner Muttersprache auf, wird in den Lebensgewohnheiten seines Volkes sozialisiert. Er wird geprägt durch all das, was in dieser Gruppe als selbstverständlich und unhinterfragt gelebt wird. Und seine Freiheit wird dort besonders intensiv beeinträchtigt, wo dieses für ihn als selbstverständlich Erfahrene nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen gelebt werden kann. Wer sich im öffentlichen Leben nicht in seiner Muttersprache ausdrücken kann, hat wesentlich schlechtere Möglichkeiten der Freiheitsentfaltung als derjenige, der sich seiner Muttersprache bedienen kann. Ethnische Differenzen sind also einerseits historisch relativ stabile Differenzen, andererseits die Lebensverhältnisse besonders stark prägende Differenzen. Daraus folgt, dass die Chancen für die Verwirklichung individueller Freiheit auf Dauer dort am größten sind, wo es solche Differenzen nicht gibt. Der auf ein Volk im ethnischen Sinne aufbauende Nationalstaat ist also - vom theoretischen Ansatz her - die freiheitlichste und zugleich demokratischste Form des staatlichen Gemeinwesens. Sind Staatsvolk und Volk im ethnischen Sinne identisch, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass in existenziellen Fragen in diesem Gemeinwesen Konsens besteht, jedenfalls größer als in multiethnischen Gemeinwesen.4 Dann ist in der Regel der Konsens über fundamentale Fragen, der Fundus an gesellschaftlich akzeptierten Selbstverständlichkeiten groß und die Unausweichlichkeit staatlicher Entscheidungen, die sehr einschneidend die individuelle Freiheit verkürzen, gering. Und daher ist in einem solchen Gemeinwesen die demokratische Mehrheitsherrschaft auch für die bei der Wahl unterlegene Minderheit erträglich: Es wird ja nur über solche Fragen entschieden, 4 Das ist eine empirisch fundierte Wahrscheinlichkeitsaussage, die natürlich Gegenbeispiele zulässt. Aber harmonischen Beispielen wie der Schweiz stehen viel mehr Beispiele von Staaten gegenüber, in denen Angehörige unterschiedlicher ethnischer Gruppen einander die Köpfe einschlagen.
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welche die Freiheit lediglich auf einem niedrigen oder mittleren Beeinträchtigungsniveau betreffen. 5 W e i l das so ist, war der Nationalstaat i m 19. Jahrhundert ein so attraktives M o d e l l und ist er es in vielen Gegenden der Welt noch heute. Die Nationalstaatsbewegungen des 19. Jahrhunderts waren zugleich Freiheitsbewegungen. Der Nationalstaat ist der Idealtypus des demokratischen Staats. Jeder weiß, dass die politische Praxis auch in einem Nationalstaat von dem Ideal der freiheitlichen Demokratie weit entfernt sein kann. A u c h i m ethnisch fundierten Nationalstaat sind Diktatur, Tyrannei, Freiheitsvernichtung ebenso möglich wie in anderen Staaten. U n d die Geschichte hat gezeigt, dass die freiheitliche Grundidee des Nationalstaats zu einem die eigene Nation absolut setzenden und andere V ö l k e r und Volksgruppen missachtenden Nationalismus pervertiert
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kann. Aber eine solche Perversion ist in der Nationalstaatsidee ebensowenig angelegt, wie die Exzesse der Jakobiner eine notwendige Folge der Aufklärung sind. Strukturell sind die Voraussetzungen dafür, dass ein freiheitliches Gemeinwesen gelingt, i m Nationalstaat besser, die Chancen für dieses praktische Gelingen größer, der Umfang der unvermeidbaren intensiven Freiheitseinschränkungen geringer als in anderen Staatstypen 6 . Deshalb ist es auch zutref5 Man darf natürlich nicht übersehen, dass die relative kulturelle Homogenität von Völkern, Volksgruppen und Nationalstaaten einem Erosionsprozess ausgesetzt ist, der von zwei Seiten auf sie einwirkt: Einerseits ebnen Internationalisierung, Globalisierung und der weltweite Siegeszug der technischen Zivilisation ethnische und nationale Unterschiede ein. Andererseits zerbröselt der Bestand an überlieferten kulturellen Gemeinsamkeiten in Ethnien und Nationalstaaten im Zuge der allgemeinen Individualisierung. Aber dieser Prozess der Entnationalisierung der Nationalstaaten, der durch Migrationsbewegungen und Geburtenschwund bei der einheimischen Bevölkerung dramatisch verschärft wird, hat noch nicht dazu gefuhrt, dass die ethnischen Unterschiede belanglos geworden sind. Für die Sprache ist das besonders evident. Und bis auf den heutigen Tag sind es weltweit vor allem ethnische Differenzen, an denen sich politische Konflikte entzünden, und ethnische Gemeinsamkeiten, an denen sich die Bildung von Staaten orientiert. Es ist nach wie vor die ethnische Identität, die aus den dargelegten Gründen die optimale Basis für eine demokratische und freiheitliche Staatsorganisation bildet, weil sie auf relativ stabilen, für den Einzelnen nicht frei wählbaren und nicht frei verfügbaren Gemeinsamkeiten von existenzieller Bedeutung beruht. 6 Diese Feststellung schließt nicht aus, dass die konkrete Existenz von Nationalstaaten in historisch-politische Zusammenhänge eingebettet ist. Die Zeit des souveränen Nationalstaats ist vorbei, zumindest in Europa. Es gibt viele, nicht nur ökonomische Gründe, die die europäische Integration als notwendig erscheinen lassen. Diese hat aber bis jetzt noch nicht zur Abschaffung der europäischen Nationalstaaten geführt, und der hier entwickelte Zusammenhang von individueller Freiheit, demokratischer Legitimation und territorialer Organisation legt es nahe, auch bei der Fortentwicklung der europäischen Integration an der nationalstaatlichen Gliederung Europas festzuhalten. Die organisatorische Folgerung ist die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zugunsten der nationalstaatlichen Ebene (und - wo nötig - zusätzlich zugunsten regionaler und lokaler Ebenen). Europa als politische Entscheidungseinheit ist multiethnisch. Die hier für multiethnische Staaten entwickelten Gesichtspunkte lassen sich sinngemäß auch auf die europäische Entscheidungsebene übertragen.
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fend, wenn das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das im Prinzip auf die B i l dung von Nationalstaaten angelegt ist 7 , in einen engen Zusammenhang mit den Bedingungen für die Verwirklichung individueller Freiheit gestellt w i r d 8 . Der Nationalstaat ist also nicht per se ein freiheitlich-demokratischer Staat, aber unter den demokratischen Staaten mit rechtsstaatlicher, die individuellen Grundrechte garantierender Verfassung ist der Nationalstaat als Typus der demokratischste und freiheitlichste. 9
IV. Demokratie im multiethnischen Staat Freilich - die Deckungsgleichheit von Staatsvolk und V o l k i m ethnischen Sinne, also den lupenreinen ethnisch fundierten Nationalstaat, gibt es nur als Denkmodell. Fast alle praktisch vorkommenden Nationalstaaten haben seit ihrer Entstehung ethnische Minderheiten auf ihrem Territorium. Meist ist es nicht möglich, die Grenzen des Nationalstaats mit den angestammten Siedlungsgrenzen der Völker und Volksgruppen zur Deckung zu bringen. 1 0 Dafür gibt es vielfaltige politische, historische und geographische Gründe. Oft sind die Sied-
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Dies gilt auf jeden Fall für die Idee des Selbstbestimmungsrechts, wie sie im Ersten Weltkrieg als Modell für die Neuordnung Europas propagiert wurde und sich dann in der Zwischenkriegszeit weiterentwickelt hat, vgl. ζ. B. Wolfgang Heidelmeyer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Zur Geschichte und Bedeutung eines internationalen Prinzips in Praxis und Lehre von den Anfangen bis zu den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen, 1973. Es gilt aber auch für die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts nach dem Zweiten Weltkrieg, wenngleich die Praxis der Vereinten Nationen hier zu wesentlichen Einschränkungen zugunsten der Souveränität der bestehenden Staaten geführt hat. Zu dem Spannungsverhältnis von Souveränität und Selbstbestimmungsrecht des Volkes im ethnischen Sinne Dietrich Murswiek, Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht. Zum Subjekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker, Der Staat 23 (1984), S. 523 (528 ff., insb. 539 ff.). 8 Dazu eingehend Dietrich Murswiek, Das Verhältnis des Minderheitenschutzes zum Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: Dieter Blumenwitz/Gilbert Gornig/Dietrich Murswiek (Hrsg.), Ein Jahrhundert Minderheiten- und Volksgruppenschutz, 2001, S. 83 ff.; ders. (Fn. 7), S. 533 f. m.w.N. 9 Dies schließt natürlich nicht aus, dass es Demokratie auch in Staaten gibt, die nicht als Nationalstaaten auf der Grundlage eines ethnischen Mehrheitsvolkes gebildet worden sind; ebensowenig ist Demokratie auf übernationaler Ebene - etwa im Rahmen der europäischen Integration - unmöglich. Nur ergeben sich in solchen Gemeinwesen zusätzliche Freiheits- und Legitimationsprobleme. - Es bedarf keiner besonderen Hervorhebung, dass die hier vertretene Position nicht unangefochten ist. Ein Beispiel für eine besonders drastische Gegenposition ist die des heutigen Bundesverfassungsrichters Brun-Otto Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1994, S. 305 ff., der in polemischer Weise die nationalstaatliche Demokratie bekämpft und die Demokratiekonzeption des Bundesverfassungsgerichts als „volksdemokratisch" verunglimpft. 10
Es sei denn durch das Verbrechen der Vertreibung, der „ethnischen Säuberung".
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lungsgebiete der Volksgruppen zu zersplittert. Vielfach gibt es - gerade in Grenzregionen - Gebiete mit Mischbevölkerung. Gleichgültig, wie man die Staatsgrenze zieht - immer bleibt dann auf einer Seite der Grenze eine ethnische Gruppe in der Minderheit. Der Vorteil, den die Organisation eines Gemeinwesens als Nationalstaat für das ethnische Mehrheitsvolk hat, schlägt für die ethnischen Minderheiten zum Nachteil aus. Was für die Mehrheit ein Freiheitsgewinn, ist für die Minderheit ein Freiheitsverlust, zumindest eine große Freiheitsgefahr. 11 Diese negative Kehrseite, die der Nationalstaat für die ethnischen Minderheiten hat, bedarf der Kompensation durch rechtlich garantierten Minderheitenschutz. Darauf gehe ich gleich noch näher ein. Nicht viel anders ist die Situation in multiethnischen Staaten, die nicht von einem einzigen großen Volk dominiert werden, sondern aus mehreren Völkern oder Volksgruppen bestehen, die jede für sich eine Minderheitenposition haben. Zwar ist hier die Gefahr, dass ein Volk alle anderen Volksgruppen bzw. Minderheiten unterdrückt, weniger groß als im ethnisch fundierten Nationalstaat, aber sie ist nicht völlig ausgeschlossen. Auch könnten mehrere Volksgruppen die Herrschaft an sich bringen und die anderen knechten. Auf jeden Fall aber ist der Staat durch die ethnische Differenz der Volksgruppen geprägt. Und das bedeutet, die demokratische Mehrheitsherrschaft nach dem Prinzip „one man one vote" bringt die Gefahr sehr intensiver Freiheitseinschränkungen für die zahlenmäßig unterlegenen ethnischen Minderheiten mit sich.
1. Strukturelle Mehrheitsunföhigkeit der ethnischen Minderheit Ich meine daher, dass im multiethnischen Staat - und dazu zähle ich jetzt auch den ethnisch fundierten Nationalstaat, auf dessen Gebiet ethnische Minderheiten beheimatet sind - die nach dem demokratischen Gleichheitsprinzip organisierte Mehrheitsdemokratie keine den Grundideen von Freiheit und Demokratie angemessene Staatsform ist, wenn sie nicht durch den Besonderheiten der ethnischen Zusammensetzung des Staates Rechnung tragende Elemente modifiziert wird. Zugespitzt lautet meine These, die ich gleich näher begründen werde: In einem Staat, auf dessen Gebiet mehrere Völker, Volksgruppen oder ethnische Minderheiten beheimatet sind, ist die reine Mehrheitsdemokratie undemokratisch. Der Grund hierfür ist folgender: Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie lässt sich nur damit rechtfertigen, dass (1.) alle Staatsbürger gleiche Rechte ha-
11 Diese Gefahr ist nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass auch im ethnisch fundierten Nationalstaat das demokratische Subjekt nicht etwa das Volk im ethnischen Sinne ist, sondern das Staatsvolk, also die Summe der Staatsangehörigen, zu denen gleichberechtigt auch die Mitglieder der ethnischen Minderheiten gehören.
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ben, (2.) die Mehrheit ein zeitlich begrenztes Mandat hat und (3.) die bei der Wahl unterlegene Minderheit die gleiche Chance hat, bei der nächsten Wahl die Mehrheit und damit die Rechtsetzungs- und Regierungsmacht zu erringen. Soziologische Voraussetzung dafür, dass dieses Legitimationsprinzip funktioniert, ist ein Mindestmaß an Homogenität der Wahlberechtigten 12. Bei dem, was jeweils zur Abstimmung steht, darf es sich nicht um Dinge handeln, die gar nicht zur freien Disposition des Einzelnen stehen, über die er nicht bei der einen Wahl so und bei der nächsten Wahl anders entscheiden kann. Nur wenn diese Disponibilität der Wählerpräferenzen gegeben ist, kann aus einer Minderheit bei der nächsten Wahl eine Mehrheit werden. Dies aber ist dann nicht der Fall, wenn es um Fragen geht, die an die ethnische Zugehörigkeit gekoppelt sind. Anschaulichstes und bedeutendstes Beispiel ist die Sprache. Abgesehen davon, dass kein Staat die Staatssprache von einer auf die andere Wahlperiode wechseln wird, wird es so gut wie keinen Wähler geben, der bei einer Abstimmung darüber, welche Sprache die offizielle Landessprache sein soll, sich nicht für die eigene Muttersprache entscheidet. Das gilt auch für Entscheidungen darüber, welche Sprache vor Gerichten oder Behörden gesprochen wird, welche Sprache im Fernsehen verwendet wird und vor allem welche Sprache in den Schulen unterrichtet wird. Und dies gilt für Sachentscheidungen, also Plebiszite, ebenso wie für Wahlentscheidungen. Denn auch die gewählten Repräsentanten im Parlament werden bei solchen Fragen regelmäßig ihrer eigenen ethnischen Präferenz folgen. Die Konsequenz ist, dass ethnische Minderheiten gerade im Hinblick auf diejenigen Fragen, die für ihre Freiheitsverwirklichung von existenzieller Bedeutung sind, die sich nämlich auf die Wahrung und Förderung ihrer ethnischen Besonderheiten beziehen, in einer strukturellen Minderheitenposition sind. Sie haben - auch bei rechtlich garantierter Wahlrechtsgleichheit faktisch keine Chance, jemals die Mehrheit zu erlangen. Diese strukturelle faktische Ungleichheit im demokratischen Willensbildungsprozess lässt sie aus der demokratischen Legitimation sozusagen herausfallen. Politische Herrschaft lässt sich in einem solchen politischen System daher nur dann demokratisch legitimieren, wenn das demokratische Mehrheitsprinzip zugunsten des Minderheitenschutzes eingeschränkt wird. Die Mehrheit ist prinzipiell nicht legitimiert, Entscheidungen zu treffen, durch die identitätsbestimmende Merkmale der Minderheit langfristig zerstört oder ihre Aufrechterhaltung praktisch unmöglich gemacht würde.
12 Vgl. BVerfGE 89, 155 (186) m. Hinw. auf Hermann Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, Gesammelte Schriften, 2. Bd., 1971, S. 421 (427 ff.); ausführlich Böckenförde (Fn. 1), Rn. 63 ff., der im übrigen zutreffend daraufhinweist, dass die nötige Homogenität auch anders als ethnisch entstanden sein kann. In unserem Zusammenhang ist entscheidend, dass ethnische Differenzen das Mindestmaß an Homogenität unter Umständen entfallen lassen.
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2. Minderheitenschutz als Demokratiegebot Was daraus im einzelnen folgt, lässt sich nicht generell sagen, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Lebenssituation einer bestimmten Volksgruppe. Auf jeden Fall aber folgt daraus zumindest, dass politische Maßnahmen niemals die Existenz der Volksgruppe gefährden dürfen 13. Und unter Existenz einer Volksgruppe ist nicht nur die physische Existenz ihrer Mitglieder zu verstehen, sondern darüber hinaus die Erhaltung der ethnischen Eigenheiten, insbesondere der praktische Gebrauch der Sprache und gegebenenfalls der Siedlungszusammenhang dieser Gruppe, also die Wahrung ihres Zusammenlebens als Mehrheit auf ihrem angestammten Siedlungsgebiet14. Im ethnisch fundierten Nationalstaat ist die rechtliche Gewährleistung effektiven Schutzes für die traditionell dort ansässigen ethnischen Minderheiten somit zwar eine Einschränkung des demokratischen Mehrheitsprinzips, zugleich aber ein Gebot der Demokratie. Es ist nicht Aufgabe dieses Vortrags, die verschiedenen Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Ausgestaltung des Minderheitenschutzes für unterschiedliche Typen von Lebenssituationen ethnischer Minderheiten herauszuarbeiten. 15 Mir geht es um die Grundlagen des demokratischen Legitimationsprinzips, also in diesem Zusammenhang darum, dass die Begrenzung der Mehrheitsherrschaft zum Zwecke der Achtung der Existenz der ethnischen Minderheiten dem Demokratieprinzip nicht zuwiderläuft, sondern umgekehrt geradezu ein Gebot der Demokratie ist. Entsprechendes gilt für den multiethnischen Staat im engeren Sinne. Für den Nationalitätenstaat ist das demokratische Mehrheitsprinzip eine schon im Ansatz nur beschränkt geeignete Legitimationsform. Die Existenz- und Freiheitsrechte der ethnischen Gruppen können in einem solchen Staat grundsätzlich nur bei einer dezentralisierten Entscheidungsstruktur mit Verteilung der politischen Entscheidungsbefugnisse auf die ethnischen Gruppen gewahrt werden, also in einer der multiethnischen Zusammensetzung des Staatsvolkes angepassten Mehrebenendemokratie. Demokratie kann in einem solchen Staat nur föderale, 13 Dazu bereits Dietrich Murswiek, Minderheitenfragen und peaceful change, in: Dieter Blumenwitz/Gilbert Gornig (Hrsg.), Der Schutz von Minderheiten- und Volksgruppenrechten durch die Europäische Union, 1996, S. 55 (67 f.); zum Recht der Minderheiten auf Existenz vgl. ζ. B. auch Dieter Blumenwitz, Minderheiten- und Volksgruppenrecht. Aktuelle Entwicklung, 1992, S. 64 f. m.w.N. 14 Vgl. ζ. B. Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten, insb. Art. 5, 14, 16. 15 Dazu ζ. B. Dieter Blumenwitz, Volksgruppen und Minderheiten. Politische Vertretung und Kulturautonomie, 1995, S. 87 ff., 149 ff.; ders. (Fn. 13), S. 68 ff.; ders., Internationale Schutzmechanismen zur Durchsetzung von Minderheiten- und Volksgruppenrechten, 1997; FUEV, Autonomierechte der Volksgruppen in Europa. Diskussionsentwurf einer Sonder-Konvention, in: Felix Ermacora/Christoph Pan, Volksgruppenschutz in Europa, 1995, S. 53 ff.
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kantonale Demokratie sein, sofern die ethnischen Gruppen zusammenhängende Siedlungsgebiete haben und eine an die Siedlungsgebiete anknüpfende foderale Gliederung des Staatsgebietes praktisch möglich ist. Die Zentralgewalt muss in einem solchen System auf Entscheidungsbefugnisse beschränkt bleiben, die sinnvoll nur auf gesamtstaatlicher Ebene wahrgenommen werden können. Und die Zusammensetzung der Zentralregierung sowie des Zentralparlaments wird ebenfalls eine Repräsentation der unterschiedlichen ethnischen Gruppen berücksichtigen müssen. Auch hier kann ich nicht auf Einzelheiten eingehen. Vieles hängt von den konkreten Besonderheiten, insbesondere der unterschiedlichen Größe konkreter ethnischer Gruppen und der Siedlungsstruktur ab. In manchen Fällen wird die allgemeine kommunale Selbstverwaltung besondere staats- bzw. verwaltungsorganisatorische Vorkehrungen erübrigen 16, in anderen kommen sie wegen der Siedlungsstruktur oder der Zahl der Angehörigen nicht in Betracht. Unter Umständen kommt statt einer Territorialautonomie der einzelnen Gruppen bei zerstreuter Siedlungsstruktur eine Kulturautonomie auf personeller Basis in Frage. 17 Was für die Grundlagen der demokratischen Legitimation entscheidend ist und was ich hier zeigen wollte, ist, dass Demokratie nicht einfach immer Mehrheitsherrschafi auf der Basis „one man - one vote" bedeutet, sondern dass Demokratie im multiethnischen Staat Organisations- und Legitimationsstrukturen verlangt, die der Existenz der verschiedenen ethnischen Gruppen in diesem Staat hinreichend Rechnung tragen. Dazu gehört zum einen eine minderheitenspezifische Begrenzung der Mehrheitsherrschaft, also ein minderheitenspezifischer Freiheitsschutz, wie er auf der Ebene des individuellen Freiheitsschutzes den Grundrechten entspricht, zum anderen leistungsstaatliche Elemente wie die Einrichtung minderheitensprachlicher Schulen und außerdem gegebenenfalls Modifikationen der Organisation öffentlicher Gewalt im Sinne gestufter Demokratie (Mehrebenendemokratie).
3. Diskriminierungsverbot statt Minderheitenschutz? Lässt sich dem entgegenhalten, die Freiheitsrechte und die demokratischen Mitwirkungsrechte der Angehörigen aller ethnischen Gruppen würden ausreichend geschützt, wenn die individuellen Freiheitsrechte und vor allem das Dis-
16 Zum Minderheiten- und Volksgruppenschutz durch kommunale Selbstverwaltung und durchföderale Strukturen vgl. z. B. Blumenwitz (Fn. 15 [1995]), S. 91 ff., 112 ff. 17 Zur Kulturautonomie vgl. z. B. Blumenwitz (Fn. 15 [1995]), S. 149 ff; Stefan Oeter, Minderheiten zwischen Segregation, Integration und Assimilation. Zur Entstehung und Entwicklung des Modells der Kulturautonomie, in: Dieter Β lumen witz/Gilbert Gornig/Dietrich Murswiek (Hrsg.), Ein Jahrhundert Minderheiten- und Volksgruppenschutz, 2001, S. 63 ff
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kriminierungsverbot gewährleistet sind? Sind - wie häufig behauptet wird - besondere Organisationsstrukturen wie etwa Territorial- oder Personalautonomie ethnischer Minderheiten unnötig, wenn der Minderheitenschutz auf individualrechtlicher Ebene gewährleistet ist, nämlich durch das effektiv durchgesetzte Verbot der Diskriminierung aus ethnischen Gründen? Ich hoffe, mein Vortrag hat deutlich gemacht, dass diese Fragen verneint werden müssen. Alle individuellen Minderheitenrechte sind sehr wichtig fur den praktischen Minderheitenschutz. Selbstverständlich ist das Diskriminierungsverbot von zentraler Bedeutung, ebenso die Zugehörigkeit der Minderheitsangehörigen zum Staatsvolk als Voraussetzung demokratischer Mitwirkung. Und minderheitenspezifische Freiheitsrechte, wie ζ. B. das Recht, seine eigene Muttersprache in der Öffentlichkeit zu sprechen oder gemeinsam mit Angehörigen der Gruppe das besondere kulturelle Leben zu pflegen (Art. 27 IPBPR), sichern ein elementares Minimum an Entfaltungsmöglichkeiten für die ethnischen Minderheiten. Aber sowohl unter Aspekten der demokratischen Legitimation als auch unter Aspekten der Freiheitsgewährleistung bedürfen sie der Ergänzung durch kollektive Rechte, durch organisatorische Vorkehrungen, welche die Existenz der ethnischen Gruppe und ihre Einbindung in die politischen Entscheidungsprozesse gewährleisten. Der minderheitenspezifische Individualschutz ist nicht geeignet, die kollektiven Voraussetzungen zu sichern, unter denen individuelle Freiheit sich entfaltet, wie beispielsweise den Gebrauch der Muttersprache als Amtssprache innerhalb des Siedlungsgebiets der ethnischen Gruppe. Staatsorganisatorische Konsequenzen und ihre Gewährleistung in Form von Gruppenrechten sind also eine prinzipiell notwendige Ergänzung des individuellen Minderheitenschutzes.
V. Zur Unterscheidung von autochthonen Volksgruppen bzw. Minderheiten und Immigranten Dennoch wird der kollektive Minderheitenschutz in Politik und wissenschaftlicher Literatur häufig abgelehnt, ja sogar vehement bekämpft. Man fürchtet wohl, dass durch Gruppenrechte die staatliche Einheit aufgesplittert würde und der Staat auf längere Sicht zerfallen könnte. Dazu ist zweierlei zu sagen: Zum einen spricht viel dafür, dass Autonomielösungen für Volksgruppen und ethnische Minderheiten eher zur Integration der staatlichen Einheit als zum Zerfall beitragen, dass sie eher den Willen der ethnischen Gruppen zum Leben innerhalb dieses Staates fordern als Separationstendenzen auslösen. Dabei hängt freilich vieles von den konkreten Umständen und von der Geschichte ab. Wenn eine ethnische Gruppe jahrzehntelang so drangsaliert, diskriminiert und misshandelt worden ist, dass ihr das Leben in diesem Staat unerträglich geworden erscheint, dann kommen Autonomielösungen vielleicht zu spät und sind dann eher geeignet, die Sezession vorzubereiten. Werden aber die Rechte der ethnischen
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Gruppen von vornherein respektiert, gibt der Staat zu Sezessionsbestrebungen keinen Anlass. Dann ist die Gewährleistung von Gruppenrechten das beste Mittel, dem Entstehen solcher Tendenzen vorzubeugen und die staatliche Einheit zusichern 18 . Ich muss freilich betonen, dass sich mein ganzer Vortrag auf authochtone ethnische Gruppen bezieht, also auf Volksgruppen oder Minderheiten, die seit jeher dort leben, wo sich jetzt ihr Siedlungsgebiet befindet. Die Notwendigkeit, die Existenz dieser Gruppen durch besondere Rechte zu schützen und das demokratische Legitimationskonzept des Staates so zu gestalten, dass diese Gruppen nicht durch Mehrheitsentscheidungen in ihrer spezifischen Lebensform beeinträchtigt werden, resultiert ja daraus, dass die Staatsgrenzen irgendwann so gezogen wurden, dass die Siedlungsgebiete dieser ethnischen Gruppen in das Territorium des betreffenden Staates einbezogen und die betreffenden Gruppen in ihrer Heimat in eine strukturelle Minderheitenposition gebracht wurden 19 . Das Demokratieprinzip rechtfertigt aber nicht die Herrschaft einer strukturellen Mehrheit über eine strukturelle Minderheit gegen deren Willen. Anders ist die Situation in Einwanderungsländern. Ein Staat kann die Immigration von der Assimilationsbereitschaft der Immigranten abhängig machen20. Diese entscheiden sich, ihre Heimat zu verlassen, um in dem neuen Staat - aus welchen Gründen auch immer - ein besseres Los zu finden. Garantiert der Aufnahmestaat ihnen nicht die Beibehaltung ihrer bisherigen Lebensgewohnheiten und insbesondere keine kollektiven Minderheitenrechte, dann zeigen die Immigranten mit der Einwanderung in diesen Staat, dass ihnen die Loslösung aus ihren ethnischen Besonderheiten weniger bedeutet als der Gewinn an Lebensqualität, den sie sich in ihrer neuen Heimat im Vergleich zu ihrer alten erhoffen. Indem sie sich für den Staat entscheiden, der sie - unter von ihm bestimmten Bedingungen - dauerhaft aufnimmt, entscheiden sie sich dafür, künftig unter den von diesem Staat und seinem Mehrheitsvolk geprägten Verhältnissen zu leben und sich in diese Lebensverhältnisse einzufügen. Dazu gehört auch, dass sie darauf verzichten, im Aufhahmestaat eine ethnische Gruppenidentität aufrechtzuerhalten, sofern nicht - auch dafür gibt es historische Beispiele - der Aufnahmestaat die Einwanderer mit dem Versprechen anwirbt, ihre ethnische Identität beibehalten und pflegen zu können, insbesondere indem sie als geschlossene Gruppen angesiedelt werden. 18 Vgl. Dietrich Murswiek, Die Problematik eines Rechts auf Sezession - neu betrachtet, AVR 31 (1993), S. 307 (331 f.). 19 Dazu eingehend Dietrich Murswiek, Minderheitenschutz - für welche Minderheiten? Zur Debatte um die Einfügung eines Minderheitenartikels ins Grundgesetz, in: Dieter Blumenwitz/Dietrich Murswiek (Hrsg.), Aktuelle rechtliche und praktische Fragen des Volksgruppen- und Minderheitenschutzrechts, 1994, S. 39 (49 ff.); ders., Schutz der Minderheiten in Deutschland, in: HStR, Bd. VIII, 1995, § 201 Rn. 38 ff. 20
Dazu näher Murswiek, HStR, Bd. VIII, 1995, § 201, Rn. 43-48.
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Weder Freiheitsprinzip noch Demokratieprinzip können in bezug auf neu zugewanderte ethnische Minderheiten also die Notwendigkeit begründen, auch diesen einen Sonderstatus einzuräumen, der denen authochtoner Minderheiten vergleichbar ist. Insbesondere können sie keinen Anspruch darauf haben, dass ihre Muttersprache Verhandlungssprache vor Behörden oder Gerichten ist 21 , oder darauf, muttersprachlichen Schulunterricht oder Rundfunk- und Fernsehprogramme eingerichtet zu bekommen. Von ihnen kann verlangt werden, dass sie die Sprache des Einwanderungslandes lernen und sich den dortigen Gepflogenheiten anpassen. Sie sind ausreichend geschützt, wenn ihnen gegenüber das Diskriminierungsverbot und die individuellen Freiheitsrechte beachtet werden. Ein Einwanderungsland und erst recht ein Land, das Einwanderung eigentlich nicht will und sie nur aus humanitären Gründen hinnimmt, muss zumindest die Option haben, sich für ein Integrations- bzw. Assimilationsmodell zu entscheiden, also Freiheit und Demokratie dadurch zu sichern, dass auch unter den Bedingungen der Immigration einer großen Zahl ethnisch differenter Menschen die ethnische Differenz innerhalb des Staates so klein gehalten wird, dass es auf Dauer nicht notwendig wird, dieser Differenz durch ihr angepasste staatsorganisatorische Binnendifferenzierung Rechnung zu tragen. Integration durch Assimilation - unter Wahrung der individuellen Freiheitsrechte, die ζ. B. das Recht zur Ausübung der hergebrachten Religion implizieren - ist also ein demokratieverträgliches Modell 22 . Man muss allerdings sehen, dass die Anpassung der Immigranten an die Lebensverhältnisse des Aufnahmestaates, das Erlernen der Staatssprache, die Einfügung in die Rechtsordnung dieses Staates, nicht nur von den Immigranten erwartet, sondern durch aktive Politik gefordert werden müssen, wenn man sich nicht Probleme für Freiheit und demokratische Legitimation schaffen will, die sich zuletzt durch dieses Modell nicht mehr lösen lassen. Denn die Einebnung der ethnischen Differenz im Wege der Assimilation ist kaum mehr möglich, wenn die Immigranten eine lokale oder gar regionale Minderheitenkultur - beginnend mit Großstadtghettos - etabliert haben. Das ist auch ein Mengenproblem. Wer auf Integration und Assimilation setzt, muss die Einwanderung so begrenzen, dass die Immigranten sich in die neue Kultur ein21 Etwas anderes ist der grundrechtlich verbürgte Anspruch des Angeklagten auf einen Dolmetscher und auf Unterrichtung über die gegen ihn erhobene Beschuldigung in einer für ihn verständlichen Sprache, EMRK Art. 6 III lit. a), c). Dieses Recht besteht völlig unabhängig von einem Minderheitenstatus. 22 An diesem Modell orientiert sich beispielsweise das französische Staatsangehörigkeitsrecht, indem es die Einbürgerung („naturalisation") von der Assimilation, insbesondere einer hinreichenden Kenntnis der französischen Sprache, abhängig macht (Code Civil Art. 21-24) oder indem es der Regierung (nach Anhörung des Staatsrats) die Möglichkeit einräumt, dem Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Heirat wegen mangelnder Assimilation binnen eines Jahres zu widersprechen. Vgl. zur früheren französischen Rechtslage Helmut Quaritsch, Einbürgerungspolitik als Ausländerpolitik?, Der Staat 27 (1988), S. 481 (485 ff.) und zum damaligen deutschen Recht und der Reformdiskussion S. 497 ff.
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fügen können, bevor sie durch immer neue Immigranten aus ihrer alten Heimat in ethnische Ghettos einbezogen und von der Kultur des Aufnahmestaates isoliert werden. Auch Einwanderungs- und Integrationspolitik ist also ebenso wie Minderheitenschutzpolitik Demokratie- und Freiheitspolitik. Wer den Nationalstaat mittels Einwanderungspolitik durch eine multikulturelle Gesellschaft ersetzen will, schafft nicht nur Probleme für innere Stabilität und Zusammenhalt der Gesellschaft, sondern auch für ihr Niveau an Demokratie und Freiheit.
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Abstract Dietrich Murswiek: Democracy and Freedom in Multiethnic States, In: Minority Protection and Democracy. Ed. by Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2004) pp. 41-57. The principle of democracy is based on the idea of equality and equal rights of all citizens and on the principle of equal chances to gain the majority in elections. Ethnic minorities however are in a position of structural inequality. As a result of their ethnic difference, combined with their minority position, they never have the chance to gain the majority in federal elections. Therefore the principle of democracy ought to be modified in a way, that the deficit of legitimacy which exists with respect to ethnic minorities is compensated. Minority protection is not a contradiction to democracy, but indeed a requirement of democracy. But this is true only for autochthon (indigenous) minorities, not for immigrants. For autochthon minorities have to live under the reign of a structural majority in their native land, whereas immigrants choose to live in a new land deliberately. Therefore the immigration state can legitimately expect them to assimilate to the conditions of living that exist in that state.
Die Sonderstellung von Minderheiten im Wahlrecht zu nationalen Parlamenten Von Holger Kremser
I. Einführung Der französische Gelehrte und Politiker Ernest Renan hat den Begriff der Nation im Jahre 1882 mit dem berühmten Satz definiert: „La nation c'est un plébiscite de tous les jours" 1 . In diesem Satz kommt zum Ausdruck, daß die Nation eine Willensgemeinschaft ist. Die Stabilität einer Nation hängt davon ab, daß möglichst alle ihre Bürger in den Staatsaufbau integriert sind, und zwar auch die Angehörigen nationaler Minderheiten 2. Wie können nationale Minderheiten in den gemeinsamen Staatsverband integriert werden? Die politische Repräsentation einer nationalen Minderheit im Parlament der Gesamtnation ist ein sehr effektives Mittel, die nationale Minderheit am öffentlichen Leben zu beteiligen und sie somit auch zu integrieren. Denn das Parlament ist in einem freiheitlichen und demokratischen Staatswesen das zentrale Repräsentativorgan. Es ist zugleich auch das Kreationsorgan für alle anderen Organe des Staates, soweit sie nicht schon durch die Verfassung selbst festgelegt sind3. Dies gilt in abgeschwächter Form auch für die Parlamente von Gliedstaaten in föderal verfaßten Staaten, weshalb auch die Vertretung nationaler Minderheiten in Gliedstaaten Gegenstand dieser Betrachtung ist. Die politische Vertretung von nationalen Minderheiten im Parlament setzt regelmäßig die Existenz von eigenen Parteien der nationalen Minderheiten voraus; denkbar ist freilich auch eine politische Repräsentation durch parteilose Einzelabgeordnete. Die parteipolitische Vertretung von nationalen Minderheiten setzt in der Regel Parteien voraus, die aus den nationalen Minderheiten hervorgehen. Nur sie sind in der Regel in der Lage, die spezifischen Angelegenhei-
1 Zitiert aus dem Vortrag „Was ist eine Nation?", in deutscher Übersetzung abgedruckt in: L. Gall/R. Koch (Hrsg.), Der europäische Liberalismus im 19. Jahrhundert, Bd. 3(1981), S. 132 ff. 2 St. Oeter, Minderheiten im institutionellen Staatsaufbau, in: J. A. Frowein/R. Hofmann/St. Oeter (Hrsg.), Das Minderheitenrecht europäischer Staaten, Teil 2, 1994, S. 492 f. 3 Th. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl., 1998, S. 265.
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ten der Minderheiten umfassend zu bündeln, und sie effektiv im Parlament zu artikulieren 4. Innerhalb der Parteien der Mehrheitsbevölkerung können Belange von nationalen Minderheiten kaum effektiv vertreten werden. Die nationalen Minderheiten würden aufgrund der Mehrheitsverhältnisse an den Rand gedrängt oder untergehen.
I I . Völkerrechtliche Vorgaben für die parlamentarische Beteiligung nationaler Minderheiten Das Völkerrecht verlangt zwar eine politische Vertretung der nationalen Minderheiten im Gesamtstaat5. Eine rechtliche Grundlage fur die politische Teilnahme nationaler Minderheiten auf der lokalen bzw. der nationalen Ebene ist Art. 27 IPBPR 6 7 . Diese Bestimmung schützt die Pflege des kulturellen Lebens einer nationalen Minderheit. Zur Pflege des kulturellen Lebens gehört auch eine gewisse politische Teilnahme am öffentlichen Leben im Mehrheitsstaat. Konkrete Vorgaben für die Ausgestaltung der politischen Vertretung von nationalen Minderheiten im Gesamtstaat enthält das Völkerrecht aber nicht8. Das Rahmenabkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 19959 1 0 enthält in Art. 4 Abs. 2 die allgemeine Vorgabe, die „Vertragsparteien verpflichten sich, erforderlichenfalls angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um in allen Bereichen wirtschaftlichen, sozialen, politischen 11 und kulturellen Lebens die vollständige und tatsächliche Gleichheit zwischen den Angehörigen einer nationalen Minderheit und den Angehörigen der Mehrheit zu fördern. In dieser Hinsicht berücksichtigen sie in gebührender Weise die besonderen Bedingungen der Angehörigen nationaler Minderheiten."
4 D. Blumenwitz, Volksgruppen und Minderheiten. Politische Vertretung und Kulturautonomie, 1995, S. 87. 5 Blumenwitz (Fn. 4), S. 87; ihm folgend J. Berger, Politische Vertretung nationaler und ethnischer Minderheiten in Zentral- und Osteuropa, Osteuropa-Recht 2001, 35 (36); ausführlich zum völkerrechtlichen Minderheitenschutz: S. Pritchard, Der völkerrechtliche Minderheitenschutz, 2001. 6 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, abgedruckt in: Sartorius II, Ordnungsnummer 20. 7 Pritchard (Fn. 5), S. 239 ff. m.w.N. 8 Blumenwitz (Fn. 4), S. 87; R. Uerpmann, Völkerrechtliche Grundlagen des Minderheitenschutzes, in: G. Manssen/B. Banaszak (Hrsg.), Minderheitenschutz in Mittel- und Osteuropa, 2001, S. 9 ff. 9 Text: BGBl. 1997 II, S. 1408. 10 Das Abkommen wurde in Deutschland am 23. Juli 1997 durch das Zustimmungsgesetz vom 22. Juli 1997 (BGBl. 1997 II, S. 1406) in Kraft gesetzt. 11 Hervorhebung des Verfassers.
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Aus dem Postulat des Europaratsabkommens zum Schutz nationaler Minderheiten hinsichtlich der vollständigen und tatsächlichen Gleichheit zwischen den Angehörigen der Minderheit und der Mehrheit im politischen Bereich kann nicht abgeleitet werden, daß das nationale Wahlrecht Regelungen enthalten muß, die den Einzug von Parteien der nationalen Minderheiten in die Parlamente begünstigen. Eine vollständige und tatsächliche Gleichbehandlung der Parteien nationaler Minderheiten ist in der Regel nicht geeignet, eine parlamentarische Vertretung der nationalen Minderheiten sicherzustellen. Namentlich in Mitgliedstaaten, die das Mehrheitswahlrecht favorisieren, können Parteien nationaler Minderheiten trotz absoluter Gleichbehandlung im Wahlrecht nicht reüssieren, wenn die nationale Minderheit im gesamten Staatsgebiet verstreut ihr Siedlungsgebiet hat. Selbst wenn die nationale Minderheit in einigen Siedlungsgebieten die Mehrheit der Wähler repräsentiert, kann durch den Zuschnitt der Wahlkreise gleichwohl die Situation eintreten, daß die nationale Minderheit im jeweiligen Wahlkreis majorisiert werden kann. Zwar ist das reine Verhältniswahlrecht für nationale Minderheiten grundsätzlich günstiger, weil bei diesem Wahlrecht Parteien nationaler Minderheiten für den Einzug in das Parlament im Prinzip landesweit nur die Anzahl der Wählerstimmen benötigen, die für das letzte Abgeordnetenmandat notwendig ist; es zählt jede Stimme, die landesweit für die Liste der Minderheitenpartei abgegeben wurde. Allerdings garantiert auch das Verhältniswahlrecht keine parlamentarische Vertretung nationaler Minderheitsparteien. Zum einen kann die Minderheit kleiner sein als die Mindestwählerquote für einen Abgeordnetensitz. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß die Staaten völkerrechtlich nicht daran gehindert sind, den Erfolgswert der Wählerstimme durch die Einführung von Sperrklauseln zuungunsten kleiner Parteien zu modifizieren. Bei einer Sperrklauselregelung sind nur diejenigen Parteien im Parlament vertreten, die ein bestimmtes Quorum bei den abgegebenen Wählerstimmen erreicht haben. In den Wahlgesetzen mit einem Verhältniswahlrecht finden sich regelmäßig Sperrklauseln. Am weitesten verbreitet ist eine 5 %-Sperrklausel. Solange sich Sperrklauseln nicht gezielt gegen die Angehörigen nationaler Minderheiten richten, sind sie rechtlich nicht zu beanstanden. Die Notwendigkeit wahlrechtlicher Sperrklauseln wird sich regelmäßig damit begründen lassen, daß die Funktionsfähigkeit des Parlaments und die Bildung einer Regierung es gebieten, daß die dort vertretenen Parteien eine gewisse Mindeststärke haben müssen. Da der Anteil der Wähler von nationalen Minderheiten im Verhältnis zum Gesamtwahlvolk regelmäßig geringer als der Prozentsatz der wahlrechtlichen Sperrklausel ist, führt die strikte Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes in der Regel dazu, daß eine Partei nationaler Minderheiten von vornherein kaum Chancen hat, im Parlament vertreten zu sein. Die Nichtanwendung von wahlrechtlichen Sperrklauseln auf die Parteien nationaler Minderheiten ist für ihre parlamentarische Existenz häufig lebensnot-
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wendig. Entsprechende Ausnahmeregelungen finden sich in einigen Wahlgesetzen europäischer Staaten. Solche Ausnahmeregelungen begünstigen die Parteien nationaler Minderheiten gegenüber den Parteien der Mehrheitsbevölkerung. Den zuletzt genannten Parteien bleiben die Parlamentstüren verschlossen, wenn sie es nicht schaffen, die durch die Sperrklausel begründete wahlrechtliche Hürde zu überwinden. Das Völkerrecht gebietet zwar keine Regelungen, die die Parteien nationaler Minderheiten im Wahlrecht privilegieren. Jedoch steht das Völkerrecht solchen privilegierenden Wahlrechtsbestimmungen auch nicht entgegen. Völkerrechtlich unzulässig sind nationale Bestimmungen, die ein ausdrückliches Verbot der Gründung von Parteien auf ethnischer Grundlage zum Gegenstand haben; sie verletzen Art. 22 IPBPR und Art. 11 EMRK 1 2 . Beide Bestimmungen schützen die Vereinigungsfreiheit. Da auch politische Parteien als Vereinigungen zu qualifizieren sind, sind Bestimmungen über die Vereinigungsfreiheit auf politische Parteien anzuwenden13. Zwar enthalten beide Bestimmungen die Klausel, daß die Vereinigungsfreiheit eingeschränkt werden kann, sofern dies die nationale Sicherheit gebietet. Allein die Tatsache, daß sich eine politische Partei fur die Berücksichtigung der minderheitenspezifischen Belange engagiert, ist keine Gefahr für die nationale Sicherheit. Im Gegenteil: Die Existenz und das Engagement einer Partei der nationalen Minderheit hat zur Folge, daß sich die in der betreffenden Partei organisierte nationale Minderheit im Mehrheitsstaat vertreten fühlt, und zwar namentlich dann, wenn es der Minderheitenpartei gelingt, im Parlament vertreten zu sein. Die Existenz und das Engagement politischer Parteien nationaler Minderheiten hat somit eine stabilisierende Wirkung für den Mehrheitsstaat zur Folge. Eine Gefahr für die nationale Sicherheit des Gesamtstaates bestünde lediglich, wenn eine Partei der nationalen Minderheit separatistische Ziele verfolgte. Dies ist nur in extremen Ausnahmesituationen der Fall, weshalb ein generelles Gründungsverbot von Parteien auf ethnischer Grundlage nicht zu rechtfertigen ist. Auf diesem Hintergrund soll die völkerrechtlich fragwürdige innerstaatliche Rechtslage zur Gründung von Minderheitenparteien in Bulgarien und Albanien kurz beleuchtet werden. Die Verfassung der Republik Bulgarien vom 12. Juli 199114 bestimmt in Art. 11 Abs. 4, daß keine politischen Parteien auf ethnischer, rassischer oder religiö-
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Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, abgedruckt in: Sartorius II, Ordnungsnummer 130. 13 Blumenwitz (Fn. 4), S. 90; siehe auch J.A. Frowein, in: J.A. Frowein/W. Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Komm., 2. Aufl., 1996, Art. 11 Rn. 16 unter Berücksichtigung der Spruchpraxis. 14 Eine deutsche Übersetzung der bulgarischen Verfassung ist abgedruckt in: G. Brunner (Hrsg.), Verfassungs- und Verwaltungsrecht der Staaten Osteuropas (Loseblatt, Stand: Oktober 1998), Bd. II (Südosteuropa), Ordnungsnummer 1.1.; H. Roggemann
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ser Grundlage gegründet werden dürfen. Eine entsprechende Regelung enthält auch Art. 3 Abs. 2 Nr. 3 des bulgarischen Gesetzes über die politischen Parteien15. Der bulgarische Verfassungsgerichtshof 6 sieht in den zuvor genannten Bestimmungen lediglich ein formelles und kein materielles Verbot 17 . Das Gericht hat mit dieser Begründung den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der „Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS) abgelehnt. Antragsteller war eine Gruppe von Abgeordneten. Sie machte geltend, 99 % der Mitglieder der DPS hätten ein „türkisches Bewußtsein" . Die Mitgliedschaft in dieser Partei steht allerdings allen bulgarischen Staatsbürgern offen 18. Auch das albanische Gesetz über politische Parteien 19 verbietet die Gründung politischer Parteien mit ausschließlich religiösem, ethnischem oder regionalem Bezug20. Zwar gibt es in Albanien keine ausdrücklichen Minderheitenparteien, jedoch wird die „Vereinte Menschenrechtspartei" (PMDN) de facto von der griechischen Minderheit in Albanien unterstützt. Sie konnte bei den Wahlen am 24. Juni 2001 mit drei Abgeordneten in das albanische Parlament einziehen21.
I I I . Regelungen hinsichtlich der wahlrechtlichen Sonderstellung von Parteien nationaler Minderheiten Im vorangegangenen Abschnitt wurde festgestellt, daß das Völkerrecht keine privilegierenden Wahlrechtsregelungen zugunsten von Parteien nationaler Minderheiten verlangt. Aus völkerrechtlicher Sicht ist es beispielsweise ausreichend, wenn ein Staat die Anliegen seiner nationalen Minderheiten durch einen beratenden parlamentarischen Ausschuß artikulieren läßt22. Eine unmittelbare politische Repräsentation von nationalen Minderheiten können solche Ausschüsse allerdings nicht vermitteln.
(Hrsg.), Die Verfassungen Mittel- und Osteuropas. Einführung und Verfassungstexte mit Ubersichten und Schaubildern, 1999, S. 373 ff. 15 Eine deutsche Übersetzung des bulgarischen Parteiengesetzes findet sich in: Brunner (Fn. 14), Bd. II (Südosteuropa), Ordnungsnummer 2.3. (Stand: Oktober 1996). 16 VerfGE Nr. 4 (RS 1/91) vom 21.4.1992 (DärZaven vestnik No. 35/1992,1). 17 Siehe hierzu: Drumeva, Das bulgarische Verfassungsgericht. Rechtsgrundlagen und erste Entscheidungen, ZaöRV 1993, 112 (128 f.). 18 Berger (Fn. 5), S. 43. 19 Eine deutsche Übersetzung des albanischen Parteiengesetzes ist abgedruckt in: Brunner (Fn. 14), Bd. II (Südosteuropa), Ordnungsnummer 2.3.a (Stand: November 1996). 20 Art. 6 Abs. 2 Gesetz Nr. 7502 über politische Parteien (Text: siehe Fn. 19). 21 Quelle: http://www.agora.stm.it/elections/election/albania.htm (recherchiert am 3.1.2002). 22 Blumenwitz (Fn. 4), S. 141.
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Erfreulicherweise gibt es in Europa viele Staaten, die ihre nationalen Minderheiten wahlrechtlich privilegieren. Es gibt sehr unterschiedliche Regelungsmöglichkeiten, die Parteien nationaler Minderheiten zu begünstigen. Sie sollen nunmehr vorgestellt werden, ohne daß ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird.
1. Zulassung von Kandidatenlisten Privilegierende Wahlrechtsregelungen zugunsten nationaler Minderheitsparteien können sinnvoll bzw. notwendig sein, um überhaupt erst eine Beteiligung solcher Parteien an den Parlamentswahlen zu ermöglichen. Denn das Wahlrecht für die Wahlen zu Parlamenten sieht häufig vor, daß Kandidatenlisten mit einem bestimmten Unterschriftenquorum einzureichen sind23. Bereits solche Unterschriftsquoren können für die Beteiligung von Parteien nationaler Minderheiten an den Parlamentswahlen eine unüberwindbare oder eine nur schwer zu überwindende Hürde darstellen. Das Beispiel der Unterschriftsquoren zeigt somit sehr deutlich, daß der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien es gebietet, Parteien nationaler Minderheiten zu privilegieren, damit diese die Möglichkeit haben, an Parlamentswahlen teilzunehmen. Eine privilegierende Regelung für die Registrierung einer Organisation der nationalen Minderheit in die Landesliste enthält Art. 91 Ziffer 3 der Wahlordnung zum Sejm der Republik Polen24. Danach kann sich eine Partei der nationalen Minderheit in die gesamtpolnische Wahlliste eintragen lassen, wenn sie Kreislisten in mindestens 5 Wahlkreisen registrieren ließ. Andere Parteien müssen demgegenüber Kreislisten in mindestens der Hälfte aller Wahlkreise in Polen registrieren lassen, um sich für die gesamtpolnische Wahlliste anmelden zu können25. Die deutsche Minderheit in Polen macht von den wahlrechtlichen Privilegien Gebrauch 26.
