Martin Buber Werkausgabe: Band 2.3 Schriften zur chinesischen Philosophie und Literatur 9783641248482

Zu einer Zeit, als sich die europäische Sinologie noch in einem frühen Entwicklungsstadium befand, zeigte Buber bereits

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German Pages 479 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
Dank
Einleitung
Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse
Nachwort
Bemerkungen über einige Personen der Gleichnisse
Bemerkung über die Bücher des Tschuang-Tse und dieses Buch
[Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse]
Chinesische Geister- und Liebesgeschichten
Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-tse’s Tao-te-king
Anhang
Zwei Malergeschichten
Schlichtung
Zwiegespräch
[China und wir]
Weisheiten aus China
Unveröffentlichte Archivmaterialien (Handschriften)
Kommentar
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Stellenregister
Sachregister
Personenregister
Glossar chinesischer Namen und Begriffe
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Martin Buber Werkausgabe: Band 2.3 Schriften zur chinesischen Philosophie und Literatur
 9783641248482

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Martin Buber Werkausgabe Im Auftrag der Philosophischen Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und der Israel Academy of Sciences and Humanities herausgegeben von Paul Mendes-Flohr und Bernd Witte

Gütersloher Verlagshaus

Martin Buber Werkausgabe 2.3 Schriften zur chinesischen Philosophie und Literatur Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Irene Eber

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Gefördert von der Heinrich Heine Universität Düsseldorf, mit Unterstützung von Dan Georg Bronner und Harry Radzyner.

Gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen.

Gefördert von der Israel Academy of Sciences and Humanities.

Gefördert von der Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e. V.

ANTON-BETZ-STIFTUNG DER RHEINISCHEN POST EV. GEMEINNÜTZIGER VEREIN ZUR FÖRDERUNG VON WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DÜSSELDORF

1. AuflageVerlagshaus, Gütersloh, Copyright © 2013 Gütersloher Copyright 2013 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

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Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . Der nutzlose Baum . . . . . . . . . Die Musik des Himmels . . . . . . . Das Bedingte und das Unbedingte . . Gegensätze und Unendlichkeit . . . . Der Schmetterling . . . . . . . . . . Der Koch . . . . . . . . . . . . . . Der Tod des Lao-Tse . . . . . . . . . Mit den Menschen . . . . . . . . . . Fürstenerziehung . . . . . . . . . . Der heilige Baum . . . . . . . . . . Der Verstümmelte . . . . . . . . . . Schu-Schan Ohnezehen . . . . . . . Der Aussätzige . . . . . . . . . . . . Reine Menschen . . . . . . . . . . . Die Stufen . . . . . . . . . . . . . . Die vier Freunde . . . . . . . . . . . Das Totenlied . . . . . . . . . . . . Der Weg . . . . . . . . . . . . . . . Das Reich regieren . . . . . . . . . . Der Magier und der Erlöste . . . . . Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . Der starke Dieb . . . . . . . . . . . Überfeinerung und Nichttun . . . .

51 52 52 53 54 56 56 57 58 60 62 63 64 65 66 67 68 70 71 72 72 74 74 74

Der Untätige

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6

. . . . . . . . . . . Unsterblichkeit . . . . . . . . . . . . . Der Wolkengeist und der Lebenswirbel . Die Perle . . . . . . . . . . . . . . . . Kosmogonie . . . . . . . . . . . . . . . Der Gärtner . . . . . . . . . . . . . . . Drei Arten . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wagner . . . . . . . . . . . . . . . Das Saitenspiel des Gelben Kaisers . . . . Die Weisen der Welt . . . . . . . . . . . Der Geist des Meeres und der Flußgeist . Die Freude der Fische . . . . . . . . . . Als Tschuang-Tses Frau gestorben war . . Der Totenschädel . . . . . . . . . . . . In Tao . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Grillenfänger . . . . . . . . . . . . Der Fährmann . . . . . . . . . . . . . . Der Priester und die Schweine . . . . . . Die Kampfhähne . . . . . . . . . . . . Der Glockenspielständer . . . . . . . . . Die Schöne und die Hässliche . . . . . . Schweigen . . . . . . . . . . . . . . . . Das ewige Sterben . . . . . . . . . . . . Die drei Antworten . . . . . . . . . . . Zu eigen haben . . . . . . . . . . . . . Taos Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . Tao das Unbekannte . . . . . . . . . . . Von Hunden und Pferden . . . . . . . . Verbrecher . . . . . . . . . . . . . . . . Das Menschenherz

Inhalt

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Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Bemerkungen über einige Personen der Gleichnisse . . . . . . . . 126

7

Inhalt

Bemerkung über die Bücher des Tschuang-Tse und dieses Buch . . 129

[Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse] Vorbemerkung . 130 Chinesische Geister- und Liebesgeschichten . . . . . . . . . . 131 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Das Wandbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Das lachende Mädchen Die Füchsin . . . . . . Die Wege des Liebenden Die Krähen . . . . . . Die Blumenfrauen . . . Der närrische Student . Der Gott im Exil . . . . Das Land im Meer . . . Das Blätterkleid . . . . Der Ärmel des Priesters

. . . Musik . . . . . . Die Schwestern . Wiedergeburt . . Der Traum

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Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-tse’s Tao-te-king . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Zwei Malergeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Zwiegespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

8

Inhalt

[China und wir] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Weisheiten aus China

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

Unveröffentlichte Archivmaterialien (Handschriften) Der Geist der Jungfrau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Das Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Der neue Donnergott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 [Aus den Gesprächen zwischen Konfuzius und Lao-Tse] . . . . . . . . 308

Kommentar Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Diakritische Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Einzelkommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 Stellenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 Glossar Chinesischer Namen und Begriffe

. . . . . . . . . . . . . 478

Gesamtaufriss der Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480

Vorbemerkung Der vorliegende Band ist der fünfte, der nach der Übernahme der Arbeit an der Martin Buber Werkausgabe durch die Heinrich Heine Universität Düsseldorf publiziert werden kann. Er ist nach den neuen Editionskriterien gestaltet, wie sie erstmals in Band 9 der MBW angewandt und im vorliegenden Band in der Editorischen Notiz als Einleitung zum Kommentar erörtert werden. Der Band versammelt nicht nur die von Buber verfassten Schriften zur chinesischen Philosophie und Literatur, sondern auch – wie bei den Ekstatischen Konfessionen (MBW 2.2) – die von ihm erstellten Übersetzungen zu diesem Themenkomplex. Die Israel Academy of Sciences and Humanities, deren erster Präsident Martin Buber war, hat im Jahre 2012 die Arbeit an der Werkausgabe erneut als ein »highly important project« anerkannt und fördert sie seitdem mit einem jährlichen Beitrag. Ein Projekt wie diese Werkausgabe wäre ohne eine großzügige finanzielle Förderung nicht möglich. Wir danken dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für ihre nachhaltige Unterstützung. Zudem hat die Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e. V. durch einen Druckkostenzuschuss das Zustandekommen dieses Bandes gefördert. Besonders sei schließlich Dan Georg Bronner und Harry Radzyner (beide Düsseldorf) gedankt, die durch ihre Spenden an die Heinrich Heine Universität zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Düsseldorf, im Oktober 2013

Paul Mendes-Flohr, Bernd Witte

Dank Dank für die Hilfe, die mir bei der Herausgabe von Martin Bubers Chinesischen Schriften zuteil wurde, gebührt vielen. Paul Mendes-Flohrs fortwährende Unterstützung und seine Antworten auf meine vielen Fragen wurden dankbar aufgenommen, wie auch Martina Urbans geduldiger Umgang mit den häufig aufgetretenen Problemen. Dank gebührt auch Helen Przibilla, die Martina Urban in der Arbeitsstelle Martin Buber Werkausgabe (MBW) am Institut für Judaistik der Freien Universität Berlin unterstützt hat. Nach dem Umzug an die Philosophische Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf haben die neuen Mitarbeiter der Arbeitsstelle Andreas Losch, Caterina Rosato und Arne Taube sich ebenfalls um den Band verdient gemacht. Heike Breitenbach sei für ihre wesentliche Arbeit an der Redaktion des Bandes gedankt, durch die dessen Vollendung erst möglich geworden ist. Die Mitarbeiter der National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem ließen nichts unversucht, wenn es darum ging schwer auffindbare Materialien ausfindig zu machen. Ihnen möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen, vor allem aber Frau Margot Cohn für ihre Anleitung und Hilfe. Ohne sie und die Bibliothekare Kikuye Epstein und Rachel Eaton, wäre es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich gewesen, dieses Projekt zu Ende zu bringen. Mein Dank gilt auch Avi Greenhouse für seine Hilfe beim Ausfindigmachen von Stellen aus dem hebräischen Gebetbuch, sowie Wolfgang Kubin und Jost Zetzsche für die Vermittlung der deutschen Übersetzung chinesischer Termini. Ich danke Karin Neuburger für ihre fachmännische Übersetzung von Bubers hebräischem Aufsatz ins Deutsche. Almuth Lessing gebührt meine besondere Dankbarkeit für ihre höchst umsichtige und ausgezeichnete Übersetzung aller englischsprachigen Textteile, ihre geduldige Auseinandersetzung mit widerspenstigen Computerprogrammen und die professionelle Aufbereitung des Manuskripts. Die Teilstipendien seitens des Harry S. Truman Instituts der Hebräischen Universität Jerusalem und des Louis Frieberg Research Funds waren eine sehr willkommene Unterstützung für dieses Projekt. Jerusalem, im Herbst 2001/2013

Irene Eber

Einleitung Martin Buber zeigte zu verschiedenen Zeitpunkten seines Lebens beträchtliches Interesse an chinesischer und vor allem daoistischer Philosophie. Im Jahr 1910 veröffentlichte er ausgewählte Texte aus dem daoistischen Werk Zhuangzi 1 und im Jahr 1911 eine Sammlung von Kurzgeschichten (im Folgenden: Liaozhai) von Pu Songling (1640-1715). 1924 hielt er eine Reihe von Vorträgen über Das Buch des Alten vom Sinn und Leben (im Folgenden: Daodejing), die im vorliegenden Band zum ersten Mal veröffentlicht werden. 1925 publizierte er drei Kurzgeschichten in Gedenkschriften, davon eine aus dem Japanischen, sowie ein japanisches Märchen, und im Jahr 1929 wurde sein kurzer Vortrag über den Daoismus gedruckt. 1942 erschien Bubers hebräische Übersetzung von acht Kapiteln des Daodejing, und 1944 publizierte er in einer populären Zeitschrift einen Aufsatz in hebräischer Sprache mit einer Reihe von ausgewählten chinesischen philosophischen Texten. Buber beschäftigte sich mehr mit chinesischer als mit japanischer Philosophie und Literatur, aber, wie die Publikationen zeigen, ließ er die japanische Literatur nicht unberücksichtigt. Neben den veröffentlichten Werken befinden sich unter Bubers unveröffentlichten Schriften handschriftliche Notizen – einige davon zweifellos für Vorträge angefertigt, andere beziehen sich auf seinen Lesestoff. Sowohl das veröffentlichte als auch das unveröffentlichte Material verdeutlichen das Ausmaß seiner Beschäftigung mit Ideen der chinesischen Philosophie und dem Daoismus. Es ist außerdem ein Hinweis darauf, dass Buber wahrscheinlich der erste Dozent der Hebräischen Universität Jerusalem war, der daoistische Materialien in seine Vorträge aufnahm. Seine Publikationen zählten zudem zu den ersten Bemühungen, die chinesische Philosophie einem breiteren hebräischsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Bubers Beschäftigung mit chinesischer Philosophie ist in dem größeren Kontext von Deutschlands wachsendem Engagement in China vor dem Ersten Weltkrieg zu sehen. Seit der deutschen Besatzung der Jiaozhou Bucht und der Stadt Qingdao auf der Halbinsel Shandong ging das deutsche Interesse an China weit über rein praktische Angelegenheiten wie Militär oder Handel hinaus. 2 Deutsche Forscher blickten voll Neid auf 1. 2.

In Einführung, Anmerkungen und Kommentar benutze ich die Pinyin-Transkription für chinesische Namen und Begriffe, die von dem älteren deutschen Transkriptionssystem, das Buber benutzte, abweicht. Diese Diskussion stützt sich auf meine Einführung zu: Martin Buber, Chinese Tales.

14

Einleitung

die Verdienste der britischen Sinologie und das Werk solcher Übersetzer wie James Legge (1815-1897). Auch wenn deutsche Wissenschaftler zunächst hinter den britischen Wissenschaftlern zurückblieben, so entwickelte sich die moderne Sinologie in Deutschland, einschließlich chinesisch-deutscher wissenschaftlicher Kontakte, nach der Jahrhundertwende dennoch rasch. Neben dem wissenschaftlichen Interesse stimulierte das riesige Reich auch die populäre und literarische Fantasie. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde China so in größerem Umfang als zuvor für viele eine »spirituelle Zuflucht«. 3 Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gewann das Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin an Bedeutung, und das Lehrangebot wurde, zusätzlich zum Sprachunterricht, um Seminare über praktische Asienkenntnisse erweitert. Nach dem Krieg machten großzügige Etatzuwendungen eine bedeutende Erweiterung der chinesischen Bestände der Seminarbibliothek möglich, die dazu beitrug – zusammen mit dem hervorragenden niederländischen Wissenschaftler Jan J. M. de Groot (1854-1921) – den Ruf des sinologischen Seminars in Berlin als des führenden akademischen Zentrums für Sinologie in Deutschland zu etablieren. 4 Zu dieser Zeit studierten auch erstmals zahlreiche chinesische Studenten an westlichen, einschließlich deutschen Universitäten, und chinesische Intellektuelle begannen zunehmend, sich für deutsche Philosophie und Literatur zu interessieren. Bubers anfängliches Interesse für chinesische Philosophie muss auch vor dem Hintergrunde dieser Präsenz chinesischer Studenten und Wissenschaftler in Deutschland interpretiert werden. In Bubers persönlichem Leben fällt die Auseinandersetzung mit China zeitlich mit seiner Beschäftigung mit chassidischen Materialien und seiner Offenheit für Mythen und Kulturen der Vergangenheit zusammen. Möglicherweise stieß er auf chinabezogene Materialien, als er 1905 und danach für den Verlag Rütten & Loening als Lektor tätig war. 5 Vielleicht trug auch seine Bekanntschaft mit Wang Jingtao, einem Lehrer für

3. 4. 5.

Zhuangzi: Sayings and Parables and Chinese Ghost and Love Stories, übers. von Alex Page, Atlantic Highlands/NJ: Humanities Press International 1991, S. ix-x. Zu den chinesisch-deutschen Beziehungen, siehe: John E. Schrecker, Imperialism and Chinese Nationalism: Germany in Shantung, Cambridge 1971. Ingrid Schuster, China und Japan in der deutschen Literatur, 1890-1925, Bern u. München 1977, S. 86. Erich Haenisch, Die Sinologie an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität in den Jahren 1898-1945, in: Hans Leussink et al. (Hrsg.), Studium Berolinese, Berlin 1960, S. 554-566. Hundertfünfzig Jahre Rütten & Loening 1844-1969. Ein Almanach, Berlin: Rütten & Loening 1969, S. 58.

Einleitung

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Chinesisch am Seminar für Orientalische Sprachen, dazu bei, ihn in die chinesische Philosophie und Literatur einzuführen. Wangs Zusammenarbeit mit Buber soll im Folgenden behandelt werden. Bubers Beschäftigung mit China war in den zwanziger Jahren zweifelsohne durch Richard Wilhelm (1873-1930) und die Aktivitäten am China-Institut in Frankfurt motiviert. Wilhelm begann seine Karriere 1899 in Qingdao als Missionar, zwei Jahre nachdem Deutschland die Halbinsel Shandong besetzt hatte. Seine Missionarskarriere wurde aber bald in andere Richtungen gelenkt. Er eignete sich bemerkenswerte Kenntnisse der chinesischen Sprache sowie der klassischen chinesischen Quellen an und veröffentlichte ab 1910 eine Reihe von deutschen Übersetzungen aus dem Chinesischen sowie Werke über China. 1924 wurde er an die philosophische Fakultät der Universität Frankfurt berufen, und 1925 gründete er das China-Institut, welches sich zu einem Zentrum für China-bezogene kulturelle Aktivitäten entwickelte. Das Institut zog sinologischen Koryphäen wie Paul Pelliot (1878-1945) und Marcel Granet (1884-1940) aus Frankreich als Gastdozenten an. Beide hielten 1927 in Frankfurt Gastvorträge. Im gleichen Jahr fungierte das Institut auch als Gastgeber für ein Treffen von 63 chinesischen Studenten an deutschen Universitäten. 6 Zu den chinesischen Besuchern gehörte der bekannte Lyriker Xu Zhimo (1896-1932), der zweimal am Institut zu Gast war; das zweite Mal im Jahr 1928.7 Der dynamische Präsident der Vereinigung des chinesischen Buddhismus, Abt Tai Xu (1890-1947), unterbreitete dem Institut während eines Besuchs den Vorschlag, ein internationales Institut für Buddhismusforschung zu gründen.8 Der Sinologe Hu Shi (1891-1962) hielt im Oktober 1926 eine Gastvorlesung und erneut im Jahr 1932 anlässlich seiner Wahl zum ersten chinesischen korrespondierenden Mitglied der Preußischen Leibniz-Akademie der Wissenschaften. 9 Hermann Hesse (1877-1962), der bereits einige Jahre eine enge persönliche Freundschaft mit Buber unterhielt, besuchte das Institut 6. 7. 8.

9.

»Mitteilungen«, Sinica 1 (1926), S. 7-10; »Veranstaltungen des China-Instituts. Chinesische Gäste«, Sinica 2 (1927), S. 28-29. »Hsü Tse Mou gestorben«, Sinica 7 (Mai 1932), S. 119. MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 902-2, »Aufruf S. E. Tai Hsü«. Tai Xu besuchte Deutschland während einer Weltreise, die ihn nach Frankreich, England, Deutschland, Japan und in die Vereinigten Staaten führte. Holmes Welch, The Buddhist Revival in China, Cambridge 1968, S. 59-62. Salome B. Wilhelm, Richard Wilhelm. Der geistige Mittler zwischen China und Europa, Düsseldorf 1956, S. 356; Erwin Rousselle, »Hu Shih«, Sinica 7 (1932), S. 217220. Rousselle beschrieb Hu als einen »radikale[n] Denker und zugleich Träger einer ehrwürdigen Kulturtradition.« Siehe auch Hu Songping, Hu Shi zhi xiansheng nianpu chengbian chugao (Entwurf einer chronologischen Biographie von Herrn Hu Shi), Taibei 1984, Bd. 2, S. 658, Bd. 3, S. 1113-1114.

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Einleitung

ebenfalls. So auch C. G. Jung (1875-1961), der Wilhelms Interesse für den Daoismus teilte, darunter vor allem für das Buch der Wandlungen (Yijing), das in Wilhelms Übersetzung im Jahr 1924 erschien. Wilhelms Vision eines Ost-West Dialogs, einer Begegnung der Kulturen, war zweifellos unrealistisch, um nicht zu sagen naiv. Wie Ursula Richter kommentiert: »… [his] almost erotic affection for traditional Chinese culture did contain elements of idealist Schwärmerei so singularly suited to the trend of those times …«. 10 Aber Intellektuelle und Schriftsteller in Deutschland – und in gewisser Hinsicht auch Buber – teilten diese Vision. Der Mythos von zwei Kulturen, die sich wie Yin und Yang auf harmonische Weise gegenseitig ergänzen, sprach viele an – besonders nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Besuchte Buber die Vorlesungen und kulturellen Veranstaltungen des China-Instituts? Beteiligte er sich mit Wilhelm und den distinguierten Gästen an Diskussionen über chinesische Philosophie? Leider haben wir keine genauen Informationen darüber. Wir wissen jedoch, dass Wilhelm Buber über gewisse Angelegenheiten, die diesen interessierten, informierte und dass Buber wenigstens an einer der Veranstaltungen des Instituts teilnahm.11 Bubers Interesse an China und chinesischer Philosophie ließ keineswegs nach, nachdem er 1938 in Jerusalem angekommen war und an der Hebräischen Universität zu unterrichten begonnen hatte. Flüchtigen Notizen, die im Archiv der Jüdischen National- und Universitätsbibliothek aufbewahrt werden, entnehmen wir, dass er die Geschichte der alten chinesischen Philosophie (1927) von Alfred Forke sowie Die Geschichte des chinesischen Reiches (1930) von Otto Franke las. 12 Die Kurse, die Buber in den vierziger Jahren gab, etwa zur Soziologie der Religion oder zur Kultursoziologie, schlossen auch Materialien über China mit ein. Er machte sich Notizen (scheinbar für spätere Vorlesungen) zu verschiedenen Themen wie Buddhismus und den Bodhidharma (um 440-528), der als der erste Patriarch des Chan (Zen) Buddhismus gilt, und zu Huineng (638-713), dem sechsten Patriarchen dieser Schule. Andere Notizen waren eindeutig für Vorlesungen bestimmt, die sich mit der vereinigenden Funktion der kosmischen Ordnung und der Verbin10. Ursula Richter, Richard Wilhelm – Founder of a Friendly China Image in the Twentieth Century Germany, Bulletin of the Institute of Modern History, Academia Sinica 20 (June 1991), S. 153-181. 11. MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 902-4, Brief Richard Wilhelms an Martin Buber vom 7. August 1929. 12. Wahrscheinlich las er nur den ersten Band von Frankes Werk »Das Werden des konfuzianischen Staates«, da die beiden anderen Bände und die Endnoten erst später erschienen.

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dung dieser Ordnung mit Natur und Gesellschaft beschäftigten. Buber nannte Yin und Yang, die beiden Kräfte, die in dieser durchdringenden Ordnung am Werk waren, eine »monodualistische Wahrnehmung«. Seine Vorlesungen enthielten anscheinend sowohl daoistische, als auch konfuzianische Konzepte. 13 So spärlich sie auch sind, so machen diese Notizen doch deutlich, dass sich das Spektrum von Bubers Beschäftigung mit China nun erweitert hatte und eine Reihe verschiedener Schriften umfasste. Auf der einen Seite scheint er der chinesischen Geschichte und ihrer schriftlichen Überlieferung mehr Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Auf der anderen Seite scheint es, als ob er sich nun auf entschiedenere Weise der Verbindung zwischen chinesischer Philosophie, Gesellschaft, Regierung und der Funktion des Herrschers widmete. Aus den Notizen geht auch Bubers Versuch hervor, ein hebräisches Vokabular für chinesische Ausdrücke und Konzepte zu entwickeln; eine Aufgabe, an der hebräische Übersetzer aus dem Chinesischen bis heute arbeiten. In Jerusalem beschäftigte sich Buber weiter mit dem Daodejing. Er verglich eine Reihe von Übersetzungen ausgewählter Kapitel und fertigte deutsche und hebräische Rohübersetzungen einiger Texte an. 14 Seine Notizen stammen wahrscheinlich aus der Zeit, als er an der hebräischen Übersetzung von acht Kapiteln aus dem Daodejing arbeitete, die 1942 veröffentlicht wurde. 15 Wie diese Notizen so reflektieren auch die von ihm ausgewählten Kapitel Bubers Interesse an verschiedenen Regierungsformen und der Stellung des Herrschers. Die Vorliebe für diese Thematik wurde bereits im Jahr 1924 deutlich, als Buber eine Reihe von Vorlesungen über das klassische daoistische Werk hielt. 1944 veröffentlichte er schließlich einen Essay über chinesische Philosophie, der dem hebräischen Leser zum ersten Mal die Ideen des Konfuzius (551-479 v. Chr.) 16 und anderer bedeutender Denker zugänglich machte. 17 Die folgenden Seiten behandeln vor allem die von Buber ins Deutsche und Hebräische übersetzten Werke, die chinesischen Werke und Konzepte, über die er sprach, und die von ihm hierfür benutzten chinesischen Quellen. Die Kommentare zu Bubers Schriften gehen auf einige der Über13. MBA Arc. Ms. Var. 350, Bet 50b, Notizen über chinesische Philosophie. 14. MBA Arc. Ms. Var. 350, Bet 45a, Notizbuch mit Übersetzungen ins Hebräische und Deutsche. 15. Martin Buber, Laozi al ha-Shilton (Lao-Tse über die Regierung), Hapoel Hatzair 35, Heft 31-32 (Mai 1942), S. 6-8. 16. Konfuzius ist der von den Jesuiten, die im 17. Jahrhundert in Teilen Chinas Missionen errichteten, latinisierte Name des Kongzi, oder Meister Kong. 17. Die deutsche Übersetzung des Essays unter dem Titel »Weisheiten aus China«, siehe in diesem Band, S. 290-297.

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setzungsprobleme aus dem Chinesischen ein, die sich durch das Übersetzen aus Zweitsprachen ergeben.

1. Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse In seiner Vorbemerkung zu der Ausgabe von Reden und Gleichnisse aus dem Jahr 1951 schrieb Buber, er habe beschlossen, Teile aus dem Werk zu übersetzen, um einerseits damit seinen Essay über Daoismus zu ergänzen, der dann in Reden und Gleichnisse als »Nachwort« erscheint, und weil es im Jahr 1910 noch keine deutsche Übersetzung des Zhuangzi gegeben habe. Buber wurde von »chinesischen Mitarbeitern« unterstützt und nahm Übersetzungen aus dem Englischen zu Hilfe. 1918 und 1951 erschienen überarbeitete Neuauflagen, das »Nachwort« blieb jedoch seit der Erstausgabe nahezu unverändert. 18 Buber erwähnt die Namen seiner »chinesischen Mitarbeiter« nicht, erkennt jedoch den Beitrag von Willy Tonn (1902-1957) an der überarbeiteten 1951er-Ausgabe an. Was ist das Zhuangzi? Bekannt geworden durch den Namen seines angeblichen Verfassers Zhuangzi (365-290 v. Chr.) wird es, zusammen mit dem Daodejing, als das bedeutendste klassische daoistische Werk betrachtet. Darüber hinaus erwarb es sich den wohlverdienten Ruf eines großen literarischen Meisterstücks, das einen unvergänglichen Einfluss auf die chinesische Literatur ausübte. Eine Beschreibung des Buches ist jedoch nicht einfach. In Bezug auf die ersten acht Kapitel schreibt Angus C. Graham, das Werk habe: »irreverent humour and awe at the mystery and holiness of everything, intuitiveness and subtle, elliptical flights of intellect, human warmth and inhuman impersonality, folkiness and sophistication, fantastic unworldly raptures and down-toearth observations, a vitality at its highest intensity in the rhythm of the language which celebrates death, an effortless mastery of words and a contempt for the inadequacy of words, an invulnerable confidence and a bottomless scepticism.« 19

Wer Zhuangzi war, der dieses Meisterwerk verfasst haben soll, ist nicht sicher. Nach dem großen Historiker der Han Dynastie, Sima Qian (ca. 145- ca. 89 v. Chr.), lebte Zhuang Zhou (d. h. Zhuangzi) um 300 v. Chr. und wurde im Staat Song im Norden Zentralchinas geboren. Wie andere Philosophen jener Zeit bereiste er verschiedene Staaten, in die China da18. Martin Buber, Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, Deutsche Auswahl von Martin Buber, neu revidierte Aufl., Zürich: Manesse Verlag 1951, S. 5-6; in diesem Band, S. 51-131. 19. Angus C. Graham, Chuang-Tzu. The Inner Chapters, London u. Boston 1989, S. 4.

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mals aufgeteilt war, und schrieb ein Buch mit 100 000 Worten. 20 Ob der Verfasser tatsächlich so wunderbar witzig, spöttisch und pietätlos wie auch tiefgehend war, wie das Buch suggeriert, bleibt unserer Fantasie überlassen. Das Zhuangzi, so wie es uns heute vorliegt, wurde wahrscheinlich nicht von einer einzigen Person verfasst. Wissenschaftler sind sich im Allgemeinen einig, dass sich der Inhalt aus einer Reihe von Varianten des Daoismus aus der Zeit des 4. bis 3. Jahrhundert v. Chr. zusammensetzt. Im Laufe der Zeit wurde das Buch von verschiedenen Lektoren überarbeitet, und die heutige Version mit 33 Kapiteln ist das Werk von Guo Xiang (ca. 252-312), der eine längere Version mit 52 Kapiteln zusammengekürzt sowie einen Kommentar verfasst hatte. 21 Das Buch besteht aus drei Teilen: Die ersten acht Kapitel gelten als die »inneren« bzw. die authentischsten, Kapitel 9 bis 22 als die »äußeren«, während Kapitel 23 bis 33 als »gemischt« betrachtet werden. Angus C. Graham bezweifelt, dass die »äußeren« Kapitel von Zhuangzi stammen. Die »gemischten« Kapitel enthalten einige Materialien von Zhuangzi sowie andere Varianten des Daoismus. 22 Diese kurze Beschreibung erklärt jedoch nicht, wie und warum die Texte im Laufe der Zeit verändert wurden, oder wie der Originaltext ausgesehen haben mag. Victor Mairs Untersuchung des Zhuangzi, die das Werk vor allem als literarischen Text behandelt, legt die Vermutung nahe, dass der Originaltext größtenteils aus relativ kurzen Parabeln und Fabeln bestand. 23 Bubers Textauswahl für die deutsche Übersetzung, die eher lebhafte Geschichten als schwerfällige Passagen bevorzugt, lässt bei ihm eine ähnliche Annahme wie die Mairs vermuten. In jedem Fall ließen sich weder die chinesischen Autoren oder Lyriker im Verlauf der Jahrhunderte noch in unserem Fall Buber von Fragen der Authentizität verunsichern und fanden im gesamten Zhuangzi Anregung und Inspiration. Für seine deutsche Übersetzung stützte sich Buber fast ausschließlich auf die englische Übersetzung von Herbert Giles (1845-1935).24 Bubers 20. Sima Qian, Shiji (Records of the Historian/Historische Annalen), jüan 63, in: Ershi wushi (Twenty-five histories/25 Geschichten), Shanghai 1934, Bd. I, S. 180-181. 21. Graham, Chuang-Tzu, S. 27; siehe auch, Fung Yu-Lan, Chuang Tzu. A New Selected Translation with an Exposition of the Philosophy of Kuo Hsiang, Shanghai 1933. 22. Graham, Chuang-Tzu, S. 28-29; Burton Watson, The Complete Works of Chuang Tzu, New York u. London 1968, S. 13-16. 23. Victor H. Mair, Wandering on the Way, Early Taoist Tales and Parables of Chuang Tzu, Honolulu 1994, xxxviii. 24. Herbert A. Giles, Chuang Tzu: Mystic, Moralist and Social Reformer, London 1889; 2. überarb. Aufl. Shanghai 1926; Reprint: Chuang Tzu: Taoist Philosopher and Chinese Mystic, London 1961. Für Vergleiche im folgenden Text benutze ich die Ausgabe aus dem Jahr 1961.

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Abweichungen von Giles’ Text beruhen auf James Legges gelungenerer Wiedergabe.25 Buber verfügte auch über die Hilfe von Wang Jingtao, eines Chinesischlehrers, der seit 1907 in Berlin lebte. 26 In Verbindung mit einer Übersetzung Bubers aus der chinesischen Literatur, die Geister- und Liebesgeschichten, werde ich wieder auf Wang zurückkommen. Buber übersetzte keine der Kapitel aus dem Zhuangzi vollständig; manchmal strich er sogar beträchtliche Passagen aus den von ihm ausgewählten Texten. Im Allgemeinen vermied er diskursive Passagen und übersetzte lieber die Geschichten als Zhuangzis Erklärungen zu Beginn eines Kapitels bzw. an Übergangsstellen innerhalb und zwischen den Kapiteln. Er verwendete auch nicht Giles’ extensive, interlineare Erläuterungen – Giles hatte hier die übliche Form der chinesischen Kommentar-Tradition übernommen –, sondern lieferte stattdessen eine gelegentlich kurze Anmerkung. Insgesamt übersetzte Buber 22 Passagen aus den »inneren« Kapiteln, 30 aus den »äußeren« und nur zwei aus den gemischten Kapiteln. Jeder dieser Passagen gab er einen eigenen Titel. Bubers Übertragungen stellen in manchen Fällen eine Verbesserung von Giles’ Version dar. Da er sich auch auf Legges Übersetzung stützte, orientieren sie sich enger am chinesischen Text als Giles’ Übersetzung. Aber es gibt auch viele Fälle, in denen er durch seine wortwörtliche Übersetzung aus dem Englischen Giles’ Fehler wiederholt. In vielen anderen Fällen bewährte sich Buber jedoch als kritischer Übersetzer. Obwohl er mit einer Zweitübersetzung arbeitete, scheint er oft von einem intuitiven Verständnis des chinesischen Textes geleitet worden zu sein. Die Übersetzung Legges hat ihm dabei sicher geholfen. In den von ihm übersetzten Passagen erfasste er zweifellos den Geist des Zhuangzi, wenn auch nicht immer alle komplizierten Details. Es muss jedoch in Betracht gezogen werden, dass Buber zum Zeitpunkt der Übersetzung bereits mit der deutschen und anderen Übersetzungen des Daodejing wie auch mit Legges

25. James Legge, The Writings of Kwang-Zze, in: The Sacred Books of China. The Texts of Tâoism, London 1891, Teil I, S. 164-232, Teil II, S. 1-232. 26. Ein gebürtiger Shanghaier, war Wang Jingtao zu dieser Zeit Gastgelehrter am Seminar für Orientalische Studien der Berliner Universität. Er wurde durch Walter Strzoda, einem Übersetzer chinesischer Literatur, mit Buber bekannt gemacht und fertigte dann in Buber Auftrags wörtliche Übersetzungen ausgewählter chinesischer Texte an. (Siehe Wangs Briefe an Buber vom Februar und November 1909, MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:1, 2, 4-8). Buber entwarf einen Vertrag, der die Bedingungen von Wangs Dienstleistungen und sein Honorar regelten. Die Übereinkunft wurde von beiden am 28. April 1909 unterzeichnet (MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:3). Siehe auch Jonathan R. Herman, The Mysterious Mr. Wang: The Search for Martin Buber’s Confucian Ghostwriter, in: Journal of Chinese Religions 37 (2009), S. 73-91.

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und Paul Carus’ (1852-1919) extensiven Kommentaren zu diesem Werk vertraut war. 27 Im Großen und Ganzen illustriert Bubers Auswahl von Passagen aus dem Zhuangzi die Ideen, die er im »Nachwort« ausführt. Bei diesem Nachwort handelt es sich um eine zutiefst poetische Erklärung in wunderbar reichhaltiger und suggestiver Sprache. In späteren Jahren distanzierte sich Buber von diesem Aufsatz und erklärte, er sei der »mystischen Phase« seiner Entwicklung zuzuordnen.28 Die Tatsache, dass das Nachwort den Ideen des Daodejing mehr Aufmerksamkeit widmete als den Ideen des Zhuangzi, mag daran liegen, dass Buber das Daodejing als die Quelle des Daoismus betrachtete, nach der keine weiteren originalen Beiträge zur Entwicklung des Daoismus mehr geleistet wurden. So ordnete er Zhuangzi in dem Aufsatz die rangniedrigere Position des »Apostels« zu mit den Worten: »Tschuang-Tse war ein Dichter. Er hat die Lehre, wie sie uns in den Worten Lao-Tses gegeben ist, nicht ›weitergebildet‹, aber er hat sie zur Dichtung ausgestaltet.« 29 Buber machte also deutlich, dass Zhuangzi kein unabhängiger Philosoph war und bestritt somit einen innovativen und originellen Beitrag Zhuangzis zur chinesischen Philosophie. 30 In seinem gesamten Nachwort verfolgt Buber das Hauptthema der »Einheit« als »den Weg der Lehre« oder die »Dao-Lehre«, die der »zentrale Mensch«, »der Erfüllende« oder »Vollendete« in sich selbst erkennt. Das Verständnis von »Einheit« erlaubt einem Menschen die Fülle der phänomenalen Welt zu verstehen und diese Art von Verständnis erlaubt ihm auch, sich richtig zu verhalten, bzw. erlaubt ein authentisches Verhalten in der Welt. Ein derartiges Verhalten ist »tun Nicht-tun« (wei wuwei). Bubers Betonung auf der mystischen Wahrnehmung der DaoEinheit führt dazu, dass er epistemologische Fragen, die immanenten Mängel menschlicher Wahrnehmung und Worte, die auch Zhuangzi be27. Paul Carus, Lao-tze’s Tao-Teh-King. Chinese-English, with an introduction, transliteration, and notes, Chicago 1898; Legge, The Dao Te King, in: The Sacred Books of China. Texts of Tâoism, S. 47-124. Buber wies auch darauf hin, dass er mit einer Reihe von chinesischen Kommentaren vertraut war, auf die er vielleicht durch Wang Jingtao und/oder andere chinesische Bekannte in Berlin aufmerksam gemacht worden war. Er sagte jedoch nicht, um welche Kommentare es sich dabei handelte. In jedem Fall existierten zu jener Zeit weder Übersetzungen von Guo Xiangs bedeutendem Kommentar über das Zhuangzi noch von Wang Bis Kommentar (226-249) über das Daodejing. 28. Martin Buber, Foreword, in: Maurice S. Friedman (Hrsg., Übers.), Martin Buber: Pointing the Way. Collected Essays, London: Routledge and Kegan Paul 1957, S. ix-x. 29. Martin Buber, Nachwort, in: ders., Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, Leipzig: Insel-Verlag 1910, S. 82-117, hier S. 116. 30. Zusammengefasst aus meiner Einleitung, in: Buber, Chinese Tales, S. xiv-xv.

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schäftigten, weniger beachtet. Dass Wissen immer durch sein Gegenteil bedingt ist, d. h. der Relativismus unseres Wissens, ist ein wichtiges Thema im Zhuangzi. Trotz der Tatsache, dass Zhuangzis Ansichten über Herrscher und Herrschen im Allgemeinen negativ waren, nahm Buber eine kurze Diskussion über dieses Thema in sein »Nachwort« auf, in der er darlegte, dass der »geeinte« Mensch der echte Herrscher sei. Da sich Laozi (5. Jh. v. Chr.) mit dieser Frage beschäftigt hatte, stammen Bubers Zitate eher aus dem Daodejing als aus dem Zhuangzi. Buber sah den Herrscher als denjenigen, der Dao in der Welt verwirklicht. Zhuangzi würde sich vielleicht über diese Vorstellung lustig gemacht haben: Seiner Meinung nach muss sich der Herrscher mit Dao, der Welt und aller Kreatur vereinen. Zeigt dieser Aufsatz, wie Jonathan Herman behauptet, Spuren eines »proto-dialogischen Denkens«, das Buber später weiterentwickeln sollte? 31 Vielleicht. 32 Wichtiger jedoch ist die Tatsache, dass Bubers damalige Beschäftigung mit den Ideen des Daoismus seine eigene philosophische Position reflektierte und dass er, wie Zwi Werblowsky zeigt, hinsichtlich dessen, was er in diese Position zu integrieren gewillt war, höchst selektiv verfuhr. 33 Buber ging es bei der »Lehre« nicht um eine Akkumulation von Wissen, sondern um einen Weg, eine wirklich geeinte Persönlichkeit zu erlangen; um die Lehre als etwas Einheitliches, wie sie von jemandem gelebt wird, der nicht mehr zwischen sich selbst und der Welt unterscheidet. Maurice Friedman trifft genau diesen Punkt, wenn er sagt, »this essay focuses not upon mystical experience but upon a central teaching and a central person. The teaching is a simple whole which includes all of one’s life.« 34 Obwohl die Auswahl der Zhuangzi-Passagen, wie Buber schrieb, durch seine im Nachwort dargelegten Ansichten bestimmt wurde, handelt es sich bei dem Aufsatz dennoch zum großen Teil um eine unabhän31. Jonathan R. Herman, I and Tao, Martin Buber’s Encounter with Chuang Tzu, Albany 1996, S. 113-115. 32. In einem Brief an Max Brod vom 6. Dezember 1913 erklärte Buber, dass das Konzept der »Verwirklichung«, wie er in seinem kürzlich veröffentlichten Buch Daniel. Gespräche von der Verwirklichung (Leipzig 1913) entwickelt hatte, nicht mit »Ekstase« verwechselt werden sollte. »Die Ekstase ist episodisch-isolierend …, die Verwirklichung dauernd-verbindend. In der Verwirklichung sind Erkenntnis und Ethos verschmolzen: der Mensch kann die Welt nur erkennen, indem er sie tut.« (B I, 350) Dann verweist er Brod auf Zhuangzi, wie er in seiner Ausgabe der Daoistischen Lehren zitiert wird: »Die Erkenntnis des Vollendeten ist nicht in seinem Denken, sondern in seinem Tun.« (B I, 351) Dieses wird das beherrschende Thema in Bubers Denken in allen Phasen seiner Entwicklung bleiben. 33. R. J. Zwi Werblowsky, Buber and the East Asian Religions, in: Paul Mendes-Flohr (Hrsg.), Martin Buber: A Contemporary Perspective, Jerusalem u. Syracuse 2002, S. 116-173, hier S. 166 f. 34. Maurice Friedman, Martin Buber’s Life and Work, Detroit 1988, S. 88.

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gige Darstellung. Dies mag der Grund dafür sein, dass er ohne die übersetzten Passagen aus dem Zhuangzi wiederholt nachgedruckt wurde. Einige Jahre vor seinem Tode versammelte der achtzigjährige Buber seine Gesammelten Schriften in drei Bänden. Im »Vorwort« zu seinen Schriften zur Philosophie stellt er fest, dass seine Schriften zur chinesischen Philosophie eine entscheidende Stufe in seiner intellektuellen und geistigen Entwicklung markieren, ohne die er seine endgültige Stellung nicht hätte erreichen können. »[Ich] habe … auch einen Essay aufgenommen, der mir seit langem in einer eigentümlichen Ferne erscheint, ›Die Lehre vom Tao‹ (1909) [der ein Teil des Nachwort zum ›Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse‹ ist], und zwar deshalb, weil hier zulänglicher als irgendwo anders ein frühes Stadium meines Wegs sich darstellt, ohne das es hier einen Weg wohl überhaupt nicht gegeben hätte.« 35 In Ich und Du bezieht er sich ausführlich auf Hinduismus, Buddhismus und insbesondere auf Daoismus, um das dialogische Prinzip zu illustrieren. Auch in seinen späteren Publikationen verfährt er weiterhin in ähnlicher Weise. Wie Robert Wood in seiner umfassenden Übersicht über die vororientalischen Themen in Bubers Schriften bemerkt: »even after he reached his mature thought, in the 1928 lecture on ›China and Us,‹ he claimed that, while we in the West could no longer fully appropriate the Confucian side of the Chinese tradition, we could still learn much the Taoist side.« 36 Das erklärt auch, warum Buber, obwohl er ganz allgemein ein waches Interesse für Forschungen über chinesische und indische Religion behielt, sich in besonderer Weise für Studien zum Daoismus interessierte, wie seine Würdigung beim Tode Karl Erich Neumanns (1865-1925) belegt, der als erster den Pali Kanon oder Tripitaka, die frühesten Buddhistischen Schriften überhaupt, ins Deutsche übersetzte. Buber zitiert eine Passage aus Neumanns Übersetzung des Laozi, um dann festzustellen: »Von hier aus fühlen wir wohl am stärksten, wie Bedeutendes wir Karl Eugen Neumann verdanken, der uns die Echtheit Buddhas (um 560-480 v. Chr.), um die sich alle Umschreibung vergeblich bemüht, durch Wiedererzeugung seines Worts aus dem Deutschen, ›mit den zehntausend Werkzeugen einer altbegüterten Sprache betraut‹, dar- und nahegebracht hat. Ihm war es wie dem Meister, dem er diente, um die Wahrheit, die Heilswahrheit des Menschen, zu tun, eben nicht die Wahrheit eines Wissens- oder Glaubensinhalts, sondern um die Wahrheit des Wesens, des Worts, des ›Wegs‹. Weil dem 35. Werke I, S. 8. 36. Robert Wood, »Oriental Themes in Buber’s Work«, in: Haim Gordon u. Jochanan Bloch (Hrsg.), Martin Buber. A Centenary Volume, New York 1984, S. 325-350, hier S. 332.

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aber so war, vermochte er, nichts anderem als der Treue zur Wahrheit als zur Echtheit ergeben, auch ihre schicksalhafte Prägung, die Aussprache der Person, im Stoff unserer Sprache neu auszubilden.«37 Diese Worte finden ihr Echo in Ich und Du: »Wie alle rechten Lehrer, will [Buddha] keine Lehre, will er keine Ansicht, sondern den Weg lehren.« 38 In der Tat wird in diesem grundlegenden Werk von Bubers Philosophie des Dialogs den Lehren Buddhas ausführliche Aufmerksamkeit gewidmet, während die einzigen jüdischen Lehrer, die erwähnt werden, – und auch das nur nebenbei – Jesus und Petrus sind. Gegen Ende seines Lebens wurde Buber gefragt, wie er seine Philosophie charakterisieren würde. Er antwortete mit den Worten: »Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus. Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch.« 39 In ganz ähnlicher Weise zitiert er in seinem frühen Essay »Die Lehre von Tao« von 1909 Laozi: »Alle streben zu ergreifen, was sie noch nicht wissen, keiner strebt zu ergreifen, was er weiß.« 40 Bubers erster Ausflug in die chinesische Philosophie wurde allgemein enthusiastisch aufgenommen. Wilhelm v. Scholz schrieb, das Buch sei voller Leben und Schönheit und könne selbst von jemandem, der weder mystische noch philosophische Interessen habe, genossen werden. 41 Moritz Heimann pries Bubers Übersetzung als »voll, stark und weich, wie jede Zeile uns lehrt.« In Zhuangzi, so glaubte er, war Laozis Dao wiedergeboren. 42 Für Julius Hart (1859-1930) war die Lehre von der Einheit eine der wichtigsten Aussagen des Buches, und er setzte »Einheit« mit Gott gleich: »Dass hier Gott spricht, das macht eben den Glauben und das Selbstbewusstsein des Orientalen aus, des Gnostikers und Mystikers, des absoluten Einheitsbekenners.«43 Die orientalistische Überschwänglichkeit, mit der ein Kritiker Zhuangzi großzügigerweise mit den Upa37. Martin Buber, Schlichtung. Zum Gedächtnis an den Indologen K. R. Neumann, in: Frankfurter Zeitung, 18. Oktober 1925, Nr. 777, Erstes Morgenblatt, S. 1; in diesem Band, S. 282 f. 38. Martin Buber, Ich und Du, Leipzig: Insel Verlag 1923, S. 109. 39. Martin Buber, »Aus einer philosophischen Rechenschaft«, in: Werke I, S. 1109-1122, hier S. 1114. 40. Werke I, S. 1037; in diesem Band, S. 113. 41. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 48, Wilhelm v. Scholz, Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, in: Münchner Neueste Nachrichten, 15. April 1912, S. 3. 42. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 48, Moritz Heimann, Anmerkungen zu Bubers »Tschuang-Tse«, in: Die Neue Rundschau, Fünftes Heft, Mai 1911, S. 712-716. 43. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 48, Julius Hart, Reden und Gleichnisse des Tschuang Tse, in: Der Tag, Nr. 38, 14. Februar 1911.

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nischaden und dem Neuen Testament gleichsetzte 44 , wurde jedoch nicht von allen geteilt. Im Gegensatz zu Werner Haefcke, demzufolge Bubers Nachwort ein Meisterwerk sei 45 , behauptete ein anderer Rezensent kategorisch, es habe wenig mit Zhuangzi zu tun. Er kritisierte ebenfalls andere zeitgenössische deutsche Übersetzer, die aus dem Chinesischen »übersetzt« hatten, ohne des Chinesischen mächtig zu sein. Wenn auch das Interesse an einer wissenschaftlichen Sinologie lobenswert sei, erklärte der Rezensent, so sei es notwendig, den Wert von Übersetzungen wie der Bubers in Frage zu stellen, der uns glauben machen wolle, er habe den Originaltext gründlich studiert. 46 Aber es gab auch andere, wie z. B. den Philosophen Georg Simmel (1858-1918), der die philosophischen Implikationen von Bubers Nachwort erkannte. Und Shmuel Hugo Bergmann (1883-1975) machte weitsichtig darauf aufmerksam, dass das Konzept von Nicht-tun dem Judentum und dessen Forderung nach Handlung Schwierigkeiten bereite. Wäre es nicht viel eher so, schrieb Bergmann in seinem Brief an Buber, dass anstatt der besänftigten Seele, »nur die Unzufriedenheit, ja die Verzweiflung Kraft zur Tat […] verleihen [kann]?!« 47 Obwohl man dem Rezensenten, der Buber wegen dessen Übersetzung aus einer Zweitsprache rügte, zustimmen muss, so muss man doch anerkennen, dass Bubers Übersetzung des Zhuangzi den deutschen Leser zum ersten Mal mit den Ideen des chinesischen Philosophen bekannt machte. Das Nachwort repräsentierte darüber hinaus einen Versuch, daoistisches Gedankengut in einen größeren philosophischen Diskurs zu integrieren und muss als Bubers erste Auseinandersetzung mit und Reaktion auf einige der Vorstellungen des philosophischen Daoismus betrachtet werden. 48 Es sollte nicht das letzte Mal sein. Vierzehn Jahre später wandte er sich wieder daoistischer Philosophie, diesmal dem Daodejing, zu, wie im weiteren Verlauf der Einführung deutlich werden wird. Bevor wir jedoch das Thema des Daoismus weiterverfolgen, soll Bubers zweites Überset44. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 48, Alfred Frhr. v. Mensi, Lao-tsze und Tschuang-Tse, in: Allgemeine Zeitung, 11. Februar 1911, S. 94 f. 45. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 48, Werner Haefcke, Schriftenbesprechungen, in: Ethische Rundschau (März/April 1914), S. 46 f. 46. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 48, Bücherbesprechungen. Schöne Literatur, in: Kölnische Zeitung, 26. März 1911, Nr. 335, Sonntagsausgabe. Erstes Blatt, S. 2. 47. Martin Buber, B I, S. 287 u. 514-515. Simmels Brief an Buber ist auf den 14. Februar 1910 datiert; Bergmanns ist auf den 28. Februar 1917 datiert und bezieht sich auf die zweite Ausgabe. 48. Weit davon entfernt die Arbeit aus vor fast einem halben Jahrhundert auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen zu wollen, schrieb der Rezensent der Ausgabe aus dem Jahr 1951, dass Bubers Begegnung mit Zhuangzi ein »schriftliches Zeugnis von erregender Tiefe« ergeben habe. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 48, Wb., Aus der ManesseBibliothek, in: Neue Zürcher Zeitung, 25. März 1951, S. 3 f.

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zungsprojekt betrachtet werden: eine Sammlung von Kurzgeschichten aus dem 18. Jahrhundert.

2. Chinesische Geister- und Liebesgeschichten Schriften über seltsame oder außergewöhnliche Erscheinungen haben eine lange Tradition in China. Einige dieser Texte, die sich mit diesem Thema beschäftigen, sind im Laufe der Zeit verschwunden und heute nur mit ihren in anderen Werken erwähnten Titeln bekannt. Viele dieser über 1500 Jahre alten Texte existieren jedoch bis heute in immer wieder neu aufgelegten Ausgaben.49 Als Pu Songling die ungefähr fünfhundert Geschichten niederschrieb, die das Liaozhai ausmachen, schuf er damit kein völlig neues Genre. 50 Aber in die Komposition seiner Geschichten brachte er seine einzigartige Erzählbegabung, literarische Fantasie und einen meisterhaften eleganten Stil in der klassischen Sprache jener Zeit ein, der diese Geschichten von früheren unterscheidet. Das Liaozhai war zu Pus Lebenszeit in der Form von handschriftlichen Kopien weit verbreitet und wurde erst 1766, viele Jahre nach seinem Tod, gedruckt. Die Geschichten dieser Sammlung erfreuen sich seit jeher großer Beliebtheit, und bis zum heutigen Tag basieren Comics, Filme und Theaterstücke in China auf vielen dieser Geschichten. Es war die vertraute Beziehung zwischen der Geisterwelt und dem Diesseits, die Buber an diesen Geschichten so faszinierte. 51 Pu Songlings Leben veranschaulicht die Schwierigkeiten und Enttäuschungen tausender gebildeter Menschen in der Qing Dynastie (16441912). Er hatte die offiziellen Prüfungen nicht bestanden und konnte aus diesem Grund keine Stelle in der kaiserlichen Bürokratie erlangen. Den Großteil seines langen Lebens war Pu auf unbedeutende Posten als Sekretär eines Beamten oder Lehrer in einem Adelshaushalt verbannt. Nichtsdestotrotz war er ein sehr produktiver Schriftsteller, der Gedichte, Essays und Musikdramen verfasste sowie auch eine Reihe von Nachschlagewerken. 52 Während ihm jedoch keines dieser Werke zu Lebzeiten Ruhm 49. Eine umfassende Liste von Berichten allein aus der Zeit vor der Tang-Epoche, siehe in: Robert Ford Campany, Strange Writing, Anomaly Accounts in Early Medieval China, Albany 1996, S. 32-100. 50. Chun-Shu Chang und Shelley-Hsueh-Lun Chang, Redefining History. Ghosts, Spirits and Human Society in P’u Sung-ling’s World, 1640-1715, Ann Arbor 1998, S. 2 u. 216, Anm. 4. Die Autoren schreiben Pu fünfhundert Geschichten zu; andere Autoren zählen jedoch etwa 490. 51. Grete Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus, Göttingen 1966, S. 64. 52. Chang and Chang, Redefining History, S. 65.

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oder Ehre brachte, war es Pus Prosa – von den Kritikern jener Zeit als nicht ernstzunehmende literarische Arbeit disqualifiziert –, die seinen Namen in den literarischen Annalen unsterblich machen sollte. Im Jahr 1670 begann er, die Geschichten aufzuzeichnen; 1678 vollendete er eine erste Version. Um 1706 schloss er die gesamte Sammlung ab. Es dauerte dann noch weitere fünf Jahre, bis das Buch seine endgültige Form gefunden hatte. Pu Songling widmete also den Großteil seines Erwachsenenlebens der Niederschrift dieser Geschichten. 53 Und doch betrachtete er sich nicht als ein Verfasser von Prosa (xiaoshuo oder small talk), sondern eher als jemand, der in die Fußstapfen von Chinas erstem großen Historiker, Sima Qian, trat. Während sich Sima Qian selbst als den »großen Historiker« (taishi) bezeichnete, wenn er in seinen Historischen Aufzeichnungen (shiji) Ereignisse oder Personen kommentierte, so schrieb Pu seine Kommentare zu den Geschichten als ein »Historiker des Seltsamen« (yishi shi). 54 Auch seine Schreibmethodik ähnelte der der chinesischen Historiographie. Wie Pu seinen Lesern im Vorwort dieser Sammlung berichtet, sammelte und schrieb er die Geschichten auf, die ihm Menschen erzählt oder geschickt hatten, d. h. er trug die »faktischen Daten« zusammen, die das Auftreten seltsamer Erscheinungen beschrieben. Darüber hinaus bezeichnet er immer den genauen Ort, an dem ein seltsames Ereignis stattgefunden haben soll. Auch wenn zu Pu Songlings Zeiten die exakte Bestimmung des Ortes bereits zu einem festen, literarischen Element geworden war, so bekräftigte die Erwähnung bekannter Ortschaften doch zusätzlich die scheinbare Glaubwürdigkeit der Geschichten und etablierte deren historischen Bezug. Außer der historischen Tradition stützte sich Pu Songling für die Komposition der Geschichten auf zusätzlich vorhandene literarische Quellen. Eine dieser Quellen waren lose zufällige Notizen (biji), die Gelehrte gerne über eine Reihe von Begebenheiten ihres alltäglichen Lebens zu machen pflegten. Die andere Quelle bestand aus Romanzen (chuanqi), einem Korpus von Kurzgeschichten, der zuerst in der Tang-Dynastie (618-906) erschienen war. Die Hauptquellen für die Liaozhai Geschichten bildeten jedoch mündlich überlieferte Erzählungen sowie Erzählungen, die andere aufgeschrieben und ihm zugeschickt hatten. Pu Songlings Ziel war jedoch nicht die Dokumentation authentischer Materialien. Im Gegen53. Ebd., S. 68-69. 54. Siehe die einfühlsame Diskussion über Pus Annahme dieses Titels in: Judith T. Zeitlin, Historian of the Strange, Pu Songling and the Chinese Classical Tale, Stanford 1993, S. 1-2.

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teil, in den meisten Fällen schrieb er das Material um und produzierte so ein gänzlich neues literarisches Narrativ in klassischem Chinesisch mit einer neuen intellektuellen Perspektive. Aus diesem Grund sind die Geschichten, obwohl sie sich mit imaginären Ereignissen beschäftigen, nicht mit den Märchen der Brüder Grimm vergleichbar, die bestrebt waren, die Volkslegenden möglichst authentisch wiederzugeben.55 Auch wenn sich die Geschichten durch ihre Anzahl und Vielfalt jeder Klassifikation entziehen, so kann man sie doch einer Reihe übergeordneter Kategorien zuordnen. In vielen Fällen überschneiden sich diese allerdings, und eine Geschichte kann gleichzeitig einer oder mehrerer Kategorien angehören. U. a. sind folgende Kategorien zu unterscheiden: (1) Traumgeschichten, in denen der Protagonist im Traum ein anderes Leben betritt. (2) Geistergeschichten, in denen ein Geist sich in eine lebende Person verliebt. (3) Geschichten über Götter, die sich für lebende Menschen einsetzen. (4) Geschichten, die in verschiedenen Welten spielen und in denen der Protagonist einige Zeit in einer der Welten verbringt. 56 Die Kategorie Liebe wurde hier nicht aufgenommen, weil Liebe in ihren vielen Formen (Verlangen, Leidenschaft, Besessenheit usw.) im Liaozhai wie in den literarischen Werken des 17. bis 18. Jahrhunderts ein durchgehendes Motiv darstellt. Dass Pu ein überzeugter Romantiker war, wird von den meisten Fachleuten bestätigt. 57 Wahre Liebe, so scheint er wiederholt gesagt zu haben, ist im Diesseits nicht möglich und kann nur dann gedeihen, wenn die Liebenden im Jenseits vereint werden. Wahre Liebe verlangt von den Individuen, sich selbst zu behaupten. Individuelle Wünsche jedoch in einer Welt zu äußern, die die Verpflichtung gegenüber der Familie, die Kindespflicht (xiao) und die Konformität als etablierte Normen betont, kann nie zu individueller Selbstbehauptung führen. Nur wo diese und andere gesellschaftliche Verpflichtungen nicht mehr gültig sind, können Individuen frei und wahrhaftig lieben. 58 Diese beiden Themen, Liebe und Geister, sind daher miteinander verwoben, und es ist nicht überraschend, dass Buber ausgerechnet sie für den Titel seiner Sammlung auswählte. Der chinesi-

55. Chang und Chang, Redefining History, S. 76-77. 56. Judith T. Zeitlin, Historian of the Strange diskutiert zwei weitere Kategorien: »Besessenheit« und »Geschlechtsverwirrung«, von denen die letztere Kategorie, S. 98-113, für einen Blick auf Pu Songlings Meinung über Frauen von besonderem Interesse ist. 57. Chang und Chang, Redefining History, S. 99-101 u. 187-189. 58. Chih-Tsing Hsia, The Classic Chinese Novel. A Critical Introduction, New York u. London 1968, S. 291-321. Hsia diskutiert das Dilemma in Bezug auf das Selbst und die Gesellschaft.

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sche Titel ist jedenfalls nicht leicht zu übersetzen, wie Buber in der Einführung erwähnt, und Übersetzer haben seit jeher ihren Übersetzungen eine ganze Reihe unterschiedlicher Titel verliehen. Bubers Übersetzung der Geschichten Pu Songlings war nicht deren erste deutsche Übersetzung – eine frühere erschien 190159 – es war jedoch Bubers Schrift, die damals allgemein Beachtung fand. Er war anscheinend mit der früheren Publikation vertraut, wenn es auch – nach der Einführung zu seiner Übersetzung zu urteilen – vor allem Wang Jingtao gewesen war, der ihn auf die Liaozhai Erzählungen aufmerksam gemacht hatte. Zu welchem Zeitpunkt genau sich Buber und Wang zum ersten Mal begegnet waren, ist nicht klar. Im Frühjahr 1909 waren die beiden jedoch in engem Kontakt. Wang stammte aus Schanghai und war seit Februar 1907 als Lektor oder Sprachlehrer am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin tätig, wo er bis Dezember 1911 blieb. Seine Interessen scheinen eher politischer als philosophischer oder literarischer Natur gewesen zu sein, was einige der Auslassungen und Ungenauigkeiten in Bubers Übersetzungen zu erklären vermag. 60 Nach seiner Rückkehr nach China hatte er eine Art offizielle Position in der gerade gegründeten republikanischen Regierung inne. 61 Wang besorgte Buber offensichtlich Giles’ englische Übersetzung des Liaozhai. Eine Postkarte vom 14. April 1909 bezeugt, dass er Buber ein Buch von Giles geschickt hat. 62 Buber und Wang mögen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem gemeinsamen Übersetzungsprojekt entschlossen haben, das dann jedoch nicht zustande kam. Wang erhielt ein Honorar für die Geschichten, die 59. Gustav Gast (Hrsg.), Chinesische Novellen, übers. von Li te-schun, Leipzig u. Wien 1901. Das Buch umfasst zwölf Geschichten. Vier weitere Geschichten erschienen im Jahr 1904 in: Die Welt des Ostens, einer wöchentlich erscheinenden Beilage der Deutsch-Asiatische(n) Warte. Ich danke Dr. Hartmut Walravens für diese Information. 60. Im Jahr 1912 veröffentlichte Wang Confucius and new China. Confucius’ Idea of the State and its Relation to the Constitutional Government, Shanghai 1912. Das Vorwort ist mit »Nanking Bureau of Foreign Affairs« unterschrieben. Ziel des Buches war es zu zeigen, dass der Konfuzianismus mit einer konstitutionellen Regierung zu vereinbaren ist; ein Thema, das Wang bereits lange vor der chinesischen republikanischen Revolution im Jahr 1911 interessiert haben muss. Ich danke Dr. Jonathan Herman, mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht zu haben. 61. Ich danke Herrn Hartmut Walravens für die Information über Wang. Persönliches Gespräch, 12. Februar 1990. Siehe auch: Hartmut Walravens, Martin Buber und Willy Tonn und ihre Beiträge zur Kenntnis der chinesischen Literatur, Monumenta Serica 42 (1994), S. 465-481; Irene Eber, Martin Buber and Taoism, Monumenta Serica 42 (1994), S. 445-464, hier S. 447. 62. MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:1. Wang führt nicht weiter aus, um welches Buch es sich dabei handelt. Es ist aber anzunehmen, dass es sich um die englische Übersetzung des Liaozhai von Herbert A. Giles, Strange Stories from a Chinese Studio, London 2. überarb. Ausg. 1909, handelt.

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er bereits übersetzt hatte, und Buber zeichnete für die Übersetzung aller sechzehn Geschichten verantwortlich. 63 Giles’ Strange Stories from a Chinese Studio umfassen 164 Geschichten, aus denen Buber die folgenden auswählte und übersetzte: »Das Wandbild«, »Der Richter«, »Das lachende Mädchen«, »Die Füchsin«, »Die Wege des Liebenden«, »Die Krähen«, »Die Blumenfrauen«, »Der Gott im Exil«, »Das Land im Meer« und »Der Traum«. 64 Buber übernahm nicht Giles’ Titel, sondern erfand eigene, die mehr oder weniger zum Inhalt der Geschichten passen, und da viele von Giles’ Titeln auch nicht mit denen Pu Songlings übereinstimmen, unterscheiden sich die Titel beider Werke von denen des Originals. Sechs weitere Titel – »Der närrische Student«, »Das Blätterkleid«, »Der Ärmel des Priesters«, »Musik«, »Die Schwestern« und »Wiedergeburt« – wurden scheinbar von Wang Jingtao aus dem Chinesischen übersetzt, aber von Buber grundlegend überarbeitet. 65 Dies lässt sich daraus schließen, dass sich zum einen unter Bubers Papieren die Rohübersetzungen von drei Geschichten befinden, »Der närrische Student«, »Wiedergeburt« und »Die Schwestern«, die nicht in seiner Handschrift niedergeschrieben wurden; außerdem wurden diese sechs Geschichten nicht von Giles übersetzt. Das Deutsch dieser Entwürfe ist zwar ausreichend, hat jedoch nichts mit Bubers elegantem Stil gemein. Unter diesen Papieren befindet sich auch eine Anfrage Wangs zu den Korrekturen der Liaozhai Übersetzung,66 die sich anscheinend auf diese seine Rohübersetzung bezieht. Wang scheint im Allgemeinen seine Übersetzungen allein angefertigt zu haben; möglich ist jedoch, dass für einige Geschichten eine andere Methode angewandt wurde. Bei dem handschriftlichen Manuskript von »Die Wiedergeburt« etwa handelt es sich um einen sehr groben Entwurf in Bubers Handschrift. Die Art und Weise der Notizen deutet darauf hin, dass Wang den chinesischen Text mündlich für Buber übersetzte, dieser dann 63. MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:2, ein Brief Wang Jingtaos an Buber vom 22. April 1909, in welchem er schreibt: »Ich glaube, ich habe nicht Unrecht getan, das zu wünschen, wenn ich meine Arbeit an der Übersetzung aus dem Chinesischen nicht weniger betrachte als die Ihrige«. Eine Woche später unterzeichneten Buber und Wang ein vertragliches Abkommen, das das Datum des 28. April 1909 trägt: »[…] für die Herrn Dr. Buber bei der Übersetzung chinesischer Märchen geleistete Hilfe«, erhielt Wang 250 Mark. MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:3. S. auch oben, Anm. 27. 64. Die chinesischen Titel lauten: Huabi, Lu Pan, Yingning, Lian Xiang, A Bao, Zhuqing, Xiang Yu, Leicao, Luocha haishi, Lianhua gongzhu. Pus Titel sind in den meisten Fällen die Namen der Hauptprotagonisten. 65. Die chinesischen Titel lauten: Shuchi, Pianpian, Gongxian, Hunniang, A Xiu, Xiaoxie. 66. MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:7, Brief Wang Jingtaos an Martin Buber vom 1. Dezember 1909.

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unvollständige Sätze nach Wangs ungefährer mündlicher Übersetzung niederschrieb und von Zeit zu Zeit Fragen zu einigen der Begriffe stellte. Diese Methode erinnert – vielleicht hat Wang deshalb bewusst auf sie zurückgegriffen? – an die Methode Lin Shus (1852-1924), des ersten Übersetzers, der chinesische Leser mit westlichen Romanen wie Dumas’ La Dame aux Camelias, Dickens’ Oliver Twist und mit dem nun zum großen Teil vergessenen amerikanischen Schriftsteller Henry R. Haggard (18561925) bekannt machte. 67 Ohne auch nur einer der westlichen Sprachen mächtig zu sein, hatte Lin Shu die mündlichen Übersetzungen seiner Freunde in elegantem, klassischem Chinesisch wiedergegeben und damit chinesischen Intellektuellen (in ähnlicher Weise wie Buber seiner deutschen Leserschaft) einen ersten Vorgeschmack auf westliche Prosa geliefert. Die Übersetzungen Giles’ waren nicht besonders geglückt. Er fügte Ausdrücke und Sätze hinzu bzw. strich andere und änderte manchmal sogar die Bedeutung. Auch Buber gelang keine deutliche Verbesserung der Versionen Giles’; manchmal korrigierte er zwar dessen Übersetzungsfehler, machte dann aber wiederum eigene Fehler. In manchen Fällen, wenn Buber Giles zu wörtlich übersetzte, hätte Wang ihn korrigieren müssen. Schwerer wiegt jedoch sowohl Bubers wie auch Giles’ Auslassung von Pu’s angehängten Kommentaren zu zahlreichen Geschichten, in denen der Autor die Frage nach ihrer Bedeutung aufwirft oder seine Meinung über die gerade erzählte Geschichte äußert. Elf der sechzehn Geschichten erscheinen im Original mit einem solchen Kommentar, aber keiner dieser Kommentare wurde übersetzt. Warum erwähnt sie Wang Jingtao noch nicht einmal in seinen Entwürfen? Vielleicht verstand er die philosophische Bedeutung nicht, die viele von ihnen zu vermitteln suchten? War sich Buber dieser Auslassung bewusst? Buber soll hier nicht die Übernahme entweder von Giles’ oder von Wangs Übersetzungsfehlern und Auslassungen vorgeworfen werden. Vielmehr stellt sich die Frage, wie gut Wang Jingtao als Übersetzer war. Schließlich übersetzte er aus dem chinesischen Originaltext. Obwohl seine Übersetzungen im Allgemeinen recht präzise waren, fügte er jedoch direkte Anreden ein, wo es im Originaltext keine gab oder ließ sie aus, wenn sie auftraten. Wangs Deutsch war im besten Fall funktional und erforderte deshalb eine umfassende Überarbeitung durch Buber, damit die Übersetzung stilistisch mit seiner eigenen übereinstimmte. In einigen Geschichten spielen Gedichte eine Rolle und es ist danach zu 67. Leo Ou-fan Lee, The Romantic Generation of Modern Chinese Writers, Cambridge 1973, S. 41-57.

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fragen, inwieweit Buber diese zu übersetzen imstande war. Inwiefern konnte ihn hier Wang Jingtao mit Kenntnissen zu den formalen Aspekten chinesischer Lyrik unterstützen? Auf den ersten Blick scheint es, als sei dies gar nicht der Fall gewesen, vielleicht weil sich Wang nicht ausreichend mit den Feinheiten klassischer Lyrik auskannte, oder vielleicht weil Buber nicht bereit war, seine Ansichten zu diesem Thema zu akzeptieren. Tatsächlich »verbesserte« Buber oft Wangs Übersetzungen und schien dessen geglücktere, wenn auch weniger elegante Übertragungen zu ignorieren. Pu Songling war ein kompetenter Lyriker, der kurze Verse in seine Prosageschichten integrierte. Vier von Bubers Geschichten – »Die Blumenfrauen«, »Das Blätterkleid«, »Der Ärmel des Priesters« und »Die Musik« – enthalten Gedichte. Eine fünfte Geschichte, »Der närrische Student«, enthält im Originaltext keine Lyrik; Buber gibt jedoch einen Prosatext, den der Student liest, in lyrischer Form wieder. Trotz der Mängel, die erst bei genauerer Betrachtung deutlich werden, wurde das Buch bei seinem Erscheinen von vielen als eine bedeutende Leistung gefeiert und breit in deutschen, österreichischen und schweizerischen Zeitschriften rezensiert. Bubers herausragender Stil wurde gelobt, besonders der »wundervoll tiefe[n] Glanz seiner Sprache […] [welcher] frei ein neues Kunstwerk« 68 schafft. Während manche Rezensenten der Meinung waren, dass Pu Songlings Geschichten nichts mit westlichen Märchen und Geistergeschichten gemein hätten69 (»eine fremde Volksseele redet aus ihnen«), 70 verwiesen andere darauf, dass die Geschichten bekannte Aspekte enthielten und dass es sich bei dem Buch um eines der schönsten Bücher über die Liebe handele.71 Joachim Benn besprach die kulturellen Implikationen der Veröffentlichung des Buches und hob hervor, dass es in einer Welt ohne Fantasie immer noch Menschen gebe, die ihre Fantasien doch entfalten wollten.72 Hermann Hesse überhäufte Bu68. MBA Arc. Ms. Var, 350, 13, 46, Hans Bethge, Chinesisches, in: Breslauer Zeitung, 11. Februar 1912; ebenso Rudolf Krause, Erzählende Dichtungen. Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, in: Deutsche Tageszeitung, 14. Januar 1912, Literarische Wochenschau, 4. Beiblatt; A. S., Chinesische Prosadichtung, Kölner Tageblatt, 26. Mai 1917, Nr. 264, Morgen-Ausgabe, S. 2; Wilhelm C. Gomoll, Japanische Kultur und chinesische Dichtung, in: Berliner Lokal-Anzeiger, 21. September 1913, Literarische Umschau, 4. Beiblatt. 69. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 46, Hannoverscher Courier, 15. Februar 1912, S. 3. 70. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 46, Nt., Unheimliche Geschichten, Schlesische Zeitung, 29. Mai 1912, Nr. 369, S. 3. 71. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 46,Wilhelm v. Scholz, Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, in: Der Tag, 17. April 1912. 72. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 46, Joachim Benn, »Chinesische Poesie«, in: Deutsche Monatshefte (August 1912), S. 250 f.; ebenso abgedruckt in Die Rheinlande Bd. 22 (Januar-Dezember 1912), S. 250 f.

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bers Werk mit verschwenderischem Lob. Dies sei kein Beitrag zur Folklore, schrieb er, sondern das Betreten einer bisher unbekannten Märchenwelt. Er verglich die Geschichten mit einem bestickten chinesischen Seidenteppich und dessen reichhaltiger Bilderwelt aus Vögeln, Blumen, Drachen, Bäumen, Menschen und Wolken, »[…] eine stille, frohe Welt […] deren Schönheit wir Abendländer […] weder erklären noch nachbilden können.«73 Paul Ernst (1866-1933) war ähnlicher Meinung und bemerkte, dass diese Geschichten nichts mit Folklore gemein hätten. Er wies außerdem darauf hin, dass, obwohl Beispiele chinesischer Lyrik dem Leser zur Verfügung stünden, Geschichten dieser besonderen Art noch nicht veröffentlicht worden seien.74

3. Das Daodejing Bubers nächste ernsthafte Beschäftigung mit dem Daoismus fand dreizehn Jahre später statt, als er sich 1924 dem Daodejing zuwandte. Europa hatte zu jener Zeit bereits das Desaster des Ersten Weltkriegs erlebt, das besiegte Deutschland hatte mit den Folgen des Vertrags von Versailles zu kämpfen und seinen Kolonialbesitz in China verloren. Trotzdem bestand in deutschen Intellektuellenkreisen weiterhin ein großes Interesse an China und Chinesischem; Übersetzungen aus dem Chinesischen und Werke aus China wurden weiter veröffentlicht; chinesische Exotica florierten wie in früheren Tagen. 75 Dass Buber in dieser Zeit Teile des Daodejing, das sich außerordentlicher Popularität erfreute, einer intensiven Interpretation unterzog, mag nicht ganz zufällig geschehen sein. Seit den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts waren etwa siebzehn deutsche Übersetzungen erschienen, und Buber muss einige, wenn nicht gar viele dieser Übersetzungen der Ursprungsquelle daoistischen Denkens gelesen haben.76 Dazu kam, dass Richard Wilhelm im Jahr 1924 den neuen Lehrstuhl für Sinologie an der Universität Frankfurt übernahm, wo er eine bemerkenswerte, wenn auch 73. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 46, Hermann Hesse, »Chinesische Geistergeschichten«, in: Neue Zürcher Zeitung, 25. März 1912, Nr. 85, 3. Morgenblatt, S. 1. 74. MBA Arc. Ms. Var. 350, 13, 46, Paul Ernst, Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, in: Das Literarische Echo, 1. September 1912, Sp. 1668 f. 75. Einen ausgezeichneten Überblick über dieses Thema bieten die Essays in: Wolfgang Kubin (Hrsg.), Mein Bild in deinem Auge, Exotismus und Moderne: DeutschlandChina im 20. Jahrhundert, Darmstadt 1995. 76. MBA Arc. Ms. Var. 350, Alef 87, Bubers Bibliothek: »Religionskunde, Religionsphilosophie und verwandte Gebiete«. Buber besaß eine umfangreiche Bibliothek seltener und bedeutender Werke über chinesische Philosophie, Religion und Daoismus.

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kurze Karriere begann. Zu dieser Zeit kam Buber regelmäßig nach Frankfurt und lehrte an der Universität über die Geschichte der Religionen. Auch an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin nahm, wie bereits erwähnt, das Gebiet der Sinologie an Bedeutung zu. Die Vorträge, die Buber 1924 in Ascona in der Schweiz hielt, reflektieren jedoch mehr als diese kontinuierliche Beschäftigung mit chinesischen Themen. Sie machen deutlich, dass er den Ideen des Daodejing beträchtliche Beachtung schenkte und dass er sie zunehmend in einen größeren philosophischen Zusammenhang stellte. Die Vorträge waren von einer Gruppe von Laien in Zürich organisiert worden, die Buber im vorangegangenen Jahr gehört hatten. An den Treffen im August 1924 durften nur eingeladene Zuhörer teilnehmen, ungefähr 25-30 Personen, aber Buber konnte die Veranstalter überzeugen, auch einige seiner Freunde einzuladen.77 Und trotzdem: Wer als unpassend oder unerwünscht galt, war zweifelsohne nicht willkommen. Der dreiwöchige Kurs bestand aus einem täglichen zweistündigen Treffen sowie einem weiteren zweistündigen Abendtreffen jeden zweiten Tag. 78 Bubers Vorträge liegen uns zwar nicht wörtlich, sondern in einer Mitschrift vor, aber selbst diese Mitschrift vermittelt den Eindruck einer meisterhaften Vorstellung, in der Laozi den Mittelpunkt einnahm und eine Reihe berühmter Notabeln kurze Gastauftritte gaben. Auf Bubers Liste fanden sich Rabbi Israel von Rizˇin (›der Rizˇiner‹, 1796-1850), Goethe (17491832), Kepler (1571-1630), St. Matthias (gest. um 63) und Verlaine (1844-1896), Cusanus (1401-1464), Rembrandt (1606-1669), Meister Eckhart (um 1260-1328), Rabbi Dov Baer von Mesritsch (›der große Maggid‹, um 1710-1772) sowie Dante (1265-1321), Orcagna (13201368), Luther (1483-1546), Spinoza (1632-1677) und Jesus. Jedem dieser Männer eignete Buber eine Rolle in seiner exegetischen Übung zu. Doch zunächst soll das Daodejing kurz vorgestellt werden. Dieses kurze, rätselhafte und verführerische Buch, auch bekannt unter dem Namen Laotzi, dem Namen seines angeblichen Autors, oder als Klassiker der fünftausend Worte, nach der Anzahl der Worte, aus denen es bestehen soll, hielt für den westlichen Leser eine ganze Reihe von Botschaften be77. Briefwechsel Martin Buber – Ludwig Strauss 1913-1953, hrsg. von Tuvia Rübner, Frankfurt a. M. 1990, S. 86, Brief Nr. 76, Martin Buber an Ludwig Strauss vom 24. Mai 1924. 78. MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 627:10-12 W. Rosenbaums Einladungsbrief mit Zeitplan und Themen. In ihren Briefen an Buber (11., 19., 22. Mai 1924; Arc. Ms. Var. 350, 8, 627:10-12), beschreibt Frau Rosenbaum einige der Schwierigkeiten die Gruppe zu koordinieren, wie auch einen schlechtgelaunten Herrn Mayer, der sich weigerte ausgeschlossen zu werden. Arc. Ms. Var. 350, 8, 627:10, Brief Rosenbaums an Mayer vom 11. Mai 1924.

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reit. Für Benjamin Schwartz war seine »mystische Dimension« von größtem Interesse, wobei er zugab, dass das Buch auch bedeutsame Elemente aus anderen Bereichen enthielt, wie etwa aus dem der politischen oder militärischen Strategie oder auch naturalistische Neigungen. 79 Angus C. Graham nannte das Buch ein »[…] masterpiece of a kind of intelligence at the opposite from the logical.« 80 Andere schrieben, dass das Buch nicht durch Argumente zu überzeugen suche, sondern »to startle and capture […] [the mind] through poetic vision.« Und »the paradoxical poetic view of life [which] has won for the work the tremendous popularity and influence.« 81 Für Richard Wilhelm, einen der ersten Übersetzer des Daodejing, war es ein metaphysisches Werk, das sich auf den Dao stützte – ein Begriff, der sich rigiden Konzeptionalisierungen widersetzte. 82 Für keinen dieser Wissenschaftler war es offensichtlich einfach, den Inhalt des Buches exakt zu definieren. Die Identität des Autors ist ebenso schwer definierbar wie sein Inhalt, und viele zweifeln, dass eine Person namens Laozi (der Name ist kein richtiger Name, sondern bedeutet »Alter Meister«) wirklich existierte. Sima Qians Biographie, die Jahrhunderte später erschien, ist – wie im Falle Zhuangzis – bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage keine große Hilfe. Nach Sima war Laozis Name Li Er, und er war der Kustos der Archive am Hofe der Zhou Dynastie (etwa 1025-221 v. Chr.). Nachdem er das Daodejing für Yin Xi, den Wächter des Grenzpasses, verfasst hatte, verschwand er spurlos. Der Historiker erwähnt andere Namen für Laozi, wie auch ein Treffen mit Konfuzius. 83 Trifft letzteres zu, so würde Laozi um etwa 500 v. Chr. gelebt haben. Aber diese wenigen und ungewissen Details sind unbefriedigend und haben zu ausführlichen Diskussionen und Spekulationen über die Autorschaft und vor allem über die Datierung der Komposition des Daodejing geführt. Über die Frage nach dem (oder den) Verfasser(n) hinaus, haben chinesische Gelehrte auch immer wieder eine Antwort darauf gesucht, wie die früheste Textversion ausgesehen haben mag. 84 79. Benjamin I. Schwartz, The World of Thought in Ancient China, Cambridge 1985, S. 192. 80. Angus C. Graham, Disputers of the Dao, Philosophical Argument in Ancient China, La Salle 1989, S. 218. 81. William Theodore de Bary et al., Sources of Chinese Tradition, New York 1960, S. 53. 82. Richard Wilhelm, Laotse vom Sinn und Leben, Düsseldorf u. Köln 1952, S. xiv. 83. Sima Qian, Shiji, jüan 63, S. 180. 84. Ein ausführliches Beispiel der umfangreichen Diskussionen über dieses Thema in den frühen dreißiger Jahren von Wissenschaftlern wie Hu Shi, Feng Youlan, Qian Mu u. a., ist in Gu Jiegang (Hrsg.), Gushibian (Symposium über frühe chinesische Geschichte), Hong Kong repr. 1963, Bd. 4, S. 303-520, zu finden.

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Eine Antwort hierauf ist jedoch so gut wie unmöglich. Das Daodejing in seiner jetzigen Form hat nämlich, wie zunehmend deutlich wird, eine extrem komplexe Geschichte, da es sich aus einer Anzahl von frühen Texten verschiedener Länge und Kapitelzuordnung zusammensetzt. Den Beweis für das Vorhandensein unterschiedlicher Textversionen erbrachten die Archäologie sowie jüngste ausführliche Studien zu den frühen Kommentaren des Daodejing. In einem Grab aus der Han Dynastie aus dem Jahr 168, das 1973 in Mawangdui in der Hunan Provinz ausgegraben wurde, wurden zwei unterschiedliche, auf Seide verfasste Manuskripte des Werkes gefunden. Dass sie zu diesem frühen Zeitpunkt als bedeutend genug für eine Grabbeigabe (in nicht weniger als zwei unterschiedlichen Textversionen) erachtet wurden, lässt auf eine deutlich frühere Datierung schließen.85 Diese Einschätzung wurde Ende der 1990er Jahre bestätigt, als drei verschiedene Texte auf Bambusstreifen in einem Grab entdeckt wurden. Sie können wahrscheinlich auf einen noch früheren Zeitpunkt datiert werden. 86 Die Tradition der Kommentare zum Daodejing ist alt und dauert natürlich bis zum heutigen Tag an. »Commentaries are acts of interpretation«, schreibt Stephen Bokenkamp, »Wittingly or unwittingly, commentators reconfigure a text in line with their own concerns.« 87 Ein so schwer definierbarer Text wie der des Daodejing hat natürlich Generationen von (mehr oder weniger tiefsinnigen) Denkern dazu herausgefordert, sich über seine Bedeutung Gedanken zu machen und diese für ihre eigene Lebenszeit als relevant zu betrachten. Der früheste bis heute entdeckte Kommentar ist der sogenannte »Xiang’er« (etwa: »an dich denkend«) Kommentar. Er entstand in einer daoistischen, religiösen Gemeinschaft zwischen 190-215 n. Chr. 88 , aber sowohl das Ver85. William G. Boltz, The Religious and Philosophical Significance of the »Hsiang Erh« Lao Tzu in the Light of the Ma Wang Tui Silk Manuscripts, Bulletin of the School of Oriental and African Studies 45 (1982), Part I, S. 95-117, führt Beweise für die Erstellung eines dieser Seidenmanuskripte zwischen 206 und 187 v. Chr. an; siehe auch Robert G. Henricks, The Ma-wang-tui Texts of Lao-tzu and Lines of Textual Transmission, in: Chinese Culture 26, Heft 2 (Juni 1985), S. 29-43, für eine kurze Übersicht über die komplizierte Textgeschichte des Daodejing. 86. Cui Renyi, Jingmen Guodian Chu jian »Laozi« yanjiu (Research of Chu bamboo slips »Laozi« at Guodian, Jingmen), Beijing 1998, S. 26; Robert G. Henricks, Lao Tzu’s Tao Te Ching, A Translation of the Startling New Documents Found at Guodian, New York 2000, S. 4. 87. Stephen R. Bokenkamp, Early Daoist Scriptures, Berkeley u. Los Angeles 1997, S. 30. 88. Ebd., S. 59 u. 61. Der Kommentar wurde unter den Dunhuang-Manuskripten entdeckt. Er entstand in der sogenannten Gemeinschaft der Himmlischen Meister (Tianshi), die für einen gewissen Zeitraum in der Sichuan Provinz florierte.

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schwinden dieser daoistischen Gruppe als auch das Erscheinen anderer Kommentare führte dazu, dass der Xiang’er Kommentar nicht weiter benutzt wurde. Zwei nachfolgende frühe Kommentare stammen von He Shang Gong (2. Jh. v. Chr.) und Wang Bi (226-249 n. Chr.), deren neuartige kommentatorische Methoden der Texterklärung ihnen ihren wohlverdienten andauernden Ruhm eingebracht haben.89 Ähnlich wie im Falle des Zhuangzi beschäftigte sich Buber nicht mit der komplexen textuellen und kommentatorischen Geschichte des Daodejing, obwohl er sich des hohen Alters des Textes bewusst war. Buber glaubte, dass sich der Text im Wesentlichen nicht von früheren Textvarianten unterschied und dass es sich um eine vereinheitlichte Fassung mit Interpolationen handelte. Für die Gespräche in Ascona benutzten er und seine kleine Gruppe die frühe deutsche Übersetzung von Victor Friedrich von Strauss und Torney (1809-1899), Lao-Tse’s Tao Te King. In seiner ausführlich kommentierten Übersetzung berief sich Strauss nicht auf Wang Bi, sondern benutzte den Kommentar des enigmatischen He Shang Gong. Da Buber sich auf Strauss’ Kommentare bezog und eine Reihe seiner Interpretationen auf dessen Vorstellungen basierten, ist anzunehmen, dass es eher He Shang Gongs als Wang Bis kommentatorische Stimme ist, die in einigen Teilen von Bubers Kommentar indirekt durchklingt. An dieser Stelle ist es hilfreich, einige von Strauss’ Annahmen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.90 Nach Strauss gab es eine Urzeit, in der alle Religionen eins waren. Damals entstanden sowohl das Judentum als auch der Daoismus. Eine daoistische Gemeinschaft existierte lange vor Laozi. Dieser übernahm von ihr die religiösen Grundlagen wie den Namen Dao für seine Lehren. Das Daodejing, schlussfolgerte Strauss, sei also ein religiöser Text. Laozis Grundvorstellungen seien theosophisch und daher sei er der Gruppe von Denkern zuzurechnen, die man Mystiker nenne. Menschen wenden sich der Theosophie nicht aufgrund freiwilliger Wahl oder äußerer Beeinflussung zu, sondern aus einer religiös motivierten individuellen Neigung heraus. Das theosophische Denken deckt nicht göttliche Wahrheit auf, sondern prüft sie anhand des religiösen Erbes. Nun besitzt China aber keinen Korpus religiöser Literatur, der sich auf die Existenz und die Aktivitäten des Höchsten Wesens in seiner Beziehung zu Mensch und Geschichte bezieht. Von Strauss war jedoch der Meinung, dass in verschiedenen chinesischen Werken, einschließlich 89. Rudolf G. Wagner, The Craft of a Chinese Commentator. Wang Bi on the Laozi, Albany 2000. Dieser Band ist der erste von drei Bänden. 90. Ich stütze mich im Folgenden auf meinen früheren Essay »Martin Buber and Taoism«, S. 458-459.

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dem Daodejing (wo sie in der Form gereimter Hymnen und Lieder auftreten), religiöse Traditionen zur Sprache kommen. 91 Nachdem er nun das Daodejing als religiösen Text definiert hatte, konnte von Strauss ohne weiteres den Dao mit Gott identifizieren. Laozi, so behauptete er, hatte ein tiefes »Gottesbewusstsein«, das zu jener Zeit nur in China und unter dem Volk Israel existierte. Aus diesem Grund bezeichnete er den Dao als »Wesen«. Es ist daher auch kaum verwunderlich, dass von Strauss schlussfolgerte, die Chinesen des Altertums seien Monotheisten und keine Polytheisten gewesen. Ihre Verehrung von Naturgottheiten habe nichts mit Polytheismus zu tun, sondern ähnele vielmehr der Verehrung von Heiligen und Engeln im Katholizismus. 92 Von Strauss ging außerdem davon aus, dass das Daodejing als ein authentischer Text bewahrt wurde und den Lehren des Buches aufgrund der unzuverlässigen chinesischen Interpretationen (und vermutlich auch der der westlichen Leser) erst jetzt Genüge getan werden könne. 93 Wenn auch Buber nicht alle zweifelhaften Annahmen von Strauss’ akzeptierte, so glaubte auch er, dass er es mit einem sehr alten, authentischen Text zu tun habe. Sein exegetischer Ausflug fand in der Form eines laufenden und oft interlinearen Kommentars statt. Gelegentlich nahm er Bezug auf die Kommentare anderer Übersetzer, und einige Abschnitte stützen sich in großem Maße auf Strauss. Eine ganze Reihe von Themen werden in den von ihm ausgewählten Kapiteln behandelt: die Definition des Dao, Einheit, Wesen des Staates. Obwohl Buber die oft zweifelhafte Übersetzung von Strauss’ benutzte, leistete sein Kommentar zu jener Zeit einen wichtigen Beitrag, da er versucht, das Daodejing in einen weiteren philosophischen Diskurs einzubinden. Noch deutlicher als in seinem »Nachwort« zum Zhuangzi aus dem Jahr 1910 verweist Buber auf Verbindungen zur jüdischen und westlichen Philosophie und stellt Bezüge her zur Lage in Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Auf diese Weise versuchte er, dem Daodejing zeitgenössische Relevanz zu verleihen. Wie Strauss so betrachtet auch Buber das Daodejing als einen religiösen Text, der im religiösen Sinne interpretiert werden muss. Aber im Gegensatz zu Strauss setzt er nie explizit den Dao mit Gott gleich, 94 son91. Victor von Strauss und Torney, Lao-Tse’s Tao Te King, Leipzig 1924, S. xxvii, xliii, xxx-xxxi. 92. Ebd., S. xxxv, xl, xliii. In seinem Argument hinsichtlich eines chinesischen Monotheismus schwingt die Einstellung einer Reihe von protestantischen Missionaren zu dieser Zeit mit, die der Meinung waren, dass sie den Chinesen das Christentum zurück brächten. 93. Victor von Strauss und Torney, Essays zur Allgemeinen Religionswissenschaft, Heidelberg 1879, S. 82 u. 108. 94. Strauss und Torney, Lao Tse’s Tao Te King, Anm. 1, S. 3, besagt unmissverständlich,

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dern spricht ihm lediglich die Eigenschaft des Göttlichen zu. Er wählt außerdem, wenn er über die Transzendenz und Immanenz des Dao (Kapitel 21) spricht, seine Worte mit großer Vorsicht, besonders wenn es um die Frage geht, ob yi, xi und wei das Tetragrammaton im Daodejing repräsentieren, wie dies ein Jahrhundert zuvor von westlichen Übersetzern angenommen und von Strauss wiederholt worden war. 95 Buber zog es vor zu betonen, der Dao sei nicht greifbar, widersetze sich jeder Definition und werde am besten als Leere und Nicht-sein (Kapitel 11) beschrieben. Er warne auch davor, den Dao als Abstraktum zu betrachten: im Gegenteil, er sei nicht abstrakt, sondern ein wirkliches Sein, aus dem die Realität des Seins abgeleitet werde (Kapitel 21). Der Dao als eine manifestierte und immanente Erscheinung nimmt in Bubers Kommentar eine wichtige Position ein. Die ständige und ewige Aktualisierung des Dao ist nach Bubers Sicht Schöpfung, und Schöpfung ist ein ständiger, fortwährender Prozess (Kapitel 21). 96 Ähnlich wie im Nachwort seiner Zhuangzi-Übersetzung vierzehn Jahre zuvor nahm Buber in Ascona häufig auf das Konzept des Nicht-tun (wuwei) Bezug. Die daoistische Vorstellung vom aktiven Nicht-tun (wei wuwei) oder Tun Nicht-tun als ein Rezept für das Leben in der wirklichen Welt wurde zu einem zunehmend bedeutenden Bestandteil seines Denkens. So war die Vorstellung von wuwei bereits in seiner kurz zuvor abgeschlossenen Schrift Ich und Du integriert. 97 Vielleicht weil Buber das Daodejing als diesseitigen und nicht als mystischen Text interpretierte, widmete er den Abschnitten (insgesamt sechs Kapitel: 29, 30, 57, 61, 78 u. 80), die sich mit der Gesellschaft und dem Staat beschäftigen, beträchtliche Aufmerksamkeit. 98 Seine Diskussion umfasst auch Kapitel 80, eines der bekanntesten Kapitel, mit seiner expliziten These über den idealen kleinen Staat. Nach diesem Kapitel sind die Bewohner eines kleinen Staates mit ihrem Leben zufrieden. Sie wünschen keinen Umgang mit Auswärtigen und haben vor allem keine Gelegenheit, Waffen zu gebrauchen, wie es im Daodejing heißt. 99 Dass

95. 96. 97. 98. 99.

dass der Dao gleichbedeutend mit Gott ist. Noch 1957 war wenigstens ein anderer Übersetzer ins Deutsche ähnlicher Ansicht. Siehe Florian C. Reiter, Some Considerations about the Reception of the Tao-Te-Ching in Germany and China, Oriens 35 (1996), S. 281-297. Strauss und Torney, Lao Tse’s Tao Te King, S. 61-69; siehe auch Eber, Martin Buber and Taoism, S. 400-401. Siehe auch Schaeder, Martin Buber, S. 76-78, für Bubers Ansichten über den Dao. Martin Buber, Ich und Du, z. B. S. 91. Ich danke Paul Mendes-Flohr, mich auf diesen Abschnitt aufmerksam gemacht zu haben. Die folgende Diskussion stützt sich auf Eber, Martin Buber and Taoism, S. 461-462. Das Kapitel ist eine direkte Antwort auf die unruhigen Bedingungen während eines

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Bubers Kommentare zu diesem Kapitel nicht die Verwendung von Waffen und also den Krieg verurteilen, ist zumindest verwunderlich. Man könnte erwarten, dass er gerade hier eine pazifistische Einstellung proklamieren würde. Aber vielleicht wollte er sich in der Diskussion dieser sechs Kapitel vor allem auf die Organisation des Staates, die Beziehungen der Staaten untereinander und das Wesen der Gesellschaft konzentrieren. Staat bedeutete für Buber Gemeinschaft. Aber nicht eine Gemeinschaft als eine Endsumme von Individuen, sondern eher als ein miteinander Verbundensein und gemeinsames Handeln. Eine derartige Gemeinde widersetzt sich der Dominanz einer Person, da sie sich aus der Beziehung ihrer Mitglieder zu der im Mittelpunkt stehenden Person konstituiert. Buber entwickelt jedoch keine Theorie des politischen Staates oder der Autorität, noch bestimmt er, in welchem Ausmaß der Heilige der Herrscher ist. In Kapitel 49 spricht er vielmehr den Messianismus an: Der Messianismus des Daodejing beziehe sich zwar auf den Heiligen, aber alle Messianismen spiegelten in der Endanalyse die Sehnsucht nach einem König wieder. Anschließend fügt Buber die Interpretation des Messias als König hinzu: Die Position des Messias sei die eines Vermittlers zwischen Gott und der Welt; er übernehme sowohl Verantwortung wie Schuld und fülle die zwischen Gott und der Welt entstandene Lücke (Kapitel 78). An anderer Stelle spricht er davon, dass sich die Auflösung der Gemeinschaft aus religiösen Gründen vollzog – aufgrund eines Mangels an Glauben, nicht aber des Glaubens an Gott, sondern aufgrund eines Mangels an Glauben an die Realität. In diesen Kapiteln über Staat und Gesellschaft bezieht Buber sich nicht auf die Kommentare von Strauss’, sondern führt freie und weitläufige Diskussionen, einschließlich solchen zu zeitgenössischen Ereignissen. Er war sichtlich daran interessiert, die Bedeutung des Daodejing und dessen Anwendbarkeit auf die Welt seiner Tage zu prüfen. Seine Diskussion von Kapitel 61 beschäftigt sich daher unter anderem mit dem Problem Sowjetrusslands, wo er sechs Jahre nach der bolschewistischen Revolution einen Prozess der Dehumanisierung erkannte. Der Mensch, sagt Buber, wird dort nicht in seiner Beziehung zu anderen oder dem Leben seiner Gemeinschaft gesehen, sondern als Rädchen in einem riesigen, brutalen und sinnlosen Getriebe. Seiner Meinung nach war der Erste Weltkrieg aufgrund der »Fiktion der gegenseitigen Bedrohung« ausgebrochen. Großteils der Epoche, in der das Daodejing seine endgültige Form annahm. Es herrschte Krieg und eine Reihe von Staaten übten mit ihren Waffen zusehends Kontrolle über kleinere und schwächere Staaten aus.

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Einige gaben vor, Pazifisten zu sein, andere taten, als arbeiteten sie an Plänen, aber die meisten Menschen handelten, wie es ihnen im jeweiligen Moment zweckdienlich schien. (Kapitel 30) Kunst wird von Buber nur einmal im Verlauf seiner Vorträge erwähnt (und auch nur flüchtig in Kapitel 21), und zwar weist er darauf hin, dass der Daoismus erst zu einer späteren Zeit in der Landschaftsmalerei auftritt. Der seinen Vorträgen folgende Essay wirft allerdings eine interessante Frage über Kunst auf. 100 Besteht das Erschaffen eines Kunstwerkes, so fragt Buber dort, nicht eher im Entdecken oder Finden der Bilder für dieses Werk im Künstler selbst? Und wenn dem so ist, wie sind solche inneren Bilder mit den Bildern innerhalb des Dao verbunden? 101 Die Frage ist deshalb interessant, weil sie möglicherweise bezugnehmend auf Aussagen über Kunst von Richard Wilhelm entstanden ist. Zwischen 1926 und 1929 hielt Wilhelm eine Reihe von Vorträgen über das Buch der Wandlungen am China-Institut, darunter einen über Kunst: »Der Geist der Kunst nach dem Buch der Wandlungen«. In diesem Vortrag zitiert Wilhelm eine Malerin, die den kreativen Prozess als einen inneren Prozess beschrieb, »Das Bild sitzt hier zwischen den Augen«, und den Prozess der Übertragung des Bildes auf die Leinwand als einen rein technischen Prozess der Ausführung. 102 Dass beide Männer die Frage des kreativen Prozesses angeschnitten haben, ist sicher kein Zufall, und die Annahme liegt nahe, dass Kunst und Kreativität zu den Themen gehörten, die im China-Institut diskutiert wurden.

4. »China und wir« Abgesehen von seiner Übersetzung von Kapiteln aus dem Daodejing ins Hebräische im Jahr 1942, beschäftigte sich Buber 1928 noch einmal mit dem Daoismus. Die Gelegenheit ergab sich im Oktober anlässlich der Zusammenkunft des China-Instituts in Frankfurt, bei der Richard Wilhelm als Hauptredner auftrat. 103 Wilhelms drei öffentliche Vorträge be100. Es handelt sich um einen Text aus dem Anhang der Mitschrift von Bubers Vorträgen unter dem Titel »Von den Urbildern: Vom Kuenstler und dem religioesen Menschen«; in diesem Band, S. 273-278. 101. Ebd. 102. Richard Wilhelm, Wandlung und Dauer, die Weisheit des I Ging, Düsseldorf u. Köln 1956, S. 49. 103. MBA Arc. Ms. Var. 350, Zayin 119. Die Zusammenkünfte, allem Anschein nach bedeutende gesellschaftliche und politische Ereignisse, die zweimal jährlich – im Frühjahr und Herbst – abgehalten wurden, wurden im Jahr 1928 von prominenten Persönlichkeiten besucht, einschließlich Angehörigen des Deutschen Außenministe-

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schäftigten sich mit chinesischer Philosophie und deren Bedeutung für den Westen, mit chinesischer Kunst und Chinas Kulturkrise. Die Vorträge wurden von kurzen Stellungnahmen begleitet, u. a. respondierte Buber auf Wilhelms ersten Vortrag »Bildung und Sitte in China« mit dem später unter dem Titel »China und wir« veröffentlichten Beitrag. Wilhelms Vortrag handelte von der in Europa durch die Überbetonung von Fortschritt und technologischem Erfolg hervorgerufenen Krise. Er stellte dieses europäische Denken der chinesischen Betonung der Kontinuität von Traditionen, der Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft gegenüber sowie dem Gewicht, das in China der Überlieferung und Lehre beigemessen wurde, wie dies Konfuzius viele Jahrhunderte zuvor getan hatte. 104 Buber stimmte mit Wilhelms Grundprämisse einer europäischen Krise überein, schrieb das Problem aber noch ostentativer als Wilhelm einem Zustand der allgemeinen Auflösung und Ziellosigkeit zu. 105 Wie Wilhelm schlug auch er vor, bei der chinesischen Kultur Anleihen zu machen, allerdings nicht beim Konfuzianismus. Nach Bubers Meinung war es der Daoismus und vor allem Nicht-tun (wuwei) – Handeln ohne schadendes Eingreifen – das in der gegenwärtigen Krise von Wert war. Buber lehnte Wilhelms konfuzianisches Lösungsmodell aus zwei Gründen ab. Der eine war die ungezwungene Verbindung, die die Lebenden in China zu den Toten unterhielten und die auf der Verehrung der Ahnen beruht. (Buber kam hier auf Ideen zurück, die er fast zwanzig Jahre zuvor entwickelt hatte, als er die Geschichten aus dem Liaozhai übersetzte.) Der andere war das Vertrauen in den »ursprünglichen Menschen« und das »ursprüngliche Sein«. Beides ist im Westen nicht vorhanden. Anstatt ein konfuzianisches Konzept als Modell zu übernehmen, schlug Buber das Nicht-tun vor, da wir, wie er sagte, gelernt hätten, historische Erfolge und zielgerichtetes Handeln anzuzweifeln. Wie dargestellt, war für Buber riums. Sie wurden im Frankfurter General Anzeiger am 24. Oktober 1928, in der Badischen Presse am 3. November 1928 und in der Frankfurter Zeitung am 25. Oktober 1928 rezensiert. Die letzte Rezension präsentierte außerdem Skizzen von verschiedenen Rednern und Notabeln.(Arc. Ms. Var. 350, 13, 83) 104. R. Wilhelm, Sitte und Bildung in China, in: Chinesisch-Deutscher Almanach für das Jahr Gi Si 1929-1930, S. 27-35. 105. Das Problem der Krise, das beide Männer aufwarfen, wurde in europäischen, philosophischen Kreisen ausführlich diskutiert, darunter z. B. Henri Bergson (18591941) und Robert Eucken (1846-1926). In China wurde die Frage von Intellektuellen angesprochen, die für die Bedeutung eines spirituellen Inhalts angesichts des Wechsels in der Moderne, argumentierten. Zu den Argumenten derjenigen, die diese Sicht hinsichtlich europäischer und vor allem deutscher Philosophie vertraten, siehe Gad C. Isay, The Philosophy of the View of Life in Modern Chinese Thought, Wiesbaden 2013.

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das Konzept von wuwei sowohl im Nachwort seiner Zhuangzi-Übersetzung als auch in den Ascona Vorträgen des Jahres 1924 von großer Bedeutung. Er hatte dort Nicht-tun als ein reines Mittel zur persönlichen Transformation betont. Im Jahr 1928 schien er anzudeuten, dass Individuen, wenn sie von dem Streben nach Erfolg Abstand nehmen, eine Transformation durchlaufen, die wiederum die größere Krise beheben könne. 106 Buber mag damals noch nicht begriffen haben (wohl aber nach 1944), dass die Verbindung zwischen Handeln und persönlicher Transformation auf der allgemeinen Ebene sowohl eine konfuzianische wie eine daoistische Idee war.

5. »Weisheiten aus China« Der Essay »Weisheiten aus China«, höchstwahrscheinlich die früheste hebräische Abhandlung über weniger bekannte Philosophen neben Konfuzius, repräsentiert einen einzigartigen Beitrag zur sinologischen Literatur in dieser Sprache. Er besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werden fünf Abschnitte lose durch Betrachtungen über Staatskunst, gesellschaftliche Werte und das Wesen der Gesellschaft verknüpft. Der zweite Teil stellt Auszüge aus den Schriften verschiedener Philosophen scheinbar unverbunden nebeneinander. Insgesamt ist festzuhalten, dass die von Buber 1944 dem hebräischen Leser präsentierten Abschnitte eher konkrete, sogar zeitgemäße Botschaften enthalten als abstrakte oder esoterische philosophische Vorstellungen. Bubers Lektüre nicht nur philosophischer, sondern auch historischer Texte geht ebenfalls aus diesem Essay hervor. Davon zeugen die Geschichte aus dem Buch der Urkunden (Shujing), die Erwähnung von Die Große Wissenschaft (Daxue) 107 sowie die Erzählung über die Vorladung lokaler Beamter durch den Kaiser, um hervorragende Männer für den Dienst am Reich zu empfehlen.108 106. Maurice S. Friedman, Martin Buber’s Life and Works, S. 344, ist zweifellos mit seiner Schlussfolgerung im Recht, dass wuwei ein zentraler Begriff in Bubers reiferem Denken verblieb und nicht mehr mit seinem Mystizismus in Verbindung stand. 107. Das Buch der Urkunden, das in gewisser Form bereits zur Zeit von Konfuzius bekannt war, enthält eine heterogene Sammlung historischer Schriften aus verschiedenen Epochen. Die Große Wissenschaft ist ein später Text und war ursprünglich ein Kapitel in einem anderen klassischen Buch. Seine Bedeutung als bedeutender konfuzianischer kanonischer Text geht auf das 13. Jahrhundert zurück. Es war mir nicht möglich Bubers Quellen für beide Werke ausfindig zu machen. 108. Diese Episode bezieht sich wahrscheinlich auf den Kaiser Wudi (140-86 v. Chr.) der Han-Dynastie, der anordnete, fähige Männer für den Dienst am Hof zu empfehlen. Es war mir nicht möglich, Bubers Quelle für diese Geschichte ausfindig zu machen.

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Um die philosophischen Abschnitte im zweiten Teil des Essays wiederzuerzählen oder zusammenzufassen, griff Buber auf Konfuzius’ Gespräche (Lunyu), das Daodejing und das Zhuangzi zurück. Er fügte aber auch zwei Philosophen hinzu, die damals dem westlichen Leser kaum bekannt waren. Der eine ist der Daoist Liezi (Blütezeit: 5. Jh. v. Chr.), der andere Mo Di oder Mozi (Blütezeit: 479-438 v. Chr.), einer der Kritiker des Konfuzius, dessen utilitaristische Doktrinen einen Ausgangspunkt für neue philosophische Überlegungen bildeten. Aus dem Daodejing übersetzte Buber fünf kurze Abschnitte aus den Kapiteln 12, 20, 52, 76 und 82, die er in seine Übersetzung des Daodejing vier Jahre zuvor nicht aufgenommen hatte. Dem Zhuangzi entnahm er zwei Geschichten, von denen nur eine in Reden und Gleichnisse erschien. Wie in seiner früheren Übersetzung aus dem Jahr 1942 war seine Quelle für die entsprechenden Abschnitte die Übersetzung von Strauss und Torney; für die Geschichte aus dem Zhuangzi benutzte er die Übersetzung Giles’. Die längere der beiden Geschichten aus dem Zhuangzi ist wunderbar suggestiv und illustriert Bubers Wechsel von Zhuangzi, dem Mystiker, zu dem eher irdischen Philosophen, der sagte: Handele, wie du handeln musst, wenn du einem Bedürfnis begegnest. 109 Bubers letzter Text in diesem Essay stammt wiederum aus dem Zhuangzi und ist eine kurze Illustration, wie man sein persönliches spirituelles Wesen wiederfinden kann, nämlich weder mit Hilfe des Verstandes noch mit Hilfe des Denkens. 110 Betrachten wir die drei anderen Werke, auf die Buber für seinen Essay zurückgriff, etwas genauer. Die Gespräche, der Hauptklassiker im konfuzianischen Kanon, ist keine einheitlich philosophische Abhandlung und wurde zum größten Teil erst nach dem Tod des Meisters zusammengestellt. Das Werk besteht aus Konfuzius’ Äußerungen und Abhandlungen sowie den Dialogen mit seinen Schülern. Die zwanzig Kapitel oder »Bücher« vermitteln auf den ersten Blick einen verwirrenden, unzusammenhängenden Eindruck. Im Verlauf des Werkes wird jedoch eine Reihe von Begriffen sowie von moralischen und gesellschaftlichen Werten sehr detailliert entwickelt. Darunter die Vorstellungen von Tugendhaftigkeit (ren), Gerechtigkeit (yi), Schicklichkeit (li) und Kindespflicht (xiao), allesamt Eigenschaften des Edlen (junzi). Konfuzius definierte seine eigene Funktion in den Gesprächen nicht als Erneuerer, sondern als 109. Buber übersetzte eine weitere Geschichte aus dem Zhuangzi, die wahrscheinlich für Weisheiten aus China bestimmt war, zum Schluss aber nicht aufgenommen wurde und ein Gespräch zwischen Konfuzius und Laozi wiedergibt. MBA Arc. Ms. Var. 350, Bet 50. Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 136-137. 110. Herbert A. Giles, Chuang Tzu, S. 119-120; Zhuzi jicheng, S. 71.

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Übermittler. Und so übermittelte und interpretierte er aufs Neue die Werte früherer Zeiten für seine eigene Epoche und verlieh ihnen auf diese Weise eine zeitlose Gültigkeit. Buber erwähnt die Quelle für seine übersetzten Abschnitte nicht, obwohl er zweifelsohne Wilhelms Übertragung aus dem Jahr 1910 benutzte, die in seiner Bibliothek stand. 111 Es ist jedoch nicht immer möglich, das genaue Kapitel und den genauen Ort für die von Buber ausgewählten Texte zu ermitteln, da sie häufig aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Oft wurde nur ein Satz aus einem ganzen Abschnitt übersetzt. Das Liezi, aus dem Buber eine Geschichte für seinen Essay übernommen hat, ist ein problematisches Werk. Es wurde nach dem Daoisten Liezi (auch Yükou) benannt, der wiederholt von Zhuangzi erwähnt wurde und ein älterer Zeitgenosse des Philosophen gewesen sein mag. Weitere Informationen über Liezi sind nicht bekannt, und die Forschung ist sich im Allgemeinen einig darüber, dass das Buch viel später entstand, wahrscheinlich im 4. Jahrhundert v. Chr. Das Liezi setzt sich zusammen aus heterogenen Materialien – anscheinend aus verschiedenen Schulen daoistischer Philosophie und aus älteren Werken, die inzwischen verloren gegangen sind; es ist vor allem für seine hedonistischen, kosmologischen Kapitel bekannt. Im Westen konnte sich das Liezi nicht des gleichen Rufes wie das Daodejing oder das Zhuangzi erfreuen; es wurde auch nicht häufig in europäische Sprachen übersetzt. Bubers Quelle mag Wilhelms deutsche Übersetzung aus dem Jahr 1911 oder Ernst Fabers (1839-1899) frühere Übersetzung gewesen sein. 112 Sein Text ist weder eine Nacherzählung der Geschichte noch eine wirkliche Übersetzung; so ließ er zum Beispiel alle chinesischen Orts- und Namensangaben aus, gab aber die Unterhaltungen erkennbar wieder. Aus dem Mozi fasste Buber vier ausgewählte Texte für den Essay zusammen. Wenn auch anzunehmen ist, dass das Werk im Allgemeinen Mo Di’s Lehren wiedergibt, die u. a. auch eine Reaktion auf Konfuzius darstellen, so enthält es scheinbar auch spätere Materialien aus seiner Schule. Mo Di ist vor allem für sein Konzept der universellen Liebe bzw. der unvoreingenommen Liebe zum Anderen und für seine Identifikation 111. Richard Wilhelm, Kung Futse. Gespräche (Lun Yü), aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert, Jena 1910, S. 122-123, 135 u. 145. Buber übersetzte Lunyu 12:7, 13:3 u. 13:24. 112. Richard Wilhelm, Liä Dsi – Das wahre Buch vom quellenden Urgrund, Jena 1911, S. 44-45; Ernst Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, sowohl nach Seite des Pantheismus als des Sensualismus oder die sämmtlichen Werke des Philosophen Licius zum ersten Male vollständig übersetzt und erklärt von Ernst Faber, Elberfeld 1877; Zhuzi jicheng, S. 45-46.

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mit dem Besseren bekannt. Auf diese Weise wird sich ein Mensch, so Mo Di, automatisch mit dem Himmel verbinden, der ja unvoreingenommen liebt. Außer Dialogen zwischen Mo Di und seinen Schülern (ähnlich wie in den Gesprächen) enthält das Buch auch philosophische Kommentare in der Form von Essays, die eine neue Entwicklung des chinesischen philosophischen Diskurses markieren. Auch hier gibt Buber nicht die Quelle seiner Auswahl an. Da es aber zu der Zeit, als er den Essay verfasste, nur eine deutsche Übersetzung Ernst Fabers von einzelnen Abschnitten aus Mo Di’s Werk gab, ist anzunehmen, dass ihm diese als Quelle diente. 113

6. Vier Geschichten Außer den bisher erwähnten Werken gab Buber in den zwanziger Jahren auch vier kurze Geschichten wieder – zwei aus übersetztem chinesischen Sagengut und zwei aus japanischen übersetzten Quellen. Die Geschichten sind weder in der oralen noch in der literarischen Tradition besonders bekannt, und die chinesischen Geschichten mögen in der Originalversion, wie oft üblich, andere, längere Geschichten begleitet haben, um die Moral der Geschichte zu illustrieren. Es war mir nicht möglich, die Quellen ausfindig zu machen, derer sich Buber für seine Wiedergabe der Geschichten bediente. Drei der Geschichten dienten Buber dazu, um das hervorragende Werk des Künstlers Emil Rudolf Weiß (1875-1942) und des Indologen Karl E. Neumann zu rühmen. Die ersten beiden Geschichten, »Die Schule« und »Der Wettstreit« wurden unter dem Titel »Zwei Malergeschichten« in das Ehrenbuch anlässlich von Weiß’ 50. Geburtstag aufgenommen und kurz später in einer Zeitung erneut abgedruckt. Die Geschichte »Schlichtung« sollte in einem Neumann gewidmeten Gedenkband erscheinen, wurde dann jedoch zuerst in der Frankfurter Zeitung abgedruckt. 114 Die Geschichte zu Ehren Neumanns war Ausdruck von Bubers Hochachtung für die vielen Übersetzungen des Wissenschaftlers aus dem buddhistischen Kanon, die es ohne weitere Verschönerungen geschafft hatten, die Essenz der buddhistischen Lehre einzufangen. Für Buber enthielt die einfache Geschichte eine tiefe Botschaft: Indem man versucht, jemandem den höchsten Ehrenplatz zuzuweisen (sein Wesen sozusagen zu »be113. Ernst Faber, Grundgedanken des alten chinesischen Sozialismus, Elberfeld 1877, S. 63-64, 73 u. 97-98; Zhuzi jicheng, Bd. 3, 13:II, S. 55-61, 17:I, S. 81-88, 35:I, S. 163-168. 114. Siehe hierzu und zu der Frage der geplanten Gedenkschrift für Neumann den Kommentar zum Text, in diesem Band, S. 424.

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schönigen«), kann man dieser Person auch einen schlechten Dienst erweisen. Die japanischen Geschichten – »Die Schule« und »Zwiegespräch« – reflektieren die grundlegende Lehre des Zen Buddhismus über die Unmittelbarkeit der Erfahrung. Diese Lehre kann nicht in Worten gefunden werden, sondern wird direkt und unmittelbar durch eine Berührung, durch Sehen oder Hören erfasst. Zusammengenommen illustrieren diese vier Geschichten Bubers kontinuierliches Interesse an chinesischen und japanischen Narrativen als Mittel, um Weisheiten und philosophische Botschaften zu transportieren.

7. Buber als Exeget und Übersetzer des Daoismus Bereits andere haben über Bubers kontinuierliche Beschäftigung mit den Ideen des Daoismus geschrieben, und Jonathan Herman beispielsweise hat die Rolle von Zhuangzis Denken in Bubers philosophischer Entwicklung betont. 115 Die chronologische Anordnung der Schriften Bubers über die chinesische Philosophie und Literatur sowie der Übersetzungen aus dem Chinesischen in diesem Band lässt erkennen, dass seine Interpretationen daoistischer Ideen im Laufe der Jahre keinesfalls unverändert blieben. Verschiedene Ideen erregten im Laufe seines Lebens seine Aufmerksamkeit; wie er diese auslegte, war unterschiedlich. Die Frage allerdings nach der Art und Weise, wie Buber die Ideen des Daoismus in seinen Werken reflektiert und integriert, muss zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet werden. Eine derartige Untersuchung müsste auch Bubers literarischen Interessen, seiner Übersetzungen von Geschichten chinesischer Prosa, Rechnung tragen, da diese großen Anteil daran haben, wie er gewisse chinesische Konzepte verstand. Er hatte anscheinend die Fähigkeit, das tiefe Substrat dieser Geschichten zu erspüren. Die Frage ist nicht, ob Buber die chinesischen Texte, die er las, verstand oder nicht. An anderer Stelle habe ich geschrieben, dass Hermeneutik ein andauernder Prozess von Philosophen, Intellektuellen, Denkern und allen anderen ist, deren Lebenswerk ihre intensive Auseinandersetzung mit ihrer Zeit und deren Vorstellungen reflektiert. 116 Um in immer wieder neuen und wechselnden Zusammenhängen überzeugend zu wirken, 115. Maurice S. Friedman, Martin Buber and Asia, in: Philosophy East and West 26, Nr. 4 (1976), S. 411-426; Hans Kohn, Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit, Köln 1961, S. 59, 67-68, 82-83, 86 u. 280; Herman, I and Tao. 116. Diese Argumentation wird in der Einleitung zu den Chinese Tales, S. xx, weiterverfolgt.

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müssten diese Personen bestimmte Ideen – was auch immer ihre Herkunft sein mochte – mit Bedeutungen füllen, die einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Ort entsprechen. Ideen sind keine körperlosen Wesen, die in einem Vakuum existieren. Sie fungieren innerhalb eines Diskurses, sonst sind sie bedeutungslos, ohne jede Konsequenz oder werden vergessen. Buber war nicht der einzige, der daoistische Konzepte in den deutschen intellektuellen Diskurs transponierte. Seine Originalität jedoch besteht in seinem Versuch einer echten philosophischen Integration dieser Konzepte. Darüber hinaus wurden, wie Wolfgang Bauer bemerkt, sowohl die Geschichten aus dem Zhuangzi wie auch aus dem Liaozhai, »[…] allgemein bekannt, weil sie Bubers eigenes philosophisches Denken wunderbar transparent machten« 117 – und dies, obwohl sie auf Zweitübersetzungen beruhten. Abschließend sei neben dem Exegeten noch Buber der Übersetzerbetrachtet. Wie ist die Leistung des Übersetzers Buber einzuschätzen? Auf den vorangegangen Seiten wurde bereits mehrfach deutlich gemacht, wo sich Buber irrte oder aus den Zweitübersetzungen falsch übersetzte. »Kreative Übersetzungsfehler« können jedoch oft auch ein Vorteil sein. Alle Übersetzungen werden auf die eine oder andere Weise zu neuen Werken, einige im positiven, andere im negativen Sinn. Die enthusiastischen Rezensionen anlässlich Bubers Veröffentlichungen aus dem Jahr 1910 und 1911 beweisen, dass sowohl seine Reden und Gleichnisse als auch seine Geister- und Liebesgeschichten ein durchschlagender Erfolg waren und den deutschen Lesern eine ihnen bis dahin unbekannte Kostprobe chinesischer Literatur boten. Seine Übersetzungen »klangen echt«, wie man vielleicht sagen könnte. Ein wichtiges Beispiel hierfür hinsichtlich des Zhuangzi-Texts war Bubers Anerkennung der Bedeutung des Gleichnisses. Zweifellos hatten ihn die chassidischen Materialien, an denen er gearbeitet hatte, besonders empfänglich für die Vieldeutigkeit des Gleichnisses gemacht. Was immer auch der Grund gewesen sein mag, er versuchte nicht, Widersprüchlichkeiten eine Konsistenz aufzuzwingen, oder Klarheit zu schaffen, wo es keine gab. 118 Walter Benjamins (18921940) Interesse an Sprache ist an dieser Stelle von Bedeutung, da die Sprache von Bubers Übertragungen zunächst besonders schön und ver117. Wolfgang Bauer, The Role of Intermediate Languages in Translations from Chinese into German, in: De L’Un au Multiple. Traductions du Chinois vers les Langues Européennes, Paris 1999, S. 19-32, Zitat S. 27. 118. Dies wird besonders betont von Jesse Fleming, On Translation of Taoist Philosophical Texts: Preservation of Ambiguity and Contradiction, in: Journal of Chinese Philosophy 25, Heft 1 (März 1998), S. 147-156. Buber hat wahrscheinlich aus diesem Grund Giles’ erklärende, interlineare Kommentare gestrichen.

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führerisch ist. Der Übersetzer muss »diejenige Intention auf die Sprache, in die übersetzt wird, [zu] finden, von der aus in ihr das Echo des Originals erweckt wird«, schrieb Benjamin.119 Übersetzen ist jedoch eine komplexe Handlung, in deren Verlauf, so schlägt Willis Barnstone vor, der Autor des Textes und der Übersetzer in eine dialogische Beziehung eintreten. Schreiben, Lesen und Übersetzen formen sozusagen ein Kontinuum, und alle drei sind Übersetzungsaktivitäten. Der Autor übersetzt Denken in Zeichen, in »kodierte graphische Markierungen«; der Leser übersetzt diese »zurück in einen mentalen Text«. Denken wird in Schreiben transformiert, Schreiben in Lesen. Der Platz des Übersetzers ist nicht zwischen Autor und Leser, sondern zwischen dem Text als Leser, der einen zweiten Text übersetzt und schreibt, der wiederum ein weiteres Mal vom Leser übersetzt wird. Wie Benjamin kommt es auch Barnstone auf die Zielsprache an: »the true ethical task of the translator is to be a good writer, to produce a work that is clear and beautiful, however close or distant the inspiring source voice.« 120 Wie jedoch Oldrich Král in Erinnerung ruft, gehören Sinn und Sprache zusammen, und es ist der Sinn, der vom Übersetzer Relevanz verliehen bekommen muss. 121 Obwohl in Bubers Fall das Schreiben-Lesen-Übersetzen Unternehmen durch den vermittelnden Übersetzer und seinen Text verkompliziert wird, sei trotzdem betont, dass Bubers neue Werke als »Neuschöpfungen« für ihre Zeit und ihren Raum wichtig und bedeutend waren. Übersetzen und Hermeneutik sind zwar unterschiedliche Aktivitäten, aber aneinander gekoppelt. Hermeneutiker oder Übersetzer – Martin Buber nimmt eine besondere Stellung in der Geschichte der Übertragung chinesischer Philosophie von einem kulturellen Kontext in den anderen ein.

119. Walter Benjamin, Die Aufgabe des Übersetzers, in: Siegfried Unseld (Hrsg.), Walter Benjamin. Illuminationen. Ausgewählte Schriften, Frankfurt a. M. 1961, S. 56-69. 120. Willis Barnstone, The Poetics of Translation. History, Theory, Practice, New Haven u. London 1993, S. 8, 20, 22 u. 261. 121. Oldrich Král, Durch übersetzen ans sinnliche Ufer übersetzen, in: Wolfgang Kubin (Hrsg.), Hungloumeng. Studien zum »Traum der roten Kammer«, Bern u. Berlin 1999, S. 213.

Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse Der Untätige

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Tschien-Wu sagte zu Lien-Schu: »Ich hörte Tschieh-Yü etwas äußern, das von einer unstatthaften Torheit war und weder Sinn noch Verstand hatte. Was er sagte, befremdete mich ungemein, denn es schien mir schrankenlos wie die Milchstraße, zugleich aber ohne Zusammenhang und weitab von den Erfahrungen der Menschen.« »Was war es?« fragte Lien-Schu. Tschien-Wu antwortete: »Er erklärte, auf dem Berge Miao-ku-sche lebe ein geistergleicher Mann, dessen Fleisch wie Eis oder Schnee, dessen Haltung wie die einer Jungfrau sei; er esse keine Früchte der Erde, er nähre sich von Luft und Tau; und auf den Wolken fahrend, fliegende Drachen sein Gespann, schweife er jenseits der Vier Meere* umher. Dieses Wesen sei vollkommen untätig. Dennoch halte es die Fäulnis von allen Dingen ab und mache die Saaten gedeihen. Nun denn, ich nenne das Unsinn, und ich glaube nicht daran.« Lien-Schu sprach: »Man befragt ja einen Blinden nicht über ein Gemälde und lädt einen Tauben nicht zum Singfest ein. Blindheit und Taubheit aber sind nicht des Leibes bloß; es gibt auch Seelen, die blind und taub sind. Du, so dünkt mich, bist von diesen Gebrechen heimgesucht. In Wahrheit erfüllt der gute Einfluß jenes Mannes die ganze Schöpfung. Und doch möchtest du, daß er sich zu den Einzelheiten eines Reiches herablasse, weil ein erbärmliches Geschlecht nach Umgestaltung schreit! Die Welt der Dinge kann ihm nichts anhaben. In einer Flut, die zum Himmel reichte, würde er nicht benetzt werden. In einem Brande, der die Metalle der Erde schmelzte und die Berge versengte, würde er nicht heiß werden. Aus seinem Staub und Siebrest könnt ihr zwei eurer berühmten Männer machen. Und du möchtest, daß er sich mit den Dingen befasse!«

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Die Vier Meere bedeuten hier und an anderen Stellen die Grenzen der irdischen Welt.

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Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse

Der Nutzlose Baum Hui-Tse sagte zu Tschuang-Tse: »Herr, ich habe einen großen Baum von einer wertlosen Art. Sein Stamm ist so uneben und knorrig, daß er nicht zu Brettern taugt; und seine Äste sind so gewunden, daß sie keine Nutzteilung zulassen. Er steht an der Landstraße, aber kein Zimmermann sieht ihn an. Deine Worte, Herr, sind wie dieser Baum; groß und nutzlos, von keinem gebraucht.« Tschuang-Tse antwortete: »Herr, hast du nie eine Wildkatze gesehen, die geduckt auf ihre Beute lauert? Rechtshin, linkshin springt sie von Zweig zu Zweig, hinauf, hinab, – bis sie von ungefähr in eine Falle gerät oder in einer Schlinge verreckt. Dann ist da aber der Büffel mit seinem massigen Leibe, der einer Wolke gleich den Himmel verdunkelt. Er kann gerechterweise groß genannt werden. Auf den Mäusefang versteht er sich freilich nicht. Nun denn: hast du einen großen Baum und weißt nicht, was du damit beginnen sollst, – warum pflanzest du ihn nicht in die einsame und schattenlose Wildnis? Da könntest du müßig zu seinen Füßen schlendern oder im Genusse ungestörten Behagens in seinem Schatten schlafen. Da brauchte keiner an Beil und Axt zu denken; da wärest du mit ihm jenseits von Nutz und Schaden.«

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Die Musik des Himmels Tse-Tschi aus Nan-kuo saß über seinen Tisch gelehnt. Er sah zum Himmel, atmete tief und leicht und erschien entrückt, als wären Leib und Seele geschieden. Yen-Tscheng Tse-Yü, der vor ihm stand, rief: »Was geschieht in dir, daß dein Körper wie ein dürrer Baum wird und dein Geist wie tote Asche? Wahrlich, der Mann, der jetzt über den Tisch lehnt, ist nicht der, der vordem hier war.« Tse-Tschi sprach: »Du fragst mit Recht. Ich habe heute mich selber begraben. Kannst du das verstehen? Du magst die Musik des Menschen gehört haben, aber nicht die Musik der Erde. Du magst die Musik der Erde gehört haben, aber nicht die Musik des Himmels.« »Erkläre mir, was du meinst«, sagte Tse-Yü. Tse-Tschi sprach weiter: »Der Atem der Natur wird Wind genannt. Zu Zeiten ist er unbewegt. Ist er bewegt, tönt jede Öffnung seinem Anhauch wider. Hast du nie dem schwellenden Brausen gelauscht? Gruben und Schluchten in Berg und Gehölz, die Höhlen der riesenhaften, nicht zu umfassenden Bäume, sie sind wie Nüstern, wie Mäuler, wie Ohren, wie

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Becher, wie Mörser, wie Rinnen. Wenn der Wind durch sie hinstürzt, geben sie die Töne des wallenden Wassers, des schwirrenden Pfeils, des strengen Befehls, des Einatmens, des Schreis, der rauhen Rede, der tiefen Klage, der traurigen und pfeifenden Stimme. Die ersten Klänge sind dünn, schwerere folgen ihnen, doch eingestimmte. Sanfte Winde zeugen geringe Antwort, gewaltige eine große. Endlich legt sich der Sturm, und die Öffnungen sind leer und still. Hast du nie unter den Bäumen solch eine Wirrung gewahrt?« »Wohl,« sagte Tse-Yü, »da die Musik der Erde nur aus Löchern kommt und die Musik des Menschen aus Pfeifen und Flöten, woraus kommt die Musik des Himmels?« Tse-Tschi sprach: »Die Wirkung des Windes auf die verschiedenen Öffnungen ist nicht von gleicher Art. Aber was ist es, das jeder die Besonderheit, allen das Vermögen des Schalles gibt? Großes Wissen umfaßt das Ganze; kleines Wissen umfaßt den Teil. Große Rede ist allgemein; kleine Rede ist geeinzelt. Ob der Geist im Schlaf gebannt ist, ob frei in den wachen Stunden: immer sind wir Wirrungen untertan, Unschlüssigkeit, Unklarheit, Unoffenheit, Unmut und zitternder Angst. Bald fliegt wie ein Wurfspieß der Geist dahin, Richter über Gut und Böse; bald starrt er wie ein Malstein, Wächter gesicherter Rechte. Dann kommt in Herbstund Winterfrost der wachsende Verfall, ein Schwinden wie strömenden Wassers, das nicht umkehrt. Endlich, wenn alles verstopft ist wie in einem alten Abflußgraben, ein Stocken, und der Geist versagt und wird das Licht nicht wiedersehen. Freude und Verdruß, Kummer und Glück, Vorsicht und Reue kommen uns nacheinander an, in ruhelosem Wandel. Sie kommen wie Musik aus der Höhlung, wie Pilze aus der Feuchtigkeit. Tagüber, nachtüber lösen sie einander in uns ab; aber wir können nicht sagen, woher sie stammen. Dürfen wir einen Augenblick erhoffen, in dem wir die Ursache berühren werden?«

Das Bedingte und das Unbedingte Yeh-Tschüeh fragte Wang-I: »Weißt du, was es ist, worin alle Wesen gleichen Sinnes sind?« Wang-I antwortete: »Wie kann ich das wissen? Wenn ein Mensch an einem feuchten Orte schläft, wird er vom Lendenweh befallen und stirbt. Aber wie verhält es sich mit einem Aal? In einem Baum zu wohnen, ist unsicher und aufregend. Aber wie verhält es sich mit Affen? Von diesen dreien, Mensch, Aal, Affe, wessen Wohnsitz ist der rechte, in unbedingter Weise? Menschenwesen nähren sich von Fleisch, Rotwild von Gras. Wes-

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sen Geschmack ist der rechte, in unbedingter Weise? Affe paart sich mit Affen, der Rehbock mit der Hindin, Fische gesellen sich zu Fischen, und die Menschen bewundern die schönen Menschenfrauen, bei deren Anblick die Fische ins Wasser tauchen, die Vögel sich in die Luft schwingen, die Rehe entfliehen. Wer wird sagen, welches das Richtmaß der Schönheit ist? Ich meine, die Richtmaße von Gut und Böse, von Ja und Nein sind so verschlungen, daß es nicht möglich ist, sie zu scheiden.« Yeh-Tschüeh fragte: »Wenn du denn nicht weißt, was für dich vom Übel ist, entbehrt auch der Vollendete dieses Wissens?« Wang-I antwortete: »Der Vollendete ist ein geistiges Wesen. Wenn der Ozean verdunstete, würde er keine Hitze spüren. Wenn die Milchstraße gefröre, würde er keine Kälte spüren. Wenn der Donner die Berge zerrisse und der Sturm die große Tiefe emporschleudere, würde er nicht erzittern. Er würde auf die Wolken des Himmels steigen, Sonne und Mond vor sich einhertreiben und aus den Grenzen der Vier Meere schreiten, dahin, wo Tod und Leben keine Gewalt mehr über den Menschen haben, – geschweige denn das, was für ihn vom Übel ist.«

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Gegensätze und Unendlichkeit Tschü-Tschiao sagte zu Tschang-Wu-Tse: »Kong-Fu-Tse sprach in meiner Gegenwart: ›Ich hörte sagen, der wahre Weise schenke den weltlichen Dingen kein Augenmerk. Er suche nicht den Gewinn und meide nicht die Unbill. Er begehre nichts aus den Händen der Menschen. Er hänge ohne zu fragen dem Tao* an. Er könne sprechen ohne zu reden; er könne reden und doch nichts sagen. So schweife er jenseits des Staubes umher. Dies‹, so sprach Kong-Fu-Tse weiter, ›sind unbesonnene Worte.‹ Mir aber erscheinen sie als die kundige Darstellung des Tao. Welches ist deine Meinung, Herr?« Tschang-Wu-Tse antwortete: »Wie sollte Kong-Fu-Tse Dinge verstehen, die dem Gelben Kaiser** nicht offenbar waren? Du gehst zu schnell. Du siehst ein Ei an und möchtest es schon krähen hören. Du siehst deine Armbrust an und möchtest schon Entenbraten vor dir stehen haben. Ich will dir etliche Worte aufs Geratewohl sagen, und du höre aufs Geratewohl zu. Wie ist das, daß der Weise sich zu Mond und Sonne setzt und Raum und Zeit in seinem Arme trägt? Er hat alle Dinge in sich zur Einheit be* **

»Die Bahn«: der Urgrund und Ursinn des Seins. Hoang-Ti: eine legendäre Persönlichkeit, der häufig die Lehren des um zweitausend Jahre späteren Lao-Tse in den Mund gelegt werden.

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schlossen, er hat das Wirrsal des Dies und des Das verworfen. Außer Rang und Ordnung, geeint, steht er vor der Menge als ein Tor. Das Rollen von zehn Jahrtausenden rührt seine Einheit nicht an. Die Welt der Dinge mag laufen und vergehn, der Weise wird dauern. Ist Liebe zum Leben im Grunde nicht ein Wahn? Ist, der zu sterben fürchtet, nicht wie ein Kind, das sich verirrt hat und den Weg nach Hause nicht findet? Das Fräulein Li-Tschi war die Tochter des Häuptlings Ai-Feng. Als der Fürst von Tschin sie nahm, weinte sie, bis der Busen ihres Kleides von Tränen getränkt war. Als sie aber ins Hoflager kam und mit dem Fürsten lebte und sich vom Reichtum nährte, bereute sie ihr Weinen. Bereuen vielleicht die Toten, daß sie einst am Leben hafteten? Die vom Gastmahl träumen, erwachen zu Klage und Kummer. Die von Klage und Kummer träumen, erwachen zu fröhlichem Jagen. Indes sie träumen, wissen sie nicht, daß sie träumen. Manche wollen sogar, indes sie träumen, den Traum selber deuten; und erst, da sie erwachen, erfahren sie, daß es ein Traum war. Bald, bald kommt das große Erwachen, und dann entdecken wir, daß dieses Leben ein großer Traum war. Narren vermeinen, sie seien jetzt wach, und glauben zu wissen, ob sie in Wahrheit Fürsten oder Knechte sind. Kong-Fu-Tse und du, ihr beide seid Träume; und ich, der dies sagt, ich selber bin ein Traum. Dies ist ein Widersatz. Morgen wird ein Weiser aufstehen und ihn erklären; morgen: wenn zehntausend Geschlechter vergangen sind. Laß dies nun gesetzt sein, wir stritten miteinander um Meinungen. Wenn du mich besiegst und nicht ich dich, bist du notwendigerweise im Recht und ich im Unrecht? Oder wenn ich dich besiege und nicht du mich, bin ich notwendigerweise im Recht und du im Unrecht? Oder sind wir beide zu einem Teil im Recht und zum andern im Unrecht? Oder sind wir beide ganz im Recht und ganz im Unrecht? Du und ich, wir können es nicht wissen, und so wird die Welt der Wahrheit entbehren. Wen soll ich zum Schiedsrichter zwischen uns einsetzen? Setze ich einen ein, der mit dir eines Sinnes ist, wird er zu dir halten. Wie kann solch einer zwischen uns richten? Setze ich einen ein, der mit mir eines Sinnes ist, wird er zu mir halten. Wie kann solch einer zwischen uns richten? Und setze ich einen ein, der entweder von uns beiden abweicht oder uns beiden zustimmt, der wird gleicherweise unfähig sein, zwischen uns zu entscheiden. Da nun du nicht entscheiden kannst, und ich nicht, und kein Mensch, müssen wir da nicht einem Andern anhangen? Solch eine Abhängigkeit ist, als sei sie keine Abhängigkeit. Wir sind in der alles auslöschenden Einheit des Himmels umfangen. Da ist vollkommene Anpassung an alles, was immer geschehen mag; und so vollenden wir die uns

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zugemessene Spanne … Achte nicht auf die Zeit, und nicht auf Rechthaben und Unrechthaben. Schreite ins Reich des Unendlichen, in deine entscheidende Ruhe.«

Der Schmetterling Ich, Tschuang-Tse, träumte einst, ich sei ein Schmetterling, ein hin und her flatternder, in allen Zwecken und Zielen ein Schmetterling. Ich wußte nur, daß ich meinen Launen wie ein Schmetterling folgte, und war meines Menschenwesens unbewußt. Plötzlich erwachte ich; und da lag ich: wieder »ich selbst«. Nun weiß ich nicht: war ich da ein Mensch, der träumt, er sei ein Schmetterling, oder bin ich jetzt ein Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch? Zwischen Mensch und Schmetterling ist eine Schranke. Sie überschreiten ist Wa n d l u n g genannt.

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Der Koch Fürst Huis Koch war damit beschäftigt, einen Ochsen aufzuschneiden. Jeder Schlag seiner Hand, jedes Heben seiner Schultern, jeder Tritt seines Fußes, jeder Stoß seines Knies, jedes Zischen gespaltenen Fleisches, jedes Sausen des Beiles, alles war in vollkommenem Einklang, – gegliedert wie der Tanz des Maulbeerhains, zusammentönend wie die Klänge des Tschingschau. »Wohlgetan!« rief der Fürst. »Dies ist wahrlich Kunstfertigkeit.« »Dein Diener«, antwortete der Koch, »hat sich dem Tao ergeben. Das ist besser als Kunstfertigkeit. Als ich zuerst Ochsen aufzuschneiden begann, sah ich vor mir g a n z e Ochsen. Nach dreijähriger Übung sah ich keine ganzen Tiere mehr. Und jetzt arbeite ich mit meinem Geiste und nicht mehr mit meinem Auge. Wenn meine Sinne mich innehalten heißen, aber mein Geist mich weiter antreibt, finde ich meinen Rückhalt an den ewigen Grundsätzen. Ich folge den Öffnungen und Höhlungen, die gemäß der natürlichen Beschaffenheit des Tieres da sein müssen. Ich versuche nicht, Gelenkknochen zu durchschneiden, geschweige denn große Knochen. Ein guter Koch wechselt sein Beil einmal im Jahre, – weil er schneidet. Ein gewöhnlicher Koch wechselt es einmal im Monat, – weil er hackt. Ich aber führe dieses Beil seit neunzehn Jahren, und obgleich ich viele tausend Ochsen aufgeschnitten habe, ist seine Schneide, als käme sie frisch vom Wetzstein. Denn an den Gelenken sind stets Zwischenräume, und da

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die Schneide eines Beiles ohne Dicke ist, tut dies allein not, sie in solch einen Zwischenraum zu fügen. Hierdurch wird der Zwischenraum erweitert, und die Klinge findet Ortes genug. So habe ich mein Beil neunzehn Jahre lang erhalten, als käme es frisch vom Wetzstein. Dennoch, wenn ich an einen harten Teil gerate, wo die Klinge einem Hindernis begegnet, sammle ich mich in Vorsicht. Ich hefte mein Auge daran. Ich halte meine Hand zurück. Sanft lege ich meine Klinge an, bis der Teil mit einem dumpfen Laute nachgibt, wie Erdklumpen, die niedersinken. Dann nehme ich mein Beil heraus, und erhebe mich, und blicke mich um, und stehe still, bis ich endlich mit der Miene des Triumphes mein Beil abtrockne und es sorgsam beiseite tue.« »Wohlgesprochen!« rief der Fürst. »Aus den Worten dieses Kochs habe ich gelernt, wie ich für mein Leben Sorge zu tragen habe.«

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Als Lao-Tse starb, ging Tschin-Schih, um ihn zu klagen. Er seufzte dreimal und kehrte heim. Ein Schüler fragte ihn: »Warst du unseres Meisters Freund oder warst du es nicht?« »Ich war es«, antwortete er. Der Schüler fragte weiter: »Wenn du es warst, betrachtest du dies als einen hinreichenden Ausdruck des Grams?« »Ja«, sagte Tschin-Schih. »Ich hatte gemeint, er sei der Mensch der Menschen, und jetzt sehe ich, daß er es nicht war. Als ich kam, um ihn zu klagen, fand ich alte Leute, die um ihn weinten wie um ein Kind, und junge Leute, die um ihn jammerten wie um eine Mutter. Um so große Liebe zu gewinnen, muß er Worte gesprochen haben, die nicht gesprochen werden sollten, und muß Tränen vergossen haben, die nicht vergossen werden sollten, ewige Grundsätze verletzend, die Menge menschlicher Erregung vermehrend und die Quelle vergessend, aus der sein Leben empfangen war. Die Alten nannten solche Erregungen die Fangnetze der Sterblichkeit. Der Meister kam, weil seine Zeit war, geboren zu werden; er ging, weil seine Zeit war, zu sterben. Für einen, der die Erscheinung der Geburt und des Todes also annimmt, gibt es nicht Klage und Trauer. Die Alten sagten vom Tode, Gott schneide einen Menschen los, der in der Luft hing. Der Brennstoff ist verzehrt, aber das Feuer kann weitergegeben werden; und wir wissen nicht, daß es je ende.«

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Mit den Menschen Yen-Hui* kam zu Kong-Fu-Tse Abschied nehmen. »Wohin willst du dich begeben?« fragte der Meister. »Ich gehe nach dem Staate Weï«, antwortete jener. »Und was beabsichtigst du dort zu tun,« fragte Kong-Fu-Tse weiter. »Ich habe erfahren,« sagte Yen-Hui, »daß der Fürst von Weï wohl reif an Jahren, aber von einer unbändigen Veranlagung ist. Er gebärdet sich, als wäre der Staat ohne Belang, und will seine eignen Gebrechen nicht sehen. Darum gehen die Leute zugrunde, und die Leichen liegen umher wie Unterholz im Bruch. Das Volk ist am Äußersten. Ich habe aber dich, Meister, sagen gehört, wenn ein Staat gut regiert wird, dürften wir ihn vernachlässigen, wenn er schlecht regiert wird, sollten wir ihn besuchen. Die Heilkunde umfaßt viele und mannigfaltige Krankheiten. Ich möchte mein Wissen erproben, daß ich vielleicht diesem Staate etwas Gutes erweise.« »Ach!« rief Kong-Fu-Tse, »es wird dir nur gelingen, dir selbst Übles anzutun. Denn Tao darf nicht ausgeteilt werden. Wird es ausgeteilt, verliert es seine Einheit. Verliert es seine Einheit, wird es ungewiß. Und so wirkt es Verstörung des Geistes, – aus der es kein Entrinnen gibt. Die Weisen der Vorzeit gewannen Tao erst für sich selbst, dann erst gewannen sie es für andere. Ehe du selbst es besitzest, welche Muße hast du, dich mit dem Tun der Bösen abzugeben? Überdies: weißt du, worin Tugend mündet und worin Klugheit ausgeht? Tugend mündet in Begehren nach Ruhm; Klugheit geht in Streit aus. Im Kampf um den Ruhm schlagen die Menschen einander nieder, und all ihre Klugheit erzeugt nur Eifersucht. Tugend und Klugheit sind gefährliche Werkzeuge und dürfen nicht sorglos gebraucht werden. Zudem: die, ehe sie durch eigene gefestigte Tugend und untadelhafte Wahrhaftigkeit Einfluß geübt haben, ehe sie durch das Beispiel der eigenen Verachtung von Ruf und Ruhm die Herzen getroffen haben, hingehen und den Bösen Menschenliebe und Gerechtigkeit predigen, die wirken nur das eine, daß die Menschen, denen sie predigen, sie hassen lernen um ihrer Gutheit willen. Solche Leute werden Übelredner genannt. Und die von andern übel reden, denen kommt es zu, daß von ihnen übel geredet werde. Dies wird, ach, dein Ende sein. Aber gewiß hast du einen Plan. Sage ihn mir.« »Ernste Haltung«, antwortete Yen-Hui, »und Gelassenheit, Tatkraft und Beharrlichkeit, – ist das nicht genug?« *

Des Confucius Lieblingsschüler.

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»Ach!« sagte Kong-Fu-Tse, »es ist nicht genug. Dieser Mann trägt Vollkommenheit zur Schau und ist voll Dünkel. Sein Wesen kann aus seiner Haltung nicht erschlossen werden. Gemeiniglich wird ihm nicht widersprochen, und so ist es ihm eine Lust geworden, die andern zu beugen. Hat er so die Übung der gewöhnlichen Tugenden verfehlt, kannst du erwarten, daß er sich bereitwillig den höheren ergebe? Du magst beharren, aber ohne Erfolg. Dem Äußern nach wird er dir vielleicht recht geben, aber dem Innern nach unrecht. Wie willst du dann bewirken, daß er seine Wege ändere?« »Ebenso«, antwortete Yen-Hui. »Ich bin dem Innern nach aufrecht, dem Äußern nach gekrümmt, vollendet nach den Mustern des Altertums. Wer dem Innern nach aufrecht ist, der ist ein Diener des Himmels. Und wer ein Diener des Himmels ist, der weiß, daß der Kaiser und er in gleicher Weise Söhne des Himmels sind. Braucht solch einer sich darum zu ängstigen, ob ihm die Menschen zustimmen oder widersprechen? Die Menschen sehen ihn als ein Kind an. Das heißt ein Diener des Himmels sein. Wer dem Äußern nach gekrümmt ist, der ist ein Diener des Menschen. Er verneigt sich, er kniet, er faltet die Hände; – das ist der Formenbrauch des Staatsbeamten. Was alle Menschen tun, sollte ich wagen, es nicht zu tun? Was alle Menschen tun, niemand wird mich darob tadeln. Das heißt ein Diener des Menschen sein. Wer nach den Mustern des Altertums vollendet ist, der ist ein Diener der Weisen der Vorzeit. Mag ich auch mahnen und zur Rede stellen, es sind doch die Weisen der Vorzeit, die sprechen, nicht ich. So wird meine Aufrichtigkeit mich nicht in Gefahr bringen, den Diener der Weisen der Vorzeit. – Ist das nicht genug?« »Ach!« antwortete Kong-Fu-Tse, »es ist nicht genug. Deine Pläne sind zu vielfältig, und sie ermangeln der Vernunft. Immerhin wird dich deine Festigkeit vor Schaden bewahren; aber das ist auch alles. Du wirst den Fürsten nicht in solchem Maße beeinflussen können, daß es ihm scheine, er folge nur den Geboten seines eigenen Herzens.« »Dann«, sagte Yen-Hui, »bin ich ohne alle Hilfe, und ich erdreiste mich, nach einem Wege zu fragen.« Kong-Fu-Tse sprach: » F a s t e ! Ich will dir erklären. Du hast einen Weg, aber es ist schwer, ihn zu gehen. Die leichten sind nicht vom Himmel.« »Ich habe«, sagte Yen-Hui, »seit vielen Monaten weder Wein noch Fleisch gekostet. Ist das nicht Fasten?« »Das Fasten des Opferbrauchs wohl,« antwortete Kong-Fu-Tse, »aber nicht das Fasten des Herzens.«

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»Und ist es mir gewährt zu fragen,« sagte Yen-Hui, »worin das Fasten des Herzens besteht?« »Übe Einheit«, antwortete Kong-Fu-Tse. »Du hörst nicht mit den Ohren, sondern mit dem Verstande; nicht mit dem Verstande, sondern mit deiner Seele. Aber lasse das Hören bei den Ohren innehalten. Lasse die Arbeit des Verstandes bei ihm selbst innehalten. Dann wird die Seele ein abgelöstes Wesen sein, das den Dingen mit seiner durch kein Tun geschiedenen Einheit antwortet. In solch einem abgelösten Wesen allein kann Tao wohnen. Und dieser Zustand der Ablösung ist das Fasten des Herzens.« »Dann«, sagte Yen-Hui, »ist die Ursache dessen, daß ich diesen Weg nicht gehen konnte, meine eigene Sonderheit. Wenn ich ihn gehen könnte, wäre meine Sonderheit von mir gegangen. Ist es dies, was du mit dem Zustand der Ablösung meinst?« »Es ist dies«, antwortete der Meister. »Ich will dir Auskunft geben. Kannst du in dieses Mannes Bereich eintreten ohne seine Eigenliebe zu verletzen, heiter, wenn er auf dich hört, unbewegt, wenn er es nicht tut, ohne Kunst, ohne Arzenei, einfach im Zustande vollkommenen Gleichmuts dahinlebend, – dann wirst du dem Erfolge nahe sein. Es ist leicht, beim Gehen aufzutreten; das Schwere ist, zu gehen, ohne den Boden zu berühren. Als Sachwalter des Menschen ist es leicht, die Geister zu gewinnen; aber nicht als Sachwalter des Himmels. Du weißt von geflügelten Geschöpfen, die fliegen. Du weißt noch nicht, wie man ohne Flügel fliegt. Du weißt von Menschen, die aus Wissen weise sind. Du weißt noch nicht, wie man ohne Wissen weise ist. Sieh dieses Fenster an. Es macht, daß ein leerer Raum von einer Gegend belebt wird; aber die Landschaft bleibt außen. Wäre dem nicht so, wir hätten einen Widerspruch vor uns, wie wenn ein Ding zugleich stillestehn und davonlaufen könnte. So magst du deine Ohren und Augen gebrauchen, daß sie dir die Welt mitteilen, aber allen Wissenswahn sollst du aus deinem Geiste verbannen. Dann wird das Übersinnliche zu dir kommen und bei dir wohnen; wie sollte sich da der Mensch dir versagen? Dies ist der Weg, die Schöpfung zu erneuen.«

Fürstenerziehung Yen-Ho war zum Hofmeister des ältesten Sohnes Lings, des Fürsten von Weï, bestellt worden. Er sagte zu Tschü-Poh-Yü, dem Kanzler von Weï, von seinem Zögling sprechend:

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»Das ist ein Mensch, dessen natürliche Verfassung von einer niedern Art ist. Ihn seinen verderblichen Weg gehen lassen, hieße den Staat gefährden. Ihn zurückzuhalten versuchen, hieße meine persönliche Sicherheit gefährden. Er hat eben Verstandes genug, um die Fehler der andern zu sehen, aber nicht genug, um seine eignen zu sehen. Ich weiß daher nicht, was ich tun soll.« »Fürwahr, eine gute Frage«, sagte Tschü-Poh-Yü. »Du mußt bedachtsam sein und mit Selbsterziehung beginnen. Im Äußern magst du dich anpassen, aber im Innern mußt du deinem eigenen Richtmaß standhalten. Darin ist begriffen, daß du dich vor zwei Dingen zu wahren hast. Du darfst nicht die äußere Anpassung nach innen dringen lassen, noch das innere Richtmaß sich nach außen kundgeben lassen. Wenn du das eine tust, wirst du sinken, wirst ausgewischt werden, wirst zusammenbrechen, wirst zu Boden stürzen. Wenn du das andre tust, wirst du ein Schall werden, ein Name, ein Popanz, ein unheimliches Ding. Ist er wie ein Knabe, so begegne auch du ihm wie ein Knabe. Tut er alles Gefühl des Anstands ab, so tue auch du es ab. So weit er geht, gehe du auch. So wirst du ihn treffen, ohne ihn zu verletzen. Kennst du nicht die Geschichte der Mantis religiosa*? In ihrer Raserei streckte sie ihre Glieder aus, um einen Karren am Weiterfahren zu hindern, ohne zu bedenken, daß dies über ihre Kraft ging; so wunderbar war ihre eifernde Gewalt. Sei vorsichtig. Wenn du die andern durch deine Überlegenheit verletzest, wirst du gewiß zu Schaden kommen. Weißt du nicht, daß, die Tiger gefangen halten, nicht wagen, ihnen lebendige Tiere zum Fraß zu geben, aus Furcht, das Töten der Beute könnte ihre Wut erregen? Und daß sie den Tigern keine ganzen Tiere geben, aus Furcht, das Zerreißen der Beute könnte ihre Wut erregen? Sie beobachten sorgsam die Zeiten des Hungers und der Sättigung. Tiger sind von einer andern Gattung als Menschen; dennoch magst du bedenken, daß sie sich wohl an die schmiegen, die sie füttern, daß sie sie aber auch zuweilen töten, wenn sie ihrem Wesen nicht zu Willen sind. Die Pferde lieben, umgeben sie mit mannigfachen Bequemlichkeiten. Zuweilen wird ein Pferd von Mücken oder Fliegen belästigt; wenn da der Stallknecht plötzlich, ohne daß das Tier es erwartet, sie wegstreift, geschieht es wohl, daß das Pferd den Zügel zerreißt und sich an Kopf und Brust verletzt. Die Absicht war gut, aber es hat an der wahren Fürsorge gefehlt. Davor mußt du dich hüten.«

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Die Gottesanbeterin, eine Heuschrecke, so genannt, weil sie das am vordersten Brustringe hängende Beinpaar über den Kopf gehoben trägt.

