Martin Buber Werkausgabe: Band 9 Schriften zum Christentum 9783641248581

Band 9 der Martin Buber Werkausgabe versammelt erstmals in umfassender Form Bubers jahrzehntelange Auseinandersetzung mi

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German Pages 504 Year 2011

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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
Dank
Einleitung
Lebte Jesus?
Eine Feststellung
Der Preis
Religion und Gottesherrschaft
»Pharisäertum«
[Geleitwort zu Die Kreatur]
Bericht und Berichtigung
Brief von Dr. Martin Buber an den V.-V.-B.
Das menschliche Handeln und seine Problematik
Die Brennpunkte der jüdischen Seele
Brief an Ernst Michel
Gespräch um Gott. Bericht über zwei Meinungskämpfe
Kirche, Staat, Volk, Judentum
Offener Brief an Gerhard Kittel
Zu Gerhard Kittels »Antwort«
Dom und Friedhof
Die Mächtigkeit des Geistes
Unserem Verbündeten
Ragaz und »Israel«
Echo und Aussprache
Zwei Glaubensweisen
Christus, Chassidismus, Gnosis
Zur Klaerung
Ein Realist des Geistes
[Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften]
Philosophical Interrogations
Kommentar
Editorische Notiz
Diakritische Zeichen
Einzelkommentare
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Glossar
Stellenregister
Sachregister
Personenregister
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Martin Buber Werkausgabe: Band 9 Schriften zum Christentum
 9783641248581

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Martin Buber Werkausgabe Im Auftrag der Philosophischen Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und der Israel Academy of Sciences and Humanities herausgegeben von Paul Mendes-Flohr, Peter Schäfer und Bernd Witte

Gütersloher Verlagshaus

Martin Buber Werkausgabe 9 Schriften zum Christentum Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Karl-Josef Kuschel

MBW 9 (02685) / p. 4 / 12.10.2018 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überder https://portal.dnb.de abrufbar. Bibliografische Information Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

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Copyright © 2011 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München 2. Auflage, 2018 Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält Copyright © 2011 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Sollte diese Publikation Links aufVerbreitung Webseiten Dritter enthalten, Verarbeitung, Vervielfältigung, oder öffentliche so übernehmen insbesondere wir für deren Inhalte keine Haftung, Zugänglichmachung, in elektronischer Form, ist da wir unsstrafdiese und nichtzivilrechtliche zu eigen machen, sondern lediglich untersagt und kann Sanktionen nach sich ziehen. auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

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Umschlaggestaltung: Init Kommunikationsdesign GmbH, Bad Oeynhausen Satz: SatzWeisewww.gtvh.de GmbH, Bad Wünnenberg ISBN 978-3-641-24858-1 www.gtvh.de

MBW 9 (02685) / p. 5 / 12.10.2018

Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Lebte Jesus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Eine Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

Der Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Religion und Gottesherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

»Pharisäertum«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

[Geleitwort zu Die Kreatur] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

Bericht und Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

Einleitung

Brief von Dr. Martin Buber an den V.-V.-B. . . . . . . . . . . . . . 101 Das menschliche Handeln und seine Problematik . . . . . . . . . 103 Die Brennpunkte der jüdischen Seele . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Brief an Ernst Michel

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

Gespräch um Gott. Bericht über zwei Meinungskämpfe . . . . . . 140 Kirche, Staat, Volk, Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Offener Brief an Gerhard Kittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Zu Gerhard Kittels »Antwort« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Dom und Friedhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Die Mächtigkeit des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Unserem Verbündeten (Leonhard Ragaz zum 75. Geburtstag) . . . 184 Ragaz und »Israel« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Echo und Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Zwei Glaubensweisen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

MBW 9 (02685) / p. 6 / 12.10.2018

6

Inhalt

Christus, Chassidismus, Gnosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Zur Klaerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Ein Realist des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 [Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften] . . . . . . . 328 Philosophical Interrogations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

Kommentar Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Diakritische Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Einzelkommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 Stellenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 Gesamtaufriss der Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

MBW 9 (02685) / p. 7 / 12.10.2018

Vorbemerkung Im Oktober 2008 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die bis dahin die Herausgabe der Martin Buber Werkausgabe gefördert hatte, ihre weitere Finanzierung eingestellt. Damit wurde auch die Anbindung der Arbeitsstelle an die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hinfällig. Seitdem hat sich die Heinrich Heine Universität Düsseldorf, die sich schon aufgrund ihres Namensgebers ihrer Verantwortung für die deutsch-jüdische Kulturtradition bewusst ist, um eine Fortführung der Ausgabe bemüht. Seit April 2010 wird die Finanzierung zur Hälfte vom Land Nordrhein-Westfalen und zur Hälfte von der Universität getragen, so dass die Arbeit von diesem Zeitpunkt an mit zwei wissenschaftlichen Redakteurinnen weiter geführt werden kann. Auf diese Weise sollte die Gesamtausgabe bis zum Jahr 2016 fertig gestellt werden. Mit der neuen Organisation ist eine Modifikation der Editionsprinzipien der Martin Buber Werkausgabe verbunden. Für die Details zu den jetzigen Editionskriterien verweisen wir auf die Editorische Notiz am Ende des Bandes. Düsseldorf, im November 2010 Paul Mendes-Flohr, Peter Schäfer, Bernd Witte

MBW 9 (02685) / p. 8 / 12.10.2018

MBW 9 (02685) / p. 9 / 12.10.2018

Dank Herausgabe und Kommentierung der Schriften Martin Bubers zum Christentum sind für mich mehr als eine wissenschaftliche Herausforderung gewesen, der es sich mit aller Sorgfalt zu stellen galt. Sie waren und sind zugleich und vor allem Verpflichtung auf das Vermächtnis dieses großen jüdischen Denkers, dessen Name wie kein anderer im 20. Jahrhundert für das »Prinzip Dialog« steht, der – stets tief verwurzelt in lebendigen Traditionen des Judentums – in Theorie und Praxis für »dialogisches Denken« eintrat und den auch die Schoah an dieser Aufgabe nicht irre werden ließ. »Dialog« aber schloss für Buber kritische Herausforderungen an Christen ein. Und die Leidenschaft dieser Herausforderungen an den christlichen Glauben ist auch noch heute in Bubers Texten zu spüren. Die Grundfragen im Verhältnis von Juden und Christen sind immer noch dieselben und bleiben auf der Agenda des jüdisch-christlichen Dialogs. Das Bewusstsein, mit diesem Band das kostbare Vermächtnis Bubers wachhalten und weitergeben zu können, hat mich während der Arbeit an diesem Band getragen und den arbeitsintensiven Prozess zu Ende bringen lassen. Unterstützung bei der Arbeit habe ich vor allem von Frau Heike Krajzewicz erfahren, der zuständigen Mitarbeiterin der Arbeitsstelle »Martin Buber Werkausgabe« (früher Berlin, jetzt Düsseldorf). Ohne ihre ständige Ansprechbarkeit und Einsatzbereitschaft, ihre Hilfe und ihre Ratschläge, verbunden mit einer liebenswürdigen Freundlichkeit, hätte ich die Arbeit nicht mit derselben Effizienz und Freude durchtragen können. Sie hat darüber hinaus die Register sowie umfangreiche Teile des kritischen Apparats selbständig erarbeitet und den Band insgesamt redaktionell betreut. Frau Graz˙yna Jurewicz, ebenfalls Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle »Martin Buber Werkausgabe«, danke ich für die Erstellung der Variantenapparate und für ihre engagierte Mitarbeit an der Gesamtredaktion des Bandes. Für Literaturhinweise danke ich meinem Kollegen Martin Leiner (Jena), für engagierte begleitende Lektüre meinen beiden Tübinger Kollegen Hermann Häring und Helmut Zwanger, für die große Unterstützung und Mithilfe bei den bibliographischen Recherchen und den Korrekturarbeiten am Text meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Magdalena Ebertz und Fabian Daniel Schwarz. Tübingen, im Oktober 2010

Karl-Josef Kuschel

MBW 9 (02685) / p. 10 / 12.10.2018

MBW 9 (02685) / p. 11 / 12.10.2018

Einleitung Das Material, das für diesen Band zusammengestellt wurde, besteht aus 26 Dokumenten, die in der Reihenfolge ihrer Entstehung geordnet sind. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie reichen von kurzen Stellungnahmen etwa zur Frage »Lebte Jesus?« (1910) über das »Geleitwort« zu einer Zeitschrift wie Die Kreatur (1926) und kleine geschichtlich-exegetisch argumentierende Abhandlungen zum Thema »Pharisäertum« (1925) bis hin zu offenen Briefen, kurzen Briefwechseln mit verschiedenen Partnern, größeren Abhandlungen wie »Kirche, Staat, Volk, Judentum« (1933) und zusammenfassenden Untersuchungen wie Zwei Glaubensweisen (1950). Anspruch und Qualität der einzelnen Stellungnahmen und Abhandlungen wechseln je nach Erscheinungsdatum und Anlass. Der zeitliche Rahmen umfasst mehr als 50 Jahre (1910-1964). Und doch zeichnen sich Grundlinien ab, die für Bubers Auseinandersetzung mit dem Komplex »Christentum« (Themen, Sachfragen, Personen betreffend) charakteristisch sind, sich teilweise von Anfang bis Ende in bestechender Stringenz und Konsequenz durchhalten und sich doch in Grundeinsichten wandeln. Die Einleitung steht ausschließlich im Dienst der hier abgedruckten Dokumente. Sie hat die Aufgabe, die nötigsten zeit- und werkgeschichtlichen Hintergrundinformationen bereitzustellen, um die Texte in den Grundfiguren ihrer Argumentation und in der Entwicklung der ihnen zugrunde liegenden Konzeption besser zu verstehen. Anspruch dieser Einleitung kann nicht eine umfassende, ins Detail gehende Untersuchung zu Martin Bubers Auseinandersetzung mit der Welt des Christlichen sein. Einzelproblemen (etwa im Zusammenhang mit der Figur Jesu Christi), die da und dort im Werk auftauchen, kann hier nicht nachgegangen werden. Auch nicht Bubers Rolle im und seine Bedeutung für den jüdischchristlichen Dialog vor und nach 1945. Schon gar nicht kann diese Einleitung beanspruchen, eine umfassende Rezeptionsgeschichte christlicher Theologie mit Blick auf Buber zu liefern – weder für die Zeit seines Lebens noch darüber hinaus. Andeutungen und Fingerzeige am Ende dieser Einleitung müssen hier genügen.

MBW 9 (02685) / p. 12 / 12.10.2018

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Einleitung

1. »Fremdandacht« – ein Schlüsseldokument aus der Schulzeit in Lemberg Wenig wissen wir aus autobiographischen Zeugnissen über Bubers Schulzeit; umso kostbarer ein Dokument, das Buber 1960, fünf Jahre vor seinem Tod, selbst veröffentlicht. Der damals 82-Jährige legt Autobiographische Fragmente vor, darunter einen Text unter dem Titel »Die Schule« – ein bemerkenswertes Signal nach einem ereignisreichen Leben und jahrzehntelangen Bemühungen um einen Dialog mit Christen. Der Altgewordene will offenbar der Öffentlichkeit noch einmal signalisieren, wo er herkommt und welche Erstbegegnung mit der christlichen Welt sein Leben geprägt hat. Die Szene spielt im Kaiser-Franz-Joseph-Gymnasium zu Lemberg, das Buber in den Jahren 1888 bis 1896 besucht hatte. Die Unterrichtssprache ist Polnisch, und die polnischen Mitschüler sind allesamt katholischer Konfession. Juden sind nur als kleine Minderheit präsent. Persönlich kommen die Schüler gut miteinander aus, aber beide Gemeinschaften wissen – so Buber – »fast nichts voneinander«. »Vor 8 Uhr morgens mußten alle Schüler versammelt sein. Um 8 Uhr ertönte das Klingelzeichen; einer der Lehrer trat ein und bestieg das Katheder, über dem an der Wand sich ein großes Kruzifix erhob. Im selben Augenblick standen alle Schüler in ihren Bänken auf. Der Lehrer und die polnischen Schüler bekreuzigten sich, er sprach die Dreifaltigkeitsformel und sie sprachen sie ihm nach, dann beteten sie laut mitsammen. Bis man sich wieder setzen durfte, standen wir Juden unbeweglich da, die Augen gesenkt. Ich habe schon angedeutet, daß es in unserer Schule keinen spürbaren Judenhaß gab; ich kann mich kaum an einen Lehrer erinnern, der nicht tolerant war oder doch als tolerant gelten wollte. Aber auf mich wirkte das pflichtmäßige tägliche Stehen im tönenden Raum der Fremdandacht schlimmer, als ein Akt der Unduldsamkeit hätte wirken können. Gezwungene Gäste; als Ding teilnehmen müssen an einem sakralen Vorgang, an dem kein Quentchen meiner Person teilnehmen konnte und wollte; und dies acht Jahre lang Morgen um Morgen: das hat sich der Lebenssubstanz des Knaben eingeprägt. Es ist nie ein Versuch unternommen worden, einen von uns jüdischen Schülern zu bekehren; und doch wurzelt in den Erfahrungen jener Zeit mein Widerwille gegen alle Mission. Nicht bloß etwa gegen die christliche Judenmission, sondern gegen alles Missionieren unter Menschen, die einen eigenständigen Glauben haben. Vergebens hat noch Franz Rosenzweig mich für den Gedanken einer jüdischen Mission unter Nichtjuden zu gewinnen gesucht.« 1 1.

Martin Buber, Begegnung. Autobiographische Fragmente, Stuttgart: W. Kohlhammer 1960, S. 12 f.

MBW 9 (02685) / p. 13 / 12.10.2018

Einleitung

13

Eine kleine Szene zwar, aber sie ist von geradezu obsessiver Mächtigkeit. Hier sich bekreuzigende katholisch-polnische Schüler, christliche Gebete mit der Dreifaltigkeitsformel, laut gesprochen, und ein übermächtig-großes Kruzifix, welches das Katheder des Lehrers ins geradezu Metaphysische steigert; und dort die jüdischen Schüler: stumm, unbeweglich, die Augen gesenkt. Szenisch-symbolisch-körperlich kann Ausgrenzung kaum intensiver, kaum bitterer erfahren werden. Es braucht in der Tat die direkte Diskriminierung nicht, keinen »spürbaren Judenhass«, keine »Akte der Unduldsamkeit«, um Erfahrungen mit der Welt des Christlichen traumatisch werden zu lassen. Juden sind unter Christen »gezwungene Gäste«. Die jüdischen Schüler müssen einem religiösen Akt beiwohnen, ohne mit einem »Quentchen« ihrer Person teilnehmen zu können. Denn ihre Anwesenheit wird kalt ignoriert, als gäbe es sie nicht. Acht Jahre lang erlebt Buber diese Szene, Morgen für Morgen, für die er das Wort »Fremdandacht« prägt. Eine bemerkenswerte Wortschöpfung: Sie bringt die Entfremdungsgeschichte zwischen Juden und Christen »vor Gott« plastisch ins Bild. Bubers Verhältnis zum »Christentum« als soziokulturelle Größe ist mit dieser Erfahrung ein für allemal vorgeprägt. Sie hat sich in die »Lebenssubstanz« des Knaben ebenso eingeprägt wie der Widerwille »gegen die christliche Judenmission«, ja »gegen alles Missionieren unter Menschen« überhaupt. Kein Zufall somit, dass der alt gewordene Buber diese Szene ganz bewusst noch einmal der bleibenden Erinnerung überliefert. Und man versteht daher auch besser das Zeugnis eines polnischen Mitschülers von Buber aus den Lemberger Jahren, Witold O., der 1962 auf die Zusendung der Autobiographischen Fragmente in einem Brief an Buber festhält: »Das Christentum, in dem ich so tief verwurzelt war, Dir war es verhaßt. Wie gut erinnere ich mich noch an Deinen Ausspruch: ›Schade um die schönen Glockenklänge für diese christliche Religion!‹« 2 Und doch sind für die Schulzeit in Lemberg auch Zeichen zu beobachten, die auf andere Art und Weise für Bubers Entwicklung »nach vorn« weisen. Denn auffällig ist, dass Buber schon als 13-Jähriger in einer Rede aus Anlass seiner Barmizwah-Feier am 8. Februar 1891 wie auch in seiner polnisch gehaltenen Rede »Glaube, Hoffnung, Liebe« (entstanden November 1892) Signale einer ersten eigenständigen Deutung des Jüdischen gibt, wobei zweifellos »der schwärmerische Ton eines Aufbruchs« vorherrscht. 3 Indem Buber in den beiden frühen Texten als Kern der jüdi-

2. 3.

Brief an Martin Buber vom 29. Juli 1962, in: B III, S. 551. Martin Treml, Einleitung, MBW 1, S. 23.

MBW 9 (02685) / p. 14 / 12.10.2018

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Einleitung

schen Religion nicht nur »Liebe und Erbarmen für den Fremden wie für den Einheimischen, Milde und Barmherzigkeit für alle Geschöpfe Gottes«, sondern auch »Liebe selbst gegen den Feind« herausstellt, 4 nimmt er schon früh eine »antijüdische Polemik des Christentums auf: den Vorwurf, im Judentum herrsche Gesetz über Liebe und Zorn über Gnade«. 5 Er offenbart hier erstmals in dieser Form eine eigenständige Distanz zur traditionellen Deutung des Judentums wie des Christentums. Im Rückblick hat Buber denn auch erklärt, mit vierzehn aufgehört zu haben, »Tefillin zu legen«;6 ein für ein jüdisch erzogenes Kind starker symbolischer Befreiungsakt, haben doch männliche Beter, die über dreizehn Jahre alt sind, beim Morgengebet an Wochentagen Gebetsriemen anzulegen. Jetzt beginnt bis in sein zwanzigstes Jahr, so Buber, eine immer stärkere Entfremdung von allem Jüdischen. Es ist eine Zeit »ohne Zentrum und ohne wachsende Substanz«, zwar in »beweglicher Fülle des Geistes, aber wie ohne Judentum, so auch ohne Menschlichkeit und ohne die Gegenwart des Göttlichen«.7

2. »Jüdische Renaissance« und ihre Konsequenzen für das Christentum Für die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zeichnen sich zwei gegenläufige Bewegungen in Bubers Entwicklung ab. Zum einen eignet er sich vor allem durch Universitätsstudien in europäischen Zentren wie Wien, Leipzig, Zürich und Berlin ein breites Wissen der europäisch-christlich geprägten Geistes- und Kulturgeschichte an, namentlich in Philosophie, Geschichte, Psychologie und Kunstgeschichte. 8 Den Autobiographischen Fragmenten zufolge haben auf Buber vor allem Immanuel Kants Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik sowie Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra nachhaltigen Eindruck gemacht. Insbesondere die Nietzsche-Lektüre »bemächtigt« sich seiner derart, dass Buber sich entschließt, den Zarathustra ins Polnische zu übersetzen, ein Plan, der über Anfänge nicht hinauskommt und schließlich fallen gelassen wird. 9 Be4. 5. 6. 7. 8. 9.

Rede gehalten von Martin Buber an seiner »Barmizwah«-Feier am 8. Februar 1891, in: MBW 1, S. 93-98, Zitat S. 96; vgl. auch S. 101 f. u. Glaube, Hoffnung, Liebe, in: MBW 1, S. 99-102, bes. S. 101 f. Martin Treml, Einleitung, MBW 1, S. 23. Brief an Franz Rosenzweig vom 1. Oktober 1922, in: B II, S. 141. Martin Buber, Mein Weg zum Chassidismus. Erinnerungen, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1918, S. 16. Eine Aufstellung der von Buber 1896-1901 belegten Universitätsveranstaltungen ist zu finden in: MBW 1, S. 301-304. Zum Einfluss Nietzsches auf Buber und die zionistische Bewegung s. Martin Treml,

MBW 9 (02685) / p. 15 / 12.10.2018

Einleitung

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zeichnend auch: Unter dem Stichwort »Wien« gibt es in den Autobiographischen Fragmenten Fingerzeige vor allem auf das Burgtheater: auf die Welt der hier aufgeführten Dramen, des »›richtig‹ gesprochenen Menschenworts«, »der Fiktion aus Fiktion«. 10 All dies schlägt den jungen Buber in seinen Bann. Sichtbarer Ausdruck dieser frühen Auseinandersetzung mit der europäisch-christlich geprägten Kultur ist Bubers 1904 an der Universität Wien in den Fächern Philosophie und Kunstgeschichte abgelegte Promotion. Die eingereichte Dissertation über zwei christliche Denker, Nikolaus von Kues (1401-1464) und Jakob Böhme (1575-1624), trägt den Titel Beiträge zur Geschichte des Individuationsproblems. Vor allem aber seine seit 1904 erfolgenden Studien zur Geschichte der Mystik zeigen, wie breit Buber in dieser Zeit kultur- und religionsgeschichtlich orientiert ist. Das findet seinen besonderen Ausdruck in dem 1909 erstmals vorgelegten Buch Ekstatische Konfessionen. 11 Zwar nimmt Buber in diesem Band zur Dokumentation mystischer Erfahrungen auch Texte aus der Welt Indiens, Chinas und des Orients auf; es dominieren aber Zeugnisse europäisch-christlicher Mystik vom 12. bis zum 19. Jahrhundert. Illustre Namen sind darunter: Hildegard von Bingen (1098-1179), Mechthild von Magdeburg (ca. 1207-1282), Mechthild von Hackeborn (1241-1299), Heinrich Seuse (1295/1297-1366), Brigitta von Schweden (1303-1373), Katharina von Siena (1347-1380), Katharina von Genua (1447-1510) und Katharina Emmerich (1774-1824); eine Auswahl, die allerdings, wie Buber freimütig eingesteht, weniger einer Präferenz für das Christliche als vielmehr mangelnder Sprachkenntnis geschuldet ist. 12 Die Beschäftigung mit der nichtjüdischen Mystik gibt Buber später auf, als sich im Laufe des Ersten Weltkriegs seine dialogische Philosophie herauszubilden beginnt. 13 Zum anderen setzt bei Buber in dieser Phase gleichzeitig eine neue Hinwendung zum Judentum ein. Unter dem Eindruck der Lektüre einer

10.

11. 12. 13.

Einleitung, MBW 1, S. 35-39: »Philosophische Einflüsse«; sowie Barbara Schäfer, Einleitung, MBW 3, S. 25-28: »Die Jüdische Renaissance im Schatten Nietzsches«. Zur Wiener Zeit s. Martin Buber, Autobiographische Fragmente, S. 20 f.; außerdem die Abschnitte »Wiener Literaten« (S. 24-29) und »Studien und Lehrer« (S. 29-35) in Martin Tremls Einleitung zu MBW 1 sowie die Abschnitte »Frühe biographische Zusammenhänge« und »Hugo von Hofmannsthal« in Asher Biemanns Einleitung zu MBW 6. Ekstatische Konfessionen – Gesammelt von Martin Buber, Jena: Eugen Diederichs 1909. Vgl. Martin Buber, Ekstatische Konfessionen, 5. Aufl., Heidelberg: Lambert Schneider 1984, S. XIX. Vgl. Paul Mendes-Flohr, Nachwort, in: Martin Buber, Ekstatische Konfessionen, 5. Aufl., Heidelberg: Lambert Schneider 1984, S. 249 f.

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Einleitung

Essaysammlung von Achad Haam (1856-1927) sowie des Wirkens von Theodor Herzl (1860-1904; 1896 erscheint dessen programmatische politische Schrift Der Judenstaat) schließt sich Buber bereits als Student in Leipzig 1898/99 durch Gründung eines Vereins jüdischer Studenten und einer zionistischen Ortsgruppe der Bewegung des Zionismus an, ohne sich von vorneherein ausschließlich mit dessen politischen Zielen zu identifizieren. 14 Vielmehr wird Buber zum wichtigsten Sprecher kulturzionistischer Bestrebungen. Sie zielen ab auf eine Überwindung der Auszehrung jüdischer Identität und eine kulturelle Erneuerung durch Bewusstwerdung der geistigen und ethischen Werte des jüdischen Volkes. Neben der Schaffung eines geistigen Zentrums in Palästina, dessen Ausstrahlung eine Renaissance des jüdischen Geistes in der Diaspora befördern sollte, geht es den Kulturzionisten vor allem um »Gegenwartsarbeit«, um Stärkung des jüdischen Gemeinschaftsbewusstseins und um Förderung einer eigenständigen kulturellen Identität in Deutschland. Die Befreiung, die der Zionismus für ihn bedeutet, fasst Buber denn auch in die folgenden Worte: »Wiederherstellung des Zusammenhangs«, »erneute Einwurzelung in die Gemeinschaft«, »rettende Verbindung mit einem Volkstum«. Keiner bedürfe all dessen so sehr, »wie der vom geistigen Suchen ergriffene, vom Intellekt in die Lüfte entführte Jüngling; unter den Jünglingen dieser Art und dieses Schicksals aber keiner so sehr wie der jüdische«, so Buber schon in der Rückschau auf seinen Weg zum Chassidismus (1918). In der Tat ist insbesondere der Chassidismus, eine mystisch-charismatische Frömmigkeitsbewegung im osteuropäischen Judentum seit dem 18. Jahrhundert, eine der großen Entdeckungen Bubers im Prozess kulturzionistischer Erneuerung. Hier glaubt er, die unverbrauchte »Seelenkraft des Judentums« gefunden zu haben. »Urjüdisches« sei ihm, wie er meint, in den Texten der chassidischen Meister aufgegangen, das »im Dunkel des Exils zu neu bewußter Äußerung aufgeblüht« sei: »die Gottes-Ebenbildlichkeit des Menschen als Tat, als Werden, als Aufgabe gefaßt«. »Urjüdisches«, das für Buber zugleich »Urmenschliches« ist, »der Gehalt menschlichster Religiosität« schlechthin. 15 1906 beginnt Buber mit einer ersten Edition chassidischer Texte: Die Geschichten des Rabbi Nachman, gefolgt von Die Legende des Baalschem (1908). Und mit diesen Dokumenten »im Rücken« geht Buber dann auch in die Auseinandersetzung mit »dem Christentum«. Sie ha14. Hintergründe und Zusammenhänge bei Barbara Schäfer, Einleitung, MBW 3, S. 20 ff. 15. Alle Zitate in diesem Abschnitt stammen aus Martin Buber, Mein Weg zum Chassidismus, S. 16 f. u. 19.

MBW 9 (02685) / p. 17 / 12.10.2018

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ben sein Selbstbewusstsein als genuin jüdischer Denker in besonderer Weise gestärkt. 16 Erster Höhepunkt einer durch Buber nun programmatisch vollzogenen »jüdischen Renaissance« sind die drei in Prag 1909 und 1910 gehaltenen Reden über das Judentum. 17 Dabei ist für unseren Zusammenhang entscheidend: Die geistige Neubestimmung des Judentums ist bei Buber zugleich eine Auseinandersetzung mit den Ursprüngen des Christentums. Wir fassen in diesen Reden erstmals programmatische Äußerungen zum Urchristentum und zur Gestalt Jesu – in scharfer Abgrenzung zu dem, was Buber schon jetzt und künftig pauschal »das Christentum« nennt, worunter er einen von jüdischem Wurzelboden abgelösten, unter den Bedingungen der hellenistisch-römischen Kultur gewachsenen geschichtlichen Komplex versteht. »Ur-Christentum« und die Gestalt Jesu aber werden von Buber jetzt und künftig ausschließlich von ihren jüdischen Voraussetzungen her verstanden. Ur-Christentum (als »Geistesrevolution« in einer Zeit des immer starreren und lebensfremderen »Zeremonialgesetzes«) müsse eigentlich »Ur-Judentum« heißen, erklärt Buber in seiner dritten Prager Rede »Die Erneuerung des Judentums«, denn es habe »mit dem Judentum weit mehr als mit dem zu schaffen, was man heute als Christentum« bezeichne.18 Buber spitzt seine mittlerweile gewonnenen Einsichten in dieser Rede so zu: »Was an den Anfängen des Christentums nicht eklektisch, was daran schöpferisch war, das war ganz und gar nichts anderes als Judentum. Es war jüdisches Land, in dem diese Geistesrevolution entbrannte; es waren uralte jüdische Lebensgemeinschaften, aus deren Schoße sie erwacht war; es waren jüdische Männer, die sie ins Land trugen; die, zu denen sie sprachen, waren – wie immer wieder verkündet wird – das jüdische Volk und kein anderes; und was sie verkündeten, war nichts anderes als die Erneuerung der Religiosität der Tat im Judentum. Erst im synkretistischen Christentum des Abendlandes ist der dem Okzidentalen vertraute Gl au be zur Hauptsache geworden; im Mittelpunkt des Urchristentums steht d i e Tat . […] Und können wir nicht denen, die uns neuerdings eine ›Fühlungnahme‹ mit dem Christentum anempfehlen, antworten: Was am Christentum schöpferisch ist, ist nicht Christentum, sondern Judentum, und damit br a u chen wir nicht Fühlung zu nehmen, brauchen es nur in uns zu erkennen und in Besitz zu nehmen, denn wir tragen es unverlierbar in uns; was aber am Christentum nicht Judentum ist, 16. Neben der bereits genannten Einleitung Barbara Schäfers zu MBW 3 vgl. auch: Gilya G. Schmidt, Martin Buber’s Formative Years. From German Culture to Jewish Renewal (1897-1909), Tuscaloosa u. London 1995; dies., The First Buber. Youthful Zionist Writings of Martin Buber, Syracuse u. New York 1999. 17. Martin Buber, Drei Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911, zuletzt in: MBW 3, S. 219-256. 18. Ebd., MBW 3, S. 247.

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das ist unschöpferisch, aus tausend Riten und Dogmen gemischt, – und damit – das sagen wir als Juden und als Menschen – wo lle n wir nicht Fühlung nehmen. Freilich dürfen wir dies nur antworten, wenn wir den abergläubischen Schrecken, den wir vor der nazarenischen Bewegung hegen, überwinden und sie dahin einstellen, wohin sie gehört: in die Geistesgeschichte des Judentums.« 19

»Abergläubischer Schrecken vor der nazarenischen Bewegung«. »Nicht Fühlung nehmen«. Der frühe Buber bedient sich nicht selten gezielt einer kämpferischen Sprache, deren psychologische Funktion vor einem jüdischen Publikum im Prozess des Ringens um eine eigene Identität offensichtlich ist. Wer Schrecken beschwören muss, weiß um die Angst von Minderheitskulturen in Mehrheitsgesellschaften. Wer das Christentum zur »nazarenischen Bewegung« verkleinert, auf einen unschöpferischen, weil angeblich synkretistischen Mix aus »tausend Riten und Dogmen« reduziert und in seinen Ursprüngen »in die Geistesgeschichte des Judentums« verweist, der beschwört mehr als er argumentiert, weil das Gegenüber von geschichtlicher Übermächtigkeit ist. Anlass und Adressat dieser »Reden« muss man denn auch stets im Blick behalten. Grete Schaeder, der wir ein erhellendes Kapitel über Bubers »Gespräch mit dem Christentum« schon aus dem Jahr 1966 verdanken, hat deshalb wohl Recht mit der Feststellung, dass Buber den distanzierenden Satz von der Zurückweisung der »Fühlung« zwar »nie zurückgenommen« hat, aber in späteren Jahren auch »nicht mehr ausgesprochen hätte«. 20 Der Satz hat 1910 vor jüdischem Publikum sichtlich die Funktion, angesichts einer jahrhundertealten Geschichte des christlichen Antijudaismus – so der evangelische Theologe Ekkehard Stegemann – den »Spieß« gewissermaßen »umzudrehen«: »Wenn die Christen den Juden das Christentum als Erfüllung und damit zugleich als Überwindung und Aufhebung des Judentums empfohlen haben, dann hat Buber dem entgegengehalten: ›Was am Christentum schöpferisch ist, ist nicht Christentum, sondern Judentum […]!‹ Ebendies bestimmt nun einerseits das Selbstbewußtsein, das Buber als Jude gegenüber den Christen aufbringen kann. Andererseits bestimmt es aber auch seinen Respekt vor dem Christentum, das ja 19. Ebd., S. 247 ff. 20. Grete Schaeder, Martin Buber. Hebräischer Humanismus, Göttingen 1966, S. 327. Bemerkenswert ist ein Brief Bubers an Hans Blüher (1888-1955) vom 19. Januar 1955, in dem er auf seine frühere Äußerung (»Was am Christentum schöpferisch ist, ist nicht Christentum, sondern Judentum«) selbstkritisch eingeht: »Für meine Ansicht zum Verhältnis zwischen Judentum und Christentum zitieren Sie (ungenau: ich sage nicht ›gut‹, sondern ›schöpferisch‹) eine Äußerung von 1909. Im Interesse eines wirklichen gegenseitigen Verständnisses möchte ich empfehlen, statt einer so unreifen Formulierung sich ein Bild von meiner Ansicht zu jenem Verhältnis etwa aus meinem Buch ›Zwei Glaubensweisen‹ von 1950 zu machen« (B III, S. 390 f.).

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mit seinem Stifter, Jesus von Nazareth, das Ur-Judentum im Herzen trägt. Schließlich erklärt sich aber auch von hierher, wo Bubers Kritik am Christentum ansetzt.« 21

3. »Urchristentum« und »Wesen des Christentums« im Streit von Juden und Christen Mit solchen Bemühungen jüdischer Selbstbehauptung steht Buber in seiner Zeit keineswegs allein. Sein Versuch muss im Kontext der Gesellschaft des wilhelminischen Deutschland gesehen werden, insbesondere in dem Versuch von Vertretern der Wissenschaft des Judentums, sich gegenüber einer kulturell und gesellschaftlich dominierenden christlichen, namentlich »protestantischen« Theologie zu behaupten. 22 Hier kommt der Debatte über das »Wesen des Christentums« eine Schlüsselrolle zu, angestoßen durch das gleichnamige, 1900 veröffentlichte Buch eines der damals einflussreichsten Repräsentanten des deutschen Kulturprotestantismus, des Berliner Kirchen- und Dogmenhistorikers Adolf von Harnack (18511930). Denn schon Harnack hatte das Wesen des Christentums von der Verkündigung des geschichtlichen Jesus her zu bestimmen versucht und damit in Frontstellung zu einem kirchlich erstarrten Traditionalismus und verkopften Dogmatismus gebracht. Harnacks Gegner waren die Orthodoxen seiner eigenen Kirche. Ihnen stellt er mit den Mitteln historischer Kritik das »einfache Evangelium« Jesu vor Augen als Befreiung von einer verkrusteten, leb- und kraftlos gewordenen Religiosität. Die Tragödie aber: Dieser innerchristliche Befreiungsprozess war zugleich nicht nur ein radikales Nein zum Judentum zurzeit Jesu, sondern zugleich auch ein Nein zum Judentum als solchem. 23 Harnack spielt die Verkündigung Jesu gegen den zeitgenössischen »Pharisäismus« aus, der als düstere, dunkle Folie zur jesuanischen Botschaft herhalten muss. 24 21. Ekkehard Stegemann, Einleitung, in: Christentum aus jüdischer Sicht. Fünf jüdische Denker des 20. Jahrhunderts über das Christentum und sein Verhältnis zum Judentum, hrsg. von Fritz A. Rothschild, Berlin 1998, S. 123-133, Zitat S. 128. 22. Zu Einzelheiten s. Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland. Ein Schrei ins Leere?, Tübingen 1999 sowie Michael Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, aus dem Englischen von Holger Fliessbach, München 2000. 23. Vgl. Erich Zenger, Der jüdische Grund des Christentums – Harnacks Sicht des Judentums und die theologische Wiederentdeckung des Judentums nach der Schoah, in: Das Wesen des Christentums, hrsg. von Jan Rohls [u. a.], Göttingen 2003, S. 99122. 24. Vgl. Adolf von Harnack, Das Wesen des Christentums (1900). Mit einem Geleitwort von Rudolf Bultmann, München u. Hamburg, Neuausgabe 1964, bes. S. 40 f.

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Für diese Botschaft gelten Umschreibungen wie Reinheit, Ernst, frische Quelle, Kraft. Für das Judentum zurzeit Jesu benutzt Harnack Ausdrücke wie Sand, Schutt, Trümmer, schwächlich, schädlich. Der Eindruck soll erweckt werden: Einem mit Traditionsballast (»Schutt«) beladenen, ja auf den Ruinen einstiger Größe (»Trümmer«) lebenden, schwächlich gewordenen Judentum, dem die »Theologie nur das Mittel« ist, »um die Religion zu beseitigen«, aufs Ganze gesehen also einer eher schädlichen Form der Religion stellt Jesus ein helles, klares, frisches Evangelium entgegen. Wir werden bei Bubers Auseinandersetzung mit dem »Pharisäismus« auf die Sachproblematik zurückzukommen haben. Eine Antwort von jüdischer Seite hatte Harnack schon 1901 durch den Rabbiner Leo Baeck (1873-1956) bekommen. 1905 legt dieser einen eigenen Entwurf zum »Wesen des Judentums« vor, bevor er 1912 als Rabbiner nach Berlin kommt und dort auch als Dozent an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums arbeitet, dem Rabbinerseminar des liberalen Judentums in Deutschland. Schon Baeck hatte 1901 in seiner Antwort an Harnack Jesus als einen »echt jüdischen Charakter« bezeichnet, als eine »echt jüdische Persönlichkeit«: »Er war ein Jude unter Juden; aus keinem anderen Volke hätte ein Mann wie er hervorgehen können, und in keinem anderen Volke hätte ein Mann wie er wirken können. […] Diesen Mutterboden der Persönlichkeit Jesu hat Harnack nicht in den Blick genommen.«25 Und schon Baeck hatte mit solchen Urteilen einen Prozess der geschichtlichen Neubewertung der Figur Jesu im neuzeitlichen Judentum fortgeführt, der im 19. Jahrhundert mit Abraham Geiger (1810-1874), dem eigentlichen Schöpfer einer wissenschaftlichen Theologie des Judentums, begonnen hatte. Der Neutestamentler Gösta Lindeskog (1904-1984) hat ihn schon 1938 in einer wegweisenden Monographie Die Jesusfrage im neuzeitlichen Judentum ausführlich beschrieben.26 Dieser Prozess führt gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu

25. Leo Baeck, Harnacks Vorlesung über das Wesen des Christentums (1901), in: Christentum aus jüdischer Sicht. Fünf jüdische Denker des 20. Jahrhunderts über das Christentum und sein Verhältnis zum Judentum, hrsg. von Fritz A. Rothschild, Berlin u. Düsseldorf 1998, S. 55-85, Zitat S. 57. Zum Verhältnis Buber – Baeck vgl. Ralf Koerrenz, Gott und die Philosophie der Beziehung. Die Gefährtenschaft von Martin Buber und Leo Baeck, in: Martin Buber: Bildung, Menschenbild und Hebräischer Humanismus. Mit der unveröffentlichten deutschen Originalfassung des Artikels »Erwachsenenbildung« von Martin Buber, hrsg. von Martha Friedenthal-Haase u. Ralf Koerrenz, Paderborn 2005, S. 77-95. 26. Gösta Lindeskog, Die Jesus-Frage im neuzeitlichen Judentum. Ein Beitrag zur Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (1938). Mit einem Nachwort zum Nachdruck, Darmstadt 1973.

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bahnbrechenden Jesus-Büchern jüdischer Gelehrter wie Claude G. Montefiore (1909) 27 oder Joseph Klausner (1922)28 .

4. Bubers Bild von Jesus Auch Bubers Jesus-Bild muss vor dem Hintergrund dieser folgenreichen kultur- und wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung gesehen werden, und ohne diesen Hintergrund sind die ersten beiden Dokumente in diesem Band, »Lebte Jesus?« (1910) und »Eine Feststellung« (1914), nicht zu verstehen.29 Buber registriert, dass seine »Anschauungen vom ›Urchristentum‹« missverstanden worden waren, und reagiert kämpferisch. Er formuliert schon 1914 Einsichten und Überzeugungen, an denen er – bei allen Wandlungen in Ton und Stil – der Sache nach auch künftig festhalten wird: Erstens: Das Urchristentum ist eine radikaljüdische Bewegung. Sie ist Buber wichtig, nicht weil, sondern obwohl sie im Christentum mündete, in einem Christentum, in dem »alle jüdischen Elemente nicht entfaltet, sondern entstellt« worden seien. In einem programmatischen Aufsatz über »Jüdische Religiosität« nur zwei Jahre später, 1916, spitzt Buber diesen Gedanken zu und spricht davon, dass das Urchristentum für eine Erneuerung des Judentums in dem Moment verloren gegangen sei, als es den »großen Gedanken«, nämlich »die Idee der gotterobernden Umkehr«, zum »gnadenreichen Anschluß an den Christus verengerte«. 30 Zweitens: Zu unterscheiden ist zwischen Jesus als glaubendem Menschen, als Subjekt seiner eigenen Religiosität, und Jesus als Objekt von Religiosität, als »Gegenstand« des Glaubens. Jesu Religiosität ist für Buber geprägt vom Judentum seiner Zeit. Insofern ist sie Juden tief vertraut. Die »Objektivierung« Jesu als Glaubensinhalt und -gegenstand dagegen bezeichnet Buber schon 1914 als für Juden »auf immer unüberwindlich fern und fremd«. 1916 spricht er in dem genannten Aufsatz davon, dass die urchristliche Bewegung für Juden in dem Moment »unfruchtbar« geworden sei, »als sie aus der wahrhaft jüdischen Verkündigung Jesu, jeder könne durch unbedingtes Leben Gottes Sohn werden, die Lehre machte, allein der Glaube an den eingeborenen Sohn Gottes könne dem Menschen die Ewigkeit gewinnen.«31 27. 28. 29. 30. 31.

Claude G. Montefiore, The Synoptic Gospel, London 1909. Joseph Klausner, Jesus von Nazareth, hebr. Ausg. 1922. In diesem Band, S. 75 f. Martin Buber, Jüdische Religiosität (1916), in: JuJ, S. 65-78, Zitat S. 75. Ebd., S. 66-69.

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Drittens: Die unüberwindliche Ferne und Fremdheit wird von Buber in dieser Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg mit geradezu militärischen Bildern zum Ausdruck gebracht: kein »Frieden«, kein »Waffenstillstand«. Ein scharfer Antagonismus wird sichtbar zwischen »reinen, ganzen Juden« sowie der »weltbeherrschenden christlichen Kirche«. Ein Antagonismus, der dadurch entsteht, dass Buber der Kirche die »Usurpation jüdischen Urbesitzes« vorwirft im Bewusstsein des »ewigen Anspruchs« des Judentums, selbst »die wahre E k k l e s i a , die Gemeinde Gottes zu sein«.32 Dieses demonstrative Selbstbewusstsein hat mit dem ständig neu geforderten Legitimationsnachweis jüdischer Denker angesichts einer christlichen Mehrheitskultur zu tun. Es ist ein »Schrei« nach Anerkennung, der freilich vielfach »ins Leere« geht, weil er von der Gegenseite überhört oder nicht ernst genommen wird. Jüdische Denker sind immer wieder neu gezwungen – so Christian Wiese in seiner Untersuchung aus dem Jahre 1999 – »gegen Vereinnahmung, missionarische Intentionen und exklusive Wahrheitsansprüche« ihr eigenes zu setzen 33 und mit eigenem argumentativem Gewicht dem Christentum die Legitimationsfrage zu stellen – 2000 Jahre christlicher Dominanz hin oder her. Buber tut genau dies. Indem er Jesus ganz für das Judentum reklamiert, entzieht er faktisch dem christlichen Glauben die Legitimationsbasis, sich auf Jesus als den Christus zu berufen. Kann man, wird später der evangelische Theologe Gerhard Ebeling (1912-2001) in selbstkritischer Auseinandersetzung mit Buber fragen, »den christlichen Glauben radikaler in Frage stellen, als wenn man ihn im Namen Gottes um des Glaubens willen unter Berufung auf Jesus in Frage stellt?« 34 Die scharfen Abgrenzungen hindern Buber freilich nicht daran, im selben Jahr 1914 im Rahmen einer eindrücklichen Betrachtung des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald (1475/80-1528) im elsässischen Colmar eine besondere Christus-Meditation vorzulegen,35 und zwar in Anwendung dessen, was man Bubers »Einheitslehre« genannt hat. Gemeint ist das Bemühen, die in der Moderne entstandene Spaltung der Welt in Religiöses und Nichtreligiöses zu überwinden und Gottes Wirklichkeit in der Welt erfahrbar zu machen. 36 Im »Auferstehungsbild« Grünewalds 32. Für die Zitate s. in diesem Band, S. 76. 33. Christian Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie, S. 363. 34. Gerhard Ebeling, Zwei Glaubensweisen? (1961), in: Ders., Wort und Glaube, Bd. III, Tübingen 1975, S. 236-245, Zitat S. 239. 35. Martin Buber, Die Fahrt. Der Altar (1914), in: MBW 1, S. 249-252. 36. Genaueres zum Hintergrund s. Paul Mendes-Flohr, Von der Mystik zum Dialog. Martin Bubers geistige Entwicklung bis hin zu »Ich und Du«, Königstein i. T. 1978, S. 68-77, bes. S. 72-74.

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erkennt Buber, dass dieser Christus sämtliche Farben in sich vereinigt und verklärt hat. Er trägt die Vielheit der Welt buchstäblich gen Himmel. Es ist dieselbe Zeit, in der Buber sich mit dem Plan trägt, selbst ein Buch über Jesus und das Urchristentum zu schreiben,37 kann er sich doch in seinem Jesus-Verständnis nicht nur von jüdischen, sondern auch von christlichen Theologen bestätigt sehen. Insbesondere von Albert Schweitzer (1875-1965), dessen Wirken Buber stets höchsten Respekt entgegenbringen wird. 38 Zu dessen 80. Geburtstag wird er ihm ein kleines Portrait widmen unter dem Titel »Ein Realist des Geistes« (1955), nachzulesen in diesem Band. Noch im Alter – so Grete Schaeder in ihrem biographischen Abriss zur Briefausgabe 1972 – soll Buber gesagt haben, man müsse bei den Schriften Schweitzers ansetzen, wenn man sein Verhältnis zum Christentum verstehen wolle. 39 Zu nennen sind vor allem Schweitzers frühe wissenschaftlich-theologische Arbeiten: seine Straßburger Promotion aus dem Jahr 1900 Das Abendmahlsproblem aufgrund der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts und der historischen Berichte (erschienen 1901) sowie seine Straßburger Habilitation an der Fakultät für evangelische Theologie Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu (1902). Wichtig für Buber ist, dass Schweitzer die Botschaft und das Messiasbewusstsein Jesu aus der Erwartung erklärte, dass das Reich Gottes unmittelbar bevorstehe. Denn auch Buber versteht »die Gestalt Jesu aus der Botschaft vom Gottesreich und aus dem Leidensgeheimnis des Gottesknechts bei Deuterojesaja«.40 Gemeint ist damit das 53. Kapitel des Jesaja-Buches, in dem von einem leidenden, sterbenden und die »Sünden von vielen« als Sühneopfer auf sich nehmenden »Knecht Gottes« die Rede ist, den nach Bubers Überzeugung Jesus »messianisch« gedeutet und auf sich bezogen hat. In der Rückschau des Jahres 1955 hat Buber selbst festgehalten, was er dem JesusVerständnis Albert Schweitzers verdankt: »Ich hatte Schweitzer 1901 und 1902 durch eine Abhandlung über das Abendmahlsgeheimnis kennengelernt, die mir einen tiefen Eindruck machte, weil sie Jesus mit Mysterien des jüdischen Glaubens in nahe Verbindung brachte.« 41

37. Vgl. Martin Buber, Brief an Ernst Elijahu Rappeport vom 28. September 1911, in: B I, S. 301 f. 38. Vgl. Lothar Stiehm, Geben, Nehmen, Miteinander. Martin Buber und Albert Schweitzer 1901-1965, in: Ich und Du – Mensch und Gott. Gespräche mit Martin Buber, hrsg. von Werner Zager, Neukirchen-Vluyn 2006, S. 115-146. 39. Vgl. Grete Schaeder, Martin Buber. Ein biographischer Abriss, in: B I, S. 19-141, Zitat S. 88. 40. Ebd. 41. In diesem Band, S. 326.

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5. »Für Jesus und gegen das Christentum kämpfen« Wer wie Buber schon 1914 der »weltbeherrschenden christlichen Kirche« die »Usurpation jüdischen Urbesitzes« vorgeworfen und zugleich am »ewigen Anspruch« des Judentums festgehalten hatte, die »wahre E k k l e s i a , die Gemeinde Gottes«, zu sein, der musste alle in der christlichen Mehrheitsgesellschaft immer wieder neu aufkommenden, »beleidigenden Zumutungen« entschieden zurückweisen, Juden könnten in Deutschland nur dann gute Staatsbürger sein, wenn sie sich zum Christentum bekehrten. 1917 nimmt Buber deshalb mit dem Beitrag »Der Preis« zur so genannten »Judenfrage« Stellung und erklärte unmissverständlich, dass man in Deutschland beides zugleich sein könne: in vollem Sinne Staatsbürger und Angehöriger des jüdischen Volkes. Jegliches Ansinnen an Juden, einen »Teil ihrer religiösen Empfindungen aufzugeben«, etwa durch Bekehrung zum Christentum, und zwar als »Bedingung für den Eintritt der vollkommenen Gleichberechtigung«, lehnt Buber unmissverständlich ab. Für Juden gebe es eine »innere Anschauung des Geschlechterzusammenhangs sub specie aeternitatis«, meint er. Diesen könne man aus dem Judentum, ohne dessen Bau zu erschüttern, so wenig reißen, »wie die Person Christi aus dem Christentum«. Von daher versteht sich Bubers Selbstverständnis als Angehöriger dieses »Geschlechterzusammenhangs«, den er um keinen Preis der Welt aufzugeben gedenkt: »Wer sich nicht er i nner t , daß Gott ihn aus Ägypten geführt hat, wer nicht den Messias er w ar te t , ist kein wahrhafter Jude mehr. Diese Erinnerung und diese Erwartung bilden jenen Teil unserer religiösen Empfindungen, dessen Aufgabe Scheffler als Preis für die ›vollkommene Gleichberechtigung‹ fordert, die uns, wie er selbst erklärt, ›nicht versagt werden kann‹. Nun denn, diesen Preis werden wir ni ema ls zahlen.«42

Im Gegenteil. In zahlreichen Schriften während des Ersten Weltkriegs und danach präzisiert Buber immer stärker seine jüdische Interpretation der Botschaft Jesu. In »Der Geist des Orients und das Judentum« (1916) ist davon die Rede: »Die Schwungkraft der Botschaft Jesu ist die altjüdische Forderung der unbedingten Entscheidung, die den Menschen wandelt und ins Gottesreich hebt. Und sie ist die Schwungkraft des Christentums geblieben, auf die es zurückgriff, so oft es sich erneuern wollte – und wenn es sich noch so sehr zu entjuden vermeinte.« 43 42. In diesem Band, S. 80. 43. Martin Buber, Der Geist des Orients und das Judentum, in: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte von Martin Buber, München: Kurt Wolff Verlag 1916, S. 9-48; aufgenommen in u. hier zitiert aus: JuJ, S. 45-63, Zitat S. 56.

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Das Schicksal des Urchristentums aber? In seinem schon genannten Aufsatz »Jüdische Religiosität« aus demselben Jahr sieht Buber es so: »Das Urchristentum aber war für eine Erneuerung des Judentums verloren, als es sich selber untreu wurde und den großen Gedanken, der es emporgetragen hatte, die Idee der gotterobernden Umkehr, zum gnadenreichen Anschluß an den Christus verengerte: – damals gewann es die Völker und gab das Judentum preis, indem es das Gefüge seiner Gemeinschaft sprengte. Das Christentum ist von da aus zur Herrschaft über die Völker aufgestiegen, das Judentum in Erstarrung, Erniedrigung, Entartung gesunken; aber sein Kern hat unerschütterlich den Anspruch gewahrt, die wahre Ekklesia, die treu gebliebene Gemeinde der göttlichen Unmittelbarkeit zu sein.« 44

Nur ein Jahr später, 1917, kann Buber in einem Brief an den aus Prag stammenden Schriftsteller Franz Werfel (1890-1945) den Unterschied zwischen Judentum und Christentum in bisher nicht erreichter Klarheit und Schärfe zusammenfassen. Dieser Brief ist ein Schlüsseldokument für Bubers Einstellung zum Christentum zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Er verdient deshalb, ausführlicher zitiert zu werden: »Die großen Christen, Paulus, Augustinus, Thomas, Luther, meinten alle, was dieser letzte derb und deutlich heraussagte: Gott sei denen feind, die ›durch ihre eigene Vermessenheit sich selbst reinigen wollen‹. Und dagegen steht das jüdische Wort, mehr als tausend Jahre älter als Luther, aber wie ein Fels gegen das seine aufgerichtet: ›Wer sich zu reinigen kommt, dem stehen sie bei‹ [Talmudtraktat, ›Schabath‹, 104a]. Sie, die hilfreichen Gottesmächte. Welches dieser zwei Worte ist für die Wahrheit? Ich meine, es ergeht Ihnen wie mir: Gott offenbart sich in Ihrem Werdenwollen, nicht in Ihrem Harren auf Gnade. Und sage ich damit wirklich nur etwas über mich und Sie aus? Wenn Gott meiner bedarf, bedarf er meiner um ihn zu erwarten, oder um ihn zu bereiten? Und wie könnte ich es fassen, was die Christen so leicht fassen können, daß Gott meiner nicht bedürfe! Daß ich zum Spiel gemacht sei und nicht zu einer Vollendung! Nicht ich warte, Gott wartet, daß er zu mir, zu Ihnen, zu jedem einzigen Menschen sagen könne, was nach dem Bericht des Hebräerevangeliums der Geist zu Jesus sprach, als er ihn in der Taufe zur Sohnschaft erhob: Fili mi, in omnibus prophetis exspectabam te, ut venires et requiescerem in te. Tu enim es requies mea. [Mein Sohn, in allen Propheten habe ich Dich erwartet, daß Du kommest und ich Ruhe fände in Dir. Du bist nämlich meine Ruhe.] Nein, lieber Freund, auferlegt ist uns von Gott gar nichts, erwartet wird alles. Und Sie sagen mit Recht: Es steht uns frei, ob wir das wahre Leben leben wollen: um ihn in unserer Einzigkeit zu vollenden. Aber nach der christlichen Lehre, die Jesu Sinn und Grund verkehrt hat, steht es uns nicht frei, sondern es hängt davon ab, ob wir erwählt sind. Unsere Lehre aber ist: es gilt nicht, ob Er mich erwählt hat, sondern daß ich Ihn erwähle. Denn es ist wahrhaftig nicht seine 44. Martin Buber, Jüdische Religiosität, in: JuJ, S. 73.

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Sache, zu erwählen und zu verwerfen. Jene Lehre aber, die sich die christliche nennt, hindert den Menschen, indem sie ihn auf die Gnade verweist, an der Entscheidung, die Jesus verkündete metanoeite und von der wir uns einst in den Straßen der Stadt Leipzig (zu einer Zeit, als ich noch nicht am bittern Erleben ihre Tiefe erkannt hatte) unterredeten. Darum will und werde ich für Jesus und gegen das Christentum kämpfen.«45

»Für Jesus und gegen das Christentum kämpfen«: Deutlich wird vollends, was Buber in dieser Phase unter Christentum versteht. Es ist vor allem anderen ein bestimmtes Verständnis von Gnade, für das Buber von Paulus über Augustinus bis hin zu Luther die größten unter den christlichen Theologen verantwortlich macht und das aus seiner Sicht bei Christen einer Haltung der Passivität, des Erwartens und Harrens Vorschub leistet. Buber dagegen beruft sich auf Jesus, um das spezifisch Jüdische – in der Tradition der großen Propheten – in der Aktivität, in der Wahl, in der Entscheidung für Gott zu sehen: »Werdenwollen, nicht Harren auf Gnade«. Das, was Buber »christliche Lehre« nennt, hat für ihn »Jesu Sinn und Grund verkehrt«! Mehr noch: Jene »christliche Lehre« hindere den Menschen »an der Entscheidung, die Jesus verkündete«, indem sie ihn »auf die Gnade verweist«.

6. »Die Welt ist unerlöst« Ablehnung der Messianität Jesu Doch nicht nur im Verhältnis von Tat und Gnade sieht Buber einen entscheidenden Trennungspunkt zwischen einem jüdischen und einem christlichen Verständnis Jesu, sondern auch in der Frage der Messianität. Buber geht hier in doppelter Hinsicht auf Distanz zur christlichen Position. Zum einen befremdet ihn, dass Jesus selbst das messianische Geheimnis des nach Jes 53 verborgenen »Gottesknechtes« öffentlich gemacht hat, indem er es auf sich bezogen habe. 1928 nimmt er in einem Geleitwort zu Die chassidischen Bücher dazu Stellung, eine Position, die er noch nach dem Zweiten Weltkrieg verteidigen muss (»Christus, Chassidismus, Gnosis«, 1954)46 : »Man muß in die Tiefen dieses in keinem Bekenntnis zusammengeschloßnen, aber aus den Zeugnissen erweislichen Glaubens hinabsteigen, um das Verhältnis des Judentums zur Erscheinung Jesu wahrhaft zu verstehn. Was auch seine Erscheinung der Völkerwelt bedeutet (und ihre Bedeutung für die Völkerwelt bleibt für mich 45. Brief an Franz Werfel vom 17. März 1917, in: B I, S. 483 f. 46. In diesem Band, S. 313-319.

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der eigentliche Ernst der abendländischen Geschichte), vom Judentum aus gesehn ist er der erste in der Reihe der Menschen, die, aus der Verborgenheit der Gottesknechte, dem wirklichen ›Messiasgeheimnis‹, tretend, in ihrer Seele und in ihrem Wort sich die Messianität zuerkannten. Daß dieser Erste – wie ich immer wieder erfahre, wenn sich mir die personhaft klangechten Worte zu einer Einheit fügen, deren Sprecher mir schaubar wird – in der Reihe der unvergleichlich Reinste, Rechtmäßigste, mit wirklicher messianischer Kraft Begabteste war, ändert nichts an dem Faktum dieser Erstheit, ja, es gehört wohl eben dazu, gehört zu dem furchtbar eindringlichen Wirklichkeitscharakter der ganzen automessianischen Reihe.« 47

Jesus als »Automessias«. Jesus somit als derjenige Jude, der sich als erster Messianität zuerkennt. Das Befremden ist bei allem Respekt für Jesu Person unverkennbar, zumal Buber sich nicht scheut, die Reihe der »Automessiasse« im Judentum bis hin zu einer so fragwürdigen Gestalt wie Sabbatai Zwi (1626-1676) durchzuziehen. An der zitierten Stelle fährt er nicht zufällig fort: »Dazu gehört es auch wohl, daß der letzte in der Reihe – jener Sabbatei Zwi, der im gleichen Jahr wie Spinoza starb – der tiefsten Problematik verfiel, aus der redlichen Selbstgewißheit in eine gespielte hinüberglitt und im Abfall endete.«48

Später in seinem Werk wird Buber Jesus noch einmal mit einer positiven, einer geradezu heiligen Gestalt aus dem chassidischen Judentum kontrastieren, nachzulesen im Nachwort zur deutschen Ausgabe seines eine »Chronik« genannten Buches Gog und Magog. Der »heilige Jude« von Pzˇysha sei in der »Verborgenheit des Köchers« geblieben, meint Buber; Jesus dagegen, der im Schatten des deuterojesajanischen »Knechts des Herrn« gestanden habe, sei aus der »Verborgenheit« getreten: »Das gilt es zu sehen: die Hand, die den Pfeil erst zuspitzt und ihn dann ins Dunkel des Köchers versenkt, und den Pfeil, der sich ins Dunkel duckt.« 49 Der Anspruch Jesu und der Christen auf Messianität aber war Buber auch schon deshalb fragwürdig, weil vom jüdischen Standpunkt aus das Erscheinen des Messias mit der Erlösung der Schöpfung zusammenfällt. Dies geht bereits aus einer Stellungnahme Bubers vom November 1917 hervor. Ein christlicher Gesprächspartner hatte behauptet, nichts stände doch im Wege, »Jesus als den Messias der Welt anzusehen, der das geläuterte Judentum der aus ihrem Götzendienst zu befreienden Welt gebracht habe«. Buber hält dagegen: 47. Martin Buber, Geleitwort zu Die chassidischen Bücher, Hellerau: Jakob Hegner 1928, S. XXVIII; aufgenommen in u. hier zitiert aus: Werke III, S. 755. 48. Ebd., S. 755 f. 49. Martin Buber, Gog und Magog. Eine Chronik, Heidelberg: Lambert Schneider 1949; zuletzt in: MBW 19, hrsg. von Ran HaCohen, Zitat S. 275.

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»Das ist ein durchaus lutherischer Gedanke, den ich auf das entschiedenste verwerfen muß. Schon die Formulierung, daß ›nichts im Wege stände‹, finde ich auf religiöse Entscheidungen völlig unanwendbar; der religiöse Mensch ergreift eine Glaubenswahrheit, nicht weil ihr nichts im Wege steht, sondern weil seine Seele von ihr überwältigt und erleuchtet ist. Wichtiger ist aber das Inhaltliche. Wer ›die Welt‹, richtiger einen Teil der Menschheit vom Götzendienst befreit, heiße er nun Jesus oder Buddha, Zarathustra oder Laotse, hat keinen Anspruch auf den Namen des ›Messias der Welt‹; der käme nur dem zu, der die Welt erlöste. Läuterung der Religiosität, Monotheisierung, Christianisierung, all das bedeutet nicht Erlösung der Menschheit. Erlösung – das ist eine Verwandlung des ganzen Lebens von Grund aus, des Lebens aller Einzelnen und aller Gemeinschaften. Die Welt ist unerlöst – fühlen Sie das nicht wie ich in jedem Blutstropfen? Fühlen Sie nicht wie ich, daß das Messianische nichts Geschehenes, nichts an einem bestimmten Fleck der geschichtlichen Vergangenheit Lokalisiertes sein kann, sondern einzig das, dem wir ins Unendliche entgegenblicken, in die Ewigkeit entgegenharren, als Ideal überempirisch, als das, an dessen Verwirklichung wir allstündlich arbeiten können, uns unmittelbar gegeben, unberührbar wie Gott selber und unanzweifelbar lebendig wie er, – die absolute Zukunft? Ist es möglich, daß dieses urjüdische Gefühl, das die Wurzel jüdischer Religiosität ist, der Glaube an die Erfüllung am Ende der Tage, der nichts Vergängliches vorgreifen, aber alles Vergängliche vorarbeiten darf und soll, aus Ihrem Herzen gebrochen ist?« 50

»Die Welt ist unerlöst, fühlen Sie das nicht in jedem Blutstropfen?« Diese Briefstelle von 1917 findet ihre eindrücklichste Bestätigung knapp 30 Jahre später in einem Text Bubers nach der Schoah. Gerade sie war für ihn zum grauenhaftesten Zeichen der Unerlöstheit der Welt geworden. Nichts widerlegt für Buber christlich-messianische Ansprüche stärker als das, was Juden hier angetan wurde. Dieser kurze Text aus dem Jahr 1946 zum Gedenken an den evangelischen Theologen Leonhard Ragaz (18681945) ist – wie der Jerusalemer Religionsgeschichtler David Flusser (1917-2000) zu recht angemerkt hat – bisher nicht genügend beachtet worden. Buber hat in diesem Text, wie Flusser schreibt, »in einer wahrlich klassischen Weise seinen Vorbehalt gegen die Christologie angemeldet«:51 »Aber ich glaube ebenso fest daran, dass wir Jesus nie als gekommenen Messias anerkennen werden, weil dies dem innersten Sinn unserer messianischen Leidenschaft […] widersprechen würde. In das mächtige Seil unseres Messiasglaubens, das, an einen Fels am Sinai geknüpft, sich bis zu einem noch unsichtbaren, aber in den Grund der Welt gerammten Pflocke spannt, ist kein Knoten geschlagen. Für unseren Blick geschieht Erlösung allezeit, für ihn ist keine geschehen. Am Schand-

50. Brief an Landgerichtsrat S. vom 26. November 1917, in: B I, S. 513. 51. David Flusser, Nachwort zu Zwei Glaubensweisen, Gerlingen 1994, S. 185-247, Zitat S. 229.

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pfahl der Menschheit stehend, gegeisselt und gefoltert, demonstrieren wir mit unserem blutigen Volksleib die Unerlöstheit der Welt.« 52

Weitere Selbstzeugnisse aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg verdeutlichen, dass Buber immer präziser die Diastase von Jesus einerseits und Christentum andererseits zu bestimmen sucht. In seiner Totenrede (»Der heilige Weg«, 1919) auf den Freund Gustav Landauer (1870-1919), der als führendes Mitglied der Räterepublik Bayerns am 2. Mai 1919 von Soldaten der Reichswehr erschossen worden war und den Buber einen »der reinsten, echtesten, edelsten, mutigsten, treusten Menschen dieses Zeitalters« nennt (»Bericht und Berichtigung«, 1926)53 , geht Buber noch einmal auf die »ungeheuerliche Mißdeutung« von Jesu Lehre ein, die »zwei Jahrtausende abendländischer Geistesgeschichte« fülle. An die Stelle des »jüdischen Wissens« um praktische Verantwortung für die Welt vor Gott sei die »Annahme einer grundsätzlichen und unüberbrückbaren Zweiheit von Menschenwillen und Gottesgnade« getreten. 54 Die Völker des Abendlandes hätten mit der Lehre Jesu das wesentlich Jüdische gerade nicht übernommen: die »Tendenz der Verwirklichung« von Gottes Reich unter den Bedingungen der Welt. Abgefunden hätte man sich »mit der Zweiheit«, was Buber zufolge zu geschichtlich fatalen Folgen geführt hat, die er – die Schrecken des soeben zu Ende gegangenen Ersten Weltkriegs vor Augen – mit den Sätzen zuspitzt: »Es ist die Atmosphäre, in der noch unsre heutige Zeit steht, die des Dualismus von Wahrheit und Wirklichkeit, Idee und Tatsache, Moral und Politik; es ist die Atmosphäre, in der das Christentum dem römischen Kaiser so lange gegeben hat was ›des Kaisers‹ war, bis es ihm nichts mehr zu verweigern hatte; in der das Christentum so lange dem Übel nicht widerstrebt hat, bis es, als es seinen rasendsten Exzessen zu widerstreben versuchte, erkennen mußte, daß es dessen unmächtig geworden war.« 55

7. Ein »Gewalttäter des Geistes« Bubers Paulus-Kritik Im Zusammenhang dieser Landauer-Rede machte Buber eine Schlüsselfigur für diesen Prozess »ungeheuerlicher Mißdeutung« der Lehre Jesu 52. In diesem Band, S. 190. 53. In diesem Band, S. 98 ff. 54. Martin Buber, Der heilige Weg. Ein Wort an die Juden und an die Völker, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1919; aufgenommen in u. hier zitiert aus: JuJ, S. 87-119, Zitat S. 103. 55. Ebd., S. 104.

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mitverantwortlich, und zwar einen »repräsentativen Juden«, »Saul«. Die »Brechung« des Judentums im Prozess der »Übermittlung an die Völker« sei sein Werk gewesen. Die Landauer-Rede von 1919 hat nicht zuletzt für Bubers künftiges Paulus-Bild eine entscheidende Bedeutung. Es ist von Nietzsches (1844-1900),56 Kierkegaards (1813-1855)57 und – wie wir noch sehen werden – von Albert Schweitzers Paulus-Deutung beeinflusst und sollte sich im Laufe der Zeit zu einem prinzipiellen Antipaulinismus bei Buber entwickeln. Das war nicht immer so. Noch 1906 hatte Buber in seinem Buch Die Geschichten des Rabbi Nachman erklärt, was »der Seele des Juden einen Kern, eine Sicherheit, eine Substanz« gebe. Zu analysieren vermöge er es nicht, hatte Buber danach gemeint, aber immerhin könne man es »umschreiben«. Es sei »das Wollen des Unmöglichen«: »Es streckt die Arme aus, das Schrankenlose zu umfangen. Es trägt eine schlechthin unerfüllbare Forderung, wie das Pathos Mose und der Propheten die Forderung der absoluten Gerechtigkeit, wie das Pathos Jesu und Pauli die Forderung der absoluten Liebe«. 58

Noch 1906 also werden Jesus und Paulus von Buber in einem Atemzug genannt. 1919 dann, in der genannten Totenrede auf Gustav Landauer, die scharfe Diastase von Jesus und Paulus. Buber hatte schon 1910 am Ende seiner Abhandlung »Die Lehre vom Tao« diesen Paulus einmal kurz und knapp einen »Gewalttäter« genannt,59 ohne dies eigens zu begründen. Jetzt bezeichnet er den Mann aus Tarsus noch einmal einen »Gewalttäter«, und zwar einen »Gewalttäter des Geistes«, versucht jetzt aber, den persönlichen Konflikt des Paulus aus dem »Urerlebnis des Juden« zu verstehen. Dass zu Zeiten von Paulus »von den ersten dreißig Jahren Jesu nichts mehr zuverlässig bekannt« gewesen sei, habe Paulus »seine Ideologie erleichtert«. Was ist diese Ideologie? Das »süße Gift des Glaubens, der die Werke verschmäht«, meint Buber und macht einmal mehr auf die Folgen für Christen aufmerksam: »Durch diese [Ideologie] verwandelt, übermittelt er die Lehre Jesu den Völkern und reicht ihnen das süße Gift des Glaubens, der die Werke verschmähen, den 56. Vgl. Martin Treml, Einleitung, MBW 1, S. 15. 57. Vgl. Grete Schaeder, Hebräischer Humanismus, S. 335 f. 58. Martin Buber, Die Geschichten des Rabbi Nachman – Ihm nacherzählt von Martin Buber, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1906, S. 7. 59. Martin Buber, Die Lehre vom Tao, in: Ders., Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, Leipzig: Insel Verlag 1910, S. 77-114; aufgenommen in u. hier zitiert aus: Werke I, S. 1050.

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Gläubigen der Verwirklichung entheben und die Zweiheit in der Welt stabilisieren soll. Es ist das paulinische Zeitalter, dessen Todeszuckungen wir heute Lebenden mit starren Augen betrachten.« 60

Schon hier fällt ein Doppeltes auf. Zum einen spricht Buber von einer »Ideologie« des Paulus, was diesen von vorneherein abwertet. Jetzt und künftig erblickt er in diesem Apostel den Repräsentanten eines randständigen, synkretistisch gefärbten Diasporajudentums und damit eine Figur, deren Botschaft »endgültig aus dem Glauben der Väter herausführt«. Buber teilt mit Albert Schweitzer die Auffassung, dass Jesu Verkündigung aus der Endzeiterwartung heraus verstanden werden muss. Dem PaulusBild Schweitzers dagegen, der den Apostel in der jüdischen Gedankenwelt verwurzelt sieht, kann Buber nicht folgen. Er sieht – so Grete Schaeder zu Recht – »Paulus am Anfang des Weges, der zu Marcion hinführte«, 61 was im Klartext heißt: zur Preisgabe des Vermächtnisses der Hebräischen Bibel und damit zur völligen Loskoppelung der Christus-Botschaft von dem Gott, wie ihn die Heilige Schrift Israels verkündet. Zum zweiten aber, genauso wichtig: Schon 1919 spricht Buber von einem »paulinischen Zeitalter« als einer geschichtlichen Epoche, die heute »Todeszuckungen« erlebe. Diese zunächst überraschende und unverständliche Redeweise vom »paulinischen Zeitalter« wird in Bubers Abhandlung Zwei Glaubensweisen (1950) eine wichtige Rolle spielen. Auch die andere Paulus-Kritik verschärft sich bei Buber weiter, der Vorwurf, die »Zweiheit« in der Welt stabilisiert zu haben, nachzulesen in »Die Mächtigkeit des Geistes« (1934). 62 Es ist der Vorwurf eines unseligen Dualismus des Seins: »Geist und Welt sind verschiednen Gesetzes, der Mensch kann aus sich selbst nichts, er kann sich nur dem Anderen, der Erlösung, die von drüben in seinen Raum leiblich eingetreten ist, überlassen.« Insbesondere ein Wort des Apostels hat Buber stets aufs Neue befremdet, das Wort in Römer 7,21-25 vom »Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist« und das dem »Gesetz meiner Vernunft« widerstreitet: 63 Bei Paulus sieht Buber die antike Welt auseinandergebrochen in einen weltfremden Geist und eine geistfremde Welt: »Hier, in diesem paulinischen Doppelgesetz hausen sie nebeneinander. Der Geist ist heilig, die Welt ist unheilig.« 64

60. Martin Buber, Der heilige Weg, in: JuJ, S. 105. 61. Grete Schaeder, Hebräischer Humanismus, S. 331; zum Stichwort »Marcion« s. Anm. 90. 62. In diesem Band, S. 176-183 u. 400-410. 63. Martin Buber, Der Geist des Orients und das Judentum (1916), in: JuJ, S. 52. 64. In diesem Band, S. 180.

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8. Von Verbündeten und Gegnern Mit Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich Bubers Position gegenüber »dem Christentum« verfestigt. Entscheidende Markierungen sind gefunden, Selbstfestlegungen erfolgt. So erklärt sich, dass Buber von jetzt an noch stärker als zuvor christliche Autoren nach ihrer Nähe und Ferne zu seiner Position befragt. So bespricht er zustimmend in »Religion und Gottesherrschaft« (1923) ein Buch des Schweizer evangelischen Theologen Leonhard Ragaz. 65 Buber erkennt in diesem Mann schon Anfang der 1920er Jahre einen geistig-religiösen und politisch-ethischen Bundesgenossen, der als Christ, so wie er als Jude im »Reich Gottes eher das Gegenteil von Religion« erblickte und damit in Opposition stand zum religiösen Betrieb seiner Zeit. Die »Warnung von Männern wie Ragaz« komme zur rechten Zeit, meint Buber ironisch, weil dieser eine grundlegende Erneuerung der Gesellschaft erwarte. Das »Reich Gottes« sei noch nicht verwirklicht, auch nicht durch eine vorhandene Religion. Weg und Werk dieses christlichen Theologen begleiten Buber weiter. Zum 75. Geburtstag von Ragaz verfasst er ein Portrait unter dem bezeichnenden Titel »Unserem Verbündeten« (1943), 66 gefolgt drei Jahre später, nach dem Tod von Ragaz, von einem Essay »Ragaz und ›Israel‹« (1946), 67 in dem der Gefährte – nach der Schoah – als jemand gewürdigt wird, der »mit einer Deutlichkeit und Eindringlichkeit wie kaum ein anderer Christ« erklärt habe, die Erwählung Israels sei »nicht aufgehoben«. Buber trauert im Fall von Ragaz um den »echtesten Freund, den das jüdische Volk in unserer Zeit besessen« habe. In Zwei Glaubensweisen (1950) würdigt er die Theologie von Ragaz noch einmal mit einem eigenen Abschnitt. Distanz dagegen lässt Buber gegenüber christlichen Theologen erkennen, die wie eh und je Jesus von Nazareth in scharfem Gegensatz zum Judentum seiner Umwelt sehen. Nach traditionell christlicher Lesart des Neuen Testamentes – Adolf von Harnack hatte das noch einmal bekräftigt – war Jesus in einen tödlichen Konflikt mit dem religiösen Establishment seiner Zeit verwickelt gewesen, insbesondere mit der Partei der Pharisäer. Buber sieht sich gezwungen, in diese Diskussion einzugreifen, und zwar mit Texten wie »Pharisäertum«(1925) und »Bericht und Berichtigung« (1926). 68 Darauf vorbereitet war er lange genug. Und lange genug war das Wort »Pharisäer« oder »Pharisäertum« im deutschen Sprach65. 66. 67. 68.

In diesem Band, S. 84 ff. In diesem Band, S. 184 ff. In diesem Band, S. 187-191. In diesem Band, S. 87-95 u. 98 ff.

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gebrauch negativ konnotiert worden – zum Schaden des Judentums, dessen angebliches »Grundwesen« man damit bezeichnet hat, wie Buber schreibt. Schon in einem Brief an Gustav Landauer vom März 1917 hatte sich Buber einmal ausdrücklich dagegen gewehrt. Der Ausdruck »Pharisäertum« sei zwar »eingebürgert und unmißverständlich«, doch »wir Juden« sollten »diese tendenziöse Begriffsverfälschung der Evangelisten nicht mitmachen«, meint er, »zumindest nicht, wenn von jüdischen Dingen die Rede« sei. 69 Und schon hier verweist Buber empfehlend auf das Buch des evangelischen Theologen Robert Travers Herford (1860-1950) Das pharisäische Judentum von 1913 und die hier erfolgte »Rehabilitation der ›Peruschim‹ – zu denen auch einer der edelsten Vorgänger Jesu, Hillel«, gehört habe. 70 In seiner 1925 gedruckten Stellungnahme »Pharisäertum« dreht Buber die traditionell christlichen Argumente in der Pharisäerfrage um. Das christliche Deutungsmuster, Jesus habe die Menschen vor dem »Gesetz« in Schutz genommen, unterläuft Buber mit der Beobachtung, Jesus habe die Auslegung der Tora so radikalisiert, dass es zu einer »Kluft zwischen gemeintem und gelebtem Leben« gekommen sei. Erst die Pharisäer hätten sich mit den Details des Lebens auseinandergesetzt, hätten das vollzogen, was man »Brechung« oder kreativ-situative Auslegung der Gebote Gottes in der Lebenswirklichkeit der Menschen nennen könne. Buber kann die Pharisäer von daher sogar »Menschen eines heiligen Verzichts« nennen! Gemeint ist damit, dass die Pharisäer nicht versucht hätten, wie Jesus von der Urabsicht Gottes her zu argumentieren, dass sie sich vielmehr mit der Realität des gelebten Lebens beschieden hätten, um in dieser Realität Gottes Gebote anzuwenden. Die Pharisäer seien – so Buber noch einmal zugespitzt in seiner Stellungnahme von 1926 – »die Menschen, die der Unerfüllbarkeit bewußt, die Erfüllbarkeit im Soviel-ichvermag jedes wirklichen Menschentags lehren. Das nenne ich einen heiligen Verzicht«. Eine erstaunliche Aussage, wenn man weiß, dass Buber von Anfang seines Wirkens an dem orthodox praktizierten Religionsgesetz, der Halacha, ablehnend gegenüberstand. Mit Gershom Scholem (18971982) wird man deshalb registrieren, dass sich Buber hier – in dieser Kontroverse um die Pharisäer und die christliche Pharisäer-Polemik – ganz offensichtlich temporär zu einer »Revision seiner Haltung zum Gesetz gedrängt« sieht. 71 69. Brief an Gustav Landauer vom 4. März 1917, in: B I, S. 474. 70. Ebd., S. 475. 71. Gershom Scholem, Martin Bubers Auffassung des Judentums, in: Ders., Judaica 2, Frankfurt a. M. 1970, S. 133-192, Zitat S. 182.

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9. Von Abgrenzungen zu Koalitionen Die Zeitschrift Die Kreatur (1926) und die Folgen Die nächsten Dokumente führen uns in die Periode nach der Veröffentlichung der programmatischen Schrift zur Philosophie des Dialogs Ich und Du (1923). Sie verdankt sich in ihren Ureinsichten einerseits chassidischen Meistern, andererseits aber auch der Auseinandersetzung mit so unterschiedlichen, christlich geprägten Figuren wie Ludwig Feuerbach (1804-1872) und Søren Kierkegaard. Zugleich signalisiert Buber in der Rückschau zwar keine Beeinflussung, wohl aber erstaunliche Parallelen zu zeitgenössischen christlichen Denkern wie Hans Ehrenberg (18831958), Eugen Rosenstock-Huessy (1888-1973), Friedrich Gogarten (1887-1967) und Karl Heim (1874-1958), insbesondere eine »fast unheimliche Nähe« zu einem »von Krankheit und Depressionen schwer heimgesuchten katholischen Volksschullehrer in der österreichischen Provinz«: Ferdinand Ebner (1882-1931). Dessen Pneumatologische Fragmente von 1920 hatte Buber erst in der letzten Phase der Ausarbeitung von Ich und Du zur Kenntnis genommen. Dasselbe gilt für Ebners zusammenfassendes Buch Das Wort und die geistigen Realitäten (1921). Eine Schlüsselerfahrung für Buber: Menschen »verschiedener Art und Tradition«, ob Philosophen oder Theologen, ob jüdischer oder christlicher Herkunft, haben sich zur selben Zeit »auf die Suche nach dem verschütteten Gut begeben«.72 Insbesondere mit dem Werk Søren Kierkegaards setzt sich Buber auch in den kommenden Jahren immer wieder kritisch auseinander, verdankt er diesem dänischen Christen doch angesichts des aufkommenden totalitären Kollektivismus in Europa das Insistieren auf der unaufhebbaren Bedeutung des Einzelnen vor Gott. 73 Bubers philosophisches Grundlagenwerk Ich und Du übt zwar auf christliche Theologen nachhaltigen Einfluss aus, enthält selbst aber keine weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit »dem Christentum«. Statt72. Martin Buber, Nachwort, in: Ders., Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 287-305, Zitat S. 295. Feuerbach und Kierkegaard bezeichnet Buber hier als seine »Ahnen«, die er »schon als Student gekannt« habe. Das »Ja und Nein zu ihnen« sei ihm ein Teil seines Daseins geworden (ebd.). Ein eigener Abschnitt gilt ausdrücklich der »katholischen Philosophie« in Gestalt von Gabriel Marcels Journal métaphysique von 1927 (S. 297). Zusammenhänge und Hintergründe, insbesondere auch zur Sprachphilosophie von Franz Rosenzweig, Eugen Rosenstock-Huessy und Ferdinand Ebner, sind zu finden in der Einleitung zu MBW 6, S. 49-58. 73. Vgl. Bubers Schrift Die Frage an den Einzelnen, Berlin: Schocken Verlag 1936, aufgenommen in: Martin Buber, Die Schriften über das dialogische Prinzip, S. 183-253, bes. S. 187 ff.