23 Beispielsweise muß eine Kreisliste nach Art. 79 Nr. 1 des Gesetzes über die Wahlordnung zum Sejm der Republik Polen (die Wahlordnung ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Brunner [Fn. 14], Bd. I 1 [Ostmitteleuropa], Ordnungsnummer 2.2.l.a. [Stand: August 1998]) durch die Unterschrift von mindestens 3000 Wählern unterstützt werden, die im jeweiligen Wahlkreis ständig wohnen. Zum Rechtsstatus der Minderheiten in Polen: B. Banaszak, Die Rechtsstellung der Minderheiten in Polen, in: G. Brunner/B. Meissner (Hrsg.), Das Recht der nationalen Minderheiten in Osteuropa, 1999, S. 75 ff.; ders., Minderheitenschutz im polnischen Recht, in: Manssen/Banaszak (Fn. 8), S. 209 ff.; M. Hoskova, Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Polen, in: J. A. Frowein/R. Hofmann/St. Oeter (Hrsg.), Das Minderheitenrecht europäischer Staaten, Teil 1, 1993, S. 258 ff.; A. Malicka, Der Schutz der deutschen Minderheit in der Republik Polen, in: Manssen/Banaszak (Fn. 8), S. 227 ff. 24 Text: siehe Fn. 23. 25 Art. 91 Ziffer 2 der Wahlordnung zum Sejm der Republik Polen. 26 Malicka (Fn. 23), S. 235 f.
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2. Listenverbindungen Eine weitere mögliche Begünstigung von Parteien der nationalen Minderheiten ist die Zulassung von Listenverbindungen. Eine entsprechende Regelung enthält Art. 12 des italienischen Europawahlgesetzes27. Danach dürfen die Kandidatenlisten der Parteien der französischen, deutschen und slowenischen Minderheiten zum Zwecke der Zuteilung der Sitze mit der Liste einer anderen Partei desselben Wahlkreises verbunden werden, die in allen Wahlkreisen antritt. Auch das rumänische Wahlrecht sieht vor, daß Organisationen von Angehörigen nationaler Minderheiten auf einer gemeinsamen Liste dieser Organisationen teilnehmen dürfen. Darüber hinaus privilegiert das rumänische Wahlrecht Listenverbindungen von Organisationen nationaler Minderheiten bei der Sitzverteilung. Wurde kein einziger Kandidat aus der gemeinsamen Liste in das Parlament gewählt, so ist allen Organisationen der gemeinsamen Liste ein Abgeordnetenmandat zuzuteilen, wenn sie mindestens 5 % der Durchschnittszahl der gültigen Stimmen für die Wahl eines Abgeordneten erzielt haben28 2 9 . Listenverbindungen werden wahltechnisch zu einem gemeinsamen Wahlvorschlag zusammengefaßt 30. Grundsätzlich dürfen nur Listen derselben Partei miteinander verbunden werden. Um die Wahlchancen kleiner Parteien zu verbessern, sollte eine gemeinsame Wahlliste mit verschiedenen Parteien nationaler Minderheiten zugelassen werden 31.
3. Wahlkreiseinteilung Für die parlamentarische Vertretung von Parteien nationaler Minderheiten ist die Einteilung der Wahlkreise von fundamentaler Bedeutung. Deckt sich ein Wahlkreis mit dem Kernsiedlungsgebiet einer nationalen Minderheit, kommt dies Parteien nationaler Minderheiten in besonderer Weise zugute. Sie können in Wahlkreisen, in denen mehrheitlich Angehörige der nationalen Minderheit
27
Quelle: Blumenwitz (Fn. 4), S. 136 Fn. 554. Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 68 vom 15. Juli 1992 über die Wahl der Abgeordnetenkammer und des Senats in Rumänien, das Gesetz ist auszugsweise in deutscher Übersetzung abgedruckt in: G. Brunner/G. H. Tonisch, Der Minderheitenschutz in Ungarn und in Rumänien, 1995, S. 195 f. 29 Zum Rechtsstatus der Minderheiten in Rumänien siehe: F. Böhmer, Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Rumänien, in: Frowein/Hofmann/Oeter, Teil 2 (Fn. 2), S. 216 ff.; G. H Tonisch, Die Rechtsstellung der Minderheiten in Rumänien, in: Brunner/Meissner (Fn. 23), S. 231 ff. 30 W. Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 6. Aufl., 1998, § 7Rn.4. 31 Blumenwitz (Fn. 4), S. 136. 28
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wohnen, Direktmandate leichter erobern 32. Eine die Parteien nationaler Minderheiten privilegierende Regelung könnte darin bestehen, daß das Verfassungsrecht in Siedlungsgebieten nationaler Minderheiten einen kleineren Zuschnitt der Wahlkreise zuläßt, um auf diese Weise eine parlamentarische Repräsentation der betreffenden nationalen Minderheit zu begünstigen. Eine entsprechende privilegierende Regelung enthält Art. 64 Abs. 3 i.V.m. Art. 80 Abs. 3 der Verfassung der Republik Slowenien33. Danach wird immer je ein Abgeordneter der italienischen und der ungarischen Volksgruppe in die Staatsversammlung der Republik Slowenien gewählt. Die beiden zuvor genannten Volksgruppen genießen in ihren Siedlungsgebieten gewisse Sonderrechte. Für die Wahl der beiden Abgeordneten der italienischen und der ungarischen Minderheit werden in den Gebieten, wo diese Volksgruppen leben, besondere Wahlkreise gebildet34. Das belgische Wahlrecht sieht auf der gesamtstaatlichen Ebene fur die Wahl zur Abgeordnetenkammer eine Aufteilung der Wahlkreise in Gebiete der flämischen und der französischen Sprachgruppe vor. Das deutsche Sprachgebiet stellt trotz entsprechender Forderungen keinen eigenen Wahlkreis dar, sondern ist Teil des wallonischen Wahlkreises Veviers. Es gibt folglich auf der gesamtstaatlichen Ebene Belgiens keine Garantie fur eine Repräsentation der deutschen Minderheit in der Abgeordnetenkammer, was als ein großer Schwachpunkt des belgischen Minderheitenschutzsystems angesehen wird 35 . In gemischtsprachigen Gebieten kommt eine Kombination des Territorialund des Personalprinzips in Betracht 36. Eine entsprechende Regelung sieht das belgische Wahlrecht vor. Danach kann die französischsprachige Bevölkerung im flämischen Voeren und die flämische Bevölkerung im wallonischen Comines jeweils im nächstgelegenen anderssprachigen Wahlkreis Abgeordnete ihrer Sprachgruppe wählen37.
32
Ebd., S. 137. Eine deutsche Übersetzung der Verfassung von Slowenien ist abgedruckt in: Brunner (Fn. 14), Bd. I 1 (Ostmitteleuropa), Ordnungsnummer 1.1. (Stand: August 1995); Roggemann (Fn. 14), S. 899 ff.; zum Rechtsstatus der Minderheiten in Slowenien siehe: /. Kristan, Die Rechtstellung der Minderheiten in Slowenien, in: Brunner/Meissner (Fn. 23), S. 149 ff.; J. Marko, Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Slowenien, in: Frowein/Hofmann/Oeter, Teil 2, (Fn. 2), S. 320 ff. 33
34
Kristan (Fn. 33), S. 167. Blumenwitz (Fn. 4), S. 137; R. Mathiak, Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Belgien, in: Frowein/Hofmann/Oeter, Teil 1, (Fn. 23), S. 54 ff. 36 Blumenwitz (Fn. 4), S. 137. 37 Mathiak (Fn. 35), S. 55. 35
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In Finnland ist verfassungsrechtlich garantiert, daß die Provinz Aland einen eigenen Wahlkreis für die Wahl eines Reichstagsabgeordneten bildet 38 . Während die 12 bis 18 Wahlkreise der finnischen Mehrheitsbevölkerung unter Beachtung der Anzahl der finnischen Staatsbürger gebildet werden, ist ein eigener Wahlkreis der Provinz Aland stets garantiert. Da es auf die Anzahl der finnischen Staatsbürger in Aland für die Existenz eines eigenen Wahlkreises dieser Provinz nicht ankommt, wird von Verfassungsrechts wegen eine Überrepräsentation aus Gründen des Minderheitenschutzes vorgeschrieben.
4. Befreiung von Sperrklauseln Es wurde bereits ausgeführt, daß das Verhältniswahlrecht Parteien nationaler Minderheiten begünstigt, weil dieses Wahlsystem sicherstellt, daß kleine Parteien bereits dann in das Parlament einziehen, wenn sie landesweit die Stimmenanzahl erreichen, die für die Zuteilung eines Abgeordnetenmandats notwendig ist. Die Untersuchung des Wahlrechts in Staaten mit dem Verhältniswahlrecht zeigt allerdings, daß es für den Einzug einer Partei in das Parlament regelmäßig nicht ausreicht, wenn sie die Mindeststimmenzahl für ein Abgeordnetenmandat erreicht. Vielmehr enthält das jeweilige Wahlrecht in der Regel eine Sperrklausel, wonach nur diejenigen Parteien im Parlament vertreten sind, die ein bestimmtes Quorum bei den abgegebenen Wählerstimmen erreicht haben. Häufig sieht das Wahlrecht vor, daß nur die Parteien im Parlament vertreten sind, die landesweit mindestens 5 % der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben. Auch in Wahlrechtssystemen mit dem Mehrheitswahlrecht sind Regelungen denkbar, die die Erringung einer Mindestzahl von Direktmandaten für die parlamentarische Vertretung vorschreiben. Sinn und Zweck solcher Regelungen ist es, eine Zersplitterung des Parlaments durch Kleinstparteien oder Einzelabgeordnete zu verhindern. Denn es liegt auf der Hand, daß die Existenz vieler Kleinstparteien und/oder parteiloser Einzelabgeordneter im Parlament die Herbeiführung einer notwendigen Mehrheit für die Bildung einer Regierung erschwert bzw. unmöglich macht. Ein Nachteil von wahlrechtlichen Sperrklauseln besteht darin, daß sie den Einzug von Parteien kleiner nationaler Minderheiten in das Parlament erheblich erschweren bzw. unmöglich machen. Eine nationale Minderheit, die ζ. B. 3 % der Gesamtbevölkerung ausmacht, wird niemals mit einer eigenen Minderheitenpartei im Parlament vertreten sein, wenn eine 5 %-Sperrklausel im Wahlrecht verankert ist, es sei denn, Wähler der Mehrheitsbevölkerung geben ihre 38 § 25 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz Finnlands; eine deutsche Übersetzung dieser Verfassung ist abgedruckt in: A. Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Aufl., 2000, S. 111 ff.
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Stimmen für eine Partei der nationalen Minderheit ab, wofür grundsätzlich keine vernünftigen Gründe sprechen. Um den Parteien nationaler Minderheiten gleichwohl eine parlamentarische Repräsentation zu eröffnen, sieht das Wahlrecht häufig eine Befreiung von der Sperrklausel vor. Entsprechende Befreiungsklauseln gibt es im Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland auf nationaler Ebene39 und teilweise auch auf Länderebene 40 sowie in Polen41 und in Rumänien42. Das rumänische Wahlgesetz von 1992 enthält zum einen eine Befreiung von der Sperrklausel 43. Zugleich legt es auch fest, daß Minderheitenorganisationen einen Abgeordnetensitz erhalten, wenn sie mindestens 5 % der für ein reguläres Mandat durchschnittlich erforderlichen Stimmzahl erhalten 44. Das bedeutete, daß Minderheitenorganisationen bei den Wahlen 1992 mindestens 1.327 Stimmen und bei den Wahlen von 1996 mindestens 1.494 Stimmen erhalten mußten45. In Litauen sah das Wahlrecht bis zu einer umstrittenen Wahlrechtsänderung im Jahre 1996 vor, daß Organisationen der nationalen Minderheiten auch bei einer Verfehlung der allgemeinen 4 %-Sperrklausel entsprechend ihrem Anteil bei den Listenmandaten im Parlament vertreten waren 46 4 7 . Vermutlich aufgrund der Eigeninteressen der großen Parteien kam es 1996 zu einer Wahlgesetzänderung. Danach müssen Parteien mindestens 5 % der Stimmen erhalten, um im
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§ 6 Abs. 6 Satz 2 Bundeswahlgesetz (BWG). In folgenden Bundesländern sieht das Landes Wahlrecht Befreiungen von der 5 %Sperrklausel zugunsten von politischen Parteien nationaler Minderheiten vor: Brandenburg (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Landeswahlgesetz); Schleswig-Holstein (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Landeswahlgesetz). 41 In Polen können die Listen der Wahlkomitees der registrierten nationalen Minderheiten von den wahlrechtlichen Sperrklauseln befreit werden, wenn diese Komitees den Staatlichen Wahlkommissionen eine diesbezügliche Erklärung spätestens am 5. Tag vor den Wahlen zukommen lassen, Art. 5 des Gesetzes über die Wahlordnung zum Sejm der Republik Polen (Text: siehe Fn. 23). 42 Berger (Fn. 5), S. 47. 43 Ebd. 44 Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 68 vom 15. Juli 1992 über die Wahl der Abgeordnetenkammer und des Senats in Rumänien, in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Brunner/Tontsch, Der Minderheitenschutz in Ungarn und in Rumänien (Fn. 28), S. 195 f. (Auszug). 45 Tontsch (Fn. 29), S. 244 f. 46 A. Hollstein, Die Rechtsstellung der Minderheiten in der Republik Litauen, in: Brunner/Meissner (Fn. 23), S. 396. 47 Zum Minderheitenschutz in Litauen siehe auch: E. Sileikis, Verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Ausgestaltung des Minderheitenschutzes in Litauen, in: Manssen/Banaszak (Fn. 8), S. 101 ff. 40
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Parlament vertreten zu sein. Ausnahmen für Organisationen der nationalen Minderheiten wurden abgeschafft 48.
5. Mindestsitzregelungen Die Befreiung von Parteien nationaler Minderheiten von wahlrechtlichen Sperrklauseln ist keine Garantie dafür, daß diese tatsächlich im Parlament vertreten sind. Verschiedene Gründe können hierfür verantwortlich sein: Bei einem reinen Mehrheitswahlrecht haben Parteien nationaler Minderheiten keine Chance, wenn das Siedlungsgebiet der Minderheiten über das gesamte Land zerstreut ist. Bei einem Verhältniswahlrecht muß eine Partei der nationalen Minderheit trotz Befreiung von der Sperrklausel immer noch landesweit die Stimmenzahl erreichen, die für ein Abgeordnetenmandat notwendig ist. Diese Hürde ist für Parteien kleiner Minderheiten häufig unüberwindbar. Parteien kleiner Minderheiten sind folglich auf Mindestsitzregelungen angewiesen. Einige Staaten garantieren ihren nationalen Minderheiten im Verfassungsrecht einen Sitz im Parlament. Entsprechende Regelungen gibt es beispielsweise in Belgien, Finnland und Slowenien. In Belgien garantiert Art. 67 § 1 der Verfassung 49, daß im Senat alle Sprachgemeinschaften Belgiens vertreten sein müssen. Von dieser Sitzregelung profitiert namentlich die kleine deutsche Sprachgemeinschaft Belgiens. Sie hat nach Art. 67 § 1 Nr. 5 einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, daß ein Senator vom Rat der Deutschsprachigen Gemeinschaft aus seiner Mitte bestimmt wird; er wird mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen bestimmt50. In Finnland garantiert § 25 Abs. 2 der Verfassung 51, daß die schwedische Minderheit in der Provinz Aland stets im Reichstag Finnlands vertreten ist. Wie bereits ausgeführt wurde, bildet die Provinz Aland einen eigenen Wahlkreis für die Wahl eines Reichstagsabgeordneten. Die Verfassung der Republik Slowenien garantiert, daß in die Staatsversammlung immer je ein Abgeordneter der italienischen und der ungarischen Volksgruppe gewählt wird 52 . Schon allein die Tatsache, daß die italienische und die ungarische Minderheit unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke stets in der Staatsversammlung mit je einem Abgeordneten vertreten sind, kann als ein 48
Hollstein (Fn. 46 ), S. 397. Eine deutsche Übersetzung der belgischen Verfassung ist abgedruckt in: Kimmel (Fn. 38), S. 1 ff. 50 Art. 68 § 3 Abs. 3 Belgische Verfassung. 51 Text: siehe Fn. 38. 52 Art. 64 Abs. 3, 80 Abs. 3 Verfassung der Republik Slowenien, Text: siehe Fn. 33. 49
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überdurchschnittlich hoher Standard des Minderheitenschutzes qualifiziert werden53. Darüber hinaus haben die italienische und die ungarische Volksgruppe in Slowenien nach Art. 64 Abs. 5 Slowenische Verfassung ein Vetorecht. Nach der zuvor genannten Bestimmung können Gesetze, andere Vorschriften und Allgemeinregelungen, die ausschließlich die verfassungsrechtlich besonders geschützten Belange der italienischen und ungarischen Volksgruppe betreffen, nicht ohne Zustimmung der betreffenden Minderheitenabgeordneten im Parlament beschlossen werden. Es handelt sich hierbei um ein absolutes Vetorecht, das eine Majorisierung in minderheitenspezifischen Angelegenheiten verhindert 54 . Die anderen Minderheiten in Slowenien sind nicht in dieser Weise privilegiert 55.
IV. Die Sonderstellung nationaler Minderheiten im deutschen Recht 1. Verfassungsrecht a) Bundesverfassung Das Grundgesetz enthält keinen besonderen Artikel zum Schutz nationaler Minderheiten. Die Autoren des Grundgesetzes gingen 1949 offensichtlich davon aus, daß die nationalen Minderheiten in Deutschland durch die für alle geltenden Grundrechte ausreichend geschützt seien. Eine Chance für die Einfügung eines Minderheitenschutzartikels bestand Anfang der 90er Jahre. Der Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands enthält in Art. 5 eine Regelung über künftige Verfassungsänderungen. Danach empfehlen die Regierungen der beiden Vertragsparteien den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb von zwei Jahren mit Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes zu befassen, die im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands virulent wurden. Zu diesem Zweck wurde eine Gemeinsame Verfassungskommission durch Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat gebildet. Sie schlug in ihrem Bericht vom 5. November 199356 die Einfügung eines Art. 20 b mit folgendem Wortlaut vor: „Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten." Die Befürworter einer solchen Grundgesetzergänzung wiesen u.a. darauf hin, daß ein spezieller Minderheitenschutz im Grundgesetz die deutschspra53 54 55 56
Kristan (Fn. 33), S. 167. Blumenwitz (Fn. 4), S. 139; Kristan (Fn. 33), S. 168. Berger (Fn. 5), S. 49; R. Hofmann, Minderheitenschutz in Europa, 1995, S. 150. BT-Drs. 12/6000, S. 71.
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chigen Minderheiten in den Ländern Osteuropas unterstützen würde 57. Die Gegner einer grundgesetzlichen Minderheitenschutzklausel konnten sich allerdings durchsetzen. Sie wiesen daraufhin, daß der Schutz der in Deutschland lebenden nationalen Minderheiten in den Landesverfassungen der Länder SchleswigHolstein, Brandenburg und Sachsen hinreichend gewährleistet sei. Ferner wurde die Befürchtung geäußert, daß der von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) vorgelegte Minderheitenschutzartikel das Konzept der multikulturellen Gesellschaft mit einem Nebeneinander möglichst vieler eigenständiger Kulturen einführen wolle 58 .
b) Landesverfassungen aa) Brandenburg Die Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 199259 enthält im 4. Abschnitt des 2. Hauptteils „Grundrechte und Staatsziele" eine Regelung über die Rechte der Sorben (Wenden). Danach hat das sorbische Volk ein Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebietes. Das Land, die Gemeinden und die Gemeindeverbände fördern die Verwirklichung dieses Rechts, insbesondere die kulturelle Eigenständigkeit und die wirksame politische Mitgestaltung des sorbischen Volkes 60 . Die Ausgestaltung der Rechte der Sorben regelt ein Gesetz. Dies hat sicherzustellen, daß in Angelegenheiten der Sorben, insbesondere bei der Gesetzgebung, sorbische Vertreter mitwirken 61 .
bb) Mecklenburg-Vorpommern Die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 23. Mai 199362 enthält im Abschnitt III. „Staatsziele" einen Minderheitenschutzartikel. Danach steht die kulturelle Eigenständigkeit ethnischer und nationaler Minderheiten und Volksgruppen von Bürgern deutscher Staatsangehörigkeit unter dem besonde-
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BT-Drs. 12/6000, S. 73. BT-Drs. 12/6000, S. 74 f. 59 Text: GVBl. 1992 I, S. 298. 60 Art. 25 Abs. 1 Verfassung Brandenburg. 61 Zu den unterschiedlichen Auffassungen über den Rechtscharakter des Art. 25 Verfassung Brandenburg siehe: M. Pallek, Der Minderheitenschutz im deutschen Verfassungsrecht, 2001, S. 601 ff.; A. Siegert, Minderheitenschutz in der Bundesrepublik Deutschland, 1999, S. 112 ff. 62 Text: GVBl. 1993, S. 372/GS M.-V. Gl. Nr. 100-4. 58
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ren Schutz des Landes63. Da Mecklenburg-Vorpommern keine alteingesessenen Minderheiten hat, kann sich der Minderheitenschutzartikel allenfalls auf dort lebende Sinti und Roma beziehen64. Die Bevölkerungsgruppen der Sinti und Roma sind aufgrund einer Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zur Anwendung des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten den traditionellen Minderheiten mit einem angestammten Siedlungsgebiet gleichgestellt65. Im Gegensatz zu dem Minderheitenschutzartikel in der Verfassung des Landes Brandenburg enthält die Verfassung von Mecklenburg·^Vorpommern keine ausdrückliche Regelung über die wirksame politische Mitgestaltung der nationalen Minderheiten und Volksgruppen.
cc) Sachsen Die Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 199266 enthält im 1. Abschnitt „Die Grundlagen des Staates" zwei Bestimmungen zum Schutz von nationalen und ethnischen Minderheiten. Danach gehören dem Volk des Freistaates Sachsen Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit an67. Das Land gewährleistet und schützt das Recht nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung 68. Einen besonderen Schutz haben die Sorben im Freistaat Sachsen erfahren. Sie sind kraft ausdrücklicher Regelung ein gleichberechtigter Teil des sächsischen Staatsvolks 69 . Der Freistaat Sachsen gewährleistet und schützt das Recht auf Bewahrung der sorbischen Identität sowie auf Pflege und Entwicklung ihrer angestammten Sprache, Kultur und Überlieferung 70. Im Gegensatz zu der Verfassung des Landes Brandenburg wird die politische Mitgestaltung der Sorben in Sachsen nicht ausdrücklich geschützt. Bei den Verfassungsberatungen konnten sich Vorschläge, den Sorben ein Recht auf politische Mitbestimmung durch Quotenregelungen bei Wahlen zu garantieren, nicht durchsetzen71. Gleiches gilt für die
63
Art. 18 Verfassung Mecklenburg-Vorpommern. So S. Faisst, Minderheitenschutz im Grundgesetz und in den Landesverfassungen, 2000, S. 232. 65 Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 10. September 1997, Text: BGBl. 1997 II, S. 1418. 66 Text: GVB1. 1992, S. 243. 67 Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Verfassung Sachsen. 68 Art. 5 Abs. 2 Verfassung Sachsen. 69 Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfassung Sachsen. 70 Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Verfassung Sachsen. 71 Faisst (Fn. 64), S. 194. 64
Sonderstellung von Minderheiten im Wahlrecht
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im 1. Gohrischen Entwurf noch enthaltene Befreiung der Sorben von der 5 %Sperrklausel bei Wahlen72.
dd) Sachsen-Anhalt Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 199273 enthält im 3. Abschnitt „Staatsziele" eine Bestimmung zum Schutz von Minderheiten. Danach stehen die kulturelle und die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten unter dem Schutz des Landes und der Kommunen74. Somit ist zu konstatieren, daß die politische Mitwirkung von Minderheiten in Sachsen-Anhalt zwar ausdrücklich geschützt ist, jedoch gibt es in Sachsen-Anhalt keine Minderheiten in geschlossenen Siedlungsgebieten und die dort lebenden Sinti und Roma hatten die Verfassungsgeber möglicherweise nicht im Auge gehabt75. Für die Zukunft ist allerdings nicht auszuschließen, daß durch Einbürgerung neue Minderheiten entstehen werden. Da es sich bei dem in Rede stehenden Minderheitenschutzartikel um eine Staatszielbestimmung handelt, verfügt der Landesgesetzgeber bei der Ausgestaltung des Minderheitenschutzes über einen breiten Gestaltungsspielraum 76.
ee) Schleswig-Holstein Die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein77 enthält im „Abschnitt I. Land und Volk" einen Minderheitenschutzartikel. Danach ist das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit frei; es entbindet nicht von den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten 78. Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verfassung SchleswigHolstein steht die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände; die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung. Der Begriff „Volksgruppe" ist mit Rücksicht auf die friesische Bevölkerung in Schleswig-Holstein gewählt worden. Diese versteht sich selbst nicht als eine
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Ebd., S. 195. Text: GVBl. 1992, S. 600. 74 Art. 37 Abs. 1 Verfassung Sachsen-Anhalt. 75 So Faisst (Fn. 64), S. 224. 76 Faisst (Fn. 64), S. 228; kritisch zu Art. 37 Abs. 1 Verfassung Sachsen-Anhalt, Pallete (Fn. 61), S. 639 f. 77 Text: GVBl. 1990, S. 391. 78 Art. 5 Abs. 1 Verfassung Schleswig-Holstein. 73
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nationale Minderheit 79 . Die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein verwendet die Begriffe „nationale Minderheit" und „Volksgruppe" als synonyme Begriffe 80 . Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Verfassung Schleswig-Holstein verpflichtet das Land objektiv-rechtlich dazu, die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen zu schützen; die konkrete Umsetzung dieser verfassungsrechtlichen Verpflichtung erfolgt durch den einfachen Gesetzgeber81. Das minderheitenrechtliche Schutzgut der politischen Mitwirkung wurde erst 1990 in die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein aufgenommen. Es wurde dabei insbesondere an die Befreiung der Parteien nationaler Minderheiten von der 5 %Sperrklausel gedacht82. Der Wortlaut der Verfassung schreibt eine solche wahlrechtliche Privilegierung allerdings nicht vor. Selbst wenn der Gesetzgeber Parteien nationaler Minderheiten von der 5 %-Sperrklausel ausnimmt, bedeutet dies nicht, daß diese Parteien zwingend im Landtag von Schleswig-Holstein vertreten sein müssen. Es ist vielmehr notwendig, daß eine Minderheitenpartei so viele Stimmen auf sich vereinigt, wie für den letzten Parlamentssitz notwendig sind83 . Dem minderheitenrechtlichen Schutzgut der politischen Mitwirkung in Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Verfassung Schleswig-Holstein kann auch auf eine andere Art und Weise Genüge geleistet werden. Beispielsweise könnte ausschließlich ein parlamentarischer Ausschluß für Minderheiten geschaffen werden, der Empfehlungen für minderheitenspezifische Angelegenheiten ausspricht 84.
c) Zusammenfassung/Ergebnis Im Gegensatz zum Verfassungsrecht einiger europäischer Staaten mit Minderheiten gibt es im deutschen Verfassungsrecht sowohl auf der Bundesebene als auch auf der Landesebene keine wahlrechtlichen Privilegierungen zugunsten von Parteien nationaler Minderheiten. Immerhin enthalten die Landesverfassungen von Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein spezielle Garantien hinsichtlich der politischen Mitwirkung nationaler Minderheiten. Zwar gebieten diese Mitwirkungsregelungen keine wahlrechtliche Sonderstellung von Parteien nationaler Minderheiten, jedoch haben verfassungsrechtliche Minder79 Allerdings wird das Europarats-Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten aufgrund einer Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 11. September 1995 auf die traditionell in Deutschland heimischen Friesen angewandt, BGBl. 1997 II, S. 1418. 80 Faisst (Fn. 64), S. 175; Pallek (Fn.61 ), S. 531; Siegert (Fn. 61), S. 109. 81 Faisst (Fn. 64), S. 186. n Faisst (Fn. 64), S. 184. 83 Faisst (Fn. 64), S. 184 m.w.N. 84 Blumenwitz (Fn. 4), S. 141.
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heitenschutzklauseln im Bereich der politischen Mitwirkung den Vorteil, daß sie klarstellen, daß wahlrechtliche Begünstigungen von Parteien nationaler Minderheiten nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot der formalen wahlrechtlichen Gleichbehandlung verstoßen.
2. Wahlrecht Wahlrechtliche Privilegierungen von Parteien nationaler Minderheiten existieren in Deutschland auf der Bundesebene und in einigen Bundesländern.
a) Bundesebene aa) § 6 Abs. 6 Satz 2 Bundeswahlgesetz Auf der Bundesebene enthält das Bundeswahlgesetz im 1. Abschnitt (§§ 1-7 BWG) die grundlegenden Regelungen des bundesdeutschen Wahlsystems. Es sieht u.a. vor, daß bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nur Parteien berücksichtigt werden, die mindestens 5 % der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben (Direktmandatsklausel) 85. Diese Regelung findet allerdings auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung86. Dies bedeutet, daß Parteien nationaler Minderheiten bereits dann einen Parlamentssitz erringen, wenn sie landesweit die notwendige Stimmenzahl für ein Abgeordnetenmandat erhalten haben. Darüber hinaus sind sie im Bundestag vertreten, wenn sie in einem Wahlkreis die meisten Stimmen auf sich vereinigen können (Direktmandatsklausel). Da es in Deutschland keinen Wahlkreis gibt, in dem Parteien nationaler Minderheiten die meisten Stimmen erhalten könnten, hat die Direktmandatsklausel unter minderheitenschutzspezifischen Aspekten praktisch keine Relevanz. Demgegenüber hat die bundesweite Befreiung von der 5 %-Sperrklausel für Parteien nationaler Minderheiten sehr wohl eine gewisse praktische Bedeutung. Bis zur Wiedervereinigung Deutschlands war praktisch ausschließlich der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) ein möglicher Profiteur der zuvor genannten Sperrklauselbefreiungsregelung. Der SSW war von 1949 bis 1953 im 1. Deutschen Bundestag vertreten; seit 1965 hat der SSW keinen Listenvorschlag
85 86
§ 6 Abs. 6 Satz 1 BWG. § 6 Abs. 6 Satz 2 BWG.
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für die Bundestagswahlen eingereicht 87. Dies könnte sich in Zukunft ändern: Der SSW diskutiert wieder über die Teilnahme an der Bundestagswahl. Dies wird zum Teil kritisch gesehen, weil der SSW keine reine Minderheitenpartei sei, sondern auch eine Richtungspartei im Sinne der skandinavischen Sozialdemokratie 88. Da das Bekenntnis zur dänischen Minderheit von Verfassungsrechts wegen frei ist, kann in der Tat nicht ausgeschlossen werden, daß der SSW Wähler und Kandidaten anzieht, die in erster Linie die Ideen der skandinavischen Sozialdemokratie nach Deutschland importieren möchten. Den Rechtsstatus als Minderheitenpartei würde der SSW allerdings verlieren, wenn er von Mitgliedern dominiert würde, die sich nicht zur dänischen Minderheit bekennen, wofür zur Zeit keine Anhaltspunkte bestehen89. Die Befreiung von der Sperrklausel in § 6 Abs. 6 Satz 2 BWG findet nicht nur auf Parteien der dänischen Minderheit Anwendung. Vielmehr muß diese Bestimmung auf Parteien aller in Deutschland lebenden ethnischen Minderheiten angewendet werden. In der Praxis ist es allerdings selbst für die größte in Deutschland lebende Minderheit schwierig, die Stimmen zu erhalten, die für ein Bundestagsmandat notwendig sind 90 .
bb) Verfassungsrechtliche Bewertung (1) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mehrmals und auch schon zu sehr früher Zeit zu der Frage geäußert, ob eine wahlrechtliche Privilegierung oder eine Nichtprivilegierung von Parteien nationaler Minderheiten verfassungsgemäß ist. Die Rechtsprechung des Gerichts ist keineswegs einheitlich. Im Jahre 1952 hat das Bundesverfassungsgericht 91 entschieden, daß es keine allgemeinen Regeln des Völkerrechts gebe, wonach die Repräsentation nationaler Minderheiten im Parlament zwingend notwendig sei. Demzufolge verpflichte Art. 25 GG den Bundesgesetzgeber nicht zum Erlaß von wahlrechtlichen Vorschriften, die eine politische Repräsentation von Parteien nationaler Minderhei87 M. J. Hahn, Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Deutschland, in: Frowein/Hofmann/Oeter, Teil 1, (Fn. 23), S. 97. 88 FAZ v. 10.12.2001, S. 12. 89 Β. Pieroth, Der Begriff der Partei der dänischen Minderheit und die Verfassungsmäßigkeit ihrer Privilegierung im Schleswig-Holsteinischen Landes Wahlrecht, Rechtsgutachten vom 23. Dezember 2000 erstattet dem Schleswig-Holsteinischen Landtag, S. 29 f. 90 D. Murswiek, Schutz der Minderheiten in Deutschland, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VIII, 1995, § 201 Rn. 21 Fn. 39. 91 BVerfGE 1, 208 (239).
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ten garantierten. Ferner hat das Bundesverfassungsgericht 92 ausgeführt, daß das Parlament das Staatsvolk als politische Einheit repräsentiere. Daraus ergebe sich, daß alle Parteien gleich zu behandeln seien, und daß nicht eine Partei eine Sonderstellung deshalb beanspruchen könne, weil sie eine bestimmte Gruppe des Volkes - und sei es auch eine nationale Minderheit - vertrete. Im Jahr 1954 hat das Bundesverfassungsgericht 93 entschieden, daß die Eigenschaft als Partei einer nationalen Minderheit keine Verschiedenheit begründe, die wesentlich sei, und die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts berücksichtigen müßte. Allerdings hat das Gericht ausdrücklich klargestellt, daß die Länder nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG bundesverfassungsrechtlich nicht gehindert seien, Parteien nationaler Minderheiten in ihrem Landeswahlrecht von einer Sperrklausel auszunehmen94. Im Jahre 1957 hat das Bundesverfassungsgericht 95 seine Rechtsprechung insoweit modifiziert, als es betont hat, daß bei Parteien nationaler Minderheiten besondere Verhältnisse vorlägen, die mit der Situation anderer kleiner Parteien nicht zu vergleichen seien. Die Eigenschaft, eine Partei nationaler Minderheit zu sein, läge außerhalb des Wahlvorgangs. Das Merkmal, Partei nationaler Minderheit zu sein, unterscheide sich von allen anderen Parteien. Der Gleichheitssatz des Grundgesetzes verbiete bei der Ausgestaltung des Wahlrechts nicht die Berücksichtigung besonderer Umstände, die außerhalb des Wahlvorgangs lägen. Die Lage der nationalen Minderheit, die deutsche Staatsangehörigkeit mit fremder Volkszugehörigkeit verbinde, sei innerstaatlich einzigartig, da das Völkerrecht und unter Umständen ein fremder Staat, dessen Volkstum die Minderheit zugehöre, Interesse an ihrem Status nehme. Es sei darum ein die wahlrechtliche Sonderregelung hinreichend rechtfertigendes Anliegen des Gesetzgebers, der nationalen Minderheit zur Vertretung ihrer spezifischen Belange die Tribüne des Parlaments zu eröffnen, wenn sie nur die für ein Mandat erforderliche Stimmenzahl aufbringe. Auch die Rücksicht auf die Behandlung deutscher nationaler Minderheiten in fremden Staaten durch den ausländischen Gesetzgeber könne es nach dem Bundesverfassungsgericht 96 sehr wohl rechtfertigen, Parteien nationaler Minderheiten von der Sperrklausel beim Verhältniswahlrecht auszunehmen.
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BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
1,208 (241). 4,31 (44). 4,31 (44). 6, 84 (97 f.). 6, 84 (98).
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(2) Auffassungen im Schrifttum In der Literatur 97 wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Befreiung von Parteien nationaler Minderheiten von der 5 %-Sperrklausel höchst kontrovers beurteilt. Die Gegner einer Befreiung von der Sperrklausel zugunsten von Parteien nationaler Minderheiten weisen darauf hin, daß deren Schutz im Grundgesetz nicht vorgesehen sei und damit als Differenzierungsgrund im Wahlrecht auszuscheiden habe98. Die wahlrechtliche Privilegierung nationaler Minderheiten verstoße gegen den Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit, der die Berücksichtigung besonderer Verhältnisse ausschließe99. Auch außenpolitische Erwägungen seien nicht geeignet, den Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit zu durchbrechen 100. Der Abgeordnete einer Partei einer nationalen Minderheit sei der Gesandte der Minderheit mit Abgeordnetenstatus. Der Zweck des Parlaments sei aber die Repräsentation des einen Staatsvolks101. Schließlich wird die Ansicht vertreten, daß die wahlrechtliche Privilegierung nationaler Minderheiten gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstoße, weil Anknüpfungspunkte für die Befreiung von der 5 %-Sperrklausel die Merkmale „Heimat und Herkunft" seien. Diese Eigenschaften dürften nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG auf keinen Fall ein verfassungsrechtlich zulässiges Unterscheidungskriterium sein. Die Differenzierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG seien auch im Rahmen des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachten102.
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Folgende Autoren gehen von der Verfassungsmäßigkeit der Befreiung der Parteien nationaler Minderheiten von der Sperrklausel aus: Faisst (Fn. 64), S. 130; J. A. Frowein, AöR 1974, 72 (92); W. Henke, Das Recht der politischen Parteien, 1964, S. 163; S. Magiern, in: Sachs, GG-Komm., 3. Aufl., 2000, Art. 38 Rn. 94; Trute, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., 5. Aufl., 2001, Art. 38 Rn. 64; Pallek (Fn. 61), S. 338 f.; B. Pieroth, in: H. D. Jarass/B. Pieroth, GG-Komm., 6. Aufl., 2002, Art. 38 Rn. 22 b; ders., Der Begriff (Fn. 89), S. 32 ff.; H.-J. Rinck, JöR 1961, 269 (302); Schreiber (Fn. 30), § 6 Rn. 24; W. Thieme, Rechtsfragen der nationalen Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland, in: Festschrift Hugelmann, 1959, S. 666 f.; folgende Autoren gehen von der Verfassungswidrigkeit einer wahlrechtlichen Privilegierung von Parteien nationaler Minderheiten aus: E. Becht, Die 5 %-Klausel im Wahlrecht, 1990, S. 166 ff; E. Forsthoff, AöR 1950/51, 361 (376); A. Hamann, NJW 1957, 377; G. Kisker, Zur Bedeutung und zum Geltungsbereich des Grundsatzes der formalen Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl, in: Festschrift Mallmann, 1978, S. 109; Th. Klapp, Chancengleichheit von Landesparteien im Verhältnis zu bundesweit organisierten Parteien, 1989, S. 34, 44 ff; E. G. Mahrenholz, Wahlgleichheit im parlamentarischen Parteienstaat der Bundesrepublik, 1958, S. 63 f.; M. Morlok, in: Dreier, GG-Komm., 1998 Art. 38 Rn. 105; K.-H. Seifert, Bundeswahlrecht, 3. Aufl., 1976, § 6 Rn. 28. 98
Kisker (Fn. 97), S. 109; Morlok (Fn. 97), Art. 38 Rn. 105. Kisker (Fn. 97 ), S. 109; Seifert (Fn. 97), § 6 Rn. 28. 100 Kisker (Fn. 97), S. 109. 101 Mahrenholz (Fn. 97 ), S. 63 f. 102 Becht (Fn. 97), S. 167.
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Die Befürworter einer wahlrechtlichen Privilegierung nationaler Minderheiten weisen auf folgendes hin: Zweck der 5 %-Sperrklausel sei es, Splitterparteien zu bekämpfen. Unter den kleinen Parteien würden Parteien nationaler Minderheiten eine Vorzugsstellung einnehmen, weil sie in der Lage seien, die besonderen Probleme der nationalen Minderheit im Parlament zur Sprache zu bringen. Parteien nationaler Minderheiten seien folglich nicht mit den anderen Parteien zu vergleichen 103. Der Gleichheitssatz ermächtige den Gesetzgeber, Ungleiches verschieden zu behandeln104. Es obliege der Entscheidung des Gesetzgebers, ob ethnische Besonderheiten eine Ausnahmeregelung von der 5 %Sperrklausel rechtfertigten 105. Die wahlrechtliche Privilegierung nationaler Minderheiten sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil sie die Ausgrenzung und dadurch bedingte separatistische Tendenzen nationaler Minderheiten verhinde-
(3) Stellungnahme Die Ausnahmeregelung von der 5 %-Sperrklausel in § 6 Abs. 6 Satz 2 BWG zugunsten nationaler Minderheiten ist verfassungsgemäß. Sie steht mit dem in Art. 38 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit in Einklang. Dies ergibt sich aus folgendem: Die 5 %-Sperrklausel als solche verkürzt den Grundsatz der Erfolgswertgleichheit einer jeden Wahlstimme. Es ist aufgrund der Sperrklausel beispielsweise denkbar, daß mehrere kleine Parteien bei der Mandatsverteilung nicht berücksichtigt werden, obwohl sie 4,99 % der Stimmen erhalten haben. Solche Beschränkungen im Bereich der Wahlrechtsgleichheit bedürfen zu ihrer Rechtfertigung einen zwingenden Grund 01. Sinn und Zweck der Sperrklausel ist es, der Gefahr einer Parteienzersplitterung im Parlament entgegenzuwirken, weil dies - wie die Erfahrungen unter der Weimarer Reichsverfassung gelehrt haben - die Regierungsbildung erschwert oder gar unmöglich macht108. Diese staatspolitische Gefahr rechtfertigt es ausnahmsweise, die Zuteilung von Mandaten von der Erzielung eines angemessenen Quorums abhängig zu machen109. Eine solche staatspolitische Gefahr besteht bei Parteien, die Belange der nationalen Minderheiten vertreten, nicht. Die Zahl der nationalen Minderheiten ist in Deutschland gering. Es kommt hinzu, daß die in 103
Frowin (Fn. 97), S. 92; Thieme (Fn. 97), S. 666. Blumenwitz (Fn. 4), S. 83; Thieme (Fn. 97), S. 667. 105 Faisst (Fn. 64), S. 130 f. 106 Pieroth, Der Begriff (Fn. 89), S. 36. 107 BVerfGE 1, 208 (247 ff.); 69, 92 (106); 82, 322 (338); 93, 373 (377); 95, 408 (418); st. Rspr. 108 BVerfGE 34,81 (99). 109 BVerfGE 4, 31 (40); 34, 81 (99). 104
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Deutschland lebenden nationalen Minderheiten aufgrund ihrer Größe Probleme haben, die notwendigen Stimmen fur ein Abgeordnetenmandat zu erreichen. Die Befreiung von der 5 %-Klausel zugunsten nationaler Minderheiten ist im Hinblick auf den hohen Stellenwert der Erfolgswertgleichheit einer jeden Stimme verfassungsrechtlich somit nicht zu beanstanden. Die Befreiung von der 5 %-Klausel zugunsten nationaler Minderheiten verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Zwar ist Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG auch im Rahmen des Art. 38 Abs. 1 GG anzuwenden110; lediglich der allgemeine Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG wird nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 111 durch Art. 38 Abs. 1 GG verdrängt. Eine nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG unzulässige Differenzierung findet jedoch bei den wahlrechtlichen Befreiungen von Sperrklauseln zugunsten nationaler Minderheiten nicht statt. Zwar mögen solche Regelungen auf den ersten Blick gegen die Differenzierungsverbote der „Heimat und Herkunft" in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstoßen 112. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß das entscheidende Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist. Nicht die Abstammung ist das Abgrenzungskriterium zu der Mehrheitsbevölkerung, sondern das Bekenntnis einer nationalen Minderheitengruppe anzugehören. Das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit wird durch Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht ausgeschlossen113. § 6 Abs. 6 Satz 2 BWG privilegiert jede nationale Minderheit und keineswegs nur die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein114. Die örtliche Herkunft ist nicht begründend für die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit; das Siedlungsgebiet der nationalen Minderheit begrenzt lediglich die Zugehörigkeit zur nationalen Minderheit 115. Das Sprechen in der Minderheitensprache ist lediglich ein objektives Hilfsmittel zur Bestimmung der Angehörigen einer nationalen Minderheit 11611 7 . Da das Grundgesetz den Schutz nationaler Minderheiten nicht ausdrücklich zu einem Staatsziel erklärt hat, ist der Gesetzgeber allerdings von Verfassungsrechts wegen nicht gehalten, wahlrechtliche Privilegierungen zugunsten nationa110
BVerfGE 6, 84 (91). BVerfGE 99, 1 (8 ff.)· 112 SoBecht{¥n. 97), S. 167. 113 Pieroth, Der Begriff (Fn. 89), S. 42 f.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 17. Aufl., 2001, Rn. 451. 114 Pieroth/Schlink (Fn. 113), Rn. 451. 1,5 Pieroth, Der Begriff (Fn. 89), S. 42 f. 116 Ebd., S. 42. 117 Nach der Ansicht von Dürig ist eine Ungleichbehandlung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein zum Ausgleich von Nachteilen verfassungsrechtlich geboten. Die Gleichbehandlung von nationalen Minderheiten und der Mehrheitsbevölkerung sei ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog, GGKomm., Loseblattsammlung, Art. 3 Abs. 3 Rn. 55 Fn. 1. 111
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1er Minderheiten zu erlassen. Im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG steht es den Ländern frei, in ihrem Verfassungsraum Parteien nationaler Minderheiten im Wahlrecht zu privilegieren.
b) Landesebene Auf Landesebene enthalten die Wahlgesetze von Schleswig-Holstein und von Brandenburg Befreiungen von der 5 %-Sperrklausel zugunsten nationaler Minderheiten.
aa) Brandenburg § 3 Abs. 1 Satz 2 Wahlgesetz Brandenburg 118 bestimmt folgendes: Die Bestimmungen über die 5 %-Sperrklausel finden auf Parteien, politische Vereinigungen oder Listenvereinigungen der Sorben keine Anwendung. Interessant ist, daß das brandenburgische Wahlgesetz auch eine Regelung für die Bestimmung der begünstigten Parteien und Vereinigungen enthält. Ob eine Partei, eine Vereinigung oder eine Listenvereinigung eine Landesliste der Sorben ist, entscheidet der Landeswahlausschuß auf Vorschlag des Präsidiums des Landtags nach Anhörung des Rates für sorbische Angelegenheiten119. Die zuvor genannten Regelungen im brandenburgischen Wahlgesetz konkretisieren die landesverfassungsrechtlich garantierte politische Mitgestaltung des sorbischen Volkes in Brandenburg 120.
bb) Schleswig-Holstein Das Wahlgesetz für den Landtag von Schleswig-Holstein nimmt in § 3 Abs. 1 Satz 2 1 2 1 Parteien der dänischen Minderheit von der 5 %-Sperrklausel aus. Im Gegensatz zum Wahlgesetz in Brandenburg enthält das Wahlgesetz von Schleswig-Holstein keine Bestimmung über die Feststellung der Frage, ob eine Partei tatsächlich die Angelegenheiten der wahlrechtlich privilegierten Minderheit vertritt. Die Interessen der dänischen Minderheit werden im Landtag von Schleswig-Holstein vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) vertreten. 118
Wahlgesetz für den Landtag Brandenburg vom 2. März 1994 (GVB1.1, S. 38) geändert durch Gesetz vom 7. Juli 1994 (GVB1.1, S. 294). 119 § 3 Abs. 1 Satz 3 Wahlgesetz Brandenburg. 120 Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Verfassung Brandenburg. 121 Text: GVOB1. 1991 S. 442, ber. S. 637 und geändert durch Gesetz vom 27. Oktober 1997, GVOB1., S. 462. 6 Blumenwitz
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Der SSW vertritt nach seinem Rahmenprogramm auch die Belange der nationalen Friesen in Südschleswig. Dies ist aber nur ein Nebenziel der SSW-Tätigkeit. Hauptziel des SSW ist es, die Interessen der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein zu vertreten 122. Der SSW profitiert deshalb von der landeswahlrechtlichen Befreiung von der 5 %-Sperrklausel zugunsten der dänischen Minderheit. Die landeswahlrechtliche Privilegierung der dänischen Minderheit steht auch mit der Landesverfassung in Einklang. Denn Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Verfassung Schleswig-Holstein stellt die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten ausdrücklich unter den Schutz der Verfassung. Aufgrund der wahlrechtlichen Privilegierung ist der SSW befugt, eine landesweite Wahlliste einzureichen. Eine Beschränkung der Wahlliste von Parteien nationaler Minderheiten auf das Siedlungsgebiet der betreffenden nationalen Minderheit sieht das Landeswahlrecht von Schleswig-Holstein - wie das Bundeswahlgesetz auch - nicht vor 123 . Allerdings muß der SSW sein aktives politisches Leben auf das Siedlungsgebiet der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein beschränken, wenn er den Status als Minderheitenpartei nicht verlieren möchte124. Nach einer neuen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig125 soll § 3 Abs. 1 Satz 2 Wahlgesetz Schleswig-Holstein nichtig sein. Diese Bestimmung verstoße gegen die Grundsätze der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien. Nach der Ansicht des Gerichts könne eine nationale Minderheit nur in ihrem angestammten Siedlungsgebiet von der wahlrechtlichen Sperrklausel befreit werden. Die zuvor genannte Bestimmung nimmt Parteien nationaler Minderheiten allerdings landesweit von der Sperrklausel aus. Zu der Entscheidung des OVG Schleswig ist folgendes zu sagen: Das OVG Schleswig hat keine Verwerfungskompetenz. Das Bundesverfassungsgericht wird folglich prüfen müssen, ob die in Rede stehende Wahlprivilegierung verfassungsgemäß ist. Das sieht auch das OVG Schleswig so. In der Sache ist die Argumentation des Gerichts allerdings wenig überzeugend. Gibt es in einem bestimmten Siedlungsgebiet anerkanntermaßen eine nationale Minderheit, sollte der Landesgesetzgeber die Möglichkeit haben, die wahlrechtliche Privilegierung landesweit allen Angehörigen der nationalen Minderheit zugute kommen zu lassen. Das Wahlrecht muß nicht zwingend mit dem Wohnsitzort verknüpft sein, wie z.B. das Wahlrecht der Auslandsdeutschen beweist. Im Zeitalter der zunehmenden 122 Pieroth, Der Begriff (Fn. 89), S. 22 f.; Schleswig-Holsteinischer Landtag, Entscheidung über die Gültigkeit der Landtagswahl vom 27. Februar 2000, LT-Drs. 15/636, S. 8. 123 Pieroth, Der Begriff (Fn. 89), S. 24. 124 Ebd., S. 25 f. 125 OVG Schleswig, JZ 2003, 519 ff. mit einer zustimmenden Anmerkung von A. Zimmermann.
Sonderstellung von Minderheiten im Wahlrecht
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Mobilität wirkt es antiquiert, wenn bereits ein Umzug innerhalb eines Bundeslandes den Verlust eines im Grundsatz anerkannten Wahlprivilegs zur Folge hat. Schließlich kann nicht zweifelhaft sein, daß Angehörige nationaler Minderheiten auch dann schutzwürdig sind, wenn sie ihren Wohnsitz außerhalb des angestammten Siedlungsgebiets der betreffenden nationalen Minderheit haben.