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Der heilige Baum Ein Zimmermann reiste nach dem Staate Tschi. Als er nach Tschü-yüan kam, sah er einen heiligen Baum, der so groß war, daß ein Stier sich dahinter verbergen konnte; er hatte einen Umfang von hundert Spannen, ragte hoch über den Gipfel des Hügels empor und trug Äste, von denen manche der Größe nach für Kähne getaugt hätten. Eine Menschenmenge stand davor und gaffte ihn an, aber der Zimmermann achtete seiner nicht und ging des Weges weiter, ohne sich umzusehen. Sein Lehrbursche hingegen sah sich satt daran, und als er seinen Meister wieder eingeholt hatte, sagte er: »Seit ich in deinem Dienste ein Breitbeil gehandhabt habe, sah ich nie solch ein prächtiges Stück Holz wie dieses. Wie geht das zu, Herr, daß du nicht stehengeblieben bist, um es zu betrachten?« »Es lohnt nicht davon zu reden«, antwortete der Meister. »Das Holz taugt zu nichts. Mach ein Boot daraus, – es wird sinken. Einen Sarg, – er wird faulen. Hausrat, – er wird bald zerfallen. Eine Tür, – sie wird schwitzen. Einen Pfeiler, – er wird von den Würmern zerfressen werden. Es ist ein Holz ohne Rang und ohne Nutzen. Darum hat es sein gegenwärtiges Alter erreicht.« Als der Zimmermann nach Hause kam, träumte er, der Baum erscheine ihm und spreche zu ihm: »Was ist es, womit du mich vergleichst? Sind es die vornehmen Bäume? Der Kirschbaum, der Birnbaum, der Orangenbaum und andere Fruchtträger werden, sobald ihre Früchte gereift sind, geplündert und schimpflich behandelt. Große Zweige werden geknickt, kleine abgebrochen. So schädigen diese Bäume durch ihren Wert ihr eignes Leben. Sie können ihre zugemessene Spanne nicht vollenden, sondern kommen vorzeitig in der Mitte der Bahn um, weil sie in die umgebende Welt verstrickt sind. So ist es mit allen Dingen. Eine lange Zeit war es mein Ziel, nutzlos zu werden. Mehrmals war ich in Gefahr, aber endlich ist es mir geglückt, und so kam es, daß ich heute nutzreich bin. Aber wäre ich damals von Nutzen gewesen, ich hätte jetzt nicht den großen Nutzsegen, den ich habe. Überdies gehören wir beide, du und ich, zu derselben Art von Dingen. Tue darum diese Tadelsucht von dir ab. Ist ein nichtsnutziger Mensch, dessen Zeit der Gefahren noch nicht vorüber ist, die richtige Person, von einem nichtsnutzigen Baum zu reden?«

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In dem Staate Lu lebte ein Mann, namens Wang-Thai, dem man die Zehen abgeschnitten hatte. Seine Schüler waren so zahlreich wie die KongFu-Tses. Tschang-Tschi fragte Kong-Fu-Tse: »Dieser Wang-Thai ist verstümmelt worden, und dennoch teilt er mit dir, Meister, die Lehrgewalt im Staate Lu. Er predigt nie und erörtert nie; dennoch gehen, die leer zu ihm kamen, erfüllt von dannen. Er lehrt offenbar die Kunde, die keinen Ausdruck in Worten findet; und obgleich seine Gestalt unvollkommen ist, ist sein Geist vielleicht vollkommen. Was für eine Art Mensch ist das?« »Er ist ein Weiser«, antwortete Kong-Fu-Tse. »Ich habe es bisher versäumt, seine Unterweisung zu suchen. Ich will zu ihm gehen und von ihm lernen. Und wenn ich es tue, – warum nicht die, die nicht meinesgleichen sind? Ich will mit mir nicht den Staat Lu allein, ich will die ganze Welt mit mir nehmen.« »Der Mann ist verstümmelt worden,« sagte Tschang-Tschi, »und doch nennen die Leute ihn Meister. Er muß von den gewöhnlichen Menschen sehr verschieden sein. Aber in welcher Weise gebraucht er seinen Geist?« Kong-Fu-Tse antwortete: »Leben und Tod sind allgewaltig, aber sie können dem Geist nichts anhaben. Himmel und Erde mögen zusammenfallen, aber er wird bleiben. Wenn er ohne Fehle befunden ist, wird er das Los aller Dinge nicht teilen. Er kann die Änderung der Dinge bewirken, indes er selbst sein Wesen unberührt erhält.« »Wie das?« fragte Tschang-Tschi. Kong-Fu-Tse antwortete: »Vom Gesichtspunkt der Verschiedenheit sondern wir zwischen Leber und Galle, zwischen dem Staate Tschu und dem Staate Yüeh. Vom Gesichtspunkt der Gleichheit sind alle Dinge eines. Dies ist der Standort Wang-Thais. Er kümmert sich nicht um das, was ihn durch die Sinne des Sehens und Hörens erreicht, sondern richtet seinen ganzen Geist auf den Gipfelpunkt der Tugend. Er schaut alle Dinge wie eines an, ohne ihre Abweichungen zu bemerken. Und so ist ihm die Abweichung seiner Zehen nicht mehr, als ihm der Verlust ebenso vielen Schmutzes wäre.« »Er gibt sich in der Tat mit sich selber ab«, sagte Tschang-Tschi, »und gebraucht seine Weisheit, um seinen Geist zu vollenden. Aber wie kommt es dann, daß die Leute so viel Wesens aus ihm machen?« Kong-Fu-Tse antwortete: »Ein Mensch sucht nicht im fließenden, sondern im stillen Wasser sein Bild zu erblicken. Denn nur was selber fest ist, kann anderes festhalten. Die Gnade der Erde hat Fichten und Zedern berührt. Winter und Som-

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mer stehen sie im gleichen Grün. Die Gnade Gottes hat Yao und Schun* berührt, die Vorbildlichen. Es war ihnen gewährt, ihr eigenes Leben zu regeln und so das Leben der ganzen Menschheit zu regeln. Durch Nährung des leiblichen Mutes kann das Gefühl der Furcht so völlig ausgeschaltet werden, daß ein einzelner es über sich vermag, einem ganzen Heere entgegenzutreten. Wenn solch eine Tat im Suchen nach Ruhm erlangt werden kann, wieviel mehr muß einer erlangen, der seine Macht über Himmel und Erde streckt und sich allen Dingen aufprägt; der, in den Schranken dieses Menschenleibes mit seinen zwei Zuflußrinnen, Gesicht und Gehör, verweilend, seine Erkenntnis bewegt, zu erkennen, daß alle Dinge eines sind und daß der Geist ewig dauert. Er harrt der anbefohlenen Stunde, und die Menschen strömen ihm aus eignem Antrieb zu, ihm, der keinen Finger rührt, sie an sich zu ziehen.«

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Schu-Schan Ohnezehen Im Staate Lu lebte ein Mann, dem man die Zehen abgeschnitten hatte. Er wurde Schu-Schan Ohnezehen genannt. Er kam, auf den Fersen gehend, um Kong-Fu-Tse zu sehen. Aber Kong-Fu-Tse sagte zu ihm: »Du hast auf dich nicht geachtet und hast so dieses Mißgeschick über dich gebracht. Was frommt es, nun zu mir zu kommen?« »In meiner Unwissenheit«, antwortete Ohnezehen, »ließ ich meinen Körper gehen und so habe ich meine Zehen verloren. Aber ich komme mit einem Ding, das kostbarer ist als Zehen und das ich nun zu bewahren suche. Es gibt keinen Menschen, den der Himmel nicht deckte; es gibt keinen Menschen, den die Erde nicht trüge; und ich meinte, du, Herr, seist wie Himmel und Erde. Ich erwartete nicht, diese Worte von dir zu hören.« »Ich bin nur ein armes Geschöpf«, sagte Kong-Fu-Tse. »Tritt ein und laß mich dich lehren.« Aber Ohnezehen ging von dannen. »Seht«, sagte Kong-Fu-Tse zu seinen Schülern, »da ist ein Verbrecher ohne Zehen, der lernen will, um für seine Missetaten Buße zu üben. Wenn er solch einen Willen hat, um wieviel mehr sollten die ihn haben, die keine Missetaten begingen, für die sie büßen müssen?« Ohnezehen kam zu Lao-Tse und sprach: »Ist Kong-Fu-Tse ein Weiser oder ist ers nicht? Wie geht es zu, daß er so viele Schüler hat? Er strebt, ein feiner Wortführer zu sein, und weiß nicht, daß solcher Ruf von den wahren Weisen wie die Fesseln eines Verbrechers angesehen wird.« *

Zwei große Kaiser des vierundzwanzigsten Jahrhunderts v. Chr.

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»Warum trittst du ihm nicht mit der Stetigkeit von Leben und Tod, mit der Einheit von Können und Nichtkönnen entgegen,« fragte Lao-Tse, »und befreist ihn so von seinen Fesseln?« »Er ist vom Himmel in dieser Art gestraft worden,« antwortete Ohnezehen. »Er kann nicht befreit werden.«

Der Aussätzige

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Ai, der Fürst des Staates Lu, sagte zu Kong-Fu-Tse: »Im Staate Weï ist ein Aussätziger, namens Ai-Thai-Tho. Die Menschen, die mit ihm leben, lieben ihn, und sie mühen sich durchaus nicht, ihn loszuwerden. Von den Frauen, die ihn gesehen haben, sagte manche zu ihren Eltern: ›Ich möchte lieber dieses Mannes Beischläferin als eines andern Gattin sein.‹ Er predigt niemals den Leuten, sondern setzt sich in inneren Einklang mit ihnen. Er besitzt keine Kraft, durch die er die Körper der Menschen beschützen könnte. Er hat keine Ämter zu vergeben, durch die er ihre Herzen erfreuen könnte. Seine Erscheinung ist einigermaßen ekelerregend. Er fühlt mit, aber er belehrt nicht. Sein Wissen ist auf sein Wohngebiet beschränkt. Dennoch sammeln sich Männer und Frauen um ihn. Da ich dachte, er müsse wohl von den gewöhnlichen Menschen verschieden sein, sandte ich um ihn und sah, daß seine Erscheinung in der Tat einigermaßen ekelerregend war. Und doch waren wir noch nicht viele Monate beisammen, als ich schon meine ganze Aufmerksamkeit seiner Lebensführung zuwenden mußte. Ein Jahr war noch nicht verflossen, da hatte er mein vollkommenes Vertrauen. Und als mein Staat einen Kanzler brauchte, bot ich ihm das Amt an. Er nahm es verdrießlich an, als hätte er weit lieber abgelehnt. Vielleicht war ich ihm nicht gut genug. Immerhin, er nahm es an. Aber nach einer sehr kurzen Zeit verließ er mich und ging hinweg. Ich grämte mich um ihn wie um einen verlorenen Freund und als wäre niemand geblieben, an dem ich mich erfreuen könnte. Was für eine Art Mensch ist das?« Kong-Fu-Tse antwortete: »Als ich auf einer Sendung nach dem Staate Tschu unterwegs war, sah ich eine Brut junger Schweine, die an ihrer toten Mutter saugten. Nach einer Weile sahen sie sie an, und dann verließen alle den Leichnam und rannten davon. Denn ihre Mutter blickte ihnen nicht mehr zu, und sie schien ihnen nicht mehr von ihrer Art zu sein. Was sie geliebt hatten, war ihre Mutter; nicht der Körper, der sie enthielt, sondern das, was den Körper dazu machte, was er war. Ai-Thai-Tho sagt nichts, und man vertraut ihm. Er tut nichts, und

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man sucht ihn. Er macht, daß ein Mann ihm die Regierung seines Staates anbietet und nur das eine befürchtet, er könnte ablehnen. Wahrlich, seine Gaben sind vollendet und seine Tugend ohne äußere Gestalt!« »Was meinst du damit, seine Gaben seien vollendet?« fragte der Fürst. »Leben und Tod«, antwortete Kong-Fu-Tse, »Erhaltung und Verfall, Erfolg und Mißerfolg, Armut und Reichtum, Tugend und Laster, guter und böser Ruf, Hunger und Durst, Wärme und Kälte, – sie alle schwingen im Menschenlose mit. Tagüber, nachtüber folgen sie eines dem andern, und niemand kann sagen, wo jedes beginnt. Darum darf ihnen nicht verstattet werden, die Eintracht des Lebendigen zu stören, und es darf ihnen nicht verstattet werden, das Reich des Geistes zu betreten. Die Eintracht des Lebendigen sich ergießen lassen, allen Seelen zur Freude; dies Tag um Tag ohne Unterlaß tun, daß Frühling zwischen einem und der Welt der Dinge sei; für alle Zeiten und Möglichkeiten bereit sein. Diese sind die Zeichen eines, dessen Gaben vollendet sind.« »Und Tugend ohne äußere Gestalt, – was ist das?« fragte der Fürst. »In einer Wasserwage«, sagte Kong-Fu-Tse, »ist das Wasser in einem vollkommenen Zustand der Ruhe. Laß dies dir zum Bilde sein. Das Wasser bleibt friedvoll innen und fließt nicht über. Aus der Übung solchen Ebenmaßes geht Tugend hervor. Und wenn Tugend keine äußere Gestalt annimmt, werden die Dinge ihr nicht fernzubleiben vermögen.« Einige Tage darauf sagte Fürst Ai zu Min-Tse: »Einst vermeinte ich, wenn ich für das Leben meines Volkes Sorge trage, sei mein Herrscherwerk erfüllt. Nun aber, da ich gehört habe, was ein vollkommener Mensch ist, erscheint es mir, daß ich verirrt war: ich habe mein Wesen vernachlässigt und meinen Staat geschädigt. Ich und Kong-Fu-Tse aber, wir sind nicht Fürst und Untertan, sondern Freunde um der Tugend willen.«

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Reine Menschen Wer um das Himmlische weiß, wer um das Menschliche weiß, hat das Ziel erreicht. Um das Himmlische wissend, weiß er, woraus er kam. Um das Menschliche wissend, ruht er im Wissen des Gewußten, erwartet er das Wissen des Ungewußten. Das zugewiesene Leben vollenden, nicht inmitten des Weges vergehen, das ist die Fülle des Wissens. Da ist aber ein Mangel. Wissen hangt an Erfüllung. Erfüllung ist ungewiß. Wie kann ich da wissen, ob mein Himmlisches in Wahrheit nicht das Menschliche, ob mein Menschliches in Wahrheit nicht das Himmlische ist?

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Wir müssen reine Menschen haben, dann erst werden wir reines Wissen haben. Welches aber ist der reine Mensch? Die reinen Menschen der Vorzeit handelten ohne Berechnung, suchten nicht Ergebnisse zu sichern, gaben sich nicht mit Plänen ab. Im Mißlingen hatten sie keinen Grund zur Reue, im Gelingen keinen Grund zur Selbstgefälligkeit. So konnten sie Höhen ersteigen und keine Furcht spüren; in Wasser tauchen und keine Feuchtigkeit spüren; durch Feuer schreiten und keine Glut spüren. So nahe hatte sie ihr Wissen dem Tao gebracht. Die reinen Menschen der Vorzeit schliefen ohne Träume, erwachten ohne Angst. Sie aßen ohne Genußgier. Sie atmeten tief. Denn reiner Menschen Atem kommt aus den innersten Tiefen, der Gemeinen Atem nur aus den Kehlen. Die reinen Menschen der Vorzeit liebten das Leben nicht, haßten den Tod nicht. Der Anfang weckte keine Freude, das Ende keinen Kampf. Schnell kommen, schnell gehen: das war genug. Sie vergaßen nicht das, woraus sie entsprungen waren, sie mühten sich nicht um das, worin sie münden sollten. Sie nahmen willig das Zugewiesne an, sie erwarteten friedvoll die Abberufung. Dies ist es, was genannt wird: dem Tao nicht widerstreben und das Himmlische nicht durch das Menschliche ersetzen wollen. Dies ist die Art reiner Menschen. Solche Menschen sind am Geiste frei, an Haltung still, an Antlitz heiter. Ihre Kälte ist die des Herbstes, ihre Wärme die des Frühlings. Der Wechsel ihrer Triebe vollzieht sich im eignen Gesetz wie der der Jahreszeiten. Sie sind im Einklang mit allen Dingen, und keiner kennt ihre Grenzen. So mag der Vollendete ein Reich zerstören und die Herzen des Volkes nicht verlieren; ohne Menschenliebe zu üben, beglückt er zehntausend Geschlechter. Wer sich an den Menschen erfreut, ist nicht der Vollendete. Wer den Menschen Liebe bekundet, ist nicht der Liebende. Wer auf die Zeiten achtet, ist nicht der Weise. Wer nicht mit Gut und Böse Verkehr hält, ist nicht der Überlegene. Wer nicht jenseits der Geltung steht, ist nicht der Vorbildliche. Wer sich nicht in unbedingter Weise aufgibt, kann kein Herrscher sein.

Die Stufen Nan-Po Tse-Kueï sagte zu Nü-Yü: »Du bist alt, und doch ist dein Angesicht wie das eines Kindes. Wie geht das zu?«

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Nü-Yü antwortete: »Ich habe Tao gelernt.« »Könnte ich Tao durch Lernen gewinnen?« fragte der andre. »Du könntest es nicht«, sagte Nü-Yü. »Du bist nicht der rechte Mensch dafür. Da war Pu-Liang-I. Er hatte alle Eigenschaften eines Weisen, aber Tao nicht. Nun hatte ich Tao, wiewohl keine der Eigenschaften. Aber glaubst du, ich wäre, wie ich es so sehr wünschte, fähig gewesen, ihn, damit er ein vollkommener Weiser würde, Tao zu l e h r e n ? Dann wäre es freilich ein leichtes, einen, der alle Eigenschaften eines Weisen hat, Tao zu lehren. I c h t e i l t e m i t , a l s h i e l t e i c h z u r ü c k . Nach drei Tagen hatte die Scheidung der Dinge für ihn zu sein aufgehört. Als er dies erreicht hatte, hielt ich wieder zurück. Nach sieben weiteren Tagen hatte das Außen für ihn zu sein aufgehört. Und wieder nach neun Tagen schritt er aus dem eignen Sein hinaus. Danach wurde sein Geist strahlend wie der Morgen, und er schaute das Wesen, sein Ich, von Angesicht zu Angesicht. Als er geschaut hatte, wurde er ohne Vergangenheit und Gegenwart. Endlich betrat er das Reich, wo Tod und Leben nicht mehr sind, wo man das Leben töten kann ohne sterben zu machen, und es erzeugen ohne leben zu machen. Da geleitet, da findet, da zerstört, da erbaut, der in Tao ist, alle Dinge. Der Zerschmettert-Unberührte ist sein Name, und seine Bahn ist die Vollendung.«

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Die vier Freunde Vier Männer sprachen miteinander, und dieser Beschluß wurde vorgeschlagen: »Wer das Nichts zum Haupt, das Leben zum Rückgrat, den Tod zum Schweif seines Daseins machen kann, der soll zu unsrer Freundschaft zugelassen sein.« Die vier sahen einander an und lächelten; schweigend nahmen sie die Bedingungen an und waren fortan Freunde. Nach einer Weile erkrankte einer von ihnen, namens Tse-Yü, und ein anderer, Tse-Sse, besuchte ihn. »Wahrlich, Gott ist groß!« sagte der Kranke. »Sieh her, wie er mich umgekrempt hat. Mein Rücken ist so verkrümmt, daß mein Eingeweide dicht an der Oberhaut ist. Meine Wangen sind auf derselben Höhe wie mein Nabel. Meine Schultern sitzen über meinem Nacken. Mein Haar starrt zum Himmel. Die ganze Ordnung meines Aufbaus ist zerrüttet. Aber das Gleichgewicht meines Geistes ist nicht gestört.« So sprechend, schleppte er sich mühselig zu einem Brunnen, in dem er sich sehen konnte, und sagte noch: »Ach, daß Gott mich so ganz umgekrempt hat!« »Hast du Angst?« fragte Tse-Sse. »Ich habe keine«, antwortete Tse-Yü. »Was sollte ich fürchten? Bald

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werde ich zerlegt sein. Meine linke Schulter wird ein Hahn werden, und ich werde den nahenden Morgen verkünden. Meine rechte Schulter wird eine Armbrust werden, und ich werde wilde Enten erjagen. Meine Hüften werden Räder werden; und mit meiner Seele als Pferd werde ich in meinem eigenen Wagen fahren können. Ich empfing das Leben, weil meine Zeit war; ich scheide nun von ihm nach demselben Gesetz. Da ich in der Folge dieser Zustände ruhe, können Lust und Gram mich nicht berühren. Ich hänge, wie die Alten es nannten, in der Luft, unfähig, mich selbst loszuschneiden, mit den Stricken des Daseins gebunden. Aber immer ist der Mensch dem Himmel gewichen: warum sollte ich da Angst haben?« Nach einer Zeit erkrankte ein anderer der vier, namens Tse-Lai, und lag, nach Atem ringend, dieweil seine Familie weinend umherstand. Der vierte Freund, Tse-Li, besuchte ihn. »Geht!« rief er der Frau und den Kindern zu, »ihr störet seinen Übergang.« Dann sagte er, an der Tür lehnend: »Wahrlich, Gott ist groß! Ich wüßte gern, was er jetzt aus dir machen wird. Ich wüßte gern, wohin er dich schicken wird. Meinst du etwa, er steckt dich in die Leber einer Ratte* oder in die Schulter einer Schlange?« »Ein Sohn«, antwortete Tse-Lai, »muß gehen, wohin seine Eltern ihn gehen heißen. Yin und Yang** sind des Menschen Eltern. Heißen sie mich schleunig sterben und ich zögere, dann bin ich ein unbotsamer Sohn. Sie können mir kein Unrecht tun. Tao gibt mir diese Gestalt, diese Mühsal in der Mannheit, diese Rast im Alter, diese Lösung im Tode. Und sicherlich wird, was so freundlich mein Leben entschied, am besten mein Sterben entscheiden. Nimm an, das siedende Erz im Schmelztiegel wallte auf und sagte: ›Mache aus mir ein Prachtschwert‹ ; ich meine, der Gießer würde dieses Erz als untauglich verwerfen. Und wenn ich zu Gott sagte: ›Mache aus mir einen Menschen, einen Menschen mache aus mir‹, ich meine, er würde mich als untauglich verwerfen. Die Welt ist der Schmelztiegel, und Gott ist der Gießer. Ich werde gehen, wohin ich gesandt werde, zu erwachen, unbewußt des Gewesenen, wie ein Mensch aus traumlosem Schlaf erwacht.«

* **

Nach der Volksmeinung der Chinesen hat die Ratte keine Leber. Das negative und das positive, das passive und das aktive, das dunkle und das helle Element, aus deren Zusammenwirken alle Dinge entstanden sind.

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Das Totenlied Tse-Sang-Hu, Meng-Tse-Fan und Tse-Tschin-Tschang sprachen miteinander. Einer fragte: »Wer kann sein und doch nicht sein? Wer kann tun und doch nicht tun? Wer kann zum Himmel steigen, die Wolken durchstreifen, den Raum verlassen, das Sein vergessen, für und für ohne Ende?« Die drei sahen einander an und lächelten; und da keiner von ihnen im Zweifel stand, wurden sie Freunde. Bald danach starb Tse-Sang-Hu. Kong-Fu-Tse sandte seinen Schüler Tse-Kung, daß er an der Trauerfeier teilnehme. Als Tse-Kung hinkam, sang der eine der Freunde dieses Lied, das der andre auf der Laute begleitete: »Wann wirst du dich uns wiedergeben, Sang-Hu? Wann wirst du dich uns wiedergeben, Sang-Hu? Du bist zu deinem Wesen heimgegangen, Wir aber, wehe, sind im Menschenlos geblieben.« Tse-Kung eilte hinein und rief: »Ich erlaube mir zu fragen, ob es mit den Regeln übereinstimmt, bei einer Leiche zu singen.« Die zwei sahen einander an, lachten und sprachen: »Was weiß dieser Mann von unsern Regeln?« Tse-Kung kehrte zurück, erzählte dies Kong-Fu-Tse und fragte ihn: »Was für Menschen sind das? Sie regeln ihr Tun nicht und behandeln den Körper wie etwas Fremdes. Sie können bei einer Leiche sitzen und doch singen, ungerührt. Ich weiß keine Art, der ich sie zuzählen könnte. Was sind sie?« »Diese Menschen«, antwortete Kong-Fu-Tse, »wandern jenseits der Lebensregel. Ich wandere diesseits ihrer. Daher begegnen unsere Wege einander nicht; und ich handelte töricht, dich zur Trauerfeier zu senden. Sie sehen sich als Gottes Genossen an und scheiden nicht zwischen Menschlichem und Himmlischem. Sie betrachten das Leben als eine Geschwulst, von der der Tod sie befreit. Bei alledem wissen sie nicht, wo sie vor der Geburt waren, noch wo sie nach dem Tode sein werden. Obgleich sie die Verschiedenheit der Elemente gelten lassen, erwählen sie ihren Standort auf der Einheit aller Dinge. Sie achten ihrer Leidenschaften nicht. Sie antworten ihren Sinnen nicht. Rückwärts und vorwärts durch alle Ewigkeit wissen sie keinen Anfang und kein Ende. Sie schweifen jenseits des Staubes, sie wandern in den Reichen des Nichttuns. Wie sollten solche Menschen sich um die Herkömmlichkeiten beunruhigen oder sich darum bekümmern, was die Menge von ihnen denkt?« »Wenn dem aber so ist,« sagte Tse-Kung, »warum sollen wir an der Regel haften?«

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»Der Himmel hat mich dazu verdammt«, antwortete Kong-Fu-Tse. »Doch will ich mit dir teilen, was ich erlangt habe.« »Auf welchem Wege wird es erlangt?« fragte Tse-Kung. »Fische«, sagte Kong-Fu-Tse, »sind im Wasser geboren. Der Mensch ist in Tao geboren. Bekommen Fische einen Teich, darin zu leben, gedeihen sie. Bekommt ein Mensch Tao, darin zu leben, kann er sein Leben in Frieden vollenden. Daher der Spruch: ›Alles, dessen ein Fisch bedarf, ist Wasser; alles, dessen ein Mensch bedarf, ist Tao.‹« »Ist es mir gewährt zu fragen,« sagte Tse-Kung, »wie es sich mit den überlegenen Menschen verhält?« »Die überlegenen Menschen«, antwortete Kong-Fu-Tse, »sind dem Himmel unterlegen. Daher der Spruch: ›Das geringste Wesen im Himmel wird das edelste auf Erden sein, und das edelste auf Erden das geringste im Himmel.‹«

Der Weg »Ich komme weiter«, sagte Yen-Hui zu Kong-Fu-Tse. »Wie das?« fragte dieser. »Ich bin Menschenliebe und Gerechtigkeit losgeworden«, antwortete Yen-Hui. »Recht gut,« sagte Kong-Fu-Tse, »aber nicht genug.« An einem andern Tage begegnete Yen-Hui Kong-Fu-Tse und sagte: »Ich komme weiter.« »Wie das?« fragte Kong-Fu-Tse. »Ich bin Riten und Rhythmen losgeworden«, antwortete Yen-Hui. »Recht gut,« sagte Kong-Fu-Tse, »aber nicht vollkommen.« Ein drittes Mal begegnete Yen-Hui Kong-Fu-Tse und sagte: »Ich komme weiter.« »Wie das?« fragte Kong-Fu-Tse. »Ich bin alles losgeworden«, antwortete Yen-Hui. »Alles losgeworden!« sagte Kong-Fu-Tse ergriffen. »Was meinst du damit?« »Ich habe mich von meinem Körper freigemacht«, antwortete Yen-Hui. »Ich habe meine Denkkräfte entlassen. Da ich so Leibes und Geistes ledig wurde, bin ich eins mit dem Unendlichen geworden. Das ist es, was ich damit meine, daß ich alles losgeworden bin.« »Wenn du eins geworden bist,« rief Kong-Fu-Tse, »kann da kein Streben mehr sein. Wenn du ins Unendliche eingetreten bist, hast du in Wahrheit nicht Anfang und Ende mehr. Und hast du dieses in Wahrheit

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erreicht, so bitte ich, es möge mir gewährt sein, in deine Fußtapfen zu treten.«

Das Reich regieren Tien-Ken reiste südlich des Berges Yin. Er kam zum Flusse Liao. Da begegnete er einem namenlosen Manne. Er sagte zu ihm: »Ich erlaube mir zu fragen, was zu tun ist, um das Reich zu regieren.« »Hinweg!« rief der Namenlose. »Du bist ein tölpischer Mensch, und deine Frage ist unangemessen. Ich bin Gottes Genosse geworden. Auf den leichten Flügeln der Leere entschwinge ich mich den sechs Richtungspunkten, ins Reich des Nichts, in die Wildnis der Raumlosigkeit. Und du fragst, wie das Reich zu regieren sei!« Tien-Ken aber sagte seine Worte zum zweiten Male. Der Namenlose antwortete ihm: »Löse die Kraft deines Geistes zur Einfalt, die Kraft deines Leibes zum Nichttun, ergib dich der Ordnung der Dinge, entzieh dich der Selbstheit, – und das Reich wird regiert sein.«

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Der Magier und der Erlöste In dem Staat Tscheng lebte ein Zauberer, namens Tschi-Han. Er wußte alles über Geburt und Tod, Erhaltung und Zerstörung, Glück und Unheil, langes Leben und kurzes Leben und sagte die Ereignisse auf den Tag mit geistergleicher Genauigkeit voraus. Die Bewohner von Tscheng flohen bei seinem Anblick; Lieh-Tse aber suchte ihn auf und wurde so betört, daß er nach seiner Rückkehr zu Hu-Tse sagte: »Ich habe dein Tao als das Vollkommenste angesehen. Jetzt kenne ich etwas, das noch vollkommener ist.« »Bisher«, antwortete Hu-Tse, »habe ich dich nur das Gewand, nicht das Wesen des Tao gelehrt; und doch vermeinst du, du wissest alles darum. Hat einer keine Hähne im Hühnerstall, was für Eier werden die Hennen legen? Will einer Tao den Leuten einzwingen, wird er nur sich selbst preisgeben. Bringe jenen zu mir und ich will mich ihm zeigen.« Am nächsten Tag kam Lieh-Tse mit Tschi-Han zu Hu-Tse. Als sie hinausgingen, sagte Tschi-Han: »Ach! Dein Lehrer ist dem Tode nah. Er kann nicht weiterleben, nicht zehn Tage mehr. Ich habe Seltsames an ihm gesehen. Ich sah feuchte Asche.« Lieh-Tse ging weinend hinein und sagte es Hu-Tse. Der sprach: »Ich

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habe mich ihm gezeigt, wie die Erde uns ihre äußere Gestalt zeigt, die unbewegte und stille, dieweil all die Zeit über sich drinnen das Schaffen vollzieht. Ich hinderte ihn nur, die eingeschlossene Kraft zu sehen. Bring ihn nochmals her.« Am nächsten Tag kamen sie wieder. Als sie gingen, sagte Tschi-Han zu Lieh-Tse: »Es ist ein Glück für deinen Lehrer, daß er mir begegnet ist. Es geht ihm besser. Er hat die Zeichen des Lebens. Ich sah eine Wage im Gleichgewicht.« Lieh-Tse ging hinein und berichtete es Hu-Tse. Der sprach: »Ich habe mich ihm gezeigt, wie der Himmel sich in seiner gelassenen Ruhe zeigt, und ließ nur ein wenig Kraft unter meinen Fersen hervorspringen. So konnte er entdecken, daß ich deren habe. Bring ihn nochmals her.« Am nächsten Tag kamen sie wieder, und als sie gingen, sagte Tschi-Han zu Lieh-Tse: »Dein Lehrer ist niemals an einem Tag wie am anderen. Ich kann aus seiner Erscheinung nichts aussagen. Veranlasse ihn, gleichmäßig zu sein, und ich will ihn aufs neue erforschen.« Als Lieh-Tse dies Hu-Tse meldete, sprach der: »Ich habe mich ihm im Zustand der ungeschiedenen Allverbundenheit gezeigt. Wo die Seejungfer* sich tummelt, da ist der Abgrund. Wo das Wasser ruht, da ist der Abgrund. Wo das Wasser kreist, da ist der Abgrund. Der Abgrund hat neun Namen. Diese waren drei davon.« Am nächsten Tag kamen die zwei wieder zu Hu-Tse. Aber Tschi-Han vermochte nicht standzuhalten, war verwirrt und entfloh. »Folge ihm!« rief Hu-Tse; und Lieh-Tse rannte ihm nach, aber konnte ihn nicht einholen. Er kehrte daher zurück und berichtete Hu-Tse, daß der Entflohene verschwunden sei. »Ich habe mich ihm gezeigt,« sagte Hu-Tse, »wie Tao erschien, ehe die Zeit war. Ich war ihm wie eine große Leere, die aus sich selbst Bestand hat. Er wußte nicht, wer ich war. Da verlor er seine Haltung. Er wurde verwirrt. Und so entfloh er.« Danach war Lieh-Tse überzeugt, daß er noch keinerlei wirkliches Wissen gewonnen hatte. Er kehrte nach Hause zurück und verbrachte drei Jahre, ohne es zu verlassen. Er half seiner Frau das Familienmahl kochen und fütterte seine Schweine, als wären es menschliche Wesen. Er tat alles Schnitzwerk und Bildwerk von sich ab und kehrte zur reinen Einfalt zurück. Wie ein Erdklumpen stand er in seiner körperlichen Gegenwart. Inmitten der Verwirrung war er unverwirrt. Und so verharrte er bis ans Ende.

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Halicore dugong, auch in China der Menschenfisch genannt.

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Sinne Der Herrscher des Südmeeres hieß Schu.* Der Herrscher des Nordmeeres hieß Hu.** Der Herrscher der Mittelzone hieß Hun-Tun.*** Schu und Hu begegneten einander oft auf Hun-Tuns Gebiet. Da er ihnen stets Freundliches erwies, beschlossen sie, sein Wohlwollen zu vergelten. Sie sagten: »Alle Menschen haben sieben Bohrlöcher, – für Sehen, Hören, Essen und Atmen. Hun-Tun allein hat keins. Wir wollen ihm welche bohren.« So bohrten sie jeden Tag ein Loch. Am siebenten Tage starb Hun-Tun.

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Der starke Dieb Die Vorsichtsmaßregeln, die gegen Diebe getroffen werden, welche Truhen öffnen, Ranzen durchsuchen oder Geldladen plündern, bestehen darin, daß die Truhen, Ranzen, Laden mit Stricken umwunden, mit Riegeln und Schlössern versichert werden. Dies ist, was die Welt Verstand nennt. Aber ein starker Dieb kommt, der trägt die Truhe auf seinen Schultern davon, und Ranzen und Lade obendrein. Und seine einzige Furcht ist, die Stricke und die Riegel könnten nicht stark genug sein! Somit läuft das, was die Welt Verstand nennt, einfach auf den Beistand heraus, der dem starken Diebe geleistet wird. Und ich wage zu erklären, daß nichts von dem, was die Welt Verstand nennt, anderes kann, als den großen Dieben dienstbar zu sein; und daß nichts von dem, was die Welt Weisheit nennt, anderes meint, als die großen Diebe zu beschützen.

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Überfeinerung und Nichttun Überfeinerung des Sehens führt zu Ausschweifung in Farben; Überfeinerung des Hörens führt zu Ausschweifung in Tönen; Überfeinerung der Menschenliebe führt zu Verwirrung in der Tugend; Überfeinerung der * d. i. Plötzlich. ** d. i. Achtlos. *** So wird gewöhnlich das noch ungeschiedene Urwesen (»Chaos«, »Äther«) bezeichnet.

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Gerechtigkeit führt zur Verkehrung der Grundsätze; Überfeinerung der Riten führt zur Abweichung vom wahren Ziel; Überfeinerung der Musik führt zur Lockerung des Denkens; Überfeinerung des Wissens führt zur Vorherrschaft des Werkzeugs; Überfeinerung des Scharfsinns führt zur Ausdehnung der Tadelsucht. Ruhen die Menschen in den natürlichen Bedingungen des Daseins, dann mögen diese acht Elemente sein oder nicht sein, es macht nichts aus. Ruhen aber die Menschen nicht in den natürlichen Bedingungen des Daseins, dann werden diese acht Elemente zu Hindernissen und zu Raubmächten, und sie stürzen die Welt in Verwirrung. Trotzdem ehrt und liebt sie die Welt und steigert dadurch um ein Gewaltiges die Menge des menschlichen Irrtums. Und das tut sie nicht in einer vorübergehenden Laune, sondern mit Belehrung in Worten, mit Demut in Fußfällen und mit dem Reiz des Spiels und des Gesanges. Was bleibt mir da zu tun? Darum gibt es für den überlegenen Menschen, der in unentrinnbarer Weise zum Herrschen berufen ist, nichts anderes als Nichttun. Durch Nichttun wird er fähig sein, in den natürlichen Bedingungen des Daseins zu ruhen. Und so ist, der das Reich wie seinen eignen Körper ehrt, geeignet, es zu erhalten, und der das Reich wie seinen eignen Körper liebt, geeignet, es zu lenken. Und wenn ich mich dessen enthalten kann, mein inneres Gleichgewicht zu schädigen und meine Sinneskräfte zu belasten, wenn ich wie ein Leichnam sitze, dieweil meine Drachengewalt sich ringsum offenbart, in tiefem Schweigen, dieweil meine Donnerstimme erschallt, und die Mächte des Himmels antworten jeder Wandlung meines Willens, und unter dem nachgiebigen Einfluß des Nichttuns reifen und gedeihen alle Dinge, – welche Muße habe ich dann, an die Regierung der Welt zu gehen?

Das Menschenherz Tsui-Tschü fragte Lao-Tse: »Wenn das Reich nicht regiert werden soll, wie sind die Herzen der Menschen in Ordnung zu halten?« Lao-Tse antwortete: »Achte darauf, die natürliche Art des Menschenherzens nicht zu stören. Das Herz des Menschen kann niedergedrückt und es kann aufgerührt werden. Niedergedrückt ist es wie ein Gefangner, aufgerührt ist es wie ein Toller.

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Durch Zartheit kann das härteste Herz gesänftigt werden. Aber versuche es zu hobeln und zu glätten, – es wird wie Feuer erglühen oder wie Eis erstarren. Ehe sich dein Haupt wendet, wird es über die Grenzen der Vier Meere entfliehen. In Ruhe, tief beständig; in Bewegung, zum Himmel aufgeschnellt; entschiednen Stolzes sich aller Bindung weigernd; – so ist das Menschenherz.«

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Unsterblichkeit Neunzehn Jahre hatte der Gelbe Kaiser regiert, und seine Gesetze herrschten im ganzen Reich. Da hörte er, daß Kuang-Tscheng-Tse auf dem Berge Kung-tung lebte. Er suchte ihn auf und sprach zu ihm: »Ich habe vernommen, Herr, daß du das vollkommene Tao besitzest. Ist es mir gewährt, dich zu fragen, worin das vollkommene Tao besteht? Ich begehre mir den guten Einfluß des Himmels und der Erde nutzbar zu machen, um reiche Ernten zu erzielen und mein Volk zu ernähren. Ich wünsche Yin und Yang zu lenken, um alle lebenden Dinge zu beschützen. Wie kann ich das erfüllen?« Kuang-Tscheng-Tse antwortete: »Was du dir nutzbar zu machen begehrst, ist die uranfängliche Ganzheit aller Dinge. Was du zu lenken wünschest, sind die Gewalten, die sie zerscheiden. Du aber: seit du das Reich regierst, haben die Wolken geregnet, ehe sie schwer wurden, und die Blätter sind gefallen, ehe sie welk wurden, und der Glanz der Sonne und des Mondes ist erblaßt, und des Schmeichlers Stimme hört man allerorten. Wie magst du da von dem vollkommenen Tao reden?« Der Gelbe Kaiser ging von dannen. Er entsagte dem Thron. Er baute sich eine einsame Hütte. Er lag auf einer Matte aus weißem Gras. Drei Monate blieb er in der Abgeschiedenheit. Dann suchte er Kuang-TschengTse zum zweitenmal auf. Er fand ihn liegend, das Angesicht gen Süden. Der Gelbe Kaiser näherte sich ihm wie ein Untergebener, auf den Knien. Er warf sich vor ihm nieder und sprach: »Ich habe vernommen, Herr, daß du das vollkommene Tao besitzest. Ist es mir gewährt, dich zu fragen, wie ich mein Selbst bewahren kann, daß es daure?« Kuang-Tscheng-Tse sprang auf. »Eine gute Frage fürwahr!« rief er. »Komm: ich will dir von dem vollkommenen Tao sagen. Das Wesen des vollkommenen Tao ist tief verborgen; seine Weite verliert sich ins Dunkel. Fasse Fuß, wo nichts zu sehen ist, wo nichts zu hören ist; laß die Ruhe deine Seele umfangen; und das körperhafte Selbst wird seine eigene Gestalt gewinnen.

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Sei still; sei rein; ermüde nicht deinen Körper; verwirre nicht deine Lebenskraft; – und du wirst dauern. Denn wenn das Auge nichts sieht und das Ohr nichts hört und das Herz nichts denkt, wird die Seele sich den Körper erhalten, und das körperhafte Selbst wird dauern. Behüte, was in dir ist, und halte ab, was außen ist; denn der Wissenwahn ist verderblich. Dann will ich dich auf jene Höhe des Großen Lichtes setzen, wo die Quelle der treibenden Urgewalt ist, und will dich durch das Tor des Tiefen Dunkels führen, wo die Quelle der hemmenden Urgewalt ist. Diese Gewalten sind die Lenker des Himmels und der Erde, und jede der beiden faßt die andere in sich. Hüte und erhalte dein eignes Selbst, und alles andre wird aus sich selber gedeihen. Ich erhalte in mir das uranfängliche Eine, ich ruhe im Einklang mit allen Dingen. Weil ich mein Selbst so hege, bin ich in der Welt des Körpers seit zwölfhundert Jahren nicht untergegangen.« Der Gelbe Kaiser warf sich nieder und sprach: »Wahrlich, KuangTscheng-Tse ist ein Himmelswesen!« Jener aber sprach weiter: »Komm: ich will es dir deuten. Dieses Selbst, das alle Menschen sterblich wähnen, ist ewig. Dieses Selbst, das alle Menschen endlich wähnen, ist schrankenlos. Die Tao besitzen, sind Fürsten in diesem Leben und Mächte im nächsten. Die Tao nicht besitzen, schauen das Licht des Tages in diesem Leben und sind Erdklumpen im nächsten. Im gegenwärtigen Sein entspringen alle Wesen dem Staube und kehren zum Staube zurück. Ich aber will dich durch die Pforten der Ewigkeit ins Reich des Unendlichen geleiten. Mein Licht ist das Licht von Sonne und Mond. Mein Leben ist das Leben von Himmel und Erde. Ich weiß nicht, wer zu mir kommt, wer von mir geht: alle mögen erlöschen, ich werde dauern.«

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Der Geist der Wolken fuhr ostwärts durch den Luftraum, als er auf den Lebenswirbel stieß. Er war damit beschäftigt, sich auf die Rippen zu klatschen und herumzuhüpfen. Der Wolkengeist fragte: »Wer bist du, Alter, und was tust du hier?« »Schlendern!« antwortete der Lebenswirbel und hüpfte weiter. »Ich möchte etwas wissen«, sagte weiter der Wolkengeist. »Bah!« äußerte der Lebenswirbel und sah ihn an. »Die Beziehung von Himmel und Erde ist aus den Fugen geraten,«

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sagte der Wolkengeist; »die sechs Einflüsse* vertragen sich nicht miteinander, und die vier Jahreszeiten kümmern sich um keine Regel mehr. Ich wünsche die sechs Einflüsse so zu vermischen, daß sie alle lebenden Wesen ernähren. Was soll ich tun?« »Ich weiß nicht!« rief der Lebenswirbel und schüttelte den Kopf, ohne mit dem Klatschen und Hüpfen aufzuhören; »ich weiß nicht!« Der Wolkengeist konnte nicht weiterfragen. Als er aber drei Jahre danach ostwärts durch das Land Yu Sung fuhr, stieß er wieder auf den Lebenswirbel. Er war hocherfreut, eilte heran und sagte: »Hast du mich vergessen, o Himmlischer? Hast du mich vergessen, o Himmlischer?« Er verneigte sich tief und bat, es möge ihm gewährt werden, den Lebenswirbel zu befragen. Der aber sagte: »Ich wandere, ohne zu wissen, was ich suche. Ich streife umher, ohne zu wissen, wohin ich gehe. Ich schlendere in dieser verzückten Art vor mich hin und erwarte die Ereignisse. Was sollte ich wissen?« »Auch ich streife umher,« antwortete der Wolkengeist, »aber die Leute hängen von meinen Bewegungen ab. So werde ich unvermeidlich zur Macht berufen. Darum würde ich mit Freuden einen Rat empfangen.« »Daß die Ordnung des Reiches gestört ist,« sprach der Lebenswirbel, »daß die Bedingungen des Lebens geschändet sind, daß der Wille des Himmels nicht siegt, daß die Tiere des Feldes auseinandergetrieben sind, daß die Vögel der Luft in den Nächten schreien, daß Meltau an Bäumen und Kräutern zehrt, daß Zerstörung sich breitet über alles, was auf der Erde kriecht: das ist die Schuld des R e g i e r e n s .« »Wohl wahr,« sagte der Wolkengeist, »aber was soll ich t u n ? « »Das ist es ja,« rief der Lebenswirbel, »woraus das Böse kommt! Kehre um!« »Es geschieht nicht oft,« wandte der Wolkengeist ein, »daß ich dir begegne, o Himmlischer! Ich würde mit Freuden einen Rat empfangen.« »Füttere denn dein Volk«, sprach der Lebenswirbel, »mit deinem Herzen. Verharre im Nichttun, und die Welt wird aus sich selbst gut sein. Häute dich. Speie den Verstand aus. Vergiß alle Unterschiede. Werde eins mit dem Ungeschiedenen. Laß deinen Geist los. Mach deine Seele frei. Werde leer. Werde nichts! Gib allen Dingen, zu ihrer Urbeschaffenheit heimzukehren. Wenn sie es ohne Wissen tun, wird eine schlichte Reinheit daraus kommen, die sie nie verlieren werden; aber Wissen würde nur Abweichung bringen. Suche nicht die Namen und die Beziehungen der Dinge: und alle Dinge werden aus sich selbst blühen.« »Du Himmlischer«, sagte der Wolkengeist, als er sich verneigte und *

Das positive und das negative Weltelement, Wind, Regen, Licht und Dunkel.

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Abschied nahm, »hast mich mit Macht begabt und mit Geheimnis gefüllt. Was ich lange suchte, habe ich nun gefunden.«

Die Perle

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Der Gelbe Kaiser reiste nordwärts vom Roten See und bestieg die Berge von Kun-lun. Auf der Rückfahrt nach dem Süden verlor er seine Zauberperle. Er sandte Vernunft aus, sie zu suchen, aber Vernunft fand sie nicht. Er sandte Schauen aus, sie zu suchen, aber Schauen fand sie nicht. Er sandte Wort aus, sie zu suchen, aber Wort fand sie nicht. Endlich sandte er Nichts aus, und Nichts fand sie. »Seltsam fürwahr,« sprach der Kaiser, »daß Nichts sie zu finden vermocht hat.«

Kosmogonie

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Im Uranbeginn war das Nichts. Das war das Namenlose. Als das Eine ins Dasein trat, da war das Eine, aber es war formlos. Als die Dinge das gewannen, wodurch sie ins Dasein traten, wurde es ihre Tu g e n d genannt. Das formlos aber geteilt, wiewohl ohne Lücke war, wurde S c h i c k s a l genannt. Dann kam die Bewegung, die Leben gab, und die Dinge, die den Gründen des Lebens gemäß entstanden, hatten, was F o r m genannt ist. Wenn Form das Geistige umschließt, jedes mit seinen eignen Merkmalen, ist dies dessen N a t u r genannt. Pflegen wir die Natur, so werden wir zur Tugend zurückgebracht; und wenn dies vollendet ist, werden wir, wie alle Dinge im Anfang waren. Wir werden unbedingt, und das Unbedingte ist groß. Wie Vögel ihren Schnabel unbewußt beim Zwitschern schließen und, ohne ihn zu schließen, nicht zwitschern können, – also an Himmel und Erde geschlossen werden, ohne dessen bewußt zu sein, das ist g ö t t l i c h e Tu g e n d , das ist Einklang mit Tao.

Der Gärtner

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Tse-Kung kam einst auf dem Rückweg von Tschu nach Tschin in Han-yin vorbei. Da sah er einen alten Mann, der einen Graben anlegte, um seinen Gemüsegarten mit einem Brunnen zu verbinden. Er schöpfte in einem Eimer Wasser aus dem Brunnen und goß es in den Graben, – eine große Arbeit mit einem sehr kleinen Ergebnis.

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»Wenn du ein Triebwerk hier hättest,« rief Tse-Kung, »könntest du in einem Tage dein Stück Land hundertfach bewässern mit ganz geringer Mühe. Möchtest du nicht eines besitzen?« »Was ist das?« fragte der Gärtner. »Es ist eine Vorrichtung aus Holz,« antwortete Tse-Kung, »die hinten schwer und vorne leicht ist. Sie zieht Wasser aus dem Brunnen, wie du es mit deinen Händen tust, aber in stetig überfließendem Strome. Sie wird Ziehstange genannt.« Der Gärtner sah ärgerlich aus und sagte: »Dieses habe ich von meinem Lehrer gehört: die listige Hilfsgeräte haben, sind listig in ihren Geschäften, und die listig in ihren Geschäften sind, haben List in ihren Herzen, und die List in ihren Herzen haben, können nicht rein und unverderbt bleiben, und die nicht rein und unverderbt bleiben, sind ruhelos im Geiste, und die ruhelos im Geiste sind, in denen kann Tao nicht wohnen. Nicht daß ich diese Dinge nicht kennte; aber ich würde mich schämen, sie zu benützen.« Tse-Kung war verlegen und sagte nichts. Nach einer Weile fragte ihn der Gärtner: »Wer bist du, Herr?« »Ich bin ein Schüler Kong-Fu-Tses«, antwortete Tse-Kung. »So bist du«, sagte der Gärtner, »einer von denen, die ihr Wissen ausdehnen, um als weise zu erscheinen; die großreden, um sich über den Rest der Menschheit zu setzen; die in einer Tonart spielen, zu der niemand singen kann, um ihren Ruf zu verbreiten. Könntest du all die Eigensucht vergessen und die Fesseln des Fleisches abstreifen, – dann erst würdest du nahe sein. Du aber vermagst dich selbst nicht zu regieren und willst die Welt regieren? Geh deines Wegs und störe meine Arbeit nicht länger.«

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Drei Arten Als Tschun-Mang ostwärts zum Ozean reiste, begegnete er Yüan-Feng am östlichen Meer*. »Wohin des Wegs?« rief der ihm zu. »Ich gehe zum Ozean«, antwortete Tschun-Mang. »Was willst du da tun?« fragte Yüan-Feng. »Tun?« sagte Tschun-Mang. »Der Ozean ist kein Ding, das du durch Eingießen füllen oder durch Ausschöpfen leeren kannst. Ich gehe zu ihm, um mich an ihm zu erfreuen.« *

Tschun-Mang und Yüan-Feng: anscheinend allegorische Namen, deren Deutung nicht festgestellt ist.

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»Aber«, redete Yüan-Feng weiter, »du hast gewiß die Menschheit im Sinn. Ich wollte, du sagtest mir, wie der Weise regiert.« »Der Weise?« sagte Tschun-Mang. »Die Beamten beschränken sich auf ihre anbefohlene Tätigkeit. Das Talent ist sicher, beschäftigt zu werden. Die Stimme des Volkes wird gehört, ehe man handelt. Jedermanns Reden und Tun ist seine eigne Sache. Das Reich ist im Frieden. Ein Ruf, ein Wink genügt, und alles strömt zu, ihm zu folgen. So regiert der Weise.« »Wie aber«, fragte Yüan-Feng weiter, »regiert der Mann der vollkommenen Tugend?« »Der Mann der vollkommenen Tugend?« sagte Tschun-Mang. »Da ist im Ruhen kein Bedenken und im Handeln keine Furcht. Da gilt nicht Recht und Unrecht, nicht Gut und Böse. Wenn alle innerhalb der Vier Meere erwerben, – das ist sein Frohmut; wenn alle miteinander teilen, – das ist sein Behagen. Das Volk klammert sich an ihn wie Kinder an die sterbende Mutter; es sammelt sich um ihn wie Wanderer, die den Weg verloren. Er hat Besitz im Übermaß und weiß nicht, woher er ihm kommt; er hat Speise und Trank im Übermaß und weiß nicht, wer ihn damit versorgt. So regiert der Mann der vollkommenen Tugend.« »Wie aber«, fragte Yüan-Feng weiter, »regiert der geistergleiche Mann?« »Der geistergleiche Mann«, sagte Tschun-Mang, »steigt zum Licht auf, und die Schranken des Körpers sind aufgezehrt. Dieses nennen wir: ins Licht versinken. Er bringt die Kräfte, mit denen er begabt ist, zum äußersten empor und lässt nicht eine einzige Eigenschaft unerfüllt. Seine Freude ist die von Himmel und Erde. Alle Sachen und Bindungen vergehen. Alle Dinge kehren zu ihrer Urbeschaffenheit zurück. Dieses nennen wir: sich in das Dunkel hüllen.«

Das Gebet

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Tschuang-Tse sprach: »O mein Urbild! Der du alle Dinge zerstörst und achtest es nicht für Grausamkeit; der du alle Zeit beschenkst und achtest es nicht für Liebeswerk; der du älter bist als die Urzeit und achtest es nicht für Dauer; der du das Weltall trägst, die Fülle seiner Gestalten formst, und achtest es nicht für Kunst; – dieses ist die Glückseligkeit des Himmels!«

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Der Wagner Fürst Huan las eines Tages in seiner Halle, als ein Wagner, der unten arbeitete, Hammer und Dreheisen hinwarf, die Stufen hinanstieg und fragte: »Es sei mir erlaubt zu fragen, welches die Worte sind, die du, mein Fürst, erforschest.« »Ich erforsche die Worte der Weisen«, sagte der Fürst. »Sind die Weisen lebendig?« fragte der Wagner. »Nein,« antwortete der Fürst, »sie sind tot.« »Dann sind die Worte,« sagte der Wagner, »die du, mein Fürst, erforschest, nur der Abfall jener Männer.« »Wie kannst du, ein Wagner,« rief der Fürst, »ein Urteil sprechen über das Buch, das ich lese? Erkläre deine Rede oder du sollst sterben.« »Dein Diener«, sagte der Wagner, »wird es an seinem eignen Gewerbe erklären. Ich will ein Rad machen: arbeite ich zu sacht, kann ich es nicht fest genug machen; arbeite ich zu hastig, werden die Speichen nicht passen. Wenn die Bewegungen meiner Hand nicht zu sacht und nicht zu hastig sind, dann geschieht, was mein Geist meint. Worte können nicht sagen, wie das zugeht: es steckt eine heimliche Kunst darin. Ich kann sie meinen Sohn nicht lehren; er kann sie von mir nicht lernen. So mache ich, wiewohl siebzigjährig, in meinen alten Tagen noch immer Räder. Sind die Weisen tot und dahin, und mit ihnen das, was sie nicht lehren konnten, so kann, was du, mein Fürst, erforschest, nur ihr Abfall sein.«

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Das Saitenspiel des Gelben Kaisers Peï-Men-Tscheng sagte zum Gelben Kaiser: »Als du, mein Kaiser, in der Wildnis am Tung-ting-see das Han-tschih spieltest, war ich vom ersten Teil erschreckt, vom zweiten betäubt, vom dritten verzückt, sprachlos, entworden.« Der Kaiser sagte: »So muß es gewesen sein. Ich spielte nach Menschenart, aber ich ließ mich vom Himmel treiben. Das Spiel war in der Kunst nur genau, aber von der Urreinheit belebt. Vollkommene Musik gestaltet sich zuerst nach einer menschlichen Regel, dann folgt sie den Weisungen des Himmels; sie kommt in Einklang mit den fünf Tugenden und geht in Selbsttätigkeit über. Die vier Jahreszeiten sind in ihr verschmolzen, und alle Dinge vereinen sich in ihr. Wechselnd tauchen die Zeiten empor, im Wechsel entstehen

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die Dinge. Nun ist es Fülle, nun Verfall, nun sanfte, nun starke Stimme, nun nackter, nun verhüllter Ton: das Wechselspiel des Yin und Yang. Gleich dem Blitz war der Schall, der dich weckte, wie der Frühling die Käferwelt weckt, und das Schmettern des Donners folgte, ohne Ende, ohne Anbeginn, nun sterbend, nun lebend, nun sinkend, nun steigend, fort und fort ohne Unterlaß. Und so wurdest du erschreckt. Als ich wieder spielte, war es der Einklang des Yin und Yang, von der Glorie der Sonne und des Mondes bestrahlt; gebrochen und gestreckt, zart und streng, in einer ungeschiedenen, ungegründeten, klingenden Gewalt. Täler und Schluchten füllend, die Ohren bannend und die Sinne zwingend, der Aufnahmsweite aller Dinge eingepaßt, kreiste der Klang auf allen Seiten, mit hohem und klarem Getön. Die Schatten der Toten blieben an ihren Stätten. Sonne, Mond und die Sterne blieben in ihrem Lauf. Als aber die Weise sich schloß, hielt ich inne; da strömte ohne Einhalt ihrer aller Widerhall. Du wolltest bedenken, aber du konntest nicht fassen. Du wolltest schauen, aber du konntest nicht sehen. Du wolltest folgen, aber du konntest nicht einholen. Du standest geblendet inmitten der Wildnis, du lehntest dich an einen morschen Baum und summtest vor dich hin. Die Macht deines Blickes war erschöpft. Deine Kraft versagte sich deinem Wunsche, mich zu erreichen. Dein Leib war nur noch eine leere Schale. Du aber mühtest dich noch, dich zu bewahren. Und so wurdest du betäubt. Dann spielte ich in Klängen, die ohne Betäubung sind, aus dem Gesetz der Selbsttätigkeit. Da brach ungestüm die Melodie hervor wie ein Wuchern von Trieben aus einer Wurzel, ungebändigt und ungeformt wie das Rauschen im Walde. Sie schüttete sich aus und ließ keine Spur, sie fiel in die Tiefe, wo kein Schall besteht. Im Nirgends begann sie und wohnte in der Leere; einer möchte sie tot nennen, ein andrer lebendig, einer fruchthaft, ein andrer blütenhaft, so goß sie sich nach allen Seiten hin in niemals vorzuahnenden Akkorden. Die staunende Welt befragt den Weisen. Er weiß um das Wesen dieser Musik: er, der unter dem gleichen Gesetze steht. Denn wo kein Getriebe in Bewegung gesetzt wird und doch das Spiel vollkommen ist, das ist die Musik des Himmels. Der Geist erwacht zu seiner Wonne, ohne zu warten, daß er gerufen werde. Das ist die Musik, die Yu-Piao also pries: ›Horchend hörst du keinen Klang; schauend siehst du keine Form. Sie füllt Himmel und Erde. Sie umfängt das All.‹ Ihr begehrtest du zu lauschen, aber du vermochtest nicht ihr Dasein zu fassen. Und so wurdest du verzückt. Mein Spiel weckte erst Furcht, und du wurdest wie von einem Gesichte heimgesucht. Dann fügte ich Betäubung dazu, und du wurdest abgeson-

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dert. Endlich aber kam Verzückung; denn Verzückung meint Von-Sinnen-geraten, und Von-Sinnen-geraten meint Tao, und Tao meint die große Versunkenheit.«

Die Weisen der Welt Selbstsicher und überhebend sein, die Gemeinschaft verlassen und ungewöhnliche Wege gehen, stolze und geringschätzige Rede führen, – das ist Selbstgefühl, wie es die meinen, die sich absondern, die Welt verdammen und wie verdorrte Bäume abseits stehen. Menschenliebe und Gerechtigkeit predigen, die Treue, die Aufrichtigkeit, die Demut, die Sparsamkeit verkünden, – das ist Gesittung, wie sie die Friedensmacher und Menschheitslehrer meinen, die um der Weisheit willen Reisen unternehmen. Verdienst und Ruf vor sich hertragen, die Bräuche zwischen Monarchen und Ministern umgrenzen, die Beziehung zwischen oberm und unterm Volk berichtigen, – das ist Herrschaft, wie sie die Höflinge und Landesretter meinen, die die Grenzen ihres Staates zu erweitern und die der andern Staaten einzuschnüren streben. Sich in Marsch und Einsamkeit bergen, seine Tage mit Angeln verbringen und seinem Behagen nachgehen, – das ist Nichttun, wie es die Flußund Seeliebhaber meinen, die der Welt den Rücken kehren und ihre Muße kosten. Ausatmen und einatmen mit offenem Mund, den alten Atem fortjagen und den neuen aufnehmen, sich strecken wie ein Bär und den Hals recken wie ein Vogel, – das ist Lebenserhaltung, wie sie die meinen, die durch Atemkunst gesund bleiben wollen und ihren Körper kunstvoll pflegen, um Peng-Tses Alter zu erreichen. Aber Selbstgefühl ohne Selbstsicherheit, Gesittung ohne Menschenliebe und Gerechtigkeit, Herrschaft ohne Rang und Ruf, Nichttun ohne Muße, Lebenserhaltung ohne Kunst, – das heißt alle Dinge vergessen und alle Dinge besitzen, schrankenlose Stille und unbedingter Wert. Das ist das Tao von Himmel und Erde, das ist die Tugend des Weisen.

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Der Geist des Meeres und der Flußgeist Es war die Zeit der Herbstfluten. Hundert Bäche ergossen sich in den Ho, der in seinem stürmischen Laufe schwoll. Die Ufer wichen so weit auseinander, daß man eine Kuh nicht von einem Pferd unterscheiden konnte.

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Da lachte der Herr des Flusses laut auf vor Freude, daß die Schönheit der Erde sich zu ihm sammelte. Mit dem Strome fuhr er gen Osten, bis er das Nordmeer erreichte. Als er da ostwärts blickte und keine Grenze der Wasser sah, änderten sich seine Mienen. Er schaute über die Fläche hin, seufzte und sprach zum Herrn des Nordmeers: »Ein Volksspruch sagt, wer nur einen Teil der Wahrheit empfing, vermeine, keiner komme ihm gleich. Solch einer war ich. Nun aber habe ich deine Schrankenlosigkeit geschaut. Wehe mir, hätte ich dein Haus nicht erreicht. Ich wäre auf ewig das Gelächter aller Erleuchteten geworden!« Darauf antwortete der Herr des Nordmeers: »Man kann vom Meere nicht zu einem Brunnenfrosch sprechen: er sieht nicht über sein Loch hinaus. Man kann vom Eis nicht zu einer Sommerfliege sprechen: sie weiß nur ihre Jahreszeit. Man kann von Tao nicht zu einem Schulmann sprechen: er ist in seiner Lehre eingemauert. Nun aber, da du aus deiner Enge herausgekommen bist und das große Meer gesehen hast, kennst du deine Unerheblichkeit, und ich kann zu dir von den Urgründen sprechen. Da ist kein Wasser unter dem Himmel, das sich dem Meere vergleichen könnte. Wasser ohne Maß ergießt sich darein, und doch fließt es nicht über. Wasser ohne Maß wird ihm entzogen, und doch nimmt es nicht ab. Frühling und Herbst bringen keine Änderung hervor; Überschwemmung und Dürre sind ihm gleicherweise unbekannt. Und so ist es allen Flüssen und Strömen unermeßlich überlegen. Dennoch würde ich niemals wagen, mich dessen zu rühmen. Denn ich empfange meine Gestalt von Himmel und Erde, meinen Lebensatem von Yin und Yang. Vor Himmel und Erde bin ich wie ein Stein oder ein Bäumchen auf einem großen Berge. Ich kenne meine Unerheblichkeit, – was bleibt mir, dessen ich mich rühmen könnte? Das Land zwischen den Vier Meeren ist in Himmel und Erde wie ein Steinhäuflein in einem Moor. Das Reich der Mitte ist in dem Land zwischen den Vier Meeren wie ein Reiskorn in einem Speicher. Von allen Myriaden geschaffener Wesen ist der Mensch nur eines. Von allen Menschen, die in den neun Sphären der Erde wohnen, von ihren Früchten sich nähren und in Booten und Wagen fahren, ist der einzelne nur einer. Ist er in der Fülle der Dinge nicht wie die Spitze eines Haares in einem Pferdefell?« »Soll ich also«, fragte der Herr des Flusses, »Himmel und Erde als unbedingt groß, die Spitze eines Haares als unbedingt klein ansehen?« »Durchaus nicht«, antwortete der Herr des Meeres. »Ausdehnung kennt keine Grenze; Zeit kennt kein Stillestehn; Schicksal kennt kein Gleichmaß; Werden kennt keine Sicherheit. So schaut der Weise den Raum und erachtet das Kleine nicht für gering, das Große nicht für er-

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heblich; denn er weiß, daß Ausdehnung keine Grenze kennt. Er schaut den Ablauf und grämt sich nicht um das Ferne, jubelt nicht über das Nahe; denn er weiß, daß Zeit kein Stillestehn kennt. Er schaut Fülle und Mangel und entzückt sich nicht am Gelingen, verzagt nicht am Mißlingen; denn er weiß, daß Schicksal kein Gleichmaß kennt. Er schaut die Wechselbahn der Dinge und berauscht sich nicht am Leben, verzweifelt nicht am Tode; denn er weiß, daß Werden keine Sicherheit kennt. Darum rechnet der Vollendete, daß er andern nicht übeltut, sich nicht zu Barmherzigkeit und Wohlwollen. Er sucht keinen Gewinn, aber er verachtet nicht, die es tun. Er strebt nicht nach Besitz, aber er rechnet es sich nicht zugute. Er verlangt von niemandem Hilfe, aber er rechnet es sich nicht zur Selbständigkeit und verachtet nicht, die sich fördern lassen. Er handelt anders als die Menge, aber er rechnet es sich nicht zur Ungewöhnlichkeit; und weil andere mit der Mehrheit gehen, verachtet er sie nicht als Heuchler. Die Ehren und Vorteile der Welt sind für ihn kein Anreiz, ihre Strafen und Schanden keine Hemmung. Er weiß, daß Recht und Unrecht nicht unterschieden, Groß und Klein nicht umgrenzt werden können. Dieses hörte ich sagen: Der Mann von Tao hat keinen Ruf; vollkommene Tugend kennt kein Gelingen; der Vollendete weiß nichts von sich; – das ist der Gipfelpunkt der Selbstbestimmung.« »Aber«, fragte der Herr des Flusses, »wie geschieht es dann, daß wir die inneren und äußeren Gegensätze von Wert und Wertlosigkeit, von Größe und Kleinheit scheiden?« »Vom Tao aus gesehen,« antwortete der Herr des Meeres, »gibt es die Gegensätze des Wertes und der Wertlosigkeit nicht. Der einzelne aber schätzt sich hoch und die andern gering, und die Gesamtheit spricht dem einzelnen das Recht des Schätzens ab, um es sich zuzusprechen. Vom Verhältnis: wenn wir sagen, ein Ding sei groß oder klein, nur weil es im Verhältnis zu andern groß oder klein ist, so gibt es in der Welt nichts, was nicht groß, nichts, was nicht klein ist. Wissen, daß Himmel und Erde ein Reiskorn, die Spitze eines Haares ein Gebirge ist, – dies heißt Erkenntnis der Verhältnismäßigkeit. Von der Beziehung: wenn wir sagen, ein Ding sei wirklich oder es sei nicht wirklich, nur weil es eine Beziehung leistet oder nicht leistet, so gibt es in der Welt nichts, was nicht wirklich ist, nichts, was wirklich ist. Wissen, daß Osten und Westen vertauschbar und doch notwendig sind, – dies heißt Anordnung der Beziehungen. Vom Wert: wenn wir sagen, ein Ding sei gut oder böse, nur weil es in unseren Augen gut oder böse ist, so gibt es in der Welt nichts, was nicht gut ist, nichts, was nicht böse ist. Wissen, daß der Kaiser Yao und der

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Tyrann Tschieh jeder von sich aus gut, jeder vom andern aus böse war, – dies heißt Aufstellung des Richtmaßes. Daher: die da Recht setzen wollen ohne sein Gegenspiel, Unrecht, oder die das Guttun setzen wollen ohne sein Gegenspiel, das Übeltun, – die fassen die Urgründe von Himmel und Erde nicht und nicht die Beschaffenheit der Dinge. Ebensogut könnte einer das Dasein des Himmels ohne das Dasein der Erde oder das Dasein des Yin ohne das Dasein des Yang annehmen, was deutlicherweise eine Undenkbarkeit ist. Wenn jene trotz der Darlegung der Wahrheit ihre Rede weiterführen, müssen sie Narren oder Schelme sein. Herrscher haben unter verschiedenen Bedingungen dem Throne entsagt, Dynastien sind unter verschiedenen Bedingungen fortgesetzt worden. Die nicht den richtigen Augenblick trafen und im Gegensatz zu ihrem Zeitalter standen, wurden Thronräuber genannt. Die den richtigen Augenblick trafen und im Einklang mit ihrem Zeitalter standen, wurden Vaterlandsfreunde genannt. Gib dich zufrieden, o Herr des Ho: wie könntest du wissen, was wertvoll und was wertlos, was groß und was klein ist?« »Wenn dem so ist,« sagte der Herr des Flusses, »was soll ich tun und was soll ich nicht tun? Wie soll ich mein Ablehnen und Annehmen, mein Ergreifen und Lassen ordnen?« »Vom Tao aus gesehen,« antwortete der Herr des Meeres, »sind Wert und Wertlosigkeit so wandelbar wie Hebung und Senkung. Irgendeins als beharrend betrachten heißt Tao widerstreben. Wenig und Viel sind wandelbar wie Geschenke, vom Gebenden und vom Empfangenden aus gesehen. Sie so betrachten heißt sich an Tao vergehen. Sei einsichtig wie ein Herrscher, der unparteilich waltet. Sei gelassen wie ein Schutzgeist, der unparteilich austeilt. Sei weit offen wie der Raum, dem keine Schranke gesetzt ist. Umfange alle Dinge in deiner Liebe, und keines sei besser beherbergt als ein anderes. Dies heißt unbedingt sein, geeinten Blickes sein, außer aller Scheidung sein.«

Die Freude der Fische

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Tschuang-Tse und Hui-Tse standen auf der Brücke, die über den Hao führt. Tschuang-Tse sagte: »Sieh, wie die Elritzen umherschnellen! Das ist die Freude der Fische.« »Du bist kein Fisch,« sagte Hui-Tse, »wie kannst du wissen, worin die Freude der Fische besteht?«

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»Du bist nicht ich,« antwortete Tschuang-Tse, »wie kannst du wissen, daß ich nicht wisse, worin die Freude der Fische besteht?« »Ich bin nicht du«, bestätigte Hui-Tse, »und weiß dich nicht. Aber das weiß ich, daß du kein Fisch bist; so kannst du die Fische nicht wissen.« Tschuang-Tse antwortete: »Kehren wir zu deiner Frage zurück. Du fragtest mich: ›Wie kannst du wissen, worin die Freude der Fische besteht?‹ Im Grunde wußtest du, daß ich weiß, und fragtest doch. Gleichviel. Ich weiß es aus meiner eignen Freude über dem Wasser.«

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Als Tschuang-Tses Frau gestorben war Als Tschuang-Tses Frau gestorben war, ging Hui-Tse zu ihm, ihm sein Beileid zu sagen. Tschuang-Tse saß auf der Erde, die Beine im rechten Winkel von sich gestreckt, sang und schlug den Takt auf einem Becken. »Wenn ein Weib mit dem Gatten gelebt und ihm Kinder aufgezogen hat«, rief Hui-Tse, »und dann im hohen Alter stirbt, dünkt es mich schon schlimm genug, sie nicht zu beweinen. Aber auf einem Becken trommeln und singen: das ist ein sonderbares Beginnen.« »Nicht also«, sagte Tschuang-Tse. »Als sie starb, war ich davon hingenommen. Bald aber entsann ich mich. Sie hatte schon bestanden, ehe sie geboren war: ohne Form, ohne Wesen. Dann geschah in dem Urgemenge ein Wandel, der Geist kam zu Wesen, das Wesen zu Form, die Form zur Geburt. Nun ist wieder ein Wandel geschehen, und sie ist tot. So geht man von Frühling zu Herbst, von Sommer zu Winter. Jetzt schläft sie ruhig in dem Großen Haus. Würde ich weinen und klagen, ich hätte den Sinn von alledem nicht mehr. Darum habe ich mich entzogen.«

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Der Totenschädel Tschuang-Tse stieß eines Tages auf einen Totenschädel, der gebleicht war, aber seine Gestalt noch bewahrte. Er streifte ihn mit seiner Reitgerte und sagte: »Warst du wohl einst ein ehrgeiziger Bürger, dessen ungeregelte Wünsche ihn in diese Lage gebracht haben? Ein Staatsmann, der sein Land in Verderben stürzte und im Aufruhr unterging? Ein Wicht, der ein Erbe der Schande hinterließ? Ein Bettler, der in der Pein des Hungers und der Kälte starb? Oder hast du diesen Zustand im natürlichen Laufe des Alters erreicht?« Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, nahm er den Schädel mit und

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legte ihn, als er schlafen ging, als Kissen unter seinen Kopf. In der Nacht träumte er, der Schädel erscheine ihm und sage: »Du setzest deine Worte gut, Herr; aber sie sind alle nur in der Lebenszeit und in den Wirrsalen der Lebendigen gegründet. Im Tode ist nichts von alledem. Willst du vom Tode hören?« »Ich will es«, antwortete Tschuang-Tse. Der Schädel sprach: »Im Tode ist kein Oberherr und kein Untertan. Die Wirkungen der Zeiten sind unbekannt. Unser Sein ist das Sein des Alls. Die Seligkeit eines Fürsten unter den Menschen ist nichts vor unsrer Seligkeit.« Tschuang-Tse glaubte ihm aber noch nicht und sagte: »Wenn ich den Herrn des Schicksals bewöge, daß er deinem Leibe gestatte, wieder geboren zu werden, und dein Gebein und Fleisch erneue, damit du zurückkehrest zu deinen Eltern, zu deinem Weibe und zu den Freunden deiner Jugend, – wärest du nicht willig?« Darauf öffnete der Schädel seine Augen weit und runzelte seine Brauen und sprach: »Wie sollte ich mein königliches Glück verwerfen und in die Mühsal des Menschenloses tauchen?«

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Lieh-Tse sagte zu Kuan-Yin: »Der Vollendete wandelt durch das Starre ohne gehemmt zu werden, durchschreitet Feuer ohne versengt zu werden, ersteigt die Höhe ohne Furcht und Gefahr. Wie erlangt er das?« Kuan-Yin antwortete: »Das macht, daß er die unbedingte Reinheit bewahrt. Es ist nicht List und nicht Geschicklichkeit. Setze dich, ich will es dir deuten. Was Gestalt, Schall und Farbe hat, ist Ding genannt. In einem sind alle Dinge gleich: keins kann das Sein erreichen, das jenseits ihrer aller ist: sie sind nur, was sie erscheinen. Der Mensch allein vermag formlos und unwandelbar zu werden. Kann einer dies in Vollkommenheit erreichen, wie sollten die Dinge ihn hemmen? Er verharrt in seinem Gesetz und wohnt in der endlosen Verborgenheit. Er umfängt den Anbeginn und das Ende alles Seienden. Er bringt sein Wesen zur Einheit und nährt daraus seine Lebenskraft, er sammelt seine Tugend und dringt durch zum Schaffen. Wenn so sein Himmlisches ohne Fehle, sein Geist ohne Bresche ist, wie könnten die Dinge in ihn eintreten? Ein trunkener Mann, der vom Wagen fällt, mag Wunden empfangen, er wird nicht sterben. Seine Knochen und Gelenke sind wie die der

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andern, aber der Schaden ist verschieden: sein Geist wurde nicht berührt. Er wußte nicht, daß er in den Wagen stieg; er weiß nicht, daß er aus ihm fiel. Tod und Leben, Angst und Bestürzung dringen nicht in seine Brust; so bleibt er im Herzen unverletzt. Kann man solches vom Weine erlangen, wie viel mehr vom Himmel! Der Weise ist im Himmel geborgen, und nichts kann ihn schädigen. Ein Rächer zerbricht nicht das Schwert, das gemordet hat; der Jähzornigste läßt seinen Unwillen nicht an dem Ziegel aus, der ihm auf den Kopf fiel. Unter diesen Grundsatz gestellt, wäre das Reich in Frieden; da gäbe es keine Kriegeswirren, keine Todesstrafe mehr. Entfalte nicht, was du vom Menschen, sondern was du vom Himmel hast. Aus diesem kommt Tugend, aus jenem List. Wer dem Himmel nicht ausweicht, am Menschen nicht Genüge hat, ist der Vollendung nahe.«

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Der Grillenfänger Als Kong-Fu-Tse auf dem Wege nach dem Staate Tschu aus einem Walde trat, sah er einen Buckligen, der mit einer Leimrute Grillen fing, als läse er sie mit der Hand auf. »Du bist geschickt!« rief er. »Gibt es einen Weg dazu?« »Es gibt einen Weg«, antwortete der Bucklige. »Fünf oder sechs Monate lang übte ich mich, zwei Bälle auf meiner Leimrute zu wiegen. Als sie nicht mehr fielen, verfehlte ich nur noch wenige Grillen. Als ich drei Bälle wiegen konnte, verfehlte ich von zehn Grillen nur eine. Als ich fünf wiegen konnte, fing ich Grillen, als läse ich sie mit der Hand auf. Ich halte meinen Körper wie einen Baumstumpf, meinen Arm wie einen abgestorbenen Ast. Von Himmel und Erde, so groß sie sind, und den vielen Dingen darin weiß ich nichts als die Flügel meiner Grillen. Ich wende mich nicht, ich neige mich nicht zur Seite; ich tausche nicht für alle Dinge die Flügel meiner Grillen. Wie sollte es mir nicht gelingen?« Kong-Fu-Tse sah seine Schüler an und sagte: »Wo der Wille an e i n e m haftet, sammelt der Geist seine Macht. Das ist die Lehre dieses Buckligen.«

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Der Fährmann Yen-Hui sagte zu Kong-Fu-Tse: »Als ich über die Stromschnelle von Schang-Schen fuhr, lenkte der Fährmann sein Boot behende wie ein Geist. Ich fragte ihn, ob man solche Führung eines Bootes erlernen kön-

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ne. ›Man kann es‹, antwortete er. ›Die Haltung derer, die ein Fahrzeug über Wasser zu halten wissen, ist solcher Art, als wollten sie es dem Sinken preisgeben. Sie rudern, als wäre das Boot nicht da.‹ Ich wollte wissen, was er damit meinte, aber er weigerte sich, es mir zu sagen. Ist es mir gewährt, nach der Bedeutung zu fragen?« »Es bedeutet,« antwortete Kong-Fu-Tse, »daß solch ein Mann das Wasser um ihn her vergißt. Er sieht die Stromschnelle an, als wäre sie festes Land. Er betrachtet ein Kentern wie das Festfahren eines Wagens. Kentern oder Festfahren, wer davon so unbewegt ist, welches Ufer sollte der nicht gesichert erreichen können? Ein Mann, der um Rechenpfennige spielt, wird gut spielen. Wenn er seinen Gürtel mit der Kleinmünze einsetzt, wird er unruhig sein. Wenn er Gold einsetzt, wird er verwirrt sein. Sein Geschick ist in jedem Falle das gleiche, aber er ist vom Wert seines Einsatzes aufgerührt. Und wer dem Äußern Gewicht gibt, wird im Innern hilflos.«

Der Priester und die Schweine

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Der Opferpriester trat in seinem dunklen und rechtwinkligen Gewande an den Schweinekoben und sprach die Schweine also an: »Wie könnt ihr euch gegen das Sterben wehren? Ich werde euch drei Monate lang mit feinem Korn mästen. Ich werde mich zehn Tage lang kasteien und werde drei Tage lang wachen. Ich werde euch die Matten aus weißem Gras breiten. Ich werde euren Leib auf die geschnitzte Opferschüssel legen. Befriedigt euch das nicht?« Dann ging er für einen Augenblick auf den Gesichtspunkt der Schweine ein und sagte: »Es mag wohl besser scheinen, sich von Kleie zu nähren und dem Schlachthaus zu entrinnen …« »Aber«, setzte er, wieder vom eignen Gesichtspunkt, hinzu, »um Ehre zu gewinnen, wird jeder gern auf dem Kriegsschild oder im Korb des Henkers sterben.« So verwarf er den Gesichtspunkt der Schweine und nahm seinen eigenen Gesichtspunkt an. Inwiefern war er dann von den Schweinen verschieden?

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Die Kampfhähne Tschi-Hsing-Tse richtete für den Fürsten Kampfhähne ab. Nach zehn Tagen fragte der Fürst, ob die Vögel bereit seien. »Noch nicht,« antwortete Tschi; »sie sind noch voll Streitsucht und Übermut.« Nach weiteren zehn Tagen fragte der Fürst wieder. »Noch nicht,« antwortete Tschi; »noch erregt sie Stimme und Anblick anderer Hähne.« Nach weiteren zehn Tagen fragte der Fürst wieder. »Noch nicht,« antwortete Tschi; »noch zittert ihnen der Zorn in Leib und Augen.« Als aber noch zehn Tage vergingen und der Fürst wieder fragte, antwortete ihm Tschi: »Jetzt taugen sie. Andere Hähne mögen vor ihnen krähen, soviel sie wollen, sie werden es nicht beachten. Wenn du sie ansiehst, möchtest du sagen, sie seien aus Holz. Ihre Tugend ist vollendet. Fremde Hähne werden nicht wagen, sich mit ihnen zu messen; sie werden davonlaufen.«

Der Glockenspielständer Tsching, der Meister der Holzarbeiter, schnitzte einen Glockenspielständer. Als es vollendet war, erschien das Werk allen, die es sahen, als sei es von Geistern geschaffen. Der Fürst von Lu fragte den Meister: »Welches ist dieses Geheimnis in deiner Kunst?« »Dein Untertan ist nur ein Handwerker,« antwortete Tsching, »was für Geheimnis könnte er besitzen? Und doch ist da etwas. Als ich daran ging, den Glockenspielständer zu machen, hütete ich mich vor jeder Minderung meiner Lebenskraft. Ich sammelte mich, um meinen Geist zur unbedingten Ruhe zu bringen. Nach drei Tagen hatte ich allen Lohn, den ich erwerben könnte, vergessen. Nach fünf Tagen hatte ich allen Ruhm, den ich erwerben könnte, vergessen. Nach sieben Tagen hatte ich meine Glieder und meine Gestalt vergessen. Auch der Gedanke an deinen Hof, für den ich arbeiten sollte, war geschwunden. Da sammelte sich meine Kunst, von keinem Außen mehr gestört. Nun ging ich in den Hochwald. Ich sah die Formen der Bäume an. Als ich einen erblickte, der die rechte Form hatte, erschien mir der Glockenspielständer, und ich ging ans Werk. Hätte ich diesen Baum nicht gefunden, ich hätte die Arbeit lassen müssen. Meine himmelsgeborene Art und die himmelsgeborene Art des Baumes sammelten sich darauf. Was hier Geistern beigemessen wurde, ist darin allein gegründet.«

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Die Schöne und die Hässliche

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Als Yang-Tse nach dem Staate Sung kam, verbrachte er eine Nacht in einer Herberge. Der Wirt hatte zwei Beischläferinnen, eine schöne und eine häßliche. Die häßliche liebte er; die schöne haßte er. Yang-Tse fragte einen Herbergsdiener, warum dies so sei. Der antwortete: »Die Schöne weiß um ihre Schönheit, und wir sehen ihre Schönheit nicht. Die Häßliche weiß um ihre Häßlichkeit, und wir sehen ihre Häßlichkeit nicht.«

Schweigen Als Kong-Fu-Tse mit dem Weisen Wen-Po Hsüen-Tse zusammenkam, sprach er kein Wort. Hernach fragte ihn Tse-Lu: »Meister, du hast lange gewünscht, Wen-Po Hsüen-Tse zu sehen. Wie ist dies, daß du, nun du ihn sahst, kein Wort zu ihm gesprochen hast?« Kong-Fu-Tse antwortete: »Mit Menschen, wie dieser, bedarf es bloß des Schauens, und Tao erscheint. Da ist kein Raum für Rede.«

Das ewige Sterben

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Yen-Hui fragte Kong-Fu-Tse: »Meister, gehst du im Schritt, gehe ich im Schritt. Gehst du im Trab, gehe ich im Trab. Gehst du im Galopp, gehe ich im Galopp. Aber jagst du aus den Schranken des Staubes, dann kann ich nur stehenbleiben und dir nachstarren. Wie geht das zu?« »Erkläre, was du meinst«, sagte Kong-Fu-Tse. »Ich meine«, fuhr Yen-Hui fort, »dieses: Wenn du redest, rede ich. Wenn du beweisest, beweise ich. Wenn du Tao predigst, predige ich Tao. Aber daß ich sage: ›Jagst du aus den Schranken des Staubes, dann kann ich nur stehenbleiben und dir nachstarren‹, damit meine ich: du redest nicht und alle glauben dir, du eiferst nicht und alle stimmen dir zu, du lockst nicht und alle sammeln sich um dich. Das ist es, was ich nicht verstehen kann.« »Warum willst du dem nicht auf den Grund gehen?« sagte Kong-FuTse. »Nichts ist so Kummers wert wie das Sterben des Geistes. Das Sterben des Leibes ist von weit geringerer Wichtigkeit. Die Sonne steigt im Osten auf und geht im Westen unter. Da ist kein Ort, den sie nicht erleuchtete; und alle, die Augen und Füße haben, han-

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gen an ihr, um sehen und gehen zu können. Wenn sie erscheint, ist das Leben erschienen; wenn sie schwindet, schwindet das Leben mit ihr. Und jeder Mensch hat seinen Sonnegeist, an dem er hangt: wenn der geht, stirbt er, und er lebt auf, wenn er wiederkehrt. Schreite ich geistbegabter Körper aber ohne die ewige lebenerneuernde Wandlung dem Ende zu; überlasse ich mich für die Tage und die Nächte der ewigen Abnutzung wie ein bloßes Ding; bin ich des ewigen Sterbens nicht bewußt, bin ich trotz diesem geistbegabten Körper des einen nur bewußt, daß nichts mich vor dem Grabe retten kann – dann zehre ich das Leben auf, bis es im Tode also ist, als hätten du und ich ein einziges Mal Schulter an Schulter gelehnt, ehe wir für immer getrennt wurden! Ist das nicht Kummers wert? Du aber richtest deinen Blick auf etwas in mir, das, wenn du blickst, schon hingeschwunden ist. Und dennoch suchst du es, als müsse es noch da sein, – wie einer auf dem Markt verkaufte Pferde sucht. Sieh: was ich an dir liebe, ist das Wandelbare. Warum dich grämen? Wenn auch mein Selbst in jedem Augenblicke stirbt, in der Wandlung bewährt sich das Ewige.«

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Die drei Antworten Als Erkenntnis nordwärts wanderte, über das Schwarze Wasser und über den Berg des Dunklen Abhangs, begegnete sie Tunichts-Sagnichts und fragte ihn: »Was ist zu denken, was ist zu betrachten, um Tao zu erkennen? Worin ist zu stehen, was ist zu ergreifen, um Tao zu nahen? Wem ist zu folgen, was ist zu beschreiten, um Tao zu erreichen?« Auf diese drei Fragen gab Tunichts-Sagnichts keine Antwort. Ob er nicht antworten wollte? Er konnte es nicht. Als Erkenntnis keine Antwort bekam, wandte sie sich und wanderte südwärts, über das Weiße Wasser und über den Berg der Erleuchtung. Da begegnete sie Wahn-Wirbel und legte ihm ihre Fragen vor. »Ah!« rief Wahn-Wirbel. »Ich weiß. Ich will dir sagen …« Aber als er daran war zu sprechen, vergaß er, was er zu sagen begehrte. Als Erkenntnis keine Antwort bekam, ging sie in das Schloß zurück. Da begegnete sie dem Gelben Kaiser und legte ihm ihre Fragen vor. Der Gelbe Kaiser sprach: »Nichts ist zu denken, Nichts ist zu betrachten, um Tao zu erkennen. In Nichts ist zu stehen, Nichts ist zu ergreifen, um Tao zu nahen. Nichts ist zu folgen, Nichts ist zu beschreiten, um Tao zu erreichen.«

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Da sprach Erkenntnis zum Gelben Kaiser: »Wohl, du und ich wissen das, aber diese zwei wissen es nicht. Wer ist im Recht?« Der Gelbe Kaiser antwortete: »Tunichts-Sagnichts ist wahrhaft im Recht, und Wahn-Wirbel ist nahe am Recht. Du und ich sind gänzlich im Unrecht. Denn die es fassen, reden es nicht, und die es reden, fassen es nicht.« Darauf sprach Erkenntnis zum Gelben Kaiser: »Ich fragte TunichtsSagnichts. Er antwortete mir nicht. Ob er nicht antworten wollte? Er konnte es nicht. Ich fragte Wahn-Wirbel. Er war daran zu sprechen, aber er sprach nicht. Ob er nicht wollte? Er war daran zu sprechen; aber er vergaß, was er zu sagen begehrte. Nun fragte ich dich, und du hast mir geantwortet. Wie ist dies dann, du seiest gänzlich im Unrecht?« Der Gelbe Kaiser sprach: »Tunichts-Sagnichts war wahrhaft im Recht, weil er nicht wußte. Wahn-Wirbel war nahe am Recht, weil er vergaß. Du und ich sind gänzlich im Unrecht, weil wir wissen.« Als Wahn-Wirbel davon hörte, erachtete er, der Gelbe Kaiser habe wie ein Wissender gesprochen.

Zu eigen haben

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Der Kaiser Schun fragte Tscheng: »Kann ich Tao so gewinnen, daß ich es zu eigen habe?« Tscheng antwortete: »Dein Leib ist nicht dein eigen. Wie könntest du Tao zu eigen gewinnen?« »Wenn mein Leib«, sagte Schun, »nicht mein eigen ist, wessen ist er?« »Dein Leib«, antwortete Tscheng, »ist die abgesandte Form von Himmel und Erde. Dein Leben ist nicht dein eigen. Es ist der abgesandte Einklang von Himmel und Erde. Deine Sonderheit ist nicht dein eigen. Sie ist die abgesandte Bildsamkeit von Himmel und Erde. Deine Nachkommenschaft ist nicht dein eigen. Sie ist die abgesandte Erneuung von Himmel und Erde. Du gehst, und weißt nicht, was dich treibt. Du ruhst, und weißt nicht, was dich trägt. Du ißt, und weißt nicht, was dich schmecken macht. Das ist die starke, wirkende Kraft von Himmel und Erde. Wie könntest du Tao zu eigen gewinnen?«

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Taos Ort Tung-Kuo-Tse fragte Tschuang-Tse: »Was du Tao nennst, – wo ist es?« Tschuang-Tse antwortete: »Da ist nichts, wo es nicht wäre.« »Gib mir doch ein Beispiel«, sagte Tung-Kuo-Tse. »Es ist in dieser Ameise.« »Tiefer!« »Es ist in diesem Unkraut.« »Noch tiefer!« »Es ist in diesem Tonscherben.« »Noch tiefer!« »Es ist in diesem Kothaufen«, sagte Tschuang-Tse. Tung-Kuo-Tse schwieg. »Deine Frage, Herr,« sprach Tschuang-Tse weiter, »rührt an das Wesen nicht. Wenn Huo, der Oberaufseher der Märkte, den Marktleiter über die Fettheit der Schweine befragte, wurde die Probe an den Teilen gemacht, von denen man Fettheit am wenigsten voraussetzen konnte. Suche aber nichts Besonderes herauszuheben: da ist kein Ding, das sich versagte. Solcherart ist das vollkommene Tao. Und solcherart ist auch das urbildliche Wort. Ganzheit, Vollständigkeit, Allheit, das sind die Namen, die verschieden klingen und doch das Gleiche meinen. Ihr Sinn ist das Eine. Versuche mit mir das Schloß des Nirgendwo zu erreichen, und da, inmitten der Einheit aller Dinge, führe dein Gespräch ins Unendliche. Versuche mit mir Nichttun zu üben, darin du unbewegt ruhen kannst, sorgenrein und glückselig. Da wird mein Geist abgelöst. Er wandert nicht, und ist doch des Ruhens unbewußt. Er kommt und geht, und ist doch des Einhalts unbewußt. Rückwärts, vorwärts, alles Zieles unbewußt, – auf und nieder im Schrankenlosen, wo auch der größte Gedanke kein Ende finden kann. Das, was die Dinge dazu macht, was sie sind, ist nicht in den Dingen beschränkt. Die Schranken der Dinge begrenzen nur ihre Dinglichkeit. Tao ist die Schranke des Schrankenlosen, die Schrankenlosigkeit des Beschränkten. Wir reden von Fülle und Leere, Erneuung und Verfall. Tao wirkt Fülle und Leere, aber es ist weder Fülle noch Leere. Es wirkt Erneuung und Verfall, aber es ist weder Erneuung noch Verfall. Es wirkt Wurzel und Krone, aber es ist weder Wurzel noch Krone. Es wirkt Sammlung und Zerstreuung, aber es ist weder Sammlung noch Zerstreuung.«

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Tao das Unbekannte

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Urreinheit fragte Grenzenlos: »Weißt du Tao?« »Ich weiß nicht«, sagte Grenzenlos. Urreinheit fragte Tatenlos: »Weißt du Tao?« »Ich weiß Tao«, sagte Tatenlos. »Ist da Gegenstand,« fragte Urreinheit, »um Tao zu wissen?« »Da ist Gegenstand,« sagte Tatenlos. »Welcher ist es?« fragte Urreinheit. »Ich weiß,« sagte Tatenlos, »daß Tao ehrt und entehrt, bindet und löst. Das ist mein Gegenstand, um Tao zu wissen.« Urreinheit wiederholte Ursprunglos diese Worte und fragte: »Wer ist im Recht, das Unwissen von Grenzenlos oder das Wissen von Tatenlos?« Ursprunglos antwortete: »Nicht wissen ist tief. Wissen ist seicht. Nicht wissen ist innerlich. Wissen ist äußerlich.« Urreinheit seufzte und sprach: »Dann ist Unwissen Wissen und Wissen Unwissen! Aber sage mir: was für ein Wissen ist das Wissen des Nichtwissenden?« Ursprunglos antwortete: »Tao kann nicht gehört werden. Was gehört werden kann, ist nicht Tao. Es kann nicht gesehen werden. Was gesehen werden kann, ist nicht Tao. Es kann nicht gesagt werden. Was gesagt werden kann, ist nicht Tao. Was den Gestalten Gestalt gibt, ist selbst gestaltlos; also ist Tao namenlos.« Ursprunglos sprach weiter: »Wer einem antwortet, der nach Tao fragt, kennt Tao nicht. Mag einer auch von Tao hören, in Wahrheit hört er nichts von Tao. Um Tao gilt kein Fragen, über Tao gilt kein Antworten. Das Unfragbare fragen ist eitel. Das Unbeantwortbare beantworten ist wesenlos. Und wer zum Eitlen das Wesenlose paart, der hat keine äußere Wahrnehmung des Zusammenhangs, der hat keine innere Wahrnehmung des Urgrunds, – der wird den Gipfel des heiligen Berges nicht ersteigen, der wird sich in die große Leere nicht schwingen.«

Von Hunden und Pferden

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Hsü-Wu-Kueï, der Einsiedler, wurde von dem Minister Nü-Schang dem Fürsten Wu-Hou von Weï vorgestellt. Der Fürst begrüßte ihn in mitleidiger Weise und sagte: »Du bist gewiß in Leiden, Herr. Du mußt in deinem Gebirgsleben hartes Ungemach erfahren haben, daß du dich entschlossen hast, es zu lassen und mich zu besuchen.«

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Hsü-Wu-Kueï antwortete: »Ich bin es, der dich, mein Fürst, zu bedauern hat, nicht du mich. Wenn du der Leidenschaft freie Bahn gibst und dich dem Getriebe von Haß und Neigung überlieferst, werden die inneren Bedingungen deines Lebens leiden. Und wenn du die Leidenschaft entläßt und dich dem Getriebe von Haß und Neigung entziehst, werden deine Sinne, Sehen und Hören, leiden. Ich bin es, der dich, mein Fürst, zu bedauern hat, nicht du mich.« Der Fürst war so erstaunt, daß er nicht reden konnte. Nach einer Weile sprach Hsü-Wu-Kueï weiter: »Ich will dir, mein Fürst, zu erklären versuchen, wie ich Jagdhunde beurteile. Die der niedrigsten Gattung fressen sich voll und sind dann zufrieden wie eine Katze. Die der mittleren Gattung sind, als starrten sie in die Sonne. Die der höchsten Gattung sind, als hätten sie sich von ihrem Selbst geschieden. Aber ich weiß über Hunde nicht so gut zu urteilen wie über Pferde. Über Pferde aber urteile ich so: ihre Streckung muß die der Linie sein, ihre Biegung die des Bogens, ihre Eckigkeit die des Winkelmaßes, ihre Rundheit die des Zirkels. Das gilt von den Pferden der Staaten. Aber sie gleichen nicht den Pferden des Reiches. Die Pferde des Reiches sind herrlich. Sie regen sich, wie voll Gier, sich in die Weite zu schwingen; als hätten sie allen Weg verloren; als hätten sie sich von ihrem Selbst geschieden. So überfliegen sie alle Rivalen, über dem unbewegten Staub dahin, dem Blick entrückt!« Der Fürst fand großen Gefallen an dieser Rede und lächelte. Als Hsü-Wu-Kueï hinauskam, fragte ihn Nü-Schang: »Was magst du wohl dem Fürsten gesagt haben? Wenn ich zu ihm spreche, ist es entweder in Dingen des Friedens und beruht auf den heiligen Büchern der Dichtung, der Geschichte, der Riten und der Musik, oder in Dingen des Krieges und beruht auf der »Goldenen Befehlsrolle« und den »Sechs Kampfplänen«. Ich habe ungezählte Aufträge mit großem Erfolg ausgeführt; dennoch hat mich der Fürst niemals eines Lächelns gewürdigt. Was kannst du ihm gesagt haben, das ihn so sehr erfreute?« Hsü-Wu-Kueï antwortete: »Ich habe ihm nur mitgeteilt, wie ich Hunde und Pferde beurteile.« »War das alles?« fragte Nü-Schang ungläubig. »Hast du«, sagte Hsü-Wu-Kueï, »nicht von dem Geächteten von Yüeh gehört? Nach den ersten Tagen der Verbannung war er froh, wenn er einem begegnete, den er in der Heimat gekannt hatte. Nach einem Monat war er froh, wenn er einem begegnete, den er dort gesehen hatte. Nach einem Jahr war er froh, wenn er einem begegnete, der in irgendeiner Weise seinen Landsleuten glich. So steigert, von seiner Gemeinschaft getrennt zu sein, immer mehr das Verlangen, sie wiederzufinden.

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Ein Mann, der in die Wildnis floh, wo Nigellakraut den Pfad des Wiesels hemmt, und nun bald weiterschreitet, bald stillesteht, – wie sehr wird er erfreut sein, wenn der Schritt eines andern Menschen an seine Ohren dringt. Wie viel mehr noch, wenn er die Stimme eines Verwandten, eines Bruders vernimmt. Lange ist es her, so dünkt mich, seit der Fürst die Stimme eines reinen Menschen an seiner Seite hörte!«

Verbrecher

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Poh-Tschü war ein Schüler Lao-Tses. »Laß uns«, sagte er zu ihm, »in die Welt gehen.« »Nein,« antwortete Lao-Tse, »die Welt ist überall eben so, wie du sie hier siehst.« Als er aber wieder einmal drängte, fragte ihn Lao-Tse: »Womit willst du die Wanderschaft beginnen?« Poh-Tschü sagte: »Ich will mit dem Staate Tschi beginnen. Da will ich die Leichen der gerichteten Verbrecher aufdecken. Ich will sie fassen und sie auf ihre Füße setzen. Ich will meine Kleider abnehmen und sie drein kleiden. Ich will zum Himmel schreien und ihr Los beklagen. Ich will rufen: Ihr Männer, ihr Männer, Verwirrung war auf Erden, und ihr waret die ersten, die hineinstürzten! Ich will sprechen: Wart ihr denn in Wahrheit die Räuber? Wart ihr denn in Wahrheit die Mörder? Ehre und Schande wurden eingeführt, und das Übel folgte. Reichtum wurde angesammelt und der Streit begann. Das Übel, das eingeführt wurde, der Streit, der angesammelt wurde, peinigen den Menschen und nehmen ihm die Ruhe. Wo ist da ein Entrinnen? Die Herrscher der Vorzeit schrieben alles Gelingen dem Volke, alles Mißlingen sich selber zu. Was recht war, maßen sie dem Volke, was unrecht war, sich selber bei. Wenn ein Schaden geschah, rügten sie sich selber. Nicht so die Herrscher dieser Zeit. Sie verhehlen ein Ding und rügen, die es nicht sehen können. Sie legen gefährliche Arbeiten auf und strafen, die sie nicht zu unternehmen wagen. Sie verhängen überschwere Lasten und züchtigen, die sie nicht zu tragen vermögen. Sie befehlen überlange Märsche und erschlagen, die nicht standhalten. Und da das Volk fühlt, daß seine Kräfte all dem nicht gewachsen sind, nimmt es seine Zuflucht zum Betruge. Denn wo so große Lüge herrscht, wie sollte da das Volk nicht lügnerisch sein? Wenn seine Stärke nicht ausreicht, nimmt es seine Zuflucht zum Betruge. Wenn sein Wissen nicht ausreicht, nimmt es seine Zuflucht zur Täuschung. Wenn sein Besitz

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nicht ausreicht, nimmt es seine Zuflucht zum Raube. Und wer ist es, der solchen Raubes Schuld und Verantwortung trägt?«

Nachwort 1.

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Über den Theorien von Rassen und Kulturen ist in unserer Zeit das alte Wissen vernachlässigt worden, daß der Orient eine natürliche, in seinen Werten und Werken geäußerte Einheit bildet: daß über seinen Volksgliedern sich eine Gemeinsamkeit erhebt, die ihn von Schicksal und Schöpfung des Abendlandes in unbedingter Klarheit sondert. Die genetische Erklärung dafür, die hier nicht darzulegen ist, hat ihre Begründung natürlicherweise an den verschiedenen Bedingungen nicht bloß im Raume, sondern auch in der Zeit, da ja die im Geistigen bestimmende Epoche des Orients einem andern Menschheitsmoment zugehört als die des Abendlandes. Hier ist die Einheit des Orients nur andeutend zu erweisen an einer Erscheinung, die freilich unter allen die wesentliche ist: an der Erscheinung der Lehre. In seinem Urzustande ist der morgenländische Geist, was aller Geist im Urzustande ist: Magie. Das ist sein Wesen, daß er der mit tausendfältiger Drohung einstürmenden Ungebundenheit der Natur mit seiner Gebundenheit entgegentritt, der bindende, das ist magische Gewalt innewohnt. Geregeltes Wort, geordnete Bewegung, Zauberspruch und Zaubergeste zwingen das dämonische Element in Regel und Ordnung. Alle primitive Technik und alle primitive Organisation sind Magie; Werkzeug und Wehr, Sprache und Spiel, Brauch und Bund entspringen magischer Absicht und dienen in ihrer Urzeit magischem Sinn, aus dem sich ihr Eigenleben erst allmählich herauslöst und verselbständigt. Diese Herauslösung und Verselbständigung vollzieht sich im Orient sehr viel langsamer als im Abendlande. Im Abendlande hat das Magische nur in der Volksreligiosität, in der sich die undifferenzierte Ganzheit des Lebens bewahrt hat, lebendige Dauer; auf allen andern Gebieten ist die Lösung schnell und vollständig. Im Orient ist sie langsam und unvollständig: an den Produkten der Scheidung haftet noch lange der magische Charakter. So verharrt z. B. die Kunst des Orients vielfach auch nach Erlangung der bildnerischen Freiheit und Macht noch in der magischen Intention, wogegen ihr im Abendlande die Erreichung dieser Höhe das Eigenrecht und den Eigenzweck verleiht. Unter den drei Grundmächten, in denen sich der weisende Geist des Morgenlandes (von dem gestaltenden Geist sehe ich hier ab) aufbaut und von denen der Okzident nur zwei – sie seien Wissenschaft und Gesetz

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genannt – schöpferisch besitzt, ist es die dritte – sie sei die Lehre genannt –, die sich vom magischen Urboden am vollständigsten zu lösen vermag. Es scheint mir zum Verständnis des Orients nötig, diese Grundmächte in aller Deutlichkeit voneinander abzuheben. Die »Wissenschaft« umfaßt alle Kunde von einem Sein, irdischem und himmlischem, die niemals und nirgends voneinander geschieden sind, sondern sich zur Welt des Seins zusammenschließen, die der Gegenstand der Wissenschaft ist. Das »Gesetz« umfaßt alles Gebot eines Sollens, menschlichen und göttlichen, die niemals und nirgends voneinander geschieden sind, sondern sich zur Welt des Sollens zusammenschließen, die der Gegenstand des Gesetzes ist. Wissenschaft und Gesetz gehören stets zueinander, so daß das Sein sich am Sollen bewährt, das Sollen am Sein sich begründet. Der wachsende Zwiespalt zwischen Sein und Sollen, Wissenschaft und Gesetz, der die Seelengeschichte des Okzidents charakterisiert, ist dem Orient fremd. Zu Wissenschaft und Gesetz tritt als die dritte Grundmacht des morgenländischen Geistes die Lehre. Die Lehre umfaßt keine Gegenstände, sie hat nur e i n e n Gegenstand, sich selber: das Eine, das not tut. Sie steht jenseits von Sein und Sollen, von Kunde und Gebot; sie weiß nur eins zu sagen: das Notwendige, das verwirklicht wird im wahrhaften Leben. Das Notwendige ist keineswegs ein Sein und der Kunde zugänglich; es wird nicht vorgefunden, weder auf Erden noch im Himmel, sondern besessen und gelebt. Das wahrhafte Leben ist keineswegs ein Sollen und dem Gebote untertan; es wird nicht übernommen, weder von Menschen noch von Gott, sondern es kann nur aus sich erfüllt werden und ist ganz und gar nichts andres als Erfüllung. Wissenschaft steht auf der Zweiheit von Wirklichkeit und Erkenntnis; Gesetz steht auf der Zweiheit von Forderung und Tat; die Lehre steht ganz und gar auf der Einheit des Einen, das not tut. Man darf immerhin den Sinn, den die Worte Sein und Sollen in Wissenschaft und Gesetz haben, von Grund aus umwandeln und das Notwendige als ein Sein bezeichnen, das keiner Kunde zugänglich ist, das wahrhafte Leben als ein Sollen, das keinem Gebote untertan ist, und die Lehre sodann als eine Synthese von Sein und Sollen. Aber man darf, wenn man es tut, diese Rede, die für Wissenschaft und Gesetz ein Widersinn ist, nicht dadurch eitel und zunichte und präsentabel machen, daß man Kunde und Gebot durch eine »innere« Kunde, durch ein »inneres« Gebot ersetzt, mit denen die Lehre zu schaffen habe. Diese Phrasen einer hergebrachten gläubig-aufklärerischen Rhetorik sind nichts als wirrer Trug.

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Der dialektische Gegensatz von Innen und Außen kann nur zur symbolischen Verdeutlichung des Erlebnisses dienen, nicht aber dazu, die Lehre in ihrer Art von den andern Grundmächten des Geistes abzuheben. Nicht das ist das Eigentümliche der Lehre, daß sie sich mit der Innerlichkeit befaßte oder von ihr Maß und Recht empfinge; es wäre unsinnig, Wissenschaft und Gesetz um die gar nicht von der äußeren zu sondernde »innere Kunde«, um das gar nicht von dem äußern zu sondernde »innere Gebot« schmälern zu wollen. Vielmehr ist dies das Eigentümliche der Lehre, daß sie nicht auf Vielfaches und Einzelnes, sondern auf das Eine geht und daß sie daher weder ein Glauben noch ein Handeln fordert, die beide in der Vielheit und Einzelheit wurzeln, daß sie überhaupt nichts fordert, sondern sich verkündet. Dieser wesenhafte Unterschied der Lehre von Wissenschaft und Gesetz dokumentiert sich auch im Historischen. Die Lehre bildet sich unabhängig von Wissenschaft und Gesetz, bis sie in einem zentralen Menschenleben ihre reine Erfüllung findet. Erst im Niedergang, der bald nach dieser Erfüllung beginnt, vermischt sich die Lehre mit Elementen der Wissenschaft und des Gesetzes. Aus solcher Vermischung entsteht eine Religion: ein Produkt des Verfalls, der Kontamination und Zersetzung, in dem Kunde, Gebot und das Notwendige zu einem widerspruchsvollen und wirksamen Ganzen verschweißt sind. Nun wird so Glauben wie Handeln gefordert: das Eine ist entschwunden. Lehre und Religion, beide sind nicht Teilmächte, wie Wissenschaft und Gesetz, sondern repräsentieren die Ganzheit des Lebens. Aber in der Lehre sind alle Gegensätze der Ganzheit in dem Einen aufgehoben wie die sieben Farben im weißen Licht; in der Religion sind sie zur Gemeinschaft verbunden wie die sieben Farben im Regenbogen. Die Magie, die Wissenschaft und Gesetz umrandete, die Lehre aber nicht anrühren konnte, ergreift Besitz von der Religion. Ihre bindende Gewalt bindet die auseinanderstrebenden Elemente zum schillernden Zauberwirbel, der die Zeiten beherrscht. Zwischen der Lehre und der Religion, von der einen zur andern führend, stehen Gleichnis und Mythos. Beide schließen sich an das zentrale Menschenleben, in dem die Lehre ihre reinste Erfüllung gefunden hat: das Gleichnis als das Wort dieses Menschen selber, der Mythos als der Niederschlag seines Lebens in dem Bewußtsein der Zeit. Demgemäß scheint das Gleichnis noch ganz auf der Seite der Lehre, der Mythos schon ganz auf der Seite der Religion zu stehen. Dennoch tragen beide die Vermittlung in sich. Dies ist aus dem Wesen der Lehre zu verstehen, wenn sie in ihrem Verhältnis zu den Menschen betrachtet wird. Die Lehre hat nur e i n e n Gegenstand: das Notwendige. Es wird ver-

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wirklicht im wahrhaften Leben. Vom Menschen aus gesehen, bedeutet diese Verwirklichung nichts anderes als die Einheit. Das ist aber nicht, wie es scheinen mag, eine abstrakte Bestimmung, sondern die allerlebendigste. Denn die Einheit, die gemeint ist, ist ja nicht die zusammenfassende Einheit einer Welt oder einer Erkenntnis, nicht die gesetzte Einheit eines Gottes oder des Geistes oder des Seins oder irgendeines gedachten oder gefühlten oder gewollten Dinges, sondern sie ist die Einheit dieses Menschenlebens und dieser Menschenseele, die sich in sich selber erfüllt, deines Lebens und deiner Seele Einheit, du von der Lehre Ergriffener. Das wahrhafte Leben ist das geeinte Leben. Es gibt aber, wie es zweierlei Güte und zweierlei Weisheit gibt, elementare und gewonnene, so auch zweierlei Einheit im Menschen, an der sich die Lehre als deren Weihung bewähren und verwirklichen kann: die Einheit der Einfältigen und die Einheit der Einsgewordenen. In der Zeit ihrer Bildung spricht die Lehre nur zu den Einsgewordenen. Aber sowie der zentrale Mensch erscheint, dessen gewonnene Einheit die Reinheit und die schlichte Kraft der elementaren hat, muß er die Einfältigen suchen, seine armen Brüder im Geiste, daß ihre tiefe Einheit, die all ihre Sünden und Narrheiten im Schoße hegt, sich über Sünde und Narrheit heilige. Und er spricht zu ihnen in der Sprache, die sie hören können: im Gleichnis. Und wenn er stirbt, ist ihnen sein Leben zum Gleichnis geworden. Ein Leben aber, das zum Gleichnis wurde, heißt Mythos. Das Gleichnis ist die Einstellung des Absoluten in die Welt der Dinge. Der Mythos ist die Einstellung der Dinge in die Welt des Absoluten. Auch schon solange die Lehre nur zu den Einsgewordenen spricht, kann sie des Gleichnisses nicht entraten. Denn die nackte Einheit ist stumm. Nur aus den Dingen, Vorgängen und Beziehungen kann sie Sprache gewinnen: es gibt keine Menschensprache jenseits der Dinge, der Vorgänge und der Beziehungen. Sowie die Lehre zu den Dingen kommt, kommt sie zum Gleichnis. Solange jedoch die Lehre nur zu den Einsgewordenen spricht, ist das Gleichnis nur ein Glas, durch das man das Licht von einem Farbensaum umrahmt schaut. Aber sobald die Lehre durch ihren zentralen Menschen zu den Einfältigen zu reden beginnt, wird das Gleichnis zum Prisma. So leitet die Erfüllung zur Aufhebung hinüber, und im Gleichnis des Meisters ruht schon keimend aller Riten Rausch und aller Dogmen Wahnsinn. Und hinwieder wird auch das L e b e n des zentralen Menschen nicht im Spiegelglas, sondern im Prisma aufgefangen: es wird mythisiert. Mythos heißt nicht: die Gestirne auf die Erde herabbringen und in Menschengestalt auf ihr wandeln lassen, sondern die beseligende Menschengestalt wird in ihm zum Himmel erhoben, und Mond und Sonne, Orion

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und die Plejaden dienen nur dazu, sie zu schmücken. Mythos ist auch nicht ein Ding von dort und ehedem, sondern eine Funktion von heut und allezeit, von dieser Stadt, in der ich schreibe, und allen Orten des Menschen. Eine ewige Funktion der Seele: die Einstellung des Erlebten in den bald mehr triebhaft, bald mehr gedankenhaft, aber auch vom Dumpfsten noch irgendwie empfundenen Weltprozeß, in die Magie des Daseins. Je stärker die Spannung und Intensität des Erlebens, je größer die erlebte Gestalt, das erlebte Ereignis, desto zwingender die mythenbildende Gewalt. Wo die höchste Gestalt, der Held und Heiland, das erhabenste Ereignis, sein dargelebtes Leben, und die mächtigste Spannung, die der erschütterten Einfältigen, zusammentreffen, entsteht der Mythos, der alle Zukunft zwingt. So geht der Weg zur Aufhebung weiter, denn im Mythos des Heilands ruht schon keimend das Bekenntnis zum kleinen Wunder und der Mißbrauch der Wahrheit von Heil und Erlösung. Die Aufhebung vollzieht sich in der Religion, und sie vollendet sich in der perpetuierten Gewalttat, die sich Religion nennt und die Religiosität in Fesseln hält. Immer wieder erwacht in den Seelen der Religiösen die Inbrunst nach der Freiheit: nach der Lehre; immer wieder wird Reformation, wird Wiederbringung, Erneuung der Lehre gewagt; immer wieder muß sie mißlingen, muß die glühende Bewegung statt in der Lehre in einer Mischung von Wissenschaft und Gesetz, der sogenannten geläuterten Religion münden. Denn die Lehre kann nicht wiedergebracht, nicht erneut werden. Ewig die eine, muß sie doch ewig von neuem beginnen. In dieser Bahn vollzieht sich die Geschichte der höchsten Erscheinung morgenländischen Geistes.

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Daß aber die Lehre ewig von neuem beginnt, das ist keineswegs etwa so zu verstehen, als ob sie ein Inhalt wäre, der verschiedene Formen annimmt, wie die es meinen, die die Wege der Lehre durchforschen und vergleichen, um das Gemeinsame zu ermitteln. Der Gegensatz von Inhalt und Form erscheint hier als ein dialektischer Gegensatz, der die Geschichte nicht klärt, sondern trübt, gerade so, wie er die Kunstanschauung nicht klärt, sondern trübt. Der Logos des Johannesevangeliums, das bedeutsamerweise der sprachlichen Welt entnommene Symbol des Urdaseins, ist wie ein Wahrzeichen gegen die Übergriffe dieser Dialektik aufgerichtet. »Das Wort« ist »im Anfang«, weil es die Einheit ist, die dialektisch zerlegt wird. Eben deswegen ist es der Mittler: weil es zu den Produkten der Zerlegung, etwa zu Gottheit und Menschheit, oder anders betrachtet

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zu »Gott Vater« und dem »heiligen Geist«, die Einheit stellt, die sie verbindet, die ursprüngliche, zerschiedene und fleischgeworden die Elemente wieder versöhnende Einheit. »Das Wort« ist damit der Genosse jedes Menschenwortes, das ja auch nicht ein Inhalt ist, der eine Form angenommen hat, sondern eine Einheit, die in Inhalt und Form zerlegt wird, – eine Zerlegung, die die Geschichte des Menschenwortes und die Geschichte jedes einzelnen Menschenwortes nicht klärt, sondern trübt, und deren Recht daher nicht über den Bezirk der begrifflichen Einordnung hinauslangen darf. Ebenso verhält es sich mit der Lehre. Die Lehre verkündet, was sie ist: die Einheit als das Notwendige. Dies ist aber keineswegs ein Inhalt, der verschiedene Formen annimmt. Wenn wir jeden Weg der Lehre in Inhalt und Form zerlegen, erhalten wir als den »Inhalt« nicht die Einheit, sondern die Rede von dem Himmelreich und der Gotteskindschaft, oder die Rede von der Leidenserlösung und dem heiligen Pfad, oder die Rede von Tao und dem Nichttun. Das kann nicht anders sein; denn die Einheit war eben mehr als der Inhalt Jesu oder Buddhas oder Lao-Tses, mehr als das, was sie aussprechen wollten, sie war der Sinn und der Grund dieser Menschen. Sie war mehr als der Inhalt ihres Wortes, sie war dieses Wortes Leben und dieses Wort selbst in seiner Einheit. Daher ist das Grundverhältnis, mit dem wir es hier zu tun haben, nicht das von Inhalt und Form, sondern, wie noch darzulegen sein wird, das von Lehre und Gleichnis. Man hat versucht, die Einheit nun doch wieder zu einem Inhalt, zu einem »gemeinsamen« Inhalt zu machen, indem man sie aus der Einheit des wahrhaften Lebens zur Einheit Gottes oder des Geistes oder des Seins machte, die den Wegen der Lehre gemeinsam sei, – etwa nach der Analogie des modernen Monismus, der eine in irgendeiner Weise beschaffene »Einheit des Seins« statuiert. Es ist aber der Lehre durchaus nicht wesentlich, sich um das Wesen Gottes als eines Seienden zu bekümmern. Bei Buddha ist dies ja ganz offenbar; aber auch schon in den Upanischaden ist doch nicht das die Bedeutung der Lehre vom Atman, daß damit eine Aussage über die Einheit des Seins gemacht würde, sondern daß, was man Sein nennt, nichts anderes ist als die Einheit des Selbst und daß also dem Geeinten die Welt als Sein, als Einheit, als sein Selbst entgegentritt. Ebenso ist es dem Urchristentum nicht um die Einheit Gottes zu tun, sondern um die Wesensgleichheit des geeinten Menschen mit Gott; auch hier ist das Seiende gewissermaßen nur um des Notwendigen willen da. Und das Gleiche gilt von der Tao-Lehre, wo alles, was von der »Bahn« der Welt gesagt wird, auf die Bahn des Vollendeten hinweist und in ihr seine Bewährung und Erfüllung erhält. Es muß einem heutigen Abendländer allerdings schwer werden, dies

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ganz zu realisieren, insbesondere dem philosophisch Geschulten, dem das Notwendige etwa das sub specie aeterni gesehene Sein, die Einheit etwa der Akt des Zusammensehens in der Erkenntnis ist. Der heutige Abendländer subsumiert, was nicht zu subsumieren ist. Die Lehre bekümmert sich um das Sein ebensowenig wie sie sich um das Sollen bekümmert, sondern allein um die Wirklichkeit des wahrhaften Lebens, die primär und unsubsumierbar ist. Es ist ihr daher auch nicht von der Scheidung zwischen Subjekt und Objekt aus beizukommen, so daß man die Einheit wohl nicht mehr ins Objekt, dafür aber ins Subjekt verlegte; sondern diese Scheidung ist für den Menschen der Lehre entweder überhaupt nicht da oder sie ist ihm nur die reine Formel für jenen vielgestaltigen dialektischen Gegensatz, auf dessen Aufhebung die Lehre errichtet ist.

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Der Weg der Lehre ist demgemäß nicht der zur Ausbildung einer Erkenntnis, sondern der zur reinen Erfüllung in einem zentralen Menschenleben. Das ist an den drei Erscheinungen der Lehre, die uns in hinlänglicher Dokumentation überliefert sind, mit größerer oder geringerer Klarheit zu gewahren. Diese drei Erscheinungen sind: die chinesische Tao-Lehre, die indische Erlösungslehre, die jüdisch-urchristliche Lehre vom Reiche Gottes. Auch dieser Erscheinungen Dokumentation reicht nicht hin, um ihren Weg g a n z zu überschauen. So wissen wir von der werdenden jüdisch-urchristlichen Lehre einiges von den Lebensgemeinschaften, die sie trugen – von den (anscheinend von den Redaktoren des Kanons absichtlich oder unabsichtlich mißverstandenen) Rechabitern (Jerem. 35) bis zu den Essäern, auf deren uralte Tradition sicherlich trotz aller Übertreibungen mit Recht hingewiesen wird – aber sehr wenig von den Worten dieses sozusagen unterirdischen Judentums, die wir nur dürftig aus späten Quellen erschließen oder erahnen können. Hinwieder sind uns in den Schriften der Tao-Lehre Sprüche der »Alten« überliefert, die uns die lange Vorexistenz der Lehre verbürgen, und diese wird auch durch Äußerungen von gegnerischer Seite bestätigt; aber von den Lebensformen, in denen sie sich fortpflanzte, haben wir nur ganz unzulängliche Nachricht. Nicht einmal das indische Schrifttum, von allen das unvergleichlich größte, bietet eine vollständige Anschauung des Zusammenhangs. Immerhin genügt das Material um zu zeigen, wie sich die Lehre unabhängig von Wissenschaft und Gesetz bildet und wie sie sich im zentralen Menschen erfüllt, der Wissenschaft und Gesetz ohne Kampf, lediglich

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durch die Lehre und das Leben überwindet. So überwindet Buddha die vedische Wissenschaft mit der Aufhebung der »Ansicht«, die dem Vollendeten nicht zustehe, im »Pfad«, und das brahmanische Gesetz mit der Aufhebung der Kasten im Orden. So überwindet Lao-Tse die offizielle Weisheit durch die Lehre vom »Nichtsein«, die offizielle Tugend durch die Lehre vom »Nichttun«. Und auch dies können wir an den Erscheinungen der Lehre sehen, daß der zentrale Mensch der Lehre kein neues Element zubringt, sondern sie erfüllt. »Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.« So sagt auch Lao-Tse von sich, er habe nur das Unerkannte der Vorzeit zu erfüllen. »Die in der Vorzeit Meister geworden sind, die Lautern, die Geistigen, die Tiefen, die Durchdringenden, – in ihrer Tiefe konnten sie nicht erkannt werden. Weil sie nicht erkannt werden können, will ich sie kenntlich machen.« Und so habe er auch die Ahnung des Einen, die im Wort des Volkes ruht, zu erfüllen. Er führt etwa den Spruch an: »Gewalttätige erreichen nicht ihren natürlichen Tod« und fügt hinzu: »Was die andern lehren, lehre ich auch: ich will daraus einen Vatergrund der Lehre machen.« Dies entspricht den Worten der Bergpredigt »Ich aber sage euch«; denn Gewalt ist schon an sich für Lao-Tse das Tote, das Leblose in der Welt, weil sie das Taolose ist. Erfüllen bedeutet hier wie dort: ein Überliefertes aus dem Bedingten ins Unbedingte heben. Der zentrale Mensch bringt der Lehre kein neues Element zu, sondern erfüllt sie; das heißt: er hebt sie zugleich aus dem Unerkannten ins Erkannte und aus dem Bedingten ins Unbedingte. In ihrer höchsten Wahrheit erweist sich diese Unbedingtheit des Erfüllenden, welche die Welt der Bedingten wider ihn setzt, erweist sich diese seine Kraft der Erfüllung in seinem Leben. In unvergleichbar höherem Maße noch als vom großen Herrscher, vom großen Künstler und vom großen Philosophen gilt von ihm, daß alles Zerstreute, Flüchtige und Fragmentarische in ihm zur Einheit zusammenwächst; sein Leben ist diese Einheit. Der Herrscher hat seine Völkergestaltung, der Künstler hat sein Werk, der Philosoph hat seine Ideologie; der Erfüllende hat nichts als sein Leben. Seine Worte sind Stücke dieses Lebens, jedes Vollstrecker und Urheber, jedes vom Schicksal eingesprochen und vom Schicksal aufgefangen, das Heer der Stimmen durch diesen Menschenleib ins Endgültige wandelnd, die schwache Regung vieler Toten in ihm zur Macht gebunden, er das Kreuzesholz der Lehre, Erfüllung und Aufhebung, Heil und Untergang. Darum gibt es Logia, die kein Zweifel anzutasten vermag und die sich, durch die Geschlechter schreitend, auch ohne Schrift unvermischt erhalten kraft der Schicksalsprägung und der elementaren Einzigkeit der erfüllenden Rede. Denn der Erfüllende, der aus allem gebunden

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ist und doch aus dem Nichts kommt, ist der einzigste Mensch. Obgleich alles Suchen ihn begehrte und alle Einkehr ihn ahnte, wird er, wenn er erscheint, von wenigen erkannt, und diese wenigen sind wohl gar nicht von denen, die ihn ahnten und begehrten: so groß ist seine Einzigkeit, – so unoriginell, so unscheinbar, so ganz und gar die letzte Echtheit des Menschentums. Am sichtbarsten ist dies an Jesus, an dem das Zeugnis, wie es scheint, durch den Tod, das einzige Absolute, das der Mensch herzugeben hat, vollendet worden ist. Ihm zunächst steht Buddha. Lao-Tses Leben bietet sich am wenigsten dar. Das liegt daran, daß es eben das Leben seiner Lehre, ein verborgenes Leben war. In dem kargen Bericht des Geschichtsschreibers ist alles darüber gesagt; von seinem Leben: »Seine Lehre war die Verborgenheit des Selbst: namenlos zu werden war das, wonach er strebte«; und von seinem Tode: »Niemand weiß, wo er geendet hat: LaoTse war ein verborgener Weiser.«

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Wie das Leben Lao-Tses, so ist auch seine Lehre die verborgenste, denn sie ist die gleichnisloseste. Die nackte Einheit ist stumm. Sowie die Einheit aus Grund und Ziel eines ausgesonderten, in das wortlose Wunder versunkenen Menschentums zur Lehre wird, sowie sich in diesem Manne das Wort bewegt – in der Stunde der Stille, vor Tag, wo noch kein Du ist als das Ich und die einsame Rede im Dunkel den Abgrund hinüber und herüber mißt –, ist die Einheit schon vom Gleichnis berührt. Der Mensch redet seine Worte, wie der Logos die Menschen redet: sie sind nicht mehr reine Einheit, – es ist schon die Vielheit, das Gleichnis darin. Aber wie die Vielheit der Menschen, solange sie Kinder sind, noch an die Einheit gebunden ist und das Gleichnis nur so auf ihnen ruht wie das Lächeln auf ihren Lippen, so ist die Rede des Ausgesonderten in der Stunde der Stille nur erst vom Gleichnis berührt wie von einem Lächeln. Und wie die Vielheit der Menschen, wenn sie erwachsen und selber Kinder zeugen sollen, sich von der Einheit löst und das Gleichnis so in ihnen strömt wie das Blut in ihren Adern, so ist die Rede des Erfüllenden, wenn er zu den Menschen geht, vom Gleichnis durchflossen wie vom Blute. Wie aber zwischen Kindheit und Mannheit die Zeit der Jugend steht, das ist die Tragödie, die sich unmerklich versöhnt, bis sie verschwunden ist, so steht zwischen Einsamkeit und Predigt die Zeit des Übergangs, die sich freilich nicht unmerklich versöhnt, sondern sich entscheidet. Buddha

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nennt sie die Zeit der Versuchung. Er spricht zum Versucher: »Nicht eher werde ich, o Böser, ins Nirvana eingehen, bis nicht dieser mein unsträflicher Wandel gediehen sein wird und zur Blüte gekommen, weithin verbreitet, bei vielen zu finden, reich entfaltet, so daß er von den Menschen schön geoffenbart ist.« In dieser Zeit ist das Gleichnis nicht mehr das Lächeln, noch nicht das Blut; es ist noch auf dem Geiste, schon in dem Geiste, – wie der Traum. Wie die Jugend im Traum steht, so steht der Übergang im Traum. Darum ist das Wort der Einsamkeit der Schrei, und das Wort der Predigt die Erzählung, aber das Wort des Übergangs ist das Bild. Es gibt jedoch ein Leben, in dem der Übergang nicht von der Einsamkeit zur Predigt führt, sondern von der Einsamkeit der Frage zur Einsamkeit der Fülle, von der Einsamkeit des Abgrunds zur Einsamkeit des Meeres. Das ist das verborgene Leben. »Ich bin vergessen wie das Meer«, sagt Lao-Tse. Ich glaube, daß dieser Mensch wie die andern versucht wird. Und wie die andern geht er nicht ins Nirvana ein, aber er geht auch nicht zu den Menschen; er geht in die Verborgenheit. Die Verborgenheit soll ihm seine Kinder gebären. »Der seine Helle kennt, sich in sein Dunkel hüllt«, so nennt ihn Lao-Tse*. Was ist diesem Menschen die Predigt? »Der Himmel redet nicht und weiß doch Antwort zu finden.« Was ist ihm die Mannheit? »Der seine Mannheit liebt, an seiner Weibheit hält, der ist das Strombett aller Welt.« Wie ein Brüten ist sein Ruhen in der Verborgenheit. »Er kann das Vogelweibchen sein.« Dieser Mensch redet nicht zu sich und nicht zu den Menschen, sondern in die Verborgenheit. Wiewohl er selbst nicht auf dem Wege zu den Menschen ist, so ist doch sein Wort notwendigerweise auf dem Wege zum Gleichnis; er ist nicht im Übergang, aber sein Wort ist das Wort des Übergangs geblieben: das Bild. Seine Rede ist nicht eine volle Gleichnisrede wie die Buddhas oder Jesu, sondern eine Bilderrede. Sie gleicht einem Jüngling, der sich noch nicht von der Einheit zum Gleichnis gelöst hat wie der Mann, der nicht mehr an die Einheit gebunden ist wie das Kind. Aber das wäre ein Jüngling, wie wir ihn etwa in Hölderlins Gedichten ahnen: der nicht das über sich Hinausstrebende des Traums und der Tragödie hat, sondern nur die seherische Fülle der Jugend, ins Unbedingte und Ewige gekehrt, wo der Traum zur Mantik und die Tragödie zum Mysterium geworden ist. *

Die Verszitate aus Lao-Tse gebe ich nach der – für die Verse klassisch einfachen – Übertragung von Strauß, die übrigen zumeist in meiner wortgetreueren.

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Verborgenheit ist die Geschichte von Lao-Tses Rede. Mag die Predigt von Benares, mag die Bergpredigt noch so mythisiert sein, – daß dem Mythos eine große Wahrheit zugrunde lag, ist unverkennbar. In Lao-Tses Leben ist nichts, was diesem entspräche. Seiner Rede, dem Buche, merkt man überall an, daß es gar nicht das war, was wir Rede nennen, sondern nur wie das Rauschen des Meeres aus seiner Fülle, wenn ein leichter Wind es berührt. In dem kargen Bericht des Geschichtsschreibers ist auch dies mitgeteilt oder dargestellt. Lao-Tse geht in seine letzte Verborgenheit; er verläßt das Land, in dem er gewohnt hat. Er erreicht den Grenzpaß. Der Befehlshaber des Grenzpasses spricht zu ihm: »Ich sehe, daß du in die Verborgenheit gehst. Wolle doch ein Buch für mich schreiben, ehe du gehst.« Darauf schreibt Lao-Tse ein Buch in zwei Abteilungen, das ist das Buch von Tao und der Tugend, in fünftausend und etlichen Worten. Sodann geht er. Und unmittelbar daran schließt sich in dem Bericht, was ich früher anführte: »Niemand weiß, wo er geendet hat.« Nachricht oder Sinnbild, gleichviel: dies ist die Wahrheit über Lao-Tses Rede. »Die es wissen, reden es nicht; die es reden, wissen es nicht«, heißt es in seinem Buche. Seine Rede ist nur wie das Rauschen des Meeres aus seiner Fülle. Die Lehre Lao-Tses ist bildhaft, aber gleichnislos, wofern wir an das vollständige Gleichnis denken, das vom Bilde zur Erzählung wurde. So übergab er sie der Zeit. Hunderte von Jahren vergingen darüber, da kam die Lehre an einen, der – sicherlich, wie alle großen Dichter, vieles Volksgleichnis in sich sammelnd – ihr Gleichnis dichtete. Dieser hieß Tschuang-Tse. Nicht also wie in der Lehre Jesu und Buddhas ist das Gleichnis in der Tao-Lehre das unmittelbare, im zentralen Menschen erwachsene Wort der Erfüllung, sondern es ist die Dichtung eines, dem die Lehre schon in ihrer Erfüllung übergeben war. Zerfallen ist die Erscheinung der Tao-Lehre in das erste Wort, das der nackten Einheit so nahe steht wie kein anderes Wort der Menschenwelt, und in das zweite Wort, in dem die Einheit so reiche und zärtliche Gewandung trägt wie in keinem andern Wort der Lehre, sondern allein in den großen Gedichten der Menschenwelt. Beide aber zusammen erst geben uns die vollkommene Gestalt der Lehre in ihrer reinsten Erscheinung: wie sie Tao, »die Bahn«, Grund und Sinn des geeinten Lebens, als den Allgrund und Allsinn verkündet.

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5. Tschuang-Tse lebte in der zweiten Hälfte des vierten und in der ersten des dritten Jahrhunderts v. Chr., also etwa 250 Jahre nach Lao-Tse. Während aber jener andere Apostel, der seinen Meister nicht leiblich kannte, Paulus, die Lehre Jesu von der Einheit des wahrhaften Lebens zersetzte und in einen ewigen Gegensatz von Geist und Natur – den man nicht aufheben, dem man nur entfliehen könne – verkehrte, war Tschuang-Tse in Wahrheit ein Sendbote seiner Lehre: ihr Sendbote zu den Dingen der Welt. Denn daß er ihr Gleichnis dichtete, das ist ja nicht so zu verstehen, als hätte er sie an den Dingen »erklärt« oder auf die Dinge »angewendet«. Vielmehr trägt das Gleichnis die Einheit der Lehre in alle Welt hinein, so daß, wie sie es zuvor in sich umhegte, nun das All ihrer voll erscheint, und kein Ding ist so gering, daß sie sich weigerte, es zu füllen. Wer solcherart die Lehre nicht eifernd verbreitet, sondern sie in dem Wesen offenbart, der gewährt jedem, die Lehre nun auch in sich zu entdecken und zu beleben. Solch ein Apostolat ist still und einsam, wie die Meisterschaft, der es dient, still und einsam war. Es wohnt nicht mehr wie jene in der Verborgenheit, aber es ist durch keine Pflicht und durch keinen Zweck mit den Menschen verbunden. Der Geschichtsschreiber teilt uns fast nichts anderes aus Tschuang-Tses Leben mit als dies, daß er arm war und die Ämter, die ihm angeboten wurden, mit den Worten ablehnte: »Ich werde nie ein Amt annehmen. So werde ich frei bleiben, mir selbst zu folgen.« Dasselbe geht aus den in seinen Büchern verstreuten, offenbar von Schülerhand herrührenden Lebensnachrichten hervor. Und nichts anderes besagt der Bericht über sein Sterben. Er verbietet, ihm ein Begräbnis zu geben: »Erde und Himmel mir Sarg und Gruft, Sonne und Mond mir die zwei runden Heilsbilder, die Sterne mein Geschmeide, die unendlichen Dinge mein Trauergeleit, – ist nicht alles beisammen? Was könntet ihr noch dazufügen?« Es ist nicht verwunderlich, daß die Welt der Bedingten sich wider ihn erhob. Seine Zeit, die unter der Herrschaft der konfuzianischen Weisheit von der sittlichen Einrichtung des Lebens nach Pflicht und Zweck stand, nannte Tschuang-Tse einen Nutzlosen. In Gleichnissen wie das vom nutzlosen Baum hat er der Zeit seine Antwort gegeben. Die Menschen kennen den Nutzen des Nutzlosen nicht. Den sie den Zwecklosen nennen, ist Taos Zweck. Er trat der öffentlichen Meinung, die das Gesetz seiner Zeit war, entgegen, nicht in Hinsicht auf irgendeinen Inhalt, sondern grundsätzlich. Wer seinem Fürsten oder seinen Eltern schmeichelt, sagte er, wer ihnen blind zustimmt und sie grundlos preist, wird von der Menge unkindlich

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und treulos genannt; nicht aber, wer der Menge selbst schmeichelt, ihr blind zustimmt, sie grundlos preist, wer seine Haltung und seinen Ausdruck darauf richtet, ihre Gunst zu gewinnen. Er aber kannte die Leerheit der Menge und sprach sie aus; er wußte, daß nur der sie gewinnt, der sich ihr auferlegt, und sagte es: »Ein Mann stiehlt einen Beutel und wird bestraft. Ein andrer stiehlt einen Staat und wird ein Fürst.« Und auch das wußte er, daß die Lehre vom Tao sich der Menge nicht auferlegen kann. Denn die Lehre bringt ja nichts an die Menschen heran, sondern sie sagt einem jeden, daß er die Einheit habe, wenn er sie in sich entdeckt und belebt. Es ist aber mit den Menschen so: »Alle streben zu ergreifen, was sie noch nicht wissen, keiner strebt zu ergreifen, was er weiß.« Das Große ist der Menge unzugänglich, weil es das Einfache ist. Große Musik, sagt Tschuang-Tse, empfängt die Menge nicht, über Gassenhauer jubelt sie; so werden vollkommene Worte nicht gehört, dieweil gemeine Worte die Herrschaft haben; zwei tönerne Schellen töten den Glockenklang. »So ist die Welt verirrt; ich weiß den rechten Pfad; aber wie kann ich sie leiten?« Und so erschöpft sich das Apostolat im Gleichnis, das nicht eifert, sondern in sich verharrt, sichtbar und doch verborgen. Die Welt, sagt Tschuang-Tse, steht wider die Bahn, und die Bahn steht wider die Welt; die Bahn kann die Welt nicht anerkennen, und die Welt kann die Bahn nicht anerkennen; »darum ist die Tugend der Weisen verborgen, mögen sie auch nicht in den Bergen und in den Wäldern hausen; verborgen, auch wenn sie nichts verbergen«. So fand das Apostolat Tschuang-Tses seine Mündung darin, worin die Meisterschaft Lao-Tses ihren Lauf gehabt hatte: in der Verborgenheit.

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Das Wort »Tao« bedeutet den Weg, die Bahn; da es aber auch den Sinn von »Rede« hat, ist es zuweilen mit »Logos« wiedergegeben worden. Es ist bei Lao-Tse und seinen Jüngern, wo immer es metaphorisch entwickelt wird, an die erste dieser Bedeutungen geknüpft. Doch ist seine sprachliche Atmosphäre der des heraklitischen Logos in der Tat verwandt, schon darin, daß beide ein dynamisches Prinzip des Menschenlebens ins Transzendente versetzen, aber im Grunde nichts anderes meinen als das Menschenleben selber, das aller Transzendenz Träger und Wirklichkeit ist. Von Tao will ich das hier darlegen.* *

Die Zitate ohne besondere Bezeichnung sind Tschuang-Tse, die mit (L) bezeichneten Lao-Tse entnommen.

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Man hat Tao im Abendlande zumeist als einen Versuch der Welterklärung aufgefaßt; bemerkenswerterweise fiel die Welterklärung, die man darin erblickte, stets mit den Neigungen der jeweiligen Zeitphilosophie zusammen; so galt Tao erst als die Natur, sodann als die Vernunft, und neuerdings soll es gar die Energie sein. Diesen Deutungen gegenüber muß darauf hingewiesen werden, daß Tao überhaupt keine Welterklärung meint, sondern dies, daß der ganze Sinn des Seins in der Einheit des wahrhaften Lebens ruht, nur in ihr erfahren wird, daß er eben diese Einheit, als das Absolute gefaßt, ist. Will man von der Einheit des wahrhaften Lebens absehen und das betrachten, was ihr »zugrunde liegt«, so bleibt nichts übrig als das Unerkennbare, von dem nichts weiter auszusagen ist, als daß es das Unerkennbare ist. Die Einheit ist der einzige Weg, es zu verwirklichen und in solcher Wirklichkeit zu erleben. Das Unerkennbare ist natürlicherweise weder die Natur noch die Vernunft noch die Energie, sondern eben das Unerkennbare, dem kein Bild zureicht, weil »in ihm die Bilder sind«. Das Erlebte aber ist wieder weder die Natur noch die Vernunft noch die Energie, sondern die Einheit der Bahn, die Einheit des wahrhaften Menschenweges, die der Geeinte in der Welt und in jedem Ding wiederfindet: die Bahn als die Einheit der Welt, als die Einheit jedes Dinges. Es darf aber die Unerkennbarkeit des Tao nicht so aufgefaßt werden, wie man von der Unerkennbarkeit irgendeines Prinzips religiöser oder philosophischer Welterklärung redet, um dann doch darüber auszusagen. Auch das, was der Name »Tao« aussagt, wird nicht von dem Unerkennbaren ausgesagt; »der Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name« (L). Will man Tao nicht als das Notwendige betrachten, dessen Wirklichkeit im geeinten Leben erfahren wird, sondern als ein an sich Seiendes, so findet man nichts zum Betrachten: »Tao kann kein Dasein haben.« Es kann nicht erforscht, nicht dargelegt werden. Nicht bloß kann keine Wahrheit darüber ausgesagt werden, sondern es kann überhaupt nicht Gegenstand einer Aussage sein. Was darüber ausgesagt wird, ist weder wahr noch falsch. »Wie kann Tao so verdunkelt sein, daß etwas ›Wahres‹ oder etwas ›Falsches‹ daran erscheint? … Tao ist verdunkelt, weil wir es nicht fassen können.« Wenn es also scheint, Tao sei in irgendeiner Zeit mehr da als in irgendeiner andern, so ist dies keine Wirklichkeit, sondern nur wie das Sinken und Steigen der Töne in der Musik: »es gehört zum Spiel«. Wir können es in keinem Sein auffinden. Wenn wir es in Himmel und Erde, im Raum und in der Zeit suchen, so ist es nicht da, sondern Himmel und Erde, Raum und Zeit sind in ihm allein begründet. Und wenn wir es in »dem Geheimnis der Wesenheit Gottes« suchen, so ist es nicht da, sondern Gott ist in ihm allein begründet. Und

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dennoch »kann es durch das Suchen gefunden werden« (L): im geeinten Leben. Da wird es nicht erkannt und gewußt, sondern besessen, gelebt und getan. »Nur wer mit Schweigen es erlangt und mit dem Wesen es vollendet, der hat es«, heißt es in den Büchern des Lieh-Tse. Und er hat es nicht als sein eigen, sondern als den Sinn der Welt. Aus seiner Einheit schaut er die Einheit in der Welt: die Einheit des männlichen und des weiblichen Elements, die nicht für sich, sondern nur aneinander bestehen, die Einheit der Gegensätze, die nicht für sich, sondern nur durcheinander bestehen, die Einheit der Dinge, die nicht für sich, sondern nur miteinander bestehen. Diese Einheit ist das Tao in der Welt. Wenn in einem von Tschuang-Tse erzählten Gespräche Lao-Tse zu Kong-Fu-Tse sagt: »Daß der Himmel hoch ist, daß die Erde breit ist, daß Sonne und Mond kreisen, daß die Dinge gedeihen, das ist ihr Tao«, so wird dieser Ausspruch erst durch einen alten Vers, den Lao-Tse in seinem Buche anführt, ganz verständlich. Er lautet: »Himmel kriegte Einheit, damit Glast, Erde Einheit, damit Ruh und Rast, Geister Einheit, damit den Verstand, Bäche Einheit, damit vollen Rand, Alle Wesen Einheit, damit Leben, Fürst und König Einheit, um der Welt das rechte Maß zu geben.« So macht die Einheit jedes Dinges in sich selbst die Art und das Wesen dieses Dinges aus, das ist das Tao dieses Dinges, dieses Dinges Bahn und Ganzheit. »Kein Ding kann Tao erzeugen, und doch hat jedes Ding Tao in sich und erzeugt es ewig von neuem.« Das bedeutet: jedes Ding offenbart Tao durch den Weg seines Daseins, durch sein Leben; denn Tao ist die Einheit in der Wandlung, die Einheit, die sich, wie an der Vielheit der Dinge, so an der Vielheit der aufeinanderfolgenden Momente im Leben jedes Dinges bewährt. Darum ist nicht der Mensch, dessen Weg ohne Wandlungen verläuft, die vollkommene Offenbarung Taos, sondern der Mensch, der mit der stärksten Wandlung die reinste Einheit vereint. Es gibt zwei Arten von Leben. Das eine ist das bloße Hinleben, die Abnutzung bis zum Verlöschen; das andere ist die ewige Wandlung und deren Einheit im Geiste. Wer in seinem Leben sich nicht verzehren läßt, sondern sich unablässig erneut und gerade dadurch, in der Wandlung und durch sie, sein Selbst behauptet – das ja nicht ein starres Sein, sondern eben We g , Ta o ist –, der gewinnt die e w i g e Wandlung und Selbstbehauptung. Denn hier wie immer in der Tao-Lehre: Bewußtsein wirkt Sein, Geist wirkt Wirklichkeit. Und wie im Zusammenhang der Lebensmomente eines Dinges, so bewährt sich Tao im Zusammenhang der Lebensmomente der Welt, im Kommen und Gehen aller Dinge, in der Einheit der ewigen Allwandlung. So heißt es in den Büchern des Lieh-Tse:

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»Was keinen Urquell hat und beständig zeugt, ist Tao. Aus Leben zu Leben deshalb, obgleich endend, nicht verderbend, das ist Ewigkeit … Was einen Urquell hat und beständig stirbt, ist ebenfalls Tao. Aus Tod zu Tod deshalb, obgleich nie endend, doch sich selbst verderbend, auch das ist Ewigkeit.« Tod ist Losbindung, ist Übergang zu neuer Gestalt, ist ein Augenblick des Schlafs und der Einkehr zwischen zwei Weltenleben. Alles ist Werden und Wandlung in dem »großen Haus« der Ewigkeit. Wie in dem Dasein des Dinges Scheidung und Sammlung, Wandlung und Einheit aufeinander folgen, so folgen im Dasein der Welt Leben und Tod aufeinander, zusammen erst Tao, als die Einheit in der Wandlung, bewährend. Dieses ewige Tao, das die Verneinung alles scheinhaften Seins ist, wird auch das Nichtsein genannt. Geburt ist nicht Anfang, Tod ist nicht Ende, Dasein in Raum und Zeit ist ohne Schranke und Stillstand; Geburt und Tod sind nur Eingang und Ausgang durch »das unsichtbare Tor des Himmels, welches Nichtsein heißt. Dieses ist der Wohnsitz des Vollendeten«. Auch hier wird der Vollendete, der Geeinte als der bezeichnet, der Tao unmittelbar erlebt und erfährt. Er schaut die Einheit in der Welt. Das ist aber nicht so zu verstehen, als wäre die Welt ein geschlossenes Ding außer ihm, dessen Einheit er durchdringe. Vielmehr ist die Einheit der Welt nur eine Spiegelung seiner Einheit; denn die Welt ist nichts Fremdes, sondern eins mit dem Geeinten. »Himmel und Erde und ich kamen zusammen ins Dasein, und ich und alle Dinge sind eins.« Da aber die Einheit der Welt nur für den Vollendeten besteht, so ist es in Wahrheit seine Einheit, die Einheit in die Welt setzt. Das geht auch aus dem Wesen Taos hervor, wie es in den Dingen erscheint. Tao ist die Bahn der Dinge, ihre Art, ihre eigentümliche Ordnung, ihre Einheit; aber als solche existiert es in den Dingen nur potentiell; wirkend wird es erst in ihrer Berührung mit andern: »Wären Metall und Stein ohne Tao, sie würden keinen Schall geben. Sie haben die Gewalt des Schalles, aber er kommt aus ihnen nicht, wenn sie nicht geschlagen werden. So ist es mit allen Dingen.« Dabei ist das Bewußtsein immer nicht auf Seite des Empfangenden, sondern auf Seite des Gebenden; »Tao wird übermittelt, aber nicht empfangen«. Und wie das Tao der Dinge erst durch ihre Berührung mit andern Dingen lebendig und offenbar wird, so wird das Tao der Welt erst durch ihre unbewußte Berührung mit dem bewußten Sein des Geeinten lebendig und offenbar. Dies wird von Tschuang-Tse so ausgedrückt, daß der Vollendete die beiden Urelemente der Natur, das positive und das negative, Yang und Yin, die die Ureinheit des Seins zerscheiden, versöhnt und in Einklang bringt. Und in einem späten taoistischen Traktat, der in diesem Punkte auf einer – allzu beschränkt gefaßten – Überlieferung zu fußen scheint, dem »Buch

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von der Reinheit und der Ruhe«, heißt es: »Wenn der Mensch in der Reinheit und der Ruhe verharrt, kehren Himmel und Erde zurück«, das ist: zur Einheit, zum ungeschiedenen Dasein, zu Tao. Auch in dem späten, entarteten Schrifttum (der ganze spätere Taoismus ist nichts als wachsende Entartung) wird also der Geeinte noch als der Gebende aufgefaßt. Wir dürfen sagen: der Geeinte ist für die Tao-Lehre der Schaffende; denn alles Schaffen bedeutet, von dieser Lehre aus angesehen, nichts andres als: das Tao der Welt, das Tao der Dinge hervorrufen, die ruhende Einheit lebendig und offenbar machen. Es sei zusammenzufassen versucht: Tao i n s i c h ist das Unerkennbare, das Unwißbare. »Das wahre Tao erklärt sich nicht.« Es ist nicht vorzustellen; es ist nicht zu denken, es hat kein Bild, kein Wort, kein Maß. »Taos Richtmaß ist sein Selbst« (L). Tao erscheint im We r d e n d e r We l t als die ursprüngliche Ungeschiedenheit, als das Urdasein, dem alle Elemente entsprangen, als »aller Wesen Mutter« (L), als der »Talgeist«, der alles trägt. »Der Talgeist ist unsterblich; er heißt das tiefe Weibliche. Des tiefen Weiblichen Pforte, die heißt Himmels und der Erde Wurzel« (L). Tao erscheint i m S e i n d e r We l t als die konstante Ungeschiedenheit: als der einheitliche Wandel der Welt, als ihre Ordnung. »Es hat seine Bewegung und seine Wahrheit, aber es hat weder Handlung noch Gestalt.« Es ist »ewig ohne Tun und doch ohne Nichttun« (L). Es »beharrt und wandelt sich nicht« (L). Tao erscheint i n d e n D i n g e n als die persönliche Ungeschiedenheit: als die eigentümliche Art und Kraft der Dinge. Es gibt kein Ding, in dem nicht das ganze Tao wäre, als dieses Dinges Selbst. Aber auch hier ist Tao ewig ohne Tun und doch ohne Nichttun. Das Selbst der Dinge hat sein Leben in der Weise, in der die Dinge den Dingen antworten. Tao erscheint im M e n s c h e n als die zielhafte Ungeschiedenheit: als das Einigende, das alle Abirrung vom Lebensgrunde überwindet, als das Ganzmachende, das alle Zersonderung und Brüchigkeit heilt, als das Entsühnende, das von aller Entzweiung erlöst. »Wer in der Sünde ist, Tao vermag ihn zu sühnen« (L). Als die zielhafte Ungeschiedenheit hat Tao seine eigene Erfüllung zum Ziele. Es will sich verwirklichen. Im Menschen kann Tao so reine Einheit werden, wie es in der Welt, in den Dingen nicht werden kann. Der Mensch, in dem Tao reine Einheit wird, ist der Vollendete. In ihm erscheint Tao nicht mehr, sondern ist. Der Vollendete ist in sich beschlossen, allgesichert, aus Tao geeinigt, die Welt einigend, ein Schaffender, »Gottes Genosse«: der Genosse der allschöpferischen Ewigkeit. Der Vollendete hat Ewigkeit. Nur der Vollendete

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hat Ewigkeit. Der Geist wandert durch die Dinge, bis er im Vollendeten zur Ewigkeit aufblüht. Dies bedeutet das Wort Lao-Tses: »Ersteige die Höhe der Entäußerung, umfange den Urgrund der Ruhe. Die unzählbaren Wesen erheben sich alle. Daran erkenne ich ihre Rückkehr. Wenn die Wesen sich entfaltet haben, in der Entfaltung kehrt jedes zu seiner Wurzel zurück. Zur Wurzel zurückgekehrt sein heißt ruhen. Ruhen heißt die Bestimmung erfüllt haben. Die Bestimmung erfüllt haben heißt ewig sein.« Tao verwirklicht sich im wahrhaften Leben des Vollendeten. In seiner reinen Einheit wird es aus Erscheinung zu unmittelbarer Wirklichkeit. Das Unerkennbare und das geeinte Menschenleben, das Erste und das Letzte berühren sich. Im Vollendeten kehrt Tao von seiner Weltwanderung durch die Erscheinung zu sich selber zurück. Es wird Erfüllung, wird die Ewigkeit.

7. Was aber ist das geeinte Menschenleben in seinem Verhältnis zu den Dingen? Wie lebt der Vollendete in der Welt? Welche Gestalt nimmt bei ihm das Erkennen an, das Kommen der Dinge zum Menschen? Welche das Tun, das Kommen des Menschen zu den Dingen? Die Tao-Lehre antwortet darauf mit einer großen Verneinung alles dessen, was von den Menschen Erkennen und Tun genannt wird. Was von den Menschen Erkennen genannt wird, beruht auf der Zerschiedenheit der Sinne und der Geisteskräfte. Was von den Menschen Tun genannt wird, beruht auf der Zerschiedenheit der Absichten und der Handlungen. Jeder Sinn nimmt anderes auf, jede Geisteskraft bearbeitet es anders, alle taumeln sie durcheinander in der Unendlichkeit: das nennen die Menschen Erkennen. Jede Absicht zerrt am Gefüge, jede Handlung greift in die Ordnung ein, alle wirren sie durcheinander in die Unendlichkeit: das nennen die Menschen Tun. Was von den Menschen Erkennen genannt wird, ist kein Erkennen. Um dies zu erweisen, hat Tschuang-Tse schier alle die Gründe vereinigt, die je der Menschengeist ersann um sich selber in Frage zu stellen. Es gibt keine Wahrnehmung, weil die Dinge sich unablässig ändern. Es gibt keine Erkenntnis im Raum, weil uns nicht absolute, sondern nur relative Ausdehnung zugänglich ist. Alle Größe besteht nur im Verhältnis; »unterm Himmel ist nichts, was größer wäre als die Spitze eines Grashalms«. Wir können uns unserem Maße nicht entschwingen; die Grille versteht den Flug des Riesenvogels nicht.