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dessen beruft sich Buber auch in diesem Zusammenhang auf die Figur Jesu als eines Menschen, der »gewaltig, bis zur Überwältigung« und »rechtmäßig, bis zur Selbstverständlichkeit« habe »Ich sagen« können: »Denn es ist das Ich der unbedingten Beziehung, darin der Mensch sein Du so Vater nennt, daß er selbst nur noch Sohn und nichts andres mehr als Sohn ist«. 74 Doch nach Ich und Du zeichnet sich immer stärker ein neuer Grundzug von Bubers Verhältnis zum Christentum ab, der sich aus der genannten Schlüsselerfahrung zwanglos ergibt. Man könnte ihn die Bildung dialogischer Koalitionen nennen, die über das Judentum hinaus auch Menschen anderer religiöser oder weltanschaulicher Bindungen umgreift, eine Linie, die sich bei Buber bis zum Ende seines Lebens durchhalten wird (»[Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften]«, 1959).75 Das Einstellen der von ihm bis dahin herausgegebenen Zeitschrift Der Jude im Jahr 1924 – sie erscheint danach nur noch in einigen Sonderheften – erlaubt es ihm, sich jetzt stärker als zuvor »in Richtung auf jüdisch-christliche Dialoge« zu bewegen 76 und im Jahr 1926 zusammen mit einem katholischen Theologen (Joseph Wittig, 1879-1949) und einem protestantischen Intellektuellen (Viktor von Weizsäcker, 1886-1957) die Vierteljahresschrift Die Kreatur ins Leben zu rufen. Sie existiert bis 1930. Im »Geleitwort« 77 dominieren denn auch dialogische Kategorien wie »Gespräch«, »grüßender Zuruf« und »Unterredung«. Ursprünglich sollte die Zeitschrift »Grüße aus den Exilen« heißen, denn schon hier wird von den Herausgebern eine Überzeugung artikuliert, die Buber später, etwa am Ende seines Buches Zwei Glaubensweisen (1950) 78 oder auch in einem späten Essay kurz vor seinem Tod unter dem Titel »Fragmente über Offenbarung« (1964) 79 immer wieder aufnimmt: Religionen, genauer »religionhafte Sonderungen«, wie es zum Auftakt des »Geleitworts« bezeichnenderweise heißt, seien bestimmt durch »die Not und die Zucht von Exilen«, aus denen es »keine andere Befreiung« gäbe »als die messianische«. Der schließlich gewählte Titel der Zeitschrift erklärt sich dann aus der von den Herausgebern geteilten 74. Martin Buber, Ich und Du, Leipzig: Insel Verlag 1923, aufgenommen in u. hier zitiert aus: Die Schriften über das dialogische Prinzip, S. 7-121; Zitat S. 69. 75. In diesem Band, S. 328. 76. Maurice Friedman, Begegnung auf dem schmalen Grat. Martin Buber – ein Leben, Münster 1999, S. 245. 77. In diesem Band, S. 96 f. 78. In diesem Band, S. 202-312. 79. Martin Buber, Fragmente über Offenbarung, in: Ders., Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 107-112.

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schöpfungstheologischen Verpflichtung auf eine »gemeinsame Sorge für die Kreatur«.

10. Auf dem Weg zu »echten Religionsgesprächen« Den Anstoß zur Gründung von Die Kreatur verdankt Buber Florens Christian Rang (1864-1924), einem evangelischen Pfarrer und späteren Juristen, »dessen Einfluß auf Buber vielleicht nur dem Paulas [Bubers Gattin seit 1899], Gustav Landauers und Franz Rosenzweigs gleichkommt«. 80 Nicht zufällig wird Buber seine Abhandlung über die Ursprünge des Messianismus unter dem Titel Das Königtum Gottes (1932) Franz Rosenzweig (1886-1929) und Florens Christian Rang widmen. Entscheidend aber: Am Beispiel Rangs verdeutlicht Buber in seiner Abhandlung Zwiesprache (Erstdruck 1930, Buchausgabe 1932),81 dass es Lebensmomente gibt, durch die sich jenseits aller »mitgeteilten oder mitteilbaren Inhalte«, jenseits also aller Sachinformationen und Sachdifferenzen, so etwas wie Gemeinschaft herzustellen vermag. Es kann in der Begegnung zu einer »echten Wandlung« kommen, einer Wandlung, so Buber wörtlich, »aus der Kommunikation zur Kommunion«. 82 Genau dies hatte Buber bei der Begegnung mit Rang erlebt, und zwar an Ostern 1914 anlässlich des Treffens einer international zusammengesetzten Gruppe engagierter Zeitkritiker und Reformer in Potsdam (Forte-Kreis). Man war zusammengekommen, um im »unbestimmten Vorgefühl der Katastrophe einen Versuch zur Aufrichtung einer übernationalen Autorität vorzubereiten«.83 Im Verlauf der Aussprache hatte 80. Maurice Friedman, Begegnung auf dem schmalen Grat, S. 115. Zu Florens Christan Rang s. Martin Treml, Einleitung, MBW 1, S. 85-89. 81. Martin Buber, Zwiesprache, in: Die Kreatur, 3. Jg., 1929/1930, S. 201-222; erste Buchausgabe: Berlin: Schocken Verlag 1932. 82. Martin Buber, Zwiesprache, aufgenommen in u. hier zitiert aus: Schriften über das dialogische Prinzip, S. 123-182, Zitat S. 131. 83. Ebd. Zum Potsdamer Forte-Kreis, dem neben Rang und Buber auch Gustav Landauer, der niederländische Sinologe Henri Borel (1869-1933), der Psychotherapeut und Sozialreformer Frederik van Eeden (1860-1932), der Schriftsteller Erich Gutkind (1877-1965) und, am Rande des Kreises, auch Wassily Kandinsky (18661944) und Walther Rathenau (1867-1922) angehörten, vgl. MBW 1, S. 68-73 sowie MBW 6, S. 49 f. Nur hingewiesen werden kann in unserem Zusammenhang auf die Beziehung Bubers zum 1915 gegründeten Patmos-Bund, der sein Verhältnis zu Christen und zum Christentum beeinflusst haben mag. Zu den Mitgliedern des Patmos-Bundes zählten neben Franz Rosenzweig und dessen Cousins Hans und Rudolf Ehrenberg (1884-1969) auch der Schweizer protestantische Theologe Karl Barth. Der Forte-Kreis und der Patmos-Bund waren beide von einer »utopischen, humanistisch-sozialen Geisteshaltung getragen und auf der Suche nach kultur-,

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Rang Bedenken geäußert. Bei der Zusammensetzung der Gruppe seien »zu viele Juden genannt worden, so daß etliche Länder in ungehöriger Proportion durch ihre Juden vertreten« seien. Buber war dieser Einwand nicht fremd, glaubte aber doch, als »hartnäckiger Jude« gegen diesen »Protest« protestieren zu müssen: »Ich weiß nicht mehr, auf welchem Weg ich dabei auf Jesus zu sprechen kam und darauf, daß wir Juden ihn von innen her auf eine Weise kennten, eben in den Antrieben und Regungen seines Judenwesens, die den ihm untergebenen Völkern unzugänglich bleibe. ›Auf eine Weise, die Ihnen unzugänglich bleibt‹ – so sprach ich den früheren Pfarrer [Rang] unmittelbar an. Er stand auf, auch ich stand, wir sahen einander ins Herz der Augen. ›Es ist versunken‹, sagte er, und wir gaben einander vor allen den Bruderkuß. Die Erörterung der Lage zwischen Juden und Christen hatte sich in einen Bund zwischen dem Christen und dem Juden verwandelt; in dieser Wandlung erfüllt sich die Dialogik. Die Meinungen waren versunken, leibhaft geschah das Faktische.« 84

Eine autobiographische Schlüsselszene, die in ihrer Bedeutung derjenigen gleichkommt, von der wir ausgegangen sind, der »Fremdandacht« im Kaiser-Franz-Josephs-Gymnasium zu Lemberg. Der Buber-Biograph Maurice Friedman spricht nicht zufällig von einem der »bemerkenswertesten« jüdisch-christlichen Dialoge, die »je stattgefunden« hätten. 85 Machen wir uns die »Wandlung« bei Buber klar. Damals waren Juden »gezwungene Gäste« in einer christlich dominierten Anstalt gewesen, jetzt sind Juden Partner in einer internationalen Koalition von politisch-religiös Gleichgesinnten. Damals ein Dabeisein bei einem »sakralen Vorgang« ohne ein »Quentchen« der eigenen Person, jetzt der Blick in das »Herz der Augen«, der »Bruderkuß« mit einem Christen. Damals das Gefühl des Ausgeschlossenseins und der Teilnahmslosigkeit auf Seiten der Juden, jetzt ein »Bund zwischen dem Christen und dem Juden«. Damals das Absolvieren eines pflichtmäßigen Rituals, jetzt die Wandlung zur »Dialogik«. Damals die »Vergegnung«, jetzt die »Begegnung«. Mit dieser zweiten austaats- und glaubensübergreifenden Gemeinschaftsmodellen […]. Anders jedoch als der Forte-Kreis, dessen Ursprünge im utopischen Sozialismus lagen, fühlte sich der Patmos-Bund – benannt nach der griechischen Insel Patmos, wo der Evangelist Johannes seine Vision der Schöpfung durch Sprache empfing – als eine von Grund auf religiöse Gemeinschaft, die sich in den Wirren des ersten Weltkriegs zwischen Apokalypse und Wiedergeburt sah. […] Buber gehörte zum Umkreis beider Bünde. Dem Forte-Kreis entfremdete er sich […] bereits kurz nach Ausbruch des Krieges, ergriffen von einer kurzzeitigen Kriegsschwärmerei. Zum Patmos-Bund wiederum stieß er relativ spät, war dann jedoch seit 1926 mit der Herausgabe der aus dem Patmosbund entstandenen Zeitschrift Die Kreatur betraut […].« (MBW 6, S. 49 f.) 84. Martin Buber, Zwiesprache, in: Schriften über das dialogische Prinzip, S. 132. 85. Maurice Friedman, Begegnung auf dem schmalen Grat, S. 116.

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tobiographischen Schlüsselszene hat Buber eine der Geburtsstunden dessen beschrieben, was man in seinem Sinne Begegnungs-»Philosophie« nennen kann, besser: Zwiesprache von Person zu Person, wohl zu unterscheiden vom Streit um Glaubensinhalte. Beides sollte sein künftiges Verhältnis zu Christen als glaubenden Menschen bestimmen. Buber veröffentlicht in Die Kreatur zum ersten Mal so wichtige Schriften wie »Erziehung«, »Zwiesprache« oder »Gandhi, Politik und wir«. In »Zwiesprache« findet sich ein bemerkenswerter Abschnitt unter dem Titel »Religionsgespräche«, der nun ganz den Geist von Ich und Du atmet. Buber legt hier seine durch die Begegnung mit Rang angestoßene Überzeugung dar, wie sich Menschen verschiedenen Glaubens begegnen können. Mehr noch: Jetzt gibt er den entscheidenden theologischen Grund dafür an, warum es zur wechselseitigen Akzeptanz von Menschen des Glaubens überhaupt kommen kann. Es ist die Gebrochenheit des göttlichen Wortes in der Sphäre der Geschichte, welche eine wahrheitstotalitäre Rechthaberei zu verhindern vermag. Kein Gläubiger hat das Wort Gottes »rein«. Alle Religionen sind für Buber mit Exilen vergleichbar, in die die Menschen vertrieben sind. Deshalb kann sich Buber scharf von anderslautenden Ansprüchen zentraler Vertreter des Christentums abgrenzen: von Luther, Zwingli und Calvin, von Reformatoren also, die an die unmittelbare Erkenn- und Anwendbarkeit des »Wortes Gottes« glaubten. Im Fall Calvins führte das zu einer derartigen Intoleranz, dass selbst ein Todesurteil gegen einen angeblichen Ketzer wie Servet möglich wurde. Buber wörtlich: »Ich habe nicht die Möglichkeit über Luther zu urteilen, der Zwinglin in Marburg die Gemeinschaft absagt, und auch nicht über Calvin, der Servetos Tod befördert; denn Luther und Calvin glauben, das Wort Gottes sei so unter die Menschen niedergegangen, daß es eindeutig gekannt werden könne und also ausschließend vertreten werden müsse, ich aber glaube das nicht, sondern das Wort Gottes fährt vor meinen Augen nieder wie ein fallender Stern, von dessen Feuer der Meteorstein zeugen wird, ohne es mir aufleuchten zu machen, und ich selber kann nur das Licht bezeugen, nicht aber den Stein hervorholen und sagen: Das ist es. Aber diese Glaubensverschiedenheit ist keineswegs bloß als eine subjektive zu verstehen, sie ist nicht darin begründet, daß wir heute Lebenden glaubensschwach sind, und sie wird bleiben, wenn unser Glaube noch so sehr erstarkt. Die Weltsituation selber im ernstesten Sinn, genauer: das Verhältnis zwischen Gott und Mensch hat sich geändert. Und diese Änderung wird durchaus nicht in ihrem Wesen erfaßt, wenn man nur an die uns so vertraute Verfinsterung des höchsten Lichts, an die offenbarungslose Nacht unsres Daseins denkt. Es ist die Nacht eines Harrens – nicht einer vagen Hoffnung, sondern eines Harrens. Wir harren einer Theophanie, von der wir nichts wissen als den Ort, und der Ort heißt Gemeinschaft.

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In den öffentlichen Katakomben dieses Harrens gibt es ein eindeutig kennbares und vertretbares Gotteswort nicht, sondern die überlieferten Worte deuten sich uns in unserem menschlichen Einanderzugewandtsein aus. Kein Gehorsam zum Kommenden besteht ohne die Treue zu seiner Kreatur. Dies erfahren zu haben ist unser Weg – kein ›Fortschritt‹, aber ein Weg. Eine Zeit echter Religionsgespräche beginnt, – nicht jener so benannten Scheingespräche, wo keiner seinen Partner in Wirklichkeit schaute und anrief, sondern echter Zwiesprache, von Gewißheit zu Gewißheit, aber auch von aufgeschloßner Person zu aufgeschloßner Person. Dann erst wird sich die echte Gemeinschaft weisen, nicht die eines angeblich in allen Religionen aufgefundenen gleichen Glaubensinhalts, sondern die der Situation, der Bangnis und der Erwartung.« 86

Was aber sind »echte Religionsgespräche«? Buber unterscheidet im selben Zusammenhang »dreierlei Dialog«: »den echten – gleichviel, geredeten oder geschwiegenen –, wo jeder der Teilnehmer den oder die anderen in ihrem Dasein und Sosein wirklich meint und sich ihnen in der Intention zuwendet, daß lebendige Gegenseitigkeit sich zwischen ihm und ihnen stifte; den technischen, der lediglich von der Notdurft der sachlichen Verständigung eingegeben ist; und den dialogisch verkleideten Monolog […].« 87

»Echte Religionsgespräche« haben somit für Buber nicht das Ziel, »gleiche Glaubensinhalte« zu identifizieren mit dem Ziel, die Differenzen zwischen den Religionen zu überspielen oder zu bagatellisieren. Deshalb ist es für ihn kein Widerspruch, wenn er im selben Jahr der Erstausgabe von Die Kreatur noch einmal deutlich die inhaltlichen Differenzen zum Christentum markiert. Schlüsselbedeutung kommt einem Text zu, den Buber am 16. Juli 1926 an den judenchristlichen Völkerversöhnungsbund in Hamburg schreibt (»Brief von Dr. Martin Buber an den V.-V.-B.«). 88 Von Anfang seines Wirkens an ist Buber, wie wir hörten, allem Missionieren abhold. Entsprechend heftig fällt seine Reaktion Menschen gegenüber aus, die als Judenchristen auch im Judentum den Glauben an Jesus als Messias erwecken wollen. Die Absage ist scharf: Jesus kann nicht als Messias betrachtet werden, da die Erlösung der Welt nicht vor neunzehn Jahrhunderten geschehen ist und Menschen »noch immer in der unerlösten Welt« leben. Für Israel fällt die Erlösung der Welt durch den Messias mit der Vollendung der Schöpfung zusammen: »Wer Jesus unter den geschichtlichen Personen noch so hoch stellt, kann zu uns gehören; wer ihn als den gekommenen Messias bekennt, gehört zu uns nicht mehr,

86. Martin Buber, Zwiesprache, in: Schriften über das dialogische Prinzip, S. 134 f. 87. Ebd., S. 152. 88. In diesem Band, S. 101 f.

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und wenn er unsern Glauben an die vorbehaltene Erlösung abzuschwächen oder abzulenken sucht, gibt es kein Einvernehmen mit ihm.« 89

Zugleich hält Buber entschieden daran fest: Echte Religionsgespräche spielen sich ab »von aufgeschloßner Person zu aufgeschloßner Person«. Das ist künftig Bubers Auswahlprinzip für die Begegnung mit Menschen anderer religiöser Überzeugungen. Konsequenterweise beansprucht er nicht, als Repräsentant einer jüdischen »Partei« aufzutreten, weder des Rabbinats noch der Synagoge noch sonst einer offiziellen jüdischen Organisation. Obwohl er im Laufe der Jahre von der christlichen Welt weitgehend als »Apostel« oder »Sprecher« des zeitgenössischen Judentums betrachtet wurde, beteiligt er sich nicht an Gesprächen mit offiziellen Kirchenvertretern. Wohl aber pflegt Buber Beziehungen zu einzelnen Christen und stellt seine Arbeit mehr und mehr in den Dienst einer Wiederbelebung der »gemeinsamen Urwahrheit«, auf die Juden und Christen gleichermaßen verwiesen sind. Gemeint ist das Projekt einer »Verdeutschung der Schrift«, an dem Buber 1925 zusammen mit Franz Rosenzweig zu arbeiten beginnt, das er aber erst 1961 vollenden kann, nicht zuletzt deshalb, weil sein Partner Rosenzweig 1929 – die gemeinsame Arbeit ist bis zum 53. Kapitel des Buches Jesaja vorgedrungen – im Alter von nur 43 Jahren stirbt. Dieses große Übersetzungswerk wird in dem Band der Werkausgabe gewürdigt werden, der Bubers Schriften zu seiner Bibelverdeutschung enthalten wird. Hier sei das Nötigste zur Bedeutung dieser Bibelverdeutschung für Christen angemerkt. Bei einer Hausfeier 1961 in Jerusalem nach Vollendung der Übertragungsarbeit kommt Buber nicht zufällig auf diese wichtige Dimension des Projekts zu sprechen: Mit der Verdeutschung der Hebräischen Bibel sollte insbesondere auch der deutschen Christenheit ihr manchmal latenter, manchmal offener »Marcionitismus« ausgetrieben werden, um sie damit resistenter zu machen gegen die stets aufs Neue virulente Versuchung, das »Neue« Testament unter Abwertung oder gar Absehung des »Alten« Testamentes stark zu machen. In seiner Ansprache bei der genannten Hausfeier zitierte Buber nicht zufällig einen Brief Franz Rosenzweigs an ihn vom 29. Juli 1925, dem Jahr ihres Arbeitsbeginns: »Ist Ihnen eigentlich klar, daß heut der von den neuen Marcioniten theoretisch erstrebte Zustand praktisch schon da ist? Unter Bibel versteht heut der Christ nur das Neue Testament, etwa mit den Psalmen, von denen er dann noch meist meint sie gehörten nicht zum Alten Testament. Also werden wir missionieren.«90 89. In diesem Band, S. 101. 90. B II, S. 232. Die Anspielung auf »neue Marcioniten« bezieht sich zum einen auf eine

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In einem weiteren von Buber zitierten Schreiben Rosenzweigs an einen Freund vom Dezember 1925 heißt es noch deutlicher: »Ich fürchte manchmal, die Deutschen werden diese allzu unchristliche Bibel nicht vertragen, und es wird die Übersetzung der heut ja von den neuen Marcioniden angestrebten Austreibung der Bibel aus der deutschen Kultur werden, wie Luthers die der Eroberung Deutschlands durch die Bibel war. Aber auch auf ein solches Golus Bowel [babylonisches Exil] könnte ja dann nach siebzig Jahren ein neuer Einzug folgen, und jedenfalls – das Ende ist nicht unsere Sache, aber der Anfang und das Anfangen.«91

Buber kommentiert diese Briefstellen Rosenzweigs zum Abschluss seiner Ansprache 1961 mit der überraschenden Präzisierung seiner Ablehnung von Mission, von der wir zu Beginn so Entschiedenes im Zusammenhang mit der »Fremdandacht« im Gymnasium zu Lemberg gehört haben: Gestalt in der Geschichte der frühen Kirche, auf den aus Kleinasien stammenden Schiffsreeder Marcion (ca. 85-160), der die normativen Schriften des Judentums (weil angeblich nur von einem zwar gerechten, aber auch unbarmherzig strafenden Schöpfer- und Richtergott zeugend) verwarf und nur Teile des Neuen Testamentes gelten ließ, da nur sie angeblich von einem lichten, guten, liebenden Erlösergott zeugen. Damit hatte Marcion einen starken Dualismus von Gesetz und Evangelium etabliert, schwerwiegender noch, Schöpfung und Erlösung auseinander gerissen. Gegen Marcion, der nach einem Bruch mit der römischen Gemeinde 144 eine eigene, jahrhundertelang dann erfolg- und einflussreiche Kirche zu gründen verstand, traf die frühe Kirche eine Entscheidung von epochaler Wirkung: Ein für allemal sollte die Hebräische Bibel das Fundament zur Auslegung der Gottesbotschaft Jesu und zum Verständnis des Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus bleiben. Zum anderen wird in dem genannten Brief Rosenzweigs an Buber angespielt auf ein 1921 erschienenes Buch von Adolf von Harnack Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott. Buber nahm schon 1928 gegen das Buch und die »marcionisierende These Harnacks« Stellung. Dieser habe die »Konservierung« des Alten Testamentes als kanonischer Urkunde im Protestantismus als »die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung« gebrandmarkt. Aber mit einem Sieg dieser These würde mehr erzielt als »die Trennung zweier Bücher und die Entheiligung des einen für die Christenheit: der Mensch wäre von seinem Ursprung losgeschnitten, die Welt verlöre ihre Schöpfungsgeschichte und damit ihren Schöpfungscharakter, oder die Schöpfung selber würde zum Sündenfall« (JuJ, S. 198). 1952 – nach der Schoah – kommt Buber auf Harnack und Marcion noch einmal zu sprechen. Er sieht jetzt schärfer als zuvor die entsetzlichen politischen Folgen eines Marcionitismus für Juden (ohne Harnack persönlich Antisemitismus unterstellt zu haben): »Harnack starb 1930; drei Jahre danach war sein Gedanke, der Gedanke Marcions, in Handlung umgesetzt, nicht mit Mitteln des Geistes, sondern mit denen der Gewalt und des Terrors. Der Staat, dessen Bürger Harnack gewesen war, stellte die Kirchen vor die Wahl, entweder den Geist Israels gänzlich auszuschalten und damit allem Einfluß auf die Geschäfte dieser Welt, die des Staates und der Gesellschaft, zu entsagen oder mitsamt dem Judentum liquidiert zu werden.« (JuJ, S. 152) 91. Brief an Eugen Mayer vom 30. Dezember 1925, in: Briefe, hrsg. von Edith Rosenzweig, Berlin 1935, S. 552. Zitiert von Martin Buber, Zur Verdeutschung des letzten Bandes der Schrift, Köln: Jakob Hegner 1962; aufgenommen in u. hier zitiert aus: Werke II, S. 1175-1182, Zitat S. 1182.

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»Es sieht mir nicht danach aus, als ob Die Schrift siebzig Jahre zu warten hätte. Aber ›missionieren‹ – ja, auf jeden Fall! Ich bin sonst ein radikaler Gegner alles Missionierens und habe auch Rosenzweig gründlich widersprochen, wenn er sich für eine jüdische Mission einsetzte. Aber diese Mission da lasse ich mir gefallen, der es nicht um Judentum und Christentum geht, sondern um die gemeinsame Urwahrheit, von deren Wiederbelebung beider Zukunft abhängt. Die Schrift ist am Missionieren. Und es gibt schon Zeichen dafür, daß ihr ein Gelingen beschieden ist.« 92

11. Dialogpraxis zwischen Selbstbehauptung und Anerkennung Die in diesem Band abgedruckten Texte aus den Jahren 1928 bis 1933 sind Dokumente eines mehr oder weniger gelungenen Dialogs. Buber redet über Sachfragen jetzt weniger allgemein und abstrakt, vielmehr in Gegenwart konkreter christlicher Gesprächspartner, darunter bedeutende Vertreter evangelischer Theologie wie Emil Brunner (1889-1966) und Karl Ludwig Schmidt (1891-1956) oder namenlos bleibende Gesprächspartner, die Buber auf der Reise wie zufällig trifft und auf deren Herausforderung er insbesondere im Blick auf die Rede von Gottes Wirklichkeit antwortet (»Gespräch um Gott. Bericht über zwei Meinungskämpfe«, 1933).93 Auch Sachfragen nimmt er auf, die von christlichen Theologen aufgeworfen werden (»Brief an Ernst Michel«, 1933).94 Dabei lässt das Gespräch mit Emil Brunner, seit 1924 Professor für Systematische und Praktische Theologie in Zürich und anfangs zusammen mit Karl Barth (1886-1968), Friedrich Gogarten und Eduart Thurneysen (1888-1974) einer der Mitstreiter für eine neue »Dialektische Theologie«, noch nichts von den Zeitereignissen erkennen, die sich in Deutschland dramatisch zuspitzten. Bubers Gespräch mit Brunner zur Frage von Sünde und Gnade und damit zur Möglichkeit und Unmöglichkeit menschlichen Handelns vor Gott (»Das menschliche Handeln und seine Problematik«, 1928)95 gleicht mehr einem Aneinandervorbeireden als einem wirklichen Dialog und droht stellenweise in der Tat, wie im Dokument durch den dritten Partner, den Zürcher Literaturwissenschaftler Theophil Spoerri (1890-1974) angemerkt, zu »zerkrümeln«.96

92. 93. 94. 95. 96.

Ebd. In diesem Band, S. 140-144. In diesem Band, S. 138 f. In diesem Band, S. 103-127. In diesem Band, S. 119.

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Zugleich ist unübersehbar: Zu Beginn der 1930er Jahre setzten sich bei allen Abgrenzungen immer stärker Figuren der Konvergenz und Konvivenz in Bubers Denken durch. Sie werden nicht länger nur gesellschaftspolitisch-»koalitionär«, sondern jetzt auch theologisch begründet. So in einer Rede ausgerechnet vor einer der christlichen Judenmissionsgesellschaften in Stuttgart im März 1930. Buber hatte hier zunächst über »Die Brennpunkte der jüdischen Seele« (1932)97 gesprochen, um dann nicht nur auf das Trennende, sondern auch auf das Gemeinsame zwischen Christen und Juden einzugehen. Trennend sei nach wie vor: Für Christen sei das Alte Testament »ein Vorhof«, für Juden »das Heiligtum«. Die Erwartung von Christen gehe »auf eine Wiederkehr«, die Erwartung von Juden »auf das unvorweggenommene Kommen« des Messias. Hier liegt für Buber ein für allemal die »Spaltung« zwischen Christen und Juden, die »von keiner Menschenmacht« überbrückt werden könne. Zugleich aber könnten Christen und Juden »des Einen Kommenden gemeinsam harren«, meint Buber, und es gäbe »Augenblicke« »da wir ihm gemeinsam die Straße bahnen dürfen«. Achten wir auf Figuren der Konvergenz, die Buber nun zu bilden in der Lage ist. 15 Jahre zuvor hatte er in seinen Texten noch signalisiert, »für Jesus und gegen das Christentum« kämpfen zu wollen, hatte dem Christentum einen unschöpferischen Mix »aus tausend Riten und Dogmen« unterstellt, ihm eine »ungeheuerliche Mißdeutung« von Jesu Lehre vorgeworfen, eine »Usurpation jüdischen Urbesitzes«, eine Verkehrung »von Jesu Sinn und Grund«. Von Paulus bis Luther hatte er dem Christentum attestiert, ein »süßes Gift des Glaubens« zu verbreiten, »der die Werke verschmäht«, einer Haltung von Passivität und Erwartung Vorschub zu leisten, ja sogar die Welt negativ zu entheiligen. Jetzt, Anfang der 1930er Jahre, plädiert Buber (etwa in seiner Stuttgarter Rede) für »gläubige Ehrfurcht vor dem Wahrheitsglauben des Anderen«, worunter er nicht bloß »Toleranz« versteht. Nicht bloß solle das »Irren des Anderen« geduldet werden, vielmehr gehe es um »gläubige Ehrfurcht vor dem Wahrheitsglauben des Anderen«. Diese sei möglich, weil sich jeder Gottesglaube an der Wirklichkeit Gottes selbst zu relativieren habe. »Gott selbst« sei etwas anderes als »unsre Gottesbilder« von ihm! Buber endet denn auch mit einem theologischen Kernsatz, der die Ehrfurcht vor dem »Wahrheitsglauben des Anderen« jetzt entschieden theozentrisch begründet: »Sobald es uns, Christen und Juden, wirklich um Gott selber und nicht bloß um unsre Gottesbilder zu tun ist, sind wir, Juden und Christen, in der Ahnung verbun-

97. In diesem Band, S. 128-137.

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den, daß das Haus unsres Vaters anders beschaffen ist, als unsre menschlichen Grundrisse meinen.«98

12. Der »ungekündigte Bund« und das Nebeneinander von Juden und Christen im Geheimnis Gottes Vertieft wird dies alles noch einmal durch eines der wichtigsten Religionsgespräche, die es in Leben und Werk Martin Bubers gibt, das Gespräch im Jüdischen Lehrhaus zu Stuttgart am 14. Januar 1933, geführt mit dem Bonner evangelischen Neutestamentler Karl Ludwig Schmidt kurz vor der »Machtergreifung« Adolf Hitlers. Der Text »Kirche, Staat, Volk, Judentum« (1933) 99 trägt zwar die Bezeichnung »Zwiegespräch«, in Wirklichkeit aber handelt es sich um zwei (durchaus verschieden strukturierte) Monologe und je eine Replik, die das vorgegebene Themenspektrum aus der jeweiligen Glaubensperspektive explizieren. Bei allem Respekt vor Buber als Person und aller entschiedenen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus (Schmidt wird 1933 von seinem Bonner Lehrstuhl vertrieben) lässt Karl Ludwig Schmidt als christlicher Theologe keinen Zweifel daran, wie das Judentum theologisch zu werten sei. 100 Zwar gebe es Gemeinsamkeit zwischen Juden und Christen in der »gemeinsamen Bemühung um Israel«. Eine Kirche, die nichts wisse oder wissen wolle von Israel, sei eine »leere Hülse«. Aber diese Gemeinsamkeit ist für Schmidt nur eine vorläufige. Warum? »Die Kirche Jesu Christi eifert fort und fort um dieses Judentum; ihre Duldsamkeit ist ein hoffendes Warten, daß schließlich auch die Juden, ja gerade die Juden erkennen möchten, daß nur die Kirche des Messias Jesus von Nazaret das von Gott berufene Gottesvolk darstellt, dem die Juden einverleibt werden, wenn sie sich wirklich als Israel verstehen.« »Nur die Kirche«! Buber kennt diese über Jahrhunderte tradierte Position des christlichen Exklusivismus und Antijudaismus zur Genüge. Die Kirche sehe Israel »als ein von Gott verworfenes Wesen«, und diese Verworfenheit ergebe sich notwendigerweise aus dem »Anspruch der Kirche, das wahre Israel zu sein«. Die »von Israel haben danach ihren Anspruch eingebüßt, 98. In diesem Band, S. 137. 99. In diesem Band, S. 145-168 u. 372-385. 100. Vgl. Peter von der Osten-Sacken, Begegnung im Widerspruch. Text und Deutung des Zwiegesprächs zwischen Karl Ludwig Schmidt und Martin Buber im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart am 14. Januar 1933, in: Ders. (Hrsg.), Leben als Begegnung. Ein Jahrhundert Martin Buber (1878-1978). Vorträge und Aufsätze, Berlin 1978, 2. Aufl. 1982, S. 116-144.

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weil sie Jesus nicht als den Messias erkannten«. Zugleich aber denkt Buber nun nicht mehr daran, auf den christlichen Exklusivismus mit einem jüdischen zu antworten. Im Gegenteil: Bubers Antwort ist kein geschichtlich oft wiederholter jüdischer Gegenzug, sondern ein neues, zukunftsweisendes Gesprächsangebot, wobei er zunächst einräumt, dass er als Jude keine Möglichkeit habe, »gegen dieses Wissen der Kirche um Israel etwas zu setzen«. Gemeint ist: den Anspruch der Kirche, das »wahre Israel« zu sein, schlicht zu falsifizieren. Aber man kann als gläubiger Jude seinen eigenen Anspruch dagegen setzen. Und genau dies tut Buber jetzt in neu gewonnener Klarheit, die sich in der Begegnung mit Rang schon abgezeichnet hatte: »Aber wir Israel wissen um Israel von innen her, im Dunkel des von innen her Wissens, im Licht des von innen her Wissens. Wir wissen um Israel anders. Wir wissen (hier kann ich nicht einmal mehr ›sehen‹ sagen, denn wir wissen es ja von innen her, und auch nicht mit dem ›Auge des Geistes‹, sondern lebensmäßig), daß wir, die wir gegen Gott tausendfach gesündigt haben, die wir tausendfach von Gott abgefallen sind, die wir diese Jahrtausende hindurch diese Schickung Gottes über uns erfahren haben – die Strafe zu nennen zu leicht ist, es ist etwas Größeres als Strafe –, wir wissen, daß wir doch nicht verworfen sind.« 101

»Nicht verworfen« heißt positiv: Der Bund Gottes mit Israel bleibt bestehen. Mag die Kirche Israel auch noch so sehr verworfen haben, mag Israel selbst sich gegen Gott »tausendfach« versündigt haben, Gottes Berufung Israels als sein Volk ist unwiderrufen. Was umgekehrt heißt: Es gibt in der Geschichte ein bleibendes Nebeneinander von Kirche und Israel im Gegenüber zu Gott. Buber bringt nun die theologische Schlüsselkategorie ins Spiel, mit der dieses bleibende Gegenüber von Kirche und Israel beschrieben werden kann: wechselseitige Anerkennung des jeweils eigenen »Gottesgeheimnisses«. Das theologische Zentrum Bubers zum Verhältnis Kirche – Israel ist damit endgültig benannt, was auch spätere Texte zeigen: »Echo und Aussprache. Ein Briefwechsel mit Martin Buber« (1949), sowie »Zur Klaerung« (1954) und Philosophical Interrogations (1964). 102 Die jetzt gewonnene Grundfigur der wechselseitigen Anerkennung des je verschiedenen Gottesgeheimnisses wird somit für Buber gesteuert von einer theologischen Axiomatik: Gottes Berufung Israels zu seinem Volk ist unwiderrufen; der Bund Gottes mit Israel ist ungekündigt. Das hebt ein Schlüsseldokument noch einmal hervor, das schon sprachlich-stilistisch zu den eindrücklichsten Zeugnissen Buberscher Prosa gehört:

101. In diesem Band, S. 156. 102. In diesem Band, S. 192-201, 320-325 u. 329 f.

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»Dom und Friedhof« (1934), ein Text, den Buber schon 1933 in das Gespräch mit Karl Ludwig Schmidt eingebracht hatte. Nicht zufällig wiederholt Buber in dieser kostbaren kleinen Arbeit dreimal die Wendung »mir nicht aufgekündigt«. Das Pathos ist gewollt, denn damit ist das Israel eigene, unverwechselbare Gottesgeheimnis ein für allemal bestimmt, dem sich Buber als glaubender Mensch tief verpflichtet weiß. Die Bundeszusage Gottes gilt ja auch jedem Einzelnen, bindet, verpflichtet. Sie kann selbst durch die Erfahrung der Schoah nicht erschüttert werden, wie Bubers Rede zum Tod von Leonhard Ragaz 1946 zeigt. 104 Umgekehrt lebt für Buber auch die christliche Kirche Seite an Seite mit Israel als eine gottgewollte, in ihrer Andersheit zu respektierende Größe. Die Kirche hat ihr eigenes, unverwechselbares Gottesgeheimnis. Buber bringt dies auf die prägnante Formel, mit der er nicht zufällig seinen Beitrag im Gespräch mit Karl Ludwig Schmidt enden lässt: »Der Christ braucht nicht durchs Judentum, der Jude nicht durchs Christentum zu gehen, um zu Gott zu kommen.«105 Beide, Juden wie Christen, wissen somit um ihr jeweiliges Gottesgeheimnis, ohne es miteinander teilen zu können. Warum aber ist das so? Warum gibt es dieses Nebeneinander der »Geheimnisse« in der einen Welt als dem »Haus Gottes«? Das bleibt den Menschen entzogen. Den Grund kennt Gott allein, eine Einsicht, die Juden und Christen wechselseitig bescheiden machen könnte. Buber argumentiert auch hier wieder theozentrisch und zieht daraus Konsequenzen für die Verpflichtung von Juden und Christen auf Frieden und praktische Zusammenarbeit. Beide wissen sich hineingehalten in das Geheimnis Gottes, jetzt noch mit einer »Scheidewand« versehen, aber doch ausgestattet mit dem Wissen um die Einheit des Hauses Gottes und mit der Hoffnung, dass sie einst vereint sein werden in dem einen gemeinsamen Dienst. Das alles hat mit einem schiedlich-friedlichen Nebeneinander nichts zu tun. So wäre Buber gründlich missverstanden. Denn sein Text lässt nicht Unverbindlichkeit, sondern Verpflichtung für Juden und Christen erkennen, um die jeweils erkannte Wahrheit Gottes noch zu ringen. Ausdrücklich betont Buber, dass man sich als Jude oder Christ um seine je eigene »Glaubenswirklichkeit«, d. h. um sein im Gewissen verpflichtendes Glaubenszeugnis, nicht »drücken« könne. Das je eigene Glaubenszeugnis wäre in »rückhaltlosem Vertrauen« einander mitzuteilen. Das ist das Gegenteil von schulterklopfendem Einverstandensein mit 103. In diesem Band, S. 175. 104. »Ragaz und ›Israel‹«, in diesem Band, S. 187-191. 105. In diesem Band, S. 168.

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der Andersheit des je Anderen, was nur ein Alibi für Passivität und Gleichgültigkeit lieferte. Verpflichtung auf Dialogizität verbindet sich bei Buber vielmehr mit dem Festhalten an einer theologischen Axiomatik. 106

13. Gerhard Kittel und die »Judenfrage« Als Bubers Stellungnahme zu »Kirche, Staat, Volk, Judentum« in der von Karl Ludwig Schmidt herausgegebenen Zeitschrift Theologische Blätter am 9. September 1933 erschien, war im selben Blatt am 8. August bereits sein »Offener Brief an Gerhard Kittel« (1933)107 veröffentlicht worden. Der Hintergrund: Die so genannte »Judenfrage« war plötzlich noch einmal ganz anders theologisch und politisch brisant geworden als im Austausch mit Karl Ludwig Schmidt. Denn der Tübinger evangelische Neutestamentler Gerhard Kittel (1888-1948), der Mitbegründer und Herausgeber eines großen wissenschaftlichen Grundlagenwerks 108 und eine anerkannte Autorität in seinem Fach, war im Juni 1933 mit einer Broschüre Die Judenfrage an die Öffentlichkeit getreten. Gerade als christlicher Theologe fühlt er sich berufen, in einer Frage der aktuellen deutschen Politik, in der »eine besonders große Unsicherheit und Hilflosigkeit« herrsche, Klarheit zu schaffen und Vorschläge zu unterbreiten,

106. Diese Entschiedenheit für beides, Dialogizität und Axiomatik, ist von manchen nicht richtig verstanden worden. So meint beispielsweise der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer in dem Versuch Bubers, dem Dialog eine Grenze zu ziehen, eher so etwas wie »Resignation« erkennen zu können. Zu Bubers Satz »Es gibt ein Etwas in der Glaubensgeschichte Israels, das nur von Israel her zu erkennen ist, wie es ein Etwas in der Glaubensgeschichte der Christenheit gibt, das nur von ihr aus zu erkennen ist«, mit dem Buber später in Zwei Glaubensweisen (1950) die Position aus dem Gespräch mit Karl Ludwig Schmidt wiederholt, meint Gollwitzer anmerken zu müssen: »Zu diesen bezeichnenderweise reichlich vagen Formulierungen wäre mancherlei zu sagen, um ein etwaiges hermeneutisches Wahrheitsmoment herauszudestillieren. Ich beschränke mich auf die Feststellung, daß Buber hier – ohne offenbar die Konsequenzen für seine Dialogik zu bedenken – dem Dialog eine Grenze zieht: Er kann nur bis zu einem gewissen Punkt führen, jenseits dessen jeder in seine unmittelbare Eigenheit eingemauert bleibt. Möglicherweise sind solche Worte aus der Resignation zu erklären, in die die unerhörten Schwierigkeiten gerade des christlich-jüdischen Dialogs uns zu verführen drohen. Die Bubersche Dialogik ist aber entworfen, nicht um solche Resignation zu legitimieren; sondern um gegen sie Hoffnung zu geben und Mut zu immer neuen Anfängen.« Helmut Gollwitzer, Martin Bubers Bedeutung für die protestantische Theologie, in: Martin Buber. Bilanz seines Denkens, hrsg. von Jochanan Bloch u. Haim Gordon, Freiburg i. Br. 1983, S. 402-423, Zitat S. 419. 107. In diesem Band, S. 169-172. 108. Gerhard Kittel, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933.

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was mit »dem Judentum« zu geschehen habe. Immerhin hatten die Nazis und ihre Helfershelfer in Deutschland gegen jüdische Mitbürger zu wüten begonnen. Am 1. April 1933 war es erstmals zum Boykott jüdischer Geschäfte gekommen, ein erster, gezielter Akt öffentlichen Terrors. Am 7. April war das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« erlassen worden, und mit diesem Paragraphenwerk, das den »Arierparagraphen« enthält (Juden sind vom aktiven Staatsdienst ausgeschlossen), hatte die systematische rechtliche Diskriminierung für Juden in Deutschland begonnen. Welche Art von »Klarheit« also wollte Gerhard Kittel schaffen? Gleich zu Beginn seiner Einleitung zählt Kittel in kältester Bürokratenprosa vier Optionen auf, wie man mit dem Judentum verfahren könne: »1. Man kann die Juden auszurotten versuchen (Pogrome); 2. man kann den jüdischen Staat in Palästina oder anderswo wiederherstellen und dort die Juden der Welt zu sammeln versuchen (Zionismus); 3. man kann das Judentum in den anderen Völkern aufgehen lassen (Assimilation); 4. man kann entschlossen und bewusst die geschichtliche Gegebenheit einer ›Fremdlingschaft‹ unter den Völkern wahren.«110

Kittel argumentiert im Folgenden für die vierte Option. Die ersten beiden hält er für politisch aussichtslos, die dritte für selbstwidersprüchlich; sie liefe auf eine Selbstaufgabe des Judentums hinaus. Die vierte Option dagegen hält Kittel für sachgemäß, weil sie dem Status entspreche, den Gott dem jüdischen Volk von jeher auferlegt habe. Das Judentum brauche nun einmal als Religion (auf der Basis seines Religionsgesetzes) einen Sonderstatus innerhalb der Völkerwelt, meint Kittel. Es müsse sich abgrenzen und sei daher notwendigerweise ein Fremdling. Rechtliche Gleichstellung im bürgerlichen Sinn könne von daher nicht in Frage kommen. Judentum könne es in der Völkerwelt nur als »Gastjudentum« geben, und dies angeblich nach dem Selbstverständnis des Judentums selbst: »Dagegen hat das echte, fromme Judentum selbst zu allen Zeiten die klare Erkenntnis festgehalten, welcher Fluch die Assimilation ist. Eines der Grundgesetze, daß die alttestamentlichen Propheten nicht müde werden zu verkündigen, ist dieses: daß Vermischung mit den anderen Völkern die schwerste Sünde für Israel sei. Das Alte

109. Gerhard Kittel, Die Judenfrage. Mit zwei Beiträgen: »Antwort an Martin Buber« sowie »Kirche und Judenchristen«, 3. Aufl., Stuttgart u. Berlin 1934. Zum geschichtlichen Hintergrund: Leonore Siegele-Wenschkewitz, Neutestamentliche Wissenschaft vor der Judenfrage. Gerhard Kittels theologische Arbeit im Wandel deutscher Geschichte, München 1980. 110. Gerhard Kittel, Die Judenfrage, S. 13.

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Testament bestraft diese Sünde mit Ausrottung. Dieser Kampf um die Reinheit Israels durchzieht das gesamte Alte Testament von der Zeit des Mose bis zur Zeit nach dem Exil. Der Bestand des Ghetto durch die Jahrhunderte hin war ja nicht nur durch den Zwang von außen gewährleistet, sondern auch durch den Willen von innen. Der fromme alte Ostjude verflucht noch heute seinen Sohn, wenn dieser in die Assimilation und in das Konnubium mit der Nichtjüdin geht. Das echte Judentum wußte zu allen Zeiten und weiß es auch heute noch: Volksvermischung und Rassenvermischung heißt: sich selbst verlieren, heißt: Dekadenz. Assimilation ist Sünde und Übertretung eines von Gott in Volk und Völker gesetzten Willens.« 111

Und weil dies für Kittel das Verständnis des Judentums selbst ist, kann es »deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens« nicht geben. Ein Jude, eben weil er Gast sei, müsse auf »jeden maßgebenden Einfluss verzichten«, und zwar »in den Dingen, die deutsches Staats- und Volksleben, deutsche Kultur und deutsche Geistesbildung betreffen«.112 Das gelte auch für die deutsche Literatur. Kittel wörtlich: »Ebenso muss gelten, dass der Angehörige des fremden Volkes in der deutschen Literatur nichts zu suchen hat«. 113 Vorgetragen war dies alles mit der Autorität eines christlichen Exegeten, der das Judentum noch besser zu kennen meinte als die Juden selbst. Das war provozierend genug. Für Buber aber musste es besonders provozierend erscheinen, dass Kittel ausgerechnet ihn, Buber, mit anderen Vertretern des zeitgenössischen Judentums als Bundesgenossen für sein Ansinnen glaubte beanspruchen zu können. Innerhalb der Judenschaft seien ja Bemühungen im Gange, meint Kittel, »in dem die Fremdlingschaft bejahenden Judentum eine lebendige Religion zu erwecken«.114 Bemühungen also, eine »Verflachung des Liberalismus« wie eine »Vertrocknung der Orthodoxie« zu überwinden. Und Kittel fügt hinzu: »Vielleicht ist in Martin Buber den Juden noch einmal ein Führer auf solchem Wege geschenkt, wenn er auch bisher stark mit dem zionistischen Ideal verbunden war. Seine und anderer Lebensarbeit um eine Erweckung der Religion der Väter und ihr Ringen um die Seele ihres Volkes kann und soll auch der Deutsche, und vollends der deutsche Christ, in Ehrfurcht und Achtung grüßen«115 .

Kittel schickt Buber seine Schrift am 13. Juni 1933 zu. 116 Buber antwortet mit einem »Offenen Brief an Gerhard Kittel«, 117 in dem er – im Ton auf111. 112. 113. 114. 115. 116. 117.

Ebd., S. 38 f. Ebd., S. 45. Ebd., S. 47. Ebd., S. 74. Ebd. Vgl. B II, S. 486 f. Vgl. B II, 487 f. In diesem Band, S. 169-172.

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fallend sachlich und unpolemisch – Kittels Argumentation souverän zurückweist. Er muss denn auch angesichts der politischen Lage in Deutschland vorsichtiger sein als etwa Gershom Scholem, der in einem persönlichen Brief an Buber aus Jerusalem vom 24. August 1933 seinen Gefühlen von »Ekel« und »Empörung« freien Lauf lassen kann. Kittels Broschüre sei »unter allen schmachvollen Dokumenten eines beflissenen Professorentums« gewiss »eines der schmachvollsten«, schreibt Scholem: »Welche Verlogenheit, welch zynisches Spiel mit Gott und Religion.« 118 Buber selbst stellt in der Sache richtig, was »der Gott der Bibel unter Fremdlingschaft, richtiger: unter Gastsassentum«, verstünde. In jedem Fall: »keine Diskriminierung!« Um zweierlei Recht gehe es nicht. Vielmehr um »einerlei Recht«. Das sei die »Magna Charta des biblischen Glaubens«, die nicht bloß Israel, sondern alle Völker binden solle. Nach Israels Gehorsam sei durchaus zu fragen, aber auch »nach dem Gehorsam der Völker«, ein Kerngedanke, der auch in Bubers Text »Zu Gerhard Kittels ›Antwort‹« (1933)119 im Zentrum steht, nachdem dieser in der zweiten Auflage seiner Broschüre eine mehrseitige »Antwort an Martin Buber« hatte drucken lassen. Für seine Sünden werde das Judentum von Gott zur Rechenschaft gezogen, erklärt Buber. Es sei nicht die Zuständigkeit der Völker, »den Juden dafür die Buße einer Entrechtung aufzuerlegen«. Und wenn Gott »einst zwischen Israel und den Völkern richtet, wird er das Schuldbuch der Völker wohl nicht unaufgeschlagen lassen«.

14. Die Summe: Zwei Glaubensweisen (1950) Die Auseinandersetzung mit dem Christentum war über 40 Jahre weitgehend im Schema von Herausforderung und Antwort erfolgt. Buber hatte jeweils direkt oder indirekt zu Wertungen, Behauptungen und Zumutungen von christlicher Seite Stellung genommen, um dann das Eigengewicht und Eigenprofil eines authentischen jüdischen Glaubenszeugnisses einzubringen. All diese Positionsbestimmungen und Stellungnahmen aber drängten auf eine eigenständige Darlegung, die alles noch einmal grundsätzlich reflektiert und systematisch zusammenfasst. Seit 1913 gibt es Signale Bubers, dass er an einem »Buch über das Urchristentum« arbeitet, 120 seit 1922 ein Dokument, in dem er den Unterschied zwischen Judentum und Christentum als einen »Unterschied der 118. B II, S. 502. 119. In diesem Band, S. 173 f. 120. Brief an Hugo Bergmann vom 31. Oktober 1913, in: B I, S. 346.

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Glaubensweise« bezeichnet. Aus dem Jahr 1932 gibt es überdies einen Hinweis, der für das Paulus-Bild Bubers wichtige Aufschlüsse gibt. Albert Schweitzer ist, wie schon mit seinem Jesus-Buch, auch mit seinen Büchern über die Paulus-Forschung und über die Theologie des Paulus für Buber prägend gewesen.122 Noch 1948 will Buber das geplante Buch »Der palästinensische Jesus« nennen, wie er an den Verleger Salman Schocken am 2. März 1948 schreibt. 123 Entstanden ist das 1950 erstmals publizierte Werk nach Bubers eigenen Angaben in Jerusalem, und zwar in dem Jahr, als Israel 1948 um seine staatliche Existenz und Unabhängigkeit ringt. Ein »Chaos der Vernichtung« war ausgebrochen, wie Buber schreibt. Die Arbeit an diesem Buch aber habe ihm, dem Zeugen zweier Weltkriege, »geholfen, auch diesen Krieg, für mich den schwersten der drei, im Glauben zu überstehn«.124 Zwei Glaubensweisen ist somit auch und vor allem als ein Buch jüdischer Selbstbehauptung und Identitätsbewahrung zu verstehen, in einer Zeit, als die Gräben zwischen Juden und Nichtjuden weiter und die Wunden tiefer waren denn je. Brennpunktartig bündelt sich hier alles, was Buber in einer langen Werkgeschichte an Einsichten in Sachen Christentum zugewachsen war. Die Grundformel, auf die er den Unterschied zwischen Judentum und Christentum jetzt bringt, heißt: zwei Glaubensweisen, zwei Grundformen, sich zum Unbedingten, zu Gott, zu verhalten. Buber schematisiert hier bewusst, indem er Emuna und Pistis einander gegenüberstellt. Das hebräische Wort emuna meint Glauben als reines, unbedingtes Vertrauen in der unmittelbaren Beziehung des Menschen zu Gott (also ohne Mittler); wohingegen das griechische Wort pistis in Bubers Verständnis ein Glauben im Sinne des Fürwahrhaltens von Glaubensinhalten meint, ein Glauben an etwas, beispielsweise an die Auferstehung oder das Erlösungswerk Christi. Die erste Glaubensweise ist für Buber Kennzeichen des jüdischen, die zweite das des christlichen Glaubens. Der seit langem von Buber herausgearbeitete Dualismus Jesus – Paulus prägt nun auch die Darstellung dieses Buches. Punkt für Punkt arbeitet Buber noch einmal die Diskrepanz zwischen dem genuin jüdischen Glauben Jesu und dem hellenistisch-gnostisch gefärbten Glauben an Jesus als 121. Brief an Friedrich Gogarten vom 22. Dezember 1922, in: B II, S. 146. 122. Albert Schweitzer, Geschichte der paulinischen Forschung von der Reformation bis auf die Gegenwart, Tübingen 1911; ders., Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1930. Buber bestätigt dies in einem Brief an Albert Schweitzer vom 5. Dezember 1932, in: B II, S. 454. 123. B III, S. 170. 124. In diesem Band, S. 208.

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Christus und Erlöser heraus. Der altgewordene Buber ist jetzt – in vollem Wissen um die Schoah – zu einzigartigen Worten über Jesus fähig, ohne die geringste Konzession an eine Christologie zu machen. Schon in seinen Würdigungen von Leonhard Ragaz hatte Buber eine seiner »prägnantesten und leidenschaftlichsten Aussagen über den Platz Jesu in der jüdischen Gemeinde« gemacht: 125 »Ich glaube nicht an Jesus, aber ich glaube mit ihm«, so Buber 1943, ergänzt um das kühne Wort von 1946: »Ich glaube fest daran, dass die jüdische Gemeinschaft im Zug ihrer Wiedergeburt Jesus rezipieren wird, und zwar nicht bloss als eine grosse Figur ihrer Religionsgeschichte, sondern auch im lebendigen Zusammenhange eines sich über die Jahrtausende erstreckenden messianischen Geschehens, das in der Erlösung Israels und der Welt münden wird.« 126

Jetzt – in Zwei Glaubensweisen – prägt Buber im Blick auf Jesus noch einmal ein anderes Wort. Jesus habe er »von Jugend auf« als seinen »großen Bruder« empfunden. »Gewisser als je« sei es ihm, dass diesem Jesus ein »großer Platz in der Glaubensgeschichte Israels« zukomme, der »durch keine der üblichen Kategorien umschrieben« werden könne. Die Christenheit sehe ihn »als Gott und Erlöser«, und diese Tatsache sei »von höchstem Ernst«, die er, Buber, um Jesu und seiner selbst willen zu begreifen versuchen müsse. 127 In einer späteren Passage geht Buber noch weiter und betont Jesu überragende Stellung im Judentum seiner Zeit mit diesen Sätzen: »Alles in allem, der Spruch Jesu von der Feindesliebe zieht seine Leuchtkraft aus der jüdischen Welt, in der er steht und die er zu bestreiten scheint; und er überstrahlt sie«. 128 Womit wir eine Brücke fast 60 Jahre zurück zur Barmizwah-Feier am 8. Februar 1891 schlagen können, von der wir ausgegangen sind und in der schon der 13-jährige 125. Maurice Friedman, Begegnung auf dem schmalen Grat, S. 372. 126. In diesem Band, S. 190. 127. Alle vorangegangenen Zitate aus Bubers Vorwort zu Zwei Glaubensweisen, in diesem Band, S. 206. 128. In diesem Band, S. 247. Dass sein Wort von Jesus als seinem »großen Bruder« nicht als »Dünkel« zu verstehen sei, betont Buber eigens in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Rudolf Pannwitz (1954, abgedruckt in diesem Band unter dem Titel »Christus, Chassidismus, Gnosis«): »So sei denn auch dazu die Erläuterung gegeben, die ich, das Verständnis meiner Leser überschätzend, für überflüssig hielt: die Juden, die es vom Grund aus, vom Urbund aus sind, die ›Erzjuden‹, zu denen ich mich zu zählen wage, sind ›Brüder‹ Jesu. Auch dies habe ich zwei Jahrzehnte früher vorweg ausgesprochen: ›dass wir Juden ihn (Jesus) von innen her auf eine Weise kennen, eben in den Antrieben und Regungen seines Judenwesens, die den ihm untergebenen Völkern unzugänglich bleibt.‹« (s. in diesem Band, S. 318) Der Verweis auf »zwei Jahrzehnte früher« bezieht sich auf die von uns bereits dokumentierte Schilderung der folgenreichen Begegnung mit Florens Christian Rang, beschrieben in Bubers Schrift Zwiesprache.

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Buber von der Feindesliebe als einem Kerngebot der jüdischen Religion gesprochen hatte. Zugleich können wir eine Brücke zu einer besonderen Aussage Bubers schlagen, die der Feindesliebe Jesu alles Schwärmerische nimmt. Für Buber ist sie durchaus zwiespältig zu verstehen. Das zeigt ein besonderes Dokument, Bubers »Brief an Gandhi« vom Februar 1939.129 Buber, von Mahatma Gandhi (1869-1948) in der Palästina-Politik des Judentums herausgefordert, verteidigt hier mit der ganzen ihm zur Verfügung stehenden Sachkenntnis und Leidenschaft den gewaltsamen jüdischen Widerstand in Palästina, gerade einem Mann gegenüber, den er als »Apostel der Gewaltlosigkeit« in seiner moralischen Autorität aufs höchste respektiert. Gandhi hatte unter anderem von einem »Stigma« gesprochen, das den Juden anhafte, da ihre »Ahnen Jesus gekreuzigt« hätten. Buber reagiert darauf mit dem Hinweis, dass er das historisch für möglich halte, aber ein »Stigma« für ein ganzes Volk? Da gestattet er sich, Widerspruch anzumelden. Und dann folgt zur Frage Gewalt – Gewaltlosigkeit die entscheidende Aussage über Jesus: »Ich möchte Ihnen aber nicht verschweigen, daß ich zwar nicht unter den Kreuzigern Jesu, aber auch nicht unter seinen Anhängern gewesen wäre. Denn ich kann mir nicht verbieten lassen, dem Übel zu widerstreben, wo ich sehe, daß es daran ist, das Gute zu vernichten. Ich muß, wie dem Übel in mir, so dem Übel in der Welt widerstehen. Ich kann nur darum ringen, es nicht durch Gewalt tun zu müssen. Ich will die Gewalt nicht. Aber wenn ich nicht anders als durch sie verhindern kann, daß das Übel das Gute vernichtet, werde ich hoffentlich Gewalt üben und mich in Gottes Hände geben.«

Deutlicher als zuvor legt Buber in Zwei Glaubensweisen offen, worin er die Gefahr des Christusglaubens erblickt: Christus als Gottessohn stehe zwischen Mensch und Gott und verdränge am Ende Gott, den Vater. Im schon genannten Dokument von 1922 (Brief an Friedrich Gogarten) war nicht zufällig ein Hinweis auf Dostojewskij (1821-1881)erfolgt, der dann in Zwei Glaubensweisen an entscheidender Stelle wieder aufgenommen wird: »Hier kommen wir freilich aus der Sphäre des persönlichen Denkens heraus und mitten in das Problem des Zeitalters, wie es sich am nachdrücklichsten in Dostojewski darstellt, der nur noch an Christus wirklich glauben kann.« 130

129. Martin Buber, Brief an Gandhi, Zürich: Verlag Die Gestaltung 1939; aufgenommen in u. hier zitiert aus: JuJ, S. 628-643, Zitat S. 642. 130. B II, S. 146.

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Christus hat faktisch Gott ersetzt! Darauf läuft nach Bubers Wahrnehmung innerchristlich eine Entwicklung hinaus, die bei Paulus und Johannes beginnt und die das für einen Juden völlig Inakzeptable ergibt: Die Erlöserschaft eines Mittlers zwischen Gott und Mensch führt zu einem Prozess der »Vergottung« Jesu 131 mit der Konsequenz, dass im Christentum die Einzigartigkeit Gottes faktisch durch einen Bitheismus, einen Zwei-Götter-Glauben, ersetzt und so verraten wird: »Die Präsenz des Einen Bildlosen« wird »durch das binitarische Gottesbild ersetzt, dessen eine, dem Menschen zugekehrte Seite ihm ein Menschengesicht zeigt. So und nicht anders mußte von den johanneischen Voraussetzungen aus das binitarische Gottesbild aufgerichtet werden«.132 Konsequenz: »Zugleich bildlos und bildhaft ist der Gott des Christen, jedoch bildlos mehr in der religiösen Idee, bildhaft mehr in der gelebten Gegenwart. Das Bild verdeckt den Bildlosen«. 133 Dieser Befund klingt wenig aufregend, hatte aber in Bubers Sicht erhebliche Konsequenzen. Der katholische Religionsphilosoph Eugen Biser hat darauf in seinem Buch Buber für Christen (1988) aufmerksam gemacht und den Zusammenhang von Bubers Christentumskritik mit seiner Diagnose der »Gottesfinsternis« als Signum unserer Epoche herausgestellt. 134 Wir stoßen hier auf den härtesten Punkt von Bubers Auseinandersetzung mit dem Christentum. Denn Buber bringt in Zwei Glaubensweisen das Christentum insbesondere in seiner paulinischen Prägung ausdrücklich in Zusammenhang mit der von ihm wahrgenommenen Verfinsterung des Himmelslichts. Ja, Buber vertieft nun den Gedanken von einem in Todeszuckungen liegenden »paulinischen Zeitalter«, der schon in der Landauer-Rede von 1919 eine wichtige Rolle gespielt hatte. Jetzt geht er sogar so weit, die »Zeitalter der christlichen Geschichte« nach dem Maße der »Vorherrschaft des Paulinismus« zu ordnen. »Paulinismus« verstanden als eine Weise der Welt-Erfahrung, bei der die Welt in die Hände »unabwendbarer Gewalten« gegeben ist, ausgeliefert einem »Gewirr von Zwischenwesen«: »Paulinisch sind jene 131. 132. 133. 134.

In diesem Band, S. 272 f. In diesem Band, S. 282. In diesem Band, S. 284. Eugen Biser, Buber für Christen. Eine Herausforderung, Freiburg i. Br. 1988, Kap. V: »Kritik des Christentums«. Vgl. ebenso: Martin Buber, Gottesfinsternis. Betrachtungen zur Beziehung zwischen Religion und Philosophie, Zürich: Manesse 1953. Zu Gottesfinsternis vgl. neuerdings den aufschlussreichen Beitrag des Jenaer evangelischen Theologen Martin Leiner, Martin Bubers Rede von der Gottesfinsternis, in: Wie lässt sich über Gott sprechen? Von der negativen Theologie Plotins bis zum religiösen Sprachspiel Wittgensteins, hrsg. von Werner Schüßler, Darmstadt 2008, S. 187202.

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Zeitalter«, so Buber, »in denen die Widersprüche des menschlichen Lebens, insbesondere des menschlichen Zusammenlebens, sich so übersteigern, daß sie im Daseinsbewußtsein der Menschen in wachsendem Maße den Charakter des Verhängnisses annehmen«.135 Doch während sich ein Christ wenigstens noch »mit paulinischer Gewalt an die Gnadenfülle des Mittlers« klammern könne, habe sich heute, im 20. Jahrhundert, meint Buber, die paulinische Sicht »mancher außerchristlicher Kreise« bemächtigt. Heute gebe es – Kafkas Romane Der Prozeß oder Das Schloß zeigen das für Buber eindrücklich – einen »Paulinismus des Unerlösten«, eine Welt ohne Gnade, ohne Erlöser. Das aber ist die geschichtliche Verantwortung des Christentums: dieser negative Paulinismus ohne Christus, der diese unsere Zeit zu einer »Stunde der Gottesfinsternis« habe werden lassen. Eine Zeitsituation, daran lässt Buber in Kapitel 16 von Zwei Glaubensweisen keinen Zweifel, die auch das jüdische Glaubensverständnis in eine radikale Krise geführt hat, auf die der Jude aber, verpflichtet auf die Emuna, besser vorbereitet ist. Zugleich aber erkennt Buber, dass auch in der Welt des Christentums »aus dem starren Paulinismus ein Weg zu einer anderen, der Emuna näheren Gestaltung der Pistis« 136 führen kann. Buber hatte im Verlauf seines langen Lebens Christen kennen gelernt, die eine eindrucksvolle Vertrauensbeziehung zu Christus entwickelt hatten, die durch nichts hatte erschüttert werden können. Die Emuna gehört also nicht ausschließlich den Juden. Buber registriert das mit aller Distanz, versucht aber auch hier, die Andersheit von Christen zu begreifen und zu respektieren. Deshalb gehört neben dem 16. das 12. Kapitel von Zwei Glaubensweisen für christliche Rezipienten zu den eindrucksvollsten Passagen. Buber zitiert eine Reihe christlicher Freunde wie den schwedischen Erzbischof und großen Ökumeniker Nathan Söderblom (1866-1931) oder Florens Christian Rang, aber auch einen großen russischen Dichter wie Fjodor Michailowitsch Dostojewskij. Befremdet, aber mit großem Respekt, registriert er Äußerungen dieser Christen, die alle denselben Tenor haben: Sie würden nicht mehr an Gott glauben, wenn es Christus nicht gäbe. So nimmt Buber von Söderblom das Wort auf: »Es können einem wohl Zweifel an der Gottheit Gottes, aber nicht an der Gottheit Christi kommen«.137 Von Rang zitiert er: »Ich hätte es nicht überlebt [die schwerste Zeit seines Lebens], wenn ich nicht Christus gehabt hätte«. Und er135. Alle vorangegangenen Zitate Bubers s. in diesem Band, S. 304 u. S. 307. 136. In diesem Band, S. 312. 137. In diesem Band, S. 285. Buber zitiert aus Nathan Söderblom, Vater, Sohn und Geist unter den heiligen Dreiheiten und vor der religiösen Denkweise der Gegenwart, Tübingen 1909, S. 61.

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staunt, beinahe fassungslos nimmt Buber zur Kenntnis: »Christus, nicht Gott!« 138 Um dann zu folgern: »Ich sehe in alledem eine gewichtige Bezeugung des Heils, das durch den Christusglauben zu den Menschen der Völker gekommen ist: sie haben einen Gott erlangt, der in den Stunden, da ihnen die Welt zerbrach, nicht versagte, ja mehr noch, der ihnen in Stunden, da sie sich der Schuld verfallen fanden, die Sühne gewährte. Das ist ein weit Größeres, als was ein angestammter Gott oder Göttersohn der abendländischen Völker für dieses späte Zeitalter zu tun vermocht hätte. Und jenem Zeugnis Verwandtes tönt uns aus Aufschreien und Seufzern früherer Geschlechter an Christus entgegen. Man muß nur über ihrer Inbrunst oder Innigkeit das andre nicht überhören.« 139

Sein Buch schließt Buber mit der Doppelperspektive von bleibender Verschiedenheit und bleibender Verwiesenheit von Juden und Christen. »Wesensverschieden« seien der Glaube des Judentums und der Glaube des Christentums und »wesensverschieden« würden sie bleiben, meint Buber, bis das »Menschengeschlecht aus den Exilen der ›Religionen‹ in das Königtum Gottes eingesammelt« werde. Aber ein nach der Erneuerung seines Glaubens durch die Wiedergeburt der Person strebendes Israel und eine nach der Erneuerung ihres Glaubens durch die Wiedergeburt der Völker strebende Christenheit hätten »einander Ungesagtes zu sagen und eine heute kaum erst vorstellbare Hilfe einander zu leisten«. 140 In diese Richtung hatte auch schon ein Satz Bubers gewiesen, der ein Jahr zuvor, 1949, in einem Brief an Karl Thieme (1902-1963) die Bubersche Verhältnisbestimmung von Jude und Christ auf die – von der Diktion Søren Kierkegaards vorgeprägte – prägnante Formel bringt: »Judentum und Christentum stehen miteinander im Geheimnis unseres Vaters und Richters: so darf der Jude vom Christen und der Christ vom Juden nicht anders als in Furcht und Zittern vor dem Geheimnis Gottes reden. Auf dieser Grundlage allein kann es zwischen Jude und Christ echte Verständigung geben.«141

Eine Verständigung freilich, welche die »Wesensverschiedenheit« im Glaubenszeugnis nicht aufhebt, sondern präzisiert und zugleich am Geheimnis des gemeinsamen »Vaters und Richters« relativiert. 138. In diesem Band, S. 285. 139. Ebd. In seiner Auseinandersetzung mit Rudolf Pannwitz (vgl. Anm. 128) verteidigt sich Buber mit dieser Passage gegen den Vorwurf, er habe sich in Zwei Glaubensweisen über das Christentum »abwertend« geäußert. Er habe auch vom »Heil« gesprochen, das »durch den Christusglauben zu den Menschen der Völker gekommen« sei. 140. In diesem Band, S. 312. 141. Brief an Karl Thieme vom 12. Juli 1962, in: B III, S. 200.

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Deutlich wird vollends: Bubers »Dialogik« wäre gründlich missverstanden, wenn seine Denkfiguren, die seit Ich und Du (1923) bei aller bleibenden Verschiedenheit doch immer wieder auch Gemeinsames und Versöhnendes im Verhältnis von Juden und Christen betonen, die Leidenschaft verdeckten oder verharmlosten, mit der Juden und Christen um die Wahrheit Gottes zu ringen hätten. Die grundsätzliche Anerkennung der Gleich-Gültigkeit des jeweiligen Glaubensgeheimnisses ist für Buber kein Alibi für Gleichgültigkeit in der konkreten Begegnung. Bubers Denken verlangt und ermöglicht nichts mehr und nichts weniger als ein widerspruchs-, aber nicht spannungsfreies Zusammendenken von Dialogizität und Axiomatik. Insofern ist es kein Vorwurf und schon gar keine billige Apologetik, vielmehr Ausdruck des Respekts vor dem Ernst und dem Gewicht von Bubers Denken, wenn protestantische Theologen wie Emil Brunner oder Gerhard Ebeling oder katholische Theologen wie Eugen Biser Bubers Kritik am Christentum als Angriff werten, dessen Herausforderung sie sich auf unterschiedliche Weise zu stellen bereit sind. Nur die »Verbindlichkeit« von Bubers Diktion erkläre, meint etwa Biser, dass diese Kritik in ihrer »Radikalität« bisher kaum wahrgenommen worden sei. 142 Wie aber wurde sie von christlichen Theologen zu Bubers Zeit wahrgenommen?

15. Reaktionen christlicher Theologen: Fingerzeige Im Januar 1978 findet an der Ben-Gurion-Universität in Beersheva ein Kongress anlässlich des 100. Geburtstags von Martin Buber statt. Unter den zahlreichen Referaten sind zwei von besonderem Interesse für unsere Fragestellung. Der deutsche evangelische Theologe Helmut Gollwitzer (1908-1993) spricht über »Martin Bubers Bedeutung für die protestantische Theologie«, der amerikanische jüdische Theologe Michael Wyschogrod über »Bubers Beurteilung des Christentums aus jüdischer Sicht«. So unterschiedlich die Vorträge theologisch angelegt sind, in der historischen Wertung des Werks von Buber stimmen beide Redner überein: »Seit und nach Moses Mendelssohn ist Martin Buber der erste Jude, der als Jude in das Geistesleben seiner nichtjüdischen Umgebung hineinwirkte, in ihm nicht nur als Mensch, sondern als Jude akzeptiert wurde und Judentum aufschloß, zugänglich und beachtenswert machte bei den Gebildeten unter seinen Verächtern«, so Gollwitzer. 143 Und Wyschogrod 142. Eugen Biser, Buber für Christen, S. 119. 143. Helmut Gollwitzer, Martin Bubers Bedeutung für die protestantische Theologie, S. 402.

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ergänzt: »Es darf gesagt werden, daß seit Mendelssohn kein jüdischer Jude je auf die deutsche literarische und religiöse Kultur einen solchen Einfluß gehabt hat wie Buber.« 144 Zugleich fällt das Gesamturteil des jüdischen Buber-Kenners nüchtern aus. Zwar geht Wyschogrod nicht so weit wie der schärfste innerjüdische Kritiker an Bubers Bild von Chassidismus und Judentum, Gershom Scholem, der Zwei Glaubensweisen kurzerhand Bubers »schwächstes Buch« genannt hat; 145 doch Wyschogrod legt sich die noch grundsätzlichere Frage vor, ob die Begegnung mit dem Christentum in Bubers Denken eine zentrale Rolle gespielt habe. Sei sie »eine der Quellen seiner Gesamtkonzeption« gewesen? Habe sie bei der »Formung seiner Seele eine entscheidende Rolle« gespielt? Er glaube nicht, das behaupten zu dürfen, meint Wyschogrod, denn: »Eine Beurteilung des Christentums steht schließlich für das jüdische Unternehmen nicht im Mittelpunkt. Das jüdische Selbstverständnis ist in dieser Beziehung autonomer als das des Christen, der sich selbst kaum definieren kann ohne Bezugnahme auf seine Herkunft aus der geistigen Welt des Judentums, aus der er, wenn man so will, gar nicht hätte hervorgehen müssen. Man kann deshalb zuversichtlich behaupten, daß, wenn man Zwei Glaubensweisen aus Bubers Opus herausschneiden würde, dessen Gesamtvolumen zwar zweifellos eine Einbuße erleiden würde, aber eine empfindliche Lücke nicht entstehen würde.« 146

Ein Urteil, für das angesichts des vieldimensionalen Gesamtwerks von Buber vieles spricht. Zwei Glaubensweisen, seine Hauptschrift zum Christentum, hat Buber denn auch auffälligerweise bei der Konzeption der großen dreibändigen Ausgabe seiner Werke (1962-1964) nicht dem Band Schriften zur Bibel, dem Band mit seinen theologischen Hauptschriften, sondern dem Band Schriften zur Philosophie zugeordnet. Andererseits ist unübersehbar, was Grete Schaeder in ihrer wegweisenden Untersuchung Martin Buber. Hebräischer Humanismus schon 1966 festgestellt hat: »Auch vom Weltjudentum wird Buber heute als derjenige jüdische Lehrer gesehen, durch den die Botschaft des Alten Testamentes den Christen in einer neuen Eindringlichkeit vernehmbar geworden ist: er ist derjenige Sprecher des Judentums, der jüdische Antworten auf christliche Fragen gibt«. 147 144. Michael Wyschogrod, Bubers Beurteilung des Christentums aus jüdischer Sicht, in: Martin Buber. Bilanz seines Denkens, hrsg. von Jochanan Bloch u. Haim Gordon, S. 470-486, Zitat S. 472. 145. Gershom Scholem, Martin Bubers Auffassung des Judentums, S. 183. 146. Michael Wyschogrod, Bubers Beurteilung des Christentums aus jüdischer Sicht, alle Zitate hier S. 471 f. 147. Grete Schaeder, Hebräischer Humanismus, S. 326.

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Gewiss, wer heute im christlich-jüdischen Gespräch engagiert ist, blickt auf mögliche Wirkungen Bubers für den Dialog mit einer gehörigen Portion Skepsis zurück. Bubers dialogisches Leben und Denken sei »nicht als Einladung und ausgestreckte Hand angenommen« worden, meint etwa der evangelische Theologe Martin Stöhr, selbst ein erfahrener christlicher Gesprächspartner im Dialog der letzten Jahrzehnte. Mit einem »Gesicht, das von den jüdischen Nachbarn abgewandt« gewesen sei, habe »die übergroße Mehrheit des deutschen Volkes und der deutschen Kirchen vor 1933« gelebt. Es sei eine »Vergegnung« gewesen, die nach 1933 zu einer »tödlichen Gefahr für das jüdische Volk« geworden sei. Martin Buber habe »den Christen und Kirchen« etwas geschenkt, »ohne dass das Geschenk ergriffen oder begriffen worden wäre.« 148 Und doch ist die Tatsache nicht zu übersehen, dass Bubers Werk auf maßgebende christliche Theologen des 20. Jahrhunderts beachtliche Wirkungen ausübte. Sie sahen sich herausgefordert, zu Bubers Schriften und Interventionen Stellung zu nehmen. Zu Wichtiges an theologischer Substanz hatte er geboten, zu Grundsätzliches an Kritik am Christentum hatte er geäußert, als dass sie ihn als einen der maßgebenden Denker des 20. Jahrhunderts hätten ignorieren können. Im Rahmen dieser Einleitung können nur Fingerzeige gegeben werden, strikt begrenzt auf Reaktionen christlicher Theologen zu Bubers Lebzeiten und ohne Anspruch, deren Werkprofil oder inhaltliche Interessen im Detail zu rekonstruieren. Eine umfassende Wirkungsgeschichte Bubers innerhalb der Welt christlicher Theologie einschließlich seiner Bedeutung für den jüdisch-christlichen Dialog vor und nach dem Zweiten Weltkrieg harrt der Aufarbeitung. 149 148. Martin Stöhr, Zur Bedeutung Martin Bubers für den christlich-jüdischen Dialog in Deutschland, in: Vergegenwärtigung. Martin Buber als Lehrer und Übersetzer, hrsg. von Ansgar Koschel u. Annette Mehlhorn, Berlin 2006, S. 122-136, Zitate S. 133 u. 128. 149. Für den jüdisch-christlichen Dialog vor 1933 sei hier auf den verdienstvollen Dokumentationsband verwiesen: Versuche des Verstehens. Dokumente jüdisch-christlicher Begegnung aus den Jahren 1918-1933, hrsg. und eingel. von Robert Raphael Geis u. Hans-Joachim Kraus, München 1966. Der Band enthält in seinem ersten Teil Texte von jüdischen Autoren: Hermann Cohen (1842-1918), Leo Baeck, Max Dienemann (1875-1939), Max Wiener (1882-1950), Benno Jacob (1862-1945), Franz Rosenzweig, Eduard Strauss (1876-1952) und Martin Buber sowie in seinem zweiten Teil Texte von christlichen Autoren: Gerhard Kittel, Alfred Jeremias (1864-1935), Christoph Schrempf (1860-1944), Hermann Kutter (1963-1931), Martin Dibelius (18831947), Johann Victor Bredt (1879-1940) und Eduard Lamparter (1860-1945). Das sind freilich weniger Dokumente der »Begegnung«, als Ausführungen über das jeweils eigene Selbstverständnis. Die Herausgeber sind sich denn auch im Klaren, dass es sich in den Jahren 1918-1933 nur um »Versuche« der jeweiligen Positionsbeschreibungen handelt: »Mühsam rangen sie sich aus einem in Jahrhunderten hoch aufgeschichteten Wust der Vorurteile heraus. Kam es wirklich zu einer Begegnung

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Wirkungen hat Bubers Denken zu Lebzeiten, von Ausnahmen abgesehen, vor allem auf protestantische Theologen ausgeübt. Buber selbst dankt zu Beginn von Zwei Glaubensweisen ausdrücklich vier von ihnen: Albert Schweitzer, Rudolf Bultmann (1884-1976), Leonhard Ragaz und Rudolf Otto (1869-1937). Mit zwei weiteren Vertretern protestantischer Theologie, Emil Brunner und Karl Ludwig Schmidt, hatte er direkte Dialoge geführt. Vor allem Emil Brunner sollte sich als einer der engagiertesten Kritiker Bubers erweisen. 1960 legt er den dritten Band seiner Dogmatik vor und nimmt in das 12. Kapitel dieses Buches »Der Glaube nach dem Zeugnis der Schrift« einen eigenen Exkurs auf: »Martin Bubers Lehre vom Missverständnis des Glaubens bei den Aposteln«.150 Schon hier, wie auch in dem drei Jahre später publizierten großen Aufsatz »Judentum und Christentum bei Martin Buber« erkennt Brunner Bubers Leistung zunächst an, vor allem dort, wo Buber »die religiöse Botschaft des Judentums vom Alten Testament aus verständlich« gemacht und die »Botschaft Jesu als ein zu dieser Glaubenswelt gehörendes Phänomen« zu erhellen versucht habe.151 Zugleich nennt Brunner die von Buber erstmals programmatisch herausgearbeitete »Ich-Du«-Beziehung »genial-einfach«, mehr noch: »eine kopernikanische Wende im Denken nicht nur für Europa, sondern für die Menschheit.« 152 Gleichwohl lässt Brunner keinen Zweifel daran, dass er die Bubersche Kritik an der paulinischen Christologie als »Großangriff auf das Christentum« 153 wertet, ohne dass ihm dieser »Angriff«, wie später Gerhard Ebeling oder Eugen Biser, zur wirklichen »Herausforderung« geworden

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oder zog man aneinander vorbei, sah man einander kaum? Hier und da blitzte es auf: Ein Ahnen, ein Erkennen, ein liebevolles Suchen und Finden. Doch das Gewölk war dicht, oft undurchdringlich.« (Vorwort) Was die Bedeutung Bubers für den jüdisch-christlichen Dialog nach 1945 angeht, insbesondere für die Entwicklung dieses Dialogs nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, sei auf einen jüngsten Band verwiesen, aus dem hier bereits zitiert wurde: Vergegenwärtigung. Martin Buber als Lehrer und Übersetzer, bes. auf den Beitrag von Martin Stöhr (s. Anm. 148) sowie den von Hans H. Henrix, Brücke zu einem gegenseitigen Zugang. Bubers Wirkung auf das Verhältnis von Christen und Juden, S. 137-144. Zur Bedeutung Bubers für den jüdisch-christlichen Dialog aus jüdischer Sicht: Daniel Krochmalnik, Dom und heiliger Sand. Ausblicke auf eine Erneuerung des christlich-jüdischen Dialogs im Anschluß an Martin Buber, in: Ich und Du – Mensch und Gott. Im Gespräch mit Martin Buber, hrsg. von Werner Zager, Neukirchen-Vluyn 2006, S. 29-48. Emil Brunner, Die christliche Lehre von der Kirche, vom Glauben und von der Vollendung. Dogmatik, Bd. III, Zürich u. Stuttgart 1960, S. 186-189. Ebd., S. 187. Emil Brunner, Judentum und Christentum bei Martin Buber, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, übers. aus dem Englischen von Curt Meyer-Clason, hrsg. von Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, Stuttgart 1963, S. 303311, Zitat S. 303. Ebd., S. 306.