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Abstract Holger Kremser : The Legal Status of Minorities in Parliamentary Elections, In: Minority Protection and Democracy. Ed. by Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2004) pp. 59-83. International law contains no specific rules on the political participation of national minorities. The principle of equal opportunity requires that minority parties be granted less stringent conditions of admission to parliamentary elections. States with a proportional voting system, however, regularly impose an electoral exclusion clause which can place small parties at a disadvantage. National minority parties should therefore be exempted from such electoral clauses. Small minorities will rarely be able to attract the amount of votes required for even a single parliamentary seat. In such cases, only constitutionally vested rules on the minimum amount of seats may safeguard the parliamentary representation of national minorities. Ideal protection of minorities may be achieved if the constitution affords their representatives an absolute veto in decisions concerning their own affairs. The German constitution, or Basic Law (iGrundgesetz ), contains no explicit provisions on the protection of minorities. Still, Section 6 (6) of the Federal Electoral Law {Bundeswahlgesetz) exempts national minority parties from the 5% exclusion clause. This exemption is in conformity with the constitution, since national minority parties regularly pose no political risk - as opposed to general party fragmentation. The Constitutions of the Länder Brandenburg, Sachsen-Anhalt and Schleswig-Holstein contain specific guarantees for the political participation of national minorities. The Electoral Law of Brandenburg exempts associations of Sorbs from the 5% exclusion clause. The Electoral Law of Schleswig-Holstein exempts parties of the Danish minority from the 5% exclusion clause. Both exemptions violate neither the Federal constitution nor the constitutions of the Länder.
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Organisation von Minderheiten und innerorganisatorische Demokratie - Beispiel: Finnland Von Tore Modeen
I. Geschichtlicher Hintergrund Bis 1809 gehörte Finnland zu Schweden ohne irgendeine Selbstverwaltung. Als Finnland in besagtem Jahr unter russische Herrschaft kam, wurde dem Land die Stellung eines autonomen Großfiirstentums verliehen. Seine schwedische Vergangenheit hat Finnland immer stark geprägt, heute freilich nicht mehr so deutlich wie noch im 19. Jahrhundert. Nach 1809 sind in Finnland die damaligen schwedischen Gesetze (auch die Grundgesetze) in Kraft geblieben, und wenn neue Gesetze erlassen wurden, hat man hat man sich oftmals am schwedischen Vorbild orientiert. Das finnische Recht gehörte immer schon zum ostskandinavischen System, obwohl die Bindung zu Schweden heute weniger deutlich ist als früher. Das finnische Recht hat sich somit ganz ohne russische oder sowjetische Beeinflussung entwickelt. Auch nach 1809 blieb die offizielle Sprache in Finnland Schwedisch. Die Sprache der Mehrheit, also: Finnisch, war damals unentwickelt und wurde nur wenig schriftlich benutzt. Erst später wurde Finnisch in eine Kultursprache entwickelt. Man begann, finnische Schulen zu gründen, und veröffentlichte finnische Literatur. Diese Entwicklung wurde vom russischen Kaiser befördert, da er die Bindung zu Schweden schwächen wollte. Der Kaiser hat im Jahre 1863 verordnet (die Sprachfragen wurden damals als Verwaltungssachen betrachtet und gehörten somit zur Zuständigkeit des Kaisers alleine), daß die finnische Sprache die Stellung einer zweiten offiziellen Sprache erhielt. Russisch wurde erst viel später als die dritte Landessprache eingeführt. Als selbständiger Staat bekam Finnland sein eigenes republikanisches Grundgesetz: die Regierungsform von 1919. Nach dieser Verfassung soll Finnland als Einheitsstaat, aber mit zwei Nationalsprachen: Finnisch und Schwedisch, verwaltet werden. Die Regierungsform erkennt keine nationalen oder religiösen Minderheiten in Finnland an. Sie bestimmt, daß die Verfassung der evangelisch-lutherischen Landeskirche gesetzlich geregelt sein soll (Gesetz vom 26.11.1993). Da die Religionsfreiheit in der Regierungsform garantiert wird, sind auch andere Glaubensgemeinschaften erlaubt (Gesetz vom 6.6.1993).
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Schon während der russischen Zeit haben die finnischen Kommunen bedeutende Selbsverwaltungsbefugnisse bekommen. Die kommunale Selbstverwaltung wurde in der Regierungsform fixiert. Dagegen gibt es in Finnland auf Provinz» oder Kreisebene keine Gebietskörperschaften in Selbstverwaltung, nur interkommunale Verbände, obwohl die Regierungsform die Einfuhrung solcher Körperschaften zuläßt. Wie später näher berichtet werden wird, wurde die einheitsstaatliche Verfassung Finnlands bald einigermaßen erschüttert, als die selbstverwaltende Provinz Aland gegründet wurde. Diese Selbstverwaltung war Ergebnis eines internationalen Konflikts und somit nicht finnischer Initiative. Als ethnische Volksgruppen haben die Lappen und die Roma kürzlich gewisse grundgesetzlich gesicherte sprachliche und kulturelle Rechte bekommen. Auch andere Minderheiten sollen heute geschützt werden.
I I . Die Staatsverfassung. Die Finnen und die Schweden Das geltende Grundgesetz Finnlands vom 11.6.1999, das am 1.3.2000 in Kraft getreten ist, hat die Regierungsform von 1919 ersetzt. Das neue Grundgesetz hat § 14 Abs. 1 a. F. der Regierungsform von 1919, der festlegt, daß Finnisch und Schwedisch als Nationalsprachen Finnlands gelten, unverändert übernommen (vgl. § 17 Abs. 1 n. F.). Die sprachlichen und kulturellen Rechte (wie auch die übrigen Grundrechte) gelten unter dem neuen Grundgesetz für alle Einwohner ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. § 17 Abs. 2 lautet (in deutscher Übersetzung): „Das Recht eines jeden, sich vor Gericht und bei einer anderen Behörde in eigener Sache seiner eigenen Sprache, entweder der finnischen oder der schwedischen, zu bedienen sowie seine Ausfertigungen in dieser Sprache zu erhalten, wird durch Gesetz gesichert. Die öffentliche Gewalt hat für die kulturellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse der finnisch- und schwedischsprachigen Bevölkerung des Landes nach denselben Grundsätzen zu sorgen."
Man hat diese Bestimmung (wie die entsprechende Bestimmung in der Regierungsform von 1919) mit Hinweis auch auf § 6 des Grundgesetzes (Gleichheitsprinzip) so ausgelegt, daß jegliche einseitige Begünstigung der schwächeren Volksgruppe (d. h. der Finnlandsschweden) unzulässig wäre. Nach dem Grundgesetz und dem Sprachgesetz vom 1.6.1922 (ein neues Sprachgesetz ist am 6.6.2003 erlassen worden) wird die schwedische Volksgruppe in Finnland somit nicht als eine Minderheit im juristischen Sinn betrachtet. Die Finnlandsschweden und die Finnen sollen gleichberechtigt behandelt werden. Die Zahl der Finnlandsschweden ist aber viel geringer als die der Fin-
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nen1, so daß man die Schweden jedenfalls faktisch als eine Minderheit betrachten muß. Deshalb werden sie an dieser Stelle auch behandelt.
I I I . Die Finnlandsschweden. Allgemeines Da Schwedisch die allgemeine Bildungssprache in ganz Finnland bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und größtenteils auch die Sprache der Behörden war, dominierte die schwedische Sprache das Leben in Finnland, obwohl die Zahl der Finnen mit Schwedisch als Muttersprache immer viel niedriger war als diejenige der Finnen mit Finnisch als Muttersprache. Die Initiative, die finnische Sprache zu einer Kultur- und Staatssprache zu entwickeln, kam von den schwedischsprachigen Studenten in Helsingfors. Finnisch wurde in diesen Kreisen als die eigentliche nationale Sprache betrachtet, obwohl die Sprachkenntnisse damals schwach waren. Man wollte Schwedisch beseitigen und Finnland in ein einsprachiges Land umwandeln. Als Gegenreaktion entstand die schwedisch-nationale Bewegung. Die schwedisch gesinnten Kreise forderten, daß Finnland zweisprachig verwaltet werden sollte. Ihrer Meinung nach sollte Schwedisch als die alte Bildungssprache in Finnland bewahrt werden; ferner sollte man auch Rücksicht nehmen auf die vielen Bauern und Fischer, die kein Finnisch beherrschten. 2 Die schwedische Partei wurde im Jahre 1896 gegründet. Zum ersten Mal setzten sich Mitglieder der schwedischen Oberschicht mit denjenigen des Schwedisch sprechenden Volkes zusammen, um einen auf sprachlichkulturellem Grund wirkenden politischen Bund zu schaffen mit dem Ziel, die gemeinsamen Interessen der schwedischen Volksgruppe in Finnland zu verteidigen. In dem autonomen Großfiirstentum Finnland wirkte damals eine ständische Volksvertretung: der Landtag mit vier Ständen. Die finnisch Gesinnten hatten die Mehrheit im Priester- und im Bauernstand, während der Adel und die Bürgerschaft schwedisch gesinnt waren. Somit herrschte ein Gleichgewicht zwischen den beiden Parteien. Durch die Verfassungsreform von 1906 wurde die Zusammensetzung des Landtages radikal verändert. In dem neuen demokratisch gewählten Landtag verloren die Finnlandsschweden ihre politische Machtposition, weil die zahlenmäßige Mehrheit im Lande und somit auch im Landtag finnisch gesinnt war.
1 Die Zahl der registrierten Finnlandschweden beträgt etwa 300.000 bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 5 Millionen. 2 Siehe näher Axel Lille, Den svenska nationalitetens i Finland samlingsrörelse, Helsingfors 1921.
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Seit beinahe hundert Jahren ist die schwedische Volksgruppe nur mit einer kleinen Zahl von Abgeordneten vertreten. Obwohl ihr Anteil im Reichstag niedrig ist und die Stimmung vieler Mitglieder der Mehrheit gegenüber dem Schwedentum in Finnland ablehnend, haben die schwedischen Politiker auch in der neueren Geschichte Finnlands eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. In den meisten Regierungen waren sie vertreten. Es ist ihnen auch gelungen, es zu schaffen, daß die Lage der schwedischen Volksgruppe, trotz ihrer zahlenmäßigen Schwäche, im Großen und Ganzen als befriedigend beurteilt werden kann. So sind etwa die „Sprachbestimmungen" im neuen Grundgesetz geblieben. Man hofft auch, daß das neue Sprachgesetz die Interessen der Minderheit berücksichtigen wird. Der Anteil der Finnlandsschweden in der Bevölkerung ist nämlich gesunken, dies wegen Auswanderung und Mischehen.3 Hier sollen die Rechte der Finnlandsschweden nicht näher untersucht werden; insoweit sei auf Ausführungen an anderer Stelle verwiesen. 4
IV. Die innerorganisatorische Demokratie der Finnlandschweden Die veränderte Lage nach der Repräsentationsreform 1906, im Rahmen derer der Einfluß der Finnlandschweden auf die politische Entwicklung des Landes stark geschwächt wurde, hatte diese beunruhigt. Finnland war damals noch ein Großfürstentum unter dem russischen Kaiser und hatte somit nur begrenzte Möglichkeiten, seine Selbstverwaltung zu entwickeln. Als Finnland 1917 ein selbständiger Staat wurde, mußte eine neue Staatsverfassung geschaffen werden. Die Finnlandsschweden waren mit den ersten Entwürfen nicht zufrieden, da ihre Stellung als Staatsvolk aus diesen nicht hervorging. Man fürchtete, daß
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Tore Modeen, Die Reduktion der schwedischen Volksgruppe durch Abwanderung nach Schweden, in: Wilfried Schlau (Hrsg.), Bedingungslose Heimkehr, Frankfurt 1979; Fjalar Finnäs, Den finlandssvenska befolkningsutvecklingen 1950-1980, Diss. Helsingfors 1986. 4 Siehe u. a. Jan Sundberg, Svenskhetens dilemma i Finland, Bidrag tili kännedom om Finlands natur och folk 133, Diss. Helsingfors 1985; Tore Modeen, Die Lage der schwedischen Volksgruppe in Finnland, Europa Ethnica 56 (1999), 119ff.; ders., Finlandssvenskarnas fundamental rättigheter, Tidskrift, utgiven av Juridiska föreningen i Finland 135 (1999), 326ff.; ders., Finnische Minderheitenrechte und -schutzbestimmungen als Modell für eine Verbesserung der Minderheitengesetzgebung in Ostmitteleuropa, in: D. Blumenwitz / G. H. Gornig / D. Murswiek (Hrsg.), Fortschritte im Beitrittsprozess der Staaten Ostmittel, Ost- und Südosteuropas zur Europäischen Union (Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen. Studiengruppe für Politik und Völkerrecht 18), Köln 1999, S. 83ff.
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ihre Lage sich in einem finnischen Nationalstaat verschlechtern könnte. Zur selben Zeit wurde auch die Aland-Frage aktuell (siehe unten).5 Deshalb haben die Finnlandsschweden es als notwendig erachtet, eine eigene Repräsentation zu schaffen, die mit mehr Gewicht als die Schwedische Volkspartei im Namen der Volksgruppe sprechen könnte. Diese Partei vertritt ja nur die bürgerliche Fraktion der Schweden und es gibt Schweden auch in den (zweisprachigen) Linksparteien. 6 Im Jahre 1919 wurde Svenska Finlands Folkting gegründet. In den ersten Wahlen zum Folkting haben 110.722 schwedisch gesinnte Finnen 60 Repräsentanten gewählt. Das Folkting hat alle wichtige Fragen das Schwedentum in Finnland betreffend behandelt und sich darüber in der Öffentlichkeit geäußert. Zum Teil dank des Einsatzes des Folktings, vor allem aber desjenigen der Abgeordneten der Schwedischen Volkspartei im Reichstag war das Ergebnis positiv. Es ist gelungen, die Unterstützung anderer Parteien zu gewinnen für die Abfassung der Sprachbestimmungen in der Regierungsform nach dem Wunsch der Schweden. Auch das Sprachgesetz und die Äland-Frage wurden befriedigend geregelt. Eine schwedische Diözese wurde gegründet. In der zentralen Schulverwaltung wurde ein schwedisches Büro gegründet. Eine autonome schwedische Schulverwaltung wurde jedoch nicht geschaffen. Trotz Bestrebungen gewisser finnlandsschwedischer Kreise, insbesondere in Österbotten, in den Jahren gleich nach der Selbständigkeit, eine Art gebietskörperschaftliche Selbstverwaltung der schwedischen Wohngebiete zustande zu bringen, wurde dieses Ziel nicht erreicht. Die Finnen waren dagegen, und es fehlte auch am Willen der schwedischen Kreise in der Hauptstadt. Dazu kommt, daß das schwedische Wohngebiet in Finnland sehr zersplittert ist.7 Ein Regierungsbezirk mit schwedischer Mehrheit wurde vorgeschlagen, aber ohne Erfolg. Eine erneute Initiative nach dem Krieg hat der Reichstag abgelehnt. In den folgenden Jahren wurde das Folkting nicht mehr einberufen. Das bedeutet nicht, daß es keine Streitigkeiten zwischen den beiden Volksgruppen gegeben hätte. Die finnisch-nationalistischen Kreise haben, insbesondere in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, wiederholt versucht, die sprachliche und kulturelle Lage der schwedischen Volksgruppe zu schwächen. Die Schweden konnten damals auf die Hilfe der bedeutenden sozialdemokratischen Partei unter der Leitung von Väinö Tanner rechnen, so daß diese finnisch5 Tore Modeen, Finlandssvenskarnas nationella grundlagsskydd, Acta Academiae Aboensis A, 54:3, Abo 1977. 6 In den letzten Jahren haben auch mehrere ursprünglich finnisch gesinnte Parteien sich zur Zweisprachigkeit bekannt. 7 Gör an von Bonsdorff, Självstyrelsetanken ifinlandssvensk politik âren 1917-1923, Diss. Helsingfors 1950.
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nationalistischen Angriffe abgewehrt werden konnten. Eine heiße Streitfrage in den 30er Jahren war die Unterrichtssprache der damals einzigen Staatsuni versität (in Helsingfors). Die finnisch-nationalistischen Kreise, von der großen Mehrheit der Studenten unterstützt, wollten alle schwedischen Einflüsse aus dem Universitätsleben verbannen. Eine Kompromißlösung wurde erreicht, die aber für die Schweden nicht besonders günstig war. Infolge der Vertreibung der Finnen aus den von der Sowjetunion annektierten Ostgebieten nach dem Krieg mußte in den 40er Jahren eine zwangsweise Zuteilung landwirtschaftlicher Flächen zu Gunsten dieser Vertriebenen im übrigen Finnland erfolgen. Diese Siedlungspolitik drohte den ethnischen Charakter der schwedischen Wohngebiete zu verändern. In dieser kritischen Lage sah man die Wiederbelebung des Folktings als notwendig an. Dank der Entschlossenheit der Finnlandsschweden und der positiven Haltung des Staatspräsidenten Paasikivi waren die Bestrebungen, das „schwedische Land" zu retten, von Erfolg gekrönt. In den 50er Jahren waren die Entwicklung der öffentlichen Gebietsverwaltung, des Schulwesens und der Rundfunk aktuelle Fragen, bei denen das Folkting aktiv für die Wahrnehmung der schwedischen Interessen gewirkt hat. In den 70er Jahren entstand aber eine Krise im Folkting, als die Sozialdemokraten sich daraus zurückzogen mit der Begründung, daß die niedrige Zahl ihrer gewählten Vertreter nicht der Bedeutung der Partei entspräche. In den 80er Jahren wurde das Folkting neu organisiert. Seitdem werden die 75 Mitglieder nicht mehr in allgemeinen Wahlen, sondern jedes vierte Jahr indirekt gewählt von denjenigen schwedischen Kandidaten in den Kommunalwahlen, die von ihren Parteien auch als Kandidaten für das Folkting nominiert sind. Die Zahl der Stimmen in den Kommunalwalen werden in diesem Zusammenhang berücksichtigt. Man könnte sich jedoch fragen, ob diese Wahlmethode den strengen Forderungen der Demokratie entspricht. Sie scheint bisher freilich keine ernstere Kritik unter den Finnlandsschweden hervorgerufen zu haben. Das Folkting existiert heute als halboffizielle Vertretung der Finnlandsschweden. Seit einigen Jahren bekommt das Folkting einen Staatszuschuß (unter Aufsicht des Unterrichtsministeriums) (Gesetz vom 29.11.1985). Das Folkting tagt jedes zweite Jahr. Inzwischen werden seine Angelegenheiten von einem 16-köpfigen Vorstand verwaltet. Für Eilsachen gibt es einen zuständigen Arbeitsausschuß aus 5 Personen. Dazu kommen verschiedene Delegationen und das kleine Büro. Das Folkting veröffentlicht Schriften (auch finnischsprachige) über sprachliche und kulturelle Fragen die Finnlandsschweden betreffend und über die Lage der Volksgruppe im allgemeinen.
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„Svenska Finlands folktings garanter" ist ein (privatrechtlicher) Verein, der die wirtschaftliche Stabilität des Folktings garantiert. Der Verein hat einen eigenen Vorstand (bestehend aus 6 bis 7 Mitgliedern). Die Satzung des Folktings gibt ebenso wenig wie das Gesetz Hinweise für die Beurteilung seiner rechtlichen Stellung. Es ist aber offensichtlich, daß das Folkting eine juristische Person ist (siehe auch § 13 der Satzung des Garantievereins). Der Staatszuschuß wird dem Folkting und nicht dem Garantieverein gewährt. Die Satzung des Folktings ist nicht im Gesetzblatt veröffentlicht. Schon dies zeigt, daß es sich nicht um eine öffentlichrechtliche Person handeln kann. Staatszuschüsse sind ja keinesfalls öffentlichrechtlichen Subjekten vorbehalten. Dem Folkting kommen keine Obrigkeitsbefugnisse zu. Die Tätigkeit ist nur die einer Lobby und Pressuregroup, die eines beratenden Gremiums. Mithin kann das Folkting keine öffentlichrechtliche Stellung behaupten. Das Folkting ist heute kaum als besonders bedeutend einzuschätzen. Ein Grund dafür ist die fragliche Repräsentativität des Folktings für die schwedische Volksgruppe, aber auch dass es in der Öffentlichkeit nicht besonders sichtbar ist. Die Schwedische Volkspartei mit ihren Fraktionen im Reichstag, in den Gemeindevorständen und in anderen Gremien bleibt der wichtigste Vertreter der Volksgruppe. Andere schwedische Institutionen sowie die Kultur-, Literatur- und Kunststiftungen mit ihren großen Vermögen wie auch die schwedische Universität Abo Akademi bekommen in den Medien viel Aufmerksamkeit, ihr Einsatz zugunsten des Schwedentums in Finnland muss hoch eingeschätzt werden.
V. Die Äländer Im Grundgesetz ist die Selbstverwaltung von Aland verankert (§ 75). Ein Teil (etwa 26.000) der schwedischen Volksgruppe Finnlands lebt auf den Aland-Inseln zwischen Finnland und Schweden. Vor allem wegen ihrer strategischen Bedeutung haben sie schon früh (nach dem Krim-Krieg) eine internationale Sonderstellung bekommen und sind immer schon Gegenstand völkerrechtlicher Verträge gewesen8. Ihre Einwohner genießen einen besonderen Schutz ihrer Sprache und Kultur, der viel vollständiger ist als derjenige der übrigen Finnlandschweden. 8 Tore Modeen, Völkerrechtliche Probleme der Aland-Inseln, ZaöRV 37 (1977), 604ff. Siehe auch Internationella avtal och dokument rörande Aland - International Treaties and Documents Concerning Aland Islands 1856-1992, Meddelanden frân Alands kulturstiftelse 6, Mariehamn 1993.
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Das Land Aland ist das einzige Beispiel provinzieller Selbstverwaltung in Finnland. Sie wurde ursprünglich durch ein Gesetz von 1920 im Jahre 1922 eingeführt. Der Grund dieser Sonderregelung war der im Völkerbundrat anhängige Anspruch Schwedens auf die Souveränität über die Inseln. Der Anspruch war auf dem ethnischen Charakter der Inseln begründet, aber die Hauptursache war ihre strategische Lage in der Ostsee. Finnland wollte mit der Einführung äländischer Selbstverwaltung zeigen, daß man bereit war, den Einwohnern der Inseln eine Sonderstellung zu gewähren. Der Völkerbundrat entschied den Streit zum Vorteil Finnlands, verlangte aber noch vollständigere Garantien für den Schutz des Schwedentums. Ein Abkommen darüber wurde am 26.7.1921 zwischen Vertretern Schwedens und Finnlands in Genf getroffen. Das bilaterale Abkommen wurde vom Völkerbundrat bestätigt. Diese Bestimmungen wurden danach auch gesetzlich in Finnland verankert, zuerst als Sondergesetz (11.8.1922), später im Selbstverwaltungsgesetz für die Landschaft Aland (heutige Fassung: 28.12.1995), das Verfassungsrang besitzt. Die Befugnisse der äländischen Selbstverwaltungsbehörden sind sehr bedeutend und umfassen auch gesetzgeberische Gewalt (besonders im Rahmen des Verwaltungsrechts). 9 Die eigentlichen Einwohner der Äland-Inseln besitzen ein besonderes Landesangehörigkeitsrecht. Landesangehörige sind die Nachkommen früherer Landesangehörigen, die in der Landschaft ansässig sind. Neue Landesangehörige erhalten ihre Stellung durch einen Beschluß der Landesbehörden. Bedingungen sind finnische Staatsbürgerschaft, mehrjähriger Aufenthalt auf den Inseln und schwedische Sprachkenntnisse. Mit dem Landesangehörigkeitsrecht sind wichtige Vorteile verbunden. Das Innehaben dieses Rechtes ist eine Bedingung für den Kauf von Grundeigentum auf den Inseln. Nur ausnahmsweise dürfen Nicht-Gebietsansässige Grundeigentum erwerben. Auch das Recht zum Gewerbetreiben kommt in erster Linie „eigentlichen" Äländern zu. Nur landesangehörige Aländer haben Stimmrecht in den Wahlen zum äländischen Lagting (Parlament) und Gemeinderat und besit-
9 Tore Modeen, De folkrättsliga garantierna för bevarandet av Alandsöarnas nationella karaktär / Zusammenfassung: La protection du caractère national des îles d'Aland en droit international, Skrifter utgivna av Alands kulturstiflelse 7, Mariehamn 1973. Förslag tili ny självstyrelselag för Aland, Justitieministeriet (Gutachten einer Arbeitsgruppe), Lagberedningsavdelningens publikation 1989:7; Regierungsvorschlag zum heutigen Selbstverwaltungsgesetz, Gutachten des Gesetzesausschuses des Reichstages 1990-91:27. Siehe auch Regierungsvorschlag 1993:138.
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zen Wählbarkeit zu diesen und anderen äländischen Gremien. Die äländischen Männer sind von der finnischen Wehrpflicht befreit. Das Land hat sein eigenes Parlament („Lagting"); das höchste Verwaltungsorgan ist die Landesregierung („landskapsstyrelsen"). Dazu gibt es untere Landesbehörden. Die Gemeinden werden nach einem äländischen Gemeindegesetz (vom 25.9.1997) verwaltet. Die Mitglieder des Parlaments werden in allgemeiner Verhältniswahl gewählt. Heute (seit 1995) sind 5 politische Parteien im Parlament vertreten; in den Ausschüssen sind sie proportional repräsentiert. Vor 1988 waren die Parteien auch in der Landesregierung proportional vertreten. Aber seitdem werden der Landrat und deren übrige Mitglieder nach Beratungen zwischen den Sprechern des Lagtings und den Repräsentanten der Parteien vom Lagting ernannt. Seit 1988 enthält die Geschäftsordnung des Lagtings Bestimmungen über die Einfuhrung von Parlamentarismus. Das Vertrauen einer Mehrheit im Lagting ist die Voraussetzung für Wahl und Tätigkeit des Landrates (der höchste Politiker und Vorsitzende der Landesregierung in Aland). Im Falle eines Mißtrauensvotums der Mehrheit muß der Landrat gehen - was noch nie geschehen ist. Dagegen ist die Landesregierung einmal mittels eines Mißtrauensvotums gezwungen worden, ihr Amt aufzugeben. Einmal ist der Landrat aus eigener Initiative abgetreten, was bedeutete, daß letztlich die ganze Landesregierung gehen mußte. Derselbe Landrat freilich hat eine neue Regierung mit einem neuen Programm gebildet, und das Lagting hat es gebilligt. Die gesetzgeberische Zuständigkeit des Lagtings ist umfassend: 27 Bereiche, darunter die Kommunalverwaltung, das Brand- und Rettungswesen, Bauplanung und Baukontrolle, Umweltschutz, Sozialfürsorge, Krankenpflege, Kultur und Erziehung, Verkehr, Post (das Land hat eigene Briefmarken). Völkerrechtliche Verträge Finnlands, die die Selbstverwaltung der Aland-Inseln angehen, müssen dem Lagting untergestellt werden. Alle äländischen Landesgesetze müssen dem Staatspräsidenten vorgelegt werden; er hat ein Vetorecht. Jährlich wird das Vetorecht in 1 bis 4 Fällen ausgeübt, immer nachdem er die Alandsdelegation und häufig auch den Obersten Gerichtshof konsultiert hat. Das Landesparlament kann über den Reichstag auch auf Reichsebene gesetzesinitiativ werden. Das ist z. B. bei der Verabschiedung des Gesetzes über das Erwerben von Grundeigentum auf den Aland-Inseln geschehen. Die Aländer haben das Recht, einen Abgeordneten zum finnischen Reichstag zu wählen. Er ist Mitglied der Fraktion der schwedischen Volkspartei. Der Staatspräsident darf das Lagting auflösen, aber nur wenn der Sprecher damit einverstanden ist. Bisher ist dies noch nie geschehen. Das Lagting darf sich selbst auflösen; danach müssen neue Wahlen stattfinden. Diese Möglich-
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keit einer Auflösung wird im Selbstverwaltungsgesetz zwar vorausgesetzt, ist aber durch Landesgesetz bisher noch nicht näher geregelt. Das Reich wird im Land vom Landeshauptmann vertreten. Er leitet auch die Âlandsdelegation , ein gemischtes Gremium mit äländischen und von der Reichsregierung ernannten Mitgliedern. Das Gesetz enthält ausfuhrliche Bestimmungen über die Grenzen des Tätigkeitsbereichs der äländischen Behörden gegenüber demjenigen der Reichsbehörden im Land. Grundgesetz, Schutz der persönlichen Freiheit, Familienrecht, Handelsrecht, Grundeigentumssachen, Arbeitsrecht, Verteidigung, Geldmittel, Strafrecht sind Beispiele für den Tätigkeitsbereich der Reichsbehörden. Mehrere Verwaltungsstellen arbeiten im Rahmen der äländischen Autonomie. Das Lagting hat seine eigene Kanzlei. Die Landesregierung ist in verschiedene Abteilungen aufgeteilt: die Regierungskanzlei, die Abteilungen für Verkehr, Information, Finanzen, Sozialverwaltung und Umweltschutz, Ausbildung und Kultur, Archiv, Gewerbe, Arbeitsvermittlung, Verkehr, Gesetzesvorbereitung, Statistik, Rechnungsprüfung. In der Landesregierung sind etwa 150 Beamte tätig. Dazu kommt die Stadt Mariehamn und die 15 Landgemeinden mit ihrer Verwaltung. Obwohl einiges von dem, was im Reich auf kommunaler Ebene verwaltet wird, in Aland nicht den Gemeinden, sondern dem Land zugewiesen ist, gehören zum Tätigkeitsbereich der Gemeinden viele wichtige Befugnisse, ζ. B. Technik, Bildung und Schule, Sozialfürsorge, Umweltschutz, Bauaufsicht betreffend. Die Landschaft bekommt einen gewissen Prozentsatz (genau: 0,45) der staatlichen Einkommen für die Finanzierung der Selbstverwaltung. Es gibt auch die Möglichkeit, die Aländer mit Landessteuern zu belasten. Für die Bewahrung des Schwedentums auf den Aland-Inseln sind alle diese Bestimmungen wichtig. Die Einsprachigkeit (Schwedisch) ist für die Verwaltung wie auch für die Beziehungen zum Reich im Gesetz verankert, ebenso Schwedisch als Schulsprache. Die Einwanderung von Finnischstämmigen spielt keine Rolle.
VI. Die im Grundgesetz erwähnten Minderheiten: Die Lappen und die Roma Nach § 17 Abs. 3 des Grundgesetzes wird der ethnische Charakter der Lappen (oder Sami) als Ureinwohnervolk geschützt. Auch die Zigeuner (Roma) sollen als Volksgruppe gewisse Minderheitenrechte genießen. Nach dieser Bestimmung haben nicht nur diese beiden, sondern auch andere (nicht spezifizierte) Einwohnergruppen das Recht, „ihre Sprache und Kultur zu pflegen und wei-
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terzuentwickeln". Die Lappen werden besonders begünstigt, da das Grundgesetz ihnen ausdrücklich das Recht auf Gebrauch ihrer Sprache bei den Behörden zuerkennt (Sondergesetz vom 8.9.1991). Die Situation dieser beiden gesetzlich geschützten Minderheiten wird später näher untersucht werden.
V I I . Andere Minderheiten. Die Deutschen, die Juden und die Tataren Welches sind die anderen Volksgruppen, deren ethnischen Charakter das Grundgesetz schützen soll? In Finnland hat es immer Deutsche gegeben, besonders Kaufleute in Wiborg (diese Stadt war ehemals finnisch), aber auch in den anderen südlichen Städten. Die Deutschen sind heute alle integriert. Die Deutsche Schule in Helsingfors, die ihre Schüler auch zum deutschen Abitur vorbereitet, gibt es noch immer, wie auch die evangelischen deutschen Kirchengemeinden in Helsingfors und Abo. Zwischen 1809 und 1917 gab es im Großfiirstentum Finnland eine große Zahl russischer Militärpersonen. Damals sind die ersten Juden und Tataren als wehrpflichtige Soldaten der russischen Armee nach Finnland gekommen. Nach dem Ende der Wehrpflicht sind ihre Frauen aus Russland nachgezogen, und sie haben sich in Finnland auf Dauer niedergelassen. Die Ursache war, daß sie in Finnland mehr Toleranz und weniger Diskriminierung als in Rußland gefunden haben, obwohl Religionsfreiheit in Finnland damals noch nicht eingeführt worden war und allerlei Beschränkungen für nicht christliche Einwohner galten (z. B. bezüglich des Wohnortes und der Beschäftigung). Wie schon erwähnt, herrscht seit 1919 (vgl. auch Gesetz vom 6.6.1993) Religionsfreiheit in Finnland. Die Nachkommen der eingewanderten Juden und Muslime leben hier frei als finnische Staatsbürger. Die wenigen Juden und Tataren sind in die finnische Gesellschaft, auch sprachlich und kulturell, gut integriert. Eine jüdische Mittelschule (mit Finnisch als Unterrichtssprache) arbeitet in Helsingfors. „Mischehen" (mit evangelischen Finnen) sind fast die Regel geworden. 10 Nach meiner Meinung sollten diese zwei Gruppen nur als religiöse, nicht aber als nationale Minderheiten betrachtet werden: Religiös sind sie organisiert, aber nicht politisch.
10 Die zwei jüdischen Gemeinden in Helsingfors und Abo sind im Staatskalender notiert. Dazu kommen neun(!) islamische Gemeinden (mit insgesamt 16.797 Mitgliedern).
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Außer den Juden und den Tataren können noch andere Gruppen Ansprüche auf Schutz ihrer Sprache und Kultur stellen, freilich unter der Bedingung, daß sie in Finnland auf Dauer wohnhaft sind und sich dort nicht nur vorübergehend aufhalten.
V i l i . Die Russen Finnland gehörte von 1809 bis 1917 zum russischen Kaiserreich. Man könnte mithin - was nahe läge - davon ausgehen, dass es in Finnland eine russische Volksgruppe gibt. Die Zahl der in Finnland ansässigen Russen ist aber niemals bedeutend gewesen. Einige russische Kaufmänner gab es freilich. Die meisten Russen in Finnland waren aber Offiziere und Soldaten, die sich nur vorübergehend in Finnland aufhielten. Als Mehrheit in ihrem Land hatten sie keinen Grund, Rußland auf Dauer zu verlassen, sondern kehrten nach dem Dienst in Finnland nach Rußland zurück. Wie schon erwähnt, genoss das Großfiirstentum gegenüber Petersburg eine umfassende Autonomie. Die Unabhängigkeitserklärung des finnischen Landtages am 6.12. (der heutige Nationalfeiertag Finnlands) 1917 war die Folge der Auflösung der russisch-finnischen Union von 1809 durch die Abdikation des Kaisers. Während der Union mit Rußland gab es eine besondere finnische Staatsangehörigkeit, die den Einfluß des Russentums in Finnland stark begrenzte. Nach der Revolution flüchteten viele Menschen aus Rußland nach Finnland; einige von ihnen sind dort auf Dauer geblieben. Somit gab es z. B. im Jahre 1933 etwa 18.000 Flüchtlinge aus Rußland, unter diesen indes nicht nur Russen, sondern auch finnischsprachige orthodoxe Ostkarelier und evangelische Ingermanländer. Die Stimmung in Finnland war damals sehr ablehnend gegenüber den Russen und dem Russentum. Der Grund waren die schlechten Erfahrungen mit der russischen Herrschaft in Finnland während der letzten Jahre der Union, in denen die autonomen Befugnisse des Großfiirstentums und die Grundrechte der Finnen verfassungswidrig beschränkt worden waren. Es gab somit keine politische Motivation fur einen Schutz der russischen Sprache und Kultur in Finnland. Die Russen selbst wagten es nicht, solche Ansprüche zu stellen. Man könnte vielleicht einwenden, daß die Lage der Russen nicht schlimmer war als diejenige der Lappen und Roma, die zu dieser Zeit auch keine Minderheitenrechte genossen. Aber letztere wurden damals als primitive Wandervölker betrachtet, die keinen Schutz fur ihre wenig entwickelte(n) Sprache(n) und Kultur brauchten.
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Unter den Russen in Finnland gab es dagegen auch viele Intellektuelle. Die Russen konnten mit großen Anstrengungen in den 20er und 30er Jahren ein paar private russische Schulen in Finnland (freilich ohne das Recht, das staatlich anerkannte Abitur zu verleihen) aufrechterhalten. Während der russischen Zeit wurden die orthodoxe Kirche und ihre Klöster in Finnland von Rußland aus verwaltet. Das selbständige Finnland gab der orthodoxen Kirche eine finnische Verfassung. Allmählich wurde die früher sehr russisch geprägte Kirche finnisiert. Der Zweite Weltkrieg, während dessen die Sowjetunion Finnland angegriffen hatte, hat die antirussische Stimmung der Finnen verschärft. Während der Nachkriegszeit bis zur „Wende" hat die Sowjetunion Finnland unter politischem Druck gehalten. Die meisten in Finnland ansässigen Russen haben es deshalb als vernünftig betrachtet, sich in die Mehrheit sprachlich und kulturell zu integrieren. Viele russische Familiennamen sind in finnische oder schwedische geändert worden. Die alten russischen Familien haben nur ausnahmsweise ihre Sprache behalten. Es gibt somit keine organisierte russische Volksgruppe in Finnland. Indes sind viele Menschen russischer Herkunft ihrem orthodoxen Glauben treu geblieben. Die einzige Schule, die noch (teilweise) auf russisch arbeitet, ist die staatliche finnisch-russische Oberschule in Helsingfors, dies jedoch mit hauptsächlich finnischsprachigen Schülern.
IX. Die Ingermanländer Nach der „Wende" hat eine bedeutende Einwanderung von Menschen aus Rußland nach Finnland begonnen. Es handelt sich um Nachkommen der finnischen Ingermanländer. Nach der Eroberung des Landes Ingermanland südöstlich des finnischen Meerbusens durch die Schweden im siebzehnten Jahrhundert haben die orthodoxen Einwohner das Land mehrheitlich - im Wege einer freiwilligen Aussiedlung - verlassen. Das Königreich Schweden beförderte die Ansiedlung von evangelischen (zum größten Teil finnischsprachigen) Menschen aus dem damals schwedischen Ostfinnland. Diese Finnen sind dort geblieben, auch nachdem die Russen am Anfang des 18. Jahrhunderts Ingermanland zurückerobert und gleichsam in dessen Mitte ihre neue Hauptstadt Petersburg gegründet hatten. Diese finnischen Ingermanländer haben lange (dank der Anstrengungen der aus Finnland kommenden evangelischen Pfarrer) ihre Sprache und ihren evan7 Blumenwiiz
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gelischen Glauben bewahrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden schen Ingermanländer aber als „unzuverlässige" Sowjetbürger fast Osten deportiert. Erst kurz vor und nach der „Wende" sind einige kommen, entweder nach Ingermanland oder nach Russisch-Karelien land.
die finnialle nach zurückgeoder Est-
Auf Initiative des Staatspräsidenten Koivisto ist Nachkommen der finnischstämmigen Ingermanländer die Möglichkeit gegeben worden, nach Finnland zu übersiedeln. Diejenigen (mehr als 20.000), die bis jetzt gekommen sind, sind aber fast alle durchweg russisch geprägt und beherrschen somit nicht mehr die finnische Sprache. Die Ingermanländer haben mithin Schwierigkeiten, sich in die finnische Gesellschaft zu integrieren. In den letzten Wochen haben verschiedene Politiker sich für ein Ende ihrer privilegierten Stellung als Einwanderer ausgesprochen. In Finnland sind die Ingermanländer von den Behörden als Finnen und nicht als Russen betrachtet worden. Man versucht, sie sprachlich und kulturell zu finnisieren. Die Ingermanländer sind nicht als Gruppe organisiert.
X. Einwanderer Werden die auch die sonstigen Einwanderer als schützenswerte Volksgruppen betrachtet? In den Vorarbeiten zu § 17 des Grundgesetzes betrifft diese Bestimmung in erster Linie die alten Minderheiten. 11 An dieser Stelle sollen die übrigen Einwanderer, die erst in den letzten Jahren nach Finnland eingewandert sind, nicht näher behandelt werden. Viele von ihnen sind politische Flüchtlinge, die in Finnland kaum Arbeit finden und deshalb vom Staat versorgt werden müssen. Eigentliche Gastarbeiter gibt es nur wenig. Zahlenmäßig sind die „neuen" Einwanderergruppen weniger bedeutend als diejenigen in den anderen nordischen Ländern. Der finnische Staat und die Gemeinden bemühen sich, ihnen materielle Hilfe zu leisten, und für die Kinder wird Schulunterricht in verschiedenen Sprachen angeboten. Diese Gruppen sind wenig organisiert. Von einer innerorganisatorischen Demokratie kann man in diesem Fall nicht sprechen.
XI. Die Lappen Nach dem Grundgesetz werden die Lappen in Finnland als indigenes Volk betrachtet. 12 Deshalb steht ihre Sprache und Kultur unter Schutz. Die Stimmung
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Regierungsvorschlag 1993:309, S. 69 (schwedische Fassung).
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der politischen Parteien gegenüber den Lappen ist in den letzten Jahrzehnten viel günstiger als während der Vorkriegszeit geworden, dies dank der internationalen Bestrebungen, indigene Völker zu schützen. In den Nachbarländern mit Lappen (Norwegen und Schweden) ist dieselbe Tendenz deutlich geworden, was die Politik Finnlands beeinflußt hat. Die Lappen sind heute nicht mehr so arm und rückständig wie früher. Im finnischen Sozialstaat bekommen sie dieselbe Schulbildung, soziale Sicherheit und Krankenpflege wie die übrigen Einwohner. Sie sind kein Wandervolk mehr, sondern haben ihre eigenen festen Häuser, obwohl viele Lappen immer noch von Rentierzucht leben und deshalb mobiler sein müssen als andere Leute. Zahlenmäßig sind die finnischen Lappen aber sehr schwach. Ihr Heimatgebiet befindet sich im nördlichsten Teil Finnlands; viele jedoch haben dieses arme Heimatgebiet verlassen und leben zerstreut im übrigen Finnland. Die meisten von ihnen, nicht nur diejenigen, die außerhalb ihres Heimatgebietes wohnen, haben ihre Sprache verloren und sind finnisiert worden. Um die Rechte eines Lappen zu bekommen, muß eine Person entweder selbst Lappisch beherrschen oder Abstammung von Lappisch sprechenden Personen nachweisen können. Von den etwa 7000 registrierten Lappen sprechen nur 1600 Lappisch und nur 4000 leben in ihrem Heimatgebiet. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist, daß es keine etablierte lappische Sprache gibt, nur verschiedene Dialekte, die schon für andere Lappen kaum verständlich sind.13 Die Lappen haben ursprünglich große Landbesitzungen auf der skandinavischen Nordkalotte gehabt. Der finnische Staat hat aber ihr Land im Jahre 1925 übernommen ohne irgendeinen Protest der Lappen.14 Es fehlte damals an jeder Organisation der Lappen, die damals wenig Schulbildung hatten. Erst nach der Zerstörung Lapplands im Jahre 1945 durch die sich zurückziehenden deutschen Truppen, als sie nach Süden flüchten mussten, fanden sich die Lappen zum ersten Mal als Volksgruppe zusammen. Sie haben dann verstanden, daß ihre Zukunft als ethnische Gruppe gefährdet ist, wenn sie unorganisiert bleiben. Nur eine organisierte Volksgruppe hat Möglichkeiten, mit dem Staat zu verhandeln, um Maßnahmen für ihren Fortbestand zu verlangen.
12 Zum Schutz der Minderheiten und Ureinwohnervölker in juristischer Hinsicht siehe Kristian Myntti, Minoriteters och urfolks politiska rättigheter, Juridica Lapponica 18, Rovaniemi 1998, passim. 13 In Finnland werden somit drei lappische Dialekte gesprochen. Die meisten sprechen Nordlappisch, andere Enare-, nochmals andere Skoltlappisch. Siehe insbesondere Marjut Aikio, Samiskan och finskan pâ Nordkalotten, Nordisk Kontakt 1982:15; ders., Saamelaiset kielenvaihdon kierteessa, SKS 479, Helsinki 1988. 14 Über die Geschichte des Grundeigentums der Lappen, siehe Kaisa KorpijaakoLabba, Om samernas rättsliga ställning i Sverige-Finland, Helsingfors 1994. Siehe auch Heli Niemi, Ursprungsfolks rättigheter till land och naturresurser, Finsk Tidskrift
2001:10. 7*
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Das erste lappische Zusammentreffen fand 1947 in Enare statt. Man beschloß, eine Delegation nach Helsingfors zu schicken, um staatliche Garantien für die Bewahrung und die Förderung der lappischen Sprache und Kultur zu bekommen. Zwei Jahre später wurde ein staatlicher finnisch-lappischer Ausschuß eingesetzt, um die lappische Frage zu erläutern. Das Gutachten des Ausschusses wurde 1952 veröffentlicht. Eine staatliche Delegation für lappische Angelegenheiten wurde im Jahre 1960 eingesetzt.15 Die lappische Volksgruppe hat in den 90er Jahren eine feste Organisation bekommen. Heute gibt es somit in Finnland ein lappisches Parlament. 16 Nach dem Gesetz vom 17.7.199517 wählen die Lappen ihr eigenes Parlament (Sâmediggi), das zuständig ist für die kulturelle Selbstverwaltung der Volksgruppe. Zur Zuständigkeit des Parlaments gehören für die Lappen besonders wichtige Fragen, wie Gesellschaftsplanung, Gebietsplanung, typisch lappische Erwerbstätigkeiten und Sprachunterricht im lappischen Heimatgebiet. In den meisten Fällen ist diese Zuständigkeit zwar begrenzt, da die Entscheidungsbefugnis bei den staatlichen Behörden geblieben ist. Aber die Staatsbehörden sind dazu verpflichtet, vor ihren Entscheidungen das lappische Parlament zu konsultieren. Die lappische Selbstverwaltung wird mit staatlichen Mitteln finanziert. Das Parlament hat die Befugnis, über die Anwendung einiger Geldmittel selbst zu entscheiden. Die 21 Mitglieder des lappischen Parlaments sind so gewählt, daß die verschiedenen Ortschaften im Heimatgebiet vertreten sind. Ihr Mandat umfaßt vier Jahre. Wahlberechtigt und wählbar ist jede als Lappe registrierte Person unabhängig vom Wohnort. Das bedeutet, daß auch diejenigen Lappen, die außerhalb des Heimatgebietes wohnen, Wahlrecht und Wählbarkeit behalten; es besteht die Möglichkeit der Briefwahl. Das Parlament wählt aus seiner Mitte einen Vorstand, der alle Angelegenheiten vorbereitet und die Beschlüsse vollzieht. Das finnische Justizministerium ist für die Aufsicht über die lappische Selbstverwaltung zuständig. Im Sekretariat der lappischen Selbstverwaltung gibt es ein Amt für allgemeine Fragen, ein Büro für die lappische Sprache und eines für Ausbildung und Lehrmittel, alle unter der Leitung des Verwaltungsdirektors. Es gibt somit öffentliche Beamte und Angestellte der Selbstverwaltung.
15 Das erste wichtige Gutachten ist 1973:46, Bericht des Lappenkomitees. Zur Entwicklung der lappischen Verwaltung siehe Tore Modeen, The Lapps in Finland, International Journal of Cultural Property 8 (1999), 133ff. 16 Zu den Vorarbeiten, siehe Komiteegutachten 1987:60. 17 Siehe näher: Regierungsvorschlag 1994:248 und 1995:190; Gutachten des Grundgesetzausschusses 1994:17.
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Der Begriff „Lappe" ist im Gesetz näher definiert, wie auch die Grenzen des Heimatgebietes, innerhalb deren das Gesetz angewendet wird: zwei Gemeinden und ein Teil einer dritten Gemeinde im finnischen „Kopf 4 . Nur in einer dieser Gemeinden besitzen die Lappen die Mehrheit. Die Gemeindeverwaltung im lappischen Heimatgebiet funktioniert normal nach dem finnischen Kommunalgesetz (17.3.1993). Nach dem Gesetz von 1995 werden diese Gemeinden zweisprachig verwaltet (Lappisch-Finnisch). Das Grunderziehungsgesetz (21.8.1998) bestimmt, daß diejenigen Schüler, die im lappischen Heimatgebiet leben und Lappisch beherrschen, ihren Unterricht hauptsächlich auf Lappisch bekommen sollen (§ 10 Abs. 2). Auch im Gymnasium soll der muttersprachliche Unterricht die lappische Sprache beachten. Es gibt somit zweisprachige (finnisch-lappische) Schulen. Rund 600 lappische Schüler (nicht nur im lappischen Heimatgebiet) bekommen heute Unterricht in der lappischen Sprache. Seit 1977 arbeitet in Enare eine Zentrale für lappische Schulbildung. Seit 1994 dürfen Schüler ihre muttersprachliche Abiturarbeit in Lappisch verfassen. Die Kommunalverwaltung im lappischen Heimatgebiet funktioniert dabei ebenso wie die Staatsverwaltung ganz normal, mit dem Unterschied freilich, daß die lappische Selbstverwaltung dazukommt mit ihrem besonderen Tätigkeitsbereich: die lappische Sprache und Kultur zu bewahren und zu fördern. Die lappische Selbstverwaltung ist zwar demokratisch organisiert, von Parlamentarismus kann man aber nicht sprechen. Ihr Tätigkeitsbereich ist sehr beschränkt und beinhaltet vor allem das Recht, vom Staat konsultiert zu werden. Nur wenig finanzielle Mittel stehen den Selbstverwaltungsgremien zur Verfügung. Die Lappendelegation (Regierungsbeschluß 23.6.1987) ist eine gemischte lappisch-finnische Behörde unter Leitung des Landeshauptmannes des Regierungsbezirks Lappland. Die Mitglieder sind Vertreter verschiedener Ministerien und des lappischen Parlaments. Diese Behörde wird in solchen Fragen von lappischem Interesse konsultiert, die vom Staat entschieden werden (aber dem Parlament unterstellt werden sollen). Die Delegation dient als lappisches Expertengremium, sie hat auch Initiativrecht gegenüber der Regierung. Die Mitglieder werden von der Regierung für vier Jahre berufen. Nach dem lappischen Sprachgesetz (3.9.1991) darf die lappische Sprache (zusätzlich zu der finnischen und der schwedischen Sprache) in den staatlichen Behörden angewendet werden, die für das Heimatgebiet der Lappen zuständig sind. Ein Lappe hat somit das Recht, seine Sprache in seinen Beziehungen zu den staatlichen Behörden (z.B. vor der Provinzialregierung, dem Steueramt oder vor Gericht) zu benutzen und behördliche Akte in seiner Sprache zu erhalten. Öffentliche Bekanntmachungen, Formulare usw. im lappischen Wohngebiet stehen auch auf Lappisch zur Verfügung. Die Gemeinden im lappischen Hei-
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matgebiet dürfen auch Lappisch im Rahmen ihrer Tätigkeit benutzen. Das Gesetz gewährt auch das Recht auf einen Dolmetscher (Finnisch-Lappisch und Lappisch-Finnisch).18 Die Lage der Lappen in ihrem Heimatgebiet kann mit derjenigen der Finnen und der Schweden in den zweisprachigen Gebieten Finnlands verglichen werden. In Gebieten, in denen eine Volksgruppe zahlenmäßig schwach ist, funktioniert die Zweisprachigkeit weniger gut. Die Lappen kritisieren mithin auch die Praxis der Behörden in ihrem Heimatgebiet, auch das Parlament hat sich kürzlich dazu geäußert. Nur 12 % der Beamten der Staats- und Kommunalverwaltung beherrschen Lappisch mündlich und nur 5 % (auch) schriftlich.