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Es gibt keine Erkenntnis in der Zeit, weil für uns auch die Dauer nur als Verhältniswert besteht. »Kein Wesen erreicht ein höheres Alter als ein Kind, das in der Wiege starb.« Wir können uns unserm Maße nicht entschwingen; ein Morgenpilz kennt den Wechsel von Tag und Nacht nicht, eine Schmetterlingspuppe kennt den Wechsel von Frühling und Herbst nicht. Es gibt keine Gewißheit des Lebens, denn wir haben kein Kriterium, an dem wir entscheiden könnten, welches das eigentliche und bestimmende Leben ist, das Wachen oder der Traum. Jeder Zustand hält sich für den eigentlichen. Es gibt keine Gewißheit der Werte, denn wir haben kein Richtmaß, an dem wir entscheiden könnten, was schön und was häßlich, was gut und was böse ist. Jedes Wesen nennt sich gut und sein Gegenteil böse. Es gibt keine Wahrheit der Begriffe, denn alle Sprache ist unzulänglich. All dies bedeutet für Tschuang-Tse nur eins: daß das, was von den Menschen Erkennen genannt wird, kein Erkennen ist. In der Geschiedenheit gibt es kein Erkennen. Nur der Ungeschiedene erkennt, denn nur in wem keine Scheidung ist, der ist von der Welt nicht geschieden, und nur wer von der Welt nicht geschieden ist, kann sie erkennen. Nicht im Gegenüberstehen, in der Dialektik von Subjekt und Objekt: nur in der Einheit mit dem All gibt es Erkenntnis. Die Einheit i s t die Erkenntnis. Diese Erkenntnis wird durch nichts in Frage gestellt, denn sie umfaßt das Ganze: sie überwindet die Relation in der Unbedingtheit des Allumfangens. Sie nimmt jedes Gegensatzpaar als eine Polarität an, ohne die Gegensätze festlegen zu wollen, und sie schließt alle Polaritäten in ihrer Einheit ein; sie »versöhnt das Ja mit dem Nein im Lichte«. Diese Erkenntnis ist ohne Sucht und ohne Suchen. Sie ist bei sich selbst. »Nicht ausgehend zur Tür, kennt man die Welt; nicht ausblickend durchs Fenster sieht man des Himmels Weg« (L). Sie ist ohne Wissenswahn. Sie hat die Dinge, sie weiß sie nicht. Sie vollzieht sich nicht durch Sinne und Geisteskräfte, sondern durch die Ganzheit des Wesens. Sie läßt die Sinne gewähren, aber nur wie spielende Kinder; denn alles, was sie ihr zutragen, ist nur eine bunte, spielende, ungewisse Spiegelung i h r e r eigenen Wahrheit. Sie läßt die Geisteskräfte gewähren, aber nur wie Tänzer, die i h r e Musik zum Bilde machen, ungetreu und unstet und gestaltenreich nach Tänzerart. Die »Musik des Himmels«, das Spielen der Einheit auf der Vielheit unserer Natur (»wie der Wind auf den Öffnungen der Bäume spielt«), ist hier zur Musik der Seele geworden. Diese Erkenntnis ist nicht Wissen, sondern Sein. Weil sie die Dinge in ihrer Einheit besitzt, steht sie ihnen niemals gegenüber; und wenn sie sie

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betrachtet, betrachtet sie sie von ihnen aus, jedes Ding von ihm aus; aber nicht aus seiner Erscheinung, sondern aus dem Wesen dieses Dinges, aus der Einheit dieses Dinges, die sie in ihrer Einheit besitzt. Diese Erkenntnis i s t jedes Ding, das sie betrachtet; und so hebt sie jedes Ding, das sie betrachtet, aus der Erscheinung zum Sein. Diese Erkenntnis umfängt alle Dinge in ihrem Sein, das ist in ihrer Liebe. Sie ist die allumfangende Liebe, die alle Gegensätze aufhebt. Diese Erkenntnis ist d i e Ta t . Die Tat ist das ewige Richtmaß, das ewige Kriterium, das Absolute, das Sprachlose, das Unwandelbare. Die Erkenntnis des Vollendeten ist nicht in seinem Denken, sondern in seinem Tun. Was von den Menschen Tun genannt wird, ist kein Tun. Es ist nicht ein Wirken des ganzen Wesens, sondern ein Hineintappen einzelner Absichten in Taos Gewebe, das Eingreifen einzelner Handlungen in Art und Ordnung der Dinge. Es ist in den Zwecken verstrickt. Insofern sie es billigen, wird es von den Menschen Tugend genannt. Was von den Menschen Tugend genannt wird, ist keine Tugend. Es erschöpft sich in »Menschenliebe« und »Gerechtigkeit«. Was von den Menschen Menschenliebe und Gerechtigkeit genannt wird, hat nichts gemein mit der Liebe des Vollendeten. Es ist verkehrt, weil es als Sollen auftritt, als Gegenstand des Gebotes. Liebe aber kann nicht geboten werden. Gebotene Liebe wirkt nur Übel und Kummer; sie steht im Widerstreit mit der natürlichen Güte des Menschenherzens, sie trübt seine Reinheit und verstört seine Unmittelbarkeit. Darum verbringen, die so predigen, ihre Tage damit, über die Bosheit der Welt zu klagen. Sie verletzen die Ganzheit und Wahrhaftigkeit der Dinge und wecken den Zweifel und die Entzweiung. Absichtliche Menschenliebe und absichtliche Gerechtigkeit sind nicht in der Natur des Menschen begründet; sie sind überflüssig und lästig wie überzählige Finger oder andere Auswüchse. Darum spricht Lao-Tse zu Kong-Fu-Tse: »Wie Stechfliegen einen die ganze Nacht wach halten, so plagt mich dieses Gerede von Menschenliebe und Gerechtigkeit. Strebe danach, die Welt zu ihrer ursprünglichen Einfalt zurückzubringen.« Aber noch in einem andern Sinne haben »Menschenliebe und Gerechtigkeit« nichts gemein mit der Liebe des Vollendeten. Sie beruhen darauf, daß der Mensch den andern Menschen gegenüberstehe und sie nun »liebevoll« und »gerecht« behandle. Die Liebe des Vollendeten aber, der jeder Mensch nachstreben kann, beruht auf der Einheit mit allen Dingen. Darum spricht Lao-Tse zu Kong-Fu-Tse: »Für die vollkommenen Männer der Urzeit war Menschenliebe nur ein Durchgangsplatz und Gerechtigkeit nur eine Nachtherberge auf dem Wege ins Reich der Ungeschiedenheit,

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wo sie sich von den Gefilden des Gleichmuts nährten und in den Gärten der Pflichtlosigkeit wohnten.« Wie das wahre Erkennen von Lao-Tse, der es von der Menschensprache aus ansieht, »Nichterkennen« genannt wird (»Wer licht in Tao, ist wie voll Nacht«), so wird das wahre Tun, das Tun des Vollendeten von ihm »Nichttun« genannt. »Der Vollendete tut das Nichttun« (L). »Die Ruhe des Weisen ist nicht, was die Welt Ruhe nennt: sie ist das Werk seiner inneren Tat.« Dieses Tun, das »Nichttun«, ist ein Wirken des ganzen Wesens. In das Leben der Dinge eingreifen heißt sie und sich schädigen. Ruhen aber heißt wirken, die eigne Seele reinigen heißt die Welt reinigen, sich in sich sammeln heißt hilfreich sein, sich Tao ergeben heißt die Schöpfung erneuern. Der sich auferlegt, hat die kleine offenbare Macht; der sich nicht auferlegt, hat die große heimliche Macht. Der nicht »tut«, wirkt. Der in vollkommener Eintracht ist, den umgibt die empfangende Liebe der Welt. »Ich sitze wie ein Leichnam, dieweil meine Drachengewalt sich ringsum offenbart, in tiefem Schweigen, dieweil meine Donnerstimme erschallt, und die Mächte des Himmels antworten jeder Wandlung meines Willens, und unter dem nachgiebigen Einfluß des Nichttuns reifen und gedeihen alle Dinge.« Dieses Tun, das »Nichttun«, ist ein Wirken aus gesammelter Einheit. In immer neuem Gleichnis sagt es Tschuang-Tse, daß der das Rechte tut, der sich in seinem Tun zur Einheit sammelt. Wer auf eines gesammelt ist, dessen Wille wird reines Können, reines Wirken; denn wenn im Wollenden keine Scheidung ist, ist zwischen ihm und dem Gewollten – dem S e i n – keine Scheidung mehr; das Gewollte wird Sein. Der Adel der Wesen liegt in ihrer Fähigkeit, sich auf eines zu sammeln. Um dieser Einheit willen heißt es bei Lao-Tse: »Wer in sich hat der Tugend Fülle, gleicht dem neugeborenen Kinde.« Der Geeinte ist wie ein Kind, das den ganzen Tag schreit und nicht heiser wird, aus Einklang der Kräfte, den ganzen Tag die Faust geschlossen hält, aus gesammelter Tugend, den ganzen Tag e i n Ding anstarrt, aus unzerschiedener Aufmerksamkeit, das sich bewegt, ruht, sich anpaßt, ohne es zu wissen, und jenseits aller Trübung in einem himmlischen Lichte lebt. Dieses Tun, das »Nichttun«, steht im Einklang mit dem Wesen und der Bestimmung aller Dinge, das ist mit Tao. »Der Vollendete hat, wie Himmel und Erde, keine Menschenliebe.« Er steht den Wesen nicht gegenüber, sondern umfaßt sie. Darum ist seine Liebe ganz frei und unbeschränkt, hängt nicht vom Gebahren der Menschen ab und kennt keine Wahl; sie ist die u n b e d i n g t e Liebe. »Gute – ich behandle sie gut, Nichtgute – auch sie behandle ich gut: die Tugend ist gut. Getreue – ich behandle sie getreu, Nichtgetreue – auch sie behandle ich getreu: die Tu-

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gend ist treu« (L). Und weil er keine »Menschenliebe« hat, greift der Vollendete nicht in das Leben der Wesen ein, er erlegt ihnen nichts auf, sondern er »verhilft allen Wesen zu ihrer Freiheit« (L): er führt durch seine Einheit auch sie zur Einheit, er macht ihr Wesen und ihre Bestimmung frei, er erlöst Tao in ihnen. Wie die natürliche Tugend, die Tugend jedes Dinges in seinem »Nichtsein« besteht: darin, daß es in seinen Grenzen, in seiner Urbeschaffenheit ruht, so besteht die höchste Tugend, die Tugend des Vollendeten in seinem »Nichttun«: in seinem Wirken aus ungeschiedener, gegensatzloser, umfriedeter Einheit. »Seine Ausgänge schließt er, macht zu seine Pforten, er bricht seine Schärfe, streut aus seine Fülle, macht milde sein Glänzen, wird eins seinem Staube. Das heißt tiefes Einswerden« (L).

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8. Einheit allein ist wahre Macht. Darum ist der Geeinte der wahre Herrscher. Das Verhältnis des Herrschers zum Reich ist Taos höchste Kundgebung im Zusammenleben der Wesen. Das Reich, die Gemeinschaft der Wesen, ist nicht etwas Künstliches und Willkürliches, sondern etwas Eingeborenes und Selbstbestimmtes. »Das Reich ist ein geistiges Gefäß und kann nicht gemacht werden. Wer es macht, zerstört es« (L). Darum ist das, was von den Menschen Regieren genannt wird, kein Regieren, sondern ein Zerstören. Wer in das natürliche Leben des Reiches eingreift, wer es von außen lenken, meistern und bestimmen will, der vernichtet es, der verliert es. Wer das natürliche Leben des Reiches behütet und entfaltet, wer ihm nicht Befehl und Zwang auferlegt, sondern sich darein versenkt, seiner heimlichen Botschaft lauscht und sie ans Licht und ans Werk bringt, der beherrscht es in Wahrheit. Er tut das Nichttun: er greift nicht ein, sondern behütet und entfaltet, was werden will. In des Reiches Not und Trieb offenbart sich ihm Taos Wille. Er schließt seinen Willen daran, er wird Taos Werkzeug, und alle Dinge ändern sich von selbst. Er kennt keine Gewalt, und doch folgen alle Wesen dem Winke seiner Hand. Er übt weder Lohn noch Strafe, und doch geschieht, was er geschehen machen will. »Ich bin ohne Tun,« spricht der Vollendete, »und das Volk ändert sich von selbst; ich liebe die Ruhe, und das Volk wird von selbst rechtschaffen; ich bin ohne Geschäftigkeit, und das Volk wird von selber reich; ich bin ohne Begierden, und das Volk wird von selber einfach« (L). Regieren heißt sich der natürlichen Ordnung der Erscheinungen ein-

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fügen. Das kann aber nur, wer die Einheit gefunden hat und aus ihr die Einheit jedes Dinges in sich selbst und die Einheit der Dinge miteinander schaut. Wer die Unterschiede los wird und sich dem Unendlichen verbindet, wer die Dinge wie sich dem Urdasein wiedergibt, beides, sich und die Welt, zusammen entläßt, zur Reinheit bringt, aus der Knechtschaft der Gewalt und des Getriebes erlöst, der regiert die Welt. Das Reich ist entartet; es ist der Gewalttat der Obrigkeit verfallen. Es muß aus ihr befreit werden. Dies ist das Ziel des wahren Herrschers. Was ist die Gewalttat der Obrigkeit? Der Zwang der falschen Macht. »Je mehr Verbote und Beschränkungen das Reich hat, desto mehr verarmt das Volk; je mehr Waffen das Volk hat, desto mehr wird das Land beunruhigt; je mehr Künstlichkeit und List das Volk hat, desto ungeheuerlichere Dinge kommen auf; je mehr Gesetze und Verordnungen kundgemacht werden, desto mehr Räuber und Diebe gibt es« (L). Die Obrigkeit ist der Parasit, der dem Volk die Lebenskraft entzieht. »Das Volk hungert, weil seine Obrigkeit zuviel Abgaben verzehrt. Deshalb hungert es. Das Volk ist schwer zu regieren, weil seine Obrigkeit allzu geschäftig ist. Deshalb ist es schwer zu regieren. Das Volk achtet den Tod gering, weil es umsonst nach Lebensfülle verlangt. Deshalb achtet es den Tod gering« (L). Der wahre Herrscher befreit das Volk von der Gewalttat der Obrigkeit, indem er statt der Macht das »Nichttun« walten läßt. Er übt seinen umgestaltenden Einfluß auf alle Wesen, und doch weiß keines davon, denn er beeinflußt sie in Übereinstimmung mit ihrer Urbeschaffenheit. Er macht, daß Menschen und Dinge sich aus sich selber freuen. Er nimmt all ihr Leid auf sich. »Tragen des Landes Not und Pein, das heißt des Reiches König sein« (L). In dem entarteten Reich ist es so, daß es keinem gewährt ist, seine Angelegenheiten nach eigner Einsicht zu führen, sondern jeder steht unter der Botmäßigkeit der Vielheit. Der wahre Herrscher befreit den einzelnen von dieser Botmäßigkeit; er entmengt die Menge und läßt jeden frei das Seine verwalten und die Gemeinschaft das Gemeinsame. All dies aber tut er in der Weise des Nichttuns, und das Volk merkt nicht, daß es einen Herrscher hat; es spricht: »Wir sind von selbst so geworden.« Der wahre Herrscher steht als der Vollendete jenseits von Menschenliebe und Gerechtigkeit. Wohl ist der weise Fürst zu loben, der jedem das Seine gibt und gerecht ist; noch höher ist der tugendreiche zu schätzen, der in Gemeinschaft mit allen steht und Liebe übt; aber das Reich, das geistige Gefäß, auf Erden zu erfüllen vermag nur der geistige Fürst, der die Vollendung schafft: Einheit mit Himmel und Erde, Freiheit von allen Bindungen, die Tao widerstreiten, Erlösung der Dinge zu ihrer Urbeschaffenheit, zu ihrer Tugend.

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Der wahre Herrscher ist Taos Vollstrecker auf Erden. Darum heißt es: »Tao ist groß, der Himmel ist groß, die Erde ist groß, auch der König ist groß« (L).

9. Ich habe die Tao-Lehre nicht in einer »Entwicklung«, sondern in ihrer Einheit betrachtet. Die Lehre entwickelt sich nicht, sie kann sich nicht entwickeln, nachdem sie in dem zentralen Menschenleben ihre Erfüllung gefunden hat; sondern sie wird Regel, wie die Lehre Buddhas: wenn der apostolische Mensch, der sie (niemals unmittelbar) aus den Händen des Erfüllenden übernimmt, ein Organisator wie Asoka ist; oder sie wird Dialektik, wie die Lehre Jesu: wenn dieser Mensch ein Gewalttäter wie Paulus ist; oder sie wird Poesie, wie die Tao-Lehre: wenn er ein Dichter wie Tschuang-Tse ist. Tschuang-Tse war ein Dichter. Er hat die Lehre, wie sie uns in den Worten Lao-Tses gegeben ist, nicht »weitergebildet«,* aber er hat sie zur Dichtung ausgestaltet. Und zur Philosophie; denn er war ein Dichter der Ideologie, wie Plato. Tschuang-Tse hat auch sonst mancherlei Verwandtschaft mit griechischen Philosophen. Man hat ihn mit Heraklit verglichen; und in der Tat sind heraklitische Worte, wie die vom unerkennbaren, aber in allem wirkenden Logos, von der Einheit, die namenlos und benannt zugleich ist, von ihrer Kundgebung als der ewigen Ordnung in der Welt, von der ewigen Wandlung aus Allheit zur Einheit und aus Einheit zur Allheit, von der Harmonie der Gegensätze, von dem Verhältnis zwischen Wachen und Traum im Dasein des einzelnen, von dem zwischen Leben und Sterben im Dasein der Welt, nichts anderem mit gleichem Recht zu gesellen wie der Tao-Lehre. Aber darüber hinaus darf Tschuang-Tse vielleicht mit der Gesamtgestalt der griechischen Philosophie verglichen werden, die das vollkommen tat, was bei ihm nur angelegt ist: die die Lehre aus der Sphäre des wahrhaften Lebens in die Sphäre der Welterklärung, der Wißbarkeit und des ideologischen Aufbaues übertrug und damit freilich etwas ganz Eigenes und ganz in sich Gewaltiges schuf. Es ist recht verlockend, Tschuang-Tse auch mit abendländischer D i c h t u n g zu vergleichen, wozu sich sogar einzelne Motive in einer fast seltsamen Weise darbieten. Man schreite etwa von äußerlicher bis zu immer innerlicherer Affinität vor: man beginne damit, die Erzählung *

Die Lehre vom Reich, die ich zuletzt dargelegt habe, steht sogar schon in ihrem Wortgepräge bei Lao-Tse fest.

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vom Totenschädel neben Hamlets Kirchhofsrede zu stellen, tue dann »Schweigen« und die Erzählung der Fioretti von der Begegnung des Bruder Aegidius mit Ludwig von Frankreich zusammen, um zuletzt in dem Gespräch vom ewigen Sterben die selige Sehnsucht des »Stirb und werde« im herberen, einsameren, gedankenhafteren Gegenbild wiederzufinden. Aber all dies darf nur Durchgang sein zu einer Aufnahme, in der man Tschuang-Tse nicht mehr einzureihen versucht, sondern ihn in seiner ganzen Wesenhaftigkeit ohne Vergleich und Zuordnung empfängt; ihn, das ist: sein Werk, das Gleichnis.

Bemerkungen über einige Personen der Gleichnisse Ai: Herzog des Staates Lu von 494-468. Huan: Herrscher des Staates Tschi von 684-643. Hui: der Fürst von Liang oder Weï (370-333), dessen Gespräch mit Meng-Tse (Mencius) am Eingang von dessen Werken mitgeteilt ist. Hui-Tse: ein zu seiner Zeit berühmter Dialektiker; Vertrauter und Gegner des Tschuang-Tse. Seine Hauptlehre scheint nach den Erwähnungen bei Tschuang-Tse die Theorie der Qualitäten als gesonderter (also nicht bloß, wie jener lehrt, in der Relation bestehender) Existenzen gewesen zu sein. In dem – nicht von Tschuang-Tse herrührenden – Schlußbuche werden unter vielen leeren Sophismen auch einige durchaus eleatisch anmutende Aussprüche von ihm angeführt. Tschuang-Tse soll an seinem Grabe gesagt haben, er habe nun keinen mehr, zu dem er sprechen könne (24. Buch). Hu-Tse, der in dem Gleichnis »Der Magier und der Erlöste« als Lehrer des Lieh-Tse (s. d.) auftritt, wird nur noch in der Variante dieses Gleichnisses in den unter Lieh-Tses Namen bekannten Büchern, sowie an zwei anderen Stellen dieser Bücher genannt. An deren Anfang teilt Lieh-Tse seinen Schülern eine Lehre des Hu-Tse über das ungeborene Gebärende mit, das Faber (»Der Naturalismus bei den alten Chinesen«) mit Recht der natura naturans gleichsetzt. Aus der Variante des Gleichnisses »Der Magier und der Erlöste« bei Lieh-Tse ist zu erwähnen, daß hier die neun Namen des Abgrunds angeführt werden. Die Stelle lautet in Fabers Übersetzung: »Der Strudel, wo große Fische sich aufhalten, ist eine Tiefe, der Strudel im stehenden Wasser ist eine Tiefe, die Strudel im fließenden, im überfließenden, im wellenbewegten, im brausenden, im zurückfließenden, im gestauten, im sich zerteilenden Wasser sind Tiefen. Das sind die neun Tiefen.« Faber hält diesen Satz zu Unrecht für ein Einschiebsel. Wohl aber ist anzunehmen, daß die Fassung bei Tschuang-Tse die ursprünglichere ist; die Erweiterung ist auf das Vollständigkeitsbedürfnis des Redaktors oder eines Kopisten zurückzuführen. Kong-Fu-Tse (Confucius) tritt bei Tschuang-Tse bald als Gegner der Tao-Lehre auf, bald als ihr Anhänger, bald als ein von Tao Berührter, aber ihm nicht Ergebener. Wohl zur Erklärung dieser Widersprüche wird (im 27. Buche) erzählt, Kong-Fu-Tse habe im 60. Jahre seines Lebens seine Anschauung geändert und, was er bis dahin als recht ansah, nunmehr als unrecht betrachtet. Diese Bekehrung wird offenbar als Folge der historischen Begegnung mit Lao-Tse (s. Strauß, Lao-tses Tao te king, S. LIII f.) aufgefaßt, von der bei Tschuang-Tse an mehreren Stellen

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(im 12., 13., 14. und 21. Buch) erzählt wird. Der längste und wichtigste dieser Berichte ist bei Strauß S. 347-357 übertragen. An anderen Stellen sagt Lao-Tse zu Kong-Fu-Tse: »Was ich spreche, kannst du nicht hören« (12. Buch); »Du hast Verwirrung in den Menschengeist gebracht« (13. Buch); »Wasche deine Seele, daß sie schneeweiß werde, und entlasse dein Wissen« (22. Buch). An einer vierten Stelle sagt Kong-Fu-Tse nach der Unterredung mit Lao-Tse zu Yen-Hui: »Hätte nicht der Meister den Schleier vor meinem Blicke weggezogen, ich hätte die große Wesenhaftigkeit von Himmel und Erde nicht erkannt.« Die Begegnung wird von Tschuang-Tse in Kong-Fu-Tses 51. Lebensjahr verlegt; Lao-Tse hätte um diese Zeit schon über hundert Jahre gezählt. Kuan-Yin: der Grenzpaßbefehlshaber Yin oder Yin-Hsi, auf dessen Veranlassung Lao-Tse sein Werk, das Tao-te-king, niedergeschrieben haben soll (s. Strauß S. LVI f.). Worauf sich Giles’ Angabe gründet, er sei ein Schüler Lao-Tses gewesen und von ihm mit der Veröffentlichung des Werkes betraut worden (Giles, Chuang Tzu, S. 231), konnte ich nicht ermitteln. Jedenfalls aber war er nicht ein Zeitgenosse des Lieh-Tse (s. d.), mit dem ihn das Gleichnis »In Tao« zusammenbringt. Dennoch finden wir in den unter Lieh-Tses Namen bekannten Büchern eine Variante dieses Gleichnisses (der die beiden letzten Absätze fehlen). Eine andere hierher gehörende Äußerung Kuan-Yins, die bei Tschuang-Tse (33. Buch) mitgeteilt wird und ähnlich in den Lieh-Tse-Büchern (4. Buch) und in dem Kuan-Yin zugeschriebenen Buche vorkommt, lautet: »Wer nicht an sich selber haftet, dem offenbart sich die Formung der Dinge« (vgl. Faber S. 100). Kuang-Tscheng-Tse, der in dem Gleichnis »Unsterblichkeit« als Lehrer Hoang-Tis auftritt, ist nach der Meinung einiger chinesischer Kommentatoren Lao-Tse in einer früheren Inkarnation. Diese Meinung entspricht dem Sinne des Gleichnisses: das Selbst des Einsgewordenen habe Dauer in der Menschenwelt. Lieh-Tse: ein Tao-Lehrer des 5. oder 4. Jahrhunderts v. Chr., dessen Existenz von mehreren chinesischen und europäischen Kritikern angezweifelt wird (vgl. Balfour, Leaves from my Chinese Books, S. 83: »A philosopher who never lived«; Giles S. 4: »A personage of whom nothing is really known. He is considered by the best authorities to have been of Chuang Tzu’s own creation«), anscheinend zu Unrecht. Das eine scheint hingegen sicher, daß die unter seinem Namen bekannten Bücher nicht von ihm stammen; sie sind aber gewiß nicht, wie Giles meint, eine Fälschung, einer von Tschuang-Tse erfundenen Person unterschoben, sondern das Werk mehrerer Generationen, in dem sich einzelne überlieferte Aussprüche des Meisters mit den disparatesten und schülerhaftesten Ele-

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menten mischen, worunter ebensowohl rohe Wundergeschichten wie sensualistische, der Taolehre völlig entgegengesetzte Exkurse zu finden sind (vgl. de Harlez, Textes tâoïstes, S. 286). Daß es dabei nicht ohne umfangreiche Exzerpte aus anderen Schriften abgegangen ist, ergibt sich unter anderm daraus, daß zahlreiche Stücke (das von Faber angefertigte Verzeichnis ist unvollständig) Tschuang-Tse entnommen sind; darunter die Gleichnisse: »Zu eigen haben«, »In Tao«, Der Fährmann«, »Der Grillenfänger«, »Der Magier und der Erlöste«, »Die Schöne und die Häßliche«, »Die Kampfhähne«. Nü-Yü: nach der Meinung eines chinesischen Kommentators der Name einer F r a u . Tse-Tschi aus Nan-kuo (»Die Musik des Himmels«) scheint mir sowohl mit Nan-Po Tse-Kueï (»Die Stufen«) als auch mit jenem Nan-KuoTse (Lieh-Tse IV) identisch zu sein, der, als ihn Lieh-Tse und dessen Schüler besuchen, starr »wie ein Gespenst« dasteht, als wären Leib und Seele geschieden, und erst allmählich aus der Verzückung erwacht. Tschieh-Yü, auch Lu-Tung genannt: ein Taoist, der sich wahnsinnig stellte, um der öffentlichen Laufbahn zu entgehen. Wang-I und Yeh-Tschüeh: dessen Schüler, zwei Weise, die zusammen mit Tschieh-Yü auf dem in dem Gleichnis »Der Untätige« genannten Berge Miao-Ku-sche gelebt haben sollen (eine Schilderung des Lebens auf diesem Berge bei Lieh-Tse II). Yen-Hui oder Yen-Yüan (s. S. 58), der mit 32 Jahren starb und von dem sein Meister sagte, er sei der Vollendung nahe gewesen, tritt bei Tschuang-Tse in ebenso schwankendem Charakter wie Kong-Fu-Tse selbst auf.

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Aus dem Schriftwerk, das unter dem Namen des Tschuang-Tse bekannt ist und dreiunddreißig Abschnitte oder Bücher umfaßt, ist in diesem Buch nur eine Auswahl mitgeteilt. Die Auswahl ist von der im Nachwort dargelegten Anschauung bestimmt worden. Außer den Worten Tschuang-Tses und etlichen Anekdoten aus seinem Leben steht in den Büchern, durch kein äußeres Zeichen abgesondert, eine Menge wesenloser Interpolationen eifriger Schüler, »Fortsetzer« und »Erklärer«. Chinesische und europäische Philologen haben sich redlich gemüht, das Echte vom Unechten zu scheiden. Ich habe aber nicht ihnen, sondern meiner Anschauung folgen müssen. Es ist daher wahrscheinlich, daß unter den von mir mitgeteilten Reden und Gleichnissen und den im Nachwort angeführten Sätzen sich einiges findet, das nicht von Tschuang-Tse selbst niedergeschrieben worden ist. Dennoch scheint mir die Treue, die ich geübt habe, die rechte zu sein. Der Übertragung lagen, außer einer analytischen Textdarstellung nach Art der Carusschen zum Tao-te-king, die Textdeutungen von Giles (Chuang Tzu, Mystic, Moralist and Social Reformer. London 1889) und Legge (The Texts of Tâoism. 39. und 40. Band der Sacred Books of the East) zugrunde, von denen ich insbesondere der von Giles vieles, für einige Stücke alles zu verdanken habe. Von den chinesischen Kommentatoren habe ich herangezogen, was ich mir zugänglich machen konnte.

[Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse] Vorbemerkung [1951] Dieses Büchlein, eine Jugendarbeit, deren Erstdruck 1910 vom Insel-Verlag in Leipzig herausgegeben worden ist, setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Der darin als der zweite, das »Nachwort«, erscheint, war ursprünglich selbständig abgefaßt als ein Versuch, die taoistische Lehre, der ich Wesentliches verdanke, zusammenfassend darzustellen; um ihn – zunächst nur für einen Freundeskreis – durch eine Reihe kennzeichnender und anschaulicher Texte zu ergänzen, habe ich aus den 33 Kapiteln des Tschuang-Tse, die damals noch nicht ins deutsche Schrifttum aufgenommen waren (eine nahezu vollständige Wiedergabe durch Richard Wilhelm liegt seit 1912 vor), erst von Englischen Werken ausgehend, dann mit Hilfe chinesischer Mitarbeiter das Original vergleichend, die kleine Auswahl hergestellt, die jetzt den Hauptteil des Buches bildet, und nun wurde auch die Darstellung entsprechend umgearbeitet. Für die Neuauflage von 1918 ist die Übertragung vielfach verbessert, für die vorliegende neu revidiert worden. Dagegen ist das »Nachwort« seit der Erstausgabe fast unverändert geblieben; ich glaubte es nicht ändern zu dürfen, obgleich meine Anschauung von manchem der darin behandelten Gegenstände sich wesentlich gewandelt hat. Daß ich das Bändchen, nachdem es seit Anbruch der Hitlerzeit verschollen war, jetzt wieder in die Welt schicke, geschieht vor allem in der Erinnerung an Hofmannsthal, der es zu seinen Lieblingsbüchern zählte. Für die zweckdienliche Umschrift der chinesischen Namen in dieser Ausgabe hat mich W. J. Tonn in dankenswerter Weise beraten.

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Chinesische Geister- und Liebesgeschichten [Vorwort]

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Bei meinen Studien über die Dämonen-Mythen lernte ich, zuerst durch Übersetzungen, sodann durch die freundliche Unterweisung des Herrn Chingdao Wang, die chinesischen Sammlungen von Geistergeschichten und insbesondere das klassische Liao Tschai Tschih Yi kennen. Etwas zog mich an ihnen an, was Erzählungen dieser Gattung bei keinem andern Volke in gleichem Maße besitzen: die Atmosphäre von Vertrautheit und Übereinstimmung. Dämonen werden hier von Menschen, Menschen von Dämonen geliebt und besessen; aber die so zu uns kommen und um uns werben oder uns erfassen, sind nicht Incubus und Succubus mit dem schwankenden Grauen der Jenseitigkeit in ihrer Gegenwart, sondern Wesen unseres Weltkreises, nur in einer tieferen, dunkleren Schicht geboren. Den Berichten keltischer Bauern über ihre Begegnungen mit den Gespenstern sind die chinesischen Geschichten an Bildsicherheit und Richtigkeit der Rede verwandt; aber hier redet nicht die Mystik eines helläugigen Grauens, sondern die Magie des Selbstverständlichen. Die Ordnung der Natur wird hier nicht durchbrochen, sondern erweitert: nirgends stockt die Fülle des Lebendigen, und alles Lebendige trägt den Samen des Geistes. Nicht allein in Tieren, Pflanzen und Gestein erblüht das Dämonische und will sich zur Menschengestalt wie zu einer Frucht verdichten: was deine Hand verfertigt hat, begehrt zu atmen und sich Atmendem zu vermählen; was dein Sinn erdacht hat, regt und reckt sich als ein Wirkliches in die Sichtbarkeit hinein; jede Tat kann dir einen Dämon zeugen, der als dein Freund, als deine Gattin, als dein Sohn in dein Haus tritt und dir vergilt. Aber all dies ist nicht unheimlich; es ist das Heim, es ist das Leben. Dieses Volk, in dem Laotses Lehre von der allumfangenden Bahn und Buddhas Lehre von der allbewirkenden Tat beieinander, ja miteinander wohnen, hat in seinen Geistergeschichten ein Lied der verschwisterten und verliebten Elemente ersonnen, ein Lied für Götter und Menschen. * * *

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Das chinesische Volk war es, das die im Liao Tschai vereinigten Geistergeschichten ersonnen hat. Gedichtet hat sie Pu Ssung-ling, von seinen Freunden Liu-hsien, »der Letzte der Unsterblichen«, genannt, der im siebzehnten Jahrhundert lebte und um 1680 sein Werk vollendete. Von seinem Leben wissen wir nicht viel mehr als dies, daß er bei den offiziel-

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len Prüfungen kein Glück hatte und daß ihm daher die Laufbahn des Staatsbeamten verschlossen blieb; dies war, wenn wir dem Chronisten glauben dürfen, die Ursache, daß er sich dem Niederschreiben von Erzählungen zuwandte. Er selbst hat in einer Vorrede seines Buches, die er nahezu sechzigjährig verfaßte, keine Begebenheiten, nur die Schwere und Schwermut seines Lebens mitgeteilt. »In meiner Jugend war ich mager und andauernd kränklich, unfähig mich durchzusetzen. Unser Haus war kalt und öde wie ein Kloster; und dort, mit meiner Feder pflügend, war ich arm wie ein Mönch mit seiner Bettelschale.« Das Ungeschick und die Traurigkeit sind auch alle späteren Jahre über bei ihm geblieben. »Ich bin hin und her geschleudert worden, nach der Richtung des Windes, einer Blume gleich, die in den Kot fällt. Aber die sechs Pfade der Wanderung sind fürwahr unerforschlich, und ich habe kein Recht zu klagen. Gleichviel: die Mitternacht betrifft mich bei der erlöschenden Lampe, dieweil der Sturm seine traurige Weise pfeift; und auf meinem freudlosen Tisch flicke ich meine Geschichten zusammen.« Seine Geschichten sind in der gleichen Art entstanden wie alle große Märchendichtung: daß er die Erzählungen der Leute in seinem Herzen sammelte und sie aus seinem Herzen neu erzählte. Wo es anging, suchte er Aufzeichnungen der Erzähler über das berichtete Ereignis zu erhalten, obgleich er, wie die einheitliche Sprache seines Buches – die heute in China allgemein mehr als die irgend eines andern modernen Prosawerks bewundert wird – beweist, nirgends einen unmittelbaren Gebrauch davon gemacht hat. »Ich bin,« sagt er, »von dem Geiste Ssu Tung-pos getrieben, der zu lauschen liebte, wenn einer von dem Wunderbaren erzählte. Ich veranlasse die Leute niederzuschreiben, was sie mir sagen, und dann mache ich eine Geschichte daraus. So haben mir im Lauf der Zeit meine Freunde aus allen Gegenden vielen Stoff herbeigebracht, und bei meiner Liebe zum Sammeln ist ein großer Haufen daraus geworden.« Das Buch zirkulierte lange in der Handschrift, da Pu Ssung-ling die beträchtlichen Kosten der Veröffentlichung nicht tragen konnte; erst 1740 wurde es von seinem Enkel herausgegeben. An Wirkung und Anerkennung scheint der Dichter zeitlebens nicht viel erfahren zu haben. Am Schlusse seiner Aufzeichnungen heißt es: »Ach, ich bin nur der Vogel, den es vor dem Winterfrost graut und der in den Zweigen keine Zuflucht findet; die Herbstgrille, die den Mond anzirpt und sich an die Tür schmiegt, um ein wenig Wärme zu erhaschen. D e n n w o s i n d s i e , d i e m i c h k e n n e n ?« * * *

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Der Titel des Buches möchte deutsch etwa durch »Merkwürdige Mitteilungen aus der Arbeitsstube ›Zuflucht‹« wiedergegeben werden. Das sind die ungefähr vierhundert Geschichten in der Tat: merkwürdige Mitteilungen. Sie berichten von allen seltsamen und wunderlichen Dingen, von den Mären der Wanderer und den Träumen der Einsamen: von singenden Fröschen und schauspielernden Mäusen, von Seeschlangen und Riesenvögeln, von Schneefall im Sommer, von Überschwemmungen und Erdbeben, von absonderlichen Krankheiten und ungewöhnlichen Todesarten, von Reisen in das Land der Menschenfresser und in das Land, wo Schönheit für Häßlichkeit und Häßlichkeit für Schönheit gilt, von Erlebnissen in der Unterwelt, von Scheintoten und von Auferstandenen, von allerlei Zauberkünsten, von vergrabenen Schätzen, von Goldmachern, von Weissagungen, von Wahrträumen; dazwischen fehlt es nicht an Satiren: auf parteiische Beamte, auf ungerechte Examinatoren, auf unwissende Ärzte, auf verlogene Priester – oft in der Form, daß die sozialen Verhältnisse der Unterwelt geschildert werden, die denen des Menschenreiches ganz ähnlich sind. Die zahlreichsten und bedeutendsten aber sind die Geschichten von Geistern: von Tiergeistern, von Pflanzengeistern, von Wassergeistern, von Wolkengeistern, von Geistern, die in den Augen, und von Geistern, die in einem Bilde wohnen, von abgeschiedenen Geistern, von Geistern aller Art, und von ihrer mannigfachen Relation zu Menschen, vor allem von den Gefahren und den Beglückungen ihrer Liebe zu Menschen. Denn sie alle suchen den Menschen: um mit ihm zu spielen wie mit einem Spielzeug oder um mit ihm zu spielen wie mit einem Freunde, um ihn zu strafen oder um ihn zu belehren, um mit ihm zu zechen oder um mit ihm zu arbeiten, um ihm zu helfen oder um von ihm Hilfe zu erhalten, um ihm eine Liebe zu geben, die ihm kein Wesen seiner eignen Art gewähren kann, und um in seiner Liebe ein Leben zu empfangen, das ihnen einzig durch die Gemeinschaft mit einem Menschen zugänglich ist. Dem Menschen ist diese Liebe zuweilen bedrohend, oft nur beseligend; dem Dämon ist sie stets die Erfüllung. Einen besonderen Rang nehmen die Fuchsgeister ein, die in vielerlei Gestalt erscheinen, zumeist aber in der eines schönen Mädchens, das sich einem Manne nähert, seine Liebe gewinnt, ihm Kinder gebiert, sein Haus verwaltet und in diesem Zusammensein eine zugleich festere und lichtere Form der Existenz erwirbt. Man hat diese seltsame Bevorzugung des Fuchses unter anderem darauf zurückgeführt, daß er, wenn er im Winter einen zugefrorenen Fluß oder See überschreitet, den Kopf immer wieder ans Eis hält und auf das darunter fließende Wasser horcht. So verbindet er gleichsam das Reich unter dem Eise, den Bezirk des Yin, der weiblichen

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dunklen Urgewalt, mit der hellen Welt des Yang, des männlichen und tätigen Elements. * * * Einzelne Erzählungen aus dem Liao Tschai sind in europäische Sprachen übertragen worden. Eine reichhaltige Auswahl gab Herbert A. Giles heraus (Strange Stories from a Chinese Studio, neue Auflage London 1909); leider hat er nach englischer Art alle Stellen, die ihm anstößig schienen, weggelassen oder paraphrasiert. Ich habe mit Hilfe des Herrn Wang* mehrere in Giles’ Buch enthaltene Geschichten vollständig und getreu wiedergegeben, und ebenso einige bisher unübersetzte. Ausgewählt habe ich, außer etlichen, die ich aus anderen Gründen nicht vermissen wollte, die schönsten und merkwürdigsten Erzählungen von der Liebe zwischen Menschen und Dämonen.

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Herr Gustav Gast hatte die Freundlichkeit, mir ein paar von ihm und einem Chinesen hergestellte Übertragungen zur Verfügung zu stellen, die ich verglichen, aber nicht benützt habe.

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Das Wandbild

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Meng Lung-tan, ein Bürger von Kiang-si, wohnte in der Hauptstadt bei einem Kü-jen* namens Tschu. Eines Tages führte sie beide der Zufall in einen Tempel, in dem sie weder weite Hallen noch Zellen der Betrachtung fanden, und nur einen alten Priester in nachlässiger Gewandung. Als er die Besucher erblickte, ordnete er seine Kleider und ging den Kommenden entgegen, führte sie sodann umher und zeigte ihnen die Standbilder der Unsterblichen. Die Wände zu beiden Seiten waren mit lebensähnlichen Bildern von Menschen und Tieren schön ausgemalt. An der Ostwand war eine Schar von Feen dargestellt, unter denen ein Mädchen stand, dessen Jungfrauenlocken noch nicht in den Matronenknoten verschlungen waren. Es pflückte Blumen und lächelte, seine Kirschenlippen schienen sich bewegen, das Feuchte seiner Augen überfließen zu wollen. Herr Tschu schaute sie eine gute Weile an, ohne den Blick abwenden zu können, bis ihm alle Dinge außer dem Bilde, das ihn umfing, entschwanden. Da fand er sich plötzlich in der Luft schwebend, als ritte er auf einer Wolke, und es geschah ihm, daß er durch die Wand kam und in einem Raume war, wo Hallen und Gezelte von anderer Art als die Wohnungen Sterblicher sich aneinander reihten. Hier predigte ein alter Priester Buddhas Gesetz, und eine dichte Menge von Hörern umgab ihn. Herr Tschu mischte sich unter die Menge. Nach einigen Augenblicken nahm er eine sanfte Berührung an seinem Ärmel wahr. Sich umwendend, sah er das vorher betrachtete Mädchen, wie es lachend von dannen ging. Herr Tschu folgte ihr sogleich und kam, der Windung eines Geländers folgend, in ein kleines Gemach, in das er sich nicht einzutreten getraute. Aber die junge Dame blickte sich um und schwang die Blumen, die sie in der Hand hatte, ihm zu, als winke sie ihm weiterzugehen. So trat er ein und fand sonst niemand darin. Sogleich umarmte er sie, die sich ihm nicht verwehrte. Sie hatten etliche Tage zusammengelebt, als die Gefährtinnen des Mädchens Verdacht schöpften und Herrn Tschus Versteck entdeckten. Da lachten sie alle und sagten scherzend: »Meine Liebe, nun wirst du wohl bald Mutter werden, und da willst du das Haar noch wie die Jungfrauen tragen?« Sie brachten ihr die geziemenden Nadeln und den Kopfschmuck und hießen sie ihr Haar aufbinden, wobei sie sehr errötete, aber nichts sagte. Dann rief eine von ihnen: »Schwestern, wir wollen gehen. Sonst könnten wir den beiden lästig werden.« Da kicherten sie wieder und liefen davon. *

Etwa: Magister.

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Herr Tschu fand, daß seine Freundin durch die veränderte Haartracht noch schöner geworden war. Der hohe Knoten und das krönende Gehänge standen ihr wohl zu Gesicht. Er nahm sie in seine Arme, liebkoste sie und trank ihren süßen Duft. Während sie nun in inniger Gemeinschaft beieinander waren und die Lust sie wie eine Ewigkeit umfing, erscholl plötzlich ein Geräusch wie das Stampfen schwersohliger Stiefel, begleitet von Kettenklirren und dem Lärm einer zornigen Rede. Die junge Frau sprang erschrocken auf, und sie und Herr Tschu lugten hinaus. Sie erblickten einen Herold in goldener Rüstung, mit pechschwarzem Gesicht, der Ketten und einen Hammer in den Händen trug und von allen Mädchen umgeben war. Er fragte: »Seid ihr alle hier?« »Alle«, erwiderten sie. »Wenn ein Mensch«, sagte er, »hier verborgen ist, entdecket es mir sogleich, daß es euch hernach nicht gereue.« Sie antworteten wie zuvor, es sei keiner da. Der Herold machte nun eine Bewegung, als wolle er den Ort durchsuchen. Das Mädchen stand da, tief verwirrt, mit aschfahlen Wangen. In ihrem Entsetzen hieß sie Herrn Tschu sich unter dem Bette verbergen, sie selbst aber verschwand durch eine kleine Gittertür. Herr Tschu in seinem Versteck wagte kaum zu atmen. Nach einem Weilchen hörte er die Stiefel in die Stube und wieder hinaus trampeln, der Schall der Stimmen wurde allmählich ferner und schwächer. Das beruhigte ihn ein wenig, aber immer noch hörte er Laute von Wesen, die draußen auf- und niedergingen; und nachdem er eine lange Zeit in seiner eingeklemmten Lage zugebracht hatte, begann es ihm in den Ohren zu sausen, als sei eine Grille darin, und seine Augen brannten wie Feuer. Es war fast unerträglich; dennoch verhielt er sich ruhig und wartete auf die Rückkehr des Mädchens, ohne an Ursache und Zweck seines gegenwärtigen Schicksals zu denken. Indessen hatte Meng Lung-tan das Verschwinden seines Freundes bemerkt. Er dachte sogleich, es müsse ihm etwas zugestoßen sein, und fragte den Priester, wo er sei. »Er ist die Predigt des Gesetzes hören gegangen«, erwiderte der Priester. »Wohin?« sagte Herr Meng. »Oh, nicht sehr weit fort«, war die Antwort. Darauf klopfte der alte Priester mit dem Finger an die Wand und rief: »Freund Tschu! wie kommt es, daß Sie so lange ausbleiben?« Da war die Gestalt des Herrn Tschu auf der Wand dargestellt, das Ohr geneigt in der Haltung eines Lauschenden. Der Priester fügte hinzu: »Ihr Gefährte hat einige Zeit auf Sie gewartet.« Sogleich stieg Herr Tschu von der Wand herab und stand wie durchbohrt, mit starrenden Augen und zitternden Beinen. Herr Meng war sehr erschrocken, fragte ihn jedoch ruhig, was geschehen sei. Es war aber dies geschehen, daß er, während er unter dem Bett versteckt lag, einen donnergleichen Hall vernommen hatte und hinausgestürzt war, um zu sehen, was es sei.

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Jetzt bemerkten sie alle, daß das junge Mädchen auf dem Bilde die Haartracht einer verheirateten Frau angenommen hatte. Herr Tschu war darüber sehr verwundert und fragte den alten Priester nach der Ursache. Der antwortete: »Gesichte haben ihren Ursprung in denen, die sie sehen. Welche Erklärung kann ich da geben?« Diese Antwort war für Herrn Tschu sehr wenig befriedigend; und auch sein Freund, der einige Beängstigung empfand, wußte nicht, wie er sich all das zurechtdeuten sollte. Sie stiegen die Stufen des Tempels hinab und gingen von dannen.

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In Ling-yang lebte ein Mann namens Tschu Erh-tan, den seine Freunde Hsiao-ming nannten. Er war ein stattlicher und kühner Bursche, aber am Geiste beschränkt, und obgleich er sich rechtschaffen mühte, etwas zu lernen, hatte er noch keinen Grad erlangt. Als er eines Tages mit seinen Studiengefährten zechte, sagte einer von ihnen scherzend zu ihm: »Alle Welt redet von deinem großen Mut. Wohl denn, wenn du jetzt in der Nacht in das Qualengemach des Tempels gehst und uns den Höllenrichter der linken Vorhalle bringst, wollen wir dir ein Festmahl geben.« Es war nämlich im Stadttempel zu Ling-yang eine Darstellung der zehn Höfe des unterirdischen Gerichts mit allen Göttern und Dämonen, die aus Holz geschnitzt waren und dem ersten Blick lebendig erschienen. In der östlichen Halle stand das lebensgroße Bild eines Richters mit grünem Gesicht, rotem Bart und einem grauenvollen Ausdruck. Zuweilen hörte man in der Nacht aus beiden Hallen den Schall der Geißelung und des Verhörs, daß sich dem Vorübergehenden die Haare sträubten. Deshalb meinten die jungen Leute, das würde für Herrn Tschu eine schlimme Aufgabe sein. Er aber lächelte, erhob sich von seinem Sitze und ging geradenwegs in den Tempel. Nach wenigen Augenblicken hörten sie ihn draußen rufen: »Hier habe ich den Herrn Rotbart mitgebracht!« Sie standen auf, und herein kam Tschu, auf seinem Rücken das Bildwerk, das er auf dem Tische aufstellte. Sodann goß er dreimal seinen Becher vor ihm aus. Seine Gefährten sahen ihm zu, eine Furcht wandelte sie an und sie wagten nicht, sich wieder hinzusetzen; zuletzt baten sie Tschu, den Richter wieder zurückzutragen. Er aber goß noch einmal Wein zur Erde und sprach das Bild mit diesen Worten an: »Ich bin ein tollköpfiger, unwissender Kerl! Möge der Herr Lehrer es mir nicht zum Bösen anrechnen! Mein armes Haus ist in der Nähe, und so oft Sie Lust dazu verspüren, sind Sie eingeladen, mit mir ein Glas Wein in Wohlwollen zu trinken.« Sodann trug er den Richter wieder an seinen Ort.

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Am nächsten Tage gaben ihm die Freunde das versprochene Festmahl, von dem er halbberauscht heimkehrte. Da er aber fand, er habe noch nicht genug zur vollen Heiterkeit getrunken, entzündete er die Lampe und goß sich einen neuen Becher voll. Plötzlich teilte sich der Bambusvorhang und der Richter trat ein. Tschu stand auf und rief: »Wehe mir! Ich werde sterben! Ich habe Sie gestern beleidigt, und nun sind Sie gekommen, um mir den Kopf abzuhauen.« Der Richter strich seinen Bart, lächelte und sagte: »Durchaus nicht. Sie haben mich gestern freundlich eingeladen, Sie zu besuchen; und da ich an diesem Abend einige Muße habe, bin ich gekommen.« Tschu war sehr erfreut, das zu hören, und bat den Gast, sich zu setzen; dann machte er selbst das Geschirr zurecht und ging daran, den Wein zu wärmen.* »Die Luft ist warm,« sagte der Richter, »wir wollen den Wein kalt trinken.« Tschu gehorchte, setzte die Flasche auf den Tisch und ging hinaus, um seinen Dienern zu befehlen, ein Mahl zu rüsten. Seine Frau war sehr bestürzt, als sie hörte, wer der Besucher war, und bat Tschu, nicht zurückzugehen; aber er wartete nur, bis die Speisen bereit waren, und trug sie in sein Zimmer. Nun tranken sie, ein jeder aus dem Glase des andern, und nach einiger Zeit fragte Tschu nach dem Namen seines Gastes. Der Richter antwortete: »Lu ist mein Familienname, einen anderen habe ich nicht.« Danach unterhielten sie sich über Gegenstände des Schrifttums; was immer Tschu zu wissen begehrte, der Richter gab ihm den Bescheid. Dann fragte der Gast, ob Tschu Verständnis für Verse habe, worauf dieser erwiderte, er könne zur Not das Gute vom Schlechten unterscheiden; nun trug der Richter ein kleines Poem aus der Unterwelt vor, das denen der Sterblichen nicht unähnlich schien. Er war ein wackerer Zecher und trank zehn Becher in einer Folge; Tschu aber, der schon den ganzen Tag beim Wein verbracht hatte, schlief bald ein, den Kopf auf den Tisch gelehnt. Als er erwachte, flackerte die Lampe im Verlöschen, der Morgen dämmerte, und sein Gast war nicht mehr da. Von dieser Zeit an besuchte ihn der Richter alle zwei, drei Tage, und bald wuchs zwischen ihnen eine innige Freundschaft auf. Oft brachte jener die Nacht auf Tschus Lager zu. Tschu zeigte ihm die Aufsätze, die er verfaßt hatte, und der Richter strich kreuz und quer die Fehler an und rügte die Arbeit. Eines Nachts fühlte sich Tschu bald müde vom Trinken und ging zuerst zu Bette; der Richter trank allein weiter. In seinem trunkenen Schlafe war es Tschu, als spüre er einen Schmerz in seinem Leibe. Erwachend bemerkte er, daß der Richter, der am Bette saß, ihm die Brust geöffnet hatte und damit beschäftigt war, seine Eingeweide herauszuneh*

Man trinkt in China den Wein mit Vorliebe gewärmt und in Tassen.

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men und zu ordnen. »Es war doch keine Feindschaft zwischen uns,« rief Tschu, »warum wollen Sie mich töten?« »Fürchten Sie nichts,« antwortete der Richter lachend; »ich bin nur dabei, Ihr Herz gegen ein klügeres umzutauschen.« Er tat nun in Ruhe die Eingeweide wieder an ihren Platz, schloß die Öffnung und legte ihr einen engen Verband auf. Auf dem Bett war kein Blut, und Tschu fühlte nichts anderes als eine leichte Erstarrung in seinem Leibe. Nun sah er, wie der Richter ein Stück Fleisch auf den Tisch legte, und fragte ihn, was das sei. »Ihr Herz,« sagte Lu, »taugte nicht zum Verfassen von Aufsätzen, denn seine Löcher sind verstopft. Ich habe Sie mit einem besseren versehen, das ich in der Unterwelt aus vielen tausenden von Menschenherzen gewählt habe, und behalte nun das Ihre, um es an dessen Stelle zu bringen.« Darauf ging er und schloß die Tür hinter sich. Am Morgen löste Tschu den Verband und betrachtete seinen Leib, an dem die Wunde völlig verheilt war und nur einen roten Streifen hinterlassen hatte. Von dieser Zeit an machte er große Fortschritte in der Schriftkunst, und was er einmal gelesen hatte, vergaß er nicht mehr. Nach einigen Tagen zeigte er einen Aufsatz, den er gemacht hatte, dem Richter. Der sagte: »So geht es an. Aber Ihre Bestimmung ist nicht, ein großes Glück zu empfangen, und Sie werden keinen höheren Grad als den des Kü-jen erreichen.« »Wann wird mir dieser Grad zufallen?« fragte Tschu. »Noch in diesem Jahr«, antwortete der Richter. Und so war es. Tschu wurde der Erste beim Hsiu-tsai*-Examen, und dann einer der ersten fünf für den Kü-jen-Grad. Seine alten Gefährten, die sich vorher über ihn lustig zu machen pflegten, starrten einander erstaunt an, als sie von seinem Erfolg erfuhren und seine Aufsätze sahen. Sobald sie von ihm hörten, wie es zugegangen war, baten sie Tschu, auch sie mit dem Richter bekannt zu machen. Der Richter willigte ein, und sie bereiteten ein Mahl zu seinem Empfange. Als er aber am Abend erschien, mit flatterndem rotem Bart und Augen wie Blitze, wich das Blut aus ihren Wangen, ihre Zähne klapperten und einer nach dem andern schlich sich hinaus. Tschu nahm nun den Richter mit nach Hause, wo sie weiter zechten. Als ihm der Wein zu Kopfe gestiegen war, sagte er: »Daß Sie meine Brust geöffnet und mein Herz umgetauscht haben, ist eine große Wohltat. Aber es gibt noch etwas, womit ich Sie behelligen möchte, wenn es angeht.« Der Richter fragte ihn, was er meine, und Tschu sagte: »Wenn man das Herz umtauschen kann, wird man es wohl auch mit dem Gesicht tun können. Nun hat meine Frau eine nicht üble Gestalt, aber ihr Gesicht ist recht garstig. Ich bitte

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Etwa: Baccalaureus.

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Sie, Ihre Kunst an ihr zu versuchen.« Der Richter lachte und sprach: »Wohl! Wir wollen zu gelegener Zeit darauf zurückkommen.« Einige Tage danach klopfte der Richter um Mitternacht an Tschus Tür, der schnell aufstand und ihn hereinbat. Als er die Lampe anzündete, gewahrte er, daß der Richter etwas unter seinem Rock verborgen trug. Auf seine Frage, was es sei, antwortete Lu: »Es ist die Kleinigkeit, um die Sie mich jüngst ersucht hatten. Ich konnte nicht gleich einen schönen finden; darum habe ich einige Tage gesäumt. Endlich habe ich einen passenden bekommen und nun bringe ich ihn Ihnen.« Er zog nun einen schönen Mädchenkopf hervor und zeigte ihn Tschu, der bemerkte, daß das Blut am Halse noch feucht war. »Wir müssen eilen«, sagte der Richter, »und Sorge tragen, die Hühner und die Hunde nicht zu wecken.« Tschu befürchtete, die Tür, die zum Zimmer seiner Frau führte, könnte verriegelt sein, aber der Richter legte seine Hand darauf und sie öffnete sich sogleich. Tschu führte ihn nun zum Bette, wo die Frau auf der Seite liegend schlief. Der Richter gab ihm den Kopf zu halten und zog aus seinem Stiefel eine Stahlklinge, die wie ein Löffelstiel geformt war. Mit der strich er über den Nacken der Frau, wie man eine Melone öffnet, und ihr Kopf fiel vom Kissen. Er nahm nun den Kopf, den er gebracht hatte, schloß ihn sorgsam an, drückte ihn fest und legte die Frau zwischen zwei Polstern zurecht. Dann befahl er Tschu, den alten Kopf zu begraben, und ging. Bald darauf erwachte die Frau und spürte eine seltsame Starrheit am Halse. Als sie mit der Hand dran rührte, fand sie getrocknetes Blut; bestürzt rief sie die Dienerin und ließ sich Waschwasser bringen. Die Dienerin ging geängstigt daran, das Blut abzuwaschen, von dem sich das ganze Wasserbecken rötete; als sie nun aufblickte, sah sie ein fremdes Gesicht und erschrak. Die Frau nahm einen Spiegel, schaute hinein und erkannte sich nicht. Da kam ihr Gatte und erzählte ihr, was sich ereignet hatte. Als er sie genauer betrachtete, sah er ein schöngebildetes Gesicht; um den Hals ging ein roter Strich, und die Haut über ihm war von einer andern Farbe als die darunter. Es hatte sich aber dieses zugetragen: Ein Beamter namens Wu hatte eine sehr schöne Tochter, die, obgleich schon neunzehn Jahre alt, noch unvermählt war, da ihr zweimal der Bräutigam kurz vor der Hochzeit durch den Tod genommen worden war. Am Laternenfeste ging sie in den Tempel, sich das Qualengemach anzusehen. Unter den Leuten, die ihr begegneten, war ein nichtswürdiger Mensch, der eine Leidenschaft zu ihr faßte. Er erkundete ihre Wohnung, stieg in der Nacht auf einer Leiter ein und drang in ihr Schlafzimmer, wo er zuerst die vor dem Bett schlafende Dienerin ermordete und sodann das Mädchen umarmen wollte. Als sie sich wehrte und um Hilfe rief, geriet er in

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Zorn und schlug ihr den Kopf ab. Die Mutter hörte den Lärm und sandte eine Magd ins Zimmer, um nachzusehen, was geschehen sei; so wurde der Mord entdeckt. Man brachte die Leiche in die Halle, legte den Kopf daneben, und alle weinten und klagten die ganze Nacht durch. Als man am nächsten Morgen die Decke abnahm, war der Rumpf da, aber der Kopf war verschwunden. Die Dienerinnen wurden für ihren Mangel an Wachsamkeit gezüchtigt, und Herr Wu brachte den Vorfall zur Kenntnis der Behörden. Der Präfekt ordnete Nachforschungen an, aber die Tage vergingen, ohne daß man eine Spur entdecken konnte. Indessen erreichte die Kunde von der Kopfverwandlung in der Familie Tschu Herrn Wus Ohren. Er faßte einen unbestimmten Verdacht und sandte eine alte Dienerin hin, um nachzusehen, worauf sich das Gerücht gründe. Sie erkannte verwirrt die Züge ihrer toten jungen Herrin, lief zurück und erzählte es ihrem Herrn. Herr Wu, der nicht erdenken konnte, warum der Rumpf zurückgelassen worden war, glaubte nun, Tschu habe seine Tochter durch Zauberei getötet, und begab sich sogleich zu ihm, um die Wahrheit zu ermitteln. Tschu sagte ihm: »Meiner Frau wurde der Kopf im Traume umgetauscht; ich weiß nicht, wie es zugegangen ist. Wenn Sie mich eines Mordes beschuldigen, tun Sie mir Unrecht.« Herr Wu weigerte sich, ihm zu glauben, und strengte gegen ihn die Klage an; aber Tschus Dienerschaft sagte übereinstimmend aus und der Präfekt konnte ihn nicht überführen. Tschu beriet sich nun mit dem Richter Lu, der ihm sagte: »Das hat keine Schwierigkeit; seine Tochter soll es ihm selbst sagen.« In der Nacht träumte Herr Wu, daß seine Tochter erschien und zu ihm sprach: »Yang Ta-nien aus Su-tschi hat mich getötet. Herr Tschu hat damit nichts gemein. Er wollte ein schöneres Gesicht für sein Weib. Der Richter Lu gab ihm das meine. So ist der Körper deines Kindes tot, dieweil sein Kopf noch lebt. Du sollst nicht Tschus Feind werden.« Als Wu erwachte, erzählte er dies seiner Frau; sie aber hatte den gleichen Traum gehabt, so teilten sie das Geschehnis den Behörden mit. Bald wurde ein Mann, namens Yang Ta-nien, festgenommen, der im Verhör seine Tat eingestand. Herr Wu kam nun wieder in Tschus Haus und bat, seiner Frau vorgestellt zu werden. Fortan betrachtete er ihn als seinen Schwiegersohn. Frau Tschus früherer Kopf wurde zusammen mit dem Körper des Mädchens begraben. Nach diesen Ereignissen versuchte Tschu dreimal, den Tsin-schi*-Grad zu erlangen, aber ohne Erfolg, so daß er zuletzt die Absicht, in das öffentliche Leben zu treten, aufgab.

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Etwa: Doktor.

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Dreißig Jahre waren seitdem vergangen; da kam eines Nachts der Richter zu Tschu und sagte: »Das Maß Ihres Lebens wird bald erfüllt sein. Sie werden nach fünf Tagen sterben müssen.« Tschu fragte: »Kann ich nicht gerettet werden?« Der Richter antwortete: »Diese Dinge sind des Himmels; wir vermögen nichts über sie. Für den Weisen aber sind Leben und Tod das gleiche. Warum das Leben wie ein Glück fühlen und den Tod wie ein Unheil?« Tschu nahm diese Worte an und ließ die festlichen Gewänder, Sterbebett und Sarg bereiten. Zur rechten Zeit kleidete er sich in die Totengewänder und starb. Am nächsten Tag saß die Frau weinend an der Bahre. Da trat der Tote in den festlichen Gewändern zur Tür herein. Sie erschrak, er aber sprach zu ihr: »Ich bin wohl ein Geist, aber nicht verschieden von dem, der ich im Leben war, und ich habe an dich und den verwaisten Knaben denken müssen, die ich hier zurückgelassen habe.« Als seine Frau dies hörte, weinte sie noch mehr, und Tschu sprach ihr Trost zu. Da sagte sie: »Ich habe gehört, daß Tote ins Leben zurückkehren. Da du solche Gewalt hast, warum sie nicht deinem Leib geben?« Er antwortete: »Den Geboten des Himmels kann keiner widerstreben.« Sie fragte nun: »Was tust du in der Unterwelt?« Er erzählte: »Der Richter Lu hat mir ein hohes Amt verschafft, und es geht mir wohl.« Die Frau wollte weiter fragen, aber er unterbrach sie und sagte: »Der Richter ist mit mir gekommen. Bereite uns ein Mahl.« Sie tat es und hörte bald die beiden im Gastzimmer zechen und scherzen wie in den alten Tagen. Um Mitternacht schaute sie hinein und sah, daß sie nicht mehr da waren. Sie kamen aber nun von Zeit zu Zeit wieder. Zuweilen brachte Tschu die Stunden der Nacht bei seiner Frau zu und ordnete mit ihr die Angelegenheiten des Hauses. Tschus Sohn hieß Weï und war etwa fünf Jahre alt. So oft der Vater kam, nahm er den Knaben auf seine Arme. Als er acht Jahre war, lehrte ihn Tschu beim Lampenlicht lesen, und er war so klug, daß er im neunten schon Aufsätze machen konnte. Im fünfzehnten erlangte er den Hsiu-tsaiGrad. Zu dieser Zeit wußte er noch nicht, daß er keinen Vater hatte. Von da an wurden Tschus Besuche seltener, allmählich kam er nur einmal im Monat; endlich sagte er eines Nachts zu seiner Frau: »Ich bin dieses Mal noch hier, werde nun aber nicht mehr kommen.« Auf die Frage, wohin er denn gehe, antwortete er: »Ich habe den Befehl erhalten, mich an einen fernen Posten zu begeben. Die große Arbeit und der schwere Weg werden mir nicht erlauben, euch zu besuchen.« Seine Frau und sein Sohn legten ihre Arme um ihn und weinten. Er sagte: »Tut dies nicht. Der Knabe ist groß geworden und kann das Vermögen verwalten. Wo hätten je Menschen, die verbunden waren, nicht voneinander scheiden müssen?« Dann wendete er sich noch zum Sohn und sagte: »Sei eifrig in deinem Tun und

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mehre deinen Ruf, der der meine ist. Nach zehn Jahren werden wir einander wiedersehen.« Dann ging er. Als Weï fünfundzwanzig Jahre alt war, erlangte er den Tsin-schi-Grad und empfing vom Kaiser den Auftrag, die Opfer im westlichen Gebirge zu leiten. Auf seinem Wege dahin begegnete er dem Gefolge eines hohen Beamten, das mit den Standesabzeichen einem Wagen voranschritt. Als er den im Wagen Sitzenden ansah, erkannte er, daß es sein Vater war. Er stieg vom Pferde und warf sich weinend auf dem Wege nieder. Der Vater hielt den Wagen an und sprach: »Man sagt Gutes von dir. Nun kann ich zufrieden ruhen.« Weï lag noch auf der Erde und wagte nicht aufzustehen, sein Vater aber hieß weiterfahren. Nach einer kleinen Strecke jedoch wandte er sich um, löste sein Schwert und sandte es seinem Sohn, indem er ihm zurief: »Trage es, und du wirst das Gelingen sehen.« Weï wollte ihm folgen, aber in einem Augenblicke waren Wagen, Pferde und Gefolge wie in einem Sturmwind verschwunden. Eine Weile gab Weï sich nur der Trauer hin; dann betrachtete er das Schwert. Es war von erlesener Arbeit, und in die Klinge war der Spruch gegraben: »Sei kühn, aber beherrscht, geschlossen im Denken, gestreckt im Handeln!« Weï stieg danach zu hohen Ehren auf. Er hatte fünf Söhne, Tschen, Tschien, Wu, Hun und Schen. Eines Nachts träumte er, sein Vater befehle ihm, das Schwert dem Hun zu geben. Er tat es. Hun wurde später Statthalter und bewährte sich in seinem Amte.

Das lachende Mädchen

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In Lo-tien, in dem Bezirk Schantung, lebte ein Jüngling namens Wang Tse-fu, der in früher Kindheit den Vater verloren hatte. Er war ein gescheiter Bursch und erlangte mit vierzehn Jahren den Grad eines Hsiutsai. Seine Mutter verzärtelte ihn und erlaubte ihm nicht, sich allzuweit von daheim zu entfernen. Seine Braut, aus der Familie Ssiao, starb vor der Heirat, und er war noch unvermählt, als im Frühling am Tage des Laternenfestes sein Vetter Wu ihn zu einem Spaziergang aufforderte. Aber sie hatten das Dorf kaum verlassen, da holte sie ein Diener seines Onkels ein und sagte Wu, er werde zu Hause verlangt. So mußte dieser heimkehren; Wang aber, der rundumher eine Menge niedlicher Mädchen sah und sehr vergnügt war, ging allein weiter. Unter den anderen bemerkte er eine junge Dame mit ihrer Dienerin. Sie hatte eben einen Pflaumenblütenzweig gebrochen, und ihr lächelndes Gesicht war unwiderstehlich. Er starrte sie an, ohne den Anstand zu beachten; und als sie vorbeigegangen war, sagte sie zu ihrer Dienerin: »Dieser junge Mensch hat glühende Augen wie ein

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Dieb.« Als sie lachend und schwatzend weiterging, ließ sie die Blüte fallen; Wang hob sie auf und stand trostlos da, als wäre seine Seele von ihm gegangen. Dann kehrte er in einer sehr schwermütigen Verfassung heim; und nachdem er die Blüte unter sein Kissen getan hatte, legte er sich nieder. Seitdem wollte er weder reden noch essen. Seine Mutter ängstigte sich um ihn und rief die Priester, ihn zu besprechen, aber es half nicht. Er fiel am Fleische ab und wurde sehr mager. Nun kamen Ärzte, die ihm den Puls fühlten und ihm Arzeneien gaben, um die Krankheit zu verscheuchen; aber er lag wie gestörten Geistes da und trotz aller Fragen seiner Mutter wollte er ihr keinen Fingerzeig über die Ursache seiner Krankheit geben. Als eines Tages sein Vetter Wu ins Haus kam, bat ihn Wangs Mutter, er möge versuchen, zu erfahren, was es sei. Wu trat ans Bett und kam allmählich in ruhiger Weise auf den Gegenstand zu sprechen. Wang, der beim Anblick seines Vetters in bitteres Weinen ausgebrochen war, erzählte ihm nun den ganzen Vorgang und bat ihn, ihm Beistand zu leisten. »Wie närrisch bist du, Vetter,« rief Wu; »es wird keinerlei Schwierigkeit geben, ich werde für dich Nachforschungen anstellen. Das Mädchen kann nicht einer sehr vornehmen Familie angehören, da sie außerhalb der Stadt spazierenging. Wenn sie nicht bereits versprochen ist, werden wir gewiß die Angelegenheit besorgen können; und sollte sie etwa nicht willig sein, werden wir nur die Auslagen zu erhöhen brauchen, um sie geneigt zu machen. Werde schnell wieder gesund; ich will alles in Ordnung bringen.« Wangs Mienen erhellten sich, als er diese Worte hörte; und Wu verließ ihn, um seiner Mutter zu sagen, wie die Sache stehe. Hierauf ging er unverzüglich daran, den Wohnort des Mädchens zu erkunden. Alle seine Bemühungen waren jedoch erfolglos, zur großen Enttäuschung von Wangs Mutter; denn seit dem Besuch seines Vetters waren Wangs Gesichtsfarbe und Eßlust zurückgekehrt. Nach einigen Tagen kam Wu wieder, und zur Antwort auf Wangs Fragen sagte er ihm trügerischerweise: »Ich habe alles bereits erfahren. Was meinst du wohl, wer das Mädchen ist? Eine Base von uns. Sie ist noch nicht verlobt, und wiewohl ihr beiden etwas nahe verwandt seid, kann ich wohl sagen, daß wir diese Schwierigkeit überwinden werden.« Wang war überfroh und fragte, wo sie lebe; so mußte Wu eine neue Lüge sagen und sprach: »Im südwestlichen Gebirge, dreißig Li* etwa von hier.« Wang bat ihn wieder und wieder, sein Bestes für ihn zu tun, und Wu unterfing sich, die Verlobung zum Abschluß zu bringen. Er nahm sodann Abschied von seinem Vetter, der von diesem Augenblick an sich rasch erholte. Wang zog die Blüte unter dem Kissen *

Li: die chinesische Meile, ungefähr einem halben Kilometer gleich.

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hervor und fand, daß sie, obgleich vertrocknet, die Blätter nicht verloren hatte. Oft saß er nun mit dieser Blüte spielend und dachte an das junge Mädchen, und es war ihm, als sei sie bei ihm. Als aber eine Zeit verging, und Wu sich nicht sehen ließ, schrieb er ihm einen Brief und bat ihn zu kommen. Wu schützte andere Verabredungen vor, da er nicht gehen wollte. Darauf geriet Wang in Wut und verlor seine ganze Heiterkeit wieder, so daß seine Mutter, die einen Rückfall befürchtete, ihm vorschlug, sich schleunigst mit einem anderen Mädchen zu verloben. Wang schüttelte den Kopf dazu und saß Tag um Tag auf Wu wartend, bis seine Geduld völlig erschöpft war. Da bedachte er sich, daß dreißig Li keine große Entfernung seien und es daher keinen besonderen Grund gebe, die Hilfe eines anderen anzurufen. So verbarg er die Blüte in seinem Ärmel und machte sich erregt, ohne etwas zu sagen, auf die Reise. Da er nicht nach dem Weg fragen konnte, ging er geradeaus auf die südlichen Berge zu. Nach einem Marsche von etwa dreißig Li befand er sich in der Mitte des Gebirgslandes, genoß die grüne Landschaft und atmete die köstliche Luft ein, begegnete aber keinem Wesen und hatte keinen andern Wegweiser, als die engen Pfade des Gebirges selber. Weiter unten im Tal, fast begraben unter dichtwuchernden Bäumen und Blumen, erspähte er einen kleinen Weiler und stieg in dessen Richtung hinab. Er fand sehr wenige Hütten, alle aus Binsen geflochten, aber recht lieblich anzusehen. Vor dem Tor des einen von ihnen, das am Nordende des Dorfes lag, standen einige zierliche Weidenbäume, und innerhalb der Mauer wuchs eine Menge von Pfirsich- und Aprikosenbäumen, mit Bambusbüscheln dazwischen und zwitschernden Vögeln in den Zweigen. Da es ein Privathaus war, wagte er nicht hineinzugehen, sondern setzte sich um auszuruhen auf einen großen glatten Stein, der der Vordertür gegenüberstand. Bald hörte er im Innern des Hauses eine Mädchenstimme den Namen Hsiao-jung rufen; und da er bemerkte, daß es eine süßklingende Stimme war, lauschte er ihr und saß noch lauschend da, als ein Mädchen heraustrat, das einen Strauß Aprikosenblüten in der Hand trug und sich gesenkten Kopfes eine nach der anderen ins Haar steckte. Da hob sie das Gesicht, sah Wang und hielt mit ihrer Arbeit inne; dann unterdrückte sie ein Lachen, raffte die Blüten zusammen und lief hinein. Wang bemerkte zu seiner maßlosen Freude, daß sie keine andere war als die, der er am Laternenfest begegnet war; da er sich aber besann, daß er nicht das Recht habe, ihr zu folgen, wollte er sie als seine Base anrufen. Es war jedoch niemand in der Straße und er fürchtete, er könnte einen Irrtum begehen; auch an der Tür war niemand, den er hätte fragen können. So verblieb er in großer Unruhe, bis die Sonne im Westen niederging und seine Hoff-

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nungen fast vernichtet waren, so daß er an Speise und Trank zu denken vergaß. Da gewahrte er, daß das Mädchen durch die Tür hinausspähte und sich offenbar sehr wunderte, ihn noch dazufinden. Nach einigen Augenblicken kam eine alte Frau heraus, die sich auf einen Stock stützte, und sagte zu ihm: »Woher kommen Sie, mein Herr? Ich erfahre, Sie seien vom Morgen an hier. Was ist es, dessen Sie bedürfen? Sind Sie nicht hungrig?« Wang stand auf, verneigte sich und antwortete, er suche Verwandte; aber die Alte schien taub und erfaßte nicht, was er sagte; er mußte daher seine Worte schreiend wiederholen. Sie fragte ihn nun nach dem Namen seiner Verwandten, aber er konnte ihn ihr nicht sagen. Da lachte sie und sprach: »Wie kann man Verwandte suchen, deren Namen man nicht kennt? Ich fürchte, Sie sind ein unerfahrener junger Mann. Kommen Sie nur herein und essen Sie etwas; wir können Ihnen auch ein Bett geben, bleiben Sie über Nacht bei uns, morgen können Sie dann heimgehen und den Namen der Leute ausfindig machen, die Sie suchen.« Wang begann gerade Hunger zu verspüren, und überdies hoffte er so dem schönen Mädchen näherzukommen; er nahm daher bereitwillig an und folgte der Alten ins Haus. Sie gingen zwischen rotblühenden Sträuchern einen gepflasterten Weg entlang, der mit verstreuten Blättern bedeckt war, und durch eine Tür eintretend, betraten sie einen Hofraum voll von Schlingpflanzen und anderen Gewächsen. Die Alte wies Wang in einen kleinen Raum mit schönen weißen Wänden und anmutigen reinlichen Geräten, durch dessen Fenster der Ast eines wilden Apfelbaumes hereinhing. Kaum hatten sie sich gesetzt, als man jemand bemerkte, der einen Blick durch das Fenster in die Stube warf; worauf die Alte rief: »Hsiao-jung! Beeile dich und mache das Essen zurecht«, und eine Magd von draußen sogleich antwortete: »Ja, Frau.« Inzwischen hatte Wang erklärt, wer er war; und da sagte die alte Frau: »Hieß Ihr Großvater mütterlicherseits nicht Wu?« »So hieß er«, antwortete Wang. »Ei wahrlich!« rief die Alte; »er war mein Onkel, und Ihre Mutter und ich sind Schwestern. Aber unserer Armut wegen, und weil ich keine Söhne habe, haben wir ganz für uns gelebt, und Sie sind zum Mann herangewachsen, ohne daß ich Sie kannte.« »Ich kam eben hierher,« sagte Wang, »um meine Tante zu suchen, aber in der Eile vergaß ich den Namen.« »Ich gehöre der Familie Tsching an,« erwiderte die Alte; »ich habe kein Kind geboren; doch lebt ein Mädchen bei mir, das Kind einer Nebenfrau, die nach dem Tode meines Mannes sich wieder verheiratete und ihre Tochter bei mir ließ. Es ist ein kluges Mädchen, hat aber eine sehr geringe Erziehung gehabt; sie steckt voll Kurzweil und weiß nichts von den Leiden des Lebens. Ich werde sie später holen lassen, damit sie Ihre Bekanntschaft mache.« Die Magd brachte nun das Mahl, ein

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wohlzubereitetes Huhn, und die Alte nötigte Wang zuzugreifen. Als sie fertig und die Schüsseln abgenommen waren, sagte die Alte: »Rufe Fräulein Ning«, und die Dienerin ging hinaus. Nach einiger Zeit kicherte es an der Tür, und die Alte rief: »Ying-ning! Dein Vetter ist hier.« Da war nun ein großes Gekicher, als die Magd sie hineinstieß; sie hielt sich den Mund zu und versuchte das Lachen niederzuhalten. »Weißt du dich nicht anders zu benehmen?« fragte die Alte, »und noch dazu vor einem Gast!« Yingning bezwang ihre Gefühle, und Wang machte ihr eine Verbeugung, während die Alte sprach: »Herr Wang ist dein Vetter und du hast ihn bisher nie gesehen. Das ist freilich zum Lachen!« Wang fragte, wie alt seine Base sei, aber die Alte hörte ihn nicht, und er mußte es wiederholen, was Yingning in ein neues Gelächter ausbrechen ließ. »Ich habe Ihnen gesagt,« bemerkte die Alte, »daß sie nicht viel Erziehung hat; nun sehen Sie es. Sie ist sechzehn und närrisch wie ein Kind.« »Ein Jahr jünger als ich«, bemerkte Wang. »Oh, Sie sind siebzehn?« sagte die Alte. »Dann sind Sie im Jahre des Pferdes geboren*«. Wang nickte, und nun fragte die Alte, wer seine Frau sei, worauf Wang erwiderte, er habe keine. »Was! Ein gescheiter, artiger junger Mann von siebzehn noch nicht verlobt? Auch Ying-ning ist noch nicht versprochen; Sie beide würden ein angenehmes Paar geben, wenn nicht der Verwandtschaftsgrad wäre.« Wang sagte nichts, sah aber seine Base lebhaft an, und in diesem Augenblicke flüsterte die Magd ihr zu: »Es ist der Bursche mit den glühenden Augen! Sein Diebswesen ist das gleiche geblieben.« Ying-ning lachte und schlug der Dienerin vor, mit ihr hinauszugehen, um zu sehen, ob die Pfirsichbäume schon in Blüte seien. Sie gingen zusammen, Ying-ning den Ärmel in den Mund gestopft, bis sie draußen war, wo sie in ein herzhaftes Gelächter ausbrach. Die Alte gab Befehl, für Wang ein Bett zu bereiten, und sagte zu ihm: »Wir begegnen einander nicht oft; Sie müssen, nun Sie einmal hier sind, einige Tage bei uns verbringen, und dann werden wir Sie heimsenden. Wenn Sie sich langweilen, finden Sie hier einen Garten, in dem Sie sich vergnügen können, und Bücher zum Lesen.« Am nächsten Tag schlenderte Wang in den Garten hinaus, der von mäßigem Umfang war, mit einem wohlgepflegten Rasen, voll von Bäumen und Blumen. Da war auch eine Laube, die aus drei Pfählen mit einem Strohdach bestand, von allen Seiten ganz abgeschlossen durch die Üppigkeit der Gewächse. Als Wang sich seinen Weg durch das Blumengestrüpp bahnte, hörte er ein Geräusch von einem der Bäume her, und aufblickend sah er Ying-ning, die sogleich zu lachen begann, daß sie fast zu Boden fiel. »Nicht doch!« rief Wang, »Sie werden fallen.« Da kam Ying-ning her*

Die Jahre werden bei den Chinesen nach zwölf Tieren benannt.

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unter, immerzu kichernd, bis sie, als sie schon nahe am Boden war, den Halt verlor und hinabglitt. Das hemmte ihre Lustigkeit. Wang half ihr auf und drückte dabei sanft ihre Hand. Ying-ning begann wieder so sehr zu lachen, daß sie sich an einen Baum lehnen mußte, und es währte eine Zeit, bis sie aufhören konnte. Wang wartete, bis sie mit dem Lachen fertig war, dann nahm er den Blütenzweig aus seinem Ärmel und reichte ihn ihr. »Er ist welk,« sagte sie, »warum haben Sie ihn aufbewahrt?« »Es ist der, den Sie beim Laternenfest fallen ließen, Base,« erwiderte Wang, »deshalb habe ich ihn behalten.« Sie fragte ihn nun, was seine Absicht dabei gewesen sei, und er antwortete: »Ihnen meine Liebe zu zeigen, und daß ich Sie nicht vergessen habe. Seit jenem Tage, da wir einander begegneten, bin ich vom vielen Denken an Sie sehr krank gewesen und bin ganz anders geworden, als ich war. Aber jetzt ist es mein unerwartetes Glück, daß ich Sie wiedergefunden habe, und ich flehe, erbarmen Sie sich meiner.« »Sie brauchen um einer Kleinigkeit willen nicht so viel Aufhebens zu machen,« sprach sie, »und gar einer Verwandten gegenüber. Ich werde Befehl geben, Ihnen, ehe Sie heimgehen, einen Korb voll Blumen zu überreichen.« Wang sagte ihr, sie sei töricht, und als sie fragte, warum er sie töricht nenne, sprach er: »Ich liebe die Blüte nicht um ihrer selbst willen, sondern nur um deren willen, die sie gepflückt hatte.« »Freilich, antwortete sie, »jeder macht sich etwas aus seinen Verwandten; Sie brauchten mir das nicht zu sagen.« »Ich meinte nicht Verwandtenliebe,« sagte Wang, »sondern die zwischen einem Mann und seiner Frau.« »Welches ist der Unterschied?« fragte Ying-ning. »Ei,« erwiderte Wang, »Mann und Frau schlafen beieinander.« »Das ist etwas, was ich nicht vertragen könnte,« rief sie, »mit jemandem zusammenzuschlafen.« Als das Gespräch so weit gediehen war, kam die Magd herbei, und Wang schlich sich davon. Bald trafen sie alle wieder im Hause zusammen, und die Alte fragte Ying-ning, wo sie gewesen sei; worauf sie sagte, sie hätten im Garten miteinander geredet. »Das Mittagessen ist schon lange bereit. Ich kann mir nicht denken, was ihr euch all die Zeit zu sagen hattet«, begann die Alte. »Mein Vetter«, antwortete Ying-ning, »sagte mir, daß er bei mir schlafen möchte.« Wang war sehr verwirrt und machte ihr ein Zeichen still zu sein; sie lächelte und sagte nichts weiter, und die Alte hatte glücklicherweise ihre Worte nicht verstanden und bat sie, sie zu wiederholen. Wang lenkte sie auf etwas anderes hin und flüsterte Ying-ning zu, sie habe sehr unrecht getan. Sie fragte, warum sie es nicht hätte mitteilen sollen, und als Wang ihr sagte, was er zu ihr gesprochen habe, sei eine heimliche Rede gewesen, antwortete sie ihm, man könne wohl anderen, aber nicht seiner alten Mutter etwas verheimlichen. »Überdies,« fügte sie hinzu, »was kann denn daran Schlimmes sein, daß man über einen so gewöhnlichen Gegenstand

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wie über das Schlafen redet?« Wang ärgerte sich, daß sie so töricht war, aber er konnte nichts dawider tun. Nach dem Mittagessen bemerkte er, aus dem Hause tretend, einige Diener seiner Mutter, die auf der Suche nach ihm gekommen waren und zwei Esel mit sich führten. Er erfuhr von ihnen, daß seine Mutter, in Angst versetzt, weil er nicht heimkehrte, das Dorf nach ihm durchsucht, und als sie keine Spur von ihm entdecken konnte, sich zur Familie Wu um Rat begeben hatte. Dort hatte ihr ihr Neffe, der sich dessen entsann, was er einst dem jungen Wang vorgelogen hatte, empfohlen, in der Richtung des Gebirges nachforschen zu lassen; und demgemäß waren die Diener in allen Dörfern des Weges gewesen, bis sie ihn zuletzt erkannten, als er aus der Türe trat. Wang ging wieder hinein, sagte es der Alten und bat sie um die Erlaubnis, Ying-ning mit sich zu nehmen. »Ich habe seit einiger Zeit diesen Gedanken gehabt,« erwiderte die Alte erfreut, »aber ich selbst bin ein altes schwaches Ding und kann nicht so weit reisen. Wenn Sie sich jedoch des Mädchens annehmen und es seiner Tante vorstellen wollen, ist es sehr gut.« Sie rief Ying-ning, die wie gewöhnlich lachend daherkam; worauf die Alte sie anfuhr und sagte: »Was macht dich immer so lachen? Du wärest ein tadelloses Mädchen, wenn du nicht diese Unart hättest. Da ist nun dein Vetter, der dich mitnehmen will. Mach dich schnell bereit.« Den Dienern, die um Wang gekommen waren, wurden Erfrischungen gereicht, und die Alte bot den Beiden Lebewohl; zu Yingning aber sagte sie noch: »Deine Tante ist wohlhabend genug, dich zu erhalten, und du brauchst zunächst nicht wiederzukommen; achte darauf, Sitte und Haltung zu erlernen und aufmerksam gegen die Älteren zu sein. Und bitte deine Tante, dir einen guten Mann zu verschaffen.« Wang und Ying-ning nahmen sodann Abschied. Als sie den Hang des Hügels erreicht hatten, blickten sie zurück und konnten gerade noch die Gestalt der alten Frau unterscheiden, die an der Türe lehnte und nach Norden schaute. Als sie in Wangs Haus angelangt waren, fragte seine Mutter, erstaunt ein hübsches junges Mädchen bei ihm zu sehen, wer das sei; und Wang sagte es ihr. »Aber das alles war ja eine Erfindung deines Vetters Wu,« rief die Mutter, »ich habe keine Schwester und kann daher auch keine Nichte haben.« Ying-ning sagte: »Ich bin nicht die Tochter der Alten; mein Vater hieß Tsching und starb, als ich ein kleines Kind war, so daß ich mich an nichts erinnern kann.« »Ich hatte eine Schwester,« sagte Wangs Mutter, »die in der Tat einen Herrn Tsching geheiratet hat, aber sie ist seit vielen Jahren tot. Wie kann sie noch leben?« Als sie jedoch die Gesichtszüge und die besonderen Merkmale des Mädchens betrachtet hatte, mußte Wangs Mutter die Ähnlichkeit zugeben. Aber sie konnte sich nicht des Zweifels

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erwehren, wie es zugehe, daß ihre Schwester noch leben solle. In diesem Augenblick kam Wu herein, und Ying-ning zog sich zurück. Als Wu die Geschichte gehört hatte, blieb er eine Weile in Staunen versunken, dann fragte er: »Heißt dieses Mädchen nicht Ying-ning?« Wang antwortete, dem sei so, und fragte Wu, woher er es wisse. »Herr Tsching«, antwortete der, »war nach dem Tode seiner Frau von einer Füchsin* behext worden und starb einige Zeit hernach. Die Füchsin hatte eine Tochter namens Ying-ning, die alle Verwandte gesehen haben. Als Tsching starb, und die Füchsin den Ort nicht verlassen wollte, rief man einen »Meister des Himmels«**, der eine Schrift an die Wand heften ließ und so die Füchsin austrieb, die Ying-ning mit sich nahm. Nun ist diese, wie es scheint, wieder bei uns.« Während sie dies besprachen, hörte man ein schallendes Gelächter aus dem innern Raum, und Frau Wang sagte: »Was ist das für ein närrisches Mädchen!« Wu bat, ihr vorgestellt zu werden. Frau Wang ging sie holen und fand sie in einem unbezwingbaren Lachanfall, den sie nur mit großer Mühe, das Gesicht zur Wand gekehrt, überwand. Sie ließ sich bewegen, hinauszukommen; aber nachdem sie eine Verbeugung gemacht hatte, rannte sie zurück und brach wieder in Lachen aus, so daß die anwesenden Damen sich nicht genug über sie wundern konnten. Wu sagte nun, er wolle gehen und für sie alles über Ying-ning und ihre seltsame Geschichte ausfindig machen, damit man die Heirat vorbereiten könne. Als er aber den bezeichneten Platz erreicht hatte, waren Dorf und Hütten verschwunden, und nichts war zu sehen, als hier und da hingestreute Gebirgsblumen. Er entsann sich, daß seine Tante, Herrn Tschings Ehefrau, unweit dieser Stelle begraben worden war; er fand jedoch das Grabmal nicht mehr und war auch nicht imstande, dessen Ort anzugeben. Unfähig, sich in alledem zurechtzufinden, kehrte er verwundert und seufzend heim. Frau Wang meinte nun, das Mädchen sei wohl ein abgeschiedener Geist. Sie ging hinein und teilte Ying-ning mit, was Wu berichtet hatte. Ying-ning zeigte kein Zeichen der Bestürzung bei diesen Worten, auch weinte sie nicht, als ihr Frau Wang ihr Bedauern darüber aussprach, daß sie ihr Heim nicht mehr habe. Sie lachte nur in ihrer gewöhnlichen törichten Weise und machte alle verwirrt. Sie teilte nun Fräulein Wangs Zimmer und begann die Pflichten einer Tochter zu übernehmen; und ihre Handarbeit war von einer Feinheit, derengleichen sie nie gesehen hatten. Aber sie konnte ihre Gewohnheit zu lachen nicht bezwingen, die freilich niemals ihre Anmut störte und * **

Die Chinesen glauben an dämonische Wesen, die in Fuchsgestalt leben, aber auch Menschengestalt annehmen können. Ein hoher taoistischer Zauberpriester.

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allen nur Vergnügen bereitete, ganz besonders aber einer jungen Frau, die im Nachbarhause wohnte und ihr sehr freundlich entgegenkam. Wangs Mutter bestimmte einen glückbringenden Tag für die Hochzeit. Da sie aber noch immer wegen Ying-nings einen Verdacht hegte, beobachtete sie sie insgeheim. Sie fand jedoch, daß sie einen eigenen Schatten hatte* und daß nichts Außergewöhnliches an ihrem Gebaren war. Am angesetzten Tage ließ sie sie in den Brautschmuck kleiden. Als aber das Zeremoniell beginnen sollte, lachte Ying-ning so sehr, daß sie nicht fähig war niederzuknien**; sie waren daher genötigt es ihr zu erlassen; aber Wang begann zu fürchten, daß es einem so närrischen Mädchen nicht möglich sein würde, die ehelichen Geheimnisse zu bewahren. Glücklicherweise aber war sie sehr schweigsam und fand keinen Gefallen am Geschwätz. So oft Frau Wang in Sorgen oder verstimmt war, konnte Ying-ning sie immer mit einem Lachen erheitern. Wenn die Dienerinnen für irgend etwas eine Züchtigung erwarteten, baten sie sie stets anwesend zu sein, wenn sie vor ihrer Herrin erscheinen sollten, und so entgingen sie oft der Strafe. Ying-ning hatte eine Leidenschaft für Blumen. Sie ließ sich von ihren Verwandten schenken, soviel sie bekommen konnte, und verpfändete sogar ihre Juwelen, um seltene Arten zu kaufen; und nach einigen Monaten war der ganze Ort eine Blumenstätte. Hinter dem Hause stand ein Blütenbaum, der dem Nachbarn gehörte; aber Ying-ning kletterte oft darauf herum und pflückte sich Blüten. Frau Wang schalt sie einigemal aus, aber ohne Wirkung. Eines Tages sah sie der Besitzer des Baumes und starrte sie eine Weile verzückt an; sie aber rührte sich nicht und lachte nur. Der Mann meinte nun, daß auch sie an ihm Gefallen finde, und war ganz entflammt. Als sie lächelnd die Mauer auf ihrer Seite hinunterkletterte und dabei den Finger auf einen nahen Ort richtete, meinte er, sie gebe ihm ein Stelldichein. Er kam daher beim Anbruch der Nacht an jenen Ort, und auch Ying-ning war da. Er trat auf sie zu und umschlang sie; da durchdrang ihn ein stechender, bohrender Schmerz bis ins Mark, und er fiel schreiend zu Boden. Als er aufblickte, erkannte er, daß das, was ihm als Ying-ning erschienen war, als alter Baumstamm an der Mauer lehnte, und was ihn ein Frauenschoß gedünkt hatte, war ein dunkles Astloch. Auf seine Schreie kam sein Vater herbei, dessen Fragen er aber nicht beantwortete. Erst als auch seine Frau herzukam, erzählte er alles. Man brachte eine Fackel, um den Baum zu beleuch* **

Die abgeschiedenen Geister sind daran zu erkennen, daß sie keinen Schatten haben. Bei der Trauung beten die Brautleute nebeneinander Himmel und Erde an.

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ten, und fand in dem Loch einen Skorpion, der an Umfang einem kleinen Hummer glich. Der Vater zerhieb den Stamm und tötete das Tier; dann trug er seinen Sohn ins Haus, wo er um Mitternacht starb. Die Familie erhob nun gegen Wang die Anklage, er habe eine Hexe zur Frau. Da aber der Richter Wangs Talente schätzte und ihn als einen tüchtigen und rechtlichen Mann kannte, weigerte er sich, ihn vorzuladen, und befahl, dem Kläger wegen ungerechter Beschuldigung Rutenstreiche zu geben; auf Wangs Bitte wurde ihm die Strafe erlassen und er durfte heimkehren. Die Mutter sagte scheltend zu Ying-ning: »Ich wußte, daß dein Mutwille einst Kummer über uns bringen würde. Wäre der Richter nicht ein verständiger Mann, uns alle hätte schon das Unheil gepackt. Jeder gewöhnliche Habicht von einem Beamten hätte dich öffentlich verhört; und wie hätte dann dein Mann sich je wieder vor den Leuten sehen lassen können?« Ying-ning blickte ernst drein und schwur, sie wolle nie wieder lachen. Frau Wang sagte: »Lachen ist allen Menschen gemein und nichts Böses, wenn es zu seiner Zeit geschieht.« Von diesem Augenblick an lachte Ying-ning nicht mehr, was immer auch die Leute anstellten, um sie zu belustigen. Doch war sie auch gar nicht betrübt. Eines Abends aber kam sie weinend zu ihrem Mann, der zu wissen begehrte, was sie bedrücke. »Ich konnte es dir früher nicht sagen,« berichtete sie ihm schnell schluchzend; »wir haben einander so kurze Zeit gekannt, und ich wollte dich nicht ängstigen. Jetzt aber, da ihr, du und deine Mutter, so gütig zu mir gewesen seid, will ich es nicht länger für mich bewahren. Ich bin die Tochter der Füchsin. Als meine Mutter fortgetrieben wurde, übergab sie mich dem Geiste der verstorbenen Frau meines Vaters zur Pflege. Mit ihr habe ich über zehn Jahre lang gelebt. Brüder habe ich nicht; du bist der Einzige, zu dem ich mit meinem Verlangen kommen kann. Es ist aber dies, daß meine Pflegemutter in der Einsamkeit der Berge begraben ist, und keiner schafft ihr ein rechtes Grab und stillt ihre Unrast. Ist es nun nicht zuviel der Mühe für dich, so wollte ich dich bitten, es zu tun, daß ihr Geist zur Ruhe komme.« Wang sagte es ihr zu und befürchtete nur, sie würden das Grab nicht finden können; aber Ying-ning sagte, das würde sich schon fügen. In der Tat führte sie ihn, als sie angekommen waren, auf ein wüstes Feld, zu einem dichten Gebüsch, wo man denn auch den Leichnam der alten Frau fand. Ying-ning warf sich darüber und weinte. Die Leiche, die noch Fleisch und Haut hatte, wurde in die Stadt gebracht und im Grabgewölbe der Familie Tsching beigesetzt. In der darauf folgenden Nacht träumte Wang, die alte Frau komme zu ihm und danke ihm. Als er erwachte, erzählte er es Ying-ning, die ihm

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sagte, daß auch sie sie gesehen hatte. Wang fragte sie, warum sie die alte Dame nicht zurückgehalten habe. »Sie ist ein Geist«, sagte Ying-ning, »und würde sich inmitten des Treibens vieler Menschen nicht wohl fühlen.« Wang erkundigte sich nach der Magd Hsiao-jung, und seine Frau gab ihm Bescheid: »Auch sie war eine Füchsin, und dazu eine recht schlaue. Meine Mutter hatte sie als meine Wärterin bei mir gelassen. Wir waren Freundinnen und pflegten Obst und Backwerk miteinander zu teilen. Ich werde sie nie vergessen. Meine Pflegemutter erzählte mir gestern von ihr, daß sie sich verheiratet hat.« Am Totenfest gingen sie zum Grabe der Familie Tsching, wo sie die Gebete sprachen und die Zeremonien verrichteten. Nach einem Jahre wurde Ying-ning ein Sohn geboren, der sich vor keinem Fremden fürchtete, sondern alle anlachte und überhaupt der Mutter nachgeriet.

Die Füchsin Es war einmal ein junger Mann namens Sang Tse-ming, aus I-tschau gebürtig, der in früher Kindheit verwaist war. Er lebte in der Nähe der RoteBlumen-Gegend ganz einsam, nur zweimal am Tag ging er in die Wohnung eines Nachbarn, wo er seine Mahlzeiten nahm, die übrige Zeit brachte er ruhig in seiner Behausung zu. Eines Tages besuchte ihn der Nachbar und fragte ihn scherzhaft, ob er sich nicht vor Geistern und Füchsen ängstige, da er so oft allein sei. »Oh,« erwiderte Sang lachend, »was hat ein Mann von Geistern und Füchsen zu befürchten? Kommen sie als Männer, dann habe ich hier für sie ein scharfes Schwert; kommen sie als Weiber, so öffne ich ihnen die Tür und bitte sie einzutreten.« Der Nachbar ging, und nachdem er sich mit einem Freunde besprochen hatte, veranlaßten sie eine Dirne, mit Hilfe einer Leiter die Mauer von Sangs Haus zu übersteigen und an die Tür zu klopfen. Sang guckte hinaus und rief: »Wer ist da?«, worauf das Mädchen antwortete: »Ein Geist!« und Sang so sehr erschreckte, daß seine Zähne aneinander schlugen. Das Mädchen lief nun davon. Als am nächsten Tage der Nachbar ihn wieder besuchte, erzählte ihm Sang, was ihm widerfahren war, und sagte, er beabsichtige in seine Heimat zurückzukehren. Da klatschte der Nachbar in die Hände und fragte: »Warum haben Sie sie nicht hereingebeten?« Sang merkte nun, daß er angeführt worden war, und lebte ruhig weiter wie vorher. Sechs Monate etwa danach klopfte ein Mädchen an seine Tür. Er dachte, seine Freunde trieben das alte Spiel wieder, öffnete sogleich und bat

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das Mädchen einzutreten. Sie tat es; und er gewahrte zu seinem Erstaunen, daß sie von einer Schönheit war, die ein Königreich zu stürzen vermöchte. Er fragte sie, woher sie komme, und sie antwortete, ihr Name sei Lien-hsiang und sie lebe in einem »grünen Haus«* im Westen. Sang vertraute ihren Worten. Sie löschten das Licht, legten sich zueinander und gaben sich einander hin. Seither erschien sie von Zeit zu Zeit bei ihm. An einem Abend, da Sang sinnend allein saß und sie erwartete, trat plötzlich ein Mädchen ein. Er dachte, es sei Lien-hsiang, und ging ihr entgegen, sah aber, daß es eine andere war. Sie mochte fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein, hatte flatternde Ärmel und lose geschlungenes Haar nach der Art der Unvermählten und war zart und lieblich; sie ging mit schwanken Schritten, fast schwebend, vor sich hin. Sang war erstaunt und dachte, sie sei eine Füchsin; aber sie sagte: »Mein Name ist Li, und ich gehöre einer angesehenen Familie an. Da ich von Ihren schönen Gaben gehört habe, hoffe ich, daß Sie mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft gewähren werden.« Sang lachte und nahm sie bei der Hand, die kalt wie Eis war; als er sie fragte, warum dies sei, sagte sie: »Ich bin von je sehr zart und habe durch Frost und Wind gehen müssen, um zu Ihnen zu kommen. Es ist nur natürlich, daß meine Hand kalt ist.« Dann entkleidete sie sich, und er sah, daß sie eine Jungfrau war. Sie sagte: »Ich will heute aus Liebe zu Ihnen meine Unberührtheit opfern. Wenn Sie mich nicht geringschätzen, werde ich gern Ihren Kissen und Matten dienen.« Später sagte sie: »Kommt sonst jemand zu Ihnen?« Er antwortete: »Nein, nur eine junge Dirne aus der Nachbarschaft, auch sie aber nicht oft.« »Wenn sie kommt, werde ich gehen« erwiderte das Mädchen. »Ich will ihr ausweichen, denn ich kann mich mit solchen nicht vergleichen lassen, und kann nur eintreten, wenn sie nicht da ist.« Beim Hahnenkrähen ging sie, gab ihm aber vorher noch einen gestickten Schuh und sagte: »Es ist einer, den ich getragen habe, und so oft du ihn schüttelst, werde ich wissen, daß du mich zu sehen begehrst. Tue es aber nie in der Gegenwart von Fremden.« Nun hielt er einen winzigen Schuh, so spitz fast wie eine Ahle, in der Hand, und vergnügte sich daran. Am nächsten Abend, als niemand zugegen war, zog er ihn hervor und schüttelte ihn, worauf sogleich das Mädchen herangeschwebt kam. Seither erfüllte sie, so oft er den Schuh in die Hand nahm, seinen Wunsch und stand vor ihm. Das schien ihm so sonderbar, daß er sie zuletzt bat, es ihm zu erklären; aber sie lachte nur und sagte, es sei ein bloßer Zufall. Eines Abends nach diesem kam Lien-hsiang zu ihm und fragte sogleich beim Eintreten erschrocken: »Was ist es, das dich so kränklich aussehen *

Dirnenhaus.

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macht?« Sang erwiderte, er wisse es nicht. Nach einiger Zeit nahm sie Abschied und sagte, sie würden einander erst nach zehn Tagen wiedersehen. Während dieser Zeit besuchte Fräulein Li Sang täglich, und bei einem Anlaß fragte sie ihn, wo seine andere Freundin sei. Sang sagte es ihr; da lachte sie und sprach: »Welches ist deine Meinung von mir, wenn du mich mit Lien-hsiang vergleichst?« »Ihr seid beide unvergleichlich schön,« erwiderte er, »aber du bist um ein weniges die kältere von beiden.« Fräulein Li schien dies nicht gern zu hören und rief: »Daß wir beide unvergleichlich seien, das sagst du nur mir. Da muß sie ja die Mondgöttin selbst sein, und ich kann mich mit ihr nicht messen.« Sie sah betrübt aus, berechnete, daß Lien-hsiangs zehn Tage zu Ende waren, und sagte, sie wollte sie zu sehen bekommen, aber Sang müsse versprechen, es vor jener geheim zu halten. Am nächsten Abend kam Lien-hsiang. Als sie und Sang sich zu Bette begeben hatten, rief sie plötzlich: »Wehe! Nur zehn Tage sind vergangen und es geht dir soviel schlimmer. Ist dir etwas Böses begegnet?« Sang fragte, woraus sie das entnehme. Sie antwortete: »Aus deinem Aussehen; und überdies ist dein Puls verstört. Du hast die Geisterkrankheit bekommen.« Als am nächsten Abend Li kam, fragte Sang sie, was sie von Lien-hsiang denke. »Oh,« sagte sie, »ihre Schönheit ist über allen Worten; ich wußte bisher nicht, daß es so große Schönheit gibt; aber sie ist eine Füchsin. Als sie fortging, folgte ich ihr bis zu ihrem Bau am Hügelabhang.« Sang schrieb diese Rede der Eifersucht zu und achtete nicht darauf; als aber am darauffolgenden Abend Lien-hsiang zu ihm kam, sprach er: »Ich selbst glaube es nicht, aber jemand hat mir gesagt, du seist eine Füchsin.« Lienhsiang fragte, wer das gesagt habe, worauf Sang erwiderte, er habe nur gescherzt. »Was ist denn für ein Unterschied,« sagte sie, »zwischen einem Fuchs und einem Menschen?« »Füchse«, meinte Sang, »bringen über Menschen, die sie verzaubern, Unheil und Tod und werden daher sehr gefürchtet.« »Nein« sagte sie. »In deinem Alter erlangt man drei Tage, nachdem man bei einer Füchsin lag, seine Kraft wieder. Treibt man aber das Liebesspiel täglich, dann mag manch ein Menschenweib wohl schlimmern Schaden tun. Die böseste Gefahr kommt von den abgeschiedenen Geistern. Es muß mich jemand verleumdet haben.« Sang bestritt es zuerst, aber allmählich gab er ihrem Drängen nach und erzählte ihr alles. »Ich hatte mich ja schon darüber gewundert, daß du so schwach geworden bist«, sagte Lien-hsiang; »aber wie ist es so weit gekommen? Sie ist gewiß kein menschliches Wesen, da sie in dir eine so schnelle Verwandlung hervorruft. Sage nichts; morgen will ich sie beobachten, wie sie mich beobachtet hat.« Am nächsten Abend kam Li; aber kaum hatten sie etliche Worte getauscht, als hinterm Fenster ein Husten sich vernehmen ließ, und sie lief

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hinaus. Lien-hsiang trat nun ein und sagte zu Sang: »Wehe dir, sie ist ein Geist, und wenn du dich um ihrer Schönheit willen nicht von ihr trennen kannst, ist dein Weg zum Tode nicht lang.« »Es ist nur Eifersucht«, dachte Sang und schwieg, aber Lien-hsiang fuhr fort: »Ich weiß, daß du sie nicht aufgeben kannst; aber ich kann nicht zusehen, wie du hingeopfert wirst, und morgen will ich dir eine Arzenei bringen, um das Gift aus deinem Körper zu vertreiben. Glücklicherweise hat dich das Übel noch nicht ganz erfaßt, und in zehn Tagen wirst du dich wieder wohl befinden. Ich will die Zeit über bei dir sein, bis du wieder gesund bist.« Am nächsten Abend machte sie eine Arzenei zurecht und gab sie ihm ein. Im selben Augenblick fühlte er sich gekräftigt. Wiewohl er ihr nun sehr dankbar war, wollte er doch nicht glauben, daß er die Geisterkrankheit hätte. Lien-hsiang blieb bei ihm, um ihn zu pflegen; wenn Sang sie aber liebkosen wollte, wehrte sie ihn ab. Nach einigen Tagen hatte sich seine Haut wieder mit Fleisch gefüllt, und Lien-hsiang verließ ihn, indem sie ihn warnte, er solle mit Fräulein Li nicht mehr zusammenkommen. Sang gab vor, er wolle ihren Rat befolgen, aber sobald sie hinausgegangen war, schloß er die Tür, machte die Lampe zurecht und nahm den Schuh in die Hand. Als er ihn schüttelte, erschien Li, die darüber ärgerlich zu sein schien, daß sie mehrere Tage von ihm ferngehalten worden war. Sang sagte: »Sie hat mich nur einige Nächte lang gepflegt, während ich krank war; sei nicht böse.« Li heiterte sich nun ein wenig auf; aber bald darauf sagte Sang zu ihr: »Ich liebe dich sehr, aber jemand sagte mir, du seist ein Geist.« Sie schwieg eine Weile und rief dann: »Das hat dir diese liederliche Füchsin vorgelogen. Wenn du sie nicht aufgibst, werde ich nicht mehr zu dir kommen.« Sie begann nun heftig zu schluchzen, und Sang hatte eine rechte Mühe, sie zu besänftigen. Am nächsten Abend kam Lien-hsiang. Sie wußte bald, daß Li bei ihm gewesen war, und fuhr Sang zornig an, indem sie sagte: »Willst du unbedingt sterben?« Sang fragte lachend: »Warum bist du so eifersüchtig?« Aber sie wurde nur noch wütender und erwiderte: »Als du dir die Krankheit eingepflanzt hattest und ich sie ausriß, wie hätte ich das tun können ohne eifersüchtig zu sein?« Sang sagte scherzend: »Und sie hat mir erzählt, die Krankheit sei aus dem Treiben einer Füchsin entstanden.« Sie seufzte und sprach: »Und das kannst du für die Wahrheit halten? Du siehst die Wirklichkeit deiner Verzauberung noch nicht. Wenn dir ein Unheil widerfährt, werde ich mich nicht vor dir lossprechen können, und wenn ich hundert Zungen hätte. Wir wollen daher voneinander scheiden. Nach hundert Tagen werde ich an deinem Sterbebette sein.« Sang konnte sie nicht bewegen zu bleiben, und sie ging. Von da an kam Li Tag um Tag zu ihm.

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Nach zwei Monaten begann Sang eine große Müdigkeit zu verspüren; erst versuchte er sie abschütteln, aber allmählich wurde er sehr mager und konnte nichts als etwas Reisschleim zu sich nehmen. Er dachte nun daran, in seine Heimat zurückzukehren, aber er konnte es nicht über sich bringen, Fräulein Li zu lassen, und nach wenigen Tagen war er so schwach, daß er nicht aufzustehen vermochte. Sein Nachbar, der sah, wie schlecht es ihm ging, sandte ihm täglich durch seinen Burschen Essen und Trinken. Um diese Zeit begann Sang zum erstenmal Zweifel an Fräulein Li zu hegen, und einmal sagte er zu ihr: »Ich bereue, daß ich auf Lien-hsiang nicht gehört habe, ehe ich so elend wurde.« Darauf schloß er die Augen und hielt sie eine gute Weile geschlossen. Als er sie wieder auftat und sich umsah, war Li verschwunden. Ihr Verkehr war nun zu Ende und Sang lag allein mit seinem Leiden auf dem Bette und sehnte sich nach Lien-hsiang. Als er eines Tages so an sie dachte, schob jemand den Vorhang zur Seite und ging auf Sang zu. Es war Lien-hsiang. Sie trat ans Bett und sagte mit einem Lächeln: »Habe ich mich geirrt, mein Freund?« Sang konnte eine Zeitlang nicht sprechen, dann bekannte er sein Unrecht und bat sie, ihn zu retten. »Wenn die Krankheit diese Höhe erreicht hat,« antwortete sie, »ist kaum noch eine Hilfe zu finden. Ich kam nur, dir Lebewohl zu sagen und das Mißtrauen gegen mich von dir zu nehmen.« Sang sagte traurig: »Unter meinem Kopfkissen liegt etwas; nimm es und vernichte es.« Sie zog den Schuh hervor und betrachtete ihn im Licht der Lampe, indem sie ihn hin und her wendete. Sogleich kam Fräulein Li herein. Als sie Lien-hsiang erblickte, wollte sie entfliehen, aber die andere versperrte ihr den Weg zur Tür. Sang begann Li Vorwürfe zu machen, die sie jedoch nicht beantwortete. Dann sagte Lien-hsiang lächelnd: »Endlich begegnen wir einander. Ehedem nannten Sie mich die Ursache der Krankheit dieses Herrn. Was haben Sie heute zu sagen?« Li beugte den Kopf wie zum Zeichen einer Schuld, und Lien-hsiang sprach weiter: »Sie sind so herrlich schön und konnten doch ihre Liebe zum Verderben machen!« Da warf sich Li weinend zu Boden und bat um Erbarmen. Lien-hsiang hob sie auf und fragte nach ihrem vergangenem Leben. Sie sagte: »Ich bin die Tochter eines Unterpräfekten namens Li. Ich starb jung und wurde an der Mauer dieses Hauses begraben. Das Gespinst meines Schicksals war unvollendet geblieben wie das eines Seidenwurms, der im Frühling stirbt. Daraus kam mein Wunsch, die Gesellin dieses Herrn zu werden. Aber ihm den Tod zu geben hatte ich nicht im Sinn!« Lien-hsiang sagte: »Ich habe gehört, Geister töteten Menschen, weil ihre Opfer nach dem Tode für immer bei ihnen bleiben. Ist es so?« »Es ist nicht so«, antwortete Li. »Das Beisammensein zweier Geister kann keinem von beiden Lust gewähren. Wäre es anders,

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hätte es mir im unteren Reiche nicht an jungen Leuten gefehlt.« »Das muß freilich schlimm sein!« sagte Lien-hsiang. »Ist es schon schwer zu ertragen, allnächtlich einem Menschen anzugehören, wieviel mehr erst einem Geist!« Li sagte: »Aber auch Füchse bringen ja den Menschen den Tod. Worin besteht Ihre Kunst, es nicht zu tun?« »Es gibt freilich Füchse,« sagte Lien-hsiang, »die Kraft aus den Menschen saugen. Ich bin aber nicht von dieser Art. Es gibt Füchse, die kein Verderben in sich tragen; Geister aber, die es nicht täten, gibt es nicht, weil das dunkle Weltelement* in ihrer Beschaffenheit vorherrscht.« Sang wußte nun, daß die Mädchen in der Tat ein Fuchs und ein Geist waren; da er jedoch seit langer Zeit ihnen innig zugesellt war, wandelte ihn keine Furcht an. Plötzlich aber wurde er inne, daß sein Atem dünn geworden war wie ein Seidenfaden, und er stöhnte auf. Lien-hsiang sah vor sich hin und sagte: »Wie wollen wir ihn heilen?« Darauf errötete Li über und über und trat zurück. Lien-hsiang sprach weiter: »Ich fürchte, Sie werden, wenn er genesen ist, wieder in wilde Eifersucht verfallen.« Li trat vor und sagte: »Wenn ein Arzt gefunden wird, der mein Verderben von diesem Herrn weghebt, will ich meinen Kopf in der Erde begraben; denn wie könnte ich der Welt ins Angesicht schauen?« Lien-hsiang öffnete nun eine Tasche, zog einige Arzenei hervor und sagte: »Ich habe diesem Tage vorgesorgt. Als ich diesen Herrn verließ, ging ich daran, meine Heilkräuter in den Bergen zu sammeln, und drei Monate erfordert die Bereitung. Diese Arzenei kann einen noch von der Schwelle des Todes heimrufen. Doch ist dies die Bedingung ihres Wirkens, daß ihr etwas von dem beigetan werde, der das Leiden geweckt hat. Das ist nun an Ihnen.« Li fragte sie, was sie denn hergeben solle, und Lien-hsiang antwortete: »Einen Tropfen Ihres Speichels müssen Sie, wenn Herr Sang die Pillen in seinem Munde hat, ihm mit Ihren Lippen darreichen.« Lis Wangen färbten sich mit tiefem Rot, sie neigte den Kopf, sah erst zur Seite, dann auf ihre Schuhe. Lien-hsiang sagte: »Ihre Gedanken haften wohl an Ihren Schuhen?« Lis Scham wurde noch größer, und sie wußte nicht, was sie beginnen sollte. »Das ist doch eine Kunst, die Sie oft geübt haben«, sagte jene wieder, »warum sie jetzt versagen?« Endlich fügte sich Li widerstrebend in ihren Willen und tat mal um mal, was ihr befohlen war. Als Sang die Pillen geschluckt hatte, entstand ein Gewitter in seinem Leibe, und als Lien-hsiang nun auch ihren Mund an seinen legte und ihm ihren Atem einflößte, fühlte er es in sich wie eine Feuersbrunst. Dann aber fand er sich mit einem Male gestärkt und voll neuen *

Die Welt ist nach der Auffassung der chinesischen Kosmologie aus dem Zusammenwirken zweier Elemente hervorgegangen, des Yin und des Yang, das ist des dunklen und des hellen, des weiblichen und des männlichen Prinzips. In dem natürlichen Menschen sind beide harmonisch verbunden.

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Lebens, und Lien-hsiang rief: »Er ist geheilt.« In diesem Augenblicke krähte der Hahn, und Li verschwand. Lien-hsiang blieb bei dem Genesenden, um ihn zu pflegen. Sie schloß die Außentür, um dem Hause den Anschein zu geben, als sei Sang in seine Heimat abgereist, und so allen Besuchen vorzubeugen. Tag und Nacht war sie um Sang bemüht. An jedem Abend kam Fräulein Li ihr Beistand leisten. Sie begegnete Lien-hsiang wie einer älteren Schwester und wurde von ihr mit vieler Liebe behandelt. Nach drei Monaten war Sang so kräftig und wohlauf wie je zuvor. Fräulein Li kam nun öfters mehrere Abende über nicht zu ihm, und wenn sie kam, ging sie nach wenigen Augenblikken wieder. Wenn man zu ihr redete, fühlte man, daß etwas sie im Geiste bedrückte. Lien-hsiang lud sie einigemal ein, über Nacht bei ihnen zu bleiben, aber sie lehnte es stets mit Entschiedenheit ab. Eines Abende lief ihr Sang nach und trug sie auf seinen Armen ins Zimmer zurück, da war sie nicht schwerer als ein Strohwisch. Sie konnte nicht mehr entfliehen und mußte die Nacht über bei ihnen bleiben, aber sie wollte sich nicht entkleiden. Sie kauerte sich zusammen, bis sie nicht größer als zwei Fuß schien. Lien-hsiang erbarmte es ihrer und sie veranlaßte Sang heimlich, Li zu umarmen und zu rütteln, aber er konnte sie nicht wecken, und bald schlief er selbst. Als er erwachte, war sie verschwunden. Als eine Reihe von Tagen verging, ohne daß sie sich sehen ließ, dachte Sang inbrünstig an sie. Oft holte er den Schuh hervor und schüttelte ihn. Lien-hsiang sagte: »Es ist mir nicht verwunderlich, daß du als Mann sie vermissest, da selbst meine Gedanken ihr zärtlich zugewandt sind.« »Wenn ich früher«, entgegnete Sang, »den Schuh schüttelte, kam sie zu mir. Es erschien mir seltsam, aber ich meinte nicht, daß sie ein Geist sei. Und nun sitze ich mit diesem Schuh in der Hand und kann nichts tun als an sie denken und um sie trauern.« Und er weinte. Zu jener Zeit war die Tochter der wohlhabenden Familie Tschang, namens Yen-erh, im Alter von fünfzehn Jahren plötzlich ohne eine sichtbare Ursache gestorben. In der Nacht kam sie aber wieder ins Leben, stand auf und wollte hinausgehen. Man schloß die Tür und wollte es ihr nicht erlauben. Da sagte sie: »Ich bin der Geist der Tochter eines Unterpräfekten. Herr Sang war mir zugetan, und ich habe meinen Schuh bei ihm gelassen. Ich bin in Wirklichkeit ein Geist; was frommt es, mich zurückzuhalten?« Da ihre Worte auf Wahrheit begründet zu sein schienen, fragte man, warum sie gekommen sei, aber sie blickte nur auf und nieder und konnte keine Erklärung geben. Jemand sagte nun, Herr Sang sei in seine Heimat zurückgekehrt, aber das Mädchen weigerte sich, es zu glauben. Die Leute ringsum waren durch dieses Ereignis in Staunen versetzt. Als Sangs Nachbar es erfuhr, stieg er über die Mauer und sah Sang in vertrau-

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tem Zwiegespräch mit einem schönen Mädchen. Er schlich sich leise herbei, aber als er eintrat, war die Besucherin verschwunden. Er fragte, was dies bedeute, und Sang antwortete lachend: »Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß ich, wenn irgendeine Dame an meine Tür kommt, sie bitten würde einzutreten.« Der Nachbar erzählte ihm nun, was Fräulein Yen-erh gesagt hatte. Sang begehrte hinzugehen und sie zu sehen, wußte aber nicht, wie er es anstellen sollte. Indessen erfuhr Frau Tschang, daß er nicht abgereist war, und sandte eine alte Dienerin um den Schuh, den er sogleich hergab. Fräulein Yenerh war sehr erfreut, ihn wiederzuhaben; als sie ihn aber anzuziehen versuchte, war er um einen Zoll zu klein für ihren Fuß. Befremdet griff sie nach einem Spiegel und besah sich darin; und da erst wurde es ihr plötzlich offenbar, daß sie in einer Andern Körper zum Leben wiedergekehrt war. Sie erzählte nun alles ihrer Mutter und es gelang ihr endlich, sie zu überzeugen. Dabei weinte sie aber immerzu, sah in den Spiegel, weinte wieder und sagte endlich: »Ich bin so häßlich geworden! Als ich einst Lien-hsiang sah, war ich nicht mehr zufrieden mit mir. Jetzt aber möchte ich lieber wieder ein Geist sein als solch ein Mensch!« Sie saß nun und weinte über dem Schuh und wollte sich nicht trösten lassen. Zuletzt legte sie sich hin, deckte sich zu und lag seither starr und steif, ohne irgendeine Speise anzunehmen. Ihr Körper schwoll an, und sieben Tage lag sie ohne Nahrung, aber in ungemindertem Leben. Dann nahm die Schwellung ab, und ein starker Hunger kam über sie, daß sie sogleich essen mußte. Hierauf spürte sie einen scharfen Reiz am ganzen Leibe, und ihre Haut schälte sich ab. Als sie am Morgen aufstehen wollte, sah sie, daß ihr die Schuhe von den Füßen fielen. Sie wollte sie wieder anziehen und merkte, daß sie ihr viel zu groß geworden waren. Sie holte nun den alten Schuh hervor, und der paßte ihr genau. Entzückt nahm sie den Spiegel in die Hand und sah, daß sie an Brauen, Augen, Wangen wieder wie einst war. So wusch sie sich, kleidete sich an und suchte die Mutter auf. Alle, die ihr begegneten, waren tief betroffen. Als Lien-hsiang von der seltsamen Begebenheit hörte, redete sie Sang zu, eine Heiratsvermittlerin hinzuschicken und sich Yen-erh zur Frau zu erbitten. Aber da sie reich und er arm war, wagte er es nicht zu tun. An Frau Tschangs Geburtstag jedoch ging Sang mit den andern, ihr seinen Glückwunsch darzubringen. Als der alten Dame sein Kommen angekündigt wurde, hieß sie Yen-erh hinter dem Vorhang hervorlugen. Sang kam als Letzter. Sogleich stürzte Yen-erh heraus, erfaßte ihn beim Ärmel und sagte, sie wolle mit ihm gehen. Die Mutter schalt sie aus und sie lief beschämt zurück; Sang aber, der sie mit vertrautem Blick angesehen hatte, brach in Tränen aus und warf sich zu Frau Tschangs Füßen, die ihn auf-

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hob, ohne ihm etwas Unliebes zu sagen. Sang kehrte nun heim und erbat von seinem Onkel, daß er die Vermittlung übernehme. Das Ergebnis der Verhandlungen war, daß ein glücklicher Tag für die Hochzeit bestimmt wurde. Sang kam nach Hause und erzählte es Lien-hsiang. Sie wurde traurig und wollte von ihm Abschied nehmen. Sang war davon so bewegt, daß er zu weinen begann. Lien-hsiang sagte: »Du feierst Hochzeit in einer fremden Familie. Wenn ich mit dir ginge, was für ein Gesicht könnte ich den Leuten zeigen?« Sang schlug ihr vor, er wolle sie erst in seine Heimat bringen und dann Yen-erh abholen. Sie erklärte sich einverstanden. Sang erzählte es nun der Familie Tschang, die zu verstehen meinte, er habe bereits eine Frau, und ihm zornige Vorwürfe machte. Yen-erh erklärte es ihnen aber, und sie gewährten ihm die Bitte. Zur angesetzten Zeit ging Sang die Braut abholen. Als er wiederkehrte, sah er, daß die ärmliche Ausstattung seines Hauses verschwunden war, prächtige Teppiche deckten von der Haustür an den Boden, und Tausende farbiger Laternen hingen umher. Lien-hsiang führte die Braut hinein, nahm ihr den Schleier ab und sah, daß sie dasselbe helle Mädchengesicht wie einst hatte. Sie leistete den Vermählten Gesellschaft beim Hochzeitstrank; dann fragte sie die Freundin, wie es ihr auf der Wanderung ergangen sei. Yen-erh erzählte: »Vom Gram überwältigt begann ich mich vor mir selbst wie vor einem unreinen Ding zu ekeln; und als ich euch an jenem Tage, da wir uns zum letztenmal sahen, verlassen hatte, wollte ich nicht wie sonst in mein Grab zurückkehren. So schweifte ich umher, und wo ich ein Lebendiges sah, beneidete ich es. Untertags hockte ich unter Bäumen oder im Gebüsch, und in der Nacht wanderte ich dahin und dorthin. So kam ich in das Haus der Familie Tschang und sah ein totes Mädchen auf dem Bette liegen. Da bemächtigte ich mich ihrer Leibes, und wie ich zum Leben erwacht bin, weiß ich nicht.« Als Lien-hsiang dies hörte, verfiel sie in ein tiefes Sinnen. Etliche Wochen danach gebar sie einen Sohn. Nach einiger Zeit erkrankte sie, wurde schwächer und schwächer. Einmal ergriff sie Yen-erhs Arm und sagte: »Ich möchte mein Kind in deiner Pflege lassen. Es ist, als wäre es das deine.« Yen-erh weinte, tröstete sie und wollte Zauberer und Ärzte rufen, aber Lien-hsiang ließ es nicht zu. Zuletzt wurde ihre Krankheit so schwer, daß ihr Atem wie ein Faden war, und Sang und Yen-erh standen weinend an ihrem Bett. Da öffnete sie noch einmal die Augen und sprach: »Ihr freut euch an eurem Leben; ich freue mich an meinem Sterben. Wenn das Schicksal es will, werden wir nach zehn oder mehr Jahren einander wieder begegnen.« In diesen Worten ging ihr Geist hinweg, und auf dem Bett lag die Leiche eines Fuchses. Sang ließ sie mit aller Ehre, die einem toten Menschen erwiesen werden kann, begraben.

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Lien-hsiangs Kind wurde Fuchssohn genannt. Yen-erh pflegte es wie ein eigenes, und jedes Jahr gingen sie mit ihm auf das Grab der Mutter und trauerten um sie. Nach einigen Jahren erwarb Sang den Grad eines Kü-jen und wurde reicher. Yen-erh klagte oft darüber, daß sie keine Kinder hatte. Der Fuchssohn war klug, aber schwach und kränklich. Yen-erh redete Sang oft zu, eine Nebenfrau zu nehmen, aber er wollte nicht darauf hören. So vergingen die Jahre. Eines Tages kam eine Dienerin herein und sagte: »Es ist eine alte Frau draußen; sie hat ein Mädchen bei sich, das sie verkaufen will.« Yen-erh hieß sie hereinführen; aber sowie sie das Mädchen erblickte, rief sie überrascht: »Bist du es, Schwester Lien-hsiang?« Nun kam Sang herbei, und auch ihn machte es erstaunen, wie sehr das Mädchen seiner toten Freundin glich. Dessen Alter gab die Frau mit vierzehn Jahren an; und auf die Frage nach dem Preise antwortete sie, sie habe nur dieses eine Kind, wenn das Mädchen nur versorgt werde, brauche sie nicht mehr als eine Brotstätte, um nicht auf der Straße zu sterben. Sang gab ihr ein ansehnliches Kaufgeld und hieß sie bleiben. Dann nahm Yen-erh das Mädchen bei der Hand und führte es in ein abgesondertes Zimmer. Dort faßte sie sie unters Kinn und fragte lächelnd: »Kennst du mich?« »Nein«, sagte das Mädchen. Auf weitere Fragen erzählte sie: »Ich heiße Weï. Mein Vater war ein Safthändler in Hsü-tscheng. Er ist vor drei Jahren gestorben.« Yen-erh zählte nun an den Fingern ab, daß seit dem Tode Lien-hsiangs gerade vierzehn Jahre verstrichen waren; dann betrachtete sie wieder das Mädchen und sah, daß es in jedem Zuge und in jeder Bewegung der Freundin glich. Sie strich ihr übers Haar und sagte: »Meine Schwester, du hast versprochen, daß wir einander wieder begegnen würden, und hast dein Versprechen gehalten.« Da war es, als erwache das Mädchen aus einem Traum. Es schrie auf und sah Yen-erh mit einem vertrauten Blicke an. Sang rief lächelnd: »Es ist, wie wenn die alte Hausschwalbe wiederkehrt.« »Nun verstehe ich alles«, sagte das Mädchen. »Ich erinnere mich, von meiner Mutter gehört zu haben, daß ich sogleich nach meiner Geburt sprechen konnte und daß man, weil man dies für ein Unheil hielt, mir Hundeblut zu trinken gab, bis ich alles, was sich in meinem ersten Leben ereignet hatte, vergaß. Heute endlich löst sich die Betäubung wieder. Bist du nicht jenes Fräulein Li, das sich schämte, weil sie ein Geist war?« Nun redeten sie von ihrem früheren Leben und weinten und lachten. Als im Frühling wieder das Totenfest kam, sagte Yen-erh zur Freundin: »Das ist der Tag, an dem ich und mein Mann jedes Jahr meine Schwester beweinten.« So gingen sie mitsammen an das Grab. Das hohe Gras wucherte darüber, und die Bäume standen ringsum im ersten Laub. Das

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Mädchen atmete tief auf. Yen-erh sagte zu Sang: »Lien-hsiang und ich waren in zwei Zeiten des Lebens einander zugetan. Wir wollen auch im Tode nicht getrennt sein, und meine weißen Knochen sollen bei den ihren begraben sein.« Sang stimmte dem zu, sie ließen das Gebein aus Fräulein Lis Grab bringen und es bei dem von Lien-hsiang begraben. Die Freunde und Verwandten versammelten sich, in Festkleider angetan, um das Grab, und viele Hunderte von Menschen, die diese seltsame Geschichte gehört hatten, gesellten sich zu ihnen. – Als ich nach dem Süden reiste, kam ich durch den Bezirk I-tschau und mußte des Regens wegen in einem Gasthof verweilen. Da gab mir ein Herr Liu Tse-tsching eine Lebensbeschreibung seines Vetters, des Herrn Sang, zu lesen, die von dessen Studiengenossen Wang Tse-tschang verfaßt war und wohl zehntausend Wörter enthielt. Dies hier ist nur ein Auszug daraus.

Die Wege des Liebenden In der Provinz Kuang-si lebte ein junger Gelehrter von Ruf, namens Ssen Tse-tschu. Er war mit sechs Fingern geboren und von so einfältiger Art, daß er alles glaubte, was man ihm vormachte. Wenn er, zu einem Gastmahl geladen war und die Sängerinnen in den Saal traten, ergriff er die Flucht. Jemand, der davon wußte, lockte ihn in sein Haus und forderte eine Kurtisane auf, ihm zuzusetzen; da errötete er bis in den Nacken und der Schweiß fiel in Tropfen wie Perlen von ihm. Seine Gefährten lachten ihn herzhaft aus und erzählten hinfort so oft, wie tölpelhaft er damals ausgesehen hatte, daß er nur noch »der närrische Ssen« genannt wurde. In derselben Stadt wohnte ein Großkaufmann, dessen Reichtum dem eines Fürsten glich und der mit den vornehmsten Familien verschwägert war. Er hatte eine Tochter von unvergleichlicher Schönheit, namens A-pao. Sie war noch unvermählt und die jungen Leute von Rang wetteiferten miteinander, sie zur Frau zu gewinnen, aber keiner fand die Zustimmung des Vaters. Ssen hatte seine Braut durch den Tod verloren; jemand sagte ihm scherzend, er solle doch um A-pao werben. Ssen, der keine rechte Vorstellung von sich selber hatte, folgte dem Rat; aber der Vater, wiewohl er wußte, daß er ein bedeutender Gelehrter war, wies die Werbung seiner Armut wegen ab. Als die Heiratsvermittlerin das Haus verließ, begegnete sie A-pao und berichtete ihr auf ihre Frage den Grund des Besuches. »Sagen Sie ihm«, rief A-pao lachend, »wenn er sich den sechsten Finger abschneidet, würde ich ihm angehören.« Die Alte erzählte dies Ssen, aber der sagte nur: »Das ist nicht allzu schwer.« Als sie fort war,

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nahm er ein Hackmesser und hieb den Finger ab. Der Schmerz drang ihm ins Mark und das Blut entströmte der Wunde in solcher Menge, daß er dem Tode nahe war und es mehrere Tage währte, bis er sich erholte. Kaum konnte er gehen, suchte er die Vermittlerin auf, zeigte ihr seine Hand und ersuchte sie, es A-pao zu melden. Diese war sehr betroffen, ließ ihm aber durch die Alte sagen, er solle nun auch noch den Vorwurf der Narrheit von seinem Rufe abtrennen. Ssen war aufgebracht, als er dies erfuhr, und leugnete, närrisch zu sein; da er aber nicht daran denken konnte, das Mädchen aufzusuchen und es ihr zu beweisen, sagte er sich, ihre Schönheit würde denn doch nicht wie die der Himmlischen sein und sie gebärde sich allzu hochmütig, und so erkaltete sein Verlangen, sie zu gewinnen. Als das Frühlingsfest kam, an dem Männer und Frauen zu lustwandeln pflegten und die jungen Leute den Mädchen folgten und Bemerkungen über sie machten, forderten Ssens Freunde ihn auf, mit ihnen zu kommen, und einer von ihnen fragte ihn lächelnd, ob er nicht nach einer passenden Gefährtin ausschauen wolle. Ssen wußte, daß sie sich über ihn lustig machten, aber er dachte, er würde doch gern das Mädchen sehen, das ihn so zum Narren gehalten hatte, und gesellte sich zu ihnen. Bald erblickten sie eine junge Dame, die unter einem Baume Rast hielt und von einer Schar von jungen Leuten umgeben war, und sie sagten schon aus der Ferne, das müsse A-pao sein. Sie gingen heran und sahen, daß sie es war. Ihrer Schönheit konnte keine andere verglichen werden. Der Kreis ihrer Bewunderer wuchs noch immer; endlich erhob sie sich um zu gehen. Unter den jungen Leuten entstand ein Durcheinander; einige priesen ihr Gesicht, andere ihre Füße, und alle waren wie wahnsinnig. Nur Ssen schwieg und stand starr an einem Fleck; als die Freunde zu ihm sprachen, gab er keine Antwort. Sie zogen ihn am Arm und riefen: »Ist dein Geist mit A-pao davongegangen?« Auch darauf erwiderte er nicht; aber sie machten sich keine Gedanken darüber, da sie seine sonderbaren Gewohnheiten kannten und brachten ihn mit Zerren und Stoßen nach Hause. Da warf er sich aufs Bett und stand den Rest des Tages über nicht auf, sondern lag bewußtlos wie ein Betrunkener und erwachte nicht, wenn man ihn anrief. Da seine Familie vermutete, daß sein Geist entflohen sei, gingen sie auf die Felder und riefen ihm zu, zurückzukehren; aber das Rufen hatte keinen Erfolg. Wenn sie ihn schüttelten und ihn fragten, was geschehen sei, antwortete er mit schläfriger Stimme: »Ich bin bei A-pao.« Auf weitere Fragen gab er keine Antwort und ließ die Seinen in einem Zustand der Bestürzung und des Zweifels zurück. Es war aber so, daß Ssen, als das Mädchen aufgestanden war, um heimzukehren, es nicht ertragen konnte, von ihr zu scheiden. Plötzlich fühlte

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er, daß er ihr erst folgte, dann an ihrer Seite schritt, ohne daß jemand ihn deswegen angefahren hätte. So begleitete er sie in ihr Haus und war fortan unablässig bei ihr, im Sitzen und im Schlafen. In der Nacht legte er sich zu ihr und sie war sein eigen, und er genoß sein großes Glück. Doch geschah es zuweilen, daß er Hunger verspürte und nach Hause gehen wollte; aber er wußte den Weg nicht mehr. Indessen träumte A-pao allnächtlich, sie liege bei einem Manne. Sie fragte nach seinem Namen, und er sagte ihr, er sei Ssen Tse-tschu. Sie war erstaunt, aber sie konnte den andern nicht sagen, was ihr geschah. Es waren nun schon drei Tage, daß Ssens Körper auf seinem Bette lag, und sein Atem wollte schwinden. Seine Familie sandte nun zu dem Großkaufmann und bat ihn, er möge gestatten, daß man in sein Haus komme, um Ssens Geist zurückzurufen. Der Kaufmann lachte und sagte: »Er pflegte doch nicht herzukommen; wie sollte er da seinen Geist hier gelassen haben?« Er gab jedoch den Bitten nach, und sogleich kam ein Zauberpriester in sein Haus, der eines von Ssens alten Kleidern sowie Strohmatten bei sich trug. Als A-pao erfuhr, mit welcher Absicht er gekommen war, war sie bewegt, führte ihn sogleich in ihr Zimmer und hieß ihn die Seele rufen. Er tat es und kehrte nach Ssens Hause zurück. In dem Augenblick, als er in die Tür trat, erwachte Ssen plötzlich mit einem Erschauern. Er dachte an A-pao und wußte alle Möbel und Geräte in ihrem Zimmer zu beschreiben. Als man A-pao davon erzählte, mußte sie um der Tiefe seiner Liebe willen freundlich an ihn denken. Ssen aber, der sich nun bald erholte, saß fortan oft abgelöst da, als hätte er sich selber vergessen, und sann unaufhörlich darauf, A-pao wiederzusehen. Einmal hörte er, daß sie beabsichtige, am achten Tage des vierten Monats, dem Tage des Buddha-Waschens, zur Anbetung in den Tempel von Schuiyüen zu gehen; er stand am frühen Morgen auf und erwartete sie an der Straße. Er war schon fast blind vor Anspannung der Augen und die Sonne hatte den Mittag überschritten, als die junge Dame ankam. Als sie von ihrem Wagen aus Ssen bemerkte, zog sie den Vorhang beiseite und sah ihn unverwandt an. Ssen trat erregt näher, worauf sie eine ihrer Dienerinnen zu ihm gehen und ihn nach seinem Namen fragen hieß. Ssen sagte ihn, indes seine Seele immer tiefer erschüttert wurde; und als der Wagen weiterfuhr, kehrte er nach Hause zurück. Wieder wurde er sehr krank und lag bewußtlos auf seinem Bette, ohne eine Speise zu sich zu nehmen. Immer wieder rief er A-pao beim Namen und klagte, daß sein Geist ihr nicht wie einstmals folgen könne. Es begab sich aber, daß ein Papagei, der lange im Besitze der Familie gewesen war, starb; ein Kind spielte mit seiner Leiche am Bette des Kran-

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ken. Ssen bedachte sich, wenn er ein Papagei wäre, brauchte er nur die Flügel zu schwingen, um zu A-pao zu kommen. Sobald er sich diesem Gedanken hingab, bewegte sich die Vogelleiche und der Papagei flog hinaus und flog geradenwegs in A-paos Zimmer. Sie freute sich darüber, nahm ihn in die Hand, fütterte ihn mit Hanfsamen und wollte ihm ein Kettchen um den Fuß binden. »Schwester,« rief da der Vogel, »kette mich nicht an! Ich bin Ssen Tse-tschu.« Bestürzt löste A-pao die Fessel, aber der Papagei flog nicht davon. »Ach!« sagte sie, »deine Liebe hat sich in mein Herz gegraben; aber nun bist du nicht mehr ein Mensch, wie könnten wir da je vereinigt werden?« »Wenn ich«, erwiderte der Papagei, »deinem duftenden Körper nahe sein darf, ist all mein Wünschen erfüllt.« Er weigerte sich, aus einer andern Hand als der ihren Futter anzunehmen. Wenn sie sich setzte, sprang er auf ihre Knie, und wenn sie sich legte, schlief er an ihrer Seite. A-pao liebte ihn sehr. Nach drei Tagen sandte sie heimlich eine Botin mit der Frage, wie es Herrn Ssen gehe; sie brachte ihr die Nachricht, Ssen liege starr und des Geistes beraubt, aber seine Brust sei über dem Herzen noch nicht kalt geworden. Da rief sie: »Wenn du wieder Mensch werden kannst, werde ich lieber sterben als dir nicht folgen.« Der Papagei sagte: »Du scherzest nur«, aber A-pao schwor es ihm zu. Er bog den Kopf zur Seite und dachte eine Weile nach. Indes zog A-pao ihre Schuhe aus und legte sie aufs Bett; der Papagei stürzte sich darauf, packte den einen und flog, ihn fest im Schnabel haltend, hinaus. Sie rief ihm nach, aber er war schon fern. Sie sandte nun eine Dienerin, um nach Herrn Ssens Ergehen zu fragen, und erfuhr von ihr, er sei im selben Augenblick zum Leben zurückgekehrt, als der Papagei mit einem gestickten Schuh ins Zimmer hereinflog und sodann tot zu Boden sank. Sobald er das Bewußtsein wiedererlangt hatte, hatte er nach dem Schuh gefragt, aber seine Familie hatte ihn nicht verstanden. In diesem Augenblick war die Dienerin eingetreten und hatte den Schuh verlangt. »Er ist mir von Fräulein A-pao als Pfand der Treue gegeben worden«, hatte Ssen geantwortet; »sage ihr, daß ich ihr Versprechen nicht vergessen habe.« A-pao war darüber sehr erstaunt und ließ die Dienerin die ganze Begebenheit der Mutter berichten. Als diese einige Nachforschungen angestellt hatte, sagte sie: »Ssen ist als ein Mann von Gaben bekannt, aber er ist in äußerster Armut, und solch ein Schwiegersohn würde das Gelächter unserer vornehmen Freunde herausfordern.« A-pao erklärte jedoch, daß der Schuh ein Beweis gegen sie sei und daß sie keinen andern als Ssen heiraten werde. Endlich gaben sich ihre Eltern zufrieden. Dies wurde sogleich Ssen hinterbracht, der nun bald wiederhergestellt war. A-paos Vater wollte, daß Ssen bei ihnen wohne, aber das Mädchen wandte ein: »Es ist nicht recht, wenn der Schwiegersohn lange im Hause

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des Schwiegervaters verweilt, und wenn er arm ist, erniedrigt er sich erst recht dadurch. Ich habe Ssen angenommen, und werde mit Freude in seinem dürftigen Hause leben und sein kärgliches Mahl ohne Klage teilen.« Die Heirat wurde nun gefeiert, und die beiden begegneten einander, als hätten sie in einem früheren Leben einander angehört und träfen nun wieder zusammen. A-paos Mitgift hob ihre Lage ein wenig und gewährte ihnen einiges Behagen; aber Ssen selbst hing nur seinen Büchern an und wußte nichts von Geschäften. Zum Glück war seine Frau wirtschaftlich veranlagt und brauchte ihn nicht mit den Angelegenheiten des Hauses zu behelligen. Nach drei Jahren waren sie recht wohlhabend. Da erkrankte Ssen plötzlich und starb. A-pao wollte sich nicht trösten lassen, schlief nicht, nahm keine Nahrung an und hörte auf keine Vorstellungen; in der Nacht erhängte sie sich. Ihre Dienerin hörte das Geräusch, lief hinein und schnitt sie noch rechtzeitig los; aber sie lehnte andauernd alle Speise ab. Drei Tage gingen so vorbei, und Ssens Freunde und Verwandte kamen, um dem Begräbnis beizuwohnen. Da hörte man es plötzlich im Sarge seufzen. Man öffnete ihn und sah, daß Ssen wiederaufgelebt war. Er erzählte ihnen nun, wie er vor dem Großen Richter gestanden hatte, der ihm zum Lohn für sein rechtschaffenes und ehrenhaftes Leben ein Amt in der Unterwelt übertrug. »In diesem Augenblick«, sagte Ssen, »meldete man, meine Frau würde auch bald kommen; aber der Richter stellte aus einem Verzeichnis fest, daß ihre Zeit noch nicht erfüllt sei. Sie sagten ihm, sie habe seit drei Tagen nicht gegessen. Da sah der Richter mich an und verkündete, zum Lohn für ihre Frauentugend werde mir gewährt, ins Leben zurückzukehren. Er befahl seinen Dienern, die Pferde zu rüsten und uns heimzubringen.«

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Yü-shung* wohnte in Hu-nan. Die Person, die mir seine Geschichte erzählte, erinnerte sich nicht, aus welcher Provinz und aus welchem Bezirk er gekommen war. Seine Familie war sehr arm. Als er einmal, nachdem er beim Examen durchgefallen war, auf dem Wege nach Hause war, hatte er gar kein Geld mehr und verspürte einen unerträglichen Hunger, schämte sich aber zu betteln. So ging er in den Tempel des Wu Wang**, um auszuruhen, und schüttete da all seinen Gram zu den Füßen des Gottes aus. * **

sh wie das französische j zu lesen. Wu Wang heißt der Schutzgott der Krähen.

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Nach dem Gebet legte er sich in der äußeren Halle nieder. Plötzlich faßte ihn ein Mann am Arme, brachte ihn vor das Antlitz Wu Wangs und sagte knieend: »Unter den Schwarzröcken ist ein Platz frei geworden; man könnte diesen Mann dafür verwenden.« Der König stimmte zu, und Yü erhielt ein schwarzes Gewand; als er es angetan hatte, war er in eine Krähe verwandelt und flog hinaus. Draußen sah er eine Schar von Mitkrähen versammelt und gesellte sich zu ihnen. Mit ihnen ließ er sich nun auf den Masten der Schiffe nieder und schnappte gleich ihnen die Fleischund Kuchenbrocken auf, die die Reisenden und Matrosen ihnen zuwarfen. Nach einer Weile war er nicht mehr hungrig; er erhob sich in die Luft und landete endlich im Wipfel eines Baumes, wo er mit Zufriedenheit seine geänderte Lage überdachte. So vergingen zwei oder drei Tage. Den König dauerte Yüs Einsamkeit, und er versah ihn mit einem Weibchen, das Tschu-tsching hieß. Sie liebten einander, und Tschu-tsching warnte ihn oft, sich auf der Nahrungssuche keinen Gefahren auszusetzen. Er achtete jedoch nicht auf ihre Worte, und eines Tages schoß ihm ein Soldat einen Pfeil durch die Brust; zum Glück entführte ihn Tschu-tsching in ihrem Schnabel, so daß er nicht gefangen genommen wurde. Die andern Krähen waren über die Tat des Soldaten so aufgebracht, daß sie mit ihren Flügeln das Wasser zu großen Wogen aufpeitschten und manches Boot zum Kentern brachten. Tschutsching versorgte ihren Gatten mit Speise; aber seine Verwundung war eine schwere. Am Ende des Tages war er tot, – und in demselben Augenblick fand er sich im Tempel liegend. Es war ihm, als erwache er aus einem Traume. Die Bewohner des Ortes hatten Yü in einem todähnlichen Zustand gefunden; da sie aber nicht wußten, was ihm zugestoßen sein mochte, und sahen, daß sein Körper nicht völlig erkaltet war, hatten sie jemanden hingesetzt, ihn zu bewachen. Sie erfuhren nun, was sich ereignet hatte, veranstalteten sogleich eine Sammlung für ihn und sandten ihn nach Hause. Drei Jahre danach kam er wieder, zum Examen reisend, an derselben Stelle vorbei und trat in den Tempel, um die Anbetung zu verrichten. Auch machte er eine Menge Futter zurecht und lud die Krähen ein, zu kommen und zu essen; dann betete er in seinem Herzen und sagte: »Wenn Tschu-tsching unter euch ist, laßt sie bleiben.« Als die Krähen das Futter verzehrt hatten, flogen sie alle davon, und Yü setzte seine Reise fort. Diesmal gelang es ihm, den Kü-jen-Grad zu erwerben. Auf der Heimfahrt besuchte er wieder Wu Wangs Tempel und opferte ein Schaf zum Mahl für die Krähen; und wieder betete er wie beim vorigen Aufenthalt. Die folgende Nacht brachte er am Ufer des Sees zu. Als die Kerzen entzündet waren und er sich niedergelassen hatte, war plötzlich ein Rau-

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schen wie von Vogelschwingen, und da stand ein schönes, etwa zwanzigjähriges Mädchen vor ihm. »Ist es dir wohl ergangen, seit wir getrennt sind?« fragte sie. Yü rief bestürzt: »Wer bist du?« »Entsinnst du dich Tschu-tschings nicht mehr?« sagte das Mädchen. Yü freute sich ihrer sehr und fragte, woher sie komme. »Ich bin jetzt«, antwortete Tschu-tsching, »eine Göttin des Han-Flusses und komme selten in meine alte Heimat. Aber die schwarzen Boten haben mir zweimal Kunde von deiner Liebe gebracht, und so bin ich gekommen, um dich noch einmal zu sehen.« Sie saßen nun beisammen und unterhielten sich wie Mann und Frau, die nach einer langen Trennung wieder vereinigt sind. Yü bat sie, mit ihm nach dem Süden zu kommen, aber Tschu-tsching sagte, sie müsse gen Westen; und sie konnten zu keinem Einvernehmen über diesen Gegenstand gelangen. Als Yü erwachte, sah er, daß Tschu-tsching schon aufgestanden war, und als er sich umsah, merkte er, daß er nicht mehr in seinem Boot, sondern in einem stattlichen Zimmer lag, in dem zwei hohe Kerzen mit heller Flamme brannten. Erstaunt fragte er, wo er sei. »In Han-jang«, antwortete Tschu-tsching; »mein Haus ist das deine, wozu brauchst du nach Süden zu ziehen?« Als es Tag wurde, kamen Dienerinnen mit Wein, den sie vor das Bett stellten, und Mann und Frau setzten sich zueinander und tranken einander zu. »Wo sind meine Diener?« fragte Yü. Als er hörte, sie seien noch auf dem Boot, sagte er, er befürchte, die Schiffsleute würden nicht warten mögen. »Bekümmere dich nicht darum«, erwiderte Tschutsching, »ich habe Geld genug und werde dir helfen, die Sache zu ordnen.« So blieb Yü im Hause, vergnügte sich mit ihr und vergaß die Heimkehr. Als die Bootleute erwachten und sich in Han-jang fanden, waren sie sehr erstaunt, und da sie sahen, daß die Diener keine Spur ihres verschwundenen Herrn finden konnten, wollten sie aufbrechen, um ihren Geschäften nachzugehen. Aber sie vermochten das Ankertau nicht zu lösen, wie sehr sie sich auch abmühten, und mußten mehr als zwei Monate in Han-jang bleiben. Am Ende dieser Zeit fiel es Yü ein, er müsse heimkehren, und er sagte zu Tschu-tsching: »Wenn ich länger hier verweile, werden meine Familienbande völlig zerrissen werden. Überdies wäre es, da wir ja Mann und Frau sind, nur billig, daß du meinem Hause einen Besuch abstattest.« »Das kann ich nicht tun«, antwortete Tschu-tsching, »und selbst wenn ich mit dir gehen könnte, so hast du doch bereits ein Eheweib, und wo würdest du da mich hintun? Es ist besser für mich, ich bleibe, wo ich bin, und du wirst hier eine zweite Familie haben.« Yü sagte, sie würden so fern voneinander wohnen, daß er nur selten würde kommen können. Da holte

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Tschu-tsching ein schwarzes Gewand heraus und sprach: »Hier ist dein altes Kleid. Wann immer du mich sehen willst, tu es an und komm. Nach deiner Ankunft werde ich es dir wieder ausziehen.« Sie bereitete nun ein Abschiedsfest für Yü, bei dem er sehr berauscht wurde; als er erwachte, war er wieder an Bord seines Schiffes und an dem alten Ankerplatz auf dem See. Die Bootleute und die Diener waren alle da und sahen einander in höchster Verwunderung an. Als sie Yü fragten, wo er gewesen sei, wußte er kaum, was er sagen sollte. Neben seinem Kissen entdeckte er ein Bündel mit einigen neuen Kleidern, Schuhen und Strümpfen, die Tschutsching ihm gegeben hatte; und bei ihnen lag das schwarze Gewand. Auch einen gestickten Gürtel fand er dabei, der mit Gold gefüllt war. Er machte sich nun auf den Weg nach Süden. Am Ziel seiner Reise angelangt, entließ er die Bootleute mit einem ansehnlichen Geschenk. Als er mehrere Monate zu Hause gewesen war, kehrten seine Gedanken immer inbrünstiger nach Han-jang zurück. Endlich zog er das schwarze Gewand hervor und tat es an. Sogleich wuchsen ihm Flügel aus den Rippen und mit einem Schlag war er in der Luft. Nach vier Stunden kam er in Han-jang an. Umherschweifend erspähte er eine einsame kleine Insel, auf der ein Haus stand, und flog hin, um sich auf ihr niederzulassen. Eine Magd hatte sein Kommen bemerkt und rief: »Der Herr ist da!« Im Nu kam Tschu-tsching heraus und befahl der Dienerschaft, Yü das Federkleid abzunehmen. In kurzer Zeit hatten sie ihn freigemacht, und Hand in Hand gingen er und Tschu-tsching ins Haus. »Du kommst in einem glücklichen Augenblick«, sagte sie, »ich werde bald ein Kind gebären.« Er fragte scherzend: »Wie Vögel oder wie Säugetiere ihre Jungen zur Welt bringen?« Sie antwortete: »Jetzt bin ich eine Göttin, und mein Körper ist verwandelt.« Nach einigen Tagen gebar sie ein lebendiges Kind, aber die Umhüllung war fest wie eine Eierschale, und man mußte sie zerschlagen. Das Kind war ein Knabe. Man gab ihm den Namen Han-tschan, das ist »der am Han-Strom Geborene«. Nach drei Tagen kamen alle Flußgöttinnen mit Glückwünschen und schönen Geschenken. Sie waren eine bezaubernde Schar, keine älter als dreißig Jahre. Sie kamen in das Schlafzimmer, traten ans Bett und eine nach der andern drückte den Daumen auf die Nase des Kindes und rief: »Langes Leben!« Yü fragte, wer sie seien. Tschu-tsching berichtete ihm: »Sie sind alle von meiner Art. Und die zwei letzten, die in blaßes Lila gekleideten, sind die Göttinnen, die in Hankau ihre Gürtel verschenkten.«* *

Nach einer Sage begegnete ein junger Mann in Hankau zwei Mädchen, die Gürtel mit Perlen wie Hühnereier trugen. Er erbat die Gürtel und erhielt sie auch; aber im nächsten Augenblick verschwanden sie und mit ihnen die Mädchen.

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Nach einigen Monaten sandte Tschu-tsching ihren Gatten auf einem Boot in sein Haus zurück. Das Boot hatte weder Segel noch Ruder und flog von selber dahin. Am Ziele der Flußreise warteten Männer mit Pferden auf ihn und brachten ihn heim. Seither besuchte er Tschu-tsching, so oft er konnte. Mit der Zeit wuchs Han-tschan zu einem schönen Knaben heran, den sein Vater als seinen köstlichsten Schatz liebte. Yüs Eheweib, Frau Ho*, klagte oftmals darüber, daß sie keine Kinder hatte, und sehnte sich, Han-tschan zu sehen. Yü teilte dies Tschu-tsching mit, worauf sie den Knaben in eine Schachtel packte und dem Vater mit auf die Reise gab, unter der Bedingung, daß er nach drei Monaten zurückkehren sollte. Frau Ho gewann aber das Kind so lieb, als wäre es ihr eigenes, und zehn Monate vergingen, ohne daß sie den Gedanken fassen konnte, sich von ihm zu trennen. Aber eines Tages verfiel Han-tschan einer heftigen Krankheit und starb. Frau Ho verzehrte sich im Gram und wollte ihm nachsterben. Yü machte sich nach Han-jang auf, um Tschu-tsching die Kunde zu bringen. Als er aber ins Haus kam, da lag Han-tschan ohne Schuhe und Strümpfe auf dem Bette. Von Glück überwältigt schwieg er eine Weile; dann fragte er Tschu-tsching, was dies bedeute. »Ei«, sagte sie, »die Zeit, die wir vereinbart hatten, war längst verstrichen, und da ich meinen Jungen wiederhaben wollte, sandte ich um ihn.« Yü erzählte ihr, wie sehr Frau Ho an Han-tschan hänge, aber Tschu-tsching sagte, sie müsse warten, bis ein zweites Kind käme; dann sollte sie ihn haben. Später gebar Tschu-tsching Zwillinge, einen Knaben, der Han-scheng, das ist »der am Han-Strome Gezeugte«, und ein Mädchen, das Yü-peï, das ist »das Kleinod«, genannt wurde; und Yü nahm Han-tschan in sein Haus. Da er es aber beschwerlich fand, drei oder viermal im Jahre die Reise zu machen, übersiedelte er mit seiner Familie nach der Stadt Han-jang. Han-tschan erwarb mit zwölf Jahren den Hsiau-tsai-Grad. Seine Mutter sah kein Mädchen unter den Sterblichen als gut genug für ihren Sohn an, ließ ihn daher nach Hause kommen und gab ihm die Tochter einer Göttin, Tschih-niang mit Namen, zur Frau. Als Frau Ho starb, kamen die drei Kinder, um sie zu trauern. Nach dem Begräbnis blieb Han-tschan in Hu-nan, die beiden andern aber gingen mit Yü zu ihrer Mutter und kamen nicht mehr zurück.