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wäre. Die Gegenüberstellung von Emuna und Pistis für den Christusglauben weist er mit biblischen Gründen als unsachgemäß zurück, nicht ohne Selbstkritik an traditioneller christlicher Theologie zu üben: »Daß aber Buber die paulinisch-johanneische Interpretation des Christusfaktums mit einer zu glaubenden Lehre verwechselt, das ist beim Juden Buber um so eher zu begreifen, als die christliche Kirche selbst ihm dieses Mißverständnis nahegelegt hat. Erst in der allerletzten Zeit hat die Theologie begonnen, zwischen dem glaubenweckenden Kerygma und der zu glaubenden Lehre zu unterscheiden.« 154

Aber auch jüdische Gelehrte haben Bubers Grund-Unterscheidung der Kritik unterzogen: Schalom Ben-Chorin (1913-1999) und Hugo Bergmann (1883-1975) – 1942 bzw. 1949 – schon im Vorfeld von Zwei Glaubensweisen, 155 David Flusser und Zwi Werblowsky im Nachgang dazu – 1987 bzw. 1988.156 154. Emil Brunner, Die christliche Lehre von der Kirche, vom Glauben und von der Vollendung, S. 189. 155. Schalom Ben-Chorin, Brief an Martin Buber vom 10. Dezember 1942, in: B III, S. 65 f. Ben-Chorin nimmt Bezug auf eine Vorlesung, die Buber über »Glauben im Judentum und Christentum« in Jerusalem gehalten hatte, offensichtlich eine Vorstufe zu Zwei Glaubensweisen (s. Kommentar in diesem Band, S. 421-424). Schon ihm ist bei der starken Gegenüberstellung von Jesus und Paulus in Sachen »Thora« nicht wohl. Er schließt mit der Bemerkung: »Wie Sie selbst schon andeuteten, muß Paulus nicht nur dem biblischen sondern vor allem dem ihm zeitgenössischen [Judentum] konfrontiert werden. Und hier reichen die Texte nicht mehr aus. Es bedarf m. E. der lebendigen Intuition (zusätzlich!). Die ›Pharisäer‹ des Evangeliums gleichen verzweifelt unsren heutigen Orthodoxen. Und gegen die formelhafte Werkheiligkeit dieser (schlechten) Pharisäer setzt der paulinische Protest ein (wie schon der Protest Jesu), und von hier aus allein wird mir die Gestalt des Paulus sichtbar und transparent.« (vgl. auch den Brief Ben-Chorins an Buber vom 20. Dezember 1942, in: B III, S. 67 f.). Ben-Chorins Erinnerungen an Buber sind zusammengefasst in dem Bändchen Zwiesprache mit Martin Buber. Erinnerungen an einen großen Zeitgenossen, Gerlingen 1978. Ähnlich Hugo Bergmann. Er hält nach der Lektüre des Textes in seinem Brief an Martin Buber vom 30. Mai 1949 Zwei Glaubensweisen für ein »apologetisches Buch, mit allen Vorzügen und Nachteilen der Apologetik« (B III, S. 197). Die Nachteile betreffen vor allem Bubers Darstellung des Apostels Paulus. Hier gerate »die Apologetik zur Ungerechtigkeit«, meint Bergmann und fragt: »Und müssen wir [Juden] nicht, angesichts dessen, was 2000 Jahre später daraus geworden ist und was jetzt vor unsern Augen vor sich geht, Paulus ein größeres Maß von Richtigkeit in seinem Blick zubilligen?« (S. 198) 156. David Flusser, Nachwort zu Zwei Glaubensweisen. Flusser sieht eine »Dichotomie« zwischen Emuna und Pistis nicht (wie Buber) zwischen Judentum und Christentum, sondern innerhalb des Christentums. Die zwei Glaubensweisen (der Glaube Jesu und der Glaube an Jesus) hätten »inmitten des Christentums eine Kluft geschaffen«: »Denn die erste Glaubensweise, welche ja dem Christentum, dem Judentum und dem Islam gemeinsam ist, kann die christliche Religion nicht entbehren, nicht nur weil der Glaube des Jesus so beschaffen war, sondern auch, weil auf dieser Glaubensweise der christliche Monotheismus aufgebaut ist. Die zweite, ›christologische‹ Glaubensweise ist allein dem Christentum eigen. […] Dieser Befund macht es

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Brunners konstruktives Eingehen auf Buber muss im Zusammenhang mit der Neuentdeckung des »Personalismus« in der protestantischen Theologie nach dem Ersten Weltkrieg gesehen werden. Helmut Gollwitzer hat dies in seinem schon genannten Überblicksreferat herausgearbeitet. Bubers Ich und Du (1923) sei zu einer »Grundschrift für eine breite Strömung in der evangelischen Theologie« geworden, die man »theologischen Personalismus« genannt und die »tiefe Wurzeln in der Theologie Luthers« habe.157 Kein Zufall sei, dass die »Wiederentdeckung der authentischen Theologie Luthers« im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts mit Bubers dialogischem Denkansatz zusammengefallen sei. Dieser habe die Kategorien geliefert, »mit deren Hilfe nun die gleiche Reduktion des Heilsverständnisses auf solch personales Geschehen vollzogen werden konnte, wie sie schon bei Luther zu beobachten« gewesen sei. Gegenwärtig gehöre auch die »Existenztheologie« Rudolf Bultmanns »samt ihrer Hermeneutik« in diese »personalistische Strömung hinein, als deren Hauptvertreter hier Friedrich Gogarten, Karl Heim und Emil Brunner hervorgehoben werden sollen.«158 Buber selbst hatte diesen Einfluss längst gesehen, wie einem Brief an den Glasgower Theologie-Professor und ersten englischen Übersetzer von Ich und Du

selbstverständlich, warum innerhalb des Christentums, fast von seinen ersten Schritten an, eine Rivalität zwischen den zwei Glaubensweisen ausgebrochen ist.« (S. 233) Flusser kommt deshalb zu der Schlussfolgerung: »Bubers Grundthese ist also richtig, und man sollte an ihr aus Voreingenommenheit nicht rütteln. Es gibt wirklich, und zwar innerhalb des Christentums, zwei unterschiedliche Glaubensweisen, von denen die erste den drei monotheistischen Religionen gemeinsam ist und die andere dagegen nur dem Christentum eigen ist. Das ist, wie man heute zu sagen pflegt, eine phänomenologische Tatsache.« (S. 236) Einen »glänzenden Wurf« nennt Flusser in diesem Zusammenhang den Beitrag von R. J. Zwi Werblowsky, Reflections on Martin Buber’s »Two Types of Faith«, in: Journal of Jewish Studies 39, Nr. 1, 1988, S. 92-101. Werblowsky sieht in Buber durchgängig mehr einen religiösen Denker als einen professionellen Spezialisten für das Neue Testament. Daher gäbe es bei ihm »a certain one-sidedness in his resort to current research and an occasional failure of his independent judgment. Thus Adolf Schlatter’s Der Glaube im Neuen Testament (1927) with its detailled discussion of pistis in Philo and in hellenistic Judaism is not mentioned at all. Much ado is made (following Albert Schweitzer and others) of the ›self-understanding‹ of Jesus – also according to Buber an ultimately insoluble riddle – as the Suffering Servant of Deutero-Isaiah, but no inkling of the possibility that this identification is most probably a midrash of the early community and not part of the self-understanding of Jesus at all. On the other hand, some important insights of Schweitzer are not taken into account, e. g. the emphasis on the necessary and immanent dynamism of Paul’s ›post-messianic‹ logic.« (S. 97) 157. Helmut Gollwitzer, Martin Bubers Bedeutung für die protestantische Theologie, S. 405. 158. Ebd., S. 406.

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Ronald Gregor Smith (1913-1968) vom 28. Dezember 1936 zu entnehmen ist. 159 Mehr noch: Gollwitzer rekonstruiert nicht nur Strukturanalogien zwischen dem Denkansatz Bubers und dem der drei genannten Theologen.160 Er kommt auch auf das Verhältnis von Martin Buber zu einem der bedeutendsten protestantischen Theologen seiner Zeit zu sprechen: Karl Barth. 161 Kontakte zwischen beiden hatte es bereits 1936 gegeben, als Buber sich im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit der Politischen Ethik (1932) Friedrich Gogartens an Barth gewandt hatte. Eine weitere »persönliche Fühlung« aber kommt nicht zustande, »wohl aus Mangel an gegenseitiger Sympathie«, wie Gollwitzer vermutet. 162 Doch in Band III/2 seiner Kirchlichen Dogmatik aus dem Jahr 1948 nimmt Barth einen Hinweis auf Buber ausdrücklich auf, was diesen seinerseits zu einer Stellungnahme herausfordert. Barths Anspielung auf Buber ist denn auch provokant genug. Barth muss sich nach dem Krieg neu mit Grundfragen der Anthropologie auseinandersetzen und sieht sich als christlicher Theologe mit der unleugbaren Tatsache konfrontiert, dass 159. B II, S. 628. Buber verweist für den Einfluss von Ich und Du schon hier auf Karl Heim, Friedrich Gogarten, Franz Rosenzweig, Theodor Steinbüchel (1888-1949) und Ferdinand Ebner. Es liege »eine ganz neue Gedankenrichtung oder vielmehr neue Denkweise« vor, wie u. a. auch das Buch von John Cullberg, Das Du und die Wirklichkeit (Uppsala 1933), synthetisch darzustellen versucht habe. Später werden Bernhard Casper für die katholische Theologie und Michael Weinrich für die evangelische Theologie die Bedeutung des dialogisch-personalistischen Denkens zeigen: Bernhard Casper, Das dialogische Denken. Eine Untersuchung der religionsphilosophischen Bedeutung Franz Rosenzweigs, Ferdinand Ebners und Martin Bubers, Freiburg i. Br. 1967; Michael Weinrich, Die Entdeckung der Wirklichkeit im personalistischen Denken: Studien zu den Konzeptionen von Martin Buber, Eberhard Grisebach, Friedrich Gogarten, Dietrich Bonhoeffer und Emanuel Hirsch, Neukirchen-Vluyn 1980. 160. Das Verhältnis Buber – Gogarten sowie Buber – Brunner ist heute gründlich dargestellt von Martin Leiner, Gottes Gegenwart. Martin Bubers Philosophie des Dialogs und der Ansatz ihrer theologischen Rezeption bei Friedrich Gogarten und Emil Brunner, Gütersloh 2000. Vgl. neben zahlreichen Briefen vor allem in B II Bubers Äußerungen zu Gogarten im Nachwort, in: Ders., Die Schriften über das dialogische Prinzip, S. 310 f. 161. Das Verhältnis Buber – Barth wurde neuerdings in zwei umfangreichen Untersuchungen behandelt: Dieter Becker, Karl Barth und Martin Buber – Denker in dialogischer Nachbarschaft? Zur Bedeutung Martin Bubers für die Anthropologie Karl Barths, Göttingen 1986 sowie Egon Brinkschmidt, Martin Buber und Karl Barth. Theologie zwischen Dialogik und Dialektik, Neukirchen-Vluyn 2000. Siehe auch: Martin Leiner, Buber und Barth, in: Zeitschrift für Dialektische Theologie 17, 2001, S. 188-191 sowie Hans-Christoph Askani, Karl Barth und Martin Buber, in: Karl Barths Theologie als europäisches Ereignis, hrsg. von Martin Leiner u. Michael Trowitzsch, Göttingen 2008, S. 239-259. 162. Helmut Gollwitzer, Martin Bubers Bedeutung für die protestantische Theologie, S. 415.

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eine christlich-theologische Lehre vom Menschen zu »Sätzen« käme, die denjenigen »ganz ähnlich« seien, in denen »die Humanität auch schon von ganz anderer Seite« beschrieben worden sei. Zur Illustration nennt Barth im selben Atemzug einen »Heiden« wie Konfuzius, einen »Atheisten« wie Ludwig Feuerbach und einen »Juden« wie Martin Buber, 163 um dann nicht ohne herablassend-ironischen Unterton zu folgern: »[…] wir haben keinen Anlaß, die Nachbarschaft, in der wir uns hier mit gewissen Weiseren unter den Weisen dieser Welt befinden – wie nahe oder ferne sie auch sein möge – als unheimlich zu empfinden und also keinen Anlaß, uns durch diese Nachbarschaft am konsequenten Begehen unseres eigenen Weges irre machen zu lassen.«164

Buber antwortet in einem Nachwort zu seinen Schriften über das dialogische Prinzip (1954) und berührt instinktsicher den neuralgischen Punkt von Barths christozentrischer Theologie. Mit Barth steht ihm ein Mensch vor Augen, der trotz aller Zugeständnisse an Außerchristliches doch »nicht recht zugeben« könne, dass eine bestimmte Fassung der Menschlichkeit »auf anderem Boden als dem christologischen (Jesus Christus als ›der Mensch für den Mitmenschen und also das Bild Gottes‹) gewachsen sein könnte«. 165 Konsequenterweise würde Buber Barth gerne in Jerusalem zeigen, was Humanität in authentisch jüdischem Gewande sei, zeigen, »wie die Chassidim die Freiheit des Herzens zum Mitmenschen – tanzen«. 166 Auf andere Art und Weise, aber nicht weniger deutlich hat ein weiterer unter den Großen protestantischer Theologie des 20. Jahrhunderts, Paul Tillich (1886-1965), herausgearbeitet, was die protestantische Theologie von Bubers »religiöser Botschaft« aufgenommen habe und aufnehmen sollte. 167 Buber und Tillich kennen sich seit Mitte der 1920er Jahre, da sie gemeinsam den Einsatz für die Sache des »religiösen Sozialismus« teilten. Außerdem wirken beide zwischen 1930 und 1933 gemeinsam an der Universität in Frankfurt am Main. 168 163. Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. III/2 (Die Lehre von der Schöpfung), Zürich 1948, S. 333. 164. Ebd., S. 335. 165. Martin Buber, Die Schriften über das dialogische Prinzip, S. 303. 166. Ebd., S. 305. 167. Paul Tillich, Martin Bubers dreifacher Beitrag zum Protestantismus, in: Ders., Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung. Schriften zur Theologie (Gesammelte Werke, Bd. VII), Stuttgart 1962, S. 141-150. 168. Zur Begegnung von Buber und Tillich im Zusammenhang mit dem »Religiösen Sozialismus« vgl. Maurice Friedman, Begegnung auf dem schmalen Grat, S. 243 f. Zu Bubers und Tillichs Wirken an der Universität Frankfurt a. M. vgl. die gründlichen Untersuchungen von Willy Schottroff (zu Buber) und Yorick Spiegel (zu Tillich) in

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Tillichs Beitrag zu Buber stammt aus dem Jahr 1948. Zwar beansprucht er nicht, für die gesamte protestantische Theologie zu sprechen, gleichwohl aber will er nicht nur vom Einfluss Bubers auf sein persönliches Denken reden, sondern darüber hinaus »die außerordentliche Bedeutung Bubers für den Protestantismus« würdigen. Sie liegt für ihn erstens in Bubers »existentialistischer Interpretation der prophetischen Religion«, zweitens in Bubers »Wiederentdeckung der Mystik als einem Element innerhalb der prophetischen Religion« und drittens in Bubers »Verständnis für die Beziehung von prophetischer Religion und Kultur, insbesondere im Bereich des Sozialen und Politischen«.169 Auffallend freilich ist, dass Tillich als christlicher Theologe mit keinem Wort auf Bubers Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum eingeht. Buber wird von ihm wie ein bedeutender philosophischer, religiöser und politisch-ethischer Denker behandelt unter völliger Absehung von Bubers Judentum und der von ihm vollzogenen Verhältnisbestimmung von Israel und Kirche. Tillich bestätigt das später selbst, als er 1965 in New York eine Gedenkrede auf den soeben verstorbenen Martin Buber hält und dabei auf 40 Jahre ihrer Bekanntschaft zurückblickt. Bubers »Universalismus« habe jede besondere Religion hinter sich gelassen, meint Tillich, obgleich er von seinem Verständnis des Judentums abgeleitet gewesen sei so wie der seine von seinem Verständnis des »wahren Christentums«. Deshalb seien ihre Gespräche »niemals jüdisch-christliche Dialoge« gewesen, sondern »solche über das Verhältnis zwischen Gott, Mensch und Natur«. Dabei hätten beide die Grenzen des Judentums und des Protestantismus überschritten, »während sie doch jeder für sich Jude und Protestant« geblieben seien.170 Das ist bei einem weiteren protestantischen Theologen, von dem hier gesprochen werden muss, anders: beim Pfarrer und Schriftsteller Albrecht Goes (1908-2000).171 Dieser hatte sich schon 1934 – in Auseinandersetzungen um Positionen seiner Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus dem Band: Martin Buber, Erich Foerster, Paul Tillich. Evangelische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt a. M. 1914 bis 1933, hrsg. von Dieter Stoodt, Frankfurt a. M. u. New York 1990, S. 69-131 u. 133-177. In diesem Band befindet sich auch eine Übersicht über Bubers in Frankfurt gehaltene theologische Vorlesungen und seine Lehrangebote in Religionswissenschaft (S. 73-75). 169. Die wichtige Tagung der Gruppe »religiöser Sozialisten« 1928 an Bubers Wohnort in Heppenheim ist dokumentiert in: Sozialismus aus Glauben. Verhandlungen der sozialistischen Tagung in Heppenheim a. B., Pfingstwoche 1928, Zürich u. Leipzig 1929. 170. Paul Tillich, Martin Buber. Eine Würdigung anlässlich seines Todes (1965), in: Ders., Begegnungen. Paul Tillich über sich selbst und andere (Gesammelte Werke, Bd. XII), Stuttgart 1971, S. 320-323, Zitat S. 322. 171. Das Verhältnis Buber – Goes ist mit erhellenden Analysen und zahlreichen Dokumenten gründlich aufgearbeitet und dargestellt worden von Helmut Zwanger, Al-

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verwickelt – als 26-jähriger Pfarrer brieflich um Rat an Buber gewandt, nicht ahnend, dass ihm gut 20 Jahre später die Aufgabe zufallen würde, in geschichtlich außerordentlicher Stunde eine große Rede auf Buber zu halten, für die sich Goes – als Christ durch das Grauen der Schoah auch theologisch sensibilisiert – vor allem durch sein literarisches Werk nach 1945 wie kaum ein anderer empfohlen hatte. 172 Für Goes war Bubers »theologisches Axiom« vom »ungekündigten Bund« Gottes mit Israel lebensentscheidend geworden. Entsprechend hatte ihn der tief verwurzelte Antijudaismus christlicher Theologie sowie das Versagen seiner Kirche gegenüber dem Judentum im Dritten Reich mit Scham und Trauer erfüllt. Daran hatte auch das nachmals viel zitierte »Stuttgarter Schuldbekenntnis« wenig geändert, da Goes auch hier der klare Bezug zu Israel fehlte. Am 27. September 1953 wird Buber in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Eine geschichtlich bedeutsame Stunde schon deshalb, weil Buber erst zum zweiten Mal nach seiner Vertreibung aus Deutschland und seiner erzwungenen Übersiedlung von Heppenheim nach Jerusalem (1938) wieder öffentlich in Deutschland redet. In den Jahren zuvor hatte er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf seine Kritiker in Israel – nur in kleineren, privaten Kreisen in Deutschland gesprochen, wobei dem evangelischen Theologen Karl Heinrich Rengstorf (1903-1992) besondere Verdienste zukamen. Dieser war seit 1948 Professor für Neues Testament sowie für Geschichte und Literatur des Judentums an der Universität Münster und zugleich Direktor des dortigen Institutum Judaicum. Wie der eindrückliche, in B III dokumentierte Briefwechsel zeigt, hatte Rengstorf sich seit 1949 Buber gegenüber um ein Doppeltes bemüht: um die Vollendung der Bibelverdeutschung und um eine Aussöhnung mit Deutschland. Zwar hatte Buber noch 1950 Rengstorfs Einladung abgelehnt, auf einer Studientagung der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema »Kirche und Judentum« einen Vortrag zu halten, doch im Januar 1951 war er nach Münster gereist und hatte dort in kleinem Kreis in der Wohnung von Rengstorf einen Vortrag zum Thema »Die Opferung Isaaks« gehalten.173 Selbst 1952 hatte Buber noch keine öffentliche Rede in Deutschland gebrecht Goes. Freund Martin Bubers und des Judentums. Eine Hommage, Tübingen 2008. 172. Insbesondere die Prosatexte Begegnung in Ungarn (1946) sowie Unruhige Nacht (1950) von Albrecht Goes sind hier zu nennen. Nach der Paulskirchen-Rede auf Buber erschienen noch die wichtigen Erzählungen Das Brandopfer (1954) und Das Löffelchen (1965). Ausführliche Analysen dazu bei: Helmut Zwanger, Albrecht Goes, Kap. III: »Erzählungen von Albrecht Goes im Umkreis der Schoah«. 173. Vgl. B III, S. 266.

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wagt, als ihm die Universität Hamburg den Goethe-Preis verliehen hatte. Buber holt dies erst im Juni 1953 nach und spricht in Hamburg über »Geltung und Grenze des politischen Prinzips«. Dann im September 1953 der zweite Auftritt: die Friedenspreis-Rede in Frankfurt, der Buber den Titel gibt: »Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens«. Sein Laudator Goes spricht über »Martin Buber, der Beistand« und grenzt »Beistand« ab vom »Diktator« einerseits und vom »Präzeptor« andererseits. »Beistand« sei einer, der uns begleite, meint Goes, »durch die unendliche Dauer des Augenblicks«, der uns die Augen öffne für die »unermeßliche Gnade des Augenblicks«.174 1980 hält Goes eine Rede zur Eröffnung einer Buber-Ausstellung in Heilbronn und bestimmt mit Blick auf Buber noch einmal grundsätzlich das Verhältnis von Juden und Christen nach der Schoah: »Ich will nur sagen: man soll ihn [Buber], der sich zuweilen einen ›Erzjuden‹ genannt hat, nicht in einem christlichen Vorhof ansiedeln wollen; dort wollte er nie sein. Ich denke einen ungelehrten, ernsthaften Menschen, der Gesprächen in diesem Spannungsfeld zuhört, und dann einen Satz wie diesen versucht: es scheine ihm wichtig, daß der Christ, indem er hier zuhört, aufmerksamer auf sein Christsein achten lernt, und daß der Jude, indes er zuhört, aufmerksam sich neu auf sein Jude-sein besinnt. Ihm, der so spricht, würde ich sagen: ›Sie haben Martin Buber an Ihrer Seite.‹« 175

»Nicht in einem christlichen Vorhof«. Genau dort freilich hatte ein namhafter Vertreter katholischer Theologie Buber platziert: der seinerzeit in Basel lebende Schweizer Hans Urs von Balthasar (1905-1988). Zwar hat es vor und nach dem Zweiten Weltkrieg auch Kontakte Bubers zu katholischen Theologen wie dem Münchner Religionsphilosophen Romano Guardini (1885-1968),176 dem Tübinger Alttestamentler Fridolin Stier 174. Albrecht Goes, Martin Buber, der Beistand (1953), in: Helmut Zwanger, Albrecht Goes, S. 56-63, Zitat S. 63. 175. Albrecht Goes, Auf den Wegen der Befreiung. Zur Eröffnung einer Martin BuberAusstellung 1980 in Heilbronn a. N., in: Helmut Zwanger, Albrecht Goes, S. 87-97, Zitat S. 92. 176. Das Verhältnis Buber – Guardini stellt sich im Spiegel der Briefe ambivalent dar. Buber signalisiert in einem Brief an Friedrich Gogarten vom 9. Dezember 1922 eine erste persönliche Bekanntschaft mit Guardini, der sich zu diesem Zeitpunkt an der Universität Bonn habilitiert und sich durch seine Schriften zur Liturgie sowie seinen Einsatz für die Katholische Jugendbewegung einen Namen gemacht hatte. Im Gespräch sei man sich »sehr nahe« gekommen, meldet Buber, aber in der Vorlesung, die er vom Privatdozenten Guardini in Bonn gehört hatte, sei Guardini »wieder in die Ferne der gesicherten Kirchlichkeit« gerückt (B II, S. 144). Das hindert Buber nicht daran, Guardini 1923 zu einem jüdisch-christlichen Gespräch nach Frankfurt a. M. einzuladen. Guardini erwägt zu kommen (sagt aber schließlich ab), signalisiert Buber aber, dessen Buch Ich und Du »in Ehrfurcht« gelesen zu haben (B II, S. 162).

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(1902-1981) oder dem Maria Laacher Benediktinerpater Caesarius Lauer (1915-1984)178 gegebenen (von Joseph Wittig war im Zusammenhang der Zeitschrift Die Kreatur schon die Rede), aber nur Balthasar nimmt in aller Öffentlichkeit zu Bubers Theologie Stellung – und zwar zu der zentralen Frage des Verhältnisses von Israel und Kirche. 1958 legte er anlässlich des 80. Geburtstags von Buber eine eigene kleine Monographie unter dem bezeichnenden Titel vor: Einsame Zwiesprache. Martin Buber und das Christentum, gefolgt 1963 von einem Aufsatz zum

Die Guardini-Biographin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz weist nach, dass Guardini in einem kleinen philosophischen Kreis an Silvester 1929/30 auf Burg Rothenfels sich u. a. mit Bubers Ich und Du auseinandergesetzt hat (Romano Guardini. Leben und Werk, Mainz 1985, S. 134). In der Sache Parallelen zu Buberschen Gedanken enthält auch Guardinis Werk Welt und Person. Versuche zur christlichen Lehre vom Menschen (1939). Nach dem Krieg schickt Guardini, vermutlich im Dezember 1952, seine an der Münchner Universität gehaltene Rede »Verantwortung. Gedanken zur jüdischen Frage« an Buber. Dieser dankt mit einem Schreiben vom 12. Dezember 1952. Noch »während des Lesens« habe er gemerkt, dass sich für ihn etwas »geändert« habe. Es sei ihm wieder »ermöglicht, in Deutschland öffentlich zu sprechen« (B III, S. 323). Aus heutiger Sicht mag befremden, dass Guardini in seiner Schrift angesichts der Ungeheuerlichkeit der Verbrechen von Deutschen am jüdischen Volk nur das moralische Problem thematisiert, mit keinem Wort aber auf die Mitschuld von Christentum und Kirche an der Schoah eingeht. Doch Faktum ist: Bubers Brief an Guardini markiert, wie Maurice Friedman festhält, »einen Wendepunkt« in Bubers Verhältnis zu Deutschland (Begegnung auf schmalem Grat, S. 399). Er reist nach Hamburg und holt im Juni 1953 seine Rede anlässlich der im Jahr zuvor erfolgten Verleihung des Goethe-Preises durch die Universität nach. Im September 1953 kommt Buber nach Frankfurt zur Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, den im Jahr zuvor Guardini erhalten hatte. Gut zehn Jahre später wiederholte sich das »Muster«: Guardini bekommt 1962, Buber 1963 in Amsterdam den Erasmus-Preis verliehen. 177. Zum Verhältnis Buber – Stier ist hilfreich das von Eleonore Beck und Gabriele Miller herausgegebene Bändchen: Martin Buber. Im Gespräch mit Gott und den Menschen. Erinnerungen, Leipzig 2003. Der Tübinger Alttestamentler Stier arbeitet in den 1950er Jahren an einer Übersetzung des Neuen Testamentes, bei der er sich stark an den Prinzipien der Buber-Rosenzweigschen Bibelverdeutschung orientiert. Diese (unvollendet gebliebene) Übersetzung erschien 1989 aus dem Nachlass. Zu persönlichem Austausch mit Buber kommt es, da Buber zwischen 1953 und 1959 (dem Jahr des Todes seiner Frau) Jahr für Jahr zusammen mit seiner Frau im Sommer für einige Wochen eine kleine Wohnung in Tübingen nutzt, die ihm durch den Tübinger Philosophen Ewald Wasmuth und dessen Frau vermittelt worden war. Stier beschreibt die Prinzipien der Buber-Rosenzweigschen Bibelverdeutschung eindrucksvoll in einem Vortrag, den der Süddeutsche Rundfunk am 10. Februar 1963 anlässlich des 85. Geburtstags von Buber ausstrahlt: »Die Sprache der Botschaft«. Auszüge daraus enthält das o. g. Bändchen von Beck/Miller. 178. Ausführlich dokumentiert in dem Band Lieber Pater Caesarius … Ihr Martin Buber. Ein Dialog in Briefen zwischen Pater Caesarius Lauer und Martin Buber, hrsg. von Harold Stahmer, mit Vorworten von Freya von Moltke und Maurice Friedman, übers. von Michael Gormann-Thelen, Moers 1996.

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selben Thema, der das Kernanliegen des Buchs noch einmal zusammenfasst. 179 Balthasars Haltung zu Buber ist theologisch zwiegespalten. Einerseits übt auch Balthasar (wie Brunner) entschieden Selbstkritik an der fatalen Geschichte des christlichen Antijudaismus. Im Grunde, meint er, sei mit dem Barnabasbrief, also seit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert, der »existentielle Dialog« von Juden und Christen abgebrochen worden. 180 Mehr noch: Unter Bezugnahme auf die Israel-Theologie des Apostels Paulus in den Kapiteln 9-11 des Römerbriefs (Heidenchristen wird mit dem Bild eines Ölbaums in Röm 11,18 gesagt: »Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich«) moniert Balthasar, »daß die Christen diese Erfahrung des bleibenden Aufgepfropftseins auf das Heilige Volk nur sehr mangelhaft und oft gar nicht realisiert« hätten. 181 Grundlegend bleibt für ihn: »es kann kein Christentum geben, das nicht in einer unmittelbaren, inneren und existentiellen ›Fühlung‹ mit dem ›heiligen Stamm‹ steht, so wie das Blatt mit der Wurzel.« 182 Was diese »Fühlung« aber für Juden konkret bedeutet, daran lässt Balthasar ebenfalls keinen Zweifel. Denn gerade angesichts der gewaltigen Entwicklung in der Geschichte des Judentums (vom »reinen Abrahamsglauben« der Ursprünge bis zum »reinen Hineingehaltenwerden ins Leiden – Jeremias, Job, der ›Knecht Gottes‹ bei Deuterojesaias«) nehme Israel doch, so Balthasar, »in seiner Volksexistenz von damals bis heute die Christologie vorweg«. 183 Gemeint ist: den Glauben an die Figur des »für die Weltsünde stellvertretend Leidenden«, dessen Leiden »erst wahrhaft erlösend für das Volk und die Menschheit wäre«. Eine solche Selbstüberschreitung aufgrund der eigenen Geschichte wäre von Israel zu »verlangen« gewesen, meint dieser katholische Theologe, um dann vollends seine Bestimmung des »Alten Bundes« offen zu legen. Dieser »Alte Bund« sei als die »Vorgeschichte der Menschwerdung Gottes in Christus« 184 zu lesen und so und nur so für Christen »groß« und »unentbehrlich«. Balthasar zusammenfassend: »Ebendeshalb transzendiert die Gestalt des Absolutums Israels sich innerlich selber, hin auf den Neuen Bund. Israel ist in der Tat seinem Wesen nach formale Christo179. Hans Urs von Balthasar, Einsame Zwiesprache. Martin Buber und das Christentum, Köln u. Olten 1958; ders., Martin Buber und das Christentum, in: Martin Buber, hrsg. von Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, S. 330-345. 180. Hans Urs von Balthasar, Martin Buber und das Christentum, S. 331. 181. Ebd., S. 333. 182. Ebd. 183. Ebd., S. 334. 184. Ebd., S. 341.

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logie, dessen erfüllende Inhaltlichkeit (die doch auch von der Leer-Form her wird) Christus ist.« 185

Andernfalls? Andernfalls müsse »das Dialogische«, wie Balthasar sich ausdrückt, Bubers gesamtes Denken also, »unweigerlich bis zur Hiobsfrage an Gott fortschreiten«, und es sei »nicht einzusehen, wie sie vor dem letzten Schritt bewahrt« werden könne, »der von Hiob zu Kafka und zu allen jüdischen Klägern wider Gott« führe. 186 So aber verbleibt Buber dann doch in einem »christlichen Vorhof«. Indem er als Jude verweigert, was eigentlich auf Grund einer inneren »Logik« der jüdischen Geschichte zu verlangen gewesen wäre, bleibt er für Balthasar am Ende doch der »verstockte Jude«. Balthasar hat somit auf subtile, aber nicht weniger deutliche Weise das Verstockungs-Schema reproduziert, das Buber schon in seinem Gespräch mit Karl Ludwig Schmidt im Jahre 1933 durchschaut und verworfen hatte: »›Die Kirche steht auf dem Glauben an das Gekommensein Christi, als an die der Menschheit durch Gott zuteil gewordene Erlösung. Wir Israel ver mö g en das nicht zu glauben.‹ Die Kirche sieht diese unsere Aussage entweder als Nicht-Glauben-Wollen an, als eine Verstocktheit in einem sehr bedenklichen Sinn, oder als einen Bann, als eine fundamentale Eingeschränktheit des Erkennen-Könnens der Wirklichkeit gegenüber, als die Verblendung Israels, die es hindert, das Licht zu schauen.«187

In seiner direkten Antwort, abgedruckt im selben Sammelband von 1963, nimmt Buber Balthasars »Hiobsfrage«, genauer Hiobswarnung, auf und erklärt mit dem ganzen theozentrisch verwurzelten Selbstbewusstsein des jüdischen Bibellesers: »Ohne Christentum, so sagt man mir, führe das Dialogische unweigerlich bis zur Hiobsfrage an Gott. Ja, das tut es, und Gott lobt ›seinen Knecht‹ (Hiob 42,7). Mein Gott will im Herzen und im Munde seiner Kreatur die Klage um das große Unrecht in der Welt nicht verstummen lassen, und wenn sie in einer unveränderten Welt doch ihren Frieden findet, nur weil er ihr seine Nähe wieder gewährt hat, bestätigt er sie. Frieden, sage ich; aber das ist ein Friede, der sich mit dem Kampf um die Gerechtigkeit in der Welt verträgt.« 188

Bubers Kernanliegen in Sachen Religion und biblischer Glaube kommt in diesen Sätzen aus dem Jahr 1963 – zwei Jahre vor seinem Tod – eindrück185. 186. 187. 188.

Ebd. Ebd., S. 343 f. In diesem Band, S. 158. Martin Buber, Antwort, in: Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, Martin Buber, S. 589-639, Zitat S. 611.

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lich zur Sprache. Wir wollen es in einem letzten Punkt noch einmal eigens thematisieren.

16. »Zu Gott demütig werden« Bubers Grundhaltung zu den Religionen In seinem Buch Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre von 1948 erzählt Buber zum Auftakt die folgende Geschichte, die in einem Gefängnis in St. Petersburg noch zur Zeit der Zarenherrschaft spielt: Eingekerkert ist Rabbi Schnëur Salman, der Rabbi von Reussen. Er war bei der Regierung verleumdet worden und sieht einem Verhör entgegen. Da kommt der Oberste der Gendarmerie in seine Zelle, und es entspannt sich ein »christlich-jüdischer Dialog« der besonderen Art, denn der Wächter erkennt in dem Gefangenen einen »nachdenklichen Mann«. Er verwickelt ihn in ein Gespräch und bringt Fragen vor, die sich ihm beim Lesen der Bibel gestellt hatten. Ein Widerspruch ist ihm aufgefallen und er möchte den Rabbi »testen«: »Wie ist es zu verstehen, daß Gott der Allwissende zu Adam spricht: ›Wo bist du?‹«, fragt er den Gefangenen. Kann Gott also etwas erfragen wollen, was er als »Allwissender« eigentlich längst wissen müsste? Der Rabbi antwortet: »Glaubt Ihr daran, […], daß die Schrift ewig ist und jede Zeit, jedes Geschlecht und jeder Mensch in ihr beschlossen sind?« Als der Wächter die Frage bejaht, sagt der Rabbi: »Nun wohl, […] in jeder Zeit ruft Gott jeden Menschen an: ›Wo bist du in deiner Welt? So viele Jahre und Tage von den dir zugemessenen sind vergangen, wie weit bist du derweilen in deiner Welt gekommen?‹ So etwa spricht Gott: ›Sechsundvierzig Jahre hast du gelebt, wo hältst du?‹« Als der Oberste überraschend die genaue Zahl seiner Lebensjahre nennen hört, legt er dem Rabbi die Hand auf die Schulter und ruft: »Bravo!«. Aber sein Herz »flattert«. 189 Warum erzählt Buber diese Geschichte? Und warum erzählt er sie so? Ihm kommt es auf eine entscheidende Einsicht an, die er mit dieser Geschichte verdeutlichen will. Die Ausgangsfrage des Obersten ist ja eine Art Fangfrage, gestellt in der Pose des Überlegenen. Sie ist im Grunde, so Buber, »keine echte Frage, sondern nur eine Form der Kontroverse«. Deshalb zielt die Antwort des Rabbi auf etwas ganz Anderes. Sie zielt darauf, den Fragenden aus der Rolle des Überlegenen zu holen und ihn zum Betroffenen zu machen; zielt darauf, dass der Fragende sich selbst als 189. Martin Buber, Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre, aufgenommen in u. hier zitiert aus: Werke III, S. 713-738, Zitat S. 715.

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»Adam« begreift, an den Gott die entscheidende Frage richtet: »Wo bist du?« Dann steht nicht der angebliche Widerspruch Gottes zur Debatte, sondern der Standort des Fragenden. »Wo bist du in deiner Welt?« Und wenn Gott so fragt, will er, meint Buber, »vom Menschen nicht etwas erfahren, was er noch nicht weiß; er will im Menschen etwas bewirken, was eben nur durch eine solche Frage bewirkt wird, vorausgesetzt, daß sie den Menschen ins Herz trifft, daß der Mensch sich von ihr ins Herz treffen läßt.« 190 Die Pointe dieses Dialogs zwischen einem Juden und einem Christen läuft also auf die exemplarische Erkenntnis hinaus: Alles kommt darauf an, ob Menschen sich in der Begegnung in Frage stellen, ob sie sich von Gott nach ihrem Ort befragen lassen. Die Begegnung zwischen Juden und Christen hört dann auf, zur Wahrheitsrechthaberei zu werden. Beide stellen sich unter die »Frage Gottes«, eine Frage, die, so Buber, die Menschen »aufrühren« will. Eine Frage, die ihnen ihren »Verstecksapparat zerschlagen« und so zeigen will, wo der Mensch »hingeraten« ist. 191 Das Zusammenkommen von Jude und Christ wäre dann, wenn beide sich von Gott befragen ließen: »Wo bist du?«, keine »Vergegnung«, sondern eine echte »Begegnung«. Dass »Religionen« in ihrer institutionalisierten Form Menschen den Weg zu Gott verstellen können, davon war Buber in seinem Alter mehr denn je überzeugt. Sein geistiges Vermächtnis im Blick auf die Religionen der Welt (auf alle Religionen) hat er in einem kurzen Text niedergelegt, den er bescheiden »Fragmente über Offenbarung« nennt. Er ist in dem Sammelband Nachlese enthalten, dessen Veröffentlichung Buber nicht mehr erlebt, da er am 13. Juni 1965 in Jerusalem verstirbt. Fahnenkorrekturen hatte er noch vornehmen können. Der kurze, aber dicht geschriebene Text ist sein Vermächtnis am Ende eines langen Lebens. Und dieses sein Vermächtnis ist auch heute noch herausfordernd genug: »Die geschichtlichen Religionen haben die Tendenz, Selbstzweck zu werden und sich gleichsam an Gottes Stelle zu setzen, und in der Tat ist nichts so geeignet, dem Menschen das Angesicht Gottes zu verdecken, wie eine Religion. Die Religionen müssen zu Gott und zu seinem Willen demütig werden; jede muß erkennen, daß sie nur eine der Gestalten ist, in denen sich die menschliche Verarbeitung der göttlichen Botschaft darstellt, – daß sie kein Monopol auf Gott hat; jede muß darauf verzichten, das Haus Gottes auf Erden zu sein, und sich damit begnügen, ein Haus der Menschen zu sein, die in der gleichen Absicht Gott zugewandt sind, ein Haus mit Fenstern; jede muß ihre falsche exklusive Haltung aufgeben und die rech190. Ebd., S. 716. 191. Ebd., S. 717.

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te annehmen. Und noch etwas ist not: die Religionen müssen mit aller Kraft darauf horchen, was Gottes Wille für diese Stunde ist, sie müssen von der Offenbarung aus die aktuellen Probleme zu bewältigen suchen, die der Widerspruch zwischen dem Willen Gottes und der gegenwärtigen Wirklichkeit der Welt ihnen stellt. Dann werden sie, wie in der gemeinsamen Erwartung der Erlösung, so in der Sorge um die noch unerlöste Welt von heute verbunden sein.« 192

192. Martin Buber, Fragmente über Offenbarung, in: Für Margarete Susman – Auf gespaltenem Pfad, hrsg. von Manfred Schlösser, Darmstadt: Erato-Press 1964, S. 7883; aufgenommen in u. hier zitiert aus: Martin Buber, Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 107-112, Zitat S. 111 f.

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Lebte Jesus? Dr. Martin Buber, Zehlendorf Ein Brief an den Herausgeber Sehr geehrter Herr Ostwald!

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Ich muß gestehen, daß mich die ganze Frage nicht sonderlich interessiert. Wenn einer eine so gewaltige Realität im Geiste geworden ist, scheint es mir nur für die Wissenschaft, für das Leben aber gar nicht wesenhaft, ob er eine in der Empirie einer früheren Zeit (»seiner« Zeit) gewesen ist. Nur eine so geistesunsichere Generation wie die unsere kann ihre eigene innere Erfahrung der äußeren einer längst vergangenen Generation unterordnen. Keine historische Wissenschaft vermag mehr zu geben als – bestenfalls – die Bewußtseinsanalyse einer Geschichtsepoche. Aber selbst, wenn sie mehr zu geben vermöchte, würden ihre Ergebnisse doch für das Leben des Religiösen ganz unerheblich sein. Wem Jesus u n m i t t e l b a r wirklich ist (und nur der ist mir merkwürdig und wichtig), dem kann seine unmittelbare Wirklichkeit natürlicherweise durch keine Untersuchung einer mittelbaren fragwürdig gemacht werden. Die Macht des Mythos, die in ihm lebt, ist eine Macht des lebendigen Geistes; die ganze genetische Fragestellung ist ihr gegenüber kraftlos und wesenlos, wie der Kunst oder der Liebe oder irgend einem Leben des Geistes gegenüber. Daß unser Zeitalter von der genetischen Methode beherrscht ist, sollte uns nicht blind machen für die Wahrheit, daß nur die Aeußerungen des Geistes eine Geschichte haben, nicht aber der Geist selber, der seine eigene Tat ist und nicht aus der Zeit, sondern aus sich selbst verstanden wird. Ihr sehr ergebener M a r t i n B u b e r.

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Eine Feststellung Es sind in der letzten Zeit in öffentlicher und privater Rede und Schrift nicht bloß, wie schon früher, von übelwollender, sondern auch von bona fide mißverstehender Seite Aeußerungen über meine Anschauung vom »Urchristentum« getan worden, daß es mir angezeigt erscheint – nicht etwa gegen sie zu polemisieren (das dünkt mich müßig und unfruchtbar), sondern in äußerster Deutlichkeit und Eindeutigkeit festzustellen, was der Feststellung – wenn es bei uns ein größeres Maß reinen Willens und echten Verständnisses gäbe – nicht bedürfen müßte. Wenn ich hierbei das Pronomen w i r gebrauche, so meine ich damit selbstverständlich nicht irgendeine Partei oder Parteigruppe, sondern lediglich mit mir einige Freunde, deren Stellungnahme ich wie die meine kenne, und jene unbekannten Gefährten von heute und übermorgen, die ich weiß, ohne sie zu kennen. Festgestellt sei also: erstens, daß die radikaljüdische Bewegung, die Urchristentum genannt wird und der wir einst einen anderen, zulänglicheren Namen geben werden, uns nicht wichtig ist weil, sondern trotzdem sie im Christentum mündete, in dem die jüdischen Elemente nicht entfaltet, sondern entstellt worden sind; zweitens, daß der zentrale Mensch dieser Bewegung, Jesus von Nazareth, uns als Objekt der Religiosität auf immer unüberwindlich fern und fremd ist, aber wertvoll und wesentlich als Subjekt der Religiosität, als einer, der die tiefe jüdische Religiosität gelebt hat, wie Sokrates die griechische und Buddha die indische; drittens, daß es keinen Frieden und keinen Waffenstillstand gibt zwischen uns reinen, ganzen Juden und der weltbeherrschenden christlichen Kirche und daß wir ihrer Usurpation jüdischen Urbesitzes entgegen unseren ewigen Anspruch, die wahre E k k l e s i a , die Gemeinde Gottes zu sein, unerschütterlich aufrechterhalten.

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Ein deutscher Schriftsteller, dem seine Schriftstellerei eine Sache nicht des Talents, sondern des Gewissens ist und dem die Worte, die er aufzeichnet und veröffentlicht, nicht von einer Stimmung, sondern von einer Gesinnung eingegeben werden, ein ernst zu nehmender Schriftsteller, Karl Scheffler, äußert sich in einer Erörterung der Kontroverse zwischen Trützschler von Falkenstein und Walther Rathenau* dahin, man müsse sich nunmehr von deutscher Seite aus gründlich mit der Judenfrage befassen, denn »was einmal getan werden muß, kann nicht früh genug getan werden«. Was ist denn aber dies, was einmal getan werden muß? Es ergibt sich aus Schefflers weiteren Ausführungen: die Juden müssen vor eine Entscheidung gestellt werden, von deren Ausgang es abhängen soll, ob ihnen die vollkommene Gleichberechtigung gewährt wird, »jene vollkommene Gleichberechtigung, die die Juden beanspruchen und die ihnen auch, nach dem Maße ihrer für Deutschland geleisteten Kulturarbeit und ihrer reichen Naturbegabung, nicht versagt werden kann«. Es ist aus diesen Worten zu entnehmen, daß die vollkommene Gleichberechtigung von den Juden nach Schefflers Überzeugung m i t R e c h t beansprucht wird: sie kann ihnen, so bekennt er, nicht versagt werden. Und doch wird sie, die nicht versagt werden kann, von einer Entscheidung abhängig gemacht? Wenn es Gerechtigkeit ist, daß sie den Juden zuteil werde, bisher unerfüllte Gerechtigkeit, darf deren Erfüllung an eine Bedingung geknüpft werden? »Wenn ihr diese Bedingung annehmt, werde ich euch Gerechtigkeit widerfahren lassen.« Soll das deutsche Volk s o zu den Juden sprechen? Trützschler von Falkenstein hatte den Juden geraten, sich zum Christentum zu bekehren; er hatte es ihnen nicht zur Bedingung für die Erlangung der Gleichberechtigung machen wollen, er hatte es ihnen nur aus Wohlwollen empfohlen. Auch Scheffler will den Übertritt nicht zur Bedingung gemacht wissen, weil diesem, wenn er nicht aus religiösen Gründen erfolgt, »nun einmal« der Makel der Gesinnungslosigkeit anhafte. Er will freilich auch nicht verschweigen, daß im Anfang des Krieges »geistig bedeutende Juden mehrfach den Entschluß geäußert« haben, »nach dem Kriege zum Christentum überzutreten«, um sich »nachdrücklicher noch zum Deutschtum zu bekennen«; daß somit »das Bekenntnis zur christ*

»Glaubenspolitik«, Die neue Rundschau, Oktober 1917, S. 1413-1416. Die Kontroverse ist im August-Septemberheft des »Juden«, S. 420-425, besprochen worden.

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lichen Kirche [soll wohl heißen: zu einer christlichen Kirche] allgemein als eine Art von Legitimation, als öffentlicher Beweis eines guten Staatsbürgertums betrachtet wird«. Er ahnt offenbar nicht, daß diese Betrachtungsweise von der eines früheren Zeitalters, als Protestanten von den katholischen, Katholiken von den protestantischen Landesherren expropriiert und verbannt wurden, nur äußerlich verschieden ist, und es kommt ihm offenbar nicht in den Sinn, sich zu fragen, ob jene »geistig bedeutenden« Juden, die dem geliebten Deutschtum ihre E h r e zum Opfer bringen wollten, nicht am Ende, und gerade vom Gesichtspunkt des deutschen Ethos aus gesehen, als sittlich unbedeutend zu bezeichnen wären. Oder sollte ihm dies doch nicht ganz verborgen geblieben sein? Er erklärt nämlich weiter, aus jener Äußerung der geistig bedeutenden Juden gehe hervor, »daß viele Juden fühlen, es sei ratsam, diesen Beweis [eines guten Staatsbürgertums] vor der Nation und vor sich selbst zu erbringen«. Ratsam – darin mögen jene richtig oder falsch fühlen, gleichviel, aber ich würde an einem, der sich in einer Frage innerster Seelenwahl davon bestimmen läßt, was ratsam ist, nicht gerade seine geistige Bedeutung bemerkenswert finden. Sollte es Scheffler damit wirklich so ganz anders gehen? Also Bekehrung zum Christentum ist es nicht, was er zur Bedingung für den Eintritt der vollkommenen Gleichberechtigung machen möchte. Sondern es ist die richtige Beantwortung zweier Fragen. »Die Fragen, die jeder Jude sich klar und unzweideutig beantworten muß, lauten: wenn ich ganz unbedingt ein Deutscher sein will, so muß ich in gewisser Weise aufhören, ein Jude zu sein, das heißt, an die übernationale Rassenkraft des Judentums zu glauben – kann ich das? oder so: darf ich mich innerhalb des deutschen Volkes noch als Angehöriger eines anderen Volkes fühlen? Nur wenn die erste Frage bejaht, die zweite verneint wird, kann es zu einer vollkommenen Gleichberechtigung kommen …« Der Grundirrtum Schefflers besteht in der – freilich noch immer weithin beliebten – Verquickung der Begriffe Staat und Nation. Die vollkommene Gleichberechtigung gebührt allen rechtschaffenen Bürgern des Staates, nicht aber darf sie von der »ganz unbedingten« Zugehörigkeit zu der im Staate herrschenden Nation abhängig gemacht werden. Müssen sich etwa auch die Sachsen in Siebenbürgen die Frage vorlegen: »wenn ich ganz unbedingt ein Ungar sein will, so muß ich in gewisser Weise aufhören, ein Deutscher zu sein, das heißt an die übernationale Rassenkraft des Deutschtums zu glauben – kann ich das?« oder genießen sie ihre Gleichberechtigung aus Versehen, da sie sich die Frage bisher ja nicht vorgelegt und demgemäß auch nicht bejaht haben? Wäre es etwa nach Schefflers Sinn, wenn das neue polnische Gemeinwesen die in ihm ansäs-

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sigen Deutschen aufforderte, sich, ehe sie die Gleichberechtigung erlangen, darüber zu befragen, ob sie sich innerhalb des polnischen Volkes als Angehörige eines anderen fühlen dürften? Freilich, hinter den Siebenbürger Sachsen und den Lodzer Deutschen steht das mächtige Deutsche Reich … – aber als Machtfrage will Scheffler die Judenfrage doch wohl nicht behandelt wissen? Ich sagte, die Gleichberechtigung dürfe nicht von der »ganz unbedingten« Zugehörigkeit zu der im Staate herrschenden Nation abhängig gemacht werden. Nun ist allerdings hierzulande die Fiktion verbreitet, es h e r r s c h e im Deutschen Reich nicht etwa bloß die deutsche Nation, sondern es g ä b e nur sie darin, und alles dieser Fiktion Widerstreitende müsse ausgeschaltet werden; woraus sich, da es hierzulande nun einmal z. B. Polen gibt, z. B. die deutsche Polenpolitik ergab, deren Ergebnisse bekannt sind. Es ist nicht an mir, dieser Fiktion entgegenzutreten; Berufenere haben dargelegt, daß mit ihr aufgeräumt werden muß, wenn Deutschland andere Wege betreten soll, als die es in diesen Krieg geführt haben. Es wäre jedoch unrichtig, aus meinen Worten zu schließen, daß ich die deutschen Juden den deutschen Polen usw. vergliche. Sie sind ihnen nicht vergleichbar. Sie leben durchaus in deutscher Kultur, sie haben weder eine territoriale Geschlossenheit noch eine eigene Sprache noch sonstige nationale Sondergüter; sie haben nichts als ihre – zumeist, wie Scheffler hervorhebt, schon recht sehr »eingedeutschte« – Seele und ihre – zumeist zur Konfession erniedrigte – Religion. Aber auch das ist anscheinend noch zu viel, auch dieses Mindestmaß eines Gemeinschaftscharakters ist noch ein Hindernis für die Gewährung der »vollkommenen Gleichberechtigung«. Erforderlich hierzu ist nach Scheffler »die Aufgabe eines Teils der religiösen Empfindungen – jener Empfindungen nämlich, die den jüdischen Menschen mit einer mystischen Bedeutung umgeben«. »Eines Teils der religiösen Empfindungen«. Scheffler scheint ihn für einen sehr peripheren Teil zu halten, denn sonst würde er doch wohl an die Juden nicht die beleidigende Zumutung stellen, diese Empfindungen aufzugeben: diese zentralen Empfindungen. Die jüdische Religion hat nicht »in gewisser Weise«, sondern in entscheidender Weise den jüdischen Menschen zum Gegenstand. Sie ist – das kann Rathenau und allen Apologeten des Judentums als eines Religionsminimums nicht nachdrücklich genug entgegengehalten werden – auf Gedächtnis und Hoffnung, das Gedächtnis des großen Schicksals als eines sinnvollen, die Hoffnung auf die Erfüllung seines Sinns in messianischer Zukunft, unabänderlich gegründet. Beides ist ins Menschheitliche emporgewachsen – das Einstige zum Sinnbild menschheitlichen Wegs, das Kommende zum Dienst an mensch-

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heitlicher Erlösung –, beides kann sich dennoch, ohne seine Vitalität zu verlieren, von seinen volkhaften Wurzeln nicht abtrennen. Man kann diese »mystische Erhöhung der Rasse«, wie Scheffler es nennt, richtiger diese innere Anschauung des Geschlechterzusammenhangs sub specie aeternitatis ebensowenig aus dem Judentum reißen, ohne seinen Bau zu erschüttern, wie die Person Christi aus dem Christentum. Wer sich nicht e r i n n e r t , daß Gott ihn aus Ägypten geführt hat, wer nicht den Messias e r w a r t e t , ist kein wahrhafter Jude mehr. Diese Erinnerung und diese Erwartung bilden jenen Teil unserer religiösen Empfindungen, dessen Aufgabe Scheffler als Preis für die »vollkommene Gleichberechtigung« fordert, die uns, wie er selbst erklärt, »nicht versagt werden kann«. Nun denn, diesen Preis werden wir n i e m a l s zahlen. Macht das deutsche Volk sich Schefflers Forderung zu eigen, so wird es in seiner Ungerechtigkeit und wir in unserem Mangel verharren, aber mit der Erstgeburt unserer Seele werden wir nicht zahlen. Deutsche Juden, die ihres Selbst vergaßen, mögen anders gesonnen sein, – das deutsche Judentum, das es täte, würde sich zum Untergang verdammen. Und die Begründung dieser Forderung? »Ein deutscher Jude«, sagt Scheffler, »um ein Beispiel zu setzen, – der für die russischen Juden mehr empfindet als für alle anderen Russen, könnte leicht in Konflikt mit sich selbst und mit seinen Pflichten kommen, wenn er als höherer Staatsbeamter oder sonst in einflußreicher Stellung östliche Politik im Namen Deutschlands zu machen hätte. Der Selbsterhaltungstrieb der Nation müßte mit Recht zögern, großen politischen Einfluß einem Manne zu übertragen, von dem es zweifelhaft ist, ob er in einem gegebenen Augenblick mehr, als Deutscher oder als Jude empfindet. Hier ist der Punkt, um den die ganze Frage sich dreht.« Ja, hier ist der Punkt, um den die ganze Frage sich dreht. Der Punkt nämlich, in dem die Verkehrtheit und Unersprießlichkeit der üblichen deutschen Stellungnahme sich am deutlichsten kundgibt. Nur ein Land, das Mißtrauen hegt, legt Grund zu neuem Mißtrauen; nur ein Land, das mit der Erteilung bürgerlicher Rechte und Freiheiten wartet, bis es sie nicht mehr vorenthalten kann, gerät in Furcht vor ihren Folgen. Wann hätte England sich je bedacht, einen Juden zum Minister zu machen, weil er für die – sagen wir: für die deutschen Juden mehr empfinden könnte als für alle anderen Deutschen? Es vertraute und behielt recht; es fragte nicht nach Empfindungen, sondern nach Handlungen und behielt recht und mehr als recht; denn der in eine Obliegenheit eingesetzte Jude ü b e r t r i e b in einem Gewissenskonflikt eher seine Pflichttreue. Deutschland aber glaubt auf Herz und Nieren prüfen zu müssen – und muß es eben deshalb, und nur so lange, als es das glaubt.

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Scheffler begnügt sich jedoch nicht damit, die abstrakte Forderung zu formulieren; er wendet sie auch gleich auf eine aktuelle Frage an. Er weist auf das neuentstandene deutsche Judenpatriziat hin, »das für unser geistiges Leben unendlich viel bedeutet« und dessen Aristokratisierung, d. h. Eindeutschung immer noch fortschreite. »Nun erscheint«, so sagt er, »diese wohltätige Entwicklung aber in Frage gestellt, weil der Krieg Pforten des Ostens geöffnet hat, durch die ein neuer Strom aufstiegseifriger Menschen und vor allem jüdischer Menschen in Deutschland einzubrechen droht. Wenn das geschieht, so ist das Patriziat der deutschen Juden, das heißt also ihr Deutschtum, schwer bedroht. Es liegt darum in ihrem eigensten Interesse, eine Politik zu machen, die sich insofern auch gegen ihre Stammesgenossen richtet, als sie versucht, die offenen Pforten gegen den Osten zu schließen, eine Politik, die nur auf die Bedürfnisse Deutschlands Rücksicht nimmt. Damit ist die Entscheidung über die Gleichberechtigung, über den Einfluß, über die Regierungsfähigkeit des deutschen Judentums, ja über sein ferneres Schicksal, vor allem in seine eigenen Hände gelegt.« Diese Sätze entbehren der eindeutigen Klarheit. Sollen die deutschen Juden Grenzschutzpolitik machen, weil die Einwanderung von Ostjuden ihnen, oder weil sie Deutschland gefährlich ist – sollen sie dabei auf »die Bedürfnisse Deutschlands« oder auf ihr eigenes »Patriziertum« bedacht sein – oder beides? Anscheinend beides. Heißt das aber nicht, Selbstverleugnung mit Selbstsucht in einer wunderlichen, in einer sittlich nicht zu rechtfertigenden Weise vermischen? Die deutschen Juden sollen ihre polnischen Stammesgenossen in Bausch und Bogen verleugnen – um Deutschlands willen, zugleich aber um ihrer eigenen Position willen; sie sollen Deutschland einen Dienst leisten und dabei selbst ihren Vorteil finden. Was da empfohlen wird, mag vielleicht eine kluge Geschäftspolitik sein; es erscheint mir wie die Übertragung jenes Kriegslieferantenidealismus des Herrn Kranz in Wien, der mit seinen Bierlieferungen »dem Staate einen Dienst leisten wollte«, in eine höhere Sphäre; einen »Entschluß zum Unbedingten«, wie Scheffler es nennt, vermag ich darin wahrhaftig nicht zu erblicken. Geht es denn aber um einen wirklichen Dienst, den die deutschen Juden mit der Politik, »die sich insofern auch gegen Stammesgenossen richtet«, Deutschland leisten könnten? Scheffler erklärt sich nicht darüber; er schreibt seine Sätze von der Gefahr und ihrer Behebung wie Axiome hin, die keiner Begründung bedürfen. Ich ziehe vor, sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen. Zum ersten: Wie in dieser Zeitschrift wiederholt* dargelegt worden ist, *

1. Jahrgang, S. 19 ff., 278 ff.

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steht eine größere Abwanderung polnischer Juden nach Deutschland nicht zu erwarten. Man lese dort die statistischen Angaben nach, die beweisen, daß eine Massenauswanderung der Juden aus dem Königreich Polen auch bisher nicht stattgefunden hat, und die soziologischen Feststellungen, aus denen hervorgeht, daß Deutschland überhaupt auf die ostjüdischen Massen als solche keinen Immigrationsanreiz auszuüben vermag. Seit der russischen Revolution ist diese »Gefahr« vollends geschwunden, da ein freies und aufstrebendes Rußland eine weit größere Anziehungskraft ausüben wird. Zum zweiten: Der Osten ist das große Becken, aus dem sich das westliche Judentum, und darunter auch jenes deutsche Judenpatriziat, stetig erneuert. Dieses Patriziat unterscheidet sich von den meisten andern durch das rasche Tempo seines Verfalls; die Familien sind in der Minderheit, in denen die dritte Generation nicht bloß kultiviert, sondern auch schaffensfähig sich erhalten hat. Den gleichmäßigen Kräftezuwachs erhält diese Schicht aus dem langsamen Zustrom »aufstiegseifriger Menschen« aus dem Osten. Wie sollte sie, die ja für das geistige Leben Deutschlands so »unendlich viel bedeutet«, wie sollte sie – wofern sie über den a u g e n b l i c k l i c h e n Nutzen und Schaden hinaus den d a u e r n d e n zu betrachten vermag – diesen sie nährenden Strom als für Deutschland bedrohlich betrachten? (Er mag neben Positivem allerlei Negatives mit heranspülen, gewiß; dann tut hier – wie überall – Auswahl, nicht generelle Ablehnung, Prüfung der Einzelnen, nicht Verwerfung des Ganzen not.) Zum dritten: Man möchte, wenn man Schefflers Sätze liest, meinen, die deutschen Juden hätten die Macht oder einen Teil der Macht, »die offenen Pforten gegen den Osten zu schließen«. Mir ist von einer solchen Macht der deutschen Juden nichts bekannt. (E i n e Macht hätten sie immerhin: dem Deutschen Reich vor dem Ausland, das Odium einer Grenzsperrgesetzgebung durch ihre Billigung abzunehmen; aber d a r u m kann es Scheffler doch wohl nicht gehen.) Also zum ersten ist der Dienst, den die deutschen Juden Deutschland leisten sollen, überflüssig, zum zweiten ist es gar kein Dienst, und zum dritten liegt es gar nicht in ihrer Macht, ihn zu leisten. Diese ganze Deutschland von den polnischen Juden drohende Gefahr und ihre Behebung durch die deutschen Juden erweist sich als unwirklich; wirklich bleibt einzig die Absicht: die deutschen Juden sollen auf die Probe gestellt werden, ob sie sich würdig zeigen, die Gabe zu empfangen, die ihnen »nicht versagt werden kann«. Sagen sie sich von ihren östlichen Brüdern los, dann winkt ihnen – soweit Karl Scheffler und die ihm Gleichgesinnten darüber zu verfügen haben – der köstliche Lohn. Merkt Scheffler nicht, wie schimpflich für beide Teile solch ein Auf-

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die-Probe-stellen wäre? Wie bedenklich es ist, einer Menschengruppe zu verkünden, von ihrer Entscheidung in einem konstruierten Gewissenskonflikt hänge es ab, ob ihr das Recht wird? Setzt einen rechtschaffenen Juden in Amt und Würden ein, und er wird in einem Gewissenskonflikt, wie jeder rechtschaffene Mensch – es gibt wahrlich noch andere Gewissenskonflikte für deutsche Beamte als den von Scheffler erörterten –, sich entweder durch seine Obliegenheit bestimmen lassen oder ihr entsagen. Aber mutet ihm nicht zu, vorher ein Gewissensexamen abzulegen! Überlasset es ihm, ob er die Verpflichtungen eines Staatsbeamten auf sich nehmen will, und entscheidet er sich dafür, so lasset ihn sich bewähren. Aber dränget euch nicht in seine Seele! Im Anfang dieses Krieges erklärte der Staat unmißverständlich durch seine obersten Vertreter, nicht länger die Seelen seiner Bürger kontrollieren zu wollen, erklärte das deutsche Volk unmißverständlich durch seine geistigen Führer, die mit ihm verwachsenen fremdstammlichen und fremdreligiösen Elemente fortan als gleichen Rechtes mit sich selber betrachten und behandeln zu wollen. Nun aber werden mit einer Selbstgewißheit, als wäre solches nie geschehen, Seelenproben verlangt und Bedingungen aufgestellt. Hat man schon wieder »umgelernt«? War es nicht ein Anfang, war es nur ein Rausch? Wehe Deutschland, wenn es nur ein Rausch war!

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Religion und Gottesherrschaft Auf das Buch »Welt rei ch, Reli g i o n u nd Go t tes her rs ch aft « von Leo nha rd R ag az, 1 das Werk eines im Ernst des persönlichen Lebens durch die labyrinthischen Spiegelungen der Theologie zur Wirklichkeit Gottes und des Wortes vorgedrungenen Mannes, möchte ich vor allem deshalb aufmerksam machen, weil hier, vom Christen aus, aber im wesentlichen für den religiösen Menschen überhaupt gültig, mit aller erwünschten Schärfe zwischen Religion und Reich Gottes geschieden wird. Ragaz sieht im Reich Gottes »eher das Gegenteil von Religion«. Er weiß, daß Moses, die Propheten und Jesus nicht eine Religion, sondern ein Reich, einen gottgemäßen Weltzustand meinen. Er findet »in der Religion keine Bürgschaft, daß wir es mit Gott selbst zu tun haben«. »Man kann sehr viel Religion haben und fern von Gott, ja gottlos sein,« denn »Religion hat die Neigung, eine Sache zu werden, die um ihrer selbst willen wichtig ist,« sie gelangt dazu, »sich an die Stelle Gottes zu setzen, durch Religion die Abwesenheit seines Reiches zu verdecken.« Sätze wie diese verdienen zu allen Zeiten ein nachdrückliches Lob um ihrer gesunden Entschiedenheit willen. Heute steht ihnen ein besonderes Verdienst zu, weil sie das Richtige mitten in die dichte Verkehrtheit hinein sagen. Das allermeiste nämlich davon, was sich heute religiöse Bewegung nennt, ist verkehrt – nicht etwa in Einzelheiten des Inhalts, sondern in seinem ganzen Bau. Man will da etwas, was man eben nur zu wollen braucht, um es zu verfehlen. Es ist ja bezeichnend für die »Bewegungen« dieses Zeitalters, dass sie gewöhnlich Dinge anstreben, die nur als Nebenprodukte entstehen können; – so wurde zuerst »Persönlichkeit« angestrebt, die etwa entsteht, wenn ein Mensch mit der Macht seines Wesens sein Werk im Sinn hat, sodann »Gemeinschaft«, die etwa entsteht, wenn etliche Menschen eben so eine Handlung im Sinn haben, die sie nur gemeinsam zu vollbringen vermögen. So strebt man nun auch »Religion« an, die, insofern sie überhaupt etwas Wirkliches ist, da entsteht, wo Menschen mit der Macht ihres Wesens Gott im Sinn haben. Haben sie dagegen statt seiner Religion im Sinn, was für Mißgebilde müssen da zustandekommen! Aber mit der religiösen Bewegung ist es noch schlimmer als mit den 1.

2 Bände. Erlenbach-Zürich, Rotapfel-Verlag. Im gleichen Verlag sind in der Sammlung »Flugschriften der Quelle« das vorzügliche Blumhardt-Buch von Ragaz: »De r Kamp f u m d a s Rei ch Go t tes «, sowie die ergänzenden Flugschriften »Di e E rlö s ung d urch d i e L i ebe «, »S el bs t beha u p t u ng u nd S e l bs t ve rl eu g nung «, »The o s o p hi e o d er Rei ch Go t tes ? « und »Jud e nt u m u nd C hr i ste nt um« erschienen.

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andern bestellt. Werk und Persönlichkeit, gemeinsame Handlung und Gemeinschaft können nämlich, nachdem das Nebenprodukt erst einmal erzeugt worden ist, recht gut beieinander bestehen und einander zuträglich sein. So oft es aber in der Geschichte erst einmal wieder Religion gegeben hat, war in ihr auch eine Kraft da, die die Menschen – nicht in anfechtbarer Weise wie die profanen Gewalten tun, sondern mit höchst legitimem Aussehen – von Gott ablenkte; daß ihr dabei ein großer Erfolg beschieden war, liegt zumeist daran, daß es weit gemächlicher ist, mit der Religion als mit dem Gott zu tun zu haben, der einen aus Heimat und Vaterhaus auf die ruhelose Wanderschaft verschickt. Dazu kommt, daß Religion ihren kultivierten Anhängern allerlei ästhetische Erquickungen zu bieten hat (weshalb sie denn auch vielfach zu einer Abteilung der Aesthetik geworden ist), wogegen Gott dem Menschen auch noch die Kunst – Bilden und Schauen – in ein Opfer verwandelt, das zwar freudigen, aber nicht eben genießerischen Herzens dargebracht wird. Deshalb sind zu allen Zeiten die wachen Geister wachsam gewesen und haben vor der in der Religion versteckten ablenkenden Kraft gewarnt: – welche ja nur die höchste Sublimierung der Kraft ist, die sich auf allen Lebensgebieten in deren krasser Verselbständigung, in deren Losreißung aus dem vollständigen Leben und in dem Versuch äußert, anstatt der Eingliederung bedingt-autonomer Vielfältigkeit in das eine Weltgesetz eine einheitsblinde Eigengesetzlichkeit walten zu lassen. Kaum je aber hat die Warnung so not getan wie heute, wo die eine Welt dem Menschen in eine Vielheit unabhängiger und unzusammenhängender Sphären auseinandergebrochen ist, deren jede das Ganze in einer »geistigen Form« zu umfassen vorgibt, und zwischen denen nur darum nicht ein Kampf aller gegen alle tobt, weil keine im Grunde noch den Anspruch erhebt, Wirklichkeit zu sein, alle vielmehr nur als »Ebenen« gemeint sind, auf denen die »schöpferische« Subjektivität sich tummelt. Solch eine Ebene ist das meiste von dem, was sich in der gegenwärtigen religiösen Bewegung Religion nennt. Es gebe, heißt es, ein religiöses Verhältnis zur Welt, wie es ein ästhetisches oder philosophisches gebe; es gebe die Reihe der religiösen Erlebnisse, wie es die der erotischen und die der politischen gebe; man sei eben nicht ganz in Ordnung, wenn man nicht auch diese oberste und erlesenste besitze; und dieses Verhältnis, diese Erlebnisreihe vertrage sich vortrefflich mit den anderen in dem wohlassortierten Lager der modernen Subjektivität. Aber entweder ist das Religiöse eine Wirklichkeit, vielmehr die Wirklichkeit, nämlich das vo llst ä nd i ge, alles Tei lhafte übereinende Leben des wirklichen Menschen in der wirklichen Gotteswelt; oder es ist eine Ausgeburt der süchtigen Menschenseele, und sein Brauch ist rechtmäßig durch die Kunst,

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sein Gebot durch die Ethik, sein Bericht durch die Wissenschaft schleunig und restlos zu ersetzen. Der üblichen Perspektivierung von Gott und Welt gegenüber kommt die Warnung von Männern wie Ragaz zur rechten Zeit. Aber auch in einem andern noch wichtigeren Belang ist ihm zuzustimmen, den ich hier nur anzudeuten vermag. Ragaz stellt die Frage der Fragen, die nach dem Rei ch , und er tut es in einer eschatologisch bewegten – im östlichen Europa von eschatologischen Anwandlungen, im mittleren von eschatologischen Gedanken, im westlichen immerhin von eschatologischen Stimmungen bewegten – Zeit. Er erhebt die klare, eindeutige Forderung, daß das Reich Gottes, ob auch seine innerste Wahrheit ihren Ort nicht in der Zeit hat, von den Menschen in seiner in der Zeit kommenden Wirklichkeit betrachtet werden muß; zu der, ob sie auch anders als die ist, in der wir leben, von dieser aus ein Weg führt; und an deren Werden, ob wir uns auch mit jedem Machenwollen daran verheben, wir ein Anteil haben, dessen Grenzen nur die Tat ermessen kann.

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In den Beiträgen dieses Hefts, die die Redaktion mir vor der Drucklegung zugänglich gemacht hat, finde ich immer wieder das Wort »Pharisäer«, »pharisäisch«, »Pharisäertum«, und zwar so verwendet, daß damit zunächst eine historische Kategorie, dann aber ein (nicht d a s zwar, wohl aber e i n ) Grundwesen des Judentums bezeichnet werden soll. Dabei wird nun so viel Irriges und Irreführendes vorgebracht, daß ich, von der Redaktion ersucht, mich zu dem oder jenem in den Beiträgen erörterten Gegenstand zu äußern, mich für diesen entschieden habe, weil seine Klärung besonders wichtig ist. Stellen sich doch die Verfasser mit diesem Wortgebrauch in eine Reihe, die von den Evangelisten eröffnet wird und die in ihrem Zug durch die Zeiten dem Juden weit bedenklicher sein muß als die ganze Phalanx der »Antisemiten«. Aber nicht dem Juden allein. Die paar Hinweise auf die Wahrheit, die ich hier geben kann, arbeiten zu ihrem Teil an einer menschheitsgeschichtlich bedeutsamen Berichtigung mit.

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Zum Anfang eine kleine Tatsachen-Feststellung. In einem der Beiträge, dem von Oscar A. H. Schmitz, wird »der Pharisäismus« als ein Hemmnis des Juden bezeichnet, und der Autor setzt erklärend hinzu: »Ich verstehe dieses Wort nicht in der heutigen moralisch entwertenden Bedeutung des Sprachgebrauchs, sondern im alttestamentarischen Sinn.« Da das Alte und das Neue Testament (welch letzteres ja die »moralisch entwertende Bedeutung« begründet hat) hier nicht verwechselt sein können, muß die Meinung doch wohl die sein, daß das Wort »Pharisäer« im Alten Testament vorkomme; denn wie sonst könnte es einen alttestamentarischen Sinn besitzen? Und in der Tat heißt es an anderer Stelle, diesen »bösen Dämon« gebe es schon »im Alten Testament«. So darf ich denn der humoristischen Situation nicht ausweichen, zum Anfang feststellen zu müssen, daß der erst nach den Makkabäerkriegen erscheinende Name im Alten Testament nicht vorkommt. Und die Sache auch nicht.

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3. Gleichviel, antwortet der Autor: wenn nur zugegeben werden muß, daß das Pharisäertum »dem weltlichen Sadduzäertum immer entgegengesetzt« war. Aber das ist nicht wahrer, als der »alttestamentarische Sinn«, nur unpräziser, und daher nicht durch eine kleine Tatsachen-Feststellung zu erledigen. Wir müssen nun schon zu fragen beginnen, »was das eigentlich ist«. Also die weltlichen Sadduzäer und – somit – die geistlichen Pharisäer! Nun verhält es sich doch aber so, daß diese weltlichen Sadduzäer die Partei der Priester waren (ob nun ihr Name zu Recht als Anhänger der »Söhne Zaddoks«, des salomonischen Ahnen des Priestergeschlechts, gedeutet wird oder nicht), und daß diese geistlichen Pharisäer die hasmonäische Dynastie vornehmlich deshalb bekämpften, weil sie, von ihrer Geschichts- und Zukunftsanschauung aus, dem Priesterkönigtum dieser Dynastie entgegen sein mußten, wie Dante der weltlichen Gewalt des Papstes. Woher aber dem Autor die Kunde kommt, sie hätten »das unabhängige jüdische Königtum der Hasmonäer dem Pompejus zur Vernichtung empfohlen«, kann ich nicht verstehen. Josephus, der einzige Berichterstatter des Vorfalls, weiß nur zu erzählen, daß, als die zwei feindlichen Hasmonäerbrüder ihre Thronansprüche vor Pompejus verfochten, »das Volk«, richtiger »die Nation« (ethnos), mit der Königsherrschaft unzufrieden, sich gegen beide erklärte.

4. Aber vertraten denn die Pharisäer nicht, im Unterschied von den Sadduzäern, den Standpunkt des »starren Gesetzes«? Die umgekehrte Behauptung käme der Wahrheit näher. Die Sadduzäer erklärten die geschriebene Thora für bindend, ausschließlich sie, sie aber mit unerbittlicher Strenge. Die Pharisäer sahen in der geschriebenen Thora nur den Kern einer lebendigen Überlieferung, die zwar grundsätzlich nichts anderes als Übernahme eines Übergebenen, eines mündlich Erhaltenen, sein wollte, aber in ihrer Wirklichkeit doch in jedem neuen Geschlecht zu neuer Situation neuen Spruch tat; neuen Spruch, der sich freilich aus seiner Verknüpftheit mit der Tradition legitimieren mußte, aber deren Bestand eben doch erweiterte, modifizierte, ja wandelte. Für die Sadduzäer mußten für die gesetzlichen Bedürfnisse

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einer neuen Situation priesterliche Verordnungen sorgen, die nicht an das aus Gottes Munde abgeleitete Gesetz geschlossen waren; für die Pharisäer galt nur dieses Eine, dieses aber sprach seinen Sinn in jeder Versammlung der Berufenen mit einer Mächtigkeit aus, die der von himmlischen Stimmen überlegen war. So rissen die Sadduzäer das in heiliger Geschichte und heiligem Buch wohnende Gesetz und den gelebten Augenblick auseinander, sie entrückten jenes dem Weg des Menschen; damit aber stellten sie sich gegen das Walten des lebenden Geistes, der sich je und je eben aus dem Menschenmunde bekundet. Die Pharisäer aber, indem sie sich unterfingen, das Schriftwort »auszulegen«, hoben es in den Raum des Weltgeschehens ein. Gerade weil ihre Auslegung letztlich dem wandlungsreichen Leben treuer war als dem unwandelbaren Text, gerade weil sie den festen Buchstaben nur deuten, um die strömende Wirklichkeit im Namen Gottes zu bewältigen, dienten sie Ihm, der seine Manifestation nicht verkapseln lassen will, sondern, wie das Werk seiner Schöpfung, so auch das seiner Offenbarung »an jedem Tag erneuert«.

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Was soll’s denn nun aber heißen, was ein andrer der Beiträge dieses Heftes, der von Otto Flake, uns sagt: »daß der Pharisäer als menschlicher Typus und der reine, vom Leiden des Volkes bewegte Mensch« – Jesus – »damals in einer unvergeßlichen Tragödie zusammenstießen«? In welchem erdenklichen Sinn könnte mit Fug der Pharisäer – natürlich nicht ein beliebiger, sondern einer der Führer – als nicht »rein« oder als nicht »vom Leiden des Volkes bewegt« bezeichnet werden? Zunächst auch hier eine Feststellung, freilich nicht mehr eine kleine und leichte, sondern eine sehr schwerwiegende. Flake geht von der geläufigen Annahme aus, Jesus sei »von den Pharisäern getötet worden«, ja, er meint sogar, daß, wenn dem nicht so wäre, »die Gestalt Christi die Idee und den Sinn verlöre«. Doch wohl nur die falsche Idee und den falschen Sinn, um eine rechte und einen rechten zu gewinnen! Jedenfalls: Jesus ist nicht von den Pharisäern getötet worden. Welchen Anteil immer die Juden an Jesu Verurteilung gehabt haben mögen, das eine ist gewiß, daß in ihrer obersten Behörde, der die richterliche Gewalt zustand, dem Synhedrion, die Pharisäer damals eine Minderheit waren, »als homines novi, Eindringlinge in ein Gebiet, das eigentlich nicht das ihre war«, denn »der eigentliche Ort ihrer Herrschaft war nicht das Synhedrion, sondern die Schule und das Leben« (Wellhausen); eine Minderheit also, und zwar eine volkstümliche und römerfeindliche der

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opportunistischen priesterlichen Aristokratie gegenüber. Und in der Tat, auch die evangelische Darstellung weiß als an dem Vorgehen gegen Jesus beteiligt nur Namen von Priestern, von Sadduzäern anzuführen. Aber das Neue Testament bietet uns mehr als diesen negativen Erweis; es erzählt auch (Apostelgeschichte 5, 34 ff.), wie sich ein führender Pharisäer in einer ähnlichen Situation verhielt. Als nämlich, kurze Zeit nach dem Tode Jesu, »der Hohepriester und alle, die mit ihm waren, welches ist die Sekte, der Sadduzäer«, die Apostel gefangennehmen ließen und anklagten, »da stund auf im Rat ein Pharisäer mit Namen Gamaliel«, das ist der Enkel Hillels, »in Ehren gehalten vor allem Volk«, und sprach: »… Lasset ab von diesen Menschen und lasset sie fahren. Ist dieser Rat oder dieses Werk aus den Menschen, so wird’s untergehen; ist’s aber aus Gott, so könnet ihr’s nicht dämpfen; auf daß ihr nicht erfunden werdet, als die wider Gott streiten wollen.« Das ist dieselbe Haltung und derselbe Glaube, die das Wort der Sprüche der Väter bezeugt (5, 17): »Jede Parteiung, die um Gottes willen geschieht, wird letztlich bestehen, und die nicht um Gottes willen geschieht, wird letztlich nicht bestehen« (vgl. auch 4, 11 sowie Abbot de Rabbi Natan 40 bezw. 46, wo statt »Parteiung« »Versammlung« steht). Das ist die echte pharisäische Haltung und der echte pharisäische Glaube.1 Und dem Menschen dieser Haltung und dieses Glaubens soll Jesus als »der reine, vom Leiden des Volkes bewegte Mensch« gegenüber gestanden haben? Beide sind in Wahrheit Eines Geschlechts, und was immer sie auch wider einander sprachen, sie können einander in aller Ewigkeit nicht entfremdet werden. »Seid vollkommen wie euer Vater im Himmel vollkommen ist« ist Jesu Wort, aus zwei Worten des Alten Testaments (III M. 11, 45 und 19, 2; V M. 18, 13) zusammengebildet; und das der Pharisäer, an das gleiche Leviticus-Wort näher gelehnt (Sifra zu den Stellen): »Wie Ich heilig bin, so sollt auch ihr heilig sein; wie Ich abgesondert bin, so sollt auch ihr abgesondert sein.« Abgesonderte, Peruschim – Pharisäer. Abgesondert – das heißt nicht vom Leben des Menschenvolkes geschieden, sondern, eben nach dem Vorbild Gottes, dessen überreine Herrlichkeit »inmitten ihrer Unreinheiten wohnt«, eingetan und unentweiht zugleich. Und so denn auch, wie sie von Gott sagen, daß er um sein Volk Leid trage, selber alles Weh der Nation und alle Pein der Menge in der aufgetanen Seele erprobend. Wie also verhält es sich mit dem Gegensatz zwischen Jesus und den Pharisäern? 1.

Man vergleiche den Bericht über die Stellungnahme der Pharisäer zur Anklage gegen Paulus (Apostelgeschichte 23).