X I I . Die Roma Seit Jahrhunderten leben Roma in Finnland. Ihre Zahl ist nicht bekannt, aber es handelt sich um mehrere Tausend Personen. Viele finnische Roma sind nach Schweden ausgewandert, wo die Sozialleistungen höher sind als in Finnland. Die Roma waren ursprünglich ein Wanderervolk, aber seit den letzten Jahrzehnten leben sie in festen Wohnsitzen. Sie leben insbesondere in den südfinnischen Städten. Der Staat hat schon in den 70er Jahren diese Entwicklung gefördert durch besondere Zuschüsse. Für ihre Unterbringung haben die Roma auch später besondere Hilfe vom Staat und von den Gemeinden bekommen. Sie leben fast alle heute in staatlichen Sozialwohnungen mit niedrigen Mieten. Aber noch in den 80er Jahren lebten 20 % der Roma ohne festen Wohnsitz. Die Roma sind indes sehr mobil; viele sind unterwegs zwischen Finnland und Schweden. Die wirtschaftliche und soziale Lage der Roma ist immer schlecht gewesen. Ihre Schulbildung war früher vernachlässigt wegen ihrer nomadischen Lebensweise und läßt auch heute noch viel zu wünschen übrig. Ihre traditionellen Erwerbstätigkeiten funktionieren schlecht in der heutigen finnischen Gesellschaft. Unter den Roma gibt es somit viel Arbeitslosigkeit und soziale Probleme. Sie erfahren immer Diskriminierung von Seiten der Bevölkerung. Ein Ergebnis der früheren Assimilationspolitk ist, daß viele finnische Roma ihre Sprache nicht mehr beherrschen. In den letzten Jahren hat der Staat jedoch begonnen, die Beibehaltung ihrer Sprache und Kultur zu fördern. Romani wird 18
Siehe näher Komiteegutachten 1987:60: Lappisches Sprachgesetz; Regierungsvorschlag 1990:180; Gutachten 13 des Grundgesetzausschusses. Zur Bestimmung des Grundgesetzes betreffend die Lappen und den Schutz Ihrer sprachlichen Rechte siehe insbesondere Regierungsvorschlag 1994:248 und das Gutachten 1994:17 des Grundgesetzausschusses des Reichstages.
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seit 1989 in einigen öffentlichen Schulen unterrichtet, wenn mindestens vier Schüler sich zu einer Unterrichtsgruppe zusammenfinden. Von etwa 1.7002.000 Romaschülern bekommen heute 240 Unterricht in ihrer Sprache. Heute gibt es sogar die Möglichkeit, im Abitur Romani als zweite Sprache zu benutzen. Eine Verordnung von 1994 ermöglicht besondere Kinderkrippen für Roma. 19 Seit 1956 arbeitet die staatliche, von der Regierung ernannte Delegation für Angelegenheiten der Sinti und Roma als Kontaktgremium zwischen den öffentlichen Behörden und den Roma. In diesem Gremium von 18 Mitgliedern vertritt die eine Hälfte die Staatsbehörden und die andere Hälfte die Romaorganisationen. Es gibt drei Landes- und drei städtische Romavereine. Von eigentlicher innerorganisatorischer Demokratie der Volksgruppe kann (noch) nicht die Rede sein. Die Lage erinnert an diejenige der Lappen vor der Schaffung ihres Parlamentes.
X I I I . Zusammenfassung Unter den Volksgruppen mit Minderheitenstellung in Finnland haben nur die Aländer (ein Teil der schwedischen Volksgruppe) und die Lappen eine innerorganisatorische funktionierende Demokratie. In Aland ist die Lage besonders positiv. Es handelt sich um eine wohlhabende Provinz mit alten Traditionen und einer entwickelten Sondergesetzgebung als selbstverwaltende einsprachige Gebietskörperschaft. Das Schul- und Bildungswesen funktioniert gut auf schwedisch. Die Lappen haben zwar ein Heimatgebiet in Nordfinnland. Aber dieses Gebiet ist nicht rein lappisch. Die Selbstverwaltungsbefugnisse sind sehr begrenzt; alle wichtigen Bereiche gehören zur Zuständigkeit des Staates und der Gemeinden. Die allgemeine Armut und das niedrige Bildungsniveau der Lappen wirkt auch hemmend für ihre Selbstverwaltung und für die Entwicklung ihrer sprachlichen und kulturellen Rechte im Allgemeinen. Die Zukunft ihrer Sprache ist unsicher. Die Finnlandsschweden als die größte und wichtigste Minderheit sehen es als nicht besonders bedeutend an, eine Selbstverwaltung im eigentlichen Wortsinne aufzubauen. Die Mehrheit lebt in engem Kontakt mit den Finnen und ist vollständig zweisprachig. Zwar bestehen viele den Behörden gegenüber nicht auf
19 Siehe u. a. Ministry of Social Affairs and Health, Brochures 2001:4: Finland's Romani People; Ministerium für Soziales und Gesundheit, Romaniasioiden hallintotyöryhmän muistio; Tuula Lindberg, Nuläget för romerna i Finland, Finsk Tidskrift, 2001:10.
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ihren sprachlichen Rechten, an ihren schwedischsprachigen Schulen freilich halten sie fest. Auch viele Kinder aus „Mischehen" besuchen schwedische Schulen.
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Abstract Tore Modeen : The Organisation of Minorities and Organisational Democracy in Finland, In: Minority Protection and Democracy. Ed. by Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2004) pp. 85-104. The reason for the Swedish element in Finland is its long attchment to the Swedish crown. The Finish Constitution thus proclaims the biligual status of the republic, even when the numerical strength of the Swedish speaking people is quite low (about 300.000). The Swedes do not enjoy any form of autonomy except the inhabitants of the Aland islands which were given a very complete home rule in 1921 following an international conflict between Finland and Sweden. There are also other, but numerically very small minorities, of which the Laps recently have been given some autonomous rights.
Die politische Organisation nationaler Minderheiten als Voraussetzung für demokratische Mitbestimmung Von Christoph Pan
I. Organisationsbedarf der repräsentativen Demokratie Demokratie erzeugt einen systemimmanenten Organisationsbedarf: erstens gilt in der Demokratie der einzelne nichts, es sei denn, er vereinigt sich mit anderen gleicher Gesinnung oder Interessen zu einer hinreichend großen Zahl, die politisch ins Gewicht fällt, und zweitens bedürfen die repräsentativen Demokratien eines Systems differenzierter Gruppenfilter, um funktionieren zu können. Dies begründet einen Organisationsbedarf institutioneller Art in Form politischer Parteien und Interessenverbände. Ebenso wie Parteien und Verbände im Gefolge der Demokratisierung entstanden sind, ist weitgehend auch die Bewußtwerdung der Ethnizität ein Produkt und zugleich ein Erfordernis des Demokratisierungsprozesses. Das Freiheits- und Gleichheitsprinzip erfordert nicht nur die Miteinbeziehung des einzelnen Staatsbürgers in die Mitgestaltung und Mitverantwortung politischer Entscheidungen, sondern auch aller Nationalitäten bzw. ethnischen Gruppen, die sich zusammen ein Staatswesen teilen. Im Demokratisierungsprozeß geht es nämlich um zwei wesentliche Fragen: erstens um die Wandlung des Einzelmenschen vom Machtobjekt zum Machtsubjekt, und zweitens um die Emanzipation ethnischer Gruppen von der Bevormundung bzw. Unterdrückung durch andere.
I I . Nationale Minderheiten und ihr Mitbestimmungsanspruch Volksgruppen und Minderheiten sind ein Faktum in Europa, das zunehmend mehr erkannt und auch anerkannt wird. Doch ist inzwischen auch klar geworden, daß bei fast 90 Völkern und nur 36 Staaten in Europa 1 •
nicht jedes Volk seinen eigenen Staat haben kann und die Anzahl der Staaten nicht beliebig vermehrbar ist,2
1
Näheres hierzu vgl. Pan/Pfeil
2000, S. 10 ff.
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die Anzahl der Staaten immer kleiner sein wird als jene der Völker, und eine völlige Übereinstimmung zwischen Staatsgrenzen und ethnographischen Siedlungsgrenzen niemals verwirklicht werden kann, weshalb
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in der Regel mehrere ethnische Gruppen sich einen Staat teilen müssen und dieses Problem der Kohabitation friedlich im Rahmen von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu lösen haben.
Die Volksgruppen und Minderheiten teilen die elementaren Grundbedürfnisse mit der nationalen Mehrheit, doch gelangen sie nicht so selbstverständlich wie diese in den Genuß der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Situationsbedingt gibt es eine Reihe von Interessen, deren Wahrnehmung - anders als bei der nationalen Mehrheit - noch Probleme verursacht. Im wesentlichen sind dies: a) die Anerkennung ihrer Identität, b) die Nichtdiskriminierung, c) die formelle Gleichbehandlung, d) die Chancengleichheit durch positiven Schutz. Es liegt auf der Hand, daß diese Grundinteressen, die fur Volksgruppen und Minderheiten von existentieller Bedeutung sind, von diesen selbst wahrzunehmen sind und ihnen nicht aus der Hand genommen werden dürfen. So ist es zutiefst undemokratisch und widerspricht dem Geist des Subsidiaritätsgedankens, wenn Fragen, die für Volksgruppen und Minderheiten von so grundlegender Bedeutung sind, über deren Köpfe hinweg von anderen und nicht von den direkt Interessierten selbst entschieden werden.
I I I . Das Recht auf politische Vertretung und Mitbestimmung Das Recht auf politische Vertretung und Mitbestimmung gehört zu den bürgerlichen Grundrechten. 3 Nun steht „jedermanns" (jedes Staatsbürgers) Grundrecht natürlich auch den Angehörigen von Volksgruppen und Minderheiten zu. Die Ausübung dieses Grundrechts ist jedoch an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die gerade für Minderheitsangehörige vielfach noch nicht erfüllt sind. Die Wahrnehmung des Mitsprache- und Mitbestimmungsrechts erfordert nämlich eine politische Vertretung, deren Vorhandensein bei Volksgruppen und Minderheiten nicht so selbstverständlich ist wie ihr Bedarf. Der politischen Or-
2 Abgesehen von den Zwergstaaten, die hier nicht in Betracht zu ziehen sind, gab es 1914 in Europa 22 Staaten, 1939 waren es 29, 1992 bereits 36. 3 UN-IPBPR 1966, Art. 25 lit. a): „Jeder Staatsbürger hat das Recht und die Möglichkeit [...] ohne unangemessene Einschränkungen a) an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen. [...]."
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ganisation von Volksgruppen sind nämlich auf mehrfache Weise Grenzen gesetzt: •
Zunächst ist es noch gar nicht so lange her, daß in mehreren europäischen Staaten die Volksgruppen und Minderheiten ganz einfach kein Thema und offiziell nicht anerkannt waren. Dieser archaisch anmutende Zustand wurde letztlich erst mit dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten überwunden, das am 1. Februar 1998 in Kraft getreten ist.4 Dennoch ist es noch nicht in allen Ländern Europas möglich, daß Minderheiten eigene politische Organisationen errichten können.5
•
Ein weiteres Hemmnis liegt oft in der zahlenmäßigen Kleinheit vieler nationaler Minderheiten. 6 Die Einteilung von politischen und VerwaltungsBezirken sowie von Wahlkreisen ist in der Regel auf die Größenverhältnisse der nationalen Mehrheit abgestimmt und nimmt keine Rücksicht auf die „Untergrößen" der Minderheiten. Dazu kommt, daß die beiden herkömmlichen Wahlrechtstypen, das Mehrheitswahlrecht und das Verhältniswahlrecht, ohne spezifische Vorkehrungen zugunsten von Volksgruppen und Minderheiten nur bedingt minderheitentauglich sind.7
Um das nationale Wahlrecht minderheitenverträglich zu gestalten, ist es folgenden Erfordernissen anzupassen:8 a) Das nationale Wahlrecht darf keine unangemessenen Einschränkungen wie Grundmandats- oder Prozentklauseln enthalten;9 b) ist die Anzahl der Angehörigen einer Volksgruppe zu gering für ein eigenes Mandat in den Gesetzgebungsorganen auf regionaler oder nationaler Ebene,
4 Europarat-Rahmenübereinkommen 1998: Art. 7: „Die Vertragsparteien stellen sicher, daß das Recht aller Angehörigen einer nationalen Minderheit, sich friedlich zu versammeln und sich frei zusammenzuschließen, [...] geachtet" wird. Art. 15: „Die Vertragsparteien schaffen die notwendigen Voraussetzungen für die wirksame Teilnahme von Angehörigen nationaler Minderheiten am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben und an öffentlichen Angelegenheiten, insbesondere denjenigen, die sie betreffen." 5 Vgl. dazu Council of Europe 1998 sowie Klebes 1993. 6 Gut die Hälfte der über 300 Volksgruppen und Minderheiten Europas zählen weniger als 50.000 Angehörige, vgl. Pan/Pfeil 2000, S. 33. 7 Vgl. dazu UNO, Eide-Bericht 1993, Pkt. 17 lit. e): „[...] In Verhältniswahlsystemen kann auf Mindestschwellen verzichtet werden, wenn Minderheiten betroffen sind." 8 Siehe dazu Ermacora/Pan 1995, Art. 12, S. 39 f. 9 So bestehen z.B. Sperrklauseln in Albanien (2%), Griechenland (3%), Italien (4%), Lettland (5%), Litauen (4%), Österreich-Kärnten (10%), Slowakei (5%); vgl. Pan/Pfeil 2002, S. 50, 171, 210, 263, 278, 345, 446.
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so ist solchen Volksgruppen das Recht auf mindestens ein Mandat zuzubilligen; c) die Einteilung der politischen und Verwaltungseinheiten und der Wahlkreise hat außerdem in einer Weise zu erfolgen, daß die bürgerlichen und politischen Rechte der Volksgruppen und Minderheiten diesen weder vorenthalten noch geschmälert werden. Zu diesem Zwecke sind grundsätzlich Volksgruppenwahlkreise zu bilden; d) bei der personellen Zusammensetzung von öffentlich-rechtlichen Entscheidungs- oder Beratungsorganen ist darauf zu achten, daß Volksgruppen und Minderheiten das Recht auf Beteiligung nach Maßgabe ihres Anteils an der Bevölkerung einzuräumen ist. Reicht die Zahl für einen vollen Sitz nicht aus, so ist sie nach oben aufzurunden.
IV. Die politische Organisation von Minderheiten Während die nationalen Mehrheiten zum Zwecke der Wahrnehmung ihrer politischen Interessen besondere Organisationsformen wie Parteien oder Verbände entwickelt haben, die auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurückblicken können, stehen Volksgruppen und Minderheiten bei der Schaffung von Organisationen zur Vertretung ihrer Interessen, mit Ausnahme einiger weniger Fälle, erst am Anfang der Entwicklung. In diesem Zusammenhang stellt sich die berechtigte Frage nach dem Verhältnis von Ursache und Wirkung. Hat etwa die jahrzehntelange Vernachlässigung bzw. Leugnung des Nationalitätenproblems durch die Staaten dazu geführt, daß Volksgruppen und Minderheiten sich politisch nicht wirksam organisieren konnten? Oder hat umgekehrt das Versäumnis vieler Volksgruppen und Minderheiten, sich auf regionaler, nationaler oder internationaler Ebene politisch wirksam zu organisieren, dazu geführt, daß ihre existentiellen Interessen so lange vernachlässigt wurden? Wahrscheinlich trifft beides zu, denn: •
In den totalitären Systemen des ehemaligen Ostblocks Schloß die monistische Machstruktur eine pluralistische Verteilung politischer Macht aus.
•
In den freiheitlichen Demokratien westlichen Typs hingegen gab es nur einige wenige offiziell anerkannte Nationalitäten oder Volksgruppen mit Min-
10
Wie dies z. B. für die italienische und die ungarische Minderheit in Slowenien der Fall ist, denen beiden je ein Sitz im Parlament vorbehalten ist, vgl. Pan/Pfeil 2002, S. 459.
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derheitenstatus,11 denen es möglich war, sich politisch zu organisieren. In der Regel haben diese ihre Möglichkeiten auch genutzt und gerade dadurch ihre politischen Ziele erreicht, was in ihrem gegenwärtigen Rechtsstatus zum Ausdruck kommt. •
Viele Minderheiten waren jedoch auch im ehemaligen Westeuropa nur geduldet und offiziell nicht anerkannt, so daß ihnen solche Möglichkeiten versagt blieben. Sich politisch zu organisieren war zwar zumeist nicht ausdrücklich verboten, aber auch nicht erwünscht. Es dennoch zu tun, hätte daher eine unstatthafte Provokation gegenüber der nationalen Mehrheit - wenn nicht gar eine direkte Konfrontation mit dieser - bedeutet und unter Umständen auch die Bereitschaft zum Abtauchen in den Untergrund erfordert.
•
So begnügten sich viele Volksgruppen und Minderheiten, insbesondere die kleineren oder solche ohne international anerkannte Schutzmacht, mit der Errichtung von unverfänglichen, weil apolitischen Kulturvereinen. In Ermangelung eigener politischer Organisationen fungieren viele davon derzeit immer noch als Ansprechpartner für politische Belange, freilich ohne hierfür demokratisch legitimiert zu sein.
Doch da seit dem Inkrafttreten des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten offizielle Widerstände gegen die politische Organisation von Minderheiten zumindest in den 32 Staaten Europas entfallen sollten, auf welche sich gegenwärtig (2002) sein Geltungsbereich erstreckt, sind viele Minderheiten spätestens mit der Umsetzung dieses Rahmenübereinkommens vor die unausweichliche Notwendigkeit gestellt, sich politisch zu organisieren, um ihre berechtigten Interessen selbst vertreten zu können.12 Je früher sie sich diesem Erfordernis stellen, um so besser wird es sein, denn die Umsetzung des Rahmenübereinkommens in konstruktiver Zusammenarbeit zwischen Staat und betroffenen Minderheiten ist aus demokratiepolitischer Sicht der Polarisierung gegensätzlicher Standpunkte unbedingt vorzuziehen. 13
11 Ζ. B. die Schweden in Finnland, die Südtiroler in Italien, die Deutschen in Belgien und in Dänemark, die Dänen in Deutschland; zu diesen kamen später die Katalanen, Galicier und Basken in Spanien hinzu. 12 So ist im Erläuternden Bericht zum Europarat-Rahmenübereinkommen 1994 bezüglich Art. 15 davon die Rede, daß zur Schaffung der tatsächlichen Gleichheit zwischen Angehörigen nationaler Minderheiten und Angehörigen nationaler Mehrheiten bei der wirksamen Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten Maßnahmen zu fördern sind wie u. a. die Anhörung von Minderheitsangehörigen mittels geeigneter Verfahren und insbesondere ihrer repräsentativen Einrichtungen, oder die wirksame Beteiligung dieser an Entscheidungsprozessen und gewählten Gremien sowohl auf nationaler als auch auf kommunaler Ebene. 13 Tatsächlich wird aus mehreren der bis Ende 2001 beim Europarat hinterlegten 27 Staatsberichten zur Umsetzung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler
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V. Probleme und Möglichkeiten der politischer Organisation von Minderheiten Fest steht, daß viele der über 300 nationalen Minderheiten in Europa gegenwärtig, d. h. zu Beginn des 21. Jahrhunderts, noch ein politisches Organisationsdefizit aufweisen. Dieses ist bei vielen nationalen Minderheiten als umständehalber bedingte zeitliche Verzögerung anzusehen, andererseits handelt sich jedoch dabei auch u m ein strukturelles
Problem.
Den Volksgruppen und Minderheiten scheinen zunächst grundsätzlich zwei Möglichkeiten der politischen Organisation offenzustehen: 1. die Integration,
d.h. Einordnung in die politischen Parteien und Interes-
senverbände der nationalen Mehrheit, oder 2. die Selbstorganisation,
d.h. Errichtung eigener Organisationen (Parteien,
Verbände) auf sprachlich/ethnischer Basis. Diese zwei Möglichkeiten bestehen jedoch nicht wirklich, denn in einigen Staaten ist der W e g der politischen Selbstorganisation rechtlich stark eingeschränkt (Albanien, 1 4 M o l d a w i e n 1 5 ) , nicht möglich (Frankreich, 1 6 Griechenland 1 7 ) oder sogar verboten (Bulgarien, 1 8 T ü r k e i 1 9 ) und bei vielen Minderheiten scheitert er ganz einfach daran, daß sie zahlenmäßig zu k l e i n 2 0 sind, daß sie
Minderheiten ersichtlich, daß Minderheiten in die Umsetzung miteinbezogen wurden, sofern sie politisch organisiert und handlungsfähig waren. 14 In Albanien ist die Errichtung von politischen Parteien der Minderheiten aufgrund des Parteiengesetzes von 1991 noch immer nicht möglich, obwohl Art. 9 Abs. 1 der neuen Verfassung von 1998 die freie Errichtung politischer Parteien gewährleistet, vgl. Pan/Pfeil 2002, S. 47. 15 In Moldawien können nur solche Parteien offiziell registriert werden, welche in mindestens der Hälfte der 12 Verwaltungseinheiten des Landes (judetz) Vertreter haben, vgl. Pan/Pfeil 2002, S. 305. 16 Frankreich leugnet die Existenz von Minderheiten aus staatsphilosophischen Gründen, und offiziell gibt es in Frankreich keine ethnischen und sprachlichen Minderheiten, sondern lediglich französische Staatsbürger mit sprachlichen Besonderheiten. Näheres hierzu bei Blumenwitz 2001, S. 57 f. 17 In Griechenland gibt es offiziell nur eine einzige Minderheit, nämlich die der Muslime. Da die Existenz von Minderheiten dem ideologischen Konstrukt einer 100%igen Homogenität der Bevölkerung Griechenlands widerspricht, wird die Gefährdung der öffentlichen Ordnung als Vorwand benutzt, um das Vereinigungsrecht der Minderheiten einzuschränken, vgl. Pan/Pfeil 2002, S. 162 f. 18 In Bulgarien verbietet Art. 11 Abs. 4 Verfassung politische Parteien auf ethnischer oder religiöser Grundlage, vgl. Pan/Pfeil 2002, S. 87. 19 In der Türkei stellt allein schon die Feststellung der Existenz einer Minderheit einen Straftatbestand dar, vgl. Pan/Pfeil 2002, S. 496 ff. 20 So zählen mehr als die Hälfte der Volksgruppen Europas weniger als 50.000 Angehörige {Pan/Pfeil 2000, S. 33), während in den Staaten Europas (ohne Rußland) im Durchschnitt rd. 60.000 Einwohner auf einen gewählten Volksvertreter entfallen. Dies
Die politische Organisation nationaler Minderheiten
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nicht kompakt genug21 oder gar gestreut 22 siedeln oder an alldem zugleich. Zudem besteht ein beachtlicher Erwartungsdruck zugunsten der Integration, gestützt auf das Vorurteil, ,JSelbstorganisation bedeute Separatismus". 23 Tatsächlich ist jedoch die Selbstorganisation der Minderheiten deren Integration in die Mehrheitsorganisationen vorzuziehen, denn diese fuhrt zum Entstehen von sachlichen und personellen Abhängigkeiten. Die Interessen von nationaler Mehrheit und nationalen Minderheiten sind nur zum Teil gleichartig, in einigen wesentlichen Punkten bestehen dagegen a priori und definitionsgemäß starke Unterschiede, ζ. T. sogar Gegensätze. Wenn die Interessen von Mehrheit und Minderheiten sachlich differieren, unterliegen aufgrund des Mehrheitsprinzips die Minderheiteninteressen. Weiter sind die Exponenten der Minderheiten in den Mehrheitsorganisationen zumindest bei ihrer Ernennung und Wiederwahl vom Stimmenpotential der Mehrheit abhängig. Die demokratische Legitimität von Minderheitenpolitikern, die ihre Aktivität im Rahmen von „Mehrheitsorganisationen" entfalten, krankt daher daran, daß es sich um keine „ Eigenlegitimationsondern um eine „Fremdlegitimation ' handelt, weil sie sich nicht von der eigenen, sondern von der Fremdgruppe ableitet. Es sind nur sehr wenige Minderheiten, welche sich diesem mit offenkundigen Nachteilen behafteten Weg der Integration in die Mehrheitsorganisationen entziehen und den Weg der eigenständigen Selbstorganisation durch Herausbildung gesonderter Parteiensysteme einschlagen konnten. Nun sind aber Volksgruppen in der Regel zahlenmäßig zu klein, um sich ein eigenes Zwei- oder Mehrparteiensystem spiegelbildlich zu jenem der jeweiligen nationalen Mehrheit leisten zu können. Deshalb haben sie, um ihre Kräfte nicht unnötig zu zersplittern, einen besonderen Parteityp in Form der Sammelpartei 24
bedeutet, daß über die Hälfte der europäischen Minderheiten keinen Parlamentssitz aus eigener Kraft erringen können. 21 Beispielsweise zählt die albanische Volksgruppe in Italien rd. 100.000 Angehörige, die zwar ζ. T. kompakt siedeln, sich aber räumlich auf die 7 Regionen Abruzzen, Apulien, Basilicata, Kalabrien, Kampanien, Molise und Sizilien verteilen, vgl. (Pan/Pfeil 2000, S. 89). Diese räumliche Splitterung erschwert natürlich eine die gesamte Volksgruppe umfassende politische Organisation. 22 Als Beispiel sei hier die tschechische Minderheit in der Slowakei angeführt, die mit rd. 57.000 Angehörigen nur 1,1 % der Bevölkerung beträgt und sich auf das gesamte Staatsgebiet verteilt, vgl. Pan/Pfeil 2000, S. 153 ff. 23 So setzen sich Minderheiten, die den Weg der eigenständigen Organisation wählen, häufig dem ebenso oberflächlichen wie unbegründeten Vorwurf des Nationalismus, Separatismus bzw. des Rassismus aus. Den Südtirolern, die diesen Weg seit 1946 eingeschlagen haben, wird immer wieder stereotyp vorgehalten, sie betrieben eine Politik der Apartheid und der Errichtung von „ethnischen Käfigen". 24 Die Sammelpartei (englisch: umbrella party ; italienisch: partito di raccolta) ist nicht zu verwechseln mit dem Typus der Einheitspartei, welche das Einparteiensystem
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entwickelt, welche auf der Strategie der Geschlossenheit nach außen bei gleichzeitiger Differenzierung nach innen beruht. Zu den Minderheiten, welche diese Strategie erfolgreich genutzt haben, gehören u.a. die Finnland-Schweden (rd. 300.000), die Südtiroler (rd. 300.000), die Dänen in Deutschland (rd. 50.000), die Ungarn in Rumänien (rd. 1,6 Mio.) und die Ungarn in der Slowakei (rd.
600.000): •
Die Schwedische Volkspartei (Svenska Folkspartiet) ist mit rd. 5,5 % der Wählerstimmen im finnischen Parlament (insgesamt 200 Sitze) vertreten. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sie auch in den jeweiligen Koalitionsregierungen durchgängig Ministerposten innegehabt. Von den fast 20 schwedischsprachigen Finnen unter den Parlamentsmitgliedern sind gut die Hälfte Mandatare der Schwedischen Volkspartei. 25
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Die Südtiroler haben 1945 die Südtiroler Volkspartei als Sammelpartei gegründet, die seitdem stets 80 - 90 % der deutschen Volksgruppe in Südtirol legitim repräsentieren konnte. Diese Geschlossenheit nach außen hat wesentlich zum Erfolg beigetragen, welchen die Südtiroler inzwischen unbestritten erringen konnten. Die Ladiner, welche ursprünglich die Option der politischen Selbstorganisation der deutschsprachigen Südtiroler in Form einer Sammelpartei weitgehend mitgetragen haben, sind nun seit Beginn der 90er Jahre ihrerseits um die Errichtung einer eigenen ladinischen Sammelpartei bemüht.26
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Die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein nahm 1948 eine Zweiteilung ihrer Organisationsform vor, indem die politischen Aktivitäten dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW), die kulturellen der Sydslesvigsk Forening (Südschleswigsche Vereinigung) zugeordnet wurden. Infolge der Bonn-Kopenhagener Abkommen von 1955 wurde der SSW von der 5 % Klausel ausgenommen und zog mit 2,8 % in den Landtag ein (1 von 89 Sitzen). 1996 erlangte er 2 Sitze und 2000 aufgrund eines neuen ZweistimmenWahlrechts sogar 3 Sitze. 27
•
Als jüngerer Fall erfolgreicher politischer Selbstorganisation in Form einer Sammelbewegung ist die ungarische Volksgruppe in Rumänien anzuführen,
der ehemaligen östlichen Volksdemokratien verkörperte. Ein solches Einparteiensystem steht natürlich in krassem Widerspruch zur Demokratie freiheitlich-westlicher Art. 25 Hofmann 1993, S. 118 f.; Hofmann 1995, S. 90. 26 Die Partei Ladins konnte erstmals bei den Landtagswahlen 1993 eines von insgesamt 35 Mandaten im Südtiroler Landtag erringen. Bei den darauffolgenden Landtagswahlen 1998 konnte dieses Mandat gehalten werden, wobei bereits etwa die Hälfte der Ladiner in Südtirol dieser ihrer politischen Verselbständigung den Vorzug gab gegenüber einem weiteren Verbleib innerhalb der zu rd. 98 % deutschsprachigen Südtiroler Volkspartei. 27 Kühl/Klatt 1999, S. 4 f.
Die politische Organisation nationaler Minderheiten
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die 1990 in Anlehnung an das Beispiel der Südtiroler den Demokratischen Verband der Ungarn Rumäniens (RMDSZ) 1% als Sammelbewegung gründete. Dieser konnte bisher bei politischen Wahlen stets ein dem Bevölkerungsanteil der Ungarn in Rumänien entsprechendes Wahlergebnis von rd. 7 % erzielen. Es war schließlich dieser Geschlossenheit der Ungarn zu verdanken, daß dem postkommunistischen Regime Iliescu 1996 ein Ende bereitet und dem demokratischen Oppositionsbündnis unter Constantinescu zum Durchbruch verholfen wurde. 29 Von 1997 bis 2000 war der RMDSZ denn auch an der Regierung beteiligt. Auch bei den Wahlen vom November 2000 erlangte er mit 27 Mandaten 7,8 %, doch konnte er aufgrund der enormen Stimmenverluste der bisherigen Regierungskoalition einen Wahlsieg des Linksblocks und eine Rückkehr Iliescus nicht verhindern. 30 •
Ein weiterer Fall dieser Art ist die ungarische Volksgruppe in der Slowakei. Auch bei ihr wurde 1990 nach Südtiroler Vorbild die Errichtung einer politischen Sammelbewegung (Egyiittélés/Spoluzitie/Coexistentia/Zusammenle ben)31 angestrebt, die alle Minderheiten in der Slowakei sowie alle ungarischen Kräfte vereinigen sollte. Doch dies gelang nicht zur Gänze und es kam innerhalb der ungarischen Volksgruppe zur Gründung von noch drei weiteren politischen Parteien, nämlich einer christdemokratischen, einer sozialdemokratischen und einer bürgerlich-konservativen. Aber bereits 1992 schlossen sich diese insgesamt 4 politischen Bewegungen zu einem gemeinsamen Wahlverband (Partei der ungarischen Koalition) zusammen, der seitdem einen dem ungarischen Bevölkerungsanteil von rd. 11 % entsprechenden Anteil an Parlamentssitzen zu halten vermochte mit dem Ergebnis, daß das autoritäre Regime von Vladimir Meciar 1998 zu Fall gebracht und den oppositionellen Kräften der Wahlsieg ermöglicht wurde. Folgerichtig ist die ungarische Volksgruppe seit Ende 1998 auch an der neuen Regierung unter MikulâS Dzurinda beteiligt. 28
Româniai Magyar Demokrata Szövetseg. Bei der Präsidentenwahl am 2.11.1996 konnte keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen. Doch lag der amtierende Präsident Ion Iliescu mit 32,3 % noch deutlich vor dem Oppositionsführer Emil Constantinescu mit 29 %. Bei der Stichwahl am 17. 11. konnte dann Constantinescu (54 %) den Favoriten Iliescu (46 %) mit einem Vorsprung von 8 % schlagen, welcher weitestgehend von der ungarischen Volksgruppe (7 %) beschafft wurde, vgl. Weltalmanach 2002, S. 655 f. 30 Bei den Wahlen am 26 November 2000 waren im ersten Wahlgang die Abstände der beiden erstgereihten Präsidentschaftskandidaten zu groß, als daß das ungarische Stimmenpaket den Ausschlag hätte geben können: bei der Stichwahl am 10. Dezember 2000 siegte der Postkommunist Ion Iliescu mit 66,8 % über den Neofaschisten Vadim Tudor (33,2 %). Doch war das Stimmenpaket des Ungarnverbandes immerhin groß genug, um mittels eines Stillhalteabkommens der postkommunistischen Partei der Sozialen Demokratie die Bildung einer Minderheitenregierung unter Adrian Nastase zu ermöglichen, vgl. Weltalmanach 2002, S. 657 f. 29
31
Egyûttélés Politikai Mozgalom (Politische Bewegung Zusammenleben).
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Eine andere Art der Problemlösung haben die deutschen Nordschleswiger in Dänemark gefunden. Mit rd. 15.000 - 20.000 Angehörigen ist ihre Anzahl viel zu klein, um auch nur einen einzigen Sitz im dänischen Parlament erlangen zu können.32 So unterhält der Bund der Nordschleswiger, die Vereinigung der Deutschen in Dänemark mit vorwiegend kulturellen Zielen, in Kopenhagen ein Sekretariat, welches die Interessen der deutschen Minderheit bei der dänischen Regierung und beim Parlament politisch vertritt. Wenn daher die deutsche Minderheit für ein eigenes Mandat im Parlament auch viel zu klein ist, so reicht beim dänischen Vielparteiensystem ihre Zahl auf regionaler Ebene doch aus, um gelegentlich das Zünglein an der Waage spielen und damit Anreize für die Minderheitenfreundlichkeit konkurrierender Politiker und Parteien bieten zu können. Eine dritte Variante der Problemlösung hat Ungarn praktiziert. Dort wurde mit dem Minderheitengesetz Nr. 77 vom 7. Juli 1993 den 13 nationalen oder ethnischen Minderheiten eine Art Kulturautonomie gewährt, zu deren Verwaltung das Instrument der „Landesselbstverwaltung'' geschaffen wurde. Jede der 12 Minderheiten verfügt über eine solche und damit über eine eigene Dachorganisation, die ausschließlich von ihren eigenen Angehörigen getragen und gestaltet wird. Innerhalb dieser Dachorganisation ist wiederum eine ideologische Differenzierung parteipolitischer Art möglich, die gegebenenfalls auch das Parteienspektrum auf der Staatsebene widerspiegeln kann. 33 Ein anderer interessanter Ansatz findet sich bei der griechischen Minderheit in Italien. Ein Großteil dieser Minderheit (rd. 12.000 - 15.000 Personen) lebt seit Jahrtausenden auf der salentinischen Halbinsel der Region Apulien 34 und bildet in neun Gemeinden der Provinz Lecce einen wesentlichen Anteil der Bevölkerung. 35 Diese haben sich zu einem Gemeindekonsortium zusammengeschlossen, das als Forum der gemeinsamen Interessenwahrnehmung dienen kann und zugleich hinreichend mit demokratischer Eigenlegitimation ausgestattet ist. Das italienische Minderheitengesetz 482/1999 bietet nun mit Art. 14 auch die Möglichkeit, solche Verbände von Lokalkörperschaften finanziell zu fördern, wenn sie das Ziel haben, die Sprache und Kultur einer Minderheit zu erhalten.
32 Das dänische Parlament zählt 179 Sitze, wovon je zwei den Grönländern und Färingern vorbehalten sind. Somit trifft es rd. 30.000 Einwohner auf einen der restlichen 175 Sitze im Folketing. 33 Hungary Report 1999, S. 109. 34 Pan/Pfeil 2002, S. 90. 35 Calimera, Castrignano dei Greci, Corigliano d'Otranto, Martano, Martignano, Melpignano, Soleto, Sternatia, Zollino, vgl. Toso 2001, S. 6.
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VI. Die Minderheitenvertretung auf nationaler Ebene Einerseits sind die Minderheiten in der Regel zahlenmäßig zu klein, um allein auf sich gestellt auf nationaler Ebene Einfluß nehmen zu können, andererseits sind sie innerhalb eines Staates in der Regel zu viele, um nicht Gefahr zu laufen, sich mangels gemeinsamer Abstimmung und Koordinierung gegenseitig zu behindern oder sogar gegeneinander ausgespielt zu werden. Neben das Problem der politischen Selbstorganisation tritt also noch ein weiteres Problem, nämlich jenes der Organisation zweiten Grades auf nationaler Ebene. Wie es scheint, besteht auch diesbezüglich noch ein Nachholbedarf, denn über die fallweise stattfindende Kooperation zwischen Organisationen einzelner Minderheiten hinaus ist auch eine auf Dauer angelegte, institutionalisierte Form der gemeinsamen, minderheitenspezifischen Wahrnehmung von Interessen erforderlich. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen der bisher noch kaum genutzten Möglichkeit desfreiwilligen Zusammenschlusses von Organisationen mehrerer Minderheiten auf privatrechtlicher Grundlage zu einem Dachverband auf nationaler Ebene, und einem von mehreren Staaten mittlerweile gewählten Ansatz, der einen Minderheitenbeirat als offiziell errichtetes Konsultativorgan vorsieht 3 6 Dabei geht es nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-Als Auch, denn grundsätzlich bedarf es beider Arten der Interessenwahrnehmung, der privatrechtlichen wie der öffentlich-rechtlichen, die sich gegenseitig sehr gut ergänzen. Doch ist bei der öffentlich-rechtlichen Form nicht zu übersehen, daß Beraten nur die Vorstufe zum Entscheiden ist, weshalb bloße Beratungsorgane zu Entscheidungsorganen weiterzuentwickeln sind. Weiter kommt es darauf an, wie deren Besetzung erfolgt: mittels freier Wahl durch die betroffenen Minderheiten selbst oder durch Ernennung von Seiten der jeweiligen Regierung. Künftig wird nur mehr die Eigenlegitimation den Ansprüchen von Demokratie und Rechtstaatlichkeit genügen können.
V I I . Die Minderheitenvertretung auf internationaler Ebene Im Zeitalter der Globalisierung gewinnt die politische Vertretung der Minderheiten auch auf internationaler Ebene zunehmend an Bedeutung. Es ist noch gar nicht so lange her, daß in Fragen der Volksgruppen und Minderheiten das
36 Beispielsweise das „Samen-Parlament" in Finnland, die „Volksgruppenbeiräte" in Österreich, der „Runde Tisch" in Estland, der „Minderheitenrat" in Rumänien, der „Konsultativrat der Nationalitäten" in Lettland, der „Minderheitenausschuß" in Litauen und ähnliche Organe in Bulgarien, Deutschland, Kroatien, Mazedonien, Moldawien, Polen, Schweden, Slowenien, Tschechien, Ukraine, Ungarn. Vgl. hierzu Pan/Pfeil 2002.
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völkerrechtliche Grundprinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates ausschließliche Geltung beanspruchte. Ausnahmen davon bildeten nur jene Fälle von Volksgruppen, welche über eine international anerkannte Schutzmacht verfugten. Seit 1991 hat sich jedoch der Grundsatz durchgesetzt, daß Minderheitenschutz ein fundamentaler Bestandteil des internationalen Schutzes der Menschenrechte und daher als ein berechtigtes internationales Anliegen nicht ausschließlich eine interne Angelegenheit des jeweiligen Staates ist. 31 Mit der Wende in Europa 1989/90 gelangt der Minderheitenschutz erstmals seit der Völkerbundära der Zwischenkriegszeit wieder wirklich auf die Tagesordnung der internationalen Staatengemeinschaften, und zwar zunächst bei der Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE in Kopenhagen im Juni 1990. Zwar war schon 1978 bei der UNO ein Entwurf Jugoslawiens zu einer Minderheitenerklärung eingebracht worden, doch fehlte es am entsprechenden politischen Willen, so daß die UNO erst 1992, d. h. 14 Jahre später, eine entsprechende Minderheitenerklärung verabschieden konnte. 38 Jedenfalls setzen ab 1990 unentwegt internationale Bemühungen um den Minderheitenschutz ein, zuerst um gemeinsame Leitlinien vor allem bei der KSZE/OSZE, dann um eine internationale Rechtsgrundlage beim Europarat. Die Ergebnisse dieser Bemühungen gipfelten bisher u. a. in der Errichtung eines Hochkommissariats für nationale Minderheiten bei der OSZE in Den Haag, in der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen und im Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten sowie im - inzwischen ausgesetzten - Vorhaben zu einem Minderheitenprotokoll zur EMRK. All dies macht deutlich, daß die Interessen der nationalen Minderheiten mittlerweile unbedingt auch auf internationaler Ebene wahrzunehmen und zu vertreten sind. Und wie sieht es tatsächlich damit aus? Auf internationaler Ebene agieren auf Seiten der Minderheiten bzw. in deren Namen u. a. die folgenden zwei Nichtregierungsorganisationen (NGOs): a) die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) 3 9 mit Sitz in Flensburg, Deutschland und b) das Europäische Büro für Sprachminderheiten (EBLUL) 4 0 mit Sitz in Brüssel.
37
Vgl. dazu KSZE 1991a: II. Abs. 3; KSZE 1991b: Abs. 9; KSZE 1992a: Pkt. 8; KSZE 1992b: Beschlüsse, 2. Abschnitt, Abs. 7. Erstmals in völkerrechtlich verbindlicher Form findet sich diese Norm im Europarat-Rahmenübereinkommen 1994: Art. 1. 38 UNO-Erklärung 1992. 39 Federal Union of European Nationalities (FUEN); Union Fédérale des Communautés Ethniques Européennes (UFCE); Unione Federalistica delle Communità Etniche Europee (UFCE).
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Die FUEV wurde 1949 in Versailles als internationale Organisation auf privatrechtlicher Grundlage gegründet. Sie hat sich in den Dienst der Volksgruppen Europas gestellt, um die Eigenart, Sprache, Kultur und Lebensrechte der europäischen Volksgruppen zu erhalten, ein europäisches Volksgruppenrecht zu schaffen und - nach erteilter Vollmacht - die Interessen der Volksgruppen insbesondere auch vor internationalen Organisationen zu vertreten, die mit dem Schutz von Minderheiten im Rahmen der Menschenrechte befaßt sind. 41 Ihr gehören mittlerweile über 100 Mitgliedorganisationen in 27 Staaten an, innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Der finanzielle Aufwand der FUEV wird aus Mitgliedsbeiträgen, Stiftungen sowie Zuwendungen von Förderern bestritten. Die Satzung sieht drei verschiedene Kategorien von Mitgliedern vor, wovon nur eine, nämlich jene der „ordentlichen Mitgliedermit Stimmrecht in der Delegiertenversammlung ausgestattet ist. 42 Als ordentliche Mitglieder können nur solche Organisationen aufgenommen werden, die einen wesentlichen Teil einer Volksgruppe als Mitglieder haben und repräsentativ die Interessen ihrer Volksgruppe vertreten. 43 Nur etwa ein Drittel der Mitgliedorganisationen der FUEV gehört dieser Kategorie an. Das EBLUL wurde 1982, ebenfalls als internationale Organisation auf privatrechtlicher Grundlage, zum Zweck der Förderung und Verteidigung der Regional· und Minderheitensprachen in den Ländern der Europäischen Union gegründet. Es wird aus Komitees gebildet, die in einem Rat zusammengeschlossen sind. Diese sogenannten nationalen Komitees in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union setzen sich zusammen aus Personen, die im kulturellen oder sprachlichen Bereich tätig sind. Die finanziellen Grundlagen des EBLUL bestehen zur Hauptsache aus Zuschüssen der Europäischen Kommission. Beide Organisationen können jedoch, trotz einiger anerkennenswerter Aktivitäten und Erfolge, den objektiv erforderlichen Organisationsbedarf der nationalen Minderheiten auf internationaler Ebene nicht abdecken, weder einzeln noch gemeinsam: a) Die FUEV, die von der statutarischen Zweckbestimmung her dafür befugt wäre, besitzt keine ausreichende Legitimation hierfür von Seiten der Minderheiten, denn unter ihren mehr als 100 Mitgliedorganisationen sind nur etwa zwei Dutzend, die tatsächlich politisch repräsentativ für eine Minderheit zu agieren bevollmächtigt sind. Diese stellen außerdem nicht einmal ein Zehntel der Volksgruppen Europas dar.
40 European Bureau for Lesser Used Languages / Bureau Européen pour les Langues Moins Répandues. 41 FUEV-Satzung Art. 1 und 3. 42 FUEV-Satzung Art. 13. 43 FUEV-Satzung Art. 5.
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b) Das EBLUL hingegen ist weder von der Zweckbestimmung noch von seiner Mitgliederstruktur her in der Lage, die europäischen Volksgruppen demokratisch legitim zu repräsentieren und es erhebt diesen Anspruch erst gar nicht. Da es zu großen Teilen von der Europäischen Kommission und damit von der Staatenseite her finanziert wird, mangelt es zudem auch an der notwendigen Unabhängigkeit des EBLUL. So läßt sich zusammenfassend auch hier ein akuter Nachholbedarf feststellen, der durch Reorganisation bzw. Reform der bestehenden Organisationen und/oder durch Schaffung geeigneter neuer Strukturen abzudecken ist.
V I I L Politische Organisation von Minderheiten als Überlebensfrage Die Vitalität einer Volksgruppe wird maßgeblich durch folgende zwei Variablen bestimmt: •
die Aktivität, die im demokratischen Rechtstaat letztlich die politische Organisation einer Minderheit zur Voraussetzung hat, und
•
die demographische Größe, deren signifikanter Schwellenwert bei etwa 300.000 Sprechern zu liegen scheint. Für Minderheiten mit kleineren Sprecherzahlen ist es besonders schwer ihre Sprache und Kultur zu erhalten. 44
80 % der über 300 europäischen Volksgruppen und Minderheiten liegen unter diesem kritischen Schwellenwert, d. h. das Überleben ihrer Sprache und Kultur hängt in besonderem Maße von ihrer Fähigkeit ab, sich politisch zu organisieren, um von den 1998 durch den Europarat geschaffenen Instrumenten des Minderheitenschutzes profitieren zu können. Die Deckung des Organisationsbedarfs von Volksgruppen und Minderheiten erfordert Mittel, die diese in der Regel nicht haben. Da sich dieser Organisationsbedarf aber, wie zu zeigen versucht wurde, aus dem System von Demokratie und Rechtstaatlichkeit ergibt, sollte man nicht zögern, seine finanzielle Abdekkung analog zur Parteienfinanzierung auch aus Mitteln der öffentlichen Haushalte zu bestreiten, handelt es sich doch um ein vergleichbares Problem. Angehörige von Volksgruppen und Minderheiten sind als Staatsbürger ebenso Steuerzahler wie die Angehörigen der nationalen Mehrheit, insofern ist es nur folgerichtig, wenn öffentliche Mittel zur Befriedigung auch ihrer berechtigten Ansprüche herangezogen werden.
44
So die These in einer Studie zur Oberlebensfähigkeit von Sprachgemeinschaften (Europäische Kommission 1996, S. 34).
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Abstract Christoph
Pan: The Political Organisation o f Minorities as a Prerequisite for
Democratic Participation, In: M i n o r i t y Protection and Democracy. Ed. by D i eter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2004) pp. 105-120. When it comes to creating organisations for the representation o f their interests, ethnic groups and minorities have a long way to go. M a n y o f the 300 minorities in Europe still show a deficit in the area o f political organisation, although they may, in principle, choose two different options o f political organi-
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sation: integration, that is: participation in political parties and interest groups of the national majority, or self-organisation, that is: establishment of new organisations (parties, interest groups) on a linguistic/ethnic basis. While this latter approach is still banned or frowned upon in some European states, it is preferable because it ensures democratic legitimacy and prevents financial and personal dependence on the national majority. Minorities are generally too small in number to afford a two- or multi-partysystem akin to that of the respective national majority. To avoid dividing thenforces unnecessarily, they have developed a particular form of party, the joint party (not united party), which pursues a strategy of showing unity on the outside while simultaneously differentiating on the inside. Minorities which have successfully used this strategy are, inter alia , the Swedish-speaking Finns (approx. 300.000), the South Tyroleans in Italy (approx. 300.000), the Danes in Germany (approx. 50.000), the Hungarians in Romania (approx. 1,6 Mio) and the Hungarians in Slovakia (approx. 600.000). But also smaller minorities, such as the North Schleswigers in Denmark or the Greeks in Italy have developed unique approaches that can be considered successful variations of political organisation.
Minderheitenschutz in den USA Von Jack Hoschouer
I. Einleitung Am 1. Dezember 1955 weigerte sich Frau Rosa Parks, aufzustehen und zum hinteren Teil eines Busses des Verkehrsverbunds von Montgomery, Alabama, zu gehen. Alle Sitze für Schwarze waren besetzt. Nach einem harten Arbeitstag war sie müde. So nahm sie einen freien Platz im vorderen Teil des Busses. Als ein weißer Mann sie aufforderte, ihm den Platz frei zu machen, weigerte sich Rosa Parks. Sie hatte genug. Sie wollte endlich mit Respekt behandelt werden wie jeder Weiße es ebenfalls erwartete. Durch ihre Weigerung machte sich Rosa Parks schuldig, gegen das Gesetz zur Trennung der Rassen verstoßen zu haben. Am Tag, als Frau Parks vor Gericht stand, begannen die schwarzen Bürger Montgomerys mit einem Boykott des Verkehrsverbunds. Dies war keine einfache Sache, denn in viel größerem Maße als die Weißen waren sie auf das öffentliche Verkehrsnetz angewiesen. Der Boykott dauerte mehr als ein Jahr und führte zum Sieg. Schwarze bekamen das gleiche Recht, im Bus zu sitzen, wie die Weißen. Rosa Parks Bestehen auf ihrer menschlichen Würde war der erste Schuß im Kampf um die Bürgerrechte. Innerhalb eines Jahrzehnts wurde die de jure Trennung der Rassen aufgehoben, und die schwarzen Bürger des amerikanischen Südens hatten das Wahlrecht erlangt. Seit ihrer mutigen Tat ist die Sache der Minderheiten in den USA viel weiter gekommen. Der Geburtstag von Martin Luther King ist zum gesetzlichen Feiertag gemacht worden; Februar ist „Black History Month". Dennoch ist das Ziel noch nicht erreicht worden. Mit der Verabschiedung von Gesetzen und Richtersprüchen ist längst nicht alles getan. Zur vollen Freiheit gehört auch eine Vielzahl von sozialen Veränderungen. Die Geschichte der Bürgerrechte bzw. der Freiheit in den USA ist eine Geschichte der Entwicklung und Ausdehnung - wenn Sie so wollen, eine Evolution - auf andere (auf Menschen, die keine wohlhabenden weißen Männer sind). Wie bei den meisten sozialen Veränderungen gab es auch Rückschläge.