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Ho ist der Mädchenname der Frau.

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Die Blumenfrauen Im unteren Tempelhof auf dem Berge Lao haben die Kamelien eine Höhe von zwanzig Fuß und einen Umfang von zehn und mehr Spannen. Die Päonien sind mehr als zehn Fuß hoch. In der Zeit der Blüte ist der Garten wie ein herrliches Gewebe. Bei diesem Orte hatte Herr Huang aus Tschiao-tschou sich ein Haus erbaut, um hier seinen Studien nachzugehen. Eines Tages sah er von seinem Fenster aus ein junges Mädchen, in Weiß gekleidet, das inmitten der Blumen umherwandelte. Erst bedachte er sich, auf welche Weise wohl eine Frau Eingang in den Klosterbezirk gefunden haben konnte, dann ging er hinaus, um ihr zu begegnen, aber sie war schon verschwunden. Seither sah er sie mehrfach in der gleichen Weise wieder, und endlich verbarg er sich in einem dichten Gebüsch und erwartete ihr Kommen. Diesmal brachte sie ein anderes rotgekleidetes Mädchen mit sich. Wiewohl in einiger Entfernung, konnte er beider unvergleichliche Schönheit wahrnehmen. Als sie näher kamen, rief das Mädchen in Rot: »Da ist jemand!« Huang sprang auf die Mädchen zu, aber sie liefen erschreckt davon, Röcke und Ärmel flatterten im Winde, und die Luft um sie empfing ihren süßen Duft. Huang verfolgte sie bis zu einer niedrigen Mauer, an der sie plötzlich seinen Augen entschwanden. Betrübt darüber, die lieblichen Geschöpfe so verloren zu haben, nahm er einen Pinsel und schrieb auf einen Baumstamm diese Verse:

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»Meines Herzens Regung ist schrankenlos, mein Blick ist gefesselt. Mir drohen fremde Gewalten, entraffend und unbezwingbar.« Er kehrte nach Hause zurück, in tiefes Sinnen versunken. Da trat das Mädchen plötzlich zur Tür herein. Überrascht und entzückt ging er ihr entgegen. »Ich dachte, Sie seien ein Räuber«, sagte sie lächelnd; »Sie haben uns sehr erschreckt. Ich wußte nicht, daß Sie ein Dichter und ein Verliebter sind, und fürchte nun nicht mehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Huang fragte sie nach Namen und Herkunft worauf sie antwortete: »Ich heiße Hsiang-yü, meine Heimat ist Ping-kang-hsiang. Ein Zauberpriester hat es über mich verhängt, gegen meinen Willen auf diesem Hügel zu bleiben.« »Sagen Sie mir seinen Namen«, rief Huang, »und ich werde Sie bald befreien.« »Dessen bedarf es nicht«, antwortete das Mädchen; »er wagt nicht, mir etwas Schlimmes anzutun, und er gibt mir Gelegenheit, so gefühlvolle Herren wie Sie kennen zu lernen.« Huang fragte nun, wer das Mädchen in Rot sei, und sie sagte ihm, deren Name sei Tschiang-hsüeh und sie seien Wahlschwestern.

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Auf die Bitten Huangs blieb sie bei ihm. Am nächsten Tag erwachte sie, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Sie erhob sich eilig und sagte zu ihm, das Glück habe sie die Zeit vergessen lassen. Während sie sich ankleidete, redete sie weiter: »Nun will ich, ehe ich gehe, dir ein Lied singen, aber bitte, lache mich nicht aus.« Und sie sang: »Die Sonne kommt. Wie schnell enteilt die selige Stunde! Oh wären wir doch zwei Schwalben, die nie einander verlassen!«

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Huang ergriff ihre Hand und sprach: »Solche Geisteskraft, von solcher Schönheit umschlossen, zwingt einen Mann, dich zu lieben und bei dir den Tod selber zu vergessen! Ein Tag ohne dich wird sein, als wären wir durch tausend Meilen getrennt. Ich bitte dich, komm oft wieder, und auch bei Tage.« Von dieser Zeit an kam das Mädchen oft bei Tage und in der Nacht zu ihm. Huang bat sie mehrmals, ihre Freundin mitzubringen, aber sie tat es nicht. Als er sich darüber beklagte, sagte sie: »Schwester Tschiang-hsüeh liebt die Einsamkeit und ist nicht so liebedurstig wie ich. Man muß sie allmählich überreden und darf ihr nicht zu hastig begegnen.« An einem Abend kam Hsiang-yü in schwermütiger Haltung und sprach zu Huang: »Du verlangst nach neuem Besitz und kannst den alten nicht wahren; denn jetzt müssen wir von einander scheiden.« Huang fragte: »Warum sagst du das?« Sie trocknete mit dem Ärmel ihre Tränen und antwortete: »Es ist Bestimmung, die ich nicht mitteilen kann. Deine Voraussage hat sich erfüllt, und wohl kann nun von mir gesungen werden: 25

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»Mir drohen fremde Gewalten, entraffend und unbezwingbar.«

Wieder versuchte Huang, eine Deutung zu erlangen, aber sie weinte nur. Die ganze Nacht über schliefen sie nicht. Als der Morgen kam, ging sie. Dies schien Huang recht seltsam. Aber untertags kam ein Besucher in den Tempelhof. Nachdem er den Garten durchwandert hatte, blieb er entzückt vor einer weißen Päonie stehen; dann grub er sie aus und nahm sie mit sich. Huang erkannte nun, daß Hsiang-yü eine Blumenfrau war, und trauerte über das Geschehene. Nach einiger Zeit erfuhr er, daß der Besucher die Päonie in sein Haus gebracht hatte, wo sie bald danach verwelkt war. Da weinte er bitterlich und verfaßte eine Elegie in fünfzig Strophen, betitelt: »Beweinet die Blume!« Hinfort ging er täglich an den Ort, an dem die Päonie gestanden hatte, und netzte den Boden mit seinen Tränen.

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Als er eines Tages wieder dahin ging, um zu klagen, erblickte er das Mädchen in Rot, das weinend herankam, und wandte sich ihr zu. Sie lief nicht fort, Huang erfaßte ihren Ärmel und sie sahen einander traurig an. Sodann lud er sie in sein Haus ein und sie ging mit ihm. Sie seufzte und sprach: »Ach, daß die Schwester meiner frühen Jahre so plötzlich von mir genommen wurde! Da ich Sie klagen hörte, bin ich selbst zum Weinen bewegt worden. Unsere Tränen sind tief in den Grund gesunken, vielleicht werden sie die Verlorene zurückrufen, aber der Geist der Toten ist für immer abgelöst, und wird sie je wieder mit uns lachen und reden?« »Unheil ist mein Los«, sagte Huang, »daß ich denen Schaden bringe, die ich liebe. Das Glück ist mir nicht gewährt, zwei solche Schönheiten zu besitzen. Aber sagen Sie mir, da ich durch Hsiang-yü so oft Botschaft zu Ihnen sandte, warum sind Sie nicht gekommen?« »Ich wußte«, antwortete sie; »daß neun junge Leute auf zehn falsch sind, aber ich wußte nicht, wie grundtreu Sie sind. Wir wollen Freundschaft halten, Tag und Nacht liebkost zu werden, könnte ich freilich nicht ertragen«. Als sie Abschied nahm, sagte Huang: »Ich kann nicht essen und schlafen, weil ich von Hsiang-yü getrennt bin, nur wenn Sie bei mir sind, finde ich Trost.« Da blieb sie den Abend über bei ihm. Danach aber ließ sie sich einige Tage lang nicht sehen. Huang war in großer Schwermut und dachte an Hsiang-yü. Unruhvoll lag er auf dem Bette und feuchtete das Kissen mit seinen Tränen. Eines Nachts stand er auf, kleidete sich an und machte die Lampe zurecht, holte Pinsel und Tusche und schrieb diese Verse:

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»Die Regentropfen fallen in der Nacht. Am Fenster sitzend fühle ich meine Einsamkeit. Oh, um die Geliebte, die ferne. Meine Tränen fallen in der Nacht.« Er las sie laut; als er zu Ende war, hörte er vor dem Fenster eine Stimme: »Sie brauchen einen, der Ihre Verse zu Ende dichte!« Aufhorchend, erkannte er, daß es Tschiang-hsüeh war, und öffnete ihr die Tür. Sie sah seine Strophe an und fügte dazu:

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»Wo ist die Freundin, deren Hand der meinen vermählt ist? Einsam leuchtet die Lampe. Einsam wacht der Verlassne, seinen Schatten allein zum Gefährten.« Huang las die Verse weinend, und zu Tschiang-hsüeh gewandt, warf er ihr vor, daß sie ihn einige Tage lang nicht besucht habe. »Ich kann nicht so oft wie Hsiang-yü kommen«, antwortete sie; »doch will ich Ihnen gern zu-

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weilen Ihre Einsamkeit lindern.« Huang wollte sie an sich ziehen, sie aber sagte: »Muß die Freude des Beieinanderseins immer dieses meinen?« Danach kam sie von einer Zeit zur andern. Sie tranken Wein und verfaßten Verse. Aber sie ging, wenn es Nacht wurde, und er mußte sie freigeben. Einmal sagte er: »Hsiang-yü ist mein geliebtes Weib, Tschianghsüeh meine geliebte Freundin.« So oft sie kam, versuchte er zu entdecken, welche Pflanze im Garten sie sei, damit er sie nach Hause nehmen und vor dem Schicksal der Schwester bewahren könnte. »Die alte Erde soll nicht aufgestört werden«, sagte sie, »und es würde nicht frommen, es Ihnen mitzuteilen. Wenn Sie Ihr Weib nicht behalten konnten, wie dürften Sie eine Freundin behalten?« Huang beachtete dies jedoch nicht, nahm ihren Arm und führte sie in den Garten hinaus, wo er an jeder Päonie stehen blieb und fragte, ob sie diese sei; aber Tschiang-hsüeh antwortete nicht, sondern legte nur die Hand an den Mund und lachte. Zur Jahreswende mußte Huang in seine Heimat fahren. Etliche Wochen danach träumte er, daß Tschiang-hsüeh ihm erschien und traurig sagte, sie sei in großer Gefahr; würde er sogleich kommen, könnte er sie noch wiedersehen, sonst würde er sie für immer verlieren. Als er erwachte, schien ihm der Traum von seltsamer Art zu sein; er befahl einem Diener, die Pferde zu rüsten, und begab sich sogleich nach dem Tempelberge. Da fand er, daß die Priester dabei waren, einen neuen Flügel anzubauen, und daß der Baumeister, dem eine Kamelie im Wege stand, sie niederzuhauen befohlen hatte. Nun verstand Huang seinen Traum und erwirkte, daß der Vernichtung der Pflanze vorgebeugt wurde. In der Nacht kam Tschiang-hsüeh ihm zu danken. Huang lachte und sagte: »Es geschieht Ihnen recht, weil Sie mir nicht sagen wollten, welche Sie sind. Nun kenne ich Sie, und wenn Sie mich nicht besuchen wollen, werde ich einen Feuerbrand nehmen und es Ihnen heiß machen.« »Das ist es eben, weshalb ich es Ihnen nicht verraten wollte«, antwortete sie. »Die Gegenwart meiner geliebten Freundin«, sagte Huang nach einer Weile, »macht mich mehr als je an mein schönes Weib denken. Es ist lange her, daß ich zum letztenmal um sie geklagt habe. Wollen wir gehen und zusammen um sie trauern?« So gingen sie und vergossen viele Tränen an dem Orte, wo Hsiang-yü gestanden hatte, bis um die erste Nachtwache Tschiang-hsüeh ihre Augen trocknete und sagte, es sei nun Zeit zu gehen. Einige Abende später saß Huang traurig allein, als plötzlich Tschianghsüeh mit strahlendem Gesicht eintrat. »Gute Botschaft bring ich!« rief sie; »der Blumengott, gerührt durch Ihre Liebe, hat Hsiang-yü gestattet, ins Leben zurückzukehren.« Huang war glückselig und fragte, wann sie kommen würde, worauf Tschiang-hsüeh antwortete, sie wisse es nicht ge-

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nau, aber es würde nicht lange mehr dauern. »Ich bin Ihretwegen hierhergekommen«, sagte Huang, »lassen Sie mich nun nicht länger einsam leiden.« »Ja«, sagte sie lächelnd und ging. An den nächsten zwei Abenden kam sie nicht; da ging Huang in den Garten, legte seinen Arm um die Pflanze, schüttelte sie und rief ihren Namen, aber da war keine Stimme zu hören. Er ging nun zurück und begann eine Fackel zu schwingen. Da kam sie sogleich, riß ihm die Fackel aus der Hand, warf sie zu Boden und sagte: »Sie treiben schlimmen Scherz und tun mir weh. Ich will mich von Ihnen lossagen.« Huang lachte, umarmte sie und zog sie ins Haus. Sie hatten eine Weile bei einander gesessen, da trat plötzlich Hsiang-yü selber leise an sie heran. Huang stand auf und erfaßte, weinend, ihre Hand, sie reichte Tschiang-hsüeh die andere, und sie sahen einander unter Tränen an. Dann setzten sie sich und sprachen von der Trübsal der Trennung. Indessen nahm Huang wahr, daß Hsiang-yü wie unkörperlich war und daß, wenn er ihre Hand hielt, seine Finger sich um sich selbst zu schließen schienen, anders als in vergangenen Tagen. Hsiang-yü erklärte das, indem sie sagte: »Als ich die Göttin der Blume war, hatte ich einen Körper; aber jetzt bin ich nur der entkörperte Geist der Blume. Halte mich nicht für eine Wirklichkeit, sondern vielmehr für eine Erscheinung, wie sie im Traume geschaut wird.« »Du bist aber zur rechten Zeit gekommen«, sagte Tschiang-hsüeh; »dein Gatte begann mir eben lästig zu werden.« Dann nahm sie Abschied. Hsiang-yü war so lieblich wie einst, aber ihre Bewegungen waren unbestimmt wie die eines Schattens. Huang war darüber sehr betrübt. Sie teilte seine Traurigkeit und belehrte ihn ein wenig Bleiweiß mit Schwefel zu mischen und der Blume davon einen Trank darzubringen. Dann sagte sie: »Von heute über ein Jahr werde ich deine Güte vergelten!« und ging. Am nächsten Tag kam Huang in den Garten und bemerkte die Triebe einer jungen Päonie an dem Ort, an dem einst Hsiang-yü gestanden hatte. So brachte er den Trank dar, wie sie es ihm geboten hatte, und hegte seither sorgsam die Pflanze, um die er einen schützenden Zaun errichten ließ. Hsiang-yü kam, ihm dafür zu danken, und er schlug ihr vor, die Pflanze solle in sein Haus gebracht werden; aber sie wollte dem nicht zustimmen, »denn«, so sagte sie, »ich bin nicht sehr kräftig und könnte der Verpflanzung nicht standhalten. Überdies haben alle Dinge ihren angewiesenen Ort; und da ich nicht von Anbeginn für dein Haus bestimmt war, könnte es mein Leben verkürzen, hingebracht zu werden. Wir können einander auch so lieben.« Huang fragte nun, warum Tschiang-hsüeh nicht käme; Hsiang-yü antwortete: »Man müßte sie dazu zwingen. Ich will es tun.« Sie ging mit ihm in den Garten, nahm einen Grashalm, maß an Tschiang-hsüehs Pflanze von den Wurzeln aufwärts vier Fuß

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und sechs Zoll ab und befahl Huang, diese Stelle mit seinen Nägeln zu reizen. In diesem Augenblick kam Tschiang-hsüeh hinter der Pflanze hervor und rief in scherzhaftem Zorn: »Wie kannst du dem Bösen bei Bösem beistehen?« Sie gingen umschlungen ins Haus und Hsiang-yü sagte: »Zürne mir nicht, Schwester; hilf mir nur ein Jahr lang ihn unterhalten; danach sollst du nicht weiter belästigt werden.« So lebten sie fortan. Huang hütete das Gedeihen der Pflanze; sie wuchs von Tag zu Tag, bis sie im Frühling zwei Fuß hoch war. Er fuhr nun in seine Heimat, nachdem er den Priestern ein ansehnliches Geschenk gegeben und ihnen sorgfältige Pflege aufgetragen hatte. Im vierten Monat des nächsten Jahres kehrte er zurück und fand an der Pflanze eine Knospe, die eben bereit war, aufzubrechen; als er sie umschritt, schüttelte sich der Stiel so heftig, als wolle er zerspringen, und plötzlich öffnete sich die Knospe zu einer tellerbreiten Blüte, in der auf einem der Staubfäden ein schönes, winziges Weiblein saß. Kaum konnte er einmal mit den Augen blinzeln, da war es schon hervorgesprungen, und siehe, es war Hsiang-yü. »In Wind und Regen habe ich auf dich gewartet«, rief sie; »warum bist du so spät gekommen?« Sie gingen nun ins Haus, wo Tschiang-hsüeh schon da war, die zu ihnen sagte: »Ich habe täglich für eine Andere Gattin spielen müssen. Jetzt kann ich glücklicherweise wieder zurückkehren und nur noch Freundin sein.« Dann setzten sie sich und vergnügten sich wie einst bis zur Mitternacht. Dann ging Tschiang-hsüeh. Nach einem Jahr starb Huangs Ehefrau und er nahm seinen dauernden Wohnsitz auf dem Berge Lao. Die Päonien waren zu der Zeit so dick, wie ein Menschenarm; und so oft Huang sie ansah, sagte er stets: »Einst wird mein Geist an eurer Seite sein«, worauf die beiden Mädchen gewöhnlich lachten und sagten: »Vergiß es nur nicht!« Zehn Jahre nach diesen Ereignissen fiel Huang in eine gefährliche Krankheit, und sein Sohn, der zu ihm gekommen war, litt große Pein um ihn. »Ich soll ja nicht sterben«, rief der Vater, »ich soll ja geboren werden. Warum weinst du?« Er sagte sodann zu dem Priester des Tempels: »Ein roter, fünfblättriger Schößling wird an der Seite der Päonie, hervorwachsen; das werde ich sein.« Dies war alles, was er sprach. Sein Sohn brachte ihn in die Heimat, wo er sogleich nach der Ankunft verschied. Im nächsten Jahr wuchs ein Schößling, wie er ihn beschrieben hatte, aus dem Boden; die Priester waren von der Übereinstimmung betroffen und versahen ihn mit Wasser und Erde. Nach drei Jahren war er eine mehrere Fuß hohe Pflanze, maß eine gute Spanne im Umfang, hatte aber keine Blüte.

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Als der alte Priester starb, bekümmerten sich seine Nachfolger nicht um das Gewächs, und da es nicht blühte, hieben sie es ab. Die weiße Päonie welkte nun und starb; und bald war auch die Kamelie tot.

Der närrische Student In der Stadt Peng lebte ein Mann namens Lang Yü-tschu, dessen Vater Präfekt gewesen war. Da dieser bei seinen Lebzeiten als ein unbestechlicher Beamter seine Pflichten erfüllt hatte, konnte er dem Sohne nichts an Geldeswert zurücklassen, außer einer Sammlung von Büchern. Lang Yütschu stand im Rufe, ein närrischer Mensch zu sein. Seine große Armut zwang ihn, alles, was in seinem Besitze war, zu verkaufen. Doch vermochte er es nicht, sich auch nur von einem einzigen der ererbten Bücher zu trennen. Sein Vater hatte vor Jahren eine Abhandlung abgeschrieben, die »Aufforderung zum Lernen« betitelt war. Diese war Lang Yü-tschu besonders wert. Er klebte sie zu Seiten seines Sitzes fest und las täglich mit lauter Stimme die Verse:

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Was brauchst du Felder anzukaufen? Im Buch sind tausend Schüsseln Reis. Was magst du dir Paläste bauen? Im Buch harrt dein ein goldnes Haus. Bist um den Aufzug du bekümmert? Im Buch sind Wagen, prachtgeschirrt. Vermittler solln die Braut dir suchen? Im Buch schläft Edelstein-Gesicht. Willst du das höchste Ziel erreichen, Tauch nieder auf der Bücher Grund. Er hüllte das Buch, um es zu schonen, sorglich in weiße Gaze ein. Seine Absicht war aber keineswegs, durch sein Studium Reichtum und Ehre zu erreichen, vielmehr glaubte er in den Büchern wahrhaftig goldene Reiskörner zu finden. So las er fleißig Tag und Nacht, bei Kälte und bei Hitze, ohne sich je eine Unterbrechung zu gönnen. Als er sein zwanzigstes Jahr vollendet hatte, dachte er nicht daran, sich um eine Frau umzusehen, vielmehr hoffte er, die Schöne würde ihm eines Tages aus den Büchern entgegentreten. Suchten ihn Verwandte oder Gäste auf, so war er um ihre Unterhaltung nicht bemüht. Man hörte seine Stimme unbeirrt weiterlesen. So ging der vernachlässigte Besucher bald davon. Eines Tages wurde Lang, als er las, das Buch von einem starken Winde

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weggeweht. Nachlaufend, um es zu erhaschen, geriet er mit dem Fuße in ein Erdloch, das er nicht gewahrt hatte, weil es mit verfaultem Gras bedeckt war. Er untersuchte die Höhlung, grub und fand am Grunde einen Krug voll Reis, den vorzeiten Menschen hier verborgen hatten. Obgleich der Reis vermodert und ungenießbar war, vertraute Lang Yü-tschu doch unentwegt der Wahrheit der Worte, die von den »tausend Schüsseln« reden, und las immer eifriger. Eines Tages stieg er auf das Bücherbrett und fand dort, unter Büchern verborgen, einen fußgroßen, goldenen Wagen. Erfreut meinte er, dies sei wieder eine Erfüllung der Verse. Allein es erwies sich, als er den Wagen anderen Leuten zur Untersuchung vorzeigte, daß er nur vergoldet war. Lang war nun sehr verstimmt darüber, daß die Weisheit der Bücher ihn so betrogen habe. Indes riet ihm bald darauf jemand, den Wagen einem Kollegen seines verstorbenen Vaters, einem hohen Beamten, Schih-Tao mit Namen, zu schenken, damit dieser, der ein frommer Buddhist war, ihn als Ständer für ein Buddhabild gebrauche. Schih-Tao erwiderte das Geschenk erfreut durch eine Gabe von hundert Taels in Gold. Lang war glücklich und wähnte die Verse vom »goldenen Haus« nun doch erfüllt. Er zählte jetzt schon dreißig Jahre und man riet ihm sich zu vermählen. Er aber sprach: »Wie soll ich besorgt sein, ein schönes Weib zu finden? Im Buche selber ist mir das ›Edelstein-Gesicht‹ verborgen«. Zwei weitere Jahre brachte er lesend hin und es kam zu keiner Erfüllung. So wurde er zum Gespött der Leute. Zu jener Zeit ging unter den Menschen ein Gerücht um, es sei das Sternbild der Weberin* von seinem Platz am Firmament entschwunden. Ein Spaßvogel neckte Lang, indem er sagte: »Gewiß ist die himmlische Weberin für dich entflohen!« Lang beachtete den Scherz nicht. Eines Abends las er den achten Band des Buches Hau. Als er ihn etwa zur Hälfte gelesen hatte, fand er zwischen den Seiten, aus Gaze geschnitten, das Bild einer schönen Frau. Überrascht sagte er: »Im Buche ist das Edelstein-Gesicht. So also sollten diese Worte sich erfüllen!« Er war voll Trauer und gab seine Hoffnung verloren. Indes besah er das kleine Bild genauer und fand die Brauen und Augen wie lebendig. Auf der Rückseite des Bildes bemerkte er mit Verwunderung die Spur der Zeichen: »Die Weberin«. Er legte das Bild nun jeden Tag auf sein Buch und, unaufhörlich es ansehend, vergaß er Schlaf und Essen. Einmal aber richtete sich die kleine Gestalt unter seinen Augen halb auf und sitzend lächelte sie ihm zu. Lang verbeugte sich vor ihr zur Erde. Als er sich erhob, war die Gestalt *

Die Weberin: eine in einen Stern verwandelte Fee. Vgl. die Anmerkung zu »Das Land im Meer.«

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schon einen Fuß hoch. Tief verwundert verneigte er sich aufs neue. Die Gestalt stieg vom Tische herab. Sie war von unvergleichlicher Schönheit. Er fragte sie, welche Göttin sie sei. Sie sprach: »Mein Familienname ist Hsien (Antlitz) und mein Vorname Juyü (Edelstein). Seit langem kennen Sie mich und täglich haben Sie mich erwartet. Käme ich nicht zu Ihnen, in tausend Jahren wohl fände ich keinen, der den Alten so festen Glauben schenkt wie Sie.« Von da an blieb sie bei ihm. Trotz einer großen Liebe zu ihr ließ er sie unberührt. Wenn er las, saß sie an seiner Seite. Oftmals riet sie ihm, nicht mehr zu studieren. Er aber gab ihr kein Gehör. Da sprach sie einmal: »Gerade Ihr Studium ist die Ursache, daß Sie nicht zu Erfolgen gelangen. Lesen Sie das Frühlings- und Herbstregister, ob Sie unter denen, die das Examen bestanden haben, welche finden, die das Studium auf solche Art betrieben haben, wie Sie! Wenn Sie mir nicht gehorchen, werde ich Sie verlassen.« Für kurze Zeit tat er, wie sie ihn geheißen hatte, dann aber, ihre Drohung vergessend, begann er wieder zu lesen. Nach wenigen Minuten vermißte er sie und konnte sie nirgends finden. Betrübt kniete er nieder und rief sie an. Aber keine Spur war von ihr zu gewahren. Da gedachte er des Ortes, an dem sie sich einst verborgen gehalten hatte. Er ergriff das Buch Hau und blätterte es sorgfältig durch. In der Tat fand er das Bild aus Gaze an der alten Stelle. Er rief sie an. Sie verharrte unbeweglich. Er beugte sich zur Erde unter drängenden Bitten. Da trat sie vom Tische herunter und sagte: »Sollten Sie noch einmal nicht auf mich hören, müßte ich Sie auf ewig verlassen.« Sie schaffte ein Schachbrett und Musikinstrumente herbei. Nun spielten sie täglich Schach, obgleich es Lang ohne Lust tat. Wenn sie ihn eine Weile allein ließ, begann er sogleich heimlich zu lesen. Damit sie es aber nicht gewahren sollte, barg er den achten Band des Buches Hau unter den andern Büchern. Einst überraschte sie ihn. Er versuchte das Buch, in dem er gelesen hatte, unbemerkt zur Seite zu bringen, doch schon war sie verschwunden. Mit bangem Herzen suchte er sie an der gewohnten Stelle, doch fand er sie nicht. Nach einigen Tagen aber entdeckte er sie wieder im achten Bande des Buches Hau. Er flehte sie an, wieder zu ihm zu kommen, und schwur, nicht wieder zu studieren. Da stieg sie herunter und spielte mit ihm Schach. »Wenn sie in drei Tagen nicht gelernt haben, besser zu spielen, werde ich gehen!« sagte sie. Er wendete Mühe an das Spiel und am dritten Tage schon gewann er ihr zwei Figuren ab. Sie war voller Freude und reichte ihm ein Musikinstrument. Nun gab sie ihm fünf Tage Frist, ein Lied zu üben. Da hatte er vollauf zu tun und konnte Hände und Augen nicht von der Arbeit wenden. Nach einiger Zeit konnte er gut spielen. Nun brachten sie ihre Tage damit hin,

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um die Wette zu trinken. Bei diesem Leben vergaß er sein Studium. Auch trieb sie ihn an, auszugehen und Umgang zu suchen, und so kam Lang in den Ruf eines geselligen Menschen. Sie pflegte nun zu ihm zu sagen: »Nun können Sie sich wohl in die Welt wagen und die Beamtenlaufbahn ergreifen!« Eines Nachts sprach Lang zu seiner Gefährtin: »Es heißt, wenn Mann und Frau zusammenleben, so werden Kinder geboren. Nun bin ich mit Ihnen schon solange zusammen, wie kommt es daß wir kinderlos bleiben?« Sie sagte lächelnd: »Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß es ganz nutzlos ist, wenn Sie so studieren? Nun haben Sie wahrhaftig nicht einmal das Kapitel »Mann und Frau« begriffen. Kissen und Matte, diese beiden Worte meinen Arbeit!« Verwundert fragte er, welche Arbeit das sei. Sie lächelte und schwieg. Als er aber dann ihre Belehrung empfangen hatte, freute er sich über alle Maßen. Er sagte: »Ich wußte nicht, daß es eine Freude gibt, die so tief und unaussprechlich ist.« Er sprach zu jedem, dem er begegnete, darüber und alle lachten über ihn. Sie hörte davon und verwies es ihm, indem sie sagte: »Über heimliches Wesen spricht man nicht.« Doch er erwiderte: »Das Glück dieses himmlischen Zusammenseins kennt doch jeder Mann, was ist da zu verheimlichen?« Nach neun Monaten gebar sie einen Sohn, für dessen Pflege sie eine alte Frau aufnahm. Eines Tages redete sie zu Lang: »Nun lebe ich zwei Jahre mit dir und habe dir einen Sohn geboren. Ich kann dich nun verlassen. Bliebe ich noch länger, so gerietest du in Gefahr. Leicht käme die Reue zu spät!« Er weinte bei ihren Worten, neigte sich vor ihr und sagte: »Denkst du nicht an unser Kind?« Sie schwieg traurig eine lange Weile, ehe sie antwortete: »Es gibt für dich eine einzige Möglichkeit mich aufzuhalten. Du mußt alle deine Bücher verbrennen.« Da sprach er: »Sind diese Bücher nicht mein Leben und deine Heimat? Wie kannst du so sprechen?« Es ereignete sich jedoch bald darnach, daß Langs Verwandte die Schöne in seinem Hause sahen. Da sie nun wohl wußten, daß er sich niemals vermählt hatte, fragten sie ihn, nach Namen und Herkunft der Frau aus. Lang schwieg, da er der Lüge unfähig war. Dies machte die Menschen mißtrauisch und brachte die Sache weit und breit ins Gerede. Schließlich erfuhr auch der Stadtmagistrat, Herr Schi, davon. Schi stammte aus Fukien, wo er in jungen Jahren das Doktorexamen bestanden hatte. Nun war er, da er von dieser seltsamen Sache vernommen hatte, neugierig geworden, die schöne Frau zu sehen. Er befahl, Lang und die Frau zu verhaften. Als sie aber von dem Befehl vernahm, verschwand sie spurlos. Der erzürnte Schi ließ Lang ins Gefängnis werfen und erklärte ihn seines Ranges für verlustig. Lang wurde mit Schlägen gefoltert, damit er den Aufent-

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halt der Verschwundenen verrate. Allein er schwieg trotzig. Auch die alte Kinderpflegerin wurde gezüchtigt, doch wußte sie nichts Wesentliches zu bekennen. Schi erklärte die Sache für eine Hexerei und begab sich zur Untersuchung der Umstände in Langs Haus. Er fand dort einen ganzen Raum angefüllt mit Büchern, die allzu zahlreich waren, als daß man sie hätte durchforschen können. So gab der Magistrat Befehl, alle zu verbrennen. Der Rauch stieg in dichten, undurchdringlichen Wolken auf. Lang gewann seine Freiheit wieder. Ein Brief, den ein Schüler seines verstorbenen Vaters an die Behörden richtete, bewirkte, daß man ihn wieder in seinen Rang einsetzte. Noch in demselben Jahre bestand er das Herbstexamen, im darauffolgenden wurde er zum Tsin-schi promoviert. Niemals vergaß er das Unrecht, das er erlitten hatte. Für Hsien-juyü, die Entschwundene, errichtete er einen Sitz, vor dem er am Morgen und am Abend seine Andacht verrichtete.

Der Gott im Exil Yo Yün-hao und Hsia Ping-tse lebten als Knaben in demselben Dorfe. Sie gingen bei demselben Lehrer zur Schule und wurden herzliche Freunde. Hsia war ein kluger Bursche und hatte schon im Alter von zehn Jahren den Ruf der Gelehrsamkeit erworben. Yo beneidete ihn gar nicht, sondern diente ihm in Demut, und Hsia hinwieder half ihm beim Lernen, so daß auch er einige Fortschritte machte. Als aber Hsia herangewachsen war, geschah es, daß er trotz seines Ruhmes bei den öffentlichen Prüfungen keine Erfolge hatte. Bald darauf erkrankte er und starb. Seine Familie war so arm, daß sie kein Geld für sein Begräbnis auftreiben konnte. Da bezahlte Yo alles Nötige und nahm sich hinfort der Witwe und der verwaisten Kinder seines Freundes an. Jeden Scheffel Reis teilte er mit ihnen. Darob gewannen ihn die Leute im Dorfe lieb; da er aber nicht reich war, hatte er bald seinen ganzen Besitz erschöpft. »Ach!« rief er, »wo Gaben wie Hsias versagten, wie darf ich da ein Gelingen erwarten? Rang und Reichtum sind Dinge der Bestimmung, und meine gegenwärtige Laufbahn kann nur damit enden, daß ich wie ein Hund in einem Graben verrecke. Ich muß etwas anderes unternehmen.« So gab er das Lernen auf und ergab sich dem Handel. Nach sechs Monaten hatte er ein Geringes erworben. Als er eines Tages in einer Herberge zu Nan-king ausruhte, sah er, wie ein großer starker Mann hereinkam und sich, anscheinend in schwermütiger Verfassung, in seiner Nähe hinsetzte. Yo fragte ihn, ob er hungrig sei, und als er keine Antwort erhielt, schob er ihm einige Speise zu. Der

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Fremde griff mit gierigen Händen zu, und in einem Augenblick war das ganze Essen verschwunden. Yo bestellte einen neuen Vorrat, aber auch dieser wurde rasch in der gleichen Weise erledigt. Darauf sagte er dem Wirt, er solle eine Schweinsschulter und eine Anzahl gedämpfter Kuchen herbeibringen. Nachdem der Fremde für ein halbes Dutzend gegessen hatte, war sein Hunger gestillt. Er dankte Yo und sagte: »Seit bald drei Jahren habe ich kein solches Mahl gehabt.« »Und warum muß ein Held wie Sie in solcher Entbehrung leben?« fragte Yo. Der Andere antwortete nur: »Die Sprüche des Himmels sollen nicht erörtert werden.« Befragt, wo er lebe, sagte er: »Zu Lande habe ich kein Haus, zu Wasser kein Boot; des Tages im Dorfe, des Nachts in der Stadt.« Yo bereitete sich nun zur Weiterreise; aber der Mann wollte ihn nicht allein gehen lassen. Als Yo eine Begleitung für unnötig erklärte, versicherte er ihm, er befinde sich in Gefahr, und fügte hinzu: »Ich kann die Freundschaft nicht vergessen, die Sie mir erwiesen haben.« So gingen sie zusammen. Unterwegs lud Yo ihn ein, mit ihm zu essen; aber er lehnte es ab, mit der Begründung, daß er nur ab und zu Nahrung zu sich nehme. Yo wunderte sich darüber noch mehr als über das Vorangegangene. Als sie am nächsten Tage auf dem Flusse waren, entstand ein großer Sturm und brachte alle Boote zum Kentern. Yo selbst stürzte mit den andern ins Wasser. Plötzlich ließ der Wind nach und der Fremde trug Yo auf seinem Rücken in ein anderes Boot. Dann tauchte er ins Wasser, brachte das verlorene Fahrzeug zurück, setzte Yo darauf und hieß ihn ruhig bleiben und ihn erwarten. Bald kehrte er wieder; diesmal trug er einen Teil der Ladung in den Armen, den er im Boote niederlegte. In der gleichen Weise fuhr er fort, bis alles zurückgebracht war. Yo dankte ihm und sagte: »Es war genug, mein Leben zu retten. Nun haben Sie mir aber auch meine Güter wiedergegeben.« In der Tat war nichts verloren, und Yo begann den Fremden als ein übermenschliches Wesen anzusehen. Dieser wollte nun Abschied nehmen, aber Yo bat ihn so sehr zu bleiben, daß er zuletzt einwilligte. Nach einer Weile sagte Yo lächelnd: »Bei dem ganzen Mißgeschick habe ich nur eine goldne Nadel eingebüßt.« Sogleich sprang der Fremde auf, Yo wollte ihn zurückhalten, aber schon war er untergetaucht. Bange wartete Yo; da sah er ihn lachend erscheinen und ihm die Nadel reichen. Die Leute am Ufer waren sehr erstaunt, als sie dies erblickten. Yo aber kam mit seinem Freunde in die Heimat und nun lebten sie zusammen. Der große Mann nahm nur einmal in zehn oder zwölf Tagen Speise, dann aber mit ungeheuerlicher Eßlust. Eines Tages sprach er von Fortgehen, Yo aber wollte es durchaus nicht gestatten. Da es gerade gewitterte, sagte er nach einer Weile vor sich hin: »Was sind wohl die Wolken, was ist wohl der Blitz? wie könnte man wohl

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in den Himmel kommen und sehen und wissen?« Der Mann sagte lachend: »Möchten Sie in den Lüften lustwandeln?« Bald darauf fühlte Yo eine Müdigkeit, legte sich nieder und schlief ein. Als er erwachte, empfand er, daß er nicht mehr auf einem Bette lag, sondern sich in der Luft bewegte. Die Augen öffnend, sah er, daß er zwischen den Wolken war, und rings um ihn war ein wolliger Dunst. Als er bestürzt aufsprang, schwindelte ihm, als wäre er auf dem Meere, unter seinen Füßen spürte er einen sanften nachgebenden Stoff, und weit und breit war keine Erde zu sehen. Dicht vor seinen Augen leuchteten die Sterne, und das machte ihn denken, er träume; aber aufblickend sah er, daß sie in dem Himmel steckten wie Staubfäden im Kelch der Lotosblume. An Größe waren sie verschieden, vom Umfang einer breiten Kugel bis zu dem einer kleinen Schüssel. Er hob die Hand zu ihnen und fand, daß die großen Sterne unbeweglich befestigt waren; die kleinen aber schwankten, als könnten sie abgepflückt werden. In der Tat gelang es ihm, einen loszumachen, und er verbarg ihn in seinem Ärmel. Dann schob er die Wolken, die unter ihm waren, auseinander, blickte hindurch und sah das Meer unten wie Silber glänzen. Breite Städte erschienen nicht größer als Bohnen. In demselben Augenblick aber fiel es ihm ein: wenn mein Fuß ausglitte, was für einen entsetzlichen Fall würde das geben! Nun bemerkte er zwei Drachen, die sich des Wegs daherwanden und einen Wagen zogen. Jede Bewegung ihrer Schweife dröhnte wie der Peitschenschlag eines Stiertreibers. Im Wagen stand ein Faß, das war mehr als zehn Fuß hoch und voll Wasser. Viele Männer schöpften davon mit Eimern und gossen es über die Wolken hin. Als sie Yo sahen, waren sie erstaunt; aber ein riesenhafter Mann, der in ihrer Mitte war, rief ihnen zu: »Es ist mein Freund«, und nun gaben sie ihm einen Eimer, daß er ihnen das Wasser ausschütten helfe. Es war aber damals eine Zeit der Dürre, und als Yo den Eimer in der Hand hatte, gab er wohl acht, das Wasser so zu gießen, daß es auf seine Heimat fiel. Der Fremde erzählte ihm nun, er sei ein Gehilfe des Donnergotts und eben von einer dreijährigen Verbannung zurückgekehrt, die man ihm wegen nachlässiger Handhabung des Regens auferlegt hätte; nun müßten sie voneinander scheiden. Er nahm das lange Seil, das die Leute am Wagen als Zügel benutzt hatten, und hieß es Yo kräftig ergreifen, daß er ihn auf die Erde hinunterlasse. Yo hatte Angst, als er aber hörte, daß keine Gefahr dabei sei, tat er es; im Nu schwebte er hinab und fand sich heil auf festem Boden. Er bemerkte, daß er in der Nähe seines Heimatdorfes war. Das Seil wurde in die Wolken emporgezogen und er sah es nicht mehr. Es hatte stark geregnet; aber drei oder vier Meilen weiter war der Niederschlag gering, obgleich in Yos Dorfe Rinnen und Gruben voll waren. Zu Hause angekommen, nahm er den gepflückten Stern aus dem Är-

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mel und legte ihn auf den Tisch. Er sah stumpf aus wie ein gewöhnlicher Stein. In der Nacht aber wurde er sehr strahlend und erleuchtete das ganze Haus. Yo schätzte ihn daher sehr und bewahrte ihn sorgfältig auf; nur wenn er Gäste hatte, holte er ihn heraus, damit er ihnen beim Weine leuchte. Sein Glanz war stets ungemindert, bis eines Abends, als Yos Frau bei seinem Scheine saß und ihre Haare kämmte, der Stern matter wurde und wie ein Glühwurm umherzuschwirren begann. Die Frau saß starr vor Staunen; da flog er plötzlich in ihren Mund und floß in ihre Kehle. Sie versuchte ihn auszuhusten, vermochte es aber nicht, und nun lief sie zu Yo und erzählte es ihm zu seiner großen Verwunderung. In der Nacht träumte Yo, daß sein alter Freund Hsia ihm erschien und sagte: »Ich bin der Stern Schao-weï. Deine Freundschaft ist mir teuer geblieben, und nun hast du mich vom Himmel zurückgebracht. Wahrlich, unsere Geschicke sind miteinander verflochten, und ich will deine Güte vergelten, indem ich dein Sohn werde.« Yo freute sich sehr, denn er war dreißig und hatte noch keinen Sohn. Eine Zeit nach diesem Traume gebar ihm seine Frau ein männliches Kind. Bei seiner Geburt strahlte das Zimmer wie einst, wenn der Stern darin war. Darum wurde das Kind Sternkind genannt. Es war von außergewöhnlicher Klugheit und hatte schon mit vierzehn Jahren den Tsin-schi-Grad erworben.

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Einst lebte ein junger Mann namens Ma Tschün, mit Beinamen Lungmeï. Er war der Sohn eines Kaufmanns, ein Jüngling von schöner Gestalt und geselligen Neigungen, der Gesang und Spiel über alles liebte. Er gab sich viel mit Schauspielern ab, und wenn er sich ein gesticktes Tuch um den Kopf legte, sah er ganz wie eine schöne Frau aus; daher nannte man ihn »die Schönheit«. Mit vierzehn Jahren bestand er ein Examen und begann durch seinen Geist bekannt zu werden. Aber sein Vater, der alt wurde und sich von den Geschäften zurückzuziehen wünschte, sagte zu ihm: »Mein Junge, die Bücher kannst du nicht kochen, um deinen Hunger zu stillen, und kannst dir daraus kein Kleid machen, um dich vor der Kälte zu schützen; es ist besser, du bleibst dabei, was dein Vater getrieben hat.« Seither beschäftigte sich Ma nur noch mit Maßen und Gewichten, mit Kapital und Zinsen, und dergleichen mehr. Einst machte er eine Seereise und wurde von einem Sturmwind verschlagen. Nachdem er viele Tage und Nächte umhergeirrt war, kam er in ein Land, dessen Bewohner von seltsamer Häßlichkeit waren. Als ihn einige von ihnen sahen, glaubten sie, es sei ein Teufel, und liefen schreiend

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davon. Ma war über ihren Anblick zuerst etwas bestürzt, da er aber bemerkte, daß sie sich vor ihm fürchteten, nutzte er ihre Angst zu seinem Vorteil aus; so oft er auf Leute stieß, die aßen und tranken, stürzte er sich auf sie, und wenn sie entflohen, nährte er sich davon, was sie zurückgelassen hatten. Nach einiger Zeit kam er in ein Dorf, das mitten im Gebirge lag und dessen Bewohner schon einigermaßen Menschen ähnlich waren; doch gingen sie alle in Lumpen und Fetzen wie Bettler. Ma setzte sich unter einen Baum, um auszuruhen, und die Dorfleute, die sich ihm zu nähern wagten, begnügten sich, ihn aus der Entfernung zu betrachten. Sie bemerkten jedoch bald, daß er sie nicht fressen wollte, und kamen allmählich näher an ihn heran. Ma begann lächelnd zu ihnen zu reden, und obgleich ihre Sprache verschieden war, vermochte er sich ihnen zur Not verständlich zu machen, und teilte ihnen mit, woher er gekommen war. Die Dorfleute waren sehr erfreut und verbreiteten die Kunde, daß der Fremde kein Menschenfresser sei. Dennoch kamen die Häßlichsten nur um einen Blick auf ihn zu werfen und liefen wieder davon; sie wagten nicht ihm nahezukommen. Die an ihn herantraten, waren an Mund und Nase den Leuten im Lande der Mitte nicht unähnlich. Sie brachten ihm Speisen und Wein in Menge. Ma fragte sie, wovor sie sich fürchteten. Sie antworteten: »Wir haben von unseren Vorfahren gehört, daß sechsundzwanzigtausend Li gen Westen ein Land liege, welches das Reich der Mitte genannt wird, und daß seine Bewohner eine ganz absonderliche Gestalt hätten. Bisher war es ein Hörensagen; jetzt wissen wir, daß wir es glauben dürfen.« Er fragte sie nun, wie es zugehe, daß sie so arm seien. Sie sagten: »In unserem Lande hängt alles nicht von geistigen Gaben, sondern von der Schönheit ab. Die Schönsten werden zu Staatsministern gemacht, die Nächstschönen zu hohen Beamten, und die dritte Klasse wird im Hofdienste verwendet. So können sie von ihren Gehältern für ihre Frauen und Familien sorgen. Wir aber werden von unserer Geburt an von unseren Eltern als unheilbringend angesehen und ausgesetzt; nur wenige Eltern, die es nicht übers Herz bringen, behalten ihre Kinder, um die Fortdauer der Familie zu sichern.« Ma fragte nach dem Namen des Landes und erfuhr, daß es Groß-Lotscha heiße; die Hauptstadt liege etwa dreißig Li nach Norden entfernt. Er bat sie, ihn dahin mitzunehmen. Am nächsten Tage beim Hahnenkrähen brachen sie auf und kamen, als es Tag wurde, in der Stadt an. Die Mauern waren aus einer Steinart, schwarz wie Tusche, und die Torhäuser über hundert Fuß hoch. Die Dächer waren aus roten Steinen, und als Ma ein abgebröckeltes Stückchen auflas, rötete es seine Fingernägel wie Zinnober. Gerade kamen die Beamten in Hoftracht aus der Audienz. Die Dorfleute wiesen mit den Fingern auf einen und sagten, es sei der Reichskanzler. Seine Ohren waren verkehrt ange-

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wachsen und hingen ihm wie Lappen ins Gesicht, er hatte drei Nasenlöcher und seine Wimpern hingen wie ein Bambusvorhang vor seinen Augen. Dann kamen einige auf Pferden, von denen sie sagten, sie seien die obersten Räte. So berichteten sie ihm den hohen Rang eines jeden der garstigen ungeschlachten Kerle, die er sah. Je höher die Beamten auf der Würdenleiter standen, desto häßlicher waren sie. Nach einiger Zeit ging Ma zurück. Die Leute in den Straßen staunten ihn an und rannten Hals über Kopf davon, wenn er näher kam, als wären sie einem Kobold begegnet. Die Landleute erklärten ihnen mit hundert Mündern, wer es sei, und endlich ließen sie sich bewegen, ihn aus einer Entfernung anzusehen. Als er zurückgekommen war, gab es im ganzen Volk nicht einen Menschen, Mann, Weib oder Kind, der nicht gewußt hätte, daß ein seltsames Wesen sich im Dorf aufhalte; und der Adel und die Beamten befahlen den Landleuten, ihn ihnen zu zeigen. Wenn er jedoch an eines der Häuser kam, schlug ihm der Pförtner immer das Tor vor der Nase zu und der Herr des Hauses, die Frau und die ganze Familie wagten nur durch die Türspalte ihn anzusehen und mit ihm zu reden. Nicht ein einziger getraute sich ihn zu empfangen. Endlich erinnerten sich die Dorfleute, die nicht wußten, was sie tun sollten, an einen Herold, der von einem früheren König mit einer Botschaft zu fremden Völkern geschickt worden war. Sie sagten, der würde, da er so viele Arten von Menschen gesehen habe, sich vor Ma nicht fürchten. Sie gingen nun in dessen Haus und Ma wurde als hoher Gast in Ehren empfangen. Der Herold schien achtzig oder neunzig Jahre alt zu sein: seine Augäpfel waren aus den Höhlen getreten und sein Bart gesträubt wie ein Igel. Er sagte zu Ma: »In meiner Jugend bin ich vom König zu vielen Völkern gesandt worden, aber ich kam niemals bis ins Reich der Mitte. Nun bin ich hundertundzwanzig Jahre alt, und daß es mir vergönnt ist, einen Eingeborenen Ihres Landes zu sehen, ist ein Ereignis, das ich dem Throne berichten muß. Zehn Jahre und mehr war ich nicht bei Hofe und habe hier in meiner Abgeschiedenheit gelebt; nun will ich aber um Ihretwillen die Mühe auf mich nehmen.« Hierauf folgte ein Gastmahl, und als der Wein eine Zeit lang gekreist hatte, kam ein Dutzend Sängerinnen herbei, die sangen und tanzten. Die Mädchen sahen wie Gespenster aus, trugen weiße gestickte Tücher um den Kopf geschlungen und lange scharlachne Kleider am Leib, die am Boden schleppten. Die Worte, die sie sangen, waren unverständlich und die Weisen, die sie spielten, anstrengend. Der Gastgeber schien aber daran großen Gefallen zu finden, und er sagte zu Ma: »Haben Sie im Reich der Mitte auch solche Musik?« Er antwortete bejahend und der Alte bat um eine Probe. Ma summte ihm eine Melodie vor und schlug den Takt auf dem Tisch, worüber jener sehr erfreut war und rief: »Wunderbar! Ihre

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Stimme ist wie der Gesang des Vogels Phönix und wie das Brüllen des Drachens. Ich habe dergleichen nie gehört.« Am nächsten Tage ging er in die Audienz und empfahl Ma dem König, der erst beschloß, ihn zu sich zu berufen, hernach jedoch auf den Rat einiger Minister, die darlegten, seine Erscheinung sei so grauenhaft, daß sie Seine Majestät erschrecken könnte, davon Abstand nahm. Der alte Mann war darüber sehr aufgebracht, ging nach Hause und sagte es Ma. Sie blieben nun einige Zeit beisammen, bis sie berauscht waren. Dann griff Ma nach einem Schwert und nahm Tanzstellungen ein, nachdem er sein Gesicht mit Kohlenstaub beschmiert hatte. Er spielte die Rolle des Generals Tschang-Feï. Sein Gastgeber war von seiner Kunst so entzückt, daß er ihn bat, vor dem Kanzler in der Rolle des Tschang-Feï aufzutreten; der Kanzler würde ihm dann gewiß eine Stellung anweisen. Ma antwortete: »Als Spiel geht es an, aber wie kann ich mit meinem Gesicht Besitz und Ehre zu erwerben suchen?« Auf das Drängen des Alten gab er aber zuletzt doch seine Zustimmung. Der Alte bereitete ein großes Fest, lud einige hohe Beamte dazu ein, und hieß Ma sich bemalen und die Gäste erwarten. Als sie gekommen waren, brachte man ihn in den Saal, worauf sie alle erstaunt ausriefen: »Seltsam! wie geht das zu, daß er früher so häßlich war und jetzt so schön ist?« Später, als sie beim Wein saßen, begann Ma ein zauberhaftes Lied zu singen, und sie wurden so erregt davon, daß sie ihn am nächsten Tage dem König empfahlen. Der sandte ihm eine besondere Aufforderung, vor ihm zu erscheinen. Als Ma kam, war der König erfreut und legte ihm viele Fragen über die Regierungsweise im Lande der Mitte vor, die Ma ausführlich und zur Bewunderung des Königs beantwortete. Es wurde nun ihm zu Ehren ein Festmahl in dem königlichen Gartenhause den königlichen Gästen gegeben, und als er berauscht war, sagte der König zu ihm: »Ich habe gehört, Sie seien ein sehr geschickter Musiker. Wollen Sie mir die Freude schenken, Sie zu hören?« Ma stand auf und begann Tanzstellungen anzunehmen, indem er eine klagende Weise sang, nach der Art jener, die die Mädchen in den weißen gestickten Kopftüchern gesungen hatten. Der König war entzückt und gab ihm sogleich ein hohes Amt und manche andere Zeichen seiner Gunst. Mit der Zeit entdeckten jedoch seine Kollegen die Unechtheit seines bemalten Gesichtes; fortan flüsterten sie einander immer etwas zu, wenn er in ihrer Mitte war, und wichen ihm aus. So war Ma sich selbst überlassen und fand seine Lage recht unerfreulich. Er richtete daher eine Bittschrift an den Thron, es möchte ihm gestattet werden, sein Amt niederzulegen, aber sein Ansuchen wurde abgewiesen. Er gab nun vor, er befinde sich unwohl, und erhielt einen Krankenurlaub von drei Monaten, während dessen er seine Wertsachen zusammenpackte und in das Gebirgsdorf zurückkehrte. Er

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wurde von den Dorfleuten auf den Knien empfangen und verteilte Gold und Juwelen unter seine alten Freunde. Ihr Jubel war donnergleich, und sie sagten zu ihm: »Wir geringen Leute haben von Ihnen Geschenke erhalten; wir werden, wenn wir zum Seemarkt gehen, Perlen und Kostbarkeiten für Sie heimbringen, um Ihre Güte ein wenig zu vergelten.« Ma fragte sie, wo der Seemarkt sei. Sie antworteten: »In der Mitte des Ozeans, wo die Fischmenschen der vier Meere ihre Schätze bewahren und zwölf Völker ihren Handel treiben. Manche geisterhafte Wesen suchen den Markt heim. Auf dem Wege dahin decken rote Nebel den Himmel, hohe Wolken hemmen den Pfad. Sie, Herr, dürfen sich der Gefahr nicht aussetzen, aber Sie können uns Geld geben und wir werden seltene Perlen für Sie kaufen. Die Zeit ist nahe.« Ma fragte sie, woher sie dies wüßten. Sie sagten: »Wenn wir rote Vögel sehen, die über dem Wasser hin und her fliegen, wissen wir, daß der Markt nach sieben Tagen eröffnet wird.« Er fragte, wann sie aufbrechen wollten; er würde sie begleiten. Sie baten ihn, nicht daran zu denken, er aber sagte: »Ich bin ein Seemann; wie sollten mich Wind und Wogen schrecken?« Bald darauf trugen die Leute ihre Waren zusammen; Ma bereitete sich zur Reise und ging an Bord des Schiffes. Das Schiff hatte einen flachen Boden und ein hohes Geländer, es wurde von zehn Männern gerudert und durchschnitt das Wasser wie ein Pfeil. Nach einer dreitägigen Fahrt sahen sie in der Ferne die Umrisse hoher Prachtgebäude und eine Menge von Handelsschiffen, die wie ein Gewimmel von Ameisen aussah. Bald kamen sie ans Ziel. Die Stadtmauern waren aus Ziegeln, so groß wie ein Menschenkörper, die Türme reichten in den Wolkenstrom. Nachdem sie ihr Boot vor Anker gebracht hatten, gingen sie ans Land und sahen auf dem Markte seltene Perlen und köstliche Edelsteine, deren Strahlen die Augen blendeten, von einer Art, die bei den Menschen nicht bekannt ist. Plötzlich sahen sie einen jungen Mann auf einem schönen Rosse heranreiten. Die Marktleute traten zurück um ihn durchzulassen und sagten, es sei der dritte Prinz von Tung-jan. Als der Prinz Ma erblickte, rief er: »Das ist keiner der Fremden.« Sogleich kam ein Diener zu Ma und fragte ihn nach Namen und Heimat. Ma verneigte sich vor dem Prinzen und bei der Seite stehend sagte er, wie er heiße und woher er stamme. Der Prinz lächelte ihm zu und sprach: »Es ist kein geringes Glück für uns, daß Sie unsere Gegend mit Ihrem Besuche beehrt haben.« Er gab ihm sodann ein Pferd und bat ihn, ihm zu folgen. Sie ritten zum Westtor hinaus und nieder zum Strand, wo die Pferde ins Wasser sprangen. Ma schrie erschrocken auf; aber das Wasser spaltete sich vor ihnen, daß sie auf trockenem Boden standen, und die Wellen bildeten Mauern zu beiden Seiten. Nach kurzer Zeit nahm Ma den Königspalast

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wahr, dessen Balken aus Schildkrötenschalen und dessen Ziegel aus Fischschuppen gemacht waren. Die vier Wände waren aus Kristall und glänzten wie Spiegel. Ma stieg zugleich mit seinem Gefährten vom Pferde und folgte ihm ins Schloß, in dem er den Drachenkönig erblickte. Der Prinz sagte: »Majestät, ich bin zum Markt spazieren geritten und bin diesem edlen Herrn aus dem Reiche der Mitte begegnet.« Ma machte dem König eine Verbeugung, worauf der zu ihm sprach: »Mein Herr, Sie sind ein Gelehrter, Sie können gewiß dichten. Deshalb bitte ich Sie, einige Strophen auf unsern Seemarkt zu verfassen. Seien Sie nicht geizig mit Ihren Perlen und Edelsteinen.« Ma verneigte sich zur Erde und unternahm es, den Wunsch des Königs zu erfüllen. Er bekam dazu eine Tuscheplatte aus Kristall, einen Pinsel aus Drachenbart, schneeweißes Papier und nach Rittersporn duftende Tusche überreicht und warf sogleich einige tausend Verse aufs Papier, die er dem König überreichte. Als der sie gelesen hatte, sagte er: »Mein Herr, Ihre heldenhaften Gaben machen uns Seevölkern alle Ehre.« Dann berief er die Häupter der Drachenstämme und gab ein großes Fest im Lusthaus der Farbigen Wolke. Als der Wein gekreist hatte, nahm der König einen großen Becher in die Hand und sprach zu seinem Gast: »Meine geliebte Tochter hat noch keinen Gatten. Ich möchte sie Ihnen verloben. Entspricht diese Absicht auch Ihren Wünschen?« Ma stand errötend auf und sagte »Ja«. Der König sah sich um und sprach ein paar Worte zu seinem Gefolge. Nach einigen Augenblicken führte eine Schar von Hofdamen die Königstochter herein, deren Schmuck beim Gehen klirrte. Sogleich erschollen Pauken und Trompeten und Braut und Bräutigam beteten miteinander Himmel und Erde an. Ma warf einen Blick auf die Prinzessin und sah, daß sie von feengleicher Lieblichkeit war. Nach der Zeremonie zog sie sich zurück und bald brachen auch die Gäste auf. Zwei schöngekleidete Zofen kamen, die Ma mit bemalten Kerzen hereingeleiteten, wo die Braut in reichem Schmucke wartete. Das Brautbett war aus Korallen, geschmückt mit acht Arten von Edelsteinen, die Vorhänge waren mit leuchtenden und faustgroßen Perlen behangen, und die Decken und Kissen dufteten. Am Morgen des nächsten Tages kam eine Schar von jungen Mädchen ins Zimmer, die Ma beim Aufstehen Dienste leisteten. Er ging sodann in den Hofsaal, um den König zu begrüßen und ihm seinen Dank auszusprechen. Er wurde in Ehren als königlicher Schwiegersohn empfangen und zum Staatsoffizier ernannt. Der Ruf seiner dichterischen Gaben war weithin gedrungen und die Könige der Meere sandten Botschafter zu ihm, ihn zu beglückwünschen und an ihren Hof zu laden. Ma ritt auf einem herrlichen Seepferde, in prächtigen Gewändern umher, von einer mit weißen Seerosen bewaffneten berittenen Leibgarde begleitet. Da wa-

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ren Spielleute zu Pferde und Spielleute zu Wagen. In drei Tagen hatte er alle Seereiche besucht und seinen Namen überall bekannt gemacht. Im Palast war ein Baum aus Jade. Sein Stamm war so breit, daß ihn ein Mann nicht umfassen konnte. Seine Wurzeln waren klar wie Glas und in der Mitte lief ein Steg von blassem Gelb. Die Zweige waren armbreit, die Blätter wie helle Jade und dick wie Kupfermünzen. Unter dem dichten Laubwerk pflegten die Damen des Hofes zu sitzen und zu singen. Die Blüten, die den Baum bedeckten, glichen Trauben, und wenn ein Blütenblatt zu Boden fiel, klang es wie Glöckchen. Wenn man eines auflas, fand man, daß es wie geschnittener Karneol war, hell und lieblich anzusehen. Von Zeit zu Zeit kam ein wunderbarer Vogel in das Geäst und sang. Seine Federn waren von goldnem Grün, sein Schweif so lang wie sein Körper. Sein Lied war wie der Klang von Jade, klagend und das Herz bewegend. Als Ma den Vogel singen hörte, rief es in ihm die Erinnerung an sein altes Heim auf, und er sprach zur Prinzessin: »Ich bin nun schon drei Jahre von meiner Heimat fern, von Vater und Mutter getrennt. Wenn ich an sie denke, fließen meine Tränen und der Schweiß rieselt mir über den Nakken. Willst du mit mir in mein Haus kommen?« Die Prinzessin antwortete: »Der Weg der Unsterblichen ist nicht wie der Weg der Menschen, daher vermag ich dir nicht zu folgen. Aber ich könnte auch nicht ertragen, daß die Liebe von Mann und Weib das Band zwischen Eltern und Kind zerrisse: Laß uns bedenken, was geschehen soll.« Als Ma dies hörte, konnte er sich nicht des Weinens erwehren, aber die Prinzessin sagte seufzend: »Es ist so, daß wir nicht beides vollkommen besitzen können.« Am nächsten Tage sprach der König zu Ma: »Ich höre, daß Sie sich nach Ihrer alten Heimat sehnen. Würde es Ihnen genehm sein, morgen Abschied zu nehmen?« Ma antwortete: »Ich Wanderer bin von Ihnen so gütig behandelt worden. Die Treue der Vergeltung ist mir an Nieren und Leber gebunden. Wenn ich erst zu Hause gewesen bin, will ich bald zurückkehren.« Am Abend redeten die Prinzessin und Ma beim Wein von der bevorstehenden Trennung. Ma versprach, sie würden einander bald wiedersehen; aber die Prinzessin sagte: »Unser Eheleben ist zu Ende.« Er weinte von neuem, sie aber sprach weiter: »Wie ein guter Sohn kehrst du zu deinen Eltern heim. In den Begegnungen und Trennungen des großen Lebens sind hundert Jahre wie ein einziger Tag; warum wollen wir Tränen vergießen wie Kinder? Ich will dir treu sein; bleibe auch du mir ergeben; und so werden wir, wiewohl geschieden, im Geiste vereinigt und ein glückliches Paar sein. Muß man, um miteinander alt zu werden, Seite an Seite leben? Brächst du unsern Vertrag, so würde deine nächste Ehe eine unglückliche sein; brauchst du aber eine Haushälterin, so kannst du dir eine Nebenfrau nehmen. Noch etwas ist, worüber ich sprechen möchte.

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Ich werde Mutter werden. Ich bitte dich, unserem Kind einen Namen zu geben.« Ma antwortete: »Wird es ein Mädchen, soll es Lung-hung*, wird es ein Knabe, soll es Fu-hai** heissen.« Die Prinzessin bat ihn nun um ein Erinnerungszeichen und Ma gab ihr zwei Wasserrosen aus Jade, die er in Lotscha bekommen hatte. Sie sagte noch: »Am achten Tage des vierten Monats, drei Jahre von heute, sollst du dich nach der südlichen Insel einschiffen. Dann will ich dir unser Kind übergeben.« Sie füllte einen Beutel aus Fischhaut mit Juwelen, gab ihn Ma und sagte: »Achte darauf; es wird ein Vorrat für viele Geschlechter sein.« Als der Morgen dämmerte, gab der König ein großes Abschiedsmahl, und Ma sagte allen Lebewohl. Die Prinzessin begleitete ihn in einem von schneeweißen Seeschafen gezogenen Wagen bis an die Grenze des Meerreichs, wo er ausstieg und ans Land sprang. »Lebewohl!« rief die Prinzessin, als der umkehrende Wagen sie rasch von dannen trug. Das Wasser schloß sich über ihr und entriß sie den Blicken des Gatten. Ma durchquerte das Meer und kehrte heim. Viele hatten ihn schon für tot gehalten; alle staunten, als er kam. Zum Glück lebten noch seine Eltern; aber seine Frau hatte einen andern geheiratet, und er verstand, warum die Prinzessin ihn zur Treue ermahnt hatte: sie wußte schon, was geschehen war. Sein Vater wollte, daß er sich wieder vermähle, aber er weigerte sich es zu tun; er nahm nur eine Nebenfrau. Als drei Jahre verstrichen waren, begab er sich nach der südlichen Insel. Da erblickte er, dicht am Strande, auf den Wogenkämmen reitend und im Wasser herumplätschernd, zwei kleine Kinder. Als er näher trat, faßte das eine nach ihm und sprang in seine Arme; worauf das ältere schrie, als sei es zornig, weil es nicht auch aufgenommen wurde. Ma zog beide an sich und betrachtete sie. Es waren ein Knabe und ein Mädchen, beide sehr lieblich; sie trugen gestickte Käppchen, die mit Wasserrosen aus Jade geschmückt waren. Eins hatte eine Tasche um, in der Ma den folgenden Brief fand: »Ich vermute, daß mein Schwiegervater und meine Schwiegermutter sich wohl befinden. Drei Jahre sind verstrichen und noch hält uns das Schicksal getrennt. Über den großen Ozean findet der Briefvogel keinen Pfad. Ich war bei Dir in meinen Träumen, bis ich ganz erschöpft wurde. Sieht der blaue Himmel noch auf einen Gram wie der meine hinab? Ich denke an Tschang-ngo, die einsam im Monde wohnt***, und an Tschihnü, die klagte, weil sie den Silberstrom nicht überschreiten kann.**** Wer * Drachenpalast. ** Glücksmeer. *** Die schöne Ehefrau eines sagenhaften Häuptlings, die ihrem Gatten den Unsterblichkeitstrank stahl und damit in den Mond entfloh. **** Die »Spinnerin« oder »Weberin«, ein Stern im Sternbild der Lyra, an dessen alljähr-

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bin ich, daß ich Glück als mein Teil erwarten dürfte? Wahrlich, dieser Gedanke kehrt meinen Kummer in Freude. Zwei Monate nach Deiner Abreise habe ich Zwillinge geboren, die schon in der Sprache der Kinder zu schwatzen wissen und bald nach einer Dattel, bald nach einer Birne greifen. Sie können auch ohne Mutter weiterleben. Ich sende sie Dir, mit den Blumen aus Jade, die Du mir gabst, in ihren Hütchen, zum Zeichen des Senders. Wenn Du sie auf Deine Knie nimmst, denke, daß ich an Deiner Seite stehe. Ich weiß, daß Du mir Dein Versprechen gehalten hast, und ich bin glücklich. Ich werde bis zum Tode keinen andern Gatten nehmen. Alle Gedanken an Kleider und Schmuck sind von mir abgefallen; mein Spiegel zeigt keine neuen Moden; meine Wangen sind schon lange ungepudert, meine Brauen ungeschwärzt. Du bist wie jener Soldat, der in den Krieg ziehen mußte, und ich wie seine Marketenderin, die nicht mitziehen durfte. Obgleich wir nicht eigentlich ein Eheleben führen, kann doch nicht gesagt werden, wir seien nicht Mann und Weib. Deine Eltern werden ihre Enkelkinder auf den Schoß nehmen, wiewohl sie deren Mutter nie gesehen haben. Ach! Ein Unrecht ist wohl in alledem. Im nächsten Jahre wird Deine Mutter in die lange Nacht eintreten. Ich werde am Grabe sein, wie es einer Schwiegertochter zusteht. Unserer Tochter wird es wohl ergehen; später wird sie die Hand der Mutter fassen können. Wenn unser Knabe heranwächst, wird er wohl dann und wann zu mir kommen dürfen. Lebe wohl, teurer Gatte, lebe wohl. Ich lasse vieles ungesagt.« Ma las den Brief wieder und wieder, und seine Tränen flossen all die Zeit. Seine beiden Kinder hingen an seinem Halse und baten: »Laß uns heimkehren.« Er wurde noch tiefer bewegt, liebkoste sie und sagte: »Ach, meine Kinder, wißt ihr denn, wo euer Heim ist?« Da weinten sie alle sehr. Ma blickte auf das große Meer, das sich hinstreckte, um dem Himmel zu begegnen, lieblich und weglos; dann umarmte er seine Kinder, bestieg mit ihnen das Schiff und kehrte voller Kummer zurück. Da er wußte, daß seine Mutter nicht lange mehr leben würde, bereitete er alles für die Zeremonie des Begräbnisses und pflanzte hundert junge Fichten um ihr Grab. Im nächsten Jahre starb die alte Frau und ihr Sarg wurde zur Grabstätte gebracht. Plötzlich stand am Grabe eine junge Frau im Trauergewand. Als die Menge sich über sie verwunderte, kamen Blitz und Donner und ein heftiger Regenstoß hernieder, und sie war verschwunden. Da bemerkte er, daß die vielen jungen Fichtenbäume, die erstorben waren, nun alle wieder auflebten. lichen Durchgang durch die Milchstraße (den »Silberstrom«) sich eine berühmte Sage knüpft, die die Trennung der Weberin von ihrem geliebten Kuhhirten erzählt.

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Als Fu-hai herangewachsen war, sehnte er sich sehr nach der Mutter. Einmal sprang er ins Meer und kehrte erst nach mehreren Tagen zurück. Da Lung-hung als Mädchen nicht mit ihm gehen konnte, klagte sie im Verborgenen. An einem Abend trat die Drachenstochter zu ihr und sagte: »Mein Kind, du wirst nun bald heiraten, weine nicht mehr.« Sie gab ihr einen acht Fuß hohen Korallenbaum, ein Stück wohlriechenden Drachensteins, hundert köstliche Perlen und zwei goldausgelegte Schachteln mit acht Arten von Edelsteinen als Mitgift. Als Ma entdeckte, daß sie gekommen war, stürzte er hinein, ergriff ihre Hand und weinte vor Freude. Da erschütterte ein gewaltiger Donnerstoß das Haus, und die Prinzessin war verschwunden.

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Das Blätterkleid Lu Tse-fu aus Fen, der in früher Kindheit seine Eltern verloren hatte, kam in seinem neunten Jahre zu seinem Onkel Ta-hi, der Beamter war. Ta-hi war reich und kinderlos und liebte Lu wie seinen eigenen Sohn. Mit vierzehn Jahren geriet Lu in die Gesellschaft schlechter Leute, die ihn zu Ausschweifungen verführten. Als einst eine berühmte Kurtisane aus Tschingling durch die Stadt kam, fand Lu so großen Gefallen an ihr, daß er ihr, als sie nach halbjährigem Aufenthalt nach Tsching-ling zurückkehrte, heimlich folgte. Nachdem er ein weiteres halbes Jahr bei ihr zugebracht hatte, war sein Geld unter dem Kissen zu Ende. Die Schwestern* begannen ihm geringschätzig zu begegnen. Doch duldeten sie ihn noch in ihrer Nähe. Da fügte es sich, daß er einer beulenartigen Krankheit verfiel. Der Ausfluß der Wunden beschmutzte sein Bett. Die Frauen vertrieben ihn und er mußte in der Stadt seinen Unterhalt erbetteln. Dort wichen die Menschen vor seinem Anblick scheu zurück. In ihm wuchs die Angst, in der Fremde verlassen sterben zu müssen. Er begab sich, Almosen heischend, auf den Weg nach seiner Heimat, die im Westen lag. Täglich dreißig bis vierzig Li zurücklegend, hatte er bereits die Grenze des Bezirkes Fen erreicht. Da er sich aber schämte, so in Schmutz und Lumpen heimzukehren, verweilte er in der Umgegend. Als die Sonne im Untergehen war, schickte er sich eilig an, einen Tempel zu erreichen, in dem er Unterkunft für die Nacht fände. Auf dem Wege begegnete er einem jungen Mädchen, das von überirdischer Schönheit war. Sie näherte sich ihm und fragte, wohin er gehe. Er sagte ihr die Wahrheit. Da sprach sie: »Ich bin aus der Welt geschieden und wohne einsam in einer Berghöhle. Ich kann Ihnen ein Lager für die *

Schwestern werden die Kurtisanen genannt.

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Nacht anbieten. Sie brauchen auch vor den Tigern und Wölfen keine Furcht zu haben.« Lu war froh darüber und folgte ihr. Bei dem Berge angekommen, gewahrte er den Eingang zu einem unterirdischen Palast. Vor dem Tore lief ein Bach, über den eine steinerne Brücke führte. Von dem Felsentor ging ein Licht aus, das die Nacht strahlend erhellte. Das Mädchen befahl ihm, die Lumpen abzutun und im Bach zu baden. Sie sagte: »Wenn Sie in diesem Wasser untertauchen, werden Ihre Beulen geheilt werden.« Hierauf hieß sie ihm ein Bett bereiten und befahl ihm dringend: »Gehen Sie sogleich zur Ruhe! Indessen will ich für Sie ein Kleid machen.« Sie nahm große Bananenblätter und schnitt ein Kleid aus ihnen zurecht. Lu, auf dem Bette rastend, sah ihr zu. Nachdem sie es fertig genäht hatte, faltete sie es zusammen, legte es vor das Bett hin und sprach: »Morgen können Sie es anziehen.« Dann legte sie sich auf einem Bette nieder, das dem seinen gegenüberstand. Seit dem Bade fühlte er die Schmerzen von seinen Beulen geschwunden. Als er am Morgen erwachte, betastete er sie und spürte, daß sie zu schuppigen Narben geworden waren. Beim Aufstehen überlegte er, womit er sich bekleiden solle, da er meinte, das Blätterkleid doch nicht tragen zu können. Er nahm es in die Hand und betrachtete es. Es war aus einer köstlichen grünen Seide. Als es Zeit wurde, ein Mahl einzunehmen, hob seine Gefährtin dürres Laub vom Boden auf, gab es den Dienerinnen und hieß sie daraus Kuchen backen. Aus Blättern schnitt sie ein Huhn und einen Fisch zurecht und ließ sie braten. Als er aß, war es wirklich Fisch und Huhn und Kuchen. In der Ecke des Zimmers stand ein Krug, in dem war edler Wein verwahrt, den sie tranken. Wenn er schwand, goß man Wasser auf, und doch blieb es immer der gleiche Wein. Nach einigen Tagen fielen von Lus Haut die Schuppen ab. Lu bat das Mädchen, sein Lager zu teilen. Sie sagte: »Leichtfertiger Bursche, kaum ergeht es Ihnen wohler, und schon hegen Sie wieder unnütze Wünsche.« Er sagte: »Könnte ich Ihnen doch mein Gefühl für Sie beweisen!« Dann gaben sie sich einander hin und waren froh. Eines Tages trat lächelnd eine junge Frau herein und neckte das Mädchen: »Kleine Pien-pien, du scheinst ja zu Tode vergnügt! Wie lang wird der schöne Traum dir noch währen?« Das Mädchen ging ihr entgegen und rief: »Lange warst du nicht bei mir, Hua-tschen, dich hat wohl der Westwind hergetragen, der heute so stark bläst? Hast du mir deinen Jungen mitgebracht?« Hua-tschen erwiderte: »Auch diesmal ist es ein Mädchen.« Pien-pien sprach: »Ach, du bist ja schon eine Ziegelei!* Doch wes*

Neugeborenen Knaben wurde im alten China ein Edelstein, neugeborenen Mädchen eine Ziegel in die Wiege gelegt.

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halb hast du das Kind nicht bei dir?« Hua-tschen antwortete: »Sie ist soeben nach langem Weinen eingeschlafen.« Die Frau setzte sich zu den Beiden an den Tisch, trank mit ihnen und sagte, Lu anblickend: »Mir scheint, der junge Herr kann guten Weihrauch brennen.« Lu erwiderte ihren Blick und erkannte, daß sie kaum drei- oder vierundzwanzig Jahre zählte und sehr schön war, und er empfand ein heftiges Wohlgefallen an ihr. Als ihm eine Frucht, die er schälte, entglitt, beugte er sich zu Boden, wie um sie aufzuheben, und faßte heimlich den Fuß der Hua-tschen. Die Frau lächelte mit fernen Augen, als ob sie nichts verspürte. Als er erregt und seiner Sinne unmächtig den Blick auf sein Kleid senkte, gewahrte er, daß es nimmer Seide, sondern welkes Laub war, das um seine Glieder hing. Entsetzt faßte er sich zur Ruhe und saß still da. Bald wurde das Kleid wieder wie vordem Seide, und er freute sich sehr, daß die Damen von der doppelten Verwandlung nichts bemerkt hatten. Später jedoch, indes sie weitertranken, berührte er streichelnd Hua-tschens feine Handfläche. Sie lachte und scherzte mit der Freundin weiter, als ob sie auch diesmal nichts bemerkt hätte. Lus Herz schlug gewaltig, da sah er wieder das Kleid in dürre Baumblätter verwandelt. Nach einer Weile verwandelte es sich in Seide zurück. Nun schämte sich Lu und getraute sich nicht mehr, dreisten Gedanken nachzuhängen. Hua-tschen aber sprach lachend: »Dein junger Mann ist wahrhaftig ein zu ungezogener Mensch. Säße Frau Essigflasche nicht mit am Tisch, er wäre schon in die Wolken entsprungen!« Die andere stimmte in das Lachen ein und sagte: »Ja, der ungetreue Kerl hätte wohl verdient in Not und Kälte unterzugehen!« Hua-tschen erhob sich und meinte: »Vielleicht ist mein kleines Mädchen erwacht, dann weint es herzzerreißend nach mir!« Die andere stand gleichfalls auf und erwiderte scherzend: »Freilich, während man begierig ist, den fremden Mann zu verführen, vergißt man das eigene Haus!« Als Hua-tschen sich entfernt hatte, fürchtete Lu, seine Gefährtin möchte ihn schelten. Sie aber redete zu ihm wie immer. Die Zeit verging so, es kam der Herbst, der Wind wurde kalt, die grünen Blätter schrumpften verwelkend ein. Die Frau sammelte Blätter und fertigte Winterkleider daraus an. Lu aber fror trotz der Kleider. Die Frau nahm ein Tuch und fing die Nebelwolken darin ein, die vor dem Eingang ihrer Höhle hinzogen, wob ihm ein flockiges Kleid daraus und zog es ihm an. Das Gewand war warm und weich wie Pelz und leicht wie frische Baumwolle. Im kommenden Jahr gebar Pien-pien einen Sohn, der war klug und schön. Lu spielte mit seinem Kind, aber oft enteilten ihm die Gedanken in die Heimat, und er bat einmal die Frau, mit ihm hinzuziehen. Sie sagte: »Ich kann dir zwar nicht folgen, doch kannst du allein gehen.«

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Drei Jahre säumte er noch. Indessen war das Kind herangewachsen. Da beredeten sie mit Hua-tschen, ihrer Beider Kinder zur künftigen Vermählung einander anzuverloben. Lu gedachte in dieser Zeit oft seines alten Onkels. Pien-pien sagte einmal: »Dein Onkel ist wohl hoch in Jahren, doch ist er noch sehr rüstig. Fürchte also nichts für ihn. Erwarte noch die Heirat unseres Kindes, ehe du deinem Wunsche gemäß zu deinen Verwandten gehst.« Auf Blättern Zeichen machend, unterwies Pien-pien ihr Kind im Lesen und Schreiben. Der Knabe erfaßte ungemein leicht. Pien-pien sprach zu Lu: »Unserem Sohn ist ein gutes Schicksal vorbestimmt. Wird er in der Welt leben, so dürfen wir hoffen, daß er bis zum Range eines Ministers aufsteigt.« Als der Knabe das vierzehnte Jahr vollendet hatte, überbrachte Huatschen ihre Tochter, reich geschmückt und strahlend von Angesicht. Mann und Frau freuten sich und ordneten ein Fest an, an dem das ganze Haus teilnahm. Pien-pien sang, mit ihrer Haarnadel aufklopfend: »Ich habe einen guten Sohn. Was scheren mich reiche Beamte? Ich habe eine gute Tochter. Was kümmern mich prächtige Damen? Heute ist die Vermählung. Heut sollen alle sich freuen. Ich schenke allen ein, und wir trinken aufs Wohl meiner Kinder.« Hua-tschen ging. Das junge Paar nahm Wohnung im gegenüberliegenden Felsenflügel. Die junge Frau galt in Pien-piens Liebe, als wäre sie ihr eigengeborenes Kind. Einmal sagte Pien-pien zu Lu: »Mein Sohn ist von der Art der Welt, nicht von der Art der Feen. Nimm du ihn mit dir, er wird hoch steigen und reich sein.« Die junge Frau wünschte ihre Mutter zum Abschied zu sehen; als sie es aussprach, war Hua-tschen schon da. Die Kinder schieden schwer. Die Tränen bedeckten ihnen beide Wangen. Die Mütter trösteten sie und sagten: »Gehet nun, später werdet ihr wohl wiederkehren!« Pien-pien schnitt aus Blättern Reitesel; auf ihnen sitzend, zogen die drei nach Lus Heimat. Lus Onkel, Ta-hi, war alt geworden und hatte sein Amt niedergelegt. Er war seit langem des Glaubens, sein Neffe sei gestorben. Nun kam er unerwartet und brachte dem Alten überdies noch einen guten Enkel und eine schöne Enkelin mit. Ta-hi freute sich, als hätte er einen Schatz von Edelsteinen gehoben. Als die drei aber unter die Tür des Hauses traten, sahen sie ihre Kleider als welke, zerfetzte Bananenblätter an ihren Körpern niederhängen und mußten sogleich ihre Hüllen wechseln. Nach einer Weile gedachte Lu Pien-piens und ging mit seinem Sohn ins Gebirge an ihren einstigen Wohnort, ihre Spur zu suchen. Gelbe Blät-

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ter aber verbargen ihnen den Eingang der Höhle und Nebel verhüllten den Weg. Weinend kehrten sie heim.

Der Ärmel des Priesters Ein Priester, dessen Namen und Heimat man nicht kannte, begehrte einmal bei dem Fürsten Lu vorgelassen zu werden. Der Pförtner weigerte sich, ihn zu melden. In diesem Augenblick trat einer der Hofherren aus dem Schloß. Der Priester verneigte sich und brachte ihm seine Bitte vor. Da er unansehnlich gekleidet war, stieß ihn der Würdenträger weg, und als er wiederkam, ließ er ihn durch einen Diener hinaustreiben. Der Priester lachte, zog hundert Taels in Gold hervor, ersuchte den Mann, ihn beim Hofherrn mit dieser Gabe zu empfehlen und sagte noch: »Ich habe gehört, daß im inneren Garten Pflanzungen und Lustgebäude sind, denen kein Ding auf Erden an Schönheit gleicht. Möchte man mir sie zeigen, das wäre mir fürs Leben genug.« Dann schenkte er dem Diener eine Handvoll Silber. Der freute sich und brachte die Botschaft dem Hofherrn, der ebenfalls erfreut war und den Priester durch eine Hintertür in den Garten führte. Sie besahen nun eine Herrlichkeit nach der andern. Zuletzt bestiegen sie, um die ganze Gegend zu überschauen, einen turmartigen Bau. Als der Hofherr sich an die Brüstung lehnte und hinunterblickte, gab ihm der Priester einen Stoß. Er fühlte sich hinabstürzen, blieb aber an einem dünnen Rindenfaden hängen, dessen eines Ende an seinem Gürtel, das andere an einem Vorsprung des Turmes haftete. Als er nach unten sah, erschien es ihm, daß er hoch oben in der Luft hing, und ihn schwindelte. Im nächsten Augenblick spürte er ein Nachlassen des Fadens, als wolle er reißen, und schrie laut auf. Sogleich kamen einige Wächter herbeigelaufen, die, als sie den Hofherrn hoch über der Erde hängen sahen, heftig erschraken. Endlich bestiegen sie den Turm und versuchten, den daran befestigten Knoten zu lösen, aber der Faden war so dünn, daß man ihn nicht anfassen durfte. Die Wächter suchten nun den Priester; er war verschwunden. Sie wußten sich keinen Rat mehr und meldeten die Begebenheit dem Fürsten. Er kam herbei, wunderte sich und befahl sodann, große Polster auf dem Boden auszubreiten. Als sie es getan hatten, riß der Faden, und in demselben Augenblick wurde es allen offenbar, daß die Gefahr nur eine Täuschung gewesen war und daß der Hofherr in Wahrheit kaum einen Fuß hoch über der Erde geschwebt hatte, und sie brachen in helles Gelächter aus. Der Fürst ließ den Aufenthalt des Priesters erkunden. Die Boten erfuh-

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ren, daß er beim Hsiu-tsai Tschang wohnte; sie fanden ihn nicht zu Hause, begegneten ihm aber auf dem Rückwege und führten ihn zum Fürsten. Der lud ihn zu einem Mahle ein und bat ihn, ihm seine Gaukelkünste zu zeigen. Der Priester sagte: »Ich bin ein Mann aus der Wildnis und besitze gar keine Kunst. Da Eure Hoheit mir aber wohlgesinnt ist, werde ich es wagen, Ihnen einen Frauenchor vorzuführen, der Ihnen ein langes Leben wünschen soll.« Er zog nun aus seinem Ärmel eine schöne Frau hervor und stellte sie auf den Boden. Sie verneigte sich zur Erde und trug das Lied vor, das die Feen im Schlosse der Mutterkönigin des Westens singen. Dann ließ er in der gleichen Weise eine zweite, eine dritte und noch viele Sängerinnen erscheinen. Zuletzt kam die Fee, welche die Weberin genannt wird, und brachte ein himmlisches Gewand, dessen goldene Strahlen das Zimmer füllten. Der Fürst meinte, das Kleid sei wohl ein Trug, und verlangte, es in der Nähe zu betrachten. Der Priester sagte, das gehe nicht an, aber der Fürst hörte nicht auf ihn und besah das Kleid von allen Seiten. Es war ohne Naht und nicht wie Menschenwerk. Der Priester sagte ärgerlich: »Ich wollte Ihnen mit aufrichtigem Herzen dienen und habe Ihnen zur Freude das Kleid den Himmelssöhnen entliehen. Nun ist es von der unsauberen Luft berührt. Wie kann ich es den Eigentümern zurückgeben?« Dann zündete er das Kleid an und steckte es wieder in seinen Ärmel. Als man den untersuchte, war darin nichts mehr zu finden. Der Fürst glaubte nun daran, daß die Sängerinnen Feen wären, und hätte gern einige an seinem Hofe behalten. Als er aber noch einmal hinsah, entdeckte er, daß es seine eigenen Hofsängerinnen waren. Nun fiel es ihm jedoch ein, daß die vorgetragenen Gesänge den Mädchen unbekannt sein mußten. Er fragte sie danach, und sie wußten gar nicht mehr, was sie getan hatten. Der Fürst erwies dem Priester große Ehren und bat ihn, bei ihm auf seinem Schlosse zu bleiben. Der Priester sagte: »Ich bin ein Wilder, und dieses Schloß ist ein Käfig. Im Hause des Hsin-tsai habe ich Freiheit.« Doch kam er fortan oft am Tage ins Schloß und ging am Abend, blieb auch manchmal auf das Drängen des Fürsten über Nacht. Bei Tisch pflegte er außer der Jahreszeit die köstlichsten Blumen und Gewächse aller Art hervorzuzaubern. Einmal fragte ihn der Fürst: »Ich habe gehört, die Unsterblichen vergässen die Liebe nicht. Ist das wahr?« Der Priester antwortete: »Bei den Unsterblichen ist es wohl so, aber ich bin nicht von ihnen. Mein Herz ist ein verdorrter Baum.« In einer Nacht, die der Priester im Schlosse zubrachte, hieß der Fürst eine junge Dirne zu ihm gehen. Als sie in sein Zimmer trat und ihn anrief, erhielt sie keine Antwort. Sie zündete eine Kerze an und sah, daß er

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auf dem Lager mit geschlossenen Augen saß. Sie schüttelte ihn; er öffnete die Augen und schloß sie wieder. Sie schüttelte ihn noch einmal; da begann er zu schnarchen. Sie stieß ihn: da fiel er hin, lag unbewegt da und schnarchte mit Donnerstimme. Sie berührte mit dem Finger seine Stirn; es klang hart, wie wenn man auf eine Eisenpfanne schlägt. Nun ging sie zum Fürsten und berichtete es ihm. Der Fürst befahl ihr, den Schlafenden zu stechen; die Nadel drang nicht ins Fleisch. Man versuchte den Körper zu heben; zehn Menschen konnten ihn kaum vom Platze bringen. Sie ließen ihn zu Boden fallen, und es war wie der Fall eines zentnerschweren Felsblocks. Am nächsten Morgen suchte man ihn wieder auf; da lag er noch auf der Erde und schlief. Als er erwachte, lachte er und sagte: »Das war ein guter Schlaf, ich habe es nicht einmal gespürt, als ich vom Bette fiel.« Danach vergnügten sich die Mädchen oft daran, ihn im Schlafe anzufassen. Bei der ersten Berührung war er noch weich, bei der zweiten hart wie Eisen. Der Hsiu-hai Tschang, bei dem der Priester wohnte, hatte einst vor Jahren die Bekanntschaft der Sängerin Weï-ku gemacht und hatte sie heiraten wollen. Weï-ku war berühmt um der Schönheit ihres Gesanges willen; der Fürst Lu hörte von ihr und nahm sie in seinen Dienst. So wurde sie von Tschang getrennt; sie dachten aneinander mit großem Weh, denn sie konnten weder zueinander kommen noch einander Nachricht geben. Eines Abends fragte Tschang den Priester, ob er Weï-ku gesehen hätte. Er antwortete, er habe alle Frauen am Hofe gesehen, aber er wisse nicht, welche er meine. Tschang beschrieb sie ihm nach Alter und Gestalt; da erinnerte er sich ihrer. Nun bat ihn Tschang, ihr ein Wort von ihm zu überbringen. Der Priester sagte lächelnd: »Ich bin von der Welt abgeschieden und kann nicht zwischen Menschen vermitteln.« Aber Tschang flehte ihn unablässig an; endlich schüttelte der Priester seinen Ärmel und sagte: »Wenn Sie denn unbedingt zu ihr wollen, kommen Sie hier herein.« Tschang blickte in den Ärmel, da war er wie ein großes Haus; doch konnte er nicht anders als gebückt und halb kriechend hineinkommen. Als er es getan hatte, war er in einer weiten Halle; reiches Licht strömte aus unzähligen Fenstern herein; Tische, Stühle, Lagerstätten standen umher. Er wohnte nun darin und fand es sehr behaglich. Indessen ging der Priester ins Schloß, spielte mit dem Fürsten Schach und wartete auf Weï-ku. Als sie kam, schüttelte er den Ärmel, wie um den Staub abzustreifen, und schon hatte er Weï-ku hineingebracht, ohne daß es jemand bemerkte. Tschang saß gerade in tiefem Sinnen, als eine schöne Frau durchs Dach hereingefallen kam. Es war Weï-ku. In staunendem Entzücken umarmten sie einander. Nachdem sie liebend und genießend eine Zeit beisammen verbracht hatten, sprach Tschang: »Diese wunderbare Begegnung dürfen

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wir nicht unbeschrieben lassen. Daher möchte ich mit Ihnen ein Gedicht machen.« Und sie schrieben an die Wand diese Verse:

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Tschang: Das Haus des Fürsten ist wie das Meer. Wer es betritt, läßt keine Spur zurück. Weï-ku: Wie hätte ich je die Hoffnung gewagt, meinen Geliebten wiederzusehen? Tschang: Im Ärmel ist eine unendliche Welt. Sie hat nicht Maß und nicht Grenze.

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Weï-ku: Die einsamen Wandrer empfängt sie gnädig und die sehnsüchtigen Frauen. Kaum war das Gedicht zu Ende, kamen fünf Menschen in rosenfarbenem Kleid und kantigen Hüten herein, ergriffen die Frau und führten sie hinaus. Tschang war erschreckt und wußte nicht, was er beginnen sollte. Bald kehrte der Priester nach Hause zurück, rief Tschang heraus und fragte ihn, wie es ihm ergangen sei. Er erzählte es, jedoch nicht ohne einige Einzelheiten zu verschweigen. Der Priester lächelte, nahm sein Kleid ab, und zeigte ihm die Rückseite des Ärmels. Tschang sah darauf in winzigen, kaum sichtbaren und doch völlig deutlichen Zügen die Verse, die er und Weï-ku an die Wand geschrieben hatten. Nach einigen Wochen durfte Tschang wieder in den Ärmel gehen, und dann noch etlichemal. Als er wieder einmal mit Weï-ku zusammenkam, sagte sie zu ihm: »Es regt sich in meinem Leibe. Ich bin sehr bekümmert darüber. Ich habe mich fest gegürtet, aber im Schlosse gibt es zu viele Augen und Ohren, und wenn das Kind geboren wird, wo kann ich es schreien lassen? Bitte den Priester, mir zu helfen, wenn meine Stunde kommt.« Tschang versprach es ihr. Als er den Priester wiedersah, warf er sich vor ihm nieder und wollte nicht aufstehen. Der Priester hob ihn auf und sagte: »Was gesprochen wurde, war mir schon bewußt. Seien Sie unbesorgt. An diesem Faden hängt die Erhaltung Ihres Geschlechtes; wie sollte ich da nicht mit allen Kräften helfen? Aber von nun an dürfen Sie nicht mehr zu ihr. Der Grund meines Beistandes ruht nicht in den persönlichen Verhältnissen.« Nach einigen Monaten kam der Priester zu Tschang und sagte lächelnd: »Ich bringe Ihnen Ihren Sohn; holen Sie schnell die Windeln herbei.«

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Tschangs Ehefrau, die etwa dreißig Jahre zählte, war von gütiger Natur. Sie war etlichemal schwanger gewesen, hatte aber nur einen Sohn behalten; eine Tochter, die sie vor kurzem geboren hatte, war gestorben, nachdem sie nur einen Monat gelebt hatte. Als Tschang ihr die Nachricht brachte, kam sie erfreut heraus. Der Priester holte das Kind, das sanft schlief, aus dem Ärmel; die Nabelschnur war noch nicht abgebunden. Frau Tschang nahm es in ihre Arme, da fing es erst zu weinen an. Dann zog der Priester sein Kleid aus und sagte: »Die Lehre des Tao verbietet, Blutflecken auf seinem Kleide zu haben. So muß ich das alte Ding, das mir zwanzig Jahre gedient hat, abtun.« Während er ein neues anzog, das ihm Tschang gab, sagte er zu ihm: »Werfen Sie das alte nicht weg. Ein Lot davon hat, zu Asche verbrannt, die Macht, schwere Geburten zu lindern.« Tschang versprach, darauf zu achten. Eine Zeit verstrich. Eines Tages sprach der Priester zu Tschang: »Von dem aufbewahrten alten Kleid behalten Sie stets ein Stück zurück. Vergessen Sie es auch nach meinem Tode nicht.« Tschang sagte, er solle nicht Worte von übler Vorbedeutung sprechen. Der Priester schwieg. Bald darauf ging er zum Fürsten und sagte: »Nun will ich sterben.« Der Fürst mochte es nicht glauben und sagte nur: »Das ist ja des Schicksals Sache, wie kann man darüber sprechen?« Doch hielt er ihn, als er gehen wollte, zurück und bat ihn, eine Partie Schach mit ihm zu spielen. Als sie es getan hatten, stand der Priester auf. Der Fürst hielt ihn wieder zurück und bat ihn, mit ihm in das äußere Haus zu treten. Der Priester folgte ihm und legte sich draußen hin. Als der Fürst sich nach ihm umwandte, sah er, daß er tot war. Der Leichnam wurde eingesargt und mit großen Ehren begraben. Tschang ging an das Grab und trauerte. Auf dem Rückwege fiel ihm ein, was der Priester vom Kleide gesagt hatte. Er machte es bekannt, und es erwies sich, daß es ein Mittel von großer Kraft war. Viele Leute kamen zu Tschang und baten ihn darum. Anfangs gab er von dem befleckten Ärmel, dann schnitt er Stücke des Kragens ab und so fort. Er beherzigte aber die Mahnung des Priesters, da er dachte, es sei wohl seine Frau gemeint, die eine schwere Geburt haben würde, schnitt ein handgroßes Stück ab und bewahrte es wie eine Kostbarkeit. Aber die Jahre vergingen, ohne daß er es brauchen konnte. Da geschah es, daß eine Nebenfrau des Fürsten Lu, die gebären sollte, drei Tage lang in den Wehen lag, und alle Mittel, die die Ärzte anwandten, hatten keinen Erfolg. Nun erzählte jemand dem Fürsten von Tschangs wunderbarem Kleid. Der Fürst ließ ihn rufen. Sobald die Frau von der Asche eingenommen hatte, gebar sie. Der Fürst war sehr erfreut und wollte Tschang Silber und Seide schenken, aber er wollte nichts annehmen.

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Auf die Frage des Fürsten, ob er nicht doch einen Wunsch habe, sagte er: »Ich wage nicht, ihn auszusprechen.« Als ihn der Fürst aufforderte, es unbesorgt zu tun, verneigte er sich zur Erde und sprach: »Wenn Eure Hoheit mir eine Gnade erweisen wollen, geben Sie mir Weï-ku. Das wäre mir genug.« Der Fürst ließ sie kommen und fragte nach ihrem Alter. Sie sagte: »Als ich ins Schloß kam, war ich achtzehn. Seither sind vierzehn Jahre verstrichen.« Der Fürst meinte, sie wäre zu alt, und ließ alle Sängerinnen rufen, damit Tschang sich eine nach Belieben wähle; aber Tschang wollte keine andere. Der Fürst lachte und sagte: »Närrischer Student, haben Sie sich schon vor so vielen Jahren vergeben?« Tschang erzählte ihm nun alles. Der Fürst ließ einen reich geschirrten Wagen herrichten und alle Kostbarkeiten, die Tschang abgelehnt hatte, als Weï-kus Aussteuer draufladen. Dann begleitete er die beiden hinaus. Weï-kus Sohn war Hsiu-scheng, das ist »der im Ärmel Geborene«, genannt worden. Zu jener Zeit war er elf Jahre alt. Tschang hörte nie auf, der Güte des Priesters zu gedenken, und ging in jedem Jahre am Totenfeste an sein Grab. Ein Mann aus Sse-tschuan befand sich auf einer Reise in der Gegend. Da kam ihm der Priester entgegen, gab ihm ein Buch und sagte: »Es ist aus dem Schloß. Als ich eilig fortging, habe ich vergessen, es zurückzugeben. Bringen Sie es in meinem Namen hin.« Als der Mann ins Schloß kam, erfuhr er, daß der Priester schon lange tot sei. Da wagte er nicht, dem Fürsten zu berichten, was ihm begegnet war. Tschang tat es für ihn. Der Fürst schlug das Buch auf und erkannte es wieder. Er zweifelte aber noch und ließ das Grab des Priesters öffnen; man fand den Sarg leer. Tschangs erster Sohn starb jung. Durch Hsiu-scheng blieb Tschangs Geschlecht erhalten. So erfüllte sich die Prophezeiung des Priesters.

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In Tschiao-tschou lebte ein Mann namens Tou-hsü, mit dem Beinamen Hsiao-hui. Als er eines Tages sich nachmittags niedergelegt hatte, sah er vor seinem Bette einen Mann in honigfarbenem Kleide stehen, der ihm anscheinend etwas mitteilen wollte. Er fragte ihn nach seinem Begehren und der Mann antwortete, er sei der Überbringer einer Einladung von seinem Herrn. »Und wer ist dein Herr?« fragte Tou. »Oh, er wohnt nicht weit von hier«, erwiderte der andere. So gingen sie zusammen, und nach einiger Zeit kamen sie an einen Platz, auf dem unzählige weiße Gebäude sich eines über dem andern erhoben, von dichten Zitronenhainen beschattet. Sie nahmen ihren Weg durch zahllose Türen von ungewöhnli-

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cher Gestalt und begegneten einer Menge umherlaufender Männer und Frauen, die alle etwas Beamtenhaftes in ihrer Erscheinung hatten und von denen jeder Tous Begleiter zurief: »Ist Herr Tou gekommen?« worauf er stets bejahend antwortete. Nun kam ihnen ein hoher Würdenträger entgegen und führte Tou zu einem Palast. Tou sagte zu ihm: »Sie erweisen mir viele Güte. Aber ich habe nicht die Ehre Sie zu kennen und weiß den Grund Ihrer Einladung nicht.« »Unser Fürst«, antwortete sein Begleiter, »hat schon lange von Ihnen als von einem Mann von vornehmem Geschlecht und vortrefflichen Grundsätzen gehört und ist begierig, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Tou war sehr erstaunt und fragte: »Wer ist Ihr Fürst?« »Sie werden es sogleich selbst sehen«, sagte der andere. In demselben Augenblick kamen zwei Mädchen mit Fahnen heraus, die Tou durch viele Türen geleiteten, bis sie an einen Thron kamen, auf dem der Fürst saß. Als er Tou eintreten sah, stand er auf, ging ihm entgegen und forderte ihn auf, den Ehrensitz einzunehmen. Danach wurden ihnen köstliche Speisen aller Art vorgesetzt. Aufblickend bemerkte Tou eine Rolle, auf der geschrieben stand: D e r K a s s i a h o f , und er begann gerade daran zu denken, was er zunächst sagen sollte, als der Fürst ihn ansprach: »Die Ehre, Sie zum Nachbarn zu haben, darf wohl wie ein Verwandtschaftsband zwischen uns angesehen werden. Wir wollen uns daher der Freude ergeben und Mißtrauen und Furcht gänzlich abtun.« Tou murmelte seine Zustimmung. Als der Wein einigemal herumgegangen war, hörte man in einer Entfernung Flötenspiel und Gesang erklingen, aber ohne die übliche Trommelbegleitung und sehr gedämpften Schalles. Der Fürst sah sich in der Runde um und sagte: »Wir wollen euch Herren einen Vers zur Ergänzung aufgeben*: »S c h ö n e r G e i s t s u c h t d e n K a s s i a h o f .« Während die Hofleute noch über einen passenden Gegenvers nachdachten, sagte Tou: »E d l e r S i n n l i e b t d e n L o t o s k e l c h .« Der Fürst rief: »Wie seltsam! Lotos ist der Name meiner Tochter. Nach solch einem schönen Zufall muß sie selbst kommen, damit Sie sie sehen.« Nach wenigen Augenblicken verkündete das Klingen ihres Geschmeides und ein köstlicher Moschusduft die Ankunft der Prinzessin. Sie war zwischen sechzehn und siebzehn, mit unirdischer Schönheit begabt. Der Fürst hieß sie sich vor Tou verneigen und stellte sie ihm als seine Tochter Lotos vor. Sogleich nach diesem feierlichen Vorgang entschwand die Prinzessin wieder. Ihre Erscheinung hatte alle Gedanken Tous in Bewegung versetzt und wieder zum Erstarren gebracht. Er war so überwältigt, daß er, als der Fürst ihm vorschlug, sie sollten einander *

Dieses in China sehr beliebte Spiel besteht darin, daß jedes Wort des zu bildenden Verses dem an derselben Stelle stehenden des ersten entsprechen muß.

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noch ein volles Glas zutrinken, es gar nicht hörte. Der Fürst, der wohl verstand, was die Aufmerksamkeit seines Gastes abgelenkt hatte, erzählte ihm, er würde gern einen Gemahl für seine Tochter finden, aber unglücklicherweise sei da die Schwierigkeit der v e r s c h i e d e n e n G a t t u n g und er wisse nicht, was er tun solle. Aber auch diese Worte hörte Tou nicht, bis endlich einer der Umstehenden ihn am Ärmel zupfte und ihn fragte, ob er nicht bemerkt habe, daß der Fürst ihm zuzutrinken wünschte. Da fuhr Tou auf und kam wieder zu Sinnen; er erhob sich und bat den Fürsten, seine Unhöflichkeit zu entschuldigen, da der viele Wein ihn des Bewußtseins beraubt hätte. »Überdies«, fügte er hinzu, »erwarten Eure Hoheit zweifellos mancherlei Geschäfte; ich will daher Abschied nehmen.« »Ich bin glücklich, Sie gesehen zu haben«, antwortete der Fürst, »und bedaure nur, daß Sie solche Eile haben. Ich will Sie jetzt nicht aufhalten; wenn Sie uns aber nicht völlig vergessen, werde ich mich sehr freuen, Sie wieder hierher einzuladen.« Er gab nun Befehl, man solle Tou nach Hause begleiten. Auf dem Wege fragte diesen einer der Hofleute, warum er nichts gesagt habe, als der Fürst von einem Gatten für seine Tochter sprach, da doch seine Hoheit offenbar beabsichtigt hätte, Tou zu seinem Schwiegersohn zu machen. Tou war bestürzt, daß er die Gelegenheit versäumt hatte. Indessen hatten sie sein Haus erreicht. Da geschah es, daß er e r w a c h t e : die Sonne war schon untergegangen, und er saß in der Dämmerung und dachte daran, was sich ereignet hatte. Alles stand noch klar vor seinen Augen. Am nächsten Abend löschte er die Kerze und hoffte, den Traum fortsetzen zu können. Aber der Faden war abgerissen und er konnte nur seine Reue in Seufzern aussprechen. Eines Nachts schlief er im Hause eines Freundes, als plötzlich ein Hofbeamter eintrat und ihn ersuchte, vor dem Fürsten zu erscheinen. Entzückt sprang er auf und folgte ihm zum Palast, wo er sich vor dem Throne zur Erde verbeugte. Der Fürst hob ihn auf, hieß ihn sich setzen und sagte: »Seit wir beisammen waren, habe ich erfahren, daß Sie geneigt sind, meine Tochter zu heiraten, und ich hoffe, daß es mir gestattet sein wird, sie Ihnen zur Magd zu geben.« Tou stand auf und dankte mit erneuter Verbeugung dem Fürsten, der nun Befehl gab, daß ein Gastmahl bereitet werde. Als sie beim Wein saßen, wurde gemeldet, daß die Prinzessin angekleidet sei. Sodann kam eine Schar von Hofdamen mit der Prinzessin in ihrer Mitte. Ein roter Schleier hüllte ihren Kopf ein und sie glitt mit kleinen Schritten heran, als sie sie auf den Teppich führten. Als die Zeremonien der Vermählung beendet waren, wurden Tou und die Prinzessin ins Brautgemach geleitet. Die reine duftende Luft hatte eine unsägliche Kraft der Beglückung. Tou sprach zur Prinzessin: »In deiner Gegenwart wäre es

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leicht, den Tod selber zu vergessen. Aber ich fürchte, daß all dies nur ein Traum ist.« »Wie kann es ein Traum sein«, sagte die Prinzessin, »da du und ich beisammen sind?« Am nächsten Morgen vernügte sich Tou damit, der Prinzessin beim Schminken zu helfen. Dann begann er mit einem Gürtel den Umfang ihrer Hüften und mit seinen Fingern die Länge ihrer Füße zu messen. »Bist du närrisch?« rief sie lachend. Tou sagte: »Ich bin so oft durch Träume getäuscht worden, daß ich mir jetzt eine genaue Erinnerung schaffen will. Wenn es wieder zu nichts wird, werde ich doch etwas als ein Andenken haben.« Während sie so scherzten, kam eine Dienerin ins Zimmer gestürzt und schrie: »Ach! ach! ein großes Ungeheuer ist dem Palaste nahegekommen. Der Fürst hat sich in einen Seitenflügel geflüchtet. Vernichtung wird sicherlich über uns kommen.« Tou war in großer Angst, als er dies hörte, und lief zum Fürsten, der seine Hand ergriff und ihn unter Tränen bat, sie nicht im Stich zu lassen. »Unsere Verwandtschaft«, rief er, »war schon gegründet, als der Himmel dieses Unheil über uns sandte. Nun wird mein Reich zerstört werden. Was soll ich tun?« Tou bat ihn, ihm mitzuteilen, was geschehen sei. Der Fürst legte einen Eilbericht auf den Tisch und ersuchte Tou, ihn zu öffnen und zu lesen. Das Schreiben lautete: »Der Erste Staatsminister, Schwanflügel, an Seine Königliche Hoheit, zum Bericht der Ankunft eines außergewöhnlichen Ungeheuers und zur Empfehlung unverzüglicher Entfernung des Hofes zum Zwecke der Erhaltung der Lebenskraft des Reiches. Meldung ist soeben erstattet worden von dem am Gelben Tor wachhabenden Offizier, des Inhalts, daß seit dem sechsten Tage des fünften Monats ein riesenhaftes Ungeheuer, zehntausend Fuß an Länge messend, zusammengerollt außerhalb des Eingangs zum Palast lagert und daß es allbereits dreizehntausendachthundert und etliche Untertanen Eurer Hoheit verzehrt und weit und breit Verheerung ausgestreut hat. Beim Empfange dieser Meldung ging der Diener Eurer Hoheit mutig daran, eine Rekognoszierung zu unternehmen, und wurde eines giftigen Reptils gewahr, dessen Kopf den Umfang eines Berges hatte und dessen Augen breiten Wasserflächen glichen. So oft es den Kopf erhob, verschwanden ganze Gebäude in seinem Rachen, und wenn es sich streckte, stürzten Mauern und Häuser in Trümmern zusammen. Aus dem ganzen Altertum ist keine Erwähnung eines Schreckens dieser Art erhalten. Das Schicksal unserer Tempel und Ahnenhallen wird schon in den nächsten Stunden entschieden sein. Wir flehen daher Eure Hoheit an, sogleich mit der Königlichen Familie den Palast zu verlassen und anderswo eine glücklichere Wohnstätte zu suchen.« Als Tou dieses Schriftstück gelesen hatte, wurde sein Angesicht aschenfahl. In demselben Augenblick stürzte ein Bote herein und schrie:

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»Da ist das Ungeheuer!« worauf der ganze Hof in wilde Klagen ausbrach. Der Fürst war außer sich vor Angst; er sagte Tou, er solle sich selbst in Sicherheit bringen, ohne sich um seine Frau zu bekümmern, durch die er in dieses Unheil geraten sei. Die Prinzessin jedoch, die daneben stand und ihr Geschick bitterlich beweinte, rief Tou an, er solle sie nicht verlassen. Nach einem Augenblick des Zögerns sagte er, er würde sich glücklich schätzen, sein armes Haus zu ihrer sofortigen Verfügung zu stellen, wenn sie geruhen wollte, ihm die Ehre zu erweisen. »Wie können wir in einem Augenblick wie dieser von g e r u h e n sprechen? Ich bitte dich, nimm uns so schnell wie möglich dahin.« Tou gab ihr seinen Arm und im Nu waren sie in seinem Hause angekommen. Die Prinzessin erklärte sogleich, es sei ein reizender Aufenthaltsort und besser sogar als ihr früheres Königreich. »Aber nun bitte ich dich«, sagte sie zu Tou, »Vorrichtungen für die Aufnahme meiner Eltern zu treffen, damit die alte Ordnung der Dinge hier fortgesetzt werde.« Als Tou nun einige Einwände machte, rief sie: »Ein Mann, der einem andern Wesen in der Stunde der Not nicht helfen will, ist kein Mann« und fiel in einen Weinkrampf. Tou versuchte, so gut er konnte, sie zu trösten, als er plötzlich erwachte und sah, daß alles nur ein Traum gewesen war. Doch hatte er zu gleicher Zeit ein Summen in den Ohren und wußte, daß es von keinem menschlichen Wesen herrühren konnte. Er blickte sich achtsam um und entdeckte zwei oder drei Bienen, die sich auf seinem Kissen niedergelassen hatten. Er war darüber sehr erstaunt und beriet sich mit einem Freund, der die seltsame Geschichte mit Verwunderung erfuhr. Als er Tous Kleider ansah, bemerkte er, daß eine Menge Bienen darauf saßen, die sich nicht wegscheuchen ließen. Er riet Tou nunmehr, einen Korb für sie aufstellen zu lassen. Als dies geschehen war, füllte ihn sogleich ein ganzer Schwarm von Bienen, die in großen Scharen herbeigeflogen kamen. Man untersuchte, woher sie gekommen waren, und stellte fest, daß sie einem alten Mann gehörten, der in der Nachbarschaft wohnte und seit dreißig Jahren Bienen züchtete. Tou ging zu ihm und erzählte ihm die Begebenheit. Der Alte eilte zu seinen Bienenstöcken und fand einen leer. Als er ihn aufbrach, entdeckte er eine Schlange, die etwa zehn Fuß lang war. Er erkannte in ihr das riesenhafte Ungeheuer aus Tous Erlebnis und tötete sie sogleich. Die Bienen aber blieben bei Tou und vermehrten sich von Jahr zu Jahr.

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Musik Wen Hsiu-tscheng, ein junger Gelehrter, der einem vornehmen Geschlecht der Provinz Tsching angehörte, liebte mit Leidenschaft die Musik. Sein liebstes Instrument war das Kin*, das er niemals verließ, auch nicht wenn er eine Reise unternahm. Auf einer seiner Fahrten fand er sich vor der Tür eines alten Tempels. Er band sein Pferd an und trat ein, um auszuruhen. Drinnen sah er einen greisen Priester in schlichter Tracht, der mit gekreuzten Beinen saß, in Gebet und Betrachtung versunken. Sein Stab lehnte an der Wand, und daneben hing sein Kin, in bunten Stoff gehüllt. Wen fühlte sich in seiner Leidenschaft erregt und fragte: »Können Sie darauf spielen?« Der Priester antwortete: »Nicht gar gut. Gern würde ich von einem Kundigen lernen.« Zugleich löste er das Kin von der Wand und reichte es dem Besucher. Wen sah beim erstem Blick, daß es von einer seltenen Vollkommenheit des Baues war. Er versuchte die Saiten; die Töne hatten eine wunderbare Reinheit. Nun spielte er eine kurze Weise. Der Priester lächelte, ohne ihm Beifall zu spenden. Wen spielte das Beste, was er konnte. »Recht gut«, sagte der Priester lachend, »aber nicht genug, um mein Lehrer zu werden.« Wen fand, daß dies eine hochmütige Rede sei, und bat den Priester, nun selbst zu spielen. Der legte das Kin auf seine Kniee und stimmte es sorgsam. Als die Töne kamen, erschien es Wen, daß ein sanfter Wind vorüberzog, mit dem hundert Arten von Vögeln herbeiflogen, bis alle Bäume im Hofe von ihnen bedeckt waren, und sie sangen. Entzückt bat Wen den Priester, ihn das Spiel zu lehren. Dreimal spielte der Priester die Weise, und Wen nahm sie auf, andächtig mit geneigten Ohren lauschend. Nun hieß der Priester ihn versuchen, und er tat es. »Mit dem, was Sie jetzt wissen«, sagte der Priester, »können Sie gewiß sein, in dieser Welt keinen Rivalen zu haben.« Wen übte noch eine Zeit und wurde einzig in seiner Kunst. Auf der Heimkehr hielt ihn eines Abends, zehn Li weit von der Heimat, ein Gewitterregen auf. Ein Dorf lag am Wege. Er trat, ohne zu überlegen, in das erste Häuschen ein. In dem Vorraum war niemand, aber nach einem Augenblick kam ihm ein Mädchen von siebzehn oder achtzehn Jahren entgegen, von göttlicher Schönheit, das bei seinem Anblick erschrak und zurücklief. Wen war noch nicht verlobt, und so kamen ihn Liebesgedanken an. Indessen kam eine alte Frau heraus und fragte nach seinem Namen. Er sagte ihn ihr und bat um Aufnahme. Sie erwiderte: *

Kin: ein fünfsaitiges Instrument aus Holz, dessen gerundeter Teil den Himmel, der flache die Erde darstellt.

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»Hier bleiben können Sie wohl, aber ich habe kein Nachtlager. Wenn Sie sich mit einer Strohmatte begnügen wollen, will ich Sie gern aufnehmen.« Dann brachte sie eine Kerze und breitete mit freundlicher Geberde eine Matte aus. Wen fragte sie nach ihrem Namen. Sie sagte, sie heiße Tschao. Nun begehrte er zu wissen, wer das Mädchen sei. Sie antwortete: »Das ist Fang-niang, meine Pflegetochter.« Wen sagte: »Wenn Sie mich nicht geringachten, würde ich mich gern mit ihr verbinden. Was meinen Sie dazu?« Die Alte erwiderte mit verlegener Miene: »Ich darf nicht zustimmen.« Er fragte nach dem Grund. Sie sagte nur, sie könne ihn ihm nicht mitteilen. Betrübt mußte er die Werbung aufgeben. Als die Frau gegangen war, bemerkte Wen, daß die Matte so feucht war, daß man darauf nicht schlafen konnte. Daher setzte er sich hin und spielte auf dem Kin, um die stillen Nachtstunden zu vertreiben. Als es zu regnen aufhörte, verließ er das Haus. In Wens Heimatsstadt lebte ein ehemaliger Staatsrat namens Ko, der großen Gefallen an den Künsten fand. Als Wen ihn einmal besuchte, bat er ihn zu spielen. Die weiblichen Mitglieder der Familie hörten ihm hinter einem Vorhang zu. Plötzlich hob ein Windstoß den Vorhang, und Wen erblickte ein Mädchen von unvergleichlicher Schönheit. Es war Kos Tochter, die Liang-kung hieß und deren dichterische Gaben man allgemein rühmte. Wen war von ihrem Anblick sehr bewegt. Als er nach Hause kam, erzählte er es seiner Mutter. Sie schickte eine Vermittlerin an Ko, dem aber Wen nicht vornehm genug war und der daher einen abschlägigen Bescheid gab. Seit Liang-kung Wen gehört hatte, hing sie in ihrem Herzen an ihm und hoffte immer, bald wieder seinem schönen Spiele lauschen zu können. Aber Wen kam nicht mehr in Kos Haus, da seine Werbung abgelehnt worden war. Eines Tages war Liang-kung im Garten. Da sah sie am Boden ein Papier liegen und hob es auf. Es stand ein Gedicht darauf, das überschrieben war: »Die Klage um die Spuren des Frühlings.« Die Verse waren diese: Der dunkle Gram macht mich wirr. Ach, immer nur denken und denken. Alltäglich verwirren Gedanken der Liebe mein Herz. Die berauschenden Rosen, die Weiden beweinen den Frühling, Sie fühlen das Gleiche, sie trauern ums Gleiche wie ich. Ein altes Weh und ein neues sind nun in eines verschmolzen; Vertrieben erscheinen sie wieder, wie Gras nach der Mahd. Auf mir, der Einsamen, lastet mit tausend Wolken der Himmel.

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Die Abende kommen, die Morgen, ich bleibe allein. Tief gerunzelt die Brauen, die Blicke gespannt und ermattet, – Ich hab es verworfen und wieder verworfen, umsonst! Ich träume, und kann nicht schlafen. Dem Traum gleich zittert die Decke. Die Seele ängstigt mir der fallende Tropfen der Uhr. Man sagt von Nächten, von langen. Doch meine Nacht ist wie keine. Fünf Wachen hat jede: fünf Jahre. So eil ich zum Tod. Liang-kung las die Verse wieder und wieder und fand großen Gefallen an ihnen. Sie schrieb sie ab und legte die Abschrift auf ihren Tisch. Als sie aber nach einem Augenblick wiederkam, sah sie das Blatt, das sie beschrieben hatte, nicht mehr. Sie dachte, der Wind habe es weggeweht. Es war aber ihr Vater durch das Zimmer gegangen und hatte die Verse gesehen. Er meinte, sie seien von Liang-kung verfaßt, ärgerte sich über ihre Leichtfertigkeit und verbrannte das Blatt, ohne ihr etwas zu sagen. Nun wollte er sie schnell verheiraten. Es traf sich zu jener Zeit, daß der Sohn des Schatzmeisters Liu um Liang-kung warb. Ko lud ihn zu sich ein. Er kam in reichem Gewande, und Ko sah mit Freuden, daß auch seine Gestalt schön war. Als er sich aber nach dem Mahle verabschiedet hatte, fand man unter seinem Sitze einen Frauenschuh. Ko sah darin ein Zeichen der üblen Sitten des Jünglings, ließ den Vermittler kommen und erzählte es ihm. Der junge Liu bestritt, daß der Schuh ihm gehörte, aber Ko wollte nicht darauf hören und lehnte die Werbung ab. Ko hatte in seinem Garten grüne Chrysanthemen, von denen er niemandem je eine hatte geben wollen. Liang-kung pflegte sie sorgsam. Eines Tages wurden plötzlich einige Chrysanthemen in Wens Hofe grün. Seine Kameraden hörten davon und besuchten ihn, um die Blumen zu sehen. Wen liebte sie sehr; als er an einem Morgen zu ihnen kam, fand er auf dem Beete ein Blatt, darauf jenes Gedicht »Die Klage um die Spuren des Frühlings« geschrieben war. Er las es einigemal und verstand nicht, woher es gekommen sein konnte. Da er aber merkte, daß das Wort Tscheng, das ist Frühling, seinem Familiennamen glich, machte er sich besondere Gedanken darüber. Er setzte sich an seinen Tisch und schrieb scherzhafte Bemerkungen auf das Blatt. Zu gleicher Zeit aber hatte Ko erfahren, daß Wens Chrysanthemen grün geworden waren, er war erstaunt und machte ihm einen Besuch. Als er das Gedicht liegen sah, nahm er es und begann zu lesen. Wen, der sich der Scherze schämte, die er auf das Blatt geschrieben hatte, riß es ihm aus der Hand und zerknitterte es. Ko hatte nur den Anfang gelesen, aber erkannt, daß es dasselbe Gedicht war, das er im Zimmer seiner Tochter gefunden hatte. Er war sogleich voller Verdacht und

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überzeugt, die grünen Chrysanthemen seien Wen von Liang-kung geschenkt worden. Nach Hause zurückgekehrt, erzählte er alles seiner Frau und bat sie, die Tochter auszufragen. Liang-kung weinte bitterlich und sagte, sie wolle sterben. Was sie berichtete, war freilich nicht das, was Ko sich vorgestellt hatte; aber er dachte, man könne die Wahrheit nicht ermitteln. Auch befürchtete die Mutter, die Sache möchte ruchbar werden, und so beschlossen sie, Liang-kung mit Wen zu vermählen. Ko ließ es ihm sagen, und er hörte es mit unaussprechlichem Entzücken. Für den Abend dieses Tages lud Wen seine Freunde zu sich. Sie sahen zusammen die Chrysanthemen an, dann brannte Wen Weihrauch und spielte auf seinem Kin. Bis tief in die Nacht blieben sie beisammen. Dann ging Wen schlafen. In der Nacht hörte einer seiner Diener das Kin von selbst erklingen. Zuerst dachte er, es sei ein Scherz eines andern Dieners, merkte aber bald, daß es von keinem Menschen kam. Er lief zu seinem Herrn und erzählte es ihm. Wen ging näher heran. Der Ton war stockend, als ob jemand Wens Art zu spielen nachahmen wollte und nicht könnte. Er trat schnell mit der Lampe in der Hand hinein, aber es war niemand zu sehen. Wen nahm nun das Kin zu sich, und es blieb den Rest der Nacht über still. Er meinte, es sei ein Fuchs gewesen, der bei ihm Musik lernen wollte. Daher spielte er fortan an jedem Abend ein Lied, ließ dann das Instrument für den Unsichtbaren liegen und benahm sich in allem wie ein Lehrer. Nacht für Nacht lauschte er dem Spiele. Nach sechs oder sieben Nächten hatte der Unsichtbare schon einige Kunst erworben und es war angenehm, ihm zuzuhören. Als Wen Liang-kung als seine Frau in seinem Hause empfangen hatte, erzählte er ihr von dem Gedicht. Da merkten sie, wie die Verbindung zustande gekommen war, aber sie konnten nicht verstehen, was sich ereignet hatte. Liang-kung fand das Spiel des Unsichtbaren seltsam. Als sie es gehört hatte, sagte sie: »Das ist kein Fuchs. Das Spiel ist traurig und hat einen Geisterton.« Das wollte Wen nicht glauben. Liang-kung hatte in ihrem Elternhause einen alten Spiegel, mit dem man die Bilder der unsichtbaren Geister fangen konnte. Den ließ sie am nächsten Tage holen und wartete, bis das Spiel begann. Dann nahm sie den Spiegel, trat ein und machte Licht. Da sah sie ein Mädchen, das sich verlegen in eine Ecke verkroch, bis es sich zuletzt nicht mehr verbergen konnte. Wen betrachtete es und erkannte, daß es Fang-niang aus der Familie Tschao war. Er wunderte sich und befragte sie darüber. Schluchzend antwortete sie: »Ich habe für euch die Vermittlerin gespielt und habe euch Liebe erwiesen. Warum bedrängt ihr mich so sehr?« Da verhüllten sie den Spiegel mit einem Tuche. Nun war das Mädchen beruhigt und erzählte: Ich war die Tochter eines Präfek-

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ten und bin nun schon hundert Jahre tot. Als ich lebte, war mir von allem das Schönste, auf dem Kin und auf der Zither zu spielen. Der Zither war ich kundig, aber die Kunst des Kin habe ich nicht erlangt. Darüber klage ich in der Unterwelt. Als ich Ihr Spiel hörte, hatte ich große Sehnsucht nach Ihnen im Herzen; da ich aber ein a n d e r e s D i n g bin, konnte ich nicht bei Ihnen bleiben. Ich habe daher heimlich für Sie diese schöne Verbindung geschaffen, um Ihnen Freude zu bescheren. Der Frauenschuh und das Gedicht kamen von mir. Diesen Lohn für den Lehrer kann man gewiß nicht als gering ansehen.« Wen und seine Frau waren ihr beide sehr dankbar und verneigten sich vor ihr. Fang-niang sagte nun zu Wen: »Ihre Kunst habe ich zur Hälfte empfangen, aber noch besitze ich sie nicht in ihrer ganzen Tiefe. Ich bitte Sie, mir noch einmal vorzuspielen.« Wen willfahrte ihrer Bitte und spielte mit aller Vollendung. Fang-niang war sehr froh und sagte: »Nun habe ich es ganz erfaßt.« Sie stand auf und wollte gehen. Aber Liang-kung, die der Zither kundig war und von Fang-niang nun ein Gleiches gehört hatte, bat sie, einmal darauf zu spielen. Sie tat es. Die Weise und der Klang waren nicht wie die auf Erden sind. Liang-kung war entzückt und bat sie, ihr etwas von diesen Melodien mitzuteilen. Fang-niang schrieb achtzehn Stücke auf und gab sie ihr, dann erhob sie sich zu gehen. Wen und Liang-kung bemühten sich, sie zum Bleiben zu bewegen, aber sie sagte traurig: »Ihr beiden seid zueinander gestimmt, aber mein Schicksal ist dünn, und ich habe kein Glück. Doch wenn die Vorsehung uns wohlgesinnt ist, werden wir uns wiedersehen.« Darauf gab sie Wen eine Rolle und sagte zu ihm: »Dies ist mein Bild. Wenn Sie meine Vermittlung nicht vergessen wollen, hängen Sie es im Schlafzimmer auf. In den Stunden der Freude brennen Sie Weihrauch vor dem Bild und spielen Sie ein Lied. Dann werde ich Ihnen dankbar sein.« Und sie verschwand.

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Die Schwestern Liu Tse-ku aus Hai-tschou kam, fünfzehn Jahre alt, nach Kai, um seinen Onkel zu besuchen. Eines Tages sah er in einem Laden ein Mädchen stehen, dessen unvergleichliche Schönheit sein Herz erfreute. Er trat, nicht ohne Scheu, ein und gab vor, einen Fächer kaufen zu wollen. Das Mädchen aber rief den Vater und trat in den Hintergrund des Ladens, worüber Liu recht sehr betrübt war. Er öffnete den Fächer, drehte ihn wie prüfend hin und her und gab ihn endlich zurück, als ob er ihm nicht gefiele. Seither lugte er nach einer Gelegenheit aus und beobachtete den Laden.

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Endlich bemerkte er einmal, daß der Vater ausging. Sogleich schlich er sich hin. Das Mädchen sagte ihm, es werde den Vater holen, und Liu konnte es davon nur mit Mühe abhalten, indem er sagte: »Nicht doch! Nennen Sie mir den Preis dieses Fächers, ich werde nicht feilschen, sondern bezahlen, wieviel Sie verlangen.« Sie nannte nun einen hohen Betrag; Liu zahlte, ohne ein Wort über die übermäßige Forderung zu sagen, und ging. Am nächsten Tag kam er wieder, und der Vorgang wiederholte sich. Als Liu aber den Laden verlassen hatte, kam das Mädchen ihm nachgelaufen und sagte: »Kommen Sie zurück! Ich habe Sie betrogen. Ich habe von Ihnen mehr genommen, als die Gegenstände wert sind.« Mit diesen Worten gab sie ihm die Hälfte des Geldes zurück. Liu war nun noch inniger bewegt. Hinfort kam er, so oft sich ihm die Gelegenheit bot, in den Laden. Allmählich wurden sie einander vertrauter, und einmal fragte erst sie ihn, dann er sie nach Namen und Heimat. Sie sagte, sie heiße Ah-hsiu, und Yao sei ihr Familienname. Als er diesmal gehen wollte, tat sie die Gegenstände, die er gekauft hatte, in Papier ein, dessen Ende sie, um es festkleben zu können, mit der Zungenspitze befeuchtete. Heimgekehrt, wagte Liu nicht, das Päckchen zu öffnen, denn er befürchtete, er könnte dabei das Fleckchen zerstören, das ihre Zunge berührt hatte. Nach einem halben Monat solcher Zusammenkünfte entdeckte sein Diener das Geheimnis und riet dem Onkel, den Knaben in die Heimat zurückkehren zu heißen. So mußte Liu abreisen. Aber seither war sein Herz bedrückt, und er wußte nicht, was er beginnen sollte. Er legte die Gegenstände, die er gekauft hatte, die Parfümdosen und Taschentücher und all die Kleinigkeiten, in ein Kästchen; so oft er allein war, schloß er die Tür, öffnete das Kästchen und versank in ein tiefes Sinnen. Im nächsten Jahr geschah es, daß er wieder nach Kai kam. Kaum hatte er seine Sachen beim Onkel untergebracht, schlich er schon zum Laden. Die Tür war geschlossen. Er ging in schwerer Enttäuschung heim, tröstete sich aber damit, Ah-hsiu würde wohl ausgegangen sein. Am nächsten Morgen war er wieder da und fand alles wie am Abend. Er fragte nun bei den Nachbarn herum und erfuhr, daß die Familie Yao, da das Geschäft keinen Gewinn brachte, vorläufig nach ihrer Heimatstadt Kuang-ning zurückgekehrt war. Die Unsicherheit, wann er das Mädchen wiedersehen könnte, verwundete Lius Herz und zersprengte seine Gedanken. Nach einigen Tagen fuhr er traurig heim. Man redete nun von einer Heirat für ihn. Da er darin seiner Mutter nicht zu Willen sein wollte, war sie erstaunt und ärgerlich und verstand sein Gebaren erst, als ihr der Diener erzählte, was sich ereignet hatte. Liu wurde nun streng bewacht und durfte nicht mehr nach Kai reisen. Er

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verfiel in Trauer und Schwermut, aß wenig und versäumte seine Studien. Allmählich wurde die Mutter sehr besorgt um ihn und wußte sich zuletzt keinen Rat, als seinen Wünschen nachzugeben. Sie sandte ihn daher nach Kai und hieß ihn seinem Onkel die Bitte übermitteln, die Werbung einzuleiten. Der war dazu erbötig und machte dem alten Yao einen Besuch, kam aber schon nach kurzer Zeit zurück und sagte zu Liu: »Es steht schlimm. Ah-hsiu ist schon einem Mann aus Kuang-ning versprochen.« Liu war trostlos, da er seine Hoffnung vernichtet sah. Als er heimgekehrt war, ging er zum Kästchen und weinte bitterlich. Lange lebte er in seinem Kummer dahin. Allmählich aber erwachte in ihm der Gedanke, ob er wohl irgendwo in der Welt eine Ähnliche finden könnte. Da kam gerade die Heiratsvermittlerin ins Haus und begann, die Schönheit einer Tochter der Familie Huang aus Fu-tschou zu preisen. Liu wollte ihrem Loblied nicht recht trauen, erklärte, er wolle es selber nachprüfen, und machte sich auf den Weg nach Fu-tschou. Als er durch das Westtor in die Stadt trat, sah er plötzlich in einem Hause, dessen nach Nord gerichtete Türflügel halb geöffnet waren, ein Mädchen stehen, das Ah-hsiu glich. Er blinzelte mit den Augen, ging einige Schritte weiter und sah sie wieder unverwandt an. Vom Zweifel erfaßt, erkundigte er sich bei einem Nachbarn und erfuhr, die Familie, die in diesem Hause wohne, heiße Li. Ganz versonnen fragte er sich selber: »Kann es auf Erden so große Ähnlichkeit geben?« Mehrere Tage vergingen, ohne daß er zu der, die er gesehen hatte, einen Weg finden konnte. Alltäglich wartete er vor ihrem Hause und hoffte, sie würde wieder an die Tür kommen. Und eines Abends geschah es, daß die Tür sich öffnete und das Mädchen heraustrat. Als sie Liu erblickte, deutete sie auf den rückwärtigen Teil des Gebäudes, legte die Hand auf die Stirn und ging wieder hinein. Liu war beglückt, aber er verstand nicht, was die Gebärde meinte. Nachdenklich umging er das Haus und fand dahinter einen verwilderten Garten mit einem verfallenen Gebäude darin, der vom Hause durch eine schulterhohe Mauer getrennt war. Nun verstand er, was das Mädchen gemeint hatte, und verbarg sich im Gebüsch. Nach einiger Zeit erschien ein Kopf über der Mauer, und Liu hörte ein leises »Komm!« Er stand auf und sah das Mädchen vor sich. Er blickte ihr lange ins Gesicht: es war Ah-hsiu. Da stöhnte er schmerzlich auf, und die Tränen flossen in Schnüren aus seinen Augen. Das Mädchen beugte sich über die Mauer und trocknete wie zum Trost seine Tränen mit ihrem Taschentuche. Liu sagte: »Alle Pläne, die ich gehegt habe, um dich zu gewinnen, sind nicht in Erfüllung gegangen. Ich wähnte schon, für dieses Leben sei alles zwischen uns vorbei. Ich träumte nicht davon, daß wir einander an diesem Abend begegnen würden. Wie bist du hierher gekom-

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men?« Sie antwortete: »Herr Li ist mein Onkel.« Liu bat sie, über die Mauer zu steigen. Sie sagte: »Nimm hier Wohnung. Ich werde dann zu dir kommen.« Liu tat, wie sie ihm geboten hatte. Er mußte nicht lange warten. Als sie kam, sah er, daß sie das gleiche schlichte Kleid wie einst trug. Er lud sie ein, sich zu setzen, und erzählte ihr, wie erbärmlich er sich nach ihr sehnte. Dann fragte er sie, wie es zugehe, daß sie, wiewohl so lange verlobt, noch nicht vermählt sei. Sie antwortete: »Die Nachricht, ich sei verlobt, war falsch. Mein Vater wollte mich dir nicht geben, weil er meinte, deine Heimat sei zu weit von der unsern gelegen. Jenes hat dir dein Onkel offenbar deshalb vorgelogen, um deiner Hoffnung ein Ende zu machen.« So besprachen sie sich; dann aber lagen sie umschlungen beieinander, zu beider unaussprechlicher Freude. Um die vierte Nachtwache stand das Mädchen auf und ging. Von dieser Zeit an war Liu wie ein Wiederbelebter und hatte all seine bitteren Gedanken vergessen. Er lebte schon einen halben Monat an dem Orte, ohne an die Heimkehr zu denken; da ereignete es sich, daß sein Diener eines Nachts aufstand, um das Pferd zu füttern, und dabei in Lius Zimmer noch Licht brennen sah. Er schaute zum Fenster hinein und erblickte das Mädchen. Er war bestürzt, wagte aber nicht, seinen Herrn zu befragen, sondern stellte am nächsten Tag in der Stadt eine Nachforschung an. Als er heimgekehrt war, fragte er Liu: »Wer ist es, mit dem Sie in der Nacht beisammen waren?« Als Liu nicht antworten wollte, sagte der Diener: »Dies ist eine öde und einsame Gegend. Geister und Füchse haben hier ihr Versteck. Nehmen Sie sich vor ihnen wohl in acht. Das kann nicht Fräulein Yao gewesen sein.« Liu sagte errötend: »Der Nachbar von der Westseite ist ihr Onkel. Da gibt es keinen Grund zu solchem Verdacht.« Aber der Diener berichtete: »Ich habe mich umgetan und geforscht. Das östliche Nachbarhaus ist nur von einer alten Frau bewohnt. Die Familie des westlichen Nachbarhauses hat nur einen kleinen Sohn. Es ist nicht anders: Sie müssen einem Geiste oder einer Füchsin begegnet sein. Wie ginge es sonst zu, daß sie noch dasselbe Kleid wie einst trägt? Auch ist ihr Gesicht bleich, ihre Wangen eingefallen, und wenn sie lacht, hat sie keine Grübchen wie Ah-hsiu.« Liu dachte nach und sagte geängstigt: »Was soll man nun tun?« Der Diener erklärte, er wolle, wenn sie am Abend wiederkäme, mit der Waffe auf sie eindringen. Am Abend kam das Mädchen und sprach sogleich zu Liu: »Ich weiß, daß du einen Verdacht gegen mich hegst. Ich aber habe nichts andres getan, als daß ich die uns zweien vorbestimmte Vereinigung erfüllte.« In diesem Augenblick stürzte der Diener ins Zimmer. Sie sagte gebieterisch: »Tu die Waffe weg. Mach Wein zurecht, denn ich will mit deinem Herrn das Abschiedsmahl halten.« Dem Diener entfiel die Waffe, als hätte sie

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ihm einer aus der Hand gerissen. Lius Angst stieg, aber er ließ eilig das Mahl bereiten. Das Mädchen sah ihn mit dem mutwilligen Lächeln an, das ihr eigen war, und sagte: »Da du mir dein Herz gezeigt hattest, dachte auch ich daran, dir nun meine Liebe zu offenbaren. Du aber läßt mich bewachen, als wäre ich ein Scheusal. Wiewohl ich nicht Ah-hsiu bin, meinte ich bislang, ich sei nicht weniger schön als sie. Hast du es anders gesehen?« Liu konnte vor Verlegenheit und Furcht den Mund nicht öffnen. Beim Schlag der dritten Nachtwache trank sie ihren Becher aus, stand auf und sagte: »Ich gehe jetzt von dir. Am Tage deiner Hochzeit aber werde ich wieder bei dir sein und mich deiner Liebsten vergleichen, zu sehen, welche von uns die Schönere ist.« Sie kehrte ihm den Rücken zu und verschwand. Liu vertraute den Worten der Füchsin und reiste nach Kai. Da er glaubte, sein Onkel habe ihn getäuscht, wohnte er nicht bei ihm, sondern in der Nähe des Hauses, in dem die Familie Yao lebte. Er beauftragte eine Vermittlerin, der er ein ansehnliches Geschenk versprach, jener seine Werbung zu überbringen. Aber Frau Yao sagte ihr, ihre Tochter sei der Verlobung wegen mit ihrem Vater in Kuang-ning, und sie selbst wisse nicht, wie die Sache ausgegangen sei; man müsse die Heimkehr der beiden abwarten, dann würde man vielleicht weiterreden können. Als Liu dies erfuhr, wußte er nicht, was er beginnen sollte; endlich beschloß er, in Kai zu bleiben. Nach einiger Zeit hörte er plötzlich sagen, bald würde ein Bürgerkrieg ausbrechen, aber er meinte, es sei ein leeres Gerücht; es währte jedoch nicht lang, da steigerte sich die Gefahr so sehr, daß er die Stadt verlassen mußte. Er fand das ganze Land im Aufstand. Im Getümmel verlor er seinen Diener und wurde bald darauf von Kundschaftern des feindlichen Heeres gefangen genommen. Da sie sahen, daß er zart und schwach war, wurde er nicht sehr streng bewacht, und so gelang es ihm, ein Pferd zu stehlen und darauf zu entfliehen. Als er an der Grenze von Hai-tschou angelangt war, erblickte er ein Mädchen in zerzaustem Haar, das sich mühselig weiterschleppte. Als er vorbeiritt, hörte er sie rufen: »Ist das nicht Herr Liu?« Er hielt die Zügel an und sah sich um. Es war Ah-hsiu. Er fragte sie ängstlich: »Sind Sie die wirkliche Ah-hsiu?« Sie verstand seine Worte nicht, und er erzählte ihr nun, was ihm begegnet war. Sie sagte: »Ich bin die rechte Ah-hsiu. Mein Vater war mit mir nach Kuang-ning gekommen; da brach der Aufstand aus, und ich wurde geraubt. Man gab mir ein Pferd, aber ich fiel Mal um Mal zu Boden und mußte nun zu Fuß weiter gehen. Da kam plötzlich ein Mädchen zu mir herangeschritten, das faßte meine Hand und flog mit mir mitten durch die Reihen des Heeres, ohne daß einer uns anhielt. Ihr Schritt war schnell wie das Jagen eines Rosses. Ich weiß nicht, wie ich ihr

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gefolgt bin. Einigemal strauchelte ich, und die Schuhe fielen mir von den Füßen. Nach einer Zeit merkte ich, daß das Tosen der Truppen nur noch wie ein fernes Geräusch zu hören war. Da ließ sie meine Hand los und sagte: ›Ich muß nun von dir scheiden. Der Weg vor dir ist ohne Gefahr, du darfst langsam gehen. Der dich liebt, wird bald kommen und dich heimholen.‹ Dann verschwand sie.« Liu wußte, daß dies die Füchsin gewesen war, und dankte ihr in seinem Herzen. Er erzählte ihr nun, weshalb er in Kai verweilt hatte, und sie ihm, ihr Vater habe einen Mann namens Fang zu ihrem Bräutigam bestimmt, aber ehe die Verlobung stattgefunden hätte, sei der Aufstand ausgebrochen; woraus Liu ersah, daß die Rede seines Onkels nicht trügerisch gewesen war. Er setzte nun Ah-hsiu auf sein Pferd, und so ritten sie beide nach Hause. Liu fand seine Mutter bei guter Gesundheit und erzählte ihr alles, was sich begeben hatte. Die Mutter war erfreut, Ah-hsiu zu sehen. Sie brachte ihr Wasser, und Ah-hsiu wusch sich und kleidete sich um. Als sie fertig war, sah man erst ganz ihre leuchtende Schönheit, und die Mutter sagte mit erhöhter Freude: »Es nimmt mich nicht wunder, daß mein närrischer Junge auch noch im Traum an dich dachte.« Sie machte ihr ein Bett neben dem ihren zurecht und sandte einen Boten nach Kai mit einem Brief an Herrn Yao. Nach einigen Tagen kamen Herr und Frau Yao, und man setzte einen glückbringenden Tag für die Vermählung fest. Am Hochzeitstage öffnete Liu das Kästchen, nahm das bisher unberührte Päckchen und löste den Verschluß. Da war statt der Schminke, die er gekauft hatte, rote Erde darin. Er war erstaunt, aber Ah-hsiu lachte und sagte: »Nun ist mein Betrug aus jener Zeit ans Licht gekommen. Da ich damals bemerkte, daß du die Gegenstände, die verpackt werden sollten, gar nicht beachtetest, wollte ich dir einen Streich spielen.« Als die beiden so lachend und scherzend beieinander saßen, teilte sich plötzlich der Vorhang und eine Stimme sagte: »Ihr seid so fröhlich beisammen, nun sollt ihr mir auch dafür danken.« Liu sah hin, da stand eine zweite Ah-hsiu vor ihm. Er rief eilig seine Mutter herbei. Sie kam mit den andern Hausgenossen, aber keiner konnte die beiden Frauen unterscheiden. Liu selbst war vom Hin- und Herschauen unsicher geworden und mußte sich besinnen, endlich verneigte er sich vor der Füchsin und dankte ihr. Sie ließ sich einen Spiegel geben; aber kaum hatte sie sich darin erblickt, lief sie voll Scham hinaus. Man folgte ihr, aber sie war verschwunden. Liu und seine Frau errichteten ihr zum Dank und Gedächtnis eine Tafel im Hause. Eines Abends zur Dämmerzeit kam Liu leicht berauscht heim. Als er im Zimmer Licht machen wollte, ging Ah-hsiu an ihm vorbei. Er nahm sie in seine Arme und fragte sie, wohin sie gehe. Sie sagte lächelnd: »Erst

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bringst du den leidigen Weingeruch heim und dann fragst du noch, wohin ich gehe. Meinst du wohl, ich wolle dir entfliehen?« Liu faßte sie lachend am Kinn. Sie fragte: »Wen findest du schöner, mich oder die Füchsinschwester?« Liu antwortete: »Du bist schöner. Ihre Haut läßt sich der deinen nicht vergleichen.« Dann schlossen sie die Tür und genossen einander in tiefer Umschlingung. Nach einer Weile klopfte jemand an die Tür. Die Frau erhob sich und sagte lächelnd: »Du bist mir aber ein Hautphysiognomiker.« Liu verstand nicht, was sie meinte, und öffnete die Tür. Draußen stand Ah-hsiu. Er war ganz verwirrt und begriff erst allmählich, daß die, mit der er geredet hatte, die Füchsin war. In der Finsternis hörten sie noch ihr Lachen, aber als sie hinsahen, war niemand da. Sie verneigten sich beide gegen den leeren Raum und baten sie, zu erscheinen. Da sagte ihre Stimme: »Ich will Ah-hsiu nicht sehen.« Als sie sie nun fragten, warum sie, wenn sie die Ähnlichkeit nicht ertragen könnte, nicht eine andere Gestalt annähme, sagte sie: »Ich kann nicht.« Sie fragten nach der Ursache. Die Füchsin erzählte: »In einem früheren Leben war Ah-hsiu meine jüngere Schwester. Sie starb in frühem Alter. Als sie noch lebte, nahm uns einmal unsere Mutter in den himmlischen Palast mit, wo die Mutterkönigin des Westens ihren Hof hält. Deren Antlitz gefiel uns, und wir nahmen uns vor, die unseren ihm gleich zu machen. Meine jüngere Schwester war geschickter als ich: nach einem Monat schon glich sie der Fee. Ich habe mich drei Jahre lang abgemüht, und es ist mir nicht völlig geglückt. Jetzt sind wir in einem andern Leben, und ich meinte, ich sei schöner geworden, aber ich bin noch wie ich war. Dennoch will ich, da eure Liebe mein Herz berührt hat, zuweilen zu euch kommen. Diesmal aber muß ich gehen.« Seither kam sie oft zu den Beiden. Sie wußte auf alle schweren Fragen Bescheid. Wenn Ah-hsiu zu Besuch bei ihren Eltern war, blieb sie manchmal einige Tage lang bei Liu. Die Hausgenossen wichen ihr scheu aus. Als einst ein Gegenstand abhanden gekommen war, ließ sie die Dienerschaft versammeln, trat stattlich angetan und mit gebieterischen Mienen vor sie und sagte, man solle das Gestohlene an einen bestimmten Ort, den sie angab, bringen; wenn es nicht geschähe, würde der Dieb schlimmen Schmerzen verfallen und seine Reue würde zu spät kommen. Am nächsten Tag wurde der vermißte Gegenstand an dem Orte, den sie genannt hatte, gefunden. Nach drei Jahren blieb sie einmal aus und kam nicht wieder.