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Drei Schichten sind zu unterscheiden. Die oberste: Bearbeitung der Wirklichkeit durch die Verfasser der Evangelien, die ja im Kampf gegen das die christliche Lehre ablehnende pharisäische Judentum stehen. Ein besonders augenfälliges Beispiel: die Geschichte von dem Pharisäer, der Jesus nach dem größten Gebot fragt und zur Antwort die Worte des Alten Testaments von der Liebe zu Gott (V M. 6, 5) und zum Nächsten (III M. 19, 18) gesagt bekommt. In dem zweifellos ältesten Text, bei Markus, fragt der Pharisäer im Ernst und empfängt Jesu Antwort im Ernst, sie durch seine eigene bekräftigend; und auf die wieder entgegnet ihm Jesus, er sei nicht fern vom Reiche Gottes. Aber die zwei andern Synoptiker lassen den Pharisäer schon hinterlistig reden, um Jesus zu »versuchen«, und der Fortgang des Gesprächs, die Repliken der Einigung im Zeichen des Gottesworts, ist gestrichen worden. Die zweite Schicht: Jesu Schelten der heuchlerischen Pharisäer ist freilich nicht das Erzeugnis einer Bearbeitung; aber was im Talmud selbst (Jeruschalmi Berachot 9, 5; Babli Sota fol. 22 b) von den Pharisäern selbst in einer bildstarken Ironie über die fünf pharisäischen Heuchlerklassen, über die »Gefärbten« gesagt wird, ist in seinem Pathos der Selbstreinigung dem Pathos in Jesu Reinigungswillen nicht unterlegen. Hier steht nicht der reine Mensch gegen den andern, sondern die Gefahr, die dem an die Gesetzesübung Hingegebenen von der Verkehrung des Motivs und der Erlahmung der Seelenintention aus droht, wird hier wie dort erkannt und bezeichnet; nur daß der Pharisäer sorglich zwischen Wahrheit und Lüge, Echtheit und Verstellung scheidet, Jesus aber als ein von einer mehr nach außen gerückten Position aus Kämpfender diese Sorgfalt unterläßt und die ganze Menschenart, als wären sie alle Heuchler, im gleichen Anathema zu umfangen scheint. Aber die dritte, innerste Schicht: da ist freilich eine ganz wirkliche Gegnerschaft, deren Anblick vor jeder Verdunklung bewahrt werden sollte. Nur muß eben auch deutlich wahrgenommen werden, um was es geht. Ich sagte schon: die Pharisäer stellen das Gesetz in die lebendige Überlieferung ein, die, indem sie es auslegt, es abwandelt, wogegen die Sadduzäer eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihm und dem Leben aufreissen. Wie steht nun Jesus zum Gesetz? Er lehnt die sadduzäische Entzweiung von Dort und Hier, von SinaiOffenbarung und dem gelebten Augenblick ab; aber um die Einheit beider zu finden, will er nicht wie die Pharisäer in die Situation des Jetzt eingehen, vielmehr, er will noch weiter zurückgehen als die Sadduzäer, der Sinai genügt ihm nicht, er will in die Wolke überm Berg, aus der die Stimme schallt, er will dringen in die Urabsicht Gottes, in die Ur-Unbe-

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dingtheit des Gesetzes, wie sie war, ehe sie sich in der menschlichen Materie brach, er will das Gesetz »erfüllen«, das heißt, er will seine Urfülle aufrufen und wirklich machen. Daß das Volk jetzt nicht eher als damals im Urreinen wird atmen können, rührt ihn ebenso wenig an, als daß ihn etwa die Ahnung anwandelte, wie die Völker, denen seine Lehre sich auferlegen wird, nur durch Aufreissung einer viel tieferen Kluft, als die sadduzäische war, der Kluft zwischen gemeintem und gelebtem Leben, d. h. durch die Sanktionierung des Widerspruchs den Schein seiner Nachfolge zu erzeugen vermögen werden. Nicht so die Pharisäer. Sie wollen die Wirklichkeit, nicht irgend eine Wirklichkeit, aber die Wirklichkeit aus dem Wort, sie wollen das Leben, nicht irgend ein Leben, aber das Leben im Angesicht, sie wollen das Volk, das Volk Gottes, aus ihm wirkend, auf ihn zu lebend; und so müssen sie die Brechung wollen, müssen sich im Diesseits der Wolke bescheiden. Die Pharisäer sind die Menschen eines heiligen Verzichts. Jesus spricht (Mk. 2, 27): »Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, und nicht der Mensch um des Sabbats willen«; und er wendet an, indem er, in einem außerkanonischen, aber augenscheinlich echten Wort (Codex Bezae zu Lk. 6, 4) zu einem am Sabbat arbeitenden Mann sagt: »Mensch, wenn du weißt, was du tust, bist du selig: wenn du es aber nicht weißt, bist du verflucht und ein Übertreter des Gesetzes«. Die Pharisäer können, eingedenk, daß der Sabbat aus der Schöpfung stammt, nicht sagen, er sei um des Menschen willen gemacht; aber sie sagen (Joma 85 b; Mechilta zu II M. 31, 14): »Der Sabbat ist euch übergeben, nicht ihr dem Sabbat!« und sie wenden an: Also liegt es uns ob, euch zu ermöglichen, Gottes Sabbat als Menschen zu halten.

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6. So ist es denn auch unrichtig zu sagen, wie Wilhelm Michel es tut, das pharisäische Judentum habe sich und seine Gottesbeziehung in einem Kodex festgestellt. Vielmehr wurde das rabbinische Judentum im selben Maße, als es die Überlieferung aus dem Aggregatzustand der unablässigen korrektiven Erörterung, des unablässigen Gegeneinander mit seinem kristallisationsgleichen Übergang zum Miteinander, also einer zwar schlechthin nachprophetischen, aber der Inspiration nicht unverwandten Lebendigkeit im Geist – und das ist die wahre Beschaffenheit des talmudischen Daseins – in den Aggregatzustand der abgeschlossenen Gültigkeit versetzte, der pharisäischen Lebensform untreu; und die gegenwärtige westliche Orthodoxie vollends ist ein neosadduzäisches Gebilde, nur daß

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aus dem sadduzäischen Heiligtum der Bibel ein die ganze talmudische Halacha mitumfassendes geworden ist. Wenn also Schmitz behauptet, der Pharisäer verneine die Welt aktiv, er sorge dafür, daß möglichst nichts Gestalt annehme, so ist das nicht etwa einfach eine irrige Behauptung, sondern es ist etwas Bemerkenswerteres, nämlich das genaue Gegenteil der Wahrheit. Der Pharisäer ist der Mensch, der für nichts anderes sorgt, als eben dafür, daß das Wort in allen Dingen Gestalt annehme; der Mensch, der nicht bloß mit etwelchen seiner Lebensäußerungen, sondern mit allen die Welt, als Gottes Welt, aktiv bejaht. Und nicht das Übermächtigwerden, sondern das Absterben des Pharisäertums hat dem Judentum Schaden getan. Freilich wäre es sinnlos, das Pharisäertum erneuern zu wollen, es ist nicht mehr an dem und wir haben eines Anderen gewärtig zu sein, aber jenes verleugnen hieße sich diesem verschließen. Das Bedenklichste in Schmitzens auch sonst recht unzulänglich fundierten Ausführungen (auf leichtherzige Phrasen wie die vom »pharisäischer Klassenhaß« mag ich nicht eingehn) ist, daß er sich nicht scheut, in solcher Ausrüstung sich auf das Gebiet des messianischen Glaubens zu begeben. Da weiß er zu berichten, der Pharisäer sei »wohl der Träger der Messiashoffnung, zugleich aber auch der Wächter darüber, daß ja kein Messias aufkomme«, denn »der Messias muß irreal bleiben«. Darum offenbar wird im Talmud jede messianische Weissagung der Propheten nach ihrem ganz konkreten, irdischen, »lebbaren« Gehalt ausgelegt; darum wird alles Hinausgreifen über das Messianische hinaus ins Eschatologische, über die Erlösung der Menschheit hinaus in die Verwandlung der Welt immer wieder verpönt. Und darum offenbar sind in den zwei großen messianischen Bewegungen, die in die Blütezeit des Pharisäismus fallen, der »geistlichen« Jesu und der »weltlichen« Bar Kochbas, die führenden Herolde und Werber zwei Pharisäer, Paulus und Akiba, gewesen.

7. Am tiefsten greift Wilhelm Michels Wort von der »pharisäischen Hybris«, aber auch es greift, eben in der Tiefe, fehl. Er sieht eine, sich im Pharisäertum am deutlichsten kundgebende, »uranfängliche und welthistorische Verfehlung« des Judentums darin, daß es sich »unfromm gegen den Tod gesträubt« habe, im Gegensatz zu der »geheimen Todeslust«, die dem deutschen Wesen eigne. Mir scheint, daß hier nicht genügend zwischen zwei Sphären geschieden wird, der des Volks und der des Einzelnen. Beim Judentum meint

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Michel zweifellos beide: das Volk sträube sich gegen den Volkstod und der Einzelmensch gegen den Einzelmenschentod; und er sagt ja, im Augenblick, wo er bei einem Juden den Tod in Achtung und Ehrfurcht sehe, sei (nicht etwa seine Auffassung des jüdischen Charakters erschüttert, sondern) dieser Mensch für ihn entjudet. Aber meint er auch beim Deutschtum beide? Wo und wann in der Geschichte hätte sich das deutsche Volkstum nicht gegen den Volkstod gesträubt? Oder irgend eines, ehe seine Stunde geschlagen hatte? Und wer vermäße sich, die des Judentums von der Weltuhr ablesen zu wollen? Sollen aber jene äußersten heldischen Momente gemeint sein, in denen Scharen eines andern Volks »lieber tot als Sklaven« sein mochten, wohl, so haben wir unser Masada und unser Betar gehabt, da wir an tödlicher Entschlossenheit »waren wie alle Völker« und mehr als die meisten und den Scharentod zu sterben wußten, als wollten wir aller Zeit unvergeßlich machen, daß wir nur deshalb »keine Ehre haben«, weil uns keine zu haben geziemt. Wie verhält es sich denn nun mit dem jüdischen »Wehren gegen den Unter- und Übergang«? Gewiß, alle Verheißungen sagen: Leben. So entsprechen sie den naturgerechten Grundfesten des Judentums. Aber ist das wirklich das Leben des Einzelnen, oder nicht vielmehr immer wieder das des »Samens«? Auch wo dem Einzelnen ein langes Leben verheißen wird, erweist sich der Sinn als auf den Zusammenhang der Geschlechter gerichtet. Der Zusammenhang der Geschlechter aber ist nirgends ein Selbstzweck; er dient einem fernen Ziel, das durch die Verheißung hindurch immer wieder uns entgegenleuchtet. Wohl, der einzelne Jude hält sich unbändig am Leben. Aber nur bis an den Augenblick, wo er von Gott angerufen wird: da gibt er sich noch unbändiger her. Nein, lieber Herr Michel, da bedarf es gar keines »Zugriffs Gottes«, sondern sowie ihn der Anruf nur berührt, schon ist er, Abraham, zu dem Opfer bereit, das, Sie wissen es, größer als das des eignen Lebens ist. Blutzeugen, lieber Herr Michel, sind dieser Jude Jesus mit den Seinen, Blutzeugen aber auch gar viele von diesen Pharisäern. Haben Sie vergessen, was geschah, als einer dieser Vielen, weil er dem Verbot der Römer zum Trotz die Thora öffentlich gelehrt hatte, in eine Thorarolle gehüllt auf dem Scheiterhaufen stand? Die Flamme hatte, durch die zerfallende dringend, ihn erfaßt; »Das Pergament verbrennt«, schrie er, »die Lettern fliegen empor«; da sprang der römische Scharfrichter, den Zugriff des Menschen schauend, zu ihm ins Feuer. Todeslust, aber erst um Gottes Willen, erst aus Gottes Willen, und bis an ihn heran Lebenslust, aber eben eine, in der die Bereitschaft zu jener ruht, – ich nenne das Frömmigkeit.

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Und das Volk – sollte sein Sichsträuben gegen den Tod nicht in jener Verheißung des Lebens für den »Samen«, den zu einem fernen Ziel gebrauchten, begründet sein? Sollte es nicht deshalb leben wollen, weil ihm das Leben befohlen ist? Nicht irgend ein Leben, aber das Leben im Angesicht? Das Leben, das es verfehlt und verfehlt hat, dessen Verheißung ihm aber noch immer nicht entzogen worden ist? Und zu dem zu reifen, zu dem sich zu läutern, zu dem durchzubrechen es immer noch, und vielleicht gar immer mehr, hoffen darf, hoffen muß? Verfehlt und verfehlt! An das Haus des jüdischen Seins, meinen Sie, habe die Schuld noch nicht angeklopft? Seit der Stunde, da Mose niederstieg, und seit vielen andern Stunden schüttelt sie es, ohne es zu stürzen, wie der Sturm die Binsen, und jedes Juden Herz weiß es von Geburt an in seiner Lebens- und Todeslust. Aber das ist etwas, was jeder von uns mit Gott allein auszumachen hat. Und ihr, liebe Christen, lernt von Gamliel das gläubige Wort: »Ist dieser Rat oder dieses Werk aus den Menschen, so wird’s untergehen; ist’s aber aus Gott, so könnet ihr’s nicht dämpfen; auf daß ihr nicht erfunden werdet, als die wider Gott streiten wollen.«

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[Geleitwort zu Die Kreatur] Religionhafte Sonderungen, aus denen es keine andere Befreiung gibt als die messianische, haben die Not und die Zucht von Exilen. Sie sind uns nicht Imaginationen, wolkige verrückbare Gestaltungen, sondern sinnvoll beständige Wahrheitssphären, die nicht eher als in der Wirklichkeit des Reiches aufschmelzen dürfen. Erlaubt aber und an diesem Tag der Geschichte geboten ist das Gespräch: der grüßende Zuruf hinüber und herüber, das Sich-einander-Auftun in der Strenge und Klarheit des eignen Beschlossenseins, die Unterredung über die gemeinsame Sorge um die Kreatur. Es gibt ein Zusammengehen ohne Zusammenkommen. Es gibt ein Zusammenwirken ohne Zusammenleben. Es gibt eine Einung der Gebete ohne Einung der Beter. Parallelen, die sich in der Unendlichkeit schneiden, gehen einander nichts an; aber Intentionen, die sich am Ziel begegnen werden, haben ihr namenloses Bündnis an der von ihren Wahrheiten aus verschiedenen, aber von der Wirklichkeit der Erfüllung aus gemeinsamen Richtung. Wir dürfen nicht vorwegnehmen, aber wir sollen bereiten.

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Florens Christian Rang war es, der den Plan faßte, aber nicht mehr verwirklichen konnte, eine Zeitschrift herauszugeben des Namens »Grüße aus den Exilen«. Ein Jude, ein Katholik und ein Protestant sollten sich dazu vereinen. So tun es nun die drei Herausgeber. Aber nicht die Personen nur, sondern die Aufgabe und ihr Zeichen wurden für sie andere. Nicht etwa, weil sie ihrer Arbeit überhaupt einen persönlichen EigenSinn einprägen wollten – dies gerade wünschen sie zu meiden. Vielmehr weil sie dem Gruß aus den Exilen die Begegnung in dem Raum folgen lassen mußten, der einem jeden von ihnen angewiesen war. So heißt diese Zeitschrift nun nicht mehr nach der gemeinsamen Bedürftigkeit, sondern nach dem, was dieser Bedürftigkeit schon heute die endliche Stillung verbürgt. Was uns drei Herausgeber verbündet, ist ein Ja zur Verbundenheit der geschöpflichen Welt, der Welt als Kreatur. Der unseren drei Lehr- und Dienstgemeinschaften gemeinsame Glaube an den Ursprung wird sinnlich präsent in der Gewißheit des eigenen Erschaffenseins und dem daraus wachsenden Leben mit allem Erschaffnen. Diese Zeitschrift will von der Welt – von allen Wesen, von allen Dingen, von allen Begebenheiten dieser gegenwärtigen Welt – so reden, daß ihre Geschöpflichkeit erkennbar wird. Sie will nicht etwa Theologie treiben, eher, in geistiger Demut, Kosmologie. Wenn sie stets der Kreation eingedenk bleibt, muß ihr jede Kreatur denkwürdig werden, der sie sich zu-

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wendet. Steht sie im Vertrauen zum Wirkenden, so darf sie der Wirklichkeit vertrauen. Vertrauen auch dem wachsenden Geschlecht, dem aus der Verborgenheit steigenden Säkulum. M. B. J. W. V. v. W.

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Bericht und Berichtigung Umsonst habe ich versucht, eine Entgegnung auf den Aufsatz von Oscar A. H. Schmitz »Der jüdisch-christliche Komplex« abzufassen. Ich habe dabei wieder einmal, und besonders eindringlich, gemerkt, daß es eine Grenze gibt, jenseits deren für mich die Möglichkeit des Entgegnens aufhört und nur noch die der »tatsächlichen« Berichtigung verbleibt. Ich kann wider einen Gegner kämpfen, der mir durchaus entgegen steht; ich kann nicht wider einen Gegner kämpfen, der auf einer anderen Ebene steht. Es sei erläutert, was ich damit meine. Schmitz urteilt über die Pharisäer, ohne sie aus anderer Quelle zu kennen als aus dem Mund ihrer Feinde, die eben den Terminus »pharisäisch« in die Welt gesetzt haben. Das ist, wie wenn man über das frühe Christentum einzig auf Grund der neoplatonischen Polemik, oder über die griechische Religion auf Grund der kirchenväterlichen Verdammungen urteilen wollte. Es wäre ja nicht nötig gewesen, sich mit dem Talmud selbst zu befassen. Schmitz hätte bloß das Buch eines christlichen Theologen über den Gegenstand, »The Pharisees« von R. Travers Herford (London 1924), durchzublättern gebraucht, um Stück für Stück auf die Haltlosigkeit seiner Behauptungen hingewiesen zu werden, bis er auf der vorletzten Seite, als Ergebnis einer gründlichen Forschungs- und Erkenntnisarbeit, dieses Urteil über sein, Schmitzens, ja nur allzu verbreitetes Urteil fände: »A greater misreading of history it is scarely possible to imagine.« Und nun nennt Schmitz, der so, sagen wir: selbstsicher verfährt, die Pharisäer »selbstgerecht«! Auf dieser Ebene kann ich nicht Fuß fassen. Und wenn er dann mit der gleichen Selbstsicherheit vom Leben und Sterben Gustav Landauers redet, eines der reinsten, echtesten, edelsten, mutigsten, treusten Menschen dieses Zeitalters; wenn er fragt, was in aller Welt die deutschen Proletarier, mit denen Landauer in großer, opfermächtiger Brüderlichkeit zusammenfühlte und zusammenlebte, ihn angingen, ihn, Landauer, der zeitlebens herzdeutsch und herzproletarisch empfand; wenn er dekretiert, daß der Martertod dieses Märtyrers, der wie Polykarp nicht floh, als ihm die ehrenvolle Flucht freistand, und das Bekenntnis zum Menschentum bis vors Angesicht seiner Mörder bewahrte, nicht mit dem »Heldentod im Feld« (womit anscheinend nicht bloß der Tod der Zahlreichen, die nicht wußten, sondern auch der der Unzähligen, die nicht wollten, was sie taten, gemeint ist) »verwechselt« werden dürfe: dann brennt mir mein eigner Boden unter den Füßen, und die Wangen dazu. Mögen andere, denen Gustav Landauer weniger nah war und ist als mir, mit Oscar A. H. Schmitz dar-

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über diskutieren, welche Juden erwünscht und welche unerwünscht seien! Ich vermag es nicht. Also berichtige ich nur noch, was eben berichtigt werden kann und muß: 1. Wegen der Pompejusgeschichte ist Schmitz subjektiv gerechtfertigt: er brauchte nicht von Mommsen auf die Quellen zurückzugehen. Objektiv bleibt bestehen, daß in unserer einzigen Quelle nicht zu finden ist, die Vertreter des Volkes vor Pompejus seien Pharisäer gewesen; das ist eine Historikerfolgerung, und eine immerhin problematische. 2. Schmitz schreibt: »Mit Buber Paulus als einen Pharisäer anführen, der den Messias erkannt habe, das ist nicht weniger als ein Bekenntnis zum christlichen Erlebnis.« Ich aber habe nicht Paulus angeführt, sondern, was etwas ganz anderes ist, Paulus u n d A k i b a . Wenn Paulus Jesus als den Messias »erkannt« hat, so hat Akiba Bar Kochba als den Messias »erkannt«. Und dies von Akiba aussagen hieße also auch »ein Bekenntnis zum christlichen Erlebnis«! Jahrhundert um Jahrhundert der christlichen Ära hat es Juden gegeben, die zugleich, wie die Pharisäer, in der Überlieferung behaust waren und einen Menschen ihrer Zeit als Messias »erkannten«. Hatten sie alle das christliche Erlebnis? Und heißt, von ihrem Messianismus berichten, sich zum christlichen Erlebnis bekennen? Das scheint mir denn doch der Widersinn selber zu sein! Das »christliche« Erlebnis sei dieses Immerwiederüberwältigtwerden vom eigenen Messiasglauben mitten in der Geschichtszeit? Doch wohl eher das jüdische, die eine Hälfte des jüdischen: die andere hatten nur die, welche ihr Überwältigtwerden überwältigten – um der wahren Welterlösung willen. 3. Schmitz schreibt: »Buber sagt, das jüdische Gesetz bedeute einen heiligen Verzicht auf das Unmögliche, während seine Erfüllung möglich sei.« Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte, die Pharisäer seien Menschen eines heiligen Verzichts gewesen. Das ist etwas ganz anderes: das Gesetz bedeutet keinen Verzicht. Das etwa von seinen Geboten, welches Jesus als »das erste« anführt – »Liebe IHN deinen Gott mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht« – ist unerfüllbar, und das, welches er als »das andere« anführt – »Liebe deinen Genossen dir gleich« – ebenso. Und doch sind beide erfüllbar: im Soviel-ich-vermag jedes wirklichen Menschentags. So erfüllbar auch das unerfüllbarste, das die Tiefe der Unerfüllbarkeit offenbarende: »Werdet heilig, denn heilig bin ich.« Erfüllbar sind sie, und doch graut den Menschen immer wieder vor ihrer Unerfüllbarkeit. Jesus ist der Mensch, der, von der Erfahrung des eigenen Erfüllens emporgehoben, das Erfüllen s c h l e c h t h i n in seiner Nachfolge verheißt (Matthäus 5, 17 f.) Paulus nimmt sein Wort wieder auf (Römer-

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brief 3, 31), aber seine Verzweiflung an der erfahrenen Unerfüllbarkeit übertönt es (7, 22 ff.) und klingt aus in einem Bekenntnis, in dem die Erfüllung zur Auflösung wird (10, 4). Die Pharisäer aber sind die Menschen, die der Unerfüllbarkeit bewußt, die Erfüllbarkeit im Soviel-ichvermag jedes wirklichen Menschentags lehren. Das nenne ich einen heiligen Verzicht. Ich habe in meinem ersten Buch (1906) das »Wollen des Unmöglichen« als wesentliche Eigenschaft des Judentums dargelegt und unter den großen Beispielen dafür Jesus und Paulus genannt; später erst zeigte ich als die andere wesentliche Eigenschaft das Streben nach der Verwirklichung auf. In dieser Spannung steht, in ihr geschieht die jüdische Geschichte. Das Wollen des Unmöglichen droht immer wieder mit Zersprengung des Bestands; das »pharisäische« Streben nach der Verwirklichung wirkt immer wieder einfassend, wahrend, erhaltend. Wäre dies Erhaltung eines Volks um seiner selbst willen, so wäre es, wenn auch von einigem geschichtlichen Belang, letztlich eitel und unwichtig; aber es ist die Erhaltung eines Volks um seines Amts willen, eines langen, eines frühen und späten, eines verratenen und bewährten Amts, in dessen noch unfaßbarem Vollzug die Spannung zwischen Unmöglichem und Wirklichem, Unerfüllbarkeit und Erfüllung ihren übergeschichtlichen Ausgleich findet, nicht in geistiger Synthese, sondern in faktischer Vollendung. Was ich sonst zu dem Gegenstand zu sagen habe – nicht zum psychologischen »Komplex« freilich, aber zum Gegenstand selber – muß ich einer anderen Aussprache vorbehalten.

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Brief von Dr. Martin Buber an den V.-V.-B. Hep p enhei m , a. B., 16. 7. 1926. Völkerversöhnungsbund Hamburg

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Eben weil ich eine authentische Information über Ihre Anschauungen und Absichten wünschte, erbat ich von Ihnen eine Druckschrift, in der sie dargelegt wären. In der mir zugesandten bezeichnen Sie Jesus als den Messias, als die im Menschen offenbar gewordene Gottheit, und wiederholen: »Jesus, unser Messias, in dem sich der Gott Israels der Menschheit offenbart hat«, und aus Ihrem Schreiben an Eduard König geht unzweideutig hervor, daß Ihre Aufgabe von Ihnen darin erblickt wird, im Judentum eben diesen Glauben zu erwecken. Ich ehre ihr Bekenntnis, wie ich jedes aufrichtige Bekenntnis ehre, aber ich halte es nicht für die Wahrheit. Meinem Glauben nach ist in Cäsarea Philippi ein aufrichtiges, aber unwahres Wort gesprochen worden, und es ist durch die Wiederholung in den Jahrtausenden nicht wahrer geworden. Meinem Glauben nach offenbart sich Gott nicht in Menschen, sondern nur durch Menschen. Meinem Glauben nach ist der Messias nicht in einem bestimmten Augenblick der Geschichte erschienen, sondern sein Erscheinen kann nur das Ende der Geschichte sein. Meinem Glauben nach ist die Erlösung der Welt nicht vor 19 Jahrhunderten geschehen, sondern wir leben noch immer in der unerlösten Welt und harren der Erlösung, an der mitzuwirken ein jeder von uns in unbegreiflicher Weise berufen ist. Israel ist die Menschengemeinschaft, die diese rein messianische Erwartung trägt, so vielfältig ihr das Judentum auch untreu geworden ist; Israel ist es noch heute und bis ans Ende, und um seines Anteils am Werk des Endes willen muß ihm der unabgeschwächte, unabgelenkte Glauben an das Kommen des Reiches, das heißt an das Noch-nicht-geschehen-sein und Geschehen-sollen der Welterlösung gewahrt werden. Unserem, Israels Glauben nach ist die Erlösung der Welt eins mit der Vollendung der Schöpfung. Wer Jesus unter den geschichtlichen Personen noch so hoch stellt, kann zu uns gehören; wer ihn als den gekommenen Messias bekennt, gehört zu uns nicht mehr, und wenn er unsern Glauben an die vorbehaltene Erlösung abzuschwächen oder abzulenken sucht, gibt es kein Einvernehmen mit ihm. Sie schreiben mir, meine Werke seien Ihnen wohl bekannt, so erinnere ich Sie daran, was ich in dem Geleitwort zu meinem »Großen Maggid«,

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Brief von Dr. Martin Buber an den V.-V.-B.

auf den ersten 4 Seiten des Abschnitts »Leib«, über den Gegenstand gesagt habe. In vorzüglicher Hochachtung

( gez.) Bu ber.

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Aussprache zwischen M A R T I N B U B E R und E M I L B R U N N E R bei Dr. Trüb in Zürich, am 17. Juni 1928, über DAS MENSCHLICHE HANDELN UND SEINE PROBLEMATIK.

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B u b e r : Ich habe das menschliche Handeln als Thema unserer Aussprache vorgeschlagen, aus Erfahrungen heraus, die wir in Deutschland gemacht haben und die meinen Kreis dort beschäftigen. Seit dem Kriege beschäftigen sie uns ungeheuer. Es ist begreiflich, wie das zugeht. Irgendwie ist einem eben – ich weiss nicht ob hier wie dort – die Problematik des menschlichen Handelns dort wirklich demonstriert worden, nicht nur ad oculos. Und aus dieser Katastrophe ging die Frage für viele Menschen hervor: gibt es ein wirkliches Handeln? Wenn es diesen Grad von Erfolglosigkeit gibt, gibt es überhaupt ein letztgültiges menschliches Handeln, oder ist alles menschliche Handeln seinem Wesen nach problematisch gebrochen, eigentlich sinnwidrig? Kann der Mensch überhaupt handeln, darf er handeln? Oder ist es nicht in einem Mass unter dem Gericht, dass jede handelnde Zielsetzung, wenn sie nicht mit allen Bedingtheiten, Einschränkungen und Kautelen geschieht, ich möchte sagen so, dass ihre Widersinnigkeit schon in die Zielsetzung einbezogen wird, illegitim ist; dass also dies die einzige legitime Form des Handelns wäre? Uns hat diese Frage sehr beschäftigt, und meine Freunde und ich haben immer wieder gefunden, dass in Diskussionen das Ernsteste, was wir kennen, und die unernsteste Art zu sprechen einander begegnen in der Legitimierung des Handelns. Die ernsteste: Karl Barth; die unernsteste: deren Namen ist Legion. Dass sich die Strenge des kritisch theologischen Sprechens und – ich möchte es ganz sagen, wie ich es empfinde – der Libertinismus der verbreiteten Geläufigkeit der Tatsächlichkeit des Lebens der meisten Menschen in der Negierung des Handelns der Menschen in grausamer Weise begegnen. Ich spreche damit nicht irgendwie eine Kritik aus, sondern es ist eine ungeheure Tatsache, die ich feststelle; es ist etwas Unheimliches. Nicht etwa was die kritische Theologie betrifft, sondern eine unheimliche Begegnung des einen Nein mit dem andern Nein, obschon sie voneinander abgrundweit verschieden sind. Nun haben wir je und je versucht zusammenzukommen auch mit denen, die, sei es von eben dieser Theologie aus, sei es auch von einer gewissen Richtung der Katholiken aus, die Problematik des menschlichen Handelns besonders betonen. Und die Aussprachen waren uns vielleicht ge-

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rade da, wo sie zu keinem eigentlichen Ergebnis führten, lehrreich wichtig und haben uns weiter gebracht. Da wo man sich verständigte und nicht verständigte, wo man sich nur mitteilen konnte, was man meinte, und sogar da, wo man das nicht einmal konnte. Und darum schien mir das ein wichtiges Thema zu sein. Offenbar hat sich dieser Gegenstand auch für dieses Land als wichtig erwiesen. Auch wenn man sich nicht zu einigen vermag, bloss kraft dessen, dass man sich gemeinsam dieser Realität zuwendet, die gemeint ist, so rückhaltlos als man kann, damit geschieht schon etwas, ist schon etwas geschehen. Das ist die Erfahrung, die wir gemacht haben. Ich meine damit nicht eine inhaltliche Verständigung. Ich erinnere mich an ein Gespräch von mir und meinen Freunden Natorp und Rang mit Gogarten und Guardini. Es wurde abgebrochen situationsmässig, auf eine Weise, die mehrere von uns damals als etwas Grausames empfanden; es geschah ganz von selbst. Der Begriff des Amtes, den zwei hereinbrachten, zerschellte, zerbrach das Gespräch, und wir standen vor den Scherben und konnten nicht weiter. Wir gingen damals fast unglücklich auseinander. Und dennoch weiss ich, dass keiner der Teilnehmer ohne das Bewusstsein auf das Gespräch zurückblickt, damals ein wirkliches Stück des Weges mit den Andern zusammen auf diese seltsame Weise gegangen zu sein. Und das lag daran, dass wir diesen problematischen Gegenstand gewählt hatten. Meine Freunde und ich sprechen oft davon, dass wir es noch einmal wagen wollen, es wieder zu beginnen. Kürzlich hat uns die Lektüre des Buches von Grisebach wieder dazu gebracht. Das war der Grund, warum ich dieses Thema vorschlug. Ich weiss nicht, wie weit es uns möglich sein wird, zum Gemeinsamen vorzudringen. Es geht also darum: Ist letztgültiges menschliches Handeln möglich? Wenn es etwa möglich ist, wie ist es möglich? Wenn es nicht möglich ist, was bedeutet das, dass es nicht möglich ist? Was für ein Handeln ist dann, das uns notwendig ist? Was für eine Bedeutung hat dieses Handeln? Gibt es in der seienden Wirklichkeit ein Handeln vom Menschen aus? B r u n n e r : Ich stehe unter demselben Eindruck wie Sie. Und ich glaube, dass zunächst einmal das Nein deutlicher ist als das Ja, und ich weiss nicht, ob wir uns darin von vornherein verständigen können, dass diese Erkenntnis einer durchgreifenden, bis zum Sattelknopf durchschneidenden Problematik eine Notwendigkeit ist? Gerade wenn wir aus der Situation heraus denken, klar denken, warum diese Note jetzt so stark gespielt wird. Die Zeit vor dem Kriege ist ja die Zeit eines besinnungslosen Energismus und Aktivismus. Die Zeit eines ungeheuren Elans, der ins Leben hineinbricht mit einer ungeheuren Selbstverständlichkeit der Rechtferti-

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gung. Es wird mir das jetzt gerade wieder deutlich angesichts meiner Aufgabe, in Amerika sprechen zu müssen. Dort empfinden wir ohne weiteres, in jener Atmosphäre, dass etwas fehlt, was uns wenigstens einigermassen deutlich geworden ist, das, was Barth mit dem Begriff Krisis ausdrückt. Wenn ich nicht irre, der Amerikaner hat davon noch wenig erfahren; er ist der Reiche. Das ist ungefähr die Situation, in der auch wir, wenigstens vor dem Kriege, gestanden haben und die ganze Welt, insofern sie noch handelt. Das ist die Situation, aus der heraus das Handeln kam, diese Selbstverständlichkeit. Und nun ist die Frage an dem Zusammenbruch des Krieges erwacht und ist von einer Tragweite, die weit über das Ereignis hinausgeht: die der Krisenhaftigkeit der Zustände. Das wird uns zum Anlass zu fragen: Ist nicht diese Erscheinung eine Erscheinung von etwas, was immer ist? Ist der Mensch, der nun in der Nachkriegszeit offenbart, wessen Geist er ist, ist dieser ein spezifischer Mensch, ein besonders abgekommener, oder ist das der Mensch als solcher? Und da haben wir Theologen in der Schrift die Antwort gefunden: das ist der Mensch; so ist der Mensch; so ist sein Handeln. Es ist zu qualifizieren durch den Namen Sünde, und zwar nicht partiell, da und dort, sondern totaliter. Es betrifft den Menschen, nicht etwas im Menschen, sondern das Menschliche als solches, wie es jetzt ist. Und wir halten das fest in dem schwersten Wort, das vom Menschen gesagt werden kann: Sündenfall, Erbsünde. Und nun entsteht allerdings die Doppelfrage: Woher die Erkenntnis dieses Zustandes, und gibt es eine Möglichkeit neuer Art jenseits dieses Zustandes? Aber vielleicht ist es gut, wenn wir uns zunächst darüber verständigen, ob diese Krise irgendwie zu scharf, zu universell, zu allgemein, zu radikal, ungerecht also gefasst wird, oder ob es so steht, dass der Mensch sündig ist. So denke ich mir die Voraussetzung unseres weiteren Gesprächs. Ob wir hier ein richtiges Aufweisen der Wirklichkeit erkennen, oder ob wir schon an diesem Punkt auseinandergehen müssten. Es wäre meines Erachtens sehr viel gewonnen, wenn wir über diese Voraussetzung nicht weiter zu diskutieren brauchten, wenn das unser Konsens wäre: so ist der Mensch. B u b e r : Ja freilich, ich empfinde auch, dass damit eine Grundlage gewonnen wäre. Aber das ist etwas von einer Einfachheit, wie Sie es ausdrücken, was ich nicht vorfinde. Nicht als ob ich nicht von der Sündigkeit des Menschen überzeugt wäre, wenn ich den Menschen ansehe und meine menschliche Erfahrung. Empirisch würden wir uns schon verständigen können; aber hier geht es um etwas anderes. Wenn hier gesagt wird: Sündenfall und ich im Ernst dies fasse, so werde ich von selbst im selben Ernst hingeführt auf die Schöpfung. Ich kann den Ernst des Sün-

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denfalls gar nicht fassen ohne den Ernst der Schöpfung. Und nun, glaube ich, sollten wir versuchen, von beiden sozusagen unsystematisch zu sprechen. Dass wir versuchen, was ungeheuer schwer ist, zunächst den Sündenfall nicht als Mysterium zu fassen. Dass er Mysterium ist, etwas an das wir nicht hinzugelangen vermögen, ist selbstverständlich. Aber wenn jeder von uns im Ernst sich darnach befragt, so kann er es ja nur auf diese Weise, dass er annimmt, dass der Mensch sich damit befassen darf. Dass etwas daran ist, das nicht behütet ist. Dass vor der Erinnerung an den Sündenfall als etwas, was der Mensch bedenkt, zurückdenkt, nicht der Engel mit dem Schwert steht. Dass der Mensch sich damit befassen darf und soll, obwohl er weiss, dass irgendwo der Engel und das Schwert da ist: das erfährt er dann schon. Und dasselbe, meine ich, müssen wir mit der Schöpfung versuchen, so schwer es ist. Nämlich können wir dies nicht, und ich wage natürlich nicht ein glattes Ja darauf zu antworten, dann müssten wir aufgeben vom Sündenfall zu reden. Dass ich diese Frage so formuliere, hängt damit zusammen, dass ich gerade in der Barth’schen Abbreviatur diese Wirklichkeit, auf die ich hindeute, nicht behandelt gefunden habe. Nicht als ob nicht davon gesprochen wäre. Aber wie das zusammenhängt, wie es den Sündenfall geben kann, da es doch Schöpfung gibt, das habe ich nicht behandelt gefunden. Und weiter: Sie sagten Erbsünde. Es ist das schwerste Menschenwort, das ich kenne. Obwohl ich durchaus darin übereinstimme, dass durch das, was wir als Sündenfall bezeichnen, die Wirklichkeit verändert ist, die wirkliche Struktur verändert ist. Dennoch, ob dies bedeutet, dass die Adamssituation nicht mehr gegeben ist, diese Frage muss in allem Ernst gefragt werden. Wir dürfen diese Dinge nicht prinzipiell behandeln, sondern in ihrer ganzen Konkretheit. Diese Verändertheit der Struktur, bedeutet das nun, dass jene Entscheidungsmöglichkeit, die schöpfungsmässig den Menschen zugeteilt war, schöpfungmässig nicht mehr besteht? Und weiter zurück: Bedeutet Schöpfung, dass die Entscheidung in diesem letzten, ernstesten, wirklichsten Sinn, dass der Mensch von sich aus Gott wählen und Gott verwerfen kann, dass das Angesicht der Welt sich verändert, in jenem Augenblick der Urgeschichte geschehen konnte und seither nicht mehr? Ich bitte Sie, das recht zu verstehen: ich stelle nur Fragen. Aber es ist mir darum zu tun, ob wir diese Fragen, von denen wir genau wissen, dass sie am Rande des Möglichen sich bewegen, wissen, dass wir am Abgrund entlang fragen, etwa vermeiden können, indem wir vom menschlichen Handeln sprechen. Bedeutet dieses Sprechenwollen nicht, dass wir auf diese Fragen zugehen müssen und uns diesen Fragen ausliefern? Insofern es schon geschehen ist, ist es nicht genügend geschehen. Man sprach vom Sündenfall als von etwas, das man

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kennt, weil es in der Schrift steht. So, dass wir nicht mehr zu fragen haben. Oder müssen wir nicht fragen: Schöpfung – das bedeutet doch offenbar, soweit wir zu fassen vermögen, dass der Mensch Adam eingesetzt war, eingesetzt ist mit der Fähigkeit, die wir natürlich nicht zu begreifen vermögen, von sich aus zu entscheiden. Und wenn das in der einen oder andern Glaubenslehre nur punktuell gefasst worden ist, dass er damals in der ganzen Fülle diese Entscheidungsmöglichkeit hatte, wenn es noch so punktuell ist, so ist dennoch in Wahrheit auch da noch die ganze Entscheidungsmöglichkeit. Aber dann ist zu fragen: Geschieht nun der Schöpfung ihr Recht mit dieser Punktualisierung der Entscheidung? Aber für mich besteht auch diese Frage noch: Ob die Entscheidung vom Faktum der Erbsünde aus noch besteht im Glauben? Sie umgreift ja nicht mehr die ganze Fülle der Handlungsmöglichkeiten, sondern ist nur das letzte Ja oder Nein. Für mich besteht auch diese Frage noch, und zwar nicht von einer Glaubenslehre aus, sondern von der beängstigenden Wirklichkeit aus. Ist die Entscheidungsfähigkeit, die von der Schöpfung aus gemeinte Entscheidungsfähigkeit des Menschen wirklich gemindert durch jene unbezweifelbare Veränderung der Struktur der Wirklichkeit, durch den Sündenfall die Entscheidungsmöglichkeit gemindert? Ist in diesem letzten Sinne jeder von uns in der Adamssituation, dennoch? In der Situation eines wirklichen Entscheidens? Wenn schöpfungsweise das wirkliche Entscheiden des Menschen auf eine freilich immer völlig unfassbare Weise verwirkt ist – und das glauben wir damit, dass wir den Sündenfall glauben –, so frage ich mich: konnte durch ein Faktum, das einmal geschehen ist, diese Schöpfungsvollmacht aufgehoben werden, konnte der Mensch so Ungeheures gegen Gott bewirken, dass er die Entscheidungsmöglichkeit verwirkte? Das ist meine eigentliche Frage. B r u n n e r : Was für einen Sinn würden Sie dann mit der Veränderung der Struktur verbinden, wenn nicht eben den Sinn, dass sich, vorsichtig gefasst, etwas in der Entscheidungsfähigkeit des Menschen verändert haben sollte? Wenn ich an den Sinn des Wortes Sündenfall möglichst nahe heranzukommen suche, drängt sich mir das Wort auf: veränderte Stellung. Das Wesen des Menschen, des geschaffenen Adam in seiner Schicksalsmacht, in der Entscheidungsfähigkeit, ist doch wohl identisch mit der Stellung dieses Adam zu seinem Schöpfer. Und wenn sich nun durch den Sündenfall die Stellung des Menschen gegenüber seinem Schöpfer verändert, so ist damit – so scheint mir – das Wesen, und zwar gerade das Wesen, auf das es ankommt, das Entscheidungswesen des Menschen, verändert, und ich würde hier nicht umhin können, das Wort Schuld

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auszusprechen. Denn das meinen wir doch wohl mit Schuld, dass die Stellung verändert ist. Dass jene ursprüngliche Stellung: dass der Mensch Gott ins Auge schaut und Gott dem Menschen, verkehrt ist, und dass der Mensch, auch wenn er entscheidet, durch diese umgekehrte Stellung immer umgekehrt entscheidet. Die Entscheidungsfähigkeit kann nicht aufgehoben werden, ohne dass der Begriff Mensch aufgehoben wird. Aber die Frage ist die nach dem Belang, dem Inhalt dieser Entscheidung. Und da scheint mir der Begriff Sünde dies zu sagen, dass der Mensch zwar entscheiden kann, immer noch, aber nicht mehr recht entscheiden kann, weil zwischen ihm und dem Schöpfer etwas geschehen ist, was er nicht ungeschehen machen kann. Und weiter: Ich bin mit Ihnen sehr einig darin, dass vom Sündenfall nicht gesprochen werden kann ohne zugleich von der Schöpfung. Die Frage aber, die hier entsteht, ist: wer spricht vom einen oder andern, auf Grund wessen wird das eine oder andere erkannt? Und da komme ich gleich auf das Zentrum – ich kann es nicht vermeiden –, auf den Erkenntnisgrund der einen und andern Erkenntnis, und von da aus wird die Frage nach Qualität ein neues Licht bekommen. Wir Theologen (ich bezeichne damit eine Redensmöglichkeit) weisen, wenn wir nach dem Erkenntnisgrund gefragt werden, nach dem, was uns möglich macht, recht, sinnvoll und einsichtig von Schöpfung und Sünde zu sprechen, auf den Punkt Offenbarung hin und sagen: weder das eine, die Sünde, noch die Schöpfung ist vom Menschen in seiner jetzigen, veränderten Struktur zu sehen. Es ist nicht nichts davon zu sehen; damit wäre ja der Begriff Mensch aufgehoben. Aber es ist ein verworrenes, unzureichendes und letzten Endes unernstes Wissen, und wenn es ein Nahekommen gibt, so ist es ein Wissen auf Grund der Offenbarung. Dadurch kommt dem Menschen – darin sehe ich gerade den Sinn der Offenbarung – der Schöpfungsursprung, den er verloren hat, wieder nahe, und darum kann er vom wiedererkannten Schöpfungsursprung aus sowohl von Schöpfung als vom Sündenfall sprechen. Und der Bezug auf die Frage der Punktualisierung ist im Zusammenhang dieser Gedanken: dass die Punktualisierung noch punktförmiger zu fassen ist als Sie es getan haben. Nicht einmal ja oder nein sagen kann der Mensch zu Gott. Nicht das, sondern von sich aus kann der Mensch nur nein sagen, und wenn es ein Jasagen gäbe, so ist es das Geschenk, das identisch ist mit der Offenbarung. Es ist ein Geschenk des Wieder-ja-sagen-Könnens. Darum ein Wieder-Können, weil diese Offenbarung zugleich jenes andere beseitigt, das zwischen den Schöpfer und sein Geschöpf hineingekommen ist, die Schuld. Ich sehe nicht ein, wie wir von einem dieser Gedanken absehen können. Das ist die Problematik: der Mensch, der rein nur von der Gottesoffenbarung aus wieder im alten

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Sinne entscheidungsfähig wird. Aber es ist die geschenkte Entscheidungsfähigkeit, und das ist doch wohl der Begriff, der christliche Begriff des Wortes Glauben. Nicht eine noch im Menschen liegende Entscheidungsmöglichkeit, sondern eine ihm wieder gegebene Entscheidungsmöglichkeit. Von da aus kam dann die Frage nach dem Handeln. B u b e r : Zunächst – aber nur ganz vorläufig – zu dem was Sie zuerst sagten von dem Fall und dem, was die Strukturänderung bedeutet. Von dem Fall weiss ich aus der Schrift. Was ich sonst davon vom Menschen in unmittelbarer Rede oder mittelbar weiss, weiss ich doch nur dadurch, dass er sich auf die Schrift bezieht, und diese selbst ist für mich unlösbar mit Offenbarung verbunden. Aber nun nehme ich sie so wie sie ist. Nebenbei gesagt: Ich glaube nicht an die Schrift als reines Gotteswort, dass darin wirkliches Gotteswort bewahrt ist; sondern dass menschliche Materie in sie eingegangen ist und die ganze fragwürdige menschliche Wortgestalt angenommen hat. Auch dieses Buch hat diese Problematik. Wenn ich mich aber darein stelle und Schritt für Schritt gehe, erfahre ich zuerst, dass der Mensch gelernt habe ein Gut und Böse zu erkennen. Was freilich auch ein Grenzwort ist: das Wort Erbsünde steht ja nicht da. Aber dieses Gut und Böse zu erkennen steht da und ist vielleicht noch unheimlicher. Und was das ist, das weiss ich nicht. Aber etwas davon kann ich doch wohl vermuten. Wenn Gott zu dem Menschen vor dem Sündenfall spricht, so meint er nicht, dass der Mensch das Gute im Gegensatz zum Bösen tun soll. Nun ist aber diese Situation, dass das Gotteswort ihm so gegenüber steht, ohne dass er von Gut und Böse weiss, nicht mehr da. Keines von beiden ist mit dem Wort Gottes identisch, Gut und Böse. Die Situation der Moral ist gegeben. Das scheint mir die veränderte Struktur zu sein. Aber die Schrift geht weiter. Die Schrift ist nicht zeitlos wie die Theologie, sondern sie erzählt. Sie berichtet weiter von weiteren Geschlechtern der Menschen, von Handlungen der Menschen, von Wort Gottes an die Geschlechter auf geschehende Entscheidungen zu. Es ist nicht so, dass nun das Wort Gottes zu Kain ein vollkommen anderes wäre, weil die Struktur der Wirklichkeit verändert worden ist. Sondern Gott spricht zu Kain ehe er sich entscheidet als zu einem Menschen, der jetzt entscheidet. Und dieses Gleichbleiben der Situation geht dann weiter. Gott spricht zu dem Menschen: zu Kain spricht er vor der Entscheidung die er zu treffen hat, ob er seinen Bruder morden wird; oder Gott spricht zu Abraham, ob er die Entscheidung treffen wird, dass er ihm seinen Sohn darbringt oder nicht. Das ist diesseits dessen, was irgend eine Glaubenslehre öffnet. Es ist mir darum zu tun, dass es so ist. Denn wir müssen versuchen, von dem konkreten Ge-

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meinsamen der Glaubenslehren auszugehen. Wenn Offenbarung damit identifiziert wird, was eine Glaubenslehre Offenbarung nennt, so wird das Sprechen unmöglich. Unsere Fragestellung muss notwendigerweise so sein: Gibt es ein konkretes Gemeinsames? Dieses Reden Gottes zu Kain, zu Abraham bedeutet wirkliche menschliche Entscheidung oder … das wage ich nicht auszusprechen, wenn es das nicht tut. Aber hinsichtlich der Wirklichkeit der menschlichen Entscheidung ist die Situation nicht verändert. Sie ist verändert dadurch, dass es nun die Polarität gibt, dass dieses reine, paradiesische Verhältnis zum Wort Gottes durchkreuzt ist. Aber immer noch bedeutet das Wort Gottes an den Menschen die Möglichkeit wirklicher Entscheidung, und zwar nicht punktueller (nicht Jasagen zu Gott meinte ich, sondern nur glauben, sich ihm überantworten, oder versagen). Wenn wir diesseits der Offenbarung bleiben wollen – und das ist eine Chance die uns gegeben ist –, versuchend, im Ernst fortschreitend diesen Weg der Zeugungen und Geburten zu wandeln, den Ernst dieser geboren-werdenden und sterbenden Menschen, dieser von Gott angerufenen sich versagenden Menschen oder sich in Wahrheit entscheidenden Menschen (Abraham entscheidet sich in Wahrheit seinen Sohn zu opfern) …, darin liegt die Wirklichkeit, die freilich in dieser Form der Offenbarung, der Schrift, uns gesagt ist; aber es ist doch anders als was Sie meinen. Und dies nun meine ich: dass dies dasteht, dass es diesen Kain, diesen Abraham gibt, das Wort zu Kain, zu Abraham und ihre Antwort gibt, das ist das Faktum des Menschen. Das ist der planetarische Mensch. Nicht Jude, nicht Christ; der Mensch, der von Offenbarung weiss und nicht davon weiss; der den Glauben fassen kann und der ihn nicht fassen kann; der das was Sie meinen gar nicht zu sprechen imstande ist, weil er das Wort gar nicht erfahren hat. Das ist der Mensch. Damit will ich nicht die Offenbarung antasten, auch nicht die christliche. Denn obwohl ich die christliche Offenbarung nicht glaube, beziehe ich den Glauben an diese Offenbarung in die Wirklichkeit des Handelns zwischen Gott und Mensch ein. Aber überall gibt es den Menschen, nicht bloss in Europa, Menschen die den Namen Gottes hassen und dennoch mit ihm zu tun haben. Ueberall. Das ist der selbe Mensch und das Wort, das wirkliche Menschenentscheidung meint, oder es ist nicht gesagt. S p o e r r i : Ist nicht der Unterschied von Offenbarung und Schöpfung hinfällig? Ist nicht das Wort an Kain und Abraham schon Offenbarung? B u b e r : Ich meine mit Offenbarung auch etwas das die Schuld aufhebt und den Menschen über den Stand der Schuld hinausträgt in einen an-

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dern Stand, wo er von Gott aus in sich geschehen lassen kann. Diese Offenbarung, die Sie meinen, die sozusagen gleichzeitig mit der Schöpfung ist, die allmalige, das ewige Sprechen Gottes, wenn das über Schuld hinwegträgt, dann gibt es ja keine Schuld im Sinne der Erbsünde. Dann geschieht es ja immer wieder. S p o e r r i : Aber immer wieder als Geschenk. Nie so, dass der Mensch es in der Hand hat, und nie so, dass der Mensch, der in der Schuld steht, sie leicht nehmen kann, indem e r damit rechnet, dass ihn etwas darüber wegträgt, sondern dass die Schuld in ihrer ganzen Schwere bestehen bleibt. Dass dann von der andern Seite dennoch aus Gnade Offenbarung und Neuschöpfung kommt. B u b e r : Was meinen Sie mit Schuld? Etwas, worein der Mensch geboren ist, oder etwas, was er begeht?

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S p o e r r i : Beides. Wir haben an einem unserer letzten Abende vom Sündenfall gesprochen und gesagt, dass jede Sünde in den Sündenfall hineinreicht. Jede Sünde ist auch ein Hineinreichen in diesen Sündenfall, und ich weiss nicht, ob ihre Frage, ob man hineingeboren wird, die rein somatische Frage meint, ob der Mensch in die Sünde geboren wird und keine Verantwortung hat. B u b e r : Nein. Ob man über das eine oder das andere hinweggetragen wird, ist schon etwas verschiedenes. Und was mir scheint: das wirkliche Entscheiden des Menschen ist geschenkt. Es ist mir nicht wesentlich darum zu tun, ob der Mensch [Typoskript unvollständig] Natürlich kann eine Entscheidung nur geschenkt sein, und zwar ist es absolutes Wunder, dass der Mensch sich entscheiden kann. Also Geschenk. Es wäre vollkommen widersinnig zu glauben, dass der Mensch sich aus sich entscheiden kann. Ich glaube nicht, dass ein Atheist glaubt, dass der Mensch sich von sich aus entscheiden kann. Dies ist eine rein theoretische Vermutung. Wir sind einig, dass es ein Geschenk ist, ein vollkommenes Wunder: Gott ist und der Mensch kann sich entscheiden. Beides in einem ist die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit steht nun wirklich nicht unter der Logik. Unter ihr stehend müssten wir sagen: Gott ist oder der Mensch kann sich entscheiden. So wenn wir Gott logisieren oder unser gelebtes Leben logisieren. Aber wenn wir die Wirklichkeit meinen, die Wirklichkeit Gottes und die Wirklichkeit unseres gelebten Lebens, dann wissen wir, dass beides wirklich ist. Wenn ich von dem Gang der Schrift absehe und nur von unserer menschlichen Erfahrung ausgehe: Es gibt

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im Leben Momente unter den vielen Momenten des Lebens (vielleicht besteht das Leben nur aus Entscheidungsmomenten), die wir als Entscheidungsmomente erfahren. Da geht es so zu – so habe ich es erfahren, es wäre wunderlich, wenn es bei andern anders wäre –, dass in dem Augenblick, wo die Entscheidung, zu treffen ist, ich weiss: Jetzt habe ich mich zu entscheiden. Ganz unabmessbar, unlogisiert zu entscheiden. Das ist der konkrete Augenblick des Entscheidens. Hier weiss ich, dass vollkommen ausgespannt ist der ganze Abgrund von Ja zu Nein. Alles kann geschehen. Es ist die ganze Adamswirklichkeit da. Es geht gar nicht um die Sphäre der Empörung. Vielleicht geht es um irgendeine Angelegenheit irgendeiner Kreatur, vielleicht meiner selbst. Diese ganze Ausspannung besteht, und nun tue ich etwas von diesem Moment aus, und dann weiss ich, wenn ich mich nun mit der selben wirklichen Kraft besinne, mich nicht beobachte, mich nicht untersuche, mich einfach so selbst wahrnehmend wie ich atme, wie ich meinen Atem, meinen Blutkreislauf wahrnehme, ohne Willkür, nichts vornehmend, sondern so erfahrend was geschieht, dann weiss ich, dass ich anheimgegeben war, dass mich die Hand Gottes getragen hat; ich weiss gar nichts mehr von meiner Entscheidung. Ich vermag jetzt gar nicht zu fassen, dass ich mich entschieden habe. Es ist mit mir geschehen. Und wenn ich mich von dieser Wirklichkeit entferne und zeitlos davon spreche, kann ich nur sagen: beides in einem ist wirklich, Gott ist und der Mensch entscheidet. Die Logik fängt erst drüben an. Hier hat sie noch kein Recht. Wir stehen hier unter einem andern Gesetz. Hier nämlich, in der Wirklichkeit Gottes und unseres gelebten Lebens, gibt es allerwirklichst die coincidentia oppositorum. Und nun noch einmal die Schrift: Das ist das, was ich meine mit Kain und Abraham, wenn ich sage, das ist Offenbarung. Wir brauchen keine Auffassung der Offenbarung – denn in der Auffassung gehen ja die Glaubenslehren auseinander – um dieses gleichbleibende allmenschliche Faktum zu begreifen, das uns alle verbindet, miteinander realiter im Verlaufe der wirklichen Momente unseres gelebten Lebens verbindet. Das ist unsere gemeinsame ganz konkrete Wirklichkeit, von der wir theologisch, aber auch biographisch reden können. Dies ist das was ich meine, was wir je und je versuchen können diesseits der Offenbarung. Dass wir’s versuchen dürfen, empfinde ich als die Gnade der Gnaden. Dass wir so wie Kreaturen miteinander zu reden vermögen. Vielleicht darf ich sagen: nicht vom Wort Gottes aus. B r u n n e r : Ich hätte hier die Frage nach dem Charakter dieser Entscheidung. Ich denke, wir sind einig darüber, dass das was Sie geschildert haben existiert. Dass das die Wirklichkeit des Menschen ist, dass

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das der Mensch ist, abgesehen von allen geschichtlichen und offenbarungsmässigen Veränderungen seiner Wirklichkeit. Aber nun frage ich nach dem Charakter dieser Entscheidung. Immer und überall ist der Mensch der Entscheidende. Aber es könnte sein, dass hier eine Logisierung dazwischen käme, nämlich dass zur Entscheidung gehöre das Jakönnen und das Nein-können. Und nun befrage ich diese Entscheidung, meine eigene (ich rede darum auch in der Ichform): wenn ich mich entscheide – und ich weiss, dass ich mich fortwährend entscheide –, tue ich es jemals gerechtfertigt? Tue ich es so, dass wenn ich mich nachher prüfe, nicht im Entscheiden, sondern nachher, dass ich dann vor Gott stehen kann mit dieser Entscheidung? Ich weiss, ich habe mich entschieden, und um es tun zu können muss ja eine Möglichkeit da sein im Menschen. Aber die Frage ist, welcher der Rahmen dieser Möglichkeit ist, wie weit sie geht. Nach diesem Rahmen frage ich von der Wirklichkeit aus, den Neger, den Hindu. Entscheiden wir uns jemals recht? Für mich heisst die Antwort: nein. Niemals entscheide ich mich recht. Ich sehe in meiner Entscheidung immer meine Sünde. Ich wäre ein Lügner, wenn ich davon abstrahierte. Wenn ich wahrhaft den Charakter meiner Entscheidung prüfe, wenn ich einem dieser Momente den Charakter der göttlichen Billigung zusprechen würde. Das ist der sich entscheidende Mensch in allen Gegenden und zu allen Zeiten, und dieser hat immer als Charakter seiner Entscheidung die Missentscheidung. Wir dürfen nicht mit dieser endgültigen Qualifizierung unserer Entscheidung alle Stufenwerte ausschliessen. Es ist nicht alles eine gleichartige Masse Sündigkeit. Es gibt freilich sinnvolle und von uns Menschen anzuerkennende Differenzierungen menschlicher Entscheidung. Es gibt gerechte Entscheidung am menschlichen Massstab gemessen. Aber vor Gott gibt es keine gerechte Entscheidung. Der Mensch weiss von einer Freiheit der Entscheidung, aber es ist die Freiheit eines Gefangenen. Es ist die Freiheit innerhalb eines total umzirkten Bereichs, und diesen Bereich nennen wir nun neutral die menschliche Wirklichkeit, oder die als Sünde qualifizierte menschliche Wirklichkeit. Diese ist nicht ohne Gnade. Ich stimme Ihnen von Herzen zu, dass wir die Entscheidungsmöglichkeit dank der göttlichen Gnade haben. Aber dass diese Gnade, die Schöpfungsgnade, den Rahmen der sündhaftigen Entscheidungsnotwendigkeit nicht sprengt. So würde ich meinen, wir müssten unabhängig von einander die Frage nach der Entscheidung und nach der Qualität der Entscheidung stellen. Die Sünde wäre nicht Sünde, wäre bloss Schicksal, wenn es nicht Entscheidung wäre. Aber die menschliche geschichtliche Entscheidungsmöglichkeit ist identisch mit der sündhaften Gebundenheit. Dies ist die Erbsünde, diese durch alles

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Menschliche hindurchgehende Gebundenheit in der Entscheidung. Da würde dann erst die Frage nach der Legitimität des menschlichen Handelns entstehen. Eine Legitimität relativer Art wäre gegeben im menschlichen [Typoskript unvollständig] B u b e r : Es scheint mir, dass ich hier in der Tat etwas anders ansehe, obgleich der Ausgangspunkt gemeinsam ist. Selbstverständlich ist, dass, wenn man seine Entscheidung als solche betrachtet, sie in der ganzen Unzulänglichkeit steht. Aber ich gehe von da aus etwas anders weiter. Zunächst gehört diese Art der Feststellung in die Ichform. In der Ichform ist es möglich. Aber diese ist noch nicht die Wahrheit des ganzen Menschen. Ich weiss ja auch, dass ich meinen Sohn nicht zu opfern vermag. Ich weiss, wie es mit mir beschaffen ist. Weiss ich etwa damit wirklich, wie es mit dem Menschen beschaffen ist? Kann man diese beiden Betrachtungen gleichsetzen? Indem ich mit mir rechte, abrechne, mich prüfe, mich buche und was ich vom Menschen weiss? Nicht einmal bloss von Menschen, von denen ich weiss, kann ich sprechen. Ich kann sagen, sie haben Entscheidungen vollzogen, die das quantum satis bedeuten, das Gott von uns verlangen kann. Sie haben das dritte zu heteronomer und falscher Autonomie, die rechtschaffene Autonomie des Menschen. Gott sagt zu Noah, er habe ihn bewährt gefunden. Und das alte und das neue Testament begegnen sich in dem seltsamen Satz: »Werdet heilig, denn ich bin heilig« und »Werdet vollkommen (es wird wohl etwas wie heilig gemeint sein), wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist«. Diese beiden imperativischen Sätze bedeuten etwas. Zumal im Zusammenhang eines dieser Worte darauf hingewiesen ist, dass es etwas gibt, was Unvollkommenheit ist und doch von Gott geforderte, schöpfungsmässig, aber eben allmenschlich schöpfungsmässig. Der Mensch ist eben doch nicht Gott und ist doch im Ebenbild geschaffen. Das ist ja nicht Erbsünde; sondern er ist eben Schöpfung. Von Adam ist ja nicht gefordert, dass er vollkommen sei. Aber er konnte vom Baume nicht essen. Aber das können wir; nicht die Vollkommenheit; aber wir können das Gebot erfüllen, wir können in Wahrheit vom Baum nicht essen oder essen. Es wird uns nicht zugemutet, dass wir das schlechthin von Gott zu Billigende tun. Es wird gefordert, dass wir göttliches Gebot erfüllen, das menschlich zu Erfüllendes meint. Und dennoch, indem wir es zu erfüllen versuchen, auf eine Weise, deren Brüchigkeit, deren vollkommenen Versuchenscharakter wir ja wissen – jetzt spreche ich nicht mehr in der Ichform, sondern vom Menschen –, hat der Mensch im Sinne des zum Menschen gesprochenen »Ihr sollt von dem Baum nicht essen« gehandelt. Ich sage: das ist erfüllbar, das göttliche Gebot ist erfüllbar, freilich

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in der ganzen Unzulänglichkeit des Menschen. Indem er es erfüllen will, kann er doch tun wie Gott meint. Also Sünde gewiss. Aber die Wirklichkeit der Sünde, das ist ich. Ich weiss um meine Sünde. Aber nicht um die Sünde des Menschen, nur um meine Sünde. Das ist die Wirklichkeit von meinem Wissen um die Sünde. Mehr weiss ich nicht. Mehr weiss ich nicht. Der Mensch kann das Geforderte tun, und ich kann diesen Menschen Abraham einsehn und sehen, dass er seinen Sohn opfert. Das sehe ich; das geschieht. B r u n n e r : Wir sprechen vielleicht nicht vom Gleichen. Von der kreatürlichen Endlichkeit spreche ich nicht, sondern ich spreche von der Reinheit des Handelns. Und die Reinheit des Handelns ist das göttliche Gebot. Es handelt sich nicht darum, ein bestimmtes Etwas zu leisten, sondern – wie Sie es selbst zitiert haben –, das Heiligsein, das Reinsein und die Lauterkeit der Gesinnung. Da ist eben die Lauterkeit des Menschen gemeint, des endlichen, kreatürlichen Menschen, das Vollkommensein. Und an diesem Gesetz, an dieser Forderung werde ich zuschanden. Nicht aus Unvollkommenheit, das kommt gar nicht in Betracht, sondern aus Unlauterkeit. Wenn Sie sagen: ich weiss nur von meiner Sünde. Das ist richtig. Primär weiss ich nur von meiner Sünde. Aber ich weiss, dass jeder der sich prüft auch so von sich reden muss. Ich spreche aber jetzt nicht von den andern Menschen; es geht mich jetzt nichts an, wie die andern zu Gott stehen. Ich bin unrein, unlauter, nicht ganz, zwiespältig, schielend, und ich weiss, dass hier an diesem Punkt meiner der göttliche Urteilsspruch wartet, der nicht so gnädig mit mir verfährt, sondern der mich verurteilt. Und ich weiss weiter von mir, dass diese Unlauterkeit nicht jetzt ist, sondern dass sie immer ist; ich erfahre sie immer wieder. Wenn ich mich recht besinne, dann weiss ich, dass sie immer da ist. Dass in jeder Art, wie sie da ist, ihr Schon-dagewesen-sein sich mir manifestiert. Das nenne ich die Gebundenheit. Es ist nicht die Gebundenheit der Kreatur, sondern es ist meine Unlauterkeit, die mein Wesen konstituiert. Die ist meine Schuld. Das ist die Schuld; diese ganz das Innerste betreffende positive Unlauterkeit, die kein Mangel ist, sondern meine falsche Beimischung zu dem, was Gott gut gemacht hat, gehört so zu meinem Wesen, dass sie alles was ich tue unter das Gericht Gottes bringt. Dass ich Gerechtfertigtes in keinem Sinne von Gott aus tue. Und hier darf ich vielleicht nochmals auf die Schriftoffenbarung zurückkommen. Abraham ist nicht der Mensch. Er ist der Stammvater Israels. Und er handelt nicht als Mensch, sondern als der, der eine ganz besondere Offenbarung bekommen hat, die ihn zum Träger einer besonderen Spezies macht, nämlich des Gottesvolkes. Im Lichte der Offen-

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barung, die er bekommen hat, handelt er. So meine ich von hier aus eine positive Möglichkeit des Stehens vor Gott aussprechen zu dürfen. Es ist das Besondere der Offenbarung, die mich gnädig wieder aufnimmt in den ursprünglichen Zusammenhang, in dem ich als ich selbst nicht stehe, dass von da aus ein neues, gerechtfertigtes Handeln möglich ist. Da taucht nun das Wort auf, das Handeln in der Rechtfertigung, nicht in der Schöpfung. Denn die ist zunächst verworren durch die Sünde. In der Stellung des Wiederaufgenommenen, das ist dann ein mögliches und vor Gott richtiges Handeln. Weil in der aufnehmenden Gnade immer das Bekenntnis der Schuld aufgenommen: weil die Rechtfertigung des Handelns aus der göttlichen Vergebung kommt und nicht der Mensch vermöge seiner Entscheidung es handelt, sondern Gott vermöge seiner dazwischentretenden Gnade. Die Voraussetzung dafür ist freilich die Anerkennung jener durchgehenden Unlauterkeit.

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B u b e r : Es ist mir wie früher gegangen. Ich muss es durchaus zugeben von der Unlauterkeit. Aber wenn ich Sie recht verstehe, meinen Sie: ich kann nicht anders. Das ist meine Grundfrage: Kann ich anders oder kann ich nicht anders? Vielleicht ist es Ihnen möglich mir zu sagen: Kann ich anders?

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B r u n n e r : Es kommt darauf an, ob ich die Frage vorher oder nachher stelle. Vor der Entscheidung heisst es: ja, nach der Entscheidung: nein. Ich meine es so: es darf, wenn ich sage nein, ich kann nicht anders, die Verantwortlichkeit des Handelns in keiner Weise angetastet werden.

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B u b e r : Lassen wir die Ichform. Kann der Mensch anders oder kann er nicht anders? Die Frage wollen wir ablösen von den Tempora. Es muss eine Wirklichkeit hier geben im Handeln zwischen Gott und Mensch, die eine andere ist als diese zeitliche Wirklichkeit vor oder nach der Handlung. Es muss eine objektive Wirklichkeit geben. B r u n n e r : Ja, das ist das Problem. Ich kann ja sagen: Ja, es muss diese überzeitliche Wirklichkeit geben. B u b e r : Nein, nicht überzeitlich. Sondern der Mensch, personhaft gefasst, der gegenwärtig lebende Mensch, sein Geschlecht, kann er auch lauter sein oder kann er nicht? Kann der gegenwärtige Mensch lauter sein oder kann er es nicht? Von sich aus? Dass Gott sie ihm schenken kann, ist nicht schöpfungsmässig. Wir können die Frage nur vom Menschen aus stellen.

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B r u n n e r : Nein, das kann er nicht.

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B u b e r : Ich vermag nicht zu glauben, dass Gott vom Menschen das Unerfüllbare fordert. Dass Gott das Unerfüllbare fordert und, wenn ich Mensch es nicht erfülle, den Urteilsspruch spricht, vermag ich nicht zu glauben. Vielleicht ist das die Grenze jetzt. B r u n n e r : Ich könnte mir denken, dass hier eine gewisse Logisierung stattfindet. Was Spoerri vom Sündenfall gesagt hat und unsere Beziehung zu ihm. Der Mensch darf sich niemals anders vor Gott denken als zugleich als jenen Adam, der gefallen ist, und den empirischen Menschen, der er jetzt ist. Und damit, dass er beides ist, dass er nicht bloss sozusagen die Konsequenzsünde, sondern die Ursprungssünde in seiner jetzigen Sünde sieht, ist ihm die Möglichkeit genommen, die negative Folgerung zu ziehen, die Sie gezogen haben, dass Gott Unmögliches fordert. Damit würde ja der Begriff der Sünde aufgehoben. In der Entscheidungsqualität der Sünde steckt ja der Moment des richtigen Gottesgesetzes, des nicht überspannten Gottesgesetzes. Dass Gott durchaus das fordert, was er dem Menschen gegenüber von seiner Schöpfungsordnung aus fordern muss, und dass die Sünde darin besteht, dass der Mensch jene Forderung, die er kennen sollte, nicht kennt. Und das Gottesgesetz umspannt beides: jene Ursprungslage und die jetzige Lage, und erst durch das Zusammensehen von beiden [Typoskript unvollständig] Was wäre das für eine Sünde, von der der Mensch, wenn er sie getan hat, nicht sagen müsste, dass es eine Gebundenheit in der Sünde ist? Es ist eine Paradoxie, die wir nicht aufheben dürfen, dass der tiefste [Typoskript unvollständig] der Sünde darin besteht, dass wir schuldhafterweise nicht anders können. Gott kann nur ein Gesetz geben. Das ist sein Wille. Und an diesem Willen werden wir Sünder; wenn wir an ihm Sünder werden, erkennen wir [Typoskript unvollständig] B u b e r : Sie haben da nebenbei ein Wort gesagt, das mir zu hart ist: Gott kann nur ein Gesetz geben. Das würde ich mich nicht getrauen zu sagen. Denn ich weiss wirklich nicht, was Gott kann und nicht kann, und Gott ist mir unendlich wirklicher als auch sein eigenes Gesetz. Ich weiss nicht was er kann und was nicht. Wenn ich sagte: ich vermag nicht zu glauben, dass Gott von mir das Unerfüllbare fordert, so wollte ich damit nicht ein Können oder Nichtkönnen aussprechen, sondern gerade etwas Nichtlogisierbares. Gerade die Paradoxie, dass Gott immer zweierlei von mir fordert. Er fordert von mir zugleich: werde heilig. Und er fordert von mir etwas ganz Einfaches, Menschliches zugleich. Ich weiss,

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dass jene eine Forderung als mich personhaft angehend nicht erfüllbar ist, und dennoch kann ich nicht anders als glauben, dass jene Forderung im Sinne der Vollendung der Schöpfung gefordert ist. So, dass in einer völlig unbegreiflichen Weise ein Anteil des Menschen gegeben ist. Dass der Mensch mit dieser seiner Armseligkeit, die er in dieser Spanne zwischen Geburt und Tod jeweils zustande bringt, dass er mit diesem Anteil des Menschen verknüpft ist mit dem Werden des Gottesreiches. Das ist das eine. Ich fühle mich in aller Unzulänglichkeit dennoch damit verknüpft und zwar kraft dessen, dass die Forderung Gottes nicht eindeutig ist und auch nun wieder nicht erfüllt werden kam. Aber doch erfüllt werden kann. Das heisst nicht die Lauterkeit, aber eine Lauterkeit. Aber eine kleine Lauterkeit. Verzeihen Sie mir: Ich würde Ihnen nicht glauben und Sie würden mir nicht glauben, wenn einer von uns sagte, dass er eine Lauterkeit nicht aufbringe.

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B r u n n e r : Aber was sagt das?

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B u b e r : Fassen wir die Wirklichkeit dessen, dass Gott wirklich jenes und dieses fordert und dass jenes solcherweise erfüllbar ist, solcherweise in seiner ganzen Unzulänglichkeit verknüpft ist in der Wirklichkeit seiner kleinen Entscheidungsmacht mit dem Werden des Reiches Gottes.

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B r u n n e r : Das gebe ich nicht zu. Die kleine Lauterkeit wäre gemeint mit dem Ausdruck: justitia civilis. Das ist nicht im Angesicht Gottes. Von einer Gerechtigkeit oder Lauterkeit auch nur zu reden verbietet mir Gott, indem er mir zugleich gebietet, diese Lauterkeit aufzubringen. Unter sich haben die Menschen diese Lauterkeit. Aber Gott sagt zu mir: So komm du mir nicht. Denn eine Lauterkeit ist keine Lauterkeit. Diese Isolierung einer Lauterkeit aus dem ganzen Wesen heraus, das ist Sünde. Aber vor Gott geht diese doppelte Rechnung nicht. Ich sehe auch im ganzen Gesetz Gottes diese Doppeltheit nicht. Die ganze Gesetzgebung steht unter dem Gesetz: Du sollst heilig sein. Mit einer Parzellierung des Ethos vor Gott stehen, das kann ich nicht. Was kommt dabei heraus: nicht Reich Gottes. Sondern durch diese kleine Lauterkeit geht die Welt Gott sei Dank ihren Lauf. Das ist die Langmut Gottes, dass er uns erträgt mit unsern kleinen Lauterkeiten; das ist Gnade. Aber das ist nicht das Reich Gottes, und wenn ich vom Reich Gottes spreche, meine ich jenes, das nicht im Werden ist, nicht zusammensetzbar ist durch die einzelnen Taten des Menschen, die er mit seinen kleinen Lauterkeiten seiner relativen Gerechtigkeit fertig bringt; sondern wir meinen das, was als ein

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gänzlich Neues, ganz von Gott aus und nur von ihm aus in diese Welt hineingestellt ist.

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B u b e r : Verzeihen Sie, das meinte ich ja gar nicht. Ich meinte nicht, dass die kleine Lauterkeit das Reich Gottes konstituiere. Sie haben, was ja wirklich schwer zu vermeiden ist, das was ich sagte logisiert. Ich meinte es im Geheimnis, nicht auf diese Weise berechenbar. Je weiter wir sprechen, umso schwerer fühle ich was ich im Anfang sagte: dass wir nicht auf die Schöpfung ausgehn. Ich meinte, dass Gott diesen Adam nun wirklich geschaffen hat, dass Gott dieses Sündigen wirklich geschaffen hat. Ich möchte nicht weiter davon sprechen. Das heisst also: ich kann aus der Schöpfungsmacht Gottes nichts ausnehmen. Was ich etwa davon ausnähme, im Paradoxon sehe ich ja beides in einem. Wenn ich es aber grundsätzlich ausnähme, disjunktiv: dieses ist nicht von Gott geschaffen, dann würde ich eben damit sagen: dieses ist vom Satan geschaffen; dass ich an etwas glaube ausser Gott, also an das Widergöttliche. Aber dann ist die Schlange nicht von Gott geschaffen; und das ist der Punkt, an dem ich nun nicht anders kann. Und ich glaube, Sie und niemand von uns kann realiter an das Widergöttliche glauben. Es hat ja diesen Glauben gegeben, auch im Christentum; Marcion z. B. hat das zustande gebracht. Etwas ganz Ungeheuerliches, für mich ganz Exemplarisches. Dass die Perser dies geglaubt haben, ist viel einfacher; aber dass Marcion dies geglaubt hat, ist sehr viel merkwürdiger. Aber wenn es ein Handeln von Adam aus gegeben hat in Wirklichkeit, ein Handeln, das dies bewirkte, diese Veränderung, wenn es dies Handeln ausserhalb der Paradoxie gegeben hat, dann gibt es das Widergöttliche. S p o e r r i : Ich glaube das Gespräch zerkrümelt, wenn es in die letzten theologischen Unterschiede geht. Ich möchte auch nicht die Unterschiede verwischen. Denn ich glaube es hat einen Sinn, dass da Unterschiede sind. Ich sehe den Hauptunterschied darin, dass der menschliche Brechungskoeffizient verschieden ist, dem Grad nach so verschieden genommen wird, dass er dann auch qualitativ verschieden ist. Ich glaube, beide nehmen das menschliche Handeln im Bruch an und das Im-Gericht-stehn des Menschen. Nur ist der Unterschied, dass für den einen dieses Im-Bruch-stehen so schwerwiegend ist, dass er nicht darüber hinwegkommt, während es für den andern nicht in der letzten Schwere vorhanden ist, dass er nicht darüber hinwegkäme. Das wird dann zu einem qualitativen Unterschied. Beim einen ist es die Gebrochenheit an sich und [Typoskript unvollständig]. In einem Bilde: Der Vater sagt seinem Kinde: »Mach die Türe zu!« Es geht hin, kann aber nicht hinaufreichen.

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Da würden wir sagen: es ist kreatürliche Unzulänglichkeit und müssten uns besinnen: kann der Vater das verlangen? Der andere Fall: Das Kind geht zur Türe um dem Vater zu gehorchen; aber gleichzeitig passt es ihm nicht. Es ist mit anderem beschäftigt [das Schielen Brunners], darum sieht es etwas nicht, was ihm im Wege steht, und fällt so schwer hin, dass es nicht selber aufstehen und die Türe nicht öffnen kann. Das ist die menschliche Situation, dass der Mensch durch sein Schielen, wobei auch noch Gutes dabei war, durch diese Mischung des guten und schlimmen Tuns, sich in eine Situation versetzt, in der er den Befehl Gottes nicht erfüllen kann. Und nun kommt das dritte, Ihnen beiden Gemeinsame. Ich möchte anknüpfen an das Gesagte: Wenn der Mensch sich entscheidet, so weiss er, Gott hat entschieden.