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I I . Die rechtliche Entwicklung Gemäß der Unabhängigkeitserklärung werden die ,,folgende[n] Wahrheiten ... als selbstverständlich" erachtet: „Daß alle Menschen gleich geschaffen sind; daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; daß dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Regierungen sind demnach eingerichtet, um diese Rechte für den Menschen zu sichern." Diese Aussagen wurden von vielen als im Widerspruch zur Situation der Schwarzen in Amerika stehend empfunden. Als man die Verfassung erarbeitete, führte der Bezug auf „alle Menschen" zu einem Konflikt, aus dem Kompromisse entstanden. Spätere Änderungen haben diese für ungültig erklärt, doch sie stehen noch im Text - in Klammern mit entsprechender Erläuterung. Art. I Abschn. 2 der Verfassung stellt fest, daß die Anzahl der Repräsentanten bestimmt werden sollte „... indem man der vollen Zahl der freien Personen einschließlich derjenigen, welche eine bestimmte Zeit zu dienen verpflichtet sind, und mit Ausschluß der nicht besteuerten Indianer drei Fünftel aller anderen Personen hinzufügt." Andere Personen hier bedeutet Sklaven. Art. I Abschn. 9 spiegelt den Kompromiß über die Sklavenhaltung wider, in dem die Einfuhr von Sklaven erst ab 1808 verboten wurde. Art. IV Abschn. 2 war noch ein Kompromiß zwischen den „freien" und den „Sklavenstaaten". Sklaven konnte ihre Freiheit nicht gewinnen, indem sie in einen „freien" Staat flohen. Art. V - über das Änderungsverfahren - ist ebenfalls noch ein Kompromiß: Vor 1808 durften die Abschnitte 2 und 9 des Art. I nicht geändert werden. Die Ratifizierung der Verfassung war von der Annahme der ersten zehn Zusatzartikel abhängig - der „Bill of Rights". Keiner von diesen Zusatzartikeln, welche die Rechte aller Amerikaner aufzählen, beinhaltet ein einziges Wort über die Sklavenhaltung. Die in der Verfassung enthaltenen Kompromisse spiegeln die unterschiedlichen Haltungen in den verschiedenen Staaten bezüglich der Sklaverei wider. Daraus erwuchsen Konflikte. Zu ihrer Beseitigung wurden viele Versuche unternommen durch die Verabschiedung von Gesetzen, über die die Gerichte zu entscheiden hatten. Diese Konflikte wirken noch heute fort. Nach dem Gesetz über geflohene Sklaven von 1850 (Fugitive Slave Act) mußten Sklaven an ihren Eigentümer zurückgeführt werden, egal ob sie in „Freien-" oder in „Sklavenstaaten" wieder festgenommen wurden. Das Gesetz stellt ein breit gefächeltes Geflecht von Verordnungen auf, um die Vorschrift des Art. IV Abschn. 2 der Verfassung durchzusetzen, und setzt Strafen für diejenigen fest, welche die Durchsetzung zu verhindern versuchten. Daß dies nötig
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war, ist ein Zeichen des wachsenden Konflikts zwischen Gegnern und Befürwortern der Sklavenhaltung, was sich in dem blutigsten aller amerikanischen Kriege, dem Bürgerkrieg, auswirkte. Die Sache führte endlich zum Obersten Gerichtshof (Supreme Court), wo der Fall „Dred Scott" 1 zum Präzedenzfall und die Verfassungsmäßigkeit der Sklavenhaltung aufrechterhalten wurde. Die Verfassung der Vereinigten Staaten ist seit der Ratifizierung 1788 nur selten geändert worden. Die ersten zehn Zusatzartikel („Bill of Rights") definieren Rechte, die jeder Bürger besitzt. Andere Zusatzartikel, die in den beiden folgenden Jahrhunderten verabschiedet wurden, haben die Rechte von Minderheiten erheblich erweitert. Die Sklavenhaltung wurde durch den 13. Zusatzartikel (1865) aufgehoben. Aber diese Befreiung brachte für die Schwarzen keine echte Freiheit. Sie waren in ihren Bürgerrechten stark benachteiligt. Rechtlich hat der 14. Zusatzartikel (1868) die Situation durch gleichen Rechtsschutz (equal protection under law) abgeschafft, jedoch blieben Minderheiten, nicht nur Schwarze, tatsächlich sozial und wirtschaftlich benachteiligt. Erst 1870 wurde das Wahlrecht gesichert. Der 15. Zusatzartikel lautet: „Das Wahlrecht der Bürger der Vereinigten Staaten darf nicht aufgrund von Rasse, Hautfarbe oder des ehemaligen Zustands der Knechtschaft durch die Vereinigten Staaten oder durch irgendeinen Staat verweigert oder eingeschränkt werden." Dieser bezog sich selbstverständlich nicht auf Menschen weiblichen Geschlechts. Erst 1920 hat der 19. Zusatzartikel der Frau das Wahlrecht beschert2.
I I I . Die Jim-Crow-Gesetze Die Zeit nach dem Bürgerkrieg - der Wiederaufbau (Reconstruction) - war eine Zeit der sozialen Spannungen, besonders in den Staaten der ehemaligen Konföderation. Der Status der ehemals unterdrückten Gruppe forderte gewaltige geistige Umstellungen, vor allem in den Gebieten, in denen die Schwarzen nunmehr in der Mehrzahl waren. Bis Mitte der 1880er Jahren erschienen eine Reihe neue Gesetze, deren Zweck es war, die Trennung von Schwarzen und Weißen zu garantieren. Diese so genannten „Jim-Crow-Gesetze" fanden zunächst Anwendung bei den Eisenbahnen und wucherten dann auf fast alle öffentlichen Anlagen und Unterbringungen aus.
1
Scott v. Sandford. 60 U.S. 393 (1856). Barbara Thomas-Woolley/ Edmond J. Keller , „Majority Rule and Minority Rights: American Federalism and African Experience." The Journal of modern African Studies Vol.32, No. 3 (1994), S. 411-427. 2
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Mehr als sieben Jahrzehnte lang war Jim-Crow ein wichtiges Merkmal der amerikanischen Gesellschaft 3. Es fußte auf dem so genannten „Separate but equal", dem Konzept des „Getrennt aber gleich". Das hieß, die Rassentrennung war verfassungsmäßig, solange Schwarzen und Weißen gleiche Zustände zur Verfügung standen. Ein Prozeß gegen diese „Segregation" führte zu einem der wichtigsten Urteile des Supreme Court. In „Plessy v. Ferguson" (1896) hat die Mehrzahl der Richter die Idee „Separate but equal" akzeptiert. Das Gericht befand, daß die Gesetze der einzelnen Bundesländer, welche die Rassentrennung verordneten, nicht verfassungswidrig seien. Nur ein Richter sprach sich dagegen aus: „Unsere Verfassung ist farbenblind", schrieb Justice Harland in seinem Gegenargument4. Dennoch wurde „Separate but equal" zum gültigen Gesetz. Aber die Zustände, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen waren alles andere als gleich. Richter Harlands Einspruch war weniger gegen die Trennung der Rassen als gegen die Dominanz einer Rasse über eine andere gerichtet. Harland meinte, die Sprache der Weißen über angeborene „rassentypische Instinkte" und der selbst verliehene Status als „dominante Rasse" - Redewendungen, die von den anderen Richtern benutzt wurden - verstießen gegen das Prinzip der Gleichheit in Freiheit, das eine Folge des Bürgerkriegs war 5 . Dies bewirkte, daß die Zusatzartikel 13, 14 und 15 faktisch außer Kraft gesetzt wurden. Nach der Befreiung der Sklaven stellte das Jim-Crow-Regime sicher, daß die Schwarzen unterdrückt blieben. Die Segregation stempelte die Schwarzen als minderwertige Rasse ab und trennte sie vom Rest der Menschheit. Es war ein dreiteiliges System der politischen und sozialen Kontrolle sowie der wirtschaftlichen Ausbeutung. Im Süden konnten Schwarze nicht an der Politik teilnehmen, weil sie faktisch nicht an die Wahlurne gehen durften. Folge war, daß ihre verfassungsmäßigen Rechte verletzt wurden, weil sie weder als Richter noch als Geschworene dienen durften 6. Schwarze hatten überhaupt keinen Einfluß auf die Wirtschaft und blieben deshalb ganz unten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Mehrzahl der Schwarzen in ländlichen Gebieten geknechtet. Sie wurden gezwungen, ungleiche wirtschaftliche Verträge einzugehen. Wenn sie in den Norden emi-
3 Aldon D. Morris , „A Retrospective on the Civil Rights Movement: Political and Intellectual Landmarks." Annual Review of Sociology Vol. 25 (1999), S. 517-539. 4 Internet: http://laws.findlaw.com/US/163/537.html. 5 Eric F oner, The Story of American Freedom. New York, W.W. Norton & Company (1994), S. 132. 6 U.S. Supreme Court Plessy v. Ferguson, 163 U.S. 537 (1896), Internet: http://laws.findlaw.com/US/163/537.html.
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grierten, änderte dies kaum etwas an ihrem Status. Ohne Bildung bzw. Ausbildung mußten sie als einfache Arbeiter leben. 1950 bestand eine soziale Ungleichheit am Arbeitsplatz darin, daß nicht-weiße Familien im Schnitt lediglich 54% des Durchschnittseinkommens von Weißen verdienten 7. Es waren nicht nur Schwarze, die durch diese Gesetze betroffen wurden. Alle Nicht-Weißen wurden benachteiligt. In San Francisco wurden Chinesen, die Wäschereibetriebe führten, bestraft, wenn ihr Betrieb nicht in einem steinernen oder Backsteingebäude untergebracht war, wie das Gesetz über die Richtlinien für den Bau vorschrieb. Weiße hingegen, die solche Geschäfte führten, brauchten diese Bestimmung nicht zu beachten. Chinesen, die nicht in den USA geboren wurden, waren von der Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Der Kongreß durfte auch Immigrationsquoten nach Rassen bestimmen8. Ab 1882 wurde Chinesen die Einreise in die USA total verboten. Die soziale Unterdrückung war vernichtend. Das Jim-Crow-System machte den Schwarzen klar, daß sie der weißen Bevölkerung untergeordnet waren. Sie mußten in einer abgetrennten, minderwertigen Gesellschaft leben. Dazu mußten sie andere Toiletten benutzen, in separaten Schulen lernen und durften nur die hinteren Sitzplätze in Bussen und Bahnen benutzen. Sie mußten Weiße mit Respekt ansprechen, wurden jedoch selbst als „Boy" oder „Auntie" angesprochen. In Gerichtssälen mußten sie ihren Eid auf andere Bibeln leisten. Sie durften vor dem Kauf keine Kleidung anprobieren oder in „Whites Only" Imbissen essen. Reisen war erschöpfend, weil sie in keinem Hotel schlafen konnten9. Gewalt gegen sie war an der Tagesordnung. Gruppen wie der Ku Klux Klan und die Knights of the White Camelia terrorisierten Schwarze und, in etwas geringerem Maße, Asiaten, Katholiken und Juden. Um ihre Ziele zu erreichen, benutzten solche Gruppen Einschüchterung sowie den Ausschluß aus dem Geschäftsleben und der Gesellschaft. Bei den Wahlen wurde bestochen, es gab Brandstiftung und sogar Mord. Lynchen war ein besonders effektives Mittel des Terrors. Zwischen 1882 und 1952 wurden allein in Mississippi 534 Schwarze gelyncht 10 . Das gegen Schwarze gerichtete Jim-Crow-Gesellschaftssystem wurde von den Weißen weitgehend akzeptiert. Es war ausdrücklich auf die Idee gegründet,
7 Aldon D. Morris, „Black southern student sit-in movement: an analysis of internal organization" American Sociological Review Vol. 46 (1984), S. 744-767; zit. in: ders. (Fn. 3), S. 518. * Eric Foner(Fn. 5), S. 133. 9 Internet: http://laws.findlaw.com/US/163/537.html. 10 Nicolaus Mills, „Mississippi Freedom Summer, Thirty-five Years Later", in: Dissent Summer (1999), S. 101-103.
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daß Schwarze von Natur aus intellektuell und kulturell minderwertig seien. Dies waren die für Schwarze in Amerika vor 1950 geltenden Zustände.
IV. Die Bürgerrechtsbewegung in Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg Die Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten hatte ihre Wurzeln in den Ereignissen nach dem Zweiten Weltkrieg. 1947 befahl Präsident Truman die Aufhebung der Rassentrennung in den Streitkräften, was allerdings erst während des Korea-Kriegs tatsächlich wirksam wurde. Unter der Zivilbevölkerung jedoch blieb alles beim Alten - same procedure as every year. 1954 hob der Supreme Court endlich frühere Urteile auf, die die Rassentrennung für rechtens hielten. Im Falle „Brown v. Board of Education" (Brown gegen die Schulbehörde) hielt das Gericht fest, daß die Tatsache der Trennung von Menschen an sich ungleich und deshalb verfassungswidrig sei 11 . Interessanterweise stammte der Fall nicht aus dem tiefen Süden, sondern aus Topeka, Kansas, wo einem schwarzen Mädchen aufgrund ihrer Hautfarbe die Einschulung verweigert wurde - das Mädchen sollte eine weiter entfernte Schule für Schwarze besuchen. Die Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahren spiegelte Probleme auf drei Gebieten wider, die Rassenthemen tangierten: die Bürgerrechte (civil rights), also die Rechte eines Bürgers in der Gesellschaft, die Diskriminierung, also die ungleiche Behandlung von Menschen in der Gesellschaft, und die Gleichheit vor dem Gesetz. Der „Freedom Summer" 1964 war ein anderer Wendepunkt für die Bürgerrechtsbewegung. Mississippi galt als der Hort der Segregation schlechthin. Wenn in Mississippi etwas bewirkt werden könnte, dann wäre es überall im Süden möglich, Jim-Crow auszuhebeln. Eine Gruppe von weißen Studenten, weitgehend aus der Mittelschicht, reiste nach Mississippi, um das Jim-Crow-System herauszufordern. Sie wurden derselben Gewalt und demselben Terror wie die Schwarzen ausgesetzt, und einige verloren sogar ihr Leben. Aber anders als bei den gelynchten Schwarzen konnten die Morde an Michael Schwemer, James Chaney und Andrew Goodman nicht ignoriert bleiben. Reporter stellten harte Fragen an die Behörden, und Präsident Johnson betraute Allen Dulles, den ehemaligen Chef des CIA, mit den Ermittlungen. Die Administration von Präsident Johnson verpflichtete sich, bis zur Mitte der 1960er Jahre die „Great Society" (großartige Gesellschaft) zu erreichen. Johnson wollte eine Reihe von Maßnahmen einleiten, die das Ziel hatten, eine gerechtere und gleichere Gesellschaft aufzubauen. Ein Schwerpunkt der Admi-
11
Internet: http://laws.findlaw.com/US/347/483.html.
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nistration lag auf der Verabschiedung von gezielten Gesetzen und Verordnungen, um die Bürgerrechte und den gleichen Rechtsschutz für alle Amerikaner zu garantieren und die Diskriminierung zur Straftat zu machen. Dies waren Meilensteine auf dem Weg zur echten Gleichheit für alle Amerikaner. Durch Equal Employment Opportunity Executive Order 11246 von 1965 verordnete Präsident Johnson, das Arbeitsministerium müsse sicherstellen, daß Firmen mit Regierungsaufträgen in ihren Einstellungspraktiken nicht diskriminierten. Firmen mit Verträgen mußten aktive Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, daß Bewerber und Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf Rasse, Farbe, Religion, Geschlecht oder nationale Herkunft gleich behandelt wurden 12 . Dies bildete die Basis für das Gesetz bezüglich Bürgerrechten in der öffentlichen Bildung, im Wahlrecht, bei der Hotel-Unterkunft und bei der Arbeit. Es wurde im Civil Rights Title 42, Chapter 21 des United States Code eingeführt. Johnsons Tatkraft war für Bürgerrechtler eine angenehme Überraschung. Nach der Ermordung von Präsident Kennedy in November 1963 hatte es Sorgen unter den Führern der Bürgerrechtsbewegung gegeben, daß die Fortschritte zum Stillstand kommen könnten. Von Trumans bescheidenen Anfängen abgesehen, war Kennedy der erste Präsident gewesen, der die Gleichberechtigung für Schwarze anstrebte. Die Bürgerrechtler wußten wenig über dessen Nachfolger. Lyndon B. Johnson hatte zwar maßgebend am Civil Rights Act of 1957 gearbeitet, jedoch war dies eine recht sanfte Maßnahme gewesen, und keiner wußte, ob der Texaner dem Aufruf Kennedys für die Bürgerrechte folgen würde oder ob er die Abgeordneten aus dem Süden besänftigen wollte. Aber nur fünf Tage nach dem Tode Kennedys sprach Johnson vor dem Kongreß und im Fernsehen. In seiner ersten Rede als Präsident rief Johnson den Kongreß auf, als Denkmal für den gefallenen Kennedy ein Bürgerrechtsgesetz zu verabschieden. „Laßt uns weitermachen", sagte er. Er kündigte an, „... die Ideen und die Ideale, die (Kennedy) so ehrenhaft vertrat, müssen und werden in wirksames Handeln umgesetzt werden." Hinzu kam, dass Johnson ein absoluter Meister im Verhandeln mit dem Kongreß war. Er brachte seine enormen Fähigkeiten und das Prestige des Präsidenten voll zur Geltung. Die früheren Verordnungen der Exekutive waren lediglich Vorläufer zum Civil Rights Act of 1964 (Bürgerrechtsgesetz von 1964), wohl dem bedeutendsten Gesetz zur Sicherung der Rechte aller Staatsbürger in der Geschichte der USA 1 3 .
12 U.S. Department of Labor, Employment Standards Administration, Office of Federal Compliance Programs, „Executive Order 11246, As Amended" Subpart Β, Sec. 202. Internet: http://www.dol.gov/esa/regs/statutes/ofccp/eoll246.htm. 13 Title II, Section 201, Civil Rights Act (1964), Internet: http://www.civnet.org/resources/teach/basic/part6/39.htm.
9 Blumenwitz
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Am 10. Februar 1964 verabschiedete das Repräsentantenhaus den Gesetzesentwurf mit großer Mehrheit. Der wirkliche Kampf stand jedoch im Senat bevor. Die Arbeitsregeln des Senats erlauben einen so genannten „Filibuster", wobei ein Senator unbegrenzt sprechen darf und selbst seinen Nachredner ernennen kann. Die Süd-Senatoren hatten diese Taktik in der Vergangenheit oft angewendet, um jedes Bürgerrechtsgesetz zu Tode zu reden. Aber Johnson zog im Hintergrund alle Fäden. Er ermunterte die Führer der Bürgerrechtsbewegung, eine Lobby-Kampagne zu fuhren. Religiöse Führer aller Glaubensrichtungen stürmten das Kapitol. Die Strategie ging auf. Der Senat stimmte „Cloture", und der Filibuster wurde gestoppt. Ein paar Wochen später wurde das Gesetz verabschiedet und von Präsident Johnson am 2. Juli 1964 rechtmäßig unterzeichnet. Einige Abgeordnete äußerten aber Zweifel, ob das neue Gesetz einer Verfassungsklage standhalten würde. 1883 hatte der Oberste Gerichtshof die letzte Bürgerrechtsmaßnahme mit der Argumentation außer Kraft gesetzt, solche Maßnahmen seien nicht von den Befugnissen des Kongresses gedeckt, sondern unterfielen denen der Bundesstaaten. Aber diesmal brauchte man keine Sorge zu haben. Zwei Fälle wurden in Eilverfahren durch das Gericht aufgenommen, und in beiden wurden die Befugnisse des Kongresses gemäß dem 14. Zusatzartikel bestätigt. Die Bürgerrechte aller Amerikaner wurden nunmehr gesetzlich geschützt. Den Kern des Civil Rights Act von 1964 bildet die öffentliche Unterbringung. Schwarze Amerikaner durften nicht mehr von Gaststätten, Hotels oder anderen öffentlichen Einrichtungen ausgeschlossen werden. Früher wurde vorgebracht, eine Gaststätte oder ein Hotel sei Privateigentum und der Eigentümer dürfe darüber entscheiden, wen er auf seinem Besitz dulde. Das Gesetz erklärte diesen Standpunkt für nicht zulässig. Jede Einrichtung, die für das weiße Publikum geöffnet war, mußte nun auch den Schwarzen offen stehen. „Öffentlich" mußte „offen für alle" heißen. 1965 wurde das Gesetz über das Wahlrecht (Voting Rights Act) verabschiedet. Da in Amerika der Landkreis (county) die Bestimmungen über die Wahleignung erläßt, gab es in vielen Counties eine Leseprüfung. Weiße bekamen einen sehr einfaches Text zu lesen, während Schwarze z.B. etwas über die Kernphysik oder Philosophie lesen und erklären mußten. Das Voting Rights Act erklärte solche Tests für gesetzeswidrig.
V. Affirmative Action Um die Mißstände der Vergangenheit einigermaßen abzugleichen, wurden eine Reihe von Programmen eingeleitet, die kollektiv als „Affirmative Action"
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galten. Die Affirmative Action sollte Minderheiten bevorzugen, um jahrhundertelange Benachteiligung abzugleichen. Kritiker der Affirmative Action behaupteten, das Programm sei eine umgekehrte Diskriminierung - genau das, was korrigiert werden solle. Der erste und wohl wichtigste Fall von Affirmative Action war „Regents of the University of California v. Bakke" (1978). Die Universität von Kalifornien hatte zwei Listen für die Aufnahme ins Medizinstudium erstellt. Eine Liste war die der Bewerber, die gute Noten hatten und normal nach einer Art Numerus Clausus in das Studium aufgenommen werden konnten. Die zweite Liste war für „Benachteiligte" bestimmt. Diese konnten aufgenommen werden, auch wenn ihre Noten die Grenze des Numerus Clausus nicht erreichten. Der Begriff „benachteiligt" war nicht genau definiert, doch befanden sich keine Weißen auf der Liste der Benachteiligten. Herr Bakke hatte sich zweimal beworben und wurde zugunsten eines Benachteiligten mit weniger guten Noten abgelehnt. Bakke erhob Klage unter Berufung auf den Abschnitt „Gleicher Schutz" (Equal Protection Clause) des 14. Zusatzartikels, einen Artikel der Verfassung von Kalifornien und § 601 des Bürgerrechtsgesetzes von 1964, der unter anderem vorsieht: „Keine Person darf wegen ihrer Rasse oder Hautfarbe von einem Programm, das Zuschüsse von der US-Regierung erhält, ausgeschlossen werden." Die erste Instanz war der Auffassung, daß das Programm als Rassenquote zu sehen sei, weil die Minderheitenbewerber lediglich gegenüber anderen Minderheitenbewerbern bewertet und 16 von 100 Studienplätzen für Minderheiten reserviert würden. Das Zwei-Listen-Verfahren wurde schließlich durch den Obersten Gerichtshof für unrechtmäßig erklärt. Bakke jedoch wurde nicht ganz recht gegeben, weil er nicht beweisen konnte, daß er ohne die Bevorzugung von Minderheiten aufgenommen worden wäre 14 . Inzwischen gibt es Rechtsschutz auch für andere Minderheiten. Neue Gesetze - „Hate Crimes Laws" - sehen härtere Strafen vor für Täter, die aus „Haß" ein Verbrechen an einem Mitglied einer Minderheit verüben. Der Begriff „Minderheit" ist auch erweitert worden und umfaßt alle, die ethnisch, religiös oder sogar sexuell „anders" sind. (Einige sagen, die einzige Gruppe, die nicht als Minderheit gilt, seien weiße Männer.) Dies bringt auch ein Problem mit sich. Zum Beispiel könnte ein Schwarzer einen anderen Schwarzen während eines Überfalls umbringen und würde dafür bestraft. Ein Weißer, der einen Schwarzen unter gleichen Umständen umbringt, könnte viel härter bestraft werden, weil es ihm nur sehr schwer möglich wäre, zu beweisen, daß er nur aus Geldgier und nicht aus Haß handelte. Ebenso könnte ein Überfall auf einen Homosexuel-
14
U.S. Supreme Court Regents of the Univ. of Cal. ν. Bakke, 438 U.S. 265 (1978) (USSC+), Syllabus, Internet: http://supct.law.cornell.edu/supct/cases/438us265.htm. 9*
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len - der argumentieren könnte, der Täter habe ihn ausgeraubt, weil er Schwule haßt - härter bestraft werden als ein Raub zum Nachteil eines Heterosexuellen. Die Landesparlamente (State Legislatures) versuchen, die Argumente auszubalancieren. Dadurch entsteht eine Vielzahl von Gesetzen, Gerichtsurteilen und Auslegungen, welche die Schwierigkeit dieses Prozesses verdeutlichen. 1996 haben Gegner der Affirmative Action in Kalifornien versucht, die Verfassung dieses Bundeslands zu ändern, indem sie die Proposition 209 auf den Wahlzettel brachten. Proposition 209, eigentlich Art. 1 Abschn. 39 der Landesverfassung, lautete im Auszug: „Der Staat darf keine Person diskriminieren noch eine Person besonders bevorzugen aufgrund von Rasse, Geschlecht, Farbe, Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder nationaler Herkunft in der öffentlichen Arbeitsvergabe, der öffentlichen Bildung oder der öffentlichen Vergabe von Aufträgen." 15 Obwohl Proposition 209 erfolgreich war, befand ein Gericht, daß die Schäden, die den Minderheiten hierdurch entstehen, derart gravierend seien, daß die Änderung nicht in Einklang mit der US-Verfassung gebracht werden könne 16 . Seitdem haben andere Gruppen aus der kalifornischen Erfahrung ihre Lehren gezogen, und auf Wahlzetteln in mehreren Bundesländern erscheinen Bürgerbegehren, die rechtlich besser formuliert sind.
VI. Schluß Ich habe anhand einiger Beispiele versucht, einen Überblick über die Evolution der Situation und des rechtlichen Status' von Minderheiten in den USA zu geben. Mit Gesetzen kann aber nicht alles getan werden. Es müssen Veränderungen im Bewußtsein der Menschen folgen. Ich meine, für das Gros der amerikanischen Gesellschaft ist dies ein fortgeschrittener und andauernder Prozeß, aber wir haben noch einen weiten Weg zu gehen. Es geschehen leider Dinge, die mit den Lynchmorden der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts vergleichbar sind. Aber es gibt auch einen sehr großen Unterschied: Damals standen die Täter stolz vor ihrem Opfer und ließen sich fotografieren - ein ausgebrochener Zahn als Geschenk an die Freundin war keine Seltenheit. Heute werden die Täter vor Gericht gestellt. In einem besonders üblen Fall bekamen drei Weiße für den äußerst brutalen Mord an einem Schwarzen die Todesstrafe. (Sie haben ihn hinter ein Fahrzeug gekettet und mehrere Meilen geschleppt, bis er buchstäblich auseinander gerissen wurde.)
15
Internet: http://vote96.ss.ca.gov/BP/209text.htm. Internet: http://laws.findlaw.com/9th/9715030.html; Gray Cary Ware & Freidenrich, LLP, „Proposition 209 and the Elimination of Affirmative Action in California", Internet: http://library.lp.findlaw.com/articles/file/0005 1/002617/title/subject/topic/civil %20rights.htm. 16
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Im Prinzip glauben weiße Amerikaner aller Gruppen, daß jeder Mensch die gleichen Möglichkeiten haben sollte, einen guten Job und gute Bildung zu erlangen. Aber die Mehrzahl der Weißen glaubt auch, es gebe einen Überfluß an Möglichkeiten. Deswegen gibt es Widerstand gegen die Anstrengungen der Regierung, das Ausmaß an Ungleichheit zu verringern 17. Der Prozeß des Schutzes von Minderheiten bzw. der Beendigung ihrer Benachteiligung geht in den USA voran - mit allen Problemen und zeitweiligen Rückschlägen, die eine solche Evolution mit sich bringt. Aber die amerikanische Gesellschaft entwickelt allmählich einen Sinn für die Situation und sie ändert sich. Zwar nicht so schnell, wie wir es uns wünschen möchten, aber sie ändert sich doch.
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Abstract Jack Hoschouer: Minority Protection in the United States of America, In: Minority Protection and Democracy. Ed. by Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2004) pp. 123-133. The attainment of füll legal rights for minorities in the United States was an evolutionary process lasting from the first days of the American Republic until the mid-point of the Twentieth Century. Although the Declaration of Independence states that "...all men are created equal...and endowed by their Creator with ... inalienable rights..." the Constitution originally counted a black person as three-fifths of a white one. After the Civil War Constitutional Amendments that had begun to move blacks toward equality with whites were effectively nullified by local "Jim Crow" laws which in fact kept blacks and other ethnic minorities in a position of inferiority both legally and in the society. Not until President Harry S. Truman desegrated the Armed Forces by Executive Order in 1947 did blacks begin to make progress toward equality. Despite the resistance of much of the political establishment and societal attitudes, a series of civil rights laws have been passed beginning with the Civil Rights Act of 1965 under President Lyndon B. Johnson. Today, minorities have full protection under law and are generally accepted as full members of society. While crimes against minorities still occur, they are far less common than under the "Jim Crow" re-
17 Katherine Tate/Gloria J. Hampton , in: Bernard Grofman (Hrsg.), The Legacies of the 1964 Civil Rights Act. Charlottesville, University Press of Virginia (2000). Reviewed by Mary Coleman , in: American Political Science Review Vol. 95, No. 3 (September 2001), S. 731-733.
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gimes and are much more severely punished. This is not to argue that there are no problems or difficulties, but that American society is steadily evolving toward genuine equality for all its citizens.
Sprache, Kultur, Meinungsbildung und Information als Voraussetzungen der demokratischen Mitwirkung an oberschlesischen Beispielen Von Josef Gonschior
I. Einleitung Über zwölf Jahre sind vergangen, seitdem am 16. Januar 1990 das Bezirksgericht in Katttowitz eine Gesellschaft mit der Bezeichnung „Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Bevölkerung deutscher Abstammung" amtlich registrierte und damit die durch die Grenzverschiebungen nach den beiden Weltkriegen entstandene deutsche Minderheit in Schlesien anerkannte. Die Deutschen Oberschlesiens nennen diese sozial-kulturelle Gesellschaft „Die deutschen Freundschaftskreise" mit der Abkürzung „DFK". Kattowitz ist jetzt, nach der letzten Gebietsreform in Polen, die Landeshauptstadt der sogenannten „Woiwodschaft Schlesien" die das südliche Oberschlesien umfaßt; vor dem zweiten Weltkrieg war Kattowitz die Hauptstadt des schon 1923 Polen zugeschlagenen Teils Oberschlesiens. Diese Anerkennung der deutschen Minderheit ist zeitlich mit dem Umbruch des politischen Systems in den Ostblockstaaten verbunden, der allmählich von national-zentralistischen zu pluralistisch-dezentralisierten Systemen fuhrt. Dieser Demokratisierungsprozeß fand aber nur in der ehemaligen DDR fast schlagartig statt, durch die Vereinigung der neuen mit den alten Bundesländern. Alle anderen ehemaligen Ostblockstaaten treiben sehr mühsam, manchmal auf sehr krummen Wegen, den Demokratisierungsprozeß voran. Meine Aufgabe heute besteht darin zu analysieren, ob und wieweit für die deutsche Minderheit in Oberschlesien die Voraussetzungen zur demokratischen Mitwirkung im Bereich der Sprache, Kultur, Meinungsbildung und Information geschaffen wurden. Und ob etwa geschaffene Mitwirkungsmöglichkeiten von der Minderheit entsprechend genutzt werden.
I I . Rahmenbedingungen Es fällt häufig schwer, eine Volksgruppe zu definieren. Notgedrungen greift man zuerst zu den nur spärlich vorliegenden amtlichen Zahlen, deren Aussage
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jedoch oft problematisch ist, insbesondere, wenn nicht eindeutig formuliert ist, was sich hinter diesen Zahlen verbirgt. Allgemein wird die deutsche Minderheit in Oberschlesien zu den stärksten deutschen Volksgruppen im Ausland gezählt, sowohl zahlenmäßig, aber auch wegen ihres relativ hohen Bevölkerungsanteils, insbesondere in der kleinen oberschlesischen Woiwodschaft Oppeln. Nach wie vor kann man aber keine genauere Aussage über die Stärke der deutschen Volksgruppe in Polen machen. Die bis jetzt bestehende „höchstrangige Rechtsgrundlage" für die Definitionen der Zugehörigkeit zur Volksminderheit ist durch den von beiden Parlamenten ratifizierten deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag aus dem Jahre 1991 vorgegeben. Die in Artikel 20 Punkt 1 enthaltene Bezeichnung der Zugehörigkeit zur deutschen Minderheit umfaßt sowohl das Abstammungsprinzip, also die objektive Bestimmungsmöglichkeit der Abstammung, und alternativ auch das Bekenntnisprinzip, also die subjektive Bestimmungsmöglichkeit. Es steht im Vertrag wörtlich, ich zitiere: „Personen polnischer Staatsangehörigkeit, die deutscher Abstammung sind oder die sich zur deutschen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen...".
Diese Definition läßt die deutschen Schätzungen in Höhe von 0,6 bis 1,2 Millionen zu, während die Polen von 0,3 bis 0,6 Millionen ausgehen, wobei sie wahrscheinlich nur von der subjektiven Bestimmungsmöglichkeit nach dem Bekenntnisprinzip ausgehen. Theoretisch könnte die für den 28. Mai bis 8. Juni dieses Jahres angesetzte nationale Volkszählung, bei der unter anderem nach der Volkszugehörigkeit und der im Haushalt verwendeten Sprache gefragt wird, die Zahl konkretisieren. Es werden aber gegen die Fragen nach der Volkszugehörigkeit gravierende Einwände erhoben. So verlangte zum Beispiel der Sejmabgeordnete Eugeniusz Czykwin von der „Sozialistischen Linken - Arbeitsunion", welcher der Herkunft nach Weißrusse ist, die Entfernung dieser Fragen aus dem Fragenkatalog der Volkszählung. Ich zitiere Eugeniusz Czykwin wörtlich: „Wenn Arbeitsplätze abgebaut werden, sind wir Weißrussen gewöhnlich als erste dran. Viele Weißrussen werden daher nicht ihre wahre Herkunft angeben. Wir sind noch immer ein gutes Stück von echter Demokratie entfernt."
Der deutsche Sejmabgeordnete Pazdzior ist der Meinung, daß viele unserer Landsleute auf Grund ähnlicher Überlegungen, wie sie Czykwin anstellt, eine „schlesische Volkszugehörigkeit" angeben werden, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg nach ausführlicher Prüfung zu der Überzeugung kam, eine „schlesische Minderheit" existiere nicht. Dahingehend äußerte sich der Gerichtshof, als er eine Beschwerde ablehnte mit der Begründung, daß es riskant sei, Vereinigungen zuzulassen, die eine „nicht existente Minderheit vertreten". Die Beschwerde war eingereicht worden weil
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sich polnische Gerichte geweigert hatten, einen „Verband der Bevölkerung schlesischer Nationalität" zu registrieren. Die Anhänger einer „schlesischen Identität" wollen jetzt die Idee der schlesischen Volkseigenart auf einem anderen Forum propagieren. Ich nehme an, daß die berechtigten Bedenken des deutschen SejmAbgeordneten Pazdzior nicht durch die Gruppe der überzeugten „schlesischen Autonomisten" verursacht werden, sondern durch zwei andere, aber ganz große Gruppen Heimattreuer, nämlich „nicht genügend informierte Landsleute" und „falsch informierte Landsleute".
Die Erstgenannten sind diejenigen, die immer noch Angst vor möglichen unangenehmen Reaktionen haben, und sich deshalb nicht öffentlich zum deutschen Volk bekennen. Die Beamten in allen Behörden, die Lehrer in den Schulen, die Vorgesetzten am Arbeitsplatz sind Vertreter der polnischen Mehrheit, und man befurchtet, sie würden bekennenden Deutschen Schwierigkeiten bereiten. Die Angabe „ich fühle mich als Schlesier" bietet eine Ausweichmöglichkeit, einen vermeintlich „goldenen Mittelweg". Man versucht zu sagen: „Ich bin zwar kein Pole, aber auch kein Deutscher." Die zweite Gruppe, das sind diejenigen Heimattreuen, die keine Angst vor unangenehmen Reaktionen haben, die aber den Sinn der Frage nach der Volkszugehörigkeit nicht verstanden haben. Sie haben nicht begriffen, daß sie sich hier zu Deutschland und nicht zu Schlesien bekennen müssen. Falls es zu dieser Volksbefragung kommen sollte, wird dann eine Aufklärung möglich sein, oder auch eine Werbung, wie sie 1921 in Oberschlesien vor dem Plebiszit möglich war? Das am meisten verbreitete Informationsblatt der Deutschen in Polen, das zweisprachige „Schlesische Wochenblatt", nimmt zur Zeit keine Stellung zu diesem Problem, sondern beschränkt sich auf die Problemdarstellung und auf die Veröffentlichung von Leserbriefen zu diesem Thema. Ich möchte drei dieser Leserbriefe zitieren: Der erste Leserbrief kommt von emem Deutschen aus denjenigen Gebieten Oberschlesiens, die schon in den zwanziger Jahren den Polen zugeschlagen wurden („Ostoberschlesien"). Der Mann schreibt: „Die anstehende Volkszählung erinnert mich an eine Volkszählung in den 1940er Jahren, die nach dem 1. September 1939 und nach dem Wiederanschluß (Ost-)Oberschlesiens an das Reich stattfand. Damals wurden die Schlesier in fünf Volksgruppen eingeteilt. Will jemand 60 Jahre nach diesen Ereignissen die Schlesier wieder in nationale Gruppen einteilen? Mein Vater war gezwungen, eine ähnliche Umfrage (Volkszugehörigkeit deutsch oder schlesisch? Im Haushalt gebrauchte Sprache Deutsch oder Wasserpolnisch?) zu beantworten. Ist der eingeschlafene Geist jener Epoche nach Jahren im friedlichen Schlesien wieder erwacht? Ich bin für die Streichung dieser beiden Fragen bei der Volkszählung."
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Leserbrief zwei - ich zitiere: „Wenn sie mich aufschreiben kommen, werde ich nicht zu Hause sein. Auf jeden Fall werde ich die Rechenmeister nicht hereinlassen. Ich habe sie gar nicht nötig! Es gibt in der Demokratie wohl ein Recht, wonach ich nicht gezwungen bin, den Behörden alles auf dem Präsentierteller zu servieren. Da brauche ich ihnen wohl auch nicht zu sagen, wer ich bin! Ich kann ja nicht wissen, was die Obrigkeit daraus machen würde, ob meine nationale Option nicht zum Beispiel gegen meine Enkelkinder gerichtet werden würde."
Der Leserbriefschreiber weiß sicherlich, daß das Gesetz Geldstrafen androht bei einer Verweigerung der Angaben und bis zwei Jahre Gefängnis bei Erteilung falscher Angaben! Leserbrief drei - unter dem Titel „ Was werden die Volkszähler gebogen schreiben? " - enthielt folgende Bemerkung:
in die Fra-
„Was schreibt ein junger Mann, der sich im Haushalt mit dem Großvater auf deutsch, mit der Großmutter auf ukrainisch und mit dem Vater auf polnisch unterhält und im Sommer, wenn alle Verwandten und Bekannten aus Deutschland herbeiströmen, mit allen Deutsch spricht?"
Große Bedenken bestehen auch wegen des möglichen Einflusses der einzelnen Zähler auf die Volkszählung. Ungefähr 180 000 Leute sollen bei dieser Aktion in ganz Polen eingesetzt werden. Für die freiwilligen Zähler wird als Ausbildung zumindest die Reifeprüfung gefordert. Die freiwilligen Zähler werden deshalb hauptsächlich pensionierte Beamte und Lehrer sein aus der alten national-kommunistischen Garde, die etwas dazuverdienen wollen. Aus der jüngsten Vergangenheit kann ich ein Beispiel bringen, das unsere Bedenken eindrucksvoll bestätigt. Vor einigen Monaten gab es eine ähnliche Volkszählung in Tschechien, also auch im Hultschiner Ländchen. Bei dieser Volkszählung konnte man sich entscheiden zwischen Tscheche, Morawe oder Deutscher. Das Hultschiner Ländchen gehörte früher zum Landkreis Ratibor und wurde nach dem 1. und nach dem 2. Weltkrieg den Tschechen zugeschlagen. Dort gibt es heute fünf DFK-Ortsverbände der deutschen Minderheit, darunter auch in Deutsch-Krawarn, auf Tschechisch „Kravare", 25 km von Ratibor entfernt gelegen. Mit der Deutsch-Krawarner DFK-Ortsgruppe pflegen wir eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Zum Beispiel wird dort mit unserer Beteiligung am kommenden Sonntag eine Eichendorffbüste eingeweiht. Die Deutsch-Kravarner DFK-Ortsgruppe entwickelte vor der tschechischen Volkszählung ein harmloses Aufklärungsblatt, in dem die deutsche Minderheit in dieser Gemeinde aufgefordert wurde, „Farbe zu bekennen". Dieses Flugblatt wurde nicht nur von nationalen Tschechen scharf kritisiert, sondern auch von Vertretern des „Zentralrates der Deutschen in Tschechien".
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Wie werden sich die deutschen Bürgermeister und andere Funktionsträger in Polen verhalten, wenn wir die wenigen zur Verfügung stehenden Medien zur Werbung nützen wollten, damit jeder bei der Volkszählung Farbe bekennt und seine deutsche Volkszugehörigkeit angibt? Über die tatsächliche Größe der deutschen Volksgruppe geben auch die Mitgliederverzeichnisse der Deutschen Freundschaftskreise kaum aussagekräftige Auskunft. Für die Woiwodschaft Oppeln werden 180 000 und für die Woiwodschaft Schlesien (früher Kattowitz) 75 000 DFK-Mitglieder angegeben. Die Summe von 255 000 macht fast 90 % aller DFK-Mitglieder in Polen aus. Das sind aber alles Mitglieder, die eine schriftliche Beitrittserklärung abgegeben haben, und nicht etwa diejenigen, die regelmäßig Beiträge zahlen. Inzwischen sollen es 247 000 Einwohner Polens sein, die außer ihrem polnischen Paß auch den deutschen Paß besitzen (Auskünfte über die Anzahl der ausgegebenen deutschen Pässe erhält man nur inoffiziell, aber glaubhaft). Sicher ist, daß die Inhaber deutscher Pässe Mitglieder der Deutschen Minderheit nach dem Abstammungsprinzip sind. Wie viele von ihnen sind jedoch nach Überzeugung Deutsche und bekennen sich aktiv zur deutschen Volksgruppe ? Folgender Vergleich gibt zu denken: In Deutschland, neuerdings auch in den Niederlanden, sollen zur Zeit 70 000 bis 90 000 Mitglieder der Deutschen Minderheit aus der Woiwodschaft Oppeln und 30 000 aus der Woiwodschaft Schlesien einer gutbezahlten Arbeit nachgehen (auch hier gilt, daß man glaubhafte Auskünfte nur inoffiziell erhält). Insgesamt sind das also ungefähr 110 000 Deutsche aus Oberschlesien, hauptsächlich Angehörige der mittleren Generation. Dagegen bekamen die Kandidaten der DFK-Listen bei den letzten Sejmwahlen Ende 2001 nur insgesamt 55 000 Stimmen, das ist um 30 % weniger als vor vier Jahren. Während die Wahlbeteiligung in den rein polnisch bewohnten Gebieten bei 50 % oder höher liegt, pendelt sie in den stark von Deutschen bewohnten Gemeinden gerade um 30 %. Der Globalisierungsprozeß nagt sehr stark an der mittleren Generation der deutschen Volksgruppe, die sich hauptsächlich auf den materiellen Wohlstand konzentriert und häufig die Demokratie so versteht, daß sie von den Wahlurnen fernbleiben kann. Die Frage bleibt: Gab es genügend Möglichkeiten, sich dem Assimilierungsdruck zu widersetzen und die 50 Jahre Zwangspolonisierung mit ihren verheerenden Auswirkungen zu beseitigen? Leider muß diese Frage mit „Nein" beantwortet werden. Einiges wurde erreicht, was aber bei weitem nicht genügt. Wo liegen heute die Hemmnisse für die Rückkehr der deutschen Muttersprache nach Schlesien? Wie steht es mit der Förderung der Kultur? Wo liegen die Schwierigkeiten bei der Meinungsbildung und beim Austausch von Informationen? Durch welche Schwierigkeiten wird die Minderheit gehindert, als Gruppe demokratisch am Leben im Lande mitzuwirken?
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I I I . Rechtslage Vor allem ist es den Volksminderheiten in Polen in den vergangenen 12 Jahren nicht gelungen, ein Gesetz zur Regelung ihrer berechtigten Belange im Parlament durchzusetzen. Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag aus dem Jahre 1991 war ein guter Anfang. Nicht im Vertrag geregelte Probleme wurden, wie man hoffte, in einem Briefwechsel der Außenminister beider Länder ausreichend berücksichtigt, da gemäß diesem Briefwechsel die endgültige Klärung in Vertragserweiterungen erfolgen sollte. Elf Jahre sind seitdem verflossen und der Vertrag wurde automatisch weiter verlängert, ohne daß auf die nicht gelösten Probleme der deutschen Volksgruppe eingegangen wurde. Die deutsche Minderheit zieht wieder den Kürzeren bei den sonst guten deutsch-polnischen Beziehungen. Zwölf Jahre schon befindet sich das polnische Minderheitengesetz in Vorbereitung, wobei nach der ersten Lesung des Projektes am 15. Februar diesen Jahres in der neuen Legislaturperiode des Sejm ein neuer Hoffnungsfunke aufblitzte. Das Projekt ist den neuen Entwicklungen der europäischen Minderheitenpolitik angepaßt, indem es sich völlig auf den kulturellen Bereich beschränkt. Dieses wird gleich in Artikel 1 folgendermaßen formuliert: „Das Gesetz bestimmt die Regeln und Bedingungen, unter welchen polnische Staatsbürger von der Freiheit der Bewahrung und Entwicklung der Volks- und Ethnischen Minderheiten, von eigener Sprache, Bräuchen, Tradition und Kultur Gebrauch machen können."
IV. Stand der Dinge in kulturellen Fragen 1. Sprache Die Sprache gilt als ein zentrales Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer Volksminderheit. Insbesondere in Polen wird der Gebrauch einer anderen Sprache als Indikator für die Zugehörigkeit zu einer Volksminderheit verstanden. Aber vielmals haben wir, die deutsche Minderheit in Polen, uns als ein „Volk ohne Muttersprache" bezeichnen müssen. Was schon mehrmals berichtet wurde: Unser Vorschlag eines flächendekkenden Schulkonzepts mit einem langfristigen Plan für die Entwicklung des muttersprachlichen Deutschunterrichts wurde im Jahre 1993 von den polnischen Verantwortlichen abgelehnt. Es blieb uns nur übrig, mit der sogenannten „Methode der kleinen Schritte" vorzugehen. Die Basis dazu lieferte eine Verordnung des polnischen Bildungsministers vom 24. März 1992 mit dem vielversprechenden Titel:
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„Zur Veranstaltung von Lehrgängen fur Schüler aus Minderheiten, die diesen das Identitätsgeflihl bewahren sollen".
Auf die Stärken und Schwächen dieser Verordnung haben wir auch schon vielfach hingewiesen. Die Schwächen rühren vor allem daher, daß in der großen Mehrzahl unseren deutschen Familien, als Folge der Zwangspolonisierung, Deutsch als Umgangssprache verlorenging, und daß die Eltern und Kinder viele Jahrzehnte einer antideutschen Propaganda ausgesetzt worden waren. So entstand ein enormer Nachholbedarf bei der nach Abstammung deutschen Bevölkerung, sowohl bei der Beherrschung der deutschen Muttersprache - die jetzt als Fremdsprache erlernt werden muß - als auch beim Aufbau des Identitätsgefühls und des Zugehörigkeitsgefühls zur deutschen Volksgruppe. Zur Behebung dieser Nöte ist die zitierte Verordnung des Bildungsministers nur wenig hilfreich. Zudem wird die Verordnung nur zögernd und mit wenig Nachdruck in die Praxis umgesetzt. Zum Beispiel gab es im Jahre 2000 in der Woiwodschaft Oppeln 250 Schulen mit rund 25 000 Schülern und in der Woiwodschaft Kattowitz - Schlesien 70 Schulen mit über 6 000 Schülern, in denen gemäß der erwähnten Verordnung pro Woche drei Stunden Deutschunterricht erteilt wurde, als sog. „Zusatzunterricht der deutschen Muttersprache". Aus eigenen Erfahrungen und aus der Praxis anderer Länder weiß man aber, daß 5 - 1 0 Wochenstunden Stunden Unterricht notwendig sind, falls eine Sprache wirklich beherrscht werden soll. Für eine Ausweitung des Deutschunterrichts auf 5 - 1 0 Wochenstunden fehlen häufig die Lehrkräfte. Dort, wo schon Lehrkräfte vorhanden sind, um mehr Deutschunterricht abzuhalten, fehlt das Geld, um diese zu bezahlen. Dazu zwei Beispiele: Das „Schlesische Wochenblatt" informiert, daß auf den Treffen der deutschen Sejmabgeordneten mit ihren Wählern - kürzlich im Landkreis Oppeln (Turawa, Poppelau, Schalkendorf) - die Erhöhung der Stundenzahl des Deutschunterrichtes in den dortigen Schulen von drei auf fünf Stunden eine Hauptforderung der Wähler war. In einem Ratiborer Gymnasium können nur deshalb pro Woche sechs statt drei Stunden Deutschunterricht erteilt werden, weil die in Bonn ansässige gemeinnützige Gesellschaft für kulturelle Auslandsarbeit die Kosten des zusätzlichen Unterrichtes übernimmt. Diese Gesellschaft unterstützt schon seit Jahren die Entwicklung des Deutschunterrichtes in Schlesien, insbesondere in der Region Ratibor. (Dem Vorsitzenden dieser Gesellschaft, Herrn Dr. Bünger, kann ich dafür unser herzliches „Vergelt's Gott!" aussprechen). Mehr Deutschunterricht als die genannten drei Wochenstunden gemäß Verordnung des Bildungsministers wird an den sogenannten „bilingualen", also
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zweisprachigen, Schulen erteilt. Leider konnte man bilingualen Unterricht bisher nur in einigen Allgemeinbildenden Lyzeen einfuhren - letztens auch in einigen Gymnasien1. Die Schwierigkeiten beim Aufbau zweisprachiger Schulen entstehen durch das Fehlen deutschsprachiger Fachlehrer, z. B. fur die Naturwissenschaften. Die Entsendung solcher Fachlehrer kommt Deutschland zu teuer und erfolgt deshalb nicht in ausreichendem Umfang (eine Jahresstelle für einen entsandten Lehrer kostet angeblich für Deutschland 80 000 D M bzw. 41 000 Euro). Und in Polen hat die Ausbildung bilingualer Fachlehrer keinerlei Tradition, und man hat auch in den letzten 12 Jahren nichts getan, um solche Fachlehrer auszubilden. Zu begrüßen ist das II. Konzept der Deutschen Kultusministerkonferenz, die ein Projekt namens „Deutsches Sprachdiplom DSD II" betreut. An diesem Projekt nehmen in diesem Jahr mehr als 200 Schüler oder Abiturienten teil aus den bisher in Schlesien bestehenden acht bilingualen Lyzeen (zwei in Oppeln, je eines in Groß Strehlitz, Döbern, Krappitz, Rosenberg, Ratibor und Hindenburg). Die Absolventen haben mit diesem Sprachdiplom „DSD II" Zugang zu den Universitäten in Deutschland. Das kann eine sehr wichtige zukunftsorientierte Maßnahme für die deutsche Volksgruppe sein. Wir hoffen nämlich, daß doch ein großer Teil derjenigen, die in Deutschland studieren, nach abgeschlossenen Studium in die oberschlesische Heimat zurückkehren wird. Weiterhin fehlen geeignete Lehrpläne und Lehrbücher, darunter die Lehrbücher über oberschlesische Landes- und Heimatkunde, die für die Erhaltung der Identität äußerst wichtig sind und in Polen „Lehrbücher für Regionalbildung" genannt werden. Was man hierzu heute zu erwarten hat zeigt ein Beispiel aus den letzten Tagen. Das Marschallamt in Oppeln hat einen Wettbewerb für den Entwurf eines Heimatkunde - Lehrbuches ausgeschrieben. Ein polnisches „Marschallamt" entspricht ungefähr einem deutschen Regierungspräsidium. Als Wettbewerbssieger ausgewählt wurde der Vorschlag eines polnischen Redaktionsteams unter Leitung von Frau Professor Dorota Simonides. Das deutsche Projekt von Dr. Adolf Kühnemann, dem Vorsitzenden des Joseph-von-Eichendorff-Konservatoriums, blieb deutlich dahinter. Man muß dazu erläutern, daß diese frühere oberschlesisch-polnische Senatorin Simonides zwar nach der Wende ein begehrter Gast auf bundesrepublikanischen Talk-Shows war und ihr auch im November 2001 das Bundesverdienstkreuz für die Förderung der deutsch-polnischen Versöhnung verliehen wurde. Dieses wurde jedoch von der deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Op1
Unter „Lyzeum" versteht man in Polen ungefähr das, was in Deutschland Gymnasium heißt, ein polnisches „Gymnasium" hingegen entspricht ungefähr einem deutschen Realgymnasium.