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Im Hause des Staatsrats Tschang zu Weï-nan gingen Geister und Dämonen um, die durch ihren Zauber die Hausgenossen gefährdeten. Aus diesem Grunde verließ die Familie Tschang ihr Wohnhaus. Nur ein alter Diener blieb zurück um das Haus zu hüten. Er verstarb jedoch nach kurzer Frist. Man schickte einen jüngeren Diener hin, aber auch dieser verschied bald darauf. Das Gleiche wiederholte sich bei mehreren Personen der Dienerschaft des Herrn Tschang. Nun gab man es auf, das Haus bewachen zu lassen, und der alte Wohnsitz blieb fortan völlig verlassen. In derselben Gegend lebte zurzeit ein gewisser Dao Wang-san, ein junger Mann von ernster Haltung. Es fügte sich, daß dieser einmal eine Nacht im Hause des Staatsrates verbrachte. In dieser Nacht kam eine der jungen Mägde zu ihm geschlichen. Er zeigte sich unbewegt und verwies sie von seinem Lager. Der Vorfall blieb nicht verschwiegen und war geeignet, die Achtung seiner Gastgeber für ihn zu vermehren. Dao war arm und besaß keine wohlhabenden Verwandten, von denen er hätte Hilfe erbitten können. Er hauste in einer kleinen, armseligen Wohnung, die ihm im Sommer durch unerträgliche Hitze zur Qual wurde. Daher bat er den Staatsrat, ihm einen Raum in dem unbewohnten Hause zum Aufenthalt zu gewähren. Der aber verweigerte es ihm, der Gefahr halber, die ihm durch die Nähe der Geister drohte. Da schrieb Dao einen Aufsatz über »Die Nichtexistenz der Geister« und zeigte ihn dem Staatsrat, um ihm zu beweisen, daß man in den verlassenen Räumen nichts zu fürchten habe. Dao unterstützte diese Ausführung mit drängenden Bitten und bewirkte so, daß sein Gönner nachgab. Nunmehr ging Dao hin und wählte unter den Gemächern einen Saal als für sich geeignet aus, den er, so gut er es vermochte, einrichtete. Noch am selben Abend trug er einen Teil seiner Bücher hin, kehrte jedoch noch einmal nach seinem alten Hause zurück, um andere notwendige Gegenstände abzuholen. Als er wiederkam, waren die Bücher verschwunden. Sehr verwundert über dieses Ereignis, legte er sich auf ein Sofa und wartete ganz stille ab, was fernerhin geschehen würde. Bald vernahm er ein Geräusch von Schritten, und aufblickend sah er aus dem inneren Gemach zwei Mädchen in sein Zimmer treten, die die vermißten Bücher auf seinen Schreibtisch zurücklegten. Die eine mochte ungefähr zwanzig Jahre alt sein, die andere etwa siebzehn oder achtzehn, und beide waren lieblich anzusehen. Vor dem Sofa, auf dem Dao lag, blieben sie stehen und ihn anblickend, begannen sie zu lachen. Dao blieb indes unbeweglich liegen. Da hob die Ältere ihren Fuß und berührte so Daos Körper, während die Jüngere ihr Lachen hinter der vorgehaltenen Hand barg. Dao fühlte sein Herz bewegt

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und war bange um seine Beherrschung. Er sammelte seine Gedanken um ernste Dinge und wandte den Mädchen keinen Blick zu. Da rührte die Ältere mit der einen Hand an seinen Bart und schlug mit der anderen sachte auf seine Wange, so daß es leise klatschte, worauf die Jüngere noch mehr lachte. Nun erhob Dao sich plötzlich und schrie ihnen heftig entgegen: »Was nehmt ihr euch heraus, ihr Hexenpack!« Erschreckt stoben die Mädchen davon. Dao aber fürchtete sehr, die ganze Nacht unter ihren Belästigungen zu leiden, und überlegte, ob er nicht in sein früheres Heim zurückkehren solle. Doch überwog die Scham seine Bedenken, als er der Worte gedachte, mit denen er den Staatsrat bewogen hatte, ihm das Haus zu überlassen. So entzündete er die Lampe und beugte sich über seine Bücher, die Augen ängstlich auf die Seiten geheftet, damit sie nicht etwa in den dämmernden Ecken des Raumes die Umrisse der Geister entdeckten. Als die Mitternacht herankam, legte er sich beim Schein einer Kerze auf sein Bett. Im ersten Halbschlummer schon fühlte er an seiner Nase eine leise neckende Berührung, die ihn heftig zum Niesen reizte, und vernahm im Dunkel verklingend ein Kichern. Eine Weile harrte er still liegend, indem er sich fest schlafend stellte. Da schlich die Jüngere heran, stahl sich an seinen Schreibtisch und knüllte dort die Papiere zusammen. Dao sprang scheltend auf und sie lief davon. Kaum war er wieder eingeschlafen, kitzelte ihn jemand am Ohr. So verbrachte er die ganze Nacht. Das Treiben steigerte sich zur unerträglichen Lästigkeit. Nach dem ersten Hahnenkrähen herrschte völlige Ruhe, und nun erst genoß er seinen friedlichen Schlaf. Der folgende Tag verlief ruhig bis zum Sonnenuntergang. Um diese Stunde erfaßte Dao ein Vorgefühl, daß die Geister auch in dieser Nacht erscheinen würden. Er beschloß, die ganze Nacht wachend zu verbringen, und schickte sich an, seinen Haushalt zu bestellen. Später begann er zu lesen. Da erschien die Ältere der beiden, trat zu ihm an den Tisch, und den Kopf in die Hand stützend, beugte sie sich allmählich über Daos Buch. Plötzlich aber klappte sie es mit einem Ruck zu. Dao geriet in Zorn und haschte nach ihr, die sich ihm eilig entzog und verschwand. Nach einer Weile kam sie wieder. Dao hielt sein Buch mit beiden Händen fest und las weiter. Doch nun schlich sich unbemerkt die Jüngere hinter ihn, deckte ihm mit ihren beiden Händen die Augen zu, gab ihn dann frei und hielt erst in sicherer Entfernung inne, um in ihr Gelächter auszubrechen. Dao wies wütend mit dem Finger auf sie und schalt: »Kleine Hexe du, warte, wenn ich dich bekomme, umbringen werde ich dich!« Bald war ihre Scheu wieder gewichen; da sprach er scherzend: »Ihr Mädchen, was nützt es euch, mich zu bedrängen, ich verstehe gar nicht mit Frauenzimmern umzugehen!« Da lächelten sie und liefen in die Küche, wo sie Feuer

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anschürten, Reis wuschen und die Speise gar kochten. Dao redete ihnen lobend zu: »Ei, ei, wie artig versteht ihr das zu machen!« In einem Augenblick war der Reis bereitet, und wetteifernd trugen sie Löffel, Stäbchen und Schüssel auf den Tisch. »Wie soll ich euch meine Dankbarkeit bezeigen?« fragte Yao. Eine von ihnen erwiderte neckend: »Sehen Sie sich vor, es ist Gift zu der Speise gemischt!« Doch Dao sagte: »Wie soll ich das glauben, lebe ich doch nicht in Feindschaft mit euch!« Als er aufgegessen hatte, füllten sie seine Schüssel wieder, und Dao freute sich ihres Eifers, ihm zu dienen. So geschah es nun fortan. Dao geriet in engere Bekanntschaft mit den Mädchen, und einmal fragte er nach ihren Namen. Die Ältere sprach: »Ich heiße Tschiao Tschiu-jung und sie, Hsiao-sië, ist aus der Familie Yüan.« Er aber fragte des Näheren nach ihrer Herkunft. Hsiao-sië sagte lächelnd: »Närrischer Herr, der Sie selbst Ihre Herkunft nicht anzugeben wagen, wer heißt Sie nach unserm Namen und unserer Herkunft fragen, als ob Sie uns zu heiraten gedächten?« Dao erwiderte ernsthaft: »Wie sollte ich keine Liebesgedanken hegen vor so schönen Frauen; es ist nur, daß ich zu sterben fürchte, getroffen von dem dunklen Prinzip. Wenn ihr ungern bei mir bleibt, könnt ihr gehen, wenn gern, könnt ihr bleiben. Wenn ihr nicht Gefallen an mir findet, will ich mich euch nicht nähern. Wenn ihr aber Liebe zu mir fühlet, warum wollt ihr mich von Liebe Verstörten töten?« Da waren die Mädchen im Herzen bewegt. Von nun an erschienen sie seltener. Eines Tages schrieb Dao ein Buch ab und ließ beim Weggehen die begonnene Arbeit liegen. Heimkehrend fand er Hsiao-sië am Tische über seiner Arbeit sitzen. Als sie ihn wahrnahm, legte sie den Pinsel beiseite und lächelte ihm zu. Er trat heran, betrachtete ihre Schrift und fand, daß sie, obwohl häßlich und ungelenk, doch mit sichtbarer Mühe Zeile für Zeile ordentlich und gerade hingesetzt war. Er lobte sie: »Du bist sehr geschickt, und wenn es dir Freude macht, will ich dich unterrichten.« Er hob sie auf seine Knie, und ihre Hand mit der seinen umschließend, lehrte er sie schreiben. Tschiao Tschiu-jung trat herein und schnitt eine Grimasse, als ob sie eifersüchtig wäre. Hsiao-sië sprach lächelnd: »Als kleines Mädchen habe ich bei meinem Vater schreiben gelernt, aber nun, da ich so lange ohne Übung blieb, habe ich alles verlernt.« Tschiu-jung verharrte schweigend. Dao aber, ihr Gefühl erratend, zog sie in seinen Arm und sagte, indem er ihre Hand mit dem Pinsel führte: »Wir wollen nun sehen, wie es Ihnen gelingt.« So ließ er sie einige Zeilen schreiben, erhob sich dann und sagte: »Tschiu-jung schreibt gut und kräftig.« Tschiu-jung strahlte vor Freude. Dao gab nun jeder eine Vorlage und hieß sie nachschreiben. Er selbst studierte bei einer anderen Lampe und war froh, daß sie über ihrer Beschäftigung der Nekkereien vergaßen. Als sie geendet hatten, traten sie an seinen Tisch und

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erwarteten seine Kritik. Tschiu-jung aber konnte nicht lesen, daher war ihre Handschrift eine sinnlose Reihe von Kritzeleien, und so stand sie beschämt da und richtete sich erst unter Daos ermutigendem Lobe auf. Von nun an verehrten die beiden Mädchen ihn wie einen Lehrer, und überboten sich, ihre einstigen Torheiten verschmähend, ihm jeglichen Dienst zu erweisen. Nach einer Weile, als Hsiao-sië bereits leidlich schreiben gelernt hatte und Dao sie darüber lobte, brach Tschiu-jung voller Scham in Tränen aus, die unaufhaltsam wie ein Sturzbächlein über ihr schönes Gesicht niederrannen. Selbst Daos Trost konnte sie kaum beruhigen. Später erteilte Dao den Mädchen Unterricht im Lesen. Darin zeigten sie sich so geschickt, daß sie alles nach einmaliger Erklärung, ohne jedes weitere Fragen verstanden. Dao las mit ihnen oft tief bis in die Nacht hinein. Hsiao-sië brachte nunmehr auch einen jungen Bruder mit zum Unterricht, Son-long mit Namen, der etwa fünfzehn bis sechzehn Jahre zählend, von reizendem Aussehen war. Dao ließ ihn mit Hsiao-sië einen Klassiker lesen, und fortan war der Saal wie ein Schulzimmer: als ob einer Geisterschule hielte. Der Staatsrat erlangte Kenntnis von diesen Vorgängen, war erfreut und wies Dao zuweilen Gehalt für seine Mühe an. Nach einigen Monaten hatten Tschiu-jung und Son-long erlernt, Gedichte zu machen, und fügten ihre Verse zu Reihen aneinander. Geschah es, daß Hsiao-sië heimlich Dao bat, er möchte doch Tschiu-jung nimmer lehren, so stimmte er zu, und wollte Tschiu-jung ihn bewegen, Hsiao-sië ohne Belehrung zu lassen, so tat er das Gleiche. Nun aber kam die Zeit heran, da Dao zum Examen gehen mußte. Weinend nahmen die Mädchen Abschied von ihm. Son-long fürchtete, es möchte Dao ein Unglück widerfahren, und wollte ihn bereden, sich mit einer Entschuldigung dem Examen zu entziehen. Dao aber empfand Scham, so zu tun, und ging zum Examen. In der Stadt aber lebte ein Mann, Mitglied einer angesehenen Familie, der haßte Dao und war bedacht, ihm Schaden zuzufügen. Dao hatte ihn vorzeiten durch Spottgedichte, die er auf ihn verfaßte, schwer beleidigt. Dieser Feind wollte die Gelegenheit des Examens nutzen, bestach den Prüfungskommissar, und so wurde Dao unter der Anschuldigung, die Aufsatzthemen sich betrügerischerweise angeeignet zu haben, ins Gefängnis gesetzt. Mittellos und verlassen, wußte Dao nicht anderen Rat, sein Leben zu fristen, als bei seinen Mitgefangenen um Essen zu bitten. Vor Scham und Verzweiflung wollte er sterben. Plötzlich trat jemand mit leichten Schritten, wie schwebend, an ihn heran. Es war Tschiu-jung, die ihm Speise reichte. Unter Schluchzen schaute sie ihn an und sagte: »Das Unglück, von Son-long geahnt, ist nun zur Wirklichkeit geworden. Sonlong ist mit mir gekommen, um vor Gericht Gerechtigkeit für Sie zu be-

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gehren!« Sie entfernte sich nach diesen Worten. Sie war, außer von Dao, von keinem der Anwesenden gesehen worden. Tags darauf, als der Richter ausging, trat Son-long ihm entgegen und rief ihn um Gerechtigkeit an. Man hielt ihn fest. Tschiu-jung kam zu Dao, um ihm diese Nachricht zu bringen, lief aber eilig wieder fort, Weiteres zu erfahren. Während dreier Tage erschien sie Dao nicht mehr. Er litt entsetzlichen Hunger, und ein Tag wurde ihm lang wie ein Jahr. Da kam Hsiao-sië; sie war wie eine Gebrochene und schien vor Müdigkeit umzusinken. Sie erzählte ihm, daß Tschiu-jung, als sie vor drei Tagen ihn verlassen hatte, im Weggehen vor dem Tempel des Stadtgottes von dem schwarzen Unterweltrichter in der westlichen Halle überfallen und weggeschleppt worden sei. Der Richter wolle sie zur Nebenfrau nehmen und halte sie nun um ihrer Weigerung willen gefangen. Hsiao-sië sagte weiter, daß sie selbst hundert Li gelaufen und sehr müde sei, da sie im nördlichen Vorort auf dem Wege sich die Fußsohle an einer Distel schmerzhaft verletzt habe. Sie fürchte, ihn nicht so bald wieder besuchen zu können. Dabei wies sie ihm die blutende Wunde. Dann gab sie ihm noch drei Taels in Gold und ging hinkend von dannen. Indessen wurde Son-long zum Verhör gerufen. Da er ohne Berechtigung in Daos Sache, die ihn nichts anging, ein Schreiben eingereicht hatte, verurteilte ihn der Richter zu Schlägen. Son-long aber warf sich zur Erde und entschwand. Der Richter, von der Seltsamkeit des Vorfalls betroffen, las das zurückgelassene Schreiben und fand sich von den Worten tief gerührt. Er ließ noch einmal Dao vor sich kommen und befragte ihn, wer Son-long sei. Dao gab an, daß er darüber nichts wisse. Der Richter, nunmehr von Daos Unschuld überzeugt, sprach ihn frei. Dao kehrte in sein Heim zurück und blieb den Abend allein. Nach der ersten Nachtwache kam Hsiao-sië und erzählte ihm, daß Son-long, als er vor dem Richter so plötzlich entschwand, von dem Stadtgott vor das Gericht der Unterwelt gebracht worden sei. Um seiner Treue willen habe der oberste Richter der Unterwelt Son-longs Wiedergeburt in einer vornehmen Familie beschlossen. Tschiu-jung liege noch im Gefängnis. Zwar habe sie ein Schreiben verfaßt und dem Stadtgott übermitteln lassen, doch habe es der Richter, der sie geraubt hatte, zurückgehalten, und so bliebe sie ohne Rat. Dao schrie vor Zorn auf: »Warte, schwarzer Teufel, ich will deinen Übermut dämpfen! Morgen gehe ich hin, dein Standbild zu zertrümmern, daß es in Staub zerfällt. Ich muß den Stadtgott tadeln, der solche Grausamkeit seiner Diener ungestraft läßt!« Betrübt saßen sie beisammen; schon ging die vierte Nachtwache zu Ende. Da trat Tschiu-jung zu ihnen. Voll Schrecken und Freude fragten sie, wie es ihr gelungen sei, zu entweichen. Weinend sprach Tschiu-jung: »Wieviel, mein Freund, habe ich um Ihrer

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willen gelitten! Täglich hat der Richter mich mit Schwert und Rute bedroht. Heute abend aber gab er mich frei und sagte mir, daß nur die Liebe ihn zu allem bewogen habe. Er wolle mich nicht länger betrüben, auch wenn ich nicht zu Willen sei. Ihnen, Dao, läßt er sagen, Sie möchten ihn nicht verdammen.« Dao fühlte sich vom Leid befreit und bat die Mädchen, ihm ihre Liebe zu schenken, indem er sprach: »Heute bin ich bereit, durch euch zu sterben!« Die Mädchen aber erwiderten voll Trauer: »Sie haben uns gelehrt, Sie haben uns in der Gerechtigkeit und der Vernunft unterwiesen, wie könnten wir Ihnen den Tod bringen! Um unserer Liebe willen dürfen wir Ihnen Liebe nicht gewähren.« Zuletzt aber gaben sie sich doch seiner und ihrer Liebe hin. Fortan lebten sie miteinander, jedes gleichsam die Arme um den Nacken der beiden andern gelegt. In der gemeinsam erlittenen Not hatten die Mädchen all ihre Eifersucht verloren. Eines Tages traf Dao einen Priester auf der Straße, der hielt ihn an und warnte ihn, daß er Geisteratmosphäre um sich trüge. Dao erstaunte über seine Rede und erzählte ihm alles. »Ihre Geister sind sehr gütig,« sagte der Priester. »Seien Sie bedacht, die Güte zu vergelten!« Er reichte ihm zwei Zaubersprüche und wies ihn also an: »Geben Sie jedem der beiden Mädchen einen der Sprüche. Geschieht es einmal, daß sie vor Ihrem Hause von irgend einem Menschen die Totenklage um eine verstorbene Tochter vernehmen, so mögen die Mädchen den Zauberspruch verschlucken und aus dem Hause eilen. Die zuerst ankommt, wird das Glück haben, wieder in das Leben einzugehen.« Heimgekehrt, tat Dao, wie der Priester ihm angeraten hatte. Nach Monatsfrist vernahm man in der Tat, wie jemand auf der Straße um eine verstorbene Tochter klagte. Die Mädchen eilten hinaus. Hsiao-sië aber vergaß in der Eile, den Zauberspruch zu schlucken. Ein Leichenbegängnis zog an der Tür vorbei. Tschiu-jung ging gerades Wegs auf den Sarg zu und verschwand in ihm. Hsiao-sië konnte nicht in den Sarg eingehen und kehrte weinend zurück. Dao war vor das Haus getreten und hatte bemerkt, daß das Leichenbegängnis von der Familie Hou veranstaltet wurde, der eine Tochter verstorben war. Alle, die zugegen waren, hatten das fremde Mädchen in den Sarg steigen sehen. Während sie noch, der Verwunderung hingegeben, verweilten, vernahm man eine Stimme aus dem Sarge. Man ließ ihn zur Erde nieder, öffnete und fand, daß das tote Mädchen wieder ins Leben zurückgekehrt war. Man hob sie auf und führte sie ins nächste Haus, das eben das Daos war. In seinem Studierzimmer weilte sie nun, bewacht von ihren Verwandten. Unvermittelt begehrte sie nach Dao. Frau Hou fragte sie, woher ihr dieses Verlangen komme, das Mädchen aber antwortete, es scheine nur, doch sei es nicht Frau Hous Tochter, und erklärte ihr den Hergang dieser Dinge.

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Herr Hou jedoch, ungläubig, wollte diese Wendung nicht anerkennen und bestand darauf, das Mädchen in sein Haus zurückbringen zu lassen. Da ging das Mädchen in Daos Zimmer, warf sich auf sein Lager und war nicht zu bewegen, sich zu erheben. Die Eltern Hou sahen sich also gezwungen, Dao als ihren Schwiegersohn anzuerkennen. Dann kehrten sie heim. Dao betrachtete nun das Mädchen in der Nähe und fand es nicht minder schön, obwohl das vertraute Antlitz sich in ein anderes verwandelt hatte. Tschiu-jung, glückstrahlend, beschrieb Dao ihr Erlebnis. Indes sie sprachen, ertönte in ihrer Nähe ein geisterhaftes Weinen. Es war Hsiaosië, die im Dunkel leise klagte. Voll Erbarmen erhoben sie sich und traten mit der Lampe zu ihr. Ihr Leid war erschütternd, die Ärmel ihres Kleides waren feucht von ihren Tränen, unaufhaltsam ergoß sich die Klage aus ihrem Herzen. Gegen Morgen entschwand sie. Tags darauf erschienen Dienerinnen und überbrachten Dao die Aussteuer der Tochter der Familie Hou. So wurde er in Wirklichkeit in aller Form Schwiegersohn der Familie Hou. Als Dao und seine Frau des Abends ihr Schlafzimmer betraten, tönte ihnen Hsiao-siës Weinen entgegen. So geschah es sieben Nächte. Betrübnis war bei ihnen, und die Freude der Jungvermählten blieb ihnen fern. »Geh noch einmal zum Priester und bitte ihn um Erbarmen und Hilfe!« riet da Tschiu-jung. »Er ist ein Mensch von göttlichen Kräften.« Dao folgte ihr und ging, die Spur des Priesters zu suchen. Er fand ihn und trug ihm sein Anliegen vor. Doch der Priester erklärte, er sei ohne Macht in diesen Dingen. Dao beschwor ihn aufs innigste. Endlich sagte der Priester lachend: »Sie Narr, Sie verstehen mir zuzusetzen, und doch würden Sie mich nicht rühren, wäre es nicht vorbestimmt, was sie verlangen, so daß ich mein Können Ihnen opfern muß.« Er folgte Dao in sein Haus, begehrte ein ruhiges Zimmer und verschloß sich darin, nachdem er Dao geboten hatte, daß keiner ihn rufen möge. Zehn Tage verweilte er in dem verschlossenen Gemach ohne Speise und Trank. Man spähte durch eine Ritze in den Raum und sah ihn liegen, als ob er schliefe. Eines Morgens schob ein junges Mädchen die Vorhänge auseinander, und indem sie mit leuchtenden Augen in Daos Gemach trat, sagte sie lächelnd: »Wie bin ich müde vom Laufen in dieser ganzen Nacht! Du hast mich ohne Aufhören gerufen. Erst nachdem ich hundert Li gelaufen war, fand ich den guten Priester, der trug mich hierher. Wenn er kommt, wird er mich ausliefern.« Als bald darauf, da es schon dämmerte, Hsiao-sië in das Zimmer trat, schritt das fremde Mädchen ihr entgegen. Als sie aneinander standen, vereinigten sich ihre beiden Körper zu einem, der zu Boden fiel und starr liegen blieb. Da trat der Priester aus dem inneren Gemach, verneigte sich und

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ging fort. Dao geleitete ihn bis vor die Türe. Als er wiederkam, war das Mädchen eben erwacht. Man trug es auf ein Bett. Allmählich wurde sein Atem ruhig, doch zuckte es mit den Füßen und klagte über den Schmerz in seinen Sohlen. Nach einigen Tagen erhob es sich und vermochte wieder umherzugehen. Späterhin bestand Dao sein Examen. Er machte bei dieser Gelegenheit die Bekanntschaft eines gewissen Tschai Tse-king, der sich gleich ihm der Prüfung unterzog. Er kam bald darauf in einer Angelegenheit in Daos Haus, wo er einige Tage verbrachte. Einmal fügte es sich, daß der Gast Hsiao-sië begegnete, die eben aus einem Nachbarhause heimkehrte. Er blickte sie an und folgte ihr eilig, doch sie entwich ihm. Dao war erzürnt über Tschais dreistes Benehmen, doch schwieg er. Tschai aber sprach zu ihm: »Erlauben Sie mir, Ihnen ein merkwürdiges Ereignis zu erzählen?« Dao war bereit zu hören. Tschai erzählte: »Vor drei Jahren starb meine jüngere Schwester. Ihre Leiche entschwand uns nach zwei Nächten auf rätselhafte Art. Nun sah ich eben Ihre Frau. Wie kann es geschehen, daß sie so sehr meiner toten Schwester gleicht?« Dao erwiderte: »Meine Frau ist häßlich, wie können Sie sie Ihrer Schwester vergleichen. Da wir aber zusammen unsere Prüfung bestanden haben und so herzlich befreundet sind, was sollte mich hindern, Ihnen meine Frau vorzustellen?« Er trat hinein, hieß Hsiao-siës das Leichenkleid anlegen, mit dem sie einst gekommen war, und führte sie vor Tschai. Dieser sagte weinend: »Dieses ist in Wahrheit meine Schwester.« Dao erzählte ihm nun Hsiao-siës Geschichte. Voller Freude rief Tschai: »So ist also meine Schwester nicht gestorben. Ich will in meine Heimat zurückkehren, um meine Eltern zu trösten.« Nach einigen Tagen kam die Familie Tschai zu Dao, und seine Beziehungen zu ihr waren fernerhin denen gleich, die ihn der Familie Hou verbanden.

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Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-tse’s Tao-te-king. Einleitung

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Allerlei vorbereitende Fragen wurden zuerst besprochen: Schwierigkeiten des Textes, Art der Ueberlieferung, Vorzüge der Strauss’schen Uebersetzung, Historisches über die Persönlichkeit Lao-tse’s. Wichtig ist der Bericht: »Lao-tse war des Tao und Te beflissen.« Te = Tugend, Tauglichkeit, Mächtigkeit, Fähigkeit eines Wesens das ihm Gemässe aus sich herauszuwirken. Zeichen: »Strich und Herz.« Wir verstehen unter Herz das Organ der Innerlichkeit, was in uns vorgeht, ohne dass wir es auf Teile der Aussenwelt deuten müssen, Gefühl. Für den Chinesen ist das Herz der Sitz des Kontaktsinnes, des Tastgefühls, was ihn unmittelbar in Beziehung zur Aussenwelt setzt. Verbunden mit der Linie heisst das nun: Verbindungsfähigkeit zusammen mit Gerichtetheit. Lao-tse schaute sich nicht als Neuerer an, sondern als einen, der zurückführt. Er weist hin auf die Zeit der grossen mythischen Kaiser.

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Tao bedeutet noch jetzt die Bahn, den Weg aber mit einem dynamischen Akzent: Etwas bewegt sich darin. In den alten Schriften ist die Bahn gemeint, darin sich die regelmässigen Naturerscheinungen bewegen: Bewegung der Gestirne – Wechsel, Wandel der Jahreszeiten – Wachstum der Pflanzen. Besonders das rhythmisch Wiederkehrende. In diesem Sinne bedeutet Tao = Wandel. Dieser Wandel – das Naturphänomen – beruht auf Mischungen und Entmischungen, Bewältigung und Befreiung von zwei Prinzipien durch einander. Jang: Wärme, Licht, Himmel, männliches, aktives, positives Prinzip. Jin: Kälte, Dunkel, Erde, weibliches, passives, negatives Prinzip. Beide wirken ineinander, können nicht unabhängig von einander gefasst werden. Ein Bild dafür ist das Zeichen des Tai Gi (bei Wilhelm S. 89). Ein Kreis ist immer im andern Kreis. Es ist kein Dualismus weder im Raum, noch in der Zeit. Dieses Chaos, dieses Ineinandersein ist nicht

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einmal dagewesen, es steckt in der Welt drin. Also nicht polare Gegensätze, wie bei den Persern, sondern beide sind der Welt eingelegt. Diese Wandlungen im Sinne des Gesetzes nennen die alten Schriften: Tao. In diesem Sinne ist Tao bei Lao-tse und Confucius gemeinsam. Lao-tse unterscheidet aber ein Tao, das ausgesprochen werden kann, das sich manifestiert, (eben dieser Wandel) und ein Tao, das darüber hinausgeht. Confucius weiss nichts von diesem ewigen Tao, aber für Lao-tse ist es die Grundlehre: Tao, insofern es ausgesprochen werden kann ist nicht das ewige Tao. Es ist lediglich eine Manifestationsform, in der Tao aussprechbar wird. Nur in dieser aussprechbaren Form, im Sinne der gesetzlichen Ordnung der Welt, hat Lao-tse den Begriff Tao übernommen, darüber hinaus geht aber das unaussprechbare Tao. Damit meint Lao-tse eine ontologische Tatsache: Es gibt vom ewigen Tao aus eine Verendlichung, ein Aussprechbarwerden – das ist die feste Bahn, die kosmische Ordnung. Diese Scheidung geschieht nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern im Sein selbst (ontologisch). Indem das Seiende sich manifestiert, schränkt es sich ein, wird es zum aussprechbaren Tao, wird es Gesetz. Was vom Tao ausgesagt werden kann, gilt auch von seinem Namen. Name ist nicht bloss ein willkürlich von den Menschen gesetztes Zeichen der Verständigung. Es gibt eine Innerlichkeit des Namens, die von den Dingen selbst ausgeht. Die Dinge suchen sich diesen Mund, durch den sie in die Sphäre des Geistes, des Wortes hineinkommen. Sie wollen sich im Menschen formen. Die Kreatur reckt den Hals nach dem Menschen. Der primitive Mensch glaubt mit diesem Namen die innerliche Wesenheit zu eigen zu haben, bekommt dadurch Zugang zur Innerlichkeit des Dinges, auch Macht zum Ding. Die Dinge schliessen sich ihm auf. Wenn Eisen eine Wunde geschlagen hat und er den Namen kennt, kann er das Blut stillen. Das ist keine Illusion. Wenn der Mensch den Namen hätte, hätte er den Zugang. Name ist etwas Objektives, nicht rein akustisch. Sondern das Wesen der Dinge will sich im Namen umsetzen. Diese Wesenheit ist für Lao-tse der ewige Name. Name wird nicht erfunden, sondern entdeckt. Name ist Begegnung, wie alle Wirklichkeit. Die Wirklichkeit, in der wir leben, ist die Wirklichkeit der Beziehung. Die Dinge und ich sind nötig zu dieser Beziehung. Die Wirklichkeit ist ein Dazwischen. Der Name ist ein Dazwischen. Ist der Baum ein Komplex von Schwingungen? Nein, dieser Baum ist etwas für sich. Aber nur insofern er etwas für mich ist. Beides ist zueinander geschaffen. Damit das Grün sei, muss dieses sein und ich. Es entsteht nicht im Auge, aber ohne das Auge besteht es auch nicht. So auch mit dem Namen. Es strömt etwas in uns hinein, das gelautet, genannt wird. Der ewige Name ist ein

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Wesenheitsattribut, etwas Substantielles, die »Wirkungsglorie«. »Geheiligt sei Dein Name« = Möge Deiner Wirkungsglorie Raum geschaffen werden. Aber diese Wesenheit bricht sich in uns, das vollkommene Grün sehen wir nicht, unser Name gibt nicht das vollkommene Wesen. Jeder Name ist eine Stufe zum vollkommenen Namen, wie alle Vielfältigkeit ein Hinweis ist auf das Eine, alles Gebrochene deutet auf das Ungebrochene. Der Gnostiker Markus: Jeder Aeon hat nur einen Laut und eine Aussprache, erst am Ende wird die Sprache selber sein. – Der Name, der genannt werden kann, ist der gebrochene Name. Der Namenlose ist Himmels und der Erden Urgrund. Wir misshandeln das Wort »Ur«. Es ist eine besondere Gnade der Sprache, dass es ein »Ur« gibt. Wir ziehen es immer in die Kausalität hinein. Auch die Theologie begeht diesen Fehler. »Urgrund« ist nicht Anfang einer Reihe, sondern etwas, das nicht in die Reihe einbezogen werden kann. Nicht Anfang von Entstehung – das ist Ursprung – sondern das, wodurch Entstehung überhaupt möglich ist, nicht Bewirkung sondern Ermöglichung des Seins. Nicht die Ursache, aus welcher etwas entsteht. Der Urgrund ist aller Wesen Mutter. Ich denke: »Das ist wahr«. Die Ursache, dass ich das denke, ist irgend etwas, das mich affiziert, aber der Grund ist tiefer, ist das, wodurch überhaupt Wahrheit erst möglich wird, ist die Wahrheit selber. Es mag geschehen, dass wir im Gras liegen und aufschauen zum Himmel. Plötzlich kommt es über uns: Ja, wie geht das zu? Nicht meinen wir: w i e bin ich entstanden; – sondern: in welchem Sinn bin ich begründet. Der vierte Satz leitet über in ein Zitat, zugleich führt er in eine andere Sphäre. Es gibt für Lao-tse eine Dreiheit der Sphären: 1. Das Tao des Himmels, das himmlische Gesetz, das Von-selbst-geschehen der Dinge. 2. Der Mensch, der sich der Natur entfremdet hat. 3. Das Reich, das der Mensch aufzubauen hat, worin er wieder Ordnung schafft. Von der Sphäre Tao’s lenkt das Zitat über in die Sphäre des Menschen. »Wer stets begierdenlos, der schauet Taos Geistigkeit«. Begierdelos heisst Unverknüpftsein, Fernseinkönnen, sich distanzieren können – im G r u n d e stehen und nicht in der U r s a c h e – frei sein von der Kausalität, von dem Getriebe. Wer so ist, der schaut die Geistigkeit Taos, das heisst, die Wesenheit, seine Unausgesprochenheit, er schaut etwas, das er nicht sagen kann. Der stets Verknüpfte sieht Tao als Ausschnitt. Das ist nicht ein falsches Sehen, sondern nur ein äusseres Sehen. Der folgende Satz: Diese Beiden … scheint unecht zu sein: »Zusammen heissen sie tief.« Richtig: »heissen sie dunkel.« (Das tiefe Blau des Himmels) Das Wort bedeutet auch: Geheimnis.

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In alledem liegt ein noch tieferes Geheimnis, als alles, was man Geheimnis nennt. Des Tiefen abermals Tiefes, das ist die eigentliche Pforte.

II. Abschnitt. Die drei ersten Abschnitte sind gleichsam ein Vorspiel. Sie behandeln die drei Grundthemen: Das Gesetz, der Mensch und das Reich. Das Uebrige des Buches baut sich wieder in drei entsprechende Teile auf. Abschnitt II geht also vom Menschen, von der Welt der Dualität aus. In dieser Dualität steht man, sobald man das Gute zu erkennen sucht, dann setzt man es in Gegensatz zum Boesen, man polarisiert es. Im Sein selbst ist das Gute nicht Gegensatz zu bös. Wenn wir es einfach auf uns und durch uns wirken lassen, dann haben wir es als Fülle zugleich und als Gutes. Nur wenn wir es feststellen: das ist das Gute – dann entsteht das Böse. Nach Lao-tse’s Meinung entsteht das Böse wirklich dadurch, dass wir das Gute aus seiner Fülle herausheben und sagen: das ist das Gute. Das als Gutheit getane Gute ist schon Setzung des Bösen. Wenn ein Akt als ethisch getan wird, dann wirkt er nicht mehr aus der Spontaneität heraus, er ist schon herausgebrochen. Das Negative, das vorher im Urguten eingefangen war, ist nun selbständig geworden. Hass und Ungerechtigkeit bestehen gar nicht, so lange Menschenliebe und Gerechtigkeit nicht als Forderung gesetzt werden. Im Verszitat werden nun einzelne polare Dualitäten herausgehoben, um das Reich der Relativität zu charakterisieren. Es gibt nichts, das a n s i c h hoch oder niedrig ist u. s. w. Nun kann man das »Daher« vollziehen: Daher der heilige Mensch, der Berufene beharrt im Nichttun. Er tut sich nicht ein in diese relativisierte Polarität. Er tut nicht das Gute, es als Gutes setzend; er tut das Nicht-tun = we wu w e = Tun nicht tun. Er beharrt in der Wirkungsweise des Nichttuns. Nicht = Rede ist seine Lehre. Indem man redet, ruft man Gegenrede herauf. Jede Rede ist eine Teilrede. Lao-tse sucht sich immer wieder zu schützen, dass seine Rede nicht als Teilrede aufgefasst wird, dass sie nicht in der Relativierung, sondern in der Fülle gemeint ist. Alle Wesen treten hervor und er entzieht sich nicht. Confucius sagt das Gegenteil: Der heilige Mensch tritt hervor und alle Wesen schauen ihn an und die Wesen sind bestimmt. Bei Lao-tse wird der heilige Mensch angerufen und er entzieht sich nicht. Lao-tse grenzt den heiligen Menschen ab: gegen den, der sich entzieht, aber auch gegen den, der eingreift. In China gibt es kein absolutes Lob der Einsamkeit, das asketische Ideal ist ihnen fremd. Das ist der grosse Gegensatz zum indischen Buddhismus.

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Das Ideal der Selbsterlösung wird im Norden Welterlösung. Das Heil der Person ist kein Ziel, alles geschieht um Taos willen. Er belebt und nimmt die Wesen, die er belebt, nicht in Besitz. Er tut, und macht keinen Anspruch auf sein Tun, er sucht das Getane nicht zu verfestigen, er bucht es nicht. Hat er endlich alles getan, so geht er darüber hinweg. In unserm Sinne ist er erfolglos, aber er ist gesegnet. Das Gute bestätigt ihn letztlich. In einem einzelnen Geschichtsabschnitt siegt das Böse. In der Wirklichkeit, auf die alle Geschichte weist, zu der alle Geschichte hinführt, siegt erst das Gute. Das ist aber nicht in der Zeit zu verstehen, das Gute ist nichts Historisches.

III. Abschnitt.

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Thema des Reichs: wie mit einem von der Natur abgeirrten Wesen ein Gebilde gestiftet wird, das Taos Auswirkung in der Welt ausprägt. Confucius meint, das könne geschehen durch die Regel (das Li) Li = Bräuche, Konventionen, tradierte Lebensregeln. »Fürwahr die Li sind es, durch die die alten Herrscher das Tao des Himmels in Empfang nehmen konnten.« Und durch diese Li regierten die alten Herrscher über die Leidenschaften der Menschen und richteten dadurch das Reich auf. So müssen auch wir das Li von neuem aufrichten. Das ist die Kodifikation des Li durch Confucius. Lao-tse ist entgegengesetzter Meinung. Er stellt sich dem Li entgegen. Der Herrscher hat nicht das Leben der Menschen zu meistern, sondern zu sich selbst (zum Leben) kommen zu lassen, zu entbinden. Man soll die Weisen nicht hochstellen. Alles Hochstellen erweckt Ressentiment. Güter soll man nicht mit dem Akzent des Wertes versehen. Erst das Werthalten schafft Gier und Diebstahl. Das Böse im Volk kommt nicht aus dem Volke selbst, sondern aus der Setzung des relativierten Wertvollen. Die Einwirkung auf das Volk ist: D a s H e r z l e e r e n : Herz = der Kontaktsinn für die Aussenwelt, die Kontaktsucht, die Triebhaftigkeit, die Lust in Besitz zu gelangen. D e n B a u c h f ü l l e n : (Bauch = Innerlichkeit) Zu Tao kommt derjenige, der sich von der Einzelhaftigkeit der Dinge löst, ohne ihre Wirklichkeit zu bestreiten. Er hat dann Zusammenhang mit der Welt von innen her; nicht über die Einzelung der Dinge weg, sondern durch die Einheit der Seele. Der Inder muss immer etwas abstreifen, um zum Wirklichen zu gelangen, der Chinese nicht. D a s G e b e i n s t ä r k e n (= Das Gerüst, der innere Halt, was den Schlägen widersteht).

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I m m e r m a c h t e r d a s Vo l k n i c h t s k e n n e n , das heisst nicht etwa unwissend halten, sondern das Begehrenswerte nicht kennen. Das heisst, er soll sich nicht befassen mit den einzelnen Dingen, die begehrenswert sein können. Begehrlichkeit entsteht nur, wenn die Gegenstände aus der Fülle herausgebrochen sind. Tut der Berufene so das Nichttun, dann ist die Ordnung da.

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IV. Abschnitt. 1.: Man muss auf eine bestimmte Bedeutung von »leer« zurückkommen. Der Sinn des Wortes ist »eine dem Blick entschwindende Tiefe«, wohl etwas Leeres, aber nicht im Sinne der Hohlheit gemeint ist: das PositivLeere, nämlich das Fassen-können. »Wird nie gefüllt« ist nicht ein Gegensatz zu »leer« = nicht enthaltend, sondern Gegensatz der Aktualität zur Potentialität: Fassen-können und wirkliches Fassen. Wenn Tao seine Fassensgabe gebraucht, durch das wirkliche Einfassen aller Dinge, so wird es nicht ausgefüllt. Es überfasst. Seine Immanenz erschöpft sein Wesen nicht. Sein Eingehen in die Welt erschöpft nicht seine Fülle. 2.: Ein Abgrund = »Wasser zwischen zwei Ufern fliessend.« Sinn = Abgrund als schwingende, grundlose Tiefe. Wie Leere. Er wird von den Dingen nicht gefüllt. Er erscheint als aller Wesen Urvater. Die Betonung ist hier auf der Immanenz. 3.: Das gleiche Zitat im 56. Kapitel, wo die Rede ist vom Heiligen. Dort handelt es sich um die Nachbildung des Tao im Menschen, hier um das Tao selber, um seine Wirkungsweise. Es übt seine Macht nicht aus: es bricht seine Schärfe. Das Gegenteil wäre: Es schneidet mit seiner Schärfe, es blendet mit seinem Glänzen, Tao schränkt die natürliche Auswirkung seiner Macht ein und diese Einschränkung, das ist sein Wirken. Es bricht seine Schärfe = eine Allmacht ist da, die uneingeschränkt geübt alle Individuation aufheben würde. Streut aus seiner Fülle = der Geizige verhält seine Fülle, der Gebende streut sie aus. Es ist ein Weggeben der innern Macht. Mildert sein Glänzen damit der Glanz die Wesen nicht blendet. Macht sich gleich einem Staub. Staub = Abfall. Das ganze Vergängliche. Mit seinem Abfall identifiziert er sich. Er gibt sein Substanzsein auf, identifiziert sich mit seiner Peripherie. Analogie mit dem neuen Testament: Knechtsgestalt annehmen, aber beim Tao nicht historisch gefasst, sondern als ewige Wirkungsweise. 4.: Tiefstill = ruhige Wasserfläche. Die Flutungskraft ist innen verborgen. Es scheint nur, als ob jemand da wäre. Es ist etwas zart Verhaltenes,

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das nur durch sein Flimmern hinweist auf das nicht in die Erscheinung Tretende. 5.: = Einen Ursprung kann ich von ihm nicht denken, er ist der Ursprung selber. Dieser Satz ist da um des Folgenden willen. Es handelt sich da um das Wort »Herr«. Schang-Ti ist Bezeichnung für den persönlichen Gott. Ti heisst Herr, Herrscher, Kaiser. (Der Kaiser ist ein Nachkomme der Götter, der oberste Gott sein Urahne Sohn des Tien = Himmels.) Schang-Ti = oberster Herr. Dieser Name wurde immer mythisiert, dämonisiert. Zu dieser Gestalt des Volksglaubens nimmt Lao-tse hier Stellung: insofern man das Göttliche fassen mag als einen persönlichen Herrscher der Welt, oberster Kaiser aller Dinge, kann dieser erst aus Tao hervorkommen. Nicht Tao kommt aus ihm, sondern er aus Tao. (Ueber die Sukzession der Götterbegriffe siehe die Bedeutsamen Ausführungen bei Söderblom, Das Werden des Gottesglaubens – und bei Schelling, Einleitung in die Philosophie der Mythologie.)

V. Abschnitt

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1.: Die bisherigen Erklärungen sind unzulänglich, weil sie den Sinn des Strohhundes missachten. Der Strohhund wird für das Opfer mit »Mana« geladen. Eine Kundgebung dieser Ausstattung ist der fürstliche Schmuck. Er hat seine Macht durch diese Verleihung, an sich hat er keine Bedeutung. Himmel und Erde haben keine Liebe zu den Menschen als solchen, als Fürsichseiende, vom Tao Abgetrennte; wohl aber wird der Mensch geliebt als das vom Tao Erfüllte und Ermächtigte. 2.: Nicht die Dinge zwischen Himmel und Erde sind gemeint, sondern der Zwischenraum, der Ort der Auswirkung des Tao. Himmel und Erde wirken zusammen wie die Wände eines Blasbalgs, um Leben einzuflössen. Der Blasbalg ist wie Tao leer. Je mehr er sich regt, je mehr geht aus dem scheinbar Leeren Leben hervor. 3.: Mit diesem Zitat stellt wohl Lao-tse sein eigenes Gleichnis in Frage. Es ist, wie wir es oft finden bei Lao-tse – Ausdruck der Resignation dem Gesagthaben gegenüber.

VI. Abschnitt. Vermutlich ein Zitat.

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Das Wort »Talgeist« ist im Allgemeinen nicht befriedigend erklärt. Tal ist gemeint im Sinne von Senkung zwischen zwei Bergen – Talgeist = Geist der Senkung. Das »Gegentao« ist Berggeist, Gewalt, die sich auswirkt. Das

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Vordringen des mächtigen Menschen. Er wirft sich auf, soweit er kann. Tao zieht sich zurück, verhält seine Macht, dadurch entsteht das Tal. Der Geist dieser Senkung ist unsterblich. Wer seine Macht aufwirft, verzehrt sich. Vergänglichkeit bedeutet gar nichts anderes, als dieses Verzehren der Macht in ihrem Sichaufdrängen, Verdrängen der Andern. Wer seine Macht einsenkt, der ist unsterblich, denn er ist in Tao eingetan. Das tiefe Weibliche. Nicht die Naturkraft ist gemeint, sondern das Gleiche, das in dem frühern Satz lautet: Das Namenhabende ist aller Wesen Mutter. Dadurch, dass Tao sich einhält, wird es aller Wesen Mutter, heisst es Himmels- und Erden-Wurzel. Es schafft in der Art der aktiven Passivität, die das Gebären hat. Lao-tse braucht das Bild des Gebärens für Tao, während das Abendland das Zeugen in den Vordergrund stellt. Männliche Aktivität ist immer teilhaft, tritt hervor, löst sich aus der Verbundenheit. Alles, was Lao-tse gegen Aktivität sagt, bezieht sich auf Teilaktivität, während das Tun mit dem ganzen Wesen als Passivität, als Nichttun erscheint. Der Mann erreicht erst auf einer hohen Stufe der Entfaltung diesen Zusammenschluss, der einer ursprünglichen Verbundenheit des Weibes entspricht. Je und je: Zeichen = fortlaufender Seidenfaden. In der Kontinuität ist er wie daseiend, als wäre er da. (Abschnitt 4) Braucht man ihn, so tue man es ohne Anstrengung. Nicht durch Anstrengung kann man zu Tao den Zugang finden.

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VII. Abschnitt. Der Vedantist behauptet: »Es gibt nur eines, alles, was als Vielfalt erscheint, ist nur trügerische Hülle. Individuation ist ein Irrtum des Erkennens.« Daraus aber ergibt sich die furchtbare Zweiheit von Wissen und Leben, denn die erkannte Einheit ist nicht eine Einheit, in der wir zu leben vermögen. Das leiseste Abgleiten in die Welt der Vielheit ist allerschwerste Sünde. Bei Lao-tse bleibt man in der Wirklichkeit. Es ist keine Rede davon, dass die Individuation abzustreifen sei. Welt und Individuation decken einander, aber die Wesen dürfen nicht expandieren. Himmel und Erde lassen das Selbst nicht vordringen, dadurch dauern sie. Gegenüber der modernen Meinung (Hobbes), dass durch Expansion und Verteidigung der Expansion, Raumverdrängung und Behauptung des gewonnenen Raumes, das Selbst sich behauptet und dass Dauer Selbstbehauptung sei, hält Lao-tse daran fest, dass gerade dieses Tun der Wesen ihr Tod ist. Nur durch Anteil an Tao dauern die Wesen, durch das Göttliche, das in die Dinge einströmt, sie trägt und hält. Die seiende

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Selbstheit, die Individuation, kommt auch aus Tao. Tao manifestiert sich in der Vielfältigkeit, kraft einer Unendlichkeit der Partizipationen. Partizipation der Dinge an Tao, Tao’s an den Dingen. Dieses von Tao gestiftete Verhältnis, wird verletzt, sobald ein Ding hinaus will in eine selbstgesetzte, selbständige »Räumlichkeit« hinein. Sobald es sich ein Ziel setzt, zielt es von Tao, von dem Verhältnis der Manifestation des Tao und der Partizipation zu Tao hinweg. Dadurch beeinträchtigt es seine Dauer. Daraus ergibt sich das Uebrige. Aus der Partizipation folgt nicht Entselbstung, sondern Vollendung des Selbst. Wer seine Seele gewinnen will, wird sie verlieren. Keine ethischen Maximen. Was für den Menschen gilt, gilt für die ganze Natur. Nicht wie im Judentum und Urchristentum, wo menschliche Maximen geboten werden. Was das Evangelium hier menschlich praktisch aussagt, ist bei Lao-tse immer naturhaft gemeint.

X. Abschnitt. 15

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1.: Wörtlich heisst der Satz: Umfassen einander Geist und Seele und umfangen sie einander zur Einheit, dann kann man sein ohne Zerscheidung. Seele ist hier das Zentrum, das Reize aufnimmt und Reaktionen befiehlt, der Sitz der Empfindung und Bewegung. Geist ist das Denkende, das von den Dingen abgelöst ist, aber die Dinge in sich tragen kann als Vorstellungen, Begriffe und an diesen Begriffen vollzogene Urteile. Er kann unabhängig sein von Empfindungen und Willensregungen. Wenn wir aber so den Geist von der Seele entfernen, dann tun wir das Gegenteil von dem, was Lao-tse hier meint. Indem wir den Geist verselbstständigen und ohne Berührung mit der Seele walten lassen, entsteht Zerteilung. Auch umgekehrt. Sie müssen einander durchdringen. Das Denken sei genährt vom Leben der Seele und umgekehrt. Dann ist die Einheit da. Durch seine Selbstentfaltung ist der Mensch in eine Taoferne geschleudert worden. Wenn sich aber die Teile, zu denen er sich entfaltet hat, zusammenschliessen, dann erlangt er wieder in einer höhern Sphäre die Ungeschiedenheit. 2.: Bezwingen ist kein Lao-tse’sches Wort. Gemeint ist mit Intention handeln, bestimmen. Das Seelische (= Lebensgeist, vitales Prinzip) ist nicht nachgiebig, es hat die Tendenz zur Durchsetzung. Wenn er dieses Element zur Schmiegsamkeit bestimmt, zum Nichttun, dann kann er sein wie ein neugeborenes Kindlein, d. h. dann erlangt er den Zustand, aus dem er herausgebrochen ist, auf höherer Ebene wieder. Evangelische Parallele: So ihr nicht werdet wie die Kindlein … Aber nicht als ein Zurück-

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gehen; in der ganzen Fülle der Vielfältigkeit wird die überwölbende Einheit geschaffen. 3.: Der tiefe Blick = ein innerer Blick. Innenschau nicht als Selbsterfassung oder metaphysisches Schauen, sondern als einfaches inneres Schauen in die Welt. Der Blick, der in die Tiefe schauen kann. Die ganze Sinnlichkeit, die ganze aufnehmende Fläche ist in diese innere Wahrnehmung einbezogen. Die Gesamtheit der Wahrnehmung spiegelt sich in diesem tiefen See, aber im Gegensatz zum äussern Schauen völlig eingesammelt, und ohne Wirrsal. Wie wenn man eine Landschaft ganz ruhig aufnimmt. Das Auseinanderstreben ist nicht mehr da. Der Horizont führt nicht über sich hinaus, sondern hegt das Ganze ein. Dieser Blick ist vielfach getrübt und verengt – wenn er gereinigt wird und geöffnet, dass er in die Tiefe reicht – dann kann der Mensch ohne Schwachheit sein. Der Schwache ist der Mensch, der von den Dingen überwältigt wird. Der Mensch, der den innern Kontakt mit der Welt herstellt, der wird von ihrem Angriff nicht überwältigt. Er hat das innere Bündnis mit ihr. Er kann also nachgiebig sein. Dieser Mensch, der solches tun kann, liebt er das Volk und regiert er das Land, kann er ohne Tun sein. Lieben heisst in Tao lieben, ausserhalb lieben ist vom Uebel. 4.: Tao erscheint in der Natur als der Wandel, als Bewegungsordnung des Kosmos, als Oeffnen und Schliessen der Himmelspforte. In dieses Leben der Welt ist der Heilige mitten hineingestellt, da kann er sein, wie das Vogelweibchen. Es hegt die Eier und die Jungen ein. »Der Geist Gottes brütet über den Wassern.« 5.: Die Helle seines Lichtes allwärts ausstrahlen lassend, alles bestrahlend und alles erkennend, kann er unwissend sein. In dieser Lichtflut des Geschautwerdens und Schauens braucht er keine Kenntnisse.* Alles Uebrige ergibt sich daraus. Te: nicht Tauglichkeit, sondern dauernde Wesenheit. Tief-Geheimnis.

XI. Abschnitt. Es handelt sich um die Frage nach der Individuation. Im Abendland wird die Individuation als positive Kraft aufgefasst. Paracelsus: Es gibt einen Archeus (= bildende Kraft) in allen Dingen, der ihre besondere Form herausbringe. Cusanus: Individuation = Partizipation. Lao-tse entgegengesetzt: was wir Individuation nennen ist ein Negativum. Jedes Ding besteht dadurch, dass es nicht alles Andere ist, beruht auf Weglassung des *

Keine gelösten Kenntnisse.

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Andern. Eckhart: Was ist das, was in der Kohle brennt? Das Nichts brennt in der Kohle. Eine Eigenschaft ist herausgebrochen aus dem Ganzen. Gerade durch dieses Nichtsein leistet es, was es leistet. Wenn die Speichen den Raum ausfüllten, wäre der Wagen nicht zu gebrauchen. Wenn der Ton nicht den Raum aussparte, könnte man das Gefäss nicht füllen. Wenn Tür und Fenster nicht eingebrochen würden, könnte man nicht ins Haus eintreten. Das »Sein« im allgemeinen Sinn bewirkt, dass die Dinge überhaupt für uns sind; aber das, was sie uns bedeuten, ihre spezifische Leistung ihr »So-sein«, bekommen sie dadurch, dass sie herausgelöst sind aus der ganzen Substanz. Indem andrerseits jedes Ding neben seinem So-sein auch ein Nicht-sein in sich schliesst, hat es den Kontakt mit dem Ganzen und kraft dieses Kontaktes tut es das Seine. Der ganze Rest des Alls haftet den Dingen an und ist dargestellt durch die Leere; durch diese anhaftende Leere vollbringen sie ihre Leistung. Siehe noch Abschnitt 43.

XIV. Abschnitt.

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Der erste Teil ist der Gegenstand grosser Kontroversen, die zu kühnen Lösungen Anlass gegeben haben. Es handelt sich um die drei Begriffe: Yi, Hi, Wei. Yi bedeutet »gross und Bogen« wie wenn man einen grossen Bogen ausdehnt und der nun flach wird, eben, wie zwei Linien so aneinandergebracht werden, dass ihre Divergenz nicht wahrgenommen werden kann. Hi = »dünn und zerfetztes Kleid«, aufgelöst. Wei: »verschwindend, subtil«. Schon früh wurden diese drei zusammengebracht mit der Dreieinigkeit Gottes, mit dem hebräischen Gottesnamen Jahwe. Die sehr starken Argumente der Gegenpartei haben diese Position nicht ganz erschüttert. Sie scheint etwas Esoterisches aussagen zu wollen; die Ausdrucksweise ist anders, als sonst bei Lao-tse. Der Sinn ist: Die einzelnen Attribute können nicht erforscht werden, nur in ihrer Wirkung werden sie uns bewusst. – Der zweite Teil ist einfacher. Sein Oberes (= Wesen) ist nicht klar, d. h. unerkennbar. Sein Unteres (= die Manifestation) ist uns nicht verborgen. »Je und je …«: in seiner Auswirkung, seinem Dynamischwerden, in der Kontinuität der Manifestation »ist er unnennbar«. Er wendet sich zurück in das Nicht-Dinghafte. Jedem Ding haftet an, dass es in das Nicht-Dinghafte zurückwenden will. In der Manifestation, in den Dingen ist gleichsam noch ein Zurückziehen. Dieses sich Zurückwendenwollen, ist die Gestalt des Gestaltlosen, Bild des Bildlosen. Zwei Sätze von Scotus Erigena sagen dasselbe: 1. »Gott sammelt alles in eines ein und er löst sich zurück zu sich selbst (resolvitur) durch ein unsagbares

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Zurückschreiten.« 2. »Gott schafft sich in die Kreatur auf wunderbare und unsagbare Weise ein.« Beide Sätze gehören zusammen: Er schafft sich ein, aber er schafft sich auch aus, bindet sich in die Vielfältigkeit und sammelt sich aus der Vielfältigkeit ein. Diese Art der Manifestation, das ist die Gestalt des Gestaltlosen. Die folgenden Sätze sind nur zu verstehen, wenn man aus dem Negativen das Positive heraushört. Wie weiter oben: »Sein Oberes ist nicht klar«, – d. h. dunkel; »sein Unteres nicht dunkel« d. h. klar. Wenn man seiner Manifestation folgt, statt sich ihm gegenüber zu stellen, dann sieht man sein Gesicht, dann kommt man in Berührung mit dem Unerkennbaren. Wenn man sich ihm gegenüberstellt, sieht man seine Rückseite, d. h. seine Manifestation. Wenn man dem Göttlichen nachstrebt (Imitatio dei), wenn man seine Aufgabe erfüllt, dann tut sich das Wesen des Göttlichen kund; wenn wir uns aber mit seinem Wesen befassen, uns zurückbiegen, dann erkennen wir ihn nicht, wie von einem Blitz werden wir zurückgeworfen in die Welt des Bedingten, der Manifestation. Imitatio – ein Nachahmen. »Seid vollkommen, gleichwie er vollkommen ist.« – Ani vehu hoschiana – seid heilig, wie ich heilig bin (Pentateuch). Ani vehu – ich und er – das ist dynamisch zu verstehen, ein Anruf. Hält man sich an das Tao des Altertums . . hier gibt sich der Gegensatz zwischen Lao-tse und Confucius kund. Confucius: Der Mensch ist abgeirrt vom Tao; es kommt darauf an, ihn bekannt zu machen mit der Gesamtheit, der Lebensregeln, ihn einzudämmen in das Gesetz. Lao-tse dagegen: Wenn man das, was einmal aus der Nachahmung des Himmels entstanden ist, als Regel auffasst und auferlegt, wird gegen die Natur des Menschen vergangen. Was man lernen muss, ist jenes Nachahmen selber, jene Art des Lebens, jene Fähigkeit, die im Menschen schlummert. Dazu muss man ihn in seine Freiheit setzen, dann wird der Mensch von selbst gut sein. Wenn man auf diese Grundtätigkeit des Nachstrebens zurückgeht, dann kann man den Anfang der Menschengeschichte erkennen. Das ist Tao’s Geweb-Aufzug = göttliche Längen-Fäden, die vom Anfang an im Gewebe sind und auf Tao hinweisen. Das »Gespräch zwischen Lao-tse und Confucius« schliesst sich an diese Gedanken an. »Die Leute sind längst vermodert, aber ihre Worte sind noch in den Ohren.« Die Lehre ist lebendig, aber wenn wir die Regeln aus ihrer Lebensweise abziehen und auf uns anwenden, dann ist es so, dass der Tod über das Leben regiert.

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XV. Abschnitt.

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Er schliesst sich unmittelbar an den Schluss von 14 an. »Die Guten« im Sinn des Umfassenden. »Meister« von Tao zu Meistern gesprochen. »Verborgen«, die nicht tun. Im Evangelium dagegen wird das Verkünden befohlen. Das Apostolat ist Lao-tse fremd »so mühe ich mich«: kann auch übersetzt werden: »sind wir veranlasst …« – »Behutsam«: das Schriftzeichen: grosser Elefant. »Wie wer alle Nachbarn schaut«, als ob er ihnen etwas täte, nicht sie ihm. »Undurchsichtig«, dasselbe, was früher verborgen genannt wurde. Missverständlich ist der Satz: wer kann das Trübe, indem er es stillt, allmählich klären? u. s. w. Es ist gemeint; wer kann das tun, was sie taten, sie konnten das Trübe klären, indem sie es stillten. Wenn man es schüttelt, wird es immer trüber. Die Ruhe beleben, indem man sie verlängert, d. h. indem man etwas langsam in Bewegung setzt, so dass man die Ruhe nicht spürbar bricht. Ein Widerstrebendes, Starres bringt man unmerklich in Bewegung, belebt es, indem man nur ganz leise mit dem Finger es bewegt. Die Weisen konnten das: auf die Dinge einwirken, indem sie sie gleichsam sich selbst überliessen. Wenn der Mensch nur nicht an die einzelnen Dinge gefesselt ist, sich mit ihren Inhalten füllt, anstelle der ganzen Verbundenheit, dann mag er immerhin Aergernis erregen. »Mangelhaft«: zerlumpt; nicht neu vollendet: nicht modisch abgeschlossen. Der Abschnitt in Tschuang-tse, betitelt »Reine Menschen« führt noch weiter in das Wesen der alten Meister hinein.

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Dieser Abschnitt ist gleichsam musikalisch komponiert. Der erste Satz ist das Präludium, dann entwickelt sich das Motiv »Ruhe« bis es aufgenommen wird von dem Motiv »Ewig«. Der Abschnitt ist offenbar aus ursprünglich zwei Abschnitten zusammengefügt. Vom Entstehen und Zurückgehen der Dinge ist die Rede. Aus der Ungeschiedenheit des Weltseins treten die Geschöpfe hervor, die Welt hat Anteil daran, aber es ist noch etwas darüber, ein immer erneuter Schöpfungshauch. Talmud: Drei Wesen haben Anteil am Menschen, Vater, Mutter und Gott. Die Dinge treten also aus den erzeugenden Wesen hervor, darüber ist noch der immer erneute Schöpfungshauch. – creatur = wird geschaffen, jede Kreatur hat ein Element über das Leben, einen Schöpfungshauch zu ihm hinüber. Ein Mysterium, das nicht durch eine Formel vereinfacht werden darf. Das Zurückgehen ist nicht ein Versinken in die Ungeschiedenheit,

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sondern ein Eingehen in eine Einheit, wo doch die Vielheit nicht aufgehoben ist. »Zurückgehen« – wohin? Ein sich Auflösen? Bestehen nicht alle Wesen individuiert und präformiert? Ist die Zeit nicht nur eine Auswickelung dieses Eingetanen? Man wird die Frage stehen lassen müssen. Doch bedeutet das auf keinen Fall eine Sonderung von Körper und Seele. Es gibt keine begriffliche Möglichkeit das Mysterium des Entstehens und Vergehens rechtmässig zu vereinfachen. Alle Begriffe, die wir uns dem Tod gegenüber geschaffen haben, versuchen eine Vereinfachung des Mysteriums, durch Begriffe oder durch mythische Vorstellungen. Doch ist das nicht zulässig. Wenn wir sagen: wieder eingehen, dorthin, wo die Wesen wieder vereinigt sind, so ist das schon zu positiv. »Wenn sich die Wesen entwickelt haben« – damit ist gewiss nicht das Alter gemeint, nicht das einfache Wachsen. Von dem Zurückgehen, das allen Wesen gemeinsam ist, hebt Lao-tse ab, ein Zurückkehren = zu seinem Ursprung, das viel enger gemeint ist. Insofern die Wesen die volle Blüte erreicht haben, kehren sie in den Ursprung zurück. Das heisst nicht, in den Keimstand zurückkehren, sondern in Tao eingehen. Während das »Zurückgehen« des 2. Satzes Rückkehr in den Keimstand bedeutet. »Zurückgekehrtsein in den Ursprung heisst ruhen«, während das erste Zurückgehen noch nicht Ruhe bedeutet. »Die Aufgabe erfüllt haben« – die Bestimmung erfüllt haben: Fu-ming – Ausrichtung eines Auftrages anmelden. Nicht alle Wesen, die sterben, haben diese Aufgabe erfüllt. Die Aufgabe erfüllen ist das Erreichen eines Gipfels. Wer die Aufgabe erfüllt hat, kostet schon im Leben einen Vorgeschmack jener Ruhe im Ursprung, die ihm zugeteilt ist. Das heisst ewig sein. Ewig und unsterblich ist nicht dasselbe. Unsterblich gilt nur von der Zeit, ewig geht über die Zeit hinaus. Es ist das absolute Sein. Unsterblich sein heisst, in der Zeit nicht aufhören; ewig sein heisst: nicht nur in der Zeit sein. Das nicht in die Zeit eingebunden sein. Die Seelenwanderung ist eine vereinfachende Vorstellung; eine Art Unsterblichkeit, aber nicht Ewigkeit. Auch der Seligkeitszustand ist keine Ewigkeit, denn er ist zeitlich dauernd. Wir können nur zeithaft denken. Das Aeusserste ist, dass wir der Zeithaftigkeit eine Schranke setzen, aber einen Inhalt hat diese Vorstellung für uns nicht, wir können nur die Schranke empfinden. Alle Dauer ist aber nur eine Brechung der Ewigkeit – Der die Ausrichtung des Auftrags angemeldet hat, bei dem, der ihm den Auftrag erteilt hat, der ist in den Ursprung zurückgekehrt. Aber nicht vernichtet, nicht eingegangen, er ist im Ursprung. Und Henoch wanderte mit den Elohim und er war nicht da, denn die Elohim hatten ihn hingenommen. Diese Vieleinheit hat ihn aufgenommen; also auch hier ein weiter-Sein im Elo-

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him. – Gibt es dann eine zurückgekehrte Gestalt der Selbstheit? Die Frage muss stehen bleiben. Im zweiten Teil steigt man eine Stufe herab. Wer das Ewige kennt = Der Mensch, der in der Verbundenheit steht, die man »kennen« nennt. Kennen: anschauen. Und Adam erkannte sein Weib – ein ungeheures Wort. Nur mit dem ganzen Wesen kann man so erkennen. Erleuchtet sein, heisst im Lichte stehen, in dem man zugleich schaut und selbst erhellt wird. Talmud: Die Vorwelt war vom Urlicht erleuchtet. Der Urmensch Kadmon hat in dieses Licht schauen können, von einem Ende der Welt zum andern. Weil die Welt sich des Lichts unwert zeigte, barg Gott das Urlicht. Er barg es in der Leere. Für die Gerechten der kommenden Welt. Wir sehen daher die Dinge nur eingeschränkt und unzulänglich. – Dies ist verwandt zu dem »im Lichte stehen« Lao-tse’s »Das Ewige nicht kennen«: das Schriftzeichen: das flüchtige Weib. Jemand, der sich einer Bindung entzieht, pflichtvergessen ist, »Entsittlicht« und »unglücklich« ist zu wenig prägnant. Beim einen ist das Fehlen der wohltätigen Einbindung, das Gestelltsein in die schlimme, leere Freiheit gemeint, die sinn-lose, substanzlose Freiheit, beim andern das Preisgegebensein, das Treiben im Uferlosen. »Macht unglücklich«: Schriftzeichen: einer der kopfüber in den Brunnen fällt. Das ist der Preisgegebene, Verzweifelte, der hoffnungslose Mensch. Also: Der Mensch, der das Ewige nicht kennt, steht nicht in der Einbindung, er treibt im Uferlosen. »Umfassend« heisst nicht bloss Vieles umfassen, sondern wie man seine Hände um einen Menschen legt und ihn gleichsam von beiden Seiten hat. Wenn wir einen Menschen wirklich lieben und wir erleben in einer besondern Situation diese Liebe, so drückt sich das darin aus, dass wir die Situation auch von ihm aus erleben. Es kommt vor im Theater, dass wir uns gleichsam hinüberwerfen in den Spieler. Das heisst nicht: eins werden mit ihm. Das ist das Falsche an den Einfühlungstheorien. Das Wesentliche ist, dass wir nicht drüben sind und doch drüben sind. Umfassen kann ich nur dadurch, dass ich selber bin, uns trifft die Waffe, wir sinken hin und dennoch schauen wir ihn an. Wer Beziehungen zum Ewigen hat, der ist nicht mehr abgeschnitten von den Dingen, sondern umfassend. Gerecht sein heisst nicht, Lohn und Strafe von aussen her austeilen. Wer die andern wirklich umfasst und das Leben von ihnen aus sieht, der weiss von Innen her, was ihnen zukommt. »Daher König« = der rechtmässige Fürst der Dinge, in dem sich der Bestand aller Dinge einsammelt, weil er alle kennt, umfasst, allen gerecht wird. »Daher des Himmels«. Himmel hegt alle Wesen königlich ein, … als ob über dieser unsichtbaren Krone des Gerechten das Firmament ungeheuer kronenhaft sich wölbte.

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Er, der einhegt, wird selbst eingehegt, vom Gesetz des ewigen Wandels. »Daher Tao’s«. Der ja im Himmel waltet, im Gesetz des Himmels sich manifestiert. »Tao’s daher fortdauernd.« Ihm kann der Tod nichts antun. Er büsst das körperliche Leben ein, ohne dass es für seinen wirklichen Bestand gefährdend ist. Im Abschnitt 50 ähnliche Gedanken.

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XIX. Abschnitt. Was für eine Menschenliebe und Gerechtigkeit ist verwerflich? 1. Die als äusseres Gesetz von der Vernunft auferlegte. Alles Satzungshafte bringt nur Uebel. 2. Die Absichtliche, Betriebsame, nicht spontan Hervorquellende. Das Schöne der Liebe liegt in ihrer Unwillkürlichkeit. 3. Die Abstrakte, Programmatische, Theoretische. Dem gegenüber sagt Lao-tse: Lasst alle diese Fiktivierung des Wirklichen fahren. Wenn ihr nicht diese ausgedachte Weisheit übt, dann wird das Volk gedeihen. Aus den natürlichen Beziehungen der Menschen wird die Gemeinschaft zwischen den Wesen von selbst wachsen. Wenn ihr euern grossen Erwerbs-Apparat fahren lasst, dann gibt es keine Diebe und Räuber mehr. Der Geschäftige entfremdet sich das Reich. – Das Besitzen, darauf sitzen, als begehrenswert erklären – dadurch wird Begehr erweckt. Ausführlicher der 57. Abschnitt. Ebenso bei Tschuang-tse-Gespräch mit Confucius. Der starke Dieb. Die Verbrecher.

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XX. Abschnitt. Er ragt aus dem ganzen Buch heraus als das Bekenntnis von der Situation des Menschen Lao-tse unter den Menschen seiner Zeit. Wenn ein Zentraler Mensch wie Lao-tse ein solches Bekenntnis tut, so ist es für alle Zeiten getan und gilt für jede Situation des die innere Wahrheit kündenden Menschen. Jedes solche Bekenntnis ist ein Bekenntnis von der Wüste, von der Einöde, von der Verfinsterung. Die vier ersten Sätze gehören in einen andern Zusammenhang. Von einem Erklärer als Zitat eines Gegners Lao-tse’s erklärt. »Was die Menschen fürchten …« ist vielleicht ernst gemeint, vielleicht auch nicht. Der Ton ist ein ganz anderer als in den folgenden Sätzen. Das Uebrige ist eine strenge Dichtung, in der nichts ist, was nicht dazu gehörte. Eine ursprüngliche Einheit liegt hier zu Grunde, die sich auseinanderlegt. Eingerahmt von zwei Sätzen finden wir hier eine Reihe von Gegenüberstellungen in parallelistischer Form. Wichtig ist, dass die Gegenüberstellungen nicht ironisch gemeint sind. Es ist einfach

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so. Wer in der Wahrheit steht und von der Wahrheit zeugt, in einer Welt der Lüge, der Lügen-Sicherheit, der Lügen-Lust, der ist wahnsinnig. »Die Verfinsterung …« Gefühl der Wüste, die Unstimmigkeit zwischen dem Wahrheit-Kündenden und seiner Zeit. Wirkliche Verlassenheit. »Ich allein liege still« – ohne Omen dafür, was zu geschehen hat. »noch ohne Anzeichen«, das noch ist zu streichen. »Anzeichen« = Orakelzeichen. Ohne Anzeichen davon, dass es für ihn eine Freude geben kann. Das Wort: »ich habe eines Stumpfsinnigen Herz« erinnert an eines der letzten Selbstporträts Rembrandt’s (Sammlung Carstanjen) Rembrandt wie wahnsinnig; in einer solchen Welt die Wahrheit künden ist Wahnsinn. Nicht Extase, sondern dauernde Verlorenheit. Die Tragik soll nicht gemildert sein, Lao-tse will die ungeheure Gebrochenheit der Menschen doppelseitig kennzeichnen, als ein Aneinander-Offenbarwerden des Zwiespalts zwischen dem Berufenen und dem Verständnislosen. »Vergessen wie das Meer« besser »haltlos, wie das Meer«. Die Lehre von der heiligen Unsicherheit wird hier in ihren Konsequenzen empfunden. Verzicht auf das Selbstbehaupten ist hier schmerzliche Wehrlosigkeit. Solche Tragik entsteht nur, wenn etwas so ist und wenn ein anderes auch so ist. Nur die Theophanie führt aus diesem letzten So-sein. Diese Erlösungssehnsucht zeigt sich auch in der griechischen Tragödie. Prometheus und Zeus sind sich entgegengesetzt, erst im 3. Teil der Tragödie erlöst das beide überwölbende Schicksal den Gegensatz. Nur durch Gott können die Menschen erlöst werden. »Aber –.« ist falsch. Richtiger– »ehre ich doch die nährende Mutter«.

XXI. Abschnitt. Er folgt in einer bedeutsamen Weise auf den zwanzigsten. Dort: Bekenntnis des TAO-Ehrenden in seiner Situation, in seiner Welt. Hier: Das eigentliche Bekenntnis zu TAO. Hier wie dort: Form des dichterischen Bekenntnisses: im Ton das tiefere Einsetzen der Person spürbar. Der Anfang soll lauten: Der Grossen Tugend Erscheinung. Khung (= gross) te = Tugend, von taugen, das noch mit anklingt. Tugend: Kraft in dynamischer Relation. Z u etwas taugen. Die den Dingen und Wesen einwohnende Mächtigkeit, insofern sie als gerichtet aufgefasst wird. Mächtigkeit ist mehr als Kraft. Kraft ist auch im Chaos wirksam, aber Mächtigkeit ist erst mit der Welt der Dinge da. Kräfte walten auch unterhalb des Seins, auch in Atomen und Molekülen, zu Mächtigkeit werden sie erst in den Dingen der individuierten Welt. Lao-tse scheidet nicht zwischen Dingen und Lebewesen. Auch wir können keine strenge Scheidung vornehmen.

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Nach Lao-tse wohnt auch den Dingen Mächtigkeit ein. Auch Geräte haben Tugend. Mächtigkeit ist die in Relation auf eine Richtung gefasste Kraft. – Aber auch die Autonomie, die Selbstständigkeit der Dinge ist aus Tao zu verstehen. Kräfte bewegen die Dinge, aber die Dinge sind mächtig. Tao gibt sich den Dingen ein als Tugend. Tugend ist also Tao, insoferne es sich den Dingen eingibt und durch sie hindurch erscheint. Tao im Stande der Individuation. Sie folgt Tao nach, ontologisch und erkenntnistheoretisch. – Spinoza unterscheidet: 1. natura naturans (wirkend, schaffend), 2. natura naturata (Schöpfung, Welt.) 1. als Wesen gemeint, ohne es aber in die Welt einzubinden – das ist der Begriff der Substanz. Dieser Substanzbegriff klingt auch bei Lao-tse an. »Tao ist Wesen« (= Substanz) nicht eine Abstraktion, nicht etwa Naturgesetz. Kein Denksein, sondern ein wahrhaftes Sein, von dem alle Wirklichkeit ihren Seincharakter nimmt. Unser Wesen-Sagen kommt daher, dass das Urwesen ist. »aber unfasslich« – in welcher Weise Tao als Substanz zu verstehen ist. Das Wesen Tao’s hat bei Lao-tse keine personhafte Fassung. Das ist aber wie bei Spinoza’s natura naturans nur die terminologische Fassung. Amor dei – Liebe Gottes zu sich selbst als Liebe zu den Geschöpfen. Das ist personhaft oder nicht personhaft, das ist nur ein Wortunterschied. Liebe könnten wir nicht haben, wenn wir nicht vom Urwesen dazu ermächtigt wären. So ist auch bei Lao-tse die Frage nach der Personhaftigkeit unwesentlich. Es ist vielleicht eine personhafte Konzeption, die aber nicht wichtig ist. Wichtig ist, dass Lao-tse zwei Seiten des Göttlichen sieht – eine unerkennbare, die Transzendenz und eine manifestationshafte, die Immanenz. Unpersonhafte und personhafte Seite. Es gibt ein uns zugekehrtes Angesicht. Da wir mit ihr in Beziehung stehen, können wir sagen, das ist die Personhaftigkeit des Göttlichen. Hier am Rande unseres Fassens zerbröckeln nicht nur die Worte, sondern auch die Begriffe. TAO ist schlechthin unfasslich – denn alles, was wir Wesen nennen, ist damit incommensurabel. Dennoch dürfen wir von Wesen und Person sprechen: denn TAO ist es, das es überhaupt ermöglicht von Wesen und Person zu sprechen. Es ist kleinlich zu sagen mit Feuerbach: »Der Mensch schaffe Gott nach seinem Bilde …« Wo nimmt denn der Mensch dieses Bild, dieses personhafte Element her? Ist nicht etwas da, das ihm überhaupt ermöglicht, sich personhaft zu fassen; ist nicht das Personhafte des eigenen Seins schon etwas Abgeleitetes? Gerade so, wie wir den Personbegriff nicht von uns haben, so auch das »Wesen«. Wir müssen Tao als Wesen, als Substanz fassen, aber in einer von uns unfasslichen Weise. Nicht von unserer Wesenhaftigkeit können wir Tao durch Steigerung erreichen, nicht durch Steigerung in’s Superlativische. Der Begriff der Wesenhaftigkeit kann ja

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nicht von uns aus sein, da wir diesen Begriff von je und je fassen. Bei den alten Chinesen gab es Shang-ti und Tien = Himmel. Auch Tien ganz und gar personhaft. Schriftzeichen: Himmelsgott mit Sonnenhaupt. Confucius: Tien, das Göttliche, zu dem der tugendhafte Mensch in Beziehung steht. Der edle Mensch (der Adlige bei Confucius). Also Tien ist nicht pantheistisch. Tao war – soweit der Begriff von Lao-tse vorgefunden wurde – nicht personhaft, sondern etwas in der Natur Waltendes. Man sprach vom Tao des Himmels, des Menschen, also Tao: das Gesetz des Wandels. Erst bei Lao-tse Tao mit aller Eindeutigkeit nicht nur als das Göttliche, sondern alles persönlich Göttliche wurde ihm subsummiert. Hier, im 21. Abschnitt: Tao als Substanz. Andere Sätze von Lao-tse, wo wir Tao personhaft nehmen müssen, ohne aber dass Lao-tse den Begriff festlegt. Das wirkende Göttliche in personhafter Fassung – In der Kunst tritt das Taoistische erst später auf. In die Landschaftsmalerei kommt etwas Dynamisches. Auch die Menschengestalt neu erfasst: die versunkenen Gestalten. Dagegen ist die Darstellung Taos nie versucht worden. Personhaftigkeit ist nicht dasselbe, wie Gestalt. Das Personhafte manifestiert sich in der Sprache am stärksten durch das Ich und Du. Durch Pronomina. Person ist, was anredet und angeredet wird. Damit braucht keine bestimmte Vorstellung, keine Gestalt verbunden zu sein, muss nicht in der 3. Person vorgestellt werden können. Wenn ich von dem Unendlichen, Umrisslosen herangerufen werde: »wo bist Du?«, so brauche ich keinen Umriss hinein zu werfen, dennoch weiss ich, dass eine Person da ist; es ist hier etwas, das vollkommen anders ist als das Unpersönliche. Der Umriss ist nur mythologisch. Sobald ich das mir Gegenüber als Gegenüber zu spüren bekomme, das mich anruft, sich zu mir in Beziehung setzt, da gibt es keinen Umriss. Nur ein Gegenüber. Von dem ich nichts weiss, als die jeweilige Beziehung. Die Beziehung, das ist das Personhafte: Das enthält aber keine anthropomorphen Elemente. Der Anruf hat keine Phantasie-elemente. Er ist natürlich auch nicht vokal, nicht akustisch, wie das Ich und Du zwischen Menschen nicht akustisch ist. Sondern ein Gegenübersein. Die Personhaftigkeit Gottes ist charakterisiert. Er ist weder Mann noch Weib. Die Sprache ist noch nicht die letzte Sprache. Sprache ist das Gegenüberleben der Wesen. Die Sprache ist älter als wir. Nicht wir haben die Sprache gemacht, die Sprache konstituiert uns, wir sind zueinander geschaffen, wir sind Worte. Wir selber sprechen etwas aus. Wir alle sind Zeichen einer Sprache. Wir stehen in der Sprache, nicht das Wort ist in uns. Freilich nicht im Sinne des Gelautet- und Gewortet-werdens, sondern im Sinne des Seienden. Der Anthropomorphismus beginnt schon mit der dritten Person, da ist schon eine Ausdeutung, eine Vorstellung: das Er gegenüber dem Sie und

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Es, nicht mehr die Unmittelbarkeit. Da entsteht schon das Bild. Mit dem Bild entsteht schon der Polytheismus. Darum: Du sollst Dir kein Bildnis machen. Bei Lao-tse ausgedrückt durch den Satz: in Ihm sind die Bilder. Das heisst: also kann von ihm kein Bild gemacht werden. Jede Gestaltbildung ist Beschränkung, ein Aussparen, das sofort nach Ergänzung ruft. Die fehlenden Attribute verlangen auch dargestellt zu werden. So entsteht die Hierarchie der Götter. Eigentlichen Polytheismus kann es in der religiösen Wirklichkeit letztlich nicht geben. Er entsteht in der Sphäre des Sich-Vorstellens, nicht in der der Beziehung. Der Mensch stellt sich Gott vor, weil er ihn auch dann haben will, wenn er nicht in der Beziehung steht. Darin äussert sich die Kontinuitätssucht des Menschen. Er will das Leben billiger haben. Auch die Magie erwächst daraus, dass man die Macht des Seins haben möchte, ohne sich mit dem ganzen Wesen Gott gegenüber zu stellen. So wird die Ganzheit Gottes gebrochen. Schon dadurch, dass er als Schöpfungsgott dargestellt wird, als bärtiger, mächtiger älterer Mann, schliesst man die ganze Fülle seiner andern Eigenschaften aus. Der Marienkult, die Verehrung des Christkindes sind Versuche, diese Fülle wiederherzustellen. Drei Dinge werden von TAO ausgesagt, in Ihm sind die Bilder, das Wesen, der Geist. Die Rede ist von der potenziellen Manifestation, von der Manifestation in TAO, nicht als Welt. Unter Bilder ist gemeint das ganze So-sein der Dinge. Individuation im engern Sinn. In ihm sind die Urbilder aller Dinge. Wesen ist nicht Substanz in jenem höchsten Sinn, sondern Substanz als sich den Wesen verleihend. Geist (gereinigter Reis = reinste Essenz) ist was noch hinzukommen muss: das Wissen von dem, was man ist, was man taugt, was die Dinge erst befähigt »ich« zu sagen. Das ist das eigentliche Geheimnis der Schöpfung, dass sie selbst sind, indem sie ihr »selbst« wissen und aus diesem Wissen heraus handeln können. Alles Frei-sein ist darin begründet. »Sein Geist …«: der uneingetane, der primordiale Geist, das unseiende Wesen, der unendlichen Vielheit zugewandt – »… ist zuverlässig.« Die Dinge haben gleichsam einen Anspruch aus dieser Potentialität hervorzutreten, die Erfüllung dieses Anspruchs ist verbürgt durch die höchste Zuverlässigkeit. Die letzte fassbare Treue ist die des Schöpfers: die in ihm vorgebildeten Wesen können sich darauf verlassen, dass er sie ins Dasein rufe. (Alte chinesische Erklärung. Diese sehr tief greifend.) »Treue«: Verhältnis Taos zur Aktualisierung. Nicht ethisch gemeint, sondern umgekehrt, das Ethische deriviert aus dieser Treue. Sein Name verging nicht, weil die Schöpfung ewig geschieht. »Den Anfang ausersehen« ist konkret: das Mustern von Menschen, die durch ein Tor schreiten. So wacht er über den wirklichen Eintritt der Dinge ins Sein. Ueber allen Dingen ist diese Treue der

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Schöpfung, daher vergeht der Manifestationsname der Schöpfung nicht. Der Name des Tao ist der Manifestation zugehörig. Das Namen-empfangen geht in Tao vor sich, nicht im Menschen. Das vergeht nicht von alters her. Weil die Schöpfung ewig geschieht, nicht einmal geschehen ist. Ein jüdisches Gebet: »der an jedem Tage das Werk der Schöpfung erneut.« Dieses alles weiss ich aus meiner Verbundenheit mit ihm. Der Offenbarungscharakter solcher Erfahrung darf nicht entheiligt werden durch die Vermengung mit unbewussten psychologischen Vorgängen. Das hiesse das Geheimnis, in dem wir leben, übertünchen. Es gibt einen Unterschied zwischen dem nicht belichteten und dem, was wesenhaft dunkel, geheimnisvoll ist. Der unverbildete Mensch spürt, dass es eine Mitte in ihm gibt, die ihn ermächtigt »ich« zu sagen, die aber dem Wesen nach nicht erfasst werden kann. Hier wird er Punkt und ist nicht mehr von sich aus zu verstehen, sondern muss den Bogen schlagen zum »Andern«. Offenbarung ist ja etwas, das sich ewig vollzieht zu dem verbundenen Menschen hin. Es wird deutlich gewusst, dass es so ist. Es gibt Grade der Distanzialität der Offenbarung. Es gibt Dinge, die auf den Menschen eindringen, es gibt aber auch Dinge im Menschen, die er vorher nicht hatte und jetzt hat, deren Zuwachs er aber aus sich nicht erklären kann. Woher? »Durch ihn«.

XXII. Abschnitt.

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Er gehört noch in den gleichen Zusammenhang, nach dem Selbstbekenntnis (20) und dem Bekenntnis zum offenbarenden TAO (21) kommt nun die Verwirklichung TAO’s durch Ueberwindung des Mangels. »Wenn mangelhaft, dann wird es vollkommen«. Nichts weist darauf hin, dass es imperativisch gebraucht ist. Das Mangelhafte (Phasen des Mondes) Ungleiche (Seil, das gewellt ist und dann gespannt wird.), Vertiefte (Abdruck des Fusses eines Ochsen im Boden), Zerrissene (= zerlumpt) u. s. w. ist nicht nur im Sinne der Welt gemeint, es ist wirklich so. »Wenn wenig, so wird es erreichen, wenn viel, dann wird es verfehlen« – Bei den Alten bedeutete der Spruch: dass mangelhaft sein kein absolutes Uebel sei, sondern dass eine Kompensation da sei. Der verborgene Segen der Negativität gibt sich kund. Lao-tse gibt dem alten Spruch einen Akzent, nämlich die Negationen sind alle auf Seiten von Tao. Aber alles, was in der Relation negativ erscheint oder ist, wird eine positive Ergänzung erfahren, es wird einen Ausgleich, eine Rechtfertigung geben. Da-

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her nimmt der heilige Mensch seinen Standort über dieser Relationsqualität, die sich aus der Gegensätzlichkeit der Welt ergibt. »Umfasst das Eine«: Die Einheit der Gegensätze. Es greift über die Spaltung hinaus. »Welt«, das Untere des Himmels, was unter dem Himmel ist. So wird er der Welt Vorbild, Mass und Gesetz. Ein Gesetz, das nicht geschrieben, sondern dargelebt wird. Dieses Gesetzhafte ist wesentlich für jede wirkliche Religion. Das heisst, es kann nicht in eine allgemein gültige Formel umgesetzt werden. Das führt über die paulinische Gesetzfassung hinaus. »Ich aber sage Euch« ist immer eine Erweiterung. Das hätte Paulus auf die Unrichtigkeit seiner Gesetzauffassung hinweisen sollen. Das Uebrige ergibt sich von selbst. Nicht sich siehet er an, das heisst – er beäugelt sich nicht, er schaut sich nicht als Licht an, er sucht nicht einen Ausgleich für sein Verworfen-werden von den Menschen, indem er seine innere Vollkommenheit betrachtet. Am Schluss tut sich noch einmal die Zuversicht kund, die über 20 und 21 hinausführt, wenn ein wahrhaft Vollkommener erscheint, dann kehrt die Welt zu dem Wissen zurück, von dem aus die Alten das sagten.

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XXVII. Abschnitt. Es handelt sich im ersten Teil um die Definition von »gut«. Gut sein heisst etwas so vollkommen machen können, dass man es ohne Vorrichtung aus der Sache selbst vollzieht, ohne Spuren, Fehler, Schwankungen, so dass es schlechthin geschieht. Es ist kein unbewältigter Rest daran, es ist fugenlos, makellos. Daher ist der heilige Mensch ein guter Helfer, der das Helfen versteht auf diese fugenlose Weise. Er verwirft keinen Menschen; er wäre sonst kein guter Helfer, es bliebe ein Rest übrig. Das heisst herrlich leuchten. Herrlich = Obergewand, leuchten = Glanz: den Glanz verdoppeln. Gleichsam leuchten in der Rückstrahlung aus den Geschöpfen heraus. Drum sind Helfer und Notleidende auf einander angewiesen. Das Erziehen kann nur in der Wechselwirkung geschehen. Ein seelischer Akt ist auch vom Erzogenen aus nötig: das Ehren, die Beziehung von sich aus bestätigen. Der Erzieher liebt seinen Schatz, es ist kein Erziehen als nur sachliche Funktion. Die Menschen in TAO lieben, ist nicht etwas Abstraktes. Wenn man einen Menschen wirklich liebt, ist es so, dass man das Göttliche in ihm liebt, aber durchaus in der menschlichen Liebe drin. Wenn das Element des Verwundertseins, der Verehrung ganz aus der Liebe heraus genommen wird dann ist die Liebe eine Krankheit. Das mit Tao Verbundene wird im Menschen geliebt; mit dem wirklichen Tao

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ist aber nicht eine kalte Vorstellung gemeint; es ist nicht Spekulation, sondern etwas Gegenwärtiges. Die Kabbala sagt: wo ein Mann und seine Frau in Wahrheit beisammen sind, da ist die Herrlichkeit Gottes in ihrer Mitte. So ist es auch im Verhältnis des Erziehers zum Erzogenen. Diese Gegenseitigkeit ist ein bedeutendes Geheimnis. Jao und Miao = wichtig und wundersam.

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Die Schlussätze hängen mit den Versen nicht zusammen. Sie wurden angefügt, weil sie mit der »Einfalt« anfangen. Nicht sicher von Lao-tse. Der Schluss der 3 Strofen wird besser übersetzt mit: »kehrt man ein«. In der 2. Strofe ist »Schild« zu frei übersetzt, es heisst: geht nicht fehl. (Zeichen = Herz Wurfspiess). Statt »unbefangen« stünde besser: »ungeschieden«, »ungeworden« (Wu Gi = Urchaos). In Strofe 3 ist das Zeichen für »erste Einfalt« = Rohholz, unbearbeitetes Holz. Der Sinn dieser 3 Strofen ist, dass der heilige Mensch beide Pole in sich vereint und zwar so, dass er vom ganzen Halt des Aktiven aus das Passive zum Wirkenden macht. Er muss seine Mannheit kennen, sonst taugt sein Weibsein nichts. Erst durch dieses Mannheit-kennen ist die Struktur gegeben, das polare Sein. Ein einfach weibliches Wesen hat gar nicht die Möglichkeit des Auswirkens. Erst durch diesen festen Pol, der sich nicht auswirkt, wird die Dynamik möglich. Das Dunkel, die Verborgenheit, das Sich-in-sich-zurückziehen hat seinen positiven Sinn dadurch, dass das Helle gekannt ist. Dieses Kennen ist nicht ein Sich-mit-sich-befassen, sondern ein elementares Bestätigen dieses andern ruhenden Pols, dieses Haltes, dieses Gerüstes, ohne das die Tätigkeit des Wirkenden nicht möglich ist. Wer so handelt, der ist das Strombett. Alle Dinge strömen ihm zu, wie Mass, Gesetz. Er selbst wird wie Tao eine Bahn, in der Dinge wandeln. Dann entfällt die Tugend nicht, – die Mächtigkeit wird erhalten und ermöglicht den Menschen zurückzukehren aus der Abirrung in die Bahn zur Kindheit, aber auf einer höhern Ebene.

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Hohe Tugend keine Tugend … Textliche Bereinigung. Das »hohe« muss wegfallen bei Menschenliebe, Gerechtigkeit, Anständigkeit. »Hohe Tugend« ist die mit Tao verbundene, »niedere Tugend« die von Tao abgeschnittene, verselbstständigte Tugend. Hohe Tugend ist keine Tugend,

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die als solche auftritt und unterschieden wird. Sie ist weder in ihrer Absicht noch in ihrer Selbsterkenntnis Tugend. Sie stellt sich nicht fest, sie ist einfach da. Der Begriff »schöne Seele« bei Goethe meint etwas Aehnliches, nämlich: ohne Vorsatz und Anstrengung, von selbst, seiner Natur nach das Gute tun. Das »schön« ist sehr zutreffend und tiefgreifend. Das Schöne steigt wie Aphrodite aus dem Meer – mühelos. Der ganze Apparat der Geburt ist nicht da. Das merkwürdige Gefühl, das wir einem schönen Menschen gegenüber haben, fordert uns gleichsam auf, unsern Begriff von Gerechtigkeit umzuwerfen, ihm ein verdienstloses Verdienst zuzubilligen. Wie man dem Schönen kein Zustandegekommen-sein ansieht, so soll auf schöne Art das Gute geschehen. Während die niedere Tugend wie eine Präzisionsmaschine arbeitet, hat die hohe Tugend etwas Ungebrauchbares, wie die Schönheit. Die niedere Tugend will Tugend sein, will anerkannt werden, die Tugend der guten Werke im Lutherschen Sinn. Gegen die niedere Tugend hat die Reformation Kampf geführt, kam aber dadurch zu einer Uebersteigerung der Gnade. Alles Gute fliesse aus der Gnade, vom Menschen aus handeln sei Sünde. Der Streit um die guten Werke ist ideelles Zentrum der Reformationsgeschichte. Die Kirche hatte angenommen, man könne durch tugendhaftes Leben die Seligkeit gewinnen. Als ob Tugend Anspruch auf Seligkeit und auf glückliches Leben gäbe. Das ist die Oberfläche gewesen. Dahinter stand der Glaube, dass der Mensch etwas von sich aus vollbringen könne, wenn er es sich vornehme, etwas gut zu tun. Gegen diese gottlose Auffassung Luther und die ganze Reformation. Nicht nur weil es ganz widersinnig ist, bei Gott einen Anspruch anzumelden, sondern weil der Mensch von sich aus nichts vollbringen könne. In der Abgeschnittenheit handeln ist Sünde. Das wirklich fromme Handeln gebe sich in die Gnade ein, sie ist nicht in der Tugend, und in den guten Werken. Verzicht auf Prinzip der Selbsttätigkeit. Daraus der grosse Streit; dem aber eigentlich ein Missverständnis zugrunde liegt. Denn diese guten Werke vom Menschen aus, das ist die niedere Tugend des Lao-tse. Die hohe Tugend ist die unwillkürliche in Wahrheit von Tao ausgehende. Dann entschwindet die Frage der guten Werke. Wenn der Mensch unwillkürlich, aus Vertrauen auf das Göttliche, aus elementarer Verbundenheit mit ihm handelt, dann wird er immer wieder die Grenzen erfahren, an denen seine Unwillkürlichkeit an eine Klippe gerät. Doch insoferne er unwillkürlich handeln kann, gibt es keine Unterscheidung von Mensch aus und von Gott aus handeln. Der Mensch merkt an seinem Handeln, dass er Gnade hat. Das Unwillkürliche ist das eigentlich religiöse Element, selbst bei denen, die religiös-feindlich zu sein vermeinen. Im unwillkürlichen Handeln wird gleichsam die Gnade in die

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Sphäre des Handelns selbst gezogen. Der Mensch weiss nicht, wieviel Gnade er hat, aber er merkt an seinem Handeln, dass er Gnade hat. Nimmermehr soll er sich hinüberwerfen, um vom Handeln auf die Gnade zu schauen. Hohe Tugend ist die reine Unwillkürlichkeit. Menschenliebe und Gerechtigkeit sind sonst bei Lao-tse auf einer Ebene. Hier steht Menschenliebe höher. Wo das Element der Liebe ist, da ist nicht Absichtlichkeit, dagegen Gerechtigkeit ist immer absichtlich. Sie ist notwendigermassen absichtlich, weil sie sich dem Gegenstand bewusst gegenüber stellt, weil sie zu ihm Stellung nimmt, weil sie Prinzipien hat, denen sie gerecht werden will. Liebe ist Ueberbrückung des Abstandes zwischen Objekt und Subjekt, sie hat immer die Tendenz den Abstand irgendwie zu überwinden, was sich schon darin äussert, dass der Liebende den Wunsch hat, dem Geliebten körperlich nahe zu sein. Nicht so die Gerechtigkeit, sie umarmt nicht, sie fixiert den Abstand. Der Gerechte will dem Andern gerecht werden, aber es muss eine feste Zweiheit von Objekt zu Subjekt da sein. Unter der Anständigkeit (= Li) ist das grosse Regelsystem gemeint, das geordnete, vorschriftsmässige Tun. Li: Schriftzeichen: Geist und volles Opfergefäss. Also Regelung des Opferkults. Dann: das ganze Ceremoniell. Jeder Moment des Lebens, jede Beziehung der Menschen untereinander ist geregelt durch ein bestimmtes Zeremoniell. Das ist, wogegen sich Lao-tse eigentlich wendet. Das willkürliche Gesetz lähmt den Einklang des Menschen mit dem Walten des Himmels, gerade die Spontanäität, die das Tao-gemässe an ihm ist. (»Anständigkeit tut … und entspricht ihr keiner, dann entblösst sie den Arm, wie einer, der zum Ringkampf die Jacke auszieht.«) – Gerechtigkeit kann ohne Zwang sein, Anständigkeit aber zwingt. – Wo ihr nicht entsprochen wird, holt sie die Polizei herbei. D. i., Gegensatz von Lao-tse und Confucius. – Lao-tse meint: durch Li wird das Böse gezüchtet, durch Gesetzgebung wird das Böse geweckt. Es gibt natürliche Beziehungen der Menschen z. B. Vaterliebe, Nachbarschaft. Fordert man aber Vaterliebe, dann bringt man sie um. Die natürlichen Beziehungen zu einander ergeben sich aus dem Leben, z. B. auch die Werkgemeinschaft. Nur kennen wir durch unsere Barbarei diese Dinge nicht mehr. Der Staat ist nur Wasserstandmesser, wie weit noch unter den obwaltenden Umständen Gesetz und Polizei notwendig sind. Wie sich das Element der Freiwilligkeit zum Element des Zwanges verhält. Bis zu einem gewissen Punkt ist immer Freiwilligkeit möglich. Natürlich ist Staat nicht Gemeinschaft. Schopenhauer: Man könne sich wohl Religion wegdenken, aber nicht den Staat. Ohne Staat könne kein Bürger ruhig über die Strasse gehen. – Das ist keine Menschenkenntnis. – Staat wäre nur als Minimum nötig,

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etwa als Verwaltung. Für die gemeinsamen Angelegenheiten wird sich ein Vertretersystem ergeben. Aber es reguliert sich von unten: nie mehr da, als wirklich nötig. Die Hauptregel dieses Staates wäre: die Aufhebbarkeit der Regel. Freilich, Sicherungen wird es immer geben müssen. Aber der heutige Wahn der Sicherung müsste aufgehoben werden. Es sollte der Zwang bis zu der »reinen Wasserlinie« zurückgedrängt werden. Bei uns wird der tote Apparat: »Staat« von Geschlecht zu Geschlecht fortgeschleppt. Vom Zustand des Freigegebenseins aus müssten die Menschen ihre Regeln selbst spinnen. Die Jugend 1914 ging in den Tod für eine von ihr für richtig gehaltene Idee, mag das Ziel auch objektiv falsch gewesen sein. Opferung wird für Massensuggestion gehalten, ist aber doch nur Befreiung der menschlichen Opferfähigkeit. Sehr oft wird das Opfer nicht in Massen, sondern einzeln gebracht. Suggestion kann nichts befreien, was nicht schon im Menschen ist, sie kann nur heraufholen – so lehrt auch die moderne Psychologie. »Darum …«. Der erste Satz etwas fraglich. Weil hohe Tugend mit Tao verbunden. »Verliert man Tugend …« Kann aber nie hohe Tugend gemeint sein. Die folgenden Sätze stellen noch einmal die Skala der Werte auf: Tao – Tugend – Menschenliebe – Gerechtigkeit – Anständigkeit. Büsst man den einen höhern Wert ein, waltet der andere und bekommt die Herrschaft. »Treu und Redlichkeit« das spontane rechtschaffene Handeln, nicht von Regeln her. Am Schluss wird das Oberflächliche (Aussenseite = Walddach) und Scheinhafte (= Blüte) der Regel noch besonders hervorgehoben. Das Li ist ein Scheingebilde, das das eigentliche Leben, Treu und Redlichkeit, überdeckt. Das Regelwissen ist der Anfang der Unwissenheit, weil man sich und die Welt nicht mehr kennt. Durch das Li werden die Menschen unbotmässig; Aufruhr entsteht durch Regeln. – »Das äussere Wissen«: um das Li, die Kenntnis der Regel. »Blüte« nicht in unserem Sinn, sondern was durchaus schwindet. Scheinhaft, uneigentlich.

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XXXXI. Abschnitt. Der 41. Abschnitt ist ein Gegenstück zum 20. Er spricht auch von der Ferne zwischen dem Tao-bekennenden und den andern Menschen. »Gebildet«: Schriftzeichen 1 + 10: ein Mann, der so viel bedeutet, wie zehn andere. Der Hochgebildete versucht gleich Tao in sein Leben aufzunehmen. Für ihn gibt es keine Theorie, die Zuflucht bildet vor Leben und Wahrheit. Sondern sein Eifer setzt sich gleich um in den Versuch Tao

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gemäss zu leben. »Denn« in Bezug auf das Lachen. Richtige Uebersetzung: »Denn, wie man auch in einem Spruch sagen könnte: ›Wer liebt im Tao, verfinstert‹«; »fortschreiten ist wie rückschreiten: ›Wer Tao ebenmässig, ist nie gemein‹«; »voll Mal« eigentlich: schimpflich: »kahl« nicht genügen; »aecht im Glauben« eigentlich: Treue; »wanken« wandelbar. Diese Ferne ist wohl auch ausgedrückt in den Bildern am Schluss des Spruches. »Ein gross Quadrat ohne Winkelflanken, es ist so gross, dass man seine Winkel nicht sieht. Ein gross Gefäss unfertig, alt, wörtlich: zu spät fertig, nie fertig; es ist so gross, dass man immer weiter daran arbeitet. Die Menschen kümmern sich nicht mehr darum. Ein grosser Klang, wörtlich: von geringem Ton, der schwach aushallt, ein grosses Bildnis ohn’ Gestalt wie in der Ferne verschwimmend.« Wer in Tao lebt, erlebt das Schicksal, das sich aus der Verborgenheit Tao’s ergibt. Tao ist im Verleihen gross, im Eingeben der Kraft und im Vollenden dieser Kraft. Der Mensch bedarf immer wieder der strömenden Verbundenheit mit dem Göttlichen. Der grosse Mensch: Diese seine unscheinbare und unansehnliche Grösse von Tao verliehen und vollendet. Beispiele zu diesem Abschnitt bei Tschuang-tse – der Verstümmelte, der Aussätzige.

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Der 47. Abschnitt stellt in knapper und eindringlicher Weise eine wichtige Seite des Nicht-tuns dar. »Nicht sieht« = nicht besieht. Das Ausgehen in die Vielfältigkeit der Welt, wo man viele Dinge kennen lernen will, ohne dass man das Zulängliche kennte, die Sammlung vieler Erkenntnisse, ohne dass man das Entscheidende inne hätte, das, was man kennen kann, ohne dass man zur Tür ausgeht; das ist die Innenkenntnis der Welt, des mit Tao Verbundenen, führt nur in die Verwirrung. Man erkennt das Walten des Himmlischen Gesetzes in allen Dingen, dann wenn man sich ihm ergibt. Das Entscheidende kann man nicht durch Vielheit der Erfahrung lernen.

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Der heilige Mensch hat kein beharrlich Herz. Er hat keine feste Direktive, keine Pläne, die feststehen, die von dem Weltumkreis, an dem der Plan verwirklicht werden soll, nicht beeinflusst werden. Der sogenannte »männliche« Führer dagegen setzt die Menschen sozusagen als physikalische Kräfte in seine Berechnungen ein, er kennt ihre spezifische Ver-

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wendbarkeit, das nennt er Menschenkenntnis, sodann verwendet er sie. Personalerfahrungen mit ihnen kommen gar nicht in Betracht, sie sind keine Gesichter, sondern Ziffern. Der Tao-treue wird immer von drüben beeinflusst, bestimmt. Er macht sein Herz aus der hundert Geschlechter Herzen. Das sind die hundert Familien (hundert einfach als grosse Zahl), aus denen sich ursprünglich das Reich aufbaute. Er bezieht ihr Herz in sein Herz ein. Das bedeutet nicht bloss mitfühlen, etwa wie es der Rischener Rabbi meint, wenn er sagt, dass der kein rechter Rabbi sei, der nicht auf zehn Meilen die Schmerzen der gebärenden Frauen spüre – sondern: er macht sein Herz aus ihren Herzen, seine Direktive aus den tatsächlichen Menschenelementen, er wird immer wieder von ihnen bestimmt. Der heutige Führer: entweder hat er eine »Direktive«, oder er fingiert eine. Wie die heutigen Wirtschaftsführer – denn politische Führer gibt es heute keine, ausser in Russland. Beim rechten Führer dagegen ist weder ein Aufrichten einer vorbedachten Direktive, noch ein Sichfügen in die Verhältnisse, sondern es ist etwas Organisches gemeint, nämlich, dass er den Plan »durchwirklicht«. Der wahre Führer richtet sich nicht nach der Menschen Meinungen; ihre ganze volle Wirklichkeit aber nimmt er auf. »Herz« im chinesischen Sinn: der Mensch in seiner Beziehung zur Welt, der Mensch im Kontakt. »Den Guten gute ich, auch den Nicht-guten.« Tugend ist Gut-sein. Das Gut-sein ist nicht von aussen bestimmt. Gut-sein kann nicht anders als immer gut sein. Gut-sein auf Bedingung ist nicht Gut-sein. Gut-sein im Sinne des Vergeltens ist kein Gut-sein. Das ist ein Gegensatz zu Confucius. (Vergl. die Anmerkung 2 zum 63. Kap. Bei Strauss), Tugend kann nicht anders, als gut sein; kann sich nicht die Objekte aussuchen nach ihrer Qualifikation. – Aber der Sinn reicht noch tiefer. Nicht bloss, ich behandle ihn gut, sondern: ich nehme ihn als Guten. In dieser Haltung liegt das stärkste pädagogische Prinzip, dem kann kein Mensch widerstehen. Der Mensch ist gut. Nur liegt das Gute verborgen. Generationen haben Schutt darüber gehäuft. Der Mensch ist gar nicht gut, aber das Gute ist in ihm. Das ist nicht ideologisch gemeint. Ideale sind eine bequeme Flucht vor der Wirklichkeit – eine erhabene Flucht auf Adlerflügeln. Der wahre Erzieher hat den guten Tatsächlichkeitsblick, den Nahblick, der die Schuttmassen sieht, unter denen die Gutheit des Menschen hilflos darnieder liegt, dazu aber hat er den Blick, der den ganzen Schuttberg durchbohrt, das Gute erfasst und heraufzieht. Das politische Prinzip müsste durch Erziehung ersetzt werden. Den Menschen aufschliessen, das ist schwerer, aber es führt zu etwas. Was ist die entscheidende Eigenschaft des Erziehers? Der Blick. Das ist nicht die gemeine Menschenkenntnis. Der den ganzen Schuttberg durchdringende

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Blick, der den ganzen Menschen umfasst. Und die Verantwortung für diesen Blick. Z. B. freie Schule. Wenn sie aristokratisch aufgebaut ist, dass einige Schüler dem Führer näher stehen, dann ist er verantwortlich dafür, dass die aristokratische Schichtung von seinem grossen Erzieher-Blick bestimmt sei. In chinesischen Texten: der grosse Drachenblick. Von diesem Blick muss die aristokratische Struktur sich aufbauen, die persönlichen Neigungen des Erziehers müssen eingehen in diese Verantwortung. So spricht Lao-tse von keiner andern Welt, sondern von unserer. In unserer Zeit kennt man diesen Blick nicht, der zur Freiheit gehört. Ohne diesen Blick ist die Freiheit leer und hohl. Die wirkliche Freiheit ist Koinzidenz von wahrer Freiheit und wahrer Autorität. Autorität ist das, wovon Laotse redet. Beim Aufbau der Gemeinschaft von unten, da müssen legitime Autoritäten sein. Die Autoritäten stehen auch nicht oben. Sondern die legitime Autorität ist das Vorbild. Wie der Mensch auf das Göttliche zu lebt. Wie das Kind nicht nur von der Mutter aus, sondern auch auf die Mutter zu lebt, so leben die Menschen auf den Meister zu, in dem der Schutt nicht mehr waltet. Ohne meisterlichen Apparat. Die Meisterlichkeit gewissermassen auf dem Weg der Osmose in sich aufnehmend. Das ist legitimhafte Autorität, die sich wohl mit wirklicher Freiheit verträgt. »Der heilige Mensch ist in der Welt voller Furcht …« Der Satz fällt aus dem Zusammenhang. Er ist buddhistisch. Die grossen Abweichungen bei den verschiedenen Uebersetzungen weisen auf irgend eine Verdorbenheit des Textes hin. »Der heilige Mensch, der wirkliche, aktualisierte Mensch.« Diese Menschen als Zentren des Lebens, in eine Gemeinschaft eingetan. Diese zwei Dinge sind notwendig: Freiheit und die Menschen, die in der zagen Verantwortung stehen. »Die hundert Geschlechter richten auf ihn Ohr und Auge …«, sie starren ihn an, sie gaffen voller Staunen auf ihn. Er macht sie alle zu seinen Kindern. Es sind hier keine messianischen Gedanken. Lao-tse’s Messianik ist eine Kaisermessianik, wie alle Messianik. Er meint auch, es werde die Zeit des vollkommenen Verhältnisses kommen, hier aber spricht er von der Gebrochenheit. Auch die christliche Messianik ist eine Königsmessianik. Sie war ursprünglich die jüdische Messianik. Aber durch das Nichtkommen des Reiches im entscheidenden Augenblick war sie abgebrochen. Auch von Jesus ist es erwartet worden, im Moment nach seinem Tode. Die Jünger erwarteten die Auferstehung, das war die höchste Spannung der messianischen Erwartung: das Kommen des Reiches. Sie erwarteten nicht, das er sich einigen Jüngern zeigen würde, sie erwarteten, dass er wiederkommen würde auf Wolken des Himmels, als Herr des neuen Aeons. Mit diesem

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Abbrechen der Vorstellung setzt das christliche Zeitalter ein; das Zeitalter der Suspension des Reichs – Nicht nur in der Botschaft, sondern im Fleisch gewordenen Wort gekommen, als wirkliche Erlösung der Menschenwelt, als Verwirklichung Gottes: das kam nicht. Daher erklärt sich die sinistre Geschichte des Abendlandes, aus dieser Gebrochenheit der Messianik der Urgemeinde, die ungeheure Katastrophe in der Urgemeinde. Die enthusiastische Aeusserung dieses Versagens ist die Pfingstergiessung. – Lao-tse’s Messianik ist letztlich: der heilige Mensch, wenn er ihn auch empirisch meint, aber der heilige Mensch kindet sie alle, macht sie alle zu seinen Kindern. Erlösung aus dem Abgrund, aus der Verzweiflung. Nicht aus dem Schon-dagewesen-sein des Erlösers. Aus dem Harren kommt Erlösung. (In der Diskussion über den Messias bekannte sich einer der Teilnehmer aus innerster Ueberzeugung zu dem in Jesus von Nazaret erschienenen Christus.)

LII. Abschnitt. Der 52. Abschnitt spricht von der Kindschaft. Es gibt zwei Grade der Kindschaft: das natürliche Hervorgehen aus Tao. Diese Kindschaft erscheint den Wesen als Kreatürlichkeit, denn das ist identisch mit Individuation. D. h. der Mensch findet sich ursprünglich als Kreatur vor. Der entscheidende Prozess im Menschen aber ist der Uebergang von der Kreatürlichkeit zur wahren Kindschaft. Alles, was wir letztlich meinen, wenn wir Glück, Seligkeit, Tugend, Adel, Vollkommenheit sagen, ist darin eingefasst, dass man in die wahre Kindschaft Gottes komme, mit unserem Geist kindhaft im Geiste Gottes stehen. Das ist der letzte Sinn des höchsten Sinnbildes, das die Menschheit konzipiert hat, des Sinnbildes der Sohnschaft. Eckhart: Homo nobilis est ille unigenitus filius Dei quem Pater aeternaliter genuit. Der edle Mensch ist jener Eingeborene (in der Einheit geborene, einziggeborene) Sohn Gottes, »den der Vater ewiglich zeugt.« Das Grösste an diesem Satz ist das Wort »unigenitus«, in dem offenbar wird, dass es in Wahrheit keinen Gegensatz gibt zwischen Einmaligkeit und Vielfältigkeit. Das heisst Ewigkeit anziehen. Der Satz Ekkart’s wurde von der Kurie nach seinem Tode verdammt. – »Die Ewigkeit anziehen« = sich in Ewigkeit hüllen, die Ewigkeit um sich schlagen.

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LV. Abschnitt.

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Der 55. Abschnitt ist von bibelartiger Schönheit. Es heisst im Ernst: Die Gewalt des Bösen kann ihm nichts antun. Herrlich ist das Bild vom Geschlecht: Es gibt eine allumfassende Einfalt des Wesens, wo alle zeugende Kraft schon da ist, eingehüllt. Alle Kraft in diesem Menschen ist von selbst da, spontan, in der Fülle ohne Absicht. Alle Mächtigkeit des Lebens umfassende Einfalt. Alles Zeugen-können, alles Schaffen-können ruht in dem Menschen, ist von selbst da, ohne Willen, ohne Absicht, in der Fülle. Fülle: Stand der Fülle, das Unbedingte, Fülle der Elemente. Diese Fülle kann man nicht voll genug nehmen. Fülle des Samens für die zeugerischen Kräfte: dann Fülle des Einklangs mit den Dingen. Zuerst als schöpferisches Element, dann in Verbindung mit dem Einklang. Den Einklang kennen: die Kindschaft kennen, mit dem ganzen Wesen. Im grossen Maggid: Was man alles von einem kleinen Kind lernen kann.

LXII. Abschnitt. Am Schlusse des 62. Abschnittes ist die personhafteste Stelle des ganzen Buches. »Warum verehrten die Alten diesen Tao? Nicht, weil er durch täglich Suchen gefunden wird und denen, die in der Sünde stehen vergibt?« »vergibt« ist zu personhaft. Richtig: »die in der Sünde stehn, entsühnt«. Nicht Schuld, sondern Fehlwerden des Menschen durch eigene Tat. Aus seiner Fehlheit kann der Mensch wieder heil werden. Heil, heilig sind immer begründet im Heilwerden einer Wunde, Ganzwerden eines Aufgerissenen. Heilig ist daher kein primäres Attribut Gottes, sondern des gott-nahen Menschen. Heilig ist die Sphäre der Ganzheit, der Göttlichkeit, in die der Mensch eintritt. Ganzheit, Einheit, Gottheit sind Synonyma.

LXIII. Abschnitt.

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Aus dem 63. Abschnitt ist hervorzuheben der Satz: Vergilt Feindschaft mit Wohltun. Wohltun gleich Te = Uebung der Tugend. Lao-tse meint nicht etwas Sublimes, Ausserordentliches. Vergleiche den Satz mit der Bergpredigt. Diese wurde an die Jünger gehalten, nicht an das Volk (Bornhäuser). Aber Lao-tse meint nicht dasselbe, wie die Stelle mit der Backe. Akzeptiert der Andere diese Antwort? Nein. Er wird äusserlich verlegen, innerlich wütend. Dazu kommt noch ein anderer biblischer Aus-

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druck: glühende Kohlen sammelt der Gerechte auf das Haupt seines Feindes. Soll das heissen, dem andern Gutes tun, damit er glühende Kohlen auf seinem Haupt sammle?, das wäre unmoralisch, würde den Andern beschämen. Lao-tse meint das nicht. Sondern: man tut einfach das Gleiche, was man auch sonst getan hätte. Das ist sehr menschlich und praktikabel als Maxime. Die Tugend tut das, was sie ohnehin getan hätte. Nichts verkehrter als die Liebe einem Menschen an den Kopf werfen. Man soll aus Liebe auch auf die Liebesäusserung verzichten können. »Vergilt Feindschaft« mit der Fortdauer des existenten Tuns. Man muss den Menschen zunächst lieben und dann schauen, was er braucht. Oft braucht er gar nicht die Liebesäusserung.

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LXXIII. Abschnitt. Im 73. Abschnitt ist vor allem bedeutsam der zweite Teil. Des Himmels Weise ist: – Er streitet nicht und weiss zu überwinden, d. h. versteht sich darauf Widerhall zu finden. »Lässt nichts entfliehen« … Der Sinn ist nicht: »Gottes Mühlen mahlen langsam«, soll eher auf Vorsehung als Vergeltung gedeutet werden. Langmütig: langer Atem. Lao-tse spricht nie von Bestrafen, er kennt keine Höllendogmatik. Strafdogmatik entspringt einer ungesunden Phantasie. Wir wissen ja nichts von einem Gegengott. Es hat immer grosse Menschen gegeben, die in diesen Phantasien gehaust haben. Besonders im 13. Jahrhundert, diesem mit Ausnahme der ersten Zeit – grössten Zeitalters der christlichen Geschichte. In der Dogmatik, wie in der Malerei (Dante, Orcagna). Doch all das ist illegitim. Alle Reden vom Zustand nach dem Tode sind Phantasien, Willkür. Auch die Vorstellung von Seele und Körper: der Strick wird aufgebunden, die Seele entflieht. Das ist höchst primitiv und kindisch, nicht kindlich. Vom Tode wissen wir nur, dass es ihn nicht geben kann. Tod ist Ende, Aufhören, das gibt es nicht. In der Wirklichkeit des Seins gibt es kein Ende. Doch wie das ist: das ist unvorstellbar. All das beeinträchtigt den Ernst der Situation, in welcher wir nicht stehen, sondern gehen, dem Tode zu. Ein Ende von uns aus, aber nicht von Gott, nicht von seiner Schöpfung aus. Das heisst mit dem Tod an seiner Seite leben, nicht im Nacken und nicht im Angesicht. Wer nicht mit Tao verbunden ist, um den kümmert er sich nicht.

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XXIX. Abschnitt.

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Die folgenden Abschnitte befassen sich mit dem Reich. Vers: Spätere Interpolation. Das Reich nehmen und das Reich machen: unterwerfen und organisieren. Geist: was nicht von anderm bewegt und veraendert wird, sondern das selbst bedingt, selbst hervorbringt. Wer versucht, das Reich von aussen aufzubauen und zu konstituieren, dem gelingt es nicht. Das Reich ist ein geistig Gefäss, es entfaltet sich von sich aus, es wird aus sich selber bestimmt. Das Reich: wir sagen Gemeinschaft. Gemeinschaft ist nicht Summe einzelner Individuen, die sich ergänzen, sondern etwas Selbsttätiges, Geistiges, wie alles wirklich Lebendige unherstellbar. Wenn sie besteht, kann sie nicht von irgend jemand an sich gerissen werden, sie widersteht, ist unanfechtbar, solange sie Gemeinschaft ist. Sie kann wie alles Irdische zerstört, kann aber nicht annektiert werden ohne Zerstörung. Der das Reich machen will, zerstört es, denn indem er macht, zerstört er die Keime, die Verbindungsstrukturen, die zur Gemeinschaft hätten zusammen wachsen können. Was er in die Hand bekommt, ist nicht mehr die Gemeinschaft, sondern etwas Starres. In der Geschichte sehnen sich die dämonisch grossen Eroberer nach dem Lebendigen. Wie sich im Märchen das dämonische Wesen ohne Seele nach der Umarmung des Menschen sehnt. Gemeinschaft wird konstituiert, wenn eine Anzahl von Menschen die gleichartigen Beziehungen zu einer lebendigen Mitte haben. Wie Speichen zum Radkranz. Die Mitte kann vertreten sein durch einen Menschen oder auch nicht. Diese Mitte ist das Unbedingte selber. Durch das gemeinsame Verhältnis dieser Menschen zu der Mitte, durch all die Radien, die zur Mitte führen wird Kreis der Gemeinschaft konstituiert. Also nicht Punkte schliessen sich zu einer Peripherie, sondern aus den Radien bildet sich der Kreis. – Wie zersetzt sich nun die Gemeinschaft? Gewöhnlich durch Beeinträchtigung, durch Trübung der Beziehungen der Mitglieder zu einander. Sie verbergen sich voreinander, sie verhehlen sich, haben vielleicht Misstrauen gegen einander. Bis zu dem dicken, giftigen Misstrauen, wie z. B. bei Strindberg. Das kann auch bis zur Lüge gehen. Das ist die Erscheinungsform der Zersetzung einer Gemeinschaft. Aber all das ist sekundär und abgeleitet. Die wesentliche Zersetzung der Gemeinschaft ist immer religiöser Art. Das Religiöse im Sinne der Verbundenheit. Das Verhältnis zur Mitte leidet Schaden. Gemeinschaft zersetzt sich durch Ungläubigkeit. Das stärkste Fundament der Religion ist nicht der Glaube an Gott, sondern der Glaube an die Wirklichkeit, der Glaube an das mit allen Wundern des Flugs ausgestattete Gewicht der Wirklichkeit, das Ernstmachen mit der Wirklichkeit, so aber, dass in allem Ernst das Heitere

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durchleuchtet. Diese hohe Heiterkeit des Verbindlichen ist der eigentliche Glaube des gläubigen Menschen. Daran scheiden sich letztlich die Menschen. Es gibt Menschen, die das Leben so leben, als ob es wirklich wäre. Die andern nehmen das Leben als das Wirkliche. Das Leben ist ihnen in jedem Moment verbindlich. Heiterkeit, Gewissheit des Verbindlichen als tragendes Gefühl. Es sind keine Maschen da, durch die man in’s Unverbindliche hindurchschlüpfen könnte. Es ist müssig und unheilig, die eigentlichen Verhältnisse zu untersuchen, ob sie Zufall sind. Die Gewissheit des Wirklichen ist ein tragendes Grundgefühl, das alles durchdringt, was wir leben. Wenn uns ein Ziegel – der berühmte Ziegel – auf den Kopf fällt, dann ist etwas da, das uns noch im letzten Augenblick aus aller Fiktionswelt der Zufälle wirklich im feurigen Wagen enthebt … Diese Gläubigkeit, diese Verbundenheit, dieses stärkste Element alles menschlichen Seins ist zugleich das zarteste. Wenn das nicht mehr da ist, dann gerät die Gemeinschaft aus den Fugen. Signatur der Gemeinschaft: jeder muss tragen das Leid jedes der Mitglieder. Das ist das ungemein Schwere der Gemeinschaft differenzierter Menschen. Die Gläubigkeit ist vollkommen identisch mit dem Unwillkürlichen, von dem Lao-tse spricht. In der Sprache der Religionen: das Gottvertrauen. Gläubigkeit ist nicht Glauben an etwas. Gläubigkeit ist ein Zustand der Verbundenheit, zu dem es keines bewussten, benannten Etwas bedarf. Es gibt eine rechtschaffene Gläubigkeit des Atheisten, die Gott sicher mit guten Augen sieht. Dabei ist es aber nicht gleichgiltig, ob man wirklich »Herr, Herr« sagen kann. Das Anrufen-können des, der wirklich beten kann, ist etwas Kostbares, das zum Andern hinzukommt. Das Du sagen können. Durch die Hinwendung zu dem Geheimnis, mit dem er verbunden ist; wenn es auch nur so weit ist, dass er nachts sein Fenster öffnet und sich mit dem Gestaltlosen verbunden fühlt. Und zu aller = allerletzt: der Glaube an etwas, das etwas ist, der formulierte Glaube, dass es einen Gott gibt. (Aber das ist das Schwierigste und Weiteste.) Denn was heisst das, dass Gott ist. Das scheint ein Nonsens. Lästerlich geradezu. Denn alles Was ist Beschränkung. Alles Was sagt auch aus, was nicht ist. – Lao-tse meint das Reich im politischen Sinn: Das Gottesreich ist für ihn nichts wesentlich anderes. Das Vollkommen-geworden-sein des Menschenreiches ist für ihn Gottesreich. Für Lao-tse besteht das Reich aus der Gemeinschaft und der legitimen Autorität. Das Reich der Mitte ist für Lao-tse die Menschheit. Wie die Gemeinschaft durch Entdeckung der Beziehung zu einer gemeinsamen Mitte entsteht, so entsteht auch die Gemeinschaft der Gemeinschaften. Dann erst kann die Menschheit sich zusammen schliessen. Was sich heute »Völker« nennt, kann keine

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Gemeinschaft konstituieren. Die heutigen Völker sind nicht von den Menschen aus gestiftet. Volk ist etwas Selbstverständliches, nicht etwas Bewusstes. Man wird hinein geboren, ist darin, wird davon getragen. Aber je mehr man es zum Gegenstand macht, um so mehr fiktiviert man es. Dass man es zum Gegenstand macht, zeigt sich daran, dass das Volkstum abgestorben ist. Nationalismus, völkische Bewegung: Anzeiger der Erkrankung eines Volkstums. Wenn Nationalismus sich nur in der Befreiung äussert, dann ist sie eine Ueberwindung der Erkrankung. Doch sobald er darüber hinaus geht, wird er ein Faktor der Zersetzung. Je mehr Nationalismus, um so mehr Wurzelhaftiges wird beeinträchtigt. National wörtlich: Geborenheit, doch bedeutet es heute nicht mehr dies elementar Volkhafte. Heute ist dies in hohem Masse abgestorben, wahrscheinlich so lange, bis eine übervolkhafte Kraft die Völker restituieren wird. Ein Volk wurde historisch immer nur durch ein religiöses Faktum konstituiert. Wenn ein Ereignis als Offenbarung in die plastische Stunde eines Volkes fällt, wo es bestimmbar ist, Kraft des gemeinsamen offenbarenden Vorganges wird aus einer Herde ein Volk. Sei es eine Wanderung oder Siedelung, oder das Kommen eines Führers, den das Volk aus seiner Gewohnheit an Menschenmass nicht verstehen kann. Immer das Eintreten eines Ereignisses, das das Volk sich nicht zuzuschreiben vermag, als dessen Subjekt es sich nicht anzusehen vermag. Alle Rassentheorie dagegen versagt historisch. Offenbarung zeugt Geschichte. Wer Geschichte parthenogenetisch verstehen will, der kann sie nicht verstehen. –

XXX. Abschnitt. Der Spruch wohl nicht hieher, sondern zum 55. Abschnitt gehörend. Ein Mann, der in der Führung, Verwaltung, Verteidigung des Reiches dem Kaiser beisteht, vergewaltigt nicht das Reich durch Waffengewalt. »Sein Verfahren liebt zurückzukehren« heisst – das Verfahren, das er gegen Andere anwendet, wirkt auf ihn selber zurück. So ist es mit dem menschlichen Verfahren überhaupt. Der scheinbare, massive, feiste Erfolg des Andere schädigenden Menschen steht auf des Messers Schneide. Auf der gespannten Hygienik der Vermeidung der Nicht-Selbstbesinnung. Die massive Sattheit der unterdrückenden Menschen besteht nur in der dünnen Schicht des besinnungslosen, pausenlosen Lebens. Wenn aber mit wirklicher Weisheit der Moment erkannt wird, wo Verteidigung nottut, dann soll es geschehen. Der letzte Krieg entstand durch Fiktion der gegenseitigen Bedrohung. Pazifisten: dieses oder jenes Land

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hat dies Bedrohtsein nur geheuchelt. Aber die Leute, die so denken, nirgends dicht gesät. Auch die Deutschen meinten es wirklich, Idioten aber nicht Macchiavellisten waren die Wenigen, die Pläne schmiedeten. Die meisten Menschen tun, was der Augenblick eingibt. Die meisten sind voller Misstrauen, Einzelne wie Staaten. Bei den Schein-völkern von heute entsteht leicht Misstrauen. Der Gute weiss zu siegen – aber damit genug. Der Sieger legt dem Besiegten nichts auf, er überhebt sich nicht, buchstäblich: er setzt sich nicht auf ’s hohe Ross, er kann es nicht vermeiden, es ist sein Schicksal, er tritt mit seinen Siegen nicht in die Sphäre der Gewalt ein. In der chinesischen Geschichte geschah es oft, dass der siegreiche Feldherr Selbstmord verübte. Oder er geht in die Einsamkeit. Es gibt ein Gewalt-üben, das nicht Gewalt-üben ist. In China will das Volk nie Krieg, nimmt ihn nur als etwas Notwendiges hin. Der Staatsmann bedeutet nicht so viel, wie bei uns. Das ist die Differenz zwischen Morgen- und Abendland. Das Volk will sich gern opfern: das kann vom Staatsmann »verwendet« werden, missbraucht werden.

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LVII. Abschnitt. Der 57. Abschnitt ist die Zusammenfassung des bisherigen, angewandt auf das Verhältnis zwischen Regierung und Volk. Alles, was die Regierung tut, im Guten und Bösen, findet sofort seine Antwort im Volk. Durch Verbote wird das Volk zum Bösen angestiftet. Auch in der Familie zeigt es sich, wenn diejenigen, die an der Spitze stehen, nicht im Gleichgewicht sind. Der ganze Körper der Familie leidet darunter. Ueber die Bedeutung der Technik gehen die Abendländer nicht ganz einig mit dem Morgenland. »Kunstfertigkeit«: Schriftzeichen: Hand und Zweig. Der Arm, der durch Zweig verlängert wird. Alle diese Mahnungen wie hier: »Je mehr die Kunstfertigkeit das Volk hat, desto wunderlichere Dinge kommen auf«, oder die Geschichte »Der Gärtner« bei Tschuang-tse oder die Botschaft Tagore’s oder Gandhi’s sind nicht einfach auf unsere Verhältnisse übertragbar. Wir kommen nicht durch Abstriche ins Paradies. Wir können das Kreuz der Technik nicht auf halber Berghöhe niederlegen, wenn wir doch gerade das Kreuz auf den Gipfel pflanzen wollen. Wir haben unsere Last, mit der wir unsern Weg vollbringen müssen. Werfen wir sie ab, dann ist es kein Vollbringen. Gandhi kämpft nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen. Nämlich gegen die Tendenz nach Industrialisierung, nach Vergrösserung der Bedürfnisse und deren Befriedigung. Ein Gandhi-Schüler verlange

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auch Europa’s Rückkehr zu primitiven Wirtschaftsformen. Dann können wir die Menschen gut ernähren, wir müssten nur auf den Luxus verzichten. Doch alles Missverstehen der Umkehr im Sinne der Rückkehr ist eine Verfehlung am Sinne des Lebens. Der Gipfel des Lebens auch der Völker ist die Umkehr, nicht die Rückkehr. Vielleicht gilt das auch für die Menschheit. Wenn aber Umkehr als Rückkehr dargestellt wird, dann nimmt man ihr ihren Sinn. Die Umkehr bringt die Menschheit auf die Bahn Tao’s. Aber man kann nicht die Differenziertheit mindern, sie würde sich sonst bald wieder noch mehren. Wir müssen das entsprechend Abendländische finden, was wir im Morgenland als gut anschauen. Etwa wie die Geschichte Tschuang-tse’s: »Der Wolkengeist und der Urwirbel« es ahnen lässt. Morgenland und Abendland sollen zu einander stehen wie zwei Menschen, die sich als Kameraden zusammen tun und ohne es auszusprechen den Wunsch haben, aneinander besser zu werden. Freiheit und Autorität: an einander müssen sie besser werden. Wenn sich das eine bessert, bessert sich das andere. Dann gibt es die wahre Ordnung, die wirkliche Wechselwirkung. Jede kleine Besserung wirkt osmotisch. In Russland will man die Arbeit noch mehr taylorisieren. Nicht so, dass der Mensch im Lebenszusammenhang steht, dass er das, was er tut, sinnhaft tut, sondern als Glied einer Maschine, die brutal sinnlos ist. Unsere sozialen Bestrebungen gehen in falsche Richtung. Die verschiedenen, natürlichen Arbeitsarten lösen sich nicht ab, dem Faktum der Maschinenarbeit gegenüber ist die Aufgabe ungeheuer gross. In Russland wird dieser neuen Arbeitsmethode zu geringe Bedeutung beigelegt. Taylor nimmt den Menschen als eine mechanische Leistungskraft. Er will Mittel finden diese Leistungskraft besser auszunützen. In möglichst kurzer Zeit die grösste Arbeit zu leisten. Ford nimmt den Menschen nicht als mechanische Leistungskraft, sondern als wirtschaftliche Erwerbskraft, d. h. als Menschen, die nach oben wollen, die es besser haben wollen, sich durchsetzen wollen. Das wird von ihm ausgenützt, genau so wie von Taylor die mechanische Leistungskraft. Auch Ford nimmt nicht den ganzen Menschen, sondern nur seinen Trieb des Aufwärtskommens, die Möglichkeit des Aufstiegs im niederträchtigsten Sinne, in der heutigen Konkurrenzbrutalität. Das ist im Grunde ein wirtschaftlicher Taylorismus. Durch Intensivierung der Bodenwirtschaft wird – so scheint es – nicht geholfen werden. Die Herstellung unnützer Dinge sollte zuerst verboten werden. Unnütz ist aber nicht identisch mit Luxus. Dann müsste auch die Bodenwirtschaft intensiviert werden.

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LXI. Abschnitt. Im 61. Abschnitt wird von dem Verhältnis gesprochen der einzelnen Staaten zu dem Reich, das von ihnen aufgebaut ist. Lao-tse hält am Staatenbund fest, die kleinen Einzelstaaten zieht er den grossen Staaten vor. – Die letzten beiden Sätze in der Uebersetzung von Strauss irrtümlich. Soll heissen: »Wenn ein grosses Land den Wunsch nicht überschreitet ….,: wenn ein kleines Land den Wunsch nicht überschreitet …. dann erreichen sie beide …« »herunterlässt«: Schriftzeichen: niedrig fliessen, die Senkung, das Tal, die Strömung. Ein grosses Land, das danach strebt, die andern niederzuhalten, wird dadurch aufgezehrt. Nicht, wer sich den andern auferlegt, denn der ist abhängig von dem, den er niederhält, er ist absorbiert von der niederhaltenden Funktion; aber der Ruhende, der die Senkung aller Hebung ist, dem strömt alles zu, dessen Kraft erhält immer neuen Zustrom, der verzehrt sich nicht. Das bezeichnet Lao-tse als unsterblich. Ein Land, das so ist – wird kraft seiner Konzentration zu einem Behälter der fördernden Kräfte, es verteilt Kräfte an die kleinen Länder; die kleinen Staaten empfinden seine Mächtigkeit nicht als Hegemonie, es ist wie ein Gross-organ, das dem ganzen Organismus des Reiches dient, wie etwa der Kopf dem Körper, die Ganglien, mit ihrer ungeheuern Kraftkonzentration. Auch der Kopf steht manchmal im Missverhältnis zum Gesamtkörper. Die Bedrohung des heutigen Menschen durch die ungeheure Entwicklung des Gehirns. Seine Verselbstständigung ist eine Vergewaltigung, zugleich auch ein ungeheuerer Parasitismus. Der Intellektualismus weist auf die Labilität der Natur hin. Im Menschen ist die Natur labil geworden. (Claudel: »Le sexe est un parasite« d. h. dass Claudel das Ohr nicht an die Erde gelegt hat.) Etwas von dem Auswuchern des Gross-organs, das sich nicht der Vergewaltigung enthalten hat, sieht man am heutigen Preussen. Zur napoleonischen Zeit hatte Preussen eine viel legitimere Funktion, als heute. Wenn die kleinen Staaten gleichsam das männliche Element darstellen dadurch, dass sie voller Unruhe, voll Unternehmungsgeist, Pläne, Expansionsgelüste sind, werden sie überwunden durch die weibliche Ruhe, das Eingesammelt-sein des grossen Staates. Ruhe: Das An-sich-halten, die in sich gefasste Mächtigkeit, die nicht andere verdrängen und ihren Raum behaupten will. Die kleinen Staaten sind voll von Plänen und Expansionsgelüsten. Diese männliche Unruhe wird bewältigt, indem der grosse Staat sie zur Ruhe klärt und stillt. »Ein kleines Land gewinnen« heisst: sein elementares Vertrauen gewinnen, es lässt sich von ihm bestimmen. Wenn ein Mensch das Vertrauen des Andern hat, so braucht er das, was er für richtig hält, nicht als Willensäusserung dem Andern aufzuerlegen, son-

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dern die Andern verlangen es von ihm. Ein eigentliches Herrschen gibt es dann überhaupt nicht. Wenn aber das grosse Land dieses Herunterlassen nicht übt, sondern ein kleiner Staat das tut, dann wird dieser kleine Staat das bestimmende Element. Wenn der grosse Staat falsch gewalttätig regiert wird, dann kann der kleine Staat das Vertrauen gewinnen und die eigentlich bestimmende Kraft im Reiche werden. »Darum etliche sind untertan …«: die Gegenseitigkeit. Das Reich beruht auf das einander Gewinnen. Aber dieser Satz nicht ganz klar – »weiden« Schriftzeichen – schwarz und Feld. Der schwarze Boden als Weideland. Die Menschen wie Herden zu weiden. Die grossen Länder Funktion des Hirten: sammeln und weiden. Dies soll nicht überschritten werden, keine Expansions = und Auferlegungswünsche. Die kleinen Länder sind die dienenden Gehilfen des Hirten, »dann erreichen sie beide …« Sehr bemerkenswert ist die Anmerkung aus dem Jahre 1870, die Viktor von Strauss diesem Abschnitt beigibt. (p. 276.)

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Der 78. Abschnitt spricht vom König. Der erste Teil gibt ein neues Gleichnis für schon Gesagtes, die Verse sind – so meinen chinesische Erklärer – einem Heiligen der Urzeit entnommen. Er schreitet als Hohepriester beim Hirse-opfer voran, das an der Sonnwende den Göttern der Erde dargebracht wird. Den Göttern des Wachstums, der Erneuerung – ein Wachstum, ein Erneuern, das durch Zerfall, Verwesung geschieht. Die Wandlungen des Samenkorns sind nicht ein blosses Sinnbild für Leben und Sterben des Menschen, es ist darin etwas durchaus Elementares, an dem sich alle bange Erwartung des Menschen kristallisiert, auch die Erwartung des unsterblichen Lebens. Die Bangigkeit des Menschen, wenn er etwas gesät hat, nicht das zu essen, was da ist, sondern sich Nahrung zu schaffen durch Ausnützung der vervielfältigenden Kräfte der Erde. Nachdem einmal der Mensch dieses Bündnis mit der Erde geschlossen hat, die bange Erwartung, was daraus wird. Zu diesem Wachstum gehören zwei Mächte; Himmel (Sonne, Regen) und Erde. Jener elementare Ruf des Mysten vor dem heiligen Schauspiel von Eleusis, wo das grosse, ehrfürchtige Schweigen der Schauenden unterbrochen, der Ruf, den nicht nur der Hierophant, sondern die ganze Menge ausruft: »Lass niederströmen! Bring!« Die grosse Anrufung zur Vermählung von Himmel und Erde: die Ur-erwartung des Menschen. Dass auch der Mensch ein Wachstum hat über das Eingehen in den Schoss der Erde hinaus. Eine Erwartung, die aus Zerfall, Verwesung her-

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vorgehe, wie beim Samenkorn. Hirseopfer: an Götter der Unterwelt. Nicht Hölle, sondern, wo sich Erneuerung des Wesens vollzieht. Nur bei den Dichtern ist es das Land, wo Schatten wandeln. Diesen Göttern auch Korn in Hut gegeben. Das ist ein Urglaube von mythenbildender Kraft. Nicht einfach wohlwollende Mächte, sondern ihr Amt und ihre Befugnisse, die Dinge zu erneuern. Um ihre Macht zu stärken, damit ihre Macht wachse – dazu das Opfer. Wie die Ausgiessung des ersten Trunkes als Trankopfer der Erde dargebracht, um ihre Kraft zu erhöhen. Vor diese dunkeln, geheimnishaften, bannenden Mächte, die aus ihrer blutigen Finsternis heraus letztendlich alles Leben erneuern müssen, tritt der Kaiser insofern er des Landes Unreinigkeit, Befleckung und Makel trägt. Verantwortung: grosses Wort. Wenn der, der die Schuld hat, gefragt wird: so antworte ich für ihn. Der König ist derjenige, der alle Schuld auf sich nimmt und im tiefsten Sinn für die andern antwortet. Zu leicht stellen wir uns das Göttliche in Form eines irdischen Richters vor. Das ist immer eine Travestie, die wir uns wegdenken müssen, wenn wir von Frage und Antwort reden wollen. Gott ruft Adam: »Wo bist Du?« Höchst paradox. Aber die Schuld wird erst in der Bekenntnis erkannt. Gott will Antwort haben auf die Frage, obwohl er sie weiss. Wenn wir Religion zwischen den Menschen haben wollen, dann wird auch das Bekenntnis notwendig werden. Vielleicht als Bünde, wo der Mensch bekennen darf. Das sind Dinge, die leicht missbraucht und entstellt werden können. Vergleiche: Bekenntnisse der Psychoanalyse. Das sind keine Bekenntnisse. Sondern da wurde ein Seelen-präparätchen hergestellt. Aber wer je und je in einem das Innerste aufschliessenden Moment einem Freund das gesagt hat, was ihm selbst unsagbar schien. Wenn Menschen wirklich mit einander sprechen können, so dass aller Vorenthalt sich löst, dann löst und erlöst sich der Mensch selber. Dann ist etwas vor Gottes Angesicht geschehen, das sich mit unauslöschlichen Zeichen in die Tafel der Ewigkeit gräbt. Dieses Bekennen kann dem Menschen nie abgenommen werden. Eine Ergänzung des Bekennens von dem Führer, dem Kaiser an, der etwas dem Menschen abnimmt, was das Individuum zumeist nicht leisten kann. In ihrem Namen spricht er, im Namen der Gemeinschaft stehend. Dieser Mensch, der die Schuld so auf sich genommen, dass er dies Ergänzende tun kann, dieser sublime menschliche Sündenbock hat das schwerste Schuldhafte genommen, das für die menschliche Person fast nie tragbar ist. Er muss die ungeheuerliche Tat des Bekennens tun, das Einfassen der Schuld in die Sprache, woran die Schuld erst bewusst wird. Der Mensch hat durch seine Schuld das Verbundene auseinander gerissen, er hat den Abgrund aufgesprengt, so dass Leere klafft zwischen Gott und der Welt, in diese Bresche, die der Mensch auch wenn

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er bekennt, sühnt, reinigt, doch nicht auszufüllen imstande ist, tritt der Mittler, indem er die Schuld auf sich nimmt – je und je –, nicht einmal nur in der Geschichte des Planeten – je und je – nach seiner Kraft, nach dem Vermögen des Tags in dem er steht … dieses heisst: tragen des Landes Unreinigkeiten. Schon bei primitiven Völkern ist der Häuptling verantwortlich für Makel und Missgeschick der Stämme. In der Bibel wird der König verantwortlich gemacht für das Missgeschick der Stämme. Das ist in das primitive Leben eingemengt, von da verzartet und verfeinert es sich hinauf in die Lehren der Religionen. Und weil es dies gibt, dass einer sich dem Reiche untertut, indem er alle Fehl des Volkes einsammelt, darum gibt es dieses vierte Element in der Entfaltung Tao’s. Zu Tao Himmel und Erde kommt noch der Mensch als König. Lao-tse’s Messianik. Dieser Sinn des Königtums ist dem geläufigen entgegengesetzt. Wahre Worte sind immer die Umkehrungen der geläufigen Meinungen.

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Der 80. Abschnitt hat etwas Idyllisches. Es zeigt sich darin Lao-tse’s Vorliebe für das kleine Gemeinwesen, wo man wirklich zusammenlebt und einander in die Fenster gucken kann. Deutlich tritt hier Lao-tse der confuzianischen Auffassung entgegen, wenn er auch nicht Confucius selbst im Sinne hat, der noch zu jung gewesen sein dürfte, sondern die Grundstimmung des Confucius. (Vergl. dazu die bessere Uebersetzung bei Grill.) Richtiges konservatives Bild, was man heute reaktionär nennen würde. Er spricht durchaus nicht gegen die Zivilisation. Man mag das immerhin haben, aber man soll nicht darauf angewiesen sein, mag man die Bürokratie immerhin haben, man soll ihr keine wichtige Bedeutung beimessen, sondern formal, administrativ, dann wird sie von selber absterben. Man kann auch Waffen haben, aber ihre Negativität soll man nicht gebrauchen, sondern sie zerbröckeln lassen. Statt weite und flüchtige Beziehungen zu pflegen, ist es besser, dass wenige mit einander wirklich verkehren. Die Unendlichkeit der Welt kann man daheim erleben. Lao-tse meint: eine kleine Zahl wirklicher Menschen soll wirklich mit einander verkehren und nicht mit vielen andern, mit denen sie keine Gemeinschaft haben. Es kommt darauf an, dass die Menschen in Wahrheit mit einander verkehren, nicht aber, dass sie mit recht vielen Kreisen in Berührung kommen. Das ist mit den »Schiffen und Wagen« gemeint. – »Mache das Völkchen ungern sterben …« Kann verschieden interpretiert werden. Wer ungern stirbt, möchte gerne alt werden. Wer alt werden

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möchte, möchte gerne in seinem Land sterben. Aber man könnte ja früher gern reisen, so könnte man meinen. Aber da man das Leben liebt, will man sich nicht der Gefährdung aussetzen. Dass man lange leben wolle und daheim leben wolle. Schnüre knüpfen hatte ursprünglich mit fernen Botschaften zu tun. Das hatte vielleicht auch eine magische, esoterische Auffassung. Es war eine Chiffre Schrift den Boten unbekannt. Mitteilungen in die Ferne – nur ausserordentlichen Fällen vorbehalten. In dieser Sehnsucht nach dem alten Zustand vor der Erfindung der Schrift mag sich die Abneigung Lao-tse’s gegen die Dimensionen der Bibliotheken äussern, mit denen er als Archivar zu tun hatte. Es gibt einen Punkt, wo Quantität in negative Qualität übergeht. In den grossen Sammlungen ist wie ein Anzeichen des Verfalls. Noch erschrecklicher ist die tote Anhäufung des Wissens, die durch die Schule dem Menschen zugeführt wird. Irgendwie müssen diese unheimlichen Lasten zersprengt werden, sonst ersticken die Menschen darunter.

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Anhang Ueber Gnade. Glauben. Stufen des Glaubens & der Gnade. Das Boese.

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Das Leben ist ein Zusammenwirken von Gott und Mensch. Wenn nur die Gnade wirkt, dann ist die Schöpfung nur Schein. Wenn der Mensch nicht letztes Element des Werdens ist, dann gibt es den Menschen nicht. Zur Glaubenswirklichkeit gehört die Wirklichkeit des Ich. Wirklichkeit ist überhaupt nur in der Paradoxie zu fassen. Ich bin frei, was ich tue, ist wirklich getan, ich bin Element: Ich bin anheimgegeben, ich bin nur in Gott. Aber in unserm Tun müssen wir mit unserer Seite rechnen. Wir sollen so handeln, als ob es Gott nicht gäbe. Man kann nicht handeln, dass man Glauben erlange, aber man kann so handeln, dass Glauben hinzukommt. Lehre des Cusanus: Alle Wesen stehen in einem besondern Partizipationsgrad zu Gott. Jedes kann den ihm angewiesenen Grad vollkommen realisieren. Dadurch nähert es sich Gott in vollkommener Weise. Die verschiedenen Grade bedeuten nicht Grade der Entfernung, sondern Verschiedenheit des Ortes. Wer seinen Anteil verwirklicht hat, steht gleich nah wie alle übrigen Wesen. Gott julianisiert sich in Dir, Julian, wie er sich in der Zither zitharisiert. Alle Wesen stehen unmittelbar zu Gott, es gibt niemanden, der schlechterdings ausgeschlossen wäre. Es gibt keine verdammten Wesen. Eine Urtrübung gibt es nicht. Die Schwierigkeit besteht darin, das man meint, an ein so und so seiendes Göttliches glauben zu müssen. Glaube ist immer Glaube an m e i n e Verbundenheit mit Gott: Glaube an mich, an diese Stunde, an die Not dieser Stunde, an den Zweifel dieser Stunde – u n d an die Antwort. Immer wieder dieses, dieses: jetzt und dieses hier. Der Glaube an einen Gott in der 3. Person ist vielleicht Metaphysik, aber nicht Glaube. Gott in der 3. Person ist immer schädigend dem Einen gegenüber, das nottut. Die 3. Person bedeutet in der Grammatik und in der Natur das nicht Aussprechbare, das Metaphorische, die Ur-metapher. Weil wir den Stein nicht ansprechen können, bezeichnen wir ihn rechtmässig in der 3. Person, schon aber in der Pflanze beginnt die 3. Person zu vibrieren. Wohl gibt es Stufen in den Sendungen. Gott wählt sich seine Werkzeuge aus, wenn es sich um Offenbarung handelt. Aber in dem Verhältnis der Person zum Göttlichen gibt es keine Unterscheidung. Es gibt keine schlechthin Ausgestossenen, schlechthin Ausgewählten. Jeder kann die Schale durch brechen, jeder m u s s die Schale durchbrechen. Der Grösste muss am tiefsten durch. Von Jesus ist nicht die grosse Zweifelsperiode erzählt. Die Jünger berichten nur über ihre Begegnung mit dem vollendeten Meister. Aber an der

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Versuchungsgeschichte ist schon genug zu ahnen. »Er war bei den Tieren …« Und sein Kampf gegen die Sendung dauert an bist zuletzt. Vorübergehen des Kelches … Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? … Beim Propheten ebenso: Du bist mir zu stark gewesen … – Das ist kein ungetrübtes, wolkenloses, harmonisches Stehen in der Gnade. Das Ziel des Menschen ist Einigung über die Vielheit hinaus. Wenn das Gute aus der Fülle als gut herausgehoben wird, dann ist es schon relativiert und gehört in die untere Sphäre. Hass und Menschenliebe bestehen nicht, wenn nicht das eine von beiden gesetzt wird. Paulus: Gesetz ist Ursprung der Sünde. Doch für Paulus ist das Gesetz temporär notwendig und göttlich. Paulus glaubt aber an eine Ueberwindung des Gesetzes. Für ihn sind drei Situationen möglich. 1. Aktion vor dem Gesetz, sie ist noch nicht Sünde, 2. Aktion als Sünde, 3. Erlösung. Nach Paulus schafft Gott auch die Sünde. Während nach Lao-tse das Böse durch Setzung des Guten. Das moralisch Böse ist eingetan in das Sein, in das Gute. Das »Ur-böse« ist ein menschliches Gespinst. Das ethische Gut und Böse gibt es nicht im Tao. – Versöhnen kann sich der Mensch mit dieser Tatsache nicht, wie er sich auch mit Krankheit, Wahnsinn, Tod nicht versöhnen kann. Das objektive Uebel, das Verhängnis wie Tod und Wahnsinn. Die Frage des Bösen ist bei Lao-tse so behandelt, dass der Mensch, dem es mehr um das »Mittlere« zu tun ist, zu andern Fassungen kommen muss. Die Dynamik des Menschen, das, was der Mensch als Mensch zu vollbringen hat, kann gar nicht gefasst werden ohne das Böse. Das, wozu der Mensch da ist, kann gar nicht gefasst werden ohne das Böse. In der Aussendung des Menschen um etwas zu vollbringen, also in der Werdung selbst des Menschen, liegt die Forderung des Bösen. Der Mensch ist erst durch Vertreibung aus dem Paradies geworden. Gut und Böse bilden zusammen den Leib der Welt. Hätte der Mensch einfach im Guten zu leben, dann gäbe es auch keine Dynamik, auch kein Werk des Menschen. Der paradiesische Mensch ist der werklose Mensch. Das Werk ist: die Welt aus ihrer Gebrochenheit ganz zu machen. Nicht in die Ungeschiedenheit des Paradieses zurück, sondern in das von ihm gestiftete Reich. Paradies ist unterhalb der Geschiedenheit, damit aber das Oberhalb der Geschiedenheit, das Reich, werde, der grosse Friedensschluss, die Vereinigung, dazu ist das Böse nötig. Das Werk ist ein Durchbrechen der Schale. Wie sich Kern und Schale aneinander schmiegen, so Gut und Böse. In der Kabbala heisst das Böse »Schale«. Es ist das Harte, das Trennende, was Wesen von Wesen, Wesen von Gott trennt. Dieser Akt der Entscheidung, des Durchbruchs, der Lösung – das ist der Akt, durch den der Mensch Mal für Mal an der Erlösung

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der Welt teilnimmt. Das »Reich« – werden der Welt kann nicht geschehen, ohne das Böse. Die Berufung des Menschen ist im Bösen (nämlich das Böse in ihm) sichtbar geworden. Das Böse ist die Kraft, ohne die wir das Gute nicht tun können. Unentbehrlich ist das Böse. Das Böse ist die Richtungslosigkeit. Wir haben der Kraft die Richtung zu geben. Das Gute hat nur e i n e Richtung, das Böse hat alle Richtungen. Indem ich diese Kraft aufrichte zu Gott, erlöse ich mich. Die Kraft ist immer gut, sie wird nur böse dadurch, dass sie die Richtung nicht hat – dann verkapselt, verschalt sie sich um sich selbst, trennt sie sich ab. Im Augenblick der Versuchung hat man das Gefühl eines ungeheuern Wogens der Kraft. In dieses Wogen fällt nun die Vorstellung eines Uebels. Wenn man sich ihr überlässt, (nicht für sie entscheidet, denn man entscheidet sich nie zum Uebel) wenn man verzichtet, sie auf Gott zu richten, dann erliegt man dem Bösen. Entscheidung ist, dass der Mensch dieselbe wogende Kraft richtet zu Gott. Tut er das, dann ist diese Tat um so vollkommener, je mehr er die g a n z e Kraft einsetzt. Die Entscheidung ist mit der ganzen Gewalt des Wesens zu treffen. Der Mensch wirft sich Gott zu. Der Talmud sagt: Man muss Gott mit beidem dienen, mit dem Guten und mit dem Bösen. Die Vertreibung aus dem Paradies ist gleichsam die zweite Schöpfung des Menschen, das, was den Menschen zum Menschen macht. Der »Sündenfall« ist ein Mysterium. Wenn es eine Schlange gibt, so ist sie von Gott. Wer sollte uns denn anders in Versuchung führen als Gott? Was kann Satan anders sein, als Gottes Bote. Der Mensch wird nur im Schmelztiegel der Versuchung zu dem, zu dem er werden soll. Es gibt immer Geburt mitten im Leben. Geburt ist immer etwas Grauenvolles … Frage: Warum musste das Paradies aufgehoben werden? Gegenfrage: Ist die Absicht Gottes ein Sein oder ein Werden? Wenn sie ein Werden ist, muss nicht etwas da sein, durch das es geschieht? Und wenn das Werden gerichtet ist auf etwas, das Vollendung ist, muss dieses Werden nicht ausgehen von einem Geschöpf? Muss diesem Geschöpf dieses Werk nicht ermöglicht werden durch ein ihm Gegenüberstehendes, Widerstrebendes, das letzthin doch vom Urgrund aus kommt? Gibt es eine Erlösung der Welt, ein Reich, aus dem die Schöpfung aus ihrer Trübung gerettet wird, dann gibt es ein Werden. Als der grosse Maggid gefragt wurde: warum hat Gott die Schöpfung nicht früher gemacht? – antwortete er: Gott hat auch die Zeit geschaffen. Schöpfung und Messianismus sind Anfang und Ende der Zeit. Weil wir uns das Werden nur in der Zeit vorstellen können. Was hätte es für einen Sinn, dass Geist in der Welt neu ersteht, wenn die Menschen n u r Kreaturen wären.

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Ueber die Ideen Plato’s und Lao-Tse’s Urbilder. Bei Plato haben alle Dinge ihre Urbilder, auch alle allgemeinen Begriffe. Die oberste Idee hat aber noch einen andern Charakter –: neben dem Allgemeinen stellt sie noch das Absolute dar. Wie kann aber das Allgemeine ins Absolute umschlagen? Das Absolute hängt mit dem Konkreten zusammen. Lao-tse kennt keine Scheidung zwischen der Welt der Wirklichkeit und der Welt des Seins. Die Dinge stehen in Verbundenheit mit Tao. Zwischen beiden steht nichts Gedankliches, keine Idee. Die Idee des Guten ist nicht Gott, denn die Pyramide des Allgemeinen führt nicht zu Gott. Das Griechentum geht von der Tätigkeit des Denkens aus, vom Begriffbilden. Auf dem Faktum der Begriffe beruht die Ideenlehre. »Wir denken den Baum, diesem Denken entspricht ein Sein. Dieses Denken (= die oberste Eigenschaft des Menschen) kann nur ein Finden, ein Schauen sein, dessen was über-wirklich ist. Wir begreifen nicht die Dinge im Begriff, sondern ihr Urbild.« Dieses ins Absolute erhobene Allgemeine ist aber eine Irreführung. Denn das Allgemeine ist gar nicht das eigentliche Sein. Es hat nur eine Verhältnis-existenz; es ist das Verhältnis zwischen dem menschlichen Geist und den Dingen. Das Allgemeine ist eine Aushöhlung des Seins aus dem Faktum des Denkens, Bedenkens und Zerdenkens der Wirklichkeit bestehend. Die Religionsphilosophie hat an dieser ungeheuern Verführung der Menschen teilgenommen. Cohens Lehre, dass Gott an der Wirklichkeit keinen Anteil haben kann, ist die letzte Konsequenz dieser Anschauung, die den Keil der Ideenwelt in den Abgrund zwischen Gott und dem Menschen fallen lässt. Lao-tse kennt diese Ausfüllung gar nicht. Der Abgrund zwischen Gott und dem Menschen kann immer nur durch das faktische Verhältnis ausgefüllt werden.

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Von der Sprache. Sprache ist das Gegenübersein der Wesen. Nicht wir haben die Sprache gemacht, sondern sie uns. »Wir sind zueinander gemacht« = das ist die Sprache. Wir selber sind Worte, Zeichen. Wir nehmen die Worte in den Mund aber in Wahrheit stehen wir in den Worten. Es liegt allerdings etwas Metaphorisches in jeder Sprache, aber es gibt die Metapher, wo von der Wirklichkeit aus, die uns bestimmt, ein Minimum von Metaphorischem verlangt wird und man darf das nicht verbiegen. Wir haben eine Verantwortung diesem Minimum gegenüber. Wenn wir aber von uns aus Metaphern bilden, dann wird sie unwirklich. »In« ist eine Metapher, ein

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Ding im Raum, trotzdem spüren wir, dass sie eine gewisse Nähe zum Wirklichen hat, wenn wir sagen: wir sind in Gott. Ich und Du sind nicht Metaphern, wohl aber er und sie. Er hat etwas Mannhaftes, es liegt darin eine Gefahr, der Lao-tse begegnet indem er immer das Weibliche betont. Der Unterschied zwischen religiöser und dichterischer Metapher ist der, dass die religiöse Metapher nur da ist, um sofort aufgelöst zu werden, – sie hat eine Richtung ins Schweigen – die dichterische Metapher dagegen ist da, um Gestalt aufzubauen. Der Dichter ist immer einsam, der religiöse Mensch ist eingebaut in die Fülle des Seienden. »Dann werde ich erkennen, wie ich erkannt worden bin.«

Von den Urbildern: Vom Kuenstler und dem religioesen Menschen.