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B u b e r : Er weiss aber die ganze Ungültigkeit seiner Entscheidung. S p o e r r i : Es ist aber etwas geschehen. Der Vater sieht das Kind am Boden liegen und der Vater kann sagen: Da siehst Du wie es geht! Der Vater kann aber auch zu dem Kind hingehen, es aufheben und die Türe für es öffnen. B u b e r : So weit wäre es gut. Aber auf etwas Furchtbares mache ich Sie aufmerksam: Das Gleichnis stimmt ja nicht. Der Vater zeugt das Kind aus einer Mutter Schoss. Er schafft das Kind nicht. Schaffen, das ist etwas, was ausser allem Gleichnis ist. – Ich will es deutlicher machen. Mein Verhältnis möchte ich Ihnen nur zeigen zu diesem Gegenstand. In meiner Jugend hat mich das Problem des Sündenfalls sehr gequält in einer sonderbaren dialektischen Formulierung. Ich war getrieben mich ausserhalb des Paradoxes zu stellen. Ich fragte mich: wusste Gott, dass Adam sündigen würde, oder wusste er es nicht? Und weiter: Wollte Gott, dass Adam sündigte, oder wollte er es nicht? Diese Frage hat mich in einer bestimmten Zeit meiner Jugend (es war dies die zweite Frage, die mich dahin brachte) fast an den Rand des Lebens gebracht. Als ich versuchte weiter zu kommen, da fasste ich zwar das Paradox als darüber hinausführend; dass diese Art zu fragen nicht mehr gilt, weil beides eingetan ist in das eine. Aber damit verstummte für mich eine ganze Seite des Fragens; auf der ganzen Weite der Geschichte überhaupt hatte das seine Konsequenzen. Und versuchte ich das, was zum Verstummen kam, wieder zum Reden zu bringen, dann tauchte jene Frage neu auf. Dann musste ich antworten: Eher vermag ich alles andere zu glauben, als dass Gott etwas nicht wusste, nicht wollte. Ich verbiete mir, es disjunktiv zu fassen. Wenn ich wieder alles laut werden lasse, dann: Was weiss ich

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denn noch vom Menschen, von mir? – Was reden wir viel von Sünde und Willen! Im Paradox des gelebten Lebens müssen wir es fassen. Aber mengen wir uns in die Wege Gottes ein? Wagen wir uns zu fragen was Gott wollte? Das ist das, was ich meinte mit dem Glauben an den Satan. 5

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B r u n n e r : Es zeigt sich jetzt verhängnisvoll, dass wir nicht von der Schöpfung gesprochen haben. So sagten Sie. Sollten wir diese Frage nicht ausser Spiel lassen? B u b e r : Ich kann nicht. Weil ich dann einfach vielleicht noch theologisch reden würde, aber im Nacken der Wirklichkeit. Ich kann das von der Wirklichkeit nicht ausnehmen. Das ist sie doch. Ich bin doch ein Schein, ein Gespenst. Was bin ich denn? Ich bin wirklich nur, wenn ich mich zu entscheiden habe. Dann habe ich das bisschen Boden unter meinen Füssen. Nur mit Furcht und Zittern [Typoskript unvollständig] B r u n n e r : Ist es nicht so, dass das Wesen der Sünde, von dem wir gesprochen haben in dem Begriff der Lauterkeit, nicht verändert werden darf durch den Gedanken einer auch die Sünde umschliessenden göttlichen Allwissenheit und Allmacht? Ich glaube in diesem Punkte, in dieser abstrakten Formuliertheit denken wir nicht verschieden: Dass es keinen Teufel als Partner Gottes gibt. Aber hier sehe ich den springenden Punkt: Dass wir nicht das Wesen der Sünde irgendwie sollen beleuchten durch diesen Gedanken der alles umspannenden Gottheit. Sünde bleibt genau was sie ist, auch wenn Gott seinen Bogen um sie spannt. Niemals würde ich sagen: Sünde ist geschaffen von Gott, weil ich hier den Punkt sehe, wo die Sünde abschwächend erklärt werden würde. Sie bleibt genau was sie ist, abgesehen von jenem Letzten. Darum sollen wir in keiner Weise einen Rückgriff machen auf die Ursprünglichkeit der Schöpfung. Sünde steht im Gegensatz zur Schöpfung. Adam ist nicht geschaffen als der Sündigende, sondern er ist gut geschaffen, und dann kommt das Böse als ein ganz Neues und die Frage taucht auf, ob Gott das auch gewollt hat. Aber Sünde gehört nicht in die Schöpfung. Sünde ist ein Zweites. Wenn die Sünde zur Schöpfung gehörte, ist sie bloss ein Schwachsein, kein Trotz. Dann gehört sie mit der Kreatürlichkeit als solche zusammen. Dann ist sie ein Kreaturcharakteristikum. Aber sie wird uns gezeigt als ein Bruch der Schöpfung. Darum kann uns hier die Schöpfung nichts Neues sagen. Sünde wird nicht aus der Schöpfung irgendwie verständlich. B u b e r : Das kann ich nur zugeben für das, was sich in der ersten Person begibt. Da ist es wirklich wahr. Aber da ist das Paradox vollkommen

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präsent. In der Wirklichkeit des gelebten Lebens, das ja ichhaft ist, ist eben beides in einem. Aber sowie wir davon theologisch zu reden anfangen, kommen wir in die Uneigentlichkeit hinein mit Notwendigkeit. Denn dann reden wir von Gott und der Wirklichkeit disjunktiv. Wenn Sie es mir erlauben, will ich Ihnen etwas sagen, was ich beim Lesen Ihres Buches empfunden habe: Sie sagen da einmal – vermutlich meinen Sie es nicht ganz so –: »Gott muss auf seine Ehre bedacht sein; er kann sie nicht antasten lassen, denn sonst würde er aufhören Gott zu sein. Das Gesetz fordert, dass er seine Ehre wahrt.« Nun ist unbestreitbar, dass in allem dem Wahres ist, und doch lehnt sich etwas in mir gegen diese Formulierung auf. Ich übe nicht Kritik an Ihnen. Ich spreche von dem Verhängnis der Theologie. Es wird hier offenbar von dem Gang der strengen Theologie ein Stellen Gottes unter das Gesetz der Logik ausgesagt, wonach also er dies kann und dies nicht kann. Ich weiss schon, was Sie meinen. Aber es ist etwas Erschreckendes von der Theologie aus. Ich sehe von der Theologie aus, in die ich verstrickt bin, ich sehe was sie mit sich führt, was sie dem Menschen auferlegt. Um was es mir zu tun ist: Vielleicht können wir versuchen, wenn wir notwendigerweise theologisch miteinander reden, die Selbstberichtigung miteinander vorzunehmen und jeweils doch zu bedenken, dass es doch in der gelebten Wirklichkeit niemals so zugeht, dass es bloss das Eine gibt. Ich kann letztlich mit grossen Einschränkungen auch die Schrift nicht ausnehmen. Auch sie vermag ich, kraft dessen, dass sie nicht das reine Wort Gottes ist, nicht davon auszunehmen. Aber soweit es jeweilen möglich ist, wollen wir versuchen, dass, wenn wir schon gezwungen sind von Gott in der dritten Person zu reden, wir es mit der steten Berichtigung tun, dass wir wissen: das andere gehört auch dazu. Es ist doch schlechthin nicht möglich, eine exklusive Ausnahme zu machen. Das ist das, was ich meinte, als ich erzählte von meinen Fragen: wusste das Gott, wollte das Gott? Solange ich nicht in der dritten Person rede, weder von Gott noch vom Menschen, solange gebe ich Ihnen vollkommen recht. Da stehe ich wirklich im Paradox; nicht dieses oder jenes ist wahr, sondern ich weiss, dass beides in einem ist. B r u n n e r : Ich verstehe nicht ganz unsere Gesprächslage. Wie ist das mit der dritten Person? Wir haben also von Sünde gesprochen. Und die Frage war zwischen uns: Gibt es ein gerechtfertigtes Handeln oder nicht? [Typoskript unvollständig] Sünde ist nur in der Ichform auszusagen. Wir reden nicht aus einem theologischen Bereich, sondern wir reden wirklich. Und da gilt das, dass wir sündig sind. Und ich habe nun nie recht verstanden, was Sie meinen, wenn Sie sagen: Ja, das gilt wenn wir in der

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Ichform sprechen. Ich sehe den Sinn nicht ein, dass wir daraus heraustreten. Denn Sünde gibt es ja nur in der Ichform. Was ist wahr vom Handeln des Menschen? Was haben Sie für eine Dimension ausserhalb der Ichform anzudeuten gemeint? Wenn es in der Ichform so ist, wo ist es dann nicht so? B u b e r : Ich verstehe Ihre Frage schon. Ich glaube, dass das in einem bestimmten Punkt unseres Gesprächs zeitweilige Transformationen waren. Wie war das eigentlich nötig? Sie haben damit recht, dass man dazu zurückkehren muss. Es ging darum, die Möglichkeit aufzuzeigen, was in der Ichform nicht geschehen durfte, dass jenes Abfallen geschieht. Nebenbei gesagt: Sie sagten in dem Zusammenhang, dass Abraham als Stammvater Israels das Opfer seines Sohnes bringen wollte. Es geht aber doch so zu in diesem Abschnitt: dass Gott zuerst ihm das sagt und er tut es, und hier gewiss nicht von der Verheissung aus. Die folgt dann. So geht es zu. Er tut es nicht von Gott aus, sondern vom Menschen aus, in diesem Abschnitt. Dann kommt als daran anknüpfend die Verheissung in ihrer volleren Form. Das ist das eine was immer noch abweichend scheint. – Aber auf das andere hat Kierkegaard hingewiesen [Typoskript unvollständig] Abraham wird nach Kierkegaard dadurch der Vater des Glaubens, dass er den Sohn opfern will. Wir müssen ja verstehen, dass hier etwas Ungeheures geschieht, was Kierkegaard auch nicht beachtet hat, nämlich dass es in der Schrift immer wieder eine seltsame Bezugnahme auf Kinderopfer gibt. Und die Propheten erklären immer wieder in einer Weise, die mir immer wieder durch Mark und Bein geht, Gott habe das nicht befohlen. Das neue Testament hat nicht Gelegenheit so furchtbare Dinge zu sagen. Bei Ezechiel steht aber: »Ich habe euch die nicht guten Gesetze gegeben um zu strafen. Ich habe das Kinderopfer befohlen.« Es ist etwas da, was Hintergrund ist. Zu solchem kommt hinzu eine andere mit Gottes Forderung in der furchtbarsten Weise zu verwechselnde [Typoskript unvollständig] Es geschieht etwas bei Abraham, weil er die Stimme Gottes erkannt hat. F r a g e : Erkennt er sie weil er die Tat getan hat?

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B u b e r : Er erkennt die Stimme weil er sich meint. Sich so sehr meint, wie man sich gar nicht meinen kann, wenn man sich opfert. Man kann, wenn man seinen Sohn opfert, sich mehr darbringen als wenn man sich opfert. Deshalb erkennt er die Stimme Gottes. Hier geschieht Handeln vom Menschen aus. Und noch etwas: Ich habe (vielleicht auch nur [Typoskript unvollständig]) persönlich eine Liebe zu den Heiden. Nicht als

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Gegenstand einer Mission. Nämlich das heisst zu den Menschen, die man die Heiden nennt. Ich glaube nicht, dass es einen wirklichen Heiden gibt, der nie zu einem göttlichen Wesen, an das er glaubt, Du sagen konnte. Aber die sogenannten Heiden, an denen ist mir unmittelbar gelegen. Und ich vermag nicht, obwohl ich selbst vom alten Testament herkomme und damit verbunden bin, einen vollkommen qualitativen Unterschied zu machen zwischen den Menschen, die in der Offenbarung stehen, und denen, die nicht in der Offenbarung stehen. Sondern die Heiden, da wird schon etwas los sein; wir wissen es nur nicht. Wir sind die, die dies, was wir Offenbarung nennen, kennen. Aber ich glaube nicht, dass die Offenbarung die Demarkationslinie ist, die quer durch die Menschheit geht. Ich glaube nicht, dass es zwei Arten von Menschen gibt: die die wissen, wie es um Sünde und Erlösung steht, und die, die es nicht wissen. Die, denen es zugesprochen und nicht zugesprochen ist. Daran glaube ich, dass es ein Wissen des Menschen um Sünde gibt. Und diese Verschiedenheit um den Grad der Gültigkeit der Sünde, ich kann das nicht anders als von Gott gemeint ansehen, diese Verschiedenheit des Wissens. Ich glaube nicht, dass es einen Menschen gibt, der gar nicht um Gott weiss und gar nicht um die Sünde weiss. Ins letzte befragt, wird es wohl beides nicht geben, und mir scheint, dass die gemeinte Wirklichkeit dieses bisschen bleibt, was uns gemein ist, über das die Offenbarung hinbraust. Nichts möchte ich ihr von ihrer Wirklichkeit rauben. Nur diese Scheidung kann sie nicht vollziehen. Aber das nur nebenbei. Ich meine aber, es hat auch damit zu tun. B r u n n e r : Ich meine, sehr viel. Nämlich so: Wir finden uns wohl, wenn wir sagen: es gehört zum Menschen, von Gott zu wissen und von der Sünde zu wissen. Und weiter, glaube ich, sind wir einig: es gibt Unterschiede. Aber nun: welche Art Unterschiede und was bedeuten sie? Da sage ich nun: Es ist kein Zufall, dass von der Sünde dort in einem viel ernsteren und totaleren Sinn gesprochen wird, wo wir auf dem Boden der Offenbarung stehn, darum, weil dort der wahre Gott offenbar wird; und diese Unterscheidung wird in der Bibel ungeheuer ernst genommen. Eine ungeheuer ernste Demarkationslinie wird ja gezogen. Es soll keine Vermischung stattfinden. Die andern sind nicht erwählt, das Volk Israel ist erwählt. Und nun im Zusammenhang der Offenbarung taucht jenes Reden von der Sünde auf, jenes Reden, wo die Unlauterkeit des Herzens in Betracht kommt. Auch innerhalb der Schrift erkenne ich Unterschiede. Z. B. hat Jeremia den Zustand des Menschen in der Sünde als einen so unheilvollen aufgefasst, dass er sagt: es muss geschehen, wenn geholfen werden soll, dass Gott dem Menschen ein neues Herz gibt. Das ist

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eine ganz neue Erschliessung der göttlichen Wirklichkeit und eine neue Stellung des Menschen Gott gegenüber. Das ist der neue Bund, den Gott schliessen wird. Warum wird das verheissen? Doch offenbar darum, weil erkannt wird, dass der Mensch mit seinem steinernen Herzen das Rechte nicht tun kann, trotzdem er Rechtes tun kann. Das Vor-Gott-stehn heisst nicht Rechtes, sondern das Rechte. Nicht Lauteres, sondern Lauterkeit. Die Offenbarungswirklichkeit Gottes ist es, die dem Menschen diesen Einblick in seine Lage gestattet. Und nur dort, wo Gott als der wahre erkannt wird, wird die Sünde so erkannt, dass sie den Menschen unter das Gericht stellt und jenseits des Gerichts die Erlösung verheisst. Und nun möchte ich wissen: Ist hier Gemeinsamkeit in dieser Auffassung des Gerichts, des Nicht-recht-sein-könnens vor Gott, und Gemeinsamkeit in der Auffassung, dass dieses Wissen ein Offenbarungswissen ist, und drittens, dass es diese neue Möglichkeit gibt der Vergebung des neuen Bundes, in dem Gott dem Menschen ein neues Handeln gibt. F r a g e : Wenn es so war zur Zeit der Propheten, so gab es doch immer wieder zu ihrer Zeit einzelne, die vor dem Herrn gerecht waren. Warum gab es dann diese Einzelnen, wenn der Mensch nicht gerecht sein kann?

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B r u n n e r : Ich würde sagen, sie stehn im Licht der Offenbarungsgnade vor Gott. Ich möchte an den 103. Psalm erinnern: Es gibt solche, die den Bund halten. Wo ein Gerechter ist, da ist er ein Gerechter im Bund, in Israel. Es wird nie von Gerechten ausserhalb des Bundes gesprochen. B u b e r : Doch, Gott sagt es schon zu Noah. B r u n n e r : Aber nachher hört dieses auf.

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B u b e r : Einige kleine Korrekturen zum Geschichtlichen. Es ist richtig, dass diese Exklusivität Gottes besteht. Aber bei Amos und Deuterojesaias heisst es auch von Heiden, dass sie geführt sind. Wir haben das zu wissen, dass es das gibt. So ist nicht Exklusivität gemeint. Das ist das eine, was es allerdings später, bei Elia nicht gibt, sowie es einen Propheten des bewahrten Wortes gibt. Und bei Hosea: »Du sollst mich nicht mehr Baal nennen« (Gemahl). Der eigentliche Abfall war nicht zu einem andern Gott, sondern zu einem andern Dienst. Das berühmte goldene Kalb fordert das Volk dem Gott, der es aus Aegypten geführt hat. Es wird je und je dem wirklichen Gott als einem Götzen gedient. Das ist der eigentliche Abfall. Man kann zu keinem andern Gott abfallen. Aber man kann falsch dienen. – Aber darüber hinaus: Ich spreche nicht vom alten Testament

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aus. Ich habe gar keine innere Befugnis, vom alten Testament aus zu sprechen. Ich nehme durchaus an dem alten Testament mehr Aergernis als an dem neuen. Sie erlauben mir zu sagen, dass ich auch an dem neuen Testament Aergernis nehme; aber an dem alten nehme ich mehr Aergernis. Ich vermag nicht den Gott zu glauben, der Saul verwirft weil er den Feind nicht getötet hat. Nehmen wir die Schrift also ernst, dagegen lehne ich mich auf. Da geht es mir mit dem neuen Testament leichter. Also, ich habe keine Befugnis. Bloss, es ist der Boden, aus dem ich gewachsen bin. Das andere ist, dass ich alle diese Dinge, die auf Lohn und Strafe gesagt sind in der Bibel, als etwas Vorläufiges empfinde. Und dass ich an den neuen, kommenden Bund glaube. Da in der Wirklichkeit, wo ich von der Sünde weiss, weiss ich von etwas viel Furchtbarerem als der Strafe: nämlich der Sünde. Kein Gericht ist noch furchtbarer. Ich weiss nicht, was das soll. Es ist genug: diese Blindheit, dieses Schicksal. Es ist nicht mehr not, dass man noch dafür gestraft wird. Es ist alles in einem zusammen. Aber verstehen Sie mich recht; ich spreche jetzt auf einer ganz anderen Ebene als wir bis jetzt gesprochen haben. Obgleich ich an Offenbarung glaube, glaube, dass, was in der Bibel da ist, zurückgeht auf wirkliches, geschehenes Faktum, das nicht vom Menschen ausgeht, aber durch und durch menschlich eingestaltet ist, [Typoskript unvollständig] Was dann Ungeheures sich damit begab, dass aus der Offenbarung wirklich dieses Ich des ersten Gebotes entstand. Aber das Gesetz entstand ohne menschliche Willkür. Ich setze das ungeheure Schicksal des Empfängers ein, der so übertragen muss. Und da ich an das Gesetz als von Gott gegeben und von uns als Gottes Wort besessen nicht zu glauben vermag, ergibt sich das andere daraus. Wenn ich sage: ich glaube an Gott und jeder Mensch glaubt an ihn und an die Sünde, so kann man gar nicht anders, auch die nicht, die an die Schöpfung, an die Offenbarung glauben. Ich meine wirklich ein Geschehen an uns mit Offenbarung; ich meine alles in allem Ernst. Dieses Element, in dieses Element einverleibt, nur in dieser Gestalt haben wir es. Also haben wir Gottes Gesetz nicht. Aber ich bitte um Verzeihung, dass ich das so persönlich gesagt habe. Aber es liegt mir daran, dass ich nicht genötigt bin, eine Position fiktiv zu verteidigen, die nicht die meine ist. Den Ursprung dieses Gesetzes glaube ich nicht nur, sondern ich fühle es, das, was sich in diesem Schicksalsaugenblick übertragen muss und [Typoskript unvollständig] Aber das Eigentliche, was geschehen ist: das was im Dornbusch geschieht, wo Gott nur Auftrag gibt, persönlichen Auftrag, kein Gesetz, und der Mensch lehnt sich dagegen auf, was ja ganz natürlich ist. Und Mosche sagt: »Das Volk wird fragen: was ist um seinen Namen«. Da sagt

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Gott: »Ich werde da sein als der ich da sein werde. Ihr braucht mich nicht zu beschwören.« Das ist Offenbarung. Das ist keine Offenbarung über das Seiende, sondern Gott teilt der Kreatur sein Gegenwärtigsein mit. Dieses, dass Gott nicht bloss ist, sondern auch da ist, das müssen wir offenbart bekommen, sonst wären wir verloren. F r a g e : Aber wenn Gott immer da ist, warum gibt es denn die vielen verzweifelten Menschen?

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B u b e r : Fragen wir, ob es den Grund der Verzweiflung gibt ohne diese Erfahrung, diese Manifestation. Es tut mir leid, dass Ich vom Gegenstand abgeführt habe. Ich war genötigt, gerade aus Respekt vor dem Ernst, mit dem Sie das Wort Gericht meinen und meinen müssen, zu sagen, dass ich zwar auch etwas meine, wenn ich Gericht sage. Aber dies nicht meinen kann gleichsam als den Kausalzusammenhang von Sünde und Strafe. Dass ich den Zorn Gottes als ein gleichnishaftes Faktum sehe. Die Wirklichkeit Gottes ist die Gnade. Wir sind von der eigentlichen Fragestellung abgekommen. Aber vielleicht ist doch etwas geschehen.

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Die Brennpunkte der jüdischen Seele (Rede auf einer von den vier Judenmissionsgesellschaften deutscher Zunge einberufenen Studientagung in Stuttgart, März 19301 ) Sie haben mich aufgefordert, zu Ihnen über die Seele des Judentums zu sprechen. Ich bin dieser Aufforderung gefolgt, obwohl ich der Sache, die diese Ihre Tagung trägt, entgegen bin, und zwar entgegen nicht bloß »eben als Jude«, sondern auch in Wahrheit als Jude, d. h. als einer, der des Gottesreichs, des Reichs der E i n u n g , harrt und alle solche »Mission« als eine Verkennung seines Wesens und Hinderung seines Kommens sieht. Wenn ich trotzdem Ihrem Ruf gefolgt bin, so war es deshalb, weil ich meine, wenn man angerufen wird, eine Auskunft zu erteilen, habe man nicht zu fragen: »Warum habt ihr mich angerufen«, sondern man habe die Auskunft zu geben, so gut man kann, – und das ist meine Absicht. Es gibt aber einen wesentlichen Gegenstand innerhalb des Gebiets »Judentum«, über den zu Ihnen zu reden ich mich nicht befugt fühlen würde; das ist das »Gesetz«. Meine Anschauung dieses Gegenstands weicht von der überlieferten ab, sie ist gewiß kein Anomismus, aber auch kein Nomismus. Ich darf hier daher weder die Tradition vertreten, noch statt der gewünschten Auskunft eine persönliche Stellungnahme aussprechen. Doch scheint mir das Problem des Gesetzes gar nicht in das Thema zu gehören, das ich zu behandeln habe. Anders verhielte es sich, wenn mir obläge, die Lehre des Judentums darzulegen. Denn die Lehre des Judentums ist eine sinaitische, sie ist eine Moseslehre. Aber die S e e l e des Judentums ist vorsinaitisch, es ist die Seele, die an den Sinai h e r a n t r i t t und da empfängt, was sie empfängt, sie ist älter als Mose, sie ist urväterhaft, eine Abrahamsseele, besser noch (da es um das P r o d u k t eines urtümlichen Zeitalters geht): eine Jakobsseele. Das Gesetz tut sich ihr an und sie ist hinfort nie mehr jenseits seiner zu verstehen, aber sie selber ist nicht gesetzhaft. Wenn man von ihr reden will, muß man alle ihre Zeiten und Wandlungen bis auf diesen Tag betrachten, aber nie vergessen, daß immer noch sie es ist, sie auf ihrem Weg. 1.

Ich veröffentliche diese Rede hier und in dem demnächst im Schocken-Verlag erscheinenden Buch »Kampf um Israel«, um unzutreffenden Darstellungen den Wortlaut, soweit er noch – nach der Niederschrift eines Hörers – rekonstruiert werden konnte, entgegenzusetzen. Man wird sehen, daß ich nicht, wie Prof. Adolf Köberle, der nach mir über die Seele des Christentums sprach, meint (Die Seele des Christentums, Berlin 1932, S. 12), »wie ein feurig werbender Anwalt des modernen Lebensbewußtseins« geredet habe.

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Mit dieser Einschränkung jedoch ist die Aufgabe eher schwerer geworden. »Ich müßte Ihnen jetzt«, so schrieb Franz Rosenzweig 1917 an einen christlichen Freund jüdischer Herkunft, »das Judentum von innen zeigen, ähnlich hymnisch wie Sie mir, dem Draußenstehenden, das Christentum zeigen können: und aus demselben Grund, aus dem Sie es können, kann ich es nicht. Das Christentum hat seine Seele in seinen Äußerungen, das Judentum hat außen seine harte schützende Schale und von seiner Seele kann man nur drinnen reden.« Wenn ich es hier, also draußen, dennoch zu tun wage, kann ich nicht eine Darstellung dieser Seele im Sinn haben, sondern nur einige Hinweise auf ihr Grundverhalten. Daß dieses Grundverhalten nichts anderes ist als das Glaubensverhältnis, seiner menschlichen Seite nach erfaßt, brauche ich nicht zu erörtern. »Glaube« darf dabei freilich nicht so verstanden werden, wie ihn etwa der Hebräerbrief (11, 6) versteht: glauben, daß Gott ist. Das ist der Jakobsseele nie zweifelhaft gewesen: wenn sie ihren Glauben, ihre Emuna bekannte, so bekannte sie damit nur, sie v e r t r a u e dem seienden Gott, daß er, wie es der Stammvater erfuhr (I. Buch Mose 28, 20; 35, 3), b e i i h r d a s e i , und sie vertraue sich ihm, dem bei ihr Daseienden, an. Dieser Tiefe israelitischen Glaubensverhältnisses wird Franz Baader aus der Tiefe der deutschen Sprache gerecht, wenn er »Glauben als Geloben, d. h. als ein sich Verbinden, Vermählen, oder Eingehen« erklärt. Das Angelobtsein des Juden ist die Substanz seiner Seele. Da aber der, dem die Angelobung gilt, der lebendige Gott ist, der an der Unendlichkeit der Dinge und Begebnisse die Unendlichkeit seiner Erscheinungsträger hat, ist dies dem Angelobten Stachelung und Stetigkeit zugleich: in der Fülle der Manifestationen immer wieder den Einen wiederzuerkennen, dem man sich anvertraut, angelobt hat. Das Urwort, das von Gott aus auf dieses Wiedererkanntwerden hin gesagt ist, ist sein Spruch an Mose im brennenden Dorn: »Ich werde dasein als der ich dasein werde«. Er ist je und je da, je und je seiner Kreatur gegenwärtig, aber jeweils als der, als der er eben jetzt und hier da ist, so daß der Geist des Menschen nicht vorzuwissen vermag, im Gewande welcher Existenz und welcher Situation sich Gott je und je bezeigen wird. Es gilt, ihn in jedem seiner Gewänder wiederzuerkennen. Ich kann keinen Menschen schlechthin einen Heiden nennen, ich kenne nur Heidnisches im Menschen, aber insofern es Heidentum gibt, besteht es nicht darin, Gott nicht zu erkennen, vielmehr darin, ihn nicht als denselben wiederzuerkennen, wogegen es mir gleichsam das Jüdische im Menschen zu sein scheint, Gott je und je wiederzuerkennen. Von der jüdischen Seele also will ich, in einigen Hinweisen auf ihr Grundverhalten, zu Ihnen sprechen als von der Verdichtung dieses

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menschlichen Elements in volkhafter Art, als von dem volksgestaltigen Instrument solches Angelobtseins und Wiedererkennens. Ich sehe die Seele des Judentums elliptisch um zwei Brennpunkte schwingen. Der eine ist die Urerfahrung, daß Gott vom Menschen durchaus abgehoben, seiner Fassung durchaus entrückt, und daß er doch in unmittelbarer Beziehung eben diesem ihm in unbedingter Weise inkommensurablen Menschen gegenwärtig und zugewandt ist. Beides zugleich zu wissen, so daß das eine vom andern nicht getrennt werden kann, das macht das Leben im Kern jeder gläubigen Judenseele aus. Beides: »Gott im Himmel«, d. i. im absoluten Geheimnis, und der Mensch »auf Erden«, d. i. in der Gebrochenheit seiner Sinnen- und Verstandeswelt, Gott in der Vollkommenheit und Unbegreiflichkeit seines Wesens und der Mensch im abgründigen Widerspruch dieses wunderlichen Hierseins von Geburt zu Tod – und zwischen beiden das Unmittelbare! Wenn der naiv-fromme Jude auch noch des heutigen Ostens, dem jüdischen Frommen der vorchristlichen Zeit ähnlich (vgl. z. B. Weisheit Salomos 2, 16), diesen Gott »Väterlein« ruft, sagt er nicht etwas, was er gelernt hat, sondern eine Erkenntnis, die aus ihm selbst gewachsen ist, die der Vaterschaft und der Sohnschaft. Nicht als ob dieser Mensch nicht wüßte, daß Gott auch urfern ist, aber er weiß zugleich, daß die Gottferne niemals Gott unverbunden macht mit ihm, daß der gottfernste Mensch sich aus der Gegenseitigkeit nicht losschneiden kann. Er weiß, daß trotz der unbedingten Distanz zwischen Gott und Mensch das Ebenbildszeichen, das Gott dem Menschen schaffend an- und eingetan hat, zwar verblassen, aber nicht verwischt werden kann. Es ist das Zeichen, das nach der chassidischen Legende der Baalschem dem Dämon Samael, den er beschwor, auf den Stirnen der Jüngerschaft zeigte, und der Überwundne bat, als der Meister ihn nun gehen hieß: »Söhne des lebendigen Gottes, erlaubt mir noch eine Weile stehen zu bleiben und das Ebenbildzeichen der Gottheit auf euren Gesichtern anzuschauen!« Verwirklichung des Ebenbildes ist das eigentliche Gebot Gottes an den Menschen. »Furcht Gottes« bedeutet demgemäß dem Juden nie: sich vor Gott fürchten, sondern: erschauernd seiner Unbegreiflichkeit inne werden. Furcht Gottes ist das kreatürliche Wissen um das von keiner unsrer Geistesmächte zu berührende Dunkel, von dem aus Gott sich offenbart. Darum wird sie zu Recht »der A n f a n g der Erkenntnis« genannt. Sie ist das dunkle Tor, durch das der Mensch gehen muß, um in die Liebe Gottes zu kommen. Wer den Gang durch dieses Tor meiden will, wer also damit beginnt, sich einen erfaßlichen Gott zu besorgen, der so und nicht anders beschaffen sei, läuft Gefahr, in der Tatsächlichkeit des Geschichts-

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und Lebensverlaufs an ihm verzweifeln zu müssen oder der inneren Lüge zu verfallen. Nur durch die Furcht Gottes tritt der Mensch so in die Liebe Gottes, daß er aus ihr nicht mehr geworfen werden kann. Aber Furcht Gottes ist eben ein Tor, sie ist nicht ein Haus, in dem man sich wohnlich einrichten kann; wer darin verweilen wollte, würde in der Anbetung die Erfüllung jenes eigentlichen Gebots versäumen. Gott ist unbegreiflich, aber er ist erkennbar in der Verbundenheit mit ihm. Gott ist nicht wißbar, aber er ist nachahmbar. Das Leben des gottungleichen Menschen kann doch in der imitatio Dei gelebt werden. Ihm, dem Ungleichen, ist doch das »Gleichnis« nicht verschlossen. Es ist letzter Ernst, wenn die Schrift den Menschen anweist, auf Gottes Weg, in seine Fußstapfen zu treten. Der Mensch kann aus eigner Kraft keinen Weg, kein Wegstück vollbringen, aber er kann den Weg betreten, er kann diesen ersten, immer wieder diesen ersten Schritt tun. Der Mensch kann nicht »wie Gott sein«, aber in aller Unzulänglichkeit einer jeden seiner Stunden kann er in jeder, mit dem Vermögen dieser Stunde, Gott nachfolgen, – und wenn er dem Vermögen dieser seiner Stunde genugtut, hat er genug getan. Das ist nicht ein bloßer Glaubensakt, es ist ein Eingehen in das in dieser Stunde zu Lebende mit der ganzen Tätigkeitsfülle der geschöpflichen Person. Dieses Eingehen v e r m a g der Mensch: unverkümmert, unverkümmerbar ist das Vermögen von Geschlecht zu Geschlecht immer wieder da. Auch keinem urzeitlichen »Sündenfall«, so folgenreich er ist, billigt Gott die Macht zu, dieses zentrale Bestimmungsgut zu verkürzen: die göttliche Schöpfungsintention ist mächtiger als die Sünde des Menschen. Das Wissen um Schöpfung und Geschöpflichkeit sagt dem Juden, daß es wohl Belastung durch Urzeit und Zeit, aber keine übermächtige Erbsünde gibt, die ihn, den Spätgeborenen, hinderte, im Entscheidenden frei wie Adam zu sein und, wie Adam frei Gottes Hand fahren ließ, so frei sie zu ergreifen. Wir sind auf die Gnade gewiesen; aber wir tun Gottes Willen nicht, wenn wir uns unterfangen, bei ihr statt bei uns zu beginnen. Unser Beginnen, unser Begonnenhaben, eben es in seiner Not und nur es, führt uns der Gnade zu. Gott hat sich keine Werkzeuge gemacht, er bedarf keiner; er hat sich Partner des Weltzeit-Gesprächs erschaffen, gesprächsfähige Partner. In diesem Gespräch redet Gott jeden Menschen mit dem Leben an, das er ihm gibt und immer wieder gibt. So kann der Mensch ihm nur mit dem ganzen Leben – damit, wie er dieses ihm gegebene Leben lebt – entgegnen. Der jüdischen Einheitslehre von Gott entspricht die jüdische Ganzheitslehre vom Leben. Da Gott dem Menschen nicht bloß den Geist, sondern das Dasein, von dessen »Unterstem« bis zu dessen »Oberstem«, verleiht, kann das Partnertum des Menschen sich in keiner Geisteshal-

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tung, in keiner Andacht erfüllen, in keinem heiligen Obergeschoß, es bedarf des ganzen Lebens dazu, all seiner Bezirke und Verhältnisse. Es gibt keinen echten menschlichen Anteil am Heiligen ohne die Heiligung des Alltags. Indem das Judentum sich in seiner Glaubensgeschichte entfaltet, solange es sich in ihr entfaltet, steht es immer entschiedener gegen die »Religion« als gegen den Versuch, Gott, der das Ganze anspricht und beansprucht, mit einem festgesetzten Teil abzufinden. Aber diese Entfaltung des Judentums ist wirklich dies und nicht eine Veränderung. Am Beispiel des Opferkults sei erläutert, was damit gemeint ist. Von den beiden Grundelementen des biblischen Tieropfers ist das eine die Sakralisierung des natürlichen Lebens: wer ein Tier schlachtet, weiht der Gottheit davon zu und heiligt so sein Essen. Das andere Grundelement ist die Sakramentalisierung der vollständigen Lebenshingabe; das sind die Opferarten, bei denen der Opfernde die Hände auf den Kopf des Tieres stemmt, um sich mit ihm zu identifizieren, und so leiblich äußert, daß er in der Kreatur sich selber darzubringen im Sinn hat. Wer jenes ohne dieses, ohne die Ausrichtung der Seele vollzieht, verkehrt den Kult ins Sinnlose, ja Sinnwidrige; ihm gilt der Kampf der Propheten gegen den entseelten Opferdienst. Im Judentum der Diaspora tritt an die Stelle des Opfers das Gebet; aber es wird auch um die Wiederherstellung des Kults, als um die Wiederkehr der heiligen Einheit von Geist und Leib, gebetet. Und in der Vollendung des Diaspora-Judentums, in der chassidischen Frömmigkeit, verbinden sich jene beiden Grundelemente zu einer neuen und doch den Sinn der Ursprünglichkeit erfüllenden Konzeption: wenn der gereinigte und geheiligte Mensch in Reinheit und Heiligkeit Speise aufnimmt, dann ist das Essen ein Opfern, der Tisch ein Altar, und der Mensch weiht sich selber der Gottheit zu. Hier ist kein Abstand mehr zwischen dem Natürlichen und dem Sakralen; und hier tut keine Stellvertretung mehr not; hier ist der natürliche Vorgang selber Sakrament geworden. Das Heilige strebt darnach, das ganze Leben zu erfassen. Das Gesetz scheidet zwischen dem Heiligen und dem Profanen, aber es will zur messianischen Aufhebung der Scheidung, zur Allheiligung hinleiten; und die chassidische Frömmigkeit erkennt nichts schlechthin und unüberwindlich Profanes mehr an: »das Profane« ist ihr nur eine Bezeichnung für das noch nicht Geheiligte, aber zu Heiligende. Alles Körperliche, alles Triebhafte, alles Kreatürliche ist Materie der Heiligung. Aus derselben Leidenschaftsgewalt, die, richtungslos verbleibend, das Böse erzeugt, ersteht, wenn sie die Richtung auf Gott empfängt, das Gute. Man dient eben Gott nicht mit dem Geist, sondern mit der ganzen Wesenswirklichkeit ohne Abstrich. Es gibt nicht ein Reich des Geistes und ein Reich der Natur, es gibt nur ein werdendes Reich Gottes, und Gott ist nicht Geist, son-

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dern was wir Geist nennen und was wir Natur nennen stammt gleicherweise von dem beiden in gleicher Unbedingtheit überlegenen Gott, dessen Reich in der vollkommenen Einheit von Geist und Natur seine Fülle gewinnt. Der andere Brennpunkt der jüdischen Seele ist das Grundgefühl, daß die erlösende Kraft Gottes überall und immer wirkt und daß doch nirgend und niemals ein Erlöstsein besteht. Der Jude erfährt als Person, was jeder aufgeschlossene Mensch als Person erfährt: in der Stunde der tiefsten Verlassenheit das Angewehtwerden von drüben her, die Nähe, die Berührung, die Heimlichkeit des Lichtes aus der Finsternis; und der Jude erfährt als Teil der Welt, so heftig wie vielleicht kein Teil der Welt sonst, ihre Unerlöstheit. Er spürt diese Unerlöstheit an seiner Haut, er schmeckt sie mit seiner Zunge, die Last der unerlösten Welt liegt auf ihm. Von diesem seinem leiblichen Wissen aus k a n n er nicht zugeben, daß die Erlösung geschehen sei: er weiß, daß sie nicht geschehen ist. Wohl vermag er in der geschehenen Geschichte Vorbildungen der Erlösung zu erblikken, aber eben nur jene immer und überall wirkende Heimlichkeit des Lichtes aus der Finsternis, nicht eine artandere, wesenhaft einmalige, zukunftentscheidende, die nur noch zu ihrem Ende zu führen wäre. Und vollends könnte es ihm nur durch Verengung seines Sinns und seiner Sendung möglich werden, eine Vorwegnahme als erfolgt anzuerkennen, durch die in einer unerlöst verbliebenen Welt die menschliche Seele oder gar nur die Seele des in einer bestimmten Bedeutung gläubigen Menschen erlöst worden wäre. Mit einer Kraft, die Urgnade in ihn getan und keins der Gerichte ihm entzogen hat, wehrt sich der Jude gegen die radikale Scheidung von Seele und Welt, die dieser Vorstellung zugrunde liegt; er wehrt sich gegen das Bild einer göttlichen Zerspaltung des Daseins; er wehrt sich am leidenschaftlichsten gegen den furchtbaren Begriff einer massa perditionis. Der Gott, an den er glaubt, hat das All nicht dazu erschaffen, um es in eine selige und eine verdammte Hälfte auseinanderbrechen zu lassen; wohl ist seine Ewigkeit vom Menschen nicht zu fassen, aber es kann – so wissen wir Juden bis in unsre Sterbestunde – keine Ewigkeit sein, in der nicht a l l e s in seine Versöhnung aufgenommen wäre, wenn er die Zeit in die Ewigkeit zurückgenommen hat. Gibt es aber ein Stadium der Welterlösung, in dem sie sich erst an einem Te i l der Welt erfüllt, so leiten wir aus unserem Glauben keinen Anspruch auf Erlöstwerden ab, geschweige denn aus sonst einem Bestand. »Und willst du Israel noch nicht erlösen, so erlöse doch die Gojim allein!« pflegte der Kosnitzer Rabbi zu beten. Man könnte mir entgegenhalten, daß es doch im Judentum eine andere Eschatologie gegeben habe als die von mir gekennzeichnete, neben der prophetischen die apokalyp-

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tische. Es ist in der Tat wichtig, sich den Unterschied beider zu vergegenwärtigen. Der prophetische Endzeitglaube ist in allem wesentlichen autochthon, der apokalyptische ist in allem wesentlichen aus Elementen des iranischen Dualismus aufgebaut. Demgemäß verheißt jener eine Vollendung der Schöpfung, dieser ihre Aufhebung, ihre Ablösung durch eine andere, schlechthin andersartige Welt; jener läßt die jetzt richtungslosen Mächte, das »Böse«, die Richtung auf Gott finden und sich ins Gute einwandeln, dieser sieht am Ende der Tage Gut und Böse endgültig getrennt, das eine erlöst, das andre auf ewig unerlösbar; jener glaubt an die Heiligung der Erde, dieser verzweifelt an der hoffnungslos verderbten; jener läßt den schöpferischen Urwillen Gottes sich ohne Rest erfüllen, dieser das ungetreue Geschöpf über den Schöpfer mächtig sein, indem es ihn zwingt, die Natur preiszugeben. Es hat eine Zeit gegeben, in der es unsicher erscheinen mußte, ob die aktuelle Apokalyptik nicht dem überlieferten prophetischen Messianismus obsiegen würde; es ist zu vermuten, daß, wäre dies geschehen, das Judentum seinen zentralen Glauben nicht überlebt hätte – es wäre ausgesprochenerweise oder unmerklich in dem von jenem Dualismus so stark beeinflußten Christentum aufgegangen. Indem die Tannaiten in einer Epoche ohne Prophetie dem prophetischen Messianismus zum Triumph über die Apokalyptik verhalfen, retteten sie das Judentum. Noch ein wichtiges Merkmal aber scheidet die beiden Gestaltungen jüdischen Endzeitglaubens. Die Apokalyptiker wollen ein unabänderlich feststehendes künftiges Ereignis voraussagen; auch damit wurzeln sie in iranischen Vorstellungen, die die Geschichte in gleichmäßige Jahrtausendzyklen einteilten und das Weltende, den Endsieg des Guten über das Böse, zahlengenau vorbestimmten. Anders die Propheten Israels: sie weissagen »auf die Umkehrenden hin«, d. h. sie sagen nicht etwas an, was auf jeden Fall geschehen werde, sondern etwas, was geschehen werde, wenn die zur Umkehr Aufgerufenen nicht umkehren. Geradezu paradigmatisch berichtet das Buch Jona, was Prophetie ist. Nachdem er umsonst versucht hat, dem Auftrag Gottes zu entfliehen, wird Jona von ihm mit der Prophezeiung des Untergangs nach Ninive geschickt. Aber Ninive kehrt um – und Gott wendet das Verhängnis. Jona verdrießt es, daß das Wort, um dessen willen der Herr seinen Widerstand gebrochen hatte, nun zunichte gemacht worden ist; wird man gezwungen zu prophezeien, so müßte es dabei bleiben; aber Gott meint es anders, er will keine Wahrsager beschäftigen, sondern Boten an Menschenseelen, – an Menschenseelen, die zu entscheiden vermögen, welchen Weg sie beschreiten, und durch deren Entscheidung mitentschieden werden darf, was mit der Welt geschehen soll. Der Umkehrende wirkt mit an der Erlösung der Welt.

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Das Partnertum des Menschen in dem großen Zwiegespräch hat hier seine höchste Realität. Es ist nicht so, als ob eine bestimmte Tat des Menschen die Gnade herniederziehen könnte; und doch erwidert die Gnade der Tat, in unvorhersehbarem Walten, unerreichlich und doch sich nicht versagend. Es ist nicht so, als ob der Mensch dies oder jenes zu tun hätte, um die Erlösung der Welt zu »beschleunigen«, – »wer glaubt, wird nicht beschleunigen wollen« (Jesaja 28, 16); und doch wirkt der Umkehrende an der Erlösung der Welt mit. Diese der Kreatur zugewiesene Teilnahme steht im Geheimnis. »Heißt das, Gott könne seine Welt nicht ohne ihre Mitwirkung erlösen? Es heißt, daß Gott eben das nicht können will. Braucht Gott den Menschen zu seinem Werk? Er will ihn brauchen.« Wer hier von Aktivismus spricht, mißkennt das Geheimnis. Die Tat ist keine äußere, Gebärde. »Der Schofar«, sagt ein haggadisches Wort, »auf dem Gott an jenem Tag blasen wird, wird aus dem rechten Horn des Widders sein, der einst Isaak beim Opfer vertrat«. Der »Knecht«, den Gott »zu einem blanken Pfeil« macht, um ihn dann scheinbar ungenützt in seinem Köcher zu bergen (Jesaja 49, 2), der in die Verborgenheit gebannte Mensch, nicht einer, sondern diese Menschenart wiederkehrend Geschlecht um Geschlecht, der im Schatten der Gotteshand Versteckte, der »auf der Gasse seine Stimme nicht hören lässt« (42, 2), er, der im Dunkel um Gottes willen leidet (53), er eben ist es, der den Weltstämmen zum Licht gegeben ist, daß Gottes »Freiheit werde bis an den Rand des Erdreichs« (49, 6). Als ein Geheimnis der Verborgenheit, auch im Verhältnis der Person zu sich selber, geht das Geheimnis der Tat, des menschlichen Anteils an der Bereitung der Erlösung, durch das Dunkel der Zeiten, bis es einst ins Offenbare emportritt. Auf die Frage, warum der Messias nach der Überlieferung am Jahrestag der Zerstörung Jerusalems geboren werden solle, antwortet ein chassidischer Rabbi: »Die Kraft kann nicht auferstehn, wenn sie nicht in die große Verborgenheit eingeht … In der Schale des Vergessens wächst die Macht des Gedächtnisses. Das ist die Macht der Erlösung. Im Tag der Zerstörung, da liegt die Macht auf dem Grunde und wächst. Darum sitzen wir an diesem Tag am Boden, darum gehen wir an diesem Tag auf die Gräber, darum wird an diesem Tag der Messias geboren.« Diese zwei Brennpunkte der jüdischen Seele, die auch noch für den »säkularisierten« Juden, soweit er nicht entseelt ist, fortbestehn, wiewohl ihrer eigentlichen Namen beraubt, die Unmittelbarkeit zum Seienden und das Wirken der versöhnenden Kraft in einer unversöhnten Welt, mit andern Worten: die Inkarnationslosigkeit des dem »Fleisch« sich offenbarenden und ihm in der gegenseitigen Beziehung gegenwärtigen Gottes und die Zäsurlosigkeit der auf Erfüllung ausgerichteten und immerdar

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Entscheidung erfahrenden Menschengeschichte sind das letztlich Sondernde zwischen Judentum und Christentum. Wir »einen« Gott, indem wir lebens- und sterbensmäßig seine Einheit bekennen; wir einen uns ihm nicht. Der Gott, den wir glauben, dem wir angelobt sind, vereint sich nicht mit menschlicher Substanz auf Erden. Eben das aber, daß wir nicht vermeinen, uns ihm einen zu können, befähigt uns, so inbrünstig danach zu verlangen, »daß die Welt in der Königsherrschaft des Gewaltigen zurechtgebracht werde«. Wir spüren das Heil geschehen; und wir verspüren die ungeheilte Welt. Uns ist nicht an einem Punkt der Geschichte ein Heiland erschienen, daß eine neue, erlöste mit ihm begänne. Da nichts Gekommenes uns beruhigt hat, sind wir ganz ausgerichtet auf das Kommen des Kommenden. So von euch gesondert, sind wir euch beigegeben. »Denn ihr«, schreibt Franz Rosenzweig in dem angeführten Brief, »die ihr in einer ecclesia triumphans lebt, habt einen stummen Diener nötig, der euch allemal, wenn ihr in Brot und Wein Gott g e n o s s e n zu h a b e n glaubt, zuschreit: Herr, gedenke der letzten Dinge!« Was ist uns und euch gemeinsam? Wenn wir es völlig konkret fassen: ein Buch und eine Erwartung. Für euch ist das Buch ein Vorhof, für uns ist es das Heiligtum. Aber in diesem Raum dürfen wir gemeinsam weilen, gemeinsam die Stimme vernehmen, die in ihm spricht. Das bedeutet, daß wir gemeinsam arbeiten können an der Hervorholung der verschütteten Gesprochenheit dieses Sprechens, an der Auslösung des eingebannten lebendigen Worts. Eure Erwartung geht auf eine Wiederkehr, unsre auf das unvorweggenommene Kommen. Für euch ist die Phrasierung des Weltgeschehens von einer unbedingten Mitte, jenem Jahr Null, aus bestimmt; für uns ist es eine einheitlich gestreckte Tonfolge, ohne Einhalt von einem Ursprung zu einer Vollendung strömend. Aber wir können des Einen Kommenden gemeinsam harren, und es gibt Augenblicke, da wir ihm gemeinsam die Straße bahnen dürfen. Vormessianisch sind wir schicksalsmäßig getrennt. Da ist der Jude für den Christen unverständlich als der Verstockte, der nicht sehen will, was sich begeben hat, unverständlich der Christ dem Juden als der Verwegene, der in der unerlösten Welt ihre vollzogne Erlösung behauptet. Das ist eine von keiner Menschenmacht überbrückbare Spaltung. Aber sie verwehrt nicht das gemeinsame Ausschauen in eine von Gott her kommende Einheit, die, all eurer und unsrer Vorstellbarkeit enthoben, das Eure und das Unsre bestätigt und verwirft, verwirft und bestätigt, und alle Glaubenswahrheiten der Erde durch die Seinswahrheit des Himmels ersetzt, die Eine ist.

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Euch und uns geziemt es, den eignen Wahrheitsglauben, das heißt: das eigne Realverhältnis zur Wahrheit, unverbrüchlich festzuhalten; und euch und uns geziemt die gläubige Ehrfurcht vor dem Wahrheitsglauben des andern. Das ist nicht, was man »Toleranz« nennt: es ist nicht an dem, das Irren des andern zu dulden, sondern sein Realverhältnis zur Wahrheit anzuerkennen. Sobald es uns, Christen und Juden, wirklich um Gott selber und nicht bloß um unsre Gottesbilder zu tun ist, sind wir, Juden und Christen, in der Ahnung verbunden, daß das Haus unsres Vaters anders beschaffen ist, als unsre menschlichen Grundrisse meinen.

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Brief an Ernst Michel Sie schicken mir, lieber Freund, den in der RMV. vom 4. April erschienenen, der Beachtung würdigen Aufsatz von Pfarrer Eckert über 2. Mos. 21, 24 und Matth. 5, 38 und fragen mich, ob ich der darin vertretenen Auffassung des alttestamentlichen Textes zustimmen kann. Was 2. Mos. 21, 241 zur Zeit der Niederschrift im Zusammenhang der biblischen Urkunde besagte, ist strittig. Es sind aber (insbesondere von B. Jacob in seinem Buch »Auge um Auge«, Berlin 1929) gewichtige Gründe dafür geltend gemacht worden, daß es sich um symbolische GeldbußeBezeichnungen handelt, daß also jemand, der seinem Mitmenschen z. B. eine Beule beibrachte, nicht selber eine zu empfangen, sondern jenem eine »Beule«, d. h. die ihr entsprechende Ersatzzahlung zu leisten hatte. Nur bei einem Mord wird (4. Mos. 35, 31) keine Abgeltung durch »Bedeckungsgeld« zugelassen. Nicht strittig jedoch, sondern eindeutig feststehend ist, daß die jüdische Tradition im Zeitalter Jesu die alttestamentlichen Texte eben so, also nicht im Sinn eines ius talionis 2 verstanden hat. Das talmudische Gesetz (Mischna, Traktat Baba Kamma VIII. 1, vgl. babyl. Talmud im gleichen Traktat 84a, Mechilta zu 2. Mos. 21, 24) bestimmt unter Berufung auf die Schriftstellen nur Geldbußen und deren Abschätzung von den zugefügten Verletzungen aus. Die jüdische Gemeinschaft, in der Jesus lebte, hat somit auf jeden Fall ein Vergeltungsrecht des »Gleich um Gleich« nicht gekannt. Pfarrer Eckert führt weiter einen andern Satz der Bergpredigt an: »Ihr habt gehört, daß gesagt wurde: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.« Es ist zu verstehen, daß die neutestamentliche Forschung bezweifelt hat, ob die Worte »und deinen Feind hassen« von Jesus gesprochen worden sind. Im Alten Testament sind nämlich weder sie noch irgend etwas ihnen Aehnelndes zu finden; vielmehr wird, daß man auch dem Feinde sich hilfreich erzeigen soll, 2. Mos. 23, 4 f. und an mehreren anderen Stellen in unmißdeutbarer Weise geboten. Dem Vers Mos. 19, 18, in dem die von Luther mit »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« übersetzten Worte – richtiger: »Halte lieb deinen Genossen, dir gleich« – enthalten sind, geht einer voraus, in dem es heißt: »Hasse nicht deinen Bruder in deinem Herzen.« Man hat gemeint, das Wort rea, das durch Nächster, Genosse wiedergegeben ist, beziehe sich nur auf den 1. 2.

2. Mos. 21, 23 ff.: »Entsteht jedoch ein schwerer Unfall, dann soll er Leben für Leben geben – Aug um Aug, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Beule um Beule.« (Uebersetzung von Paul Rießler.) Recht der gleichen Wiedervergeltung am Körper.

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Volksgenossen. Daß diese Meinung falsch ist, geht aus Stellen wie 2. Mos. 11, 2 hervor, wo rea Volksfremde allein bezeichnet. Rea bedeutet einfach den Menschen, mit dem man im Umkreis des gesellschaftlichen Zusammenlebens jeweils zu tun hat. Damit aber auch ja kein Zweifel walten könne, daß das Lebensgebot den Stammesfremden im Land, den »Gastsassen«, mitumfaßt, heisst es unter Verwendung des gleichen Wortgefüges 3. Mos, 19, 33 f.: Wenn ein Gastsasse bei dir in eurem Lande gastet, plackt ihn nicht, wie ein Sproß von euch sei der Gastsasse, der bei euch gastet, halte lieb ihn, dir gleich. Und nochmals, im höchsten religiösen Pathos, 5. Mos., 10, 17 ff.: Denn ER euer Gott, er ist der Gott der Götter, der Herr der Herren, die große, die heldische, die umschauerte Gottheit, er der Ansehn nicht gelten läßt und Beschenkung nicht annimmt, der der Waise und Witwe Recht schafft, der den Gastsassen liebt, ihm Brot und Gewand zu geben. So liebet den Gast, denn Gastsassen wart ihr im Land Aegypten. Aber nicht bloß im Alten Testament, auch im späteren jüdischen Schrifttum, zu Jesu Zeit und danach wird nirgends geboten oder auch nur erlaubt, den Feind zu hassen. Das Judentum kennt, wie keine Lehre der Vergeltung, so auch keine Lehre des Hasses. Das Wort der Bergpredigt vom Feindeshaß mag sich auf einen von heidnischer Vulgärmoral beeinflußten Volksspruch beziehen. Der Glaubenslose ist stets geneigt, den zu hassen, in dem er seinen »Feind« erblickt. Wer aber im Glauben lebt, Jude oder Christ, kann sich, wie von einem Meister des Talmuds berichtet wird (babyl. Talmud, Traktat Megilla 28 a) an keinem Abend dem Schlaf anheimgeben, ohne gebetet zu haben: »Jedem werde vergeben, der mir zuleide getan hat.« Ihr Martin Buber.

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Gespräch um Gott Ber icht über zwei Meinung skämpfe Vo n M a r t i n B u b e r Ich will von zwei Meinungskämpfen erzählen. Einem, der scheinbar so zu Ende kam, wie nur irgendein Gespräch zu Ende kommen kann, und der doch in Wahrheit unausgetragen blieb; und einem, der scheinbar abgebrochen wurde, und der doch eine Vollendung gefunden hat, wie sie Gesprächen nur selten zuteil wird. Beidemal war’s ein Kampf um Gott, um den Begriff, um den Namen, aber in sehr verschiedener Weise.

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An drei aufeinander folgenden Abenden sprach ich in der Volkshochschule einer mitteldeutschen Industriestadt über den Gegenstand: »Religion als Wirklichkeit«. Was ich damit meinte, war eine einfache Feststellung: daß »Glaube« nicht ein Gefühl in der Seele des Menschen ist, sondern sein Eintritt in die Wirklichkeit, in die g a n z e Wirklichkeit ohne Abstrich und Verkürzung. Diese Feststellung ist einfach, aber sie widerspricht der Denkgewohnheit. Und so bedurfte es, um sie deutlich zu machen, dreier Abende, und zwar nicht bloß dreier Vorträge, sondern auch noch dreier Aussprachen, die auf sie folgten. Bei diesen Aussprachen fiel mir etwas auf und war mir beschwerlich. Einen großen Teil der Hörerschaft machten ersichtlich Arbeiter aus; aber keiner von ihnen ergriff das Wort. Die Redenden, die Fragen, Zweifel, Bedenken vorbrachten, waren zumeist Studenten (denn die Stadt hat eine berühmte alte Universität); doch auch allerlei andere Kreise waren vertreten; nur die Arbeiter schwiegen. Erst am Schluß des dritten Abends klärte sich der mir schon schmerzlich gewordene Umstand auf. Ein junger Arbeiter trat auf mich zu und sagte: »Wissen Sie, wir mögen da so mitten drin nicht sprechen, aber wenn Sie sich morgen mit uns zusammensetzen wollen, könnten wir das Ganze mal miteinander bereden.« Selbstverständlich stimmte ich zu. Der nächste Tag war ein Sonntag. Nach dem Mittagessen kam ich an den vereinbarten Ort, und nun redeten wir miteinander wohl bis an den Abend. Unter den Arbeitern war einer, ein nicht mehr junger Mann, den ich immer wieder ansehen mußte, weil er zuhörte wie einer, der wirklich hören will. Das ist nämlich selten geworden, und am ehesten noch unter Arbeitern zu finden, denen es ja nicht um die redende Person zu tun ist, wie dem bürgerlichen Publikum so oft, sondern um das, was sie zu sagen hat. Zu dem Mann gehörte ein kurioses Gesicht; auf einem altflämischen Al-

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tarbild, das die Anbetung der Hirten darstellt, hat einer der drei solch ein Gesicht, der streckt die Arme der Krippe entgegen. Der Mann mir gegenüber sah nicht so aus, als ob er zu dergleichen Lust hätte; auch sein Gesicht war nicht aufgeschlossen wie das auf dem Bild; aber anzumerken war ihm, daß er hörte und bedachte, beides auf eine ebenso langsame wie nachdrückliche Weise. Schließlich tat auch er die Lippen auf. »Ich habe«, erklärte er langsam und nachdrücklich, eine Wendung wiederholend, die der Astronom Laplace im Gespräch mit Napoleon gebraucht haben soll, »die Erfahrung gemacht, daß ich diese Hypothese ›Gott‹ nicht brauche, um mich in der Welt auszukennen«. Er sprach das Wort »Hypothese« so aus, als hätte er die Vorlesungen des bedeutenden Naturforschers besucht, der in dieser Industrie- und Universitätsstadt gelehrt hatte und kurz vorher, fünfundachtzigjährig, gestorben war; der mochte, wenn er nicht Zoologie, sondern Weltanschauung trieb, in ähnlichem Tonfall reden, wiewohl er für die Idee, die er sich von der Natur machte, die Bezeichnung »Gott« nicht verschmähte. Der knappe Spruch des Mannes betraf mich; ich fühlte mich tiefer als von den andern angefordert, herausgefordert. Bisher hatten wir zwar sehr ernst, aber auf eine etwas lockere Weise verhandelt; nun war alles auf einmal streng und hart geworden. Von wo her sollte ich dem Mann antworten, damit ihm geantwortet war? Ich überlegte eine Weile in der streng gewordenen Luft. Es ergab sich mir, daß ich von seiner naturwissenschaftlichen Weltanschauung aus die Sicherheit erschüttern mußte, mit der er an eine »Welt« dachte, in der man »sich auskennt«. Was war das für eine Welt? Was wir Welt zu nennen pflegen, die Welt, in der es Zinnoberrot und Grasgrün, C-Dur und H-Moll, Apfel- und Wermutgeschmack gibt, die »Sinnenwelt« – war sie etwas anderes als das Ergebnis des Zusammentreffens unserer eigentümlich beschaffenen Sinne mit jenen unergründbaren Vorgängen, um deren Wesensbestimmung die Physik sich je und je vergeblich bemüht? Das Rot, das wir sahen, war weder dort, in den »Dingen«, noch hier, in den »Seelen« – aus dem Aneinandergeraten beider schlug es jeweils auf und leuchtete so lange, als eben ein rotempfindendes Auge und eine roterzeugende Schwingung sich einander gegenüber befanden. Wo blieb die Welt und ihre Sicherheit? Die unbekannten »Objekte« dort, die scheinbar so bekannten und doch unerfaßlichen »Subjekte« hier, und beider so wirkliche und doch so hinschwindende Begegnung, die »Erscheinungen« – waren das nicht schon drei Welten, die gar nicht mehr von einer einzigen zu umgreifen waren? Was war der »Ort«, in dem wir uns diese voneinander so abgehobenen Welten miteinander zu denken vermochten? Was war das Sein, das dieser so fragwürdig gewordenen »Welt« ihren Halt gab?

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Als ich am Ende war, waltete in dem nun dämmernden Raum ein hartes Schweigen. Dann hob der Mann mit dem Hirtengesicht die schweren Lider, die die Zeit über gesenkt geblieben waren, zu mir und sagte langsam und nachdrücklich: »Sie haben recht.« Bestürzt saß ich ihm gegenüber. Was hatte ich getan? Ich hatte den Mann an die Schwelle des Gemachs geführt, in dem das majestätische Gebild thront, das der große Physiker, der große Gläubige Pascal den Gott der Philosophen nennt. Hatte ich das gewollt? War der, zu dem ich ihn hinführen wollte, nicht der Andere, der, den Pascal den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs nennt, der, zu dem man Du sagen kann, der, zu dem man beten kann? Es dämmerte, es war spät. Am nächsten Morgen mußte ich abreisen. Ich konnte nicht, wie ich nun hätte eigentlich tun müssen, dableiben, in die Fabrik eintreten, wo der Mann arbeitete, sein Kamerad werden, mit ihm leben, sein lebensmäßiges Vertrauen gewinnen, ihm helfen, gemeinsam mit mir den Weg der Kreatur zu gehen, die die Schöpfung a n n i m m t . Ich konnte nur noch seinen Blick erwidern.

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Einige Zeit danach war ich bei einem edlen alten Denker zu Gast. Ich hatte ihn einst bei einer Tagung kennen gelernt, wo er einen Vortrag über die Volksschule und ich einen über die Volkshochschule hielt; das brachte uns zusammen, denn wir waren einig darin, daß man das Wort »Volk« beidemal im gleichen umfassenden Sinn zu verstehen habe. Damals hatte es mich freudig überrascht, wie der Mann mit den stahlgrauen Locken uns zu Beginn seiner Rede ersuchte, alles zu vergessen, was wir von seinen Büchern her über seine Philosophie zu wissen glaubten: in den letzten Jahren – und das waren die Kriegsjahre gewesen – sei ihm die Wirklichkeit so nah gerückt, daß er alles habe neu besehen und dann eben auch neu bedenken müssen. Altsein ist ja ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was a n f a n g e n heißt; dieser alte Mann hatte es vielleicht gar im Alter erst gründlich erlernt; er tat gar nicht jung, er war wirklich so alt wie er war, aber auf eine junge, anfangskundige Weise. Er lebte in einer andern, westlicher gelegenen Universitätsstadt. Als mich die dortige Theologenschaft einlud, zu ihr über Prophetie zu sprechen, wohnte ich bei dem alten Mann. Es war ein guter Geist in seinem Haus: der Geist, der ins Leben will und dem Leben nicht vorschreibt, wo es ihn einlassen soll. An einem Morgen stand ich früh auf, um Korrektur zu lesen. Am Abend vorher hatte ich Bürstenabzüge der Vorrede eines Buches von mir bekommen, und da diese Vorrede ein Bekenntnis war, wollte ich sie recht sorgfältig noch einmal lesen, ehe sie gedruckt wurde. Nun nahm ich sie in

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das Arbeitszimmer hinunter, das mir für den Fall, daß ich es brauchen würde, angeboten war. Hier aber saß schon der alte Mann an seinem Schreibtisch. Unmittelbar an den Gruß knüpfte er die Frage, was ich da in der Hand hätte, und als ich es ihm sagte, fragte er weiter, ob ich ihm nicht vorlesen wolle. Ich tat es gern. Er hörte freundlich, aber offenbar erstaunt, ja mit offenbar wachsendem Befremden zu. Als ich geendet hatte, sagte er zögernd, dann, von dem gewichtigen Anliegen hingerissen, immer leidenschaftlicher: »Wie bringen Sie das fertig, so Mal um Mal ›Gott‹ zu sagen? Wie können Sie erwarten, daß Ihre Leser das Wort in der Bedeutung aufnehmen, in der Sie es aufgenommen wissen wollen? Was Sie damit meinen, ist doch über alles menschliche Greifen und Begreifen erhoben, eben dieses Erhobensein meinen Sie, aber indem Sie’s aussprechen, werfen Sie es dem menschlichen Zugriff hin. Welches Wort der Menschensprache ist so mißbraucht, so befleckt, so geschändet worden wie dieses! All das schuldlose Blut, das um es vergossen wurde, hat ihm seinen Glanz geraubt. All die Ungerechtigkeit, die zu decken es herhalten mußte, hat ihm sein Gepräge verwischt. Wenn ich das Höchste ›Gott‹ nennen höre, kommt mir das zuweilen wie Gotteslästerung vor.« Die kindlich klaren Augen flammten. Die Stimme selber flammte. Dann saßen wir eine Weile schweigend einander gegenüber. Die Stube lag in der fließenden Helle des Frühmorgens. Mir war es so, als zöge aus dem Licht eine Kraft in mich ein. Was ich nun entgegnete, kann ich heute nicht wiedergeben, nur noch andeuten. »Ja«, sagte ich, »es ist das beladenste aller Menschenworte. Keins ist so besudelt, so zerfetzt worden. Gerade deshalb darf ich darauf nicht verzichten. Die Geschlechter der Menschen haben die Last ihres geängstigten Lebens auf dieses Wort gewälzt und es zu Boden gedrückt; es liegt im Staub und trägt ihrer aller Last. Die Geschlechter der Menschen mit ihren Religionsparteiungen haben das Wort zerrissen; sie haben dafür getötet und sind dafür gestorben; es trägt ihrer aller Fingerspur und ihrer aller Blut. Wo fände ich ein Wort, das ihm gliche, um das Höchste zu bezeichnen! Nähme ich den reinsten funkelndsten Begriff aus der innersten Schatzkammer der Philosophen, ich könnte darin doch nur ein unverbindliches Gedankengebild einfangen, nicht aber die Gegenwart dessen, den ich meine, dessen, den die Geschlechter der Menschen mit ihrem ungeheuren Leben und Sterben verehrt und erniedrigt haben. Ihn meine ich ja, ihn, den die höllengepeinigten, himmelstürmenden Geschlechter der Menschen meinen. Gewiß, sie zeichnen Fratzen und schreiben ›Gott‹ darunter; sie morden einander und sagen ›in Gottes Namen‹. Aber wenn aller Wahn und Trug zerfällt, wenn sie ihm gegenüberstehn im einsamsten Dunkel und nicht mehr ›Er, er‹ sagen, sondern ›Du, Du‹ seufzen,

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›Du‹ schreien, sie alle das Eine, und wenn sie dann hinzufügen ›Gott‹, ist es nicht eben doch der wirkliche Gott, den sie alle anrufen, der Eine Lebendige, der Gott der Menschenkinder?! Ist nicht er es, der sie h ö r t ? Der sie – erhört? Und ist nicht eben dadurch das Wort ›Gott‹, das Wort des Anrufs, das zum N a m e n gewordene Wort, in allen Menschensprachen geweiht für alle Zeiten? Wir müssen die achten, die es verpönen, weil sie sich gegen das Unrecht und den Unfug auflehnen, die sich so gern auf die Ermächtigung durch ›Gott‹ berufen; aber wir dürfen es nicht preisgeben. Wie gut läßt es sich verstehen, daß manche vorschlagen, eine Zeit über von den ›letzten Dingen‹ zu schweigen, damit die mißbrauchten Worte erlöst werden! Aber s o sind sie nicht zu erlösen. Wir können das Wort ›Gott‹ nicht abwaschen und wir können es nicht ganzmachen; aber wir können es, befleckt und zerfetzt wie es ist, vom Boden erheben und aufrichten über einer Stunde großer Sorge.« Es war sehr hell geworden in der Stube. Das Licht floß nicht mehr, es war da. Der alte Mann stand auf, kam auf mich zu, legte mir die Hand auf die Schulter und sprach: »Wir wollen uns du sagen.« Das Gespräch war vollendet. Denn wo zwei oder drei wahrhaft beisammen sind, sind sie es im Namen Gottes.

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Kirche, Staat, Volk, Judentum. Zwiegespräch im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart am 14. Januar 1933.

A. Karl Ludwig Schmidt.

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Wenn ich die Ehre und Freude habe, im Rahmen des Stuttgarter Jüdischen Lehrhauses mit Herrn Kollegen Martin Buber zu diskutieren, so möchte ich zum Eingang einige Worte wiedergeben, die mein Herr Gegen- und Mitredner vor bald drei Jahren auf einer von der deutschen christlichen Judenmission veranstalteten Studientagung hier in Stuttgart gesprochen hat: »Sie haben mich aufgefordert, zu Ihnen über die Seele des Judentums zu sprechen. Ich bin dieser Aufforderung gefolgt, obwohl ich der Sache, die diese Ihre Tagung trägt, entgegen bin, und zwar entgegen nicht bloß ›eben als Jude‹, sondern auch in Wahrheit als Jude, d. h. als einer, der des Gottesreiches, des Reichs der E i n u n g , harrt und alle solche ›Mission‹ als eine Verkennung seines Wesens und Hinderung seines Kommens sieht. Wenn ich trotzdem Ihrem Ruf gefolgt bin, so war es deshalb, weil ich meine, wenn man angerufen wird, eine Auskunft zu erteilen, habe man nicht zu fragen: ›Warum habt ihr mich angerufen?‹, sondern man habe die Auskunft zu geben, so gut man kann, – und das ist meine Absicht.« 1 Diese Worte möchte ich mutatis mutandis für mich in Anspruch nehmen. Meine veränderte Lage ist, allgemein gesprochen, die, daß ich als Christ zur jüdischen Lage sprechen darf und soll, während das Judentum in solcher Haltung der christlichen Kirche und Gesellschaft gegenüber sich nicht findet. Meine veränderte Lage ist nun damit, besonders gesprochen, sofort die, daß der Ihnen bekannte Anspruch des Christentums dahin geht: auch die Christen harren des Gottesreiches, des Reichs der Einung, aber nur deshalb, weil das von ihnen erwartete Gottesreich in der Geschichte Gottes mit seinem Volk als seiner Kirche ein Mal und zwar ein für alle Mal in dem Juden Jesus von Nazaret als dem Messias der Juden und dem Erlöser der Welt erschienen ist. Wenn es so ist, werden wir uns zu fragen haben, ob ein Gespräch überhaupt möglich oder notwendig ist. 1.

Martin Buber, Kampf um Israel, Reden und Schriften (1921–1932), Berlin, Schokken Verlag, 1933, S. 50.

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Ich gebe zu dieser Sachfrage wiederum ein Wort Bubers wieder: »Ich kann wider einen Gegner kämpfen, der mir durchaus entgegen steht; ich kann nicht wider einen Gegner kämpfen, der auf einer anderen Ebene steht.« 2 Mein Vortrag gilt jedenfalls der Bemühung um diese selbe Ebene. K i r c h e , S t a a t , Vo l k s t u m , J u d e n t u m – das sind Begriffe, die nicht begrifflich, sondern nur konkret-geschichtlich im Sinne des gewesenen und sich fort und fort wiederholenden Geschehens erörtert werden können. Oder gleich deutlich gesagt: es geht hier nicht um Begriffe, über die akademisch zu sprechen wäre, sondern um ein die Vergangenheit und Gegenwart beschäftigendes, beschäftigen müssendes Geschehen der Auseinandersetzung. Auseinandersetzung zwischen wem und für wen? Der evangelische Theologe als Glied der Kirche Jesu Christi, der zu Ihnen sprechen darf, muß zu Ihnen sprechen, zu sprechen versuchen in der Weise, daß die Botschaft der Kirche an das Judentum vernehmlich wird. Das muß er tun, auch wenn Sie ihn dazu nicht geladen haben. Die Bejahung einer missio an Sie mag den einigermaßen peinlichen Geschmack eines bewußten Angriffs haben. Aber ein solcher Angriff bedeutet ja gerade eine Bemühung um Sie als Juden, die Sie als unsere Brüder wie in der ganzen Welt, so auch in unserem deutschen Vaterland mit uns zusammen leben, zusammen leben müssen, zusammen leben wollen. Die sogenannte Heidenmission, die ohnehin grundsätzlich etwas anderes ist als das, was hier zur Debatte steht, hat es zu tun mit fernab wohnenden Menschenbrüdern. Juden und Christen dagegen leben in demselben Staat, sind zusammengezwungen zu einer Gemeinschaft, wobei sich das Judentum nicht nur konfessionsmäßig als mosaische Synagoge von einer christlichen Kirche scheidet, sondern auch volkhaft-rassisch von andersstämmigen Staatsbürgern. Und dieses zuletzt Genannte beherrscht um so mehr die ganze Lage, je weniger sich die Christen in dem gemeinsamen Staat als Christen, als Kirche fühlen. Um so mehr bis hin zum Ausschließlichen wird die jüdische Frage als eine Rassenfrage behandelt. Den säkularisierten, d. h. achristlichen (nicht dasselbe wie unchristlichen) Staat interessiert es grundsätzlich nicht, daß sich Juden als Staatsbürger jüdischen Glaubens zusammenschließen. Eine germanisch-arisch, dabei religiös und gerade damit pseudochristlich und pseudokirchlich sich verstehende Volks- und Kirchengemeinschaft mag allenfalls auf das Problem des jüdischen Zionismus stoßen, der bei all seiner komplexen Ungeklärtheit jedenfalls die Tatsache und die Frage des Volkstums betont. Man mag diesen meinen Prolegomena entgegenhalten: was soll es, daß ich, anstatt nun diese zuletzt genannten konkreten Fragen anzupacken, 2.

Ebenda S. 131.

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zuerst einen solchen theologischen Introitus gegeben habe? Nun, ich habe schon angedeutet, daß ein ungebändigter, wirrer Antisemitismus seine Nahrung zieht, ziehen muß gerade aus der Entchristlichung, der Entkirchlichung des deutschen Volkes, in dessen Mitte die Juden als Nichtdeutsche wohnen. Die radikale Ve r l a g e r u n g des Auseinandersetzungsortes ist zum Unheil für die beiden Gesprächspartner ausgeschlagen. Da fast 99 % Deutsche, richtiger: Indogermanen bei aller Völkervermischung, physisch stärker sind als etwa 1 % Juden im deutschen Reichsgebiet, so zieht bei einer betonten Rassenauseinandersetzung der physisch Schwächere den Kürzeren. Weltanschauungen kommen und gehen wie auch die in sie verwobenen Wirtschaftssysteme. Die jetzt uns retten sollende mehr autarke Wirtschaft, über deren Möglichkeit und Notwendigkeit die Wirtschaftler nachzudenken haben, geht parallel einer autarken Volkstumsmetaphysik, die folgerichtigerweise nichts anderes zu tun weiß, als die Judenfrage im Sinne einer bloßen Rassenfrage zu b a g a t e l l i s i e r e n . Solche Bagatellisierung ist rein äußerlich nicht weiter schmerzhaft, wenn eine Welt- und Lebensanschauung herrscht, etwa eine demokratisch-humane im Stile eines aufgeklärten Fürstentums oder auch einer liberalen Staatsidee. In diesem Bezirk hatte das Judentum gute Tage und war als solches dennoch bagatellisiert. Das Judentum trägt aber in den Augen der christlichen Kirche einen Anspruch in sich, der das nicht verträgt, der mit seinem Charakter als Israel, als Gottesvolk im ausgezeichneten Sinne, zusammenhängt. Und nur die Kirche Jesu Christi, die ihrerseits den Anspruch erhebt, das wahre Israel zu sein, ist in der Lage, auf diesen Israel-Anspruch des Judentums einzugehen, ihn nicht zu bagatellisieren, sondern ihn so ernst zu nehmen, daß sie ihn einer Auseinandersetzung würdigt, die der Würde des sich als Israel verstehenden Judentums entspricht. Erst dann können die brennenden Tagesfragen, ob wir gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch, geistig eine antisemitische oder eine philosemitische oder eine noch anders geartete Haltung einnehmen, an ihrem Ort einigermaßen zwingend beantwortet werden. Man wird sich der Zwangsläufigkeit der kurz geschilderten Lage nicht verschließen können. Aber man wird sich vielleicht dennoch wundern, ja sogar sich ablehnend verhalten gegenüber einem exklusiv kirchlichen Standpunkt, von dem aus hier die Frage nach Judentum, Christentum, Deutschtum, Volkstum, Staatsverfassung beantwortet werden soll. Ich darf entgegnen: Kirche gibt es nur in exklusivem Sinne. Der Satz aus dem christlich-kirchlichen Altertum: »Extra ecclesiam nulla salus« ist nicht nur römisch-katholisch, sondern überhaupt katholisch und auch evangelisch. Aber von der reformatorischen Theologie her verstehen wir diesen Satz als reine Bekenntnisaussage von Gott her, der sich ein für alle

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Mal in Jesus Christus geoffenbart hat. Mit diesem Hinweis tun wir nichts anderes, als daß wir uns auf den Boden stellen, von dem aus Paulus von Tarsus, der größte Jude aus der Anfangszeit des Imperium Romanum – der jüdisch-hellenistische Philo von Alexandria war das nicht –, das Wort gesprochen hat: »Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib« (Gal 3, 28; vgl. Kol 3, 11). Wenn Paulus in dieser Weise behauptet hat, daß alle volkhaften, sozialen und geschlechtsbiologischen Unterschiede ihr Eigengewicht verloren haben, so hat er diese unerhörte Aussage nur als Jesus-Christus-Apostel gewagt, indem er hinzugefügt hat: »Denn ihr seid allzumal E i n e r in Christo Jesu« (Gal 3, 28). Der Vorstand der Vereinigung für dieses jüdische Lehrhaus hat mich um eine »streng sachliche, d. h. nicht polemische und nicht apologetische Behandlung des Themas« gebeten, wobei er sich, wie mir freundlicherweise geschrieben wurde, »von einer Auseinandersetzung mit theologischen Vertretern lebendigen Christentums einen besonders wertvollen Beitrag zur Klärung glaubt versprechen zu dürfen«. Sie müssen es zunächst einmal einem evangelischen Theologen freundlich abnehmen, daß er sich nur in dem vorhin mitgeteilten Sinne um die mit Recht verlangte Sachlichkeit bemühen darf. Daß er damit keine Polemik und Apologetik für seine besondere Weltanschauung treibt, ergibt sich aus folgender Besinnung: wir Menschen, auch, ja gerade wir sogenannten Christen verfügen nicht über die Kirche mit Jesus Christus als ihrem Haupt. Wir lesen und lassen es uns sagen, daß Jesus von Nazaret gegen seine damalige jüdische Kirche für die wahre Kirche gekämpft hat. Einen Heiden hat er zu dieser Kirche gezählt, weil er solchen Glauben sonst in Israel nicht gefunden hat (Mtth 8, 10 = Luk 7, 9). Jesus hat erzählt, daß ein Samariter, der nicht offiziell zum jüdischen Gottesvolk gehörte, den jüdischen Priester und Leviten beschämt hat (Luk 10, 30 ff.). Jesus hat in dem ernsten Zweifler Nathanael gesehen einen »rechten Israeliter, in welchem kein Falsch ist« (Joh 1, 47). Dies alles müssen wir Christen auch uns, wenn wir in der Kirche zu stehen meinen, gesagt sein lassen. Eine Bemühung im Sinne des Turmbaus zu Babel, durch den Menschen von sich aus die ihnen auferlegte Trennung in Sprachen und Rassen vermeiden wollten, kann nicht an die Stelle des Pfingstereignisses treten, bei dem Gott d i e Einheit der bestehenden und weiter bestehenden zerklüfteten und zerrissenen Menschheitsgruppen gegründet und damit die genannten Unterschiede nicht beseitigt, aber in ihrem dämonischen Eigengewicht aufgehoben hat. So wendet sich je und je die Exklusivität der Kirche gegen uns selbst. Wir fragen immer wieder voller Zweifel, ob wir denn selbst zur Kirche Jesu Christi wirklich gehören. Von hier aus stehen wir zusam-

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men mit allen nach Gott und seiner Offenbarung fragenden Menschen. Daß Gott eine Kirche hat, verpflichtet uns, die wir zusammenstehen, uns als eine Lebens- und Leidensgemeinschaft zu verstehen. Das ist mehr als Toleranz, das ist etwas anderes als Toleranz, die ja nicht mehr und nicht weniger als ein Ernstnehmen von bloßen Meinungen ist. Soweit es nur solche Toleranz gibt, ist sie dem Wechsel der sich ablösenden Lebens- und Weltanschauungen unterworfen, ist sie Willkür. Wir aber möchten hier reden von der uns auferlegten Lebens- und Leidensgemeinschaft, die uns zwingt, auf einander zu hören, in der an uns gerichteten Frage unsere Gemeinschaft zu spüren. In dieser Stunde mühen wir uns daher gemeinsam in erster Linie nur um ein einziges Thema, das allein das Thema zwischen Judentum und christlicher Kirche ist. Es ist das Thema des Messiastums Jesu von Nazaret. Zwischen sogenannten liberalen Juden und sogenannten liberalen Christen kommt gerade dieses Gespräch und damit überhaupt ein ernsthaftes Gespräch nicht zustande. Man ist sich ja einig darin, daß Jesus von Nazaret nichts anderes als ein frommer jüdischer Mensch war. Man wird christlicherseits den jetzt lebenden humanen Juden nicht damit belasten dürfen, daß seine vielleicht robusteren Vorfahren vor bald 2000 Jahren einen frommen Mann, der im schlimmsten Fall ein frommer Schwärmer gewesen wäre, haben martern und töten lassen. Aber um das alles geht es ja gar nicht. Die Art der Unschädlichmachung eines Gegners, wie sie im Kreuzestod Jesu gegeben ist, hat nichts entscheidend Absonderliches für die damalige Zeit. Die allein belangreiche Frage ist die, ob nicht damals das jüdische Volk, die damalige jüdische Kirche sich gegen den von Gott gesandten Messias verstockt hat, darnach den Mittelpunkt seiner verzweigten Diaspora durch die Zerstörung Jerusalems verloren hat und nun seitdem in der Diaspora, in der Zerstreuung ohne geistlichen Mittelpunkt lebt. So sieht sich das alles von der christlichen Verkündigung aus an. Aber – und dieses Aber muß stark unterstrichen werden – diese Verkündigung deckt nicht eine bloß jüdische Schuld auf, sondern die Schuld der im damaligen Judentum dargestellten Menschheit, der Welt schlechthin. Nicht umsonst wird im evangelischen Kirchenlied davon gesprochen, daß Jesus Christus unsere Schuld getragen hat, daß wir Menschen schlechthin an seinem Tod, am Tod des Gerechten schuld sind. Das »Kreuzige, kreuzige!« geht auch durch die christlichen Jahrhunderte. Wir erinnern uns an Dostojewskijs Vision von dem Großinquisitor, der wissentlich und willentlich den wiedergekommenen Christus als d e n Ketzer behandelt. Oder wir blicken noch besser in die Heilige Schrift hinein und betrachten den Werdegang der ersten Jünger Jesu: Simon

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Petrus bekennt sich zu Jesus, wird von diesem dennoch getadelt und verleugnet schließlich seinen Herrn; die Zebedäussöhne wissen ihren Meister um nichts Besseres zu bitten als um die besten Plätze im Gottesreich; Judas Ischariot, vielleicht den nach seiner Ansicht zögernden »Messias« Jesus zu einer entscheidenden Messiastat zwingen wollend, verrät seinen Führer. Diese echten Juden haben schließlich doch ihren Herrn und Meister Jesus Christus abgelehnt genau so wie das jüdische Volk seinen Messias und ihn daher mit gekreuzigt … – In seiner konkreten geschichtlichen und gegenwärtigen Lage ist das J u d e n t u m maßgebend durch die Tatsache der D i a s p o r a 3 , der Zerstreuung bestimmt. In dieser Tatsache liegt etwas Erstaunliches, Einmaliges, Exemplarisches. Es gibt hierzu schlechterdings keine Parallele, keine Analogie in der ganzen Menschheitsgeschichte. Von Anfang an, von den Tagen der babylonischen Gefangenschaft an ist diese Tatsache der Zerstreuung für die Judenheit Macht und Ohnmacht zugleich, Vorteil und Nachteil zugleich, Segen und Fluch zugleich. Dieses Israel der Diaspora hatte und war eine Gabe an die Welt, gab aber dann vielfach sich selbst an die Welt, gab sich preis, verlor sich. Zunächst wird ein großes Positivum deutlich. Der Gott des Judentums wird verstanden als der Gott aller Völker und wird der ganzen Welt verkündigt. Wir haben es hier nicht zu tun mit einer gereinigten Gottesidee. Es ist nicht die Rede von einem göttlichen Prinzip. Dieses findet sich gerade bei den griechischen Philosophen, zum mindesten von Plato an. Der Gott Israels ist dagegen Person, der eine Geschichte mit seinen Menschen als seinen Geschöpfen hat, der den Menschen gegenübersteht, der sie anspricht, der sie fordert. D a s ist Israels Gabe und Erbe an die ganze Menschheit. Aber zugleich wird ein großes Negativum deutlich. Eine tragische Kehrseite ist nicht zu verkennen. In und mit der Diaspora hat sich das Judentum immer wieder an die Welt preisgegeben und verloren. In einem an sich großartigen Assimilationsprozeß wurde aus dem Gehorsam gegen den personhaften Gott der Väter eine philosophierende Anschauung von Gott. Das zeigt sich in der griechischen Uebersetzung des Heiligen Buches, der sogenannten Septuaginta und noch mehr in dem Denken und Leben des jüdisch-hellenistischen Philosophen Philo. Und dennoch war dieses Judentum immer wieder wirkliches Israel im geistlichen Sinne. Auch der Diasporajude war gebunden an Jerusalem als an den geistig-geistlichen Mittelpunkt der jüdischen Existenz. Zu eben 3.

Für das Folgende darf ich jetzt auf meinen demnächst in dem von G. Kittel hrsg. »Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament« erscheinenden Artikel diaspor€ verweisen.