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peln, wo sie herkommt, mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen, da Frau Professor Simonides beharrlich Thesen vertritt, die weniger an historischen Tatsachen als an den Wunschvorstellungen national gesinnter Polen orientiert sind. Daraufhin faßte das Präsidium der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen am 18. Februar 2002 einen Beschluß, der dem Marschall der Woiwodschaft Oppeln, Stanislaw Jalowiecki, vorgelegt wurde. Ich zitiere aus dem Beschluß: „Sehr geehrter Herr Marschall, der Vorstand wendet sich an Sie als Organisator des Wettbewerbs zum Entwurf des „Heimatkundebuches" mit dem Antrag, diesen Wettbewerb für ungültig zu erklären. Unseren Standpunkt begründen wir folgendermaßen: In die Beurteilungskommission wurden 16 Personen berufen, darunter aber nur zwei aus der deutschen Minderheit (Vizemarschall Ryszard Galla und Prof. Joanna Roztropowicz). Wir erlauben uns zu behaupten, daß bei einer anderen Besetzung der Kommission das Ergebnis anders ausgefallen wäre. Wir sind der Ansicht, daß der Organisator, d.h. das Marschallamt, mit einer solchen Zusammensetzung der Wettbewerbskommission eine auffallende Diskriminierung der deutschen Minderheit zur Geltung brachte. - Wir befurchten, daß das Team unter Prof. Dorota Simonides die gängigen Vorurteile vervielfältigen, das Polnische hervorheben, die deutschen Verdienste um die Entwicklung unserer Region dabei zurückdrängen und die deutsche Kultur des Oppelner Landes wie in vergangenen Jahren auf das Niveau der „volkstümlichen Kultur" zurückführen wird." (Unterzeichnet vom Vorstandsvorsitzenden der SKGD im Oppelner Schlesien Henryk Kroll).
2. Kultur Ausschlaggebend für die Identitätsbewahrung und Entwicklung einer Volksgruppe sind die Möglichkeiten der Pflege der eigenen Kultur und der Kultur des Vaterlandes. Der weite Kulturbereich besitzt zwei Pole - die sog. Breiten- oder volkstümliche Kultur und die fortgeschrittene „höhere" Kultur. Die volkstümliche Kultur spielte und spielt bis heute eine ausschlaggebende Rolle bei der „Festigung der Volksgruppe", mit ihren Chören, die deutsche Volks-, Heimat- und Kirchenlieder singen, mit tanzenden Jugendgruppen, Sommer- und Erntedankfesten, Oster- und Weihnachtsbräuchen. Aber auch diese Aktivitäten altern und brauchen neue Formen. Die Chöre müssen dauernd aktiv bleiben, sie müssen das Repertoire und das Publikum wechseln. Das alles läuft schon lange nicht mehr „zum Nulltarif', sondern kostet Geld. Dabei werden die finanziellen Zuwendungen, die schon immer relativ niedrig waren, jetzt noch von beiden Regierungen drastisch gekürzt. Es gibt Vorbehalte der Art, daß Vergleiche zwischen verschiedenen Ländern kaum zulässig seien, weil die Bedingungen, vor allem die Kosten, in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich sind. Dennoch meine ich, man sollte versuchen, über einige Ziffern nachzudenken.
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Wahrscheinlich sind wir Rentner heute hier in der Mehrzahl. Nach Angaben mit Stand vom August 2001 betrug die durchschnittliche Monatsrente in Polen brutto 1.111 Zloti und in Deutschland 1.987 DM, was damals umgerechnet 3.974 Zloti ausmachte. Also bestand ein Einkommensgefälle von 3 : 1 . Wie sieht es dagegen mit den Zuwendungen für die Minderheiten aus? Eine 20 000 Mitglieder zählende deutsche Minderheit in einem nordeuropäischen Land hat einen Haushalt von 60 Millionen DM, der aus folgenden Quellen stammt: 40 % vom deutschen Staat, 30 % vom Gastland, 30 % Eigenmittel. Wenn wir die niedrigste Schätzung annehmen, zählt die deutsche Minderheit in Polen 400 000 Mitglieder. Sie bekam in den besten Jahren aus der Bundesrepublik 25 Millionen DM. Die Zuwendungen aus dem polnischen Kulturministerium sind dürftig, sie betrugen für alle Minderheiten im Lande umgerechnet 3 Millionen DM, davon bekamen die Deutschen auf keinen Fall mehr als 1 Million DM. Unsere Eigenmittel betrugen auch nicht mehr als umgerechnet 1 Million DM. Aus diesem Vergleich geht hervor, daß unsere Volksgruppe um die Hälfte kleinere Einnahmen hatte als die andere deutsche Volksgruppe in dem nordeuropäischen Staat, obwohl unsere Volksgruppe zahlenmäßig mindestens zwanzigmal so groß ist wie jene. Bei den jetzigen Sparmaßnahmen werden die Zuwendungen aus Deutschland von 25 Millionen D M auf weniger als 15 Millionen D M verringert. Die Pläne für den polnischen Haushalt im Jahre 2002 sehen eine Herabsetzung der Ausgaben für Kultur insgesamt um 16 % vor, und die Zuwendungen für die Kultur der Volksminderheiten soll um 70 % verringert werden. Ein Kommentar ist hier überflüssig. Bedingt durch die strukturelle Zusammensetzung der deutschen Minderheit in Oberschlesien wurde gerade die „höhere Kultur" nicht mit besonderem Nachdruck gefordert. Außerdem erschwerte die Sprachbarriere bei der mittleren Generation das Kennenlernen der deutschen Kultur, auch der deutschen Kultur Schlesiens. Übersetzungen deutscher Kulturwerke ins Polnische gibt es kaum. Dieses änderte sich in den letzten Jahren ein wenig - wieder auf dem „Weg der kleinen Schritte". Es entstanden einige Kulturzentren, von denen vor allem das finanziell relativ gut ausgestattete Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit in Gleiwitz zu erwähnen ist. Dieses Haus wird teilweise auch aus Mitteln für die deutsche Minderheit finanziert. Dort befaßt man sich auch in der letzten Zeit mit unserer Thematik. Das Haus veranstaltet simultan übersetzte Seminare
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und Tagungen, auch mit Themen, bei denen die deutschen und polnischen Optionen aufeinanderprallen können. Die Herausgabe von Übersetzungen ins Polnische wird ebenfalls gefördert. Dazu zwei aktuelle Beispiele: In den letzten Monaten erschien in Oppeln mit Hilfe des Hauses der deutschpolnischen Zusammenarbeit eine Sammlung von 19 Essays über bedeutende deutsche und polnische Politiker, die die Geschichte Oberschlesiens im 20. Jahrhundert stark geprägt hatten. Zum ersten Mal bekommt man in polnischer Sprache sachliche Informationen über Persönlichkeiten, die von vielen Polen als umstritten abgestempelt wurden, wie Herbert Czaja, Otto Ulitz, Carl Ulitzka. Daneben wird man aber auch über Wojciech Korfanty, Michal Grazynski, Kardinal Hlond und General Zawadzki informiert. In der nächsten Woche, nach der Buchpremiere am 25. Januar 2002 in Warschau, der eine heftige aber faire Diskussion folgte, wird Herbert Hupka seinen ins Polnische übersetzten Erinnerungsband „Unruhiges Gewissen" in Oberschlesien (Ratibor, Gleiwitz und Oppeln) mit Hilfe des Hauses fur deutschpolnische Zusammenarbeit vorstellen. In Oppeln hat sich ein „EichendorfF-Konservatorium" neu gegründet, das sich vor allem mit Übersetzungen schlesischer Schriftsteller ins Polnische befaßt. In Lubowitz, Kreis Ratibor, beginnt eine Eichendorff-Stiftung, sich mit dem Leben, Werk und Erbe dieses in der Welt bekanntesten Oberschlesiers zu befassen. In Benkowitz, Kreis Ratibor (der Wiege der deutschen Minderheitsbewegung in Oberschlesien nach dem Zweiten Weltkrieg), entstand ein kleines Regionalmuseum mit einer Geschichtswerkstatt. Dort planen wir auch, ein Archiv der DFK-Bewegung anzulegen. Im vorigen Jahr strebte die deutsche Minderheit die Gründung eines Kulturrates in Oppeln an. Dieses Vorhaben kann sich nur sehr rachitisch entwickeln. Überall stößt es auf Widerstände, auch in den Spitzen der Minderheit. Mit Recht stellt sich die Initiativgruppe des Kulturrats die Frage, ob in Oppeln, der politischen und administrativen Hauptstadt der Deutschen in Oberschlesien, die Minderheit eine eigene neue Kulturstätte errichten soll, wenn doch die Deutschen in der Kommunalverwaltung der Woiwodschaft die zweitgrößte Fraktion stellen, oder ob sie nicht lieber die bestehenden polnischen Kulturstätten nutzen sollen. Die Errichtung einer eigenen neuen Kulturstätte scheint bei der jetzigen wirtschaftlichen Lage eine Illusion zu sein. Doch gehen die bestehenden polnischen Kulturstätten zur Zeit nicht bereitwillig eine ernsthafte Kooperation ein. Dazu zwei Beispiele: Das Schlesische Institut in Oppeln, das sich hauptsächlich wissenschaftlich mit der Geschichte Schlesiens befaßt - früher vielfach mit ihrer Fälschung - bekam jetzt wieder einen neuen Leiter. Dieser betrachtet als wichtiges Tätigkeits10 Blumenwitz
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feld auch die Kooperation mit Forschungseinrichtungen in Deutschland, Tschechien, Slowenien und Österreich. Das wäre alles gut und schön, aber zu den persönlichen Träumen dieses Direktors gehört, ich zitiere aus einem Interview mit ihm, „die in den frühen 80er Jahren aufgenommenen Kontakte zur Evangelischen Akademie in Mülheim/Ruhr neu zu beleben", Zitat Ende. Ich frage: Wieso wird keine Zusammenarbeit mit Fachinstitutionen aus dem Bereich der Geschichte Schlesiens angestrebt - mit der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, dem Ostdeutschen Kulturrat, dem Kulturwerk Schlesien, der Stiftung Haus Oberschlesien? Vizemarschall Galla (ein Angehöriger der deutschen Minderheit) meint: „Nach meiner Überzeugung sollte wesentlich mehr im Bereich des Theaters gearbeitet werden. Hierbei sind allerdings Initiativen von Seiten der Minderheit gefragt. Denn es besteht eine große Chance, die vorhandenen Einrichtungen dazu zu nutzen, deutsche Kultur zu verbreiten und damit nicht nur an die Minderheit, sondern auch an die polnische Mehrheit heranzutreten."
Der kommentierende Journalist, auch Mitglied der deutschen Minderheit, meint dazu: „Die auf Barrieren der Abneigung stoßenden Deutschen müssen Alternativlösungen finden, werden sie doch ohne Anschluß an die große Kultur früher oder später der Assimilierung anheimfallen. Was kann man aber noch tun, wenn das Oppelner Kochanowski-Theater, anstatt Hauptmanns „Weber" aufzufuhren, mit weiteren Angeboten aus der Gattung der englischen Avantgarde aufwarten will?"
3. Medien Die Entwicklung der Medien, die in der Demokratie eine solch große Rolle spielen, ist bei der deutschen Minderheit letztens „auf die Sandbank" gelaufen und entspricht bei weitem nicht mehr den bestehenden Bedürfhissen. Es gibt einige deutsch- oder zweisprachige Zeitschriften und Bulletins. Daneben strahlen zur Zeit in Oberschlesien, dank der Hilfe junger Mitarbeiter des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, vier Radiosender deutsche Sendungen aus. Das sind drei Sender in Oppeln (Opole, Plus und Park) sowie Radio Vanessa in Ratibor. Diese vier Sender bringen sieben deutsche Radiosendungen (Schlesien Aktuell; Presseschau; nasz Heimat; Kaffeeklatsch; Unikum; Hier ist die deutsche Stimme aus Ratibor; Mittendrin). Diese Sendungen werden grundsätzlich von jungen Amateuren (Studenten und Schülern) vorbereitet. Diese Arbeit hat auch für die dabei engagierte Jugend eine wichtige erzieherische Funktion. Gegen Ende des vorigen Jahres wurde ein Medienrat gegründet, dem elf in Polen lebende Minderheiten angehören. Die Gründung eines „Europäischen Büros der Nationalen Minderheiten" in Polen wird in Aussicht gestellt.
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Bei aller Freude und Dankbarkeit, die man wegen der bereits laufenden Radiosendungen zeigen sollte, ist meiner Meinung nach ein weiterer Fortschritt im Medien-Radio-Bereich nötig. Ich glaube, man sollte versuchen, gewissermaßen das Beispiel der „Deutschen Welle" zu kopieren, also täglich ein zweistündiges Programm in Deutsch und Polnisch zusammenzustellen und dieses mehrmals am Tage regelmäßig auszustrahlen. Dieses sollte dann schon von professionellen angestellten Mitarbeitern erledigt werden. Die dazu nötigen Mittel zu akquirieren, liegt im Aufgabenbereich der Politiker, denn durch Umstrukturierungsmaßnahmen werden diese nicht aufzubringen sein. Der DFK der Woiwodschaft Schlesien ist dabei, durch Einrichten von Internetzugängen die bestehenden Hemmnisse beim Informationsfluß zu beseitigen, was auch Grundlage dafür ist, aktuelle Regionalnachrichten ausstrahlen zu können. In Deutschland besitzen schon mehr als 90 % aller Schulen einen Internetzugang, bei den DFKs in der Woiwodschaft Schlesien (Kattowitz) hat zur Zeit nur die Bezirksdienststelle in Ratibor Internetzugang mit der Möglichkeit, EMails zu verschicken. Deshalb haben wir die Anregung eines verantwortlichen Mitarbeiters des Bundesinnenministeriums aus Bonn aufgenommen, der dabei auch eine Chance für die Belebung unserer Heimatstuben mit Jugendlichen sah. Wir haben schon im Jahre 2000 einen Antrag auf Finanzierung der Internetanschlüsse für unsere Kreisgruppen und größeren Ortsgruppen gestellt. Leider verlangsamte sich die Ausführung durch die Zentralisierung der Verteilung von Zuwendungen aus Deutschland. Wir hoffen aber, daß dieses sehr wichtige Pilotprojekt im Jahre 2002 erfolgreich abgeschlossen wird. In diesem einflußreichen Medienbereich notieren wir aber Rückschläge. Die ein paar Jahre in der Regie der deutschen Minderheit ausgestrahlte Sendung „Schlesien-Journal" aus Oppeln, deutschsprachig mit polnischen Untertexten, wurde eingestellt, weil die Mittel aus der Bundesrepublik für diese Sendung nicht mehr gezahlt wurden. Über die Gründe dieses Schrittes gibt es unterschiedliche Meinungen, die ich hier nicht darlegen möchte. Man ist jetzt auf bundesdeutscher Seite bereit, der polnischen Mehrheit die Gestaltung der Fernsehsendungen für die deutsche Minderheit zu überlassen. Hochrangige Vertreter der deutschen Minderheit aus Oppeln sträuben sich jedoch gegen eine solche Bevormundung.
V. Zusammenfassung Zusammenfassend kann folgendes gesagt werden: Die deutsche Minderheit in Oberschlesien hatte in den vergangenen zehn Jahren ihrer offiziellen Tätigkeit nicht ausreichend Chancen, das große Defizit 10*
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bei den wichtigsten kulturellen Merkmalen einer Volksgruppe (Muttersprache, Identitätsgefühl) zu beseitigen. Dadurch war sie bis jetzt nicht im Stande, demokratisch mitzuwirken und zog immer den Kürzeren, sogar im größten Ballungsgebiet der deutschen Minderheit in Polen - in der Woiwodschaft Oppeln, in der die Volksgruppe die zweitgrößte politische Kraft in der Kommunalverwaltung darstellt. Das führte bei vielen Vertretern der deutschen Volksgruppe zum Verlust des Verbundenheitsgefühl mit den Sozial-Kulturellen Gesellschaften der Deutschen, den DFKs, was sich in niedriger Wahlbeteiligung und sinkender Stimmenzahl fur die deutschen DFK-Listen deutlich bemerkbar machte. Eine rasche Verabschiedung des Minderheitengesetzes nach dem bestehenden Entwurf wäre, besonders für die Gebiete mit einem hohen Bevölkerungsanteil der Minderheiten, von allerhöchster Bedeutung. Dem bestehenden Entwurf werfen seine Gegner im Sejm folgende Mängel vor: Fehlen einer Gegenseitigkeitsklausel, Zu hohe Zusagen im Bereiche des muttersprachlichen Unterrichts, Die Gründung eines Koordinierungsbüro für Minderheitsangelegenheiten sei überflüssig, Fehlen von Loyalitätserklärungen der Minderheiten. Ich erlaube mir zum Schluß, für die ausschlaggebenden nächsten Monate, die mit den Ergebnissen der Kommunalwahlen im Herbst 2002 abgeschlossen sein werden, folgendes Szenario zu prognostizieren: Bei der Verabschiedung des Minderheitengesetzes wird noch solange „gebremst", bis die Ergebnisse der Volkszählung (Mai/Juni 2002) vorliegen. Mit der Einführung der dritten „schlesischen" Nationalität in den Fragebogen wird sich die Zahl der zur deutschen Minderheit sich Bekennenden deutlich verringern. Dann wird „ohne Wenn und Aber" das Minderheitengesetz verabschiedet, denn in der Praxis wird es wenig Gemeinden geben, in denen es wegen eines ausreichenden Anteils an bekennenden Deutschen zur Geltung kommen kann. Ein sehr pessimistisches Szenario, aber die Praxis zeigt, daß Prognosen sich nur in wenigen Fällen erfüllen. Hoffentlich bleibt es dabei.
VI. Eineinhalb Jahre danach - Stand und Ausblick Die Drucklegung des Ergebnisbandes der staats- und völkerrechtlichen Fachtagung vom Frühjahr 2002 erreicht jetzt, eineinhalb Jahre später, ihre letzte
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Phase. Dies erlaubt, den zur damaligen Tagesaktualität vorbereiteten Vortrag um die seitdem eingetretenen Entwicklungen zu ergänzen und zu überprüfen, wie weit die gestellten Prognosen bestätigt wurden. Allgemein muß leider festgestellt werden, daß das pessimistische Szenario einzutreten scheint - die bisherige Entwicklung erlaubt es dem polnischen (wie auch dem deutschen) Staat, das Problem der deutschen Minderheit in Polen weiter „auf die lange Bank zu schieben" und als sich vielleicht von selbst lösendes Problem zu betrachten. Die Volkszählung in Polen war vom deutschen Abgeordneten im polnischen Sejm Henryk Kroll als „schlampig" bezeichnet worden. Weiterhin beanstandete Kroll, daß „ (...) über die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe nur der Bleistift des Rechenmeisters entscheidet" (Schlesisches Wochenblatt Nr.26 (586), ISSN 1234-3102, S. 4). Erst nachdem mehr als ein Jahr seit der Zählung verstrichen war, wurden allgemeine Ergebnisse der Volkszählung bekanntgegeben, die keinen genauen Aufschluß über die einzelnen Regionen geben (siehe Zusammenstellung). Zu den Verlierern der Volkszählung gehören alle Minderheiten, die weißrussische und die ukrainische in noch größerem Maß als die deutsche (siehe Tabelle). Hochrangige Vertreter dieser Volksgruppen deuten sogar Fälschungen an mit der Fragestellung: „Warum bedienten sich die Rechenmeister bei der Zählung eines Bleistifts und nicht eines Kugelschreibers?". Der Warschauer Korrespondent der renommierten Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.), Michael Ludwig, kritisiert die Durchführung der Volkszählung und ihre Ergebnisse recht deutlich2. Ihm leuchten u.a. folgende Argumente ein: •
Der Anteil der Deutschen aus der Woiwodschaft Oppeln und der Region Ratibor, die in Deutschland oder Holland arbeiten und während der Volkszählung nicht im Lande waren, könnte beträchtlich sein (aus ganz Polen hielten sich während der Zählung 786.000 Menschen im Ausland auf, und die Deutschen haben es unstreitig leichter, eine Arbeit im Ausland zu bekommen);
•
Ein beträchtlicher Teil derjenigen, die sich zur (ober-)schlesischen Nation bekannt haben, gehört höchstwahrscheinlich der deutschen Minderheit an und besitzt, wie etwa 290.000 Schlesier, neben dem polnischen auch den deutschen Paß;
2
Siehe „Polens neuer Regionalismus - 173.000 Befragte bekennen sich zu einer »schlesischen Nationalität", F.A.Z. v. 1.8.2003, S. 10.
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•
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Die Gründe dieses Wahlverhaltens vieler Schlesier sind unerforscht. Nicht von der Hand zu weisen sind immer noch existente Ängste, sich in Polen als Deutscher zu bekennen, und die Ansicht, daß es ungefährlicher sei, sich als (Ober-)Schlesier, der man ja auch ist, zu bezeichnen. Ebenso kann es sein, daß viele mit dem Bekenntnis als Schlesier lediglich Verbundenheit mit ihrer Region, dem „kleinen Vaterland", hatten ausdrücken wollen. Das Votum fur die (ober-)schlesische Nation kann auch aus Unbehagen in Polen und aus Unzufriedenheit mit Deutschland herrühren.
Wie dem auch sei: Die jetzt vorliegenden Ziffern beflügeln die Volksgruppen in Polen nicht gerade. Die oberschlesischen Autonomisten allerdings hoffen, jetzt ihrer Klage gegen Polen beim Menschenrechtsgerichthof in Straßburg auf Registrierung eines „Verbandes oberschlesischer Bevölkerung" Nachdruck verleihen zu können. Die Aussichten, das angestrebte Minderheitengesetz mit den Gruppenrechten (zweisprachige Ortsschilder, Minderheitensprache als Hilfs- oder Nebensprache, automatisch höheres Angebot von Deutschunterricht in den Ballungsgebieten der Volksminderheiten u.ä.) „über die Sejmbühne zu kriegen", sind nicht besser geworden. Der Sejm ist sowieso überfordert •
mit anderen „wichtigeren Aufgaben im Rechtsbereich" die vor dem Eintritt in die EU schon im Jahre 2004 erledigt werden müssen, und
•
mit verschiedener Scheinarbeit, verbunden mit den letztens immer häufigeren Machtkämfen der Parteien und einzelner Politiker.
Allein Erzbischof Prof. Dr. Alfons Nossol in Oppeln strebt, im Rahmen der einberufenen Diözesansynode, eine eindeutige rechtliche Regelung der Minderheitenseelsorge an3. Nicht so ganz pessimistisch sollte man die weitere Entwicklung in der Woiwodschaft Oppeln bewerten. Zwar waren die Ergebnisse der letzten Kommunalwahlen im Herbst vorigen Jahres für die Deutschen nicht so erfolgreich wie früher, aber sie blieben die „zweite Macht" in diesem Bezirk. Zwar gibt es weiterhin nicht den angestrebten Posten des Marschalls für einen Vertreter der deutschen Minderheit, aber die Koalition mit der regierenden SLD (Sozialistische Linke) brachte ein symbolisches Novum, indem die Regierung einen Vertreter der deutschen Minderheit als Vizewoiwoden nominierte. Auch in der hauptsächlich von Seite der nationalistisch eingestellten polnischen Opposition erneut aufgebauschten Kriegerdenkmalproblematik konnte bis jetzt der Stand-
3 S. „Gebrauch der Minderheitensprachen", Synodal-Bulletin der Diözese Oppeln, Nr. 4 / 2003, S. 21 (ISBN 83-7342-025-8). Dort beruft man sich unter anderem auf die „Zweiten Hinweise des Oppelner Bischofs vom 3.11.1992, betreffend die Seelsorge von Volksminderheiten in der Diözese Oppeln".
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punkt der deutschen Minderheit verteidigt werden. Dabei geht es um das Eiserne Kreuz und den deutschen Soldatenstahlhelm, die von Unbelehrbaren als „faschistische Kennzeichen" bezeichnet werden, deren Abbilder auf Soldatendenkmälern nicht geduldet werden könnten. Leider, wie ein Sprichwort es bezeichnet, „menschelte es auch weiter an allen Ecken und Enden" zwischen den Funktionären unser Volksgruppe - eine Erscheinung, die vielleicht zur Gesundung großer Staatsgremien fuhrt, die aber eine Volksminderheit sich einfach nicht leisten kann.
Angaben über Volksgruppen in Polen
Schätzungen 1999 (1)
Volkszählung 2002 (2)
Weißrussen
200.000 - 300.000
49.000
Ukrainer
250.000 - 350.000
31.000
Slowaken
15.000
2.00
Deutsche Die deutsche Sprache als Umgangsprache pflegend
400.000
153.000 204.000
Schlesier
k. A.
173.000
Ohne Angabe der Nationalität
k. A.
770.000
k. A.
Quellen: (1) Aussage der Abgeordneten Ewa Sikorska-Trela
während der 46 Sejmsitzung am 18.
März 1999 im Rahmen der Diskussion über das Projekt des Minderheitenrechtes in der Republik Polen, Sejm - Stenogramm, S. 201. (2) Engelbert Mis , „Bei der Nationalen Volkszählung ging es nicht mit rechten Dingen zu. Angst, die eigene Identität zu offenbaren.", Schlesisches Wochenblatt Nr. 26 (586), ISSN 1234-3102
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Josef Gonschior
Abstract Josef Gonschior. Language, Culture, the Formation of Opinion, and Information as Prerequisites of Democratic Participation - Examples from Upper Silesia. Ed. by Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2004) pp. 135-151. The author was a leading official of the German minority in Poland and both witnessed and participated in its development at Ratibor in Upper Silesia after the transition. With the aid of examples, he illustrates the efforts to foster and recover the German language, to establish separate media and restore and widen regional German culture in Upper Silesia. He draws attention to obstacles within and outside these endeavours, and places particular emphasis on the recent national census in Poland, which - for the first time - included questions on nationality, citizenship, and spoken dialects. Difficulties forecast by the author for the German minority have unfortunately been confirmed in practice and are discussed in the final section.
Minderheitenschutz und Demokratie in Rumänien. Aktuelle Entwicklung Von Monica Vlad
„Nous sommes ici aux Portes de l'Orient, ou tout est pris à la légère. Raymond Poincaré
Diese Beobachtung des französischen Staatsmannes ist für den Balkan sehr zutreffend. Zutreffend vor allem, weil sie sowohl die Identität, als auch die Identitätskrise dieser sich zwischen Orient und Okzident befindenden Region vollkommen darstellt. Zur Einführung zum „Minderheitenproblem" in Rumänien (und in Osteuropa allgemein) soll zuerst betont werden, dass im heutigen Europa zwei entgegengesetzte Prozesse ablaufen: einerseits der Integrationsprozess Westeuropas in die Strukturen der Europäischen Union, andererseits der Desintegrationsprozess der postkommunistischen Staaten Osteuropas. Diese Realität reflektiert sich auch in der in Bezug auf den Balkan oft gebrauchten Terminologie: „Balkanisierung" soll „Fragmentieren der großen, stabilen politischen Einheiten", aber auch „Rückkehr zur Stammesgemeinschaft" bedeuten.1 Dass Balkanisierung tatsächlich - oder nur - diesen Sinn hat, ist ein Stereotyp - und trotzdem charakterisiert der Zerfall der Staatsautorität die Krise der postkommunistischen Ländern in entscheidendem Maße. So behauptet folgende - sehr realistische und interessante - Analyse der aktuellen Situation Rumäniens zu Recht: „Dieses Land erlebt heute eine der schwierigsten Zeiten dieses Jahrhunderts." Noch nie seit Bestehen des rumänischen Staates sei das Land derart in seiner Entwicklung zurückgeschritten wie in der Zeit von 1989 bis heute, und dies ohne wirkliche Perspektiven für die Zukunft. 2
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Maria Todorova, Imagining the Balkans, Oxford University Press 1997, S. 1. Vgl. Flor in Albulescu, Wieder auf gepacktem Koffer?, Beitrag zu der Studie „Die Heimat passt in keinen Koffer", in: Zugänge, Forum des Evangelischen Freundeskreises Siebenbürgen, Heft 24, Dezember 1998, S. 53. 2
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Die in diesem Kontext durchgeführte Untersuchung der Minderheitensituation setzt folgende Hauptfragen voraus: Wie sieht die Zukunft des Nationalstaates aus und wie ist es um den Minderheitenschutz in eben diesem Nationalstaat bestellt? Gibt es verfassungsrechtliche bzw. völkerrechtliche Lösungen für die ethnischen Konflikte in Osteuropa, und - falls ja - welche sind diese?
I. Geopolitischer und verfassungsrechtlicher Kontext des akuellen Minderheitenschutzes in Osteuropa, mit spezieller Betrachtung für Rumänien Die neuen postkommunistischen Verfassungen Osteuropas sind zwar dem Wortlaut nach demokratisch, in der Praxis aber erscheint der Staat unfähig, die in ihnen verankerten Rechte und Freiheiten auch faktisch zu gewähren. Vielmehr erscheint es gerade so, dass in Staat und Gesellschaft soziale Rechte um so weniger real gelten, je zahl- und umfangreicher sie in der Verfassung (oder auch in anderen Gesetzen) verbrieft sind. Kennzeichen der postkommunistischen Verfassungen ist die Fiktion des Wohlstandsstaates, in dem die Grundrechte und Freiheiten „der Bürger" garantiert werden. Durch ihre überladenen Vorschriften sind diese Verfassungen jedoch nur politische Absichtserklärungen, mithin bloße Programmsätze ohne dirigierende Kraft. Die Konzentration aller Ideale (z. B.: „Rumänien ist ein Rechtsstaat, ein demokratischer Staat, in dem die Menschenwürde, die menschlichen Freiheiten und der politische Pluralismus garantiert werden") in einer einzigen Vorschrift führt zu deren Abwertung.3 Dieses Ergebnis folgt aus der paradoxen Rolle des Staates in den postkommunistischen Ländern. Einerseits muss der Staat sich vielfältiger Kompetenzen erfreuen, um die konstitutionelle Demokratie verwirklichen zu können. Andererseits freilich steht eben dieser Staat sich selbst dabei im Wege, eine demokratische Ordnung zu etablieren. In dieser letzten Hinsicht lautet die Kernfrage: Wie kann der neue Staat, der auf rechtsstaatlichen Prinzipien aufbaut, mit der „Unrechtstaatlichkeit" des alten Regimes umgehen, ohne gleichzeitig sich selbst von rechtsstaatlichen Grundlagen zu lösen? Das angesprochene Risiko, dass der Staat sich selbst behindert, eine demokratische Ordnung zu realisieren, wird durch folgende Faktoren betont: 1. Das Nationalbewusstsein in den neuen Staaten Osteuropas wird nicht im und am Staat entwickelt, sondern durch die Gegnerschaft zum bestehenden Staat geprägt. Der bestehende Staat ist das Fremde, das Trennende, das der Ent-
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Ulrich Preuss , Constitutional Aspects of the Making of Democracy in the PostCommunist Societies of East Europe, Berlin 1994, S. 13.
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faltung eigener kultureller Persönlichkeit entgegensteht. Die Legitimierung der neuen Staaten beruht auf der ethnischen Solidarität der Mehrheitsgruppe. So stellt sich die Frage: Wem gehört (eigentlich!) der Staat, der (nur) die ethnische Mehrheit innerhalb seiner Grenzen beschützt und anerkennt, und wie kann er laut dieser ethnischen Legitimierung ethnische Konflikte (innerhalb seiner Grenzen) vermitteln? Dieser (ethnofiindamentalistische) Staat begreift das Gemeinwohl als „was für uns (nicht för alle\) gut ist" und geht davon aus, dass ethnische Identitäten wichtiger (und auch normativ maßgeblicher) sind als alle anderen Differenzen. 4 Zum Beispiel ist Rumänien, laut Artikel 4 der rumänischen Verfassung, „die gemeinsame und unzerteilbare Heimat aller Bürger, ohne Diskriminierung der Rasse, ethnischen Zugehörigkeit, des Eigentums oder der sozialen Herkunft". Weiter bestimmt dasselbe Grundgesetz, in Artikel 7, dass der „rumänische Staat die Beziehungen zu den im Ausland lebenden Rumänen" stärken soll. Die Verfassung erklärt nicht, ob damit die rumänischen Staatsbürger allgemein oder nur die ethnisch rumänischen (Staats-)Bürger gemeint sind. Es gibt keinen demokratischen Konsens. Die Gesellschaft wird vielmehr geprägt von einem Spannungsverhältnis zwischen dem normativen Anspruch auf Legitimation durch Verfahren (liberale Demokratie) - und die dafür notwendigen Verfassungsreformen - einerseits und dem gegebenen undemokratischen gesellschaftspolitischen Zusammenhang andererseits. 5 2. Mit Claus Offe kann man das Dilemma der Gleichzeitigkeit betonen. Im Gegensatz zu den westeuropäischen Staaten, die die Etappen des Prozesses (vom Nationalstaat zum Kapitalismus zur Demokratie) stufenweise und als „Normalfall" durchlaufen haben, werden die im Rahmen des revolutionären Wandels von Osteuropa zerfallenden Regime gleichzeitig mit drei Fragen konfrontiert: der Territorialfrage, der Staatsfrage (Festlegung der Grenzen und deren Konsolidierung), der Demokratiefrage (Abschaffung des Monopolanspruches einer Partei und Herstellung einer konstitutionellen Demokratie) und der Marktwirtschaftsund Eigentumsordungsfrage (Liberalisierung der Preise, Abbau der Subventionen und Privatisierung). 6 Diese Forderungen haben wechselseitige Obstruktionseffekte: Es handelt sich um ein Phänomen der wechselseitigen Blockade von Problemlösungen („der Tunneleffekt und die politische Ökonomie der Geduld" - in Offes Formulierung).
4 Lidija Basta-Fleiner, Die verfasungsrechtlichen Aspekte des Ubergangs im südlichen Ost-und Mitteleuropa, Vorlesung WS 1997/1998, Universität Fribourg/Schweiz, SkriptS. 13. 5 Basta-Fleiner (s.o. Fn. 4), S. 7. 6 Claus Offe , Der Tunnel am Ende des Lichts. Demokratische Transformationen im neuen Osteuropa, Frankfurt a. M., 1994.
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So wird die komplizierte „Reform" von einer politischen Klasse durchgeführt, die an Konzeptlosigkeit leidet7 und an einem „kapitalistischen Design" arbeitet, ohne es zu verstehen. Im Fall Rumäniens ist die Problematik der Demokratiefrage von einem legalen Nihilismus begleitet, der (auch) die kommunistische Zeit geprägt hat. Obwohl eine neue Gesetzgebung stattfindet, und obwohl die wichtigsten Gesetze von einem „europäischen Geist" inspiriert werden, fehlt es ihnen an Glaubhaftigkeit, und es entsteht somit eine Autoritätskrise (auch) in diesem Bereich. Die Ursache der „Ethnifizierung der Politik" im heutigen Osteuropa ist dadurch begründet, dass die Beziehung „neuer Nationalstaat - ehemaliges Imperium" noch immer das Hauptproblem der Staatlichkeit in dieser Region darstellt. Hauptproblem deshalb, weil die supranationalen (imperialen) Strukturen die Herrschaft einer ethnischen Gruppe (oder einiger) über die anderen - im Normalfall numerisch überlegenen - ethnischen Gruppen institutionalisiert haben. Die supranationalen Strukturen des Balkans (d.h.: die heute aufgelösten Imperien) wurden relativ spät (zu Beginn des 19. Jahrhunderts) durch die Nationalstaaten ersetzt. Die wichtigste Folge dieses Prozesses ist die (in Frage gestellte) politische Loyalität der ethnischen Minderheiten gegenüber diesen neuen Staaten. Ethnische „Probleme" in Osteuropa sind territoriale Probleme, die die Integrität des Staates (und dessen Grenzen) in Frage stellen. Einen dramatischen Beweis liefert in dieser Hinsicht die Desintegration der ehemaligen kommunistischen Föderationen Osteuropas, die mit der Anwendung der Idee des Selbstbestimmungrechts als ethnische Selbstbestimmung in diesen Ländern begann. Kurz gefasst, entwickelt der neue (National-)Staat einen Terror, der hauptsächlich (oder exklusiv) gegen seine ethnischen Minderheiten gerichtet ist, eben weil sie ethnische Minderheiten sind. Andererseits erkennen die ethnischen Minderheiten die Identität dieses (auf den Wertvorstellungen der Mehrheitsethnie beruhenden) Staates nicht an. Aus diesen beiden ethnozentrischen Positionen entwickelt sich das Paradigma des kategorischen ethnischen Konfliktes. Wie kann „normaler" Minderheitenschutz, der auf der Aussage „the state must be just and its minorities must be loyal" beruht, in diesem Kontext möglich sein? Die Verfassung Rumäniens bietet konkrete Vorschriften, die die kategorische Natur des ethnischen Konfliktes bestätigen: die „nationale Einheit" des rumänischen Staates und seine „territoriale Integrität", der „nationale und unitäre Charakter" des Staates sind Werte, deren Priorität gegenüber „Minderheitenschutz" unbezweifelt bleibt. Diese Vorschriften sind die normative Garantie gegen eth-
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Albulescu (s.o. Fn. 2), S. 54.
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nisch motivierte Sezessionsansprüche (und zugleich die Bestätigung des Verfassungnationalismus). Durch diesen Verfassungsnationalismus legitimiert der ethnisch begründete Staat seine Gewalt aus dem Staatsvolk, das als Volk im Sinne des demos verstanden wird. Der Begriff bedeutet das Verbot positiver Diskriminierung: Die Maßnahmen des Staates zum Minderheitenschutz dürfen nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen und die anderen Bürger diskriminieren. Die „anderen Bürger" sind die Mehrheitsnation, deren Einheit als „Grundlage des Staates" verankert ist (Art. 6 Abs. 2). Diese „normativen Garantien" werden durch die Vorschriften des Artikels 148, der die Abänderung der Verfassung vorsieht, verstärkt. Eine Verfassungsrevision, die den „nationalen, unabhängigen, einheitlichen und unteilbaren Charakter des rumänischen Staates" betrifft, ist unzulässig. Dasselbe gilt für die territoriale Integrität, die Unabhängigkeit der Justiz, die republikanische Regierungsform, den politischen Pluralismus und die offizielle (rumänische) Sprache. Hier soll ein wichtiges Merkmal Rumäniens erwähnt werden, und zwar die totale Abwesenheit jeder föderalistischen Tradition, eine Realität, die durch die verfassungsrechtlichen Normen bestätigt wird. Eine wichtige Vorschrift bezüglich der Menschenrechte (also auch Minderheitenrechte) befindet sich in Artikel 20 der rumänischen Verfassung: Menschenrechte und Bürgerrechte, so der Artikel, sollen in Ubereinstimmung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den im Bereich Menschenrechte von Rumänien ratifizierten internationalen Konventionen interpretiert werden. Falls die verfassungrechtlichen Bestimmungen mit den internationalen Abkommen nicht übereinstimmen, haben die internationalen Abkommen Vorrang; nach Verfassungsrecht besteht mithin ein Vorrang des Völkerrechts über das rumänische Recht im Bereich Menschenrechte. Dies ist freilich nicht unumstritten: Einige Kommentatoren tragen vor, Artikel 50, der den Vorrang der Verfassung festlegt, ohne die Bestimmungen des Artikels 20 aufzugreifen, gehe dem einschlägigen Artikel 20 vor. Diese Interpretation indes ist eine theoretische Spekulation, die den Vorrang der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Bezug auf die rumänische Gesetzgebung verhindern will/soll. Zu Recht wird dagegen vorgebracht, die rumänische Verfassung sehe den Vorrang der Verfassung nur in Bezug auf „andere völkerrechtliche Bestimmungen" vor, während die völkerrechtliche Regelung der Menschenrechte „überkonstitutionellen Wert" habe.8
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Aline Humbert, Spre ο transformare in dreptul international ?, Auszug aus der Studie „Drept international si drepturile omului in constitutiile moderne ale Europei Centrle si de Est - Reflectii plecand de la Repblica Ceha si Romania", Drepturile omolui Nr. 15/1997, S. 10-23.
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Ein für den Minderheitenschutz wichtiges Recht wird durch Artikel 29 der rumänischen Verfassung garantiert: die Religionsfreiheit. In diesem Kontext ist das Verhältnis zwischen Kirche und Staat wichtig, insbesondere die Tatsache, dass dieses Verhältnis von der sowjetischen Herrschaft massgebend beeinflusst wurde. Religion wurde politisiert und teilte dadurch das „Schicksal" der Ethnizität. Die Mehrheit der rumänischen Bevölkerung ist orthodox (86 %), und diese Religion war die wichtigste „offizielle" Konfession in der kommunistischen Zeit. Typisch für Rumänien in dieser Hinsicht ist der Anspruch auf Deckungsgleichheit zwischen Ethnie und Konfession. Obwohl dieser Anspruch fiktiv ist (ethnische Rumänen können auch katholisch sein, und Ungarn sind sowohl katholisch als auch protestantisch) hat er sich erfolgreich durchgesetzt. Das Ziel dieser Fiktion im Kommunismus war die Perzeption eines „gemeinsamen Block des Horrors" zwischen Rumänen und Russen, die dieselbe Religion teilen, wenn sie auch verschiedenen Kulturen angehören. Die Politisierung der Religion während der kommunistischen Zeit hat zur Verfolgung der Bürger, die anderen Konfessionen angehörten, beigetragen, insbesondere der katholischen und der griechisch-katholischen Minderheit in Transsilvanien. Die griechisch-katholische Minderheit etwa sondert sich vom Orthodoxismus ab und betont ihre Beziehungen zum katholischen Rom und zum Papst. Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen Rumäniens zum Vatikan (1951) löste die massive Verfolgung der griechisch-katholischen Minderheit in Transsilvanien aus, zu der sowohl ethnische Rumänen, als auch ethnische Minderheiten zählen. Heute schwankt Rumänien (noch immer) zwischen seiner europäischen und seiner Orientalen Identität. Infolge des politischen Versprechens der europäischen Integration und der gleichzeitigen Konfrontation mit der „slawischen Grenze" schwankt Rumänien demnach zwischen der Welt der EU und derjenigen der Russischen Föderation.
I I . Die Minderheiten Rumäniens: Aktuelle Entwicklung zwischen Ambiguität und Überzeugung Rumänien ist eine gemischt parlamentarisch-präsidentielle Demokratie, welche einen Ministerpräsident (Premier), der vom permanenten Vertrauen des Parlaments abhängig ist, und einen starken direkt gewählten Präsidenten voraussetzt. Der Präsident übt die Vermittlungsfunktion zwischen den Staatsgewalten sowie zwischen Staat und Gesellschaft aus (Artikel 80 der rumänischen Verfassung), eine für die osteuropäischen Regierungssysteme wichtige Funktion. Der Präsident ernennt - aus eigener Kompetenz - den Premierminister aus dem Kreise der von der parlamentarischen Mehrheit vorgeschlagenen Kandidaten.
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In diesem Regierungssystem wird die Gründung von Parteien auf ethnischer Basis (im Unterschied ζ. B. zu Bulgarien) anerkannt. Politische Organisationen, die die ethnischen Minderheiten Rumäniens vertreten, haben von Amts wegen das Recht auf einen Abgeordnetensitz im Parlament, falls sie die dafür „eigentlich" benötigten Stimmen im Wahlkampf nicht erreichen (Art. 59). Die Bürger einer nationalen Minderheit können nur von einer einzigen Organisation repräsentiert werden (Art. 59 Abs. 2 der Verfassung). Heute sind folgende politische Organisationen der Minderheiten im rumänischen Parlament vertreten: die Demokratische Union der Ungarn, die Kulturelle Union der Albaner, die Union der Armener, die Gemeinschaft der Bulgaren, die Union der Griechen, die Föderation der Juden, das Demokratische Forum der Deutschen, die Gemeinschaft der Italiener, die Union der Polen, die Partei der Roma, die Gemeinschaft der Russen des Donaudeltas, die Union der Serben, die Demokratische Union der Slowaken und Tschechen, die Demokratische Union der Tataren und Türken und die Union der Ukrainer. Repräsentiert sind die ethnischen Minderheiten Rumäniens auch auf dem Niveau der Regierung, wo der Rat für die Probleme der Minderheiten 1993 gegründet wurde. Dieser Rat arbeitet mit der Regierung für die Entwicklung der ethnischen, kulturellen und religiösen Identität der Minderheiten. In dem Minderheitenrat sind je drei Vorsitzende jeder Organisation der ethnischen Minderheiten vertreten. Trotz der Anwesenheit von ethnischen Minderheiten betrachtet sich Rumänien nicht als „multiethnischer" Staat. Das kann man aus den schon erwähnten verfassungsrechtlichen Bestimmungen schließen, aber auch aus der Tatsache, dass die Minderheiten Rumäniens heute insgesamt (nur) 10 % der Totalbevölkerung bilden. Die ethnischen Minderheiten Rumäniens leben in verschiedenen Gebieten, sind aber auf dem ganzen Territorium des Landes verteilt. So gibt es „spezifische" Minderheiten in der Nähe der Grenzen oder in den von ihnen „historisch" besiedelten Gebieten: die serbische und kroatische Minderheit in der BanatRegion (an der serbischen Grenze, in den Gebieten Caras-Severin, Arad und Timis), die türkische, bulgarische und tatarische Minderheit im Süd-Osten, im Dobrogea-Gebiet und im Donau-Delta, die griechische Minderheit in der Hafenstadt Braila und die armenische Minderheit in der Hafenstadt Constanta am Schwarzen Meer. Die zahlenmäßig stärkste (und politisch am besten organisierte und vertretene) Minderheit Rumäniens sind die Ungarn (8,9 % der Bevölkerung). Die Ungarn sind in Transsilvanien konzentriert, hauptsächlich in den Gebieten, in denen sie auch während der ungarisch-österreichischen Herrschaft in Transsilvanien gelebt haben: Oradea (an der nördlichen Grenze mit Ungarn), Covasna,
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Harghita, Targu-Mures und Cluj-Napoca (im Zentrum Transsilvaniens). Die zahlenmäßig zweitstärkste Minderheit Rumäniens sind die Roma, die sowohl in sedentären Gemeinschaften, als auch in Nomadenstämmen leben. Die Roma sind im ganzen Lande verteilt, haben aber einen „Hauptsitz" in Sibiu (Hermannstadt), eine ursprünglich sehr deutsch geprägte Stadt im Süden Transsilvaniens. Tatsächlich bilden die Roma in den früher von den Deutschen Rumäniens bewohnten Dörfern, in denen auch die Rumänen eine Minderheit waren, heute die Mehrheit. 9 Bis in die späten Jahre des Kommunismus gab es eine zahlenmäßig starke deutsche Minderheit in Rumänien, die „Siebenbürger Sachsen", die aus eigenem Recht im XI. Jahrhundert in das Gebiet Transsilvanien (Siebenbürgen) eingewandert sind. Die Siebenbürger Sachsen sind aus mehreren deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen gebildet: die größere Gruppe der Banater Deutschen (die Banater Schwaben und die Banater Berglanddeutschen), die Satmarer Schwaben und die Deutschen der Bukowina und des Buchenlandes, sowie auch die deutschen des ehemaligen „rumänischen Altreichs" (die Moldau und die Walachei). Die Geschichte der Deutschen in Rumänien kann man in zwei fast gleich lange Perioden einteilen: von 1141 bis zur Reformation der Siebenbürger Sachsen und von der Reformation bis zur großen Wende in Osteuropa, „die nicht nur ein politisches System zugrunde gehen ließ und Staatsgrenzen änderte, sondern auch Völkerwanderungen in Gang setzte. Bevölkerungen, die vor Jahrhunderten vom Westen des Kontinents nach Osten ausgesiedelt waren, wanderten zurück". 10 Heute sind die Deutschen Rumäniens in großer Zahl nach Deutschland ausgewandert und stellen noch nur 1 % der Bevölkerung dar. Einen ähnlichen Bevölkerungsschwund, wenn auch aus anderen Gründen, hat auch die jüdische Minderheit erlitten (heute sind die Juden Rumäniens nur noch 0,4 % der gesamten Bevölkerung). Trotz der Verschleppung, Ausrottung und der massiven Auswanderung dieser Minderheiten sind sowohl die Deutschen als auch die Juden Rumäniens politisch gut vertreten und auch relativ aktiv im rumänischen Gesellschaftsleben. Deutschland und Israel haben die Rückgabe der enteigneten Häuser an die Nachfolger der Opfer der Nazizeit und des Kommunismus nachdrücklich unterstützt, und die neuen rumänischen Gesetze sehen den Vorrang der Naturalrestitution, sprich: der Rückgabe, vor. Wie schon erwähnt, sind etwa 86 % der rumänischen Staatsbürger orthodox, 6 % katholisch, 5 % protestantisch und 3% islamischen oder jüdischen Glau9
Albulescu (s.o. Fn. 2), S. 65. Ebd., S. 52.
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bens bzw. atheistisch. Hier soll erwähnt werden, dass während der 500jährigen ottomanischen Herrschaft vor der Bildung des modernen rumänischen Staates die rumänischen Fürstentümer den christlichen Glauben nicht vernichtet haben und dass es - im Gegensatz zu Albanien und Bulgarien - in Rumänien während des ottomanischen Protektorats keine massiven Bekehrungen zum islamischen Glauben gegeben hat. Die Gedanken-, Meinungs-, sowie die religiöse Glaubensfreiheit können, laut Artikel 29 des Grundgesetzes, nicht eingeschränkt werden. Niemand kann gezwungen werden, eine bestimmte Meinung zu vertreten oder entgegen seinen Uberzeugungen einem religiösen Glauben zutreten. Die religiösen Kulte sind dem Staat gegenüber selbstständig und erfreuen sich dessen Unterstützung, einschließlich der Ermöglichung des religiösen Beistands in der Armee, in Krankenhäusern, in Strafanstalten, in Altersheimen und in Waisenhäusern. Artikel 127 der Verfassung sieht das Recht der nationalen Minderheiten auf einen Dolmetscher vor. Dieses Recht ist auch den Bürgern, die die rumänische Sprache nicht verstehen, garantiert und wird namentlich im Gerichtsverfahren virulent, das in der Amtssprache Rumänisch durchgeführt wird. In den Regionen, in denen sie die Mehrheit bilden, haben die ethnischen Minderheiten das Recht, sich vor den öffentlichen Behörden in ihren eigenen Sprachen auszudrücken. Die einzige ethnische Minderheit Rumäniens, die Anspruch auf „ethnische Autonomie" geäußert hat, ist die ungarische. Die ungarische Minderheit Rumäniens sieht sich als Teil der „universellen ungarischen Nation", deren Mutterland Ungarn ist. 11 Die Ungarn Rumäniens beanspruchten 1994 durch einen Gesetzentwurf „lokale Autonomie", „persönliche Autonomie", „Kollektivrechte" und „internes Selbsbestimmungsrecht". Dezentralisierung und eine weitgehende lokale Autonomie können zur Milderung des Konfliktes zwischen diesen Ansprüchen und der Zurückhaltung des rumänischen Staates, diese Autonomie zu verwirklichen, beitragen, ohne eine Föderalisierung Rumäniens in die Diskussion zu bringen: „Persönliche Autonomie" oder „ethnische Autonomie" nämlich dürfen nach dem Willen des rumänischen Staates in den von ungarischer Mehrheit bewohnten Gebieten nicht, was befürchtet wird, zur Institutionalisierung der Herrschaft eben dieser Mehrheit über die rumänische Minderheit führen. Außerdem erfreut sich die ungari-
11 Kommuniqué zu den Diskussionen zwischen der Regierung Ungarns und den Vorsitzenden der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien vom 26. Februar 1993, Romaniai Magyar szo Nr. 967 vom 2. März 1993.