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Beim Menschen: jede Wahl, jedes ins Leben-rufen zugleich töten. Gibt es also im heiligen Menschen Dinge zur Wahl, die im Tao nicht sind? Das Tun des Menschen ist aber nicht auf gleicher Ebene mit Tao. Handlungen und Dinge: das ist nicht das Gleiche. Handlungen sind Dinge, die der Mensch tun kann. All das hat die dynamische Atmosphäre des So-seins. Was er aktualisiert, ist darin im dynamischen Menschen, wie er eben geschaffen ist. Man ist ja mit allen Möglichkeiten der Bewegungen geschaffen. Das Vollziehen der Bewegungen ist also etwas anderes, als das Hervorbringen der Dinge durch Tao. – Es bleibt aber noch die Frage nach den Vorstellungen, die eine Aktualisierungstendenz in uns haben! Den Vorstellungen, die der Mensch hat von Dingen, die er wirklich machen kann: in der Kunst: Sind diese Bilder im Menschen entstanden? Etwas ganz anderes ist das Hervorbringen von Dingen, die noch nicht da waren. Der Mensch hat Vorstellungen von wirklichen Dingen, die er machen kann – was eminent in der Kunst realisiert wird. Da ist zu fragen: Sind diese Bilder im Menschen entstanden – durch jungfräuliche Geburt – oder sind nicht viel mehr die Bilder, die der Mensch hat, die sich so im Menschen zu erzeugen scheinen, doch eigentlich nur Spiegelungen? Ist das, was der Mensch schaffen nennt, nicht eher ein Entdecken, ein Finden? Wenn es so ist, welches ist das Verhältnis der Bilder im Menschen zu den Bildern in Tao? Das Licht könnte einfach durchgehen und das Bild erzeugen. Es könnte sich aber auch brechen – und das ist es, was wir feststellen können! Jedes Bild enthält ein Brechungselement. Gebrochenheit, das ist das Sichbrechen des Seienden in der Menschlichkeit. Ein solcher Brechungsfaktor ist in jedem menschlichen Bild. Man kann es oft in der Kunst feststellen, besonders deutlich an Michelangelo. Wenn er die menschliche Gestalt er-

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fassen will in der Tension, in vollkommener Aussenspannung, so gerät er sichtlich an ein unüberwindliches Gesetz. Es entsteht ein Kampf zwischen dem nicht rein übermittelt-werden-können und dem Wollen. Was er meint, kann er nicht rein realisieren. So kommt es zu einem Abbrechen, wie es sichtbar wird an den Sklaven, auch schon am Matteo. Man merkt einen Punkt, wo diese tiefe Resignation, dieser auferlegte Verzicht deutlich wird. Wir empfinden es, wenn wir sagen: dies ist realer als dieses, ungebrochener. »Wirklicher« heisst der Wirklichkeit im tiefen Sinne gerechter werden. Es kann nicht mit einem Aeussern verglichen werden, aber unser tiefstes Gefühl bestimmt den Wert eines Werkes nach einer letzten Qualität, die aus der Werkhaftigkeit selber nicht zu erklären ist. Wir schauen das Kunstwerk im Zustand der Begeisterung, indem wir sagen: es ist wirklich. Das Religiöse ist ein Analogon dazu. Auch in der Prophetie ist eine Gebrochenheit. Das Abweichen vom Geschauten ist immer da, wird aber stärker oder weniger stark empfunden. Die Trübung kommt immer von der Welt aus, aber man soll diese Trübung durch die Welt nicht in ein Dogma fassen. Die Gebrochenheit soll nicht als Unvollkommenheit des Wortes und Werkes angeschaut werden, sondern als ein Bodensatz von Wermuth in dem Aufnehmen. Es ist nicht etwas rein Negatives, sondern es ist notwendig und gerecht wie der Tod. Von diesem Faktor her müssen wir aufleben auf das Ungebrochene hin. Aktualisierung hängt mit Glauben zusammen. Der Aktualisierende glaubt an die Welt als grosse Empfangende, als redlicher Gegenspieler, als Partner im Gespräch. Er glaubt, dass wenn er spricht, das Gesprochene irgendwo das Ohr der Welt findet. Ueber das empirische Ohr ist der richtige Mensch meistens unglücklich. Aber die Welt will er haben, er glaube an das verborgene Ohr der Welt – auf das hin tut er das, was ihn bewegt aus seiner Einsamkeit, aus seiner Eingesponnenheit heraus zu treten. Er glaubt, dass die Welt ihn wirklich braucht, dass sie darauf wartet, dass eine Handwölbung von der Welt ausgestreckt wird, in die sich sein Werk einschmiegt. So lebt auch jeder Werkmann aus dem Glauben, dass die Welt ihn nötig hat. Wie verhält sich die Wissenschaft zur Kunst? Auch der wissenschaftliche Mensch geht aus von einem einfachen Ur-verhältnis, das er in der Natur sieht, z. B. dass die Dinge zu Boden fallen. Das ist noch mit der Schau des Künstlers zu vergleichen. Aber aus der Einarbeitung in den Zusammenhang der Orientierung ergibt sich eine Komplikation. Der Künstler hat es nur mit seinem Material zu tun, der Wissenschaftler hat mit dem Zusammenhang des Gewussten zu rechnen. Der Gelehrte muss seine Schau einbinden. Da es sich jeweils um den Umbaubedürftigen Bau des Orientierungswissens handelt, tritt der Schauende in

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die Gebrochenheit ein. Er steht dann im Vermittelten, Umgesetzten, Verarbeiteten; so entsteht eine Komplikation von Brechungen. Wie steht es mit dem Verhältnis des Künstlers zum Leben? Es ist eine Beobachtung, die man oft machen kann, dass die Künstler in ihrem Leben wenig treu und stetig sind. Ihre Nachgiebigkeit gegenüber Launen und Einfällen, ihr »Bohemien«-sein bildet einen Gegensatz zu der Vollkommenheit der Werke, die sie erstreben. Ist es für die Kunst des Künstlers gleichgiltig, wie er lebt? Kann der Künstler, indem er sich gegen das Gesetz des Menschenlebens (das »Sittliche«) vergeht, seiner Kunst dienen? Wenn man auch zugibt, dass der Künstler, indem er seinem Werke verpflichtet ist, eine andere Verantwortung hat, als die gewöhnlichen Menschen, wie ist es mit dieser Verantwortung beschaffen? Gibt es eine getrennte Buchführung: die Kunst – das Leben? Zunächst kann man feststellen, dass es eine Sphäre des zivilisierten Lebens gibt, in der es aussieht, als ob durch Nichtberücksichtigung Förderung geschieht, Förderung, insofern die Sphäre des Interessanten dadurch erreicht wird. Die Kunst wird interessanter durch Nichtberücksichtigung. Diese Sphäre des Interessanten aber ist der Ort der eigentlichen Abirrung des Menschen – das Leichtnehmen, das Unverbindlichnehmen des Lebens. Der entgegengesetzt ist die Sphäre der Grösse. Grösse entsteht daraus, dass ein Mensch sein Leben als strenge, letztlich strenge Wirklichkeit lebt. Dass er nirgends eine Fiktion lebt, dass er nirgends über eine Lücke hinwegsetzt – auch nicht durch Hineintransponieren in die Kunst. Die Frage in uns nach Gut und Böse darf nicht abgestumpft werden, sondern mit der ganzen aufgetanen Fläche unseres Wesens sollen wir diese Spitze aufnehmen. Grösse gibt es nur, wenn die Wirklichkeit bis zum letzten Ernst vom Menschen ausgetragen wird. Diese Austragung soll man durch keinen vorzeitigen Ausgleich abstumpfen. Was dann geschieht, ist recht geschehen. Aber kann man nicht mit der Möglichkeit rechnen, dass der Durchbruch in der Kunst gefunden wird aber nicht im Leben? Könnte nicht Verlangen nach Reinheit eine grosse Richtung erzeugen, ohne dass Reinheit im Leben ist? Antwort: Wenn wirklich in einer Richtung der Durchbruch geschieht aus dem Scheinleben heraus, dann ist er auch im Leben geschehen. Dann geschieht die Verwandlung der Struktur eines Lebens. In Verlaine’s »Sagesse« fehlt das Element der Grösse. Zur Grösse gehört auch Stetigkeit. Eine Zickzacklinie ist nie ein Bild der Grösse. Man stelle nur Verlaine’s Prosa-bekenntnisse neben Rimbaud’s: »Une Saison en Enfer«. Hier ist ein Visionär bis zum Unheimlichen aufgewühlt. Hier hat ein Durchbruch stattgefunden, der zu einer eindeutigen und nachhaltigen Entscheidung im Leben geführt hat. Wenn ein Mensch und eine Leistung konvergieren, dann dürfen wir das ausdeuten.

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Wie verhält es sich mit dem Unterschied zwischen dem Künstler und dem religiösen Menschen? Wir wollen ausgehen von der Art, wie wir das künstlerische und das religiöse Wort aufnehmen. Wenn wir ein Gedicht rein aufnehmen, so kümmern wir uns um den biographisch fixierten Dichter nicht. Insofern wir uns um ihn kümmern, wird die reine Aufnahme des Gedichts als Gedicht beeinträchtigt. Wir empfinden allerdings bei der Aufnahme auch ein Subjekt, aber wir wissen von diesem Subjekt nichts anderes, als was wir aus diesem Gedicht erfahren. Ganz anders das religiöse Wort, es kann rein und richtig nur so aufgenommen werden, dass wir den wirklichen Menschen, der es sprach, dazu nehmen, dazu wahrnehmen, auch die Situation, in der er sprach, samt den Menschen, zu denen er sprach. Der bestimmte Augenblick gehört dazu. Je voller wir die wirkliche Situation, in der dieses Wort gesprochen wurde, die faktische Gesprochenheit des Wortes wahrnehmen, um so reiner nehmen wir es auf. Wenn wir das religiöse Wort rein für sich nehmen, so ist es eine schöne Maxime ohne jenes geheimnisvoll Zwingende, ohne jene unaussprechliche legitime Autorität, jene Leibhaftigkeit. Wo wir diese faktische Gesprochenheit nicht kennen, sind wir genötigt zu ergänzen, darum die Nötigung zum Mythos. Beim Kunstwerk dagegen, wird das eigentliche Leben durch das Werk und nicht durch die Biographie ausgesagt. Das Bild gibt die innere Biographie. Das weist auf eine Verschiedenheit in der Existenz des künstlerischen und religiösen Menschen hin. Zunächst darauf, dass der religiöse Mensch mit Haut und Haar in sein Wort eingeht. Dieses So-sein, sein Fleisch ist die Botschaft. Der Künstler muss und darf dies nicht. Diese Konkretheit, »das private Leben« mit allem Drum und Dran, der Alltag – geht beim religiösen Menschen durchaus in’s Religiöse ein und wird Sakrament. Beim Künstler darf das nicht geschehen. Was von ihm in das Werk eingeht, ist jenes seltsame ausgestrahlte Subjekt der schöpferischen Stunde. Das, was »Ich« sagt im lyrischen Gedicht ist nicht der Privatmann, sondern die reine Subjektivität, die ihr Leid, ihre Begeisterung im Gedicht ausspricht. Sie wird immer neu geboren und schwebt nun über dem Werk. Es ist eine geistige Emanation, deren Schauer wir verspüren. Der religiöse Mensch steht in der Totalität: das natürliche Element, die Luft, die er atmet ist die Totalität, die Bruchlosigkeit – wo es keine Scheidung gibt zwischen Alltag und Erhöhung, zwischen faktischer und kundgegebener Person, keine Scheidung letztlich zwischen Gemeintem und Gelebtem. Der Künstler steht notwendig im Bruch, er hat seine Schwachheit und seine Kraft, seine Tragödie, seine Erhobenheit und seine Melancholie. Er erzeugt aus sich diesen Dämon des Werks, dieses beschwingte

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Wesen, das Ich sagt – während seine faktische Person als der schwere, dunkle, zähe Mutterrest im treibenden Alltag haften bleibt. Der gleiche Unterschied zeigt sich, wenn wir nicht vom Stifter, vom Schaffenden, sondern vom Empfindenden, Aufnehmenden ausgehen. Der religiös Empfindende geht von seiner jeweiligen Situation aus, in der er sich befindet; ob es Not oder Freude ist, er geht davon aus, was ihm in diesem Augenblick gebietet und ermöglicht »Du« zu sagen, das Göttliche anzusprechen – niemals von einem allgemeinen Glauben an Gott, von einer allgemeinen Verbundenheit aus. Diese ganze Situation nimmt er mit – nichts daran wird gesiebt, nichts daran ist profan – das ganze, massive, dicke, blutige Elend – die ganze Freudigkeit mit ihrem Uebermut wird hineingenommen. Es wird nichts als zu irdisch draussen gelassen. Das ist der rechte Psalm, alles dieses mit. Die religiöse Wirklichkeit ist immer durchaus konkret, leiblich einmalig, personhaft – Nicht ein Glaube an etwas, sondern die Bindung des jeweiligen Lebensmoments in seinem genauen Ausmass an das Göttliche. Dieses Genaue, Untransponierte ist der rechte Anfang des Gebetes. Auch der Künstler geht von der faktischen Situation, von einem Entzündungsmoment seines Lebens aus. Aber die Konzeption beginnt erst mit der Transposition in die Kunstsphäre. Dies ist das Entscheidende. Die nicht künstlerischen Scheingedichte, Liebeslieder der jungen Leute – sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Privatzustände zu äussern versuchen. Mit der Transposition ist nicht Verfeinerung gemeint, sondern das Uebergehen von einer Gattung in die andere. Andererseits besteht aber doch auch Gemeinsamkeit zwischen dem künstlerischen und religiösen Menschen. Beide stehen in der Unwillkürlichkeit. Darin besteht die letzte Legitimität des Künstlers. Wir können an der Stelle keines Wortes ein anderes denken, nichts umstellen. Es ist kein Element der Willkür da. Sondern notwendig ist es so, wie es ist. Diese Unwillkürlichkeit ist auch das Waltende bei dem religiösen Menschen. Z. B. kann Christus seine Taten nicht ausgewählt haben, um zum Kreuzestod zu kommen. Das wäre schon Politisierung. Dagegen muss sich der Künstler technischer Mittel bedienen. Aber Unwillkürlichkeit in ihrer Verwendung. Das rührt an das Religiöse. Spontaneität. Nicht eingreifen, auch in das eigene Leben. In der Funktion des Künstlers ist also ein Element der Unwillkürlichkeit, ohne dass noch vom Inhalt die Rede wäre. Damit ist es also mit dem Sein verbunden, das sich nicht auferlegt. – Der künstlerische Mensch kann auch religiös sein, aber es ist ihm erschwert, weil er in der Transposition sein Höchstes erlebt, … es ist ihm schwer, über diese Momente hinauszugreifen. Das Religiöse in ihm kann durch das Künstlerische negativ beeinflusst werden. Die Kraft der asso-

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ciativen Verbindungen, die Einbildungskraft dringt in’s religiöse Leben ein. Der Religiöse aber steht im Bildlosen – ich und du – der Künstlerische trägt nun die Fülle der Gestaltung hinein. Die Religion darf nicht mit spezifischen Kunstelementen durchsetzt werden: statt das Entscheidende zu tun, das Entscheidende, das nicht Gestalt ist, trägt er die ganze Fülle der Gestalt hinein. Des Dichters Entscheidung bewährt sich nicht an der ganzen Fülle des Lebens. Umgekehrt ist der religiös zentrale Mensch nie Künstler. Das Künstlerische hat er in sich eingeschmolzen, es gelangt nie mehr zum Ausdruck in seiner spezifischen Struktur. Das ist die Sehnsucht des grossen Künstlers, die Entscheidung an der Fülle des Lebens zu bewähren. Aber er entscheidet sich immer nur für das Werk. Der grosse Künstler ist sich dieses Mangels bewusst. Er sucht ihn zu kompensieren in der Kunst selber durch Bemeisterung einer immer grössern Fülle des Lebendigen in der Kunst. Rembrandt dürstete, das ganze Leben zu bemeistern, da er nicht, wie der religiöse Mensch, das ganze bemeistern konnte. Es ist in ihm eine titanische Selbst-unzufriedenheit. Der Wille zum Einfangen der Weltfülle in die Kunst. Religion besteht kraft dessen, dass sie nicht freie Schöpfung ist, sonst wäre sie abzuschaffen und die Kunst vorzuziehen, sondern sie ist ein Aussprechen der Wirklichkeit, in welcher der Mensch steht und die ihn bestimmt. Der Wirklichkeitscharakter macht das einzige Recht einer solchen Ungeheuerlichkeit, wie die Religion es ist, aus. Wäre die Religion nicht die Wirklichkeit, in der wir stehen, dann wäre es unserer nicht würdig, das Spiel länger zu treiben. Naturfeste zu feiern (Wyneken) ist eine Abscheulichkeit. Religion tut unsre Verbundenheit mit dem wirklichen Sein kund, verleiblicht sie. Wäre sie etwas anderes, dann dürfte sie nicht sein. Sie ist keine brauchbare Fiktion, auch keine ästhetische oder Moral fordernde Diktion, auch keine soziale. Das wäre unanständig. Das »Aesthetische« in dieser fiktiven Religion (Wyneken): da wird gerade die Strenge der Kunst nicht gemeint. Während der Künstler sein Werk in Strenge und Ehrfurcht schafft, werden hier Riten, Prozessionen frei konzipiert. Das ist Halbkunst (Wyneken). Dem Aesthetischen wird seine spezifische Verbindlichkeit genommen, es wird so seines eigentümlichen Adels entkleidet und das wird an Stelle des Glaubens an die Wirklichkeit und der Verbundenheit mit ihr gesetzt. Das ist ein Exzess der modernen Freiheitsbewegung.

Ueber Religion. Religion ist Wirkungstranszendenz. Dass ich, was ich bin, was ich tu’, dass das nicht von mir abhängt, sondern in ein Sein hineinlebt. Dass ich ge-

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braucht werde. Dass mein Leben nicht ein Würfelspiel ist. Dass mein Leben, wie ich es lebe, wichtig ist für das Sein. Dass meine Entscheidung nicht nur für eine Kreatur, die von mir abhängt, sondern für das Sein selber wichtig ist. Das, was ich in der religiösen Wirklichkeit spreche, wirklich ins Sein hinein, dass das Wirkliche, das Wesensgebet nicht ins Blaue hinein gesprochen ist, sondern zugesprochen, dass es den Empfänger trifft, und ihn anwandelt, wie ein menschliches Du einen Menschen anwandeln kann. Dass ich also wirklich bin. Dass ich eingesetzt bin, dass ich wirklich geschaffen bin, nicht zum Schein, sondern zur Wirklichkeit der Welt, damit ich durch mein Entscheiden das aus welthaftem Sein vollbringe, was nur durch diese armselige Kreatur, Ich genannt, vollbracht werden kann. Dieses Element ist das Entscheidende, das die religiöse Wirklichkeit abscheidet von allem Metaphysischen. Der Mensch kann also nicht so verlassen sein, dass das Göttliche sich ihm verschliessen würde. Sondern dieses muss noch mit grösserer Kraft ausgehen zu ihm, der ihm erschlossen ist und ihn erwartet. Gott kann sich nicht verschliessen, verschlösse er sich, dann wäre er nicht Gott. Der Weg zur Religion ist verschieden schwer. Aber das ist der Weg, der spezifische Weg eines jeden. Letztlich würde der, der schwer seinen Weg ging, vielleicht nicht mit dem tauschen, dem es in den Schoss gefallen ist. Ränder des Lebens – da ist es sinnlos nach dem Warum zu fragen. Da gibt sich einfach das Seiende kund. Dies ist das Leben, das wir zu leben haben, dessen Sinn sich auftut. Kein sagbarer, aber ein erlebbarer Sinn. Indem wir das Auesserste einsetzen, spüren wir in jedem Blutkörperchen den Sinn – indem wir es einsetzen. Wenn wir das einsetzen, dann werden wir Ihn gelebt haben und Ihn gestorben haben. Der Eingang zur Religion geht durch ein dunkles Tor: die Furcht Gottes. Der Schauer. Schon dass ich da bin; macht mich schauern. Die Rechtsprechung macht schauern: etwas tun müssen, was man nicht tun kann. Eine Gefahr ist der Versuch, Gott zu logisieren. Als ob Gott ein ganz grosser Physiker wäre, der die Linien zieht, die die irdische Physik in der Kosmologie ihm nachziehen kann. Aber alle physikalische Konstruktion ist doch nur für eine Zeit da. Vielleicht auch für ein halbes oder ganzes Jahrtausend. Man beginnt jetzt im kopernikanischen System nicht mehr leben zu können. Ist das kopernikanische wahrer als das ptolomäische? Ist es wahrer, dass die Erde sich um die Sonne dreht, als das Umgekehrte? Jeweilige, gerade brauchbare Hypothesen. Ptolomäus, Kepler, Einstein, jeder macht nur von seiner Menschlichkeit aus eine Orientierungstat. Aber Gott kann nicht so einbezogen werden. Gott geht in diese Orientierungen nicht ein. Alle diese wechselnden Logisierungen der Welt, die die unvorstellbare Welt für eine Weile vorstellbar machen, die bestehen zu

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recht vom Menschen aus, sind aber falsch, sobald Gott mit ihnen in Zusammenhang gebracht wird. Das wirklich göttliche Walten ist damit gar nicht angerührt, nichts rührt davon an die wirkliche Schöpfung. Alle Konzeptionen von der Weltordnung bleiben doch abseits der religiösen Wirklichkeit. Dagegen bleibt die einfache, redliche Menschensituation nicht abseits. Diese Situation bildet das Nahen des Göttlichen im Menschen schon vor. Die Geister scheiden sich an der Frage: Seins-bindung oder nicht. Ist sie nicht Seins-bindung, ist sie nur »schöpferische« Er-gänzung des Lebens, erhabene Illusion, Ueberbau, das Aesthetische der Verschönerung des etwas langweiligen Alltags, ist sie überhaupt Form an sich, dann ist das sogenannte Religiöse vom Uebel. Alles spontane religiöse Leben entfaltet sich zu Formen, Riten, und Kulte blühen aus der Religion hervor, aber von diesen Formen ausgehen, ist Ersatz der Religion durch Halbkunst und das ist von allen modernen Excessen wohl das Schlimmste. Religion ist immer konkret, verbindlich, streng – strenge Guttat, strenge Hilfe. Sie steht im Zeichen des Gottes, der Leben aufbaut und vernichtet. Irgend ein billiger Gott ist nicht der Gott der Wirklichkeit.

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Zwei Malergeschichten 1. Die Schule Nach dem Japanischen

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Ein Maler, der wahrnahm, daß im Nachbarhaus ein Feuer ausgebrochen war und der Wind es seiner Wohnung zutrieb, rannte, ohne irgend eines Guts zu achten, auf die Straße. Da stand er in angemessener Entfernung und betrachtete, wie die Brunst um sich griff und all seinen Besitz einäscherte. Die Leute sprachen ihm Trost zu, er aber starrte in den Brand, nickte und lachte. »Welch ein Gewinn!« schrie er, »welch ein Gewinn!« »Der ist von Sinnen gekommen«, hörte er ringsum rufen. »Ich habe«, sagte er, ohne das Auge abzuwenden, »all die Jahre die Flammen um den heiligen Gott Fudo, den Unbeweglichen, falsch gemalt. Jetzt erst sehe ich, wie das Feuer brennt.«

2. Der Wettstreit Nach dem Chinesischen

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Ein Maler besuchte einen Bildhauer. In dem Raum, in dem sie die Abendmahlzeit einnahmen und dem Gast das Ruhebett bereitet war, sah er in einer Ecke eine wunderschöne, schweigende Frau sitzen, die er nicht kannte und nach der er nicht zu fragen wagte. Er heftete seinen Blick und sein Verlangen auf sie. Nach dem Mahl stand der Hausherr auf, sprach: »Die Frau bleibt bei Euch« und ging hinaus. Der Maler rief die Schweigende an, sie rührte sich nicht, er kam auf sie zu und faßte ihre Hand, da merkte er, daß sie aus Holz war. Als der Bildhauer am Morgen eintrat, sah er seinen Freund an der Wand hängen; auf dem fahlen Mund hatte ein Fliegenschwarm sich niedergelassen. Zitternd ergriff er ein Messer und ging hinzu, um den Strick zu durchschneiden. Da kroch der Maler unterm Bett hervor. Die beiden sahen erst das Bild an der Wand, dann die hölzerne Gestalt, endlich einander lange an, und sie erkannten die Wahrheit.

Schlichtung Zum Gedächtnis an den Indologen K. E. Neumann Eine volkstümliche chinesische Geschichte erzählt, in einer Pagode habe zur Linken ein tönernes Bild des Lao-Tse, zur Rechten eins des Fo, das ist Buddho, gestanden. Ein Bonze, der des Weges kam, sah beide und entrüstete sich: »Meine Gemeinschaft, die des Fo, ist groß – warum steht er hier zur Rechten Lao-Kiuns?« In China nämlich ist die linke Seite der Ehrenplatz. So stellte er die Statuen um. Nach ihm kam ein Taopriester, sah und sprach: »Meine Gemeinschaft ist edel – warum steht Lao-Kiun hier zur Rechten Fos?« Sogleich brachte er ihn an die andere Seite. So ging es weiter, bis mit Her und Hin die beiden Bilder verdorben waren. Da sprach Lao-Tse lächelnd zu Buddho: »Nicht daß wir zwei uns nicht herrlich vertrügen. Es ist die Schuld dieser Narren, daß wir so zugerichtet worden sind!« Gilt nicht etwas Aehnliches von den meisten Uebersetzern und Erklärern, zumal denen geheiligter Texte? Sie meinen, den Sprecher, an dem sie sich betätigen, auf einen besonders ehrenvollen Sockel zu stellen, und machen ihn zuschanden, – freilich nur sein tönernes Bildnis. Sie vermessen sich, seine »Individualität« zur Geltung zu bringen, und entstellen eben dadurch seine Wahrheit. Den großen Sprechern aber ist es ja doch nur um die Wahrheit und nicht um die besondere Aussprache zu tun, die sie nur zum Schicksal ihrer Sterblichkeit zu zählen vermöchten, wenn sie sich je damit befaßten. In der Echtheit ihres Worts, die, allem ausscheidbaren Inhalt überlegen, von ihrer Gemeinsamkeit in der einen unwandelbaren Wahrheit, eben der des Worts, des einen urgesprochenen, sich in den menschlichen Aussprachen brechenden Worts, zeugt, vertragen sie sich herrlich miteinander. An dieser Echtheit, die etwas ganz anderes als alle »Originalität«, nämlich die Einheit des Ursprungs im Geist ist, vergehen sich die geläufigen Uebersetzer und Erklärer. Von hier aus fühlen wir wohl am stärksten, wie Bedeutendes wir K a r l E u g e n N e u m a n n verdanken, der uns die Echtheit Buddhos, um die sich alle Umschreibung vergeblich bemüht, durch Wiedererzeugung seines Worts aus dem Deutschen, »mit den zehntausend Werkzeugen einer altbegüterten Sprache betraut«, dar- und nahegebracht hat. Ihm war es wie dem Meister, dem er diente, um die Wahrheit, die Heilswahrheit des Menschen, zu tun, eben nicht die Wahrheit eines Wissens- oder Glaubensinhalts, sondern um die Wahrheit des Wesens, des Worts, des

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»Wegs«. Weil dem aber so war, vermochte er, nichts anderem als der Treue zur Wahrheit als zur Echtheit ergeben, auch ihre schicksalhafte Prägung, die Aussprache der Person, im Stoff unserer Sprache neu auszubilden. 5

An einem Beispiel aus den unzähligen möglichen sei gezeigt, wodurch sich Neumanns Uebertragung von den geläufigen unterscheidet, aber auch wie er selber um die reine Gestalt gedient hat. Es ist eine Strophe, die ein namhafter Fachmann folgendermaßen wiedergibt: Zum Wässern gräbt dem Wasser man ein Bett,

10 Die Pfeilemacher Pfeile grade biegen,

Und Zimmerleute biegen krumm ein Brett, Wogegen Weise, wißt, ihr Selbst besiegen.

Neumann am Anfang seines Wegs überträgt sie so: Das Wasser dämmen ein die Wasserleiter, 15 Die Bogner beugen scharfgeschnitzte Pfeile,

Das harte Holz behauen Zimmerleute – Das eigne Herz bezähmen Weise.

Aber in der Vollendung hat sie diese reine Gestalt gewonnen: Kanäle schlichten Bauern durch das Feld, 20 Die Bogner schlichten spitze Pfeile zu,

Die Zimmrer schlichten schlanke Balken ab, Sich selber, wahrlich, machen Weise schlicht.

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Hier ist mit der einfachen, fugenlosen Form zugleich die vollkommene Treue erreicht; wie im Pali wandelt nun auch im Deutschen das eine Wort durch die Verkörperungen. Was ist hier geschehen? Ein Bauer, ein Bogner, ein Zimmrer, ein Weiser ist am Werk gewesen.

Zwiegespräch (Nach einer Lebensbeschreibung) Ikkyu, der zweite Sohn des Mikados Go-Komatsu, war in jungen Jahren Priester geworden. Einst pilgerte er zum Tempel von Kashima. Er stand schon vor dem Heiligtum, als aus dem Schatten des Hains ein sieben Fuß hohes Wesen von unbekannter Art tauchte, ihm entgegentrat und fragte: Buppo wa ika ni? Zu deutsch etwa: Wie steht es um deinen Buddhaglauben? Er ist in meiner Brust, antwortete er. So spalte ich sie und spähe nach. Es zog ein Schwert, das war wie aus Eis, und richtete es gegen Ikkyu, daß die Spitze seine Haut stach. Da sang er das alte Lied: Die Kirschbäume der Berge zu Yoshino, o knospend in jedem Frühling! Spalte die Bäume, spähe im Gemach der Blüten! Zitternd entschwand das wunderliche Wesen, nirgendwohin.

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Es geschieht von Zeit zu Zeit, daß vom Osten aus der Ruf zu Europa kommt, gemeinsame Sache mit Asien zu machen. Ich erinnere mich an eine Rede Tagores, der ungefähr sagte: »Ja, wozu macht Ihr das alles hier in Europa? Wozu habt Ihr all dieses Getriebe, all diese Industrialisierung, all diesen Ballast? Das alles ist doch eigentlich gar nicht nötig. Werft das alles ab und laßt uns gemeinsam, Westen und Osten, das Wesenhafte erkennen!« Das war in herzeinnehmender Weise gesagt. Aber es schien mir der Wirklichkeit der Stunde, die wir leben, abgerückt. Ich dachte etwa an einen Mann, der sich vorgenommen hätte, auf einem noch nicht betretenen Berggipfel ein Kreuz aufzurichten, der mit diesem beladen den Berg hinaufklimmt, und dem nun jemand nachriefe: »Was machst du es dir so schwer! Wirf doch das schwere Kreuz ab, dann wirst du viel leichter hinaufkommen!« Worauf der Mann berechtigterweise antworten würde: »Ich habe vor, entweder mit dem Kreuz hinaufzukommen oder mit ihm abzustürzen.« Diese Last des Abendlandes ist das, was ihm zu bewältigen obliegt. Von ihrer wirklichen Bewältigung hängt es ab, ob diese Epoche ihren Sinn erfüllt oder nicht. Diese Last abstreifend, hinter alle diese Industrialisierung und Technisierung und Mechanisierung zurücktretend, gehen wir den Weg überhaupt nicht mehr, haben wir überhaupt keinen Weg! Es ist also nicht so, als ob wir uns all dessen begeben könnten, um nun mit dem Orientalen zusammen das Gemeinsame zu suchen und zu wirken. Sondern zusammenkommen können wir nur so, daß wir mit dieser unserer Aufgabe gehen, eben durch dieses dunkle Tor hindurch, durch das zu gehen uns nicht erspart bleiben kann, mit dieser Schwere, mit dieser Auflösung, die wir heute erfahren und von der wir nichts reduzieren können, die wir so, wie sie ist, auf uns nehmen, austragen, überwinden müssen. Und wenn wir hindurchkommen durch dieses dunkle Tor, so hoffen wir, dort Asien zu begegnen, dem dieser Weg erspart bleiben möge. Aber, wenn ich die Entwicklung Japans, ja sogar die Entwicklung Indiens betrachte, weiß ich nicht, ob er ihm erspart bleiben kann. Kann uns aber in diese Problematik hinein dennoch die Berührung mit Asien etwas bedeuten? Haben wir etwas davon anzunehmen, aufzunehmen? Aber, verstehen Sie mich recht: nicht in intellektueller Weise, nicht so, wie es etwa im 18. Jahrhundert üblich war, daß man irgendwelche äußeren Ergebnisse chinesischer Kunst oder Weisheit flächenhaft aufnahm; indem man etwa das Geheimnis chinesischer Linienkunst in zum Teil höchst reizvollen Chinoiserien verarbeitete; oder indem man konfuzia-

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nische Weisheit ergriff, aber ohne ihre konkreten Grundlagen und Bindungen, als etwas universalistisch Edles und Wertvolles; ohne zu ahnen, daß solche Aufnahme Sünde am Geist ist, daß wirkliche Aufnahme nur von den Wurzeln und von der Vitalität aus geschehen kann. So ist es nicht gemeint. Sondern die Frage ist: Können wir von der ostasiatischen – etwa der chinesischen – Lebendigkeit, von den wirklichen Lebensmächten dieser Sitte, dieser Bildung, dieser Kultur, etwas aufnehmen und etwa was? Und da scheint mir mehr als zweifelhaft, ob wir davon, was Professor Wilhelm uns in so bildhaft deutlicher Weise gezeichnet hat, von der chinesischen Sitte und Bildung, von den großen Kräften des Zusammenhangs, also von der chinesischen Kultur im eigentlichen Sinn, von der konfuzianischen Kultur, etwas zu übernehmen haben. Ich will von den Gründen meines Zweifelns nur zwei anführen. Der eine betrifft die wichtigste Grundlage dieser Kultur: den Ahnenkult. Unter diesem Begriff werden sehr verschiedenartige Dinge zusammengefaßt. Es gibt einen Ahnenkult bei den sogenannten Primitiven, aus Furcht vor der dauernden, grauenhaften, verhängnisvollen Präsenz des Toten, den man versöhnen muß. Es gibt einen anderen Ahnenkult, wo die Ahnen in eine gehobene Sphäre des Daseins überwandern, zu Dämonen, Heroen, Göttern werden, von den Wechselfällen irdischen Lebens abgehoben und unberührbar, aber eben damit für die nachlebenden Menschengeschlechter nur noch ein Gegenstand der Verehrung, nicht des lebendigen Zusammenhangs. Aber der chinesische Ahnenkult ist von ganz anderer Art. Er bedeutet ja das empfangende Prinzip, er bedeutet, daß das nachlebende Geschlecht von den Toten empfängt. Es ist also dieser Ahnenkult nur in einer Kultur möglich, wo Vertrautheit mit den Toten herrscht. Ich meine Vertrautheit, also nicht Grauen und nicht abgerückte Ehrfurcht, sondern natürlicher Verkehr, wie ihn das chinesische Märchen immer wieder zu erzählen weiß, ohne alle Unheimlichkeit, am deutlichsten in den vielen Geschichten von Liebesbeziehungen mit den Toten. Hier ist nichts von dem Grauen des mittelalterlichen Incubus, sondern wie auf einer Ebene verkehrt man mit den Geistern der Toten, die in unser Leben eintreten wie aus einem Zimmer ins andre. Diese Unbefangenheit des Verkehrs mit den Toten hängt mit der chinesischen Art des Ahnenkults zusammen. Das nachlebende Geschlecht empfängt von den Geschlechtern, die wir die gewesenen nennen. Und darum senkt sich immer wieder der Same der Sitte, der Gestaltung in die nachwachsenden Geschlechter ein, nicht als etwas, was nur festgehalten, nur fortgesetzt, nur erhalten wird, sondern als etwas, was zeugt und dessen Gezeugtes vom neuen Geschlecht neu geboren wird, scheinbar dieselbe Sitte und doch neu gebildet, neu gewachsen.

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Das ist etwas, was dem Abendland wohl fremd bleiben muß. Die Grundlagen dieses Ahnenkults sind im Abendland nicht gegeben. Ich weiß, es gibt in der Antike, es gibt auch in der germanischen Vorzeit sagenhaft aufzeigbare Spuren verwandter Elemente. Ich erinnere etwa an die ferventia numina der Tanaquil-Sage; es gibt auch in den Sagen von Thors Fahrten eine merkwürdige Geschichte verwandter Art. Aber das sind versprengte Motive. Eine organische Beziehung zwischen Toten und Lebenden wie in der chinesischen Kultur ist im Abendland nicht da und, wie mir scheint, nicht möglich. Und das ist der eine Grund, weshalb ich daran zweifle, daß ein solcher Zusammenhang der Geschlechter, ein solcher Glaube des Neuen an das Alte, das ihm eben nicht das Alte ist, hier wachsen könnte. Es möchte uns wohl not tun, denn wir sind in eine Krisis nicht bloß einzelner Institutionen, sondern des Institutionellen überhaupt eingetreten; aber ich sehe nicht, wie wir das, was sich hier darbietet, aufzunehmen vermögen. Der zweite Grund ist der, daß Bildung immer zusammenhängt mit einem Bilde, und zwar mit einem allgemeingültigen Bilde. Es gibt nämlich nicht bloß, wie die Philosophie lehrt, allgemeingültige Begriffe, sondern auch allgemeingültige Bilder. Die Zeiten, die Bildung haben, sind Zeiten, wo ein allgemeingültiges Menschenbild über den Köpfen der Menschen steht. Das Aufschauen zu diesen unsichtbaren und doch in der Einbildung aller Einzelnen lebendigen Bildern macht das Leben der Bildung aus; ihr Nachbilden aus der Materie der Person ist das Bilden, das Menschenbilden. Nun aber unterscheidet sich das ostasiatische Bild von dem abendländischen gattungsmäßig. Das allgemeingültige Menschenbild in China ist der ursprüngliche Mensch, der reine Mensch des Altertums. Vom Ahnenkult Chinas aufgerichtet, ist dieses Bild ein Denkmal des Vertrauens zum Urzustand, zu dem, was eben nur immer wieder neu geboren, neu gebildet werden muß. Dieses Vertrauen zum Ursein geht dem abendländischen Menschen ab und ist von ihm wohl nicht zu gewinnen. Auch das Christentum, das ja die orientalische Lehre vom paradiesischen Urzustand der Menschheit dem Abendland übermittelt hat, hat daran nichts zu ändern vermocht. Von der biblischen Geschichte der ersten Menschen ist in der Wirklichkeit des persönlichen Lebens des christlichen abendländischen Menschen nur der Sündenfall, nicht das Leben vor dem Sündenfall, lebensmäßig gegenwärtig. Das Vertrauen zum ursprünglichen Sein der menschlichen Substanz fehlt, und ich glaube nicht, daß es auf den Wegen der historischen, von uns übersehbaren Kultur zu erringen ist. (Sie verstehen, daß ich von anderen Wegen nicht spreche. Wir reden von den Beziehungen der Kulturen zueinander; wir reden von dem Historischen, nicht von dem, was das Historische je und je zu

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sprengen und umzuwandeln vermag.) Dies sind zwei der Gründe, die mich zweifeln machen, ob wir von dem großen Zusammenhang Chinas, seiner Kontinuität, von der Verbürgung des Institutionellen, das die chinesische Kultur darstellt, etwas in unser Leben aufzunehmen vermögen. Aber es gibt doch etwas, was wir aufzunehmen vermögen, und zwar vom Gang unserer Geschichte, von unseren Erfahrungen dieser Weltstunde aus. Das ist freilich nicht etwas von der großen Struktur der konfuzianischen Kultur; sondern es ist etwas Revolutionäres, Protesthaftes, freilich im Grunde Uraltes. Ich glaube, daß wir von China lebensmäßig etwas annehmen können von der taoistischen Lehre des Nichttuns, von der Lehre des Laotse. Und zwar deshalb, weil wir mit unserer Last, auf unserem Weg, nur eben negativ, sozusagen auf der umgekehrten Seite, etwas Analoges gelernt haben. Wir haben nämlich begonnen zu erfahren, daß es mit dem Erfolg nichts auf sich hat. Wir haben begonnen, an der Bedeutung des geschichtlichen Erfolges zu zweifeln, d. h. an der Gültigkeit des Menschen, der sich Zwecke setzt, diese Zwecke durchsetzt, der Machtmittel ansammelt und diese Machtmittel auswirkt, der eingreift, ändert, organisiert – des typischen modernen abendländischen Menschen. Ich sage: wir beginnen mißtrauisch zu werden gegen den wirklichen Existenzgehalt dieses Menschen. Und da berühren wir uns mit etwas echt und tief Chinesischem, obwohl es nicht konfuzianisch ist: mit der Lehre, daß das echte Wirken nicht das Eingreifen ist, nicht das Auspuffen der Macht, sondern das Insichverhalten, das In-sich-selber-ruhen, das mächtige Dasein, das nun freilich nicht den geschichtlichen Erfolg einbringt, d. h. den in dieser Epoche und in ihrer Sprache auswertbaren, registrierbaren Erfolg; sondern nur die zunächst unscheinbare, ja unsichtbare Wirkung, die in die Geschlechter hinüberdauert und dort plötzlich, nicht etwa als solche wahrnehmbar wird, sondern selbstverständlicher Bestandteil des Lebens der Menschheit geworden ist, so selbstverständlich, daß man nach ihren historischen Ursachen kaum noch fragt. Wenn da, um ein Beispiel aus Asien zu nennen, etwa ein Mann, der heute das Prinzip des Nichttuns in die politische Sphäre übernommen hat, wenn Gandhi keinen Erfolg hat – und er hat keinen und kann keinen haben –, so hängt das unlösbar damit zusammen, daß er das Werk am indischen Menschen tut, welches einmal so dasein wird, daß man gar nicht mehr wissen wird, wie es entstanden ist. Denn aller geschichtliche Erfolg ist Scheinerfolg, aller geschichtliche Erfolg bedeutet Verzicht auf die Verwirklichung. Im Kern jedes geschichtlichen Erfolgs steckt die Abkehr von dem, was dieser Täter eigentlich gemeint hat. Nicht die Realisierung, sondern die verkappte, die eben durch den Erfolg verhüllte oder markierte Nichtrealisierung, das ist der geschichtliche Erfolg. Dem steht gegenüber die Aenderung des Menschen

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im Nichterfolg, die Aenderung des Menschen dadurch, daß man wirkt, ohne einzugreifen. Dieses Tun ohne zu tun, Tun durch Nichttun, diese Mächtigkeit des Daseins, das ist, glaube ich, etwas, in dessen anhebender Erkenntnis wir uns mit der großen Weisheit Chinas berühren. Bei uns ist das nicht als Weisheit entstanden, sondern eher als Narrheit. Wir haben es auf die bitterste Weise zu schmecken bekommen, ja, auf eine geradezu närrische Weise. Aber da, wo wir stehen, oder da, wo wir bald stehen werden, da werden wir unmittelbar an die Wirklichkeit rühren, die Laotse vertritt.

Weisheiten aus China A. Familie und Staat Im »Buch der Urkunden« wird von einem Kaiser aus alten Zeiten erzählt. Yao war sein Name. Nachdem er siebzig Jahre lang geherrscht hatte, wollte er sein Amt niederlegen und suchte nach einem würdigen, nicht unbedingt den oberen Schichten der Gesellschaft entstammenden Thronerben. Seine Berater machten ihn auf einen noch ledigen, in ärmlichen Verhältnissen lebenden Mann namens Shun aufmerksam. Shuns Vater war ein Mann ohne Prinzipien, seine Stiefmutter unehrlich, sein Bruder, der Sohn seines Vaters, ein Hochstapler, doch indem er seiner Kindespflicht nachkam, gelang es ihm nicht nur, mit ihnen in Frieden zu leben, sondern sie auch Schritt für Schritt zur Selbstbeherrschung zu führen und sie von ihren Mängeln zu befreien. Der Kaiser ließ Shun zunächst ein hohes Amt bekleiden, um ihn nach einiger Zeit dann den Platz des Kaisers auf dem Thron einnehmen zu lassen. Und warum tat er dies? Da es Shun gelang, das Durcheinander in seiner Familie zu ordnen, schien er am fähigsten, die Ordnung im Staat zu wahren und zu fördern. Wer dem Zusammenleben einiger miteinander zerstrittener Menschen einheitliche Gestalt verleihen konnte, wird auch in der Lage sein, das Zusammenleben von Millionen einander fremder Menschen zu regeln. Gerade in nahen zwischenmenschlichen Beziehungen hat der Mensch große Prüfungen zu bestehen. Und nicht nur dies allein. Im Buch »Die große Wissenschaft« heißt es: »Als die Herrscher ehemaliger Zeiten sich daran machten, den Staat zu regeln, begannen sie damit in ihrem Haus.« Nur wer im engsten Umkreis zu handeln anfängt, dem wird es tatsächlich gelingen, die größten Angelegenheiten zu regeln.

B. Initiative Vor mehr als zweitausend Jahren veröffentlichte der junge Kaiser Wu Di einen mit folgenden Worten anhebenden Aufruf: »Ein außerordentliches Werk verlangt nach außerordentlichen Menschen». Die Aufgabe besteht darin, solche Menschen für den Staatsdienst zu finden. Doch heißt dies nicht, dass man nur nach Menschen zu suchen hat, welche die Tugenden eines Staatsbürgers aufweisen. »Ein ausschlagendes Pferd,« so fährt der Aufruf fort, »kann manchmal ein höchst wertvolles Tier sein. Ein seiner Umwelt verhasster Mensch kann eines Tages große Dinge verrichten.«

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Man muss also überhaupt »mit besonderen Gaben ausgestattete Menschen« suchen. Unter denjenigen, welche auf den Aufruf reagierten, war ein zweiundzwanzigjähriger Mann namens Dong-Feng, dessen Antwortschreiben erhalten ist. In diesem erzählt er von seinen Studien, insbesondere der Kunst des Fechtens, der Strategie und Kriegsführung. Auch vergißt er nicht, seinen hohen Wuchs zu beschreiben. »Ich halte mich für geeignet, das Amt eines hohen Beamten im Staat zu bekleiden« – mit diesen Worten beschließt er sein Gesuch – »und wage, die Antwort Ihrer Hoheit zu erwarten«. Die Antwort traf ohne Verzögerung ein. Dong-Feng wurde zum engsten Berater des Kaisers, und dieser konnte mit Hilfe seiner Ratschläge später die Hunnen glanzvoll schlagen. Uns, die wir an die Vorstellung gewohnt sind, das hohe Beamtentum gehe auf Umwegen, sei anonym und weltfremd, erscheint all dies als ein wunderliches und im Grunde dilettantisches Abenteuer. Doch ist dies anders zu verstehen. Hier wird die übliche Ordnung durch kühne persönliche Initiative durchbrochen, um so begabte Menschen auszumachen. Der junge Herrscher hat erkannt, dass der Lauf der Dinge nur mit neuen Vorgehensweisen zu ändern ist. Ein außergewöhnliches Werk erfordert außergewöhnliche Methoden.

C. Das Wesentliche

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Konfuzius wurde von einem Schüler nach den Prinzipien der Herrschaft gefragt. Er antwortete: »Genügend Nahrung, genügend Waffen und das Vertrauen des Volkes«. »Und was gilt«, fragte der Schüler, »muss eines dieser Prinzipien aufgegeben werden? Auf welches ist als erstes zu verzichten?« »Auf Waffen«, sagte der Lehrer. – »Und wenn wir auf ein weiteres verzichten müssen – auf welches von ihnen?« »Auf Nahrung«, sagte Konfuzius. »Vom Anbeginn der Welt besteht das Ende des Menschen darin zu sterben. Doch ohne Vertrauen hat das Volk keinen Bestand.« Dies mag in unseren Augen wunderlich erscheinen, da wir nicht mehr wissen, was Vertrauen ist.

D. Die Richtigstellung der Bezeichnungen

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Als Konfuzius beinahe siebzig Jahre alt war, erzählte ihm ein schon vor einiger Zeit zum Prinzen ernannter Schüler, dass sein Herr sich mit dem Gedanken trage, seinen Lehrer mit der Führung des Staates zu beauftra-

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gen. »Womit«, fuhr er fort, »wirst du beginnen?« »Nun«, sagte Konfuzius, »mit der Richtigstellung der Bezeichnungen.« Darin besteht in der Tat der Anfang aller Staatsweisheit. Nicht weil – wie Sokrates meinte – wer um das Gute weiß, auch dazu neigt, Gutes zu tun, da rechtes Denken rechtes Handeln hervorruft; dies ist ein erhabenes Missverständnis. Sondern weil das öffentliche Leben nicht in gerechte Ordnung kommt, solange die Dinge nicht bei ihrem richtigen Namen genannt werden. Nicht die Bösartigkeit der Menschen spielt dem Satan auf dem Weg zur gerechten Ordnung zu – sie wäre zu überwinden; was dem Satan auf dem Weg zur gerechten Ordnung in die Hände spielt, ist die leere Phrase.

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E. Politik und Leben Eine Schar von Intellektuellen – so wird in den Büchern Liezis erzählt – zog sich von den Staatsangelegenheiten zurück, um in Gemeinschaft zu leben. Ihre Mitglieder versammelten sich um den Mann, den sie sich zum Lehrer machten. Auf ihrem Weg trafen sie einen berühmten, weisen Staatsmann und dessen Schüler. Dieser wandte sich an seine Begleiter und sagte: »Was meint ihr, soll ich euch und den der Schar vorangehenden Menschen etwas vorführen?« Die Schüler antworteten: »Ja, gerne wollen wir uns das ansehen.« Da sprach er den Anführer der Mönche an: »Die sich auf Kosten anderer beschmutzenden Menschen sind Hunden und Schweinen gleich. Der Mensch hat sie für sein Ziel zu nutzen. Wenn deine Freunde ihren Bedürfnissen selbst nachkommen, so ist das das Werk der Staatsoberhäupter. Alte und junge Menschen, die wie in einer Herde versammelt leben, als wären sie in einem Schweinestall eingesperrt – worin unterscheiden sie sich von Hunden und Schweinen?« Der Anführer der Mönche antwortete nicht. Doch einer seiner Leute mischte sich ein, kam näher und sagte: »Hat der Gelehrte nicht gehört, dass es in diesem Land einige ausgezeichnete Arbeiter gibt? Siehe, es gibt Menschen, die zum Bestellen der Felder und Beschneiden der Bäume geeignet sind; andere sind für das Metallhandwerk und für die Bearbeitung von Leder geeignet; wiederum andere sind begabt, auf Instrumenten zu spielen und zu singen; dann gibt es solche, die in Schreiben und Rechnen begabt sind, und solche, deren Begabung im Bereich der Kriegskünste liegt; schließlich gibt es Menschen, die für die Ausrichtung des Rituals geeignet sind. Eine Gruppe von begabten Menschen ist hier versammelt. Doch ohne sich einer Ordnung zu unterwerfen, können sie nichts Nützliches bewerkstelligen. Diejenigen, die die Dinge ordnen, verfügen über

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kein Wissen; diejenigen, welche die nützlichen Dinge bewerkstelligen, haben keine Macht. So kommt es, dass diejenigen, die über Wissen verfügen und nützliche Dinge tun, zugleich die Herrschenden eigentlich recht benutzen. Weshalb also brüstet sich der Gelehrte?« Der Staatsmann stand ratlos da. Er blickte seine Schüler an und ging seiner Wege. Diese realistische Betrachtung bildet ein Gegengewicht zur übertriebenen Hochschätzung des Staates und weist zugleich die Ansicht derjenigen zurück, die meinen, sie könnten auf den Staat verzichten. Demnach gilt: Allein wahrzunehmen, wo die grundlegende Existenz menschlicher Gemeinschaft anzusiedeln ist, in der Politik oder andernorts, stellt eine Notwendigkeit dar.

Sprüche Laozis

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Wer viel sieht, weiß wenig. Der Weise kommt an sein Ziel, ohne einen Schritt zu tun; er weiß, ohne zu sehen. * Wer viele Farben benutzt, sieht nicht mehr; wer viele Stimmen verlauten lässt, hört nicht mehr; wer nach vielem begehrt, hat keinen Willen mehr; wer sich vielen Genüssen hingibt, hat kein Herz mehr. Der Weise vertieft sich in sich selbst und folgt nicht seinen Augen. * Der Verstand zerstört die Lebenskraft. Besteht irgendein Abstand zwischen »ja« und »nein«? Doch zwischen gut und böse – welch großer Abstand! * Der Menschheit ist die Erde gegeben, und diese ist dem Menschen Mutter. Wer die Mutter weiß, weiß sein Kindsein: er halte sich an seiner Mutter fest, dass seine Seele nicht in der Gefahr stehe unterzugehen. Das Wesentliche sehen – dies ist Klarheit! Im Inneren weich bleiben – dies ist Heldentum. * Bei seiner Geburt ist der Mensch weich, in seinem Tode hart. In ihrer Blüte ist die Pflanze weich und voller Lebenskraft, im Zustand des Verwelkens ist sie ausgedörrt und hart. So gehört das Starke und Harte zum Tod und das Weiche und Schwache zum Leben. Wer seinen Bogen spannt, wird nicht siegen; der starke Baum wird brechen. Die Starken sind die Unterlegenen, die Weichen die Überlegenen.

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Gleichnisse Zhuangzis Eines Tag, als Zhuangzi in arge Not kam und der Schmach des Hungers ausgesetzt war, sah er sich gezwungen, sich an den Herrscher des Staates Wei zu wenden und ihn um etwas Hirse zu bitten. – Ich hoffe – sagte der Herrscher – dass es nicht lange dauern wird, bis ich die mir aufgrund meines Bodens zukommenden Steuergelder erhalten werde. Dann werde ich Dir dreihundert Silberstücke leihen können. Wird Dir das ausreichen? – Auf meinem Weg hierher – antwortete Zhuangzi – vernahm ich eine um Hilfe rufende Stimme. Ich schaute mich um und sah einen Fisch in der Radspur liegen. »Was tust du hier, Fisch?« – fragte ich ihn. – Ich bin verbannt aus dem Meer im Osten. Bitte gib mir ein kleines Wasserbecken, in welches ich eintauchen kann, und rette mich vor dem Tode. – Ich hoffe – sagte ich ihm – dass es nicht lange dauern wird, bis ich in den Süden des Landes gehe. Dort werde ich den König bitten, den Verlauf des Flusses im Westen zu ändern und ihn zu dir fließen zu lassen. Wird dir das ausreichen? – Ich habe Bekannte und Nachbarn verloren – sagte der Fisch. – Es gibt keinen Ort, von dem ich sagen könnte: dies ist mein Ort. Und dennoch, wenn Du mir ein kleines Wasserbecken gäbest, könnte ich meine Seele neu beleben. Wenn du aber stattdessen tun wirst, wie du gesagt hast, so wird es besser sein, du hebst mich auf und hängst mich unverzüglich an den Strick des Fischverkäufers.

Sprüche Mo Dis Um die Gesellschaft aus misslicher Lage zu befreien, muss man dem Beispiel guter Ärzte folgen: die Wurzel des Übels finden. Und die Wurzel aller Übel liegt heutzutage im Mangel an Liebe; sie liegt darin, dass die Menschen aufgehört haben, ihren Nächsten zu lieben. Der Grund des Übels besteht in der Eigenliebe der Menschen. Aus der Liebe zu ihrem Vaterland fordern die Menschen, das Vaterland ihres Nächsten zu zerstören. Die Räuber lieben ihre Familien und plündern die Häuser ihrer Nächsten um ihrer Familien willen. Der Himmel will, dass die Menschen sich gegenseitig lieben, da die Liebe des Himmels allen Menschen gegeben ist. *

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Wer einen Menschen ermordet hat, soll einmal vor Gericht gestellt werden und einmal als Mörder bestraft werden. Wer zehn Menschen ermordet hat, soll zehnmal als Mörder verurteilt werden. Doch den Eroberer, der so viele Mordtaten verübt hat, wie es Menschen gab, deren Leben er verwirkt hat, verurteilt und bestraft man nicht; im Gegenteil – man bewundert ihn. Verwandelt unendliche Vervielfältigung das Böse wirklich in Gutes? Wie tief geht der menschliche Irrtum! * Die Ansicht, alles hänge vom Glück ab, zerstört die Ethik und untergräbt den Glauben an Schuld und Sühne. Die an Glück glauben, sagen: Tut man seinen Mitmenschen Gutes, so bringt dies keinen Nutzen; tut man seinen Mitmenschen Böses an, so bringt dies keinen Schaden mit sich; Gutes zu tun, bringt keinen Vorteil, und Schlechtes zu tun, bringt keinen Nachteil. Diese Ansicht gefiel den Herrschenden. Von dem Zeitpunkt an, an dem sie sie billigten, taten sie, was ihnen gefiel, und es gab keine Gewalttat, vor der sie zurückschreckten. Der Glaube an das Glück stellt die von Boshaftigkeit zeugende Lehre der Elite dar und die von Verzweiflung zeugende Lehre der unteren Volksschichten. Wer die Gerechtigkeit und die Menschen liebt, muss sich mit all seiner Kraft gegen sie stellen. * Ein Schüler fragte Mo Di: Warum mühst du dich jetzt, da die Menschen nicht nach Gerechtigkeit trachten, sie vor ihnen einzuklagen? Der Lehrer antwortete: Es wird ein Gleichnis erzählt von einem Mann, der zehn Söhne hatte. Einer seiner Söhne bewirtschaftete seine Felder, während die anderen die Hände in den Schoß legten. Muss nicht der eine mehr arbeiten, weil seine Brüder nichts tun?

Sprüche des Konfuzius

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– Konfuzius sagte: Sind die Tugenden wirklich so weit von uns entfernt? Trachte ich nach Tugenden, so sind sie doch mit mir. – Weisheit hält Zweifel fern, Tugenden halten Leiden fern, Entscheidung hält Angst fern. – Die Vorväter sind mit ihren Worten sparsam umgegangen, da sie fürchteten, ihre Taten könnten ihren Worten nicht entsprechen. – In normalen Zeiten wird ein Mensch zu sagen wagen, was er zu tun wagt; in Zeiten der Not wird er wagemutig handeln, in Worten jedoch Vorsicht üben.

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– Frieden zu lieben und sich nicht unter Menschen zu begeben – dies ist die Tugend des Edlen; sich unter Menschen zu begeben, ohne nach Frieden zu trachten – dies ist die Tugend des Toren. – Der Edle fordert von sich selbst, der Tor von seinem Mitmenschen. – Der edle Mensch sucht die Nähe seiner Mitmenschen nicht aufgrund ihrer Worte und rückt um seiner Mitmenschen willen nicht von Worten ab. – Die Alten hatten keine Ahnung von Kultur und Musik, und die Weisen späterer Generationen waren in Kultur und Musik bewandert. Dennoch ist es für mich besser, den Weisen der früheren Generationen nachzufolgen. – Wer die Reden der Weisen späterer Generationen kennt und wie die Alten handelt, ist zum Lehrer geeignet. – Das Holz eines morschen Baumes taugt nicht dazu, gedrechselt zu werden; eine schlecht getünchte Wand taugt nicht zur Bemalung. Früher habe ich die Reden der Menschen angehört und ihren Taten geglaubt; heute höre ich mir ihre Reden an und prüfe ihre Taten. – Noch habe ich keinen Menschen gesehen, der die geistigen Werte mehr liebte als die Schönheit der Frauen. – Die Menschen können die Wahrheit in Ehren halten, doch die Wahrheit hält sie nicht in Ehren. – Konfuzius sagte: Noch hast du keinen Menschen von wirklich starkem Charakter gesehen. Einer seiner Schüler antwortete ihm und sagte: Doch, so jemanden gibt es. Daraufhin sagte der Lehrer: Dieser gab seinen Begierden nach, d. h. er ist nicht stark. – Fragte der Schüler: Was ist wohl der Charakter eines von all seinen Mitbürgern geliebten Menschen? Antwortete der Lehrer: Darüber ist nichts Allgemeines zu sagen. Fragte der Schüler: Was ist der Charakter eines von all seinen Mitbürgern gehassten Menschen? Antwortete der Lehrer: Auch darüber ist nichts Allgemeines zu sagen. Das Beste für den Menschen ist, von den Guten geliebt und von den Bösen gehasst zu werden. – Fragte der Schüler: Was ist Schande? Sagte der Lehrer: In einem ordentlich geführten Staat steht es dem Menschen an, sich vom Staat aushalten zu lassen; lebt ein Mensch in einem verwahrlosten Staat und lässt sich von diesem aushalten – so ist dies eine Schande.

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Die Zauberperle

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Ein Herrscher Chinas ging über die Grenze der Welt hinaus. Er gelangte an einen hoch emporragenden Berg, und auf diesem sah er den Lebenslauf in seiner ewigen Wiederkehr. Da verlor er seine Zauberperle. Er sandte das Bewusstsein aus, sie zu suchen, doch wurden ihre Spuren nicht gefunden. Da sandte er das Denken aus, sie zu suchen, doch wurden ihre Spuren nicht erkannt. Schließlich sandte er die Selbstvergessenheit aus. Die Selbstvergessenheit fand die Zauberperle. Da sagte der Herrscher: es ist wirklich seltsam, dass gerade Selbstvergessenheit gefunden hat, was ich zu finden wünschte. (Dsuang Si)

Unveröffentlichte Archivmaterialien (Handschriften)

Der Geist der Jungfrau Fen Jün-ting aus Ta-hang kam zufällig in d. Bezirksstadt. An einem Tag schlief er in s. Wohng. Da er als junger Mann s. Frau verloren hatte, war er in Gedanken d. Einsamkeit vertieft; da sah er auf s. Wand e. weibl. Gestalt, die wie ein Bild aussah. Er dachte: das muss Einbildg. sein. E. lange Zeit bewegte sie sich nicht u. verschwand auch nicht. Er wunderte sich darüber, stand auf um d. Gestalt anzusehen. Als er nähertrat, fand er e. wirkl. junges Weib mit verzerrtem Gesicht u. herausgestreckter Zunge. Um d. Hals war e. Strick. Er war ganz erstaunt, denn d. Gestalt schien herunterkommen zu wollen. Er wusste, es musste d. Geist e. Gehängten sein. Da es aber Tag war, fasste er Mut u. war nicht sehr furchtsam u. sagte: Fräulein, wenn Sie Ungerechtigkeit erlitten haben, kann ich Ihnen vielleicht von Nutzen sein. D. Gestalt kam herunter u. sagte: »Ich als Fremde, wie darf ich Ihnen zur Last fallen mit schwerer Angelegenheit? Aber d. Leiche, die unter der Erde ist, kann d. Zunge nicht zurückziehen, weil der Strick nicht weggenommen werden kann. Darum muss ich Sie bitten, d. Balken d. Zimmers zu verbrennen.« Er willigte ein u. d. Gestalt verschwand. Er liess d. Wirt kommen u. fragte danach. D. Wirt sagte: »Hier verstarb vor 10 Jahren d. Familie Meï. Eines Nachts kam ein Dieb ins Haus und wurde v. Meï festgenommen u. vor d. Unterbeamten gebracht. D. Beamte erhielt vom Dieb 300 Taels (etwa 7 Mark), um d. Tochter d. Fam. anzuschuldigen, dass er ihr Geliebter sei. D. Beamte wollte sie untersuchen. Als d. Tochter das hörte, erhängte sie sich. Bald darauf starben Herr u. Frau Meï nacheinander u. d. Haus ging in meinen Besitz über. Meine Gäste sollen oft wunderliche Dinge gesehen haben, aber man hat kein Mittel gefunden, sie zur Ruhe zu bringen«. Fen erzählte ihm d. Rede d. Geistes u. bat ihn, d. Balken d. Zimmers zu verbrennen; da er aber die Kosten für einen neuen Balken nicht aufbringen konnte, versprach Fen ihm nach Kräften zu helfen. Es geschah so. Er wohnte danach wieder in dem Zimmer. Am Abend kam das Mädchen und sprach ihm Dank aus. Ihr Gesicht strahlte vor Freude und Schönheit. Fen hatte grossen Gefallen an ihr und wollte »mit ihr Freude haben«. Sie sagte verschämt: »Das dunkle Element ist Ihnen schädlich und der Schmutz meines Lebens (das mir angetane Unrecht) könnte dann nicht mehr, auch nicht im Flusse d. Westens, abgewaschen werden. Es gibt noch Zeit zusammenzukommen. Heute noch nicht.« Er fragte, wann das sei. Sie lachte u. antwortete nicht. Fen fragte, ob sie trinke: »Nein« war d. Antwort. Fen sagte: »Einer Schönheit gegenüberzusitzen u. nur mit den Augen anzusehen, was für Geschmack hat man davon?« Sie sagte: »Ich habe,

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als ich lebte, viel gespielt. Besonders verstehe ich das Pferdespiel Da wir aber nur zu zweien sind u. die Nacht doch lang ist, kann ich mit Ihnen das Fadenknüpfspiel spielen.« Fen war einverstanden. Sie beugte Knie u. Finger u. verwandelte das Gebilde e. Zeit lang. Fen war ganz verwirrt u. konnte ihr nicht folgen. Sie erklärte ihm inzwischen u. die Sache war immer kunstvoller u. rätselhafter u. d. Kunst war unendlich (unerschöpflich). Fen sagte lächelnd: »Das ist unvergleichliches Geschick eines Weibes.« Sie sagte: »Das habe ich selbst ausgedacht. Mit zwei Fäden kann man alles hervorbringen, ohne dass man es beobachten kann.« Als es tief in der Nacht war, nötigte er sie, zu Bett zu gehen. Sie sagte: »Ich als Geist schlafe nicht. Sie können selbst zur Ruhe gehen. Ich verstehe die ›Kunst des Klopfens‹ u. werde gern mein Können zeigen. Sie werden bald einen schönen Traum bekommen.« Fen nahm d. Anerbieten an. Sie begann mit ihrer Handfläche leise zu streichen v. oben bis zur Sohle, wo ihre Hand vorüberkam, wurde der Knochen betrunken; dann klopfte sie mit den Fingern ganz leise, wie die Berührung von Baumwolltupfen. Es schien dem Körper unaussprechlich süss. Als d. Klopfen an d. Mitte d. Körpers kam, waren sein Mund u. Augen schläfrig. Als es bis zum Gesäss kam, schlief er ein. Als er aufwachte, war es schon Mittag. Er fühlte sich sehr angenehm in Knochen u. Sehnen u. ganz anders als sonst. Sein Herz sehnte sich im Genuss u. rief sie in seine Stube. Es gab aber keine Antwort. Erst am Abend kam das Mädchen. Fen fragte sie: »Wo wohnen sie? Ich habe Sie überall gerufen.« Sie sagte: »Ein Geist hat keinen bestimmten Ort. Ich war wohl unter der Erde.« Er fragte, ob es unter der Erde Raum gibt für einen Körper. Sie sagte: »Wenn der Geist die Erde nicht sieht, ist es, wie wenn der Fisch das Wasser nicht sieht.« Fen fasste ihre Hand u. sagte: »Wenn ich sie lebendig machen könnte, würde ich gern mein ganzes Vermögen opfern.« Sie sagte lächelnd: »Das ist nicht nötig.« Auf diese Weise unterhielten sie sich bis Mitternacht. Fen drängte sie wieder sehr. Sie sagte: »Belästigen Sie mich nicht. Es ist eine Dirne aus Tsche-Hiang, namens Ai-khing. Sie hat seit Kurzem ihre Wohnung in der nördlichen Gegend. Sie ist sehr hübsch. Morgen abend werde ich sie hierher mitbringen, um mich zu vertreten. Was meinen Sie dazu?« Er stimmte zu. Am nächsten Abend kam sie mit einer jungen Frau, etwa dreissig Jahre alt. Ihre Augenbrauen bewegten sich lebhaft, wie von buhlerischen Gedanken getrieben (wörtlich: d. Gedanken machten sich darin bemerkbar). Lustig setzten sich die Drei hin u. spielten d. Pferdespiel. Als die Partie zu Ende war, sagte Meï aufstehend: »Ihr habt glückliche Zusammenkunft, ich werde jetzt gehen.« Fen wollte sie zurückhalten, aber sie war schon verschwunden. Nun bestiegen d. Beiden d. Bett u. die Freude war gross. Er fragte nach ihrer Herkunft, aber sie sagte nicht klar aus,

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nur: »Wenn sie mich begehren, brauchen sie nur mit d. Finger die Nordwand anzuklopfen u. leise zu rufen: Hu-lu-tse. Da werd ich sogleich kommen. Wenn sie nach dreimaligem Rufen keine Antwort bekommen, können Sie annehmen, dass ich keine Zeit habe, u. sollen nicht mehr weiter rufen.« Am nächsten Morgen ging sie durch ein Loch an d. Nordwand weg. Am Abend kam d. Mädchen Meï. Fen fragte nach Ai-khing. Sie sagte, sie sei v. d. jungen Herrn Kau zum Trinken eingeladen worden, daher könne sie nicht kommen. Darauf putzte sie das Licht und sie unterhielten sich. Mehrmals wollte sie etwas sagen, aber sobald sie ihre Lippen öffnete, hörte sie wieder auf. Er fragte sie endlich, aber sie wollte es nicht sagen und seufzte nur. Fen nötigte sie fröhlich zu sein. Erst als die vierte Nachtwache kam, verliess sie ihn. Von nun an kamen die beiden Frauen oft und die Laute d. Lachens waren häufig bis in den Tag. Daher hörten die Bewohner der Stadt davon. Ein Unterbeamter, der auch aus Tsche-küng war, hatte seine erste Frau verstossen, weil sie mit einem Diener heimlichen Verkehr hatte. Mit seiner zweiten Frau aus der Familie Ku lebte er in Liebe u. Zufriedenheit, aber sie starb früh, u. es war ihm sehr leid. Nun hörte er, dass Fen mit Geistern (»Geistigen«) verkehrte, u. wollte nach seinem künftigen Leben fragen. Er kam zu Fen geritten. Fen wollte ihn zuerst nicht einlassen, aber er bat inständig. Fen bereitete ein Mahl, sass mit ihm dabei u. versprach ihm, d. Geisterdirne zu rufen. Als die Sonne untergegangen war, klopfte er an die Wand u. rief; vor dem dritten Ruf kam Ai-khing herbei. Als sie den Gast erblickte, veränderte sich ihr Gesicht u. sie wollte weglaufen. Fen stellte sich ihr in den Weg. Der Beamte betrachtete sie, wurde zornig u. warf eine grosse Schüssel auf sie. Plötzlich war sie verschwunden. Fen war ganz erstaunt und wusste nicht den Grund davon. Als er gerad sich bei d. Beamten erkundigen wollte, kam eine alte Frau aus dem dunkeln Nebenzimmer schimpfend heraus: »Du bestechlicher Dieb, du hast unseren Geldbaum verdorben. Ich muss 30 Kuan (etwa 80 Mark) fordern.« Sie schlug auf d. Beamten mit einem Stock los und traf seinen Kopf. Er fasste sich mit beiden Händen an die Stirn u. sagte flehend: »Das war meine Frau Ku. Sie starb früh. Ich habe immer um sie geklagt. Ich habe nicht gedacht, dass sie als Geist so untreu sein könnte. Was geht es aber dich, Alte, an?« Die alte Frau sagte zornig: »Du warst in d. Provinz Tsche-khiang ein Vagabund. Du hast dir nur einen schwarzen Gürtel (Abzeichen niederer Beamter, also: ein kleines Amt) gekauft u. schon drehst du deinen Nasenknochen um (machst ein ganz anderes Gesicht). Du weisst als Beamter nicht Schwarz von Weiss zu unterscheiden. Wenn du 300 Tael in die Tasche bekommst, glaubst du schon der Herr zu sein. Die Götter sind erzürnt über dich und die Menschen klagen über dich. Deine Zeit drängt

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schon. Deine Eltern haben für dich den unterirdischen König angefleht und sie mussten einwilligen, dass deine geliebte Frau ins ›Grüne Haus‹ komme, um deine Schuld zu sühnen.« Nachdem sie das gesagt hatte, schlug sie weiter. Der Unterbeamte flehte unablässig. Fen war ganz erstaunt und wusste nicht, wie er ihn retten sollte. Nach einer Zeit sah er Meï aus dem Nebenzimmer treten, mit aufgerissenen Augen, heraushängender Zunge und verzerrten Gesichtszügen. Als sie näher kam, stach sie den Beamten mit einer Nadel. Fen war furchtbar erstaunt u. schützte ihn mit seinem Leibe. D. Mädchen war sehr zornig darüber. Fen sagte ermahnend: »Obwohl er gesündigt hat, aber, wenn er in meiner Wohnung stirbt, ist die Schuld auf mir. Ich bitte, diesen Verdacht von mir abzuwenden.« Dann zog d. Mädchen die alte Frau weg u. sagte: »Wir wollen ein wenig ablassen. Kümmern Sie sich um meinetwillen (mir zu Liebe) um Herrn Fen.« Der Beamte entlief eilig wie eine Ratte u. gelangte in sein Amtsgebäude. Er litt am Kopfweh und starb noch in derselben Nacht. In der nächsten Nacht kam d. Mädchen heraus und sagte lachend: »nun habe ich mir mit X Freud die böse Luft? gemacht.« Er fragte sie, welches Unrecht v. d. Beamten sie erlitten habe. Sie sagte: »Es ist schon gesagt worden. Durch Bestechlichkeit bin ich angeschuldigt worden. Ich habe diesen Hass lange in mir getragen. Oft wollte ich Sie bitten, für mich ans Licht zu bringen. Da ich Ihnen aber keine Güte erwiesen hatte, schämte ich mich zu sprechen. Daher habe ich immer wieder aufgehört, wenn ich es sagen wollte. Gestern hörte ich Lärm und horchte auf. Unerwartet war es mein Feind. Fen sagte erstaunt: »So, das war der Mann, der sie angeschuldigt hatte.« Sie sagte: »Er ist hier 18 Jahre als Untermagistrat gewesen. Ich bin vor 16 Jahren durch seine Ungerechtigkeit gestorben.« »Wer war die alte Frau«, fragte er. »Eine alte Dirne« sagte sie. »Und wo ist Ai-khing geblieben?« »Sie liegt krank.« Darauf sagte sie zögernd: »Ich habe früher gesagt, dass es noch Zeit ist für das Zusammenbinden. Jetzt ist es nicht mehr weit. Sie haben gewünscht, Ihr Vermögen zu opfern, um mich zu lösen. Erinnern Sie sich noch?« »Ja, sagte er, ich habe heute noch diesen Willen.« Sie sagte: »Ich will Ihnen die Wahrheit sagen. An dem Tage, wo ich starb, wurde ich in der Familie des Magisters Tschau in Yin-an wiedergeboren. Da ich dieses grosse Unrecht noch nicht gerächt hatte, habe ich bisher hier verweilt. Machen Sie einen Geistbehälter aus neuer Seide, damit ich mit Ihnen gehen kann. Sie können bei der Familie Tschau um ihre Tochter werben. Es wird Ihnen gelingen.« Fen war besorgt, der Rangunterschied sei zu gross, u. befürchtete, er würde nicht Erfolg haben. Sie sagte: »Gehen Sie nun u. seien Sie unbesorgt.« Fen tat nach ihren Worten. Sie ermahnte ihn, dass er vorsichtig sein möchte, sie nicht herauszurufen bis an d. Abend der

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Hochzeit; erst im Brautgemach solle er den Behälter auf den Kopf der Braut tun u. schnell rufen: »Vergiss nicht, vergiss nicht!« Fen machte den Behälter; als er ihn öffnete, sprang sie hinein. Er nahm ihn mit nach Yinan und fand dort wirklich einen Magister Tschau, der eine Tochter hatte, die schön und züchtig war, aber schwachsinnig. Oft liess sie ihre Zunge heraushängen, wie ein Hund von der Sonnenglut keucht. Mit 16 Jahren war sie noch nicht bekannt (d. h. niemand warb um sie). Die Eltern waren so unglücklich, dass sie fast krank waren. Als Fen vor die Tür kam, X er eine Karte hinein und sagte seine Herkunft. Als er d. Haus verlassen hatte, sandte er einen Vermittler hin, um seine Werbung zu überbringen. Tschang freute sich und nahm Fen in seine Familie auf. Die Tochter war völlig gestörten Geistes u. verstand d. Zeremonie gar nicht. Sie musste von zwei Mägden ins Brautgemach geführt werden. Als die Mägde weggegangen waren, machte sie ihr Kleid auf, liess ihre Brust sehen u. lachte Fen in toller Weise an. Fen deckte den Geistbehälter über sie und rief. Sie starrte eine Weile unverwandt vor sich hin, als überlegte sie etwas. Fen sagte lächelnd: »Kennst du mich nicht?«, hob den Behälter auf u. zeigte sich ihr. Ihr war nun klar u. sie machte schnell das Kleid zu. Sie erfreuten sich an einander. Am nächsten Tag ging Fen zu seinen Schwiegereltern. Tschau wollte ihn trösten und sagte: »Meine kranke Tochter hat gar keinen Verstand. Da du schon in meine Familie eingetreten bist, wenn du Lust hast, habe ich zu Hause viele kluge Mägde. Ich werde dir gern davon schenken.« Fen erklärte entschieden, sie sei nicht wahnsinnig. Tschau wollte es nicht glauben. Nach kurzer Zeit kam die Tochter. Ihr Benehmen war vortrefflich. Alle waren erstaunt. Sie lächelte nur. Die Eltern fragten sie aus. Sie war unentschieden (verlegen) und schämte sich zu reden. Fen erklärte es ein wenig für sie. Die Eltern freuten sich über die Massen und liebten die Tochter noch mehr als vorher. Sie liessen ihren Sohn Ta-tschen mit Fen studieren und unterstützten ihn reichlich mehr als ein Jahr. Allmählich wurde Ta-tschen seiner überdrüssig u. verachtete ihn. Daher konnten die Schwager einander nicht vertragen u. d. Dienerschaft machte auch Bemerkungen. Die Eltern hielten ebenfalls nicht Stand und liessen i. d. Höflichkeit allmählich nach. Fens Frau bemerkte es und sagte zu ihm: »Im Haus der Schwiegereltern kann ich nicht mehr lang bleiben. Wenn man lang bleibt (als Schwiegersohn), wird man schlecht behandelt. Jetzt ist die Bezhg. noch nicht gebrochen; du sollst schnell zurückkehren.« Fen hielt es für richtig und sagte es Tschau. Tschau wollte die Tochter zurückbehalten, sie weigerte sich aber. Vater und Bruder waren zornig und gaben ihr nicht Wagen u. Pferd mit. Sie musste von ihrer Mitgift hergeben, um einen Wagen zu mieten. Nachdem sie zurückgekehrt waren, luden die Eltern d. Tochter ein, sie

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zu besuchen. Sie lehnte es aber mit Entschiedenheit ab. Als Fen später Magister geworden war, war erst wieder die Verbindung hergestellt. Da verkehrten sie wieder glücklich mit einander.

Das Opfer In Peking, in der inneren Stadt, kann man noch jetzt einen grossen Turm sehen, der der Turm der Glocke genannt ist. Er wurde im Jahre 1410 durch den Kaiser Yong-Lo errichtet. Als man diese Glocke, die von riesenhafter Grösse ist, giessen wollte, misslang das Werk dem Mandarin KuanYü, der damit betraut war, zweimal nacheinander. Der erzürnte Kaiser liess ihm kundgeben, wenn die Arbeit ein drittes Mal fehlginge, würde er seine Unfähigkeit mit dem Kopfe bezahlen müssen. Kuan-Yü hatte eine sechzehnjährige Tochter, Ko-Ngai genannt, von einer unvergleichlichen Schönheit. Sie trug eine schrankenlose Liebe zu ihren Eltern in der Seele. Nachdem sie ihren unglücklichen Vater zu trösten und zu ermutigen versucht hatte, begab sie sich zu einem berühmten Astrologen, um ihn zu befragen. Der sagte ihr, die Metalle würden sich miteinander nicht vereinigen, wenn in den Bestand der Mischung nicht das Blut einer Jungfrau einginge. Ko-Ngai kehrte nach Hause zurück, erschreckt, aber entschlossen, sich darzubringen, um ihren Vater zu retten. Sie bat ihn um Erlaubnis, ihn zu begleiten, wenn man den neuen Versuch begänne. Am bestimmten Tag stand sie mit einer ihrer Dienerinnen in der Mitte der Verwandten und Freunde, die angstvoll den Gang des Werkes erwarteten. Als es angefangen hatte, war ein Schweigen über der Versammlung. Plötzlich vernahm man einen entsetzlichen Schrei und die Worte »Für meinen Vater«. Dann sah man die schmelzenden Metalle einen Augenblick lang aufwallen und allwärts überströmen. Sie hatten einen neuen Körper empfangen, den Ko-Ngais, die sich, den Kopf voran, in diese Lava von Eisen und Kupfer gestürzt hatte. Ihre Dienerin versuchte sie zurückzuhalten, aber sie vermochte nur einen ihrer Schuhe zu ergreifen. Der Vater wollte seiner Tochter folgen und man musste sich aufs Höchste bemühen, um ihn heimzubringen. Die Weissagung des Astrologen erfüllte sich. Die Glocke ging aus dem Werke vollkommen hervor. Aber man fand nicht die kleinste Spur der unglücklichen Ko-Ngai. Die Mischung hatte die Jungfrau ganz aufgesogen. Man erzählt sich, seit dieser Zeit gebe die Glocke, wenn sie geschlagen wird, einen klagenden Ton, der zuletzt die Stimme einer Frau im Todeskampfe nachahmt, und man höre deutlich das Wort hiai. Das ist KoNgai, so das Volk, die ihren Schuh verlangt.

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Der neue Donnergott Eine chinesische Legende

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Eines Tages wollte der Donnergott einen Sohn bestrafen, der sich gegen seine Eltern aufgelehnt hatte. Der aber hielt ihn am Arm zurück und sprach zu ihm: »Schlage mich nicht. Ich will dich fragen, ob du der neue oder der alte Donnergott bist.« »Was meinst du damit?«, fragte ihn der Gott. »Wenn du der neue Donnergott bist«, antwortete er, »verdiene ich auf der Stelle zerschmettert zu werden; bist du aber der alte Donnergott, dann will ich dir sagen, dass mein Vater sich einst gegen meinen Grossvater aufgelehnt hat. Wo warst du zu jener Zeit?«

[Aus den Gesprächen zwischen Konfuzius und Lao-Tse] Kung Tse ging westwärts, um Schriften in der kaiserlichen Bücherei niederzulegen. Tse Lu sieht ihn und sprach: »Ich habe gehört, dass ein Buchwart, Lao Tan mit Namen, sich von seinem Amt zurückgezogen hat. Wenn Ihr, Meister, Schriften niederlegen wollt, dürfte es angemessen sein, zu ihm zu gehen und sich mit ihm darüber zu bereden.« »Vortrefflich«, sprach Kung Tse und ging hin, Lao Tse aufzusuchen. Aber dieser wollte sich nicht gewinnen lassen. So legte ihm Kung die zwölf Hausschriften dar, um ihn zu überzeugen. Aber Lao Tse unterbrach ihn. »Das ist müssig«, rief er. »Lasst mich die Grundsätze hören.« »Der Grundsatz«, sagte Kung, »ist Menschenliebe und Nächstenpflicht.« »So lasst mich frage«, sprach Lao Tse, »gehören diese zum Urwesen des Menschen?« »So ist es«, antwortete Kung. »Ohne Liebe erwächst nichts zu seiner Höhe, ohne Geselligkeit gelingt nichts zu seinem Werk. Liebe und Pflicht gehören zum Urwesen des reinen Menschen. Wie sonst?« Sag mir doch«, sprach Lao Tse, was das ist: Menschenliebe und Nächstenpflicht?« Kung Tse sprach: »Sich aller Dinge erfreuen können, alles lieben ohne es auf sich zu beziehen, das ist die Weise von Liebe und Pflicht.« »Wehet? eitle Ruh!« rief Lao Tse. »Alles lieben – widerspricht das nicht sich selbst? In die Pflicht der Selbstlosigkeit genommen sein – gibt nicht darin die Selbstsucht sich kund? Wollt Ihr, Meister, dass das Reich seinen Hut nicht verliere, – da sind Himmel [Textabbruch]

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Kommentar

Editorische Notiz Der vorliegende Band folgt den neuen, in Band 9 der MBW (»Schriften zum Christentum«) erstmals vorgestellten Editionskriterien. Die Einleitung, die der Textsammlung vorausgeht, enthält allgemeine Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Texte, ordnet sie in Bubers Gesamtwerk ein und erläutert ihre zeitgenössische Rezeption. Im Kommentarteil des Bandes werden an erster Stelle die in den Variantenapparaten berücksichtigten, mit Siglen versehenen Textzeugen aufgelistet und, falls erforderlich, kurz charakterisiert. Darunter befinden sich ggf. Manuskripte aus dem MBA und die zu Bubers Lebzeiten erschienenen, d. h. die von ihm autorisierten Drucke. Der Bestimmung der Druckvorlage folgen ggf. die bibliographischen Angaben zu den Übersetzungen des Textes und die Aufstellung der Wiederabdrucke nach dem Tod des Autors. Darauf folgend wird ein Variantenapparat geboten, der inhaltliche, den Sinn des Textes verändernde Abweichungen der vorhandenen Textfassungen von der Druckvorlage verzeichnet. Einträge des Herausgebers sowie herausgeberbezogene Zeichen werden kursiv, der edierte Text recte formatiert, es sei denn, er ist auch im Original kursiv hervorgehoben. Der Kommentarteil zu dem jeweiligen Text wird in der Regel durch Wort- und Sacherläuterungen abgeschlossen. Die Texthervorhebungen der Originaltexte mit gesperrter und kursiver Schrift sowie Kapitälchen werden beibehalten. Alle anderen Arten von Schriftauszeichnung – fette Schrift, einfache und doppelte Unterstreichung, Versalschrift – werden vereinheitlicht mit kursiver Schrift wiedergegeben. Im Variantenapparat wird in allen Fällen (außer in den Lemmata) die Hervorhebung durch die gesperrte Schrift angewendet, da die kursive Schrift für die herausgeberbezogenen Zeichen reserviert ist. Die Reihenfolge der Texte Bubers im vorliegenden Band folgt einer chronologischen Ordnung. Den Abschluss bilden undatierte handschriftliche Archivmaterialien zur Thematik des Bandes. In dem Quellen-und Literaturverzeichnis werden nur die in diesem Band tatsächlich zitierten Schriften aufgeführt. Ein Glossar chinesischer Schriftzeichen ist dem Band beigefügt, um dem Spezialisten die von der Herausgeberin benutzte Umschrift zu verdeutlichen.

Diakritische Zeichen Ko r r e k t u r e n v o n B u b e r s H a n d : [Text] Texttilgung hTexti Texteinfügung ! Korrektur zu folgender Variante Herausgeberbezogene Zeichen: x, xx, xxx … Unentzifferte(s) Zeichen X Unentziffertes Wort ? unsichere Lesung des davor stehenden Wortes [Textverlust] eindeutig fehlende, nicht ergänzbare Textlücken wegen Schreibabbruch, Textzeugenbeschädigung etc. {Text} Variante aus einem Textzeugen, eingeblendet innerhalb einer Variante aus einem anderen Textzeugen / Zeilenumbruch Te x t z e u g e n - S i g l e n : Drucke D1, D2… Teilabdrucke, Druckfahnen und Korrekturbögen d1 , d2 … Handschriften H1, H2… Teilhandschriften h1, h2… TS1, TS2… Typoskripte TS1.1, TS1.2… Schichten innerhalb eines Textzeugen

Einzelkommentare Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse Als Martin Buber im Jahr 1910 seine Auswahl der Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse in deutscher Übersetzung herausgab, war dies die erste deutsche Übersetzung aus dem bedeutenden klassischen Werk des daoistischen Philosophen Zhuangzi (zum chinesischen Werk Zhuangzi und seinem Verfasser, siehe die Einleitung zu diesem Band, S. 18 f.). Buber arbeitete zu dieser Zeit an einem Aufsatz über Daoismus und wollte diesen durch einige Texte aus dem Zhuangzi veranschaulichen, wie er rückblickend 1951 über die Entstehung der Reden und Gleichnisse berichtet (siehe in diesem Band, S. 130). Bereits in den 1909 veröffentlichten Ekstatischen Konfessionen (jetzt MBW 2.2) hatte Buber drei Abschnitte »Aus den Büchern des Tschuangtse« wiedergegeben (Ebd., S. 201 f.). Wie schon in den Ekstatischen Konfessionen griff Buber auch für seine Übersetzung der Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse hauptsächlich auf die englische Übertragung von Herbert Giles zurück (Chuang Tzu. Mystic, Moralist and Social Reformer, London 1889), daneben verwendete er aber auch die Übersetzung von James Legge (The Writings of Kwang Ze, in: The Sacred Books of China. The Texts of Taoism, transl. by James Legge, (= The Sacred books of the East. Transl. by various oriental scholars and ed. by F. Max Müller, Vol. XXXIX, XL), London 1891). Er wurde nun zudem von dem Chinesischlehrer Wang Jingtao unterstützt (siehe zu Wang Jingtao ausführlicher die Einleitung zu diesem Band, Anm. 26 u. S. 29 f.). Buber übersetzte keines der von ihm ausgewählten Kapitel aus dem Zhuangzi vollständig. Außerdem ließ er die diskursiven Passagen und die Erklärungen Zhuangzis, die sich im chinesischen Original zu Beginn eines jeden Kapitels oder an Übergangsstellen innerhalb oder zwischen den Kapiteln befinden, unberücksichtigt. Buber bietet lediglich gelegentlich kurze Anmerkungen in Form von Fußnoten. Damit wich er auch von Giles’ Übersetzung ab, der – entsprechend der chinesischen Kommentartradition – umfangreiche Erläuterungen zu den Kapiteln gibt. Insgesamt übersetzte Buber 22 Abschnitte aus den »inneren«, 30 aus den »äußeren« sowie nur zwei aus den »gemischten« Kapiteln (zu diesen Bezeichnungen vgl. die Einleitung zu diesem Band, S. 19) und gab ihnen eigene Titel. An den Stellen seiner Übersetzung, an denen Buber vom Text Giles’ abweicht, beruhen diese Abweichungen zumeist auf der gelungeneren Übersetzung von Legge. Da sich Legge enger an der chinesischen Vorlage

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orientiert als Giles, stellt Bubers Textwiedergabe oftmals eine Verbesserung der Übersetzung Giles’ dar. Während Giles Tian kontinuierlich mit Gott übersetzt, setzt Buber in Übereinstimmung mit der Übersetzung Legges wieder den Begriff Himmel ein. (Himmel ist ein bedeutendes religiöses und philosophisches Konzept aus dem chinesischen Altertum und bezeichnet eine nicht-anthropomorphische Transzendenz.) In ähnlicher Weise übersetzt er wörtlich die Vier Meere (si hai), d. h. die Welt, die man auf allen Seiten von Meer umgeben glaubt, was aber von Giles recht unbeholfen mit Wendungen wie Grenzen der Sterblichkeit oder Grenzen der äußeren Welt wiedergegeben wird. An anderer Stelle weist Bubers Übersetzung jedoch Mängel auf. Der wichtige Begriff shen, der sowohl als Substantiv als auch als Adjektiv spirituelle Eigenschaften oder das Göttliche im Menschen ausdrücken kann, wird von Giles im Allgemeinen als Seele wiedergegeben, und Buber folgt dieser irreführenden Übersetzung. Ähnliches ist bei der Übersetzung von zhenren zu konstatieren: Buber folgt wiederum Giles und übersetzt diesen entscheidenden Begriff mit reine Menschen, anstatt die bessere Übersetzung von Legge, wahre Menschen, zu übernehmen. Insgesamt jedoch bewährt sich Buber als kritischer Übersetzer, der – obwohl mit einer Zweitübersetzung arbeitend –, von einem intuitiven Verständnis des chinesischen Originals geleitet, den Geist des Zhuangzi zweifellos erfasst hat. Die zeitgenössische Rezeption von Bubers erster Publikation zur chinesischen Philosophie fiel überwiegend positiv aus. In den renommierten Zeitungen und Journalen der Zeit erschien eine ganze Reihe von Besprechungen, von denen die meisten Anerkennung und Lob für Bubers Arbeit fanden. Sowohl die Übersetzungsleistung selber wie auch Bubers Verständnis der daoistischen Lehre wurde von den meisten Rezensenten anerkennend gewürdigt (ausführlicher zur zeitgenössischen Rezeption, siehe die Einleitung zu diesem Band, S. 24 f.). Die Neuausgabe der Reden und Gleichnisse aus dem Jahr 1918 (im Folgenden D4) enthält zahlreiche Überarbeitungen stilistischer Art, hauptsächlich Änderungen bei der Transliteration chinesischer Namen und Begriffe. Darüber hinaus hat Buber aber auch die Übersetzung selber umfassend überarbeitet und sie dadurch, wie er selber später in seiner Vorbemerkung zur Neuauflage von 1951 sagt, »vielfach verbessert« (s. in diesem Band, S. 130). Im Rahmen dieser Neubearbeitung ist auch seine »Bemerkung über die Bücher des Tschuang-Tse und dieses Buch«, die sich in der Erstauflage am Schluss des Buches findet, ganz weggefallen, wie dann auch bei allen folgenden Wiederauflagen (zu allen Änderungen in der Neubearbeitung von 1918, s. der Variantenapparat zu die-

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sem Text, in diesem Band, S. 316 ff.). In Bubers eigenen Exemplaren der Ausgaben aus den Jahren 1920 (im Folgenden D6.1) und 1922 (im Folgenden D8.1) finden sich umfangreiche handschriftliche Überarbeitungen des Textes. Die Korrekturen aus D6.1 blieben jedoch in D7 und D8 unberücksichtigt. Sie wurden aber dann in die revidierte Neuauflage aus dem Jahr 1951 (im Folgenden D9) aufgenommen. Die Überarbeitungen, die sich in D8.1 finden, blieben nahezu unberücksichtigt. Im Rahmen der Neuauflage der Reden und Gleichnisse von 1951 stellt die Verwendung der Höflichkeitsform (Anrede in der 2. Person Plural) in Gesprächssituationen innerhalb der einzelnen Geschichten, vor allem zwischen Schüler Lehrer, eine grundsätzliche Veränderung zur persönlicheren DuForm der früheren Ausgaben dar. Diese Veränderung geht auf handschriftliche Korrekturen Bubers in seinem Exemplar der Ausgabe 1920 zurück. Sie werden im Variantenapparat nicht einzeln ausgewiesen. Der Hinweis an dieser Stelle auf diese grundsätzliche grammatikalische Änderung in Bubers Übersetzung soll hier genügen. (Zu den übrigen Änderungen in der Neubearbeitung von 1951 im Einzelnen, s. der Variantenapparat zu diesem Text, in diesem Band, S. 316 ff.) Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 45a); 15 lose Blätter, einseitig beschrieben, paginiert; es handelt sich um eine unvollständige Handschrift von Bubers »Nachwort« (Abschnitte 1-4); zweischichtig: H1.1: Grundschicht: handschriftlich, blaue Tinte. H1.2: Überarbeitungsschicht: handschriftlich, Korrekturen Bubers, von Bleistift. D1: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber, Leipzig: Insel-Verlag 1910 (MBB 103). d2: Teilabdruck (Nachwort): »Von der Lehre«, in: Neue Blätter, Folge 3, Heft 1 u. 2 (= Buberheft), Hellerau: Verlag der Neuen Blätter 1913, S. 15-28; es sind nur die ersten drei Abschnitte des Nachworts abgedruckt (MBB 127). d3: Teilabdruck (Nachwort): »Die Lehre von Tao«, in: Die Rede, die Lehre und das Lied. Drei Beispiele, Leipzig: Insel-Verlag 1917 u. 2. Aufl. 1920, S. 35-94 (MBB 175). D4: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber, neubearb. Ausgabe, Leipzig: Insel-Verlag 1918 (in MBB nicht verzeichnet). D4.1: Autorenexemplar (Arc. Ms. Var. 350, 1322) von D4 mit wenigen handschriftlichen Korrekturen Bubers.

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d5: Teilabdruck (Die Perle, Gegensätze und Unendlichkeit, Zu eigen haben, Der Glockenspielständer, Reine Menschen, Mit den Menschen, Die Kampfhähne, Das ewige Sterben, Unsterblichkeit): Tschuang-Tse, Das Reich regieren [Deutsch von Martin Buber], Jena: Eugen Diederichs Verlag 1919 (= Flugblätter an die Deutsche Jugend, Heft 30) (in MBB nicht verzeichnet). D6: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber, 3. Aufl., Leipzig: Insel-Verlag 1920 (MBB 234). D6.1: Autorenexemplar (Arc. Ms. Var. 350, 1317) von D6 mit handschriftlichen Korrekturen Bubers. D7: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber, 4. Aufl., Leipzig: Insel-Verlag 1921 (in MBB nicht verzeichnet). 8 D : Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber, Leipzig: Insel-Verlag 1922 (in MBB nicht verzeichnet). D8.1: Autorenexemplar (Arc. Ms. Var. 350, 1318) von D8 mit handschriftlichen Korrekturen Bubers. D9: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber, neu revidierte Aufl., Zürich: Manesse Verlag 1951 (MBB 856). d10: Teilabdruck (Nachwort): »Die Lehre vom Tao«, in: Hinweise. Gesammelte Essays, Zürich: Manesse Verlag 1953, S. 44-83 (MBB 919). 11 d : Teilabdruck (Nachwort): »Die Lehre vom Tao«, in: Werke I, S. 10211051 (MBB 1193). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Chinese Tales. Zhuangzi: Sayings and Parables and Chinese Ghost and Love Stories, übers. von Alex Page, mit einer Einleitung von Irene Eber, New Jersey u. London: Humanities Press International 1991, S. 3-107; »The Teaching of the Tao«, in: Pointing the Way. Collected Essays by Martin Buber. Translated from German and edited by Maurice Friedman, London: Routledge and Kegan Paul 1957, S. 3158 (MBB 1045); »The Teaching of the Tao«, in: Pointing the Way. Collected Essays by Martin Buber. Edited and Translated with an Introduction by Maurice Friedman, Neuauflage, New York: Harper & Row 1963, S. 31-58 (in MBB nicht verzeichnet); »The Teaching of the Tao«, in: Pointing the Way. Collected Essays by Martin Buber. Edited and Translated by Maurice Friedman, Paperback Edition, New York: Schocken 1974, S. 31-58 (in MBB nicht verzeichnet).

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Japanisch: »Michi no oshie« [»Die Lehre vom Tao«], übers. von Yamamoto Seisaku, in: Kyoiku ron, seiji ron. Reden über Erziehung und andere Essays. 1910-1961, Tokyo: Misuzu Shobo 1970, S. 80-125 (MBB 1347). Variantenapparat: Vorbemerkung: Die Schreibweise des Namens »Kong-Fu-Tse« wird in D4, D6, D7, D8 zu »Kung-Fu-Tse« verändert, in D9 teilweise zu »Fu-Tse«, in den meisten Fällen zu »Khung-Tse«; die Schreibweise in D9 ist identisch mit Bubers handschriftlichen Korrekturen in D6.1. Änderungen im Inhaltsverzeichnis, die sich aus den in späteren Auflagen geänderten Titeln ergeben, werden nicht extra verzeichnet. Ebenso wird darauf verzichtet, Änderungen bei der Transliteration chinesischer Namen aufzuführen. In D9 ist vor den ersten Textteil eine Vorbemerkung eingeschaltet, die in diesem Band auf S. 130 zum Abdruck kommt, desweiteren eine Umschrift-Tabelle, die hier nicht gesondert aufgeführt wird. 51,2-3 das von einer unstatthaften Torheit war] das übermäßig war D4, D6, D7, D8, D9 51,3 Verstand] Bestand D4, D6, D7, D8, D9 51,5 zugleich aber] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 51,21 In Wahrheit] Absatzwechsel D4, D6, D7, D8, D9 52,Überschrift Die Musik des Himmels] [Die Musik] ! Das Orgelspiel des Himmels D6.1 Das Orgelspiel des Himmels D9 52,22 Tse-Tschi aus Nan-kuo saß über] Tse-Tschi aus Nan-kuo ! Meister Ki von Südmih? saß h den Kopf in den Händeni über D8.1 52,23-24 atmete tief und leicht und […] Seele geschieden] atmete tief [und leicht] und erschien entrückt, als [wären Leib und Seele geschieden] ! hätte er die Welt um sich verloren D8.1 52,24 Yen-Tscheng Tse-Yü] ergänzt Anmerkung Ein Schüler von ihm. D8.1 52,25-27 daß dein Körper […] vordem hier war.«] [daß dein Körper wie ein dürrer Baum wird und dein Geist wie tote Asche? Wahrlich, der Mann, der jetzt über den Tisch lehnt, ist nicht der, der vordem hier war.«] ! kann man wirklich den Leib verbrennen? machen? wie dürres Holz und alle Gedanken auslöschen wie tote Asche? Ihr seid so anders, Meister, als ich Euch vorn? über Euren Tisch gebeugt erblickte. D8.1 52,28 mich selber] [mich selber] ! mein Ich D8.1 52, 29 die Musik] [die Musik] ! das Orgelspiel D6.1, D8.1 das Orgelspiel D9 52,30 die Musik] [die Musik] ! das Orgelspiel D6.1, D8.1 das Orgelspiel D9 52,30 die Musik] [die Musik] ! das {Orgelspiel D6.1 O. D8.1} D6.1, D8.1 das Orgelspiel D9

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52,31 die Musik] die Musik ! das {Orgelspiel D6.1 O. D8.1} D6.1, D8.1 das Orgelspiel D9 52,32 Erkläre mir, was du meinst] [Erkläre mir, was du meinst] ! Darf ich fragen, wie das geschieht? D8.1 52,33 Der Atem der Natur wird Wind genannt] [Der Atem der Natur wird Wind genannt] ! Die grosse N. strömt ihren Atem aus, man nennt ihn Wind D8.1 52,33-34 Zu Zeiten ist er unbewegt] [Zu Zeiten ist er unbewegt] ! Jetzt eben bläst er nicht D8.1 53,5 dünn, schwerere […] eingestimmte] [dünn, schwerere folgen ihnen, doch eingestimmte] ! schrill, keuchende? folgen ihnen D8.1 53,6 geringe Antwort, gewaltige eine große] [geringe Antwort, gewaltige eine große] ! leise Harmonien, unbeherrschte/urbeherrschte? starke Harm. D8.1 53,7-8 Hast du nie unter den Bäumen solch eine Wirrung gewahrt] ergänzt wie dann alles leise noch zittert und weht D8.1 53,9 die Musik] die Musik ! das {Orgelspiel D6.1 O. D8.1} D6.1, D8.1 das Orgelspiel D9 53,10 die Musik] die Musik ! das Orgelspiel D6.1das Orgelspiel D9 53,10 Pfeifen und Flöten, woraus kommt] [Pfeifen und Flöten, woraus kommt] ! gleichgerichteten Röhren, wie ist D8.1 53,11 die Musik] die Musik ! das {Orgelspiel D6.1 O. D8.1} D6.1, D8.1 das Orgelspiel D9 53,13-15 Aber was ist es […] umfaßt das Ganze;] [Aber was ist es, das jeder die Besonderheit, allen das Vermögen des Schalles gibt? Großes Wissen umfaßt das Ganze;] ! Aber hinter all dem steht noch eine treibende Kraft, die macht, dass jene Klänge entstehen, dass sie alle sich erheben. Diese tr. Kr.: wer ist das? / Weisheit macht sicher und frei. D8.1 53,14 Großes] Absatzwechsel D4, D6, D7, D8, D9 53,16 Ob] Absatzwechsel D4, D6, D7, D8, D9 53,26 Musik] Musik ! Töne D6.1 Töne D9 53,28-29 Dürfen wir […] berühren werden?] [Dürfen wir einen Augenblick erhoffen, in dem wir die Ursache berühren werden?] ! Genug, genug! Früh und spät bemerken wir jenes Etwas, von dem sie in ihrem Entstehen abhängig sind. D8.1 53,34 stirbt] stirbt ab D4, D6, D7, D8, D9 54,8 du denn nicht] du nicht D4, D6, D7, D8, D9 54,11-12 Wenn die Milchstraße gefröre] Wenn die grossen Ströme gefrören D4, D6, D7, D8, D9

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54,20 Kong-Fu-Tse] [Kung] Fu-Tse hFu-Tse bedeutet »Meister«; gemeint ist damit wohl Khung-Fu-Tse (Konfuzius)i D6.1 Fu-Tse ergänzt Anmerkung Fu-Tse bedeutet »Meister«; gemeint ist damit Khung-Fu-Tse (Konfuzius). D9 54,20-21 wahre Weise] [wahre Weise] ! Berufene D6.1 Berufene D9 54,34 Weise] Weise ! Berufene D6.1 Berufene D9 55,8 Häuptlings] Häuptlings ! Grenzwarts D6.1 Grenzwarts D9 55,20 Träume] Träumende D4, d5, D6, D7, D8, D9 55,21 ein Traum] im Traum D4, d5, D6, D7, D8, D9 56,2-3 Schreite ins […] entscheidende Ruhe] [Schreite ins Reich des Unendlichen, in deine entscheidende Ruhe] ! Schreite ins Reich des Unbegrenzten und nimm deine Ruh D6.1 Schreite ins Reich des Unbegrenzten und nimm deine Ruhestatt darin D9 56,6-8 flatternder, in allen […] Menschenwesens unbewußt] flatternder[, in allen Zwecken und Zielen ein] Schmetterling [. Ich wußte nur, daß ich meinen Launenwie ein Schmetterling folgte, und war] ! , ohne Sorge und Wunsch, meines Menschenwesens unbewußt D6.1 flatternder Schmetterling, ohne Sorge und Wunsch, meines Menschenwesens unbewußt D9 56,12 Sie überschreiten] Sie überschreiten ! Der Übergang D6.1 Der Übergang D9 56,12 Wa n d l u n g ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9 56,23 g a n z e ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9 57,10 mit der Miene des Triumphes] [mit der Miene des Triumphes] ! befriedigt D6.1 befriedigt D9 57,36 kann weitergegeben werden] wird weitergegeben D4, D6, D7, D8, D9 58,13 Die Heilkunde umfaßt viele und mannigfaltige Krankheiten] Vor der Tür eines Arztes sind viele Kranke D4, d5, D6, D7, D8, D9 58,20 Weisen] Weisen ! Hohen D6.1 Hohen D9 58,22 Bösen] Bösen ! Tyrannen D6.1 Tyrannen D9 58,26 erzeugt nur Eifersucht] [erzeugt nur Eifersucht] ! dient nur dem Widerstreit D6.1 dient nur dem Widerstreit D9 58,28 untadelhafte] untadelhafte ! untadelige D6.1 untadelige D9 58,31 Bösen] Tyrannen D4, d5, D6, D7, D8, D9 58,32 die Menschen] die Menschen ! jene D6.1 jene D9 58,Anm. Des Confucius Lieblingsschüler.] fehlt d5 59,1 es ist nicht genug] es ist {hnichti D4.1, D6.1} genug D4, D6 59,17 des Menschen] des ! der Menschen D6.1 der Menschen D9 59,21 des Menschen] des ! der Menschen D6.1 der Menschen D9 59,23 der Weisen] der [Weisen] D6.1 fehlt D9 59,24 sind doch die Weisen der Vorzeit, die sprechen] [sind doch die

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Weisen der Vorzeit, die sprechen] ! ist doch die Vorzeit, die spricht D6.1 ist doch die Vorzeit, die spricht D9 59,25 Weisen der ] [Weisen der] D6.1 fehlt D9 59,32 erdreiste] erdreiste ! erkühne D6.1 erkühne D9 59,34 F a s t e ] nicht hervorgehoben D4, d5, D6, D7, D8, D9 60,17 heiter] deine Weise singen D4, d5, D6, D7, D8, D9 60,17 unbewegt] verstummend D4, d5, D6, D7, D8, D9 60,18 Kunst] Eindringen D4, d5, D6, D7, D8, D9 61,14 wirst zu Boden stürzen] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 61,15 , ein unheimliches Ding] [, ein unheimliches Ding] D6.1 fehlt D9 61,16-17 Tut er alles […] du es ab.] Tritt er aus dem hergebrachten Maß, so tue du es auch. D4, D6, D7, D8, D9 61,17-18 So wirst du ihn treffen] So kannst du ihn leiten D4, D6, D7, D8, D9 61,19 Mantis religiosa] Gottesanbeterin D4, D6, D7, D8, D9 61,21 wunderbar] überheblich D4, D6, D7, D8, D9 61,31 nicht zu Willen sind] [nicht zu Willen sind] ! zuwider tun D6.1 zuwider tun D9 61,32 Die Pferde lieben […] Bequemlichkeiten] Manche lieben Pferde so sehr, daß sie ihren Dung in Körben und ihren Harn in Krügen aufnehmen D4, D6, D7, D8, D9 61,Anm. Die Gottesanbeterin] Die Mantis religiosa D4, D6, D7, D8, D9 62,2 Ein Zimmermann] Der Zimmermann Schih D4, D6, D7, D8, D9 62,3 Baum] Eichbaum D4, D6, D7, D8, D9 62,6 der Größe nach] ausgehölt D4, D6, D7, D8, D9 62,8 sich umzusehen] [sich umzusehen] ! ihn zu beachten D6.1 ihn zu beachten D9 62,8 Lehrbursche] Geselle D4, D6, D7, D8, D9 62,19 Baum] Eichbaum D4, D6, D7, D8, D9 62,21 Kirschbaum] Weißdorn D4, D6, D7, D8, D9 62,34 dessen Zeit der Gefahren noch nicht vorüber ist,] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 63,2-3 Zehen abgeschnitten] [Zehen abgeschnitten] ! Füsse abgehackt D8.1 63,11 Weiser] Weiser ! Berufener D6.1 Berufener D9 63,20-21 zusammenfallen] zusammenstürzen D4, D6, D7, D8, D9 63,21-22 Wenn er ohne […] nicht teilen] Er hat das gefunden, was ohne Fehle ist; so wird er das Los der Dinge nicht teilen D4, D6, D7, D8, D9 63,23 sein Wesen] sich im Urwesen D4, D6, D7, D8, D9 63,35 Weisheit] Weisheit ! Erkenntnis D6.1 Erkenntnis D9 63,40 Zedern] Zypressen D4, D6, D7, D8, D9 64,3 ganzen] fehlt D4, D6, D7, D8, D9

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64,4 Nährung des leiblichen] Bewahrung des ursprünglichen D4, D6, D7, D8, D9 64,6 ganzen] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 64,8 sich allen Dingen aufprägt] alle Dinge umfängt D4, D6, D7, D8, D9 64,12 anbefohlenen Stunde, und die Menschen] urgewollten Stunde, sich von dannen zu heben, und die Menschen D4, D6, D7, D8, D9 64,33-34 »Ist Kong-Fu-Tse […] Schüler hat?] »[Ist Kung-Fu-Tse ein Weiser oder ist ers nicht? Wie geht es zu, daß er so viele Schüler hat?] ! Khung-Tse ist die Weisheit doch nicht zuteil geworden. Was ist das nur für ein Treiben mit seinen vielen Schülern! D6.1 »Khung-Tse ist die Weisheit doch nicht zuteil geworden. Was ist das nur für ein Treiben mit seinen vielen Schülern! D9 64,36 die Fesseln eines Verbrechers] Handfesseln D4, D6, D7, D8, D9 65,8 Ai-Thai-Tho] ergänzt der elend? Bucklige D8.1 65,9 mühen sich durchaus nicht, ihn loszuwerden] können nicht ohne ihn sein D4, D6, D7, D8, D9 65,10-11 möchte lieber dieses] möchte zehnfach {[zehnfach] D6.1} lieber dieses D4, D6, D7, D8 65,10-11 ›Ich möchte […] andern Gattin sein.‹] ergänzt Er hat schon über ein Dutzend, und es hört noch immer nicht auf. D8.1 65,11 dieses Mannes] [dieses Mannes] ! des Meisters D8.1 65,13-15 Er besitzt keine Kraft […] Herzen erfreuen könnte.] Er besitzt keine Macht, durch die er die Menschen vor dem Tode beschützen könnte. Er hat keine Güter zu vergeben, durch die er ihre Gier befriedigen könnte. D4, D6, D7, D8, D9 65,15-16 ekelerregend] ekelerregend ! widerwärtig D6.1 widerwärtig D9 65,16 Er fühlt mit, aber er belehrt nicht] [Er fühlt mit, aber er belehrt nicht] D6.1 fehlt D9 65,20 ekelerregend] ekelerregend ! widerwärtig D6.1 widerwärtig D9 65,25 Vielleicht war ich ihm nicht gut genug] Ich schämte mich vor ihm D4, D6, D7, D8, D9 65,27 grämte] betrübte D4, D6, D7, D8, D9 66,1 sucht] liebt D4, D6, D7, D8, D9 67,13 innersten] innersten ! untersten D6.1 67,17 Schnell kommen, schnell gehen] Gefaßt kommen, gefaßt gehen D4, d5, D6, D7, D8, D9 67,27 Vollendete] Vollendete ! Berufene D6.1 Berufene D9 67,30 erfreut, ist nicht der Vollendete] erfreut ! ergötzt, ist nicht der [Vollendete] ! Berufene D6.1 ergötzt, ist nicht der Berufene D9 67,30-31 Wer den Menschen Liebe bekundet] Wer Zuneigung hat D4, d5, D6, D7, D8, D9

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67,32 Weise] Weise ! Grosse D6.1 Große D9 67,32 Wer nicht mit Gut und Böse Verkehr hält] Wer nicht Gut und Übel gleicherweise aufnimmt D4, d5, D6, D7, D8, D9 67,34-35 kein Herrscher] nicht der Herrscher D4, d5, D6, D7, D8, D9 67,37 Nan-Po Tse-Kueï] [Nan-Po Tse-Kui] ! Kui, der Meister vom Süden D8.1 67,37 Nü-Yü] Nü-Yü ! Frauenzart D8.1 67,37-38 dein Angesicht […] Kindes] [dein Angesicht] ! Haarfarbe wie das eines hkleineni Kindes D8.1 68,1 gelernt] erfahren D4, D6, D7, D8, D9 68,2 durch Lernen gewinnen] [durch Lernen gewinnen] ! erlernen D8.1 68,4 Pu-Liang-I] Pu-Liang-I ! Sorglos Gradewohl D8.1 68,4 Eigenschaften eines Weisen] Eigenschaften {Eigenschaften ! Gaben D8.1} eines Weisen {Weisen ! Berufenen D8.1} ! des Berufenen D6.1 Eigenschaften des Berufenen D9 68,5 hatte ich Tao, wiewohl] [hatte ich Tao, wiewohl] ! verstehe/habe ich Tao, habe aber D8.1 68,5-8 Aber glaubst du, […] ein leichtes] Aber glaubst du, ich wäre, wie ich es so sehr wünschte, fähig gewesen, ihn, damit er ein vollkommener Weiser würde, Tao zu l e h r e n ? Dann wäre es freilich ein leichtes ! Ihn möchte ich belehren; da wäre vielleicht zu hoffen, dass er ein Berufener würde. Aber auch abgesehen davon: Es ist leicht D8.1 am Seitenrand ergänzt G: ich hatte Lust daran, ihn das Tao zu lehren D8.1 68,6 so sehr] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 68,7 vollkommener Weiser] [vollkommener Weiser] ! Berufener D6.1 Berufener D9 68,7 l e h r e n ] nicht hervorgehoben D9 68,8 eines Weisen] [eines Weisen] ! des Berufenen D6.1 des Berufenen D9 68,9 I c h t e i l t e […] z u r ü c k ] hWenn ich ihn bei mir hätte zur Belehrung,i I c h t e i l t e m i t , a l s h i e l t e i c h z u r ü c k am Seitenrand ergänzt G: Also überraschte ich ihn. D8.1 nicht hervorgehoben D9 68,10 hatte die Scheidung […] aufgehört] [hatte die Scheidung der Dinge für ihn zu sein aufgehört] ! sollte er soweit sein, die Welt überwunden zu haben D8.1 am Seitenrand ergänzt G: die Welt, die unter dem Himmel liegt D8.1 68,12 hatte das […] aufgehört] am Seitenrand ergänzt G: hatte er sich des X entäussert D8.1 68,13 schritt er aus dem eignen Sein heraus] über den Satzteilen notiert dass er das Leben überwunden hatte D8.1 am Seitenrand neben dieser

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Textpassage notiert G: konnte er aus seinem lebenden Dasein herauskommen D8.1 68,13-14 strahlend] darüber notiert klar D8.1 68,14 das Wesen, sein Ich] über den Satzteilen notiert den Einzigen D8.1 68,14 , sein Ich,] [, sein Ich,] D6.1 fehlt D9 68,15 Als er geschaut] Als er hden Einzigeni geschaut D8.1 68,15-16 Als er geschaut […] Gegenwart] am Seitenrand ergänzt G: konnte er sich unablässig vor allen Dingen sehen D8.1 68,16 Leben] Leben ! Geburt D8.1 68,17-18 wo man das […] zu machen.] mit unklarer Zuordnung zu den ursprünglichen Satzteilen über dem Satz notiert Das was dem Tod des Lebens Sterben führt, wird selber nicht geboren. Es ist ein Wesen, das D8.1 68,18 findet] findet ! empfängt D8.1 68,18-19 erbaut] erbaut ! vollendet D8.1 68,19-20 Der Zerschmettert-Unberührte […] die Vollendung] [Der Zerschmettert-Unberührte ist sein Name, und seine Bahn ist die Vollendung] ! Ruhe im Sein?. R. i. S. bedeutet, dass ein Ding den Stand? zur Vollendung kommt. D8.1 am Seitenrand ergänzt G: Von der Ruhe umschlungen D8.1 68,22-23 Vier Männer […] wurde vorgeschlagen] Vier Männer, Tse-Sse, Tse-Yü, Tse-le und Tse-lai, sprachen miteinander, und dies ist es, was sie beredeten D4, D6, D7, D8, D9 68,23-25 »Wer das Nichts […] zugelassen sein.«] »Wer kann das Nichts zum Haupt, das Leben zum Rückgrat, den Tod zum Schweif seines Daseins machen? Wer weiß, wie Tod und Geburt, Leben und Vergehen das eine Wesen bilden? Der soll zu unserer Freundschaft zugelassen sein.« D4, D6, D7, D8, D9 68,27-28 einer von […] anderer, Tse-Sse,] Tse-Yü, und Tse-See D4, D6, D7, D8, D9 68,28 Gott] der Schöpfer D4, D6, D7, D8, D9 68,29-30 ist so verkrümmt […] Oberhaut ist] ist verkrümmt und meine Eingeweide nach oben gekehrt D4, D6, D7, D8, D9 68,30-31 Meine Wangen sind] Mein Kinn ist D4, D6, D7, D8, D9 68,31-32 sitzen über meinem Nacken] ragen über meinen Scheitel D4, D6, D7, D8, D9 68,33 das Gleichgewicht] der Friede D4, D6, D7, D8, D9 68,35 Gott] der Schöpfer D4, D6, D7, D8, D9 68,37 Angst] Widerstreben D4, D6, D7, D8, D9 68,38-69,5 »Was sollte ich fürchten? […] Wagen fahren können] »Wie sollte ich widerstreben? Wenn er mich zerlegt und aus meinem linken

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Arm einen Hahn macht, werde ich die Nachtstunden ausrufen. Wenn er aus meinem rechten Arm eine Armbrust macht, werde ich wilde Enten erjagen. Wenn er meine Hüften in Räder und meine Seele in ein Pferd verwandelt, werde ich in meinem eignen Wagen fahren D4, D6, D7, D8, D9 69,10 Angst haben] widerstreben D4, D6, D7, D8, D9 69,11 ein anderer der vier, namens Tse-Lai,] Tse-Lai D4 , D6, D7, D8, D9 69,12 seine Familie] sein Weib und seine Kinder D4, D6, D7, D8, D9 69,12-13 Der vierte Freund, Tse-Li,] Tse-Li D4 {Tse-le D6 Tse-le ! Tse-Li D6.1}, D7, D8, D9 69,13-14 der Frau und den Kindern] ihnen D4, D6, D7, D8, D9 69,15 Gott] Gott ! der Schöpfer D6.1 der Schöpfer D9 69,15-18 Ich wüßte gern […] einer Schlange] Was wird er jetzt wohl aus dir machen? Wohin wird er dich wohl schicken? Steckt er dich in die Leber einer Ratte oder in das Bein eines Kerbtiers D4, D6, D7, D8, D9 69,20 des Menschen Eltern] dem Menschen mehr als Eltern D4, D6, D7, D8, D9 69,22-25 Tao gibt mir […] mein Sterben entscheiden] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 69,27 Prachtschwert] Heldenschwert D4, D6, D7, D8, D9 69,28 zu Gott] zum Schöpfer D4, D6, D7, D8, D9 69,30 der Schmelztiegel] ein Schmelztiegel D4, D6, D7, D8, D9 69,30-31 Gott ist der Gießer] der Schöpfer ist ein großer Gießer D4, D6, D7, D8, D9 69,31-33 zu erwachen […] Schlaf erwacht] ruhevoll zu erwachen, wie man aus traumlosem Schlaf erwacht.« D4, D6, D7, D8, D9 69,Anm. Nach der Volksmeinung […] keine Leber.] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 70,19 unsern] den D4, D6, D7, D8, D9 70,27 töricht] töricht ! unrichtig D6.1 unrichtig D9 70,28 Gottes] des Schöpfers D4, D6, D7, D8, D9 70,28-29 scheiden nicht […] Himmlischem] ergehen sich in der Ungeschiedenheit von Himmel und Erde D4, D6, D7, D8, D9 70,30 Bei alledem wissen sie nicht] Sie wissen nicht D4, D6, D7, D8, D9 71,3 Auf welchem Wege wird es erlangt?] hIst es mir gewährt, zu fragen,i Auf ! auf welchem Wege [wird es erlangt] ! es erlangt wird? D6.1 »Ist es mir gewährt, zu fragen, auf welchem Wege es erlangt wird?« D9 71,4 sind im Wasser geboren] gedeihen im Wasser D4, D6, D7, D8, D9 71,4-5 ist in Tao geboren] gedeiht in Tao D4, D6, D7, D8, D9 71,5-6 gedeihen sie] finden sie Nahrung D4, D6, D7, D8, D9 71,6-7 kann er sein Leben in Frieden vollenden] bedarf er keines Tuns und ist gesichert D4, D6, D7, D8, D9

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71,34 Unendlichen] Alldurchdringenden D4, D6, D7, D8, D9 71,37-72,1 Wenn du ins Unendliche […] so bitte ich] Wenn du also {[also] ! so D6.1 so D9} verwandelt bist, bist du allen Schranken entrückt worden. Du hast mich überschritten und ich bitte D4, D6, D7, D8 72,6 regieren.] regieren? {[?] ! . D4.1} D4, D7, D8 72,8 Gottes Genosse] der Genosse des Schöpfers D4, d5, D6, D7, D8, D9 72,9 mich] mit {[mit] ! mich D4.1} D4, D7 72,Überschrift Der Magier und der Erlöste] Der Magier und der [Erlöste] ! Vollendete D6.1 Der Magier und der Vollendete D9 72,18 ein Zauberer] ein hgeisterhafteri Zauberer D8.1 72,22 betört] betört ! trunken D8.1 72,26 das Gewand] das Gewand ! die Umrisse D8.1 72,26-27 das Wesen] das Wesen ! das Gesetz D8.1 72,29 Will einer […] einzwingen] [Will einer Tao den Leuten einzwingen] ! Wird dann doch? mit der Walz ein T. geschnitten D8.1 72,30 und ich […] zeigen] [und ich will mich ihm zeigen] ! damit ich es ihm zeige D8.1 73,2 Schaffen] Schaffen ! Werden D6.1 Werden D9 73,14 Dein Lehrer ist […] am anderen] [Dein Lehrer ist niemals an einem Tag wie am anderen] ! Dein Lehrer sitzt nun gesammelter. D8.1 73,15-16 gleichmäßig zu sein] gleichmäßig zu sein ! sich zu sammeln D8.1 73,27-28 die Zeit] der Anbeginn D4, D6, D7, D8, D9 73,29-30 wer ich war […] entfloh er] wen er sah: bald schien es ein Schwinden {[Schwinden] ! stürmender Wirbel D8.1}, bald ein Strömen. So entfloh er D4, D6, D7, D8, D9 73,31-32 Danach war […] gewonnen hatte] Danach verstand Lieh-Tse, daß er noch nicht begonnen hatte, Wissen {Wissen ! Erkenntnis D6.1 Erkenntnis D9} zu gewinnen D4, D6, D7, D8, D9 73,36 Erdklumpen] Erdkloß D4, D6, D7, D8, D9 73,36 in seiner körperlichen Gegenwart] da D4, D6, D7, D8, D9 74, Überschrift Sinne] Sinne ! Das Bohren D6.1 Das Bohren D9 74,8 Bohrlöcher] Öffnungen D4, D6, D7, D8, D9 74,11 ein Loch] eine Öffnung D4, D6, D7, D8, D9 74,22 heraus] hinaus D4, D6, D7, D8, D9 74,Anm. d. i. Plötzlich] d. i. flüchtig D4, D6, D7, D8, D9 74,Anm. d. i. Achtlos] d. i. plötzlich D4, D6, D7, D8, D9 74,Anm. So wird gewöhnlich […] bezeichnet] So wird das noch ungeschiedene Urwesen {(»Chaos«) D4, D6, D7, D8 [(»Chaos«)] D6.1} bezeichnet D4, D6, D7, D8, D9

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75,3 Denkens] Geistes D4, D6, D7, D8, D9 75,11-12 und steigert […] menschlichen Irrtums] , so sehr geht sie in die Irre D4, D6, D7, D8, D9 75,19 wie seinen eignen Körper] sein eigenes Selbst D4, D6, D7, D8, D9 75,20 wie seinen eignen Körper] sein eignes Selbst D4, D6, D7, D8, D9 75,22 Und wenn ich mich] Und wenn {[Und wenn] ! Wenn D6.1 Wenn D9} er sich D4, D6, D7, D8, D9 75,22 mein] sein D4, D6, D7, D8, D9 75,23 meine] seine D4, D6, D7, D8, D9 75,23 ich] er D4, D6, D7, D8, D9 75,24 sitze] unbewegt ist D4, D6, D7, D8, D9 75,24 meine] seine D4, D6, D7, D8, D9 75,25 meine] seine D4, D6, D7, D8, D9 75,25-26 und die Mächte des Himmels antworten] [und die Mächte des Himmels antworten] ! antworten die Mächte des Himmels D6.1 antworten die Mächte des Himmels D9 75,26 Wandlung meines] Regung seines D4, D6, D7, D8, D9 75,28 habe ich dann] hat {hat ! hätte D6.1 } er D4, D6, D7, D8, D9 75,33 in Ordnung zu halten] gut zu machen D4, D6, D7, D8, D9 76,11 Herr] Herr ! Meister D6.1 Meister D9 76,14 reiche Ernten zu erzielen] die fünf Kornarten gedeihen zu machen D4, d5, D6, D7, D8, D9 76,14-15 Yin und Yang] ergänzt Anmerkung Das negative und das positive, das passive und das aktive, das dunkle und das helle Element, aus deren Zusammenwirken alle Dinge entstanden sind. d5 76,22 erblaßt, und des Schmeichlers […] allerorten] erblaßt. Wie eines wortgewandten Schmeichlers ist dein Sinn D4, d5, D6, D7, D8, D9 76,23 reden] vernehmen wollen D4, d5, D6, D7, D8, D9 76,24 dem Thron] der Herrschaft D4, d5, D6, D7, D8, D9 76,29 Herr] Herr ! Meister D6.1 Meister D9 76,34 Weite] Höhe D4, d5, D6, D7, D8, D9 77,3 denkt] weiß D4, d5, D6, D7, D8, D9 77,9 Diese Gewalten sind] Hier sind D4, d5, D6, D7, D8, D9 77,9-10 und jede der beiden faßt die andere in sich] hier ist die Wohnung des Yin und des Yang D4, d5, D6, D7, D8, D9 77,11 eignes] fehlt D4, d5, D6, D7, D8, D9 77,18 sterblich] vergänglich D4, d5, D6, D7, D8, D9 77,18 ewig] unerschöpflich D4, d5, D6, D7, D8, D9 77,23 dem Staube] der Erde D4, d5, D6, D7, D8, D9 77,24 zum Staube] zur Erde D4, d5, D6, D7, D8, D9 77,26 weiß] achte D4, d5, D6, D7, D8, D9

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77,27-28 werde dauern] [werde dauern] ! bestehe D6.1 bestehe D9 77,Überschrift Wolkengeist] Wolkengeist ! Wolkenfürst D6.1 Wolkenfürst D9 77,Überschrift Lebenswirbel] Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1} D4, D6, D7, D8 Urnebel D9 77,30 Geist] Geist ! Fürst D6.1 Fürst D9 77,30 Luftraum] Luftraum ! Luftwirbel D6.1 Luftwirbel D9 77,31 Lebenswirbel] Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1} D4, D6, D7, D8 Urnebel D9 77,31-32 auf die Rippen zu klatschen und] [auf die Rippen zu klatschen und] ! mit den Armen umschließend D6.1 mit den Armen umschließend 77,32 Der Wolkengeist fragte:] Der Wolkengeist {[Wolkengeist] ! Wolkenfürst D6.1 Wolkenfürst D9} war erstaunt, er trat ehrfürchtig zur Seite und fragte: D4, D6, D7, D8, D9 77,34 Lebenswirbel] Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1} D4, D6, D7, D8 Urnebel D9 77,35 weiter] fehlt D6, D9 77,35 Wolkengeist] Wolkengeist ! Wolkenfürst D6.1 Wolkenfürst D9 77,36 »Bah! […] ihn an.] Der Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1 Urnebel D9} hob den Blick, sah ihn an und sprach: »Bah!« D4, D6, D7, D8, D9 77,37 »Die Beziehung […] Fugen geraten,«] »Die Gewalt des Himmels ist aus dem Einklang geraten, die Gewalt der Erde ist gefesselt,« D4, D6, D7, D8, D9 78,1 Wolkengeist] Wolkengeist ! Wolkenfürst D6.1 Wolkenfürst D9 78,5 Lebenswirbel] Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1} D4, D6, D7, D8 Urnebel D9 78,6 Klatschen und] [Klatschen und] D6.1 fehlt D9 78,7 Wolkengeist] Wolkengeist ! Wolkenfürst D6.1 Wolkenfürst D9 78,8-9 Lebenswirbel] Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1} D4, D6, D7, D8 Urnebel D9 78,11 tief] zweimal zu Boden D4, D6, D7, D8, D9 78,11-12 Lebenswirbel] Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1} D4, D6, D7, D8 Urnebel D9 78,14 in dieser verzückten Art] in dieser ausgelassenen Art {[in dieser ausgelassenen Art] ! die Arme um mich geschlungen D6.1} D4, D6, D7, D8 die Arme um mich geschlungen D9 78,14 erwarte die Ereignisse] sehe zu, wie alles seinen Weg geht D4, D6, D7, D8, D9 78,16 Wolkengeist] Wolkengeist ! Wolkenfürst D6.1 Wolkenfürst D9

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78,16-18 Leute hängen […] Macht berufen] Menschen folgen allen meinen Bewegungen. So kann ich nicht vermeiden, ihr Lenker zu sein D4, D6, D7, D8, D9 78,19 des Reiches] der Welt D4, D6, D7, D8, D9 78,19 Lebenswirbel] Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1} D4, D6, D7, D8 Urnebel D9 78,20 geschändet] verwirrt D4, D6, D7, D8, D9 78,21 siegt] wirkt D4, D6, D7, D8, D9 78,22 der Luft] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 78,25 Wolkengeist] Wolkengeist ! Wolkenfürst D6.1 Wolkenfürst D9 78,25 t u n ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9 78,26 Lebenswirbel] Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1} D4, D6, D7, D8 Urnebel D9 78,28 Wolkengeist] Wolkengeist ! Wolkenfürst D6.1 Wolkenfürst D9 78,30-31 »Füttere denn […] deinem Herzen.] [»Füttere denn dein Volk«, sprach der Urnebel, »mit deinem Herzen.] ! »Lass denn«, sprach der Urnebel, »dein Herz wirken D6.1 »Laß denn«, sprach der Urnebel, »dein Herz wirken! D9 78,30 Lebenswirbel] Urwirbel {[Urwirbel] ! Urnebel D6.1} D4, D6, D7, D8 78,32 Häute dich. […] alle Unterschiede] Gib deinen Leib auf. Speie deine Sinneskraft aus. Vergiß die Dinge D4, D6, D7, D8, D9 78,34 nichts! Gib allen Dingen,] nichts. Lass alle Wesen D4, D6, D7, D8, D9 78,34 Urbeschaffenheit] Urbeschaffenheit ! Wurzel D6.1 Wurzel D9 78,35 es ohne Wissen tun] [es] ohne Wissen [tun] ! zur Wurzel heimkehren D6.1 ohne Wissen zur Wurzel heimkehren D9 78,39 Du] [Du] D6.1 fehlt D9 78,39 Wolkengeist] Wolkengeist ! Wolkenfürst D6.1 Wolkenfürst D9 78,39 als er sich] ehe er sich zweimal zu Boden D4, D6, D7, D8, D9 79,4-5 und bestieg die Berge von Kun-lun.] , bestieg den Berg Kun-lun und schaute gegen Süden. D4, d5, D6, D7, D8, D9 79,5 Auf der Rückfahrt nach dem Süden] Auf der Heimfahrt D4, d5, D6, D7, D8, D9 79,6 Vernunft] Wissen {[Wissen] ! Erkenntnis D6.1} D4, D6, D7, D8 Erkenntnis D9 79,6 Vernunft] es {[es] ! sie D6.1} D4, d5, D6, D7, D8 sie D9 79,7 Schauen] Klarsicht D4, d5, D6, D7, D8, D9 79,7 Schauen] sie D4, d5, D6, D7, D8, D9 79,8 Wort] Redegewalt {[Redegewalt] ! Denkgewalt D6.1 } D4, d5, D6, D7, D8 Denkgewalt D9 79,8 Wort] sie D4, d5, D6, D7, D8, D9 79,9 Nichts] Absichtslos D4, d5, D6, D7, D8, D9

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79,9 Nichts] es D4, d5, D6, D7, D8, D9 79,10 Nichts] Absichtslos D4, d5, D6, D7, D8, D9 79,12 war das Nichts] war das hNichtsein desi Nichts D6.1 war das Nichtsein des nichts D9 79,13 da war das Eine, aber es war] fehlt D6.1, D9 79,13 formlos. Als] [formlos. Als] ! formlos, daraus D6.1 formlos, daraus D9 79,13-15 Als die Dinge das gewannen […] Tu g e n d genannt.] Als die Dinge ins Dasein traten, gewannen sie {[ins Dasein treten, gewannen sie] ! gewinnen D6.1 gewinnen D9}, was ihre Tu g e n d genannt wird. D4, D6, D6.1, D7, D8, D9 79,15-16 Lücke war, wurde S c h i c k s a l ] [Lücke war, wurde Schicksal] ! Schiedlichkeit ist, wird B e s t i m m u n g D6.1 Schiedlichkeit ist, wird B e s t i m m u n g D9 79,16 S c h i c k s a l ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8 79,17-18 den Gründen des Lebens gemäß entstanden] sich den Gründen des Lebens gemäß vollendeten D4, D6, D7, D8, D9 79,21 vollendet] erfüllt D4, D6, D7, D8, D9 79,26 Einklang mit Tao] der große Einklang D4, D6, D7, D8, D9 79,28 in Han-yin] an einem Ort nördlich des Hanflusses D4, D6, D7, D8, D9 80,5 eine Vorrichtung] ein Hebel D4, D6, D7, D8, D9 80,9 sah ärgerlich aus und sagte] sah ihn ärgerlich an, lachte und sprach D4, D6, D7, D8, D9 80,17 verlegen und sagte nichts] verlegen, senkte den Kopf und sagte nichts D4, D6, D7, D8, D9 80,21-22 den Rest der Menschheit] die Menge D4, D6, D7, D8, D9 80,22-23 in einer Tonart […] singen kann] einsam schwermütige Lieder singen D4, D6, D7, D8, D9 80,23 Eigensucht] Geisteskraft D4, D6, D7, D8, D9 80,24 Fesseln des Fleisches abstreifen] Gebärden abtun D4, D6, D7, D8, D9 80,Anm. anscheinend […] festgestellt ist] allegorische Namen, die etwa als »Urkeimgewalt« und »Ostwind« zu deuten sind D4, D6, D7, D8, D9 81,1 du hast gewiß die Menschheit] hast du {[hast du] ! habt Ihr D6.1} nicht die Menschen {[Menschen] ! Wesen, die die Augen vorn haben, D6.1}D4, D6, D7, D8 habt Ihr nicht die Wesen, die die Augen vorn haben, D9 81,4-7 Das Talent ist […] Wink genügt] Alle Stellen werden den Befähigten zugeteilt. Alle Umstände werden erwogen, ehe man handelt. Reden und Tun geschieht frei aus dem Innern, und die Welt {[die Welt] ! das Reich D4.1} ist verwandelt. Ein Wink, ein Blick genügt D4, D6, D7, D8, D9

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81,8-9 der vollkommenen Tugend] der Tugend D4, D6, D7, D8, D9 81,10 Mann der vollkommenen Tugend] Mann der Tugend D4, D6, D7, D8, D9 81,13 erwerben] seiner genießen D4, D6, D7, D8, D9 81,13 alle miteinander teilen] er sich unter alle austeilt D4, D6, D7, D8, D9 81,18 Mann der vollkommenen Tugend] Mann der Tugend D4, D6, D7, D8, D9 81,30 Urbild] Meister {[Meister] ! Urbild D6.1 }D4, D6, D7, D8 81,32 Urzeit] Urzeit ! Vorzeit D6.1 Vorzeit D9 82,Überschrift Der Wagner] Der Wagner ! Bücher D6.1 Bücher D9 82,2 ein Wagner] der Wagner Fiën { [Fiën] ! Pien D6.1 Pien D9} D4, D6, D7, D8, D9 83,1 starke] heftige D4, D6, D7, D8, D9 83,27-28 in der Leere] im Dunkel D4, D6, D7, D8, D9 83,31 Weisen] Weisen ! Berufenen D6.1 Berufenen D9 84,1 Endlich] Zuletzt D4, D6, D7, D8, D9 84,6 stolze] hochmütige D4, D6, D7, D8, D9 84,7 sich absondern] sich ins Gebirge zurückziehen D4, D6, D7, D8, D9 84,8 abseits stehen] in Schluchten stehen D4, D6, D7, D8, D9 84,10 die Sparsamkeit verkünden] die Mäßigkeit, die Selbstlosigkeit, das freundliche Betragen verkünden D4, D6, D7, D8, D9 84,11-12 Menschheitslehrer meinen […] Reisen unternehmen.] [Menschheitslehrer] ! Weltbelehrer meinen, die um der Weisheit willen [Reisen unternehmen] ! umherwandern D6.1 Weltbelehrer meinen, die um der Weisheit willen umherwandern. D9 84,31 Weisen] Vollendeten D4, D6, D7, D8, D9 84,35 eine Kuh] einen Ochsen D4, D6, D7, D8, D9 85,6 nur einen Teil] hundert Abschnitte D4, D6, D7, D8, D9 87,22 wie Hebung und Senkung] wie Hebung und Senkung, je nachdem wo man steht D4, D6, D7, D8, D9 87,24-25 vom Gebenden […] gesehen.] je nachdem sie der Gebende oder der Empfangende betrachtet. D4, D6, D7, D8, D9 87,25 Sie so betrachten] Sie als beharrend betrachten D4, D6, D7, D8, D9 88,12 im rechten Winkel] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 88,21 ein Wandel] eine Wandlung D4, D6, D7, D8, D9 88,22 ein Wandel] eine Wandlung D4, D6, D7, D8, D9 88,29 ehrgeiziger Bürger] Ehrgeiziger D4, D6, D7, D8, D9 88,31 im Aufruhr unterging] mit dem Beil hingerichtet wurde D4, D6, D7, D8, D9 88,31-32 der ein Erbe] der seinem Geschlecht ein Erbe D4, D6, D7, D8, D9 89,3 gut] geschickt D4, D6, D7, D8, D9

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89,8-9 Unser Sein ist das Sein des Alls.] Unser geschlichtetes Sein ist das Sein von Himmel und Erde. D4, D6, D7, D8, D9 89,11 noch] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 89,14-15 zu deinem Weibe […] Jugend] zu Weib und Kind, zu Freunden und Vertrauten D4, D6, D7, D8, D9 89,22-23 ersteigt die […] Gefahr] tritt in den Lüften einher ohne zu zittern D4, D6, D7, D8, D9 90,6 Weise] Weise ! Berufene D6.1 Berufene D9 90,7-10 Ein Rächer […] Todesstrafe mehr.] [Ein Rächer zerbricht nicht das Schwert, das gemordet hat; der Jähzornigste läßt seinen Unwillen nicht an dem Ziegel aus, der ihm auf den Kopf fiel. Unter diesen Grundsatz gestellt, wäre das Reich in Frieden; da gäbe es keine Kriegeswirren, keine Todesstrafe mehr.] D6.1 fehlt D9 90,11-13 Entfalte nicht […] Vollendung nahe.«] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 90,Überschrift Der Grillenfänger] Der Zikadenfänger D4, D6, D7, D8, D9 90,16 Grillen] Zikaden D4, D6, D7, D8, D9 90,21 Grillen] Zikaden D4, D6, D7, D8, D9 90,22 Grillen] Zikaden D4, D6, D7, D8, D9 90,23 Grillen] Zikaden D4, D6, D7, D8, D9 90,26 Grillen] Zikaden D4, D6, D7, D8, D9 90,28 Grillen] Zikaden D4, D6, D7, D8, D9 91,3-4 Ich wollte wissen […] zu sagen] Was ich wissen wollte, sagte er mir nicht D4, D6, D7, D8, D9 91,4 gewährt] gestattet D4, D6, D7, D8, D9 91,11 Rechenpfennige] Tonscherben {[Tonscherben] ! Ziegelsteine D8.1} D4, D6, D7, D8, D9 91,12 seinen Gürtel mit der Kleinmünze] eine Erzspange {[Erzspange] ! Gürtelspange D8.1} D4, D6, D7, D8, D9 91,26 dem Schlachthaus zu entrinnen] im Stall zu bleiben D4, D6, D7, D8, D9 92,2 Kampfhähne] einen Kampfhahn D4, d5, D6, D7, D8, D9 92,3 die Vögel] der Vogel D4, d5, D6, D7, D8, D9 92,4 Tschi] Tschi ! er D6.1 er D9 92,6 Tschi] Tschi ! er D6.1 er D9 92,8 Tschi] Tschi ! er D6.1 er D9 92,10 ihm Tschi] heri ihm [Tschi] D6.1er ihm D9 92,23 sammelte mich] [sammelte mich] ! fastete D8.1 93,5 liebte] ehrte D4, D6, D7, D8, D9 93,5 haßte] verachtete D4, D6, D7, D8, D9 93,33-34 kein Ort, den sie nicht erleuchtete] kein Ding, das sich nicht nach ihr richtete D4, d5, D6, D7, D8, D9

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94,1 sehen und gehen] ihr Werk tun D4, d5, D6, D7, D8, D9 94,16 liebe, ist das Wandelbare] bewundre, ist wandelbar. Was du an mir bewunderst, ist wandelbar D4, d5, D6, D7, D8, D9 94,21 Dunklen] unfaßbaren D4, D6, D7, D8, D9 94,22 fragte ihn] sprach zu ihm D4, D6, D7, D8, D9 94,23 »Was ist zu denken] ergänzt davor »Ich möchte dich etliches fragen. D4, D6, D7, D8, D9 96,2 wo ist es?«] wo ist es zu finden?« D4, D6, D7, D8, D9 98,16 Eckigkeit] Wendung D4, D6, D7, D8, D9 98,17 Rundheit] Drehung D4, D6, D7, D8, D9 98,26-27 Dichtung] Lieder D4, D6, D7, D8, D9 98,34 ungläubig] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 99,1 Nigellakraut] Nieswurz D4, D6, D7, D8, D9 99,6 reinen] wahren D4, D6, D7, D8, D9 99,8 »Laß uns«] »Darf ich« D4, D6, D7, D8, D9 99,9 gehen.«] gehen?« D4, D6, D7, D8 99,16 setzen] stellen D4, D6, D7, D8, D9 99,16 Kleider] Feierkleider D4, D6, D7, D8, D9 99,33 erschlagen] richten hin D4, D6, D7, D8, D9 101,Titel Nachwort] Die Lehre H1.1 Von der Lehre d2 Die Lehre von {vom d10, d11} Tao d3, d10, d11 101,Kapitelnummerierung 1.] fehlt H1.1 101,1-2 das alte Wissen] [die Wahrheit] ! das alte Wissen H1.1 101,2-3 in seinen Werten] in all seinen Werten H1.1 101,3-4 Volksgliedern] [Volksmenschen ! Volksgliedern] H1.1 Völkern d2 101,4 erhebt] aufbaut ! erhebt H1.1 101,5 Abendlandes in unbedingter] Abendlandes [noch] in unbedingter H1.1 101,5 sondert] abhebt ! sondert H1.1 101,6-7 natürlicherweise an] natürlicherweise [nicht bloss in räumlichen] ! an H1.1 101,8 da ja die im Geistigen bestimmende] da ja die him Geistigeni bestimmende H1.1 101,9 andern] früheren ! andern H1.2 101,12 freilich unter] freilich wohl unter H1.1 101,13 Lehre] hervorgehoben H1.1 101,14 Geist] Geist ! Menschengeist D6.1 Menschengeist D9, d10, d11 101,17 entgegentritt] aufwartet ! entgegentritt H1.1 101,19-20 Alle primitive […] sind Magie] [Wenn sich der primitive Geist im technischen, lebenbewältigenden Zweck erschafft, so ist hinwie-

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der] [alle] ! Alle primitive Technik hund alle primitive Organisationi hsindi nichts [auch] als Magie H1.1 101,22-23 aus dem sich […] und verselbständigt.] [dem] ! aus dem sich ihr Eigenleben erst [in] allmähliche[r] [Verselbständigung] herauslöst und verselbständigt. H1.1 101,25 sehr viel langsamer als] [langsamer als in in einem ganz anderen Tempo] ! sehr viel langsamer als H1.1 101,26-27 Volksreligiosität […] lebendige Dauer] Volksreligiosität hin der sich die undifferenzierte Ganzheit des Lebens bewahrt hat,i Dauer H1.1 101,28 Lösung] Losmachung H1.1 101, 28 schnell] gleichzeitig ! schnell H1.1 101, 28 langsam] spät ! langsam H1.1 101,29-30 an den Produkten […] magische Charakter] an den Teilmächten haftet der magische Charakter noch lange nach ihrer Herauslösung H1.1 101,30-33 So verharrt z. B. […] Eigenzweck verleiht.] [So verharrt z. B. die Kunst des Orients lange Zeit im Magischen, hat ihm? hsogari vielleicht nie völlig entschwangen, vielleicht nicht einmal in der Ostasiens, wo die nicht mehr Götter herabbringen, nicht mehr Tote im Sein erhalten will, wohl aber jeden verantwortenden Menschen mit der X Ahnenwelt spielte noch Magisches hinein, ist Europa nun in der byzantinischen [Textverlust]] ! So verharrt die Kunst des Orients vielfach auch nach Erlangung [ihrer vollen] ! der ihr erwachsenen? bildnerischen Freiheit und Macht noch [lange Zeit] in der magischen Intention, wogegen [in Europa X von der byzantinischen Kunst, X [Textverlust]] ihr im Abendlande die Erreichung dieser Höhe das Eigenrecht und den Eigenzweck verleiht H1.1 101,34-102,3 Unter den drei […] zu lösen vermag.] [Der aus der Ureinheit gelöste Geist ist gestaltend und weisend.] Der [weisende] Geist des Morgenlandes baut sich in drei Erscheinungsformen auf, [von denen das Abendland nur] {hderi H1.2} Wissenschaft, {hdemi H1.2} Gesetz und [die] ! der Lehre. Dem Abendland sind nur die beiden ersten eigen. H1.1 102,4-5 Es scheint […] abzuheben.] fehlt H1.1 102,6 von einem] von einem ! vom H1.1 102,8-9 die der Gegenstand der Wissenschaft ist] fehlt H1.1 102,10 eines Sollens] des Sollens H1.1 102,20 e i n e n ] nicht hervorgehoben H1.1, d3 102,21 sich selber] fehlt H1.1 102,27 übernommen] empfangen ! übernommen H1.1

Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse

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102,28 aus sich erfüllt] aus sich selbst erfüllt D4, D6, D7, D8, D9, d3, d10, d11 102,29-30 Wissenschaft steht […] Erkenntnis] [Keine Zweiheit aber ohne Erfahrung] ! Wissenschaft steht auf der Zweiheit von Wirklichkeit und Erkenntnis H1.1 102,31 des Einen, das not tut.] des Einen, das not tut, [und das besessen, gelebt und aus sich erfüllt werden [Textverlust]] H1.1 102,32-33 Man darf immerhin […] und Gesetz haben] [Man darf immerhin die Lehre als eine Synthese von Geist und [Textverlust]] ! Man darf immerhin den Sinn, den die Worte Sein und Sollen in Wissenschaft und Gesetz haben H1.1 102,35-36 das keinem Gebote […] und Sollen. Aber] das keinem Gebote untertan ist[.] ! , hund die Lehre als eine Synthese von Sein und Sollen.i Aber H1.1 102,38 zunichte und präsentabel machen] zunichte hund präsentabeli machen H1.1 102,40 Lehre zu schaffen habe.] ergänzt [Die Lehre] ! [Der Gegensatz von Innen und Aussen ist ein dialektischer] H1.1 102,40-41 Diese Phrasen […] wirrer Trug] Diese Phrasen einer hergebrachten [religiösen] ! gläubig-aufklärerischen [, dialektischen? und selbstsicheren?] Rhetorik [können den Gegenstand nicht berühren] ! sind nichts als wirrer Trug H1.1 103,3 Grundmächten des Geistes] [Mächten des] ! [Grundmächten des Geistes] ! Erscheinungsformen des Geistes H1.1 103,5 wäre unsinnig] [ist unzulässig] ! wäre unsinnig H1.1 103,13 wesenhafte Unterschied der Lehre von Wissenschaft und Gesetz] [wesentliche] ! wesenhafte Unterschied hder Lehrei von Wissenschaft und Gesetz H1.1 103,14 Die Lehre bildet] Die Lehre [entwickelt] ! bildet H1.2 103,16 reine Erfüllung] [reinste] ! reine Erfüllung H1.2 103,19 des Verfalls, der Kontamination und Zersetzung] der Kontamination d10, d11 103,20 das Notwendige] das Absolute H1.1 103,25-27 in dem Einen […] im Regenbogen] in dem Einem aufgehoben hwie die sieben Farben im weissen Lichti; in der Religion sind sie zur Gemeinschaft verbunden [. Die Lehre ist das [weisse] ! glühende Licht aus sieben Farben, die Religion ist der hglühendei Regenbogen] ! wie die sieben Farben im Regenbogen H1.1 103,28-29 ergreift Besitz von der Religion] hält wieder Einzug in der Religion 103,30 schillernden] bunten ! schillernden H1.2 103,34 reinste] reine d2

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103,41 das Notwendige] das Eine, das not tut H1.1 104,3-4 allerlebendigste.] allerlebendigste h, die es geben kann.i H1.1 104,4-5 nicht die zusammenfassende Einheit] nicht die hzusammenfassendei Einheit H1.1 104,5 nicht die gesetzte Einheit] nicht die hgesetztei Einheit H1.1 104,5-6 Einheit eines Gottes oder des Geistes] Einheit des Geistes d10, d11 104,10 Das wahrhafte Leben ist das geeinte Leben.] Das wahrhafte Leben ist das Leben in der Einheit, das geeinte Leben h, das sich in sich selber erfüllti. H1.1 104,11-14 Es gibt aber […] Einheit der Einsgewordenen] Nun gibt es aber hwie es zweierlei Güte und zweierlei Weisheit gibt, elementare und gewonnene,i hso auchi zweierlei Einheit im Menschen, an der sich die Lehre bewähren und verwirklichen kann: [wie es zweierlei Güte und zweierlei Weisheit gibt, elementare und gewonnene,] die Einheit der Einfältigen und die Einheit der Einsgewordenen H1.1 104,14-15 ihrer Bildung] ihres Werdens H1.1 104,15 den Einsgewordenen] berichtigt aus der Einsgewordenen nach D4, D6, D7, D8, D9 104,15 Aber sowie] Aber hsoiwie H1.2 104,16-17 die Reinheit und die schlichte Kraft] die [Kraft und die X] ! die Reinheit und die [Kraft] ! schlichte Kraft H1.1 104,18-19 , daß ihre tiefe […] Narrheit heilige.] fehlt H1.1 104,20 hören] vernehmen d3 104,25-26 Auch schon solange […] nicht entraten] [Solange die Lehre hnuri zu den Einsgewordenen spricht, ist sie stumm. [Nur zumal] ! Nur zuweilen bricht die Rede durch. Das Gleichnis [Textverlust]] ! Auch schon solange die Lehre nur zu den Einsgewordenen spricht, kann sie des Gleichnisses nicht entraten. H1.1 104,27-29 Nur aus den Dingen […] der Vorgänge und der Beziehungen] Nur aus den Dingen, hVorgängen und Beziehungeni kann sie Sprache gewinnen[,] ! : [denn alle Menschensprache ist Dingsprache] es gibt keine Menschensprache jenseits der Dinge, der Vorgänge und der Beziehungen H1.1 104,30 kommt sie zum Gleichnis.] ergänzt Das Gleichnis ist die Lehre in den Dingen. H1.1 104,31-32 nur ein Glas […] umrahmt schaut] [nur ein farbiger Saum um das weisse Licht.] ! nur ein Glas, durch das man das Licht von einem Farbensaum umrahmt schaut H1.1 104,35 im Gleichnis] im hheiligeni Gleichnis H1.1 104,36 Wahnsinn] Wahn D9, d10, d11 104,37 L e b e n ] nicht hervorgehoben d2

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105,1-2 ist auch nicht] ist hauchi nicht H1.1 105,2 eine Funktion] eine ewige Funktion H1.1 105,7 Je stärker […] je größer] Je [grösser das Erlebte] ! stärker die Spannung und Intensität des Erlebens, je grösser H1.1 105,9 höchste Gestalt] [grösste] ! höchste Gestalt H1.1 105,12 der alle Zukunft zwingt] der die Zukunft bestimmt d10, d11 105,13 im Mythos] im hstilleni Mythus H1.1 105,16 Religion nennt] für Religion ausgibt d2 105,20-22 muß sie mißlingen […] münden. Denn die Lehre] muss sie misslingen hmuss die glühende Bewegung statt in der Lehre in einer Mischung von Wissenschaft und Gesetz, der sog. geläuterten Religion münden.i Denn die Lehre H1.1 105,29 die Wege] [dem »Gemeinsamen«] ! die Wege H1.1 105,29-30 durchforschen […] zu ermitteln] [um den Gemeinsamen erforschen] ! durchforschen und ihre Erscheinung vergleichen, um das Gemeinsame zu ermitteln H1.1 105,30 Der Gegensatz] Der [dialektische] Gegensatz H1.1 105,31 erscheint hier] erscheint uns vielmehr d10, d11 105,31-32 erscheint hier […] sondern trübt] [zerbricht und verflüchtigt sich hier und hebt sich hier auf] ! erscheint hier als ein dialektischer Gegensatz, der das Wort nicht erklärt, sondern trübt H1.1 105,32-33 gerade so […] sondern trübt] gerade so wie wenn man die Welt Gottes Form oder das Sein die Form ihrer Idee nennen will oder dergleichen mehr H1.1 105,33-36 Der Logos des […] Dialektik aufgerichtet] Der Logos des Johannesevangeliums ist das grosse Zeichen gegen die Übergriffe dieser Dialektik H1.1 105,36 »Das Wort« ist »im Anfang«] »Das Wort« ist [nicht der Mittler] ! »im Anfang« H1.1 105,37-106,4 zu den Produkten […] nicht ein Inhalt ist,] zu den Produkten der Zerlegung, [die Einheit] ! etwa zu Gott und Geist, aber ebenso zu Geist und Welt, die Einheit stellt, die sie verbindet, hdie ursprüngliche, zerschiedene und fleischgeworden die Elemente wieder versöhnende Einheit. »Das Wort« ist damit [das Urbild] der Genosse jedes Menschenwortes, das ja auchi nicht ein Inhalt ist, H1.1 105,38-106,1 oder anders betrachtet zu »Gott Vater« und dem »heiligen Geist«,] fehlt d3 106,1-2 verbindet] verbündet d3, D4, D6, D7, D8, D9 106,3-4 jedes Menschenwortes] jedes echten Menschenwortes D9, d10, d11 106,7 klärt] erklärt H1.1 106,8 den Bezirk] das Reich H1.1

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106,10 Die Lehre verkündet, was sie ist:] Ich habe gesagt, was die Lehre verkündet, was die Lehre i s t : H1.1 106,13-15 die Rede von dem Himmelreich […] dem Nichttun] [das Lied] ! die Rede vom [Himmelreich] ! [der Gotteskindschaft] ! Regieren Gottes oder [das Lied vom Leiden] ! die Rede von der Erlösung von Leiden, oder die Rede [vom Nichttun] ! von Tao H1.1 106,18 der Sinn und der Grund dieser Menschen] der Sinn dieser Menschen, ihr Grund und ihr Bewegendes. [Sie teilen die Einheit nicht mit, sie offenbaren sie: sie ist in ihnen offenbar. Sie sind das Wort der Lehre.] [X] ! Nur ebenso, wenn auch noch unvollkommen, war es mit den Menschen, die das Werden der Lehre entfalten, ehe sie ihren zentralen Menschen gefunden hat. A u s g e s p r o c h e n ist die Einheit nur an ganz wenigen Stellen, vornehmlich bei Lao-Tse, aber bedeutet ist sie durch alle, nicht als der Inhalt, sondern als der Sinn des Wortes H1.1 106,18-22 Sie war mehr […] Lehre und Gleichnis.] fehlt H1.1 106,25-28 Einheit Gottes oder […] statuiert] Einheit Gottes hoder des Seinsi machte und einen Henotheismus konstruierte. Weder aber hat die Lehre jemals einen neuen Gott verkündigt [XXX]. Sie war mehr als der Inhalt ihres Wortes, sie war dieses Wortes Leben und dieses Wort selbst in seiner Einheit H1.1 106,28-29 Es ist aber der Lehre […] zu bekümmern] – Das tut immer erst die Religion –, noch ist es ihr überhaupt eigentümlich, sich um das Wesen Gottes als eines Seienden zu bekümmern H1.1 106,30-40 aber auch schon in den Upanischaden […] und Erfüllung erhält] aber auch schon in den Upanischaden bedeutet die Lehre von Atman ja nicht eine Aussage über die Einheit des Seins, sondern sie bedeutet im Grunde: was man Sein nennt, ist nichts anderes als die Einheit des Selbst; nur dem geeinten Selbst tritt die Welt als Sein, das heisst als Einheit, hals eben dies Selbsti entgegen. Die Einheit des Selbst aber ist nichts anderes als das Eine das not tut. So ist die Einheit nicht der Inhalt der Upanischaden, sondern ihr Sinn und Grund. Und ebenso ist es dem Urchristentum nicht um die Einheit Gottes zu tun, sondern um die Wesensgleichheit des geeinten Menschen mit Gott; auch hier hat das Seiende keine selbständige Bedeutung, sondern ist nur eine Spiegelung des Notwendigen. Dass die Tao-Lehre nicht anders beschaffen ist, wird noch zu beweisen sein H1.1 107,1-2 dem das Notwendige etwa] dem das Notwendige nur H1.1 107,2-3 Einheit etwa der Akt] Einheit nur der Akt H1.1 107,3 in der Erkenntnis ist.] ergänzt [Immerhin war es ja ein Abendländer, und ein aus seiner Zeit vielleicht ebenso gut geschulter, Eckhart

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meine ich, der die Lehre, bis sie vergangen ist, am meisten vermehrt?] hat. H1.1 107,6 die primär] die ganz und gar primär H1.1 107,8 so daß man die Einheit] so dass man das Notwendige und die Einheit H1.1 107,11 nur die reine Formel] die reine Formel H1.1 107,12 die Lehre errichtet ist.] die Lehre errichtet wird. ergänzt [Und dem Geeinten schwingen alle Bilder in eines zusammen, zwischen ihm und diesem Bild schwingt die Polarität der Ewigkeit, aber diese Polarität selber ist nur ein Bild für die Einheit] H1.1 107,14-15 der zur Ausbildung einer Erkenntnis] der zu immer reinerer Erkenntnis H1.1 107,20 jüdisch-urchristliche] [jüdische] ! jüdisch-urchristliche H1.1 107,22 g a n z ] nicht hervorgehoben d2, d3, D6, D6.1, D9, d10, d11 107,21-22 Weg g a n z zu überschauen] Weg hganzi zu überschauen H1.1 107,22-23 von der werdenden jüdisch-urchristlichen] von der hwerdendeni jüdisch[e]hurchristlicheni H1.1 107,24-25 (anscheinend von […] mißverstandenen)] [(anscheinend von den Redaktoren des Kanons absichtlich oder unabsichtlich mißverstandenen)] D6.1 fehlt H1.1, D9, d10 107,25 Rechabitern] Rechabiten d3, D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 107,26 sicherlich] [sicherlich] D6.1 fehlt D9, d10, d11 107,26-27 sicherlich trotz […] hingewiesen wird] die Historiker sicherlich mit Recht hinweisen H1.1 107,27 mit Recht] hwohli mit Recht D6.1 wohl mit Recht D9, d10, d11 107,27 sehr wenig von den Worten] sehr wenig oder nichts von den Worten H1.1 107,28 sozusagen unterirdischen] unterirdischen H1.1 107,28-29 nur dürftig […] erahnen] [nur aus späten dürftig erschliessen] ! nur dürftig aus späteren erschliessen oder erahnen H1.1 107,31 wird auch] wird hwohli auch H1.1 107,32 Lebensformen] Lebensgemeinschaften H1.1 107,33-34 nur ganz unzulängliche Nachricht] keine Kunde H1.1 107,34-35 das indische Schrifttum […] größte] [die indische Literatur, die unvergleichlich größte] ! die indische Literatur, von allen die unvergleichlich größte H1.1 108,2 vedische Wissenschaft] hvedischei Wissenschaft H1.1 108,2-4 mit der Aufhebung der »Ansicht« […] im Orden] mit [den Worten: »Eine Ansicht, die kommt dem Vollendeten nicht zu« und das brahmanische Gesetz mit den Worten: »[Textverlust]] ! mit der Aufhebung der »Ansicht«, die dem Vollendeten nicht zustehe, im »Pfad«,

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und das brahmanische Gesetz mit der Aufhebung der Kasten im Orden H1.1 108,4-6 So überwindet Lao-Tse […] vom »Nichttun«.] [Dem entsprechend Lao-Tse’s Wort vom heiligen Menschen:] ! [So stellt Lao-Tse der offiziellen Weisheit und der offiziellen Tugend das Wort von dem heiligen Menschen entgegen: »Wandel, nicht Ruh ist seine Lehre« und] ! [»Das grosse Tao entsteht, da gibt es »Menschenliebe« und Gerechtigkeit«,] ! So überwindet Lao-Tse die offizielle Weisheit durch die Lehre vom »Nichtsein«, die offizielle Tugend durch die Lehre vom »Nichttun« H1.1 108,8-9 sondern sie erfüllt.] eingefügt die Passage von 108,27-109,6 In unvergleichlich höherem Mass […] Echtheit des Menschentums. H1.1 108,9-27 »Ich bin nicht gekommen […] in seinem Leben.] auf zusätzlichem Blatt, ohne Hinweis auf die genaue Einfügestelle im Text »Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.« / So sagt Lao-Tse von sich, er habe nur das Unerkannte der Vorzeit zu erfüllen. »Die in der Vorzeit Meister geworden sind, die Lautern, die Geistigen, die Tiefen, die Durchdringenden, – in ihrer Tiefe konnten sie nicht erkannt werden. Weil sie nicht erkannt werden können, will ich sie kenntlich machen.« Und so habe er auch die Ahnung des Einen, die im Wort des Volkes ruht, zu erfüllen. Er führt etwa den Spruch an, dass Gewalttätige nicht ihren natürlichen Tod erreichen, und fügt hinzu: »Was die andern lehren, lehre ich auch: ich will daraus einen Vatergrund der Lehre machen.« Dies entspricht Jesu Worten: »Ich aber sage euch«, [die auch die Überlieferung aus der Bergpredigt ins Unbedingte leiten]; denn Gewalt ist schon an sich für Lao-Tse das Tote, das Leblose in der Welt, weil sie das Taolose ist. Erfüllen bedeutet hier wie dort: ein Überliefertes aus dem Bedingten ins Unbedingte heben. [Das zentrale Menschenleben, in der die Lehre ihre Erfüllung findet, bringt ihr kein neues Element zu, sondern erfüllt sie, das heisst: er hebt sie aus dem Bedingten ins Unbedingte. Und die Unbedingtheit äussert sich wie in dem Leben selber, so auch in dem Worte dieses Lebens. / Die Unbedingtheit des Erfüllenden setzt die Welt des Bedingten wider ihn. »Nicht ich, ihr Jünger«, spricht Buddha, »streite wider die Welt, sondern die Welt streitet wider mich.«] H1.1 108,10-11 der Vorzeit zu erfüllen] der Vorzeit, die Ahnung des Einen, die im Wort des Volkes ruht, zu erfüllen d3, D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 108,11-15 »Die in der Vorzeit Meister […] zu erfüllen.] fehlt d3, D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 108,32 seine Ideologie] [seine Ideologie] ! seinen Ideenbau D6.1 seinen Ideenbau D9, d10, d11

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109,7-15 Am sichtbarsten ist […] verborgener Weiser.«] fehlt d2 109,19 Grund] [Sinn] ! Grund H1.1 109,20 in das wortlose Wunder versunkenen] [hingenommenen] ! in das wortlose Wunder versunkenen H1.1 109,24 die Einheit] sie H1.1 109,24-26 Gleichnis berührt. […] Gleichnis darin] Gleichnis berührt [, weil der Logos ja doch kein Menschenwort ist, sondern das Eine, das den Menschen redet, wie der Mensch seine Worte redet]. Der Mensch redet seine Worte [zu sich], wie [die Einheit] ! [der Logos] [die Menschen] ! die Ureinheit, der Logos die Menschen redet: hsie sind nicht mehr reine Einheit, –i es ist schon die Vielheit, das Gleichnis darin H1.1 109,25 mehr reine Einheit] mehr die reine Einheit d3 109,35 Wie aber zwischen […] Jugend steht] [Zwischen Jenen und Diesen ist die Jugend] ! Wie aber zwischen Kindheit und Mannheit die Zeit der Jugend steht H1.1 110,6 Blut;] Blut: d11 110,14-15 »Ich bin vergessen wie das Meer«, sagt Lao-Tse.] fehlt d3, D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 110,16-18 Ich glaube, daß […] zu den Menschen] Dieser Mensch wird versucht. Er geht nicht ins Nirvana ein, aber er geht auch nicht zu den [Menschen] ! Dingen H1.1 110,Anm. Die Verszitate aus […] wortgetreueren] fehlt H1.1, d3 Die Verszitate aus Lao-Tse gebe ich nach der – für die Verse klassisch einfachen – Übertragung von {hViktor von D6.1} Strauß, die übrigen in meiner wortgetreueren {[wortgetreueren] ! eigenen D6.1} D4, D6, D7, D8 Die Verszitate aus Lao-Tse gebe ich nach der – für die Verse klassisch einfachen – Übertragung von Viktor von Strauß. D9, d10, d11 110,24-25 Wie ein Brüten […] Vogelweibchen sein.«] fehlt d3, D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 110,26-38 Dieser Mensch redet […] Mysterium geworden ist.] stattdessen folgende Passage [Dieser Mensch tut das Nichttun, tut nicht, aber er verhilft allen Wesen zu ihrer Freiheit. Durch seine Freiheit [Textverlust]] ! [Und wie er in sich die Weibheit findet, so findet er auch die Kindheit wieder. Denn seine Einsamkeit ist die Einsamkeit der Fülle. Und »wer in sich hat der Tugend Fülle, gleicht dem neugeborenen Kinde.«] / In diesem Menschen kann das Gleichnis niemals zum Blute werden; es bleibt Traum, in dem die Dinge ungeschieden ruhen. Sein Wort kann niemals zur Erzählung werden, es bleibt Bild. [Er ist nicht mehr an die Einheit gebunden wie das Kind; aber] ! , in dem die Dinge nichtgesehen worden sind. Er löst sich nicht von der Ein-

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heit zum Gleichnis wie der Mann; er ist nicht mehr an die Einheit gebunden wie das Kind. Aber dies ist nicht Jugend und Übergang, sondern Ewigkeit und Unbedingtheit. Er hat ja die Mannheit mit in seiner Fülle; nur er hat die Kindheit wieder durch seine Fülle. Denn »wer in sich hat der Tugend Fülle, gleicht dem neugeborenen Kinde.« Sein Wort jedoch ist das Bild. Seine Rede ist nicht eine wirkliche Gleichnisrede wie die Buddhas und Jesu, sondern eine Bilderrede. Darum finden wir bei Lao-Tse, was wir bei jenen nicht finden: die Rede von der Einheit selber. H1.1 110,31-38 Sie gleicht einem Jüngling, […] Mysterium geworden ist.] auf einem mit »19« nummerierten Blatt, vermutlich aus einem nicht mehr auffindbaren Teil der Handschrift H1: der nicht mehr an die Einheit gebunden ist wie das Kind. Aber das wäre ein Jüngling, wie wir ihn etwa in Hölderlins Gedichten ahnen: der nicht das über sich Hinausstrebende des Traums und der Tragödie hat, sondern nur die seherische Fülle der Jugend, ins Unbedingte und [Dauernde] ! Ewige gekehrt, eine Jugend, die aus sich selber erfüllt ist. Hier ist der Traum zum Schauen und die Tragödie zum Mysterium geworden. / Die Rede Lao-Tses spricht von der Einheit nicht im vollen Gleichnis sondern im Bilde, das der Einheit nahe ist wie der Jüngling dem Logos. Aber auch nur im Bilde. Auch wenn sie »Einheit« sagt – das einzige Wort, das uns zum Nennen des Unnennbaren, des Notwendigen gegeben ist –, hauch wenn sie »Tao« sagt,i auch wenn sie die Wahrheit ausspricht, dass das geeinte Leben des Vollendeten Tao zur Einheit verhilft, auch dann spricht sie im Bilde. Denn die nackte Einheit ist namenlos. »Der Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name.« Aber von aller echter Menschenrede ist dieses Bild »Tao« das unmittelbarste und das verborgenste. H1.1 111,10 daß du] daß Ihr D9, d10, d11 111,11 gehst] geht D9, d10, d11 111,11 Wolle] Wollet D9, d10, d11 111,11-12 ehe du gehst] ehe Ihr geht D9, d10, d11 111,34-36 Beide aber zusammen […] Allsinn verkündet] Beide aber zusammen erst [durch die Verkündigung des] ! geben uns die Lehre, die das uns? Notwendige, das im wahrhaften Leben verwirklicht wird, als »die Bahn«, als Tao verkündet H1.1 111,36 geeinten Lebens] geeinten Menschenlebens d3 112,3 also etwa 250 Jahre nach Lao-Tse.] ergänzt Anmerkung Ich vermag der neuerdings sich geltend machenden Spätdatierung Lao-Tses nicht zuzustimmen. d10, d11 112,5 die Lehre Jesu] dessen Lehre D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11

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112,7 entfliehen] entweichen D9, d10, d11 112,12 wie sie es […] voll erscheint] wie sie zuvor das All in sich umhegte, nun es ihrer voll erscheint d3 113,34 Träger und Wirklichkeit] Träger [und Wirklichkeit] D6.1 Träger D9, d10, d11 114,34-35 in irgendeiner] zu irgendeiner d3 114,35 in irgendeiner] zu irgendeiner d3 114,40-41 Und wenn wir es […] in ihm allein begründet.] [Und wenn wir es in »dem Geheimnis der Wesenheit Gottes« suchen, so ist es nicht da, sondern Gott ist in ihm allein begründet.] D6.1fehlt D9, d10, d11 115,36 e w i g e ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 117,4-5 (der ganze spätere […] wachsende Entartung)] fehlt d10, d11 117,11 i n s i c h ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 117,14 We r d e n d e r We l t ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 117,19 S e i n d e r We l t ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 117,24 i n d e n D i n g e n ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 117,29 M e n s c h e n ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 117,33 sühnen] entsühnen d3, D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 118,11 Das Unerkennbare] Das unerkennbare D9, d10, d11 118,13-14 , wird die Ewigkeit] fehlt D9, d10, d11 119,8-9 bestimmende Leben] das bestimmende Leben d3 119,21 i s t ] nicht hervorgehoben d3, D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 119,35 i h r e r ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 119,36 i h r e ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 119,37 Die »Musik] [Die »Musik] ! Das »Orgelspiel D6.1 Das »Orgelspiel D9, d10, d11 119,39 zur Musik] [zur Musik] ! zum Orgelspiel D6.1 zum Orgelspiel D9, d10, d11 120,4 i s t ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 120,8 d i e Ta t ] nicht hervorgehoben D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 120,9 das Absolute] das Unbedingte d10, d11 120,21 des Gebotes] [des Gebotes] ! der Forderung D6.1 der Forderung D9, d10, d11 120,22 Gebotene] Gebotene ! Geforderte D6.1 Geforderte D9, d10, d11 121,15 Ich sitze] Er ist unbewegt D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 121,16 meine] seine D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 121,17 meine] seine D6, D7, D8, D9, d10, d11 121,18 Wandlung meines] Regung seines D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 121,21 der das Rechte] jeder das Rechte d3, D4, D6, D7, D8, D9, d10, d11 122,10 macht zu] versperrt d10, d11 124,4-125,9 9. Ich habe […] Werk, das Gleichnis.] fehlt d3

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124,16 Ideologie] [Ideologie] ! Idee D6.1 Idee D9, d10, d11 124,33 D i c h t u n g ] nicht hervorgehoben D9, d10, d11 126,2 Tschi] Tsi D4, D6, D7, D8, D9 126,21 Erlöste] Erlöste ! Vollendete D6.1 Vollendete D9 126,22-30 Die Stelle lautet […] Kopisten zurückzuführen.] [Die Stelle lautet in Fabers Übersetzung: »Der Strudel, wo große Fische sich aufhalten, ist eine Tiefe, der Strudel im stehenden Wasser ist eine Tiefe, die Strudel im fließenden, im überfließenden, im wellenbewegten, im brausenden, im zurückfließenden, im gestauten, im sich zerteilenden Wasser sind Tiefen. Das sind die neun Tiefen.« Faber hält diesen Satz zu Unrecht für ein Einschiebsel. Wohl aber ist anzunehmen, daß die Fassung bei Tschuang-Tse die ursprünglichere ist; die Erweiterung ist auf das Vollständigkeitsbedürfnis des Redaktors oder eines Kopisten zurückzuführen.] D6.1, fehlt D9 127,6 vierten Stelle] vierten Stelle h(21. Buch)i D6.1 ergänzt (21. Buch) D9 127,17 nicht] wohl kaum D4, D6, D7, D8, D9 127,18 Dennoch] Doch D4, D6, D7, D8, D9 127,24 Formung] Gestalt D4, D6, D7, D8, D9 128,3-9 Daß es dabei […] »Die Kampfhähne«.] fehlt D9 128,5-6 (das von Faber […] unvollständig)] fehlt D4, D6, D7, D8 128,9 »Die Kampfhähne«.] ergänzt Neuerdings vertritt Wilhelm (Liä Dsi, Das wahre Buch vom quellenden Urgrund, Jena 1911) die Auffassung, daß der Text bei Lieh-Tse der ursprünglichere ist. D4, D6, D7, D8 128,12 Die Musik] Das Orgelspiel D9 128,19-20 dessen Schüler […] mit Tschieh-Yü auf] zwei Weise, die auf D4, D6, D7, D8, D9 129,Überschrift-129,21 Bemerkung über […] machen konnte.] fehlt D4, D6, D7, D8, D9 Wort- und Sacherläuterungen: 51,Überschrift Der Untätige] Siehe Giles, Chuang Tzu. Mystic, Moralist and Social Reformer, S. 6-8; Legge, The Writings of Kwang Ze, in: The Sacred Books of China. The Texts of Taoism, Part I, S. 170-171. 51,9 geistergleicher] Der chinesische Begriff shenren ist nicht einfach zu übersetzen, da er impliziert, dass ein solcher Mensch göttliche Eigenschaften besitzt. Buber übersetzte hier Legges Version »spirit-like« wörtlich (siehe Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 170). Giles übersetzt »divine« (siehe Giles, Chuang Tzu, S. 7). 52,Überschrift Der nutzlose Baum] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 10-11; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 174-175.