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diesem Israel gibt es keine Analogie in der Welt. Ein Volk ausgestattet und begabt wie jedes andere ihm mehr oder weniger verwandte Volk! Aber dieses kleine Volk in dem kleinen Lande Palästina führte sein eigentliches Dasein nicht aus seiner eigenen Veranlagung heraus, sondern außerhalb seiner selbst von Gott und seinem Gebot her. Dieses Volk hat, was auch schon wirtschaftsgeschichtlich gilt, immer etwas von der Wüstengeneration behalten. Es bleibt kritisch gegenüber auch den feinsten Betätigungen des menschlichen Geistes, wie sie vor allem mit Kunst und Wissenschaft gegeben sind. Ein noch heute eindrucksvolles Sinnbild für diese Haltung ist die Hauptstadt des Volkes: Jerusalem ist nicht wie andere Hauptstädte. Noch dem modernen Orientreisenden drängt sich die Einmaligkeit und Einzigartigkeit dieser Hauptstadt auf, die in der Wüste Juda abseits vom Verkehr liegt. Daß Jerusalem Hauptstadt wurde und blieb, verdankt es zu allerletzt irgendwelchen wirtschaftsgeographischen Gründen, aber zu allererst der Tatsache, daß dort der Tempel Jahwes gebaut war. So ist’s im römischen Reich noch gewesen. Und das ist keine vergangene Geschichte für das Judentum, das sich als Israel verstehen möchte. Sein Blick bleibt gerichtet auf Jerusalem. Aber das Jerusalem in dem besprochenen Sinne ist nicht mehr da. Wie, wieso, warum ist das anders geworden? Die christliche Verkündigung sagt in diesem Zusammenhang dies: Gott hat das alles so gewollt. Jesus als der von seinem Volk abgelehnte Messias hat die Zerstörung Jerusalems geweissagt. Jerusalem ist zerstört worden, um niemals mehr jüdischer Besitz zu werden. Nun ist bis auf diesen Tag die jüdische Zerstreuung mittelpunktslos. Es ist sicherlich nicht belanglos, daß das neue und neueste Judentum hier eine rettende Korrektur anbringen will. Das jüdische Leid in der modernen Welt ist gewachsen. Um so mehr begehren die Juden Sammlung in der Zerstreuung, aus der Zerstreuung heraus. E i n e und sicherlich eine wesentliche Seite des Z i o n i s m u s ist damit gegeben. Und an dieser Stelle ist der Zionismus dem modernen Denken verhaftet, dessen A und O das Volkhafte, das Völkische ist. – Von hier aus kommen wir zu einem zweiten Fragenkreis. Wir blicken auf das Vo l k s t u m . In der Geschichte des jüdischen Schicksals ist eine Verschiebung eingetreten. In der alten Diaspora mit dem sichtbaren Mittelpunkt Jerusalem wahrte und mehrte das Judentum bei allem Leiden unter allen Völkerschaften seinen Bestand. Nach vielen Jahrhunderten nationaler Entschränkung, in denen das Judentum unter anderen Völkern missionierte und zahlreiche Uebertritte zu sich zu verzeichnen hatte, setzte nach der Zerstörung Jerusalems eine Zeit der nationalen Beschränkung ein. Im Mittelalter und in der Neuzeit blieb die Judenfrage ungelöst als ein nicht zu bewältigendes Rätsel. Die moderne Welt rea-

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giert auf einen volkhaften oder gar völkischen Zionismus ihrerseits völkisch, wobei allerdings nicht zu vergessen ist, daß der völkische Antisemitismus in der modernen Welt vorzionistisch ist. Auf beiden Seiten wird auf das Volkstum als die entscheidende Instanz hingewiesen. Leute, die sich darin gefallen, den gordischen Knoten zerhauen zu wollen, versteigen sich zu der Parole: »Alle Juden sollen nach Palästina wandern«, ohne zu bedenken, daß das Mutterland Palästina viel zu klein ist, um alle seine jüdischen Kinder aufnehmen zu können. So deutlich der Wirrwarr einer solchen Auseinandersetzung ist, so undeutlich sind die Gründe für den Wirrwarr. Man wird wohl mit einer Wechselwirkung rechnen dürfen. Hüben und drüben wird das Volkhafte überbetont. Theologisch und kirchlich gesehen, ist eine mit dem Kirchlichen vermengte oder gar vereinerleite Volkstumsmetaphysik nichts anderes als Schwärmertum und Chiliasmus, in welcher Haltung die Vertreter der sogenannten Glaubensbewegung »Deutsche Christen« einem gewissen Typ religiöser Sozialisten entsprechen, wenn diese ihre Gesellschaftsmetaphysik mit dem Reich Gottes vermengen oder gar vereinerleien. Es wird nicht der Gefahr widerstanden, kurzschlußartig zu verfahren, d. h. die an sich berechtigten Bemühungen um eine bessere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung voreilig mit dem Reich Gottes zusammenzubringen und schließlich zu vereinerleien. Die genauere Entsprechung auf der nationalsozialistischen Seite, soweit die genannten »Deutschen Christen« dabei maßgebend sind, ist eine religiös gefärbte Lehre vom »Dritten Reich«, die in den betreffenden Kreisen einigermaßen ungeklärt und daher strittig ist, aber, ernst genommen, auf eine bare Irrlehre hinausläuft. 4 All dem gegenüber ist das als Israel verstandene Judentum und Christentum das von Gott gesetzte Gegenzeichen. Jesus Christus spricht: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt« (Joh 18, 36). – Damit stoßen wir auf einen nächsten Fragenkreis: wie ist es bei der Gottbestimmtheit des Gottesreiches mit der Möglichkeit und Notwendigkeit des S t a a t e s ? Die Juden wie die Christen sagen zum Staat ein betontes Ja. Ein Ja um der Ordnung willen, in die der sündige Mensch eingespannt werden muß! Der von Israel herkommende Apostel Paulus 4.

Vgl. dazu Anm. 75 meines Artikels basileÐ@, basileffla ktl. in dem in der vorigen Anm. genannten Wörterbuch: »Im Lauf der Jahrhunderte hat ein solcher absoluter Sprachgebrauch immer wieder zu einem zwar religiösen oder sich religiös gebenden, aber durchaus immanent-weltlichen und pseudotheologischen und pseudokirchlichen Reden vom ›Reich‹ geführt. Das reicht hin zum religiösen Sozialismus einerseits und zum ›dritten Reich‹ anderseits (im Zusammenhang mit dem Glauben an das alte ›heilige römische Reich‹, der seinerseits wieder auf die absolute Rede von der basileffla zurückweist).«

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sagt: »Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat« (Röm 13, 1). Das ist Israels Losung, die den Christenmenschen von einer ihn hier immer packen wollenden Verlegenheit befreit. Ueber die Qualität dieses oder jenes Staates vor Gott ist mit alledem nichts Positives gesagt. Wie die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments weiß insbesondere ihr letztes Buch, die Apokalypse des Johannes, zu künden von der Dämonie des Staates. Auch, ja gerade diesem Staat gegenüber wird Gehorsam gefordert. Im Judentum wie im Christentum wird der Staat in das Fürbittegebet eingeschlossen. Von Israel aus gibt es für den Juden wie den Christen im Verhältnis zum Staat kein revolutionäres Gepolter, aber wahrhaftig auch kein pfleglicher Konservatismus. Ich möchte hier aber eine Frage an den Juden richten, die nachher hoffentlich Martin Buber beantworten wird: wie steht es mit dem Verhältnis des Juden einerseits zur Revolution und andererseits zum Konservatismus? Wie ist es zu erklären, daß die Juden, denen man konservativen Sinn nachrühmt, in den Revolutionen eine so große Rolle gespielt haben und spielen? – Von der K i r c h e des Alten und Neuen Testaments aus darf die uns sicherlich immer wieder bedrängende Sache und Frage des Volkes und des Staates, wie schon angedeutet, nicht überbetont werden. Das Judentum als Israel hat bei allem bluthaften Zusammenhang, der übrigens in der weiten Diaspora nicht immer primär entscheidend war, seine Existenz nicht vom Blute her, sondern vom Rufe Gottes her. Israel versteht sich nicht als ein Volk neben anderen Völkern, sondern als den besonders ausgezeichneten K n e c h t G o t t e s . Die Christen bekennen an dieser Stelle gegen die den Messias Jesus von Nazaret ablehnenden Juden, daß der Knecht Gottes in J e s u s C h r i s t u s personhaft erschienen ist. Die Weltgeschichte als Gottesgeschichte, als Heilsgeschichte ist nur von dieser Zäsur aus zu verstehen. Die Kirche Jesu Christi, die davon zu künden weiß, sieht das Judentum grundsätzlich nicht als gefährlich im Sinne eines volkhaften und staatlichen Denkens an, weil das Judentum als Israel zwangsläufig auf dem Weg zur Kirche ist. In diesem Tatbestand ist die Art und Würde der kirchlichen Judenmission gegründet, die füglich etwas schlechthin Besonderes gegenüber der Heidenmission ist. Doch wie alle Mission ist dann auch die Judenmission nicht Propaganda und Agitation, sondern Selbstdarstellung und Selbstbesinnung der Kirche, die als Israel um Juden und Heiden sich müht. Dem christlichen Theologen muß alles daran liegen, gerade Juden gegenüber zu betonen, daß auf dieser I s r a e l -Ebene die Auseinandersetzung, zwischen Kirche und Judentum die allerschärfste Zuspitzung erfährt. Die Kirche ist in der Herausstellung ihrer missio an das Judentum

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unerbittlicher als das alte Judentum in der Blüte der griechisch-römischen Diaspora. Es gab eine Zeit, in der das weltweite Judentum propagandamäßig den Heiden einigermaßen entgegenkam. Während der Volljude 613 Gebote zu halten hatte, wenn er als gesetzestreu und damit vor Gott gehorsam dastehen wollte, hat man den Heiden, die Anschluß an das Judentum suchten, in der Gesetzesbeobachtung in verschiedenen Stufen Erleichterungen gewährt. Die Kirche dagegen verlangt vom Juden die Erfüllung nun gerade des ganzen Gesetzes, wie es erfüllt ist in Jesus Christus. Der Jude, der Christ wird, tritt aus seinem unerfüllten Israel über in das erfüllte Israel der Kirche Jesu Christi, in das Israel nach dem Geiste. Er sagt ein Ja zu dem, was ihm in lastender Auseinandersetzung schwerer und gerade damit köstlicher wird als anderen Menschen aus anderen Völkern. – Zum Schluß ein kurzer Hinweis auf einige praktische Dinge die das Z u s a m m e n l e b e n v o n J u d e n u n d C h r i s t e n betreffen! Die Gemeinsamkeit zwischen Juden und Christen ist allein mit der gemeinsamen Bemühung um Israel gegeben. Eine Kirche, die nichts weiß, nichts wissen will von Israel, ist eine leere Hülse. Gegenüber einer modernen Welt, die zu versinken droht im Wahn aller möglichen Autonomien, die in eigentümlicher Verkennung der Autorität Gottes auch noch als Autoritäten angepriesen werden, hat die christliche Kirche viel Gemeinsames sogar mit dem Judentum als dem fleischlichen Israel. Allerdings ist diese Gemeinsamkeit nur eine vorläufige; denn die Kirche Jesu Christi eifert fort und fort um dieses Judentum; ihre Duldsamkeit ist ein hoffendes Warten, daß schließlich auch die Juden, ja gerade die Juden erkennen möchten, daß nur die Kirche des Messias Jesus von Nazaret das von Gott berufene Gottesvolk darstellt, dem die Juden einverleibt werden, wenn sie sich wirklich als Israel verstehen. Auf praktische Dinge wollte ich zu sprechen kommen. Es liegt in der Israel-Verbundenheit und Israel-Gegensätzlichkeit von Juden und Christen begründet, daß die praktischen Fragen immer wieder in den Hintergrund gerückt werden. Anders ausgedrückt: diese praktischen Fragen haben gar nicht das Gewicht, das ihnen in einer Israel entrückten Welt beigemessen wird. Um so freier, um so offener können und müssen wir aber dann das Gewicht der jüdischen Frage und Fragen an ihrem Orte betonen. Es gibt hier für ein auf sich selbst besinnendes Volk wie für einen geordneten Staat Fragen und Schwierigkeiten, deren Anpacken der kirchliche Theologe nicht stören darf und will. Es wäre Vogel-Strauß-Politik, etwa rassenbiologische und rassenhygienische Fragen, wie sie mit dem Dasein der Juden unter anderen Völkern gegeben sind, ableugnen zu wollen. Der Theologe wird aber auf der Hut sein müssen, wenn der Kampf

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gegen das Judentum aus einer Volkstums- und Staatsideologie heraus geführt wird, bei der das Judentum vom Israel des Alten und des Neuen Bundes gelöst wird, bei der dann der Kampf gegen das Judentum zu einem Kampf gegen die Substanz der Kirche wird. 5

B. Martin Buber.

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Als Karl Ludwig Schmidt und ich miteinander Briefe zur Vorbereitung dieser Aussprache wechselten, verständigten wir uns zunächst über die Formulierung des Themas. Er schlug vor: »K i r c h e , S t a a t , Vo l k s t u m , S y n a g o g e « . Dies lehnte ich ab, deshalb zunächst, weil ich mich nicht berufen fühle, für eine »Synagoge« zu sprechen, und auch, weil ich Synagoge für eine uneigentliche Bezeichnung halte, nicht für eine, mit der der Jude so angesprochen wird, daß er antworten kann. Ich habe statt dessen die Bezeichnung J u d e n t u m angenommen, obwohl ich auch diese nicht ganz für die richtige halte. Für die rechte Bezeichnung an dieser Stelle halte ich die, die Schmidt selbst gebraucht hat im nachdrücklichen Sinn, sodaß wir schon durch dieses Wort, durch diesen Namen, eine gemeinsame Ebene gewonnen haben, durch den Namen »Israel«. »Israel«, das ist nicht etwas, worüber wir bloß einen biblischen Bericht besitzen, womit wir Juden uns kraft dieses Berichts geschichtsbewußtseinsmäßig verknüpft fühlen, sondern Israel ist ein Seiendes: ein Einmaliges, Einziges, in keine Gattung Einzureihendes, nicht begrifflich Unterzubringendes; jede Schublade der Weltgeschichte widersteht diesem Unterbringenwollen. Israel ist das, was sich auch heute noch inmitten mannigfacher Verzerrung, Entartung, Verwischung als ein Eigenes in diesem Judentum birgt, als verborgene Wirklichkeit in ihm lebt. Von da aus allein können wir Juden zu den Christen sprechen, von da aus allein haben wir die existenzielle Möglichkeit der Antwort. Und je wahrhafter wir als Israel angerufen werden, umso rechtmäßiger ist das Gespräch. Daß Israel etwas Einziges, nicht Einreihbares ist, ist ja von Karl Ludwig Schmidt hier anerkannt worden. Für die Kirche in ihrem rechtmäßigen 5.

Ich wiederhole hier ein Zitat, das ich am Schluß meiner Studie über »Die Kirche des Urchristentums« (2. Abdruck 1932) aus der Schrift A. Schlatters über »Die Kirche Jerusalems vom Jahre 70-130« (S. 90) mitgeteilt habe: »Am Sterben Israels starb auch die Urkirche und ihr Sterben ward der Gesamtkirche zum Schaden; denn in die Lücke trat das sektenhafte Christentum, dort Mohammed, hier Bischof, Mönch und Papst.«

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Dasein ist Israel da; und für uns in unserem rechtmäßigen Dasein ist Israel da. Wir beide, Kirche und Israel selbst, wissen um Israel, aber in grundverschiedener Weise. Grundverschiedenheit ist etwas ganz anderes als zweierlei Ansicht, die man erörtern kann, um dann zu versuchen, sie miteinander in Einklang zu bringen. Das ist hier nicht möglich. Es ist ein grundverschiedenes Sehen oder Wissen. Denn auch die Kirche sagt, wie Israel, sie wisse. Dieses Wissen der Kirche um Israel und das Selbstwissen Israels stehen einander gegenüber in einer Weise, die strenger ist in ihrer Gegensätzlichkeit als ein nur logischer Widerspruch. Die Kirche sieht Israel als ein von Gott v e r w o r f e n e s Wesen. Dieses Verworfensein ergibt sich notwendig aus dem Anspruch der Kirche, das wahre Israel zu sein: die von Israel haben danach ihren Anspruch eingebüßt, weil sie Jesus nicht als den Messias erkannten. Die Christen glauben, dieses Israel-Sein, das Amt, die Würde Israels, seine Erwähltheit von Gott her empfangen zu haben; hier ist eine Glaubensgewißheit, die unantastbar ist. Wir haben keine Möglichkeit, gegen dieses Wissen der Kirche um Israel etwas zu setzen, was ja doch nur als Argument wirksam werden könnte. Aber wir Israel wissen um Israel von innen her, im Dunkel des von innen her Wissens, im Licht des von innen her Wissens. Wir wissen um Israel anders. Wir wissen (hier kann ich nicht einmal mehr »sehen« sagen, denn wir wissen es ja von innen her, und auch nicht mit dem »Auge des Geistes«, sondern lebensmäßig), daß wir, die wir gegen Gott tausendfach gesündigt haben, die wir tausendfach von Gott abgefallen sind, die wir diese Jahrtausende hindurch diese Schickung Gottes über uns erfahren haben – die Strafe zu nennen zu leicht ist, es ist etwas Größeres als Strafe –, wir wissen, daß wir doch nicht verworfen sind. Wir wissen, daß das ein Geschehen nicht in der Bedingtheit der Welt, sondern in der Wirklichkeit des Raumes zwischen Gott und uns ist. Und wir wissen, daß wir eben darin, in dieser Wirklichkeit von Gott nicht verworfen sind, daß uns in dieser Zucht und Züchtigung Gottes Hand hält und nicht losläßt, in dieses Feuer hinein hält und nicht fallen läßt. Das ist grundverschiedenes, unverträglich grundverschiedenes Wissen. Ich würde nicht einmal wagen, das unsre einen »Anspruch« zu nennen. Das ist ein zu menschlich stolzes Wort für diese Situation. Einen »Anspruch« haben wir gar nicht. Wir haben nur unser armes, aber uneinschränkbar faktisches Wissen um unser Dasein in der Hand Gottes. Und vom Menschen aus, vom menschlichen Unternehmen, von der menschlichen Sprache aus, vom menschlichen noch so kameradschaftlichen Verständigungswillen her kann diese Grundverschiedenheit nicht aufgehoben werden. Aber wenn wir »harren«, harren wir dessen, was nicht

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vom Menschen herkommen kann, sondern nur von Gott, einer Einung, die nicht vom Menschen hergestellt werden kann, ja die der gegenwärtige Mensch schlechthin nicht konkret zu denken vermag. Es ist hier angeführt worden das Wort des Paulus über die Aufhebung der Unterschiede in der Welt des christlichen Ereignisses. Diese Aufhebung der Unterschiede vermögen wir nicht zu verspüren. Wir fühlen, finden uns in einer Welt, in der die Unterschiede unaufgehoben sind und ihrem Wesen nach unaufhebbar erscheinen. Aber wir fühlen freilich noch etwas anderes. Wir fühlen, daß der h e i l i g e G e i s t (dies ist ein Glaubenswort, das wir mit den Christen gemeinsam haben), daß der heilige Geist selber nicht in diese Schiedlichkeit eingebunden ist; daß über unseren unaufhebbaren Unterschieden er einig weht, daß er zwar keine Brücke schlägt, aber uns Bürgschaft der Einheit, im gelebten Augenblick Bürgschaft der Einheit für das Zusammenleben auch von Christen und Juden gibt. So möchte ich jenes jüdische Wort verstehen, daß ich Paulus gegenüberstelle als ein wohl zurückhaltenderes, das aber eine – wie mir scheint – von jedem Menschen erfahrbare Tatsächlichkeit ausströmt. Es ist das Wort jenes alten Buches von den Dingen, die in der »Schule des Elias« von dem nach seiner Entrückung über die Welt wandelnden Gottesboten gelehrt werden: »Ich nehme zu Zeugen den Himmel und die Erde: ob einer aus der Völkerwelt oder einer aus Israel, ob ein Mann oder ein Weib, Knecht oder Magd, allein nach dem Tun, das er tut, läßt sich der heilige Geist auf ihn nieder.« Das ist keine Aufhebung der Unterschiede, sondern die Zuteilung des Geistes an die Menschheit, so wie sie ist, in die Zerklüftung, in der sie steht; so aber, daß sie gemeinsam – von hüben und drüben – hinschauen kann zu dem, der so sich niederläßt auf die Menschen, wie verschieden auch deren Standort, ja deren Glaubensgewißheit ist. Wir Israel stehen der Ablehnung unseres Wissens um uns selbst durch die Kirche gegenüber. Die Kirche kann etwa zu uns sagen: »Das was ihr da Selbstwissen nennt, wovon ihr sagt, daß ihr es erfahrt, die ihr euch als von Gott getragen, als nicht losgelassen, als nicht weggeworfen, als noch im Angesicht daseiend, fühlt, das ist eine Illusion, die euch euer Selbsterhaltungstrieb eingibt.« Was dann, wenn so die Gewißheit der einen Seite durch die andere Seite, von einem Letzten her, als Letztes abgelehnt wird? Ich glaube, das ist einer der Punkte, an dem wir Menschen die eigentliche Lehre des Als-Menschen-Daseins empfangen. Wir haben miteinander zu schaffen in der Verschiedenheit des Menschlichen, und wie tief diese Verschiedenheit gehen kann, bis in die letzten Glaubenswurzeln hinein, sehen wir hier. Was können wir da tun? Wir können etwas sehr Schweres zu tun versuchen, etwas, das für den

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religiös gebundenen Menschen sehr schwer ist, das seiner Gebundenheit und Verbundenheit widerstrebt, vielmehr, zu widerstreben scheint, etwas das seiner Verbundenheit mit Gott zu widerstreben scheint – wir können das, was der andere gegen unsere Existenz, gegen unser Seinswissen als seine Glaubenswirklichkeit bekennt, als ein Geheimnis anerkennen. Dessen Sinn zu beurteilen, sind wir nicht imstande, weil wir es von innen her nicht kennen, so wie wir u n s von innen her kennen. Karl Ludwig Schmidt hat mit Recht in die Mitte seiner Betrachtung die Frage nach dem Messias, die christologische Frage gestellt. Wenn wir die Scheidung zwischen Juden und Christen, zwischen Israel und der Kirche, auf eine Formel bringen wollen, können wir sagen: »Die Kirche steht auf dem Glauben an das Gekommensein Christi, als an die der Menschheit durch Gott zuteil gewordene Erlösung. Wir Israel v e r m ö g e n das nicht zu glauben.« Die Kirche sieht diese unsere Aussage entweder als ein Nicht-GlaubenWollen an, als eine Verstocktheit in einem sehr bedenklichen Sinn, oder als einen Bann, als eine fundamentale Eingeschränktheit des ErkennenKönnens der Wirklichkeit gegenüber, als die Verblendung Israels, die es hindert, das Licht zu schauen. Wir Israel wissen um unser Nicht-Annehmen-Können jener Botschaft in anderer Weise. Wir verstehen die Christologie des Christentums durchaus als wesentliche Begebenheit zwischen Oben und Unten. Wir sehen das Christentum als etwas, dessen Kommen über die Völkerwelt wir in seinem Geheimnis zu durchdringen nicht imstande sind. Wir wissen aber auch, wie wir wissen, daß Luft ist, die wir in unsere Lungen einatmen, daß Raum ist, in dem wir uns bewegen, tiefer, echter wissen wir, daß die Weltgeschichte nicht bis auf ihren Grund aufgebrochen, daß die Welt noch nicht erlöst ist. Wir s p ü r e n die Unerlöstheit der Welt. Eben dieses unser Spüren kann oder muß die Kirche als das Bewußtsein u n s e r e r Unerlöstheit verstehen. Aber wir wissen es anders. Erlösung der Welt ist uns unverbrüchlich eins mit der Vollendung der Schöpfung, mit der Aufrichtung der durch nichts mehr behinderten, keinen Widerspruch mehr erleidenden, in all der Vielfältigkeit der Welt verwirklichten Einheit, eins mit dem erfüllten Königtum Gottes. Eine Vorwegnahme der v o l l z o g e n e n Welterlösung zu irgend einem Teil, etwa ein Schonerlöstsein der Seele, vermögen wir nicht zu fassen, wiewohl sich auch uns, in unsern sterblichen Stunden, Erlösen und Erlöstwerden kundtut. Eine Zäsur nehmen wir in der Geschichte nicht wahr. Wir kennen ihr keine Mitte, sondern nur ein Ziel, das Ziel des Weges Gottes, der nicht innehält auf seinem Weg.

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Wir vermögen nicht, Gott auf irgendeine Art seiner Offenbarung festzulegen. Jenes Wort aus dem brennenden Busch: »Ich werde dasein als der, als der ich dasein werde« (d. h. als der ich jeweils dasein werde 6 ) macht es uns unmöglich, irgendetwas Einmaliges als die endgültige Offenbarung Gottes zu nehmen. Nicht als ob wir irgendetwas über das SichOffenbaren- oder das Sich-Nicht-Offenbaren-Können Gottes aussagen könnten; ich rede eben davon, daß wir von allen Offenbarungen, um die wir wissen, nichts Absolutes auszusagen vermögen. Wir sagen nicht: So kann sich Gott nicht offenbaren. Wir sprechen nur keiner seiner Offenbarungen die Unüberbietbarkeit zu, keiner den Charakter der Inkarnation. Ueber jeden, aber auch jeden Moment der geschehenen Zeit weist jenes futurische Wort des Herrn in unbedingter Weise hinaus; Gott ist jeder seiner Manifestationen schlechthin überlegen. Ich sagte schon: Das Juden und Christen Verbindende bei alledem ist ihr gemeinsames Wissen um eine Einzigkeit, und von da aus können wir auch diesem im Tiefsten Trennenden gegenübertreten; jedes echte Heiligtum kann das Geheimnis eines anderen echten Heiligtums anerkennen. Das Geheimnis des anderen ist innen in ihm und kann nicht von außen her wahrgenommen werden. Kein Mensch außerhalb von Israel weiß um das Geheimnis Israels. Und kein Mensch außerhalb der Christenheit weiß um das Geheimnis der Christenheit. Aber nichtwissend können sie einander im Geheimnis anerkennen. Wie es möglich ist, daß es die Geheimnisse nebeneinander gibt, das ist Gottes Geheimnis. Wie es möglich ist, daß es eine Welt gibt als Haus, in dem diese Geheimnisse wohnen, ist Gottes Sache, denn die Welt ist ein Haus Gottes. Nicht indem wir uns jeder um seine Glaubenswirklichkeit drücken, nicht indem wir trotz der Verschiedenheit ein Miteinander erschleichen wollen, wohl aber indem wir unter Anerkennung der Grundverschiedenheit in rückhaltlosem Vertrauen einander mitteilen, was wir wissen von der Einheit dieses Hauses, von dem wir hoffen, daß wir uns einst ohne Scheidewände umgeben fühlen werden von seiner Einheit, dienen wir getrennt und doch miteinander, bis wir einst vereint werden in dem einen gemeinsamen Dienst, bis wir alle werden, wie es in dem jüdischen Gebet am Fest des Neuen Jahres heißt: »ein einziger Bund, um Seinen Willen zu tun«. Ich wiederhole: Daß es Israel gibt, ist etwas Einziges, Uneinreihbares. Dieser Name, dem Erzvater von Gott, nicht von Vater und Mutter verliehen, kennzeichnet die Gemeinschaft als eine, die von den Kategorien der Völkerkunde und der Soziologie nicht zu erfassen ist. So oft wir eine sol6.

Vgl. mein »Königtum Gottes«, Berlin, Schocken Verlag, 1932, S. 84, und mein »Kampf um Israel« S. 43, 53.

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che Kategorie anwenden, tun wir Israel unrecht. In der Bibel ist ausgesprochen, was die Einzigkeit Israels begründet. Sie läßt die Entstehung dieser Gemeinschaft geschichtsidentisch, ereignisidentisch sein mit Glaubenserfahrung und Glaubenshandlung einer Menschenschar in ihrer entscheidenden Stunde. Diese Menschenschar erfährt da ein ihr Widerfahrendes als glaubende Schar, als Glaubensschar, nicht als glaubende Individuen sondern als glaubende Gemeinschaft, als solche glaubend vernimmt und antwortet sie. In diesem Angesprochenwerden und Erwidern wird sie in dieser Stunde zu dem konstituiert, was wir Volk nennen, zu etwas, was nun dauert, in einem geschlossenen Kreis von Zeugungen und Geburten. Das hebt Israel für alle Zeit von den Nationen und von den Religionen ab. Es ist hier eine Einheit von Glauben und Volkstum, die einmalig ist, und deren Einmaligkeit als beiläufig anzusehen einen Unglauben der geschehenen Geschichte gegenüber bedeutet. Ihre Entstehung wird als ein Bund zwischen Gottheit und Menschheit bezeichnet. Dieser Königsbund: daß Gott zu einem Volk sagt (Ex 19, 6), er nehme es sich als seinen unmittelbaren Königsbereich 7 , und daß ein Volk von Gott sagt (Ex 15, 18), er bleibe sein König »in Weltzeit und Ewigkeit«, ist einzig. Aber es ist grundverkehrt, ihn als ein Privileg zu verstehen. Das Volkhafte an diesem Volk erliegt freilich immer wieder der Versuchung, das zu tun. Dagegen steht die große Erscheinung der Prophetie, die das Volk immer wieder gemahnt, es sei nichts anderes, als gleichsam ein Versuch Gottes. Die Genesis erzählt, wie Gott es zuerst mit einer Menschheit versucht, die versagt. Erst dann versucht er, sich ein Volk als den Anfang einer Menschheit, den Anfang der Verwirklichung seines Königtums aufzuziehen. Gott nennt es »den Erstlingsteil seiner Ernte«. Dieses Israel, das zugleich Nation und Religion und keins von beiden ist und das allen Versuchungen der Nationen und der Religionen ausgesetzt ist, möchte in sich ruhen, es möchte sich als zum Selbstzweck begnadet empfinden. Aber seine Führer verweisen ihm alle Sicherheit; es ist als Volk nur da, weil Volkheit die Voraussetzung der g a n z e n Menschenantwort an Gott ist. Volk muß da sein, damit sich die menschliche Antwort im ganzen Leben, zu dem das öffentliche gehört, erfüllen könne. Nicht die einzelne Person, erst die Gemeinschaft in ihrer Vielheit und Einheit, im Zusammenwirken, Zusammenverwirklichen ihrer verschieden gearteten und verschieden berufenen Glieder kann Gott die ganze Lebensantwort des 7.

Vgl. »Königtum Gottes« S. 125 und 238 f.

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Menschen geben. Darum muß Volk sein, darum ist Israel. Die Gemeinschaft muß als die Voraussetzung der Erfüllung dauern, und sie muß, wenn sie anders sein will, zersprengt und erneuert werden. Gegen die Ausartung des Wissens um Israel in den Aberglauben, daß Gott ein Machtlieferant sei, weisen die Propheten immer deutlicher auf das Geschichtsgeheimnis hin. Der Weg Gottes durch die Geschichte läßt sich nicht in einem Schema darstellen. Nicht durch Verleihung von Macht und Erfolg gibt Gott sich als der Herr der Geschichte zu erkennen. Es gibt einen Bund Gottes mit dem Leiden, dem Dunkel, der Verborgenheit. Im prophetischen Wort wird das sündige Volk Gott gegenübergestellt als einem, mit dem es sich nicht in der Macht, sondern im Dunkel, im Leiden wieder verbinden kann. Seither glauben wir daran. Es ist eine immer wieder aktuelle Frage, daß ein Volk sündigen kann, indem es sein Auf-sich-selbst-Hören ein AufGott-Hören nennt. Erst im Exil lernt Israel sich dieser Sünde entwinden. Mit dem babylonischen Exil reift die Vorstellung vom »Knecht Gottes«; von der Menschenart, die je und je auf Erden erscheint und wirkt, was sie zu wirken hat, im Leiden und im Dunkel, im Köcher Gottes (»er hat mich zu einem blanken Pfeil gemacht und dann hat er mich in seinem Köcher versteckt«). Das Leiden um Gottes willen, die verborgene Geschichte der Pfeile, die Gott nicht verschickt, die im Dunkel des Köchers sein Werk wirken – von da aus leben wir seither als Israel. Aller seitherige Widerstreit kann nur von da aus verstanden werden. Die Zerstörung Jerusalems ist nach unserer Ueberlieferung geschehen, weil die Gemeinschaft nicht erfüllt worden ist, weil es in Israel einen Widerstreit gab, der hinderte, daß der »Erstlingsteil« zur Ernte gedieh. Und von da aus kommen nicht bloß die Juden unter die Völker, es kommt auch Israel über die Völker, das heißt, es kommt über die Völker die in Israel erwachsene Botschaft Jesu vom kommenden Weltalter als der siegreichen Offenbarung der verborgenen Weltgeschichte. Die verborgene Weltgeschichte will aus dem Köcher steigen und sich als die Geschichte, als der Weg Gottes kundtun. Jesus, der von einer vergeistlichten Spätform der Theokratie auf die ursprüngliche Gewißheit des Gotteskönigtums und seiner Erfüllung zurückweist, verkündigt sie, indem er die Knechtskonzeption erneuert und wandelt. Seine Botschaft aber hat nicht in ihrer echten Gestalt, sondern in einer Verzweiung, die der Botschaft Jesu fremd ist, die Völker erreicht. Diese Verzweiung die wir am stärksten durch Augustin kennen – bei dem der Bereich der Volksgemeinschaft, des Staates, die Voraussetzung der g a n z e n Lebensantwort des Menschen, preisgegeben, vom Reich Gottes abgeschnitten ist –,

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führt bis in die Konsequenz einer Trennung von »Religion« und »Politik«. Immer wieder versucht ein Reichsgedanke, diese Zweiheit zu überwinden, immer wieder vergeblich. Die Völker haben ihre Reichsgedanken als christliche Völker aufgerichtet. Sie haben das Königtum Gottes als die ihnen zugewiesene Aufgabe empfangen, aufgenommen und als Christen ausgesprochen. Die großen Reichsgedanken der Völker knüpfen alle an jenes Verwirklichungsamt Israels an, aber in der Weise, daß sie, von der Kirche ermächtigt, Israel als aus diesem seinem Amt verworfen erklären, als nicht mehr berufen, an der Gottesgemeinschaft des Menschengeschlechts zu bauen. So stehen die Völker in ihren Reichsgedanken gegen das Judentum. Das Judentum aber steht den Völkern so gegenüber, daß es eben in seiner armseligen Weise, aber unsäglich und unauslöschlich um das Ja diesem Nein gegenüber weiß, nicht um ein leichtes und eigensinniges, sondern um ein auferlegtes und furchtbar schwer zu tragendes Ja. Mit dem Stand der Völkerwelt gegen Israel hängt es zusammen, daß sie das Judentum nicht wahrhaft aufgenommen hat. Im Mittelalter schon war das in seiner Glaubenswirklichkeit von bäuerlicher Ueberlieferung bewegte Israel von der Urproduktion ausgeschlossen; an dem schaffenden Leben des Volkes, in dessen Mitte es lebte, teilzunehmen war ihm versagt. Was vom Verhältnis zu den Gastsassen gesagt ist (Ez 47, 21 f.): »Verteilt ihr euch dieses Land nach den Stämmen Israels, / solls geschehn: / ihr laßt darüber das Los zu Eigentum fallen / euch und den Gastsassen die gasten in eurer Mitte, / die Söhne gezeugt haben in eurer Mitte, / sie seien euch wie ein Sproß unter den Söhnen Israels, / bei euch falle ihnen Los inmitten der Stämme Israels«, haben die Völker nicht als auch zu ihnen gesprochen, als ihnen für ihr Verhältnis zu dem Gastsassen Israel geboten verstanden. So haben sie es Israel unmöglich gemacht, jenen Satz des Jeremias für das Leben im Exil zu verwirklichen: »Baut Häuser und siedelt, / pflanzt Gärten und eßt ihre Frucht!« Die Teilnahme an dem schaffenden Leben haben die abendländischen Völker Israel von je versagt. Aber auch als sie es endlich »emanzipierten«, haben sie es nicht als Israel aufgenommen, sondern als eine Vielheit jüdischer Individuen. Die einmalige Einheit ist von den Völkern nicht anerkannt worden. Israel ist von den Christen nicht als Israel rezipiert. Manche sagen, daß dies unmöglich sei. Ein gläubiger Mensch darf nicht so sprechen. Er darf die Tatsache nicht umgehen, daß es dieses Israel in der Mitte der Völker gibt, daß es in die Mitte der Völker geschickt ist. Dieses Nichtdürfen gilt für Israel wie für die andern. Der Einzigkeit Israels entspricht die Einzigkeit seiner Situation. Gehört zu ihr aber sinngemäß auch dies, daß jenes Gebot an alle Völker, die Gastsassen in ihrer

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Mitte haben, noch immer der Erfüllung, und jenes Wort des Jeremias an Israel noch immer seiner Erfüllbarkeit harrt? Karl Ludwig Schmidt hat mich nach dem Zionismus gefragt. Gewiß ist in diesem der Begriff des Volkstums betont und überbetont worden; weil nämlich innerhalb eines unlöslichen Ineinander von Volkstum und Glauben das Volkstum in der Zeit nach der Emanzipation vielfach vernachlässigt worden war. Man hatte versucht, Israel unter die Religionen einzureihen. Dem gegenüber mußte mahnend gesagt werden, daß Israel ohne sein Volkstum keine Wirklichkeit hat. Aber heute ist es an der Zeit, wieder an die Stelle nationaler und religiöser Begriffe das namenhafte Israel zu setzen, – die Einheit und Einzigkeit Israels. Für dieses ist Zion zu bauen. Und Zion kann nicht territorial allein erfaßt werden, ebenso wie Israel nicht national allein erfaßt werden kann. Ist eine echte Rezeption Israels möglich? Diese Frage scheint mir wesensverbunden zu sein mit jener andern: Ist ein Handeln der christlichen Völker von der Bibel her möglich? Ich weiß nicht, wie es sich damit verhält. Aber davon, wie es sich damit verhält, scheint mir auch abzuhängen, ob es zwischen der Kirche, die um kein Amt Israels weiß, und Israel, das um sein Amt weiß, einen echten Dialog geben kann, in dem man sich wohl nicht miteinander verständigt, aber einander versteht, um des einen Seins willen, das die Glaubenswirklichkeiten meinen. Für diese Möglichkeit spricht, daß heute abend mein christlicher Gesprächspartner das Wort vom Knecht Gottes auf Israels Selbstverständnis angewandt hat. Damit ist die Tiefe des Selbstwissens Israels um sein Amt angerührt. So ist uns die Hoffnung gestattet, daß es zu einer echten Rezeption Israels die Möglichkeit in einem schweren, aber gesegneten gemeinsamen Ringen gibt. Zuletzt noch die Frage nach dem Verhältnis Israels zum Staat. Das ist bestimmt von dem messianischen Glauben Israels. Da dieser der Glaube an eine Menschengemeinschaft als Königsbereich Gottes ist, kann Israel nie und nirgends der Frage nach der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung des Bauens an der menschlichen Gemeinschaft gleichgültig begegnen. Es ist eine innerste Sache Israels, es ist seines Amtes je und je, an der Intention aller Staatlichkeit auf das Reich hin teilzunehmen. Vom messianischen Glauben her ist für Israel jedes Staatswesen, wie immer es geartet ist, eine Vorwegnahme, ein problematisches Modell des Gottesreiches, das aber auf seine wahre Gestalt hinweist. Zugleich aber spürt Israel, da es eben in seinem messianischen Glauben um die Fragwürdigkeit der Realisierungen weiß, je und je die andere Seite des Staates, spürt, daß, was wir Staat nennen, je und je ein Pegel ist, der

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anzeigt, wieviel Freiwilligkeit zur Gemeinschaft vorhanden, wieviel Zwang hinwieder erforderlich ist, um jetzt und hier ein Mindestmaß an anständigem Zusammenleben der Menschen zu erhalten. Diese doppelte Schau Israels ergibt sein doppeltes Verhältnis zum Staat. Israel kann sich nie vom Staat abwenden, es kann ihn nie verleugnen, es muß ihn annehmen, und es muß Sehnsucht nach der Erfüllung des Staates haben, die von seiner jeweiligen Erscheinung so unzulänglich angezeigt wird. Die konservative und die revolutionäre jüdische Haltung gründen in der gleichen Urgesinnung.

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C. Karl Ludwig Schmidt In meiner Erwiderung gebe ich zunächst wiederum einige gedruckte Worte Martin Bubers wieder: »Die Schrift, jenes sogenannte Alte Testament, ist im Schrifttum aller Völker die einzige Urkunde eines konkreten Handelns zwischen Gott und den Geschlechtern der Menschen, in der Form des Berichts an den Ursprung, in der Form der Verheißung an das Ziel dieses Handelns rührend. Dieses konkrete Handeln, von Gott auf die Menschen, von den Menschen auf Gott zu, beides in und an dieser unsern sinnenfälligen Welt, dieses handelnde Zwiegespräch ist, von der Schrift aus betrachtet, eben das, was wir Weltgeschichte nennen.«8 Ich unterstreiche und unterschreibe das, was ich soeben vorgelesen habe. Es kann mir aufgrund einer so vorhandenen Gemeinsamkeit nicht einfallen, gegen Bubers Gesprächsbeitrag Gegensätzliches in einem logisch-dialektischen Sinne aufzustellen. Ihnen den Hörern wie Buber dem Gegenredner wird klar sein, daß ich einzelne Gegensätze aufstellen könnte und vielleicht müßte. Aber solche einzelnen Gegensätze würden in dem jetzt sich gebenden Gespräch ihren zwingenden Sinn verlieren, selbst wenn sie in ihrem Einzelgehalt mehr als logisch-dialektisch wären, d. h. eine sachliche Aussprache bedeuteten. Martin Buber und ich sind uns darin völlig eins, daß die Weltgeschichte, von der Schrift aus betrachtet, an Israel hängt. Wir sind uns völlig eins darin, daß es auf das Daß dieses Israel ankommt. Es gäbe sonst überhaupt keine Geschichte als Gespräch zwischen Gott und den Menschen und als Gespräch von den Menschen her hin zu Gott. Worin wir uns aber unterscheiden und unterscheiden müssen – das ist 8.

Martin Buber, Kampf um Israel S. 181.

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mir aus Bubers Sätzen über die christliche Kirche erneut klar geworden –, ist die Beantwortung der Frage nach dem Wie dieses Israel. Hier sind wir getrennt, auch wenn wir darin zusammengehen, daß Israel weder als bloße Religion unter anderen Religionen noch als bloßes Volk unter anderen Völkern eingefangen werden kann. Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Anschauung innerhalb der christlichen Theologie, die dann allerdings nicht Theologie, sondern Geistesgeschichte und Geschichtsphilosophie ist, bin ich mit Buber darin einig, daß sich das Urchristentum inmitten seiner vielschichtigen Umwelt gegenüber dem Judentum nicht als eine neue, bessere Sittlichkeit verstanden hat, wobei das Judentum eine frühere, schlechtere Sittlichkeitsstufe darstellte. Als an die Schrift gebundener Theologe spreche ich wie Buber vom Bund Gottes mit seinem Volk, aber nun anders als Buber von einem Alten und einem Neuen Bund. Von hier aus, nur von hier aus kann ich meine Gesamtdarstellung und meinen Gesamteinwand kurz zusammenpressen und umreißen. Nicht von ferne darf ich daran denken, das Ihnen und auch mir deutlich gewordene Pathos der Erfahrung eines Menschen, der bluthaft im jüdischen Bereich lebt, in Frage zu stellen, wenn man spürt, mitspürt, daß Erfahrung, die mehr ist als ein Bündel von diesen oder jenen Erlebnissen, in Tiefen gesenkt ist. Das christliche Bekenntnis, die christliche Theologie, von der ich mich hier vorgeschoben weiß (nicht als ob ich das von mir aus gefühls- oder verstandesmäßig klären könnte), sieht davon ab, persönliche Erfahrung gegen persönliche Erfahrung zu setzen. Bekenntnis und Theologie sind vielmehr dadurch und dazu legitimiert, auf die Geschichte Gottes hinzuweisen, wie sie uns Christen in der mit Juden gemeinsamen, aber dann aber auch nicht mehr gemeinsamen kanonischen Heiligen Urkunde aufgezeichnet ist. Auf bluthaft bestimmte Erfahrung hinweisen, würde für deutsche Christen besagen, daß sie hinweisen müssten auf eine germanische, nordische Religion, die, was gewisse Vertreter einer sogenannten Deutschkirche folgerichtigerweise behaupten, von der christlichen Botschaft bei der Christianisierung der Germanen vergewaltigt worden wäre. Bei alledem bleibt die Frage, in welcher Beziehung die Geschichte Gottes, von der die Bibel berichtet, zu unserer Erfahrung steht. Für den Christen ist aber diese Frage erst dann sinnvoll, nachdem das prius der geschehenen Geschichte Gottes bejaht ist. Buber hat eindrucksvoll gesprochen von den Versuchen und Bemühungen Gottes um sein Volk. Zu diesen Versuchen gehört aber dann gerade auch das, was am Anfang des Hebräerbriefes gesagt ist: »Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherlei Weise geredet hat zu den

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Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch seinen Sohn.« Und immer wieder ist, worauf ich schon hingewiesen habe, im Neuen Testament betont, daß dieses Reden, dieses Geschehen von Gott her nicht vorläufig, sondern endgültig, ein für alle Mal ist. Dennoch sehen auch wir Christen wie die Juden auf das Ende. Aber wir wagen das nur auf Grund der Tatsache, daß Gott in Jesus Christus das Ende schon heraufgeführt hat. Von der Ankunft Jesu Christi am Ende der Tage sprechen wir nur als von seiner zweiten Ankunft, seiner Wiederkunft. Von hier aus gesehen, ist die Gemeinschaft des Christen mit dem Juden nur eine vorläufige. Wenn die Kirche christlicher wäre, als sie es ist, so würde die Auseinandersetzung mit dem Judentum schärfer sein, als das jetzt sein kann und darf. Von Anfang an ist in der Geschichte der Christenheit diese scharfe Auseinandersetzung. Das Neue Testament berichtet davon. Aus den Reden der Apostelgeschichte vernehmen wir den Schmerz der an Jesus Christus gläubig gewordenen Juden darüber, daß ihre jüdischen Brüder nach dem Fleisch Jesus von Nazaret als den Messias nicht anerkannt haben. Wäre das geschehen, so gäbe es kein Kreuz auf Golgatha, so gäbe es nicht die Leiden des corpus Christi, so gäbe es kein Warten, weil ja schon damals das von Gott heraufgeführte Ende vollkommen gewesen wäre. Die Weltgeschichte, die trotz ihrer Herrlichkeiten voller Schrecken ist, ist in Gang gekommen, weil das Judentum nicht eingegangen ist in die Kirche, die sich als das von Gott in Jesus Christus berufene Volk als das wahre, geistliche Israel versteht. Das Ringen um diese entscheidend wichtige Kirchenfrage ist allen anderen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Christen vorgeordnet. Wir Christen dürfen nicht müde werden, diese eine Auseinandersetzung wach zu halten. Es ist die Bibel Alten und Neuen Testaments, die uns in eine Bemühung um die Kirche hineinzwingt, so oft auch diese Bemühung in der Kirchengeschichte bis auf diesen Tag verschüttet zu werden drohte und droht.

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D. Martin Buber. Ich lebe nicht fern von der Stadt Worms, an die mich auch eine Tradition meiner Ahnen bindet; und ich fahre von Zeit zu Zeit hinüber. Wenn ich hinüberfahre, gehe ich immer zuerst zum Dom. Das ist eine sichtbar gewordene Harmonie der Glieder, eine Ganzheit, in der kein Teil aus der

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Vollkommenheit wankt. Ich umwandle schauend den Dom mit einer vollkommenen Freude. Dann gehe ich zum jüdischen Friedhof hinüber. Der besteht aus schiefen, zerspellten, formlosen, richtungslosen Steinen. Ich stelle mich darein, blicke von diesem Friedhofgewirr zu der herrlichen Harmonie empor und mir ist, als sähe ich von Israel zur Kirche auf. Da unten hat man nicht ein Quentchen Gestalt; man hat nur die Steine und die Asche unter den Steinen. Man hat die Asche, wenn sie sich auch noch so verflüchtigt hat. Man hat die Leiblichkeit der Menschen, die dazu geworden sind. Man hat sie. Ich habe sie. Ich habe sie nicht als Leiblichkeit im Raum dieses Planeten, aber als Leiblichkeit meiner eigenen Erinnerung bis in die Tiefe der Geschichte, bis an den Sinai hin. Ich habe da gestanden, war verbunden mit der Asche und quer durch sie mit den Urvätern. Das ist Erinnerung an das Geschehen mit Gott, die allen Juden gegeben ist. Davon kann mich die Vollkommenheit des christlichen Gottesraums nicht abbringen, nichts kann mich abbringen von der Gotteszeit Israels. Ich habe da gestanden und habe alles selber erfahren, mir ist all der Tod widerfahren: all die Asche, all die Zerspelltheit, all der lautlose Jammer ist mein; aber der Bund ist mir nicht aufgekündigt worden. Ich liege am Boden, hingestürzt wie diese Steine. Aber gekündigt ist mir nicht. Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist. Aber gekündigt ist uns nicht worden. Wenn die Kirche christlicher wäre, wenn die Christen mehr erfüllten, wenn sie nicht mit sich selbst rechten müßten, dann würde, meint Karl Ludwig Schmidt, eine schärfere Auseinandersetzung zwischen ihnen und uns kommen. Wenn das Judentum wieder Israel würde, wenn aus der Larve das heilige Antlitz hervorträte, dann gäbe es, erwidere ich, wohl die Scheidung unabgeschwächt, aber keine schärfere Auseinandersetzung zwischen uns und der Kirche, vielmehr etwas ganz anderes, das heute noch unaussprechbar ist. Ich bitte Sie, zum Schluß auf zwei Worte hinzuhören, die einander zu widersprechen scheinen, aber einander nicht widersprechen. Im Talmud (Jebamot 47 a) wird gelehrt: Der Proselyt, der in diesem Zeitalter kommt, um ins Judentum aufgenommen zu werden, zu dem spricht man: »Was hast du bei uns ersehen, daß du dazu übertreten willst? Weißt du denn nicht, daß die von Israel in dieser Zeit gepeinigt, gestoßen, hingeschleudert, umgetrieben werden, daß die Leiden über sie gekommen sind?« Wenn er spricht: »Ich weiß, und ich bin nicht würdig«, dann nimmt man ihn sogleich auf. Es möchte scheinen, das sei jüdischer Hochmut. Es ist keiner. Es ist

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nichts anderes als die Kundgebung, der man sich nicht entschlagen kann. Die Not ist eine wirkliche Not und die Schande ist eine wirkliche Schande. Aber es ist ein Gottessinn darin, der uns zuspricht, daß uns Gott, wie er uns verheißen hatte (Jes 54, 10), aus seiner Hand nicht hat fallen lassen. Und im Midrasch (Exodus rabba XIX, Sifra zu Lev 18, 5) heißt es: »Der Heilige, gesegnet sei Er, erklärt kein Geschöpf ungültig, sondern alle nimmt er auf. Die Tore sind geöffnet zu jeder Stunde, und wer hinein zu gelangen sucht, gelangt hinein. Und so spricht Er (Jes 26, 2): ›Oeffnet die Tore, / daß komme ein bewährter Stamm (goj zaddik), / der Treue hält.‹ Es ist hier nicht gesagt: Daß Priester kommen, daß Leviten kommen, daß Israeliten kommen; sondern es ist gesagt: Daß komme ein goj zaddik.« Das erste Wort handelte von den Proselyten, dieses nicht, es handelt vom Menschenvolk. Die Gottestore sind offen für alle. Der Christ braucht nicht durchs Judentum, der Jude nicht durchs Christentum zu gehen, um zu Gott zu kommen.

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Sie haben mir, werter Herr Kollege, Ihre Schrift über die Judenfrage 1 gesandt. Aus dem Brief, der sie begleitete, und aus dem Text selber (S. 67 f.) ergibt sich mir, daß Sie zwar nicht hinsichtlich all Ihrer Urteile über das Judentum und Ihrer Einzelforderungen für dessen Behandlung, wohl aber im Wesentlichen, hinsichtlich der glaubensmäßigen Grundhaltung also, in einem Einvernehmen mit mir zu sein meinen. Dem muß ich – da auch das von Ihnen öffentlich Geäußerte in diese Richtung weist, auch öffentlich – widersprechen. Zu Ihren Urteilen und Forderungen brauche ich nichts zu sagen. Es sind die herrschenden. Ich erfuhr aus Ihrer Schrift – was ich bis dahin nicht wußte und nicht ahnte –, daß es auch die Ihren sind: daß Sie z. B. dafür halten, »der Angehörige des fremden Volkes« habe »in der deutschen Literatur nichts zu suchen«, er möge daher, »will er Schriftsteller sein«, »in einer für seine Glaubens- und Volksgenossen bestimmten, deutlich als jüdisch markierten Literatur sich ergehen«, wobei, wenn sein Buch »von einem über jenes Volkstum hinausgehenden allgemeinen literarischen Werte« sei, »gewiß nichts im Wege« stehe, »daß es auch von Deutschen gelesen wird, so gut wie schwedische und französische Literatur übersetzt und von uns gelesen wird«. Sie und die Oeffentlichkeit werden hoffentlich verstehen, daß ich dazu und zu allem, was in Ihrer Schrift hierhergehört, nichts zu sagen habe, zumal Sie einleitend (S. 8) Ihre Absicht dahin kennzeichnen, »dem Kampf gegen das Judentum eine christliche Sinndeutung zu geben«. Aber die Pflicht des Gegenspruchs fällt mir zu, sowie Sie für diese Sinndeutung auch die Mitwirkung von Juden erwünscht heißen, der Juden nämlich, die wie ich eine Glaubenserneuerung des Judentums erwarten. Für diese sei dies das Problem (S. 66 f.): »ob es möglich sein wird, in dem die Fremdlingschaft bejahenden Judentum eine lebendige Religion zu erwecken.« Das »echte Judentum der Zukunft« sei jenes, das den »Gehorsam unter die Fremdlingschaft« übe. Was Sie aber unter »Fremdlingschaft« verstehen, erhellt daraus, daß Sie als Ihre Antwort auf die Frage, was mit dem Judentum zu geschehen habe, angegeben hatten (S. 13), man solle »entschlossen und bewußt die geschichtliche Gegebenheit einer ›Fremdlingschaft‹ unter den Völkern wahren«, und was Sie unter dieser Wahrung verstehen, im Folgenden (S. 39 f.) angegeben hatten: das »Recht 1.

D i e J u d e n f r a g e . Von G e r h a r d K i t t e l , Professor der Theologie in Tübingen. Verlag von W. Kohlhammer, Stuttgart 1933 (78 S.).

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Offener Brief an Gerhard Kittel

des Gastes« müsse »allerdings in aller Deutlichkeit gegen das des Bürgers abgegrenzt sein«, der Jude müsse »alle Ansprüche auf staatsbürgerliche Gleichberechtigung« aufgeben, wenn er »ein anständiger Gast« sein würde, könnte »vielleicht dann einmal eine Zeit kommen«, in der er nur noch »relativ geringer« und nicht mehr »absolut minderwertig« erschiene. Mit dem »Gehorsam unter die Fremdlingschaft«, der einem gläubigen Judentum eignen müsse, meinen Sie also, daß es eine Diskriminierung und »Diffamierung« (R. Bultmann, ThBl 1933 Sp. 166) des Judentums gläubig anerkennen, daß es sie somit nicht bloß als Gottes gerechte Schikkung, sondern auch als der Menschen gerechte Tat betrachten solle. Sie setzen somit voraus, daß das, was Sie unter Fremdlingschaft verstehen, identisch sei damit, was Gott, dem wir unseren Gehorsam schulden, darunter versteht. Aber dem ist nicht so. Was Gott unter Fremdlingschaft, richtiger: unter Gastsassentum (tC9 ist der Mann, der in einem Lande »gastet«) versteht, ist aus dem Pentateuch eindeutig zu erfahren. Mit außergewöhnlichem Anruf wird die Gemeinschaft ermahnt (Num 15, 16; vgl. Lev 24, 22); »Versammlung! / Einerlei Satzung sei für euch und für den Gastsassen der gastet, / Weltzeit-Satzung für eure Geschlechter: / gleich ihr, gleich sei der Gastsasse vor JHWH, / einerlei Weisung und einerlei Recht / sei für euch und für den Gastsassen der bei euch gastet.« Also keine Diskriminierung! Aber es geht nicht um Recht allein; es geht auch um Liebe. »Wenn ein Gastsasse bei dir in eurem Lande gastet, / plackt ihn nicht, / wie ein Sproß von euch sei der Gastsasse, der bei euch gastet, / halte lieb ihn, dir gleich, / denn Gastsassen wart ihr im Land Aegypten« (Lev 19, 33 f.). Und deuteronomisch gesteigert nochmals, das »Lieben« nicht mehr bloß in dativischer Form, als Liebeserweisung, sondern auch in akkusativischer, als Liebesempfindung, in heiliger Paradoxie gebietend: »Denn JHWH euer Gott, / er ist der Gott der Götter, der Herr der Herren, / die große, die heldische, die umschauerte Gottheit, / er der Ansehn nicht gelten läßt und Beschenkung nicht annimmt, / der der Waise und Witwe Recht schafft, / der den Gastsassen liebt, ihm Brot und Gewand zu geben. / So liebet den Gast, / denn Gastsassen wart ihr im Land Aegypten.« (Deutn 10, 17 ff.) Es gehört zur biblischen imitatio Dei, den Gastsassen zu lieben: Gott liebt ihn, den Ungesicherten, so liebt ihn denn ihr auch! Und die Rezeption reicht bis in das Mysterium gemeinsamer Erlösung; vom Sühnopfer, das von der Gesamtheit um einer »Irrung« willen dargebracht wird, heißt es (Num 15, 26): »Verziehn wird aller Gemeinschaft der Söhne Israels / und dem Gastsassen der in ihrer Mitte gastet, / denn allem Volk geschahs aus Irrung.« Sie, Herr Kollege, zitieren zwar (S. 57) einen Deutn-Text, aus dem her-

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vorgehe, »daß man das Recht auch des Fremdlings nicht beugen dürfe«, jedoch keinen von all denen, aus denen hervorgeht, daß dieses Recht von dem des Landessprossen nicht gesondert, daß beides »einerlei Recht« ist. Aber nur wenn man von dieser magna charta des biblischen Glaubens, die nicht bloß Israel, sondern alle Völker binden soll, in deren Mitte Gastsassen gasten (oder ist’s Ihre Meinung, daß Gott von den Völkern diese Gerechtigkeit und diese Liebe nicht fordre?), ausgeht als von einer, die durch das Neue Testament nicht aufgehoben worden ist (denn wie sollte das Evangelium eine Minderung an Gerechtigkeit und Liebe zwischen Volk und Volk bedeuten?), hat man die Möglichkeit, g l a u b e n s m ä ß i g von einer »Fremdlingschaft« und von einem »Gehorsam unter die Fremdlingschaft« zu reden. Geht man aber von jener aus, im Glaubensernst des Gläubigen aus den Völkern, so hat man denn doch wohl zu allererst nach dem Gehorsam d e r V ö l k e r zu fragen. Einen Gehorsam unter die Fremdlingschaft, wie Sie sie verstehen, wie aber Gott sie nicht versteht, gebietet er uns nicht. Es kommt uns nicht zu, uns gegen sie aufzulehnen, aber es kommt uns auch nicht zu, uns einem Volkswillen a l s d e m W i l l e n G o t t e s zu beugen. Psalm um Psalm unsres Buches, von der Kirche angenommen, spricht einen Appell von den Bedrängern an den Befreier aus. Psalm um Psalm wäre Lästerung, wenn Gott von uns nicht allein heischte, daß wir in der Drangsal ausharren, sondern auch, daß wir uns drein als in ein von ihm Verhängtes appellos schicken. Wir beten auch heute. Wir beten nicht wider andre, wohl aber um unsre und der Völker Erlösung. Der »Feind«, wider den der Psalmist eifert, meint unserm nachsprechenden Gebet nicht Menschen und nicht Menschenmächte, sondern den Urversucher, der in der Geschichte die Erlösung hindert. »Das echte Judentum«, sagen Sie, »bleibt bei dem Symbol des ruheund heimatlos über die Erde wandernden Fremdlings«. Das Judentum kennt kein solches Symbol. Der »ewige Jude« ist eine christliche Sagengestalt, nicht eine jüdische. Das echte Judentum ist stets gewärtig, daß i m n ä c h s t e n A u g e n b l i c k die Verheißung sich erfülle und seine Wanderschaft ende. Es glaubt nicht, daß ihm geboten sei, die Zerstreuung zu bejahen, sondern, sich in ihr für die Sammlung zu bereiten. Es kennt keine »von Gott gewollte Tragik« (S. 38), die es anzuerkennen hätte, denn es kennt die Gnade, und zwar als eine, die den Menschen zu ihrem Werk beruft. Geschichte ist keine Thronrede Gottes, sondern sein Gespräch mit der Menschheit. Wer nicht alles verfehlen will, muß darauf bedacht sein, die Stimmen der Partner zu unterscheiden. Die »geschichtliche Gegebenheit« des »Gastzustandes«, dessen »Wiederherstellung« Sie, Herr Kollege, für

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die »Lösung der Judenfrage« halten, ist zu einem Teil diese Frage selbst, Gottes Frage an die Völker und an Israel, die er in der Geschichte stellt, zum andern ist sie das Ausbleiben einer Antwort. Gewiß ist auch die Emanzipation, so wie sie erfolgt ist, keine rechte Antwort gewesen; aber daraus ist nicht zu folgern, daß nunmehr auf jenes Ausbleiben zurückzugreifen sei. Heppenheim a. d. Bergstr.

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Von den drei anderen »Lösungsversuchen«, die Sie anführen, Ausrottung, Assimilation, Zionismus, sei in diesem Zusammenhang nur der dritte gestreift. Die Argumente, die Sie gegen den Zionismus vorbringen, sind teils übertrieben (als einer, der unablässig für eine stärkere Berücksichtigung der arabischen Ansprüche eingetreten ist, habe ich das Recht zu sagen, daß von »einer furchtbaren sozialen Vergewaltigung des Fellachentums« keine Rede sein kann), teils unzutreffend (daß Sie »Arbeitslosigkeit und Not« das h e u t i g e Palästina beherrschen lassen, daß Sie aus dem genossenschaftlichen Siedlungsbau der Landarbeiter, einer Bekundung echten Gemeinschafts- und Opferwillens, kommunistische Tendenzen ablesen, die »in die Kulturländer zurückstrahlen und diese zu durchsetzen und zu vergiften suchen« könnten, vermag ich kaum zu begreifen); und die wachsende Glaubenswirklichkeit des Zionismus ist Ihnen unbekannt geblieben.

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Zu Gerhard Kittels »Antwort an Martin Buber« (»Die Judenfrage«, 2. Auflage, S. 88-100) habe ich – in der Reihenfolge des von ihm Vorgebrachten – zu bemerken: 1. Kittel vermißt bei mir »eine klare Aussage«, was ich mit dem Satz meines »Offenen Briefs« (ThBl. XII 150) meine, auch die Emanzipation, wie sie erfolgt ist, sei keine rechte Antwort – auf Gottes Geschichtsanrede – gewesen. Ich meine damit, daß die Juden als Einzelne, nicht als die Einheit »Israel« emanzipiert und rezipiert worden sind. Es geht mir nicht darum, daß die Emanzipation »mangelhaft«, sondern daß sie falsch war: wäre sie echt gewesen, sie hätte eine Gemeinschaft, nicht Individuen, freigemacht und eingegliedert. Gewiß hat d a s Judentum »Versündigung geübt, welches in die Assimilation mit all ihren Folgerungen drängte«; aber ich kann den Völkern – die überdies ja selber durch die falsche Emanzipation dazu den Antrieb gaben – nicht die Zuständigkeit zubilligen, den Juden dafür die Buße einer Entrechtung aufzuerlegen. Für solche Sünden des Völkerlebens Rechenschaft zu fordern, hat Gott sich selber vorbehalten (Deutn 32, 35). Wenn er aber einst zwischen Israel und den Völkern richtet, wird er das Schuldbuch der Völker wohl nicht unaufgeschlagen lassen. 2. Kittel beschwert sich darüber, daß ich ihm nicht zugestanden hätte, die von ihm geschilderten Verhältnisse forderten grundsätzliche Besinnung und grundsätzliche Aenderung. Daß Besinnung und Aenderung not tut, würde ich gern zugestehen, nicht aber, daß die wahre Besinnung und die gerechte Aenderung auf dem von Kittel empfohlenen Weg zu erreichen sei. 3. Kittel stellt »scharf und rundweg« in Abrede, daß er das Judentum diffamiere. Ich führe ein Beispiel für mehrere an. Er schreibt (1. Aufl. S. 48, 2. Aufl. S. 52), es sei »dem jüdischen Advokaten« ermöglicht, »mit Hilfe der seinem Geiste eignenden Kasuistik eine Rechtsprechung herbeizuführen, bei der … zwar der Buchstabe des Gesetzes bestehen bleibt, bei der aber für deutsches Rechtsbewußtsein das Gegenteil von Recht geschieht«. Heißt das nun nicht, daß der jüdische Advokat a l s J u d e das Recht verdrehe? Wenn das keine Diffamierung ist, so weiß ich nicht, was in der Welt so genannt zu werden verdient. In der 2. Auflage ist jetzt (S. 52) ein Satz über die »vielen anständigen, edlen, wahrhaft menschenfreundlichen Juden« unter den Rechtsanwälten eingeschaltet. Das sind also anscheinend die, welche die d e m j ü d i s c h e n G e i s t e e i g n e n d e Kasuistik in sich überwunden, – also sich assimiliert haben!

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Zu Gerhard Kittels »Antwort«

4. Die Frage, ob meine Exegese der von mir angeführten Bibelstellen irrig ist oder nicht, kann hier nur gestreift werden. Wer Num 15, 16 f. unbefangen liest, kann meines Erachtens nicht den Eindruck gewinnen, daß es sich da nur um eine auch für den Gastsassen geltende besondere Opfervorschrift handle, sondern der völlig veränderte Ton und Rhythmus sowie die in dreifacher Wiederholung aufgebaute feierliche Eindringlichkeit der beiden Memorialverse müssen ihm sagen, daß da, wie mehrfach im Gesetz, gelegentlich einer Einzelvorschrift ein allgemeiner Grundsatz verkündigt wird. Wie er gemeint ist, geht unzweideutig daraus hervor, daß immer wieder, am nachdrücklichsten Ex 23, 9, an das den Gastsassen schützende Gebot die Mahnung geknüpft wird, die Israeliten kennten die Seele des Ger, denn sie seien einst selber in Aegypten Gerim gewesen: das kann doch nicht anders verstanden werden, als daß sie, was ihnen dort versagt war, selber den von ihnen Abhängigen gewähren sollten, sie, die wüßten, wie es dem Beeinträchtigten zumute ist. An eine »schematische Rechts-Einerleiheit« braucht man dabei freilich nicht zu denken, wohl aber an die g r u n d s ä t z l i c h e Rechtsgleichheit, an die Gemeinsamkeit der w e s e n t l i c h e n Bürgerrechte. Kurioserweise bringt Kittel (2. Aufl., S. 96) gegen mich vor, daß der Gastsasse in Israel nicht Priester werden konnte; aber das konnte doch auch der Israelit nicht, da ja das Priestertum kein freies Amt, sondern das einer Sippe war! Und es ist Kittel, dem Kenner jüdischer Ueberlieferung, gewiß gegenwärtig, daß in dieser (Aboda sara 3 a) der lehrbeflissene Heide dem Hohepriester gleichgestellt wird. 5. Kittel belehrt mich, »ein frommes Judentum« würde meinen Satz, wir seien stets gewärtig, daß im nächsten Augenblick die Verheißung sich erfülle und die Wanderschaft ende, dahin ergänzen, daß dies Gottes Werk sein werde. Es ist mir unbegreiflich, wie jener Satz überhaupt anders verstanden werden konnte: Gottes Verheißung kann doch nur Gott erfüllen. Aber das fromme Judentum, und ich mit ihm, wir glauben daran, daß es Gott gefällt, den Menschen zum Helfer an seinem Werk zu berufen. Heppenheim a. d. Bergstr.

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Ich lebe nicht fern von der Stadt Worms, an die mich auch eine Tradition meiner Ahnen bindet; und ich fahre von Zeit zu Zeit hinüber. Wenn ich hinüberfahre, gehe ich immer zuerst zum Dom. Das ist eine sichtbar gewordene Harmonie der Glieder, eine Ganzheit, in der kein Teil aus der Vollkommenheit wankt. Ich umwandle schauend den Dom mit einer vollkommenen Freude. Dann gehe ich zum jüdischen Friedhof hinüber. Der besteht aus schiefen, zerspellten, formlosen, richtungslosen Steinen. Ich stelle mich darein, blicke von diesem Friedhofgewirr zu der herrlichen Harmonie empor und mir ist, als sähe ich von Israel zur Kirche auf. Da unten hat man nicht ein Quentchen Gestalt; man hat nur die Steine und die Asche unter den Steinen. Man hat die Asche, wenn sie sich auch noch so verflüchtigt hat. Man hat die Leiblichkeit der Menschen, die dazu geworden sind. Man hat sie. Ich habe sie. Ich habe sie nicht als Leiblichkeit im Raum dieses Planeten, aber als Leiblichkeit meiner eigenen Erinnerung bis in die Tiefe der Geschichte, bis an den Sinai hin. Ich habe da gestanden, war verbunden mit der Asche und quer durch sie mit den Urvätern. Das ist Erinnerung an das Geschehen mit Gott, die allen Juden gegeben ist. Davon kann mich die Vollkommenheit des christlichen Gottesraums nicht abbringen, nichts kann mich abbringen von der Gotteszeit Israels. Ich habe da gestanden und habe alles selber erfahren, mir ist all der Tod widerfahren: all die Asche, all die Zerpelltheit, all der lautlose Jammer ist mein; aber der Bund ist mir nicht aufgekündigt worden. Ich liege am Boden, hingestürzt wie diese Steine. Aber gekündigt ist mir nicht. Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist. Aber gekündigt ist uns nicht worden.

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Die Mächtigkeit des Geistes Frankfurter Lehrhausrede (Oktober 1934) Graf Hermann Keyserling hat vor kurzem die gegenwärtige Situation des Völkerlebens dahin gekennzeichnet, daß der suggerierende Typus den lenkenden verdränge. Dem entspreche, daß die Menschheit in ihrer Mehrheit geistig passiv geworden sei. Diese Passivität aber stamme aus einem Aufstand der nicht-geistigen der tellurischen Kräfte, wie er sie nennt, – ich möchte sie lieber die Elementarkräfte nennen. Die Grundlage unserer Zivilisation sei eine zu enge gewesen, die Zahl der in sie einbezogenen menschlichen Fähigkeiten und Antriebe zu beschränkt, eben jene Kräfte seien vernachlässigt worden, und daraus ergebe sich nun die Reaktion, die sich in einer sehr starken Tendenz zu einer Repaganisierung, einer Wiederherstellung des Heidentums äußere. Die heidnische Antike sei eben in Europa das letzte kultivierte Zeitalter gewesen, in dem der Mensch sich selber in der Vollständigkeit seines Wesens angenommen und zugelassen habe. Warum sollen wir nicht, fragt Keyserling, fortan nach einer neuen Integration aller Lebenskräfte in unserem Bewußtsein streben, warum nicht versuchen, eine neue Synthese zu schaffen, in die alle Vitalität unseres Wesens mit eingeht, ebenso wie das Altertum es auf seiner Höhe der Erfassung getan hat? Ja, er vermutet, diese neue Kultur könnte sogar der antiken überlegen sein, da unsre Erfassung der Dinge und ihrer Beziehungen genauer und tiefer geworden sei. Ich habe Ihnen diese Meinung eines nachdenklichen Zeitgenossen deshalb angeführt, weil sich hier in charakteristischem Zusammenhang beides zeigt, zwar eine wirkliche Einsicht in den gegenwärtigen Stand der Dinge, aber damit verbunden eine fehlgreifende Zielsetzung und zugleich eine fehlgreifende Erkenntnis der Ursache. Man kann nicht eine Synthese, als die man ein bestimmtes vergangenes Zeitalter beurteilt, real anstreben. In der geschichtlichen Wirklichkeit gibt es keine Herstellung aus dem Gedanken. Wohl besteht ein Wirken, eine Mächtigkeit des Geistes in der Geschichte, aber nur eine aus der Unwillkürlichkeit. Jenes Programm einer Zielsetzung erweist seine Fraglichkeit schon in dem Attribut der »neuen« Kultur. Es gibt jeweils auch neue Dinge, aber es sind nicht die, die als solche angekündigt worden waren. Das große Neue zeigt sich nie als neu an. Erst recht fragwürdig aber ist die Verkündigung eines neuen Heidentums, von dem wir ja an manchen Orten hören. Es ist ein Verkennen des Sinns geistesgeschichtlichen Werdens, zu wähnen, man brauche bloß hinter ein Weltalter zurückzugreifen, um Baustoff oder Modell des

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»Neuen« zu ergreifen. Niemals wird man solchermaßen etwas von jenen gewachsenen, unwillkürlich gewordenen, nie als Ziel gesetzten heidnischen Herrlichkeiten wiedergewinnen, sondern was man in der Hand behält, ist immer nur das Negative, nicht das am Heidentum, was urständig und eben deshalb unwiederbringlich, sondern nur das an ihm, was noch nicht Christentum ist. Es bleibt somit von der Einsicht in die Macht des Elementaren in unserer Zeit eine Frage übrig, und die ist freilich die Grundfrage der Stunde: Gibt es eine andere Mächtigkeit des Geistes in dieser Geschichtszeit, eine noch lebendige Mächtigkeit des Geistes über die Elementarkräfte, die der Stunde walten? Oder hat sich in der Geschichte die Bedeutung und die Funktion des Geistes so geändert, daß er nicht mehr der Herr der Elementarkräfte sein kann, daß er abdanken muß? Wohl wurde oft in der Geschichte der Geist überfallen von den Kräften, die von unten herauf drängten, aber sein Anspruch beharrte, und immer wieder geschah es, daß er die Rebellen doch bewältigte, doch ihnen das Zeichen seiner Mächtigkeit aufprägte. Gibt es die noch oder nicht mehr? Von dieser Frage angetreten müssen wir vor allem ein verhängnisvolles Mißverständnis beseitigen. Was hier mit Geist gemeint ist, das ist nicht etwas, was in der Geschichte des Menschengeschlechtes allmählich aufgekommen wäre. Geist ist nicht eine späte Blüte am Baume Mensch, sondern er ist das, was den Menschen als solchen konstituiert. Daß der Mensch eine Wesenheit ist, die von den naturhaften Gegebenheiten allein her nicht erfaßt werden kann, daß es die Seinskategorie Mensch gibt, das menschhafte Sein, ist in dem menschhaften Bewußtsein gegründet, das allein wir zu Recht Geist nennen. Er ist also nicht eine Fakultät des Menschen neben anderen, sondern seine zu Bewußtsein gewordene eigentümliche Ganzheit, die ihn zum Menschen macht, die Ganzheit, in die alle seine Fähigkeiten, Kräfte, Eigenschaften, Triebe einbezogen und eingeeint sind. Ist das ein Denken, dann ein Denken mit dem ganzen Leibe – der geisthafte Mensch denkt mit den Fingerspitzen auch. Das geistige Dasein ist nichts anderes als das Dasein des Menschen, insofern er solchermaßen die echte bewußt menschhafte Ganzheit zu eigen hat, die nicht ein Entwicklungsprodukt ist, sondern im Ursprung des Menschen steht, aber sich personhaft entfaltet. Man spricht heute jedoch viel von Geist in einem ganz anderen Sinn: man bezeichnet mit dem Wort, seine große ostwestliche Vergangenheit vergessend oder mißachtend, jenen menschlichen Teilbestand, dem seinem Wesen nach alles Ganzheitliche fremd und verhaßt ist: den abgeschnürten Intellekt. Von der Ganzheit abgeschnürt, aber nach Macht über den ganzen Menschen süchtig, seit einigen Jahrhunderten immer selbständiger und süchtiger werdend, versucht er

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anstatt des entthronten Geistes das Ganze von oben zu regieren, ohne in dessen organische Lebendigkeit, wie der Geist es vermag, überallhin einströmen zu können. Nicht dem Geist, dem Urherrn, sondern dem homunkulushaften Usurpator gilt der Aufstand der »tellurischen Kräfte«. Aber nicht er, nur der menschhafte Ganzheitsgeist ist fähig, die Elementarkräfte und Elementartriebe je und je zu bewältigen: sie nicht zu bändigen, wie man Raubtiere bändigt, sondern sie zu bewältigen, wie der Bildner den Stoff bewältigt und gestaltet. Nur aus dem Geist der Ganzheit kommt dem Leben der Person und dem der Gattung sinnhafte Ordnung und Gestalt. Das Verhältnis des Geistes zu den Elementarkräften und Elementartrieben ist nicht im reinen Denken, sondern allein in der Lebenswirkung des Geistes zu erfassen. Der Geist aber, der sich nicht im Denken Genüge tut, sondern ins ganze Leben sich auswirkt, erscheint, wie immer er jeweils sich nenne oder genannt werde, als Glaubenskraft. Im Seelengeheg der Person erscheint er als gläubiger Mut und als gläubige Liebe. Von der Glaubenskraft her, in Mut und Liebe, wirkt der Geist in die Welt. Hier ist seine Mächtigkeit, die der Elemente walten darf, weil sie sie von urher kennt und weiß was ihnen zukommt. Mag der Geist auch Geschichtszeit um Geschichtszeit immer wieder aus seiner Macht verdrängt und verbannt werden, seine Mächtigkeit bleibt bei ihm: das Eigentliche in der Geschichte geschieht immer wieder unerwarteter-, unvorhergesehenerweise durch ihn, durch gläubigen Mut und gläubige Liebe. Die Verborgenheiten des Geistes dienen seinen Offenbarungen. Von hier aus ergibt sich etwas Grundwichtiges, was der Auffassung, von der ich ausging, entgegensteht. Es gibt in der Geschichte nicht, wie sie annimmt, zweierlei Verhältnis des Geistes zu den Elementarkräften, jenes eine, das sich in der Antike darstellt als Einbeziehung aller Kräfte des Menschen in seine Existenz und in seinen Daseinsausdruck, und das andere, in dem die Überwindung der Elementarkräfte sich zu ihrer Unterdrückung steigern kann, sondern dreierlei. Das erste ist die Verklärung der Elementarkräfte als solcher. Dies mögen wir, wiewohl es niemals in geschichtlicher Erscheinung reines Heidentum gegeben hat, als das Heidentum im Leben der Völker bezeichnen. Das zweite ist die Überwindung der Elementarkräfte, wie sie sich mit am stärksten im Christentum darstellt. Das dritte aber ist die Heiligung der Elementarkräfte: nicht ihre Verklärung und nicht ihre Überwindung, sondern ihre Einheiligung in einen Zusammenhang des Heiligen und damit ihre Verwandlung. Die deutlichste ins Abendland reichende geschichtliche Kundgebung dieses Dritten ist das Judentum. Das Judentum wird von zweierlei Standorten aus mißkannt. Vom

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Christentum aus wird es mit dem Heidentum verquickt, insofern es ebenso der Überschreitung der Welt, des Einblicks in ein jenseitiges Weltüberlegensein unfähig sei; vom Heidentum, das heißt heutig gesprochen vom »Neuheidentum« aus wird es mit dem Christentum verquickt, weil es die großen Lebensmächte verneine und des Sinns für das Geheimnis der Wirklichkeit ermangle. Beide Betrachtungsweisen rühren an das Wesen des Judentums nicht. Dies wird sich erweisen, wenn wir nun die drei Formen der Mächtigkeit des Geistes in ihrem Verhältnis zum Elementaren nebeneinander anschauen. Dabei kann freilich der scharfen Abhebung halber den geschichtlichen Mischungen ihr volles Recht nicht werden, vielmehr muß am Heidentum und am Christentum das Problematische in ihrer Beziehung zum Elementaren hervortreten, ohne daß die konkreten historischen Gebilde mit diesen Vereinfachungen identifiziert werden dürften. Im Heidentum werden die Elementarkräfte als solche verklärt, sie gelten als heilig, sie werden heiliggesprochen, sie werden nicht verwandelt. Der Geist bezieht sie nicht in ein ewiges und unbedingtes Heiliges ein, das weder der Natur noch dem Menschensinn entstammt. Ihre Verklärungsheiligkeit, ihr gotthafter Rang hält nicht stand: weil der Geist, der sie ermächtigt, nicht aus der Unendlichkeit schöpfen kann. Ihre Heiligkeit entblättert sich wie die Übergoldung eines Bildes, und alle Nachgoldungsversuche des Hellenismus mißglücken. Das heidnische Sein bricht am Ende notwendig auseinander in weltfremden Geist und geistfremde Welt. Die klassische Antike ist nichts anderes als ein herrlicher Traum oder Rausch von naturhaft heiliger Existenz. Die griechische Tragödie bedeutet das allmähliche Erwachen aus diesem Traum oder Rausch und die griechische Philosophie den immer vergeblicher werdenden Versuch einer Wiedergewinnung des Entschwindenden. Der Mensch nimmt sich in der antikischen Welt nicht, wie Keyserling meint, in der Vollständigkeit seines Wesens an, sondern er erhebt sich in einer unerhörten bildnerischen Genialität über seinen faktischen und unaufhebbaren Widerstreit, der mit dem Erlahmen der Bildnerkraft unerbittlich vordringt und die Verzweiflung eines Weltalters heraufruft. Dies ist die Stunde, in der das herangewachsene Christentum die Macht antritt und ein neues Verhältnis zum Elementaren aufrichtet. Das Christentum – worunter ich nicht die Lehre Jesu verstehe – vollzieht die Entheiligung des Elementaren. Um dies deutlich wahrzunehmen, ist es nötig, zwischen Elementarkräften und Elementartrieben zu unterscheiden. Elementarkräfte nenne ich die naturhaften Kräfte, die urzeitlich und geschichtszeitlich an der Art, den Artungen und den Geschicken des Menschen bauen. Die meisterörterten Beispiele dafür sind

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die Elementarkräfte von »Blut« und »Boden«. Das Christentum vollzieht die negative Entheiligung dieser Elementarkräfte, indem es sie nicht in sein Heiligtum aufnimmt. Zugleich aber vollzieht es die positive Entheiligung der Elementartriebe. Zum Unterschied von den Elementarkräften, die die Menschenexistenz objektiv aufbauen, sind es die Elementartriebe, in denen sich die Menschenexistenz subjektiv, aber einem gemeinsamen Kerne nach auswirkt, gemeinsam zum Teil dem Menschen mit anderen Wesen, zum Teil ihm eigentümlich oder in ihm eigentümlich ausgebildet; wir kennen sie als Hunger, Geschlecht, Machtwillen. Das Christentum entheiligt sie positiv, indem es sie einer völlig andersartigen Heiligkeit unterwirft. Der größte Ausdruck dieser Unterwerfung ist das paulinische Wort von dem »Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist«, und das dem »Gesetz meiner Vernunft« widerstreitend den Leib des Todes webt. Die antike Welt war auseinandergebrochen in einen weltfremden Geist und eine geistfremde Welt. Hier, in diesem paulinischen Doppelgesetz, hausen sie nebeneinander. Der Geist ist heilig, die Welt ist unheilig. Auch da, wo das Christentum auf das natürliche Leben sakral eingeht, wie in dem Sakrament der Ehe, wird nicht die Leiblichkeit des Menschen selbst geheiligt, sie wird nur dem Heiligen unterworfen. Das asketische Ideal war gewiß nicht allverpflichtend, aber es ist das Bild des zulänglichen Christen gewesen, und dieses Bild hat das abendländische Christentum entscheidend geformt. Ein grundsätzlicher Dualismus des Seins erstand: Geist und Welt sind verschiednen Gesetzes, der Mensch kann aus sich selbst nichts, er kann sich nur dem Anderen, der Erlösung, die von drüben in seinen Raum leiblich eingetreten ist, überlassen. Als Folge aber diesem grundsätzlichen Dualismus ersteht ein faktischer, nur in den Aufschreien einiger großen Bekenner ausgesprochener Dualismus des gemeinten und des gelebten Menschenlebens: oben eine wunderbare, wieder mit herrlichen Goldfarben ausgemalte Kuppel, die das Leben überwölbt, den Blick tröstet und sättigt, unten das tatsächliche Leben, wo mächtig und, wenn auch geweiht, doch zuinnerst ungeheiligt das Elementare schaltet. Ich habe, ich wiederhole es, notwendigerweise einseitig, vereinfachend dargestellt. Es gibt daneben im Christentum ein Wesensverschiednes: es ist dies ebendas in ihm, was nicht der zerfallenden Antike, sondern der Überlieferung biblischen Urglaubens entsprang. Beides aber, der ganze christliche wie der ganze heidnische Geist – es ist echter Geist, der ein bündiges Verhältnis zu den Elementarkräften aufrichtet. Das ändert sich von Grund aus in den letzten Jahrhunderten, wo vielfach nicht mehr der Geist regiert, sondern usurpatorisch jener abgeschnürte Intellekt, der das Elementare zu meistern unternimmt, indem er das Sein entgeistigt. Ihm allein gilt in Wahrheit jener Aufstand der Elementarkräfte, der freilich

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oft sich selber mißversteht und den Geist statt seines Verdrängers bekämpft. Das Judentum kann man in seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung nur erkennen, wenn man es im Zusammenhang der alten Realsysteme des Ostens sieht, als das nämlich unter ihnen, das sich mittelbar mit dem Gefüge abendländischen Völkerwesens verschränkt und unmittelbar ihm anwohnt. Realsystem ist zum Unterschied von allen nur ideellen Systemen jene Grundeinheit einer großen Gemeinschaft zu nennen, durch die alle Bereiche des gesellschaftlichen, familienhaften und persönlichen Lebens, Staatlichkeit, Wirtschaft und Kultur auf ein einziges, aus keinem von ihnen abzuleitendes, aber jeden durchdringendes, jedem sinngebendes Urprinzip bezogen sind, – ein Urprinzip, das sich auch mit dem Volkstum nicht deckt, sondern auch ihm transzendent bleibt, es begründet und beseelt. Von diesen heute in der Auflösung begriffnen oder ihr sich nähernden Realsystemen Asiens hat sich dieses eine abgespalten und in seiner abendländischen Verkapselung weit über die hohe Zeit des Morgenlandes hinaus bewahrt, gewiß nicht unversehrt, aber noch unverdorben. In ihm, im Judentum ist der Geist nichts andres als jene Macht, welche die Welt heiligt. Wenn irgendwo, ist er hier nicht etwas Selbständiges und Selbstherrliches, sondern er ist das Verbindende und im Verbinden Existente, – ja, man darf ihn als die Verbundenheit selber ansprechen, die Verbundenheit dieser menschlichen Gemeinschaft mit ihrem Ursprung, eine Gottverbundenheit, die nicht einfach da ist, als etwas Festes, Sicheres, in den Menschen Hineingetanes, sondern die je und je wird, strömt, sich ergießt, sich niederläßt: die geschehende Gottverbundenheit des Menschen. Dieser Geist will seine Wirklichkeit finden, um ihretwillen kommt er über den Menschen: um der Heiligung der Welt willen. Hier wird mit dem äußersten Ernst das Wirklichsein der Welt als ihr Geschaffensein auf- und angenommen. Die Welt ist geschaffen, die Welt ist nicht eine Spiegelung, nicht ein Schein, nicht ein Spiel, die Welt ist nicht etwas zu Überwindendes, sie ist erschaffene Wirklichkeit, aber um der Heiligung willen erschaffene Wirklichkeit. Alles Geschöpfliche ist als solches der Heiligung bedürftig und der Heiligung fähig: alle geschöpfliche Leiblichkeit, aller geschöpfliche Trieb, alle geschöpfliche Elementarkraft. Durch die Heiligung empfängt die Leiblichkeit die Erfüllung ihres Schöpfungssinns. Der von der Schöpfung her in den Menschen, in die Welt gelegte Sinn wird durch die Heiligung erfüllt. Nicht wird hier also die Welt zum Geist verklärt, aber sie wird auch nicht vom Geist überwunden. Der Geist liegt nicht heiltumgenießend einer heiligen Welt in den Armen, noch schwebt er heiltumverhaltend über einer unheiligen Welt, sondern er wirkt Heiligung und die Welt wird geheiligt. Die Ele-

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mentarkräfte werden im Realsystem des Judentums, in seiner Glaubensexistenz eingeheiligt in einen urheiligen Zusammenhang. So werden Blut und Boden in der Verheißung an Abraham geheiligt durch ihre Bindung an das Geheiß (1. M 122), »ein Segen« zu werden. »Same« wird verheißen und »Erde« wird verheißen, aber beides nur, damit in dem zur Sprachenwirrnis zersprengten (118 f.) und zu »Stämmeinseln« zertrennten (105) Menschengeschlecht ein neues Volk in seinem Land, »Seinen Weg hüte, Wahrheit und Recht zu tun« (1819) und so den Bau einer Menschheit beginne. Volk und Land erscheinen im biblischen Israel als Elementarkräfte, die ihre Heiligung von dem Schöpfungsziel Gottes aus empfangen. Sie werden weder heiliggesprochen noch der Heiligkeit abgerückt, sondern vom Heiligen rezipiert und ihm eingeheiligt. So werden auch die Elementartriebe geheiligt, wie jene sakral, so sie sakramental: der Hunger in dem (abgewandelt in den Schlacht- und Speiseriten fortlebenden) Sakrament des Opfers, wo jeder Genuß tierischen Fleisches mit einer Darbringung an Gott verbunden wird, deren Ursinn ist, daß der Mensch sich selber Gott schuldet und sich durch das Tier nur ablösen lassen darf; das Geschlecht in dem (in seiner Reinheit fortlebenden) Sakrament des Bundes in der Beschneidung, darin die Zeugung zugleich bestätigt und einer heiligen Berufung eingewandelt wird; der Machtwille in dem (nur noch in der messianischen Hoffnung fortlebenden) Sakrament der Königssalbung, darin der Träger der Macht als Statthalter Gottes von ihm den Auftrag empfängt (2. Samuel 233 f.), ein Reich der Gerechtigkeit zu errichten. Die Heiligung wandelt die Triebe, indem sie sie in die Verantwortung dem Heiligen gegenüber stellt. Zur Lehre wird diese große Konzeption in der nachbiblischen Zeit in der Lehre vom jezer hara, von der »Einbildsamkeit zum Bösen«, dem sogenannten bösen Trieb, auf deutsch: von der Leidenschaft. Geschöpf ist auch sie, von Gott dem Menschen eingeschaffen als die Kraft, ohne die kein Werk, auch kein heiliges Werk geraten kann, aber durch die es nur geraten kann, wenn der Mensch, der wahlmächtige Mensch der ganzen Kraft der Leidenschaft die ganze Entschiedenheit der Richtung verleiht – auch dies der Anfang nur einer Bewegung, deren Vollendung nicht mehr seine Sache ist. In der Heiligung wird hier der ganze Mensch angenommen, bestätigt und erfüllt. Dies ist die wahre Integration des Menschen. Es ist nicht an uns, auf die Frage nach der Mächtigkeit des Geistes in dieser Geschichtszeit eine allgemeine, allgemein gültige Antwort zu geben. Es ist aber an uns, darauf eine besondere, für uns gültige Antwort zu geben. Es ist an uns, uns auf die Mächtigkeit des Geistes im Judentum zu besinnen, auf dieses unser Realsystem, darin das Elementare eingeheiligt worden ist in den einen großen Zusammenhang des Heiligen: die

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Heiligkeit Gottes und die Heiligung von ihm her und für ihn. Unsere Glaubensexistenz kennt keinen anderen Geist, der des Elementaren mächtig ist, als diesen, der es einheiligt. Dieser in seinem Bereich des Elementaren mächtige Geist wird, wenn er neue Lebensgestaltung gewinnt, auch Zeitaltern standzuhalten vermögen, in denen das Elementare in seinen Kräften ohne Beding, in seinen Trieben nur eben gebändigt waltet.