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sehe Minderheit eines den völkerrechtlichen Regeln gemäßen Schutzes, der den Begriff „kollektive Rechte" für ethnische Minderheiten nicht anerkennt. 12 Eine mögliche Lösung der Spannungen zwischen Minderheiten und der Mehrheitsbevölkerung (oder wenigstens deren Milderung) könnte in Rumänien durch die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips erreicht werden. Leider ist Rumänien an einen Staatszentralismus gewöhnt, der für die heterogene Wirklichkeit Rumäniens nicht geeignet ist. Die historische Realität dieses Landes beweist die Existenz (und, heute, Koexistenz) verschiedener Kulturen und Ethnien, die nicht vom „Zentrum" Bukarest aus dirigiert werden können. Umso mehr, da die Staatsmänner Rumäniens hauptsächlich aus Bukarest stammen und wenig Kenntnis der Problematik der Minderheiten vorweisen können. Trotzdem erfreut Rumänien sich heute einer Stabilität, die es zur „Insel der Normalität" des Balkans macht. Die ethnischen Sezessionskriege Jugoslawiens haben zwar viel Existenzangst in Rumänien verursacht (vom wirtschaftlichen Schaden nicht zu reden), doch die Situation des ethnischen Zusammenlebens ist zurzeit relativ positiv. Die Demokratische Union der Ungarn Rumäniens erfreut sich einer guten Zusammenarbeit mit der aktuellen Regierung und war in der vorigen Regierung Rumäniens ein wichtiger Partner der Regierungskoalition. Zur Integration der Roma hat der rumänische Staat vor allem Maßnahmen zu deren Bildung getroffen. Das ist wichtig, wenn man bedenkt, dass der Lebensstil und die Werte dieser Gemeinschaften von denen der Mehrheitsbevölkerung sehr verschieden sind. Im Ausland leben, laut einer Statistik von 1998, ungefähr 12 Millionen Rumänen, z. B. 150.000 in Ungarn, 2.500 in Griechenland, 38.823 in Jugoslawien, 80.000 in Bulgarien, 106.300 in der Ukraine, 7.764 in Mazedonien, 25.000 in Italien, 60.000 in Frankreich, 150.000 in Deutschland, 23.000 in Osterreich, 2.500 in Spanien, 1.000.000 in den USA, 50.000 in Australien und 3.000 in Südafrika. 13 Ihr Beitrag zu der Entwicklung des Landes ist wichtig, wenn man bedenkt, dass es sich hauptsächlich um gebildete Menschen handelt, die im Ausland jahrelang ohne Nationalismen gelebt haben - und haben leben können.
12 Die Ambiguität dieser Standardnorm im Völkerrecht ist heute für den Balkan besonders gefährlich, wenn man den Präzedenzfall Kosovo bedenkt. Die de facto bestehende Unabhängigkeit der Provinz (trotz ihrer verfassungsrechtlichen Zugehörigkeit zu der Republik Jugoslawien) kann ähnliche Selbstbestimmungsansprüche anderer ethnischen Minderheiten veranlassen (siehe die schon ausgebrochene Konfliktsituation in Mazedonien). 13 Nationalzeitung „Adevarul", Dezember 1998, S. 2.
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I I I . Eine Zukunft fur die Minderheiten Rumäniens? Die Tragödie Jugoslawiens ist ein Präzedenzfall, dessen Effekte in der Region noch nicht in völliger Entfaltung sichtbar geworden sind. Auf dem Balkan basiert die ethnische Solidarität als ultima ratio auf der Idee der Schicksalsgemeinschaft. Ich wähle die in extremis artikulierte Definition dieser Solidarität, weil sie die Kraft des balkanischen Nationalismus am besten zusammenfasst: „Until the war, we thought of ourselves as Yugoslavs. But when we began to be murdered (...) things changed. The definition of who we are today has been determined by our killers 14
Die Kraft des Nationalismus zeigt sich am besten in dem Extremfall des Völkermordes. Dass die auf dem Balkan lebenden Ethnien im Nationalismus Schutz und Sicherheit finden, insbesondere in dem Kontext der internationalen Isolierung, ist eine Realität, die nicht viel Hoffnung für den Konstitutionalismus verspricht. Nationalismus gehört zu den Kategorien „Ehre" und „Demütigung", bzw. „Ehrenpflicht". In Osteuropa wird unter „eingeborenen" und „importierten" Minderheiten drastisch unterschieden (siehe ζ. B. die Situation der russischen Minderheit in Estonien). Auf verfassungsrechtlicher Ebene ausgedrückt, machen die neuen (unabhängigen) Staaten die Korrektur der „historischen Ungerechtigkeit" zur Hauptlegitimation ihrer (relativ neuen) Staatlichkeit. Dieser integrative Nationalismus identifiziert die dominierende ethnische Gruppe mit der Totalität des Staates und verursacht somit einen Konlikt zwischen zwei extremen Nationalismen: Die ehemalige ethnische Minderheit wird ihre eigenen Prinzipien vergessen, sobald sie die politische Herrschaft ergreift, und wird den von ihr beanspruchten Minderheitenschutz „den anderen" nie zuerkennen. Dann stellt sich die schwierig zu beantwortende Frage: Wie kann Minderheitenschutz in Osteuropa überhaupt realisiert werden? Higgins hat darauf aufmerksam gemacht, dass es eine „allgemeine, aber falsche" Perzeption des Selbstbestimmungsrechts gebe, die Selbstbestimmung als Unabhängigkeit (d. h.: endlose Infragestellung der existierenden Staatsgrenzen) verstehe. Andererseits gefährdet die Ambiguität des Selbstbestimmungsrechts die Stabilität der existierenden Staaten, da die internationale Gemeinschaft (ζ. B. im Fall Jugoslawiens) Standards vorgeschlagen hat, deren Anwendung ohne die Desintegrierung der existierenden Staaten nicht möglich ist. 15 Wer kann sich dann auf das Selbstbestimmungsrecht berufen und auf welche Weise? Sind es die Mitgliedstaaten einer Föderation, das Volk bzw. die Völker, die Minderheiten im allgemeinen oder nur diejenigen Minderheiten, denen das 14
Mikica Babic, zitiert nach: Chris Hedges, War Turns Sarajevo Away from Europe, New York Times v. 28.7.1995. 15 Self-Determination, CSCE ODIHR Bulletin, Vol. 2, Nr. 3, Seite 16. 11*
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Recht auf den Volksstatus - von wem? - zuerkannt wurde? Und von wem kann dieses Recht dann konkret geltend gemacht werden? Die kategorische Natur der ethnischen Konflikte in Osteuropa bedeutet auch, dass der Anspruch auf „nationale Freiheit" nicht (nur) das „Abschütteln" des Minderheitenstatus verfolgt, sondern die „Erwerbung" von „eigenen" Minderheiten und deren Verfolgung. 16 Dies ist die Entfaltung von abstrakten Prinzipien, in der tragischen Logik Osteuropas und insbesondere des Balkans: Die Unabhängigkeit einer Nation ist der Beginn der Unterdrückung einer anderen Nation, 17 Das Problem des multiethnischen Zusammenlebens kann durch die Neudefinierung des Minderheit-Mehrheit-Verhältnisses nicht gelöst werden, und das Ersetzen eines Ethnonationalismus durch einen anderen verspricht „keinen Sonnenschein" für den Minderheitenschutz. Die paradoxe Schlussfolgerung dieser drastischen Realität lautet nach Claus Offe: „The human rights approach will not solve the minority problems, since it is impossible to fulfill minority rights without violating any right of the majority." 1 8
So kann Ethnizität im Balkan keine emanzipatorische Rolle spielen, ohne zugleich das Risiko der totalen Desintegration des Staates mit sich zu bringen. Bis das Grundproblem „Ist das Volk ethnos oder demos?" in Bezug auf den Balkan nicht gelöst wird, ist eine Aussicht auf Frieden in dieser Region nicht realistisch. Ein neues verfassungsrechtliches Konzept ist nötig, welches sowohl das politische Verständnis der Nation ohne Ethnizität (etwa: Frankreich) als auch das durch die Ethnizität definierte Begriffsverständnis transzendieren soll.
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Abstract Monica Vlad: Minority Protection and Democracy in Romania - Current Developments, In: Minority Protection and Democracy. Ed. by Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2004) pp. 153-164.
16 Timothy Sisk, Power Sharing and International Mediation in Ethnic Conflict, United States Institute of Peace, Washington, D.C. 1996, S. 19. 17 Den besten Beweis liefert der Kosovo-Konflikt, während dessen „moderate" Albaner genauso wie Serben von der Armee zur Befreiung des Kosovo ermordet wurden. 18 Claus Offe , Ethnie Politics in Eastern Europe Transitions, New York 1992, S. 2.
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Which are the current problems post-communist countries face? The study focuses on the paradox of reconstruction and on the dilemma of democratization. The state is playing a pradoxical role, as he has to be active in the privatization process, yet is blocked by its own post-totalitarian set-up. Minorities are envolved in categorical ethnic conflict, as their requests for autonomy question the very nature of the state itself. Minority questions are territorial issues and minority rights become state rights.
Minderheit - ein permanentes Konfliktpotential? Ein Mythos aus mitteleuropäischer Sicht Von Elisabeth Sändor Szalay
I. Einführung Der Begriff „Konflikte im Zusammenhang mit nationalen Minderheiten" wird im Ungarischen selten gebraucht und klingt etwas merkwürdig. Es ist die wörtliche Übersetzung des englischen Begriffs „minority related conflicts". In westeuropäischen und nordamerikanischen Äußerungen, seien es Reden von Staatsmännern, wissenschaftliche Analysen oder Presseveröffentlichungen, kommt dieser Begriff regelmäßig vor. Der Konflikt zwischen den verschiedenen nationalen Minderheiten ist ein großer Gefahrenfaktor fur die Weltsicherheit, für die Sicherheit Mittel- und Osteuropas. In der ausländischen Beurteilung dieser Region, insbesondere auch Ungarns, wird der Erörterung der Problematik ein breiter Raum eingeräumt, ob die Minderheitenfragen und die mit ihnen zusammenhängenden Nachbarschaftsbeziehungen und Grenzangelegenheiten den westeuropäischen und nordamerikanischen Erwartungen entsprechen. Es ist daher unerlässlich, den Terminus technicus zu prüfen, der in den Gedanken vieler eine zentrale Rolle spielt. Die politischen Entscheidungsträger, die Analytiker und die Medien sehen nicht immer ganz deutlich - und in dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen Mittel- und Westeuropa - , welche Zusammenhänge zwischen den Fragen der nationalen Minderheiten und den europäischen Sicherheitskonzepten bestehen oder bestehen könnten. Die Meinungen sind verschieden. Gleichwohl nennen die meisten Analysen, die über die globale und europäische Sicherheit gefährdende Faktoren bekannt werden, die mit Minderheiten zusammenhängenden Spannungen und Konflikte an erster Stelle1. Die Fakten, die dies bestätigen, sind eindeutig: Der Desintegrationsprozess in der ehemaligen Sowjetunion, in
1 Vgl. Andrâs Balogh, A „nemzeti kisebbségekkel összefuggö konfliktusok" mitosza - kôzép-eurôpai tanulsâgok. (Mythos der Konflikte in Bezug auf nationale Minderheiten - osteuropäische Lehren), in: Külpolitika 1997/2 (Budapest), S. 3 - 9; oder Barna Bodo, From Geographical/Historical Regions to the Euro Regions, or the Crystal Ball of Multicultural Regionalism, in: Minorities Research. A Collection of Studies by Hungarian Authors, Budapest 1999, S. 23 - 32.
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Jugoslawien und der Tschechoslowakei, der blutige Krieg in Bosnien und Tschetschenien, andere Kriege in der Kaukasusregion und der Krieg zwischen Serben, Kroaten und Bosniern sind auf ethnische Wurzeln zurückzuführen. Ethnische Faktoren sind auch der Grund für die Spannungen zwischen Russland und Estland, Polen und der Ukraine, der Türkei und Griechenland. Die politische Elite der europäischen und nordamerikanischen Länder ist sich bewusst, dass ungelöste Nationalitätenkonflikte den demokratischen Entwicklungsprozess der neuen (bzw. zukünftigen) NATO- und EU-Mitgliedstaaten2 destabilisieren, sich zwischen diesen Staaten andauernde Spannungen entwikkeln könnten und im Falle einer Mitgliedschaft könnten die Spannungen und Konflikte in die jeweiligen Organisationen getragen werden. In der EU und in anderen europäischen und euro-atlantischen Organisationen verzichtet man gerne auf neue Konflikte türkisch-griechischer Art. Die Botschaft der Vertreter der westeuropäischer Staaten an die Regierungen und Gesellschaften der mitteleuropäischen Staaten ist eindeutig: Es soll versucht werden, Kompromisse zu schließen und Einigungen zu treffen. Niemand wird aufgenommen, der seine Minderheiten- und Grenzprobleme nicht geklärt hat3. Diese Botschaft ist von großer Bedeutung, sie ist zeitgemäß und nicht voreingenommen. Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass der gute Wille der westeuropäischen Länder von bestimmten Kräften missbraucht werden könnte, von Kräften die an einem europäischen Integrationsprozess nicht interessiert sind. Denn diese unvoreingenommene und neutrale Formel gibt nationalistischen Gruppierungen und Regierungen in Mittel- und Osteuropa die Möglichkeit, den Erweiterungsprozess zu behindern oder zumindest zu verlangsamen. Die Entscheidungsträger der europäischen und atlantischen Länder müssten mit wissenschaftlicher Intensität die Wurzeln und Entwicklungen der Minderheitenangelegenheiten analysieren. Wer diese Arbeit nicht erledigt, könnte leicht auf den Gedanken verfallen, dass jeder Konfliktteilnehmer im gleichen Maße verantwortlich und im gleichen Maße zu belohnen oder zu bestrafen sei. Ein derart unsensibles Vorgehen wäre nicht nur unwissenschaftlich, sondern in seiner Wirkung auch katastrophal - es gibt zu viele schlechte Beispiele in der europäischen Geschichte.
2
In dieser Hinsicht über Ungarn vgl. Kôrkérdés Magyarorszâg NATO-tagsagaról, in: REGIO 1999/2 (Budapest), S. 33 - 58. Diese Studie ist das Ergebnis einer Umfrage der REGIO-Redaktion zum Thema: Wie wird die NATO-Mitgliedschaft Ungarns in seinen Nachbarländern beurteilt. 3 Ungarns bilaterale, sog. Nachbarschaftsverträge - mit minderheitenschutzrechtlichem Inhalt - wurden überwiegend vor diesem Hintergrund geschaffen: Mit der Ukraine (1991 - in Kraft 1995: XLV. Ges.), mit Slowenien (1992 - 1995: XLVI. Ges.), mit Kroatien (1992 - 1995: XLVII. Ges.), mit der Slowakei (1995 - 1997: XLIII. Ges.) und mit Rumänien (1996 - 1997: XLIV. Ges.).
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Es gibt Menschen, die davon besessen sind, die nationale Würde, den Ruhm, die Tragödien, den Verrat und die Opfer in den Mittelpunkt ihrer politischen oder sogar diplomatischen Rhetorik zu stellen. Sie glauben, dass die Eintrittskarten in den euro-atlantischen Klub allein auf Grund nationaler und historischer Verdienste vergeben würden.
I I . Die Zerbrechlichkeit der gegenwärtigen Nationalstaaten in Mitteleuropa In Mitteleuropa ist, ähnlich wie in Osteuropa, das Auftreten bzw. Wiederauftreten nationaler Probleme bzw. Minderheitenprobleme am Ende des 20. Jahrhunderts ein historisches Phänomen4. Diejenigen, die mit der Geschichte dieser geographischen und politischen Region vertraut sind, sind sich der Zerbrechlichkeit der heutigen Nationalstaaten in Mitteleuropa bewusst5. Diese Zerbrechlichkeit kann mehrere Gründe haben6. Einen möglichen Grund bilden das Nationalbewusstsein, die nationale Sprache und die verspätete Entwicklung der Nationalstaaten in dieser mitteleuropäischen Region. In Mittel- und Osteuropa hat sich das Nationalbewusstsein im Rahmen von multinationalen Gesellschaften entwickelt (die österreichischungarische Monarchie, das Russische und Osmanische Reich). Die Völker in diesen Staatsgebilden, so ζ. B. die Esten, die Letten, die Litauer, die Slowaken, die Slowenen und die Mazedonier, haben nie einen Nationalstaat gegründet. Andere Völker, wie die Kroaten, die Tschechen und die Bulgaren haben schon vor Jahrhunderten ihre Unabhängigkeit verloren. Die meisten mussten für den Erhalt ihrer Sprache kämpfen. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist die unabhängige oder zum Teil unabhängige Staatlichkeit ein sehr spätes Phänomen, das erst Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts auftrat. Die Entwicklung zur Nation hat nicht in einem eigenen staatlichen Rahmen stattgefunden, und aus diesem Grund können wir in unserer Region eine anhaltende Teilung zwischen Nation und Staat beobachten.
4 In den meisten Fällen ist es schwer oder einfach unmöglich einen absolut und überall verwendbaren Unterschied zwischen den Begriffen „Nation" und „nationale Minderheit" zu finden - trotz der bekannten Definitionsdebatten der letzten drei Jahrzehnte. 5 Ungarn hat - fast als einziges - im Zuge des Umbruchs in Mittel- und Osteuropa seit 1989/90 den Weg des traditionellen Nationalstaates, der bislang auch von ihm verfolgt wurde, verlassen. Vgl. Jenö Kaltenbach, Die Rechtsstellung der Minderheiten in Ungarn, in: G. Brunner/B. Meissner (Hrsg.), Das Recht der nationalen Minderheiten in Osteuropa, Berlin 1999, S. 131 ff. 6 Über nationalistische Phänomene in den neuen Demokratien Ost- und Mitteleuropas mit ausführlichen Literaturhinweisen Joseph Marko, Autonomie und Integration. Rechtsinstitute des Nationalitätenrechts im funktionalen Vergleich, Wien 1995, S. 10 ff.
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Ein zweiter möglicher Grund könnte der multinationale Charakter derjenigen Staaten sein, deren Ziel die Gründung eines Nationalstaats ist. Die mitteleuropäischen Staaten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben immer aus multinationalen Gesellschaften bestanden, und die verschiedenen nationalen und ethnischen Gruppen haben ihre eigene Sprache, ihre eigene Kultur und Religion. In Polen leben Polen, Deutsche, Ukrainer, Weißrussen. In der Tschechischen Republik leben Tschechen, Slowaken, Ungarn, Polen, Deutsche, Ukrainer etc7. Die Staaten, die nach dem ersten Weltkrieg zustande kamen, waren genauso multinational wie ihre Vorgängerstaaten. Dritter Grund: Das westeuropäische Nationalstaatenmodell des 19. Jahrhundert ist vor dem Hintergrund völlig anderer historischer, gesellschaftlicher und globalpolitischer Bedingungen zustande gekommen. Das Westeuropa des 19. Jahrhunderts hat sich überwiegend im nationalen Rahmen entwickelt. Der Kampf fur die deutsche und italienische Einheit ist ein politisches Beispiel, das einen sehr großen Einfluss auf die Mitteleuropäer ausgeübt hat. In ihren Augen bestand Westeuropa aus homogenen Nationalstaaten, und sie waren überzeugt, dass diese nationale Homogenität der wichtigste Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung, die gesellschaftliche und politische Stabilität und das militärische Potential war. Das war also das Modell, das übernommen werden sollte(?). Die einzige Frage war, wie man den Traum vom homogenen Nationalstaat in Mitteleuropa verwirklichen könnte. Die Irrationalität der territorialen Aufteilung nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg kann als vierter Grund betrachtet werden. Um jedes Missverständnis zu vermeiden, ist es wichtig zu betonen: Diese Feststellung bedeutet nicht, dass man die jetzigen Grenzen der europäischen Staaten in Frage stellt. Das einzige Ziel dieser Feststellung ist es, die aktuelle Situation durch das Aufdecken von unerwähnten Faktoren verständlich zu machen. Die „Tragödie" der Welt und Europas ist, dass der nach dem Ersten Weltkrieg geschlossene Pariser Friedensvertrag nicht dem Idealismus des amerikanischen Präsidenten Wilson 8, den Grundprinzipien des Selbstbestimmungsrechts und den Grundvoraussetzungen eines lang anhaltenden Friedens entsprach. Die unterdrückenden multinationa7 Vgl. u. a.: Martina Boden, Nationalitäten, Minderheiten und ethnische Konflikte in Europa: Ursprünge, Entwicklungen, Krisenherde - Ein Handbuch, München 1993, S. 223, 294. 8 Ein Beispiel hierzu ist Präsident Wilsons dritter Entwurf zur Völkerbundsatzung: „... the Executive Council shall exact of all States seeking admission to the League, the promise to accord to all racial or national minorities within their several jurisdiction exactly the same treatment and security, both in law and in fact, that is accorded the racial or national majority of their people." (Treaty of Peace Hearings before the Committee on Foreign Relations, U. S. Senate, 66 Cong., First Sess., Sen. Doc. Nr. 10, Washington 1919, S. 254 ff., zitiert bei H. Kraus , Das Recht der Minderheiten. Materialien zur Einführung in das Verständnis des modernen Minoritätenproblems, Berlin 1927, S. 40 ff.
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len Staaten Mitteleuropas wurden zerschlagen, doch an ihre Stelle traten noch stärker unterdrückende multinationale Kleinstaaten. Diese Friedensverträge trugen dazu bei, dass sich ein anhaltender Hass entwickelt hat, dass der Nationalsozialismus sich immer mehr verbreiten konnte, und dass der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist. Die Friedensverträge nach dem zweiten Weltkrieg gaben zwar Jugoslawien und der Tschechoslowakei ihre territoriale Integrität zurück, doch war offensichtlich, dass diese Staaten ihre Geburt nicht nur bestimmten internationalen Bedingungen, sondern auch den Absichten der Großmächte verdankten. Der Preis, den diese Staaten dafür bezahlt haben, war so groß, dass man dafür eine effizientere Sicherheitspolitik in Europa erwarten würde. Wenn eine Bilanz am Ende des 20. Jahrhunderts betreffend Minderheitenschutz und Sicherheitspolitik aufgestellt werden soll, so kann das Minderheitenschutzsystem der Zwischenkriegszeit nicht unerwähnt bleiben9. Die Erhaltung des anachronistischen Russischen Reiches im 20. Jahrhundert ist ein fünfter Grund. Das einzige Reich, das nach 1918 unversehrt blieb und sogar nach 1945 neue Territorien angliederte, war der Nachfolgestaat Russlands, die Sowjetunion. Die nichtrussischen Republiken der Sowjetunion weisen eine Ähnlichkeit mit den Kolonien der klassischen europäischen Kolonialmächten auf. Nach 1990 kamen unterdrückte nationale Bestrebungen zum Vorschein. Die Sowjetunion wurde zum Schauplatz von Kriegen zwischen Republiken und ethnischen Gruppen, von kolonialen Kriegen. Ein Schauplatz, auf dem Minderheiten stark diskriminiert wurden. Das Fehlen von demokratischen Strukturen ist ein sechster Grund. Vor 1989/90 hatten die mitteleuropäischen Staaten keine kontinuierliche demokratische Tradition, und sogar in der nicht totalitären Zeit funktionierte der demokratische Mechanismus nicht nach dem westeuropäischen Modell 10 . Wirtschaftliche Unterschiede stellen schließlich einen siebenten Grund dar. Nach 1920 verlor Mitteleuropa (ausgenommen die Tschechoslowakei) seine wirtschaftliche Dynamik, die es vor dem Ersten Weltkrieg hatte. Die Folge dessen war, dass die schon vorhandenen Unterschiede zwischen West- und Mitteleuropa nur noch größer wurden. Nach den schweren Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges hatte die sozialistische Modernisierung die erhofften Ergebnisse nicht erbracht. Die ganze mitteleuropäische Region (einschließlich die Tschechoslowakei) konnte mit der technologischen Revolution nicht Schritt halten und verpasste so mehr und mehr den Anschluss an die Weltwirtschaft.
9 Vgl. die Schlussfolgerungen des Gutachtens des VN-Generalsekretärs vom 4. Juli 1950 über die Fortgeltung der nach dem Ersten Weltkrieg eingegangenen Minderheitenschutzverpflichtungen. Näher hierzu im nächsten Abschnitt des vorliegenden Beitrags. 10 Vgl. Samuel P. Huntington, The Clash of Civilizations, in: Foreign Affairs, 1993/3, Vol. 72, S. 2 2 - 4 9 .
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I I I . Minderheitenschutz im Völkerbund - ein Experiment aus heutiger Sicht11 Anlässlich der Friedensverhandlungen 1919 und 1920 wurde der erste systematische Versuch unternommen, ein Minderheitenschutzsystem auf internationaler Ebene einzurichten. Die Garantie dieses Minderheitenschutzsystems übertrug man der ersten umfassenden, universellen internationalen Organisation, die zu diesem Zeitpunkt errichtet wurde: dem Völkerbund. Selbstverständlich hatte es schon im 19. Jahrhundert einige Vorläufer eines internationalen Minderheitenschutzes gegeben: Wichtigster Präzedenzfall war der Berliner Kongress von 1878. Hier wurde - im Zuge der Auflösung des Osmanischen Reiches - die Anerkennung der Unabhängigkeit der Nachfolgestaaten von der Einräumung religiöser Gleichberechtigung für alle Teile ihrer Bevölkerung abhängig gemacht. Damals wurde jedoch keinerlei Kontrollinstanz geschaffen. So blieben diese Bestimmungen größtenteils unerfüllte Prinzipienerklärungen, während es in den betroffenen Staaten zu erkennbaren Verfolgungen religiöser und anderer Minderheiten kam 12 . Am Ende des Ersten Weltkriegs war in Osteuropa eine völlig neue Situation entstanden: Es war daher einleuchtend, dass die Großmächte sich bei den vielen - auf einer Welle des Nationalismus geborenen - Staaten eines gewissen Mindestmaßes an Ordnung versichern wollten, worunter man zu dieser Zeit auch gewisse den Minderheiten eingeräumte Rechte verstand. Die neuen und vergrößerten Staaten Osteuropas sollten daher als Gegenleistung für die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit Minderheitenschutzverträge unterzeichnen. Insofern blieb man ganz im Rahmen der Tradition des 19. Jahrhunderts. Das Neue der Regelung von 1919/20 lag in der Tatsache, dass dem Völkerbund die Garantie für diese Bestimmungen - anstelle der Gemeinschaft der europäischen Großmächte - übertragen wurde. Es würde zu weit führen, wollte man hier auf die Details der Ausarbeitung des Garantieartikels auf der Pariser Friedenskonferenz eingehen13. Einige wich-
11
Vgl. Elisabeth Sândor Szalay, Kisebbségvédelem aNemzetek Szôvetségének égisze alatt - egy nemzetközi jogi kisérlet és tanulsâgai (Minderheitenschutz unter der Ägide des Völkerbundes - Ein völkerrechtliches Experiment und seine Lehren), PhDDissertation, Pécs 1998 (erweiterte Fassung in Buchform bei MTA Kisebbségkutató Intézet - Gondolât Kiadói Kör, Budapest 2003 unter dem Titel: A kisebbségvédelem nemzetközi jogi intézmémjrendszere a 20. szâzadban). 12
Präzise Darstellung der Entwicklung des Minderheitenschutzes bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem bei Ernö Flachbarth, System des internationalen Minderheitenrechtes, Budapest 1937; Erich H. Pircher, Der vertragliche Schutz ethnischer, sprachlicher und religiöser Minderheiten im Völkerrecht, Bern 1979. 13 Siehe aber Erwin Viefliaus, Die Minderheitenfrage und die Entstehung der Minderheitenschutzverträge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919, Würzburg 1960.
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tige Ansatzpunkte können aber auch hier nicht außer Acht gelassen werden. Diese betreffen den Umfang des Systems und die Reaktion der betroffenen Staaten. Auf der Pariser Friedenskonferenz wurden Minderheitenschutzverträge zwischen Polen, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien und Griechenland einerseits sowie den alliierten und assoziierten Großmächten andererseits ausgearbeitet. Ähnliche Bestimmungen wurden in die Friedensverträge mit Österreich, Ungarn, Bulgarien und der Türkei eingefügt. Das Minderheitenschutzsystem musste von den Großmächten oktroyiert werden. In den oben genannten Rechtsquellen kam dies deutlich zum Ausdruck: Die betroffenen Staaten mussten den „von den Großmächten als notwendig erachteten Bestimmungen" zustimmen. Die Delegierten der neuen Staaten versuchten z.B. in der Vollversammlung der Friedenskonferenz am 31. Mai 1919 gegen diese Formulierung Einspruch zu erheben, hatten aber keinerlei Erfolg. Im Gegenteil: Die Meinung der Großmächte (Headlam-Morley) war sogar, dass es völlig indiskutabel sei, den Großmächten die Möglichkeit zu nehmen, nötigenfalls auch gewisse Bestimmungen aufzuzwingen. Die offizielle Doktrin wurde dann in der Mantelnote zum Polenvertrag formuliert: Es entspreche der europäischen Völkerrechtspraxis von neuen Staaten anlässlich ihrer Anerkennung gewisse Garantien zu fordern. Die Großmächte würden daher verantwortungslos handeln, wollten sie von dieser Tradition abweichen14. Die betroffenen Staaten wandten sich aber nicht nur gegen die Art der Ausarbeitung der Verträge, sie hatten auch prinzipielle Bedenken: So erklärten ζ. B. Rumänien und Polen, dass sie einer Einschränkung ihrer souveränen Rechte nicht zustimmen könnten. Bedenken äußerten die betroffenen Staaten auch wegen der nicht vorhandenen Reziprozität. Rumäniens Ministerpräsident Bratianu erklärte, er könne nicht verstehen, warum Länder wie Rumänien und Jugoslawien anders behandelt werden sollten als ζ. B. Italien, das sich in der gleichen Situation befinde. Die jugoslawische Delegation (Trumbic, Pasic) schlug wiederholt vor, den Minderheitenschutz auf alle ehemaligen Gebiete ÖsterreichUngarns auszudehnen. Damit war natürlich wiederum Italien gemeint, das bekanntlich keinerlei Minderheitenschutzverpflichtungen eingehen musste. In den Friedensvertrag mit Deutschland sind ebenfalls keine Minderheitenschutzbestimmungen aufgenommen worden - insoweit war Polen der Staat, der das Fehlen der Reziprozität bemängelte15. Auch die Hauptfürsprecher des Minderheitenschutzgedankens, die jüdische Organisationen, forderten niemals ein für alle Staaten verbindliches Minderhei14
Originaltext abgedruckt bei Kraus (Fn. 8), S. 43 ff. Siehe zu diesen Verhandlungen detailliert Christoph Gütermann, Das Minderheitenschutzverfahren des Völkerbundes, Berlin 1979, S. 134 ff. 15
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tenschutzsystem: Die Beschränkung auf die Staaten Osteuropas war damals wohl auch die einzig realistische Position. In diesem Sinne drängten sie aber darauf, dass auch sämtliche Staaten, die aus der Auflösung des zaristischen Reiches hervorgegangen waren, vom Minderheitenschutzsystem erfasst werden müssten. Es hieß (.Luden Wolf), dass die Aufnahme eines neuen Staates in den Völkerbund der Anerkennung durch die Großmächte im 19. Jahrhundert gleichzusetzen sei. Daher sollte die Aufnahme in den Völkerbund von den gleichen Prinzipien geleitet werden, wie seinerzeit die Anerkennung durch die Großmächte16. So entstand die Empfehlung der ersten Generalversammlung des Völkerbundes vom 15.12.1920, durch die Albanien, die baltischen und die kaukasischen Staaten ersucht wurden, bei ihrer Aufnahme in den Völkerbund geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Anwendung der allgemeinen, in den Minderheitenschutzverträgen verankerten Prinzipien in ihrem Hoheitsgebiet zu sichern. Über die Details der Anwendung dieser Prinzipien sollten sich die genannten Staaten mit dem Völkerbundsrat ins Einvernehmen setzen. Das Sekretariat des Völkerbundes trat in der Folge mit Finnland, Albanien, Litauen, Lettland und Estland in Verhandlungen, die zeitweise sehr mühsam waren, da manche der betroffenen Staaten mit allen Mitteln versuchten, die Empfehlung der Generalversammlung zu umgehen17. Albanien hingegen unterzeichnete bereitwillig eine Deklaration, die nach dem Vorbild des Polenvertrages aufgebaut war. Albanien war auch in einer sehr prekären Lage: Seine Grenzen waren noch umstritten und sowohl Jugoslawien als auch Griechenland intervenierten mehr oder weniger offen in seine innere Angelegenheiten. Insofern war Albanien auch ein Musterbeispiel für die Schutzfunktion des Völkerbundes und seines Systems der internationalen Garantie: Albanien war zunächst in den Völkerbund mit der Begründung aufgenommen worden, dass es in dessen Rahmen vor den Interventionen seiner Nachbarn besser geschützt sei. Als Albanien dann auch die Minderheitenschutzdeklaration abgegeben hatte, war Griechenland jeder Prätext zur Intervention genommen worden. Auch Litauen unterzeichnete sehr rasch eine Minderheitenschutzdeklaration. In seinem Fall waren es die Polen, die ihre interventionistischen Absichten mit der Besetzung des Wilna-Bezirkes bereits unter Beweis gestellt hatten. Lettland
16 Es lässt sich leicht eine Analogie ziehen zu der Erklärung der Außenminister der Europäischen Gemeinschaften vom Dezember 1991, die im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit abgegeben wurde und die Richtlinien für die Anerkennung neuer Staaten in Osteuropa und in der ehemaligen Sowjetunion festgelegt hat. Konkretisiert wurden diese Richtlinien im gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf die Anerkennungjugoslawischer Republiken vom 16. Dezember 1991. 17
Gütermann (Fn. 15), S. 30 ff.
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und Estland hingegen verschleppten die Verhandlungen fast zwei Jahre lang: Lettland betrachtete zuerst die internationale Garantie als eine Einmischung des Völkerbundes in seine inneren Angelegenheiten. Estland erklärte, dass es auf seinem Territorium fast keine Minderheiten gäbe. Schließlich gaben die Delegierten der beiden Staaten im Sommer 1923 vor dem Völkerbundsrat Erklärungen ab, durch die sie das in der Zwischenzeit vom Völkerbundsrat eingerichtete Petitionsverfahren für die Minderheiten ihrer Länder akzeptierten. Eine völlig anders geartete Situation ergab sich, als der Irak als erstes Mandatsgebiet selbständig wurde: Die irakische Regierung musste eine Minderheitenschutzdeklaration als Vorbedingung für die Aufnahme in den Völkerbund unterzeichnen. Da die Aufnahme in den Völkerbund aber als äußeres Zeichen für die Erlangung der Unabhängigkeit galt, war es nicht verwunderlich, dass die irakische Regierung die Deklaration bereitwillig unterschrieb. Das Minderheitenschutzsystem des Völkerbundes umfasste also alle Staaten zwischen dem Baltikum und der Türkei, ab 1932 auch noch den Irak. Die Erfahrungen des Sekretariats des Völkerbundes mit den beiden letztgenannten Staaten sollten jedoch so schlecht sein, dass der Untergeneralsekretär Walters vor einer weiteren Ausdehnung des Systems im Nahen Osten dringend abriet: Man war zu der Erkenntnis gelangt, dass das Minderheitenschutzsystem ein europäisches System war, es hatte europäische Vorläufer und war auf europäische Verhältnisse zugeschnitten. In seiner Rede vor der Vollversammlung der Friedenskonferenz, mit der Präsident Wilson die Absichten der alliierten und assoziierten Hauptmächte gegen die von den betroffenen Staaten geäußerte Kritik verteidigte, sprach er hauptsächlich vom Frieden: Die Großmächte wollten eine dauerhafte Friedensregelung und da sie diesen Frieden ja auch garantierten, müssten sie potentielle Gefahren für den Frieden ausschalten. Da die Lage der Minderheiten aber eine potentielle Gefahr für den Weltfrieden sei, könne es sich bei der internationalen Garantie auch nicht um Intervention, sondern nur um eine Aktion von Mächten handeln, die helfen wollten, den Frieden zu bewahren 18. Hier kam die friedenssichernde Komponente des Minderheitenschutzystems der Zwischenkriegszeit deutlich zum Ausdruck: Da die Unterdrückung von Minderheiten zu Konfrontationen zwischen zwei oder mehreren Staaten führen konnte, musste man den Minderheiten eine angemessene Behandlung sichern, um Sicherheit und Ordnung im Staatensystem aufrechtzuerhalten. - Insofern muss das Minderheitenschutzsystem des Völkerbundes also als essentieller Baustein des Systems der kollektiven Sicherheit begriffen werden: Es ging um den Schutz der davon betroffenen Staaten vor politisch motivierter Einmischung 18
Wilsons Rede am 31.05.1919 - gerade die USA lösten diese Garantie aber nie ein, da sie nie Mitglied des Völkerbundes wurden.
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durch Nachbarstaaten, das heißt durch Staaten, deren Mehrheitsbevölkerung der gleichen Nationalität angehörte wie die Minderheitsbevölkerung des vom System betroffenen Staates. Allein den Ratsmitgliedern wurde aber die Möglichkeit gegeben, Schritte zu unternehmen, die einer tatsächlichen oder drohenden Vertragsverletzung oder der Gefahr dazu entgegenwirken konnten. Das System erhielt dadurch von Anfang an einen stark politischen Charakter, was oft mit den Zuständen in Osteuropa gerechtfertigt wurde. Tatsächlich konnte manchmal ein schnelles Einschreiten des Völkerbundes zu einer Überlebensfrage für eine Minderheit werden. Vor diesem Hintergrund sind auch die Bemühungen zu sehen, die zur Errichtung des Petitionsverfahrens führen sollten. Es war nämlich ein weiteres und nicht unbedeutendes Charakteristikum des Garantieartikels, dass er keinerlei Verfahrensbestimmungen für den Völkerbund enthielt: Dem Völkerbund wurden bloß gewisse Rechte eingeräumt - wie diese ausgeübt werden sollten, wurde nicht gesagt. Wie aber konnte der Völkerbund die Garantie der Minderheitenschutzbestimmungen realisieren? Dazu waren im zweiten und dritten Absatz des Garantieartikels (Art. 12 polnischer Minderheitenschutzvertrag) drei Rechte formuliert worden: Recht der Ratsmitglieder, den Völkerbundsrat auf Vertragsverletzungen oder auf die Gefahr dazu aufmerksam zu machen. Das Recht des Rates, in einer Weise vorzugehen und solche Weisungen zu geben, die ihm unter den jeweils gegebenen Umständen geeignet und wirksam erschienen. Das Recht jedes Ratsmitglieds, jede Meinungsverschiedenheit über Rechtsoder Tatfragen, die die Minderheitenschutzbestimmungen betrafen, dem Ständigen Internationalen Gerichtshof als internationalen Streitfall gemäß Artikel 14 der Völkerbundssatzung vorzulegen. Was wollte man mehr? Die Formulierung dieser drei Rechte ließ jede denkbare Handlungsweise offen, wobei ein Vorgehen nach dem zweiten Absatz des Garantieartikels eine politische Aktion, ein Vorgehen nach dem dritten Absatz aber einen richterlichen Schiedsspruch zur Folge hatte. - Doch sollte man sich von der Formulierung dieser drei Rechte nicht allzu sehr beeindrucken lassen: Ihr Inkrafttreten war nämlich von der isolierten Aktion eines Ratsmitglieds abhängig, das auf eine Vertragsverletzung oder die Gefahr dazu aufmerksam machen musste. Aus dem Aufstieg und Fall des Minderheitenschutzsystems geht eindeutig hervor, dass der Völkerbund nur insofern Erfolg haben konnte, als sich die nationalen Diplomatien der Entwicklung zum Internationalismus unterwarfen. Da aber die Politik der damaligen beiden europäischen Großmächte Frankreich und Großbritannien keinerlei diesbezügliche Tendenzen zeigte, war es
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auch nicht weiter verwunderlich, dass die kleinen und neuen Staaten Osteuropas ebenfalls ihren Nationalismus hervorkehrten. Deshalb musste der Minderheitenschutz auch mit der nationalen Souveränität - dem Grundprinzip des Völkerbundes - vereint werden, was aber logischerweise nur bedingt möglich war. Denn der Völkerbund hatte das Recht, die Zustände im Inneren eines Minderheitenstaates zu überwachen: Wenn beispielsweise ein unbedeutender Beamter irgendwo in der tiefsten Provinz einen Angehörigen einer Minderheit diskriminierte, dann konnte es geschehen, dass die Regierung dieses Landes deswegen vor ein Dreierkomitee des Völkerbundsrates zitiert wurde. Doch abgesehen von dem damit verbundenen „Prestigeverlust" war diese „Souveränitätseinschränkung" ein großer Vorteil für die davon betroffenen Staaten. Denn durch die internationale Kontrolle ihrer Minderheitenschutzverpflichtungen waren sie davor geschützt, dass die Lage der auf ihrem Territorium lebenden Minderheiten zu direkten Interventionen von Nachbarstaaten führte. Der Erfolg des Systems der internationalen Garantie war daher vom Einfluss und dem Gewicht des Völkerbundes und seiner Organe abhängig, und als die Bedeutung des Völkerbundes zu schwinden begann, ging auch das Minderheitenschutzsystem zugrunde. Es gab gewisse, dem System zugrunde liegende Prinzipien, die nie exakt definiert wurden. Allerdings kamen sie an der Behandlung gewisser Vorschläge oder Vorwürfe klar zum Ausdruck: Die Vorschläge zielten einerseits auf eine Generalisierung, andererseits auf die Verrechtlichung des Systems. Der Vorwurf betraf hingegen die Assimilationstheorie. Die Generalisierung des Minderheitenschutzsystems wurde zwischen 1922 und 1934 ca. siebenmal von verschiedenen Regierungen gefordert. Zu diesem Zweck wurde meistens von der Generalversammlung die Einsetzung einer Spezialkommission gefordert, die eine allgemeine Konvention der Minderheitenrechte ausarbeiten sollte, die dann wiederum der nächsten Generalversammlung zur Beschlussfassung vorgelegt werden sollte. Alle diese Vorschläge wurden jedoch von der sechsten Kommission des Völkerbundes abgelehnt. Die Motivation dieser Aktionen war nämlich durchwegs rein politisch: Die Minderheitenstaaten betrachteten ihre eingeschränkte Souveränität allgemein als Belastung und wenn einer dieser Staaten dann gerade meinte, den Großmächten die Einseitigkeit dieser Belastung ins Gedächtnis rufen zu müssen, dann schlug er die Generalisierung des Minderheitenschutzsystems vor. Diese Vorschläge wurden dann von den Großmächten jeweils aus ebenso politischen Gründen abgelehnt. Für sie kam eine internationale Kontrolle interner Zustände nicht in Frage. Aus der Diskussion um die Generalisierung, in der eigentlich jedes Argument angreifbar war, kristallisierte sich aber das erste Grundprinzip des Minderheitenschutzsystems ganz klar heraus: Es war ein regionales System. Die Verrechtlichung des Systems war das Steckenpferd der ungarischen Regierung: Man forderte (Graf Apponyi) einen leichteren, fast automatischen Zugang zum Ständigen Internationalen Gerichtshof. Sogar im britischen Foreign 1 Blumenwitz
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Office wurde zeitweise ein leichterer Zugang zum Ständigen Internationalen Gerichtshof befürwortet, ein derartiger Vorschlag aber offiziell nie gemacht. Der Völkerbund reagierte auf solche Forderungen jedoch immer nur mit einem Verweis auf eine der Resolutionen der Generalversammlung von 1922, in der empfohlen worden war, sich in allen Rechtsfragen so rasch wie möglich an den Internationalen Gerichtshof zu wenden. Tatsächlich kamen aber nur ganz wenige Fragen vor diesen Gerichtshof. Da der Völkerbund nämlich praktisch keine Mittel zur Durchsetzung seiner Beschlüsse besaß, hing der Erfolg des Verfahrens davon ab, ob man mit den betroffenen Staaten zu vertretbaren Kompromissen gelangen konnte. Das Urteil eines Gerichtshofes kann aber nie den Charakter eines Kompromisses haben. Darüber hinaus erhob sich auch noch die Frage der Vollstreckung dieses Urteils, falls der betroffene Staat sich weigern sollte es anzuerkennen. - Man konzentrierte sich daher auf das Komiteeverfahren, was zum zweiten Grundprinzip des Systems führte: Es war ein politisches System. Im Anschluss an Äußerungen einiger Politiker (Mello-Franco und Chamberlain) von Ende 1925 wurde in der Öffentlichkeit immer wieder der Vorwurf erhoben, der Völkerbund strebe die Assimilation der Minderheiten an 19 . In der Generalversammlung stellte man fest, dass die verwendete Formulierung „nationale Einheit" kein Verschwinden des kulturellen Charakters einer Minderheit bedeuten darf, und man hat sich auch für die Zweideutigkeit des Wortes „aufgehen bzw. verschmelzen" entschuldigt, wobei allerdings auch die Hoffnung ausgesprochen wurde, dass es für die Minderheiten nicht bis in alle Ewigkeit nötig sein wird, sich an den Völkerbund zu wenden. - Die Frage der Beziehung zwischen den Minderheiten und ihren Regierungen war natürlich in erster Linie ein innenpolitisches Problem und der Rekurs auf den Völkerbund war daher grundsätzlich nur als Sicherheitsventil gedacht. Daraus ergab sich aber die Annahme, dass dieses Sicherheitsventil eines Tages nicht mehr nötig sein werde, und damit das dritte Grundprinzip: Das System sollte bloß temporär sein. Die drei Grundprinzipien rücken das ganze System aber wieder ins Licht der kollektiven Sicherheit: Letzten Endes war es der Zweck des internationalen Minderheitenschutzsystems, direkte Konfrontationen zwischen zwei Staaten
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Vgl. etwa Mello-Franco in der Völkerbundsratssitzung am 9.12.1925, zit. nach Journal Officiel V I I (1926), S. 142: „... die Initiatoren des Minderheitenschutzsystems haben in den betroffenen Staaten wohl kaum Bevölkerungsgruppen schaffen wollen, die sich dem Gesamtorganismus ständig fremd fühlen. Sie wollten im Gegenteil diesen Gruppen einen Rechtsstatus geben, der ihnen die Respektierung des Individuums in allen Belangen sichert und nach und nach die Bedingungen zur Herstellung einer vollständigen nationalen Einheit schafft. Die Minderheiten dürfen nämlich weder zu einem Staat im Staate, noch zu einer privilegierten Kaste oder zu einem Fremdkörper werden. Wenn man nämlich die Konzeption der Minderheitenautonomie bis zur letzten Konsequenz triebe, würden die Minderheiten zu einem Element der Spaltung von Staat und Nation werden, anstatt in der Gesellschaft, in der sie existieren, aufzugehen
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wegen Minderheitenfragen zu vermeiden. Als aber einige Staaten begannen, gegen das Prinzip der kollektiven Sicherheit zu agieren, und die europäischen Großmächte nicht energisch dagegen auftraten, da war es um das Minderheitenschutzsystem geschehen. Natürlich hat das Minderheitenschutzsystem politisch „versagt": Einige Staaten (wie Polen) kündigten ihre Verpflichtungen, die Internationalisierung gelang nicht vollständig und es hat - zumindest im Rahmen des Völkerbundes - auf die Dauer nicht zur Verbreitung der Idee der Berechtigung des Schutzes gewisser Rechte der Einzelpersonen beigetragen. Aber war dies wirklich ein Fehler des Systems? Die Beschränkung auf gewisse Staaten, die besondere Rolle Deutschlands im Völkerbundsrat, das Souveränitätsdenken der betroffenen Regierungen, die Intransigenz der Minderheiten und die allgemeine Verschlechterung des politischen Klimas in Europa - das alles kann nicht dem System als solchem zur Last gelegt werden. Außerdem wurden durch die Verträge und die Praxis ihrer Anwendung Normen für die Behandlung von Minderheiten gesetzt. Nicht zuletzt wurden durch die Internationalisierung bilaterale Spannungen vermieden und die Rechte der nationalen Minderheiten wurden zu einem Anliegen der internationalen Gemeinschaft. Weiter ist zu fragen nach der Fortgeltung der nach dem Ersten Weltkrieg eingegangenen Minderheitenschutzverpflichtungen. Mit Resolution vom 1. März 1948 20 hatte der Wirtschafts- und Sozialrat den Generalsekretär der Vereinten Nationen um ein Gutachten über die Frage ersucht, ob und inwieweit die nach dem Ersten Weltkrieg eingegangenen Minderheitenschutzverpflichtungen noch in Kraft befindlich seien. Das Gutachten des Generalsekretärs vom 4. Juli 1950 21 , das bis heute noch wenig beachtet worden ist, ist nicht nur für die von ihm behandelte konkrete Frage des Minderheitenrechts bedeutsam - es hält bis auf wenige Ausnahmen fast alle Minderheitenschutzverpflichtungen für erloschen oder zumindest für suspendiert - , sondern setzt sich darüber hinaus mit grundsätzlichen Fragen des Völkervertragsrechts auseinander, die von allgemeinem Interesse sind. Das Gutachten untersucht nämlich, inwieweit gewisse Ereignisse seit Beginn des Zweiten Weltkriegs geeignet gewesen sind, nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen das Erlöschen bzw. die Suspension der Minderheitenschutzverpflichtungen herbeizuführen. Das Gutachten untersucht anschließend noch, inwieweit diese Ereignisse, soweit sie nicht schon nach allgemeinen völkervertragsrechtlichen Grundsätzen das Erlöschen der Minderheitenschutzverpflichtungen herbeigeführt hätten, die betreffenden Staaten zu einer Berufung auf die
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UN-Doc. Res. 116 C (IV) UN-Doc. E/CN.4/367: Study of the legal Validity of the Undertakings concerning Minorities (7.4.1950). 21
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clausula rebus sic stantibus berechtigen könnten 22 . Die Ergebnisse des Gutachtens sind: Die Verpflichtungen von Albanien, Litauen, Lettland, Estland und Irak seien - unbeschadet anderer Erlöschensgründe fur die einzelnen genannten Staaten - als suspendiert anzusehen, falls und solange die Vereinten Nationen nicht in dieser Hinsicht ausdrücklich die Rechtsnachfolge des Völkerbundes angetreten hätten. Die Verpflichtungen derjenigen Staaten, welche nach dem Zweiten Weltkrieg Friedensverträge geschlossen und in diese weder Minderheitenschutzklauseln noch eine Erklärung über das Fortbestehen der früheren Verpflichtungen aufgenommen haben, seien erloschen; die Vertragsschließenden der Friedensverträge seien davon ausgegangen, dass Minderheitenschutzverpflichtungen nicht mehr bestünden. Hierbei handle es sich um Bulgarien, Ungarn und Rumänien. Ferner seien die Verpflichtungen derjenigen Staaten (Lettland, Estland, Litauen) sind erloschen, welche in die UdSSR inkorporiert wurden, da eine Rechtsnachfolge in die Gesamtheit der Verpflichtungen nach sowjetischer Auffassung nicht stattgefunden habe, und die Anwendbarkeit der clausula rebus sie stantibus bei einer derartigen Änderung der Umstände berechtigt erscheine. Das gleiche gelte im Verhältnis von Danzig zu Polen. Dort, wo auf Grund des Potsdamer Abkommens Bevölkerungsausweisungen vorgenommen worden seien (Ungarn, Polen, Tschechoslowakei), fehle es nunmehr am Schutzobjekt, und die Verpflichtungen seien aus diesem Grund gegenstandslos geworden. Die Frage der Rechtmäßigkeit dieses Teils des Potsdamer Abkommens wird ausdrücklich offen gelassen. Als in Kraft befindlich werden die Verpflichtungen der Türkei, Finnlands gegenüber Schweden und Griechenlands, soweit sie die Türkei betreffen, angesehen. Für den weitaus größten Teil der untersuchten Verpflichtungen wird die Anwendbarkeit der clausula rebus sie stantibus bejaht. Als rechtspolitischen Gesichtspunkt bringt das Gutachten zum Ausdruck, dass das mit so großen Erwartungen in Kraft gesetzte Schutzsystem nach dem Ersten Weltkrieg sich bezüglich der nationalen Minderheiten nicht bewährt ha-
22 Es gibt nur einige wenige Stellungnahmen zu dem Gutachten, ζ. B. Karl Doehring, Das Gutachten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen über die Fortgeltung der nach dem ersten Weltkrieg eingegangenen Minderheitenschutzverpflichtungen, in: ZaÖRV 1953/54, S. 521 - 540.; Nathan Feinberg; The legal validity of the undertakings concerning minorities and the clausula rebus sic stantibus, in: Studies in International Law, Jerusalem 1979, S. 17 - 54.