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52,2 Hui-Tse] Oder Hui Shi. Obwohl nur sehr wenig über ihn bekannt ist, können Huizis Ansichten, wie sie in den Unterhaltungen mit Zhuangzi auftreten, der Schule der Sophisten oder Dialektiker zugerechnet werden. 52,Überschrift Die Musik des Himmels] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 1214; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 176-179. 52,22-31 Tse-Tschi aus Nan-kuo […] Musik des Himmels.«] Dieser Abschnitt wird von Buber in etwas anderer Fassung bereits in den Ekstatischen Konfessionen wiedergegeben (jetzt MBW 2.2, S. 201 f.; vgl. auch den Kommentar dazu ebd., S. 330.). 52,24 Yen-Tscheng Tse-Yü] Hier, wie an einigen anderen Stellen, folgte Buber Giles’ falscher Transliteration chinesischer Namen. Er korrigierte diese Fehler mit der Hilfe von Willy Tonn in der Ausgabe aus dem Jahr 1951. 53,Überschrift Das Bedingte und das Unbedingte] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 26-28; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 190-192. 54,Überschrift Gegensätze und Unendlichkeit] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 28-31; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 192-196. 55,8 Das Fräulein Li-Tschi] Eigentlich: Dame Li. Sie wurde von Herzog Xian aus dem Staat Jin gefangen genommen. 56,Überschrift Der Schmetterling] Diese Geschichte zählt zu Zhuangzis bekanntesten Geschichten. Der Schmetterling dient oft als poetische Anspielung, um die Ungewissheit der Wahrnehmung der Realität zu verdeutlichen. Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 32; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 197. 56,Überschrift Der Koch] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 33-35; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 198-200. 56,14 Fürst Huis] Eigentlich: Herrscher Hui (370-319 v. Chr.), König von Liang oder Wei. 57,Überschrift Der Tod des Lao-Tse] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 36-37; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 201-202. 57,35 Gott] Der chinesische Begriff für »Gott« ist di und kann auch im Plural mit »Götter« übersetzt werden. 58,Überschrift Mit den Menschen] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 38-44; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 203-210. 58,4 Weï] Yan Hui (auch Yan Yuan) wollte wahrscheinlich nach Herzog Lings (534-493 v. Chr.) Tod nach Weï gehen. Noch vor Lings Tod brachen jedoch Unruhen in Weï aus, die sich später zu einem ausgedehnten Machtkampf zwischen einer Reihe von Anwärtern entwickelten. Zhuangzis imaginäre Unterhaltung zwischen Yan Hui und Konfuzius findet vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse in Weï statt.

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Zeitgenössische Leser waren sich vermutlich dieses historischen Zusammenhangs von Konfuzius’ ausführlicher Abhandlung bewusst. 60,Überschrift Fürstenerziehung] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 48-50; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 215-217. 60,36-37 Yen-Ho war zum Hofmeister […] dem Kanzler von Weï] Der Gelehrte Yan He stammte aus dem Staat Lu. Qu Boyu war der Minister des Herzogs Ling. 62,Überschrift Der heilige Baum] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 50-52; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 217-218. 63,Überschrift Der Verstümmelte] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 56-58; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 223-226. 64,2 die Vorbildlichen] Die mythischen weisen Kaiser Yao und Shun wurden oft von Philosophen jener Zeit als Muster der Tugendhaftigkeit angeführt. Beide überließen den Thron nicht, wie es die Tradition erforderte, ihren Söhnen, sondern wählten Nachfolger, die ihnen fähig erschienen und dankten dann ab. 64,Überschrift Schu-Schan Ohnezehen] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 6062; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 228-229. 65,Überschrift Der Aussätzige] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 62-65; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 229-233. 65,7 Ai, der Fürst des Staates Lu] Herzog Ai regierte den Staat Lu von 494 bis 468 v. Chr. Lu war die Heimat von Konfuzius und er hatte, wie verlautet, eine Audienz beim Herzog. Der Geschichtenerzähler Zhuangzi lässt hier, wie auch anderswo, seine Protagonisten imaginäre Unterhaltungen führen. 65,31 Als ich auf einer Sendung nach dem Staate Tschu] Obwohl die Gespräche Kung Futses nicht angeben, dass Konfuzius nach Chu reiste – ein großer Staat im Süden der nördlichen Staaten – werden Konfuzius’ Besuche wiederholt sowohl im Zhuangzi als auch im Liezi erwähnt. 66,22 Min-Tse] lebte um 500 v. Chr., Ein in Schüler des Konfuzius. 66,Überschrift Reine Menschen] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 68-72; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 236-239. 67,Überschrift Die Stufen] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 78-80; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 245-246. 68,9-20 Nach drei Tagen […] ist die Vollendung.«] Dieser Abschnitt wird von Buber in anderer Fassung bereits in den Ekstatischen Konfessionen wiedergegeben (jetzt MBW 2.2, S. 201; vgl. auch den Kommentar dazu ebd., S. 329 f.). 68,Überschrift Die vier Freunde] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 80-82; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 247-250.

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68,28 Gott] Buber übersetzte »Gott« nach Giles. Der Begriff zaowuzhe bedeutet »Schöpfer«. »Schöpfung« wird im Allgemeinen als ein gleichmäßiger und kontinuierlicher Prozess beschrieben und nicht als einmaliger Akt der Schöpfung durch den Schöpfer. 70,Überschrift Das Totenlied] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 82-85; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 250-253. 70,28 als Gottes Genossen] Der chinesische Begriff bedeutet auch hier »Schöpfer«. 71,Überschrift Der Weg] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 89-90; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 256-257. 71,24 »Ich bin Riten und Rhythmen losgeworden«] Yan Hui erwähnt die wichtigsten konfuzianischen Werte: ren, yi und li. Bei Giles heißt es wörtlich: »ceremonial and music« (Chuang Tzu, S. 89) und ähnlich Legge: »ceremonies and music« (The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 257), was nicht ganz falsch ist, da Konfuzius der Meinung war, Musik könne Aufschlüsse über die Gesellschaft eines Staates bieten. 72,Überschrift Das Reich regieren] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 93; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 260-261. 72,8 Ich bin Gottes Genosse geworden.] Gemeint ist eher, dass er mit dem Schöpfer reisen wird. 72,Überschrift Der Magier und der Erlöste] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 94-97; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 262-266. Diese Geschichte erscheint auch im Liezi, 2. Buch, 13. Kapitel. Buber war das Liezi in dieser Zeit bekannt in der Übersetzung von Ernst Faber: Der Naturalismus bei den alten Chinesen, hier S. S. 41 ff. (Vgl. auch die Wort- und Sacherläuterung zu 126,19.) 72,18 Zauberer] Shenwu ist eher mit »Schamane« als mit »Zauberer« zu übersetzen. 72,18 Tschi-Han] Ji Han (oder Ji Xian) wird auch im 3. Buch des Liezi erwähnt. 72,22 Lieh-Tse] Zu Liezi, siehe die Einleitung in diesem Band, S. 45. 72,23 Rückkehr zu Hu-Tse] Huzi (um 300 v. Chr.) war Liezis Lehrer. 74,Überschrift Sinne] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 98; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 266-267. 74,Überschrift Der starke Dieb] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 110; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 281. 74,Überschrift Überfeinerung und Nichttun] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 121-123; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 292-294. 75,Überschrift Das Menschenherz] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 123; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 294-295.

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76,Überschrift Unsterblichkeit] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 125-128; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 297-300. 76,9-10 daß Kuang-Tscheng-Tse auf dem Berge Kung-tung lebte] Der Gelbe Kaiser, nach chinesischer Tradition der vollkommenste aller Kaiser, trifft hier auf jemanden, der noch vollkommener ist als er selbst. Guangchengzi kann mit »weiträumiger vollkommener Meister« übersetzt werden und der Berg, auf dem er lebt, mit »Berg der leeren Identität«. 77,Überschrift Der Wolkengeist und der Lebenswirbel] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 129-131; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 300-303. 79,Überschrift Die Perle] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 139; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 311-312. 79,Überschrift Kosmogonie] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 143-144; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 315-317. 79,Überschrift Der Gärtner] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 147-148; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 319-321. 79,28 Tse-Kung] Ein Schüler des Konfuzius. 79,28 Han-yin] Das südliche Ufer des Flusses Han. 80,Überschrift Drei Arten] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 150-151; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 322-324. 81,19-20 der geistergleiche Mann] Zur problematischen Übersetzung dieses Begriffes siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 51,9. 81,21-27 »Der geistergleiche Mann« […] sich in das Dunkel hüllen.«] Dieser Abschnitt wird von Buber in anderer Fassung bereits in den Ekstatischen Konfessionen wiedergegeben (jetzt MBW 2.2, S. 201). 81,Überschrift Das Gebet] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 159; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 332. 82,Überschrift Der Wagner] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 170-172; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 343-344. 82,2 Fürst Huan] Herzog Huan (685-643 v. Chr.) aus dem Staat Qi war der erste Herrscher, der von den anderen Staaten als Hegemonialherrscher anerkannt wurde. Unter seiner Herrschaft und der seiner Nachfolger entwickelte sich Qi zu einer bedeutenden Macht. 82,Überschrift Das Saitenspiel des Gelben Kaisers] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 176-179; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 348-351. 82,25 Han-tschih] Hanchi oder Xianchi ein Musikstil. 84,Überschrift Die Weisen der Welt] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 190191; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 363-365. 84,Überschrift Der Geist des Meeres und der Flußgeist] Siehe Giles,

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Chuang Tzu, S. 200-209; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 374-382. 85,1 der Herr des Flusses] Der Gott des Gelben Flusses. 87,1 der Tyrann Tschieh] Jie war der letzte Kaiser der Xia Dynastie (etwa 2200 v. Chr.), deren Geschichtsschreibung noch nicht vollständig erforscht ist. Jies verwegener Lebenswandel kostete ihn den Thron; auf die Xia Dynastie folgte die Shang Dynastie (etwa 1766-1122 v. Chr.) 87,Überschrift Die Freude der Fische] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 218219; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part I, S. 391-392. 88,Überschrift Als Tschuang-Tses Frau gestorben war] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 223-224; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 4-5. 88,Überschrift Der Totenschädel] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 224-225; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 6-7. 89,Überschrift In Tao] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 230-232; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 12-14. Diese Geschichte erscheint auch im Liezi, 2. Buch, 4. Kapitel. (Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, S. 28 f.) 89,20 Kuan-Yin] Der Wächter des Grenzpasses, für den Laozi das Daodejing verfasst haben soll, als er China verließ. 90,Überschrift Der Grillenfänger] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 232-233; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 14-15. Diese Geschichte erscheint auch im Liezi, 2. Buch, 10. Kapitel. (Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, S. 38 f.) 90,Überschrift Der Fährmann] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 233-234; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 15-16. Diese Geschichte erscheint auch im Liezi, 2. Buch, 8. Kapitel. (Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, S. 36 f.) 91,Überschrift Der Priester und die Schweine] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 236; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 18. 91,17 Der Opferpriester] Watsons Übersetzung: »Invocator of Ancestors« ist hier eher zutreffend (Burton Watson (Hrsg.), The Complete Works of Chuang Tzu, New York u. London 1968, S. 202). Ein zhuzong war ein geistlicher Sachverständiger, der die Aufgabe hatte, mit den Ahnen zu kommunizieren. 92,Überschrift Die Kampfhähne] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 238; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 20. Diese Geschichte erscheint auch im Liezi, 2. Buch, 20. Kapitel. (Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, S. 54.) 92,Überschrift Der Glockenspielständer] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 240241; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 22-23.

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93,Überschrift Die Schöne und die Hässliche] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 259-260; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 41. Diese Geschichte erscheint auch im Liezi, 2. Buch, 16. Kapitel. (Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, S. 48.) 93,2 Yang-Tse] Oder Yang Zhu (Blütezeit 350 v. Chr.), dem im Allgemeinen ein hedonistischer Lebenswandel zugesprochen und der im Liezi erwähnt wird. 93,Überschrift Schweigen] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 263-264; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 44. 93,11 Wen-Po Hsüen-Tse] Die von Buber gestrichenen Textstellen lassen vermuten, dass Wen Bo Xuezi aus dem Staat Chu stammte. 93,Überschrift Das ewige Sterben] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 264-266; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 44-46. 94,Überschrift Die drei Antworten] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 276-279; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 57-60. 95,Überschrift Zu eigen haben] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 281-282; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 62-63. Diese Geschichte erscheint auch im Liezi, 1. Buch, 15. Kapitel. (Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, S. 19.) 96,Überschrift Taos Ort] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 285-287; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 66-67. 97,Überschrift Tao das Unbekannte] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 288289; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 68-70. 97,Überschrift Von Hunden und Pferden] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 311-313; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 91-93. 97,32-33 Hsü-Wu-Kueï […] Wu-Hou von Weï vorgestellt.] Xu Wugui war ein Eremit aus dem Min Gebirge im nordwestlichen China. Herzog Wu von Weï war ein gütiger Herrscher aus dem 8. Jahrhundert. Wahrscheinlich war Nu Shang nicht der richtige Name, da das chinesische Schriftzeichen für den Familiennamen »Frau« bedeutet. 99,Überschrift Verbrecher] Siehe Giles, Chuang Tzu, S. 343-345; Legge, The Writings of Kwang Ze, Part II, S. 122-124. 102,21 das Eine, das not tut] Vgl. die Worte Jesu: »Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.« (Lk 10,42) Seinem neutestamentlichen Kontext entfremdet, kommt dieses Wort Jesu bei Buber häufig vor. Hier im »Nachwort« der Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse verkörpert es den Inbegriff der Lehre. Außer aus seiner Lektüre des Neuen Testaments war Buber dieses Wort Jesu vermutlich auch von seiner Kierkegaard-Lektüre her bekannt, bei dem das Zitat mehrmals vorkommt. (Vgl. auch Martin Buber, Das Judentum und die Menschheit, in: Buber, Drei Re-

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den über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911, S. 55 (jetzt in: MBW 3, S. 237); ders., Daniel. Gespräche von der Verwirklichung, Abschnitt »Von dem Sinn. Gespräch im Garten«, Leipzig: Insel-Verlag 1913, S. 73 (jetzt in: MBW 1, S. 211); ders., Der Geist des Orients und das Judentum, in: Buber, Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig: Kurt Wolff Verlag 1916, S. 18 (jetzt in: MBW 2.1, S. 191); ders., Jüdische Religiosität, in: Buber, Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig: Kurt Wolff Verlag 1916, S. 63 (jetzt in: MBW 2.1, S. 209) und ders., Ereignisse und Begegnungen, Abschnitt »Buddha«, Leipzig: Insel Verlag 1917, S. 4 (jetzt in: MBW 1, S. 247). 102,31 des Einen, das not tut] Siehe die Wort- und Sacherläuterungen zu 102,21. 104,24 Der Mythos ist die Einstellung der Dinge in die Welt des Absoluten.] Vgl. Buber, Der Mythos der Juden: »Er [der primitive Mensch] stellt die Vorgänge in die Welt des Absoluten, des Göttlichen ein: er mythisiert sie.« (in: Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hrsg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig: Kurt Wolff Verlag 1913, S. 21-31; jetzt in: MBW 2.1, S. 171-179, hier S. 177). 105,1-4 Mythos ist auch nicht […] Eine ewige Funktion der Seele] Vgl. Buber, Der Mythos der Juden (MBW 2.1, S. 178): »So ist denn der Mythos eine ewige Funktion der Seele.« 105,9-12 Wo die höchste Gestalt […] der alle Zukunft zwingt.] Vgl. Bubers Beschreibung des »primitiven Menschen« und seiner »Mythisierung« dessen, was er erlebt, in: Buber, Der Mythos der Juden (MBW 2.1, S. 177): »Beim primitiven Menschen ist die Funktion der Kausalität noch recht schwach ausgebildet. Fast ausgeschaltet ist sie bei ihm Ereignissen gegenüber, die ihm eine Sphäre darstellen, in die forschend, wiederholend, nachprüfend einzudringen nicht in seiner Macht ist, wie Traum und Tod; Menschen gegenüber, die in sein Leben mit einer gebieterischen Dämonie eingreifen, die er nicht nach Analogie seiner eigenen Fähigkeiten zu begreifen vermag, wie der Zauberer und der Held. […] Sein Bericht von ihnen [seinen Erlebnissen] ist eine Erzählung von einem sinnlich-wirklichen Geschehen, die es als ein göttliches, ein absolutes Geschehen empfindet und darstellt: ist Mythos.« 106,30 Upanischaden] Sanskrit, wörtl. »sich (um den Lehrer) herum setzen«; vermutlich zwischen 600 und 400 v. Chr. entstandene Sammlung philosophisch-theologischer Schriften des Brahmanismus; der Erlösungsweg vollzieht sich in den Upanischaden vor allem in einem inneren Prozess in Form von Meditation und individueller Askese,

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der zur Erkenntnis der Einheit der Individualseele mit der Weltseele führt; die Upanischaden bildeten eine der wesentlichen Grundlagen der späteren indischen Philosophie. 106,31 Lehre vom Atman] Sanskrit, wörtl. »Lebenshauch, Atem«; eines der grundlegendsten Konzepte des Hinduismus; der Begriff bezeichnet das individuelle Selbst, das innerste Sein des einzelnen Menschen, die ewige, nicht zerstörbare Essenz der Persönlichkeit; in der Zeit der Upanischaden werden Atman und Brahman (das kosmische Selbst, die Weltseele) als Einheit verstanden, die als das Eine das wahre Wesen der Welt darstellen. 107,25 Rechabitern] Die Rechabiter waren eine Gruppierung innerhalb des israelitischen Volkes, die sich auf »Jonadab, den Sohn des Rechab« (Jer 35,14) zurückführte, der im 9. Jahrhundert v. Chr. lebte; sie führten eine nomadische Lebensweise, tranken keinen Wein, bauten keine Weinberge an und säten nicht. Um 600 v. Chr. gaben die Rechabiter ihr Nomadenleben aufgrund des politischen Drucks des babylonischen Reiches unter Nebukadnezzar auf und siedelten sich in Jerusalem an. Obwohl dies gegen ihre Ordnung verstieß, verkörpern die Rechabiter für Jeremia beispielhaft das Hören des Volkes Israel auf seinen Gott. In Jer 35 stellt Gott den unbedingten Gehorsam der Rechabiter ihm gegenüber der Bevölkerung Judas und Jerusalems, die nicht auf ihn hören will, als leuchtendes Vorbild vor Augen. 107,26 Essäern] Die Essäer oder Essener waren eine endzeitlich orientierte Gruppe im antiken Judentum, die in der Zeit vor der Zerstörung des zweiten Tempels (70 n. Chr.) lebten; es gibt keine eindeutigen Belege ihrer Existenz, aber zeitgenössische literarische Zeugnisse sprechen davon, dass die Gemeinschaft der Essener strenge, teils asketische Lebensregeln befolgte; eine These besagt, bei den Essenern handele es sich um die Verfasser der Schriftrollen von Qumran. 108,2 vedische Wissenschaft] Sanskrit veda, »Wissen«; die Veden sind klassische Werke des Hinduismus, die nicht von menschlicher Hand herrühren und ewig sein sollen; sie wurden sehr lange nur mündlich überliefert; die frühesten Teile der Veden entstanden wohl im 13. Jahrhundert v. Chr., aber erst im ersten Jahrhundert v. Chr. begann ihre Verschriftlichung. 108,9 »Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.«] Jesus sagt in der Bergpredigt, Mt 5,17: »Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.« 108,11-14 »Die in der Vorzeit […] will ich sie kenntlich machen.«] LaoTse, 15. Kapitel, Strauss, S. 80; alle Zitate von Lao-Tse werden im Fol-

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genden angegeben nach der Ausgabe: Lao-Tse’s Tao te King. Aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt, eingeleitet und commentirt von Victor von Strauss, Leipzig 1870. Buber verwendete die Übersetzung von Strauss für seine Studien (vgl. Bubers eigene Anmerkung, in diesem Band, S. 110 sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 110,Anm.; vgl. auch den Kommentar zu »Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-tse’s tao-te-king«, in diesem Band, S. 379 ff..) Es ist allerdings anzumerken, dass Buber auch da, wo er nach Strauss zitiert, dessen Übersetzung sehr oft modifiziert. 108,15-18 »Gewalttätige erreichen nicht […] Vatergrund der Lehre machen.«] Lao-Tse, 42. Kapitel, Strauss, S. 194. 108,18 »Ich aber sage euch«] Diese oder ähnliche Worte spricht Jesus mehrmals in der Bergpredigt; siehe Mt 5,22.28.32.34.39.44, und ähnlich in Mt 6. 109,12-15 »Seine Lehre war […] war ein verborgener Weiser.«] Die einzigen biographischen Notizen zu Lao-Tse finden sich im 63. Kapitel des Shiji (Records of the historian), dem frühesten Werk der chinesischen Geschichtsschreibung, das zu Beginn des ersten Jahrhunderts v. Chr. von Sima Qian verfasst wurde. Buber zitiert hier allerdings nach Strauss, Lao-Tse’s Tao te King, S. LVI. 110,1-5 »Nicht eher werde ich […] schön geoffenbart ist.«] Diese Sätze entstammen dem Mahâ-parinibbâna Sutta, 3. Kapitel, 8. Abschnitt. Es ist möglich, dass Buber sie in der englischen Übersetzung aus den Sacred books of the East kannte, deren Bände zum Taoismus in der Übersetzung von James Legge Buber u. a. auch als Quelle für Tschuang-Tse dienten (vgl. der Kommentar zu Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, in diesem Band, S. 312 ff.). Die Sätze Buddhas finden sich in den Sacred books of the East in: Buddhist Suttas, transl. from Pâli by T. W. Rhys Davids (= The Sacred books of the East. Translated by various oriental scholars and edited by F. Max Müller, Vol. XI), London 1881, S. 43. Daneben findet sich das Buddha-Zitat in einer von Bubers Übersetzung etwas abweichenden Form auch in: Karl Adolph Gjellerup, Der Pilger Kamanita. Ein Legendenroman, Frankfurt a. M. 1907, S. 294. Vielleicht kannte Buber den Roman Gjellerups, der 1917 den Literaturnobelpreis für sein Gesamtwerk erhielt. Ein eindeutiger Beleg für Bubers Quelle ist nicht auffindbar. 110,14 »Ich bin vergessen wie das Meer«] Lao-Tse, 20. Kapitel, Strauss, S. 100. 110,19 »Der seine Helle kennt, sich in sein Dunkel hüllt«] Lao-Tse, 28. Kapitel, Strauss, S. 140.

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Einzelkommentare

110,21-22 »Der Himmel redet nicht und weiß doch Antwort zu finden.«] Lao-Tse, 73. Kapitel, Strauss, S. 317. 110,22-23 »Der seine Mannheit […] Strombett aller Welt.«] Lao-Tse, 28. Kapitel, Strauss, S. 140. 110,24-25 »Er kann das Vogelweibchen sein.«] Lao-Tse, 10. Kapitel, Strauss, S. 45. 110,Anm. Übertragung von Strauß] Lao-Tse’s Tao te King. Aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt, eingeleitet und commentirt von Victor von Strauss, Leipzig 1870. 111,1-2 die Predigt von Benares] Die erste berühmt gewordene Predigt Buddhas, die er in einem Tierpark in Benares, Nordindien, hielt. 111,10-12 »Ich sehe, daß du […] ehe du gehst.«] Vgl. Strauss, Lao-Tse’s Tao te King, S. LVI. 111,15 »Niemand weiß, wo er geendet hat.«] Strauss, Lao-Tse’s Tao te King, S. LVI. 111,16-17 »Die es wissen, reden es nicht; die es reden, wissen es nicht«] Lao-Tse, 56. Kapitel, Strauss, S. 249. 111,18 wie das Rauschen des Meeres aus seiner Fülle] Zum Bild des Meeresrauschens in Verbindung mit der Offenbarung im mythischen Erlebnis vgl. Bubers Aufsatz »Ekstase und Bekenntnis« (konzipiert als Einleitung zu seiner Sammlung Ekstatische Konfessionen), in: Die Zukunft 65, 5. Dezember 1908, S. 381-388; jetzt in: MBW 2.1, S. 141-149. 112,21-22 »Ich werde nie […] selbst zu folgen.«] Giles, Chuang Tzu, S. vii. 112,25-29 »Erde und Himmel […] ihr noch dazufügen?«] Giles, Chuang Tzu, 32. Kapitel, S. 434. 112,33-34 Gleichnissen wie das vom nutzlosen Baum] In diesem Band, S. 52. 113,Anm. sind Tschuang-Tse, die mit (L) bezeichneten Lao-Tse entnommen] für die Tschuang-Tse Zitate: Giles, Chuang Tzu. Mystic, Moralist and Social Reformer, London 1889; für die Lao-Tse Zitate: Lao-Tse’s Tao te King. Aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt, eingeleitet und commentirt von Victor von Strauss, Leipzig 1870. (Vgl. auch Wort- und Sacherläuterung zu 108,15-18). 113,5-6 »Ein Mann stiehlt […] wird ein Fürst.«] Giles, Chuang Tzu, 10. Kapitel, S. 114. 113,10-11 »Alle streben zu ergreifen […] was er weiß.«] Giles, Chuang Tzu, 10. Kapitel, S. 117 f. 113,15-16 »So ist die Welt […] ich sie leiten?«] Giles, Chuang Tzu, 12. Kapitel, S. 154. 113,21-23 »darum ist die Tugend […] nichts verbergen«] Giles, Chuang Tzu, 16. Kapitel, S. 197.

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114,10 »zugrunde liegt«] Giles, Chuang Tzu, 33. Kapitel, S. 439. 114,16 »in ihm die Bilder sind«] Lao-Tse, 21. Kapitel, Strauss, S. 107. 114,25-26 »der Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name«] Lao-Tse, 1. Kapitel, Strauss, S. 3. 114,28-29 »Tao kann kein Dasein haben.«] Giles, Chuang Tzu, 25. Kapitel, S. 351. 114,32-34 »Wie kann Tao […] nicht fassen können.«] Giles, Chuang Tzu, 2. Kapitel, S. 16 f. 114,36-37 »es gehört zum Spiel«] Giles, Chuang Tzu, 2. Kapitel, S. 21 f. 114,40 »dem Geheimnis der Wesenheit Gottes«] Giles, Chuang Tzu, 11. Kapitel, S. 127. 115,1 »kann es durch das Suchen gefunden werden«] Lao-Tse, 62. Kapitel, Strauss, S. 277. 115,3-4 »Nur wer mit Schweigen […] der hat es«] Liezi, 4. Buch, 15. Kapitel; Bubers Quelle war: Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, S. 100. 115,12-13 »Daß der Himmel hoch ist […] das ist ihr Tao«] Giles, Chuang Tzu, 22. Kapitel, S. 283. 115,16-20 »Himmel kriegte Einheit […] rechte Maß zu geben.«] Lao-Tse, 39. Kapitel, Strauss, S. 180. 115,23-24 »Kein Ding kann Tao […] ewig von neuem.«] Giles, Chuang Tzu, 22. Kapitel, S. 291. 116,1-5 »Was keinen Urquell hat […] das ist Ewigkeit.«] Liezi, 4. Buch, 9. Kapitel; Bubers Quelle war wiederum: Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, S. 91. 116,7 »großen Haus« der Ewigkeit] Giles, Chuang Tzu, 18. Kapitel, S. 228. 116,14-16 »das unsichtbare Tor […] Wohnsitz des Vollendeten«] Giles, Chuang Tzu, 23. Kapitel, S. 304. 116,22-23 »Himmel und Erde und ich […] sind eins.«] Giles, Chuang Tzu, 2. Kapitel, S. 23 116,29-31 »Wären Metall und Stein […] mit allen Dingen.«] Giles, Chuang Tzu, 12. Kapitel, S. 138. 116,33 »Tao wird übermittelt, aber nicht empfangen«.] Giles, Chuang Tzu, 6. Kapitel, S. 76. 116,41-117,1 »Buch von der Reinheit und der Ruhe«] Eine Schrift aus dem taoistischen Kanon, die teilweise mystische Züge trägt. Buber kannte sie vermutlich in der englischen Übersetzung von Legge; vgl.: Khing Ka˘ng King, or ›The Classic of Purity‹, in: The Sacred Books of China. The Texts of Taoism, transl. by James Legge, Part II, Appendix I, London 1891, S. 247-254.

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Einzelkommentare

117,1-2 »Wenn der Mensch […] und Erde zurück«] Ebd., S. 250. 117,11-12 »Das wahre Tao erklärt sich nicht.«] Giles, Chuang Tzu, 2. Kapitel, S. 25. 117,13 »Taos Richtmaß ist sein Selbst«] Lao-Tse, 25. Kapitel, Strauss, S. 126. 117,15-16 »aller Wesen Mutter«] Lao-Tse, 1. Kapitel, Strauss, S. 3. 117,16-18 »Der Talgeist ist unsterblich […] Himmels und der Erde Wurzel«] Lao-Tse, 6. Kapitel, Strauss, S. 32. 117,20-22 »Es hat seine Bewegung […] noch Gestalt.«] Giles, Chuang Tzu, 6. Kapitel, S. 76. 117,22 »ewig ohne Tun und doch ohne Nichttun«] Lao-Tse, 37. Kapitel, Strauss, S. 172. 117,22-23 »beharrt und wandelt sich nicht«] Lao-Tse, 25. Kapitel, Strauss, S. 126. 117,32-33 »Wer in der Sünde ist, Tao vermag ihn zu sühnen«] Lao-Tse, 62. Kapitel, Strauss, S. 277. 117,40 »Gottes Genosse«] Giles, Chuang Tzu, 6. Kapitel, S. 84. 118,3-8 »Ersteige die Höhe […] heißt ewig sein.«] Lao-Tse, 16. Kapitel, Strauss, S. 84. 118,36-37 »unterm Himmel ist […] eines Grashalms«] Giles, Chuang Tzu, 2. Kapitel, S. 23. 118,37-38 Wir können uns […] des Riesenvogels nicht.] Es handelt sich hier zwar nicht um ein wörtliches Zitat, aber Buber paraphrasiert hier die Kernaussage, die er in der allerersten der Geschichten TschuangTses fand; siehe Giles, Chuang Tzu, 1. Kapitel, S. 2. 119,2-3 »Kein Wesen erreicht ein höheres Alter […] in der Wiege starb.«] Giles, Chuang Tzu, 2. Kapitel, S. 23. 119,4-6 ein Morgenpilz kennt […] Frühling und Herbst nicht.] Dieser Satz ist nicht als Zitat kenntlich gemacht, es handelt sich aber um ein wörtliches Zitat, ebenfalls aus der ersten der Geschichten TschuangTses (vgl. 118,37-38); Giles, Chuang Tzu, 1. Kapitel, S. 3. 119,27 »versöhnt das Ja mit dem Nein im Lichte«] Giles, Chuang Tzu, 2. Kapitel, S. 17. 119,29-30 »Nicht ausgehend zur Tür […] des Himmels Weg«] Lao-Tse, 47. Kapitel, Strauss, S. 214. 119,37 »Musik des Himmels«] Titel einer der Geschichten Tschuang-Tses, s. in diesem Band, S. 52-53; vgl. Giles, Chuang Tzu, 2. Kapitel, S. 12 f. 119,38-39 »wie der Wind auf den Öffnungen der Bäume spielt«] Giles, Chuang Tzu, 2. Kapitel, S. 12. 120,27-30 Absichtliche Menschenliebe […] andere Auswüchse.] Vgl. Giles, Chuang Tzu, 8. Kapitel, S. 99.

Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse

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120,30-33 »Wie Stechfliegen einen […] Einfalt zurückzubringen.«] Giles, Chuang Tzu, 14. Kapitel, S. 184. 120,39-121,2 »Für die vollkommenen […] Pflichtlosigkeit wohnten.] Giles, Chuang Tzu, 14. Kapitel, S. 183. 121,4 »Nichterkennen«] Lao-Tse, 71. Kapitel, Strauss, S. 312. 121,4-5 »Wer licht in Tao, ist wie voll Nacht«] Lao-Tse, 41. Kapitel, Strauss, S. 189. 121,6 »Der Vollendete tut das Nichttun«] Lao-Tse, 2. Kapitel, Strauss, S. 10. 121,6-8 »Die Ruhe […] inneren Tat.«] Giles, Chuang Tzu, 13. Kapitel, S. 157. 121,15-19 »Ich sitze wie […] gedeihen alle Dinge.«] Giles, Chuang Tzu, 11. Kapitel, S. 122 f. 121,27-28 »Wer in sich […] dem neugeborenen Kinde.«] Lao-Tse, 55. Kapitel, Strauss, S. 245. 121,35-36 »Der Vollendete […] keine Menschenliebe.«] Lao-Tse, 5. Kapitel, Strauss, S. 28. 121,39-122,1 »Gute – ich behandle […] Tugend ist treu«] Lao-Tse, 49. Kapitel, Strauss, S. 219. 122,3 »verhilft allen Wesen zu ihrer Freiheit«] Lao-Tse, 64. Kapitel, Strauss, S. 286. 122,10-12 »Seine Ausgänge […] tiefes Einswerden«] Lao-Tse, 56. Kapitel, Strauss, S. 249. 122,20-21 »Das Reich ist […] zerstört es«] Lao-Tse, 29. Kapitel, Strauss, S. 145. 122,34-37 »Ich bin ohne Tun […] von selber einfach«] Lao-Tse, 57. Kapitel, Strauss, S. 253. 123,9-14 »Je mehr Verbote […] Diebe gibt es«] Lao-Tse, 57. Kapitel, Strauss, S. 253. 123,15-20 »Das Volk hungert […] den Tod gering«] Lao-Tse, 75. Kapitel, Strauss, S. 324. 123,25-26 »Tragen des Landes […] König sein«] Lao-Tse, 78. Kapitel, Strauss, S. 333. 123,33 »Wir sind von selbst so geworden.«] Lao-Tse, 17. Kapitel, Strauss, S. 91; Buber orientiert sich hier vermutlich mehr an der Übersetzung Legges, bei dem es heißt: »›We are as we are, of ourselves!‹« (Legge, The Tao Teh King, in: The Sacred Books of China. The Texts of Taoism, S. 61); Strauss übersetzt: »wir sind frei«, geht dann allerdings in seinem Kommentar näher auf die Bedeutung dieses »wir sind frei« ein und gibt als wörtliche Übersetzung an: »von selbst so« (siehe Strauss, S. 93).

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Einzelkommentare

124,2-3 »Tao ist groß, […] der König ist groß«] Lao-Tse, 25. Kapitel, Strauss, S. 126. 124,10 Asoka] lebte 304 bis 232 v. Chr.; Regent aus der altindischen Dynastie der Maurya von 268 an; nach zahlreichen kriegerischen Eroberungen war er einer der größten Herrscher Indiens. 124,35-125,1 Erzählung vom Totenschädel] Tschuang-Tse, »Der Totenschädel«, siehe in diesem Band, S. 88-89. 125,1 Hamlets Kirchhofsrede] William Shakespeare, Hamlet. Prinz von Dänemark (1599/1602), 5. Aufzug, 1. Szene. 125,2 »Schweigen«] Siehe in diesem Band, S. 93. 126,2-3 Erzählung der Fioretti […] Ludwig von Frankreich] Die Fioretti. Legenden über Franziskus und seine Gefährten, 34. Kapitel: Wie der heilige König Ludwig von Frankreich in eigener Person als Pilger nach Perugia ging, um den heiligen Bruder Aegidius zu besuchen. Die Fioretti sind Legenden über das Leben des Franz von Assisi (1181/821226). Anonym verfasst entstanden sie im späten 14. Jahrhundert und gelten als die beliebteste Legendensammlung zum Leben des Heiligen Franziskus. 125,4 Gespräch vom ewigen Sterben] Tschuang-Tse, »Das ewige Sterben«, siehe in diesem Band, S. 93-94. 125,4-5 »Stirb und werde«] Zitat aus: Johann Wolfgang von Goethe, Selige Sehnsucht (1814), in: Ders., West-östlicher Divan. Erstes Buch: Moganni Nameh. Buch des Sängers. 126,19 Faber (»Der Naturalismus bei den alten Chinesen«)] Ernst Faber, Der Naturalismus bei den alten Chinesen, Sowohl Nach Seite des Pantheismus als des Sensualismus: oder, die Sämmtlichen Werke des Philosophen Licius, Zum Ersten Male Vollständig Übersetzt und Erklärt, Elberfeld 1877. 126,20 natura naturans] lat., bei Spinoza die Natur als lebendige Einheit, die in schöpferischer Tätigkeit die Einzeldinge hervorgehen lässt. 126,37-38 (s. Strauß, Lao-tses Tao te king, S. LIII f.)] Lao-Tse’s Tao te King. Aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt, eingeleitet und commentirt von Victor von Strauss, Leipzig 1870. 127,16 (Giles, Chuang Tzu, S. 231)] Herbert Allen Giles, Chuang Tzu. Mystic, Moralist and Social Reformer, London 1889. 127,23-24 »Wer nicht an […] Formung der Dinge«] Giles, Chuang Tzu, S. 448. 127,33 (vgl. Balfour, Leaves from my Chinese Books] Frederic Henry Balfour, Leaves from My Chinese Scrapbook, London 1887. 128,3 (vgl. de Harlez, Textes tâoïstes, S. 286)] Charles de Harlez, Textes taoistes. Traduits des originaux Chinois et commentés, Paris1891.

Vorbemerkung [Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse]

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129,15-16 nach Art der Carusschen zum Tao-te-king] Buber bezieht sich hier auf: Lao Tze’s Tao-Teh-King, Chinese-English. With Introduction, Transliteration, and Notes by Paul Carus, Chicago 1898. 129,17-18 Legge (The Texts of […] the East)] The Sacred Books of China. The Texts of Taoism, transl. by James Legge, Part I. The Tao Teh King. The Writings of Kwang Ze, Part II. The Writings of Kwang Ze. The Thâi-Shang Tractate of Actions and their Retributions. Appendixes I-VIII (= The Sacred books of the East. Translated by various oriental scholars and edited by F. Max Müller, Vol. XXXIX, XL), London 1891.

Vorbemerkung [Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse] 1951, mehr als vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung von Bubers Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, erschien im Manesse Verlag in Zürich eine Neuauflage. Nicht nur hatte Buber für diese Neuauflage den Text seiner Übersetzung an etlichen Stellen überarbeitet (siehe hierzu den Variantenapparat zu Reden und Gleichnisse, in diesem Band, S. 312 ff.); er fügte dem Band auch eine Vorbemerkung hinzu. In dieser gibt er einen kurzen Überblick über die Publikationsgeschichte der Reden und Gleichnisse, er gibt aber auch Auskunft darüber, was ihn zur Neuauflage des Bandes bewogen hat: Die Reden und Gleichnisse waren seit Beginn der Zeit des Nationalsozialismus »verschollen«; ihre Wiederauflage 1951 widmet Buber dem Andenken Hugo von Hofmannsthals (1874-1929), zu dessen Lieblingsbüchern sie gehörten. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 50c); 1 Blatt, einseitig beschrieben, blaue Tinte; Reinschrift. D: Vorbemerkung in: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber, neu revidierte Aufl., Zürich: Manesse Verlag 1951, S. 5-6 (MBB 856). Druckvorlage: D Variantenapparat: 130,16-18 ; ich glaubte […] wesentlich gewandelt hat] fehlt H

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Einzelkommentare

Wort- und Sacherläuterungen: 130,9-10 (eine nahezu vollständige […] liegt seit 1912 vor)] Dschuang Dsi. Das wahre Buch vom südlichen Blütenland / Nan Hua Dschen Ging. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm, Jena 1912. 130,10-11 erst von Englischen Werken […] chinesischer Mitarbeiter] Herbert Giles, Chuang Tzu. Mystic, Moralist and Social Reformer, London 1889; James Legge, The Writings of Kwang Ze, in: Lao Tzu, The Sacred Books of China. The Texts of Taoism, trans. by James Legge, Part I, London 1891; hinsichtlich der »chinesischen Mitarbeiter« ist hauptsächlich Wang Jingtao zu nennen, ein Gastgelehrter am Seminar für Orientalische Studien der Berliner Universität, der seit 1907 in Berlin war und für Buber Übersetzungen aus dem Chinesischen anfertigte (siehe auch die Einleitung zu diesem Band, Anm. 26 u. S. 29 f.). 130,21 Erinnerung an Hofmannsthal […] Lieblingsbüchern zählte.] Vgl. z. B. den Brief Hugo von Hofmannsthals an Martin Buber vom 25. Mai 1911, in dem Hofmannsthal über seine Lektüre der Reden und Gleichnisse (und auch der Geister- und Liebesgeschichten) spricht (Arc. Ms. Var. 350, 8, 301.)

Chinesische Geister- und Liebesgeschichten Bubers Geister- und Liebesgeschichten stellen eine Auswahl von Geschichten aus dem Liaozhai dar, einer ca. 500 Geschichten umfassenden Sammlung von Erzählungen über außergewöhnliche Ereignisse und das Zusammenleben von Geistern und Menschen (zum chinesischen Werk und seinem Verfasser Pu Songling, siehe die Einleitung zu diesem Band, S. 26 ff.). Anders als im Fall der 1910 veröffentlichten Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse war Bubers ein Jahr später veröffentlichte Auswahl aus dem Liaozhai nicht die erste Übersetzung aus diesem Werk ins Deutsche. Bereits 1901 veröffentlichte Gustav Gast (geb. 1867) eine Auswahl von Geschichten Pu Songlings in deutscher Übersetzung, die allerdings wenig Beachtung fand (Gustav Gast, Hrsg., Chinesische Novellen von Pu Sung-ling, übers. von Li te-schun, Leipzig u. Wien 1901). Vermutlich war Buber diese Übersetzung bekannt. In seinem Vorwort zu den Geister- und Liebesgeschichten gibt er allerdings an, dass es vor allem der Lektor am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin Wang Jingtao war, der ihn mit dem Liaozhai bekannt machte (siehe zu diesem Umstand und zu Wang Jingtao selber ausführlicher die Einleitung zu diesem Band, Anm. 26 u. S. 29 f.). In seinem Vorwort spricht Buber

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auch über das, was ihn an den Geistergeschichten des Liaozhai so sehr anzog: »die Atmosphäre von Vertrautheit und Übereinstimmung«, dieses »Lied der verschwisterten und verliebten Elemente«, in dem es ganz natürlich und selbstverständlich ist, das Menschen von Dämonen und Dämonen von Menschen geliebt werden, weil alles, was die menschliche Hand berührt und der menschliche Geist sich erdenkt, für den Menschen zur lebendigen Wirklichkeit werden will (siehe in diesem Band, S. 131). Zu Bubers Interesse am Dämonischen vgl. auch die Texte »Der Dämon – Aus einem Drama« (in: Jüdischer Almanach, Berlin: Jüdischer Verlag 1902, S. 162 f.); »Das Haus der Dämonen« (in: Die Sonntags-Zeit. Belletristische Beilage zu Nr. 1547 der Wiener Tageszeitung »Die Zeit«, 13. Januar 1907, S. 1-3; jetzt in: MBW 2.1, S. 133-140); »Das dämonische Buch« (in: Navigare necesse est. Eine Festgabe für Anton Kippenberg zum Zweiundzwanzigsten Mai MCMXXIV, Leipzig: Insel 1924, S. 172; jetzt in: MBW 2.1, S. 224) und die Sammlung Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen (Berlin: Schocken Verlag 1934). Durch Wang Jingtao erhielt Buber offensichtlich die englische Übersetzung des Liaozhai von Giles (Strange Stories from a Chinese Studio, 2. überarb. Aufl., London 1909). Diese enthält 164 Geschichten, von denen Buber zehn für seine Sammlung auswählte. Die Titel der einzelnen Geschichten übernahm er jedoch nicht, sondern schuf eigene. Die übrigen sechs Geschichten seiner Sammlung (»Der närrische Student«, »Das Blätterkleid«, »Der Ärmel des Priesters«, »Musik«, »Die Schwestern«, »Wiedergeburt«) übersetzte Buber offenbar mit Hilfe von Wang Jingtao. Im MBA finden sich zu drei der Geschichten Rohübersetzungen (»Der närrische Student«, »Die Schwestern«, »Wiedergeburt«), die größtenteils nicht von Bubers Hand stammen, und auch Sprache und Stil verweisen eindeutig auf eine andere Autorschaft. Vermutlich handelt es sich um die Übersetzungen von Wang, die Buber anschließend grundlegend überarbeitet hat (zur Übersetzungsmethode von Wang Jingtao im Rahmen seiner gemeinsamen Arbeit mit Buber an den Geister- und Liebesgeschichten, vgl. die Einleitung zu diesem Band, S. 30 f.). Im Hinblick auf die zehn Geschichten, die Buber aus der Übersetzung von Giles auswählte, ist festzuhalten, dass Buber zwar in manchen Fällen Übersetzungsfehler Giles’ korrigierte, ihm dann aber auch wieder selber Fehler in seiner Übersetzung unterliefen, die auch von Wang Jingtao nicht korrigiert wurden. Entscheidender ist jedoch, dass Buber Giles darin folgte, die Kommentare, die Pu Songling, der Autor des chinesischen Originals, vielen seiner Geschichten beigab, konsequent in seiner Übersetzung auszulassen. 11 der 16 Geschichten, die Buber für seine Sammlung auswählte, hat Pu Songling kommentiert, indem er etwa eine Deutung der so-

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eben erzählten Geschichte vornimmt oder seine Ansicht über eine Geschichte darlegt. Auch in den Übersetzungsentwürfen Wang Jingtaos bleiben die Kommentare Pu Songlings unberücksichtigt. Vier der von Buber ausgewählten Geschichten enthalten Gedichte. Dazu kommt eine fünfte Geschichte (»Der närrische Student«), die in der chinesischen Vorlage keine lyrischen Elemente enthält, Buber gibt jedoch zu Beginn dieser Geschichte eine Passage in lyrischer Form wieder (siehe in diesem Band, S. 178). Die übersetzten Gedichte veranschaulichen, in welchem Maß die Interpretation die Übersetzung bestimmt. In der chinesischen Version von »Die Blumenfrauen« etwa (Pu Songling, Liaozhai zhiyi. Strange collection from a carefree studio, Hong Kong 1979, S. 138 f.) weisen die Gedichte Anspielungen auf eine andere Geschichte auf, die die Bedeutung der von Pu erzählten Geschichte als eine Geschichte der Abschiede und Wiedervereinigungen interpretieren (»Wushuang chuan« (Wushuang der Einzigartige), eine bekannte Geschichte aus der Tang Dynastie). Giles, der sich vielleicht dieser Anspielung nicht bewusst war, strich sie. So auch Buber. Im Gegensatz zu Buber behielt Giles an diesen Stellen jedoch die Versform bei (s. Giles, Strange Stories, S. 177, 179). Die Gedichte in den anderen drei Geschichten: »Das Blätterkleid«, »Der Ärmel des Priesters« und »Musik« wurden von Wang Jingtao übersetzt. Von der letzten Geschichte existiert nur der Entwurf Bubers, der auf der mündlichen Übersetzung Wangs beruht. Der Entwurf bietet einen einzigartigen Einblick in den Transformationsprozess von Wangs Version in Bubers elegantes Deutsch (Arc. Ms. Var. 350, Bet 50). Pu Songlings langes Gedicht in Versform mit unregelmäßigen Zeilen, ci genannt (s. Pu, Liaozhai zhiyi, S. 440-441), wurde im Entwurf von Buber und Wang nur in Auszügen übersetzt. Während sich Wang eng an die Unregelmäßigkeit der Zeilen hält, schreibt Buber das Gedicht um und erschafft es damit neu. Ein Blick auf die ersten vier Zeilen des Entwurfs soll genügen, um den Unterschied zu verdeutlichen (vgl. das vollständige Gedicht, in diesem Band, S. 209 f.): Entwurf von Wang und Buber: Der Gram macht mich toll, immer Denken, Denken Täglich wirren Liebesgedanken mein Herz. Die ber. Rosen u. d. Weiden beweinend Frühling, Sie haben Dasselbe Gefühl. Bearbeitung Bubers: Der dunkle Gram macht mich wirr. Ach, immer nur denken und denken.

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Alltäglich verwirren Gedanken der Liebe mein Herz. Die berauschenden Rosen, die Weiden beweinen den Frühling, Sie fühlen das Gleiche, sie trauern ums Gleiche wie ich. Bubers Auswahl von Geschichten aus dem Liaozhai beginnt mit der Geschichte »Das Wandbild«. Wahrscheinlich wählte er diese Geschichte aufgrund ihrer literarischen Qualität als seine erste Geschichte, aber auch, weil sie das bedeutende Konzept des Überschreitens mehrerer Grenzen veranschaulicht. Dazu gehört vor allem die nach beiden Seiten offene Grenze zwischen Wirklichkeit und Illusion. Obwohl Bubers Übersetzung einige Fehler aufweist, die allerdings erst bei genauerer Betrachtung auffallen, wurde seine Sammlung bei ihrem Erscheinen allgemein sehr positiv aufgenommen, und die Rezensionen in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften würdigten die bedeutende Leistung Bubers, die er mit diesem Werk erbracht habe. Die Rezensenten lobten den Stil und die Sprache von Bubers Übersetzung, hoben aber auch die Tatsache hervor, dass Bubers Sammlung in ihrer Art und mit dieser Art von Geschichten bisher einzigartig für den deutschsprachigen Leser sei (ausführlicher zur zeitgenössischen Rezeption, siehe die Einleitung zu diesem Band, S. 32 f.). Bubers Übersetzung der beiden Geschichten »Das Wandbild« und »Die Füchsin« wurde in verschiedenen Publikationen wieder abgedruckt. Zwei Neudrucke erschienen bereits kurz nach Veröffentlichung der Geisterund Liebesgeschichten (siehe unten d2 und d3). Die anderen Wiederabdrucke erschienen später, in den 1970er und 1980er Jahren (siehe unten Wiederabdrucke nach dem Tod des Autors). Textzeugen: h1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 50); 4 lose Blätter, einseitig beschrieben, paginiert, blaue Tinte, handschriftliche Korrekturen Bubers; es handelt sich um eine Handschrift der Geschichte »Das Blätterkleid«. h2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 50); 4 lose Blätter, einseitig beschrieben, paginiert, blaue Tinte, handschriftliche Korrekturen Bubers; zu Beginn teilweise nur stichpunktartig; es handelt sich um eine Handschrift der Geschichte »Musik«. D1: Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911 (MBB 111). d2: Teilabdruck: »Das Wandbild«, in: Neue Blätter, 2. Jg., 1912, Heft 5-6, S. 59-65 (MBB 123).

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d3: Teilabdruck: »Das Wandbild«, in: Blätter des Deutschen Theaters, 3. Jg. (1913/1914), Heft 46, S. 738-740 (MBB 130). D4: Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1919 (in MBB nicht verzeichnet). 4.1 D : Autorenexemplar (Arc. Ms. Var. 350, 1315a) von D4 mit handschriftlichen Korrekturen Bubers. D5: Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, 3. Aufl., Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1920 (in MBB nicht verzeichnet). D6: Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, 4. Aufl., Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1922 (in MBB nicht verzeichnet). D7: Chinesische Geister- und Liebesgeschichten. In deutscher Auswahl von Martin Buber, 4. Aufl., Zürich: Manesse Verlag 1948 (MBB 784). Wiederabdrucke nach dem Tod des Autors: Teilabdruck: »Das Wandbild«, in: Noch mehr Gespenster. Die besten Gespenstergeschichten aus aller Welt, hrsg. von Dolly Dolittle, Zürich: Diogenes Verlag 1981, S. 97-100. Taschenbuchausgabe: Zürich: Diogenes Verlag 1985, S. 97-100. Teilabdruck (»Das Wandbild«): »Das Bild«, in: In der Stunde des Ochsen. Liebesgeschichten über die Geister aus Japan und China, hrsg. von Olga Rinne, Darmstadt: Luchterhand Verlag 1983, S. 17-20. Teilabdruck: »Die Füchsin«, in: Von Werwölfen und anderen Tiermenschen. Dichtungen und Dokumente, hrsg. von Klaus Völker, München: Hanser Verlag 1972, S. 43-57. Taschenbuchausgabe: Ungekürzte Ausgabe, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1977, S. 38-49. Im kritischen Apparat werden die Handschriften h1 und h2 der Geschichten »Das Blätterkleid« und »Musik« in ihrem Gesamtumfang abgedruckt. Diese Vorgehensweise empfiehlt sich wegen der Erheblichkeit von Unterschieden im Vergleich von h1 und h2 mit D1, die zwar größtenteils keine gravierend den Sinn des Textes verändernden Unterschiede abbilden, aber eine wichtige Dokumentation von Bubers Übersetzungsarbeit darstellen. In einem Einzelstellenapparat wäre das Gesamtbild dieser Übersetzungsarbeit nicht mehr zu erkennen, da der Gesamttextzusammenhang verloren ginge. Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Chinese Tales. Zhuangzi: Sayings and Parables and Chinese Ghost and Love Stories, übers. von Alex Page, mit einer Einleitung von

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Irene Eber, New Jersey u. London: Humanities Press International 1991, S. 111-211; »Introduction«, in: Pu Sung-Ling, Chinese Ghost and Love Stories, übers. von Rose Quong, New York: Pantheon Books 1946, S. 9-13 (MBB 748). Abdruck von h1: »Das Blätterkleid«: Das Blätterkleid

Lu Tse-fu aus Fen, der in früher Kindheit s. Eltern verloren hatte, kam im 9. J. zu s. Onkel Ta-hi, der Beamter war u. obwohl reich, keinen Sohn u. daher Lu wie s. eigenen liebte. Als Lu 14 J., wurde er v. schlechten Leuten verführt zu Ausschweifungen. Als eine berühmte Kurtisane aus Tschingling durch d. Stadt kam, fand Lu an ihr Gefallen. Als sie wieder nach Tsching-l zurückkehren wollte, [wollte] ! folgte ihr Lu heimlich (fluchtartig). Nachdem er e. halbes Jahr bei ihr gewohnt hatte, war s. Geld »unter d. Kissen« zu Ende u. er wurde v. d. »Schwestern« sehr kalt behandelt; dennoch schickten sie ihn nicht sogleich weg. Kurz darauf erkrankte er an einer beulenartigen Krankheit u. d. Ausfluss beschmutzte sein Bett; so wurde er vertrieben und musste i. d. Stadt betteln. Wenn d. Stadtleute ihn sahen, wichen sie ihm aus. Er hatte Angst, in d. Fremde sterben zu müssen und bettelte [um Essen] ! sich auf d. Weg nach s. Heimat, die im Westen lag, durch. Täglich ging er 30-40 Li u. allmählich kam er an d. Grenze des Bezirks Fen. Aber er dachte [wieder, er könne nicht nach d. Heimat in] ! an seinen Schmutz u. Lumpen u. schämte sich, so in d. Heimat zurückzukehren, u. verweilte in d. Nachbarschaft. Als die Sonne unterging, wollte er eilig nach e. Tempel gehen, um dort über Nacht zu bleiben. Unterwegs traf er e. jun. Mäd., d. schön wie eine Fee war. Als sie näher kam, fragte sie ihn, wohin er gehe. Er sagte ihr d. Wahrheit. Sie sagte: »Ich bin v. d. Welt geschieden (Einsiedlerin) u. [in meiner] ! wohne in e. Berghöhle, da kann ich Ihnen Nachtlager anbieten. Sie brauchen sich da nicht vor Tigern u. Wölfen zu fürchten.« Er freute sich u. folgte ihr. Als sie in dem Berg angekommen waren, fand er einen Höhlenpalast. Vor d. Eingang lief ein Bach, über den e. Steinbrücke führte. Nach einigen Schritten sah er 2 Steinflügel (hängen), die strahlen, dass man kein Licht brauchte. Sie befahl ihm, die Lumpen auszuziehen u. sich im Bache zu baden, u. sagte: »Wenn Sie sich darin baden, werden d. Beulen geheilt.« [Dann machte] ! Dann hiess sie ihm e. Bett bereiten u. sagte dringend: »Gehen Sie sogleich schlafen. Ich werde für Sie e. Kleid machen.« Dann nahm sie grosse Bananenblätter u. schnitt e. Kleid zu. Er sah, auf d. Bett liegend, ihr zu. Nachdem sie einige Zeit daran gearbeitet u. es beendigt

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hatte, faltete sie es zusammen, legte es vor dem Bett hin u. sagte: »Morgen können Sie es anziehen.« Dann legte sie sich auf dem Bett nieder, das seinem Bett gegenüberstand. Er fühlte seit d. Bad keine Schmerzen a. s. Beulen mehr. Als er erwachte, betastete er sich u. fand, dass d. Beulen zu Schuppen geworden waren. Als es Tag war u. er aufstehen wollte, dachte er: »D. Bananenblätter kann ich doch nicht anziehen.« Er nahm sie in d. Hand u. betrachtete sie. Es war ein Kleid aus grüner kostbarer (»seltener«) Seide. Nach einiger Zeit wurde e. Mahl bereitet u. d. Mädchen nahm gefall. Gebirglaub u. liess daraus e. Kuchen machen. Als er ass, war es wirklich Kuchen. Sie schnitt e. Huhn u. e. Fisch aus Blättern zurecht u. liess sie braten, u. er fand alles wirklich. In d. Ecke d. Zimmers befand sich e. Krug, in dem schöner Wein aufbewahrt war u. aus dem sie oft tranken. Wenn es weniger wurde, füllte man ihn mit Wasser. Doch es blieb immer der gleiche Wein. Nach ein. Tagen fielen d. Schuppen v. ihm ab. Er bat d. Mädchen, mit ihm zu schlafen. Sie sagte: »Leichtfertiger Bursch, kaum sind Sie in Frieden u. schon machen Sie [unanständige] ! unnütze (»vergebliche«) Gedanken.« er sagte: Ich will Ihnen nur meinen Dank äussern? Dann lagen sie bei[einander] ! sammen und freuten sich aneinander. / Eines Tages kam e. junge Frau lächelnd herein u. sagte: »Die kleine Pien-pien, du bist ja ›zu Tod‹ vergnügt. Wie lange wird noch dein schöner Traum dauern?« sie sagte, ihr entgegengehend: »Frau Huatschen, lange bist du nicht zu mir gekommen, heute ist d. Westwind stark u. hat dich hergeblasen. Hast du Jungen mitgebracht?« Sie sagte: »Nein, wieder ein Mädchen.« Da lachte sie u. sagte: »Ach, du bist eine ›Ziegelei‹. Warum hast du d. Kind nicht mitgebracht?« Sie sagte: »Sie hat eben geschrien u. jetzt ist sie eingeschlafen.« Dann setzte sie sich an d. Tisch, trank mit u. sagte, Lu anblickend: »Der junge Herr kann guten Weihrauch brennen.« Er blickte sie an u. sah, dass sie drei oder vierundzwanzig u. sehr schön war u. fand grossen Gefallen an ihr. Als er ei. Frucht schälte u. unvorsichtigerweise fallen liess, beugte er sich, angeblich um d. Frucht aufzuheben, u. fasste heimlich d. Fuss d. Hua-tschen. Sie lächelte, indem sie d. Blick wegwandte, als ob sie nichts davon wüsste. Als er erregt u. s. Sinne geraubt war, bemerkte er, dass s. Kleid nicht mehr warm war, [besah] ! betrachtete sich u. sah, dass es sich in Herbstblätter verwandelt hatte. Entsetzt fasste er Essen u. sass still. Nach kurzer Zeit wurde d. Kleid wieder wie vorher u. er freute sich, dass d. beiden Damen d. Verwandlung nicht bemerkt hatten. Bald darauf, als sie weiter tranken, berührte er wieder d. feine Handfläche d. Huatschen. Sie lachte u. scherzte weiter, als ob sie nichts bemerkt hätte. L. Herz klopfte mächtig; da sah er wieder d. Kleid in Blätter verwandelt. Nach einiger Zeit verwandelte es sich wieder zurück. Von da an schämte

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er sich u. wagte nicht mehr, unnütze Gedanken zu hegen. Hua-tschen sagte lachend: »Dein junger Mann ist [wirklich] ! ei. zu unartiger Mensch. Wenn nicht Frau Essig-Kürbis-Flasche da wäre, wäre er schon in die Wolken gesprungen.« Die andere lachte auch u. sagte: »So ein untreuer Kerl verdient in d. Not d. Kälte zu sterben.« Dann klatschten sie in die Hände u. lachten. Hua-tschen stand vom Tisch auf u. sagte: »Mein kl. Mädchen wird vielleicht erwachen. Dann schreit sie herzzerreissend.« Die Andere stand auch auf u. sagte: »[Du warst] ! Man ist begierig, d. fremden Mann zu verführen, [dass du das kl. Mädchen] ! u. vergisst d. eigene Haus.« Als H. fortgegangen war, fürchtete L. sich, e. Strafe zu bekommen. Sie aber sprach zu ihm wie gewöhnlich. / E. Zeit verging, es wurde Herbst, d. kalte Wind ging, d. Bäume welkten. Sie sammelten d. Blätter u. machten daraus Winterkleider. Da Lu noch frierte, nahm sie ein Tuch, wickelte d. Nebelwolken vor d. Eingang ein u. machte daraus ein flockiges Kleid u. zog es ihm an. Es war warm und reich mit Pelzstoff und leicht wie frische Baumwolle. / Im nächsten Jahr gebar sie e. Sohn, der klug u. schön war. Lu spielte tägl. m. d. Kind in d. Höhle, aber er dachte oft an d. Heimat u. bat sie, mit ihm zurückzukehren. Sie sagte: »Ich kann Ihnen nicht folgen. Aber Sie können allein gehen.« Nachdem er noch drei Jahre gesäumt hatte, war d. Kind grösser geworden. Sie vereinbarten mit Huatsche, d. beiderseits Kinder zu verloben (»zuküft. Verbind.«). Lu dachte oft an s. alten Onkel. Sie sagte: »Obwohl d. Alter Ihres Onkels ein hohes ist, ist er noch sehr rüstig. Sie brauchen nicht besorgt zu sein. Nach d. Heirat uns. Kinder können Sie nach Ihrem Wunsch gehen.« Sie schrieb auf Blättern u. unterwies d. Kind im Lesen u. Schreiben. D. Kind lernte sehr leicht auswendig, beim ersten Lesen. Sie sagte zu Lu: »D. Kind hat ein gutes Schicksal. Wenn es in d. Welt gelassen wird, kann man vertrauen, dass es bis zum Minister emporkommt.« Nach einer Zeit wurde d. Knabe 14. Hua-tschen brachte persönl. ihre Tochter zu ihnen, in seidenem Schmuck, m. strahlendem Gesicht. Mann u. Frau freuten sich u. veranstalteten eine Feier im ganzen Haus. Pienpien klopfte mit ihrer Haarnadel u. sang: »Ich habe einen guten Sohn u. liebe nicht reiche Beamten. Ich habe eine gute Schwiegertochter u. finde nicht Gefallen an reichen Damen. Heute bei d. Verlobung sollen alle sich freuen. Ja giesse ihnen ein u. trinke auf ihr Wohl.« Dann ging Hua-tschen u. d. junge Paar nahm Wohnung im gegenüberliegenden Hause (Flügel). D. junge Frau war so beliebt bei ihnen wie ihr eigenes Kind. Pien-pien sagte: »Mein Sohn hat ›Welthmoden‹ u. nicht Feenart, u. er wird e. Reicher werden. Du kannst ihn mitnehmen.« D.

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junge Frau wollte v. ihrer Mutter Abschied nehmen aber Hua-tschen war schon da. Sohn u. Tochter waren so anhänglig, dass sie schwer scheiden konnten, u. d. Tränen bedeckten ihr Gesicht. D. beiden Mütter trösteten sie u. sagten: »Ihr könnt jetzt gehen u. später wiederkommen.« Pien-pien schnitt Esel aus Blättern u. lies d. Drei darauf zu Lu’s Heimat reiten. / Ta-hi war schon alt u. hatte s. Amt aufgegeben. Er hatte lange gedacht, s. Neffe sei gestorben. Plötzlich kam er u. brachte ihm e. guten Enkel u. e. schöne Enkelin. Er freute sich, als hätte er Edelsteine gefunden. Als sie in d. Tür getreten waren, bemerkten sie, dass ihre Kleider aus Bananenblättern nass u. ganz zerrissen herunterhingen. Sie wechselten d. Kleider. / Später dachte Lu an Pien-pien u. ging mit s. Sohn an d. Ort, um d. Spuren zu suchen, aber v. gelben Blättern bedeckten d. Eingang d. Höhle u. Nebel verhüllte den Weg. Unter Tränen kamen sie zurück. Abdruck von h2: »Musik«: Die Musik Auf s. Fahrten in d. Provinz Tsing alten Tempel band das Pferd an u. trat ein, um auszuruhen Sein Stab lehnte an d. Wand, u. d. Kin-Behälter war in bunten Stoff gewickelt. Wen fühlte sich in s. Leidenschaft bewegt u. fragte: »Können Sie das spielen?« Der P. antw.: »Obwohl ich es nicht sehr gut kann, würde ich gern v. einem Kundigen lernen. Der P. lächelte, als wollte er keinen Beifall spenden. Wen spielte nun das Beste, was er konnte. D. P. sagte lachend: »Auch gut, aber es ist nicht genug um … u. bat ihn selbst zu spielen Vögel sammelten sich im Hof u. d. Bäume waren v. ihnen bedeckt Wen bat entzückt d. P. ihn zu unterrichten. D. P. spielte dreimal. W. hörte es m. gebeugten Ohren andächtig u. nahm d. Melodie auf. Nun liess d. Priester ihn selbst versuchen W. übte täglich … 10 Li v. s. Haus Er fand nirgends e. Zuflucht. Am Weg lag ein Dorf, er ging hin, ohne genauer zu wählen … Trat in d. Halle als ob niemand da wäre nach einem Augenblick kam e. M. … göttl. schön

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erschrak und lief hinein. Zu jener Zeit war Wen noch nicht verlobt u. hatte deshalb Liebesgedanken. Er sagte es u. bat um Aufnahme. Sie sagte: Hier wohnen können Sie, aber ich habe kein Nachtlager. Wenn Sie sich mit e. Strohmatte begn., k. ich Sie aufnehmen. Dann kam sie mit e. Kerze u. bereitete freundlich e. Matte aus. Er fragte sie nach ihrem Namen. Sie antwortete, sie heisse Tschao. Er fragte, wer d. Mädchen sei. Sie sagte: D. ist F., meine Pfleg. Wen sagte: Wenn Sie mich nicht geringschätzen, würde ich mich gern mit ihr verbinden. Was meinen Sie dazu? Die Alte sagte mit verl. Gesicht: Ich darf nicht zustimmen. Er fragte nach d. Grund. Sie sagte nur, sie könne ihn nicht mitteilen. Betrübt musste er aufgeben. Als die Frau gegangen war … dass man darauf nicht schlafen konnte. Daher setzte er sich hin u. spielte auf auf d. Kin, um die Stille Nacht zu vertreiben. Als es zu regnen aufhörte, ging er nach Hause In d. Stadt lebte e. zurückgezogener Ministerialrat Herr Ko, der gr. Vergnügen an d. Zitherspielen fand. W. besuchte ihn einmal. Herr Ko liess ihn etwas spielen. Als er spielte, hörten d. weibl. Angehörigen der Fam. hinter d. Vorhang zu. Plötzlich zog e. Wind u. d. Vorhang wurde aufgehoben. W. sah ein Mädchen im heiratsf. Alter, das unvergl. schön war. Herr Ko hatte nämlich e. Tochter, die Liang-kung hiess u. sehr gut Poesie verfassen konnte u. bekannt war. W. war sehr bewegt. Als er zurückkam, erzählte er es s. Mutter. Es wurde Vermittl. geschickt. Ko hielt aber W. zu gering u. wollte nicht einwilligen. S. Tochter aber, nachdem sie W’s Spiel gehört hatte, hing ihr Herz an ihm u. hoffte wieder einmal s. schönes Spiel zu hören. Aber W. s. Versuchen mit d. Frau auf, da d. Heirat nicht zustande gekommen war. E. Tages war L. im Garten u. fand auf d. Boden e. alten Bogen Papier. Darauf stand e. Gedicht, betitelt »Die Klage über die Reste des Frühlings«. Die Verse waren diese: Der Gram macht mich toll, immer denken, denken Täglich wirren Liebesgedanken mein Herz. Die ber. Rose u. d. Weiden beweinen d. Frühling, sie haben dasselbe Gefühl. Alter u. neuer Kummer sind verschmolzen Ich will sie unterdrücken, aber sie leben auf wie d. abgemähte Gras. (Schmerzen) Es wird Abend u. es wird Morgen Das Runzeln meiner Brauen verletzt d. Frühlingsberg u. mein Blick durchdringt d. Lauf d. Herbstwasser. Ich habe es verworfen u. wieder verworfen.

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Meine Decke … ich will schlafen aber kann nicht schlafen Wir wollen nicht sagen … Ich sehe Drei Nachtr. sind wie sollen da nicht alle werden? L. las d. Verse wieder u. wieder u. fand gr. Gefallen daran. [Sie brachte es mit nach Hause] u. nahm an, es sei vom Wind weggeweht. Ko hielt es für e. Versuch d. L. u. ärgerte sich über diese leichtfert. Verse u. verbrannte sie, ohne ihr etwas zu sagen. Nun wollte er sie schnell verheiraten. Zu jener Zeit warb d. Sohn d. Schatzmeisters Liu um L. Ko wollte ihn sehen u. er kam in reichem Gewandt zu ihm. Er war v. schöner Gestalt u. Ko freute sich über ihn u. lud ihn zu einer Mahlzeit ein. Als er Abschied genommen hatte, fand Ko unter d. Sitz e. Frauenschuh. Er nahm s. Leichtfert. Übel u. liess d. Vermittler kommen u. erzählte es ihm. Liu bestritt es, aber Ko hörte nicht auf ihn u. lehnte d. Werbung ab. Vorher hatte Ko in s. Garten grüne Chrysanthemen, v. denen er u. d. Seinen niemandem hatte geben wollen. L pflegte sie. Eines Tages wurden plötzlich einige Chr. in W’s Hofe grün. S. Kameraden hörten davon u. besuchten ihn alle, um sie anzusehen. W. sah sie als eine Kostbarkeit an. An einem Morgen ging er hin um sie zu beschneiden, fand auf d. Beete e. Papier, darauf jenes Gedicht »Klage …« geschrieben stand. Er las es wiederholt u. wusste nicht, woher es gekommen war. Da er aber merkte, daß das Wort Tscheng (Frühling) s. eig. Namen war, machte er sich besondere Gedanken darüber. Er setzte sich an s. Tisch u. schrieb scherzhafte Bemerkungen dazu. Zu jener Zeit erfuhr Ko, dass W’s Chr. grün geworden waren u. war erstaunt u. besuchte ihn. Als er d. Gedicht sah, nahm er es u. las es. Wegen s. scherzhaften Bemerkungen riss es ihm Wen aus der Hand u. zerknitterte es. Ko hatte nur e. paar Sätze gelesen u. fand, dass es das war, dass er vor d. Zimmer s. Tochter gefunden hatte u. hegte Verdacht. Er dachte, d. grünen Chr. seien W. v. L. geschenkt worden. Nach Hause zurückg., erz. er s. Frau u. bat sie, d. Tochter auszufragen. L. weinte bitterlich u. wollte sterben. D. Sache kam aber nicht s hervor, wie Ko gedacht hatte, u. er konnte es nicht feststellen. D. Frau fürchtete, die Sache könnte verbreitet werden, u. meinte, es sei gut, d. Tochter u. W. zu vermählen; auch K. hielt es für gut, u. liess es W. sagen. W. freute sich ungemein. An demselben Tage lud er Freunde ein, um s. Chr. zu besichtigen, brannte Weihrauch und spielte Kin. Bis tief in die Nacht blieben sie beisammen. Dann ging W. schlafen. D. Diener hörte d. Kin v. selber spielen. Anfangs dachte er, das sei ein Scherz v. e. anderen Diener. Nachher sah er aber, dass es nicht e. Menschen war u. erzählte es W. W. ging heran. Der Ton

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war stockend, als ob man seine Art nachahmen wollte u. nicht könnte. Er ging schnell mit d. Lampe hinein, aber fand niemand drin. W. nahm d. Instr. mit sich u. d. ganze Nacht über blieb es still. Er meinte, es sei ein Fuchs gewesen, der bei ihm Musik lernen wollte. Deshalb spielte er jeden Abend ein Lied u. liess dann d. Instrum für d. Unsichtbaren liegen u. war wie e. Lehrer. Jede Nacht hörte er zu; nach 6 o. 7 Nächten konnte d. Unsichtbare auch spielen u. er hörte sich schon angenehm an. Als W. L. in s. Haus als s. Frau empfangen hatte, erzählte er ihr v. d. Gedicht. Da kam es heraus, wie d. Verbindung zustande gekommen war, aber sie wussten nicht, wie es geschehen war. L. fand d. Spiel d. Uns. seltsam; sie begab sich auch hin u. sagte: Das ist kein Fuchs. Das Spiel ist traurig u. hat e. Geisterton. W. wollte es nicht glauben. L. sagte, sie habe zu Hause e. alten Spiegel, mit dem man d. unsichtb. Geister spiegeln könnte. Am nächsten Tag liess sie d. Spiegel holen u. wartete, bis d. Spiel begann. Dann nahm sie d. Spiegel, ging hinein u. machte Licht. Da fand sie e. Mädchen, d. befangen sich in d. Ecke verkroch, bis sie sich zuletzt nicht mehr verbergen konnte. W. betrachtete sie näher u. fand, dass sie F. v. d. Fam. Tschao war. Er war erstaunt u. fragte sie alles. Schluchzend sagte sie: »Ich habe für euch d. Vermittlerin gespielt u. habe euch Gutes erwiesen. Warum bedrängt ihr mich so sehr?« W. bat s. Frau, d. Spiegel wegzunehmen. Dann sagte er zu F., sie möchte nicht ausweichen. Sie stimmte zu. D. Spiegel wurde m. e. Tuch verhüllt. Das Mäd. beruhigt u. sagte: Ich bin d. Tochter eines Präfekten u. bin schon 100 J. tot. Als ich lebte, liebte ich Kin u. Zither zu spielen. Z. konnte ich schon spielen, aber d. Kunst, K. zu spielen, habe ich nicht erlangt. Da klagte ich darüber in d. Unterwelt. Als ich Ihr Spiel hörte, hatte ich gr. Bestreben im Herzen, aber da ich e. »anderes Ding« bin, konnte ich nicht bei Ihnen bleiben. Ich habe daher heimlich für Sie diese gute Verbindung hergestellt, um Ihre Freundlichkeit zu vergelten. Der Frauenschuh u. d. Gedicht waren m. Werk. Diesen Lohn für d. Lehrer kann man nicht als mühelos ansehen.« W. u. s. Frau waren ihr beide hsehri dankbar u. verneigten sich. F. sagte: »Ihre Kunst habe ich zur Hälfte begriffen, aber nicht in d. ganzen Tiefe. Ich bitte mir noch einmal vorzuspielen.« W. folgte ihrer Bitte u. spielte nach d. Regeln d. Kunst. F. freute sich sehr u. sagte: »Ich habe jetzt ganz begriffen.« Sie stand auf u. wollte gehen. L. konnte auch gut Zither spielen; da sie hörte, dass F. spielen könne, wollte sie sie einmal spielen hören. Sie schlug d. Bitte nicht ab, d. Melodie u. d. Rhythmus waren nicht wie die auf Erden sind. L. fand gr. Gef. u. spendete Beifall u. bat sie, ihr Unterricht zu geben. F. schrieb ihr 18 Stücke auf, stand auf u. wollte gehen. W. u. L. bemühten sich, sie zurückzuhalten. Sie sagte traurig: »Ihr beide seid zueinander gestimmt, aber m. Schicksal ist schwer (»dünn«) u. ich habe kein Glück; wenn d.

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Vors. uns günstig gestimmt ist, werden wir uns wiedersehen.« Darauf gab sie W. e. Rolle u. sagte: »Das ist m. Bild. Wenn Sie m. Vermittlung nicht vergessen, hängen Sie es im Schlafzimmer auf. In d. Zeit d. Freude brennen Sie Weihrauch vor d. Bilde u. spielen Sie ein Lied. Dann werde ich Ihnen dankbar sein.« Dann ging sie u. verschwand. Variantenapparat: 131,Überschrift Chinesische Geister- und Liebesgeschichten] ergänzt in deutscher Auswahl von Martin Buber D4.1 ergänzt In deutscher Auswahl von Martin Buber D7 131,Überschrift [Vorwort]] Vorwort D7 134,Anm. Herr Gustav Gast […] benützt habe.] fehlt D7 135,2 Kü-jen] Magister d2, d3 135,5 und nur einen alten Priester] [und] nur einen alten Priester D4.1 niemand außer einem alten Priester D7 135,14-15 schaute sie eine […] abwenden zu können] Herr Tschu schaute sie [eine gute Weile an], ohne den Blick abwenden zu können, heine gute Weile ani D4.1 Herr Tschu schaute sie, ohne den Blick abwenden zu können, eine gute Weile an D7 135,23 das vorher betrachtete Mädchen,] das vorher betrachtete Mädchen haus dem Wandbildi, D4.1 das Mädchen aus dem Wandbild D7 135,37-38 Da kicherten […] davon] [Da kicherten] ! Kichernd [sie wieder und] liefen hsiei davon D4.1 Kichernd liefen sie davon D7 136,16 da,] fehlt D7 136,23 eingeklemmten] eingeklemmten ! beklemmenden D4.1 beklemmenden D7 136,26-27 ohne an […] Schicksals zu denken] ohne auf Ursache und Zweck seines gegenwärtigen Schicksals zu sinnen D4, D5, D6 137,6 sehr wenig befriedigend] [sehr] wenig befriedigend D4.1 wenig befriedigend D7 137,7 zurechtdeuten] [zurechtdeuten] ! legen D4.1 zurechtlegen D7 137,18 Es war nämlich im Stadttempel zu Ling-yang] [Es war nämlich im] ! Im Stadtpalst zu Ling-yang hwar nämlichi D4.1 Im Stadttempel zu Ling-yang war nämlich D7 137,20 und dem ersten] und hdochi dem ersten D4.1 und doch dem ersten D7 137,31 eine Furcht] [eine] Furcht D4.1 137,36 Nähe, und so oft] [Nähe, und so oft] ! Nähe. So oft D4.1 Nähe. So oft D7 138,9 einige] [einige] D4.1 fehlt D7 139,3 nur] [nur] D4.1 fehlt D7

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139,4 nun in Ruhe] [nun in Ruhe] D4.1 fehlt D7 139,5 schloß die […] Verband auf] hundi schloß die Öffnung [und legte ihr] ! mit [einen] ! einem Verband [auf] D4.1 und schloß die Öffnung mit einem engen Verband D7 139,7 Nun sah er] [Nun sah er] ! Er sah D4.1 Er sah D7 139,15 völlig] [völlig] D4.1 fehlt D7 139,18 gemacht] gemacht ! verfaßt D4.1 verfaßt D7 139,35 angeht] erlaubt ist D7 140,22 erwachte die Frau und spürte] [erwachte die Frau und spürte] ! erwachte die Frau. Sie spürte D4.1 erwachte die Frau. Sie spürte D7 140,23 als sie mit der Hand dran rührte] als sie hdie Stellei mit der Hand [dran] ! berührte D4.1 als sie die Stelle mit der Hand berührte D7 140,26 rötete; als sie nun aufblickte] [rötete; als sie nun aufblickte] ! rötete. Wie sie aufblickte D4.1 rötete. Wie sie aufblickte D7 141,5 Rumpf da, aber der Kopf] Rumpf da, [aber] der Kopf hjedochi D4.1 Rumpf da, der Kopf jedoch D7 141,13 verwirrt] [verwirrt] D4.1 fehlt D7 141,20 Klage an; aber] [Klage an; aber] ! Klage an. Aber D4.1 Klage an. Aber D7 141,22 hat] hat ! ist D4.1 ist D7 141,25 damit nichts] [damit nichts] ! nichts damit D4.1 nichts damit D7 141,31 der im Verhör] der halsbaldi im Verhör D4.1 der alsbald im Verhör D7 141,32 seiner Frau] seiner ! dessen Frau D4.1 dessen Frau D7 141,37-38 die Absicht, in das öffentliche Leben zu treten, aufgab] die Absicht haufgabi, in das öffentliche Leben zu treten[, aufgab] D4.1 die Absicht aufgab, in das öffentliche Leben zu treten D7 142,13 Leben war, und ich] [Leben war, und ich] ! Leben war. Ich D4.1 Leben war. Ich D7 142,15 mehr, und Tschu ] [mehr, und Tschu] ! mehr. Tschu D4.1 mehr. Tschu D7 142,17 geben] zuteilen D7 142,24 kamen aber nun] kamen [aber] nun D4.1 142,29 lesen, und er] [lesen, und er] ! lesen. Er D4.1 lesen. Er D7 143,7 erkannte er, daß es sein Vater war] [erkannte er, daß es sein Vater war] ! erkannte er seinen Vater D4.1 erkannte er seinen Vater D7 143,15 nur] [nur] D4.1 fehlt D7 143,28 von daheim] [von daheim] ! vom Hause D4.1 vom Hause D7 143,30 Aber sie] Aber sie ! Sie D4.1 Sie D7 143,33 rundumher] [rundumher] ! ringsumher D4.1 ringsumher D7

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143,36 gebrochen, und ihr] [gebrochen, und ihr] ! gebrochen. Ihr D4.1 gebrochen. Ihr D7 143,37 beachten; und als] [beachten; und als] ! beachten. Als D4.1 beachten. Als D7 144,1 Als sie lachend und schwatzend weiterging] [Als sie lachend und schwatzend weiterging] ! Unter Lachen und Schwatzen weitergehend D4.1 Unter Lachen und Schwatzen weitergehend D7 144,3 gegangen] gewichen D7 144,3-4 einer sehr schwermütigen Verfassung heim; und nachdem] [einer sehr schwermütigen] ! schwermütiger Verfassung heim [; und nachdem] ! . Nachdem D4.1 schwermütiger Verfassung heim. Nachdem D7 144,4 Kissen] hKopfikissen D4.1 Kopfkissen D7 144,6 Seitdem] [Seitdem] ! Seither D4.1 Seither D7 144,14 in ruhiger Weise] [in ruhiger Weise] D4.1 fehlt D7 144,16 den ganzen Vorgang und bat ihn, ihm Beistand zu leisten] den [ganzen] Vorgang und bat ihn[, ihm] ! um Beistand [zu leisten] D4.1 den Vorgang und bat ihn um Beistand D7 144,18-19 nicht einer] [nicht einer] ! keiner D4.1 keiner D7 144,21 besorgen können; und sollte] [besorgen können; und sollte] ! regeln können. Sollte D4.1 regeln können. Sollte D7 144,26-28 Alle seine […] Wangs Mutter] [Alle seine Bemühungen waren jedoch erfolglos, zur großen Enttäuschung von Wangs Mutter] ! Zur großen Enttäuschung von Wangs Mutter waren jedoch alle seine Bemühungen erfolglos D4.1 Zur großen Enttäuschung von Wangs Mutter waren jedoch alle seine Bemühungen erfolglos D7 144,29-30 wieder, und zur] [wieder, und zur] ! wieder. Als D4.1 wieder. Als D7 144,31 bereits] [bereits] D4.1 fehlt D7 144,33 kann ich] [kann ich] ! lässt sich D4.1 läßt sich D7 144,Anm. einem halben Kilometer gleich.] ein halber Kilometer. D7 145,6 Wu schützte […] gehen wollte] Wu schützte h, da er nicht gehen wollte,i andere Verabredungen vor [da er nicht gehen wollte,] D4.1 Wu schützte, da er nicht gehen wollte, andere Verabredungen vor D7 145,10 dazu] [dazu] D4.1 fehlt D7 145,11 Da bedachte er sich] [Da bedachte er sich] ! Er bedachte D4.1 Er bedachte D7 145,18 ein] [ein] D4.1 fehlt D7 145,19 selber] [selber] D4.1 fehlt D7 145,21 in dessen Richtung] [in dessen Richtung] D4.1 fehlt D7 145,22 sehr] [sehr] D4.1 fehlt D7

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145,22 recht] [recht] D4.1 fehlt D7 145,23 des einen von ihnen] [der einen] ! einer von ihnen D4.1 einer von ihnen D7 145,34 Gesicht, sah Wang und hielt] [Gesicht, sah Wang und hielt] ! Gesicht und sah Wang. Sie hielt D4.1 Gesicht und sah Wang. Sie hielt D7 145,34 inne; dann unterdrückte sie] [inne; dann unterdrückte sie] ! inne, unterdrückte D4.1 inne, unterdrückte D7 145,35 bemerkte] erkannte D4, D5, D6, D7 145,37 war; da] [war; da] ! war. Da D4.1 war. Da D7 145,37 aber] [aber] D4.1 fehlt D7 145,37 nicht das] [nicht das] ! kein D4.1 kein D7 145,41-146,2 niederging […] zu denken vergaß] [niederging und seine Hoffnungen fast vernichtet waren, so daß er an Speise und Trank zu denken vergaß] ! niederging. Seine Hoffnungen waren fast vernichtet, und er vergaß an Speise und Trank zu denken D4.1 Westen niederging. Seine Hoffnungen waren fast vernichtet, und er vergaß an Speise und Trank zu denken D7 146,2 hinausspähte] hinausspähte ! spähte D4.1 spähte D7 146,3 sehr] [sehr] D4.1 fehlt D7 146,7 Verwandte] Verwandte ! Anverwandte D4.1 Anverwandte D7 146,16 gerade] [gerade] D4.1 fehlt D7 146,16 und überdies] [und überdies] ! auch D4.1 auch D7 146,20 war, und durch] [war, und durch] ! war. Durch D4.1 war. Durch D7 146,27 , und eine Magd von draußen sogleich antwortete] [, und eine Magd von draußen sogleich antwortete] ! Eine Magd antwortete sogleich von draußen D4.1 . Eine Magd antwortete sogleich von draußen D7 146,39 Kurzweil] Kurzweil ! Mutwill D4.1 Mutwill D7 147,6 niederzuhalten] [niederzuhalten] ! zurückzuhalten D4.1 zurückzuhalten D7 147,33 Umfang war] Umfang [war] D4.1 147,34 und Blumen] und Blumen hwari D4.1 147,34 Laube, die] Laube[, die] D4.1 147,35 bestand] [bestand] D4.1 148,12 sehr] [sehr] D4.1 fehlt D7 148,13 Aber jetzt ist es mein] [Aber jetzt ist es mein] ! Es ist ein D4.1 Es ist ein D7 149,11 in allen Dörfern] hschoni in allen Dörfern D4.1 schon in allen Dörfern D7

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Einzelkommentare

149,11 zuletzt] [zuletzt] D4.1 fehlt D7 149,19 tadelloses Mädchen] [tadelloses] Mädchen hohne Tadeli D4.1 Mädchen ohne Tadel D7 150,1 erwehren, wie es zugehe] erwehren hund verstand nichti, wie es [zugehe] ! möglich sei D4.1 und verstand nicht wie es möglich sei D7 150,1 leben solle] leben solle ! lebe D4.1 150,25 war; er fand] [war; er fand] ! war, fand D4.1 war, fand D7 150,28 und] [und] D4.1 150,32 nur] [nur] D4.1 fehlt D7 150,35 übernehmen; und ihre] übernehmen; [und] ihre D4.1 übernehmen. Ihre D7 151,12 aber] fehlt D4, D5, D6 151,15 immer] fehlt D4, D5, D6 151,25 aus, aber ohne Wirkung] [aus, aber ohne Wirkung] ! ohne Wirkung aus D4.1 ohne Wirkung aus D7 151,26 aber] [aber] D4.1 fehlt D7 151,27 auch] [auch] D4.1 151,28 ganz] [ganz] D4.1 151,32 , bohrender] [, bohrender] D4.1 fehlt D7 151,35 lehnte, und was] [lehnte, und was] ! lehnte. Was D4.1 lehnte. Was D7 151,37 aber] [aber] D4.1 fehlt D7 152,8 geben; auf] [geben; auf] ! geben. Auf D4.1 152,20 aber] [aber] D4.1 fehlt D7 152,22 schnell] fehlt D4, D5, D6, D7 152,23 aber] [aber] D4.1 fehlt D7 152,27 zur Pflege] [zur Pflege] D4.1 fehlt D7 152,31 nun ] [nun] D4.1 fehlt D7 152,31 wollte] wollte ! will D4.1 will D7 152,33 und befürchtete] [und befürchtete] ! Er befürchtete D4.1 Er befürchtete D7 152,36 denn auch] [denn auch] D4.1 fehlt D7 153,1 daß auch sie sie gesehen hatte] daß auch sie sie gesehen [hatte] ! habe D4.1 auch sie habe sie gesehen D7 153,6 meine Wärterin] [meine] Wärterin D4.1 153,9 von ihr] [von ihr] D4.1 fehlt D7 153,13 überhaupt] [überhaupt] D4.1 153,16-17 Mann namens Sang Tse-ming, aus I-tschau gebürtig] Mann h, aus I-tschau gebürtig,i namens Sang Tse-ming [, aus I-tschau gebürtig] D4.1 Mann, aus I-tschau gebürtig, namens Sang Tse-ming D7

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153,17 lebte in […] nur zweimal] lebte hganz einsami in der Nähe der Rote-Blumen-Gegend [ganz einsam, nur] zweimal D4.1 153,19 nahm] einnahm D7 154,17 sehr] [sehr] D4.1 fehlt D7 154,23 Nein, nur] [Nein, nur] ! Nur D4.1 Nur D7 154,30 der Gegenwart] [der] Gegenwart D4.1 155,7-8 von beiden] [von beiden] D4.1 fehlt D7 156,4 weiß] sehe D7 156,23 sagte] sprach D7 156,23 Sang] berichtigt aus Wang nach vorheriger Namensnennung und D4, D5, D6, D7 156,29 , indem sie sagte] fehlt D7 157,15 ging] kam D4, D5, D6 158,20 diesem] diesem ! dem heutigen D4.1 dem heutigen D7 158,23 dies die Bedingung] [dies] die Bedingung D4.1 die Bedingung D7 159,32 und wollte hinausgehen] und begehrte aus dem Hause zu gehen D4, D5, D6 159,35 in Wirklichkeit] fehlt D7 161,20-21 begann ich mich […] ekeln; und als] ekelte ich mich vor mir selbst wie vor einem unreinen Ding. Als D7 161,25 Gebüsch, und in] Gebüsch, [und] in D4.1 Gebüsch. In D7 162,2 eigenes, und jedes] [eigenes, und jedes] ! eigenes. Jedes D4.1 eigenes. Jedes D7 164,26-27 wahnsinnig] wahnsinnig ! toll D4.1 toll D7 165,8 fragte nach seinem Namen, und er sagte ihr] fragte hihni nach seinem Namen, und er sagte [ihr] D4.1 167,1-2 erst recht] [erst recht] ! noch mehr D4.1 noch mehr D7 168,15 warnte] ermahnte D4, D5, D6 168,23 eine schwere] [eine schwere] ! schwer D4.1 schwer D7 173,1 bei ihm] bei ihm him innern Gemachi D4.1 174,3 erfaßte] umfaßte D4, D5, D6 175,20 seltsamer] besonderer D4, D5, D6 175,36 zu gehen] [zu gehen] ! zurückzukehren D4.1 zurückzukehren D7 176,25 belehrte] lehrte D7 177,19 da war] wartete D7 177,21-22 Dann setzten sie sich] [Dann setzten sie sich] ! Nun sassen sie D4.1 Nun saßen sie D7 178,7-8 nichts an […] von Büchern] außer einer Sammlung von Büchern nichts an Geldeswert zurücklassen D7 178,26 Seine] Absatzwechsel Langs D4, D5, D6 178,29 Tag und Nacht] bei Tag und Nacht D4, D5, D6

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Einzelkommentare

179,8 Eines Tages] Ein andermal D7 179,24-25 es sei das […] entschwunden.] [es sei] das Sternbild der Weberin hseii von seinem Platz am Firmament entschwunden D4.1 das Sternbild der Weberin sei von seinem Platz am Firmament entschwunden D7 179,28 Hau] Hau ! Han D4.1 Han D7 179,29 Seiten] Seiten ! Blättern D4.1 Blättern D7 180,8 einer großen Liebe] seiner großen Liebe D4, D5, D6, D7 180,20 Hau] Han D7 180,29 Hau] Han D7 180,29 Einst] Einmal D7 180,32 fand er] [fand er] ! er fand D4.1 180,33 Hau] Han D7 181,36 das Doktorexamen bestanden] den Tsin-schi-Grad erworben D4, D5, D6 182,18 kluger] kluger ! gescheiter D4.1 gescheiter D7 182,22-23 trotz seines […] keine Erfolge hatte] trotz seines Ruhmes hkeine Erfolgei bei den öffentlichen Prüfungen [keine Erfolge] hatte D4.1 trotz seines Ruhmes keine Erfolge bei den öffentlichen Prüfungen hatte D7 183,38 aber] aber ! jedoch D4.1 jedoch D7 185,2 sehr] fehlt D4, D5, D6 186,4 davon] von dem D7 187,13 aufhalte; und der] [aufhalte; und der] ! aufhalte. Der D4.1 aufhalte. Der D7 188,20 zauberhaftes Lied] Zauberlied D4, D5, D6 189,20 Schiff] Fahrzeug D4, D5, D6 190,15-16 machen uns Seevölkern alle Ehre] tun uns Seevölkern viel Ehre an D4, D5, D6 erweisen uns Seevölkern eine große Ehre D7 190,18 großen] hohen D7 190,39-40 auf einem herrlichen Seepferde, in prächtigen Gewändern umher] auf einem herrlichen Seepferde umher, mit prächtigen Gewändern angetan D7 191,6 wie helle Jade] aus heller Jade D4, D5, D6 192,25 ältere] älter ! andere D4.1 andere D7 192,30 vermute] vermute ! hoffe D4.1 hoffe D7 193,21 wohl] gewiß D7 194,3 Lung-hung] berichtigt aus Lung-kung nach vorheriger Namensnennung und D4, D5, D6 195,30 gaben sie sich einander hin] [gaben sie sich einander hin] ! umfingen sie einander D4.1 umfingen sie einander D7

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196,1 Sie ist] Es ist D4, D5, D6 196,22 Säße Frau Essigflasche nicht mit am Tisch] Wäre es nicht Frau Essigflasche, die mit euch am Tisch sitzt D7 199,1 wohnte; sie] [wohnte; sie] ! wohnte. Sie D4.1 D7 199,40 eine junge Dirne] [eine junge Dirne] ! ein Mädchen D4.1 ein Mädchen D7 201,1 Ihnen] dir D4, D5, D6 205,6 Umstehenden] berichtigt aus Umstehengen nach D4, D5, D6 205,21 e r w a c h t e ] nicht hervorgehoben D7 205,21-22 untergegangen, und er] untergegangen, [und] er D4.1 untergegangen, er D7 206,20 Schwanflügel] Schwanflügel ! Schwarzflügel D4.1 Schwarzflügel D7 208,11 Können Sie darauf spielen?] Verstehen Sie darauf zu spielen? D7 208,34 göttlicher] göttlicher ! himmlischer D4.1 himmlischer D7 208,35 kamen] wandelten D7 213,38-39 Da er darin […] und verstand] [Da er darin seiner Mutter nicht zu Willen sein wollte, war sie erstaunt und ärgerlich und verstand] ! Da er sich weigerte darin seiner Mutter zu Willen zu sein, war die erstaunt und ärgerlich. Sie verstand D4.1 Da er sich weigerte darin seiner Mutter zu Willen zu sein, war sie erstaunt und ärgerlich. Sie verstand D7 214,10 Allmählich] Dann D7 216,4 nun] fehlt D7 217,7 ihr] ihr ! Ah-hsiu D4.1 Ah-hsiu D7 219,22 Aufsatz über »Die Nichtexistenz der Geister«] Aufsatz, »Die Nichtexistenz der Geister« benannt, D7 219,24 Dao] Er D7 219,27 Noch] berichtigt aus Nach nach D4, D5, D6, D7 219,37 blieben sie stehen] hielten sie inne D4, D5, D6 219,39 so] damit D7 222,26-27 dem Examen] der Prüfung D4, D5, D6 222,36 bei seinen Mitgefangenen] [bei] seine[n] Mitgefangenen D4.1 seine Mitgefangenen D7 223,4 hielt] nahm D4, D5, D6 Wort- und Sacherläuterungen: 131,Titel [Vorwort]] Im Erstdruck, der dem vorliegenden Abdruck zugrunde liegt, beginnt Bubers Vorwort ohne die entsprechende Überschrift; nur im Inhaltsverzeichnis heißt es: »Vorwort«. 131,2-3 Unterweisung des Herrn Chingdao Wang] Zur Mitarbeit von

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Einzelkommentare

Wang Jingtao an den Geister- und Liebesgeschichten, siehe oben den Kommentar zum Text, sowie die Einleitung, in diesem Band, S. 30 f. 131,9 Incubus und Succubus] Incubus (von lat. incubare, »oben liegen«): männlicher Alb, Dämon, der sich nachts mit dem schlafenden Menschen paart; dieser wiederum kann sich höchstens in Form eines erotischen Traums daran erinnern; Succubus (von lat. succumbere, »unten liegen«): das weibliche Gegenstück zum Incubus, erscheint nachts dem schlafenden Mann, um ihn zum Beischlaf zu verführen. 132,6-9 »In meiner Jugend […] Bettelschale.«] Bubers eigene Übersetzung aus: Giles, Strange Stories from a Chinese Studio, S. XIV. 132,10-16 »Ich bin […] Geschichten zusammen.«] Bubers eigene Übersetzung aus: Ebd., S. XV. 132,24-29 »Ich bin,« sagt er […] daraus geworden.«] Bubers eigene Übersetzung aus: Ebd., S. XIII. 132,34-38 »Ach, ich bin […] die m i c h k e n n e n ?«] Bubers eigene Übersetzung aus: Ebd., S. XV. 134,Anm. Herr Gustav Gast […] und einem Chinesen hergestellte Übertragung] Vermutlich handelt es sich hierbei um Übersetzungen, die Gustav Gast angefertigt hatte, als er 1901 eine Auswahl von Geschichten aus dem Liaozhai zusammen mit Li te-schun übersetzt und herausgegeben hatte (Gast, Chinesische Novellen von Pu Sung-ling,); vgl. auch einen Brief von Gast an Buber vom 24. Februar 1909, aus dem hervorgeht, dass sich Buber bei Gast nach dessen Chinesische Novellen erkundigt hat (MBA Arc. Ms. Var. 350, 8, 229:b). 135,Überschrift Das Wandbild] Siehe »The Painted Wall«, in: Giles, Strange Stories, S. 6-8. 137,Überschrift Der Richter] Siehe »Judge Lu«, in: Giles, Strange Stories, S. 56-65. 143,Überschrift Das lachende Mädchen] Siehe »Miss Ying-Ning, Or The Laughing Girl, in: Giles, Strange Stories, S. 65-76. 153,Überschrift Die Füchsin] Siehe »Miss Lien-Hsiang«, in: Giles, Strange Stories, S. 104-115. 163,Überschrift Die Wege des Liebenden] Siehe »Miss A-Pao; Or, Perseverance Rewarded, in: Giles, Strange Stories, S. 115-121. 165,28 dem Tage des Buddha-Waschens] Am Geburtstag Buddhas wird eine kleine stehende Buddha-Figur, die das Baby Buddha darstellt und deren rechte Hand nach oben und linke nach unten zeigt, gewaschen. Damit wird daran erinnert, dass der Legende nach Buddha, als er geboren wurde, aufgestanden und sieben Schritte gegangen sein soll. Anschließend habe er mit einer Geste – die eine Hand nach

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oben, die andere nach unten zeigend – zum Ausdruck gebracht, dass er Himmel und Erde vereinigen werde. 167,Überschrift Die Krähen] Siehe »The Man Who Was Changed Into A Crow«, in: Giles, Strange Stories, S. 171-176. 172,Überschrift Die Blumenfrauen] Siehe »The Flower Nymphs«, in: Giles, Strange Stories, S. 176-183. 179,28 achten Band des Buches Hau] wahrscheinlich ist der achte Band des Buches Han gemeint (vgl. den Variantenapparat zu 179,28; 180,20; 180,29; 180,33); das Han Shu oder Buch der Han umfasst 100 Rollen oder Bände und stellt die Zeit der frühen, der so genannten Westlichen Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 9 n. Chr.) dar. 182,Überschrift Der Gott im Exil] Siehe »The Thunder God«, in: Giles, Strange Stories, S. 253-256. 185,Überschrift Das Land im Meer] Siehe »The Lo-Ch’a Country And The Sea-Market«, in: Giles, Strange Stories, S. 265-275. 188,10 General Tschang-Feï] gest. 221; einer der Fünf Tigergeneräle, der fünf tapfersten Befehlshaber des Teilstaats Shu Han während der Zeit der Drei Reiche (220-280) am Ende der Han-Dynastie, in der das Kaiserreich China in drei Königreiche zerfallen war. 203,Überschrift Der Traum] Siehe »The Princess Lily«, in: Giles, Strange Stories, S. 299-303.

Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-tse’s tao-te-king Bubers Vorträge über das Daodejing bildeten einen Lehrkurs für eine Gruppe interessierter Laien aus Zürich, der im August 1924 in Ascona bei Locarno, auf dem Monte Verità, stattfand. Die Idee zu diesem Kurs ging aus den Vorträgen hervor, die Buber Ende 1923 im Psychologischen Club in Zürich gehalten hatte. Der Psychologische Club war 1916 auf Initiative von C. G. Jung gegründet worden. Er diente Jung als wichtiges interdisziplinäres Forum zur Entwicklung, Vorstellung und Diskussion der Analytischen Psychologie. Dank Jungs charismatischer Persönlichkeit zog der Club sowohl zahlreiche interessierte Laien wie auch viele renommierte Wissenschaftler an. Dort hatte Buber Ende 1923 u. a. seinen Vortrag »Von der Verseelung der Welt« gehalten (jetzt in: MBW 10, S. 29-36). Organisiert wurden die Besprechungen in Ascona von dem Zürcher Rechtsanwalt Wladimir Rosenbaum (1894-1984) und dessen Frau Aline Valangin (1889-1986), einer Pianistin, Schriftstellerin und Psychoanalytikerin. Im Haus des Ehepaares verkehrten in den 20er und

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30er Jahren zahlreiche Schriftsteller und Künstler. Ca. 25 bis 30 Personen nahmen an dem dreiwöchigen Seminar über das Daodejing teil. Sie trafen sich täglich vormittags zwei Stunden sowie jeden zweiten Tag abends ebenfalls zwei Stunden. Die Teilnahme war ausdrücklich nur eingeladenen Personen gestattet. Wer die Teilnehmer im Einzelnen waren, ließ sich nicht ermitteln. Vermutlich stammten sie aber alle aus dem engeren Umfeld des Psychologischen Clubs Zürich. Einzig von Olga FröbeKapteyn (1881-1962), der Begründerin der Eranos-Tagungen in Ascona, wissen wir sicher, dass sie an den Besprechungen teilnahm. In einem Brief von Aline Valangin findet sich der Hinweis, Buber wünsche sich vornehmlich jüngere Seminarteilnehmer (s. Arc. Ms. Var. 350, 8, 627:10). Bubers Lehrkurs in Ascona kann als einer der Vorläufer der berühmten Eranos-Tagungen betrachtet werden, die ab 1933 bis heute jährlich in Ascona stattfinden. Auch Buber war Referent einer dieser Tagungen. Er sprach 1934 auf der zweiten Eranos-Tagung über »Sinnbildliche und sakramentale Existenz im Judentum«. (Vgl. das Vorwort in Die Chassidische Botschaft, Heidelberg 1952, S. 9. Der Text ebd., S. 128-156.) Das Typoskript, das eine kapitelweise Darlegung des Daodejing bietet, wurde wahrscheinlich von einem oder mehreren Teilnehmern der Besprechungen erstellt. Buber behandelte insgesamt 33 der 81 Kapitel des Daodejing: Kapitel 1-7, 10, 11, 14-16, 19-22, 27-30, 38, 41, 47, 49, 52, 55, 57, 61-63, 73, 78 und 80. Textgrundlage des Seminars bildete die deutsche, mit umfangreichen Kommentaren versehene Übersetzung von Victor von Strauss aus dem Jahr 1870 (Lao-Tse’s Tao te King. Aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt, eingeleitet und commentirt von Victor von Strauss, Leipzig 1870). Die äußerst komplexe Text- und Kommentierungsgeschichte des Daodejing (vgl. hierzu die Einleitung zu diesem Band, S. 34 ff.) ließ Buber in seinen Vorträgen gänzlich unberücksichtigt. Indem er sich allein auf von Strauss’ Übersetzung stützte, kam es zudem bei einer Reihe wichtiger chinesischer Konzepte zu irreführenden Konnotationen. Hierzu einige Beispiele: Das Konzept ren bezieht sich auf die menschliche Eigenschaft, die für positive, gegenseitige (vielleicht wohlwollende) zwischenmenschliche Beziehungen verantwortlich zeichnet. Dieses Konzept mit Menschenliebe oder Liebe gleichzusetzen, wie Buber es tut (z. B. in Kapitel 27, 38, 63), ist sowohl zu eng gefasst als auch zu konkret. Die Bedeutung von Einheit (yi) hinsichtlich der vereinten Persönlichkeit und das Erreichen von Ungeteiltheit (z. B. in Kapitel 10) blieben für Buber weiterhin von Interesse. Während er korrekt schlussfolgerte, dass die groben und feinen Elemente sich gegenseitig durchdringen müssten, um Einheit zu er-

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langen, so irrte er hinsichtlich des Wesens der Interpretationselemente. Die beiden chinesischen Begriffe bo und qi wurden von Buber mit »Geist« und »Seele« übersetzt. Obwohl bo nur in diesem und keinem anderen Kapitel des Daodejing erwähnt wird, ist seine Bedeutung im Altertum ungewiss. (Im religiösen Daoismus späterer Jahrhunderte wird bo in Verbindung mit hun benutzt. Der erstere Begriff wird mit Yin assoziiert, der zweite mit Yang als die beiden Aspekte innerhalb einer Person, die sich zum Zeitpunkt des Todes loslösen. Bo-Yin sinkt nach unten in die Erde, hun-Yang steigt nach oben.) Es ist jedoch klar, dass bo ein grobes Element repräsentiert und qi sein Gegenteil. Qi bedeutet Lebenskraft oder Lebensgeist. »Seele« gibt die Bedeutung von qi nicht klar genug wieder, und »Geist« ist weit entfernt von der Bedeutung von bo. Schließlich hat der Ausdruck shengren, der Weise, eine besondere Bedeutung im Daodejing, als die Person, die das Stadium erreicht hat, in dem sie fortan in Einklang mit dem Dao leben kann (z. B. Kapitel 41, 47, 49). Gemäß seiner Sicht des Daodejing als religiösem Text führt Bubers Bezeichnung der Menschen dieses Stadiums als »Heilige« religiöse Konnotationen ein, die im Text nicht impliziert sind. Buber bemerkt außerdem, dass die religiöse Lebensführung diese Person sogar noch näher an das Göttliche bringt. Aber diese Deutung ist zu eng gefasst, da der Verfasser des Daodejing seinen shengren mitten im Hier und Jetzt leben ließ. Trotz dieser problematischen Stellen in seiner Übersetzung verdient Bubers Kommentar Anerkennung wegen seiner Betonung der zeitgenössischen philosophischen Relevanz des daoistischen Werkes. Schließlich bezieht sich Bubers Kommentar häufig auf chinesische Schriftzeichen und die Bedeutungen, die in der Kombination der verschiedenen Komponenten eines Schriftzeichens enthalten sind. Buber muss sich hier des Rates eines Fachmannes für chinesische Quellen bedient haben, vor allem hinsichtlich des Kangxi Wörterbuchs aus dem 18. Jahrhundert, das diese Art von Information enthält. (Das Kangxi Wörterbuch ist eines der beiden wichtigsten Zeichenlexika der chinesischen Schrift. Es ist bezeichnet nach dem Kaiser Kangxi, in dessen Regierungszeit es zwischen 1710 und 1716 von dem Gelehrten Zhang Yushu entwickelt wurde.) Im Jahr 1924 war es zweifellos nicht schwer, diese Art von Rat in Berlin einzuholen.

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Abdruck der 33 Kapitel aus dem »Daodejing« in der Übersetzung von Victor von Strauss (1870): Erstes Buch. Erstes Kapitel. Taò, kann er ausgesprochen werden, ist nicht der ewige Taò. Der Name, kann er genannt werden, ist nicht der ewige Name. Der Namenlose ist Himmels und der Erden Urgrund; der Namen-Habende ist aller Wesen Mutter. Drum »Wer stets begierdenlos, der schauet seine Geistigkeit, Wer stets Begierden hat, der schauet seine Aussenheit.« Diese Beiden sind desselben Ausgangs und verschiedenen Namens. Zusammen heissen sie tief, des Tiefen abermal Tiefes; aller Geistigkeiten Pforte. Zweites Kapitel. Erkennen alle in der Welt des Schönen Schön-Seyn, dann auch das Hässliche; erkennen Alle des Guten Gut-Seyn, dann auch das Nichtgute. Denn »Seyn und Nichtseyn einander gebären: Schwer und Leicht einander bewähren, Lang und Kurz einander erklären, Hoch und Niedrig einander entkehren, Ton und Stimme einander sich fügen, Vorher und Nachher einander folgen.« Daher der heilige Mensch beharrt im Geschäft des Nicht-Thuns. Wandel, nicht Rede, ist seine Lehre. Alle Wesen treten hervor und er entzieht sich nicht. Er belebt und hat nicht. Er thut und giebt nichts darauf. Er vollendet Verdienstliches und besteht nicht darauf. »Weil er nicht darauf besteht, Darum es ihm nicht entgeht.« Drittes Kapitel. Nicht hochstellen die Weisen, macht das Volk nicht hadern. Nicht hochschätzen Güter schweren Erwerbs, macht das Volk nicht Diebstahl verüben. Nicht ansehen Begehrbares, macht das Herz nicht unruhig. Daher

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der heilige Mensch, welcher regiert, leeret sein Herz, füllet sein Inneres, schwächet seinen Willen, stärket sein Gebein. Immer macht er das Volk nichts kennen, nichts begehren; macht er dass die, welche kennen, nicht wagen zu thun. Thut er das Nicht-Thun, dann mangelts nicht am Regiment. Viertes Kapitel. Taò ist leer, und gebraucht er dess, wird er nie gefüllt. Ein Abgrund, oh! gleicht er aller Wesen Urvater. »Er bricht seine Schärfe, Streut aus seine Fülle, Macht milde sein Glänzen, Wird eins seinem Staube« – Tiefstill – gleich wie wenn er dawäre. Ich weiss nicht, wess Sohn er ist. Er zeigt sich als des HErrn Vorgänger. Fünftes Kapitel. Himmel und Erde haben keine Menschenliebe; sie nehmen alle Wesen für einen Heu-Hund. Der heilige Mensch hat keine Menschenliebe; er nimmt das Volk für einen Heu-Hund. Was zwischen Himmel und Erde, wie gleicht es dem Blasbalg! Er ist leer und doch unerschöpflich; er regt sich, und umsomehr geht heraus. »Viel Worte meist in Nichts verinnen; Und besser, man bewahrt es innen.« Sechstes Kapitel. »Der Thal-Geist ist unsterblich; er heisst das tiefe Weibliche. Des tiefen Weiblichen Pforte, die heisst Himmels und der Erden Wurzel. Je und je ist er wie daseyend; man braucht ihn mühelos«. Siebentes Kapitel. Der Himmel ist bleibend und die Erde dauernd. Himmel und Erde können deshalb bleibend und dauernd seyn, weil sie nicht sich selbst leben. Drum können sie bleiben und dauern. Daher der heilige Mensch hintansetzt sein Selbst, und selbst vorankommt; sich äussert seines Selbst, und selbst bewahrt wird. Etwa nicht, weil er nichts eigen hat? Drum kann er sein Eigen vollenden.

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Zehntes Kapitel. Wer dem Geist die Seele einergiebt und Einheit umfängt, kann ungetheilt seyn. Bezwingt er das Seelische bis zur Nachgiebigkeit, kann er wie ein Kindlein seyn. Reinigt und öffnet er den tiefen Blick, kann er ohne Schwachheit seyn. Liebt er das Volk und regiert er das Land, kann er ohne Thun seyn. Die Himmelspforten öffnen sich oder schliessen sich, er kann das Vogelweibchen seyn. Lichthell Alles durchdringend, kann er unwissend seyn. Er belebt und ernährt; belebt und hat nicht, thut und giebt nichts drauf, erhält und beherrscht nicht. Das heisst tiefe Tugend. Elftes Kapitel. Dreissig Speichen treffen auf eine Nabe: gemäss ihrem Nichtseyn ist des Wagens Gebrauch. Man erweicht Thon um ein Gefäss zu machen: gemäss seinem Nichtseyn ist des Gefässes Gebrauch. Man bricht Thür und Fenster, um ein Haus zu machen: gemäss ihrem Nichtseyn ist des Hauses Gebrauch. Drum: das Seyn bewirkt den Gewinn, das Nichtseyn bewirkt den Gebrauch. Vierzehntes Kapitel. Man schaut Ihn ohne zu sehen: sein Name heisst Jî (Gleich); man vernimmt Ihn ohne zu hören: sein Name heisst Hı¯(Wenig); man fasst Ihn ohne zu bekommen: sein Name heisst Wêi (Fein). Diese Drei können nicht ausgeforscht werden; drum werden sie verbunden und sind Einer. Sein Oberes ist nicht klar, sein Unteres nicht dunkel. Je und je ist er unnenbar und wendet sich zurück ins Nicht-Wesen. Das heisst des Gestaltlosen Gestalt, des Bildlosen Bild; das ist gar unerfasslich. Ihm entgegnend siehet man nicht sein Haupt, ihm nachfolgend siehet man nicht seine Rückseite. Hält man sich an den Taò des Alterthums, um zu beherrschen das Seyn der Gegenwart, so kann man erkennen des Alterthums Anfänge: das heisst Taò’s Gewebaufzug. Fünfzehntes Kapitel. Die Guten des Alterthums, die da Meister worden sind, waren fein, geistig und tief eindringend. Verborgen, konnten sie nicht erkannt werden. Weil sie nicht erkannt werden können, so mühe ich mich sie kenntlich zu machen. – Behutsam waren sie, wie wer im Winter einen Fluss überschreitet; vorsichtig, wie wer alle Nachbarn fürchtet; zurückhaltend, wie ein Gast; zergehend, wie Eis das schmelzen will; einfach, wie Rohholz; leer, wie ein Thal; undurchsichtig, wie getrübtes Wasser. – Wer kann das Trübe, indem er es stillt, allmählich klären? Wer kann die Ruhe, indem er sie verlängert, allmählich beleben? Wer jenen Taò festhält, wünscht nicht gefüllt zu seyn;

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ist er nur nicht gefüllt, so kann er mangelhaft seyn und nicht neu vollendet. Sechzehntes Kapitel. Wer erreicht hat der Entäusserung Gipfel, behauptet unerschütterliche Ruhe. Alle Wesen miteinander treten hervor, und wir sehen sie wieder zurückgehn. Wenn sich die Wesen entwickelt haben, kehrt jedes zurück in seinen Ursprung. Zurückgekehrtseyn in den Ursprung, heisst ruhen. Ruhen heisst, die Aufgabe erfüllt haben. Die Aufgabe erfüllt haben, heisst ewig seyn. »Das Ew’ge kennen, heisst erleuchtet seyn.« Das Ewige nicht kennen, entsittlicht und macht unglücklich. Wer das Ewige kennt, ist umfassend; umfassend, daher gerecht; gerecht, daher König; König, daher des Himmels; des Himmels, daher Taò’s; Taò’s, daher fortdauernd: er büsst den Körper ein ohne Gefährde. Neunzehntes Kapitel. Lasset fahren die Weisheit, gebet auf die Klugheit: des Volkes Wolfahrt wird sich verhundertfachen. Lasset fahren die Menschenliebe, gebet auf die Gerechtigkeit: das Volk wird zurückkehren zu Kindespflicht und Vaterliebe. Lasset fahren die Geschicktheit, gebet auf den Gewinn: Diebe und Räuber wird es nicht geben. Diese Drei anlangend. – »Nimmt man den Schein nicht als genügend an, Drum soll man haben, dran man halten kann; Man zeige Lauterkeit, zieh’ Einfalt an, Sein Eignes mindre, wenig wünsche man.« Zwanzigstes Kapitel. Wer das Lernen fahrenlässt, hat keinen Kummer. »Oh ja« und »Ja ja«, wie wenig unterscheiden sie sich! Gut und Bös, wie sehr unterscheiden sie sich! Was die Menschen fürchten, kann man nicht nicht-fürchten. Die Verfinsterung, o dass sie noch nicht aufhört! Die Menschen strahlen vor Lust, wie wer einen Stier opfert, wie wer im Frühling eine Anhöhe ersteigt: – ich allein liege still, noch ohne Anzeichen davon, wie ein Kindlein das noch nicht lächelt; ich schwanke umher, wie wer nicht hat wohin er sich wendet. Die Menschen alle haben Überfluss: – ich allein bin wie ausgeleert; oh ich habe eines Stumpfsinnigen Herz! ich bin so verwirrt! Die gewöhnlichen Menschen sind sehr erleuchtet: – ich allein bin wie verfinstert. Die gewöhnlichen Menschen sind sehr lauter: – ich allein bin ganz trübe, vergessen wie das Meer, fortgetrieben, wie wer nicht hat wo er anhält. Die Menschen alle sind zu gebrauchen: – ich allein bin tölpisch

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gleich einem Bauern. Ich allein bin anders als die Menschen, aber ich ehre die nährende Mutter. Einundzwanzigstes Kapitel. Des leeren Vermögens Inhalt, nur Taò folget er nach. Taò ist Wesen, aber unfasslich, aber unbegreiflich. Unbegreiflich! unfasslich! in Ihm sind die Bilder. Unfasslich! unbegreiflich! in Ihm ist das Wesen. Unergründlich! dunkel! in Ihm ist der Geist. Sein Geist ist höchst zuverlässig. In Ihm ist Treue. Von Alters her bis jetzt verging sein Name nicht, dieweil er allen Dingen den Anfang ausersieht. Woher weiss ich, dass aller Dinge Anfang also? Durch Ihn. Zweiundzwanzigstes Kapitel. »Wenn krumm, so werd’ es vollkommen; wenn ungleich, so werd’ es gerade; wenn vertieft, so werd’ es ausgefüllt; wenn zerrissen, so werd’ es neu; wenn wenig, so werd’ erreich; wenn viel, so werde verfehlt.« – Daher der heilige Mensch umfasst das Eine, und wird der Welt Vorbild. – Nicht sich siehet er an, drum leuchtet er; nicht sich ist er recht, drum zeichnet er sich aus; nicht sich rühmet er, drum hat er Verdienst; nicht sich erhebt er, drum ragt er hervor. – Weil er nicht streitet, drum kann Keiner in der Welt mit ihm streiten. – Was die Alten sagten: »Wenn krumm, so werd’ es vollkommen«, sind es denn leere Worte? Ein wahrhaft Vollkommener, – und man kehrt dahin zurück. Siebenundzwanzigstes Kapitel. »Ein guter Wandrer lässt nicht Fussspurmäler, Ein guter Sprecher macht nicht Redefehler, Ein guter Rechner braucht nicht Rechenmarkenzähler, Ein guter Schliesser braucht nicht Schloss noch Riegel, und dennoch ist nicht aufzulüpfen, Ein guter Binder schlinget keine Knoten, und dennoch ist nicht loszuknüpfen.« Daher der heilige Mensch ist immer ein guter Helfer der Menschen, drum verlässt er keinen Menschen; immer ein guter Helfer der Geschöpfe, drum verlässt er kein Geschöpf. Das heisst herrlich leuchten. Drum ist der gute Mensch des nichtguten Menschen Erzieher; der nichtgute Mensch des guten Menschen Schatz. Nicht ehren seinen Erzieher, nicht lieben seinen Schatz, ist bei aller Klugheit grosse Verblendung. – Das heisst bedeutsam und geistig.

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Achtundzwanzigstes Kapitel. »Wer seine Mannheit kennt, an seiner Weibheit hält, Der ist das Strombett aller Welt. Ist er das Strombett aller Welt: – Die stäte Tugend nicht entfällt, Und wieder kehrt er ein zur ersten Kindheit. Wer seine Helle kennt, sich in sein Dunkel hüllt, Ist aller Welt ein Musterbild. Ist er der Welt ein Musterbild: – Die stäte Tugend bleibt sein Schild, Und wider kehrt er ein in’s Unbefangne. Wer seine Hoheit kennt, und hält Demüthigung, Ist aller Welt Thalniederung. Ist er der Welt Thalniederung: – Dann stäter Tugend ists genung, Und wieder kehrt er ein zur ersten Einfalt.« Die Einfalt wird zerstört und dann wird man brauchbar. Wendet der heilige Mensch sie an, dann wird er der Amtleute Oberster; denn er regiert grossartig und verletzt nicht. Neunundzwanzigstes Kapitel. Wer da trachten würde das Reich zu nehmen und es zu machen, wir sehen ihm nicht gelingen. Das Reich ist ein geistig Gefäss, es kann nicht gemacht werden. Der Macher zerstört es, der Nehmer verliert es. Denn ein Wesen – »Bald geht es vor, bald folgt es nach, Bald bläst es warm, bald kalt darein, Bald wird es stark, bald wird es schwach, Bald steigt es auf, bald stürzt es ein.« Daher der heilige Mensch meidet das Übersteigen, meidet die Überhebung, meidet die Grösse. Dreissigstes Kapitel. Wer mit Taò beisteht dem Menschenherrscher, nicht mit Waffen vergewaltigt er das Reich. Sein Verfahren liebt zurückzukehren. Wo Heerhaufen lagern, gehn Diesteln und Dornen auf. Grosser Kriegszüge Folge

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sind sicherlich Nothjahre. Der Gute siegt, und damit genug; er wagt nicht zur Vergewaltigung zu greifen. Er siegt, und ist nicht stolz; siegt, und triumphirt nicht; siegt, und überhebt sich nicht; er siegt, und kanns nicht vermeiden; siegt und vergewaltiget nicht. »Was stark geworden ist, ergreist; Und das ist, was man Taò-los heisst. Was Taò-los ist, das endet früh.« Zweites Buch. Achtunddreissigstes Kapitel. Hohe Tugend keine Tugend, daher ist sie Tugend; niedere Tugend unfehlbar Tugend, daher ist sie nicht Tugend. Hohe Tugend ist ohne Thun, und es ist ihr nicht um’s Thun; niedere Tugend thut, und es ist ihr um’s Thun. Hohe Menschenliebe thut, und es ist ihr nicht um’s Thun. Hohe Gerechtigkeit thut, und es ist ihr um’s Thun. Hohe Anständigkeit thut, und entspricht ihr Keiner, dann streckt sie den Arm aus und erzwingt es. Darum: verliert man Taò, hernach hat man Tugend; verliert man die Tugend, hernach hat man Menschenliebe; verliert man die Menschenliebe, hernach hat man Gerechtigkeit; verliert man die Gerechtigkeit, hernach hat man Anständigkeit. Diese Anständigkeit ist der Treu’ und Redlichkeit Aussenseite und der Unbotmässigkeit Beginn. Das äusserliche Wissen ist Taò’s Blüthe und der Unwissenheit Anfang. Daher ein grosser Mann bliebt bei seinem Inhalt und weilt nicht bei seiner Aussenseite; bleibt bei seiner Frucht und weilt nicht bei seiner Blüthe. Drum lässet er jenes und ergreift dieses. Einundvierzigstes Kapitel. Hören Hochgebildete von Taò, werden sie eifrig und wandeln in ihm. Hören Mittelgebildete von Taò, bald behalten sie ihn, bald verlieren sie ihn. Hören Niedriggebildete von Taò, verlachen sie ihn höchlich. Lachten sie nicht, so genügte es nicht, um für Taò zu gelten. Denn aufrichtige Worte sind es: »Wer licht in Taò, ist wie voll Nacht, Wer weit in Taò, wie rückgebracht, Wer hehr in Taò, wie ungeschlacht, Wer hoch an Tugend, wie ein Thal, Wer gross an Reinheit, wie voll Mal’, Wer reich an Tugend, wie am Nöth’gen kahl,

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Wer fest an Tugend, wie in Schwanken, Wer ächt an Glauben, wie in Wanken, – Ein gross Quadrat ohn’ Winkelflanken, Ein gross Gefäss, unfertig alt, Ein grosser Klang, der schwach erschallt, Ein grosses Bildniss ohn’ Gestalt. Taò ist verborgen, namenlos, Doch Taò nur im Verleihn und im Vollenden gross.« Siebenundvierzigstes Kapitel. Nicht ausgehend zur Thür, kennt man die Welt; nicht ausblickend durchs Fenster, sieht man des Himmels Weg. Je weiter man ausgeht, desto weniger kennt man. Weshalb der heilige Mensch – »Nicht hingeht, und kennt, Nicht sieht, und benennt, Nicht thut, und vollendt.« Neunundvierzigstes Kapitel. Der heilige Mensch hat kein beharrlich Herz; aus der hundert Geschlechter Herzen macht er sein Herz. Den Guten behandle ich gut, den Nichtguten behandle ich auch gut. Tugend ist Güte. Den Aufrichtigen behandle ich aufrichtig, den Nichtaufrichtigen behandle ich auch aufrichtig. Tugend ist Aufrichtigkeit. Der heilige Mensch ist in der Welt voller Furcht, dass er durch die Welt sein Herz verunreinige. Die hundert Geschlechter alle richten auf ihn Ohr und Auge. Dem heiligen Menschen sind sie Alle Kinder. Zweiundfünzigstes Kapitel. Die Welt hat einen Urgrund, der ward aller Wesen Mutter. Hat man seine Mutter gefunden, so erkennt man dadurch seine Kindschaft. Hat man seine Kindschaft erkannt, und kehret zurück zu seiner Mutter, so ist des Leibes Untergang ohne Gefahr. »Schliesst man seine Ausgänge, macht zu seine Pforten«, so ist des Leibes Ende ohne Sorge. Öffnet man seine Ausgänge, fördert man seine Anliegen, so ist man bei des Leibes Ende ohne Rettung. Auf das Kleine sehen, heisst erleuchtet seyn; Weichheit bewahren, heisst stark seyn. Braucht man seine Klahrheit und kehrt zurück zu seinem Lichte, so verliert man nichts bei des Leibes Zerstörung. Das heisst Ewigkeit anziehen.

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Fünfundfünzigstes Kapitel. Wer in sich hat der Tugend Fülle, gleicht dem neugeborenen Kinde: Giftig Gewürm sticht es nicht, reissende Thiere packen es nicht, Raubvögel stossen es nicht. Die Knochen sind schwach, die Sehnen weich, und doch greift es fest zu. Opw gignðskei t¼n tn gunaikn andrn te sÐmmixin kaffltoi t a§do…on stÐetai – spffrmato@ perisseffla. Den ganzen Tag schreiet es, und doch wird das Schluchzen nicht heiser, aus Fülle des Einklangs. »Den Einklang kennen, heisst Ewigkeit; Das Ew’ge kennen, Erleuchtetheit; Voll leben, heisst Unseligkeit; Das Herz ins Seelische legen, Kräftigkeit. Was stark geworden ist, ergreist, Und das ist, was man Taò-los heisst. Was Taò-los ist, das ended früh«. Siebenundfünfzigstes Kapitel. Mit Redlichkeit regiert man das Land, mit Arglist braucht man Waffen, mit Ungeschäftigkeit gewinnt man das Reich. Woher weiss ich, dass dem also? Daher: Je mehr Verbote und Beschränkungen das Reich hat, desto mehr verarmt das Volk; je mehr scharf Geräth das Volk hat, desto mehr wird das Land beunruhigt; je mehr Kunstfertigkeit das Volk hat, desto wunderlichere Dinge kommen auf; je mehr Gesetze und Verordnungen kundgemacht werden, desto mehr Diebe und Räuber giebt es. Drum sagt der heilige Mensch: Ich bin ohne Thun, und das Volk bessert sich von selbst; ich liebe Ruhe, und das Volk wird von selbst redlich; ich bin ohne Geschäftigkeit, und das Volk wird von selbst reich; ich bin ohne Begierden, und das Volk wird von selbst einfach. Einundsechzigstes Kapitel. Ein gross Land, dass sich herunterlässt, ist des Reiches Band, des Reiches Weib. Das Weib überwindet immerdar mit Ruhe den Mann; mit Ruhe ist es unterthan. Drum ein gross Land, ist es unterthan dem kleinen Lande, dann gewinnt es das kleine Land; ein klein Land, ist es unterthan dem grossen Lande, dann gewinnt es das grosse Land. Drum etliche sind unterthan um zu gewinnen, etliche unterthan um gewonnen zu werden. Ein gross Land überschreite nicht den Wunsch, die Menschen zu verbinden und zu weiden; ein klein Land überschreite nicht den Wunsch, einzutreten und den Menschen zu dienen. Erreichen sie beide, jedes was es wünscht, so soll das grosse unterthan seyn.

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Zweiundsechzigstes Kapitel. »Taò ist aller Wesen Bergungsplatz, Guter Menschen höchster Schatz, Unguter Menschen rettender Ersatz«. Anmuthende Worte können erkaufen; ehrenhafter Wandel kann noch mehr thun. Sind Menschen nicht gut, wie dürfte man sie aufgeben? Darum setzte man einen Kaiser und bestellte drei höchste Räthe. Mag er auch haben, die da Nephrittafeln emporhalten, und vor sich nehmen ein Vierspann Rosse, – so ist es doch besser stillsitzend weiterzukommen in diesem Taò. Warum verehrten die Alten diesen Taò? Nicht, weil er durch täglich Suchen gefunden wird und denen, die Schuld haben, vergiebt? Darum ist er das Köstlichste in aller Welt. Dreiundsechzigstes Kapitel. Das Thun sei Nichtthun, das Geschäft Nichtgeschäft, der Genuss Nichtgenuss, das Grosse Kleines, das Viele Weniges. Vergilt Feindschaft mit Wolthun. Unternimm das Schwere in seinem Leichtseyn, thue das Grosse in seinem Kleinseyn; die schwersten Dinge der Welt beginnen ja mit Leichtseyn, die grössten Dinge der Welt beginnen ja mit Kleinseyn. Daher der heilige Mensch niemals das Grosse thut, drum vermag er sein Grosses zu vollenden. Wer leichthin verspricht, hält sicherlich selten. Wem vieles leicht ist, wird sicherlich vieles schwer. Daher der heilige Mensch es wie schwer behandelt, drum lebenslang nichts ihm zu schwer wird. Dreiundsiebzigstes Kapitel. Hat man Muth, zu wagen, dann tödtet man; hat man Muth, nicht zu wagen, dann lässt man leben. Diess Beides ist bald nützlich bald schädlich. »Was dem Himmel ist gehass, Wer erkennet, warum das?« Daher der heilige Mensch es für schwer hält. Des Himmels Weise ist: »Er streitet nicht, und weiss zu überwinden, Er redet nicht, und weiss Antwort zu finden, Er ruft nicht, und man kommt von selbst vor ihn, Langmüthig, weiss er doch herbeizuleiten. Des Himmels Netz fasst weite Weiten, Klafft offen, – und lässt nichts entfliehn.«

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Achtundsiebzigstes Kapitel. Nichts in der Welt ist weicher und schwächer denn das Wasser, und nichts, was Hartes und Starkes angreift, vermag es zu übertreffen; es hat nichts, wodurch es zu ersetzen wäre. Schwaches überwindet das Starke, Weiches überwindet das Harte. Keinem in der Welt ist es unbekannt, und Keiner vermag es zu üben. Daher der heilige Mensch sagt: »Tragen des Lands Unreinigkeiten, Das heisst voran beim Hirseopfer schreiten. Tragen des Landes Noth und Pein, Das heisst des Reiches Königs seyn.« – Wahre Worte wie umgekehrt. Achtzigstes Kapitel. Eines kleinen Landes weniges Volk – mache, dass es das Rüstzeug von zehn Aldermännern habe, und nicht gebrauche; mache, dass das Volk ungern sterbe, und doch nicht in die Ferne auswandere; obgleich es Schiffe und Wagen hat, sie nicht zu besteigen habe; obgleich es Panzer und Waffen hat, sie nicht anzulegen habe; mache, dass das Volk wiederum Schnüre knote, und sie gebrauche: – so ist ihm süss seine Speise, schön seine Kleidung, behaglich seine Wohnung, lieb seine Sitte. Das Nachbarland ist gegenüber zu sehen, der Hühner und Hunde Stimmen sind gegenüber zu hören, und das Volk erreicht Alter und Tod ohne hinübergekommen zu seyn. Textzeugen: ts1: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 45); 9 lose Blätter, einseitig beschrieben, paginiert; Überschrift: »Einzelne Gedanken Bubers zum Grossteil im Zusammenhang mit LAOTSE. CUSANUS«; die Überschrift stammt nicht von Buber, sondern wurde nachträglich von Hugo Bergman hinzugefügt (s. Beschreibung des Textzeugen ts2); es handelt sich um einzelne Passagen aus dem Haupttext der AsconaBesprechung (in diesem Band, S. 228,20-229,9; 234,9-18; 234,32235,13; 240,24-35; 245,17-246,15; 247,17-22; 254,25-255,19; 257,21-26; 259,37-260,10; 262,29-263,37; 266,24-267,5) sowie aus den ersten beiden Kapiteln des Anhangs (in diesem Band, 269,1270,6; 270,23-271,1; 271,10-26; 272,16-25); die einzelnen Passagen erscheinen hier als ein zusammenhängender Text. ts2: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 45a); 9 lose Blätter, einseitig beschrieben, paginiert; dieselbe Überschrift wie in ts1; neben

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der Überschrift ist handschriftlich vermerkt: »Titel von S. H. Bergman«; text- und seitenidentisch mit ts1, aber mit vereinzelten handschriftlichen Korrekturen von Bubers Hand, die fast ausschließlich Rechtschreibungsfehler sowie grammatikalische und syntaktische Fehler berichtigen. ts3: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 45); 4 lose Blätter; einseitig beschrieben, paginiert; Überschrift für S. 1-3: »Von der Sprache«; für S. 3-4: »Über Religion«; es handelt sich um einzelne Passagen aus dem Anhang der Ascona-Besprechung; die Textteile entstammen nicht nur, wie die Überschriften aussagen, den Kapiteln »Von der Sprache« (in diesem Band, 272,29-273,10) und »Über Religion« (in diesem Band, 278,37-279,29; 280,16-18), sondern auch dem Kapitel »Von den Urbildern: Vom Kuenstler und dem religioesen Menschen« (in diesem Band, 276,23-277,20; 277,25-34; 278,2-20). TS4: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 45); unvollständig (vom Anhang fehlen die Abschnitte »Ueber die Ideen Plato’s und Lao-Tse’s Urbilder«, »Von der Sprache«, »Von den Urbildern: Vom Kuenstler und dem religioesen Menschen«, »Ueber Religion«); 23 lose Blätter, einseitig beschrieben; paginiert in 3 Teilen: 1-4 (Blätter 1-4), 1-17 (Blätter 5-21), 1-2 (Blätter 22 u. 23); kein Titelblatt, aber auf dem ersten Blatt findet sich folgende Überschrift: »Besprechung mit Dr. Buber in Ascona, August 1924. / Lao-tse’s Tao Te King. / Strausssche Uebersetzung.«; einige handschriftliche Korrekturen von Bubers Hand. TS5: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 45); 43 paginierte Seiten, versehen mit einem Titelblatt: »Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-tse’s tao-te-king«; zusätzliches Deckblatt mit handschriftlicher Beschriftung: »Laotse/Ascona«; wenige handschriftliche Korrekturen. TS6: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 45); 43 paginierte Seiten; identisch mit TS5, nur das Deckblatt fehlt, und es finden sich einige zusätzliche handschriftliche Korrekturen und Ergänzungen. TS7: Typoskript im Archiv des Psychologischen Clubs Zürich (M 18); 43 paginierte Seiten, versehen mit einem Titelblatt: »Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-tse’s tao-te-king«; zusätzliches Deckblatt mit handschriftlicher Beschriftung, die den Inhalt des Titelblatts wiederholt; Kopie von TS5, aber ohne die handschriftlichen Korrekturen, die sich dort an wenigen Stellen finden.