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Unserem Verbündeten (Leonhard Ragaz zum 75. Geburtstag) Leonhard Ragaz, Vorsitzender der »Religiösen Sozialisten« in der Schweiz, ist ein Kämpfer für Gott und gegen die »Religion«, das heisst gegen die höchste Form des Götzendienstes. Sein ganzes, in eifriger Arbeit verbrachtes Leben lang bemühte er sich in unermüdlichem Ringen zu zeigen, dass Religion, stellt sie sich als unabhängige Sphäre und als unabhängige Autorität dar, den Menschen daran hindert, sein Auge zu Gott aufzuheben und dessen Reich zu schauen. Um die Schuld der Religion zu beweisen und sie zur Umkehr zu bewegen, konfrontierte er sie immer wieder – nicht in allgemeinen theologischen Diskursen, sondern stets direkt auf dem Hintergrund gegenwärtiger Not und Erfordernis – mit dem in der menschlichen Erfahrung klaffenden Widerspruch, mit der »sozialen Frage«, hinsichtlich derer die Religion enttäuschte und weiterhin enttäuscht. Er lehrte immer wieder und in unterschiedlichen Situationen, dass Gottes Namen missbraucht, wer Gott nicht »zu Hilfe kommt« und gegen diesen Widerspruch ankämpft. Doch die brennende Wirklichkeit seines Glaubens veranlasste ihn, sich mit strenger und autoritativer Kritik nicht nur gegen die Religion, sondern auch gegen den »Sozialismus« zu wenden. Er erklärte, der herrschende Sozialismus habe, indem er sich an den Relativismus der sich in Auflösung befindlichen Gesellschaft verkaufte, sein tiefes Fundament, seine höchste Hoffnung und selbst seine innere Vollmacht verloren. Gemäß den Erfordernissen der Zeit und der gesellschaftlichen Situation maß Ragaz das Vorgehen der Sozialisten an der Aufgabe und am Programm des Sozialismus, an dessen ursprünglicher Wahrheit, und stellte die Unternehmungen der Parteien und Regime auf dem Hintergrund ihres inneren Grundes in Frage. Der »religiöse Sozialist« Ragaz wagte es, von der »Religion« zur Religion und vom »Sozialismus« zum Sozialismus vorzudringen, – genauer: zu dem Ort, an dem der jeweils für sich stehende innere Grund dieser beiden sich zu einem inneren Grund zusammenfügt, mit dem Sinn, in Bezug auf seine Geschichte den Weg dieses Menschen zu bestimmen. »Dies ist«, sagte Ragaz einmal, »die Geschichte der Scheidung derer, die an Gott, nicht jedoch an das Gottesreich glauben, von denen, die an das Gottesreich, nicht jedoch an Gott glauben.« Nur beide zusammen können der Vorstellung des inneren Grundes entsprechen. Was den kämpfenden Ragaz jedoch mehr als alles andere auszeichnet, ist jenes »den Erfordernissen der Zeit und der gesellschaftlichen Situation gemäß«. Während seines ganzen Lebens erfüllte er seine Aufgabe nicht besser als in jenen zehn Jahren, in denen der Widerspruch unter dem

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Schleier der zur höchsten Verdichtung gelangten Lüge auszog, die menschliche Welt zu erobern. Aus jener Zeit gibt es kein befriedigenderes Zeugnis geistigen Wachens als die von Ragaz monatlich in seiner Zeitschrift »Neue Wege« veröffentlichten Berichte »Zum Zustand der Welt«. Diese Veröffentlichungen wurden schließlich durch die Manipulationen der Militärbehörden seines Heimatlandes vereitelt und Ragaz konnte diese Arbeit nicht fortführen. Er stand auf dem Wachposten in einem Wachzelt, dessen Wände dünn wie Papier waren, und das vom schwächsten, aus dem Weltensturm herwehenden Luftzug hätte umgeworfen werden können (und tatsächlich umgeworfen wurde). Er wachte und hielt Ausschau, verfolgte aufmerksam das Geschehen und interpretierte es. Er, der zum Wächter bestellte, wachte und warnte. Während des letzten Krieges begann ich, eine Zeitung unter dem Namen »Der Jude« herauszugeben. Der damals noch als Universitätsprofessor tätige Ragaz (er kündigte diese Stelle im Jahre 1921 auf) betrat – wie mir erzählt wurde – einmal den Vorlesungssaal und stellte seinen Studenten ein Heft aus der Reihe »Der Jude« als vorbildliche »christliche« Zeitschrift vor. Mit dieser Bezeichnung meinte er: Wie sie sich für das Christentum gehört. Heute kann ich ihm hierauf folgendes antworten: In »Neue Wege« lebt Israel in christlicher Gestalt. Israel ist in den Augen Ragaz’ von besonderer und großer Bedeutung. Vor wenigen Wochen kam bei uns sein letzter, mit dem Titel »Israel, Judentum und Christentum« überschriebener Aufsatz an. Auf dem Deckblatt des Exemplars, das ich von ihm erhalten habe, steht in seiner Handschrift geschrieben: »M. B. in großer Sympathie für Israel gewidmet.« Zwanzig Jahre zuvor sandte er mir ein mit »Judentum und Christentum« betiteltes Heft. In diesem wird gesagt: »I s r a e l i s t g r ö ß e r a l s d a s J u d e n t u m . Das Judentum hat nicht die ganze Israelswahrheit verwirklicht. Diese steht noch immer ü b e r und v o r ihm.« Im Titel des neuen Aufsatzes kommt dieser Gedanke nun dezidiert zum Ausdruck. Des Weiteren wird er hier von Ragaz in folgenden Worten auseinandergesetzt: »Christentum und Judentum gehören zu Israel. Israel lebt in beiden, aber in beiden unvollkommen. Israel wird nicht in dem Einen oder dem Andern, oder gar in beiden verkörpert, s o n d e r n g e h t d u r c h b e i d e d u r c h , g e h t ü b e r b e i d e h i n . Das Vorhandensein Israels einigt die beiden, macht sie zu Verbündeten, das Fehlen Israels, bei seinem vermeintlichen Vorhandensein, trennt die beiden, macht sie zu Konkurrenten. Ihre Verwandtschaft verbindet sie, trennt sie aber auch. Die Judenverfolgung und der Antisemitismus auf der einen und der marxistische Bolschewismus auf der andern Seite sind Frucht und Symbol ihres Streites.«

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»Und wie kann die Vereinigung und Versöhnung erfolgen?«, fragt Ragaz, und antwortet: »Nicht dadurch, dass das Eine das Andere besiegt oder dass das Eine das Andere unter die Fittiche seines Glaubens nimmt, sondern auf einem anderen, zweigleisigen Weg! Dadurch, dass sie sich, jedes für sich, unter die Fittiche seines eigenen Glaubens und dann auch unter die Fittiche des Glaubens seines Nächsten begeben.« Die Bedeutung dieser letzten Formulierung hat Ragaz in seinem Aufsatz nicht zur Genüge erklärt. Stattdessen wandte er sich sozusagen persönlich an mich, doch muss ich eingestehen, dass mich seine Formulierung hier – so schön sie auch ist – nicht zufriedenzustellen vermag! »Dann« ist es meiner Meinung nach notwendig, dass sich beide unter die Fittiche einer dritten, noch nicht zu bestimmenden Substanz begeben; und vielleicht kann diese letzte Phase gar nicht mehr mit dem Begriff des ›sich unter die Fittiche des Glaubens begeben‹ bezeichnet werden. Unsere Hoffnung richtet sich also auf die Veränderung des Menschengeschlechts, einschließlich des Judentums und des Christentums, welche unter keiner bekannten geschichtlichen Kategorie – auch nicht unter der des ›sich unter die Fittiche des Glaubens begeben‹ – zu begreifen ist, – denn die Offenbarung ist nicht versiegt. Die erste Formulierung, jenes »sich selbst unter die Fittiche des eigenen Glaubens begeben«, ist unseren Herzen innig vertraut. Wir, die wir im Gefecht des Judentums den Kampf für Israel kämpfen, kämpfen für einen uns zuweilen abgelegen und verloren vorkommenden Wachposten, – doch gibt es kaum einen anderen, für den es wert wäre, standzuhalten. In dem, was Ragaz zur Auslegung seiner Worte sagt, scheint unsere Erkenntnis inbegriffen zu sein: »Jeder dieser beiden geteilten Ströme Israels muß zuerst wieder seinen eigenen Sinn gewinnen, zu seinem Wesen und Ursprung, zu Israel, zurückkehren.« In Liebe und Hochachtung senden wir unserem Verbündeten unseren Segen. M. Buber

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Leonhard Ragaz, um den wir trauern, war der echteste Freund, den das jüdische Volk in unserer Zeit besessen hat. In dieser dunkelsten Stunde unserer Geschichte nennen sich nur wenige unsere Freunde. Unter ihnen heben sich zwei Arten hervor. Die einen treten für uns ein, weil wir verfolgt werden. Das ist ein edles und des Dankes würdiges Gefühl, aber ebensowenig als echte Freundschaft zu verstehen, wie man in dem Ausharren etwelcher Juden in ihrer Gemeinschaft aus diesem Motiv allein eine echte Zugehörigkeit erblicken darf. Denn wie diese bei unserem ersten freien Atemzug uns zu verlassen sich anschicken würden, so müssten wir in demselben Augenblick das Wohlwollen jener einbüssen, das wir eben nur als vom Ersticken Bedrohte geniessen. Die zweite Art stellt sich in denjenigen dar, für die wir unserer biblischen Urvergangenheit wegen der Gegenstand eines aus Respekt und Grauen gemischten Interesses sind: Respekt, weil wir nun doch einmal die leiblichen Nachkommen jener Horde ausmachen, die einst den brennenden Berg umstand, Nachkommen, durch 150 Generationen von ihr getrennt, und Grauen, weil seit den Tagen der Schlachtbänke u. Gaskammern auch die Gesichertsten unter uns als lebendige Tote, als Scheinlebendige durch ein uns gleichmütig anstarrendes Menschengeschlecht wandeln. Auch dieses eher romantische Verhältnis, das einem Gewesenen und Unwiederbringlichen gilt, von dem auf unser gespenstisches Dasein ein leicht verklärender Schimmer fällt, ist nicht echte Freundschaft zu nennen. Ganz anders hat Ragaz zu uns gestanden und zu uns gehalten. Für ihn waren wir, was wir in unserem innersten Selbstwissen und Selbstverständnis für uns selber sind: die Schmetterlingspuppe, in der der Falter Israel seine Erneuerung erwartet. Nicht dass er uns idealisiert hätte, nicht dass er unser wirkliches Sein durch ein lichtes Traumbild verdeckt hätte: das hat er ebensowenig wie wir selber getan. Er hat die Fragwürdigkeit unserer inneren Existenz, die Unzulänglichkeit unserer Seele, die Mangelhaftigkeit unserer Lebensform, die bis in die Tiefe des Wesens reichende Verrenktheit unseres Volksbaus kaum weniger klar gesehen als wir selber, aber er hat eben zugleich das Unfragliche, das Zulängliche, das Mangellose, das Ebenmässige gesehen, das in uns angelegt ist und für die Augen des echten Freundes wie für den Innenblick des Selbstwissens durch all unsere Problematik unwandelbar hindurchscheint. Aber man würde das *

Ansprache bei einer Gedenkfeier für Ragaz in der Synagoge Emet we-Emuna, Jerusalem.

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Eigentliche verfehlen, wenn man dieses Angelegtsein rein naturhaft verstünde, wie wir eben von den besonderen Anlagen des und jenes Volkes zu reden pflegen. Das wäre hier, solchem Schicksal und solcher Entartung gegenüber, nicht von entscheidendem Gewicht. Ragaz hat an uns gesehen, was mit uns gemeint ist, genauer: was der Eine die Welt Meinende mit uns gemeint hat und zu meinen nicht aufhört. Dies aber ist etwas wesenhaft anderes als die schöpfungsmässigen Anlagen der Völker: es gehört dem Werk der Offenbarung an. Hat jedes Volk seine Anlage, so ist hier mehr als Anlage, so ist hier Auftrag, und hat etwa jedes Volk seinen Auftrag von seiner Natur her, so ist hier mehr als Auftrag, so ist hier Sendung. Auf jeden Fall ist hier Erwählung. Erwählung nicht zum Sprechen eines bestimmten Wortes, sondern zum Leben eines bestimmten Lebens, zum Leben eines gerechten Volkslebens, … und der Weg zu diesem Leben führt, wie über die Märtyrer unserer Martyrien, so über die Massenopfer der Gaskammern hin. Es ist der Weg, den ein furchtbarer und gnädiger Gott, unser Herr und der Herr der Welt, »dessen Planungen nicht unsere Planungen sind«, uns zu uns selber führt, zu dem was er mit uns meint. Wir können ihn heute weniger als je verstehen, wir können ihn heute weniger als je vor unserem Menschensinn rechtfertigen, aber dies eine vermögen wir aus seinen grausamen Zeichen in Blut und Feuer zu lesen, dass wir noch immer Erwählte sind. Nicht als Einzelne haben die Zahllosen, die gepeinigt und umgebracht worden sind, Zeugnis abgelegt, wohl aber miteinander, Zeugnis für die fortbestehende Erwählung. Denn ob wir selber auch unablässig gegen unser eigenes Gewissen, gegen das Gewissen unserer Sendung handeln, so sind wir doch miteinander, durch unsere gemeinsame Existenz, durch die in jedem von uns und in allen miteinander, aus jedem von uns und aus allen miteinander unüberhörbar redende göttliche Forderung sind wir, trotz all unserer Unzuverlässigkeit, das zuverlässige Gewissen der Völker. Das Gewissen ist zwar keine jüdische Erfindung, wie jener Untermensch gesagt haben soll, um den Krampf seines Gewissens zu stillen: es ist eine göttliche Erfindung; aber in diesem unserem schwachen, widerspenstigen, ungetreuen Judendasein ist sie Fleisch geworden. Das hat Ragaz gesehen, so hat er uns gesehen: und indem sein Aussenblick und unser Innenblick einander auf dem gleichen verborgenen Gegenstand begegneten, erkannten wir den echten Freund. Aber um vollständig zu erfassen, was dies bedeutet, muss man eines hinreichend beachten: Ragaz sah uns, wie er uns sah, als Christ. Die Grundhaltung des Christentums zum Judentum war in all den Zeiten ihrer Auseinandersetzung auf der Lehre gegründet, Gott habe die Erwählung von dem ihm unbotmässigen Volke Israel genommen und auf die

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Gemeinschaft der gläubigen Christen übertragen, und zwar damals, als nach christlicher Auffassung die Unbotmässigkeit Israels in der Verwerfung des gekommenen Messias ihren Gipfel erreichte. Im Gegensatz zu dieser Grundhaltung hat Ragaz, mit einer Deutlichkeit und Eindringlichkeit wie kaum ein anderer Christ, erklärt, unsere Erwählung sei nicht aufgehoben, sondern das von Gott erwählte Israel sei von dem Kommen Jesu an nicht mehr bloss in das Judentum, sondern auch in das Christentum gelegt, ohne dass bisher weder das eine noch das andere es wahrhaft verwirklicht hätte. »Israel«, so sagt Ragaz schon in einem 1921 vor einem jüdischen Publikum gehaltenen Vortrag, »ist grösser als das Judentum. Das Judentum hat nicht die ganze Israelswahrheit verwirklicht. Diese steht noch immer ü b e r und v o r ihm, gerade wie sie, in d i e s e m Sinne, über und vor dem Christentum steht.« Von dieser seiner Voraussetzung aus lehnte Ragaz es ab, von den Juden zu verlangen, dass sie zum Christentum kommen. Es gehe vielmehr für beide, Judentum und Christentum, darum, »in heiliger Unruhe ihre eigene Wahrheit neu zu suchen durch Rückwärtsgehen zu den Quellen und Vorwärtsdrängen zu den Höhen. Und indem sie in diesem Sinne sich selbst suchen, werden sie einander begegnen.« Und nach mehr als zwanzig Jahren, 1942, in dem Jahr der Gaskammern, wiederholt dies Ragaz in seiner zweiten zusammenfassenden Schrift, »Israel, Judentum, Christentum« noch intensiver und fordernder. »Christentum und Judentum«, sagt er hier, »gehören zu Israel. Israel lebt in beiden, aber in beiden unvollkommen. Israel wird nicht in dem einen oder dem anderen, oder gar in beiden verkörpert, sondern geht durch beide durch, geht über beide hin, fliesst als unterirdischer Strom in der Tiefe der beiden. Und Israel richtet die beiden. Das Vorhandensein Israels einigt die beiden, macht sie zu Verbündeten, das Fehlen Israels, bei seinem vermeintlichen Vorhandensein, trennt die beiden, macht sie zu Konkurrenten.« Und wieder die gleiche Folgerung: »Jeder dieser beiden geteilten Ströme Israels muss zuerst wieder seinen eigenen Sinn gewinnen, zu seinem Wesen und Ursprung, zu Israel, zurückkehren. Jedes muss sich von innen her erneuern«. Ragaz will nicht das Judentum zum Christentum bekehren, »sondern höchstens«, so sagt er, »wenn ich mir solches anmassen dürfte, das Judentum zu sich selber und das Christentum zu sich selbst, damit aber beide zueinander.« Das Gemeinsame aber, worin beide einander begegnen müssen, kann naturgemäss nichts anderes sein als, wenn auch in einer neuen Fassung und Gestaltung, das Streben nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit auf Erden im Gegensatz zur »heidnischen« Indifferenz der messianischen Schau gegenüber. Der Strom dieses Strebens hat im Christentum schon früh zu versanden begonnen. Immer mehr ist an Stelle der erstar-

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renden revolutionären Bewegung des Reiches Gottes die Religion, also Dogma und Kirche, getreten. »Damit aber«, sagt Ragaz, »ist im Christentum Israel erloschen. Allerdings nicht ganz und gar.« Es muss und wird in einer Revolution des Christentums wieder entbrennen. Aber auch im Judentum hat sich die prophetische, die lebendig-messianische Linie vielfach verkapselt. Grosse Zeichen, unter denen Ragaz den Chassidismus, den jüdischen Humanismus, den jüdischen Anteil am Sozialismus und den Zionismus hervorhebt, kündigen ihm Befreiung an. »Dennoch«, so fügt er hinzu, »ist auch im Judentum Israel noch nicht ganz zu sich selbst gekommen. Noch ist nicht das Reich Gottes für die Erde und seine Gerechtigkeit das einzige und einfache Bekenntnis der jüdischen Gemeinde. Auch im Zionismus nicht. Noch ist der heilige Glutstrom nicht aus ihr mit aller Kraft aufgebrochen und in die Welt getreten.« Inmitten der grossen Wandlung, die er erhofft, sieht Ragaz der Christ naturgemäss auch eine Wandlung in der Stellungnahme des Judentums zur Person Jesu, aber er betont, dass er damit nicht eine Annahme des christlichen Christus meint. »Es wird«, sagt er 1921, »aus der Seele des Judentums vielleicht eine ungleich kongenialere Erfassung und Verwirklichung der Sache Jesu erstehen, als sie bisher auf unserem Boden vorgekommen ist.« Ich darf nicht verschweigen, dass ich – so sehr ich mich im Realismus des messianischen Strebens mit Ragaz einig fühle – diesem seinem besonderen Anliegen zwar gründlich beipflichten, aber nicht weniger gründlich widersprechen muss. Ich glaube fest daran, dass die jüdische Gemeinschaft im Zug ihrer Wiedergeburt Jesus rezipieren wird, und zwar nicht bloss als eine grosse Figur ihrer Religionsgeschichte, sondern auch im lebendigen Zusammenhange eines sich über die Jahrtausende erstreckenden messianischen Geschehens, das in der Erlösung Israels und der Welt münden wird. Aber ich glaube ebenso fest daran, dass wir Jesus nie als gekommenen Messias anerkennen werden, weil dies dem innersten Sinn unserer messianischen Leidenschaft, also eben dem, was Ragaz an uns so wichtig für das Kommen des Reiches Gottes erscheint, widersprechen würde. In das mächtige Seil unseres Messiasglaubens, das, an einen Fels am Sinai geknüpft, sich bis zu einem noch unsichtbaren, aber in den Grund der Welt gerammten Pflocke spannt, ist kein Knoten geschlagen. Für unseren Blick geschieht Erlösung allezeit, für ihn ist keine geschehen. Am Schandpfahl der Menschheit stehend, gegeisselt und gefoltert, demonstrieren wir mit unserem blutigen Volksleib die Unerlöstheit der Welt. Für uns gibt es keine Sache Jesu, nur eine Sache Gottes gibt es für uns. Innerhalb der Geschichtskrise unserer Zeit, die Ragaz als noch gewaltiger sieht denn die der Spätantike und aus der er eine noch gewaltigere

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Krise Israels entstehen sieht als jene, aus der Jesus hervortrat, schreibt er dem jüdischen Volk eine doppelte Funktion zu. Die eine wird für den im Jahre 1942 Schreibenden durch »das unerhörte Leiden des Judentums« gekennzeichnet; auf dieses deutet er hin, wenn er sagt, »dass das Leiden in seinem heiligsten Sinne zur Aufgabe Israels gehört, dass Israel der stellvertretend für die Anderen leidende Gottesknecht ist, dem die entsprechende Erhöhung verheissen bleibt.« Die andere, die tätige Funktion aber ist ihm durch Zion bezeichnet. Die weltliche und rationale gegenwärtige Form des Zionismus sieht er als einen Anfang an. Dahinter erhebt sich »das Zion der Propheten«, »der Berg der Gerechtigkeit Gottes für die Völkerwelt und die soziale Welt.« »Darin«, sagt Ragaz, »lebt das Judentum zu Israel auf.« Er sieht also Zion, der Verkündigung Jesajas gemäss, als die Mitte des kommenden Gottesreichs. Von da aus muss man es verstehen, was Leonhard Ragaz während dieses Krieges immer wieder, auch in seinem für den Jischuw gefährlichsten Moment, seinen hiesigen Freunden schrieb: auf die Akropolis könne das Hakenkreuz gelangen, aber nie auf den Berg Zion, vor den Toren des Heiligen Landes werde der Verwüster umkehren. Noch im Oktober 1945 aber, in seinem letzten Brief, schrieb er mir von seiner Zuversicht, »dass der neue Ansturm, der sich vorzubereiten scheint, das Werk Gottes nicht zerstören könne.« »An den Judenstaat freilich,« fuhr er fort, »glaube ich nach wie vor nicht – es ist nicht das, was Gott mit Israel will – aber ich glaube unerschütterlich daran, dass Gott in Erez Israel Zion neu aufrichten will.« Und von seinen Berichten »Zur Weltlage«, die er allmonatlich für seine Zeitschrift »Neue Wege« schrieb, schliesst der einen knappen Monat vor seinem Tode abgefasste mit den Worten: »Dieses Zion, aus der grossen Flut der heutigen Bewegung der Völkerwelt auftauchend, ist das Zeichen, worin sich auch das Judenproblem auflöst, weil sich darin Israels höchste Bestimmung verwirklicht. Es ist das Zeichen, das sich, einem reinen Auge sichtbar hoch über die heutige Welt erhebt.« Im Kreis der Getreuen, die sich um den Zion scharen, wird das Andenken von Leonhard Ragaz fortleben als das eines grossen Freundes Zions im echtesten und fruchtbarsten Sinn. In treuem Herzen bewahren wir seinen starken Beitrag zu dem, was Judentum und Christentum heute verbinden kann und soll: der Sorge um die Zukunft des Menschen in dieser Stunde seines tiefsten Verfalls und die Hoffnung auf seine Erneuerung von eben dieser Stunde aus.

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Echo und Aussprache Ein Briefwechsel mit Martin Buber Talbiyeh, Jerusalem, Israel, 12. 6. 49 Verehrter Herr Thieme – Ich las mit einiger Verwunderung im »Rundbrief« Nr. 2/3 auf S. 51 diese von Ihnen herrührenden Worte: »… als eine Versuchung, die Juden für unrettbar ›geistlich tot‹, d. h. für unbekehrbar zu halten.« Ich war bisher überzeugt, daß Ihnen an einer echten Verständigung mit jenen gläubigen Juden gelegen sei, die für die Tatsache eines gläubigen Christseins Verständnis haben. Wie aber soll eine solche Verständigung noch möglich sein, wenn Sie für die Juden geistliches Leben mit Bekehrbarkeit identifizieren. Ich habe mein geistliches Leben in der Unmittelbarkeit zwischen Gott und mir, und mein leibliches Leben dazu. Ich kann ebensowenig es für von Gott erlaubt halten, daß ein Christ dies in Frage stelle, wie ich es für von Gott erlaubt halten kann, daß ich dergleichen einem Christen gegenüber tue. Judentum und Christentum stehen miteinander im Geheimnis unseres Vaters und Richters: so darf der Jude vom Christen und der Christ vom Juden nicht anders als in Furcht und Zittern vor dem Geheimnis Gottes reden. Auf dieser Grundlage allein kann es zwischen Jude und Christ echte Verständigung geben. Ihr Ihnen ergebener gez. Martin Buber.

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Basel, den 18. Juni 1949. Sehr verehrter Herr Buber! Mit aufrichtiger Dankbarkeit gehe ich an die Beantwortung Ihres Briefes und meine – im Sinn der von Ihnen gelernten Dia-Logik – zunächst sagen zu müssen, aus welcher eigenen Lage heraus ich das Recht Ihrer Kritik an einer Gleichsetzung von ›Bekehrbarkeit‹ und geistlichem Leben der Juden anerkenne. Aufgewachsen als – nur vorübergehend um die Zwanzig herum gnostizistisch abgeirrter – evangelisch-lutherischer Christ bin ich zwar schon verhältnismäßig früh durch Befassung mit der alten Kirchengeschichte zur intellektuellen Anerkennung der Legitimität des römischen Papstes als Stellvertreter Christi gekommen, hoffte aber auf ein allmähliches Her-

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anreifen meiner, ›hochkirchlich‹ zu erneuernden, Gemeinschaft zur Wiedervereinigung mit der inzwischen biblisch zu belebenden, Katholischen Kirche. Erst der ›deutsch-evangelische‹ Arierparagraph von 1933 und der Umstand, daß gerade nur die am wenigsten ›katholischen‹ Kreise dagegen rebellierten, veranlaßte mich, den festen Rechtsboden da aufzusuchen, wo ich ihn allein noch finden konnte. Ich vollzog also am 30. Januar 1934 für meine Person die Wiedervereinigung mit der Römischen Kirche und bemühe mich seitdem vor allem, ihr eignes biblisches Erbe zu möglichst allseitig fruchtbarem Besitz entwickeln zu helfen. Nun: Wenn mir jemand bestreiten wollte, daß ich schon vor jenem Moment mit geistlichem Leben beschenkt worden sei, dann müßte ich das ebenso entschieden zurückweisen wie Sie den Gedanken, daß der Jude nicht schon unmittelbar und noch ganz abgesehn von irgend einer ›Bekehrbarkeit zu Jesus als Christus‹ geistlich lebendig sein könne. Daß es der fromme Jude sogar unter neutestamentlicher Perspektive ist, dafür sprechen Worte Jesu wie das gewaltige im ›Gleichnis vom verlorenen Sohn‹ vom Vater an dessen ›älteren Bruder‹ (Typus des Juden!) gerichtete: »Mein Kind, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein« (Luk. 15,31); oder an Nathanael – vor dessen Huldigung! – »Siehe, in Wahrheit ein Israelit, an welchem kein Falsch ist« (Jo. 1,47; verwandt Mk. 12,34) so wie auch Pauli Aufzählung der Privilegien Israels im Präsens (Röm. 9,4 f); alles Zeugnisse neutestamentlicher Anerkennung geistlichen Lebens auch beim nicht – für den Glauben: noch nicht – ›bekehrten‹ Juden. Aber mit dieser Überzeugung, die zu gewinnen schon mich selbst ein halbes Menschenalter immer intensiverer Beschäftigung mit dem Wort des Gottesvolkes und dem Volk des Gotteswortes gekostet hat, bin ich heute meinen meisten Brüdern im Glauben noch beträchtlich voraus. Wenn ich dieselben dafür gewinnen will, die Erkenntnis-Schritte nachzuvollziehn, welche ich selbst z. T. erst in allerletzter Zeit geführt wurde, dann muß ich zunächst immer wieder von der anderen Seite ausgehen, die jener relativen Anerkennung des Judentums polar als absolute Gewißheit seines endzeitlichen Erfülltwerdens in der Huldigung vor dem wiederkehrenden Jesus gegenübersteht; hier und nur hier ist der archimedische Punkt, von dem aus die bei der Menge der nicht übelwollenden aber ununterrichteten Gläubigen, Laien und Klerus, landläufige Vorstellung von der »Verwerfung« der Juden (contra Röm. 11,11) von dem »Volk, das seine Stunde verkannte, und nun den Gottes-Fluch trägt durch die Jahrhunderte – in die Ewigkeit«, wie ich es voriges Jahr ahnungslos von einer Kanzel sagen hörte, zu Luk. 19, 41–44, ein für allemal aus den Angeln gehoben werden muß und kann.

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Ich schrieb schon Anfang dieses Jahres einmal an den Berner Rabbiner Dr. Messinger, der ähnliche Bedenken geäußert hatte wie jetzt Sie: »Was Ihre Bemerkungen über die Missionsfrage anlangt, so habe ich auch da im Laufe der letzten Zeit gegenüber früher zugelernt. Zwar meine ich, daß jenes Verständnis, welches Jules Isaac anläßlich der einschlägigen Aussprache am französischen Radio dafür bekundet hat, ›que, évidemment, un Chrétien ne peut pas abdiquer cette tâche missionnaire et qu’il doit avoir constamment devant les yeux les fameux versets de l’épître romaine de saint Paul, n’est ce pas, que l’adhésion d’Israel sera la résurrection d’entre les morts‹ im Prinzip jedem zugemutet werden sollte, der sich ernsthaft mit der Frage des Verhältnisses zwischen den beiden Völkern von der jüdischen Seite her befaßt. Aber andererseits ist es mir selbst schon so gegangen, daß mir ein gewisser naiver Bekehrungseifer christlicherseits unangenehm auffiel. Ich verstehe auch vollständig, daß man jüdischerseits nicht mit zu missionierenden Heiden zusammengeworfen zu werden wünscht, weil es sich da wirklich um eine ganz andere Kategorie von Anzusprechenden handelt. (Viel weniger um ein echtes Zwiegespräch). Vor allem entscheidend aber ist, daß der Heidenapostel St. Paulus die Wiedervereinigung von Kirche und Synagoge zu dem einen Volke der Verehrer des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs nicht früher erwartet, als bis die Christen aus den Heiden ihren jüdischen ›älteren Brüdern‹ neben dem ›alttestamentlichen Schriftbeweis‹ für ihren Glauben auch den Beweis des praktischen Lebens der Liebe aus diesem Glauben geleistet haben. Je weniger dieser Beweis erbracht ist, desto weniger Recht haben die Christen, den Juden Verstockung vorzuwerfen. Von hier aus ist im Sinne der christlichen Überlieferung – und nicht durch oberflächliche Kritik daran – eine wirklich fundamentale Revision des Verhältnisses aller ernsten Christen zu den Juden allein erreichbar.« Herr Messinger schrieb mir dazu, er »halte diese Gedankengänge für eine brauchbare Grundlage zur Förderung der Freundschaft zwischen Christen und Juden. Ich glaube, daß sich die große Mehrheit der Juden der Meinung von Jules Isaac, die Sie in Ihrem Schreiben erwähnen, anschließen kann«. Ich vermute, daß dies auch von Ihrer Seite der Fall ist und es mehr die gewiß in dieser Form nicht eben glückliche übermäßig verkürzte Formulierung war, was Ihnen anstößig erschien. Abgesehen von unserer die Aussprache auf S. 49 einleitenden Bitte an unsere nichtkatholischen Leser, »zu verstehen, wenn die Sprache, die wir sprechen, die der unmittelbaren Adressaten ist«, möchte ich wenigstens noch erwähnen, daß mit diesem einen Worte »unbekehrbar« natürlich nicht nur eine – vom christlichen

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Glauben verneinte – endgültige Nichtversöhnbarkeit mit Jesus von Nazareth gemeint war, sondern auch der – für diesen Glauben damit verknüpfte, darum gleichfalls hoffnungsgewiß verneinte – Gesamtkomplex einer endgültigen jüdischen Verkrampfung in dem Willen, »sein zu wollen wie andere Völker auch«, der heute scheinbar dominiert. Ich hoffe, daß so wenigstens der Schein eines Widerspruchs zwischen unserer echten Anerkennung auch noch ›nachchristlichen‹ Judentums als auf geheimnisvolle Weise ›von Gott gemeinte‹ Religiosität und unserer unerschütterlichen Zuversicht auf deren schließliches Vollendetwerden in der Anerkennung Jesu als Gott und König beseitigt ist. Erhofft nicht andererseits auch der gläubige Jude den gläubigen Christen als einen solchen, der am Ende in Jesus doch nur einen menschlichen Propheten sehen wird, der auch ihn zum einpersönlichen Gott geführt hätte? Entsprechen so unsere Hoffnungen füreinander sich nicht gegenseitig? Bedeutet das nicht ein viel tieferes Aufeinanderhingewiesensein – den andern verstehen müssen, um vom andern verstanden werden zu können! – als wenn wir einander nur wie jene ›Parallelen die sich in der Unendlichkeit schneiden‹, über eine innergeschichtlich unausfüllbare Kluft hinweg gelten ließen? Mit der Bitte um die Erlaubnis, unseren Briefwechsel, der vielleicht auch andern zu gedanklicher Klärung hilft, in unserem Rundbrief veröffentlichen zu dürfen, und in dem Empfinden einer durch die wahrlich noch ganz unabsehbaren und nimmermehr zu bagatellisierenden Differenzen letztlich unzerstörbaren Verbundenheit begrüße ich Sie als Ihr Ihnen ergebener gez. Karl Thieme.

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Sehr verehrter Herr Thieme – Nachdem Sie von der substantiellen Tiefe der Person und ihrer Erfahrung aus zu mir gesprochen haben, ist es mir weder erwünscht noch erlaubt, in der Erörterung fortzufahren. Nur das meine ich noch sagen zu sollen, daß jedenfalls ich – der ich freilich keineswegs ein gläubiger Jude im repräsentativen Sinn bin – keine Endzeithoffnung habe, die ich in einem »nur« oder »doch nur« zu fassen vermöchte: ich glaube daran, daß Gottes Geheimnis, hervorgetreten, alle menschenüblichen Fragen nach der Beziehung zwischen Gott und Mensch verbrennen wird, also auch die, deren verschiedene Beantwortung Juden und Christen von einander trennt. Es ist mir also letzter Ernst mit der Überzeugung, daß wie

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die Juden keine Christen, so auch die Christen keine Juden zu werden bestimmt sind. Selbstverständlich steht es Ihnen frei, meinen Brief vom 12. 6. zur Kenntnis der Rundbriefleser zu bringen. Wie immer der Ihre gez. Martin Buber. Ohne mir Schoepsens Vorwurf einer »Schriftfälschung« irgend zu eigen machen zu wollen, möchte ich doch darauf hinweisen, daß eine vollständige Zitierung Dt. 30,14 – also mit dem entscheidenden »es zu tun« in Röm. 10,8 das darauf folgende »das bedeutet …« unmöglich gemacht hätte. (Die LXX waren Paulus darin nicht vorangegangen.) Was metanoia betrifft, so bedeutet es zwar nicht Verwandlung, aber die LXX haben doch sprachnotwendig aus einer Wesensumkehr (der ganze Mensch kehrt um) eine bloße nou@-Änderung, ein Umdenken oder Umsinnen gemacht. – Erlauben Sie mir übrigens noch zu bemerken, daß ich die Alternative »oder er hat gelogen« in Ihrer Rezension nicht verstehe: »wenn etwas, was jemand sagt, unzutreffend ist, so braucht es doch wahrhaftig keine Lüge zu sein!« Gott sei Dank, habe ich nicht dazwischen zu wählen, Jesus für den monogenh@ uio@ tou jeou oder für einen Lügner zu halten!

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Basel, den 20. September 1949. Sehr verehrter Herr Buber, erst heute antworte ich eingehender auf Ihren mir in mehrfacher Hinsicht besonders lehrreichen Brief vom 25. Juni, nachdem ich nun in der Lage bin, in Gestalt der Anmerkung meines inzwischen entstandenen Kommentars zu Röm. 9–11 (in der Anlage angestrichen) eine mir hiebund stichfest scheinende Antwort auf Ihren Einwand zum Deuteronomium-Zitat in Röm 10,8 zu geben: Paulus durfte verkürzen, weil er dort nicht argumentierte, – sondern jubilierte. Daß ein echtes ›Umdenken‹ für den Griechen mit ›Wesensumkehr‹ gleichbedeutend ist, notwendig zu ihr führt, werden Sie gewiß anerkennen; – wie andererseits gern zugegeben sei, daß das sinnenhafte hebräische Wort noch stärker ist, welches das handgreifliche ›Kehrtmachen und in der entgegengesetzten Richtung Weitergehn‹ bezeichnet. Am schwersten fällt mir das Verständnis für Ihre Bemerkung zu meinem Satz in der Schoeps-Besprechung (Rundbrief Nr. 4, S. 16): »Entweder ist Jesus von Nazareth Gottes eigner Sohn … wie er selbst gesagt

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hat, – oder er hat gelogen und kann die Nichtjuden genau so wenig erlösen wie die seiner vermeintlich nicht bedürftigen Juden.« Ich gebe gerne zu, daß ich hier ›lügen‹ im Sinne von ›objektiv die Unwahrheit sagen‹ gebraucht habe, während Sie ›Lüge‹ nur von der subjektiven Unwahrheit zu verstehen scheinen. Das war – anders als für das griechische ›Pseudos‹ – zweifellos der dominierende deutsche Sprachgebrauch des letzten Jahrhunderts; ich habe allerdings den Eindruck, daß seit der Hitlerzeit, in der so über die Maßen viel ›gutgläubig‹ gelogen wurde, das Wort durchaus wieder in dem Sinne verwendet werden kann, wie es etwa üblich war, wenn man jemandem – völlig abgesehen von einem Urteil über seine Wahrhaftigkeit – ins Gesicht sagte: »Das lügst du!« – Soweit liegt also nur eine verschiedene Nuancierung des Wortgebrauchs zwischen uns. Aber dicht dahinter steht dann gleich das Ganze. Wie schmerzlich ist es für uns, die Wahrheitsfrage jüdischerseits gerade beim Synhedrion, das Jesu Gottheitsanspruch ernstnahm und ihn dafür verurteilte, am meisten ernstgenommen – und bei denen beiseitegewischt zu sehen, deren Interpretation des Jüdischen sonst dem Christen am meisten Gesinnungsverwandtes in demselben empfinden läßt! Und muß es uns nicht hoffen lassen: Wenn diese Jesus gesinnungsverwandtesten Juden, den Schleier einer schlechten NT-Philologie durchstoßend, sehen werden, daß dieser Jesus Sich mit jedem Wort als Gott erklärte, – werden sie Ihm den Glauben nicht verweigern können!? Durchaus verstanden zu haben meine ich Ihre berichtigenden Bemerkungen zu meiner Frage, ob nicht der gläubige Jude hoffe, daß zuletzt auch der Christ Jude werde. Vielleicht kann man das, was ich meinte, richtiger so ausdrücken: Wir sind beide gewiß, daß unser Gott Sich am Ende vollkommen offenbaren wird. (»Die Erde wird einst voller Erkenntnis werden, wie das Wasser den Meeresgrund bedeckt«, lese ich als Schlußsatz von Maimonides’ Hauptwerk zitiert.) Also sind wir auch gewiß, daß wir dann über Ihn einig sein werden. Da wir wohl beide nicht annehmen, daß dies in Gestalt unserer magischen Verwandlung ohne Gewirktwordensein in unserem diesem Ende entgegenreifenden gemeinsamen Leben geschehen wird, und da wir mit dem baldigen Hereinbrechen des Endes jederzeit rechnen sollen (und dürfen!), ist uns jederzeit aufgegeben: das Bemühen, einander auf diese künftige Einigkeit hin zu verstehen. Mit dem Wunsche, daß dem auch dieser unser Briefwechsel gedient haben möge, begrüße ich Sie als Ihr Ihnen sehr ergebener gez. Karl Thieme.

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Jerusalem, 10. 10. 49. Sehr verehrter Herr Thieme – Da meine Zeit gegenwärtig von der Arbeit an der Begründung einer volkspädagogischen Institution übermäßig beansprucht ist, muß ich mich heute auf ein paar geradezu schematische Bemerkungen beschränken. Gerade von der Wahrheitsfrage aus hatte ich Ihrer Alternative widersprochen: Gottes Wahrheit läßt sich meines Erachtens nicht in die höchst menschliche Dialektik eines solchen Entweder-Oder einfangen. Nicht die Sohnschaft sondern die Einzigkeit der Sohnschaft steht zwischen uns in Frage. Ich sehe sowohl ein Nein wie ein Ja, die geschichtsmächtig sind und denen meine arme, auch höchst menschliche, aber doch: Gotteserfahrung sich nicht fügen kann und darf. Um diese geht es nämlich, überhaupt um Erfahrung und nicht um Philologie. Ich höre in Mk. 10, 18 eine andere Stimme als in Joh. 14, 6 und ich halte mich zu jenem Sprecher und nicht zu diesem. Ich glaube Grund zu haben, meinen hörenden Ohren, den von Gott »gebohrten«1 und von ihm »erschlossenen«,2 zu vertrauen – wie könnte ich anders! Im übrigen bin ich gewiß, und Sie wohl auch, daß Gott, wen er erlösen will, erlösen kann durch wen er will; warum müßte also Jesus von Nazareth, wenn er nicht Gottes eingeborener Sohn ist, sondern nur einer seiner Söhne und Boten, die Nichtjuden genau so wenig erlösen können usw. Ich freilich sehe überhaupt die Erlösung nicht als vollzogen, und wieder sind es meine Augen, die dies nicht sehen. Verstockung? oder eine Gnade, wiewohl eine furchtbare? Ich halte dafür, daß Er Ihnen und mir gnädig ist, jedem von uns anders, aber beiden in Seinem unbegreiflichen Geheimnis. Daß es am Ende vollkommen offenbart wird, glaube ich wie Sie; nur bin ich dessen gewärtig, daß aller Menschenglaubensinhalt darin aufgelöst wird. Es liegt mir fern, Paulus »Schriftfälschung« vorzuwerfen; ich meine nur, solche Zitate seien eher Schriftverwendung als Schriftdeutung zu nennen. Da die Verwendung im Glauben geschieht, darf sie nur so wie ich es tue, nicht anders angefochten werden. Den Matthäus-Aufsatz las ich mit großem Interesse. Wie immer der Ihre gez. Martin Buber.

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Ps. 40, 7. Js. 50, 5.

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Sehr verehrter Herr Buber, es ist sehr gut und ich bin Ihnen aufrichtig dankbar dafür, daß Sie sich trotz Ihrer Inanspruchnahme noch einmal zu meinem letzten Brief geäußert haben, insbesondere zur Wahrheitsfrage; so wird es auch Lesern unsres Rundbriefs, die solchen Gespräches weniger gewohnt sind, wesentlich erleichtert, beide Standpunkte zu verstehen und zu würdigen. Was das Deuteronomium-Zitat Pauli Röm. 10,8 anlangt, so sind wir also nun offensichtlich darüber einig, daß die dort gegebene Auslegung den christlichen Glauben nicht beweisen will, sondern voraussetzt, also nur ›theologisch‹ mitsamt diesem Glauben selbst diskutiert werden kann, nicht jedoch, wie es Schoeps tat, aber gewiß nicht aufrechterhalten wird, rein ›philologisch‹ profanwissenschaftlich als unredlich abgetan werden darf. Nicht wesentlich anders steht es nun aber auch mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen Joh. 14,6: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich« und Jesu Antwort an den ›reichen Jüngling‹, der ihn als ›Guter Meister!‹ angeredet hatte: »Was heißest du mich gut? Niemand ist gut als nur der Einzige, Gott!« (Mark. 10,18). Selbstverständlich, außerhalb des Zusammenhangs der Gesamtverkündung des Evangeliums nach Markus gelesen, kann das als bescheidene Zurückweisung der Qualifikation als ›sündlos‹ geschweige denn als ›göttlich‹ verstanden werden. Aber gerade dieses Verständnis ist es, was ich in meinem vorigen Briefe, vielleicht etwas pauschal, als vom »Schleier einer schlechten NT-Philologie« getrübtes bezeichnete. Das Grundprinzip aller guten Philologie fordert, daß jede Aussage aus ihrem Kontext, aus dem Zusammenhang heraus verstanden werden müsse, in welchem sie steht. Nun, dieser Satz steht im Zusammenhang eines Evangeliums, das vom ersten Satze (1,1) bis zum letzten (16,19 f) Verkündigung von der Gottheit Jesu von Nazareth ist, an den Akzentstellen unverhüllt, an allen übrigen in der verhüllten Form, die Jesus selbst bis zu seinem letzten klaren Bekenntnis vor dem Synhedrium wählte und aus pädagogischen Gründen wählen mußte. Kann denn irgendjemand im Ernste annehmen, daß Markus (wie Lukas) diesen Satz gebracht hätte, wenn er ihn als SelbstDementi der Gottheit Jesu verstanden hätte? Wie können, wie dürften also die Evangelisten diesen Satz verstanden haben? Kann ihr Verständnis das Jesu selbst gewesen sein? »Dieser«, ich zitiere meinen seit Jahren abgeschlossenen Kommentar, dessen Kurzfassung jetzt gerade gedruckt wird und Ihnen hoffentlich noch vor Weih-

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nachten zugehn kann, »wies zunächst die – durchaus ungewöhnliche – Anrede des Jünglings streng zurück; so gewiß er untadelig war (Joh. 8, 46), so gewiß durfte, wer ihn bloß als einen Menschen unter Menschen ansah, ihn nimmermehr in jenem höchsten Sinne als ›gut‹, d. h. Spender alles Guten, alles Heils anreden, wie bloß Gott Selber es ist. (Wenn aber – so ist damit angedeutet – Jesus ganz gut war, ist Er dann nicht als Gott erwiesen?!)« Diese, von Überlieferungszeugen ersten Ranges wie Ambrosius und Beda vertretene, heute z. B. von Ketter und Dillersberger festgehaltene Auffassung scheint mir an sich möglich und vom Gesamtzusammenhang des Evangeliums geradezu gefordert zu sein. Hinter diesen Gesamtzusammenhang auf angeblich von den Evangelisten verbogene ursprüngliche Meinungsäußerungen Jesu zurückgreifen zu wollen, ist schlechthin Willkür, die sich durch unversöhnlichen Widerspruch nachgerade zahlloser ›Richtungen‹ in der Wiedergabe dieser ›ipsissima verba‹ und ihres Sinnes selber längst und gründlich ad absurdum geführt hat. Um nun von niemandem mißverstanden zu werden, möchte ich selbst ausdrücklich unterstreichen, daß das von mir angenommene traditionelle Verständnis der Worte Jesu sicherlich nur dem naheliegen wird, der vom Auferstehungszeugnis der Apostel für den Glauben an Ihn als Gottes Sohn schon gewonnen ist. Insofern kehre ich nun nicht den Spieß um, werfe nicht den ›schlechten Philologen‹ meinerseits ›Schriftfälschung‹ vor. Ich meine nur, daß dieselben wissenschaftlich gewissenhafter wären, wenn sie sich in diesen Dingen jeden Urteils enthalten würden, wenn sie sagten: »Der Evangelist dürfte den Ausspruch so verstanden haben, wie die zitierten Überlieferungszeugen es vertreten; was Jesus selbst gemeint hat, wenn er diese Worte ausgesprochen hat, das ist rein profanphilologisch so undurchsichtig wie einigermaßen alles, was von ihm überliefert ist, weil alles auf Andeutung einer Vollmacht herauskommt (»Ich aber sage euch …«), an die der Gläubige glauben mag, die für Nichtgläubige – im christlichen Sinne – jedoch schwer mit dem gesunden Menschenverstande des Sprechers vereinbar erscheint.« (Wie schon Joh. 8, 48 zu Jesus gesagt wird: »Du bist vom Dämon besessen!«) Das Maximum, was allenfalls ein nichtchristlicher Philologe leisten könnte, wäre der freilich hier wohl ›übermenschliche‹ (›übernatürliche‹) Kräfte verlangende Versuch, die Frage zu beantworten: Wie muß dieser Jesus gewesen sein, wenn die vier verschiedenen Spiegelbilder von vier verschiedenen Standorten aus, die uns als die vier Fassungen des Evangeliums von ihm überliefert sind, alle vier zuverlässig und nicht gegeneinander ausspielbar sein sollten? Gäbe das gewissermaßen einen wirklichen (wenn auch einzigartigen) plastischen Menschen, – so wie der

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analoge Versuch Julius Stenzels, alle die scheinbar einander widersprechenden Zeugnisse von Sokrates positiv ernstzunehmen (in Pauly-Wissowas Realenzyklopädie) einen wirklichen plastischen Menschen zutagetreten läßt, der viel glaubwürdiger ist als der bloß ›platonische‹, bloß ›aristotelische‹ oder gar bloß ›xenophontische‹ Sokrates? (Entsprechend dem bloß ›johanneischen‹ oder bloß ›synoptischen‹ Jesus!) Verzeihen Sie, daß ich zu dem zentral wichtigen von Ihnen aufgeworfenen Problem der einander (scheinbar, sage ich) widersprechenden ›Stimmen‹ im Neuen Testament so ausführlich werden mußte. Dafür kann ich Ihnen um so lieber zustimmen in der Gewißheit, daß Gott Sich als eines Werkzeugs der Erlösung für unsre menschlichen Augen bedienen kann, wessen Er will, so daß es eine Aussage christlichen Glaubens, nicht des Schauens ist, wenn wir wiederum in allen diesen Werkzeugen (auch den ›nichtchristlichen‹) Jesus Christus wirkend sehen. Wenn jedoch nun dieser sich zwar als Gott Selbst ausgegeben – aber damit die objektive Unwahrheit gesagt und also vom Synhedrium mit Recht den Urteilsspruch erhalten hätte, – wie es Schoeps konsequent vertritt –, dann hätte der wahrhaftige Gott dieses Werkzeug doch höchstens wie einen Judas Iskariot oder allenfalls wie den sicherlich gutgläubigen ›Lügenpropheten‹ Hananja (Jer. 28) brauchen können, – statt Millionen durch den absurdesten Aberglauben in die Irre zu führen. Daß Sie aber »die Erlösung nicht als vollzogen« sehen, – wie fern liegt es uns, darin ›jüdische Verstockung‹ zu erblicken! Wir sehen diese ›nachchristliche‹ und nachjüdische Welt täglich unerlöster werden. Sehen selbst den Acker, auf den die gute Saat in erster Linie gesät ist, weithin überwuchert von Unkraut. Sehen freilich auch die guten Ähren, die dazwischen ebenfalls der Ernte zureifen – und sogar weit ringsherum auf andern Äckern, und vor allem, trotz allem gerade auch in Gottes Lieblings-Garten Israel. In der Verbundenheit durch die über alles noch Trennende hinweg gemeinsame Erwartung dieser uns vereinenden Ernte begrüße ich Sie als Ihr Ihnen sehr ergebener gez. Karl Thieme.

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Zwei Glaubensweisen VORWORT Der Gegenstand, von dem ich hier handle, ist die Zwiefältigkeit des »Glaubens«. Es stehen einander zwei, und letztlich nur zwei, Glaubensweisen gegenüber. Wohl gibt es eine große Mannigfaltigkeit von Inhalten des Glaubens, aber ihn selbst kennen wir nur in zweierlei Grundform. Beide lassen sich von schlichten Tatsachen unseres Lebens aus anschaulich machen: die eine von der Tatsache aus, daß ich zu jemand Vertrauen habe, ohne mein Vertrauen zu ihm zulänglich »begründen« zu können, die andere von der Tatsache aus, daß ich, ebenfalls ohne es zulänglich begründen zu können, einen Sachverhalt als wahr anerkenne. Beidemal handelt es sich bei dem Nichtbegründenkönnen nicht um eine Mangelhaftigkeit meines Denkvermögens, sondern um eine wesenhafte Eigentümlichkeit meines Verhältnisses zu dem, dem ich vertraue, oder zu dem, das ich als wahr anerkenne. Es ist ein Verhältnis, das sich seinem Wesen nach nicht auf »Gründen« aufbaut, wie es auch nicht aus solchen hervorgeht; wohl lassen sich Gründe dafür geltend machen, aber sie werden nie meinem Glauben gerecht werden. Das »Warum?« ist hier immer nachträglich, auch wenn es schon in frühen Stadien des Prozesses auftaucht; es taucht nämlich mit den Zeichen der Nachträglichkeit versehen auf. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß es um »irrationale Phänomene« gehe. Meine Rationalität, meine rationale Denkfunktion ist ja eben nur ein Teil, eine Teilfunktion meines Seins; wo ich aber »glaube«, in der einen oder in der andern Weise, tritt mein ganzes Sein, tritt die Ganzheit meines Seins in den Vorgang ein, ja er wird überhaupt erst dadurch möglich, daß jenes Glaubensverhältnis ein Verhältnis meines ganzen Seins ist. Personale Ganzheit in diesem Sinn kann aber nur zustande kommen, wenn auch die gesamte Denkfunktion, ohne beeinträchtigt zu werden, in sie eingeht und in ihr wirken darf, als ihr eingeordnet und von ihr bestimmt. Es geht hier freilich nicht an, an Stelle der Ganzheit das »Gefühl« zu setzen. Gefühl ist eben durchaus nicht »alles«, es ist im besten Fall nur ein Anzeiger dafür, daß das Sein des Menschen im Begriff ist, sich zur Ganzheit zusammenzuschließen; in andern Fällen ist es eine Illusion des Ganzwerdens ohne seinen Vollzug. Das Vertrauensverhältnis beruht auf einem Status des Kontakts, eines Kontakts meiner Ganzheit, mit dem, zu dem ich Vertrauen habe, das Anerkennungsverhältnis auf einem Akt der Akzeptation, einer Akzeptation durch meine Ganzheit, dessen, was ich als wahr anerkenne. Sie beruhen

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darauf; sie sind es nicht. Der Kontakt im Vertrauen führt naturgemäß zur Akzeptation dessen, was von dem ausgeht, dem ich vertraue. Die Akzeptation der von mir anerkannten Wahrheit kann zum Kontakt mit dem führen, von dem sie Kunde gibt. Aber primär ist dort der bestehende Kontakt, hier die geschehene Akzeptation. Und selbstverständlich hat auch das Vertrauen einen Anfang in der Zeit, nur daß der Vertrauende ihn nicht kennt: er identifiziert ihn, wie notwendigerweise, mit dem Anfang des Kontakts; hinwieder verhält sich der Anerkennende zu dem, was er als Wahrheit anerkennt, nicht als zu etwas Neuem, eben jetzt Auftretendem und Anforderndem, sondern als zu etwas Ewigem, nur eben jetzt aktuell Gewordenem; dennoch ist dort der Status, hier der Akt das Entscheidende. Glaube im religiösen Sinn ist nun eine dieser beiden Glaubensweisen im Bereich des Unbedingten, das heißt, das Glaubensverhältnis ist hier nicht mehr eines zu einem an sich bedingten, nur für mich unbedingten »Jemand« oder aber »Sachverhalt«, sondern zu einem auch an sich unbedingten. Die zwei Glaubensweisen stehen einander also auch hier gegenüber. In der einen »findet sich« der Mensch im Glaubensverhältnis, in dem andern »bekehrt er sich« zu ihm. Der Mensch, der sich darin findet, ist primär Glied einer Gemeinschaft, deren Bund mit dem Unbedingten ihn mit umgreift und determiniert; der Mensch, der sich zu ihm bekehrt, ist primär ein Einzelner, zu einem Einzelnen Gewordener, und die Gemeinschaft entsteht als Verband der bekehrten Einzelnen. Man muß sich aber hüten, diese Zwiefältigkeit antithetisch zu vereinfachen. Das involviert, über das bereits Gesagte hinaus, die Berücksichtigung einer in der Glaubensgeschichte überaus wichtigen Verschränkung. Der Status, in dem der Mensch sich findet, ist wohl der eines Kontakts mit einem Partner, er ist Nähe; aber in allem, was sich daraus entfaltet, beharrt eine letzte, unaufhebbare Distanz. Und hinwieder setzt der Akt, mit dem der Mensch anerkennt, die Distanz zwischen einem Subjekt und seinem Objekt voraus; aber das daraus aufsteigende Verhältnis zu dem mit dem anerkannten Sachverhalt gemeinten Wesen kann zur intimsten Nähe, ja zum Gefühl der Einung gedeihen. Die erste der beiden Glaubensweisen hat ihr klassisches Beispiel an der Frühzeit des Glaubensvolks Israel – einer Glaubensgemeinschaft, die als Volk, eines Volks, das als Glaubensgemeinschaft entstanden ist –, die zweite an der Frühzeit der Christenheit, als die im Zerfall des alten seßhaften Israel und der Völker und Glaubensgemeinschaften des Alten Orients als neues Gebild dem Tod eines großen Sohnes Israels und dem nachfolgenden Glauben an seine erfolgte Auferstehung entstieg: ein neues Gebild, zuerst, im Blick auf das nahe Ende der Tage, darauf intendiert, die

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zerfallenden Völker durch die Gottesgemeinde zu ersetzen, hernach, im Blick auf die neuanhebende Geschichte, darauf, die neuen Völker durch das Uebervolk der Kirche, das wahre Israel, zu überwölben. Israel hingegen war aus der Wiedervereinigung mehr oder weniger auseinandergeratener Bruderstämme und einer erneuernden Wiedervereinigung ihrer Glaubensüberlieferungen, in biblischer Sprache: aus Bundesschluß zwischen ihnen und Bundesschluß zwischen ihrem Bund und dem gemeinsamen Gott als ihrem Bundesgott hervorgegangen. Dieser Gottesglaube selber war – wenn man, wie ich annehme, in diesem Punkte den biblischen Berichten folgen darf – auf stammschmiedenden und volkschmiedenden Wanderungen geboren, die als vom Gotte angeführt erfahren wurden. In dem objektiven Geschlechtergedächtnis solcher Führung und solchen Bundes findet sich der Einzelne: sein Glaube ist Beharren im Vertrauen zum führenden und bundschließenden Herrn, vertrauendes Beharren im Kontakt mit ihm. Diese Glaubensweise ist erst in der Spätzeit, in der vom Hellenismus durchdrungenen Diaspora und der sich den Anzuwerbenden anpassenden Mission modifiziert worden, aber kaum je im Innersten. Die Christenheit beginnt als Diaspora und Mission. Die Mission bedeutet hier nicht Verbreitung allein, sie ist der Lebensatem der Gemeinschaft, denn sie ermöglicht allerorten die Gemeinde der Gläubigen und damit die Leiblichkeit des neuen Gottesvolkes. Aus Jesu Ruf zur Umkehr in die »nahgekommene« Königsherrschaft Gottes hinein ist das Werk der Bekehrung geworden: Bekehrung zum Glauben. Dem erlösungsbedürftigen Menschen der verzweifelnden Stunde wird die Erlösung angeboten, wenn er nur glaubt, daß sie geschehen ist und daß sie so geschehen ist. Hier geht es nicht um ein Beharren, sondern um sein Gegenteil, um die Wende. An den zu Bekehrenden tritt Forderung und Weisung, das zu glauben, was er nicht in der Kontinuität, nur im Sprung zu glauben vermag. Gewiß wird der Innenbezirk des Glaubens nicht als ein Fürwahrhalten, sondern als eine Seinsverfassung verstanden; aber der Vorhof ist das Fürwahrhalten des bisher nicht für wahr, ja gar für absurd Gehaltenen, und es gibt keinen anderen Zugang. Daß das Glaubensprinzip der Anerkennung und Akzeptation im Sinn eines Nunmehr-für-wahr-Haltens griechischen Ursprungs ist, bedarf wohl keiner Erörterung. Ist es doch erst durch die vom griechischen Denken vollzogene Erfassung eines Aktes der Anerkennung von Wahrheit ermöglicht worden. Die nichtnoetischen Elemente, die sich in der urchristlichen Mission damit verbunden haben, stammen im wesentlichen aus hellenistischer Seelenwelt. In der Vergleichung der beiden Glaubensweisen, die ich in diesem Buche versucht habe, halte ich mich vornehmlich an die Ur- und Frühzeit

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des Christentums und dafür einerseits fast ausschließlich an die neutestamentlichen Urkunden, anderseits hauptsächlich an die auf den – vom Griechentum zwar beeinflußten, aber sich ihm nicht ergebenden – Kern des Pharisäertums zurückgehenden talmudischen und midraschischen Aeußerungen; das hellenistische Judentum ziehe ich nur zur Verdeutlichung heran. (Die Nachwirkungen des Alten Testaments führen immer wieder auf die Probleme seiner Auslegung hin.) Es zeigt sich dabei, daß Jesus und das zentrale Pharisäertum wesentlich zusammengehören, ebenso wie das frühe Christentum und das hellenistische Judentum wesentlich zusammengehören. Wenn ich die zwei Glaubensweisen häufig als die des Juden und die des Christen behandle, soll das keinesfalls besagen, daß Juden im allgemeinen so und Christen im allgemeinen so geglaubt hätten und noch glaubten, vielmehr nur daß der eine Glaube bei Juden und der andere bei Christen seine repräsentative Wirklichkeit gefunden hat. Jeder von beiden hat auch im anderen Lager Wurzeln geschlagen, der »jüdische« im christlichen, aber auch der »christliche« im jüdischen, und zwar schon im vorchristlichen jüdischen, was sich eben daraus erklärt, daß er von »hellenistischer« – d. h. vom spätgriechischen Eidos geformter zerfallsorientalischer – Religiosität herkam, die ins Judentum einströmte, ehe sie das Christentum errichten half; aber erst im frühen Christentum ist dieser Glaube zu seiner Höhe erwachsen, ist im strengen und großen Sinn Glaube von Glaubenden geworden. Mit der »christlichen« Glaubensweise ist hier also ein Prinzip gemeint, das in der Urgeschichte des Christentums zu dem genuin-jüdischen hinzutritt; man muß sich dabei aber, wie gesagt, gegenwärtig halten, daß in der Lehre Jesu selber, wie wir sie aus den älteren Evangelientexten kennen, das genuin-jüdische waltet. Und wo in der Folgezeit Christen zur reinen Lehre Jesu heimverlangen, spinnt sich nicht selten, wie in anderen Punkten so auch in diesem, gleichsam ein unbewußtes Gespräch mit dem echten Judentum an. Die Betrachtung der Glaubensweisen in ihrer Verschiedenheit führt zur Betrachtung der Glaubensinhalte in ihrer Verschiedenheit, soweit sie mit jenen innerlich zusammenhängen. Auf diese Zusammenhänge zu achten ist eine Grundabsicht dieses Buches. Ihr dienen auch die scheinbaren Abschweifungen. *

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Es braucht kaum gesagt zu werden, daß mir alle apologetische Tendenz fern liegt. Das Neue Testament ist seit nahezu 50 Jahren ein Hauptgegenstand meiner Studien gewesen, und ich meine, ein guter Leser zu sein, der unbefangen hört, was gesagt wird.

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Jesus habe ich von Jugend auf als meinen großen Bruder empfunden. Daß die Christenheit ihn als Gott und Erlöser angesehen hat und ansieht, ist mir immer als eine Tatsache von höchstem Ernst erschienen, die ich um seinet- und um meinetwillen zu begreifen suchen muß. Ein weniges von den Ergebnissen dieses Begreifenwollens ist hier niedergelegt. Mein eigenes brüderlich aufgeschlossenes Verhältnis zu ihm ist immer stärker und reiner geworden, und ich sehe ihn heute mit stärkerem und reinerem Blick als je. Gewisser als je ist es mir, daß ihm ein großer Platz in der Glaubensgeschichte Israels zukommt und daß dieser Platz durch keine der üblichen Kategorien umschrieben werden kann. Unter Glaubensgeschichte verstehe ich die Geschichte des uns bekannten menschlichen Anteils daran, was zwischen Gott und Mensch geschehen ist. Unter Glaubensgeschichte Israels verstehe ich demgemäß die Geschichte des uns bekannten Anteils Israels daran, was zwischen Gott und Israel geschehen ist. Es gibt ein Etwas in der Glaubensgeschichte Israels, das nur von Israel her zu erkennen ist, wie es ein Etwas in der Glaubensgeschichte der Christenheit gibt, das nur von ihr aus zu erkennen ist. An dieses zweite habe ich nur mit der unbefangenen Ehrfurcht des das Wort Hörenden gerührt. Daß ich in diesem Buch mehrfach die Berichtigung irriger Darstellungen jüdischer Glaubensgeschichte vorgenommen habe, hat seinen Grund darin, daß diese auch in die Werke bedeutender, mir sonst maßgebender christlicher Theologen unserer Zeit eingedrungen sind. Ohne zureichende Klärung des zu Klärenden wird man immer wieder aneinander vorbei reden.

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Ich habe insbesondre vier christlichen Theologen, zwei lebenden und zwei toten, von diesem Buch aus zu danken. Rudolf Bultmann verdanke ich grundlegende Belehrung im Bereich der Exegese des Neuen Testaments. Aber nicht bloß seiner Arbeiten gedenke ich dankbar, sondern auch einer Denkschrift über Joh 3, die er vor vielen Jahren zur Beantwortung einer Anfrage für mich abgefaßt hat: der vorbildlich-kollegialen Leistung eines deutschen Gelehrten im höchsten Sinn, die auf meine von der seinen abweichende Auffassung (die im 11. Kapitel dieses Buches zum Ausdruck kommt) läuternd und zu festerer Fundierung anregend eingewirkt hat. Albert Schweitzer danke ich dafür, daß ich durch ihn, durch seine Person und sein Leben, zuerst die Weltoffenheit und damit auch die eigentümliche Israelsnähe, die dem Christen und auch dem christlichen Theologen (der zu sein Schweitzer ja nicht aufgehört hat) möglich ist, unmittelbar kennengelernt habe. Meinem Herzen bleiben die Stunden

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eines gemeinsamen Gangs durch die Landschaft Königsfelds und die des Geistes unvergeßlich und kaum minder der Tag, als wir, sozusagen Hand in Hand, mit zwei eher unphilosophischen Vorträgen über religiöse Wirklichkeit die Tagung einer philosophischen Gesellschaft in Frankfurt am Main eröffneten. Sein Vortrag ist von ihm zum Buch über die Mystik des Apostels Paulus ausgebaut worden. In der Widmung, mit der er vor 20 Jahren es mir sandte, sagt Schweitzer, er weise nach, daß Paulus »in der jüdischen, nicht in der griechischen Gedankenwelt wurzelt«; ich kann jedoch die paulinische Lehre vom Glauben, die ich hier behandle, nur mit einem randhaften Judentum in Verbindung sehen, das eben ein »hellenistisches« war. Hingegen ist mir der erneute nachdrückliche Hinweis auf die Bedeutung des deuterojesajanischen Gottesknechts für Jesus fruchtbar geblieben; für meine Studien über diesen Gegenstand hatte mir Schweitzer schon 1901 eine starke Anregung gegeben. Rudolf Otto bewahre ich ein dankbares Gedächtnis für sein tiefes Verständnis der Majestas in der hebräischen Bibel und für eine Reihe gehaltvoll realistischer Einsichten seines eschatologischen Werks, deren Gewicht das der Irrtümer weit überwiegt, aber mehr noch für die edle Rückhaltlosigkeit, mit der er mir in unseren peripatetischen Gesprächen seine gläubige Seele erschloß. Das wirksamste unter ihnen war mir das erste: weil ich zunächst in die psychologistische Mauer, die er um sie errichtet hatte, eine Bresche schlagen mußte, dann aber sich nicht etwa bloß eine bedeutende religiöse Individualität, sondern die Gegenwart des Gegenwärtigen im Zwischen-zwei-Menschen offenbarte. Dem Geiste des Freundes Leonhard Ragaz sage ich Dank für seine Freundschaft, in der sich seine urtreue Freundschaft zu Israel aussprach. Er hat das wahre Gesicht Israels gesehen, auch noch als die politischen Verstrickungen begonnen hatten, es der Welt unkenntlich zu machen, und er hat Israel geliebt. Er ahnte ein künftiges, noch unvorstellbares Einvernehmen zwischen der Kerngemeinschaft Israels und einer wahren Jesusgemeinde, das weder auf jüdischem noch auf christlichem Boden, wohl aber auf dem jener Jesus mit den Propheten gemeinsamen Botschaft von der Umkehr des Menschen und dem Königtum Gottes erstehen würde. Sein immer neu, mündlich, brieflich und im schweigenden Dasein, wiederaufgenommener Dialog mit mir war ihm der vorbereitende Dialog zwischen jenen beiden. *

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Meinen Jerusalemer Freunden Hugo Bergmann, Isaak Heinemann und Ernst Simon, die das Manuskript gelesen haben, danke ich für wertvolle Hinweise. *

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Ich habe dieses Buch in Jerusalem in den Tagen seiner sogenannten Belagerung, vielmehr des in ihm ausgebrochenen Chaos der Vernichtung geschrieben. Ich begann es ohne Vorsatz, rein auftragspflichtig, und eben so hat sich Abschnitt an Abschnitt gefügt. Die Arbeit daran hat mir geholfen, auch diesen Krieg, für mich den schwersten der drei, im Glauben zu überstehn. Jerusalem-Talbiyeh, im Januar 1950. Martin Buber

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In einer evangelischen Erzählung (Mk 9, 14-29) wird berichtet, wie ein besessener Knabe von seinem Vater zuerst zu Jüngern Jesu, dann aber, da diese ihn nicht zu heilen »vermögen«, zu ihm selber gebracht wird, ob er da zu helfen »vermöchte«. Die Worte des Vaters »Wenn du’s irgend vermagst«, werden von Jesus aufgegriffen. »Wenn du’s vermagst?!« 1 antwortet er, »alles ist dem Glaubenden möglich.« Die ganze Erzählung ist (nach alttestamentlichem Vorbild) auf den zwei Motivworten 2 »glauben« und »vermögen« aufgebaut, die beide aufs nachdrücklichste Mal um Mal wiederholt werden, um dem Leser recht einzuprägen, daß er hier über das Verhältnis zwischen dem menschlichen Wesensstand »glauben« und dem menschlichen Wesensstand »vermögen« entscheidend belehrt werden soll. Aber was ist hier unter der Bezeichnung »der Glaubende« zu verstehen? Es war doch eben gesagt worden, den Jüngern sei die Heilung nicht möglich gewesen; wenn dem so ist, sind sie nach den Worten Jesu nicht zu den Glaubenden zu zählen. Aber was ist es, das den Glauben Jesu vor ihrem Glauben so gattungsmäßig auszeichnet – gattungsmäßig, da es hier doch nicht um die Stärkegrade des Glaubens geht, der Unterschied vielmehr ein so in den Urgrund der behandelten Wirklichkeit reichender ist, daß nur der Glaube, den Jesus als seinen eigenen kennt, überhaupt als Glaube im strengen Sinn gelten darf? Und daß es sich so verhält, daß hier also nicht nach Abstufungen in der Intensität einer Haltung und Gesinnung, sondern nach der polaren Differenz »Glaube oder Unglaube« gefragt wird, bestätigt uns der Fortgang der Erzählung. »Ich glaube«, ruft der Vater Jesus an, »hilf meinem Unglauben!« Vom Vorgang an sich aus gesehen, ist diese Aeußerung befremdlich, denn Jesus hatte mit seinen Worten den Glaubenszustand des Vaters gar nicht berührt 3 , und man müßte etwa annehmen, daß dieser den Ausspruch mißverständlich auf sich statt auf Jesus beziehe. Aber dem Evangelisten ist es eben weniger um einen in sich kohärenten Bericht als um die Belehrung über einen fundamentalen Tatbestand zu tun. Er läßt den Vater sagen, was eigentlich die Jünger Jesus zu sagen hätten, der mit seinem Spruch ihr Unvermögen, 1. 2. 3.

Die geläufige Wiedergabe »Wenn du zu glauben vermöchtest«, wonach Jesus vom Glauben des Vaters und nicht von seinem eigenen redete, entspricht bekanntlich nicht dem authentischen Text. Ueber Motivworte im Alten Testament vgl. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung (1936) 55 ff., 211 ff., 239 ff., 262 ff. Torrey überträgt 23 freilich: »if you are able« (indem er t als Zusatz des griechischen Uebersetzers streicht); aber es ist nicht anzunehmen, daß Jesus die Heilung dem Vater zuschiebe, wofern er nur glaube.