Minderheit - ein permanentes Konfliktpotential?
181
be. Das Ziel der Befriedigung und Stärkung des guten Einvernehmens unter den Beteiligten sei nicht erreicht worden. Die Erwartung, dass sich in Anbetracht der gegebenen Garantien sowohl die Minderheiten mit ihrem Schicksal - der Trennung vom Staat ihrer Volkszugehörigkeit - als auch der „amputierte" Staat mit dem Verlust eines Teils „seiner" Bevölkerung abfinden könnten, habe sich nicht erfüllt.. Vielmehr seien gerade die Unruheherde konserviert worden. Das genannte Ziel werde besser und dauerhafter durch Assimilation verwirklicht. Hierzu muss bemerkt werden, dass die Frage, inwieweit eine solche Assimilation, unter Umständen begünstigt durch den allgemeinen Schutz der Menschenrechte, human durchführbar sein könnte, im Gutachten nicht untersucht worden ist. Dass der Schutz durch die Minderheitenabkommen und der durch die Menschenrechte (ob verbindlich oder nur deklariert) nicht kongruent ist, wird im Gutachten nicht verkannt und kommt auch bereits in dem Memorandum des VN-Generalsekretärs vom 1.Dezember 1949 bezüglich des Unterschiedes zwischen den Zielen der Nichtdiskriminierung und dem Minderheitenschutz zum Ausdruck. Dem ist insofern zuzustimmen, als völlige Gleichbehandlung der Individuen eines Staates gerade für die Angehörigen der Minderheiten zur Ungleichbehandlung werden kann, da diese, und nur sie, verhindert sein können, ihre wahren Eigenarten zu entwickeln, was andererseits der Majorität unbenommen bleibt. Es handelt sich dabei um den wohl bekannten Unterschied zwischen formaler und materieller Gleichheit. Es mag pragmatisch gesehen keinen wirklichen Wert haben, am Beginn des 21. Jahrhunderts über Systeme zu sprechen, die scheinbar längst an Aktualität verloren haben - aber haben sie das wirklich? Wollen wir vielleicht verkennen, dass die alten Symptome auch die neuen Versuche, den Minderheitenschutz völkerrechtlich aufzubauen und zu bekräftigen, heimsuchen? Wollen wir bestreiten, dass heute dieselben Staaten betroffen sind, die es auch in der Zwischenkriegszeit waren? Wollen wir außer Acht lassen, dass das Vorhaben „Minderheitenschutz" heute genauso sehr politisch bedingt ist wie vor 80 Jahren? Sicher nicht! Wir sollten den in den vorangehenden Punkten geschilderten rechtshistorischen Versuch nicht aus unserem Blickfeld lassen, da heute, im beginnenden 21. Jahrhundert - zwar auf einem höherem rechtstechnischen Niveau und in einem deutlich minderheitenfreundlicheren Umfeld - die gleichen oder ähnliche Fehler begangen werden können wie damals.
IV. Umgangsprinzipien in Bezug auf Konflikte im Zusammenhang mit nationalen Minderheiten Der bis vor kurzem ungenügende Umgang mit der Problematik der nationalen Minderheiten in Mitteleuropa hat bisher zu keiner allgemeinen Gefährdung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Sicherheit Gesamteuropas 13*
182
Elisabeth Sândor Szalay
geführt. Der südslawische Konflikt war bis vor kurzem individuell und isoliert, wobei ein Konflikt dieser Art in mitteleuropäischen Staaten nicht ganz ausgeschlossen ist, wie dies die Ereignisse in Kosovo - leider - bewiesen haben. Um am Beginn des 21. Jahrhunderts mit den „Konflikten in Zusammenhang mit nationalen Minderheiten" umgehen zu können, bedarf es einer anderen Betrachtungsweise als sie bisher allgemein üblich war. Auf Grund gesammelter Erfahrungen wird in immer breiterem Umfang versucht, einige Prinzipien aufzustellen, die Teile der neuen Betrachtungsweise sein könnten 23 . a)
Man sollte sich von endgültigen und perfekten Lösungen verabschieden. Flexible und auf Dauer angelegte Lösungsansätze würden viel mehr Früchte tragen.
b)
Jede nationale Minderheitensituation in Mitteleuropa ist einmalig. Deshalb muss jede ihren speziellen Eigenheiten entsprechend individuell betrachtet werden.
c)
Die Vergangenheit - ob wir wollen oder nicht - lebt mit uns. Wir dürfen nicht so tun, als ob wir in der Lage wären, ganz von vorne anzufangen. Wir müssen die Traditionen, die Erinnerungen und Erfahrungen berücksichtigen.
d)
Ohne die Akzeptanz und Respektierung der Grundrechte der Menschen ist eine andauernde und ergebnisvolle Lösung in Bezug auf die Frage der nationalen Minderheiten nicht in Sicht. In Mitteleuropa reicht es nicht, über allgemeine Menschenrechte zu sprechen, denn die schlechten Erfahrungen haben gezeigt, dass hier oft spezielle kollektive Rechte gebraucht werden. In einigen Fällen ist es sogar von Vorteil ζ. B. die kulturelle und territoriale Autonomie miteinander zu verbinden.
e)
Diskriminierung und gewaltsame Assimilierung sind diejenige Formen, durch die die Rechte nationaler Minderheiten in (Mittel-)Europa zumeist beschnitten werden. Die gewaltsame Assimilierung wird oft gegenüber Angehörigen von nationalen Minderheiten gebraucht. Die Staatengemeinschaft muss sich der Inhumanität der gewaltsamen Assimilierung bewusst sein. Es darf auch nicht eine Argumentation hingenommen werden, wonach die Assimilation als eine Art notwendige Konsequenz der Industrialisierung, der Urbanisierung und der Globalisierung zu betrachten sei.
23
Der gegenwärtige Ansatz des Minderheitenschutzes ist regional, politisch und temporär. Er weist damit die gleiche Charakteristik auf, die oben als Schwäche bereits des Minderheitenschutzsystems der Zwischenkriegszeit beschrieben wurde. Bei Zugrundelegung des heutigen Begriffsverständnisses von „Regionalität" stellt diese zwar keine Schwäche mehr dar, umso mehr jedoch der politische und temporäre Charakter auch des gegenwärtigen Schutzsystems.
Minderheit - ein permanentes Konfliktpotential?
183
f)
Die Grenzen in Europa sind ein sehr heikles Thema. Sie können in diesem geographischen Raum schwer in Frage gestellt werden. Die bedingungslose Anerkennung der internationalen Grenzen kann aber nicht die einzige Garantie für Sicherheit und Stabilität sein. Es ist wichtig, den nationalen Minderheiten Rechte zuzugestehen, deren Einhaltung gewährleistet wird (ζ. B. die Wahrung ihrer Identität, die Schaffung von eigenen Institutionen etc.).
g)
Im Umgang mit der Frage der nationalen Minderheiten spielt die Mitwirkung der europäischen und atlantischen Gemeinschaften eine lebenswichtige Rolle. Die mitteleuropäischen Erfahrungen in Bezug auf die Rolle der euroatlantischen Staaten ist verschieden: Einerseits war man über die Machtinteressen, über das fehlende Verständnis und die Langsamkeit der Reaktionen verblüfft, andererseits ist man davon überzeugt, dass diese Staaten die wichtigsten Förderer der demokratischen Grundprinzipien sind und deshalb in der Zukunft als enge Partner der mitteleuropäischen Staaten mit diesen sowohl im Konfliktlösungs- als auch im Konfliktvermeidungsprozess aktiv zusammenarbeiten werden.
V. Schlussbemerkungen Der Begriff „Konflikt im Zusammenhang mit nationalen Minderheiten" minority related conflicts - ist nur eine leere Phrase und ist nicht im Stande, die Komplexität der Nationalitätenproblematik in Mitteleuropa widerzuspiegeln. Die „discordia concors" in Europa ist der Punkt, der als eine unveränderliche Gegebenheit betrachtet werden sollte, ja nur so betrachtet werden kann. Bestimmte Entscheidungen in Bezug auf Fragen der nationalen Minderheiten sollten nicht nur auf nationalstaatlicher, sondern auf regionaler oder gesamteuropäischer Ebene getroffen werden. Zwar haben die Konflikte im Zusammenhang mit nationalen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa die gesamteuropäische Sicherheit (noch) nicht gefährdet, doch könnte ein fehlendes Verständnis oder ein falscher Umgang zur Destabilisierung führen. Diese Spannungen und Konflikte können zum Hindernis für die (euroatlantische) Integration in dieser Region werden. Es muss aufgrund der speziellen Entwicklung in Mittel- und Osteuropa akzeptiert werden, dass staatliche und nationale Grenzen nicht übereinstimmen, deshalb auch Staatsangehörigkeit und Nationalität zwei zwar gleichwertige, jedoch völlig verschiedene Kategorien sind. Die Ausweitung der europäischen und nordatlantischen Politik-, Wirtschafisund Sicherheitsstruktur könnte einen positiven Einfluss auf Mittel- und Osteuropa haben. Sie könnte die Einführung von Grundprinzipien schaffen, die zum
184
Elisabeth Sândor Szalay
konstruktiven Umgang mit der Frage der nationalen Minderheiten beitragen können. Eine regionale Desintegration verbunden mit einer funktionalen Integration verspricht den Minderheiten in Europa heute vielmehr als alles andere 24.
*
*
*
Abstract Elisabeth Sändor-Szalay : Minorities - A Permanent Source of Conflict? Considering a Myth from the Central European Perspective, In: Minority Protection and Democracy. Ed. by Dieter Blumenwitz, Gilbert H. Gornig, and Dietrich Murswiek (Berlin 2004) pp. 167-184. The term "minority related conflicts" is but an empty phrase, unable to reflect the complexity of nationality problems in Central Europe. A new perspective is needed. Above all, it must pursue the following objectives: no solution is final and perfect - flexible and lasting approaches are thus called for; every minority situation in Central Europe is unique and must therefore be considered individually; traditions need to be taken into adequate consideration; the basic rights of individuals have to be respected. When addressing the issue of national minorities, a crucial position is held by the participation of European and Atlantic Communities. Central European experiences with regard to the role of Euro Atlantic states vary: on the one hand, one can affirm surprise at the power interests, lack of understanding, and slow reactions. On the other hand, there is a firm conviction that these states are the most important sponsors of basic democratic principles, from which follows that they will remain close partners of the Central European states and cooperate actively in the process of conflict solution and conflict prevention.
24
Vgl. J. Marko (Fn. 6), z. B. S. 17 ff. oder S. 528 ff.
Die Autoren / The Authors Dr.-Ing. Josef Julius Gonschior Persönliche Angaben / Personal Data: Josef Gonschior (geb. 1937 in Ratibor/Oberschlesien): Studium der Chemie an der Technischen Hochschule in Gleiwitz. 1960 Diplomingenieur. Promotion 1982 an der Technischen Hochschule zu Breslau mit einer Dissertation aus dem Bereich „Graphitwerkstoffe". 1960-1991 Leiter fur Forschung und Entwicklung im Kohlenstoffelektrodenwerk in Ratibor. 1990 - 2000 Geschäftsführer in der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Kattowitz (später „Schlesien"). 2000 Pensionierung. Zur Zeit Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Oberschlesischen Eichendorff-, Kultur- und Begegnungszentrums in Lubowitz. Josef Gonschior (born 1937 in Ratibor/Upper Technical University
in Gleiwitz.
Silesia): studied chemistry
1960 graduation as a qualified
genieur). Doctorate 1982 at the Technical University on graphite working materials. Carbon Electrode
Production
2000 retirement.
Upper Silesian "Eichendorff-,
in Wroclaw/Breslau
with a thesis
1960-1991 Head of Research and Development at the Plant in Ratibor.
Cultural Association of the German Minority "Silesia").
at the
engineer (Diplomin-
Currently
1990-2000 Manager of the Social-
in the Voivodeship
member of the Scientific
of Kattowitz Advisory
Kultur- und Begegnungszentrum " in Lubowitz.
Auswahlbibliographie / Selected publications: Herausgabe der Schrift „10 Jahre DFK in der Woiwodschaft Schlesien", 2001; 19892001 Herausgabe des „Informations- und Kulturbulletin".
Kontaktadresse / Contact address: Dr.-Ing. Josef Gonschior ul. Walbrzyska 16a PL-47-400 Racibórz Tel.: 0048 32 415 9352 Email: [email protected]
*
*
*
(later
Council of the
186
Die Autoren / The Authors
Professor Dr. Christian Hillgruber Persönliche Angaben / Personal Data: Christian Hillgruber (geb. 1963): Studium der Rechtswissenschaft in Köln. 1988 Erste Juristische Staatsprüfung. Promotion 1991 an der Universität zu Köln mit der Dissertation „Der Schutz des Menschen vor sich selbst". 1992 Zweite Juristische Staatsprüfung. Wiss. Assistent an der Universität zu Köln sowie wiss. Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht. 1997 Habilitation an der Universität zu Köln mit der Schrift „Die Aufnahme neuer Staaten in die Völkerrechtsgemeinschaft". Zunächst Lehrstuhl Vertretung, dann Professur für Öffentliches Recht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (1997/98), Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Rechtsphilosophie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (1998-2002). Seit 01.10.2002 Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn. Christian Hillgruber
(born 1963) studied law in Cologne. 1988 First State Examina-
tion in Law. Doctor of Laws 1991 at the University
of Cologne with a thesis titled
"Der
Schutz des Menschen vor sich selbst. " 1992 Second State Examination in Law. Graduate assistant at the University
of Cologne and research assistant at the Federal Consti-
tutional Court. 1997 postdoctoral monograph titled
qualification
at the University
of Cologne with a
"Die Aufnahme neuer Staaten in die Völkerrechtsgemeinschaft.
ing professor , then full professor ofpublic law at the Ruprecht-Karls-University delberg (1997/98),
Chair of Public Law, International
the Friedrich-Alexander-University
" Actin Hei-
Law, and Legal Philosophy at
in Erlangen-Nuremberg
lic Law at the Rheinische Friedrich-Wilhelms-University
(1998-2002). Chair of Pubin Bonn since October 1,
2002.
Forschungsschwerpunkte / Research interests : Staatsrecht, Völkerrecht, institutionelles Europarecht, Rechts- und Staatsphilosophie. Constitutional law, international and political philosophy.
law, institutional
law of the European Union, legal
Auswahlbibliographie / Selected Publications : Der Schutz des Menschen vor sich selbst, 1992; Die Europäische Menschenrechtskonvention und der Schutz nationaler Minderheiten (zusammen mit M. Jestaedt), 1993; Die Aufnahme neuer Staaten in die Völkerrechtsgemeinschaft, 1998; Verfassungsprozessrecht (zusammen mit C. Goos), 2003.
Kontaktadresse / Contact Address: Prof. Dr. Christian Hillgruber Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Die Autoren / The Authors Institut fur Öffentliches Recht - Abteilung Öffentliches Recht Adenauerallee 24-42 D-53113 Bonn Tel.: 0228/73 79 25 Fax: 0228/73 48 69 Email: [email protected] Internet: www.jura.uni-bonn.de/institute/oerecht/hillgruber *
*
*
Oberstleutnant i.G. a.D. Jack Hoschouer Persönliche Angaben / Personal Datai Jack Hoschouer (geb. 1944; verheiratet, keine Kinder): 1966 Studium „Politische Wissenschaft" und „Deutsch" am St. Olaf College, Minnesota, Bachelor of Arts. 19661968 Studium „Internationale Politik" an der University of Hawaii. 1968 Diensteintritt als Leutnant der Infanterie. 1970-1971 Dienst in Vietnam als Berater einer vietnamesischen Einheit und Chef einer Luftlandeinfanterie-Kompanie der 1. Kavalleriedivision. 1972-1974 Operations Officer (S-3) eines Psychologischen Verteidigungs-Bataillons und Special Forces Ausbildung in den USA. 1975-1978 Operations Officer, Special Forces in Bad Tölz. 1978 Master of Arts in International Relations an der University of Southern California. 1978-1979 Chef einer Panzergrenadierkompanie der 3. Infanterie Division in Aschaffenburg. 1980-1982 Planungsoffizier für Reserve und National Guard Einheiten in den USA. 1982-1983 Generalstabsausbildung in Fort Leavenworth, Kansas. 1983-1985 Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. 1985-1989 Generalstabsoffizier für Wartime Host Nation Support in Kaiserslautern. 1989-1994 Stellvertretender Heeresattache an der Botschaft der Vereinigten Staaten in Bonn. Oktober 1994 Ruhestand. 1994-1999 Lehrbeauftragter der University of Maryland, European Division in den Fächern Politik und Geschichte in Bonn, Belgien, Bosnien. 1997-2000 Auslandskorrespondent bei Defense News; Doktorand an der Universität Trier (politische Wissenschaft); Lehrbeauftragter der Universität Bonn im Fach Politik (Sommersemester für Austauschstudenten). 2001 Angestellter im Vertrieb bei Diehl Munitionssysteme in Nonnweiler/Maasberg. Jack Hoschouer (born 1944; married,
no children):
studied political science and
German at St. Olaf College in Minnesota, Bachelor of Arts in 1966. 1966-1968 studies in international politics at the University a lieutenant of the infantry.
of Hawaii. 1968 entry into military
ese unit and commander of an airmobile infantry 1974 Operations Officer
(S-3) of a Psychological
company, 1. Cavalry Division.
Bad Tölz. 1978 Master of Arts in International European Division.
1972-
Operations Battalion and Special
Forces Training in the United States. 1975-1978 Operations Officer, California,
service as
1970-1971 service in Vietnam as an advisor to a Vietnam-
Special Forces in
Relations at the University
of Southern
1978-1979 commander of a mechanized infantry
com-
Die Autoren / The Authors
188 pany, 3. Infantry
Division in Aschaffenburg.
1980-1982 Planning Officer
for units of
the reserve and National Guard in the United States. 1982-1983 General Staff training in Fort Leavenworth,
Kansas. 1983-1985 General Staff
training
at the Leadership
Academy of the German Bundeswehr in Hamburg. 1985-1989 General Staff Officer for Wartime Host Nation Support in Kaiserslautern.
1989-1994 Deputy Army Attaché at the
Embassy of the United States in Bonn. October 1994 retirement. position for politics and history at the University
of Maryland,
assignments in Bonn, Belgium, and Bosnia. 1997-2000 foreign
1994-1999 teaching European Division, with
correspondent for De-
fense News; doctoral student in political science at the University sition for politics
at the University
of Trier;
teaching po-
of Bonn (exchange students during the summer
term). 2001 employee in the sales department
of Diehl Munitionssysteme,
Nonn-
weiler/Maasberg.
Kontaktadresse / Contact Address: OTL i.G. a.D. Jack Hoschouer Ringstraße 15 D-66620 Nonnweiler Email: [email protected] *
*
*
Dr. Holger Kremser Persönliche Angaben /Personal Data: Holger Kremser (geb. 1960): Studium der Rechtswissenschaft; 1992 Promotion an der Georg-August-Universität Göttingen; 1991 Vertretungsdozent an der Fachhochschule des Bundes fur Öffentliche Verwaltung in Köln; 1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen; 1993 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut fur Völkerrecht der Georg-August-Universität Göttingen; 2002 Dozent im Professorenamt an der Fachhochschule fur Öffentliche Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg fur die Fächerkombination Allgemeines Verwaltungsrecht und Polizeirecht mit den Gebieten Ausländerrecht, Versammlungsrecht, Presserecht, Waffenrecht, Jugendschutzrecht. Holger Kremser (bom 1960): studied law; 1992 Doctor of Laws at the GeorgAugust-University in Göttingen; 1991 Acting Lecturer at the Federal University of Applied Sciences for Public Administration in Cologne; 1991 Graduate Assistant at the Faculty of Law of the Eberhard-Karls-University in Tübingen; 1993 Graduate Assistant at the Institute of Public International Law of the Georg-August-University Göttingen; 2002 Lecturer in the status of professor at the University of Applied Sciences of the Free and Hanseatic City of Hamburg, covering general administrative law and police law
Die Autoren / The Authors with the areas: immigration law, assembly law, press law, gun control law, and juvenile protection law.
Forschungsschwerpunkte / Research interests : Staatsrecht mit den Bezügen zum Völkerrecht, Staatskirchenrecht, Polizeirecht, Immissionsschutzrecht. Constitutional
law and its links to international
law, the public law governing reli-
gious entities , police law, pollution control law.
Auswahlbibliographie/Selected Publications : Der Rechtsstatus der evangelischen Kirchen in der DDR und die neue Einheit der EKD, 1993; „Soft Law" der UNESCO und Grundgesetz, 1996; Verfassungsrecht III Staatsorganisationsrecht (zusammen mit Anna Leisner), 1999; Assessment of transposition of the EC radiation protection legislation into the drafted Czech legislation (zusammen mit Georg Nolte und Marianne Hattig), 2001.
Kontaktadresse / Contact Address: Dienstlich /office: Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung der Freien und Hansestadt Hamburg Fachbereich Polizei Braamkamp 3 22297 Hamburg/Deutschland Privat / private: Hambergstr. 76 37124 Rosdorf Kr. Göttingen/Deutschland Tel.: 0551/68673 *
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Professor Dr. Dr. h. c. mult. Tore Modeen Persönliche Angaben / Personal Data: Tore Modeen (geb. 1929): Studium der Rechtswissenschaften in Helsingfors. 1952 Examen. 1956 Lizenziat. 1962 Promotion im Verwaltungsrecht an der Universität Helsinki-Helsingfors mit der Dissertation „Der kommunale Vertrauensauftrag gemäß der Allgemeinen Stadtsatzung des Gemeindegesetzes". Assistenzprofessur, später ordentliche Professur an der Abo Akademi (schwedischsprachige Universität in Turku-Abo, Finnland) 1957-1977. Dekan der Fakultät für Politikwissenschaft ebenda 1969-1974.
190
Die Autoren / The Authors
Von 1979-1995 ordentliche Professur für Kommunalrecht und Finanzwissenschaften an der Universität Helsinki-Helsingfors. 1978 Doctor honoris causa / Aix-en-Provence. 1984 Doctor honoris causa / Uppsala. Tore Modeen (born 1929): studied law in Helsinki/Helsingfors. 1956 Licentiate in Law. 1962 Doctorate in administrative sinki with a thesis titled
1952 graduation.
law at the University
"Der kommunale Vertrauensauftrag
Stadtsatzung des Gemeindegesetzes. " 1957-1977 Assistant Professor, sor at the Abo Akademi in Turku/Äbo. ence at the Abo Akademi in Turku/ Public Finance at the University
of Hel-
gemäß der Allgemeinen later full Profes-
1969-1974 Dean of the Faculty of Political Scibo. 1979-1995 Professor
of Helsinki.
of Municipal Law and
1978 Doctor honoris causa, Aix-en-
Provence. 1984 Doctor honoris causa, Uppsala.
Forschungsschwerpunkte / Research interests : Kommunalrecht, Sozial- und Medizinrecht, Menschenrechte (insbesondere Volksgruppenrecht). Municipal law, social welfare
and medical law, human rights law (particularly
law of ethnic minorities).
Auswahlbibliographie / Selected Publications : Der kommunale Vertrauensauflrag gemäß der Allgemeinen Stadtsatzung des Gemeindegesetzes, 1962; The international protection of national minorities in Europe, 1969; La protection du caractère national des îles d'Aland en droit international, 1973; Patienten i hälso - och sjukvâtden, 1994.
Kontaktadresse/ Contact Address: Prof. Dr. Dr. h.c. Tore Modeen Riddaregatan 9 Β FIN-00170 Helsingfors Email: [email protected] *
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Prof. Dr. Dietrich Murswiek Persönliche Angaben / Personal Data: Dietrich Murswiek (geb. 1948): Studium der Rechtswissenschaft; 1978 Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; 1984 Habilitation an der Universität Saarbrücken; 1986 Professur für Öffentliches Recht an der Georg-August-Universität Göttingen; seit 1990 Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht, Deutsches und Internati-
the
Die Autoren / The Authors onales Umweltrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; 1995-1997 Dekan an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät; Geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht. Dietrich Murswiek (born 1948): JD Law, Heidelberg of Saarbruecken, 1990 Professor Environmental
1948; Professor of Constitutional
Law, Universitiy
lic Law at the University
1978; Habilitation
of Public Law, University Law, Administrative
University
of Goettingen, 1986; since
Law, German and International
of Freiburg; Managing Director of the Institute of Pub-
of Freiburg ; 1995-1997 Dean of the Law Faculty.
Forschungsschwerpunkte / Research interests : Verfassungsrecht und -theorie; Umweltrecht; Völkerrecht. Constitutional law and theory ; environmental law; public international
law.
Auswahlbibliographie /Selected Publications : Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1978; Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985; Umweltschutz als Staatszweck, 1995; Peaceful Change. Ein Völkerrechtsprinzip?, 1998; Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes und die Grenzen der Verfassungsänderung. Zur Frage nach der Verfassungswidrigkeit der wiedervereinigungsbedingten Grundgesetzänderungen, 1999.
Kontaktadresse / Contact Address: Prof. Dr. Dietrich Murswiek Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Öffentliches Recht D-79085 Freiburg / Deutschland Tel.: 0761/203-2237, -2241 Fax: 0761/203-2240 Email: [email protected] Internet: www.jura.uni-freiburg.de *
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Univ.-Prof. Dr. Christoph Pan Persönliche Angaben / Personal Data: Christoph Pan (geb. 1938): Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften; 1964 Promotion an der Universität Fribourg (CH); 1971 Habilitation an der Universität Innsbruck; (A); 1974-1979 Gastdozent an der Universität Salzburg; 1982 ao. Professor am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Innsbruck.
192
Die Autoren / The Authors
Seit 1961 Leiter des Südtiroler Volksgruppen-Instituts in Bozen. Mitarbeit bei internationalen NGOs. Studien- und Vortragsreisen in Asien, Afrika, USA, Südamerika. Als Minderheitenexperte Vorträge in vielen Staaten Europas sowie Beratungsaktivitäten bei OSZE, Europarat, Europaparlament; 1994-1996 Präsident der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV). Christoph Pan (born 1938): studied economics and social sciences ; 1964 doctorate at the University
of Fribourg;
bruck; 1974-1979 Visiting fessor at the Institute
1971 postdoctoral qualification
Lecturer at the University
of Public Law and Political
at the University
of Inns-
of Salzburg; 1982 Associate Pro-
Science of the University
of Inns-
bruck Since 1961: Head of the South Tyrol Institute of Ethnic Groups in Bozen/Bolzano. Participation Africa,
in international NGOs. Study- and lecturing trips in Asia,
the United States , South America. Lecturing activity
as an expert on minorities
in various European states and advisory activity for the OSCE, the Council of Europe, the European Parliament; tionalities
1994-1996 President of the Federal
Union of European Na-
(FUEN).
Forschungsschwerpunkte / Research interests : Demokratie-, Konflikt- und Volksgruppenforschung. Democracy, conflicts,
ethnic groups.
Auswahlbibliographie /Selected Publications : Quellensammlung zum Entwurf einer Charta der Volksgruppenrechte, 1994; Grundrechte der europäischen Volksgruppen (zusammen mit Felix Ermacora), 1993; Volksgruppenschutz in Europa, 1995; Die Volksgruppen in Europa. Ein Handbuch (zusammen mit Beate S. Pfeil), 2000; Minderheitenrechte in Europa. Handbuch der europäischen Volksgruppen Bd.2, 2002; National Minorities in Europe. Handbook. 2003; Le minoranze in Europa, Nicolodi editore, 2003.
Kontaktadresse / Contact Address: Univ.-Prof. Dr. Christoph Pan Südtiroler Volksgruppen-Institut Laubengasse 9 1 - 3 9 1 0 0 Bozen Tel. +39-0471-978 703 Fax +39-0471-980 427 Email: [email protected] Internet: www.svi-bz.org
*
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Die Autoren / The Authors
Univ.-Dozentin Dr. Elisabeth Sândor Szalay Persönliche Angaben / Personal Data: Elisabeth Sândor Szalay (geb. 1961 in Hatzfeld, Rumänien): 1982-1986 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Pécs/Fiinfkirchen und 1982 sowie 1990 an der Universität Bayreuth; 1986-1993 wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl f. Völkerrecht an der Universität Pécs; 1992 doctor universitatis; 1993-1999 wiss. Oberasssistentin an der Universität Pécs; 1998 PhD; seit 1999 Univ.-Dozentin am Lehrstuhl f. Völker-und
Europarecht
der
Rechtswissenschaftlichen
Fakultät
der
Universität
Pécs/Fiinfkirchen, 1999-2002 Bolyai Jänos-Stipendiatin der Ungarischen Akademie der Wissenschaften; seit Juli 2002 Pro-Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Pécs; Gastprofessorin an den Universitäten Bayreuth, Budapest, Graz. Elisabeth Sândor Szalay (born 1961 in Hatzfeld\ law at the University
of Pécs/Fiinfkirchen
Romania): 1982-1986 studies in
as well as 1982 and 1990 at the University
Bayreuth; 1986-1993 Graduate Assistant at the Chair of International versity
of
Law of the Uni-
of Pécs; 1992 Doctor Universitatis ; 1993-1999 Senior Assistant at the Univer-
sity of Pécs; 1998 Doctor of Philosophy ; since 1999 University International
Lecturer at the Chair of
and European Law of the Faculty of Law of the University
Pécs/Fiinfkirchen,
of
1999-2002 recipient of the Bolyai Jânos scholarship awarded by the
Hungarian Academy of Sciences ; since July 2002 Vice Dean at the Faculty of Law of the University
of Pécs; Guest Professor
at the Universities
of Bayreuth, Budapest, and
Graz.
Forschungsschwerpunkte / Research interests : Minderheitenschutz; Status des Individuums im Völkerrecht sowie im Gemeinschaftsrecht; Institutionelles Recht der EU; Personenverkehrsfreiheiten im Gemeinschaftsrecht; EuGH: Verfahrensarten, Funktionsweise, Reform; Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch nationale Gerichte. Minority protection; status of individuals law; institutional
in international
and European Community
law of the European Union; free movement of persons in Community
law; European Court of Justice: types of proceedings, functioning,
reform ; application
of Community law by national courts.
Auswahlbibliographie /Selected Publications: A kisebbségvédelem nemzetközi jogi intézményrendszere a 20. szâzadban (Völkerrechtliches Instrumentarium des Minderheitenschutzes im 20. Jahrhundert), 2003; Európajog - az Európai Unió közjogi alapjai I. és II. (Europarecht: 2 Bde), 2003 und 2004; The Role of the League of Nations and the UN in the Protection of Minorities under International Law, in: Minorities Research - A Collection of Studies by Hungarian Authors, 1999, S. 108-122; The new 'Constitution' of the EU - the Treaty of Amsterdam
194
Die Autoren / The Authors
with special regard to the requirement of flexibility, in: International Law at the Turn of the Millennium - the Hungarian Approach, 2000, S. 122-135; Das Minderheitenschutzsystem des Völkerbundes aus heutiger Sicht, in: Europa Ethnica, 1-2/2001, S. 1-9.
Kontaktadresse / Contact Address: Univ.-Dozentin Dr. Elisabeth Sândor Szalay Universität Pécs, Rechtswissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl für Völker -und Europarecht 48-as tér 1 H-7621 Pécs/ Ungarn Tel.: 0036 72 501 599 / 3240 DW Fax.: 0036 72 215 148 Email: [email protected] oder [email protected] Internet: www.law.pte.hu *
*
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Dr. Monica Vlad Persönliche Angaben / Personal data: Monica Vlad (geb. 1967): Studium der Rechtswissenschaft an der Universität "Babes-Bolyai" in Cluj (Klausenburg)/Rumänien (1985-1989); 1991-2003: Assistentin für Strafrecht und Umweltschutzrecht an der Universität Sibiu (Hermannstadt)/Rumänien; seit 1995 Assistenzprofessorin fur Völkerrecht; 1995-1998: verschiedene Forschungsaufenthalte am Institut fur Föderalismus in Fribourg/Schweiz als Stipendiation des Fürstentums Lichtenstein; 1998: Habilitation für Verfassungsrecht an der Universität Cluj (Klausenburg)/Rumänien; 1998-1999: Fulbright Scholar bei der American University, Washington, DC (LL.M in International Legal Studies); 1999-2001: Senior Legal Specialist fur die Balkanländer bei der Library of Congress. Monica
Vlad (born 1967): studied law at the Babes-Bolyai University
Cluj/Klausenburg
in
(1985-1989): 1991-2003 Assistant for Criminal and Environmental
Law at the University
of Sibiu/Her mannstadt; since 1995 Assistant Professor for Inter-
national Law: 1995-1998 various research trips at the Institute
of Federalism
in Fri-
bourg as recipient of a scholarship from the Grand Duchy Lichtenstein; 1998 postdoctoral qualification 1999 Fulbright
in Constitutional
Law at the University
Scholar at the American University,
of Cluj/Klausenburg;
1998-
Washington, D.C. (LL.M. in Inter-
national Legal Studies) ; 1999-2001 Senior Legal Specialist for the Balkan states at the Library of Congress.
Forschungsschwerpunkte / Research interests: Verfassungsrecht; Völkerrecht.
Die Autoren / The Authors Constitutional law; public international
law.
Auswahlbibliographie/Selected Publications : Der Obudsman im vergleichenden Verfassungsrecht (Dissertation 1998), 2000; Herausgabe des Sammelwerks „Rumänien und das Völkerrecht", 1999; Religious Freedom in Romania. A Geo-political Perspective, in: Menschenrechte und Bürgerrechte in einer vielgestaltigen Welt. Wissenschaftliche Begegnung einiger Freunde von Thomas Fleiner zur Ehren seines 60. Geburtstags, hrsg. von P. Häberle und J. P. Müller, 2000; Verfassungsentwicklung und Stellung der Minderheiten in Rumänien (Reihe „Forschungsarbeiten", Institut für Föderalismus, Fribourg/Schweiz, Nr. 27), 2002.
Kontaktadresse / Contact Address: Dr. Monica Vlad Associate Professor University of Sibiu, Law School Calea Dumbravii 34, Sibiu, Romania Email: [email protected] oder [email protected] *
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Personenregister / List of Names
Apponyi, Albert Georg Graf 178
Hlond, August Józef, Kardinal 145
Arndt, Ernst Moritz 33, 33 Fn. 45
von Humboldt, Wilhelm 33 Hupka, Herbert 145
Bratianu, Ion 173 Bünger, Heinrich 141
Iliescu, Ion 113
Chamberlain, Austen 178
Johnson, Lyndon B. 128 ff.
Constantinescu, Emil 113
Jospin, Lionel 38
Czaja, Herbert 145
Justice Harland 126
Czykwin, Eugeniusz 136ff. Kant, Immanuel 22 Fn. 4, 39 Dürig, Günter 80 Fn. 117
Kennedy, John F. 129
Dzurinda, MikulâS 113
King, Martin Luther 123 Klebes, Heiner 107
Eide, Asbjorn 107
Kroll, Henryk 143, 149
Ermacora, Felix 107 Lessing, Gotthold Ephraim 26 f. Fichte, Johann Gottlieb 31 ff.
Louis (Ludwig) XVI. 23 Ludwig, Michael 149
Galla, Ryszard 143, 146 von Goethe, Johann Wolfgang 26
Meciar, Vladimir 113
von Görres, Joseph 38 Fn. 63
Mello-Franco 178
Headlam-Morley, James 173
Mirabeau, Honoré Gabriel Riquetti, comte de 23 f.
Herder, Johann Gottfried
Moser, Justus 27
14 Blumenwitz
26 ff., 39
198
Personenregister / List of Names
Napoléon, Bonaparte 24
Sândor Szalay, Elisabeth 167 ff.
Nastase, Adrian 113
von Schiller, Friedrich 26 f.
Nossol, Alfons, Erzbischof 150
Schnabel, Franz 31 Sieyès, Emmanuel Joseph, Abbé 22 ff.
Offe, Claus 156, 164
von und zu Stein, Karl Freiherr 33
Pan, Christoph 105 ff.
Tocqueville, Alexis Clerel de 23
Parks, Rosa 123
Truman, Harry S. 128
Pasic, Nikola 173
Trumbic, Ante 173
Pazdzior, Helmut 136f.
Tudor, Vadim 113
Pfeil, Beate S. 105 ff. Poincaré, Raymond 153
Ulitzka, Carl 145
von Ranke, Leopold 30
Walters, Francis Paul 175
Renan, Ernest 37, 59
Wieland, Christoph Martin 26
Richelieu, Armand Jean du Plessis, Car-
Wilson, Robert Woodrow 170, 175
dinal 25 Roztropowicz, Joanna 143
Wolf, Lucien 174
Sachregister / I n d e x Abstammungsprinzip 136 Affirmative Action 130
Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) 63
Aland 67
Bilingual 141
- Alandsdelegation 94
Brandenburg 71, 81
Aländer 9 Iff.
-
Albanien 62 f., 107, 110
-
Anerkennung der Identität 106 Assimilation 56, 177 f., 181, 183 Assimilationstheorie 177 autochthone Minderheiten 55, 56 autochthone Volksgruppen 54 Autonomisten -
oberschlesische 150
Bakke Case 131 Balkanisierung 153
Listenvereinigungen der Sorben 81 Politische Vereinigungen der Sorben
81 -
Sorbisches Volk 71
-
Verfassung 71
-
Wahlgesetz 81
Brown v. Board of Education Case 128 Bulgarien 62 f., 110 Bund der Nordschleswiger 114 Bundeswahlgesetz75 ff. Bureau Européen pour les Langues Moins Répandues / European Bureau for Lesser Used Languages 117
Banater -
Schwaben 160
Chancengleichheit 106
Berglanddeutsche 160
-
Basken 109
der Parteien 64, 82
Civil Rights Act
Bekenntnisprinzip 136
-
of 1957 129
Belgien 66, 69, 109
-
of 1964 129 f.
-
Comines66
Civil Rights Movement 128
-
Deutsche Sprachgemeinschaft 69
clausula rebus sie stantibus 180 f.
-
Repräsentation der deutschen Minderheit 66
Dänemark 114
-
Verfassung 69
Dänen 109, 112
-
Voeren 66
Demokratie 42, 45
-
Wahlrecht 66
demokratische Legitimität 111
Beratender parlamentarischer Ausschuss 63 Bevölkerungsausweisungen 181 14*
demokratische Mitbestimmung 105 demokratische Strukturen 171
200
Sachreg
r/Index
Demokratischer Verband der Ungarn in Rumänien (RMDSZ) 113
Europäische Charta fur Regional- oder Minderheitensprachen 116 ff
Demokratisierungsprozess 105
Europäische Menschenrechtkonvention (EMRK) 62
Deutsche 95f. Deutsche Freundschaftskreise 139ff. Deutsche Minderheit -
Europäisches Büro für Sprachminderheiten (EBLUL) 117 ff. Europarat 116, 118
in Polen 64
Deutsches Sprachdiplom 142 Deutsche Stimme aus Ratibor 146
European Bureau for Lesser Used Languages / Bureau Européen pour les Langues Moins Répandues 117
Deutschland 70 ff., 75 ff., 78 ff, 109, 115 -
Direktmandatsklausel 75
Fehlen der Reziprozität 173 f.
-
Grundsatz 79 f.
-
-
der
Erfolgswertgleichheit
Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit 78 ff.
-
Landesverfassungen 71 ff.
-
Schutz nationaler Minderheiten 70 ff.
-
Wahlrecht 68, 75 ff.
Differenzierungsverbote 78, 80
Finnland 67, 69, 109 Aland 67
-
Schwedische Minderheit 69
-
Verfassung 69
Finnland-Schweden 109, 112 Finnlandsschweden 87ff. Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) 117
Direktmandate 66
formelle Gleichbehandlung 106
Diskriminierungsverbot 53
Fortgeltung 179 f.
Dred Scott Case 125
Frankreich 110
Dreierkomitee 177
Freedom Summer 1964 128
Egyiittélés Politikai Mozgalom 113
Freiheitsausübung, Voraussetzungen und Bedingungen 44
Freiheit 42 Egyûttélés/SpoluZitie/Coexistentia/ Zusammenleben 113
Freiheitseinschränkung 43, 44, 45
Eichendorff-Stiftung 145
-
Einwanderer 98
Freiheitsprinzip 105
Eigenlegitimation 111, 114
Fremdlegitimation 111
Empfehlung 174
friedenssichernde Komponente 176
EMRK 116
Friedensverträge 171, 173, 180
Equal Employment Opportunity Executive Order 11246 129 ethnisch bedingte Differenzen 47 ethnische Differenz(en) 47, 50 ethnische Minderheiten 49, 50 Ethnizität 105 Ethnos 45
Intensität der 45
Fugitive Slave Act 124 funktionale Integration 184 Galicier 109 Garantie 172 f., 175 ff. Garantieartikel 173, 176 f.
Sachregister / Index Generalisierung des Minderheitenschutzsystems 177 f.
201
Juden 95f. jüdische Organisationen 174
Gerichtshof 136 -
für Menschenrechte (EGMR) 136, 150
Gleichheit -
formale 106, 181
-
materielle 181
Kandidatenlisten 64 Katalanen 109 Knights of the White Camelia 127 kollektive Sicherheit 179
Gleichheitsprinzip 105
kollektiver Minderheitenschutz 54
Globalisierungsprozess 139
Kommunalwahl 150
Grenzen 183 f. Griechenland 107, 110 griechische Minderheit in Italien 114 Grundgesetz 70 f.
Kompromiss über die Sklavenhaltung 124 Konflikte 167, 182, 184 Konfliktlösungsprozess 183 Konfliktvermeidungsprozess 183
-
Finnlands 86
konstruktiver Umgang 184
-
Schutz nationaler Minderheiten 70 f.
KSZE 116
Gutachten 179 ff.
KSZE/OSZE 116 Ku Klux Clan 127
Hate Crimes Laws 131
Kultur
Heimatkunde 142
-
Kulturautonomie 53, 114
-
Kulturrat 145
-
volkstümliche 143
Heimatstuben 147 Herrschaft 42, 45 -
Intensität der 46
Hultschiner Ländchen 138
Ladiner 112 Lagting 93
Identitätsgefuhl 148 Immigranten 54 Immigrationsquoten 127 individuelle Autonomie 42 Ingermanländer 97f. Integration 56, 110 ff. Interessenverbände 105, 110 international anerkannte Schutzmacht 109 Internationaler Pakt über politische und bürgerliche Rechte (IPBPR) 60, 62 Italien 65, 109, 111 f., 114 -
ital. Europawahlgesetz 65
-
ital. Minderheitengesetz· 482/1999 114
Jim-Crow-Gesetze 125 ff.
Landesangehörigkeitsrecht 92 Landesregierung 93 Landesselbstverwaltung 114 Lappen 86, 98ff. Lettland 107 Listenverbindungen 65 Litauen 68 f., 107 -
Wahlrecht 68 f.
Lösungsansätze 182 Lyzeum 142 Mantelnote 173 Marschallamt 142 Mecklenburg-Vorpommern 71 f.
Sachregister / Index
202 -
Minderheitenschutzartikel 71 f.
nationale Minderheiten 105 ff.
-
Verfassung 71
nationales Wahlrecht 107
Medienrat 146
Nationalismus 111
Mehrebenendemokratie 52
Nationalität 105, 108, 176, 184
Mehrheit 42, 44,51
-
Mehrheitsentscheidung 46
Nationalitätenproblem 108
Mehrheitsvolk 50
Nationalstaat 47, 48,49, 50, 169 f.
Mehrheitswahlrecht 61, 67, 69, 107
Nichtdiskriminierung 106
-
Nordschleswiger 114
Parteien nationaler Minderheiten 61
schlesische 137ff.
Memorandum 181 Minderheit 42, 44,51
Oberschlesien 135ff.
-
deutsche 135 ff.
Österreich 107, 115
-
Sprache der 150
OSZE 116
Minderheitenbeirat 115 Minderheitengesetz
Partei der ungarischen Koalition 113
-
polnisches 140ff.
-
Nr. 77 vom 7. Juli 1993 114
Parteien der nationalen Minderheiten 59 f., 61 ff., 64 ff., 68 ff., 74, 75 ff.
Minderheitenschutz 52
-
Gleichheitssatz 77 ff.
des
-
Gründung von Minderheitenparteien 61 ff. Vorzugsstellung 79
-
Minderheitenschutzdeklaration 175
-
Minderheitenschutzsystem 171 ff.
-
Minderheitenschutzverpflichtungen
-
-
Erlöschen 179 f.
Parteiensysteme 111
-
Suspension 179 f.
Petitionsverfahren 175
-
Minderheitenschutzverträge 173 f.
Polen 64
Minderheitenvertretung 115
-
Wahlrecht 68
Mindestsitzregelungen 69 f.
-
Polenvertrag 173 f.
-
politische Organisation 118
Verfassungsrecht
69 f.
minority related conflicts 167, 183 f.
politische Parteien 105
Moldawien 110
Politische Vertretung 59 ff.
multiethnischer Staat 41, 49, 50
-
Muttersprache 140
Potsdamer Abkommen 181
-
Proposition 209 132
muttersprachlicher Unterricht 148
Grundgesetzes
Nationale Minderheiten 59 ff.
Provinz Lecce 114 Nachbarschaftsvertrag 136 Nation 59 -
Nationale Minderheiten 59
-
Politische Vertretung 59 ff.
Nationalbewusstsein 169
Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten 60, 117 Rassismus 111 Ratsmitglied 176 f.
Sachregister / Index Recht auf Mitbestimmung 106 ff. Recht auf politische Vertretung 106 ff.
Schwedische Volkspartei Folkspartiet) 89, 112
Rechtmäßigkeit 181
Segregation 126
203 (Svenska
-
Plessy v. Ferguson Case 126
Regents of the University of California v. Bakke Case 131
-
Separate but equal 126
Regierungsform von 1919 85
-
Region Apulien 115
Selbstbestimmungsrecht der Völker 49
regionale Desintegration 184
Selbstverwaltung 53
Regionalmuseum 145
Selbstorganisation 111 f., 115
repräsentative Demokratie 105
Separatismus 111
Roma 86, 102f.
Slowakei 107, 111, 113
Regeln des Völkerrechts 76 f.
Româniai Magyar Demokrata Szôvetség 113 Rumänien 65, 112 ff. -
Wahlrecht 65, 68
Russisches Reich 169, 171 Russland 110 Russen 96f.
Sejm 64 Fn. 23, 68 Fn. 41 Abgeordnete 136ff.
Slowenien 66, 69 f. -
Absolutes Vetorecht 70
-
Italienische Minderheit 69
-
Ungarische Minderheit 69
-
Verfassung 69 f.
Soldatendenkmäler 151 Sorben 71 Sozial-Kulturelle Gesellschaft 135ff.
Sachsen 72 f. -
Schutz von nationalen und ethnischen Minderheiten 72 f.
soziale Unterdrückung 127 Spanien 109
-
Sorben 72 f.
Sperrklauseln 61 f., 67 ff., 69, 74, 77, 78 ff., 81 f.
-
Verfassung 72 f.
Sperrklauselbefreiung 81 f.
Sachsen-Anhalt 73 -
Schutz von Minderheiten 73
-
Verfassung 73
Sammelpartei 111 Schlesien-Journal 147 Schlesisches Institut 145 Schlesisches Wochenblatt 137f. Schleswig-Holstein 73 f., 81 ff.
-
Siedlungsgebiet 82
Splitterparteien 79 Sprache 51 -
offizielle, in Finnland 85
Staatsangehörigkeit 184 Staatsvolk 49 Ständiger Internationaler Gerichtshof 176
-
Minderheitenschutzartikel 73 f.
Südschleswigscher Wählerverband (SSW) 75 f., 81 f., 112
-
Nationale dänische Minderheit 73
Südtiroler 109, 111 f.
-
Nationale friesische Minderheit 73
Südtiroler Volkspartei 112
-
Verfassung 73 f.
Supreme Court 125
-
Wahlgesetz 81 ff.
Svenska Finlands Folkting 89
204
Sachregister / Index
Sydslesvigsk Forening (Südschleswigsche Vereinigung) 112 systematischer Versuch 172 Szenario -
pessimistisches 149
13. Zusatzartikel 125 14. Zusatzartikel 125, 131
-
15. Zusatzartikel 125
-
Equal Protection Clause 131
Verhältniswahlrecht 61, 67, 69, 77, 107, -
Tataren 95f.
-
Parteien nationaler Minderheiten 61
Territorialautonomie 53
Verkehrsverbund von Montgomery, Alabama 123
Türkei 110
Verrechtlichung des Systems 177 Völkerbund 172 ff.
UN-IPBPR 106
Völkervertragsrecht 180
Ungarn 112 ff.
Völkerrecht 60, 62, 76 f.
UNO 116, 179 f.
-
Unabhängigkeitserklärung 124 unveräußerliche Rechte 124 Vaterland -
„kleines Vaterland" 150
Vereinigungsfreiheit 62 -
Nationale Sicherheit 62
-
Politische Parteien 62
Vereinte Menschenrechtspartei (PMDN) 63
Vertretung der nationalen Minderheiten 60
Volk 49, 50 Volksgruppe, -n 49, 50, 106 ff., 135ff., 151 Volkszählung 136ff. Voting Rights Act of 1965 130 Wahlkreis, -e 61, 65 ff., 107 f. -
Wahlkreiseinteilung 65 ff.
Wahlverhalten 149f., Weimarer Reichsverfassung 79
Vereinte Nationen 116, 179 f.
-
Verfassung der Vereinigten Staaten 124
Wohlstandsstaat 154
-
Art. I Abschn. 2 124
Woiwodschaft
-
Art. I Abschn. 9 124
-
Kattowitz 141
Art. IV Abschn. 2 124
-
Schlesien 135ff.
-
Art. V 124
-
Zusatzartikel 124 -
Bill of Rights 124, 125
Parteienzersplitterung 79
Zuwendungen 144 Zwangspolonisierung 141