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Druckvorlage: TS5 Variantenapparat: 227,Untertitel-13 Einleitung […] mythischen Kaiser. ] fehlt TS4 227,Überschrift I. Abschnitt] Erster Morgen: / I. Abschnitt: TS4 227,18-19 Gestirne – Wechsel […] der Pflanzen] Gestirne, Wandel der Jahreszeiten, Wachstum der Pflanzen TS4 227,19-20 In diesem Sinne […] Wandel] fehlt TS4 227,20 Dieser Wandel – das Naturphänomen –] Dieser Wechsel der Jahreszeiten TS4 227,27 Ein Kreis ist immer im andern Kreis.] fehlt TS4 228,1-2 Also nicht polare […] Welt eingelegt.] fehlt TS4 228,2-3 Diese Wandlungen […] Tao] Diese Wandlungen des Jang und Jin werden Tao genannt TS4 228,3-4 In diesem Sinne […] Confucius gemeinsam.] fehlt TS4 228,4-5 Lao-tse unterscheidet aber ein Tao] [Tao] ! Lao tse uebernimmt [nun] diesen Begriff und unterscheidet nun ein Tao TS4 228,9-12 Es ist lediglich […] unaussprechbare Tao.] fehlt TS4 228,13 ontologische] hervorgehoben TS4 228,16-18 Indem das Seiende […] wird es Gesetz] Tao selber offenbart sich, beschraenkt sich in dieser Manifestationsform TS4 228,23-24 Sie wollen sich im Menschen formen.] fehlt TS4 228,27-28 Die Dinge schliessen sich ihm auf.] fehlt TS4 228,30-32 nicht rein akustisch. […] der ewige Name] fehlt TS4 228,33 ist Begegnung] entsteht durch Begegnung TS4 228,34-36 Die Dinge und ich […] ein Dazwischen.] fehlt TS4 228,37-38 insofern er etwas] insofern er auch etwas TS4 228,39 muss dieses sein und ich] muss dieses sein und ich TS4 228,41-229,3 Der ewige Name […] geschaffen werden.] fehlt TS4 229,10 Urgrund] nicht hervorgehoben TS4 229,15 – das ist Ursprung –] fehlt TS4 229,17-18 Nicht die Ursache […] Wesen Mutter] Ganz anders Ursache TS4 229,20 Wahrheit erst möglich wird] etwas wahr sein kann TS4 229,27 das himmlische Gesetz,] fehlt TS4 229,28 der Natur entfremdet hat] abgewendet hat TS4 229,32 sich distanzieren können] Distanz TS4 229,34 Getriebe] Betriebe TS4 229,34-35 das heisst, die Wesenheit] fehlt TS4 229,38 Der folgende Satz […] zu sein:] (Der folgende Satz: Diese Beiden … scheint unecht zu sein.) TS4 229,38 unecht zu sein:] berichtigt aus unächt zu sein)

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229,38-40 »Zusammen heissen […] auch: Geheimnis.] fehlt TS4 229,39 »heissen sie dunkel.«] berichtigt aus »heissen die dunkel. 230,2 Des Tiefen […] eigentliche Pforte.] fehlt TS4 230,Überschrift II. Abschnitt] Zweiter Morgen: / Bericht des Historikers ueber Lao-tse. L. war des Tao und Te beflissen – Te = Tugend, Tauglichkeit, Mächtigkeit. Fähigkeit eines Wesens das ihm Gemässe aus sich herauszuwirken. Zeichen: Strich und Herz. Wir verstehen unter Herz das Organ der Innerlichkeit, was in uns vorgeht, ohne dass wir es auf Teile der Aussenwelt deuten müssen, Gefühl. Für den Chinesen ist das Herz der Sitz des Kontaktsinnes, des Tastgefühls, was ihn unmittelbar in Beziehung zur Aussenwelt setzt. Verbunden mit der Linie heisst das nun: Verbindungsfähigkeit zusammen mit Gerichtetheit. / II. Abschnitt: TS4 (entspricht dem Abschnitt »Einleitung« in TS5; vgl. oben, 227,1-13) 230,6 in drei entsprechende Teile] in drei Teile TS4 230,13 wirklich dadurch] wirklich nicht nur in der Erkenntnis, dadurch TS4 230,22 Relativität] [Dualitaet] ! Relativitaet TS4 230,27 Nicht =] Ohne TS4 230,33 tritt hervor und alle Wesen schauen ihn an] erscheint TS4 230,35-36 Lao-tse grenzt […] der eingreift.] fehlt TS4 230,37-38 das asketische Ideal ist ihnen fremd] fehlt TS4 231,4-5 er sucht das Getane nicht zu verfestigen,] fehlt TS4 231,8 auf die alle Geschichte weist,] fehlt TS4 231,9-10 Das ist aber […] Historisches.] fehlt TS4 231,12 von der Natur] fehlt TS4 231,14-15 Li = […] Lebensregeln.] fehlt TS4 231,17 konnten.«] berichtigt aus konnten. 231,18-20 So müssen […] Confucius.] fehlt TS4 231,24 Hochstellen] Hochgestellte TS4 231,25-26 Erst das […] Diebstahl.] fehlt TS4 231,29 der Kontaktsinn für die Aussenwelt,] fehlt TS4 231,38 widersteht).] berichtigt aus widersteht. 232,1-2 , das heisst nicht […] nicht kennen.] fehlt TS4 232,5-6 Tut der Berufene […] Ordnung da] Das alles tut der Berufene durch Nichttun, dann ist die Ordnung da TS4 232,Überschrift IV. Abschnitt] Vierter Morgen. / VI. Abschnitt: (fehlerhafte Abschnittsnummer) TS4 232,27-28 alle Individuation aufheben würde] alle Wesen vernichtete. Diese Schärfe wird gebrochen TS4 232,31 Das ganze Vergängliche.] fehlt TS4

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232,37 als ob jemand da wäre] dass jemand vorhanden ist TS4 233,1-2 auf das nicht in die Erscheinung Tretende] fehlt TS4 233,6-7 (Der Kaiser […] Himmels.)] fehlt TS4 233,12-15 (Ueber die Sukzession […] der Mythologie)] fehlt TS4 233,32 Vermutlich ein Zitat.] fehlt TS4 233,33 Das Wort »Talgeist«] Talgeist TS4 234,11-18 Lao-tse braucht […] Weibes entspricht.] fehlt TS4 234,16 Nichttun] Nichtstun ts1 234,21-22 Nicht durch […] Zugang finden.] fehlt TS4 234,Überschrift VII. Abschnitt] Fünfter Morgen: / VII. Abschnitt: TS4 234,26-28 Daraus aber ergibt […] zu leben vermögen] Die Erkannte Einheit aber ist nicht eine Einheit in der wir zu leben vermögen, aus ihrer Erkenntnis ergibt sich die furchtbare radikale Zweiheit von Wissen und Leben TS4 234,30-31 abzustreifen sei. Welt und Individuation decken einander, aber die Wesen] abzustreifen sei, aber die Wesen TS4 234,33 (Hobbes)] fehlt TS4 234,35-36 und dass Dauer Selbstbehauptung sei] fehlt TS4 234,37-38 , durch das Göttliche […] und hält] fehlt TS4 235,3-4 Dieses von Tao gestiftete Verhältnis] Diese Part. TS4 235,5 selbständige] selbsttätige ts1 235,5-7 Sobald es sich […] zu Tao hinweg.] fehlt TS4 235,10-12 Keine ethischen […] geboten werden.] fehlt TS4 235,13 menschlich praktisch] praktisch menschlich ts1 235,19-20 Vorstellungen, Begriffe […] Urteile] Vorstellungen hBegriffei und an diesen [Vorstellungen] ! Begriffen vollzogene Urteile TS4 236,4 oder metaphysisches Schauen] fehlt TS4 236,5 Der Blick, der in die Tiefe schauen kann.] fehlt TS4 236,9-11 Wie wenn man […] das Ganze ein.] fehlt TS4 236,13 dass er in die Tiefe reicht –] fehlt TS4 236,17 Er kann also nachgiebig sein.] fehlt TS4 236,18-19 Lieben heisst […] vom Uebel.] fehlt TS4 236,27 und Schauens] fehlt TS4 236,Anm. Keine gelösten Kenntnisse.] fehlt TS4 236,28-29 Te: nicht Tauglichkeit […] Tief-Geheimnis.] fehlt TS4 236,Überschrift XI. Abschnitt.] Siebenter Morgen. / XI. Abschnitt. TS4 236,35-36 besteht dadurch, dass es nicht alles Andere ist] ist nicht alles andere TS4 237,7 Das »Sein« im allgemeinen Sinn] Das Sein, das man hat, TS4 237,8 für uns sind] für uns da sind TS4 237,8 was] nicht hervorgehoben TS4

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237,9 ihr »So-sein«,] fehlt TS4 237,10-15 Substanz. Indem […] Abschnitt 43] Substanz, andrerseits aber in Kontakt bleiben. h(cf. 43)i TS4 237,26-27 Sie scheint etwas […] bei Lao-tse.] fehlt TS4 237,28 Wirkung] Wirkung ! wirkenden Verbundenheit TS4 237,29 (=Wesen)] fehlt TS4 237,31-32 »Je und je […] »ist er unnennbar«.] fehlt TS4 237,33-34 dass es in das] dass es hsichi in das TS4 237,34 zurückwenden will. In der] zurückwenden will. [d. h. des gestaltlosen Gestalt.] In der TS4 237,35-36 Dieses sich Zurückwendenwollen […] des Bildlosen.] fehlt TS4 237,37 sagen dasselbe] sagen in ihrem Widerspruch dasselbe TS4 238,1 Zurückschreiten.« 2. »Gott schafft] Zurückschreiten. [Gegenstück:] Gott schafft TS4 238,5-8 Die folgenden […] d. h. klar.] fehlt TS4 238,9 sieht man sein Gesicht,] fehlt TS4 238,10 dem Unerkennbaren] dem Unerkennbaren h, dem Haupti TS4 238,12-16 Wenn man dem […] der Manifestation.] hWenn man dem Göttlichen nachstrebt, seine zugewiesene Aufgabe erfüllt, dann tut sich das Wesen des Göttlichen kund; wenn wir uns aber mit ihm befassen, uns zurückbiegen, dann erkennen wir ihn nicht, wie von einem Blitz wird man in die Welt des Bedingten zurückgeworfen.i TS4 238,17-19 Imitatio […] ein Anruf.] fehlt TS4 238,20 gibt sich der] [besteht ein] ! äussert sich der TS4 238,28-29 , dann wird der Mensch von selbst gut sein] fehlt TS4 239,1-9 »Die Guten« […] genannt wurde.] fehlt TS4 239,14 die Ruhe nicht spürbar bricht] die Ruhe nicht bricht h, da man immer wieder meint in der Ruhe zu seini. TS4 239,16 es bewegt] [es bewegt] ! daran zieht TS4 239,16-17 Die Weisen […] selbst überliessen.] fehlt TS4 239,19 anstelle der ganzen Verbundenheit,] fehlt TS4 239,20-21 »Mangelhaft« […] modisch abgeschlossen.] fehlt TS4 239,Überschrift XVI. Abschnitt.] Achter Morgen / XVI. Abschnitt. TS4 239,26-27 bis es aufgenommen wird von dem Motiv »Ewig«] bis es deutlich aufgeht, dann entfaltet sich das Motiv ewig TS4 239,27 Der Abschnitt ist offenbar] berichtigt aus Der Abschnitt offenbar 239,27-28 Der Abschnitt […] zusammengefügt.] fehlt TS4 239,31-37 Talmud: […] vereinfacht werden darf.] fehlt TS4 240,2-13 »Zurückgehen« […] einfache Wachsen.] fehlt TS4 240,18-24 Während das »Zurückgehen« […] eines Gipfels.] fehlt TS4

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240,19 »Zurückgekehrtsein] berichtigt aus Zurückgekehrtsein 240,24 erfüllt hat, kostet schon] erfüllt hat hAufgabe erfüllt haben = wörtlich: seine Aufgabe als getan anmeldeni, kostet schon TS4 240,27-38 Es ist das […] im Ursprung.] fehlt TS4 240,30 vereinfachende] vereinfachte ts1 240,39-241,2 Diese Vieleinheit […] stehen bleiben.] fehlt TS4 241,3 kennt] nicht hervorgehoben TS4 241,4-5 Kennen: anschauen.] fehlt TS4 241,7-8 selbst erhellt wird] gesehen wird TS4 241,9-16 Talmud: […] pflichtvergessen ist,] fehlt TS4 241,18-19 die sinn-lose, substanzlose Freiheit] fehlt TS4 241,20-23 »Macht unglücklich« […] im Uferlosen.] fehlt TS4 241,30-32 Das ist das Falsche […] selber bin] fehlt TS4 241,33-34 Wer Beziehungen […] sondern umfassend.] fehlt TS4 242,1 , vom Gesetz des ewigen Wandels] fehlt TS4 242,2-3 Der ja im […] fortdauernd.«] fehlt TS4 242,7 verwerflich] verwerflich ! aufzugeben TS4 242,13-15 Aus den natürlichen […] selbst wachsen.] fehlt TS4 242,16-18 Der Geschäftige […] Begehr erweckt.] fehlt TS4 242,25-26 die innere Wahrheit kündenden Menschen] die innere Wahrheit des Seins kündenden Menschen in der Menschenwelt vor die er gestellt ist TS4 242,28-31 Von einem Erklärer […] folgenden Sätzen.] fehlt TS4 243,1-2 Wer in der Wahrheit […] ist wahnsinnig] Wer [die] ! in der Wahrheit [hat] ! steht und in einer Welt der Lüge, der Lügensicherheit, der Lügenlust von der Wahrheit zeugt, der ist wahnsinnig TS4 243,3-7 »Die Verfinsterung […] geben kann.] fehlt TS4 243,9-11 (Sammlung Carstanjen) […] Verlorenheit.] fehlt TS4 243,13-15 des Zwiespalts […] wie das Meer«] fehlt TS4 243,15 Die Lehre von der] Ueberall wird hier die Lehre von der TS4 243,16 Konsequenzen empfunden] Konsequenzen hschmerzlichi empfunden TS4 243,19-24 Diese Erlösungssehnsucht […] nährende Mutter«.] fehlt TS4 243,Überschrift XXI. Abschnitt.] Zehnter Morgen. / XXI. Abschnitt. TS4 243,30-32 Khung (= gross) […] etwas taugen.] fehlt TS4 243,32 Die] Tugend ist die TS4 243,33-244,5 Mächtigkeit ist […] sind mächtig.] fehlt TS4 244,5 den Dingen] ihnen TS4 244,5-7 Tugend ist also […] der Individuation] Tugend ist TAO im Stande der Individuation TS4 244,7-11 Sie folgt Tao nach […] bei Lao-tse an.] fehlt TS4

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244,12-13 nicht etwa Naturgesetz. Kein Denksein] Ausdruck für Naturgesetz. Nicht ein Denksein TS4 244,15-21 »aber unfasslich« […] ermächtigt wären.] fehlt TS4 244,21-24 So ist auch bei […] des Göttlichen sieht –] So müssen wir auch das Folgende auffassen, wo Lao Tse auf die Personhaftigkeit Gottes hinweist. Er sieht zwei Seiten des Göttlichen: TS4 244,25 Unpersonhafte und personhafte Seite.] fehlt TS4 244,26-27 Angesicht. Da wir […] können wir sagen] Angesicht, das ist womit wir in Beziehung stehen TS4 244,28-29 nicht nur die Worte, sondern auch die Begriffe] Worte und Begriffe TS4 244,33-245,17 Es ist kleinlich […] wie Gestalt.] fehlt TS4 245,17-18 Das Personhafte […] Ich und Du] Die stärkste Manifestation der Person in der Sprache ist das Ich-und-Du-sagen TS4 245,18-19 Durch Pronomina. Person ist, was anredet und angeredet wird.] fehlt TS4 245,20-21 , muss nicht […] werden können] fehlt TS4 245,22 herangerufen werde: »wo bist Du?«, so brauche ich] herangerufen werde, so brauche ich TS4 245,24-39 Der Umriss […] des Seienden.] fehlt TS4 245,35 konstituiert] berichtigt aus kontinuiert nach TS6 246,4-5 Jede Gestaltbildung] Jedes Bild TS4 246,11-12 Darin äussert sich […] billiger haben.] fehlt TS4 246,27 selbst] nicht hervorgehoben TS4 246,29-31 »Sein Geist […] zuverlässig.«] fehlt TS4 246,35-38 (Alte chinesische […] dieser Treue.] fehlt TS4 247,2-6 Der Name des […] Schöpfung erneut.«] fehlt TS4 247,16-21 Offenbarung ist […] »Durch ihn«.] fehlt TS4 247,Überschrift XXII. Abschnitt.] Elfter Morgen. / XXII. Abschnitt. TS4 ergänzt davor handschriftlich [Elfter Morgen] TS6 247,27-28 (Phasen des Mondes)] fehlt TS4 247,30 wirklich] fehlt TS4 247,31-35 »Wenn wenig […] von Tao.] fehlt TS4 247,31 verfehlen«] berichtigt aus verfehlen 248,3-4 »Umfasst das Eine« […] Himmel ist.] fehlt TS4 248,6-10 Dieses Gesetzhafte […] hinweisen sollen.] fehlt TS4 248,13-14 sein Verworfen-werden von den Menschen] die Verworfenheit der Menschen TS4 248,14-15 betrachtet] geniesst TS4 248,18 die Welt zu dem Wissen] man dahin TS4 248,25 diese fugenlose Weise] diese vollkommene fugenlose Weise TS4

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248,33 nur] fehlt TS4 248,36 Verwundertseins] Sichwunderns TS4 248,37 die Liebe eine Krankheit] sie krank TS4 248,37-249,2 Das mit Tao […] etwas Gegenwärtiges.] fehlt TS4 249,8-9 Die Schlussätze […] von Lao-tse.] fehlt TS4 249,18-22 Erst durch dieses […] gekannt ist.] fehlt TS4 249,26 , wie Mass, Gesetz] fehlt TS4 249,29-30 zur Kindheit […] höhern Ebene] fehlt TS4 249,Überschrift XXXVIII. Abschnitt.] 13. Morgen. / XXXVIII. Abschnitt. TS4 250,6-10 Das Schöne steigt […] zuzubilligen.] fehlt TS4 250,13-15 Die niedere […] Lutherischen Sinn.] fehlt TS4 250,18-41 Der Streit […] zu sein vermeinen.] fehlt TS4 251,4 zu schauen.] zu schauen. Das Unwillkürliche ist das eigentlich Religiöse bei allen Menschen. TS4 251,9-10 , weil sie Prinzipien […] werden will] fehlt TS4 251,16 von Objekt zu Subjekt] fehlt TS4 251,17-19 Li: […] Ceremoniell.] fehlt TS4 251,22 lähmt] beeinträchtigt TS4 251,28-252,18 D. i., Gegensatz […] Tugend gemeint sein.] fehlt TS4 252,20-23 Büsst man […] Regeln her.] fehlt TS4 252,26 , Treu und Redlichkeit,] fehlt TS4 252,28-31 Durch das Li […] uneigentlich.] fehlt TS4 252,34-253,5 »Gebildet«: […] wandelbar.] fehlt TS4 253,10 Die Menschen kümmern sich nicht mehr darum.] fehlt TS4 253,11 wörtlich: von geringem Ton,] fehlt TS4 253,11 aushallt]erschallt TS4 253,13-17 Tao ist im […] und vollendet.] fehlt TS4 253,21 »Nicht sieht« = nicht besieht.] fehlt TS4 253,22 wo man viele Dinge kennen lernen will,] fehlt TS4 253,24-26 das, was man […] Tao Verbundenen,] fehlt TS4 253,28-29 Das Entscheidende […] lernen.] fehlt TS4 253,Überschrift XLIX. Abschnitt] Vierzehnter Morgen: / IL. Abschnitt: (fehlerhafte Abschnittsnummer) TS4 ergänzt davor handschriftlich [Vierzehnter Morgen] TS6 253,33 sogenannte] fehlt TS4 254,1, das nennt er Menschenkenntnis,] (das nennt man Menschenkenntnis) TS4 254,10-11 er macht sein Herz […] Menschenelementen] er macht seine Direktive aus ihrem Herzen TS4 254,12-14 Der heutige Führer […] in Russland.] fehlt TS4

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254,14 Beim rechten Führer dagegen] Hier TS4 254,16-17 Verhältnisse, sondern es […] den Plan »durchwirklicht«] Verhältnisse: Der Plan wird »durchwirklicht« TS4 254,19-20 »Herz« im […] im Kontakt.] fehlt TS4 254,23-27 Gut-sein auf […] ihrer Qualifikation. –] fehlt TS4 254,30-34 Der Mensch ist gut. […] eine erhabene Flucht auf Adlerflügeln.] Das heisst nicht den Menschen idealisieren, (»Der Mensch ist gut«. Idealismus ist eine der bequemsten Formen der Flucht, eine erhabene Flucht auf Adlerflügeln.) TS4 254,35 Schuttmassen] nicht hervorgehoben TS4 254,37 Gute] nicht hervorgehoben TS4 254,38-255,15 Das politische […] das Göttliche zu lebt.] fehlt TS4 255,17-18 Ohne meisterlichen […] aufnehmend.] fehlt TS4 255,21 Er ist buddhistisch.] fehlt TS4 255,24-27 »Der heilige […] Verantwortung stehen.] fehlt TS4 255,30 keine messianischen Gedanken] berichtigt aus keine messianische Gedanken 255,34-256,14 Auch die christliche […] erschienenen Christus.)] fehlt TS4 256,18-21 als Kreatürlichkeit, […] wahren Kindschaft] als Kreatürlichkeit, sondann aber ein Übergehen von der Kreatur zum Kinde Gottes TS4 256,23-26 mit unserem […] Sohnschaft] fehlt TS4 256,31-33 Der Satz Eckart’s […] um sich schlagen] Paulus: Christus anziehen = sich in Ewigkeit hüllen, den Mantel der Ewigkeit um sich schlagen TS4 257,1 von bibelartiger] von einziger, bibelartiger TS4 257,6-13 Alle Mächtigkeit […] ganzen Wesen.] fehlt TS4 257,19-21 »vergibt« ist […] eigene Tat.] fehlt TS4 257,23-25 Heilig ist daher […] eintritt.] fehlt TS4 257,30-258,6 Vergleiche den Satz […] als Maxime.] fehlt TS4 258,6-9 Nichts verkehrter […] existenten Tuns.] fehlt TS4 258,15-16 Der Sinn […] langsam«,] fehlt TS4 258,17 Langmütig: langer Atem.] fehlt TS4 258,18-33 Strafdogmatik […] im Angesicht.] fehlt TS4 259,Überschrift XXIX. Abschnitt] Über das Reich. / XXIX. Abschnitt: TS4 ergänzt davor [Über das Reich] TS6 259,2-5 Die folgenden […] selbst hervorbringt.] fehlt TS4 259,9-11 Das Reich: […] Lebendige unherstellbar] Es gehört wie alle wahre Gemeinschaft, wie alles wirklich Lebendige zu den unherstellbaren Dingen TS4 259,11-28 Wenn sie besteht […] der Kreis.] fehlt TS4 259,28-36 Wie zersetzt […] leidet Schaden] Gemeinschaft leidet wohl,

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Einzelkommentare

wenn das Verhältnis der Glieder untereinander sich trübt, letztlich zersetzt sie sich aber wenn das Verhältnis zur Mitte Schaden leidet TS4 259,37 der Religion] der Gläubigkeit TS4 260,2-20 Daran scheiden […] das Gottvertrauen.] fehlt TS4 260,6 Maschen] Menschen ! Maschen TS5, TS6 Menschen TS7 260,8 zu untersuchen] hdaraufhini zu untersuchen ts2 260,26 zum Andern hinzukommt.] ergänzt Aber von Gott in der dritten Person sprechen ist nicht glauben. Die dritte Person bedeutet in der Grammatik und in der Natur das nicht Aussprechbare, das Metaphorische, die Urmetapher. TS4 260,26-261,24 Das Du sagen […] sie nicht verstehen.] fehlt TS4 261,23 parthenogenetisch] posthenogenetisch ! parthenogenetisch TS5, TS6 posthenogenetisch TS7 261,26 Der Spruch […] gehörend.] fehlt TS4 261,32-35 des Andere […] pausenlosen Lebens] des der die andern schädigt, besteht nur in der dünnen Schicht des besinnungslosen, pausenlosen Lebens TS4 261,37-262,6 Der letzte Krieg […] weiss zu siegen] Dann wird man siegen TS4 262,8-9 er kann es […] sein Schicksal,] fehlt TS4 262,10-11 In der chinesischen […] die Einsamkeit.] fehlt TS4 262,12-16 In China will […] missbraucht werden.] fehlt TS4 262,12 Gewalt-üben ist.] ergänzt Das alles ist gemeint ausserhalb der Sphäre von Fiktionen in der die modernen Scheinvölker leben. Der letzte Krieg entstand, weil ein Berg von Fiktionen hinsichtlich der jeweiligen Bedrohungen sich auftürmte. Es ist aber nicht richtig, wenn die Pazifisten behaupten, das seien alles geheuchelte Gefühle. Fiktionen werden in der dicken Luft des Misstrauens, die sich so leicht in unserer Zeit bildet zu unheimlich gewaltigen Dämonen, denen niemand widerstehen kann. TS4 262,26-27 »Kunstfertigkeit« […] verlängert wird.] fehlt TS4 262,27-29 »Je mehr die […] bei Tschuang-tse oder] fehlt ts1 262,32-263,3 , wenn wir doch […] verzichten] fehlt TS4 263,4 des Lebens] des eigenen Lebens TS4 263,4-9 Der Gipfel […] noch mehren.] fehlt TS4 263,12-38 es ahnen lässt. […] intensiviert werden.] fehlt TS4 263,29 die es besser haben wollen,] fehlt ts1 264,3-9 Lao-tse hält […] die Strömung.] fehlt TS4 264,9 das danach strebt] berichtigt aus das darnach strebt 264,10-15 wird dadurch aufgezehrt. Nicht, wer […] aber der Ruhende

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[…] wird kraft] wird dadurch aufgezehrt, wenn aber das Ruhende die Senkung aller Hebung ist, dann strömt ihm alles zu, dann ist es unsterblich. Es wird kraft TS4 264,16 , es verteilt Kräfte an die kleinen Länder] fehlt TS4 264,19-26 wie etwa der […] gelegt hat.)] fehlt TS4 264,28-29 Zur napoleonischen […] als heute.] fehlt TS4 264,33-38 grossen Staates. Ruhe: […] von ihm bestimmen] grossen Staates. Sie lassen sich von ihm bestimmen, sie haben Vertrauen zu ihm TS4 265,2-12 Wenn aber das […] Auferlegungswünsche.] fehlt TS4 265,12 Auferlegungswünsche] berichtigt aus Auerlegungswünsche 265,13 »dann erreichen sie beide …«] fehlt TS4 265,17-19 Der erste Teil […] Urzeit entnommen.] fehlt TS4 265,27-266,8 Die Bangigkeit […] Kraft zu erhöhen.] fehlt TS4 265,35 Bring!«] berichtigt aus Bring! 266,11 insofern] nicht hervorgehoben TS4 266,12-13 Verantwortung: […] ich für ihn.] fehlt TS4 266,15-37 Zu leicht stellen […] nie tragbar ist.] fehlt TS4 266,31 , dem Kaiser] fehlt ts1 267,4-5 dieses heisst: tragen des Landes Unreinigkeiten] dieses heisst bei Lao-tse tragen des Landes Unreinigkeiten ts1 267,6-10 Schon bei […] der Religionen.] fehlt TS4 267,13 Lao-tse’s Messianik.] fehlt TS4 267,Überschrift LXXX.] LIII. ! LXXX. TS5 LIII. TS6, TS7 267,17 Der 80. Abschnitt] Der 53. Abschnitt ! Der 80. Abschnitt TS5 Der 53. Abschnitt TS6, TS7 267,19-24 Deutlich tritt […] nennen würde.] fehlt TS4 267,27-29 , sondern formal […] zerbröckeln lassen.] fehlt TS4 267,32-268,4 Lao-tse meint: […] leben wolle.] fehlt TS4 268,5-7 Das hatte vielleicht […] Fällen vorbehalten.] fehlt TS4 269,9 Man kann nicht handeln, dass man Glauben erlange] Man kann nicht handeln um des Glaubens willen, dass man Glauben erlange TS4 269,22-23 , an die Not […] Zweifel dieser Stunde] fehlt ts1 , an die Not dieser Stunde, an die Frage, an den Zweifel dieser Stunde TS4 269,24-25 Der Glaube an […] nicht Glaube.] fehlt TS4 269,26 Einen] nicht hervorgehoben TS4 269,26-30 Die 3. Person bedeutet […] zu vibrieren.] fehlt TS4 270,7-20 Das Ziel des […] und Wahnsinn.] fehlt TS4 270,11 für Paulus ist das Gesetz] berichtigt aus für Paulus das Gesetz

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270,13 Für ihn sind drei Situationen möglich] berichtigt aus Für ihn drei Situationen möglich 270,24-29 Das, wozu […] Leib der Welt. Hätte der Mensch] Wenn der Mensch zu etwas ausgesandt ist, so liegt in dieser Aussendung (Vertreibung aus dem Paradies) schon die Forderung des Bösen. Gäbe es das Böse nicht, das Böse, das das Gute ergänzt, hätte der Mensch TS4 270,31 Der paradiesische Mensch ist der werklose Mensch.] fehlt TS4 270,31-32 Das Werk ist:] Das Werk des Menschen ist, TS4 270,33-34 von ihm gestiftete] fehlt TS4 270,34-35 damit aber das Oberhalb der Geschiedenheit,] fehlt ts1 270,34-36 Paradies ist […] das Böse nötig] Damit das Reich werde, der Zusammenschluss alles Geschiedenen, das Werden der Wesen zur Gemeinschaft, muss das Böse sein TS4 270,40-41 Lösung] Erlösung TS4 271,16 g a n z e ] nicht hervorgehoben ts1 271,36-40 Als der grosse […] vorstellen können.] fehlt TS4 272,16-17 Dieses ins Absolute […] eine Irreführung] Dieses ins Absolute erhobene allgemeine (Platons Idee) ist aber eine Irreführung ts1 Wort- und Sacherläuterungen: 227,Überschrift-227,13 Einleitung […] grossen mythischen Kaiser] Victor von Strauss stellt seiner Übersetzung Lao-Tse’s eine umfangreiche Einleitung voran, die die Rezeption von Lao-Tse im Abendland behandelt sowie eine Einführung in dessen Lehre gibt, die Herkunft und Überlieferung von Tao erläutert, eine Einführung in die Überlieferungsgeschichte und den Inhalt des Tao-te-king gibt sowie Biographisches zu Lao-Tse berichtet (die biographischen Notizen hat Strauss nach eigenen Angaben dem 63. Kapitel des Shiji (Records of the historian) entnommen und diese mit weiteren eigenen Erläuterungen versehen; zum Shiji siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 109,12-15). 227,4 »Lao-tse war des Tao und Te beflissen.«] Strauss, Lao-Tse’s Tao te King, S. LVI. 227,11 Verbindungsfähigkeit zusammen mit Gerichtetheit] Im Verlauf des Seminars erwähnte Buber häufig die chinesischen Schriftzeichen für Schlüsselbegriffe und deren schriftliche Form. Das Schriftzeichen, an das er hier dachte, war xin, aber seine Analyse der Struktur von xin ist nicht deutlich. Zu den chinesischen Schriftzeichen, siehe das Glossar in diesem Band, S. 478 f. 227,26 das Zeichen des Tai Gi] Buber bezieht sich hier auf das Taiji tu, d. h. auf das Taiji-Diagramm und nicht auf die chinesischen Schrift-

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zeichen. Taiji wurde in der deutschen Übersetzung mit »der große Pol«, in der englischen Übersetzung mit »the Supreme Ultimate« übersetzt. Keine der beiden Übersetzungen drückt die eigentliche Bedeutung adäquat aus, da der Begriff den Anfang vor dem Anfang meint, d. h. den Anfang vor der Handlung, die den Prozess des kosmischen Anfangs in Gang setzt. Das Diagramm ist eine Repräsentation der gegenseitigen Ergänzung zwischen Yin und Yang. Es ist nicht klar, in welchen Kreisen das Diagramm entstand. Im Rahmen des chinesischen philosophischen Diskurses taucht es erst im 10. Jahrhundert n. Chr. auf. 227,26-27 (bei Wilhelm S. 89)] Laotse, Tao Te King. Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm, Jena 1911. 229,1-2 »Geheiligt sei Dein Name«] Satz aus dem jüdischen Morgengebet. 229,7 Gnostiker Markus] Marcus Magus, ein Anhänger der valentinianischen Gnosis, der zwischen 160 und 180 n. Chr. lehrte und die Entstehung des Pleromas (Lichtmeeres, Sitz der Gottheit) mit Hilfe von Buchstaben- und Lautspekulationen illustriert. Siehe Irenäus, Adversus Haereses 1, 13-16. 229,7-8 Jeder Aeon […] Sprache selber sein] Vgl. ebd., 1, 14,1; Übersetzung bei Niclas Förster, Marcus Magus. Kult, Lehre und Gemeindeleben einer valentinianischen Gnostikergruppe. Sammlung der Quellen und Kommentar, Tübingen 1999, S. 164. 230,9-10 Im Sein selbst ist das Gute nicht Gegensatz zu bös.] Auch nach rabbinischer Vorstellung ist das Wesen des Menschen von dieser Dualität geprägt, nach der im Menschen immer zwei Grundtriebe existieren: die Neigung zum Guten (hebr. yezer ha tov) und die Neigung zum Bösen (hebr. yezer ha ra). Im Talmud heißt es: »Der Heilige, gepriesen sei er, schuf zwei Triebe, einen guten Trieb und einen bösen Trieb.« (bBer 61a) Dabei bezeichnen yezer ha tov und yezer ha ra nicht das Gute bzw. das Böse schlechthin, sondern den Hang des Menschen zum einen oder zum anderen. Wichtig bei dieser Vorstellung ist, dass beide zur Erhaltung des Menschen und der Welt notwendig sind. Entscheidend ist der Ausgleich zwischen beiden Trieben. Vgl. auch den Anhang zu diesem Text, in diesem Band, S. 270,23-29 sowie die Wort- und Sacherläuterung zu 271,19-20. 230,26 Tun nicht tun] Tun Nicht-tun (wei wuwei) ist ein Schlüsselkonzept in Bubers Interpretation des Daoismus. Er verstand, wie wichtig es war, Nicht-tun weder als Passivität noch als Untätigkeit zu interpretieren. Tun Nicht-Tun bedeutet eher eine andere Form der Hand-

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lung, wie er im folgenden Paragraphen sowie in dem Essay China und wir (s. in diesem Band, S. 285-289) erklärt. 231,15-17 »Fürwahr die Li […] Empfang nehmen konnten.«] Jan Jakob Maria de Groot, Universismus. Die Grundlage der Religion und Ethik, des Staatswesens und der Wissenschaften Chinas, Berlin 1918, S. 26. 231,19-20 Das ist die Kodifikation des Li durch Confucius.] Bubers Interpretation des konfuzianischen li ist zu eng gefasst. Konfuzius’ Beitrag bestand gerade darin, dass er li mit religiöser und zeremonieller Bedeutung erfüllte. 232,34 Knechtsgestalt annehmen] In Phil 2,7 heißt es über Jesus: »[er] entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.« 233,12-15 (Ueber die Sukzession […] der Mythologie] Nathan Söderblom, Das Werden des Gottesglaubens. Untersuchungen über die Anfänge der Religion, Leipzig 1916; Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Einleitung in die Philosophie der Mythologie (= Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke, Abt. 2, Bd. 1), Stuttgart u. Augsburg 1856; insbes. 4., 8., 11. u. 18. Vorlesung. 233,18-19 Der Strohhund wird für das Opfer mit »Mana« geladen.] Vgl. zum Strohhund den Kommentar von Strauss: »In Betreff des letzteren wird uns berichtet, dass man beim Opfern einen aus Heu gemachten Hund vor den Altar stelle, um Unglück abzuwehren, dass man ihn hierbei mit allerlei kostbarem Schmuck verziere, nach dem Opfer dessen entkleide und auf die Strasse werfe, wo er zertreten werde.« (Strauss, Lao-Tse’s Tao te King, S. 29). Diesem Strohhund wird mittels des kostbaren Schmucks Mana (in der Sprache der polynesischen Ma¯ori: Lebenskraft, Macht) verliehen. Aus sich selbst heraus hat er aber keine Macht. 233,33 Das Wort »Talgeist« […] befriedigend erklärt.] Dieses Kapitel ist in der Tat rätselhaft, und Bubers Kommentar ist sehr sachbezogen. Seit Wang Bi versuchen Übersetzer und Kommentatoren vergeblich, sich über die Bedeutung des Kapitels klarzuwerden. Buber zitiert die beiden ersten Sätze dieses Kapitels, die sich mit dem Talgeist beschäftigen, auch in seinem »Nachwort« zu Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse (siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 117,16-18). 234,24 Vedantist] Der Vedantist hat das Studium der Veden, der frühindischen klassischen, als Offenbarung verstandenen Werke des Hinduismus, betrieben, das Voraussetzung für das Studium des höheren Wissens, des Vedanta ist (zu den Veden s. die Wort- und Sacherläuterung zu 108,2); in den vedischen Schriften und den Schriften des Vedanta geht es vornehmlich um die Beziehung der individuellen Seele

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zur Weltseele und um den Prozesses hin zur Erlangung der Einheit beider. 234,32-36 Gegenüber der modernen […] Selbstbehauptung sei] Der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) entwirft in seiner staatstheoretischen Schrift, dem Leviathan, ein Menschenbild, wonach der Mensch im Naturzustand frei von jeglichen Einschränkungen, etwa der der Moral, der Tradition, des Staates oder der Kirche, lebt. In einem solchen Naturzustand herrschen Gewalt, Anarchie und Gesetzlosigkeit – ein »Krieg aller gegen alle« (Thomas Hobbes, Leviathan, oder von Materie, Form und Gewalt des kirchlichen und bürgerlichen Staates, Zürich 1936, S. 163). Nach Hobbes gibt es in diesem Urzustand »keinen Besitz, kein Eigentum kein Mein und Dein«, sondern »was jemand erworben hat, gehört ihm, so lange er es sich zu sichern imstande ist.« (Ebd., S. 165.) Um sich selbst zu behaupten, »muß jedem auch die gewaltsame Vermehrung seiner Besitzungen um der nötigen Selbsterhaltung willen zugestanden werden.« (Ebd., S. 162.) 234,38-235,1 Die Seiende Selbstheit, die Individuation, kommt auch aus Tao.] Hier sowie noch einmal bei der Behandlung des XI. Abschnitts (»Es handelt sich um die Frage nach der Individuation.«; siehe in diesem Band, S. 236,31) kommt Buber auf das Individuationsproblem zu sprechen. Die Frage der Individuation hatte Buber schon sehr viel früher beschäftigt. Um die Jahrhundertwende verfasste er seine Dissertation unter dem Titel »Zur Geschichte des Individuationsproblems. (Nicolaus von Cues und Jakob Böhme.)«, die er 1903 bei der Philosophischen Fakultät der Universität Wien einreichte. (Bubers Dissertation ist erstmals vollständig abgedruckt in: MBW 2.1, S. 75101; vgl. dort auch den umfangreichen Kommentar zu Bubers Dissertation, ebd., S. 279-310.) 235,9-10 Wer seine Seele gewinnen will, wird sie verlieren.] Buber spielt hier auf einen neutestamentlichen Vers an, wonach Jesus sagte: »Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.« Mk 8,35. 235,15-26 Umfassen einander Geist und Seele […] die Einheit da.] In Bubers Kommentar klingt der zeitgenössische Diskurs zum Verhältnis von Geist und Leben bzw. Geist und Seele an, der von den Vertretern der Lebensphilosophie, wie Henri Bergson, Wilhelm Dilthey (18331911), Ludwig Klages (1872-1956), Friedrich Nietzsche (1844-1900), Georg Simmel, seit der Jahrhundertwende bis in die 20er und 30er Jahre hinein geführt wurde. Sie sprachen dem Intellekt, dem Geist, jegliche Fähigkeit zum Verständnis der Welt und des Lebens ab. Nur

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die Intuition, die Seele, sei in der Lage, die Welt in ihrer Gesamtheit sowie das Innere des Menschen zu erfassen und zu verstehen. (Vgl. Bergson: »Der Intellekt charakterisiert sich durch eine natürliche Verständnislosigkeit für das Leben.« In: Henri Bergson, Schöpferische Entwicklung (L’Evolution créatrice, 1907), Jena 1921, S. 170.) Die Lebensphilosophie war geprägt von dieser Geistfeindlichkeit (vgl. auch den Titel eines Werkes von Ludwig Klages: Der Geist als Widersacher der Seele, 1936). Entsprechend lehnten ihre Vertreter jede gegenseitige Durchdringung von Geist und Seele ab, für die Buber hier, sich auf Lao-Tse berufend, spricht. 235,37 So ihr nicht werdet wie die Kindlein] Vgl. Mt 18,3: »Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.« 236,24 »Der Geist Gottes brütet über den Wassern.«] Gen 1,2. 1925 von Buber übersetzt: »Braus Gottes brütend all über den Wassern.« Das Buch im Anfang. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Heidelberg: Lambert Schneider 1925, S. 7. 236,31 Es handelt sich um die Frage nach der Individuation.] Siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 234,38-235,1. 236,32-34 Paracelsus: Es gibt einen Archeus […] Form herausbringe.] Im Rahmen der Arbeit an seiner Dissertation, Zur Geschichte des Individuationsproblems, beschäftigte sich Buber intensiv mit der Vorstellung des Archeus. Zahlreiche Notizen aus dieser Zeit, die eine umfassende Lektüre belegen, bestätigen dies. In seiner Dissertation erläutert Buber auch den Begriff des Archeus bei Paracelsus (1493-1541), siehe MBW 2.1, S. 91 f. Folgender Satz von Paracelsus findet sich unter Bubers Notizen: »Diese Archei sind die schaffenden Prinzipien oder wirkenden Kräfte (virtutes) in den Dingen, sie sind keine persönlichen Geister sondern Naturkräfte, wirken unbewusst und bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der stofflichen Elemente« (Paracelsus, De meteoris (1589/90), Kap. 4, VIIII). Buber hat diese Passage der Schrift von Kurd Lasswitz, Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton, Bd. 1: Die Erneuerung der Korpuskulartheorie, Hamburg u. Leipzig 1890, S. 301, entnommen. 237,1 Eckhart: Was ist das […] in der Kohle.] Bei Meister Eckhart heißt es: »Man nehme eine brennende Kohle und lege sie auf meine Hand. Sagte ich, die Kohle brenne meine Hand, so täte ich ihr gar unrecht. Soll ich eigentlich sagen, was mich brennt? Das tut das Nichts, weil die Kohle etwas in sich hat, was meine Hand nicht hat. Seht, eben dieses Nichts brennt mich.« In: Meister Eckharts mystische Schriften.

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In unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer, Predigt 7: Vom innersten Grunde, Berlin 1903, S. 60 f. 237,36-238,2 Zwei Sätze von […] unsagbare Weise ein.«] Vermutlich handelt es sich bei diesen beiden Sätzen um Zitate aus dem philosophischen Hauptwerk des Johannes Scotus Eriugena (um 800-877), Periphyseon (Über die Einteilung der Natur), aus dem ersten Buch, Kapitel 9, die Buber selber übersetzt hat. 238,17-18 »Seid vollkommen, gleichwie er vollkommen ist.«] Mt 5,48: »Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.« 238,18 Ani vehu hoschiana] bSuk 45a. Vgl. Martin Buber, Warum und wie wir die Schrift übersetzten, jetzt in: MBW 14, S. 170-185, hier 184. 238,18 seid heilig, wie ich heilig bin (Pentateuch).] Aus den Gebeten zu Sukkot, dem Laubhüttenfest, das an den Auszug aus Ägypten erinnert, als das Volk Israel während seiner Wüstenwanderung in Hütten wohnte. Der hier von Buber paraphrasierte Satz kommt so und ähnlich mehrmals im Pentateuch vor; siehe z. B. Lev 3,44 f.: »Denn ich bin der HERR, euer Gott. Darum sollt ihr euch heiligen, sodass ihr heilig werdet, denn ich bin heilig […]. Denn ich bin der HERR, der euch aus Ägyptenland geführt hat, dass ich euer Gott sei. Darum sollt ihr heilig sein, denn ich bin heilig.« 238,32-34 Das »Gespräch zwischen […] in den Ohren.«] In einem Anhang zu seiner Übersetzung des Daodejing gibt Victor von Strauss ein Gespräch zwischen Konfuzius und Lao-Tse wieder, dessen Quelle die Erzählung bei Tschuang-Tse ist (Strauss, Lao-Tse’s Tao te King, S. 347357). Bei Tschuang-Tse finden sich neben diesem Gespräch einige weitere Begegnungen zwischen Konfuzius und Lao-Tse (siehe Giles, Chuang Tzu. Mystic, Moralist and Social Reformer, London 1889, S. 144 f., 166 f., 168 f., 182 ff., 184 ff., 266 ff., 282 ff.). Das Zitat, das Buber hier anführt, entstammt aber nicht Tschuang-Tse; Buber hat es der Einleitung von Victor von Strauss entnommen (Strauss, Lao-Tse’s Tao te King, S. LIII). 239,7 grosser Elefant] Hinsichtlich dieses Schriftzeichens ist Bubers Information nur teilweise zutreffend. Es wird yu ausgesprochen, aber mit zwei Komponenten geschrieben, von denen eines ein Elefant ist. 239,21-22 Der Abschnitt […] betitelt »Reine Menschen«] Siehe in diesem Band, S. 66-67. 239,31-32 Talmud: Drei Wesen […] Mutter und Gott.] »Die Rabbanan lehrten: Drei Teilhaber sind am Menschen [beteiligt]: der Heilige, gepriesen sei er, sein Vater und seine Mutter.« (bQid 30b.) 240,38 Henoch] Biblische Gestalt; der siebte Nachkomme Adams, der

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wegen seiner Rechtschaffenheit nicht starb, sondern zu Gott entrückt wurde (Gen 5,21-24); in der Kabbala, der jüdischen Mystik, wird er zum Erzengel Metatron, dem Fürsten der Seraphim. 241,5 Und Adam erkannte sein Weib] Gen 4,1: »Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger«. 241,9-12 Talmud: Die Vorwelt […] kommenden Welt.] Buber verbindet hier Vorstellungen der Kabbala und Aussagen des Talmud miteinander. Nach der Lehre der Kabbala gibt es ein inneres Selbst Gottes, das Ein Sof, (hebr. Pfo xja), das jenseits aller spezifischen Attribute oder Manifestationen des Wesens Gottes (Sefirot) steht. Ein Sof bedeutet wörtlich »es gibt kein Ende«; gemeint ist die Unendlichkeit Gottes, das Unbegrenzte, Unendliche, Eigenschaftslose der Gottheit. Ein Sof wird vorgestellt als das Urlicht, das im Anfang, bevor die geistige und sinnliche Welt aus Ein Sof emaniert wurde, alles erfüllte. Kadmon, der Urmensch – adam kadmon (hebr. xfmds wda), bedeutet »ursprünglicher Mensch« und ist ebenfalls ein Begriff aus der Kabbala; der adam kadmon ist das Urbild des Menschen, der an der Seite Gottes steht und die göttlichen Eigenschaften Weisheit, Herrlichkeit und Unsterblichkeit besitzt; sein Abbild ist der irdische Mensch, der aber diese Eigenschaften verloren hat. Vom Urlicht ist ebenfalls im Talmud die Rede. Buber bezieht sich hier auf den Traktat Chagiga, wo es heißt: »Mit dem Lichte, das der Heilige, gepriesen sei er, am ersten Tage erschaffen hat [das Urlicht], konnte man von einem Ende der Welt bis zum anderen sehen; als aber der Heilige, gepriesen sei er, auf das Zeitalter der Sintflut und der Teilung [der Sprachen und der Erde] schaute und ihre schlechten Taten sah, versteckte er es vor ihnen […] Für wen verwahrte er es denn? – Für die Frommen in der zukünftigen Welt« (bChag 12a). 241,15 das flüchtige Weib] Dieses Schriftzeichen wird wang ausgesprochen und kann auf diese Weise interpretiert werden. Das obere Element kann auch Flucht bedeuten, das untere Element ist das Zeichen für Frau. Beide Zeichen zusammen bedeuten Leichtsinn oder auch etwas Unschickliches. 241,20-21 einer der kopfüber in den Brunnen fällt] Xiong bedeutet »unglückselig«, und das Schriftzeichen kann bedeuten: »in eine Falle fallen« (nicht unbedingt in einen Brunnen). 242,19-20 Der starke Dieb. Die Verbrecher.] Siehe in diesem Band, S. 74; 99-100. 243,9 (Sammlung Carstanjen)] Die Gemäldesammlung von Wilhelm Adolf von Carstanjen (1825-1900) versammelte die wichtigsten Repräsentanten der niederländischen Malerei mit ihren Hauptwerken,

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darunter das letzte Selbstporträt Rembrandts (1606-1669). Die Sammlung war ab 1905 einige Jahre als Leihgabe im Kaiser-FriedrichMuseum (heute Bode-Museum) in Berlin zu sehen, woher Buber sie vielleicht kannte, danach ging sie als Leihgabe nach München an die Alte Pinakothek und 1928 an das Wallraf-Richartz-Museum in Köln, das die Sammlung schließlich 1936 erwarb. 244,8 natura naturans] lat., bei Spinoza die Natur als lebendige Einheit, die in schöpferischer Tätigkeit die Einzeldinge hervorgehen lässt. 244,9 natura naturata] lat., bei Spinoza das, was aus dem schöpferischen Wirken der Natur geschaffen und erhalten wird. 244,33-34 »Der Mensch schaffe Gott nach seinem Bilde …«] »Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.« Ludwig Feuerbach, Vorlesungen über das Wesen der Religion. Zwanzigste Vorlesung, in: Ludwig Feuerbach’s Sämmtliche Werke, Band 8, Leipzig 1851, S. 241. Feuerbach (18041872) verkehrt den Bibelvers aus der Schöpfungsgeschichte: »Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde« (Gen 1,27), in sein Gegenteil. 246,2-3 Du sollst Dir kein Bildnis machen.] Das zweite Gebot des Dekalogs. Siehe Ex 20,4 u. Dtn 5,8. 247,5-6 Ein jüdisches Gebet […] Schöpfung erneut.«] Ein Satz aus dem jüdischen Morgengebet. 248,9 »Ich aber sage Euch«] Ausspruch Jesu in der Bergpredigt, mit dem er an mehreren Stellen seiner Lehre einige alttestamentliche Gesetze neu wendet. Vgl. Mt. 5,22.28.32.34.39.44; siehe auch die Wort- und Sacherläuterung zu 108,18. 249,2-4 Die Kabbala sagt […] in ihrer Mitte.] Im Sohar, dem Hauptwerk der jüdischen Mystik, heißt es: »Nur wenn sich Mann und Weib vereinigen und sie eine Seele und ein Leib werden, wird der Mensch eins genannt. Auf solche Weise weilt der Allerheilige im ›Eins‹ und sendet den Geist der Heiligkeit [d. i. die Schechina, die Herrlichkeit Gottes] in jenes ›Eins‹.« (Sohar III, 81a, b; zitiert nach: Der Sohar. Das heilige Buch der Kabbala. Nach dem Urtext hrsg. von Ernst Müller, Wien 1932, S. 125) Vgl. auch ähnlich schon im Talmud: »Wenn Mann und Frau würdig sind, so weilt die Göttlichkeit zwischen ihnen« (bSota 17a). 249,5-6 Jao und Miao = wichtig und wundersam.] Auch wenn sich keine gewichtige Änderung in der Bedeutung ergibt, ist yao miao besser mit »entscheidendes Geheimnis« oder »entscheidendes Wunder« zu übersetzen. 249,11 geht nicht fehl] Bubers Kritik an Strauss’ Übersetzung ist hier völlig gerechtfertigt. Der Satz sollte lauten: »Beständige Tugend geht nicht fehl«.

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249,14 Rohholz] Bubers Kritik ist hier ebenfalls gerechtfertigt, obwohl auch sein Vorschlag »Rohholz« im Zusammenhang dieses Kapitels nicht ganz korrekt ist. Das hier benutzte Konzept ist wuji, ein Zustand ohne Einschränkungen, etwa mit »Grenzenlosigkeit« zu bezeichnen. 250,3 »schöne Seele«] Die Vorstellung von der »schönen Seele«, wie Buber sie hier für Goethe aufzeigt, ist schon seit der Antike bekannt. Im 18. Jahrhundert wurde der Begriff dann v. a. in der Epoche der Empfindsamkeit zum Modewort und erfuhr vielfältige literarische Gestaltung. Das 6. Buch von Goethes Bildungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) trägt den Titel »Bekenntnisse einer schönen Seele«, und auch eine der handelnden Figuren in ihm, eine gläubige und wohltätige Frau, trägt den Namen »Die schöne Seele«. 250,14-29 die Tugend der guten Werke […] den guten Werken.] Buber geht hier auf die sog. »Werkgerechtigkeit« in der kath. Lehre ein, gegen die sich Luther und anschließend die gesamte Reformationsbewegung wandte. Demgegenüber vertrat Luther die Auffassung, dass nur Gottes Gnade den Menschen rechtfertige. Vgl. die vier Grundprinzipien der Reformation: »allein durch die Gnade«, »allein durch den Glauben«, »allein die Schrift«, »allein Christus« (sola gratia, sola fide, sola scriptura, solus Christus). 251,17-18 Li […] volles Opfergefäss] Siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 231,19-20, zu Bubers Interpretation von li. 251,39-41 Schopenhauer: Man könne […] als Minimum nötig] Für Schopenhauer (1788-1860) ist der Staat »eine bloße Schutzanstalt«, deren Existenz nur aus zwei Gründen notwendig und gerechtfertigt ist: zum einen, um Angriffe von außen abzuwehren, zum anderen, um die Rechte des Einzelnen zu schützen. Nach Schopenhauer bekämpfen die Menschen sich gegenseitig, weil in nahezu jedem Menschen »ein grenzenloser Egoismus […] nistet, zu welchem meistens noch ein angehäufter Vorrath von Haß und Bosheit sich gesellt«. Weil also von Natur aus zwischen den Menschen Gewalt herrsche, sei es die Aufgabe – und die einzige Aufgabe – des Staates, dem Recht zur Herrschaft zu verhelfen. »Hieraus folgt, dass die Nothwendigkeit des Staats, im letzten Grunde, auf der anerkannten U n g e r e c h t i g k e i t d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t s beruht: ohne diese würde an keinen Staat gedacht werden; da niemand Beeinträchtigung seiner Rechte zu fürchten hätte« (alle Zitate aus: Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften, 2. Bd., Kap. IX: Zur Rechtslehre und Politik, Berlin 1851, S. 203-227.) 252,19-20 Die folgenden Sätze […] Anständigkeit.] Dieses Kapitel führt

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die konfuzianischen Konzepte ren, yi und li auf, aber v. a. der einführende Satz, den Buber zitiert, ist wichtig. Im positiven Sinne impliziert er, dass diese Werte nicht mehr gebraucht werden, sobald sich der all-umfassende Dao in der Welt durchsetzt. 252,34-35 »Gebildet«] »Gebildet« als Übersetzung von shi ist nicht ausreichend oder exakt genug. Die shi waren eine neue Klasse von Männern, die im 5. Jahrhundert v. Chr. Positionen im politischen Leben einzunehmen begannen, welche früher nur von Angehörigen der Aristokratie ausgefüllt wurden. In dem Kapitel wird auch erwähnt, dass diese Männer, obwohl in ihrer Bedeutung wahrgenommen, von der gewöhnlichen Welt um sie herum in ihrer Größe nicht erkannt wurden. 253,17-18 Beispiele zu diesem […] der Aussätzige.] Siehe in diesem Band, S. 36-34 u. 65-66. 254,7-8 Rischener Rabbi] Der chassidische Rabbiner Israel Friedmann von Ruzhin oder Rizˇin, genannt ›der Rizˇiner‹, oder auch ›der Heilige Rizˇiner‹ (1796-1850); ein Urenkel des Rabbi Dov Baer von Mesritsch, genannt der Maggid von Mesritsch. Buber gibt den Ausspruch in den Erzählungen der Chassidim (Zürich: Manesse Verlag 1949, S. 276) unter der Überschrift »Der Maßstab« innerhalb der Sprüche des Mordechai von Neshizˇ wieder. 254,25 (Vergl. die Anmerkung 2 zum 63. Kap. Bei Strauss)] Strauss, LaoTse’s Tao te King, S. 283 f. 256,7-8 Die enthusiastische […] die Pfingstergiessung.] Der Auferstehung Jesu folgte nicht unmittelbar das Kommen des Reiches Gottes mit der Wiederkunft des Messias, wie es Jesu Jünger erwartet hatten, sondern Jesus bleibt bei Gott, entsendet aber den Heiligen Geist zu allen, die sich auf den Namen Jesu als den Messias taufen lassen (siehe Apg 2,1-36). 256,26-27 Homo nobilis […] aeternaliter genuit.] Artikel 21 der 28 Lehrartikel Meister Eckarts, die in der päpstlichen Bulle gegen ihn im Jahr 1329 verdammt wurden (siehe: Heinrich Suso Denifle, Acten zum Processe Meister Eckeharts, in: Archiv für Literatur und Kirchengeschichte des Mittelalters, hrsg. von ders. u. Franz Ehrle, Bd. 2, Berlin 1886, S. 638). 257,13-14 Im grossen Maggid […] lernen kann.] »Das hungrige Kind«, in: Martin Buber, Der große Maggid und seine Nachfolge, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1922, S. 123. 257,30-33 Vergleiche den Satz […] Stelle mit der Backe.] Siehe in der Bergpredigt Jesu die Abschnitte »Vom Vergelten« (Mt 5,38-42) und »Von der Feindesliebe« (Mt 5,43-48); im Besonderen Mt 5,38 f.: »Ihr

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habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21,24): ›Auge um Auge, Zahn um Zahn.‹ Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.« 257,32 (Bornhäuser)] Karl Bornhäuser, Die Bergpredigt. Versuch einer zeitgenössischen Auslegung, Gütersloh 1923. 258,1-2 glühende Kohlen […] Haupt seines Feindes.] Spr 25,21 f.; vgl. Röm 12,20. 258,23 (Dante, Orcagna)] Der italienische Dichter und Philosoph Dante Alighieri (1265-1321) mit seinem Hauptwerk Göttliche Komödie (1307/1320; ursprünglicher Titel Commedia, später dann Divina Commedia) und der florentinische Maler, Bildhauer und Architekt Andrea di Cione (1320-1368), genannt Orcagna. 259,1-2 Spätere Interpolation.] Es besteht kein Grund anzunehmen, dass Teile dieses Kapitels einer späteren Interpolation zuzurechnen sind. Buber wird seinem Publikum zweifelsohne erklärt haben, warum er dieser Meinung war. Diese Erklärung befindet sich jedoch nicht im schriftlichen Text. 259,9 Das Reich: wir sagen Gemeinschaft.] Buber beschäftigte sich im Laufe seines Lebens auf vielfältige Weise mit dem Thema »Gemeinschaft« und verfasste zahlreiche Aufsätze hierzu. Dabei kommt es ihm, wie auch hier in seinem Kommentar zum 29. Abschnitt des Daodejing, immer auf die lebendige Gemeinschaft an. Im gleichen Jahr, 1924, in dem der Lehrkurs in Ascona über das Daodejing stattfand, hielt Buber in Frankfurt a. M. einen Vortrag zum Thema »Staat und Gemeinschaft« (Typoskript im MBA, Arc. Ms. Var. 350, Bet 47e; der Text wird aufgenommen in MBW 11). Zu Bubers vielfältiger und lebenslanger Beschäftigung mit der Frage der Gemeinschaft vgl. u. a.: Buber, Alte und Neue Gemeinschaft (in: Paul Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog. Martin Bubers geistige Entwicklung bis hin zu »Ich und Du«, Königstein i. T.: Jüdischer Verlag 1978 u. 1979, S. 183-188; jetzt in: MBW 2.1, S. 61-66); ders., Worte an die Zeit: Gemeinschaft (in: Worte an die Zeit – Eine Schriftenreihe, Heft 2: »Gemeinschaft«, München 1919); ders., »Wie kann Gemeinschaft werden?« (in: Der Jugendbund, hrsg. vom Verband der Jüdischen Jugendvereine Deutschlands, Jg. 16, 1930, S. 3-7; jetzt in: MBW 8, S. 185-199); ders., Bemerkungen zur Gemeinschaftsidee (in: Neue Wege, Juli-August 1931, S. 300-306); ders., Individuum und Person – Masse und Gemeinschaft (Vortrag von 1931; Typoskript im MBA, Arc. Ms. Var. 350, Bet 47a; der Text wird aufgenommen in MBW 11); ders., Gemeinschaft (in: Buber, Zwiesprache, Berlin: Schocken 1932, S. 80-85); ders., Er-

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ziehung zur Gemeinschaft (Vortrag von 1939; Typoskript im MBA, Arc. Ms. Var. 350, Bet 47; der Text wird aufgenommen in MBW 11); Zum Problem der »Gesinnungsgemeinschaft« (in: Robert Weltsch zum 60. Geburtstag. Ein Glückwunsch, gewidmet von Freunden, Tel Aviv/Jerusalem, Privatdruck 1951; wiederabgedruckt in: Buber, Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 240 f.); ders., Dem Gemeinschaftlichen folgen (in: Die Neue Rundschau, Jg. 67, Heft 4, 1956, S. 582-600; jetzt in: MBW 6, S. 103-123). 259,19-21 Wie sich im Märchen […] Umarmung des Menschen sehnt.] Dies ist ein wiederkehrendes Motiv in den von Buber übersetzten Chinesischen Geister- und Liebesgeschichten; siehe in diesem Band, S. 131-226. 259,32 wie z. B. bei Strindberg] Der schwedische Dichter August Strindberg (1849-1912) war sein Leben lang von Verfolgungsängsten und Wahnvorstellungen geplagt und hegte ein tiefes Misstrauen gegenüber seiner Umwelt, wovon auch sein schriftstellerisches Werk immer wieder zeugt; vgl. auch: Carl Ludwig Schleich, Besonnte Vergangenheit. Lebenserinnerungen, Berlin 1921, S. 261 (Kap. ›Strindberg-Erinnerungen‹): »Die dritte Komponente seines Wesens war ein tiefes, eingewurzeltes Mißtrauen gegen beinahe alles und jeden, das wie ein Paracelsischer ›Archäus‹ von Natur und Jugend an in ihm am Werke war«. 260,26-27 Das Du sagen können.] Ein Jahr vor seinem Lehrkurs zu LaoTse hatte Buber seine Schrift Ich und Du veröffentlicht, mit der er seine dialogische Philosophie begründete. Sein Kommentar zum Daodejing klingt an dieser Stelle daran an. Vgl.: »Ob man Gott als Er oder als Es beredet, es ist immer Allegorie. Sprechen wir aber Du zu ihm, dann ist die ungebrochne Wahrheit der Welt von sterblichem Sinn gewortet.« (In: Buber, Ich und Du, Leipzig: Insel-Verlag 1923, S. 115.) 260,37-38 Das Reich der Mitte ist für Lao-tse die Menschheit.] Buber übersetzte Zhongguo wörtlich mit »Reich der Mitte«, aber dieser Ausdruck wurde zu dieser Zeit nicht benutzt. Um die Menschheit im Allgemeinen zu bezeichnen, benutzten die Philosophen hier den Ausdruck Tianxia, d. h. alles unter dem Himmel. 262,26 Schriftzeichen: Hand und Zweig] Die Referenz ist zhi – Schlauheit, Listigkeit –, aber Buber erklärte nur den rechten Teil des Schriftzeichens. 262,29 »Der Gärtner«] Siehe in diesem Band, S. 79-80. 262,29-33 die Botschaft Tagore’s […] Gipfel pflanzen wollen.] Vgl. auch Bubers Bezugnahme auf Tagore (1861-1941) und Gandhi (1869-

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1948) in seinem Aufsatz »China und wir«, in diesem Band, S. 285289, bes. S. 285, 288 f. 263,11 »Der Wolkengeist und der Urwirbel«] Siehe in diesem Band, S. 77-79 (In der Erstausgabe von Bubers Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, die im vorliegenden Band zum Abdruck kommt, lautet die Geschichte: »Der Wolkengeist und der Lebenswirbel«. In der Neubearbeitung von 1918 ändert Buber dann den Titel in: »Der Wolkengeist und der Urwirbel«.) 263,18 taylorisieren] Der amerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor (1856-1915) gilt als Begründer der »wissenschaftlichen Betriebsführung«, auch »Taylorismus« genannt; Taylors Ziel war es, betriebliche Abläufe und die dazugehörigen betrieblichen Mittel zu systematisieren und zu normieren, um eine effizientere Betriebspraxis zu erreichen, insbesondere um die menschliche Arbeitskraft zu optimieren. 263,27 Ford] Ziel des Automobilherstellers Henry Ford (1863-1947) und dem nach ihm benannten »Fordismus« war eine Verbesserung der Organisation von Arbeit und Kapital, die auf einer stark standardisierten Massenproduktion und dem Massenkonsum basieren sollte. Dazu perfektionierte Ford u. a. die Fließbandtechnik in der Automobilindustrie. 264,4-9 Die letzten beiden Sätze […] das Tal, die Strömung.] Übersetzer stoßen im Allgemeinen beim ersten Satz dieses Kapitels auf Schwierigkeiten. »Niedrig fließen« für xia lou ist wahrscheinlich am besten, aber dann sollte ein Substantiv hinzugefügt werden. Bubers Korrektur der beiden letzten Sätze von Strauss ist ungerechtfertigt. Obwohl die Übersetzung Mängel hat, gibt Strauss die Bedeutung der Sätze doch insgesamt korrekt wieder. 265,8-9 »weiden« Schriftzeichen – schwarz und Feld] Die beiden Komponenten des Schriftzeichens chu sind xuan (nicht schwarz, sondern fein, tief, dunkel) und tian. Sie haben in diesem Zusammenhang nichts mit der Bedeutung des Schriftzeichens gemein, nach der das Ziel eines großen Staates das Vereinen und Füttern (nicht »weiden«) der Menschen sein sollte. 265,13-15 Sehr bemerkenswert […] diesem Abschnitt beigibt. (p. 276.)] Strauss hielt die Botschaft dieses Kapitels für eine christliche Botschaft, nach der westliche christliche Herrscher, Könige und Staaten dem Ziel göttlicher Berufungen und Eroberungen folgen sollten, auch dann, wenn diese Botschaft von einem Nichtchristen geäußert wurde. Buber verweist hier auf den Kommentar von Strauss, Lao-Tse’s Tao te King, S. 276.

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265,32-36 Jener elementare Ruf […] Ur-erwartung des Menschen.] Buber bezieht sich hier auf die antiken Mysterien von Eleusis, benannt nach dem Demeterheiligtum in Eleusis bei Athen, die zum Staatskult der Athener gehörten. Die Mysterien erinnern an die Rückkehr der Persephone, die Tochter der Demeter, der Göttin des Lebens und der Fruchtbarkeit. Persephone war von Hades, dem Gott der Unterwelt, geraubt worden. Mit ihrer Rückkehr begann die Erde wieder zu leben, nachdem sie während Demeters Suche nach ihrer Tochter wie in Winterstarre gefroren war. Damit ereignete sich zugleich zum ersten Mal der Frühling auf der Erde. Die Hierophanten waren die Priester des Kults von Eleusis. Sie eröffneten offiziell die Kulthandlung und sangen im Namen des Volkes einen Hymnus auf Demeter und ihre Tochter. Teil des Kults war die »Heilige Hochzeit«, die in der Vereinigung der Gegensätze besteht, hier in der Vermählung von Himmel und Erde. 266,17 Gott ruft Adam: »Wo bist Du?«] Gen 3,9. 267,22-23 Uebersetzung bei Grill] Lao-tszes Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut (Tao-Te-King). Aus dem Chinesischen übersetzt, mit Einleitung versehen und erläutert von Julius Grill, Tübingen 1910. Grills Übersetzung des 80. Abschnitts lautet: »(Ich denke mir) ein kleinstaatliches Völklein. Laß es die Talente eines ganzen Zehnts von Exzellenzen zur Verfügung haben und doch sie nicht brauchen. Laß das Völkchen ungern sterben und darum auch nicht in die Ferne auswandern; obgleich es Schiffe und Wagen besitzt, soll es nicht nötig haben, sie zu besteigen; obgleich es Panzer und Waffen hat, sich nicht in seiner Rüstung zu zeigen brauchen. Laß die Leutchen wieder Schnüre knoten und sich dieser (statt der Schrift) bedienen. Dann werden sie ihre Nahrung wohlschmeckend, ihre Kleidung schmuck, ihre Wohnstätte behaglich, ihr alltägliches Treiben beglükkend finden. Wären auch Nachbarstaaten (solcher Art) so nahe, daß man zu einander hinübersehen, daß man das Krähen des Hahns und das Hundegebell herüber und hinüber hören könnte, die Leute sollten mir doch ein hohes Alter erreichen und absterben, ohne miteinander verkehrt zu haben!« (Grill, Lao-tsze, S. 119.) 268,4-5 Schnüre knüpfen […] Botschaften zu tun.] Bubers Erläuterung ist irreführend. Das Knüpfen der Schnüre bezieht sich wahrscheinlich auf numerische Berechnungen. 269,16 Gott julianisiert sich in Dir, Julian] Gemeint ist Kardinal Giuliano Cesarini der Ältere (1398-1444); Cusanus widmete ihm sein erstes philosophisches Werk, De docta ignorantia (»Die belehrte Unwissenheit«, 1440).

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269,26 dem Einen gegenüber, das nottut] Vgl. das Wort Jesu: »Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.« (Lk 10,42) Zu Bubers häufiger Verwendung dieses Jesuswortes – oftmals seinem Kontext im Neuen Testament entfremdet – vgl. die Wort- und Sacherläuterung zu 102,21. 269,34-35 Jeder kann […] Schale durchbrechen.] Siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 270,37-271,1. 270,1-2 »Er war bei den Tieren …«] Jesus wird in der Wüste vom Teufel versucht: »Und er war in der Wüste vierzig Tage und wurde versucht von dem Satan und war bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm.« Mk 1,13. 270,2-3 Vorübergehen des Kelches] Nach der Überlieferung in den Evangelien betet Jesus in der Nacht vor seiner Gefangenname durch die Römer zu Gott: »Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!« Mk 14,36. 270,3-4 Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?] Mk 15, 34. 270,4 Du bist mir zu stark gewesen] Jer 20,7. 270,10-12 Paulus: Gesetz ist […] Ueberwindung des Gesetzes.] Zu Paulus’ (um 10 – um 65) Gesetzesverständnis vgl. Röm 7,1-25. 270, 23-29 Die Dynamik des Menschen […] den Leib der Welt.] Buber spricht hier erneut über die Vorstellung, dass der Mensch und die Welt von den beiden Prinzipien, dem Guten und dem Bösen, geprägt sind und dass beide zusammen für das Bestehen der Welt notwendig sind. Vgl. zuvor schon in diesem Band, S. 230,9-10 und im Folgenden S. 271,19-20 sowie die Wort- und Sacherläuterungen zu beiden Stellen. 270,31-32 Das Werk ist: die Welt aus ihrer Gebrochenheit ganz zu machen.] Siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 270,37-271,1. 270,37-271,1 Das Werk ist ein Durchbrechen […] Erlösung der Welt teilnimmt.] »Schale«, hebr. kellipa (Pl. kellipot). Nach der Lehre der Kabbala besteht der Urraum der Welt aus zahllosen formlosen Schalen, von denen jede jeweils einen Kern der Dinge umgibt. Der Gang des Weltprozesses soll bewirken, dass diese formlosen Kräfte Gestalt bekommen. Solange dies aber nicht erreicht wird und sie formlos bleiben, verkörpern die Schalen die Finsternis und das Böse. (Vgl. Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt a. M. 1957, S. 325 f.) Wenn Buber hier davon spricht, dass der Mensch mit seinem Werk die Schale durchbricht, spielt er auf die kabbalistische Vorstellung an, nach der bei der Schöpfung die Schalen

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der Herrlichkeit Gottes, der Schechina, zerbrochen und als Splitter ins All geschleudert wurden. Nun liegen aufgrund dieses »Bruchs der Gefäße« die Splitter gebannt in der Welt, und nur durch die Taten des Menschen können sie wieder Gestalt erlangen. Darum nimmt, nach Buber, der Mensch jedes Mal ein Stück an der Welterlösung teil, wenn er sich zum Werk entscheidet. (Vgl. zum »Bruch der Gefäße« Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, S. 291 ff.) Buber geht mehrmals an verschiedenen Stellen in seinem Werk auf die kabbalistische Vorstellung von den Schalen und dem Durchbrechen der Schalen ein; so z. B. in seinem Aufsatz Die jüdische Mystik, der auch als Einleitung zu Bubers Sammlung chassidischer Geschichten, veröffentlicht im Jahr 1906 unter dem Titel Die Geschichten des Rabbi Nachman, diente (Buber, Die jüdische Mystik, in: Die Zukunft, Bd. 55, 23. Juni 1906, S. 439-448; jetzt in: MBW 2.1, S. 114-123, hier S. 120); oder in der ersten von drei Reden, die Buber im Winter 1926/27 in Berlin gehalten hat (Buber, Drei Reden, erstmals veröffentlicht in: MBW 2.1, S. 227-243, hier S. 232). 271,19-20 Der Talmud sagt […] und mit dem Bösen.] Zur rabbinischen Vorstellung von den beiden Trieben im Menschen, der Neigung zum Guten (yezer ha tov) und der Neigung zum Bösen (yezer ha ra), siehe die Wort- und Sacherläuterung zu 230,9-10. Beide Triebe sind notwendig – so weisen die Rabbiner darauf hin, dass ohne den Hang zum Bösen der Mensch niemals heiraten, Kinder zeugen, ein Haus bauen oder Handel treiben würde. Der Talmud weist an mehreren Stellen darauf hin, dass der böse Trieb zur Erhaltung des Menschen und der Welt unentbehrlich ist (vgl. z. B. bJoma 69b; bBer 17a: yezer ha ra ist »das Saure im Teig«). Die Neigung zum Bösen wird nur dann zur Ursache von Unrecht und Bösem, wenn sie ausufert und außer Kontrolle gerät. Der Mensch muss darum nach einem Ausgleich zwischen beiden Neigungen streben. 271,36 der grosse Maggid] Rabbi Dov Baer von Mesritsch, genannt der Maggid von Mesritsch oder der große Maggid; Quelle des Ausspruches des großen Maggid nicht nachgewiesen. 272,12-16 »Wir denken den Baum […] ihr Urbild.«] Das Bild vom Baum verwendet Plato (um 428-348 v. Chr.) in seiner Ideenlehre, nach der alle Wirklichkeit auf Ideen zurückzuführen ist. Diese Ideen sind ideale, eigenständig an sich selbst existierende, unveränderliche Formen oder Urbilder, die dem Bereich des Sinnlich-Wahrnehmbaren übergeordnet sind. Dabei sind sie nicht einfach Vorstellungen des menschlichen Geistes, sondern sie existieren objektiv als metaphysische Rea-

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lität. Die Urbilder sind die Voraussetzung für die Existenz der einzelnen vergänglichen Objekte der Wirklichkeit. 272,22-23 Cohens Lehre […] keinen Anteil haben kann] Gemeint ist der Philosoph Hermann Cohen (1842-1918), einer der Begründer des Neukantianismus. In seinem Hauptwerk zur Religionsphilosophie, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, das 1919 nach seinem Tod erschien, legt Cohen seine Anschauung über das Wesen von Religion (»Religion der Vernunft«) sowie über das Verhältnis von Gott und Wirklichkeit dar. 273,9-10 »Dann werde ich […] erkannt worden bin.«] 1Kor 13,12: »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.« 274,5 Sklaven] Unvollendet gebliebene Skulpturen Michelangelos (14751564). 274,5 Matteo] Die auf das Jahr 1506 datierte, aber unvollendet gebliebene Matthäus-Skulptur Michelangelos. 275,35-40 In Verlaine’s »Sagesse« […] im Leben geführt hat.] Der französische Lyriker des Symbolismus Paul Verlaine (1844-1896) veröffentlichte 1880 den Gedichtband Sagesse. Verfasst hatte Verlaine die dort versammelten Gedichte bereits zwischen 1873 und 1875, während er eine zweijährige Haftstrafe verbüßte, nachdem er auf seinen damaligen Geliebten, den französischen Dichter Arthur Rimbaud (18541891), geschossen hatte. Die Gedichte in Sagesse zeugen von Verlaines im Gefängnis erfolgter Bekehrung zum Katholizismus und sind zugleich Ausdruck seiner emotionalen Odyssee in dieser Zeit. Arthur Rimbaud veröffentlichte 1873 die Sammlung Une Saison en Enfer, die aus kurzen Texten in lyrischer Prosa, besteht. Sie spiegeln die krisenhafte Situation wider, in der sich Rimbaud in den Jahren 1871 bis 1873 befand, die geprägt war von dem hoch problematischen homosexuellen Verhältnis, das er mit Paul Verlaine eingegangen war. In Reflexionen, Rückschauen, Selbstanklagen und Beichten vollzieht Rimbaud einen Bruch sowohl mit seinem dichterischen wie allem darüber hinausgehenden Verlangen, das bis dahin sein Leben bestimmt hatte und das ihm nun als Hybris und Selbstbetrug erscheint. 278,24 (Wyneken)] Gemeint ist der Reformpädagoge Gustav Wyneken (1875-1964), der die Idee von besonderen geistigen Selbstbildungskräften des Jugendalters als Keimzelle einer neuen Gesamtkultur entwickelte. Wyneken stand mit Buber zeitweilig in Kontakt. In seinem Erziehungskonzept spielte die künstlerische Erziehung eine entscheidende Rolle – er betrachtete Kunst als eine »Gegenschöpfung« und

Zwei Malergeschichten. Die Schule – Der Wettstreit

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als den höchsten Ausdruck der Freiheit des Menschen. In seiner »Rede über das Erzieherische«, die Buber 1925 auf einer internationalen Konferenz über Erziehung in Heidelberg hielt, bezog er auch implizit Wynekes Erziehungskonzept einer »schöpferischen Erziehung« mit ein. »Schöpfertum« rührt aber hier bei Buber nicht mehr her von der Freiheit des Individuums, sondern von einem Prozess dialogischer Schöpfung (vgl. Martin Buber, »Rede über das Erzieherische«; jetzt in MBW 8, S. 136-154, bes. S. 137, 154.) 279,27-28 Der Eingang zur Religion […] Der Schauer.] Vgl. Martin Buber in einem Vortrag aus dem Jahr 1930 über Die Brennpunkte der jüdischen Seele: »›Furcht Gottes‹ bedeutet demgemäß dem Juden nie: sich vor Gott fürchten, sondern: erschauernd seiner Unbegreiflichkeit inne werden. Furcht Gottes ist das kreatürliche Wissen um das von keiner unsrer Geistesmächte zu berührende Dunkel, von dem aus Gott sich offenbart. Darum wird sie zu Recht ›der A n f a n g der Erkenntnis‹ genannt. Sie ist das dunkle Tor, durch das der Mensch gehen muß, um in die Liebe Gottes zu kommen.« (Buber, Die Brennpunkte der jüdischen Seele, in: Der Morgen, 8. Jg., Heft 5, Dezember 1932, S. 375-384; jetzt in: MBW 9, S. 128-137, hier S. 130).

Zwei Malergeschichten. Die Schule – Der Wettstreit Die beiden Geschichten »Die Schule«, aus dem Japanischen, und »Der Wettstreit«, aus dem Chinesischen, übersetzte Martin Buber aus Anlass einer Festschrift zum 50. Geburtstag des Malers, Grafikers, Typografen und Dichters Emil Rudolf Weiß. In einer Anmerkung der Redaktion des Stuttgarter Neuen Tageblatts, wo der Beitrag Bubers kurz nach Veröffentlichung der Festschrift noch einmal erscheint, heißt es über diese: »Es ist ein Buch der Verehrung, das einem Meister der deutschen Buchkunst von seinen Freunden gewidmet wird, mit Beiträgen von Blei, Bogeng, Buber, Diederichs, Gerhart, Hauptmann, Heimann, Jessen …, Levin, Loerke, Loubier, Meier-Gräfe, Mombert, Stanlen, Morison, Rupé, Rodenberg, Siemsen, Emil Strauß, sowie drei graphischen Originalarbeiten von Hofer, Orlik und Karl Walser. Stifter des Buches sind in der Hauptsache die Bauersche Gießerei in Frankfurt am Main, S. Fischer in Berlin und der Insel-Verlag zu Leipzig, der auch den Vertrieb des Buches übernommen hat.« (Stuttgarter Neues Tageblatt, 9. Oktober 1926.) Emil Rudolf Weiß, der äußerst vielseitig tätig war, begann als Grafiker, schuf mehrere Schriftarten, veröffentlichte aber auch Lyrikbände. Bekannt wurde er jedoch vor allem durch seine buchgestalterischen Arbei-

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Einzelkommentare

ten, u. a. für den Ernst Rowolth, S. Fischer und den Insel Verlag. Ab 1910 lehrte Weiß als Professor an der Berliner Kunstgewerbeschule, bis die Nationalsozialisten ihm 1933 die Lehrerlaubnis entzogen; von 1922 bis zu seinem Ausschluss 1937 war er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Martin Buber war gut bekannt mit Weiß, der auch die Einbandzeichnungen für seine Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse sowie für die Chinesischen Geister- und Liebesgeschichten angefertigt hatte. Buber würdigt die künstlerische Arbeit von Weiß passenderweise mit »Zwei Malergeschichten«. Viel später, bereits nach dem Tod von Weiß im Jahr 1942, findet sich in der Korrespondenz Bubers ein weiterer Hinweis auf seine Verbindung zu ihm. In einem Brief an Heinz Politzer vom 17. März 1948 berichtet Buber von seiner Übersiedelung aus Abu Tor, einem arabischen Teil Jerusalems, nach Rehavia, in den jüdischen Teil der Stadt. Der Umzug war nötig geworden wegen der zunehmend unsicher und chaotischer werdenden Lage aufgrund der Kämpfe um die Unabhängigkeit des Staates Israel. In diesem Brief berichtet Buber von einem Ölporträt, das Emil Rudolf Weiß von ihm angefertigt hatte und das nun von britischen Gewehrkugeln durchlöchert worden sei (s. Martin Buber an Heinz Politzer, 17. März 1948, Arc. Ms. Var. 350, 8, 588c.I). Das Gemälde existiert bis heute und befindet sich jetzt im Haus der Schwägerin von Ludwig Strauss (1892-1953), dem Schwiegersohn Bubers, in Jerusalem. Die Geschichte »Die Schule« ist ein Beispiel dafür, dass sich Buber nicht nur mit chinesischer, sondern – wenn auch in geringerem Maße – mit japanischer Literatur und Philosophie beschäftigte. In dieser kurzen Geschichte geht es in sehr eindrücklicher Weise um die Unmittelbarkeit der Erfahrung. Damit reflektiert die Geschichte die grundlegende Lehre des Zen Buddhismus. Textzeugen: H1: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 77); 1 Blatt, doppelseitig beschrieben, zweischichtig: H1.1: Grundschicht: handschriftlich, blaue Tinte. H1.2: Überarbeitungsschicht: vereinzelte handschriftliche Korrekturen Bubers, von Bleistift. H2: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 77); 1 Blatt, einseitig beschrieben, blaue Tinte, Reinschrift. D1: Herbert Reichner (Hrsg.), E. R. Weiss zum fünfzigsten Geburtstage 12. Oktober 1925, Leipzig: Insel Verlag 1925, S. 14 (MBB 314). D2: Stuttgarter Neues Tageblatt, 9. Oktober 1926 (MBB 238; die Angabe des Erscheinungsjahres ist in MBB falsch).

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Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 281,1 wahrnahm] bemerkte ! wahrnahm H1.1 281,3-4 Da stand er in angemessener Entfernung und betrachtete] Da stand er hin angemessener Entfernungi und sah zu H1.1 281,5 er aber starrte in den Brand] er aber [hörte nicht auf sie, sondern] starrte in den Brand H1.1 281,7 rufen] rufen ! zürnen? H1.2 281,7 Ich habe] Ich habe ! All die Jahre H1.2 281,8 das Auge abzuwenden] [den Blick vom Feuer] ! das Auge habi zu wenden H1.1 281,8 all die Jahre die Flammen] all die Jahre lang die Flammen H1.1 [all die Jahre lang die Flammen] ! habe ich H1.2 281,13 Ein Maler besuchte einen Bildhauer] Ein Maler [war bei] ! besuchte [einem] ! einen Bildhauer [zu Gast] H1.1 281,13-14 In dem Raum, […] Ruhebett bereitet war] [Im abendlichen] ! In dem Raum [sah er, einige Schritte vom] ! in dem sie [das Mahl einnahmen] ! die hAbendiMahlzeit einnahmen hund dem Gast das Ruhebett bereitet war,i H1.1 281,16 und nach der] auch nach der H1.1 281,17 sein Verlangen auf sie.] ergänzt [Als der Hausherr sich hinausbegab, begleitete ihn der Maler sagte er zu] H1.1 281,21 Wand] Mauer ! Wand H1.1 281,21 Mund] Lippen ! Mund H1.1 281,23 ging hinzu] ging heran H1.1, H2 281,23 kroch] kam ! kroch H1.1 281,25-26 Die beiden sahen […] erkannten die Wahrheit] Die beiden sahen herst das Bild an der Wand, dann die hölzerne Gestalt, endlichi einander lange an, [und] ! und sie erkannten die Wahrheit H1.1 ergänzt [Sie entsagten der Welt und folgten der Regel des [Textverlust]] H1.1 Wort- und Sacherläuterungen: 281,9 Gott Fudo] Fudo ist der Gott des Feuers und der Weisheit, außerdem ein Schutzheiliger, den man in Zeiten der Not anruft und zu dem man betet, um sich vor Feuer und anderem Unglück zu schützen; er wird meistens als von Feuer umgeben dargestellt.

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Schlichtung Anlass für Buber, sich dieser Geschichte aus dem chinesischen Sagengut zu widmen, war offenbar eine geplante Denkschrift zum zehnten Todestag des Indologen Karl Eugen Neumann. Auf diese »demnächst im R. Piper-Verlag in München« erscheinende »Denkschrift« verweist eine redaktionelle Anmerkung, die Bubers Text in der Frankfurter Zeitung vorangestellt ist. Bei »Schlichtung« handelt es sich demnach um einen zu Ehren von Neumann verfassten Text. Auch noch in dem Band Die Schrift und ihre Verdeutschung, den Buber 1936 zusammen mit Franz Rosenzweig herausgab und in dem der Text erneut abgedruckt wurde, findet sich ein Verweis auf die geplante Denkschrift für Neumann und dass diese den Grund für Buber abgab, diesen Text zu verfassen. Jedoch findet sich in diesem neun Jahre später erfolgten Wiederabdruck keinerlei Hinweis auf eine tatsächlich erfolgte Publikation der Denkschrift. Es scheint, dass die Denkschrift für Neumann zwar geplant war, aber nie erschienen ist. Buber würdigt mit dieser Geschichte nicht in erster Linie die Tatsache, dass Neumann der erste Übersetzer überhaupt war, der große Teile des buddhistischen Kanons ins Deutsche übertragen hatte. Vielmehr spricht er seine Hochachtung für die Art der Neumannschen Übersetzung der buddhistischen Schriften aus: In einfacher, schnörkelloser Form gelinge es Neumann, die Essenz der buddhistischen Lehre wortgetreu wiederzugeben. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 65); 3 lose Blätter, einseitig beschrieben, blaue Tinte, mit Korrekturen. D1: Frankfurter Zeitung, 1. Morgenblatt, 18. Oktober 1925 (MBB 311). D2: Berliner Tageblatt, 26. Februar 1927 (MBB 347). D3: Die Schrift und ihre Verdeutschung (gemeinsam mit Franz Rosenzweig), Berlin: Schocken Verlag 1936, S. 330-332 (MBB 537). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: »Making Plain: In Memory of the Orientalist Karl Eugen Neumann«, in: englische Übersetzung von Die Schrift und ihre Verdeutschung: Scripture and Translation, übers. von Lawrence Rosenwald mit Everett Fox, Bloomington u. Indianapolis: Indiana University Press 1994, S. 187-188.

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Zwiegespräch

Variantenapparat: 282,Untertitel Zum Gedächtnis an den Indologen K. E. Neumann] fehlt H, D2 Zum Gedächtnis an den Indologen Karl Eugen Neumann D3 282,2 tönernes Bild] Tonbild ! tönernes Bild H 282,14 den Sprecher] [ihnen das Buch] ! den Sprecher H 282,15 Sockel] Portament ! Sockel H 282,16 sein tönernes Bildnis] in einem tönernen Bildnis H 282,21-22 allem ausscheidbaren Inhalt überlegen] [stärker als aller aussonderbarer Inhalt von ihrer] ! allem ausscheidbaren Inhalt überlegen H 282,30 Umschreibung] Darstellung ! Umschreibung H 282,31-32 aus dem Deutschen, »mit […] betraut«] [aus der deutschen Sprache] ! aus dem Deutschen, mit den »[mit den] zehntausend Werkzeugen einer altbegüterten Sprache betraut« H 283,7 um die reine Gestalt gedient hat] [gearbeitet hat, bis er] ! um die reine Gestalt gedient hat H 283,8 wiedergibt] übersetzt H 283,13 überträgt sie so] gibt sie so wieder H Wort- und Sacherläuterungen: 282,Untertitel Zum Gedächtnis an den Indologen K. E. Neumann] Dt. Indologe (1865-1915), Übersetzer des buddh. Pali Kanons ins Deutsche. 282,31-32 »mit den zehntausend […] Sprache betraut«] Zitat aus dem Vorwort Karl Eugen Neumanns zum ersten Teil seiner Übersetzung des Dı¯gha Nika¯ya (»Längere Sammlung«), einer Sammlung langer Reden aus dem buddhistischen Pali-Kanon, den Neumann 1907 veröffentlicht hatte. (Karl Eugen Neumann, Die Längere Sammlung der Reden Gotamo Buddho’s. Erster Band. Buch der Tugendstücke, München 1907, S. VII.)

Zwiegespräch »Zwiegespräch« ist eine der beiden Geschichten, die andere ist »Die Schule« (in diesem Band, S. 281), die Buber aus dem Japanischen übersetzt hat. Der Insel-Almanach auf das Jahr 1926, in dem Buber diese Geschichte publizierte, versammelt kurze Prosastücke, Lyrik und auch einen szenischen Text verschiedener Dichter und Schriftsteller zu unterschiedlichsten Themen. Neben Buber gehören zu den Beiträgern Micha Josef

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bin Gorion, Goethe, Hugo von Hofmannsthal, Angelus Silesius, Rudolf Alexander Schröder, Stendhal, Jonathan Swift, Wilhelm Weigand und Stefan Zweig. Einer der Beiträge, »Haus am Strom«, stammt von Georg Munk. Hinter diesem Schriftstellerpseudonym verbirgt sich Paula Buber. Ähnlich wie in »Die Schule« geht es auch in dieser Geschichte um die Unmittelbarkeit der Erfahrung und somit um eine elementare Lehre des Zen Buddhismus. Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 82); 1 loses Blatt, einseitig beschrieben, blaue Tinte. D: Insel-Almanach auf das Jahr 1926, Leipzig: Insel Verlag 1925, S. 38-39 (MBB 315). Druckvorlage: D Variantenapparat: 284,Untertitel (Nach einer Lebensbeschreibung)] (Nach einer japanischen Historie) H 284,3-4 als aus dem […] hohes Wesen] [da tauchte] ! als aus dem Schatten ein hsieben Fuss hohesi Wesen H 284,16 nirgendwohin] man weiss nicht wohin H Wort- und Sacherläuterungen: 284,1 Ikkyu] Ikkyu¯ So¯jun (1394-1481), ein bekannter buddhistischer Mönch, war Nachkomme des Kaisers und Sohn einer Konkubine. Unter anderem tat er sich als Dichter und Kalligraph hervor. 284,1 Go-Komatsu] Kaiser Go-Komatsu (regierte 1393-1412), Ikkyu¯s Vater, ist in der japanischen Geschichte wegen seiner Wiedervereinigung des Hofes nach einer Zeit der Teilung von Bedeutung. 284,2 Tempel von Kashima] Kashima war ein Tempel im Osten Japans. Seine Gründung wurde dem Kaiser Jimu zugeschrieben, dem ersten Kaiser der Kaiserlichen Linie. Der Tempel wurde daher mit den kaiserlichen Institutionen in Verbindung gebracht. 284,12 zu Yoshino] Die Yoshino Berge in der Nähe von Kyoto sind für ihre Kirschblüte berühmt.

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[China und wir]

[China und wir] Die Herbsttagung 1928 des China-Instituts in Frankfurt am Main und Bubers Teilnahme daran bot den Anlass für eine erneute Beschäftigung Bubers mit dem Daoismus. Das China-Institut wurde 1925 von Richard Wilhelm an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. gegründet (zu Wilhelm s. die Einleitung zu diesem Band, S. 15) und wurde schnell zu einem wichtigen Zentrum sowohl für die wissenschaftliche Beschäftigung mit China als auch für die Vertretung politischer und wirtschaftlicher Interessen Deutschlands in China. Richard Wilhelm, der sich für einen Austausch zwischen westlicher und chinesischer Kultur einsetzte, wollte mit dem China-Institut diese Idee des Kulturaustauschs in die Praxis umsetzen. Bis heute versteht sich das Institut als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und der an China interessierten Öffentlichkeit. Die Tagung des Instituts im Oktober 1928 war ein von der Öffentlichkeit stark wahrgenommenes Ereignis, wie Umfang und Art der Berichterstattung darüber in den Zeitungen zeigen (vgl. Anm. 103 in der Einleitung zu diesem Band). Die Redner der Tagung waren von Richard Wilhelm, dem Leiter des China-Instituts, eingeladen worden; die Zuhörerschaft bildete einen exklusiven Kreis von Gästen. Neben Martin Buber nahmen u. a. C. G. Jung und Alfons Paquet (1881-1944) an der Tagung teil. Richard Wilhelm hielt im Rahmen der Tagung drei öffentliche Vorträge, auf die jeweils kurze Stellungnahmen anderer Tagungsteilnehmer folgten. Buber respondierte auf Wilhelms ersten Vortrag, »Bildung und Sitte in China«, mit einem Beitrag, der dann vom Frankfurter China-Institut unter dem Titel »China und wir« in dessen Almanach für das Jahr 1929/1930 veröffentlicht wurde. Ein Rezensent bemerkt, dass die Ausführungen Bubers »einen besonders tiefen Eindruck auf die Versammlung machten« (Arc. Ms. Var. 350, 13,83). In seiner kurzen Darlegung verweist Buber auf eine umfassendere Bedeutung des Konzepts des Nicht-tun, wuwei, indem er es mit der Vorstellung einer persönlichen Transformation als Voraussetzung für das Herbeiführen von Wandel in Verbindung bringt, aber auch als Heilmittel für die beunruhigende Gegenwart präsentiert. Obwohl Buber der Idee des Nicht-tun im Daodejing und Zhuangzi nicht widerspricht, legt er hier jedoch ein neues Verständnis der historischen Vorgänge dar. Das Daodejing verbindet Nicht-tun im Allgemeinen mit der Wiederherstellung von Ordnung (z. B. Kapitel 3, 34, 37). Sobald die Menschen aufhören einzugreifen, wird auf natürliche Weise Ordnung in Staat und Gesellschaft entstehen, da Ordnung selbst etwas Natürliches ist. Buber

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Einzelkommentare

forderte jedoch, dass persönliche Transformation der Herbeiführung größeren Wandels vorauszugehen habe. Bubers Ansicht ähnelt in gewisser Weise der Vorstellung des konfuzianischen Klassikers Die Große Wissenschaft (Daxue) (vgl. Anm. 107 in der Einleitung zu diesem Band), nach der die Ordnung des Staates davon abhängt, dass zunächst jeder sich selbst ordnet. Die Große Wissenschaft propagiert jedoch nicht das Nicht-tun. Desgleichen Buber, als er sechzehn Jahre später für seinen hebräischen Aufsatz »Weisheiten aus China« aus dem Werk zitiert. Wollten frühere Herrscher den Staat ordnen, schrieb er damals, so begannen sie damit zuerst bei sich zu Hause. In Bubers eigenem Exemplar der Erstveröffentlichung von »China und wir« (im Folgenden D1 für den Erstdruck und D1.1 für Bubers Exemplar des Erstdrucks) unternahm er beträchtliche stilistische Überarbeitungen, die sich dann in einem Typoskript (im Folgenden TS2) aufgenommen finden. Dieses enthält seinerseits wiederum zahlreiche handschriftliche Überarbeitungen, die – mit einigen Ausnahmen – in den späteren Wiederabdruck in Nachlese (im Folgenden D2) aufgenommen wurden. Die wichtigste substantielle Überarbeitung betrifft Bubers Austausch des Wortes »Kreuz«, das er schon in seiner Überarbeitung in D1 durch »Symbol« und »Zeug« ersetzt und das so dann auch in D2 wiederkehrt. Von ebenfalls großer Bedeutung und anscheinend für die englische Übersetzung aus dem Jahr 1957 bestimmt ist in TS2 das Streichen von neuneinhalb Zeilen einer komplexen Diskussion, in der Buber Gandhis Bemühungen in Indien als Beispiel anführt. Obwohl dieser Textabschnitt in der englischen Übersetzung gestrichen wurde, wurde er in dem nachfolgenden deutschen Wiederabdruck (D2) beibehalten. Textzeugen: TS1: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Zayin 119); 4 paginierte, lose, einseitig beschriebene Seiten; mit dem Titel »Aussprache ueber Bildung und Sitte in China. Herbsttagung 1928 des China Institutes. Diskussionsrede von Dr. Martin Buber: S. 40-43«; identisch mit D1. 2 TS : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, Bet 50a); 6 paginierte, lose, einseitig beschriebene Seiten; vermutlich nach D1 entstanden; zweischichtig: TS2.1: Grundschicht: maschinenschriftlich. TS2.2: Überarbeitungsschicht: handschriftliche Korrekturen Bubers, von blauem Stift. D1: Chinesisch-Deutscher Almanach für das Jahr Gi Si 1929/1930, hrsg. vom China-Institut in Verbindung mit der Vereinigung der Freunde Ostasiatischer Kunst, Frankfurt a. M. 1929, S. 40-43 (MBB 391).

[China und wir]

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D1.1: Autorenexemplar (Arc. Ms. Var 350, 206) von D1 mit handschriftlichen Korrekturen Bubers. D2: Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 205-212 (MBB 1270). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: »China and us«, in: Pointing the Way. Collected Essays by Martin Buber. Translated from German and edited by Maurice Friedman, London: Routledge and Kegan Paul 1957, S. 121-125 (MBB 1045); »China and us«, in: Pointing the Way. Collected Essays by Martin Buber. Edited and Translated with an Introduction by Maurice Friedman, Neuauflage, New York: Harper & Row 1963, S. 121-125 (in MBB nicht verzeichnet; Buber hat Friedmans Übersetzung gelesen und genehmigt); »China and us«, in: Pointing the Way. Collected Essays by Martin Buber. Edited and Translated by Maurice Friedman, Paperback Edition, New York: Schocken 1974, S. 121-125 (in MBB nicht verzeichnet); »China and us«, in: englische Übersetzung von Nachlese: A Believing Humanism – My Testament, 1902-1965. Translated and with an Introduction and Explanatory Comments by Maurice Friedman, New York: Simon and Schuster 1967, S. 186-190 (MBB 1293); »China and us«, in: engl. Übersetzung von Nachlese: A Believing Humanism – Gleanings. Translated and with an Introduction and Explanatory Comments by Maurice Friedman, New York: Simon and Schuster 1969, S. 186-190 (in MBB nicht verzeichnet). Niederländisch: »China en wij«, in: niederländische Übersetzung von Nachlese: Sluitsteen, übers. von M. M. van Hengel-Baauw und S. F. des Tombe, Rotterdam: Lemniscaat 1966, S. 193-199 (MBB 1285). Variantenapparat: 285,Titel [China und wir]] Chinesisch-Deutscher Almanach / fuer das Jahr 1929/30. / Herausgegeben vom China-Institut Frankfurt a. Main. / Aussprache ueber Bildung und Sitte in China. / Herbsttagung 1928 des China-Institutes. / Diskussionsrede von Dr. Martin Buber: S. 40-43. TS1 verändert aus Dr. Martin Buber: D1 Dr. Martin Buber: ! China und wir / (1928) D1.1 China und wir / 1928 TS2.1 China und wir / 1928 / Rede, gehalten auf der Tagung / des ChinaInstituts in Frankfurt a. M. D2 285,3 eine Rede] eine Rede ! Worte D1.1 ein Wort TS2.1, D2

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Einzelkommentare

285,3 Tagores, der ungefähr sagte:] [Tagores, der ungefaehr sagte:] ! Tagores. Er sagte ungefaehr: TS2.2 Tagores: Er sagte ungefähr: D2 285,8-9 dachte etwa an einen Mann] [dachte etwa an] ! stellte mir einen Mann hvori TS2.2 stellte mir einen Mann vor D2 285,10 Kreuz] Kreuz ! grosses Symbol D1.1 grosses Symbol TS2.1, D2 285,10 der mit diesem beladen] hundi der mit diesem beladen TS2.2 und der mit diesem beladen D2 285,11 hinaufklimmt, und dem nun jemand nachriefe] [hinaufklimmt, und dem nun jemand nachriefe] ! hinaufklimmt. Wenn ihm nun jemand zuriefe TS2.2 hinaufklimmt. Wenn ihm nun jemand zuriefe D2 285,11-12 Was machst du es dir so schwer!] [Was machst du es dir so schwer!] ! Wozu die Mühe? TS2.2 Wozu die Mühe? D2 285,12 Kreuz] Kreuz ! Zeug D1.1 Zeug TS2.1, D2 285,12-13 hinaufkommen!« Worauf] [hinaufkommen!« Worauf] ! hinaufkommen!«, würde TS2.2 hinaufkommen!«, würde D2 285,13 antworten würde] antworten [würde] TS2.2 antworten D2 285,14 mit dem Kreuz] mit dem [Kreuz] ! da D1.1 mit dem da TS2.1, D2 285,19-20 gehen wir den Weg überhaupt nicht mehr, haben] [gehen] ! würden wir den Weg überhaupt nicht [mehr, haben] ! mehr gehen, hätten TS2.2 würden wir den Weg überhaupt nicht mehr gehen, hätten D2 285,20 Weg!] Weg! ! Weg. D1.1 Weg. TS2.1, D2 285,22 wirken] wirken ! betrachten TS2.2 betrachten D2 285,23-25 daß wir mit dieser […] mit dieser Schwere] daß wir mit dieser unserer Aufgabe gehen, [eben durch dieses dunkle Tor hindurch, durch das zu gehen uns nicht erspart bleiben kann,] mit dieser Schwere D1.1 dass wir mit dieser unserer Aufgabe gehen, mit dieser Schwere {[dieser Schwere] ! dieser Problematik TS2.2} TS2.1daß wir mit dieser unserer Aufgabe gehen, mit dieser Problematik D2 285,26-27 reduzieren können, […] überwinden müssen.] reduzieren können[,] ! ; [die wir] so, wie sie ist, hmüssen wir siei auf uns nehmen, hsiei austragen, hsiei überwinden [müssen]. TS2.2 285,28-29 Und wenn wir hindurchkommen […] Asien zu begegnen] [Und wenn wir hindurchkommen durch dieses dunkle Tor, so hoffen wir, dort] ! Kommen wir so hindurch, dann dürfen wir hoffen, Asien zu begegnen D1.1 Kommen wir so hindurch, dann dürfen wir hoffen, {: »Wie kommt es, dass d. Haus verschwunden ist.« P. u. d. K. erhoben ihre Köpfe u. sahen nur d. dunkelgrüne Wasser, d. lichtgrünen Berge u. d. dichten Reihen d. Pfirsichbäume. Unter Disteln (od. Gräsern) war ein einf. Grabhügel. D. K. nickte u. sagte: »Ja, das muss es sein! Es wurde erzählt, dass hier d. Grab e. Dirne aus d. Z d. T-D sei, ….. E. spät. Geschlecht hat wegen der Verse des Tsching-ku Kl ……… hundert Pfirs. gepflanzt, um im X zu lustwandeln. Die Ihren geehrten Sohn getr. hat, muss d. gewesen sein.« P. sagte: »Inwief. meinen Sie das?« T. sagte: »Sie hat ja gesagt, dass sie mit K., d. Sohn d. Fam. P., v. g. d. Es ist off., ….. Auss. hat sie v. d. Gegner Wen-hiao gespr. …….. d. h. off. d. Gegend K. …….. …………… war Tas d. Geliebte …………… Wir wollen diese Gesch. nicht weiter untersuchen: P. sah ein, dass d. Rat d. K. richtig war, ………… liess ihn nach K. zurückkehren.

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Einzelkommentare

M. wurde später Doktor (»bestand d. Tsching-Examen«). Er erzählte oft u. …… Obwohl er noch oft an sie dachte, traf er sie nicht mehr.

Abkürzungsverzeichnis BI

MBA MBB

MBW

Werke I

Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, 3 Bde., hrsg. und eingel. von Grete Schaeder, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider 1972-75. Bd. I: 1897-1918 (1972) Martin Buber-Archiv, Jüdische Nationalbibliothek Jerusalem. Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität, und München/New York et al.: K. G. Saur 1980. Martin Buber Werkausgabe, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2001Bd. 1 Frühe kulturkritische und philosophische Schriften 18911924 (2001) Bd. 2.1 Mythos und Mystik. Frühe religionswissenschaftliche Schriften (2013) Bd. 2.2 Ekstatische Konfessionen (2012) Bd. 3 Frühe jüdische Schriften 1900-1922 (2007) Bd. 6 Sprachphilosophische Schriften (2003) Bd. 8 Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung (2005) Bd. 9 Schriften zum Christentum (2011) Bd. 10 Schriften zur Psychologie und Psychotherapie (2008) Bd. 11 Schriften zur politischen Philosophie und zur Sozialphilosophie Bd. 14 Schriften zur Bibelübersetzung (2012) Martin Buber, Werke, München: Kösel-Verlag und Heidelberg: Lambert Schneider 1962-1964. Bd. I: Schriften zur Philosophie (1962).

Hebräische Bibel Gen Ex Lev Dtn Jer Spr

Genesis (1. Mose) Exodus (2. Mose) Levitikus (3. Mose) Deuteronomium (5. Mose) Jeremia Sprüche

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Abkürzungsverzeichnis

Neues Testament Mt Mk Lk Apg Röm 1 Kor Phil

Matthäus Markus Lukas Apostelgeschichte Römerbrief 1. Korintherbrief Philipperbrief

Rabbinische Literatur bBer bChag bJoma bQid bSota bSuk

Talmud Bavli, Traktat Berakhot Talmud Bavli, Traktat Chagiga Talmud Bavli, Traktat Joma Talmud Bavli, Traktat Quiddushin Talmud Bavli, Traktat Sota Talmud Bavli, Traktat Sukka

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellenverzeichnis 2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographien 2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers 2.3 Verwendete Werke Martin Bubers 2.4 Verwendete Literatur

1. Quellenverzeichnis Aus dem Martin Buber Archiv (MBA) der Jüdischen Nationalbibliothek Jerusalem sind folgende unveröffentlichte Quellen verwendet worden:

1.1 Handschriften und Typoskripte Abkommen zwischen Martin Buber und Jang Wingtao, 28. April 1909 Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:3 [Aus den Gesprächen zwischen Konfuzius und Lao-Tse] Arc. Ms. Var. 350, Bet 50 Besprechungen mit Martin Buber in Ascona, August 1924 über Lao-tse’s tao-te-king Arc. Ms. Var. 350, Bet 45 Bubers Bibliothek: »Religionskunde, Religionsphilosophie und verwandte Gebiete«. Arc. Ms. Var. 350, Alef 87 Diskussionsrede von Dr. Martin Buber, veröffentlicht als „China und Wir“. Arc. Ms. Var. 350, Zayin 119 Erziehung zur Gemeinschaft Arc. Ms. Var. 350, Bet 47 Der Geist der Jungfrau Arc. Ms. Var. 350, Bet 50 Individuum und Person – Masse und Gemeinschaft Arc. Ms. Var. 350, Bet 47a Der neue Donnergott Arc. Ms. Var. 350, Bet 45a Notizbuch mit Übersetzungen ins Hebräische und Deutsche Arc. Ms. Var. 350, Bet 45a Notizen über chinesische Philosophie Arc. Ms. Var. 350, Bet 50b [Ohne Titel] Arc. Ms. Var. 350, Bet 50 Das Opfer Arc. Ms. Var. 350, Bet 50 Staat und Gemeinschaft Arc. Ms. Var. 350, Bet 47e

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Quellen- und Literaturverzeichnis

1.2 Korrespondenz Aufruf S. E. Tai Hsü Arc. Ms. Var. 350, 8, 902-2 Buber an Heinz Politzer, 17. März 1948 Arc. Ms. Var. 350, 8, 588c.I Gustav Gast an Buber, 24. Februar 1909 Arc. Ms. Var. 350, 8, 229:b Hugo von Hofmannsthal an Buber, 25. Mai 1911 Arc. Ms. Var. 350, 8, 301 Wang Jingtao an Buber, Februar und November 1909 Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:1,2,4-8 Wang Jingtao an Buber, 14. April 1909 Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:1 Wang Jingtao an Buber, 22. April 1909 Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:2 Wang Jingtao an Buber, 1. Dezember 1909 Arc. Ms. Var. 350, 8, 855:7 Wladimir Rosenbaums maschinenschriftlicher Einladungsbrief zu den Besprechungen in Ascona, ohne Datum. Arc. Ms. Var. 350, 8, 627:10-12. Aline Rosenbaum-Ducommun an Buber, 11., 19., 22. Mai 1924 Arc. Ms. Var. 350, 8, 627:10-12 Aline Rosenbaum-Ducommun an Mayer, 11. Mai 1924 Arc. Ms. Var. 350, 8, 627:10 Richard Wilhelm an Buber, 7. August 1929 Arc. Ms. Var. 350, 8, 902-4

1.3 Rezensionen Rezensionen von »China und Wir«, Frankfurter General Anzeiger, 24. Oktober 1928; Badische Presse, 3. November 1928; Frankfurter Zeitung, 25. Oktober 1928 Arc. Ms. Var. 350, 13, 83 Joachim Benn, »Chinesische Poesie«, in: Deutsche Monatshefte (August 1912), S. 250 f.; ebenso abgedruckt in Die Rheinlande Bd. 22 (Januar-Dezember 1912), S. 250 f. Arc. Ms. Var. 350, 13, 46 Hans Bethge, Chinesisches, in: Breslauer Zeitung, 11. Februar 1912; Rudolf Krause, Erzählende Dichtungen. Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, in: Deutsche Tageszeitung, 14. Januar 1912, Literarische Wochenschau, 4. Beiblatt; A. S., Chinesische Prosadichtung, Kölner Tageblatt, 26. Mai 1917, Nr. 264, Morgen-Ausgabe, S. 2; Wilhelm C. Gomoll, Japanische Kultur und chinesische Dichtung, in: Berliner Lokal-Anzeiger, 21. September 1913, Literarische Umschau, 4. Beiblatt. Arc. Ms. Var, 350, 13, 46 Bücherbesprechungen. Schöne Literatur, in: Kölnische Zeitung, 26. März 1911, Nr. 335, Sonntagsausgabe. Erstes Blatt, S. 2. Arc. Ms. Var. 350, 13, 48 Paul Ernst, Chinesische Geister- und Liebesgeschichten, in: Das Literarische Echo, 1. September 1912, Sp. 1668 f. Arc. Ms. Var. 350, 13, 46 Werner Haefcke, Schriftenbesprechungen, in: Ethische Rundschau (März/April 1914), S. 46 f. Arc. Ms. Var. 350, 13, 48 Hannoverscher Courier, 15. Februar 1912, S. 3. Arc. Ms. Var. 350, 13, 46

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2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographie Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn u. Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität Jerualem u. München [u. a.]: K. G. Saur 1980.

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Stellenregister Bibelstellen

Neues Testament

Hebräische Bibel (Altes Testament)

Mt 5,17 5,22 5,28 5,32 5,34 5,38 f. 5,38-42 5,39 5,43-48 5,44 5,48 6 18,3

350 351, 411 351, 411 351, 411 351, 411 413 413 351, 411 413 351, 411 409 351 408

Mk 1,13 8,35 14,36 15,34

418 407 418 418

Lk 10,42

Gen 1,2 1,27 3,9 4,1 5,21-24 Ex 20,4 21,24 Lev 3,44 f. Dtn 5,8 Jer 20,7 35 35,14 Spr 25,21 f.

408 411 417 410 410 411 414 409 411 418 107, 350 350

1 Kor 13,12

420

Phil 2,7

406

Rabbinische Literatur Babylonischer Talmud bBer 17a 61a

419 405

bChag 12a

410

bQid 30b

409

bSota 17a

411

348, 418

bSuk 45a

409

Apg 2,1-36

413

bJoma 69b

419

Röm 7,1-25 12,20

418 414

Sohar III, 81a, b

411

414

Sachregister Abendland 101, 102, 114, 236, 256, 262263, 285, 287, 332 Abendländer, der 106-107 Absolutes 104, 114, 272 Ahnen 42 Ahnenkult 286-287 All, das 89, 112, 119, 237 Allgemeine, das 272 Allheit 124 Anthropomorphismus 245 Archeus 236, 408 Ascona 34, 37, 39, 379-380 Asien 285, 288, 433 Ästhetische, das 278, 280 Atheist 260 Auftrag 240 Autor 49 Autorität 255, 260, 263 Bahn, die 54, 62, 106, 111, 113, 115, 116, 131, 227, 228, 249, 263 –, Einheit der 114 Balfour, Frederic Henry –, Leaves from my Chinese Books 127 Bedingtes 108 Begegnung 228 Begehrlichkeit 232 Begriff 119, 235, 244, 272 Bekenntnis 266 Benjamin, Walter –, Die Aufgabe des Übersetzers 48-49 Bergpredigt 108, 111, 257 Besitz 86, 242 Bewegung, völkische 261 –, zionistische 436 Bewusstsein 115, 116, 297 Beziehung 86, 245, 246 Bibel 267 Bild 41, 110, 111, 114, 246, 273, 340 –, allgemeingültiges 287 –, Ur- 272 Bildung 287 Bornhäuser, Karl –, Die Bergpredigt 257, 414 Böse, das 230, 231, 251, 257, 262, 270-271, 275, 295, 404, 405, 418, 419 Brahmanismus 349

Buber, Martin –, Die Brennpunkte der jüdischen Seele 421 –, China und wir 42, 416, 427 –, Chinesische Geister- und Liebesgeschichten 20, 26, 48, 358-361, 378, 415, 422 –, Daniel, Gespräche von der Verwirklichung 22, 46 –, Drei Reden 419 –, Ekstatische Konfessionen 312, 343, 344, 346 –, Erzählungen von Engeln, Geistern und Dämonen 359 –, Gesammelte Schriften 23 –, Die Geschichten des Rabbi Nachman 419 –, Ich und Du 23, 24, 39, 415 –, Die jüdische Mystik 419 –, Die Lehre vom Tao 23, 24 –, Nachlese 428 –, Reden und Gleichnisse des TschuangTse 18, 23, 44, 48, 239, 312-313, 348, 357, 358, 416, 422, 434, 443 –, Die Schrift und ihre Verdeutschung 424 –, Schriften zur Philosophie 23 –, Weisheiten aus China 43, 428 –, Zur Geschichte des Individuationsproblems 407, 408 Buch der Han (Han Shu) 179, 379, 437 Buch der Urkunden (Shujing) 43, 290, 434 Buch der Wandlungen (Yijing) 16, 41 Buddhismus 16, 23 –, indischer 230 –, Zen- 16, 47, 422, 426 Chaos 227, 243 chassidisch 14 China 13, 14, 15, 16, 17, 18, 26, 33, 37, 38, 42, 132, 230, 262, 288, 427 China-Institut 15, 16, 41, 427, 433 Chinese, der 231 Chinesen, des Altertums 38, 245 Christentum 287 –, Ur- 106, 235, 256, 336 Cohen, Hermann –, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums 420

Sachregister Dämon 131, 286, 359 dämonisch 101, 259 Dante Alighieri –, Göttliche Komödie 414 Dao, Tao 22, 24, 35, 37, 38-39, 41, 54, 56, 58, 60, 67, 68, 69, 71, 72, 73, 76, 77, 79, 80, 84, 85, 86, 87, 93, 94, 95, 96, 97, 106, 111, 112, 113-118, 120-122, 123-124, 126, 202, 227, 228, 229, 231-236, 238, 239, 240, 242, 243-244, 245, 246, 247, 248, 249, 252-253, 256, 258, 263, 267, 270, 272, 273, 321, 338, 340, 381, 394, 404, 413 –, Verwirklichung des 247 Daodejing 13, 17, 18, 21, 22, 25, 33-39, 40, 41, 44, 45, 127, 129, 379, 380-381, 409, 414, 415, 427, 428, 434, 437, 443 Daoismus 13, 16, 18, 19, 21, 22, 23, 33, 37, 41, 42, 47, 312, 381, 405, 427 –, später 117 daoistisch 25 Denken 49, 75, 120, 235, 272, 297 –, daoistisches 33 –, europäisches 42 –, theosophisches 37 Deutschland 13, 15, 33, 427 Dichter, der 124, 273, 278 Dichtung 111 –, abendländische 124 Dickens, Charles –, Oliver Twist 31 Ding, Dinge 79, 89, 96, 104, 112, 115-123, 228, 231, 234, 237, 243-244, 246-247, 272 Dritte Person 269 Dualismus 227, 230 Dumas, Alexandre –, La Dame aux Camelias 31 Echtheit 282 Eine, das 77, 79, 96, 102, 103, 108 Einfalt 72, 73, 249, 257 Einfältige, der 104, 105 Einheit 21, 24, 60, 89, 104-124, 234, 235236, 240, 256, 257, 335-337, 340, 380 –, Dao- 21 –, erkannte 234 –, Gottes 106, 336 –, der Gegensätze 115, 248 –, der Seele 231 –, des Seins 106 –, des Selbst 106 –, der Welt 114

465 Einigung 270 Einsamkeit 110, 230 Einsgewordene, der 104 Eleusis 265 Elohim 240-241 Entscheidung 270, 271, 275, 278, 279, 295 Entzweiung 117, 120, 121 Eranos 380 Erbe, religiöses 37 Ereignis 105 Erfolg, geschichtlicher 288, 433 Erfüllende, der 108, 109 Erfüllung 102-103, 104, 107, 108, 111, 117, 118 Eriugena, Johannes Scotus –, Über die Einteilung der Natur 409 Erkennen, das 118 –, wahres 121 Erkenntnis 64, 102, 107, 118-120 Erleben 105 Erlösung 105, 256, 270 –, Selbst- 231 –, Welt- 231, 271, 419 Erlösungslehre, indische 107 Erneuerung 265-266 Erzählung 110, 111 Erzieher, wahrer 254-255 Erziehung 248-249, 254 Essäer 107, 350 Ethik 295 Europa 33, 38, 42, 263, 285 Evangelium 235, 239 Ewige, das 94, 110, 241 Ewigkeit 116, 117-118, 240, 256, 337, 340 Faber, Ernst –, Der Naturalismus bei den alten Chinesen 45, 126, 435 Fiktion 261, 402 Forke, Alfred –, Geschichte der alten chinesischen Philosophie 16 Form 79 Fortschritt 42 Franke, Otto –, Die Geschichte des chinesischen Reiches 16 Freiheit 122, 255, 263, 339 –, substanzlose 241 Freiheitsbewegung, moderne 278 Friedrich Wilhelm Universität 14, 34 Führer 253-254, 255, 261

466 –, heutiger 254 –, wahrer 254 Fülle 232, 257, 270, 278 Fürst, geistiger 123 –, rechtmäßiger 241 –, tugendreicher 123 –, weiser 123 Ganzes 119, 237 Ganzheit 119, 120, 257 –, Gottes 246 Gast, Gustav –, Chinesische Novellen von Pu Sung-ling 29, 358, 378 Gebet 277 Gebot 102, 103, 120 –, inneres 103 Gebrochenheit 273-274, 275 Gedicht 276 Geeinte, der 116, 117, 122 Gegensatz 119-120, 124, 228 –, dialektischer 105, 107 –, Inhalt-Form 105 –, Innen-Außen 103 Geheimnis 229-230, 236, 246, 247, 260 Geist 63, 64, 103, 104, 106, 112, 115, 118, 131, 228, 235, 246, 256, 259, 271, 282, 286, 333, 335, 407-408 –, Gottes 256 –, Heiliger 413 –, menschlicher 272 –, morgenländischer 101, 102, 105 Geister 28, 133, 286 –, Fuchs- 133 Geistergeschichten 131 Geisteskraft 119 Geistiges 79 Gemeinschaft 40, 123, 242, 251, 255, 259261, 266, 267, 333, 401, 414 –, daoistische 37 –, Zersetzung der 259 Genosse, Gottes 70, 72, 117 Gerechtigkeit 75, 84, 120, 123, 230, 242, 249, 250, 251, 295 Geschichte 37, 261 –, chinesische 17, 262 Gesellschaft 17, 39, 40, 43, 427 –, chinesische 17 –, jüdische 436 Gesetz 101-103, 105, 107, 123, 228, 230, 238, 242, 248, 249, 270, 332, 333, 335 –, brahmanisches 108, 242, 338 –, himmlisches 229, 242, 253

Sachregister –, willkürliches 251 Getriebe 40, 123, 229, 285 Gewalt 108, 122, 123, 262, 338, 412 Giles, Herbert A. –, Chuang Tzu: Mystic, Moralist and Social Reformer 127, 129, 312 –, Strange Stories from a Chinese Studio 20, 134, 438 Glaube, der 40, 103, 259-260, 269, 274, 277, 403, 412 Glaubenswirklichkeit 269 Gläubigkeit 260 Gleichnis 103, 104, 106, 109, 110-113, 125, 334, 339-340 Glück 295 Gnade 250-251, 269, 270, 412 Gnostiker, der 24 Goethe, Johann Wolfgang von –, Wilhelm Meisters Lehrjahre 412 Gott 24, 38, 40, 68, 69, 102, 104, 106, 114, 236, 237-238, 239, 241, 243, 244, 246, 250, 257, 260, 266, 269-271, 272, 277, 279-280, 335, 341, 410, 420 –, Dreieinigkeit 237 –, Furcht 279 –, Herrlichkeit, siehe Schechina –, Personenhaftigkeit 245 –, Sohn 256 –, Verwirklichung 256 Göttliches 39, 233, 234, 238, 244-245, 250, 253, 255, 266, 269, 277, 279, 280 Gottvertrauen 260 Griechentum 272 Grill, Julius v. –, Lao-tszes Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut 267 Große Wissenschaft, Die (Daxue) 43, 428, 436 Gute, das 230, 231, 250, 270-271, 272, 275, 292, 295, 404, 405, 418, 419 Gut-sein 254 Handeln 103, 250-251 –, unwillkürliches 250 Handlung 118, 273 Harlez, Charles de –, Textes tâoïstes 128 Hebräische Universität Jerusalem 13, 16 Heil, das 105, 257 Heiland 105 heilig 257 Heilige, der 40, 232, 236, 381

Sachregister Heiterkeit 260 Held 105 Hermeneutik 47, 49 Herrschaft 84 Herrscher 22, 40, 67, 108, 233 –, wahrer 22, 122-124 Himmel (Tien) 245, 294, 313, 437 Himmlisches 66, 67 Hinduismus 23, 350, 406 Hobbes, Thomas –, Leviathan 407 Hunnen, die 291, 437 Ideal 254 –, asketisches 230 Idee 48, 272, 335, 419 Immanenz 232, 244 Incubus 131, 286, 378 Inder, der 231, 288 Indien 285, 428 Individuation 232, 234-235, 236, 244, 246, 256, 407 Industrialisierung 262, 285 Innerlichkeit 103, 227, 228, 231 Insel Verlag 130 Insel-Almanach auf das Jahr 1926 425 Intellekt 407 Intellektualismus 264 Intellektuelle, chinesische 14, 31 Israel, siehe Juden Israel (Staat) 422, 436 Jahwe 237 Japan 285, 425 Jerusalem 16, 350, 422 Jiaozhou Bucht 13 Johannesevangelium 105, 335 Juden 38, 350 Judentum 25, 37, 235 –, antikes 350 –, unterirdisches 107 Kabbala 249, 270, 410, 418 Kangxi Wörterbuch 381 Katholizismus 38 Kindheit, Kindschaft 249, 256, 257 Kirche 250 Klugheit 58 Konfuzianismus 29, 42, 435, 436 Konfuzius –, Gespräche (Lunyu) 44-45, 434-435, 438

467 König 40, 267 Konkrete, das 272 Kosmologie 279 Kosmos 236 Kraft 243-244, 257, 271 Kreatur 22, 228, 238, 239, 256, 271, 279 Krise, europäische 42, 43 Kultur 287, 296 –, chinesische 42, 286, 287, 427 –, konfuzianische 286, 288 Kunde, die 102, 103 –, innere 103 Kunst 41, 245, 273, 275, 278 –, byzantinische 332 –, chinesische 42, 285 –, des Orients 101, 332 Künstler 41, 108, 274-275, 276, 277-278 Kunstwerk 32, 41, 274, 276 Landschaftsmalerei 41, 245 Leben 69, 70, 79, 104, 108, 115, 116, 119, 233, 234, 239, 240, 252, 257, 263, 275, 277, 279, 293, 338, 407-408 –, Ganzheit des 101 –, geeintes 104, 111, 115, 334 –, primitives 267 –, religiöses 280 –, tugendhaftes 250 –, unsterbliches 265 –, wahrhaftes 102, 104, 106, 107, 112, 114, 118, 124 –, wirkliches 260 –, zivilisiertes 275 Lebendiges 131 Legge, James –, Sacred books of the East 351 –, The Texts of Tâoism 129, 312 Leere 232, 233, 237, 241 Lehre 101-112, 332, 333, 334, 335, 336, 348 –, buddhistische 46, 124, 131, 424 –, Erneuerung der 105 –, Jesu 124 –, jüdisch-urchristliche 107 –, taoistische 106, 107, 111, 113, 115, 117, 124, 126, 130, 131, 288, 313, 336 Leibniz Akademie der Wissenschaften 15 Leidenschaft 98, 231 Liao Tschai Tschih Yi 131, 134 Liebe 28, 120, 121, 133, 241, 242, 244, 248, 251, 258, 294, 380 –, Gottes 244

468 –, unbedingte 121 Liezi –, Liezi 45, 344, 345, 348, 435, 437 Literatur, chinesische 13, 15, 18, 438 –, deutsche 14 –, japanische 13 Logos 105, 109, 113, 124, 335, 339 –, heraklitischer 113 Luxus 263 Lyrik, chinesische 32, 33 Macht 121, 123, 234, 288 –, All- 232 –, falsche 123 –, innere 232 –, wahre 122 Mächtigkeit 243-244, 249 Magie 101, 246, 331-332 Manifestation 237-238, 246-247 Märchen, chinesische 286 –, westliche 32 Märchendichtung 132 Marienkult 246 Maschinenarbeit 263 Meinung, öffentliche 112 Menge 112-113, 123 Mensch 37, 104, 109, 117, 120, 228, 229, 230, 233, 235, 238, 239, 244, 246, 250251, 253-254, 256, 265, 266, 269, 270, 271, 273, 279-280, 405 –, abendländischer 287, 288 –, edler 256, 296 –, ganzer 263 –, geeinter 22, 106, 336 –, gläubiger 260 –, gottnaher 257 –, heiliger 230, 248, 249, 253, 255, 256, 273, 338 –, heutiger 264 –, hoffnungsloser 241 –, künstlerischer 276, 277 –, paradiesischer 270 –, primitiver 228, 349 –, reiner 67, 287 –, religiöser 273, 276, 277-278 –, tugendhafter 245 –, ursprünglicher 42, 287 –, wissenschaftlicher 274 –, zentraler 21, 104, 107, 108, 111, 242, 336 Menschenleben 113 –, geeintes 118 –, zentrales 103, 107, 124

Sachregister Menschenliebe 74, 84, 120, 121-122, 123, 230, 242, 249, 251, 270, 380 Menschensprache 104 Menschentum 109 Menschheit 105, 260, 263, 293 Menschliches 66 Messianismus 40, 255-256, 271 –, christlicher 255 –, jüdischer 255 –, Lao-tse’s 255, 267 –, der Urgemeinde 256 Messias 40, 256, 413 Metapher 272 –, dichterische 273 –, religiöse 273 Metaphysik 269 Michelangelo –, Matteo 274 –, Sklaven 274 Mitte 259 Mo Di –, Mozi 45, 435 Monismus 106 Morgenland, siehe Orient Musik 75, 82-83, 296, 345 Mysterium 239-240 Mystik, jüdische 410, 411 Mystiker, der 24 Mythen 14 –, Dämonen- 131 Mythos 103, 104, 105, 276, 349 Name 228-229, 247 –, ewiger 228 –, gebrochener 229 –, vollkommener 229 Nationalismus 261 Natur 17, 79, 101, 114, 131, 229, 235, 236, 245, 264, 411 natura naturans 126, 244, 411 natura naturata 244, 411 Neues Testament 25, 232, 348 Nichts 79, 109, 237, 322 Nichtsein 116, 122, 237, 338 Nichttun 21, 25, 39, 42, 43, 70, 72, 75, 78, 84, 96, 106, 108, 117, 121, 122, 123, 232, 234, 235, 253, 288-289, 338, 339, 405, 427-428, 433 Nirvana 110, 339 Notwendige, das 102, 103, 106-107 Objekt 107, 119, 251 Obrigkeit 123

Sachregister Offenbarung 247, 261, 269 Okzident, siehe Abendland Opfer 252, 266 Ordnung 117, 118, 229, 232, 427-428 –, ewige 124 –, gerechte 292 –, kosmische 16, 228 –, natürliche 122 Orient 101-102, 262-263 Orientale, der 24, 285 Palästina 436 Paradies 262, 270, 271 Passivität, aktive 234 Perser 228 Person 244-245 Pflicht 112 Philosoph, der 108 Philosophie 287 –, chinesische 13, 14, 15, 16, 17, 21, 23, 24, 42, 47, 49, 313, 435, 438 –, daoistische 13, 25, 45 –, deutsche 14 –, dialogische 415 –, griechische 124 –, indische 350 –, japanische 13 –, jüdische 38 –, Lebens- 407-408 –, Religions- 272 –, westliche 38 Polarität, siehe Gegensatz Polytheismus 38, 246 Predigt 110 Preußen 264 Prinzip, dialogisches 23 –, pädagogisches 254 Prophetie 274 Prozess, kreativer 41 Psychoanalyse 266 Psychologie, moderne 252 Psychologische Club, der 379-380 Pu Songling –, Liaozhai 13, 26, 27, 28, 29, 30, 42, 48, 358-359, 361, 378 Qi 381 Qingdao 13, 15 Rassentheorie 261 Rechabiter 107, 350 Reformation 250, 412 Regieren, das 122

469 Regierung 262 Reich 122-123, 124, 229, 230, 231, 242, 254, 255, 259, 260, 261, 264, 265, 267, 270-271 –, entartetes 123 –, Gottes 107, 260 –, der Mitte 260 Reinheit 78, 89, 117 Relativismus 22 Religion 103, 105, 251, 259, 267, 278, 279, 280, 336, 420 –, fiktive 278 –, geläuterte 335 Religiosität 105 –, Volks- 101, 332 Revolution, bolschewistische 40 Rimbaud, Arthur –, Une Saison en Enfer 275, 420 Ruhe 117, 239, 240 Ruhm 58 Russland, siehe Sowjetrussland Schaffen 89, 117, 257 Schaffender 117 Schechina 249, 411, 419 Scheidung, siehe Entzweiung Schelling, Friedrich W. J. –, Einleitung in die Philosophie der Mythologie 233 Schicksal 86, 108, 438 Schönheit 250 Schöpfung 39, 60, 121, 239, 246-247, 258, 269, 271, 280, 345, 418 Schrifttum, indisches 107 Schuld 266-267, 295 Schweigen 115 Seele 105, 121, 235, 240, 258, 407-408 –, schöne 250, 412 Seelenwanderung 240 Sein 39, 89, 102, 104, 106, 107, 114, 115, 119, 120, 121, 228, 237, 243, 270, 271, 272, 277, 279, 335, 336 –, absolutes 240 –, scheinhaftes 116 –, ursprüngliches 42, 287 –, wahrhaftes 244 Selbst 77, 94, 106, 109, 115, 234-235, 336 Selbstbestimmung 86 Selbstgefühl, siehe Selbstheit Selbstheit 72, 84, 235, 241 Selbstvergessenheit 297 Seligkeit 89, 250

470 Shandong 13 Sima Qian –, Historische Aufzeichnungen 27, 351, 404 Sinn 49, 279 –, des Seins 114 –, der Welt 115 Sinne, die 119 Sinnlichkeit 236 Sinologie 25 –, britische 14 –, deutsche 14 –, israelische 436 Söderblom, Nathan –, Das Werden des Gottesglaubens 233 Sohar 411 Sollen 102, 107, 120 Sowjetrussland 40, 254, 263 Spontaneität 230, 251 Sprache 49, 104, 119, 229, 245, 272 Staat 39-40, 251-252, 290, 293, 296, 412, 427-428 –, großer 39, 264-265 –, idealer 39 –, kleiner 264-265 –, politischer 40 Staatskunst 43 Staatsweisheit 292 Strauss, Viktor F. von –, Lao-Tse’s Tao te King 126, 227, 264, 351, 380, 404, 409 Subjekt 107, 119, 251 Substanz 237, 244, 245, 246 Succubus 131, 378 Sünde 117, 234, 250, 257, 270 Sündenfall 271, 287 Talmud 239, 241, 271, 405, 410, 419 Tao, siehe Dao Taoismus, siehe Daoismus Tao-te-king, siehe Daodejing Tat 102, 118, 120, 121, 131, 234, 236 Taylorismus 263 Technik 262 –, primitive 101 Tetragrammaton 39 Theologie 229 Theosophie 37 Tien, siehe Himmel Tod 70, 89, 109, 116, 238, 240, 242, 258, 270, 274, 293 Totalität 276

Sachregister Tradition 42 Tragödie 109, 110, 340 –, griechische 243 Transzendenz 113, 244 Traum 110, 119, 340 Tripitaka 23 Tugend 58, 59, 63, 74, 79, 89, 113, 120, 121-122, 123, 227, 243-244, 249-250, 254, 257, 258, 295 –, hohe 249-250, 251, 252 –, natürliche 122 –, niedere 249-250 –, offizielle 108, 338 –, vollkommene 81, 86 Tun, siehe Tat Übersetzen 49 Übersetzer 49 Umkehr 263 Unbedingtes, Unbedingtheit 79, 108, 110, 338, 340 Unendliches 71, 96, 123 Unendlichkeit 118 Unerkennbares 114, 117 Universität Frankfurt 33-34 Unsterblichkeit 240 Unwillkürlichkeit 251, 277 Upanischaden 24, 106, 336, 349-350 Urchristentum 106, 235, 256, 336 Urdasein 105, 117, 123 Urgemeinde, siehe Urchristentum Urgrund 229 Urlicht 241 Ursache 229 Ursprung 233, 240 Urzustand 101, 287 Veden 350, 406 Verborgenheit 110-111, 112, 113 Verbundenheit 259, 260 Vereinigung des chinesischen Buddhismus 15 Verhältnis 86 –, vollkommenes 255 Verlaine, Paul –, Sagesse 275, 420 Vernunft 79, 114, 242 Verstand 74, 78, 293 Versuchung 110, 271 Verwirklichung 22, 288, 433 Verzweiflung 25, 256, 295 Vielheit, Vielfalt 109, 115, 119, 123, 234, 235, 238, 240, 246, 253, 270

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Sachregister Volk 122, 123, 231-232, 262 –, chinesisches 131 –, heutiges 260-261 Vollendete, der 108, 116, 117-118, 120, 121-122, 123 Vollendung 123, 271 Wahrhaftigkeit 58 Wahrheit 23, 229, 243, 252, 282, 296 –, göttliche 37 –, Heils- 23, 282 –, des Worts 282 Wahrnehmung 118, 236 Wandlung, Wandel 56, 94, 115-116, 117, 227-228, 236, 242, 245 Weg 23, 24, 115, 227, 283, 285 Weise, der 54-55, 63, 81, 121, 231, 239, 293, 296, 381 Weisheit 74, 84, 289, 295, 338 –, chinesische 285, 289 –, konfuzianische 112, 285-286 Welt 22, 40, 69, 113, 115, 119, 121, 123, 241, 253, 270, 274, 328, 405, 418 –, Außen- 227, 231 –, Geister- 26 –, Ideen- 272 –, kommende 241 –, Logisierung der 279 –, Ordnung der 228 –, Sein der 117, 272 –, Wirklichkeit der 272, 279 Welterklärung 114, 124 Weltkrieg, Erster 13, 16, 33, 38, 40, 261262 Weltprozeß 105 Weltseele 407 Werden 86, 116, 269, 271 Werke, gute 250

Wert 86, 119 Wesen 120, 240, 244, 246, 257, 270 –, Höchstes 37 –, Ur- 244 Wesenhaftigkeit 244-245, 285 Westen, siehe Abendland Wilhelm, Richard –, Liä Dsi, das wahre Buch vom quellenden Urgrund 435 Wirken, echtes 288 Wirkendes 249 Wirklichkeit 115, 228, 231, 244, 254, 259, 269, 272, 274, 275, 278, 280, 289, 420 –, religiöse 246, 277, 279-280 –, des Seins 258 Wissen 66, 78, 119, 234, 268 –, reines 67 Wissenschaft 101-103, 105, 107, 332, 333, 335 –, vedische 108 Wort 79, 106, 109, 228, 244, 272, 274, 282, 295, 335 –, religiöses 276 –, urbildliches 96 Wunder 105, 109 Xiang’er Kommentar 36-37 Yin und Yang 17, 69, 76, 83, 85, 87, 116, 134, 227, 325, 394, 405 Zeit 119, 240, 271 Zhuangzi (Tschuang-Tse) –, Zhuangzi 13, 18-23, 25, 37, 38, 44, 45, 48, 312, 344, 427, 434, 435 Zwang 251-252 Zweck 112, 120

Personenregister Dieses Register umfasst Personen, die historisch nachweisbar sind oder eine Tradition der Historizität aufweisen. Chinesische Namen werden nach dem Pinyin-Transliterationssystem wiedergegeben. Andere gebräuchliche Transliterationen werden ggf. zusätzlich angegeben. Ai, Herzog von Lu (494-468 v. Chr.): Herrscher des Staates Lu. 65-66, 126 Asoka (304-232 v. Chr.): indischer König; Konvertit und Schirmherr des Buddhismus, der die buddhistische Lehre in Indien und den angrenzenden Gebieten verbreitete. 124, 356 Benjamin, Walter (1892-1940): dt.-jüd. Philosoph, Literaturkritiker u. Übersetzer; stand Buber zunehmend kritisch gegenüber. 48-49 Bergman(n), Shmuel Hugo (1883-1975): östr. Philosoph u. Zionist; enger Vertrauter Bubers; Übersetzer wichtiger philosophischer Werke (u. a. Immanuel Kant) ins Herbäische; ab 1928 Prof. für Philosophie an der Hebräischen Universität Jerusalem; Mitbegründer des Brith Schalom; 1935-38 Rektor der Hebräischen Universität Jerusalem. 25, 392-393 Bergson, Henri (1859-1941): franz. Philosoph; gilt mit seinem Konzept des élan vital als einer der bedeutendsten Vertreter der Lebensphilosophie in Frankreich und als Vorläufer des Existentialismus; 1927 Nobelpreis für Literatur. 42, 407408 Bodhidharma (um 440-528): erster Patriarch des Chan (Zen) Buddhismus. 16 Buddha, eigentl. Siddharta Gautama (um 560-480 v. Chr.): indischer Adeliger; Stifter des Buddhismus. 23-24, 106, 108-111, 124, 131, 135, 338, 340, 351, 352, 378 Carstanjen, Wilhelm Adolf von (1825-1900): dt. Kunstsammler. 243, 410 Carus, Paul (1852-1919): dt.-amerik. Philosoph, Schriftsteller und Verleger; verbreitete den Buddhismus in den USA. 21, 129, 357 Cesarini d. Ä., Giuliano (1398-1444): ital. Kardinal; Lehrer u. a. von ! Nikolaus von Cues. 417 Cohen, Hermann (1842-1918): dt.-jüd. Philosoph; Hauptvertreter des Marburger Neokantianismus und einer der wichtigsten Vertreter der jüdischen Philosophie des 20. Jahrhunderts; 1919 erscheint posthum Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. 272, 420 Confucius ! Konfuzius Cusanus ! Nicolaus von Cues. Dante Alighieri (1265-1321): ital. Dichter; fasste in seinem Hauptwerk Divina Commedia die Weltanschauung des Hochmittelalters zusammen. 34, 258, 414

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Dilthey, Wilhelm (1833-1911): dt. Philosoph, Geistes- und Literaturgeschichtler; Begründer der verstehenden Geschichtswissenschaft; Lehrer Bubers an der Universität Berlin. 407 Dong-feng Shou (um 100 v. Chr.): chines. Beamter am Hofe des Kaisers Wu Di. 291, 437 Dov Baer von Mesritsch (um 1710-1772): chassidischer Meister, auch gen. »der Große Maggid«; Schüler des Baal Schem Tow; Buber fasste die Geschichten über ihn in seiner Sammlung Der große Maggid (1922) zusammen. 34, 413, 419 Meister Eckhart, auch Eckhart von Hochheim (um 1260-1328): dt. Theologe und Philosoph; erarbeitete mystisch-philosophische Lehren; einzelne seiner Lehrsätze wurden als häretisch verurteilt. 34, 237, 256, 336, 408 Einstein, Albert (1879-1955): dt-jüd. Physiker; Begründer der Relativitätstheorie; 1921 Nobelpreis für Physik. 279 Faber, Ernst (1839-1899): dt. Missionar in China u. Übersetzer chines. philos. Werke; machte den chines. Leser mit dem dt. Idealismus bekannt. 45-46, 126, 128, 342, 345, 356, 435 Feuerbach, Ludwig (1804-1872): dt. Philosoph der Junghegelianischen Schule; erarbeitete eine radikale anthropologische Religionskritik materialistischer Prägung; beeinflusste nachhaltig Karl Marx. 244, 411 Ford, Henry (1863-1947): US-amerik. Industrieller; führte die Fließbandtechnik in die Industrieproduktion ein; steht gemeinsam mit ! Taylor für die zweite industrielle Revolution; vertrat antisemitische Anschauungen. 263, 416 Franz von Assisi (1181/2-1226): ital. Ordensstifter der Franziskaner und Heiliger. 356 Fröbe-Kapteyn, Olga (1881-1962): engl. Theosophin; mit C. G. Jung befreundet; begründete die Eranos-Tagungen in Ascona. 380 Gandhi, Mohandas Karamchand (1869-1948): gen. »Mahatma« (dt.: »große Seele«); ind. Politiker; leitete den antikolonialen Befreiungskampf Indiens gegen England nach dem Prinzip der Gewaltlosigkeit. 262, 288, 415, 428, 433 Gast, Gustav (geb. 1867): dt. Literat; gab 1901 eine erste deutsche Sammlung der Geschichten Pu Songlings heraus. 134, 358, 378 Giles, Herbert Allen (1845-1935): brit. Sinologe; Übersetzer chines. Werke u. Autor von Werken über China. 19-20, 30-31, 44, 48, 127, 129, 134, 312-313, 342, 343, 345, 359-360, 434, 438, 443, 444 Go-Komatsu (regierte 1393-1412): japan. Kaiser; Vater ! Ikkyu¯s. 284, 426 Goethe, Johann Wolfgang v. (1749-1832): dt. Dichter und Universalgelehrter. 34, 250, 412, 426 Granet, Marcel (1884-1940): franz. Sinologe und Soziologe; rekonstruierte aus alten chin. Texten die gesellschaftlichen Zustände der Zeit. 15 Groot, Jan Jakob Maria de (1854-1921): niederl. Sinologe. 14

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Guo Xiang (ca. 252-312): Kommentator des Zhuangzi. 19, 21 Haggard, Henry Rider (1856-1925): brit. Schrifsteller; verfasste populäre Abenteuerromane. 31 Hart, Julius (1859-1930): dt. Schriftsteller und Lebensreformer; Vertreter des Naturalismus; begründete mit seinem Bruder Heinrich Hart die Neue Gemeinschaft, in der zeitweise auch Buber verkehrte. 24 He Shang Gong (2. Jh. v. Chr.): Kommentator des Daodejing. 37 Heimann, Moritz (1868-1925): dt.-jüd. Schriftsteller; Lektor bei S. Fischer; Förderer der modernen dt. Literatur; Freund Bubers. 24, 421 Heraklit (um 500 v. Chr.): griech. Philosoph; Vorsokratiker. 113, 124 Hesse, Hermann (1877-1962): dt. Schriftsteller, seit 1926 in der Schweiz; von chin.buddh. Philosophie und Kultur beeinflusst; mit Buber befreundet; 1946 Nobelpreis für Literatur. 15, 32 Hobbes, Thomas (1588-1679): brit. Philosoph; vertrat mit seinem Hauptwerk Leviathan einen aufgeklärten Absolutismus. 234, 396, 407 Hofmannsthal, Hugo v. (1874-1929): dt. Schriftsteller des Fin de siècle; wird der Literatengruppe Jung-Wien zugerechnet; mit Buber lebenslang befreundet. 130, 357-358, 426 Hölderlin, Friedrich (1770-1843): dt. Dichter, Übersetzer und Verfasser philosophischer Aufsätze. 110, 340 Hu Shi (1891-1962): chines. Gelehrter; »Vater der literarischen Revolution«. 15, 35 Huan (685-643 v. Chr.): Herzog von Qi; transformierte sein Herrschaftsgebiet in einen eindrucksvollen, mächtigen Staat. 82, 126, 346 Hui (370-333 v. Chr.): König von Wei. 56, 126, 343 Huineng (638-713): 6. und letzter Patriarch des chines. Chan-Buddhismus. 16 Huizi (auch Hui-Tse oder Hui Shi, um 300 v. Chr.): chines. Philosoph u. Logiker; Freund ! Zhuangzis. 52, 87-88, 126, 343 Ikkyu¯ So¯jun (1394-1481): japan. Zenmönch; Dichter u. Kalligraph; Sohn des Kaisers ! Go-Komatsu. 284, 426 Israel von Rizˇin (1796-1850): auch gen. »der Rizˇiner«; chassidischer Meister. 34 Johannes Scotus Eriugena (um 810-um 877): irisch. Theologe und neuplatonischer Philosoph. 237, 409 Jung, Carl Gustav (1875-1961): schweiz. Psychologe; Schüler, später Kritiker Sigmund Freuds; modifizierte mit seiner Archetypenlehre die Psychoanalyse zu einer Theorie irrationalistischer Prägung. 16, 379, 427 Kepler, Johannes (1571-1630): dt. Naturphilosoph, Mathematiker und Astronom; stellte mit den keplerschen Gesetzen die kopernikanische Theorie auf eine wissenschaftliche Grundlage. 34, 279

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Klages, Ludwig (1872-1956): dt. Philosoph; Vertreter der Lebensphilosophie; stand einer faschistischen Ideologie nahe. 407-408 Konfuzius, Kong-Fu-Tse oder auch Khung-Tse (551-479 v. Chr.): chin. Philosoph u. Lehrer; steht am Anfang der chines. klass. Philosophie. 17, 35, 42, 43-45, 54, 58, 59, 60, 63, 64, 65-66, 70-71, 80, 90-91, 93, 115, 120, 126-127, 128, 228, 230, 231, 238, 242, 245, 251, 267, 291-292, 295-296, 308, 316, 318, 320, 343346, 406, 409, 434-436, 438, 443 Laozi, auch Lao-Tse (um 604 v. Chr., Todesdatum unbekannt): legendärer chin. Philosoph und Begründer des Daoismus; gilt als Verfasser des Daodejing. 21, 22, 24, 34, 35, 37-38, 54, 57, 64-65, 75, 99, 106, 108-113, 115, 118, 120-121, 124, 126-127, 272, 282, 293, 308, 336, 338, 339, 340, 347, 350, 351, 404, 408, 409, 415, 434, 438, 443 Legge, James (1815-1897): schott. Missionar in China; Übersetzer von chines. Klassikern. 14, 20, 129, 312-313, 342, 345, 351, 353, 355 Liezi oder auch Lieh-Tse (5. Jh. v. Chr.): daoistischer Philosoph; gilt als Verfasser des Liezi, einer Sammlung daoistischer Parabeln, die allerdings erst um 350 v. Chr. zusammengestellt wurde. 44-45, 72-73, 89, 115, 126-127, 292, 324, 342, 345, 434 Lin Shu (1852-1924): Übersetzer westlicher Prosa ins Chinesische. 31 Luther, Martin (1483-1546): dt. Theologe, Bibelübersetzer und Reformator; 1517 Veröffentlichung der »95 Thesen«. 34, 250, 412 Markus Magus (lehrte zwischen 160 und 180): Anhänger der valentinianischen Gnosis, der die Entstehung des Pleromas (Lichtmeeres, Sitz der Gottheit) mit Hilfe von Buchstaben- und Lautspekulationen illustriert. 229, 405 Michelangelo, eig. Michelguiolo Buonarroti (1475-1564): ital. Maler u. Bildhauer der Renaissance. 273, 420 Min-Tse (um 500 v. Chr.): Schüler des Konfuzius. 66, 344 Mo Di, auch Mozi (um 479-438): chines. Philosoph; Kritiker des Konfuzius. 44, 4546, 294-295, 434-435, 437 Neumann, Karl Eugen (1865-1915): öster. Indologe; Übersetzer des buddh. Pali Kanons ins Deutsche. 23, 46, 282-283, 424-425 Nietzsche, Friedrich (1844-1900): dt. Philosoph; beeinflusste die Lebensphilosophie und den Ästhetizismus der Jahrhundertwende. 407 Nikolaus von Cues (1401-1464): dt. Theologe und Philosoph; vereinte in seinem Denken Mystik und Rationalismus; 1448 Ernennung zum Kardinal. 34, 236, 269, 407, 417 Orcagna, eig. Andrea di Cione (um 1308-1368): ital. Maler, Bildhauer u. Architekt. 34, 258, 414

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Paquet, Alfons (1881-1944): dt. Dichter und Journalist; sympathisierte mit dem Zionismus. 427 Paracelsus, eig. Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim (ca. 1493-1541): schweiz. Arzt, Alchemist, Astrologe, Philosoph und Mystiker. 236, 408, 415 Paulus (um 10-um 65): christl. Apostel; wurde vom Verfolger zum eifrigen Verbreiter der neuen Lehre; predigte ein gesetzesfreies Evangelium. 112, 124, 270, 401, 418 Pelliot, Paul (1878-1945): franz. Sinologe. 15 Plato (um 428-348 v. Chr.): griech. Philosoph, einer der Begründer der abendländischen Metaphysik. 124, 272, 404, 419 Ptolomäus, Claudius (um 127-51 n. Chr.): Geograph u. Astronom aus Alexandrien. 279 Pu Songling (1640-1715): chines. Schriftsteller u. Dichter, berühmt für seine Sammlung von »Geschichten des Seltsamen«, dem Liaozhai zhiyi. 13, 26-30, 32, 358-360 Rembrandt, Harmenszoon van Rijn (1606-1669): niederl. Maler; einer der bedeutendsten Künstler des Barock; schuf u. a. Gemälde mit jüd. Themen. 34, 243, 278, 411 Rimbaud, Jean Nicolas Arthur (1854-1891): franz. Dichter u. Schriftsteller; gilt als einer der Begründer der literarischen Moderne. 275, 420 Rosenbaum, Wladimir (1894-1984): schweiz. Kunsthändler russ.-jüd. Herkunft; war an der Organisation der Tagungen des Eranos-Kreises beteiligt. 34, 379 Rosenbaum-Ducommun, Aline ! Valangin, Aline. Schopenhauer, Arthur (1788-1860): dt. Philosoph. 251, 412 Scotus Eriugena ! Johannes Scotus Eriugena. Sima Qian (ca. 145- ca. 89 v. Chr.): chines. Historiker. 18, 27, 35, 351 Simmel, Georg (1858-1918): dt. Philosoph und Soziologe; 1909 Prof. für Philosophie und Soziologie an der Univ. Berlin, 1913 an der Univ. Straßburg; Lehrer u. Förderer Bubers. 25, 407 Spinoza, Baruch (1632-1677): niederl.-jüd. Philosoph; beeinflusste pantheistische und materialistische Vorstellungen der Aufklärung; wurde wegen seiner Religionskritik 1656 von der seph.-jüd. Gemeinde Amsterdam verbannt. 34, 244, 356, 411 Strauss, Ludwig (1892-1953): dt.-jüd. Schrifsteller und Literaturwissenschaftler; mit Bubers Tochter Eva verheiratet; 1935 Emigration nach Palästina. 34, 422 Strauss und Torney, Viktor Friedrich v. (1809-1899): dt. Politiker, Dichter und Übersetzer; übertrug das Daodejing ins Deutsche. 37-40, 44, 254, 264-265, 351, 355, 380, 383, 393, 404, 406, 409, 411, 416, 434 Strindberg, Johan August (1849-1912): schwed. Dramatiker, Romanschriftsteller u. Dichter. 259, 415

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Tagore, Sir Rabindranath, (1861-1941): ind. Dichter u. Autor; gewann 1913 als erster Nichteuropäer den Nobelpreis für Literatur. 262, 285, 415, 430 Tai Xu, Abt (1890-1947): Präsident der chinesischen buddhistischen Vereinigung u. führende Figur in der Wiederbelebung des Buddhismus in China. 15 Taylor, Frederick Winslow (1856-1915): US-amerik. Ingenieur; versuchte mit wissenschaftlichen Methoden Arbeitsprozesse zu rationalisieren; steht gemeinsam mit ! Ford für die zweite industrielle Revolution. 263, 416 Tonn, Willy J. (1902-1957): dt. Sinologe; half Buber in Israel mit Überarbeitungen des Zhuangzi. 18, 130, 343 Tschuang-Tse ! Zhuangzi. Valangin, Aline, eig. Aline Rosenbaum-Ducommun (1889-1986): schweiz. Schriftstellerin und Psychoanalytikerin; mit ! Wladimir Rosenbaum verheiratet. 379380 Verlaine, Paul (1844-1896): franz. Lyriker. 34, 275, 420 Wang Bi (226-249): Kommentator des Daodejing. 21, 37, 406 Weiß, Emil Rudolf (1875-1942): dt. Maler u. Gebrauchsgraphiker; stattete Bücher für die Verlage Eugen Diederichs und Ernst Rowohlts aus. 46, 421-422 Wilhelm, Richard (1873-1930): dt. Sinologe u. bedeutender Übersetzer von chines. klass. Werken ins Deutsche. 15-16, 33, 35, 41-42, 227, 286, 342, 358, 427, 431, 433, 435 Wu Di (regierte 140-87 v. Chr.): Kaiser von China. 290, 436-437 Wyneken, Gustav (1875-1964): dt. Pädagoge; Vertreter der Reformpädagogik; besaß vor dem Ersten Weltkrieg großen Einfluss auf die Jugendbewegung; zeitweise im Austausch mit Buber. 278, 420 Xu Zhimo (1896-1932): chines. Dichter. 15 Zhuangzi, auch Tschuang-Tse (365-290 v. Chr.): daoistischer Philosoph u. Autor von Teilen des Buches gleichen Namens. 18-22, 24-25, 44, 45, 51, 52, 56, 81, 8788, 89, 96, 111, 112-113, 115, 116, 118, 119, 121, 124-125, 126-128, 129, 130, 239, 242, 253, 262, 263, 294, 312-313, 342, 343, 347, 344, 351, 354, 409

Glossar chinesischer Namen und Begriffe »A Bao« Lu Ai Gong »A Xiu« bian biji changhe cheng shuang chu chuanqi ci Dao Daodejing de Dongfang Shuo gongtong »Gong Xian« Guangchengzi Guo Xiang He Shang Gong Hu Shi hua »Huabi« »Huan Niang« huan you rensheng Huangdi Huizi Ji Xian Laozi »Leicao« li Li Er »Lian Xiang« »Lianhua gongzhu« Liaozhai zhiyi Liezi »Lu Pan« Lunyu »Luocha haishi« Mawangdui Min Ziqian »Pianpian« po Pu Songling qi Qu Boyu ren shenren shenwu shi (poetry)

阿寶 魯哀公 阿綉 變 筆記 唱和 成雙 畜 傳奇 詞 道 道德經 德 東方朔 工同 鞏仙 廣成子 郭象 河上公 胡適 化 畫壁 宦娘 幻由人生 黃帝 惠子 季咸 老子 雷曹 禮 李耳 蓮香 蓮花公主 聊齋志異 列子 陸判 論語 羅刹海市 馬王堆 閔子騫 翩翩 魄 蒲松齡 氣 蘧伯玉 仁 神人 神巫 詩

shi Shijing »Shuchi« Sima Qian Taiji tu Taishi Tai Xu tian Tianxia Tianshi wang Wang Bi Wang Jingtao wei Wei Ling Gong Wen Bo Wudi wuhua wuji »Wu shuang zhuan« wuwei xi xia liu xiang’er »Xiangyu« »Xiaoxie« xin xin xiong xuan Xu Wugui Yan He Yan Hui Yang Zhu yao miao Yao und Shun Yancheng Ziyou yi yi Yin Xi Yin und Yang yishi shi Ying Ning yu zaowuzhe Zhang Daoling Zhang Lu Zhenren zhengming

士 詩經 書癡 司馬遷 太極圖 太史 太虛 田 天下 天師 妄 王弼 王警濤 微 衛靈公 溫伯 武帝 物化 無極 無雙傳 無爲 希 下流 想爾 香玉 小謝 心 信 凶 玄 徐無鬼 顏闔 顏回 楊朱 要妙 堯舜 顏成子游 夷 一 尹喜 陰陽 異史氏 嬰寧 豫 造物者 張道陵 張魯 真人 正名

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Glossar chinesischer Namen und Begriffe zhi Zhongguo Zhuangzi »Zhuqing«

支 中國 莊子 竹青

Zhuzong Zi Lu Zi Gong

祝宗 子路 子貢