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den Knaben zu heilen, auf ihren Unglauben zurückgeführt hatte. Ja, so erkennt nun der vom Urteil Jesu Betroffene an, es ist Unglaube; aber, so macht er geltend, ich glaube ja doch! Aus seiner Selbstwahrnehmung und seinem Selbstverständnis weiß er um eine Seelenverfassung, die doch wohl als »Glaube« bezeichnet werden muß; diese Wirklichkeit seiner Subjektivität stellt er jedoch keineswegs der Kundgebung Jesu über die objektive Wirklichkeit und Wirkung des »Glaubenden« gegenüber, als ob sie gleiches Recht beanspruchte – es ist, wie der Erzähler nachdrücklich vermerkt, ein Aufschrei der menschlichen Kreatur, die ja eben doch fühlt, was sie fühlt, und vom Glauben erfährt, was durch das Gefühl von ihm zu erfahren ist: der Welt des Herzens darf es nicht beifallen, sich gleiches Recht zu fordern, aber auch sie ist eine Welt. Belehrung über Fug und Grenze des Gemüts ist erteilt. Das Bekenntnis des Herzens gilt; nur genügt es nicht, um den Glaubenden als objektive, objektiv wirkende Wirklichkeit zu konstituieren. Was ist es, das ihn konstituiert? In einem der wichtigsten Werke über den Evangelientext 4 wird der Ausspruch Jesu über den Glaubenden folgendermaßen erklärt: »Der Satz sagt: Mit Jesus ist alles möglich, weil ich glaube, ich kann den Knaben heilen«; dies sei nach dem griechischen Wortlaut der »einzig mögliche Sinn«. Das ist aber ein offenkundiger Widersinn. Denn »ich glaube, daß ich diesen heilen kann« besagt eben eine innere Gewißheit, wie jedes mit »daß« konstruierte »Glauben«. Daß diese Gewißheit genüge, um das »Vermögen« hervorzubringen, geht gegen die Erfahrung des Menschengeschlechts; in einer mit der neutestamentlichen sich berührenden Sphäre ist das recht schön in der Geschichte von Simon dem Magier veranschaulicht, der in dem Glaubensbewußtsein, selber die »große Kraft Gottes« zu sein, die Gewißheit hat, fliegen zu können, und sich bei dem vor Nero und seinem Hofstaat vom Kapitol aus unternommenen Flug das Genick bricht; ein naiver moderner Dichter hat an einem dramatischen Exempel darlegen wollen, daß eine Heilung »über unsere Kraft« hinausgehen kann, ohne über unsere Gewißheit hinauszugehen. Will man aber den Ausspruch Jesu nicht auf den Menschen überhaupt, sondern auf ihn allein beziehen, so wird jenes »weil ich glaube« vollends absurd; denn steht die Wirkung Jesus allein, Jesus als Jesus, zu, dann kommt sie eben aus seinem Jesussein und nicht aus seiner Gewißheit, heilen zu können. Ueberdies aber wird mit der ganzen Motivation Jesus in bedenkliche Nähe zum Magier gebracht. Was sind Magier denn anderes als Menschen, die glauben, daß sie heilen können? 4.

Merx, Die vier kanonischen Evangelien nach ihrem ältesten bekannten Texte, II. Teil, 2. Hälfte (1905) 102.

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Daß Jesus aber mit dem »Glaubenden« nicht sich allein meint, jedenfalls nicht grundsätzlich sich allein, wird durch die Parallelerzählung im Matthäusevangelium (17, 14-21) bestätigt, die auch mit völliger Klarheit das Motiv ausgestaltet, daß es hier wesentlich nicht um eine Sache zwischen Jesus und dem (durch den Vater des Knaben repräsentierten) Volk – wiewohl auch dieses hier wie dort als »ungläubig« angeredet wird –, sondern um eine zwischen ihm und den Jüngern geht. Das Problem des Verhältnisses zwischen Glauben und »Vermögen« erscheint hier ganz unmittelbar in der Frage der Jünger, warum sie den Dämon nicht auszutreiben vermochten, und Jesu Antwort, die mit der Determination beginnt: »Eures Unglaubens wegen«; es sind also wesentlich die Jünger, denen hier (nicht, wie mildernde Lesarten wollen, ein – sonst nirgendwo vorkommender – »Kleinglaube«, sondern) jener dem Glauben artmäßig entgegengesetzte Unglaube zugeschrieben wird. Im folgenden gibt die Antwort noch eindringlicher kund, daß es hier nicht um Stufe, um Intensität, um Quantitätsunterschiede überhaupt geht: so viel »wie ein Senfkorn« von der echten Glaubenssubstanz genügt »und nichts wird euch unmöglich sein«. Damit ist aber eben zugleich unüberbietbar deutlich gesagt, daß der echte Glaube kein Vorrecht Jesu, sondern den Menschen als solchen zugänglich ist, und daß sie, wie wenig sie auch davon haben, hinreichend haben, wenn es nur der wirkliche Glaube ist. Und so sind wir noch stärker als zuvor zum Fragen gedrängt, was es um diesen Glauben sei und wodurch er sich entscheidend von jenem gleichnamigen Seelenzustand abhebe. »Alles ist dem Glaubenden möglich.« Anderswo (Mk 10, 27; Mt 19, 26) heißt es, im Anschluß an alttestamentliche Sprüche, bei Gott sei alles möglich. Wenn man beide Sätze zusammensieht, kommt man dem Sinn dessen näher, was vom Glaubenden gesagt ist. Nicht dann freilich, wenn man meint 5 , was dort von Gott ausgesagt werde, stehe hier von dem Glaubenden, er habe die Macht Gottes. Die Wortgebilde »bei Gott möglich« und »dem Glaubenden möglich« decken einander nicht. »Alles ist bei Gott möglich« bedeutet nicht die den hörenden Jüngern wohlbekannte Tatsache, daß Gott alles vermag, wie sehr der Spruch auch an sie geknüpft ist, sondern, über sie hinausgehend, daß bei Gott, in seinem Bereich, in seiner Nähe und Gemeinschaft 6 die Allmöglichkeit waltet, daß also alles sonstwo Unmögliche hier möglich wird und ist. Dies gilt somit auch von dem, der in den Bereich Gottes eingetreten ist: dem »Glaubenden«. Aber es gilt von ihm eben nur für sein in den Bereich Gottes Her5. 6.

So Lohmeyer, Das Evangelium des Markus (1937) 188. Vgl. Mt 6, 1; Joh 8, 38; 17, 5.

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eingenommensein. Er hat nicht die Macht Gottes; wohl aber hat die Macht ihn: wenn und wann er sich ihr gegeben hat und ihr gegeben ist. Dieser Begriff des Glaubenden ist nicht auf hellenistischem Boden gewachsen. Was ihm in vorchristlicher griechischer Literatur, und zwar schon bei den Tragikern, nahezustehen scheint, weist stets auf eine bloße Seelenverfassung, nicht auf eine die Welt der Person wesensmäßig überschreitende Beziehungswirklichkeit hin. Er ist, soweit ich sehe, in keinem andern vorchristlichen Schrifttum als in dem alttestamentlichen zu finden. Erst von diesem aus wird er sich uns genauer zu erkennen geben. In einem – freilich allgemein mißverstandenen – Jesajavers (28, 16) verkündigt Gott, er sei daran, auf dem Zion »den teuren Eckstein einer gegründeten Gründung zu gründen« (die dreimalige Wiederholung soll die Aufmerksamkeit im höchsten Grad auf den Endgültigkeits-Charakter lenken, der dem Verb hier zukommt). Um aber der falschen Deutung der Präsensform vorzubeugen, als stehe also nunmehr die Offenbarung des Ecksteins zu erwarten und die jetzt Lebenden könnten somit der kommenden Stunde getrost entgegensehen, fügt er hinzu: »Der Glaubende wird nicht beschleunigen«, worin eingeschlossen ist: er wird nicht beschleunigen wollen. (Demgemäß hat die Fortsetzung des Spruchs Gottes über sein Tun futurische Form.) Hier scheint ein der Aussage Jesu geradezu entgegengesetzter Aspekt des Glaubenden zu walten: statt der Wunderwirkung auf das Geschehen wird ihm eine strenge Zurückhaltung diesem gegenüber zugesprochen. Freilich ist aber damit sein Zusammenhang mit der Allmöglichkeit dargetan: nur wenn und weil ihm das »Beschleunigen« an sich möglich ist, kann erklärt werden, daß er, der Glaubende, es nicht ausüben, d. h. es nicht mit der Gebetsgewalt seiner Seele erbitten wird, wogegen die Ungläubigen höhnend heischen (5, 19), Gott möge doch sein verheißenes Werk »beschleunigen«, damit sie es zu »sehen« bekommen. Sogleich aber merken wir, daß wir noch nicht beim rechten Verständnis angelangt sind. Denn was dem Glaubenden möglich ist, also auch das Beschleunigen, ist ihm hier ebenfalls einzig als Glaubendem möglich; glauben aber heißt alttestamentlich durchweg im Willen Gottes gehen, auch hinsichtlich der zeitlichen Realisierung seines Willens: der Glaubende wirkt im Tempo Gottes. (Die volle Vitalität dieser biblischen Grundeinsicht erfassen wir erst, wenn wir uns das Faktum der menschlichen Sterblichkeit im Gegensatz zu Gottes Ewigkeit vergegenwärtigen.) So sind der jesajanische »Passive« und der evangelische »Aktive« zusammengeschlossen. Dieser wirkt, weil die Gottesstunde ihn wirken heißt; daß das Kranke ihm auf seinem Weg begegnet, zeigt das göttliche Geheiß der Heilung an; auch er kann nur im Tempo Gottes wirken. Die Macht Gottes hat beide, sie verfügt über beide, sie ermächtigt

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beide, auch den unmächtig Scheinenden. Denn der Schein seiner Unmacht ist das Gewand seines Anteils an der Macht und ihrem Tempo. Wie er selber dies zuweilen erst spät erkennt, hat der namenlose nachgeborene Schüler Jesajas in dem Bild von dem im Köcher versteckt gelassenen Pfeil und seinem späten Selbstverständnis (49, 2 f.) dargestellt. Die beiden Stellen haben auch dies gemein, daß das substantivierte Partizip »der Glaubende« in beiden absolut verwendet ist. Daß nicht hinzugefügt wird, an wen dieser Glaubende glaubt, hat, wie ja schon gezeigt worden ist, seinen starken Sinn und Grund. Es ist keineswegs ein abgekürzter Terminus, der durch die Weglassung eines als selbstverständlich empfundenen »an Gott« (welches übrigens in den synoptischen Evangelien nicht vorkommt) entstanden wäre. Vielmehr würde dessen Hinzufügung dem Begriff seinen eigentlichen Charakter nehmen oder doch abschwächen. Die absolute Konstruktion vermittelt uns hier wie dort die Absolutheit des Gemeinten. Womit natürlich nicht gesagt sein soll und kann, daß »ein Glaube überhaupt« gemeint sei, den vielmehr weder das Alte noch das Neue Testament kennt, sondern allein, daß jeder Zusatz, weil zur Kennzeichnung einer Seelenverfassung geläufig, die Fülle und Gewalt des Gemeinten, der die Welt der Person wesensmäßig überschreitenden Beziehungswirklichkeit zu verfehlen geeignet wäre.

II.

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Nach dem Bericht des Matthäusevangeliums ist der Grundspruch der frühesten Predigt Jesu in Galiläa mit dem identisch gewesen, mit dem nach demselben Evangelium vorher der Täufer in der judäischen Wüste jeweils seine Taufhandlung, wohl auch die an Jesus vollzogene, begonnen hatte: »Kehret um, denn die Königschaft Gottes ist genaht.« Bei Markus hingegen, bei dem der Spruch des Täufers fehlt, lautet der Jesu, darin wir nun an Stelle des fordernden und begründenden Predigtstils einen pneumatisch einherbrausenden Rhythmus vernehmen: »Erfüllt ist die gesetzte Zeit und genaht die Königschaft Gottes. Kehret um und glaubet an die Botschaft« 7 . (Man kann am Schluß, der in der Konstruktion der griechischen Uebersetzung eines Psalmverses8 entspricht, das Verb auch wie dort wiedergeben: »Vertrauet der Botschaft!«) Daß hier vom Hörer verlangt wird, er solle dem »Evangelium« glauben, das doch erst an ihn herantritt, hat in manchen Erklärern Zweifel erregt: »So wird Jesus nicht gesagt 7. 8.

Zur Bedeutung des Spruchs vgl. Dalman, Die Worte Jesu (1898) 84 f. 106 (105), 12.

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haben« . Aber man sollte nicht so weit gehen, auch das Verb selbst zum Zusatz zu ziehen. »Kehret um und vertrauet!« klingt nicht bloß völlig echt, der Schluß gewinnt so auch eine eigentümliche, kaum anders zu gewinnende Wucht und Vollständigkeit. Auch hier erscheint dann das Verb im absoluten Sinn. Nicht mehr seinem Wort Glauben zu schenken ruft der Prediger seine Hörer auf: es geht um den zentralen Gehalt der Botschaft selber. Die äonenhaft vorbestimmte Stunde ist gekommen, da die von Urbeginn bestehende, aber bisher latente Königsherrschaft Gottes über seine Welt ihr naht, um sich, wenn sie von ihr ergriffen wird, an ihr zu erfüllen: um sie ergreifen zu können, kehre, hörender Mensch, von deinen Irrgängen zum Wege Gottes um, gehe in die Gemeinschaft mit ihm ein, in der die Allmöglichkeit waltet, und ergib dich seiner Macht. Von den drei Prinzipien der Botschaft – Verwirklichung des Königtums, Vollzug der Umkehr zu Gott, Glaubensbeziehung zu ihm – ist das erste von geschichtlichen und übergeschichtlichen, kosmischen und hyperkosmischen Maßen; das zweite betrifft den angesprochenen Menschen aus Israel, an dem das angesprochene Menschenwesen seine konkrete Realität hat, und durch ihn Israel als solches, an dem die gemeinte Menschheit ihre konkrete Realität hat; das dritte ist mit der Person allein befaßt –, denn es gibt wohl eine Umkehr, die das Volk als solches, eben in der Geschichte, vollziehen kann, die Beziehungswirklichkeit aber hat ihrem Wesen nach ihre ausschließliche Stätte im personhaften Leben und kann nirgendwo anders zum Durchbruch gelangen. Das erste dieser Prinzipien, das das Sein alles Seienden angeht, ist nun aufs engste an die beiden andern, die auf das eigene Leben der Angesprochenen eingeschränkt sind, geknüpft. Die bisher zwar stetig und unmittelbar wirkende, aber als solche noch nicht in die Erscheinung tretende weltkönigliche Dynamis hat sich in ihrer Bewegung vom Himmel auf die Erde nunmehr zu dieser so herangeneigt, daß sie von dem Menschengeschlecht, von Israel, von dem angesprochenen Juden mit dem Leben, durch die Lebensumkehr ergriffen werden kann; seitdem die Botschaft vom erfüllten Kairos durch den Täufer verkündigt worden ist, dringt – wie ein vielumstrittener Spruch Jesu (Lk 16, 16; vgl. Mt 11, 1210 ) anzeigt – »jedermann«, also jeder, der die geforderte Umkehr vollzieht, »mit Gewalt« in die schon an seine Wesenssphäre rührende Basileia ein, daß sie mehr und mehr zu einer irdischen Wirklichkeit werden kann. Dieses Geschehen in seinem Gange kann jedoch der Einzelne, eben als Einzelner, nicht merken; er 9. E. Klostermann, Das Markusevangelium2 (1926) 14. 10. Vgl. weiter unten im 9. Abschnitt. Ich neige zu der Ansicht, daß an beiden Parallelstellen Bruchstücke eines nicht wiederherzustellenden Wortlauts mit sekundären Elementen verschiedener Art verquickt worden sind.

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muß »glauben«, richtiger: vertrauen. Dies ist nun aber eben nicht ein bloßer Gemütszustand, der zur Ergänzung der Umkehr erheischt wird; vielmehr leistet auch die gewaltigste Umkehr die zulängliche menschliche Realität noch nicht, es bedarf dazu noch eines ebenso wie sie über die Seele hinaus die ganze Leiblichkeit des Lebens Durchwirkenden, es bedarf der Pistis, richtiger: der Emuna. Da der Kairos erfüllt ist, dringt der in der Umkehr auf den Weg Gottes Gelangende in die Dynamis ein; aber er bliebe ein Eindringling, mit Kraft geladen und zum Werke Gottes untauglich, wenn er nicht die Hingabe des »Glaubenden« vollbrächte. Die vom übersetzenden Griechen unvermeidlicherweise zur Metanoia, zur bloßen »Sinnesänderung« reduzierte leibhafte, im Raum der Welt vor sich gehende Teschuwa, die Umkehr11, und die von ihm ebenso unvermeidlicher Weise zur Pistis, zum als-wahr-anerkennenden »Glauben« modifizierte unmittelbare, aus einem Urverhältnis zur Gottheit fließende Emuna, das Vertrauen, fordern und bedingen einander. Die drei Prinzipien der Botschaft sind Erbgut israelitischer Religiosität, hier auf die Stunde des Sprechers als auf die der Erfüllung und dadurch aufeinander bezogen. Jenes später von posthumen Jesusjüngern so genannte »Alte Testament«, die »Lesung«, eigentlich der »Vortrag«, in dessen lebendiger Stimmenfülle Jesus aufgewachsen war, hatte sie von knappen, aber samenkräftigen Anfängen zur Entfaltung gebracht. Das Königtum Gottes war als Volkskönigtum im Schilfmeerlied von unten ausgerufen, in dem die Sinaioffenbarung einleitenden »Adlerspruch« (Ex 19, 6) von oben proklamiert worden 12 ; die Prophetie hatte das intendierte Volkskönigtum als zur Mitte des künftigen manifesten Weltkönigtums angelegt gezeigt, in dem der König Israels als »König der Völker« (Jer 10, 7) sie alle vereinigen wird; und die Psalmisten hatten seine Thronbesteigung als kosmisches und irdisches, ewiges und bevorstehendes Ereignis besungen. Der Ruf, »zu Gott« oder »bis zu Gott« umzukehren, ist das elementare Wort des israelitischen Propheten. Von ihm gehen, auch wo er nicht ausgesprochen wird, Verheißung und Verwünschung aus; in der Umfassung seines Sinns wird er erst dem kund, der sich vergegenwärtigt, wie der geforderten »Umkehr« des Volkes eine – mehrfach mit ihr betont in Verbindung gebrachte – »Abkehr« Gottes von der Sphäre seines Grimms oder seine »Wiederkehr« zu Israel entspricht, nicht aber wie eine Folge einer Voraussetzung entspricht, sondern als die einander zugeordneten Glieder eines Gesprächs zweier Partner, in dem auch der unermeß11. Es muß jedoch beachtet werden, daß das Alte Testament das Nomen in dieser Bedeutung noch nicht kennt, sondern das Verbum allein; die Umkehr ist hier noch ausschließlich konkret-aktuell gefaßt. 12. Vgl. Buber, Königtum Gottes2 (1936) 111 ff.; Ders., Moses (1948) 108 ff., 148 ff.

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lich unterlegene seine Art von Freiheit bewahrt. Und diese Dialogik tut sich erst ganz auf, wenn wir dem erst in der Epoche nach dem Zusammenbruch (Sach 1, 3; Mal 3, 7) in voller Schärfe verkündeten Gottesspruch »Kehret um zu mir und ich kehre zu euch wieder« der Schrei von unten, noch vor dem Zusammenbruch (Jer 31, 17), voraustönt: »Laß mich wiederkehren und ich kehre zu dir um«, nach dem Zusammenbruch aber, am Ende der Klagelieder (5, 21), noch einmal, geläutert und geklärt erklingt: »Laß uns zu dir kehren und wir kehren um.« Die Menschen, die die Umkehr »mit ihrem ganzen Herzen und mit ihrem ganzen Lebensgeist« (I Kö 8, 48) entworfen haben, erkennen und bekennen, zu ihrem Vollzug der Gnade ihres Königs zu bedürfen. Und nun tritt zu diesen zweien, der Anerkennung der Königschaft und der in der vollen Zuwendung zu ihr sich erfüllenden Königstreue, als das dritte Prinzip der Botschaft die Emuna hinzu. Den Imperativ »glaubet« (»vertrauet«) finden wir im Alten Testament an später Stelle, in einem Bericht des Chronikbuches (II 20, 20). In einem historisch recht zweifelhaften Zusammenhang hält hier Josaphat von Juda vor der Schlacht eine Ansprache an sein Heer, in der es heißt: »Vertrauet (haaminu) auf den Herrn euren Gott, und ihr bleibt betreut (teamenu, wörtlich etwa: ihr habt Bestand).« Der Satz ist eine sehr abschwächende Nachbildung des Spruches Jesajas an Ahas von Juda (Jes 7, 9): »Vertraut ihr nicht, bleibt ihr nicht betreut.« Auch hier ist durch den absoluten Gebrauch des Verbs eine tiefere Schicht des Wortsinns ans Licht gebracht. Keineswegs haben wir in der Bezogenheit der beiden Verbalformen aufeinander ein bloßes Wortspiel vor uns; wie fast immer in althebräischen Texten, soll auf diesem Weg etwas dem Hörer oder Leser erschlossen werden und wird ihm erschlossen. Die zwei verschiedenen Bedeutungen des Verbs im Spruch gehen auf eine, auf die ursprüngliche zurück: standhalten. Nur wenn ihr, so sagt der Prophet, in unsere Begriffssprache übertragen, in eurer wesentlichen Lebensbeziehung standhaltet, habt ihr wesentlichen Bestand. Die wahre Beständigkeit der Grundlagen eines menschlichen Daseins kommt von der wahren Beständigkeit im Grundverhältnis dieses Menschen zu der sein Sein stiftenden Macht. Dieser »existentielle« Charakter der Emuna wird in der Uebersetzung »Glaube« ungenügend erfaßt, wiewohl das Verb oft genug glauben (jemandem glauben, eine Sache glauben) bedeutet. Man muß des weitern beachten, daß der Begriff die beiden Seiten einer Reziprozität der Beständigkeit umfaßt: die aktive, die »Treue«, und die rezeptive, das »Vertrauen«. Wollen wir der darin eigentümlich zum Ausdruck gelangenden Intention des Sprachgeistes gerecht werden, dann dürfen wir das »Vertrauen« nicht, anders als die »Treue«, innerseelisch allein verstehen.

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Die Seele ist an dem einen wie an dem andern fundamental beteiligt; aber entscheidend ist bei beiden, daß die Seelenhaltung zur Lebenshaltung wird. Beides, Treue und Vertrauen, existiert im realen Beziehungsraum zwischen zwei Wesen. Nur in der vollen Beziehungswirklichkeit kann man, wie treu, so vertrauend sein. Das Wort Jesajas und das Wort Jesu fordern gleicherweise nicht einen Glauben »an Gott«, welchen Glauben die Hörer des einen und die des andern als etwas Eingeborenes und Selbstverständliches besaßen, sondern dessen Verwirklichung in der Ganzheit des Lebens, und besonders dann, wenn mitten aus der Katastrophe die Verheißung aufbricht, also spezifisch auf das Nahen des Gottesreichs hin. Nur daß Jesaja zu ihm als zu einer noch unbestimmten Zukunft hinblickt, Jesus als zur Gegenwart. Darum sind bei Jesaja die drei Prinzipien seiner Botschaft auf drei Momente verteilt, die in seinem Ich-Bericht von den Anfängen seiner Wirksamkeit (Kap. 6-8) knapp aufeinanderfolgen: da er »den König« schaut (Jes 6, 5), da er seinem Sohn den Namen »Ein-Rest-kehrt-um« gibt (in 7, 3 implicite berichtet), und da er den ungetreuen Statthalter Gottes anruft, zu vertrauen (7, 9); bei Jesus sind sie in dem Grundspruch der galiläischen Predigt verschmolzen.

III. Innerhalb des Berichts über die Taten Jesu in Galiläa erzählt Markus (8, 27 ff.), wie er, mit den Jüngern wandernd, sie zuerst fragt, als wer er den Leuten, und dann, als wer er ihnen selber gelte, und wie die zweite Frage durch Petrus dahin beantwortet wird, er sei »der Gesalbte«. Die kritische Forschung neigt dazu, hier eine, vermutlich fragmentarisch überlieferte »Glaubenslegende«13 zu sehen, in der die Gemeinde ihr Messiasbekenntnis dem Apostel in den Mund legt; denn die Frage nach der Ansicht der Jünger könne einerseits, dem Wesen des Spruches und der Situation nach, nicht als eine sokratische verstanden werden, anderseits aber auch nicht als eine wirklich gemeinte, da Jesus über den Sachverhalt »genau so gut orientiert sein mußte wie die Jünger«. Meinem Gefühl nach kann die Erzählung recht wohl den Kern einer echten Tradition über ein Gespräch bergen, das einst »unterwegs« stattfand. Pädagogischer Art ist die Frage zwar gewiß nicht; aber als eine im äußersten Ernst gefragte 13. Bultman, Die Geschichte der synoptischen Tradition2 (1931) 276; vgl. Ders., Die Frage nach dem messianischen Bewußtsein Jesu, ZNW 19 (1920) 156 ff.; Ders., Theologie des Neuen Testaments (1949) 27 (»eine von Markus in das Leben Jesu zurückprojizierte Ostergeschichte«).

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vermag ich sie mir durchaus zu denken. Ich lasse es zwar dahingestellt, ob man annehmen darf, daß Jesus »über seine Bestimmung zur messianischen Würde bis zuletzt nicht zur völligen Sicherheit gelangt ist« 14 ; das ist nicht auszumachen, und das Für und Wider wird vermutlich weiter lautbar werden wie bisher. Wohl aber ist von jedem, der Jesus weder für einen nur zum Schein in die Menschengestalt gekleideten Gott noch für einen Paranoiker hält, zu erwarten, daß er die menschliche Selbstgewißheit, und sei es die höchste Gewißheit des höchsten Menschen, nicht als eine ungebrochene Linie ansehe. Menschlich ist die Gewißheit eines Menschen von seinem Wesen nur kraft ihrer Erschütterungen; denn an ihnen wird die Mitte zwischen der Existenz Gottes und dem dämonischen Gotteswahn, der für das authentisch Menschliche ausgesparte Ort offenbar. Man mag jene andere Frage Jesu und seine letzte, das in den Worten des Psalmisten an »seinen« Gott gerichtete »Warum?« um die ihm widerfahrende Verlassenheit, für eine nachträgliche Interpretation des wortlosen Todesschreis halten; daß aber wie Markus so auch Matthäus sie aufnahm, spricht dafür, daß im Bewußtsein der Gemeinde auch eine so tiefe Erschütterung der messianischen Gewißheit, wie dieser Ausdruck einer »unergründlichen Verzweiflung«15 sie zeigt, nicht als ein Widerspruch zur Messianität empfunden wurde. Wie immer es um das vielumstrittene Problem des »messianischen Bewußtseins« Jesus stehe: wenn man es als ein menschliches verstehen will, muß man in die Geschichte dieses Bewußtseins Einbrüche aufnehmen, wie der gewesen sein muß, auf den die Unterredung mit den Jüngern folgte – vorausgesetzt, daß man diese Unterredung, wie ich es tue, ganz ernst zu nehmen geneigt ist. Ein Lehrmeister, für dessen Lehre alles auf ihr Getragenwerden von seiner Person und also auf deren Wesenheit ankommt, wird vor der geahnten Wegscheide seines Schicksals und schicksäligen Werkes von einer Unsicherheit angewandelt, »wer« er sei. Die Anwandlung der Unsicherheit gehört unwegdenkbar zur Essenz dieser Stunde, wie die »Versuchung« unwegdenkbar zur Essenz einer früheren 16 . Die Situation sprengt die Schranken des seelischen Prozesses; sie drängt zur realen Frage. An wen sonst aber soll ein Lehrmeister, der nicht bloß keinen Lehr14. Brandt, Die Evangelische Geschichte (1893) 476. 15. Lohmeyer a. a. O. 345. M. Dibelius, Gospel Criticism and Christology (1935) meint freilich, »that the words of this Psalm on the lips of the dying Jesus signified that he was resigned to God’s will«, aber ich kann ihm nicht zustimmen. 16. Bultmann erklärt auch sie für eine Legende schlechthin (zuletzt Theologie des Neuen Testaments 27); ich kann die synoptische Versuchungsgeschichte nur für die legendäre Ausgestaltung der für ein bestimmtes Stadium im Leben des »heiligen« Menschen charakteristischen entscheidenden Begegnung mit der Dämonie halten.

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meister mehr, sondern offenbar auch keinen um ihn wissenden Freund hat, die Frage richten als an seine Schüler? Wenn irgendein Mensch, sind sie es, die ihm antworten können; denn sie haben in dem einzigartigen Kontakt, den solch eine Lehrbeziehung herstellt, die Erfahrung gewonnen, aus der die Antwort geschöpft werden kann. Diese Erwägungen waren unerläßlich, um zu dem Problem hinzuführen, das uns zu beschäftigen hat: wie sich zu der Erzählung der Synoptiker ein Abschnitt verwandter Art des Johannesevangeliums verhält, auf die Auffassung des Glaubens hin betrachtet. Bei den Synoptikern antwortet Petrus stets in einem einfachen Aussagesatz, der mit »Du bist« (Du bist der Gesalbte, oder: der Gesalbte Gottes, oder: der Sohn des lebenden Gottes) beginnt. Bei Johannes fehlt wie die Frage, so die Antwort – wie es nicht anders sein kann, da ja sein eher einem spiritualen als unserm menschlichen Bereich angehöriger Jesus keinen Anwandlungen der Fraglichkeit zugänglich ist; dagegen spricht hier Petrus sein Wort im Zusammenhang einer anderen Unterredung. In seiner Erwiderung auf die Frage Jesu an die Jünger, ob auch sie von ihm gehen wollten, sagt er (6, 69): »Wir haben geglaubt und erkannt (eigentlich: den Glauben und die Erkenntnis gewonnen), daß du der Heilige Gottes bist.« Mit diesem aus dem Alten Testament stammenden und dort den Gottgeweihten, Priester oder Nasiräer, bedeutenden Titel rufen bei Markus und Lukas die Besessenen ihren Bändiger an; in den neutestamentlichen Texten wandelt sich naturgemäß die Gattungsbezeichnung in eine streng singuläre, die Johannes anderswo (10, 36) genau erklärt: Gott selber ist es, der ihn, seinen »einzigerzeugten Sohn« (3, 16), bei seiner Entsendung in die Welt geweiht hat. Daß Jesus der Heilige Gottes ist, »glauben« und »erkennen« sie. Aus der synoptischen unmittelbaren Aussage über den Meister ist hier eine über die Jünger geworden. Dort macht Petrus, der Frage nach dem »Wer« in der Meinung der Jünger gemäß, eine Wesensangabe, hier bekennt er seinen Glauben und seine Erkenntnis in einem Daß-Satz. Dieser Glaube, zu dem die Erkenntnis als Verdichtung tritt (so auch 10, 38; 17, 8), aber fast mit ihm identisch wird, ist das von Gott dem Menschen gebotene »Gotteswerk« (6, 29); wer nicht »an« den glaubt, den er geweiht und gesandt hat, verfällt, statt das »ewige Leben« zu »haben«, Gottes »bleibendem Zorn« (3, 36). Nicht als ob diese Form des Glaubensausdrucks selbst den Synoptikern fremd wäre; aber wo sie zu finden ist, geht es durchaus oder doch weitaus überwiegend um das Vertrauen und Glaubenschenken. Anderseits kommt selbstverständlich auch im Alten Testament ein »glauben, daß« vor (so Ex 4, 5), um nämlich zu sagen, daß einer erhaltenen Nachricht über etwas Geschehenes Glauben geschenkt wird, ohne daß diesem Glaubenschenken hier wie dort jene schicksalhafte Prägnanz

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zugeschrieben würde, die wir in den Johanneischen Aussagen finden. Die Grenzlinie zieht sich wieder so, daß Israel und die Tradition der Urgemeinde, soweit wir sie aus den Synoptikern entnehmen können, hinsichtlich der Glaubensweise auf der einen Seite stehen, das hellenistische Christentum auf der andern (wogegen das hellenistische Judentum mit seinen Grenzverwischungen nur selten dem Ernst des religiösen Prozesses gewachsen ist; vgl. das Schwanken des Glaubensbegriffs bei Josephus und sogar bei Philo, der sich freilich an einigen Stellen zu einem echten philosophischen Ausdruck israelitischen Glaubenslebens erhebt 17 ). Wenn wir das synoptische und das Johanneische Gespräch mit den Jüngern als zwei Stadien eines Wegs betrachten, nehmen wir unmittelbar wahr, was auf diesem Weg gewonnen wurde und was auf ihm verloren ging. Der Erwerb war die sublimste aller Theologien; gezahlt wurde mit der schlichten, konkreten, situationsverhafteten, die Ewigkeit nicht im überzeitlichen Geist, sondern in der Tiefe des realen Augenblicks findenden Dialogik des urbiblischen Menschen, auf dessen Seite der Jesus der echten Tradition noch gehört, aber nicht mehr der einer Theologie. Wir haben unseren Stand an dem Punkte genommen, wo mitten in den Vorgängen, von denen das Neue Testament berichtet, das »Christliche« vom »Jüdischen« abzweigt. Daß das Judentum selbst hernach in der Sache der Glaubensweise dahin abgebogen ist, wo man dogmatisch »glaubt, daß«, bis es im Mittelalter sein Credo in eine nicht minder klamme Formel brachte als irgendeine christliche Kirche – nur daß die Formeln bei ihm nie ins Zentrum gerückt sind –, gehört in einen andern Zusammenhang. In der Epoche der Entstehung des Christentums gab es hier noch keine andere Art von Bekenntnis als die Proklamation, sei es in der biblischen Form der Volksanrufung, »Höre, Israel«, die »unserem« Gott die Alleinigkeit und Ausschließlichkeit zuspricht, sei es in der zur Aussage umgegossenen Königsanrufung der Schilfmeerhymne: »Es ist wahr, daß der Gott der Welt unser König ist.« Der Unterschied zwischen diesem »Es ist wahr« und jenem »Wir glauben und erkennen« ist nicht der zweier Glaubensäußerungen, sondern der zweier Glaubensarten. Für das erste ist der Glaube ein Stand, in dem man steht, fürs zweite ein Begebnis, das sich an einem begeben hat, oder ein Akt, den man vollzogen hat und vollzieht, oder vielmehr beides in einem. Darum auch kann das »Wir« nur hier zum Subjekt des Satzes werden. Gewiß kennt auch Israel 17. Die in unserem Zusammenhang wichtigste Stelle ist De migr. Abr. 9, wo Abrahams von keinem Zweifel angewandelte Annahme des nicht Gegenwärtigen als gegenwärtig aus seinem »festen Vertrauen« abgeleitet wird: er glaubt, weil er vertraut, nicht umgekehrt. Hatch, Essays in Biblical Greek (1889) schreibt dem Hebräerbrief die gleiche Glaubensauffassung zu, aber zu Unrecht (vgl. weiter unten).

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ein »Wir« als Subjekt; aber das ist das Wir des Volkes, das wohl auf »Tun« oder auf »Tun und Hören« (Ex 24, 3, 7), aber nicht auf ein Glauben im Sinne des Bekenntnisses gehen kann. Wo (Ex 4, 31; 14, 31) vom Volk erzählt wird, es habe »geglaubt«, da ist, wie beim Urvater, jenes schlichte Vertrauen gemeint, das man hat oder faßt. Wer jemand vertraut, glaubt freilich auch dem, was er sagt. Das Pathos des Glaubens fehlt hier, nicht anders als in der Beziehung des Kindes zum Vater, den es eben von Anbeginn als seinen Vater kennt. Auch da muß ja zuweilen ein Vertrauen, das entglitten ist, von neuem »gefaßt« werden.

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In einer Leseart des Hebräerbriefs (4, 2) wird den aus Aegypten ziehenden Kindern Israels vorgeworfen, sie hätten sich nicht »durch den Glauben« mit Mose als dem Hörer des Gotteswortes verbunden. Damit wird auf die Exodus-Erzählung (Ex 20, 19) hingewiesen, wonach das Volk sich scheute, das Wort unmittelbar zu vernehmen. Gemeint ist also, sie hätten sich zuerst geweigert, sich der göttlichen Stimme auszusetzen, dann aber sich auch der Rede des Mittlers entzogen, indem sie das zu dessen Aufnahme Entscheidende versagten, den »Glauben«. Der vielfache Ungehorsam der Wüstenwanderer (Hb 3, 16 ff.) wird auf ihren »Unglauben« (V. 19) zurückgeführt und jene Antwort des Volkes am Sinai, die Deklaration des Tuns und Hörens, als ungültig erklärt, weil sie offenkundig des Glaubens ermangelte. Von hier aus wird es für den Verfasser der Epistel notwendig, zu bestimmen, was wesentlich unter Glauben zu verstehen sei. Das geschieht (11, 1) durch jene im Sinne griechischer Denkmethodik formgerechte Kennzeichnung, die zu ihrer Stunde, zwischen Paulus und Johannes, der christlichen Theologie eine grundwichtige Verfestigung geliefert und die Folgezeit tief beeinflußt hat. Der Glaube wird nicht einfach, sondern zwiefach bestimmt, und zwar so, daß die beiden Glieder unverbunden nebeneinanderstehen, die »Zuversicht des Erhofften« und das »Ueberführtsein von den ungesehenen Dingen«. Hier sind in denkwürdiger Weise ein israelitischer und ein griechischer Begriff des Glaubens miteinander verknüpft. Die Beziehung zur Zukunft, ohne ein Fünklein davon der natürliche Mensch überhaupt nicht leben kann, das Erhoffen, wird beim frühisraelitischen zur Zuversicht, weil er dem Gott, mit dem er vertraut ist (das bedeutet ja alttestamentlich das Wort »kennen«, wenn es von dem Umgang zwischen Mensch und Gott gebraucht wird), vertraut. Dazu tritt aber als zweites der aus griechischer Philosophie wohlbekannte Elenchos, der »Beweis« oder das »Bewiesensein« oder, um dem Element

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der glaubenden Person gerecht zu werden, das Ueberführtsein; nur darf man dann nicht fragen, wer der Ueberführende sei, der Glaubende selber, was dem Zusammenhang widerspricht, oder der Glaube, wie die älteren, oder Gott, wie die neueren Exegeten meinen. Denn weder ist an den Glauben zu denken, der nicht wohl leisten kann, was er ist, noch an Gott, der dann doch genannt sein müßte, aber es erst im übernächsten Vers wird; zudem aber legt der objektivierende griechische Terminus die Frage nach dem vollziehenden Subjekt gar nicht nah, und das zweite Glied verlangt ein solches nicht mehr als das parallele erste. Wohl aber gebietet es sich, die Bedeutung dieses Elenchos so genau wie möglich zu fassen. Das erste Glied hat das Kommende, das Noch-nicht-Seiende zum Gegenstand, das als solches noch nicht wahrgenommen werden kann, das zweite das überhaupt nicht wahrnehmbar Seiende, das Ungesehene und Unsichtbare, also das Ewige im Gegensatz zum Zeitlichen, wie Paulus (II Kor 4, 18) darlegt. Der im Sinn des Hebräerbriefs Glaubende hat den Erweis für das Sein dessen empfangen, dessen Sein in keine Wahrnehmung eingeht. Dem Menschen des alten Israel ist solch ein Erweis urfremd, weil der Gedanke eines Nichtseins Gottes jenseits der Sphäre des von ihm Denkbaren liegt. Der Mensch wird »sehen gemacht« (Dt 4, 35), daß der Gott Israels, »sein« Gott (7, 9), kein Spezialgott, sondern die Allgottheit ist, und doch auch der »treue« Gott, dem er sich anvertrauen darf; daß es einen Gott gibt, »sieht« er ohnedies. Auch wo von »Frevlern« erzählt wird, daß sie Gott verleugnen, ist gemeint, sie wähnten, daß Gott nicht gegenwärtig sei, daß er sich um die Erde nicht kümmere 18 . Ob dieser Mensch Gottes Walten anerkennt oder sich ihm weigert, ob er botmäßig oder widerspenstig ist: daß Gott ist, davon aus lebt dieser Mensch, wie immer er lebt. »Wer zu Gott herantritt«, heißt es im Fortgang der Darlegung im Hebräerbrief (11, 6), »muß glauben, daß er ist …« 19 Das ist für den genuin-israelitischen Glaubenden ein Truismus. Es kommt hier nur darauf an – und auf diesem einen liegt freilich die ganze Akzentwucht irdischer Entscheidung –, ob einer die Tatsache des göttlichen Seins nun auch ganz als Tatsache des göttlichen Daseins, des Gegenwärtigseins Gottes, faßt und die von daher ihm selber, der menschlichen Person, gewiesene Beziehung zu Gott an seinem Teil verwirklicht; ob er also dem »selbstverständlich« seienden Gotte, als wahrhaft seinem Gotte, vertraut. Die Zuversicht des Erhofften bedarf so weder einer Basis noch einer Assistenz. 18. Vgl. z. B. Psalm 10, 4 mit 19, 4; die Verneinung bedeutet nicht »es gibt nicht«, sondern: hier ist nicht. 19. Ueber den ganzen Vers vgl. den nächsten Abschnitt.

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Dagegen ist für den Hebräerbrief (einer seiner Exegeten meint: für das Neue Testament überhaupt) die Existenz Gottes »keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Glaubensartikel; man fühlt nicht die Nähe Gottes, sondern man glaubt an sie«. Im übrigen ist, wie schon angedeutet, auch die Kategorie der »ungesehenen Dinge« im Sinne einer absoluten Unwahrnehmbarkeit alles Ewigen dem alttestamentlichen Menschen fremd. Gewiß, Gott ist unsichtbar; aber ohne seiner Unsichtbarkeit Abbruch zu tun, »gibt er sich zu sehen«, in Manifestationen nämlich, die er selber transzendiert und doch als sein Erscheinen hergibt, und als solche Manifestationen erfährt – erfährt, nicht deutet – dieser Mensch sowohl geschichtliche Vorgänge wie Naturphänomene, die ihm die Seele aufrühren. Der Glaubende der israelitischen Welt unterscheidet sich vom »Heiden« nicht durch eine spiritualere Betrachtung der Gottheit, sondern durch die Ausschließlichkeit seiner Beziehung zu seinem Gott und seines Beziehens aller Dinge auf ihn. Er braucht nicht dessen überführt zu werden, was er nicht sieht: was er sieht, sieht er im Glauben des Unsichtbaren. Aber auch noch der sich über der Jordantaufe öffnende Himmel der Synoptiker (auch er fehlt bei Johannes) gehört auf dieselbe Seite wie der Ältesten Schau vom Sinaigipfel – wogegen bei Johannes nur noch Jesus selber eine Gottessicht hat (12, 44; 14, 9). Man darf sich es nur nicht nehmen lassen, solche Stellen »rationalistisch«, vielmehr im höchsten Sinn realistisch zu verstehen. Christliches und spätjüdisches Fürwahrhalten, daß Gott ist, gehört auf die andere Seite. Im Johannesevangelium wird der Glaube, der in jenem »Wir haben den Glauben und die Erkenntnis gewonnen« zum Ausdruck kommt, unter das Gebot und das Gericht gestellt. Es wird erzählt (6, 28 ff.), wie nach der Speisung der Fünftausend die »Menge«, die Jesus auf Schiffen über den Genezarethsee gefolgt ist, ihn befragt, was sie zu tun hätten, »um die Werke Gottes zu wirken«, also in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen. Er erwidert: »Dies ist das Werk Gottes, daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat.« »Der an ihn Glaubende«, heißt es an anderer Stelle (3, 18), »wird nicht gerichtet. Der Nichtglaubende ist schon gerichtet.« Die tiefstgehende Interpretation dieser Worte, die ich kenne21 , besagt, in der Entscheidung des Glaubens oder Unglaubens komme zutage, was der Mensch eigentlich ist und immer schon war, aber es komme so zutage, daß es sich jetzt erst entscheidet, und so vollziehe sich die große Scheidung zwischen Licht und Finsternis. In der Welt Israels fehlt für eine Ent20. O. Michel, Der Brief an die Hebräer (1936) 165. 21. Bultmann, Das Johannesevangelium (1939) 115.

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scheidung des Glaubens oder Unglaubens die Voraussetzung, es fehlt dafür gleichsam der Ort: weil die Welt Israels aus Bundesschlüssen mit Gott gewachsen ist. Die Scheidung, die in der Schrift Israels angesagt wird, kann keine zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden sein, weil es hier keine Entscheidung des Glaubens oder Unglaubens gibt. Die Scheidung, die hier gemeint ist, vollzieht sich zwischen denen, die ihren Glauben wirklichmachen, und denen, die ihn nicht wirklichmachen. Wirklichmachen eines Glaubens aber begibt sich nicht in einer einmaligen Entscheidung, die über den sich Entscheidenden entscheidet, sondern in dem ganzen Leben des ganzen Menschen, also in der aktualen Gesamtheit seiner Beziehungen, nicht zu Gott allein, sondern auch zu dem ihm angewiesenen Weltbereich und zu sich selbst. Die Werke Gottes wirkt danach ein Mensch in dem Maße, als sein Glaube in allem wirkend wird. Für Israel kann, seiner Glaubensweise gemäß, alles nur darauf ankommen, daß es seinen Glauben als gelebtes Vertrauen zu Gott wirklichmache. Man kann »glauben, daß Gott ist«, und in seinem Rücken leben; wer ihm vertraut, lebt in seinem Angesicht. Vertrauen kann überhaupt nur in der vollen Aktualität der »vita humana« bestehen. Es gibt natürlich verschiedene Grade davon, aber keinen, der zu seiner Wirklichkeit nur des Raums der Seele und nicht vielmehr des ganzen Raums des Menschenlebens bedürfte. Vertrauen ist seinem Wesen nach Bewährung des Vertrauens in der Fülle des Lebens dem indessen Gange erfahrenen Weltlauf zum Trotz. Das alttestamentliche Paradigma dafür ist Hiob: er empfindet und äußert rückhaltlos die augenscheinliche Gottlosigkeit des Weltlaufs und hält sie Gott vor, ohne daß sie aber sein Vertrauen zu ihm minderte; ja, während Gott selber ihm »sein Angesicht verbirgt« und dem Geschöpf seiner Hände »das Recht entzieht«, harrt Hiob der leiblichen Schau (so ist 19, 26 zu verstehen) entgegen, in der der harte Augenschein vom Offenbarer durchbrochen und überwunden wird, Sehen durch Sehen – und es geschieht (42, 5). Es darf freilich nicht unbeachtet bleiben, daß die Stellung der Glaubensfrage – und zwar anscheinend in eben jenem »christlichen« Sinn des Glaubens als Anerkennung der Wahrheit eines Satzes und des Unglaubens als deren Bestreitung – unter das Gericht Gottes schon dem frühtalmudischen Judentum nicht fremd ist, wie der vielbesprochene Satz der Mischna (Sanhedrin X) erweist, der drei Kategorien den Anteil an der »kommenden Welt«, also am ewigen Leben, versagt: denen, die die Auferstehung der Toten, denen, die den himmlischen Ursprung der Thora leugnen, und den »Epikuräern«, die, der Lehre Epikurs gemäß, Gott als dem vollkommenen Wesen das Interesse an den irdischen Dingen absprechen. Aber dieser der Frühzeit der christlichen Gemeinde wohl gleichzei-

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tige Satz befaßt sich charakteristischerweise gar nicht mit dem Glauben und Unglauben an die Existenz Gottes oder die Existenz irgendeiner transzendenten Wesenheit; daß die drei angeführten Negationen verurteilt werden, liegt offenbar daran, daß sie geeignet erscheinen, ein volles Vertrauen des Menschen zu dem »geglaubten« Gott zu verhindern oder zu stören. Die dritte ist die allgemeinste und grundlegende: nur wer weiß, daß der Schöpfergott, der Gott des Alls, sich um ihn kümmert, kann ihm vertrauen. Dieses Sichkümmern Gottes bekundet sich am fühlbarsten in zwei Handlungen, einer vergangenen, aber unmittelbar auf die Gegenwart des vertrauenden Menschen einwirkenden: der Offenbarung an Israel, durch die er erfährt, wie er Gottes Willen erfüllen kann, und einer zukünftigen, die aber ebenso wirkt: dem Auferstehenlassen der Toten, dessen Verheißung jenem Menschen verbürgt, daß auch der Tod, scheinbar das Ende seines Seins, der Teilnahme Gottes an ihm und seiner Teilnahme an Gott kein Ende zu setzen vermag. Wer diese drei bestreitet – dies besagt der Satz der Mischna –, vernichtet selber seine Beziehung zu Gott, außerhalb deren es für den Menschen kein ewiges Leben gibt. Daß sich hier eine schwerwiegende Aenderung gegen die alttestamentliche Glaubenswelt vollzogen hat, und zwar unter dem Einfluß iranischer Lehren und griechischer Denkweise, ist offenbar. Aber man darf nicht verkennen, wie stark auch noch in dieser Haltung der organische Zusammenhang mit dem Urstand israelitischen Glaubens geblieben ist. Die weitere Entwicklung, die, im Zeichen der Auseinandersetzung mit Christentum und Islam stehend, von Formeln zu Formeln und bis zum regelrechten Bekenntnis nach Artikeln führt, gehört im wesentlichen nicht mehr der lebendigen Religion selber, sondern ihren intellektual verfaßten Außenbezirken, der Theologie und der Religionsphilosophie, an.

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Jener Satz im Hebräerbrief (11, 6) von dem, der zu Gott herantritt, lautet vollständig: »Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott herantritt, muß glauben, daß er ist und denen, die ihn suchen, ein Vergelter wird.« Hier ist das Bekenntnis zu Gottes Existenz mit der alttestamentlichen Vertrauensstellung zu ihm zu einem einzigen »Glauben« verschmolzen, so aber, daß auch dieses zweite Element zum DaßGlauben an die Vergeltung wird. Damit scheint sich der Satz dem der Mischna über die drei Kategorien der Leugner zu nähern, aber er scheint es nur. Die Mischna läßt den Grundcharakter jenes Vertrauens unberührt: nicht das Vertrauen wird zum Bekennen umgeprägt, sondern der

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Mangel an jenem zum Leugnen, und das sinngemäß – man kann ein Bekenner sein, ohne wirkliches Vertrauen zu hegen, wogegen die Leugnung den Mangel an Vertrauen absolutiert. Völlig fremd aber ist es dem Geist der Mischna, wie gesagt, daß aus der primären Gewißheit Gottes ein Bestandteil des Daß-Glaubens wird, ohne den man Gott nicht gefallen könne, wie Henoch (Hb 11, 5) ihm gefiel. Dennoch werden (V. 2) »die Alten«, d. h. Glaubensgestalten des Alten Testaments, als Zeugen für diesen Glauben angerufen, natürlich ohne daß von einem von ihnen ausgesagt werden könnte, er habe im Sinne eines inneren oder äußeren Bekenntnisaktes »geglaubt, daß Gott ist«. Merkwürdigerweise fehlt unter den angerufenen Glaubenskundgebungen Abrahams jener zentrale und in der Genesis-Erzählung der mittleren unter den sieben Offenbarungen an ihn angehörende Vorgang, wo allein von dem Erzvater berichtet wird (Gen 15, 6), er habe, nach der geläufigen Uebersetzung, an Gott geglaubt, oder vielmehr, nach dem echten Wortsinn, ihm vertraut; er fehlt hier, obgleich bald danach (Hb 11, 12) der ihm vorausgehende Vers des gleichen Kapitels zitiert wird. Auf diesen Vorgang aber hat vor dem Verfasser des Hebräerbriefs der gewaltige Mann, den wir als den eigentlichen Urheber der christlichen Glaubenskonzeption ansehen dürfen, Paulus, seine Darstellung Abrahams als des Vaters und Vorbilds der Glaubenden (Rm 4) gegründet. In der Genesis-Erzählung wird Abraham nachts »in der Schau« von dem Gott, der in den Kämpfen sein »Schild« gewesen war (Gen 15, 1), aus dem Zelt geholt und in den Anblick des gestirnten Himmels Kanaans gesetzt, daß er die Sterne zähle, wenn er’s vermöchte: »So wird dein Same sein.« Von Abraham wird nun berichtet, daß er Gott »weiter vertraute« (dies soll die eigentümliche Verbalform ausdrücken), und von Gott, daß er ihm dies »als Bewährung erachtete«. Wir müssen zu fassen versuchen, was der Erzähler damit gemeint hat, um den Abstand dazu zu ermessen, was Paulus von dem nicht bloß griechischen, sondern wirklich hellenisierten Text, in dessen Vertrautheit er aufgewachsen war, gesagt bekam, so gesagt bekam, daß es sein Verständnis des Originals zutiefst beeinflußte. Was von Abraham erzählt wird, ist eine feste Beständigkeit: man wird bei diesem Gebrauch des Verbs an den Gebrauch des Nomens in dem Bericht der Amalek-Schlacht (Ex 17, 12) gemahnt, wo Moses’ den Führerstab haltende, zum Himmel erhobene rechte Hand 22 »Beständigkeit«, also grundbeständig, bleibt; der Verbalform käme man wohl noch am nächsten, wenn man wiedergäbe: »Und er ließ beharren an JHWH« (eines 22. Es ist der Singular zu lesen, dem vorhergehenden Vers entsprechend; zum ganzen Vorgang vgl. in meinem »Moses« das Kapitel »Die Schlacht«.

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Objekts bedarf es hier nicht), womit aber kein besonderer Akt, sondern nur gleichsam eine Kraftzufuhr an eine bestehende Wesensbeziehung des Vertrauens und der Treue in einem gemeint ist 23 . Angesichts einer Verheißung, der er nur von dieser Wesensbeziehung aus Glauben zu schenken vermag, steigert der Alte diese noch durch verstärkte Hingabe. Dies nun wird ihm als Bewährung erachtet. Wie zedek der sachlich zutreffende Urteilsspruch, die Uebereinstimmung einer Aeußerung oder Handlung mit der Wirklichkeit, über die damit geurteilt wird, so ist zedaka die Bekundung der Uebereinstimmung zwischen Getanem und Gemeintem an der persönlichen Lebensführung 24 , die Bewährung (welcher Begriff sodann, als Betätigung seines Wohlwollens, auf Gott übertragen wird). Welchem Getanen letztlich der Charakter einer Bewährung zukommt, kann naturgemäß weder der Einzelne noch seine Gemeinschaft entscheiden, sondern Gott allein, eben durch sein »Erachten«, in dem allein alles Menschliche als das offenbar wird, was es ist. Das Verb, das später auch die allgemeine Bedeutung »denken« annimmt, stammt am ehesten wohl, als »ersinnen, entwerfen«, aus der technischen Sphäre; in die forensische Sprache, im Sinn des gerichtlichen Zurechnens, ist es, wiewohl es sie streift, nicht eingedrungen; seine Hauptbedeutung ist »besinnen« geworden, und zwar entweder als Bedenken, Planen oder als Einschätzen, Bewerten, Erachten. Menschen können freilich immer nur Einzelphänomene als solche einschätzen und bewerten25 , Gott aber kann etwas, was in einem Menschen und von ihm aus geschieht, ihm als die volle Bewährung, als das volle Wirklichmachen der Wesensbeziehung zur Gottheit erachten. Denn in diesem Moment, in dieser Bewegung ihrer Ganzheit, hat sich die Person zu jenem Stand erhoben, der für die Offenbarung ihres Wertes maßgebend ist; das Wesen des Geschöpfes hat das Sein der Schöpfungsintention erreicht; und auch die äußerste »Versuchung« wird nur noch herausholen und aktualisieren können, was sich damals statuiert hat. 23. Nach Weiser, Glauben im Alten Testament, Festschrift Georg Beer (1933) 91, hätte die Hifil-Form des Verbs, wo sie für das Verhältnis des Menschen zu Gott verwendet wird, eine Art deklaratorischer Bedeutung im Sinne von »die Beziehung, in die Gott zum Menschen tritt, erkennen und in der Weise anerkennen, daß man sich selbst in diese Beziehung hineinstellt«. Die Haltung Abrahams Gen 15, 6 läßt sich von dieser Definition aus nicht vergegenwärtigen; er stellt sich nicht in eine Beziehung, er steht vielmehr bereits in ihr und bleibt nun wesenhaft in ihr stehen. – Aber auch eine geläufige Verbalform wie Ex 4, 31; 14, 31 will eine Verfestigung in der Emuna, nicht eine Bekehrung erzählen; diese wird erst in einem späten Text, Jon 3, 5, der schon der Zeit der beginnenden Mission angehört, so ausgedrückt. 24. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung 156. 25. Jemandem eine Verfehlung besinnen, nachsinnen, gedenken kann daher nicht nur Gott (Ps 32, 2), sondern auch Menschen (II Sam 19, 20).

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Was Paulus in seiner griechischen Bibel an dieser Stelle fand, ist in eine andere Atmosphäre getaucht. Hier glaubt Abraham nicht »an« Gott, im Sinn eines Beharrens an ihm, sondern er glaubt ihm – was gewiß nicht zu bedeuten braucht, er habe dessen Worten Glauben geschenkt (eine solche Verflachung des Satzes lag wohl nicht im Sinn des Uebersetzers), aber dann eben doch einen Akt der Seele in dem erzählten Augenblick bezeichnet. Wichtiger noch ist, daß aus dem göttlichen Besinnen, Erachten, Gültigmachen ein Zurechnen geworden ist, eine Kategorie in der richterlichen Abwägung der Schuld- und Unschuldposten gegeneinander, und im Zusammenhang damit aus der Bewährung eine »Gerechtigkeit«, die den Menschen vor Gott rechtfertigende Rechtmäßigkeit des Verhaltens; beides ist eine Einengung, Verkargung jener ursprünglichen Lebensfülle, eine, die dem alexandrinischen und dem gleichzeitigen rabbinischen Judentum gemeinsam ist. Mit der Uebernahme durch Paulus aber wird der Satz von den Prinzipien der paulinischen Glaubens- und Rechtfertigungslehre durchdrungen und in seinem Gehalt umgewandelt: der Glaube, als das göttliche Wirken im Menschen, führt den Stand der Gerechtsprechung herbei, den die vom Menschen allein ausgehenden »Werke«, die bloße Erfüllung des »Gesetzes«, nicht herbeizuführen vermögen. Das schlicht-faktische Gegenüber von Gott und Mensch im Genesis-Bericht wird durch ein im Glauben, und in ihm allein, sich ereignendes Ineinander ersetzt, die dialogische durch die mystische Situation; aber diese Situation bleibt nicht, wie fast immer in der Mystik, ein Ende in sich, sie wird vielmehr als die gefaßt und erörtert, die allein den Menschen in jenen Stand versetzen kann, in dem er vor dem Gerichte Gottes besteht. Durch Gewährung des Glaubensstandes ermöglicht Gott gleichsam sich selbst, gnädig zu sein, ohne seine Gerechtigkeit zu mindern. Wer jenen Satz zuerst im Original und dann in der Septuaginta liest, ist von dem Hochplateau, wo Gott Abrahams Glaubenshaltung, sein Beharren an ihm, als Bewährung empfängt und erwidert, zur Talsenkung versetzt worden, wo im Gerichtsbuch der Glaubensakt als der entscheidende Sachverhalt zugunsten der dem Urteil unterworfenen Person gebucht wird; wer ihn danach im Zusammenhang der Paulinischen Briefe liest, ist auf einen Felsgrat entrückt, wo die innergöttliche Dialektik ausschließlich waltet. Auch die Grundlagen dieser Dialektik-Konzeption sind im Judentum, und zwar im frühtalmudischen, zu finden; aber das Bild des Umgangs zwischen den Gottesattributen der Strenge und des Erbarmens 26 wandelt sich hier zur äußersten Realparadoxie, von der ja für Paulus (hier sind wir genötigt, für einen Augenblick dem Gang dieser Untersuchung weit vor26. Vgl. darüber weiter unten im 14. Abschnitt.

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zugreifen) auch das große Thema seines Glaubens, seine Christologie, getragen ist, ohne daß sie ausgesprochen werden konnte: durch die Hingabe seines Sohnes die Welt erlösend, erlöst sich Gott vom Verhängnis seiner Gerechtigkeit, die sie verdammen müßte. Vielleicht noch deutlicher wird die Transformation der israelitischen Glaubensanschauung durch Paulus in einem anderen seiner Zitate. Im Galaterbrief (3, 6) wiederholt er zuerst den Hinweis auf Abraham: alle Glaubenden nehmen an dem ihm gespendeten Segen teil, wogegen die Täter der Gesetzeswerke »unter dem Fluche stehen« – ein weithintragender Spruch, den Paulus mit der Uebersetzung der Septuaginta begründet: sie hatte, einer Tradition folgend, für die wir auch andere Zeugnisse besitzen, den Schlußsatz der Fluchrede am Berge Ebal (Dt 27, 26), »Verflucht ist, wer die Worte dieser Weisung nicht aufrechthält, sie zu tun«, so gefaßt: »Verflucht ist jeder, der nicht in allem bleibt, was in dem Buche des Gesetzes geschrieben ist, es zu tun«. »Durchs Gesetz«, heißt es nun, »wird niemand bei Gott gerecht.« Dafür wird (Gal 3, 11) das Wort des Propheten Habakuk (Hab 2, 4) von dem Gerechten oder vielmehr Bewährten herangezogen, der »in seinem Glauben leben wird«, ein Wort, das Paulus auch schon im Römerbrief (1, 17) anführt, um die wahre gottgemäße »Gerechtigkeit« zu kennzeichnen, die »sich aus dem Glauben in den Glauben offenbart«. Das Habakukwort und der Satz von Abraham haben Paulus ersichtlich immer wieder miteinander verknüpft vorgeschwebt, wie das individuale Faktum und seine generelle Verkündigung. In dem schwierigen und anscheinend verstümmelten Vers spricht Habakuk von einem Feind Israels. »Da«, sagt er, wie auf ihn hinzeigend, »gebläht ward, nicht gerader in ihm seine Seele.« Und nun unterbricht er die Beschreibung mit dem antithetischen Ausruf: »Der Bewährte aber wird in seinem Vertrauen leben« (wohl als ein Zwischenruf des Propheten zu der von ihm vorgetragenen Gottesrede zu verstehen, wie wir dergleichen manche in prophetischen Texten kennen). Danach heißt es von jenem, dem »vermessenen Mann«, er habe seinen Rachen breit gemacht wie die Hölle, unersättlich wie der Tod hole er die Völker zu sich her und raffe sie heran. Hier ist unverkennbar der Mensch gezeichnet, der kein anderes Gebot anerkennt, als den nie ruhenden Antrieb der eigenen Kraft, zu Macht zu werden. Er weigert sich, Maß und Grenze zu kennen, und das heißt, den Gott zu kennen, von dem er die Macht unter Verantwortung zu Lehen hat und dessen Gesetz von Maß und Grenze über den Kraftentfaltungen der Kraftbegabten steht. Vor geblähter Selbstsicherheit, die mit echtem Vertrauen nichts gemein hat und nichts als Selbsttäuschung ist, ist ihm das echte Vertrauen, auf dessen Grunde stets das Ver-

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trauen zur Treue des getreuen Herrn ruht, gänzlich abhanden gekommen. Die tollgewordene Selbstsicherheit wird das Verderben über ihn bringen. Ihm steht, nur im knappen Zwischenruf erscheinend, der »bewährte«, die Wahrheit Gottes irdisch darstellende Mensch gegenüber, der, dem treuen Gott vertrauend, sich ihm anvertraut: in diesem seinen sein ganzes leibliches Leben umfassenden und bestimmenden Vertrauen und durch es hat er das Leben. Er »wird leben«; denn er hängt und haftet an dem ewig lebenden Gott. (Man vergleiche den – vermutlich nicht viel späteren – Psalmvers 73, 26, der so zu verstehen ist.) Die beiden Stellen, an denen Paulus sich auf den Habakukvers beruft, ergänzen einander. Statt des »Bewährten«, das heißt, sich als richtig Erweisenden, des Originals und statt des »Gerechten« der griechischen Uebertragung denkt er bei zaddik und bei dikaios an den Gerechtgesprochenen. Gerecht gesprochen – so versteht er den Vers – ist der Glaubende, der »aus dem Glauben« Lebende. Nur aus dem Glauben, nicht aus der Erfüllung göttlichen Gesetzes, wird ein Mensch von Gott gerechtgesprochen. Das Gesetz ist nicht »aus dem Glauben«, denn es erfordert nicht, geglaubt, sondern getan zu werden. Paulus zieht, offenbar im höchsten Bewußtsein dessen, um was es geht, den Vers aus Leviticus (18, 5) heran, in dem Gott seine Satzungen und seine Rechtsgeheiße zu hüten gebietet, in denen und durch die der Mensch, der sie tut, lebt. In diesen beiden Versen will Paulus, von Gottes eigener Perspektive aus, zwei Arten des Lebens im Hinblick auf ihn unterscheiden, und zwar danach, »worin« sie sind, in welcher Art des Hinblicks auf Gott, welche also hier und welche hier das »Leben«, das von Gott aus als solches zu bezeichnende Leben trägt und erhält, das Gesetz oder der Glaube. Nun aber sei das Gesetz überwunden durch das Kommen Christi, der »uns von dem Fluch des Gesetzes erlöst hat«. An die Stelle des Lebens aus dem Tun sei das Leben aus dem Glauben getreten; aus diesem allein komme und in diesen allein gehe nun »die Gerechtigkeit Gottes«, seine Rechtsprechung des Menschen, ein.

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VI. Der Glaube, den Paulus in seiner Scheidung zwischen ihm und dem Gesetz meint, ist keiner, der schon in der vorchristlichen Aera hätte geglaubt werden können. »Die Gerechtigkeit Gottes«, die er meint, seine Gerechtsprechung des Menschen, ist die durch den Christusglauben (Rm 3, 22; Gal 2, 16), das heißt aber, den Glauben an den Gekommenen, am Kreuze Gestorbenen und Auferstandenen.

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In der Sache des »Glaubens« gegen die »Werke«, die Paulus führt, geht es ihm somit eigentlich nicht um etwas, was es schon vor dem Kommen Christi gegeben hätte. Er hält Israel vor (Rm 9, 31), es habe dem »Gesetz der Gerechtigkeit« nachgejagt und es nicht erreicht, weil es nach ihm »nicht aus dem Glauben, sondern aus den Werken« getrachtet habe. Soll das bedeuten, das alte Israel habe das Gesetz nicht erfüllt, weil es die Erfüllung nicht aus dem Glauben anstrebte? Nicht wohl; es wird ja sogleich dahin erläutert, sie hätten sich an dem Stein des Anstoßes gestoßen, und das kann nicht auf das einstige Israel und eine etwaige Unzulänglichkeit seines Glaubens an das künftige Kommen des Messias gehen, sondern nur auf die Juden jener Stunde, sie, um die Paulus für Christus geworben und die er nicht für ihn gewonnen hat, weil sie in ihm nicht den verheißenen und geglaubten Messias erkannten. In dem Jesajaspruch (8, 14), den Paulus hier in einer wunderlichen Verquickung mit einem andern (dem oben besprochenen 28, 16) anführt, ist mit dem »Stein des Anstoßes« kein anderer als Gott selbst gemeint: dadurch, daß seine Heilsbotschaft als Sicherstellung mißkannt und mißbraucht wird, bringt sein eigenes Wort das Volk zum Straucheln 27 . Paulus deutet den Spruch auf Christus. »Denn Christus ist das Ende des Gesetzes, jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit.« Die Juden, die sich diesem Glauben verweigern, weigern sich, sich der Gerechtigkeit Gottes zu unterwerfen. Paulus betet, daß sie erlöst werden, sie aber wollen es nicht, denn sie haben den Eifer um Gott, ermangeln jedoch der Erkenntnis. Wieder beruft sich Paulus auf einen Spruch des Alten Testaments, diesmal aber entnimmt er ihn weder der vorgesetzlichen Geschichte noch der Prophetie, sondern dem »Gesetze« selber. Es ist der Spruch (Dt 30, 14): »Denn sehr nah ist dir das Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen.« »Nämlich«, fährt Paulus fort (Rm 10, 8 ff.), »das Wort vom Glauben, das wir verkündigen. Denn wenn du mit deinem Munde Jesus als den Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du gerettet werden.« Paulus beruft sich auf jenen bereits besprochenen Jesajavers »Wer vertraut, wird nicht beschleunigen«, aber in der falschen Uebersetzung der Septuaginta, die, dem schwierigen Text gegenüber ratlos, eine andere Lesart gewählt und so den von Paulus angeführten Satz gewonnen hat: »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« Hier ist das paulinische Gegenstück zu der Johanneischen Antwort der Apostel an Jesus »Wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist«; die beiden Sätze ergänzen einander wie nur irgend die Erzählung von einer Aeußerung der vom leben27. Vgl. weiter unten im 8. Abschnitt.

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den Jesus ergriffenen Jünger und die authentische Bekundung eines vom toten ergriffenen einander ergänzen können. Aber mit jenem Spruch des Deuteronomiums, wo, wie Paulus sagt (V. 6), »die Gerechtigkeit aus dem Glauben« redet, ist er seltsam genug verfahren. Im Text selber ist ja mit dem Worte, das nicht im Himmel, sondern in Mund und Herz ist, kein andres gemeint als »dieses Gebot, das ich heut dir gebiete« (V. 11), kein Wort des Glaubens also, sondern gerade das Gesetzeswort, von dem hier erklärt wird, daß es nicht aus einer oberen Ferne über den Menschen komme, sondern so, daß er es in seinem eigenen Herzen aufbrechen und von da sich ihm auf die Lippen drängen spürt. In dem Satz aber, den Paulus anführt, hat er ein Wort weggelassen, das letzte Wort des Satzes. Dieser sagt im Text: »Denn sehr nah ist dir das Wort, in deinem Munde und in deinem Herzen, es zu tun.« Gottes dem Menschen gebietendes Wort redet ihn so an, daß er es in seinem Herzen aufbrechen und auf seine Lippen sich drängen spürt als eines, das von ihm getan werden will. Wie das »Gebot«, so hat Paulus auch das »Tun« unbeachtet gelassen. Anderswo jedoch (2, 14 f.) erscheint ihm eben dieses »Tun« im Zusammenhang mit eben diesem »im Herzen«: wo er von den Heiden redet, die »das Gesetzhafte tun«, weil »das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist«. Man vergleiche den Gottesspruch bei Jeremia (31, 33), es solle dereinst die Thora Gottes Israel ins Herz geschrieben werden. Seltsame Pfade der paulinischen Stunde und ihrer Werbung! Aus den Werken des Gesetzes, erklärt Paulus (Rm 3, 20; Gal 2, 16), werde »kein Fleisch« vor Gott gerecht. Dieser Satz, von dem mit Recht gesagt worden ist 28 , er sei für Paulus »das Prinzip, das des Beweises nicht bedarf und allem Kampf der Meinungen enthoben ist«, bedeutet zunächst (Rm 3, 28), daß »durch den Glauben allein«, den Glauben an Jesus (V. 26), »ohne Werke des Gesetzes«, der Mensch gerechtgesprochen wird, Heide wie Jude, daß also – und das ist ja für den Heidenapostel das wesentliche Anliegen – die Heiden nicht durchs Judentum müssen, um zu Christus zu gelangen, sondern ihren eigenen unmittelbaren Zugang zu ihm haben. Es bedeutet weiter, wie wir gesehen haben, daß die Juden, die sich weigern, an Jesus zu glauben, an ihrem Besitz des Gesetzes keinen Rückhalt haben, sondern mit ihrer Weigerung die einzige Möglichkeit, von Gott gerechtgesprochen zu werden, ausschlagen. Aber das Gesetz ist ja nicht zur gleichen Zeit mit Jesus auf die Welt gekommen; was ist es mit den Geschlechtern Israels zwischen beiden? Vor ihnen stand ja nicht, wie vor Paulus’ Zeitgenossen, die Frage, ob sie an Christus glaubten; aber »geglaubt« haben sie ja wohl, sie haben, vielmehr, die »Gläubigen« unter ihnen haben 28. Lohmeyer, Probleme paulinischer Theologie, ZNW 28 (1929), 201.

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Gott vertraut und das Kommen seiner Königschaft erwartet. In diesem ihrem »Glauben« haben sie doch wohl das »Gesetz« erfüllt. Als Glaubende, wenn auch, unmöglicherweise, nicht an den gekommenen Christus Glaubende, sind sie doch wohl gerechtgesprochen worden wie ihr Vater Abraham; hat der sie gerechtsprechende Gott ihren Glauben also von ihrer Gesetzerfüllung abgelöst und nur jenen, nicht auch diese, im Glauben geschehene, bedacht? Paulus sagt ja aber ausdrücklich (Rm 2, 13), die Täter des Gesetzes, seine wahren Täter im Glauben, würden, eben als solche, gerechtgesprochen werden. Oder ist unter den wertlosen »Werken des Gesetzes« nur eine Werkleistung ohne Glauben zu verstehen? Es ist ja aber doch offenbar Paulus’ Ansicht, das Gesetz sei gar nicht erfüllbar; denn er begründet ja (Gal 3, 10) seinen Satz von dem Fluch, unter dem die seien, »die aus den Werken des Gesetzes sind«, mit dem angeblichen Schriftvers, es sei jeder verflucht, der »nicht in allem bleibt, was in dem Buche des Gesetzes geschrieben ist, es zu tun« (das entscheidende Wort »allem« fehlt, wie gesagt, im masoretischen Text 29 ) – also seien die ersteren mit den letzteren identisch: es kann eben niemand alles tun, was das Gesetz von ihm unter der Drohung des Fluches fordert. Das unteilbare, keine Auslese zulassende, das »ganze« Gesetz (Gal 5, 3) fordert somit nach Paulus das Unmögliche, ohne daß er aber zwischen einer möglichen äußeren Erfüllung und einer unmöglichen Erfüllung in voller Glaubensintention unterschiede; offenbar gilt ihm auch schon die äußere Erfüllung als unmöglich, ohne daß er freilich andeutete, was sie dazu mache. Hier steht nicht bloß der alttestamentliche Glaube und mit ihm der lebendige Glaube des nachbiblischen Judentums Paulus entgegen, sondern auch der Jesus der Bergpredigt, wiewohl aus verschiedenem Motiv und in verschiedener Absicht.

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Die jüdische Glaubenshaltung läßt sich etwa in dem Satz zusammenfassen: Erfüllung des göttlichen Gebots ist gültig, wenn sie nach dem vollen Vermögen der Person und in der vollen Glaubensintention geschieht. Will man der darüber hinausgreifenden Forderung Jesu eine parallele 29. Auch in der Version, die das Wort hatte und der außer der Septuaginta der Samaritaner gefolgt ist, besaß es, wie sich aus dem Sprachgebrauch des Deuteronomiums ergibt, zweifellos nicht diese emphatische Bedeutung. – Gewiß wird anderswo (Dt 28, 58) das Nichttun »aller Worte dieser Thora« mit den schwersten Strafen bedroht, aber die Schrift setzt sogleich mit Bedacht hinzu, was mit dieser Allheitsforderung gemeint ist: »Diesen verehrten und furchtbaren Namen zu fürchten.«

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Formulierung geben, so möchte sie etwa lauten: Erfüllung des göttlichen Gebots ist gültig, wenn sie der vollen Offenbarungsintention gemäß und in der vollen Glaubensintention geschieht – wobei aber der Begriff der Glaubensintention einen eschatologischen Charakter annimmt. Von diesen beiden Glaubenshaltungen geht die erste von der Stunde der handelnden Menschen und der Bedingtheit ihres Könnens aus, die zweite einerseits von der Stunde Gottes überm Sinai und der Unbedingtheit ihres Anspruchs, anderseits von der Stunde der eschatologischen Situation und der ihr obliegenden Bereitschaft zum Eingehen in das nahende Königtum Gottes. Der paulinischen Problematisierung der Thora widerstreiten beide. Ich sage hier: »Thora« und nicht »Gesetz«, denn es geht an diesem Punkte nicht mehr an, die griechische Fehlübersetzung zu bewahren, die auf Paulus’ Denken einen so tiefreichenden Einfluß ausgeübt hat. Thora heißt in der hebräischen Bibel nicht Gesetz, sondern Weisung, Hinweisung, Unterweisung, Anweisung, Belehrung. More heißt nicht Gesetzgeber, sondern Lehrer. So wird Gott in alttestamentlichen Texten wiederholt genannt. »Wer ist ein Lehrer wie er!« wird Hiob apostrophiert (Hi 36, 22), und der Prophet verheißt dem künftigen Zionsvolk: »Deine Augen werden deinen Lehrer sehen« (Jes 30, 20); aber immer ist man gewärtig, daß der vergebende Gott Israel »den guten Weg« lehre (insbes. I Kö 8, 36), und wie um etwas zuinnerst Gewisses bittet der Psalmist (25, 4; 27, 11): »Lehre mich deine Pfade.« Die Thora Gottes wird als seine Unterweisung in seinen Wegen verstanden, und somit nicht als ein abgeschlossenes Objektivum außerhalb seiner. Sie umfaßt Gesetze, und Gesetze sind ja wohl die stärksten Objektivationen, die es gibt, aber sie selber ist wesenhaft nicht Gesetz, immer haftet am gebietenden Wort die Gegenwartsspur des Sprechens, immer ist die weisende Stimme dabei oder klingt doch noch mit an. Die Wiedergabe durch »Gesetz« entzieht dem Begriff Thora diesen inneren dynamischen und vitalen Charakter. Ohne den gräzisierenden, objektivierenden Bedeutungswandel würde der paulinische Dualismus von Gesetz und Glauben, Leben aus Werken und Leben aus Gnade, seiner wichtigsten begrifflichen Voraussetzung entbehren. Es darf freilich nicht übersehen werden, daß in Israel, selbst von Anbeginn, schon mit dem Vorhandensein von Tafeln, erst recht mit dem einer »Urkunde des Bundes« (gewöhnlich mit »Bundesbuch« übersetzt) und gar einer »heiligen Schrift« die Tendenz zur Objektivierung der Thora zunehmend an Boden gewann. Wir lernen ihre Früchte am besten aus Jeremias großer Anklage (8, 8 f.) kennen, für den die geläufige Rede »Wir sind weise, die Thora JHWH’s ist mit uns« ein Verschmähen des gött-

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lichen Wortes bedeutet. Vollends hatte sich in der Epoche der Entstehung des Christentums an dem hebräischen Thorabegriff eine Statisierung und Verdinglichung vollzogen, die ihn dem Gesetzesbegriff nahebrachte, ja mit ihm verschmelzen ließ; die enge, aber gefühlsausgestattete Vorstellung, die Thora sei eben Israel gegeben worden und es besitze sie, strebte wirksam danach, die aus Urglaubenstiefen stammende des Lebenskontakts mit der allzeit lebendigen Offenbarung und Unterweisung zu verdrängen. Aber die Glaubenswirklichkeit, die unerstorbene Kraft des Vernehmens, war stark genug, um der Erstarrung vorzubeugen und den lebendigen Thorabegriff immer wieder auszuschmelzen. Diese innere Dialektik von Haben und Sein ist ja das eigentliche Bewegungsmotiv in der geistigen Geschichte Israels. Für die Glaubenswirklichkeit des biblischen und nachbiblischen Judentums, und auch für den Jesus der Bergpredigt, bedeutet Erfüllung der Thora: das Vernehmen des Wortes auf die ganze Dimension der menschlichen Existenz zu erstrecken. Damit war man aber dort wie hier auf den Kampf gegen eine Verschrumpfung oder Verkrustung hingewiesen, die von keiner anderen Erfüllung als von der Ausführung von Vorschriften wußte, die Thora somit in der Tat zum »Gesetz« machte, das man als solches eben nur zu befolgen, nicht auch mit allem Aufgebot der Seele in seiner Wahrheit zu erfassen und von da aus zu verwirklichen hatte. Dies ja ist die stete Gefahr der zur Realisierung eines offenbarten göttlichen Willens tendierenden Glaubensform, daß die gebotene Haltung ohne die gemeinte Hingabe an den göttlichen Willen fortbestehen und sogar entstehen kann, die allein der Haltung ihren Sinn und damit ihr Recht zu verleihen vermag. Die Anfänge dieser Verselbständigung der Gebärde gehen wohl schon in die Frühzeit der Sinaireligion zurück. Der Kampf gegen sie füllt die israelitisch-jüdische Glaubensgeschichte. Er beginnt mit der Anklage der Propheten gegen einen ohne die Intention der Selbsthingabe seines entscheidenden Sinns beraubten Opferdienst, erhält in einer Zeit gesteigerter Gefahr einen neuen Auftrieb in dem Eifern der Pharisäer gegen die mannigfachen Gattungen der »Gefärbten«, d. h. die Innerlichkeit Vortäuschenden, und in ihrem Ringen um die »Richtung des Herzens« und setzt sich durch die Zeiten fort, bis er an der Schwelle unseres Zeitalters eine eigentümlich moderne Gestalt im Chassidismus annimmt, für den jede Handlung ihre Gültigkeit nur durch eine unmittelbar Gott zugewandte spezifische Andacht des ganzen Menschen erlangen kann. Innerhalb dieses großen Glaubensstreits kommt der Lehre Jesu, wie sie sich insbesondre in einem Abschnitt der »Bergpredigt« ausspricht, eine Bedeutung zu, um die zu erfassen man von dem geschichtlichen Zusammenhang Jesu mit dem Christentum absehen muß.

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Die Lehre Jesu ist in diesem Belange jenem innenkritischen Prozeß des Judentums, und auch gerade seiner pharisäischen Phase, grundverwandt und doch davon in einem entscheidenden Punkt abgehoben. »Ihr also«, heißt es in der Bergpredigt (Mt 5, 48), »sollt vollkommen 30 sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.« Das fünfmal wiederkehrende alttestamentliche Gebot (Lev 11, 44 f.; 19, 2; 20, 7, 26), das ebenfalls sich mit einer göttlichen Eigenschaft begründet, somit ebenfalls zur Nachahmung Gottes aufruft, lautet, so ähnlich wie verschieden: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.« Mit dem »Ihr« sind dort die Jünger angeredet, die auf dem »Berg« zu Jesus getreten sind, hier das um den Sinai versammelte Israel. Die Anrede an Israel geht auf die sakrale Grundlegung des dauernden Volkslebens, die an die Jünger geschieht von der eschatologischen Situation aus und auf sie hin, als die das schlechthin Außerordentliche fordert, aber auch ermöglicht. Demgemäß sagt das Geheiß an die Jünger, das Menschliche übergreifend: »wie«, das Geheiß an das Volk sagt nur: »denn«; im Anbruch des Reiches soll und kann nach Jesu Lehre der Mensch in seinem Streben nach Vollkommenheit an das Göttliche rühren, dem Volk ist in der Offenbarungsstunde seiner Geschichte nur zugemutet und zugetraut, um der göttlichen Heiligkeit willen die von ihr wesensverschiedene menschliche zu erringen. Es gibt eben im Gang der Geschichte eine menschliche Heiligkeit, die der göttlichen nur entspricht; eine menschliche Vollkommenheit gibt es im Gang der Geschichte nicht, sie ist in Israel – zum Unterschied etwa von griechischer Philosophie und islamischer Mystik – eine wesentlich eschatologische Konzeption. Das erhellt auch aus der einzigen andern Evangelienstelle, wo das Adjektiv (wohl sekundär) vorkommt (Mt 19, 21): Wer »vollkommen« sein will, muß alles aufgeben und Jesus auf seinem eschatologischen Wege nachfolgen. Es ist freilich recht wohl möglich, daß nicht der Matthäustext der Bergpredigt, sondern die Parallelstelle des Lukasevangeliums (6, 36), die sich ebenfalls an das Gebot der Feindesliebe anschließt, den ursprünglichen Wortlaut bietet. Da steht »barmherzig« statt »vollkommen«, und Barmherzigkeit kann ja nachgeahmt werden, Vollkommenheit nicht. In dieser Form deckt sich der Spruch fast wörtlich mit 30. Torreys Meinung (The Four Gospels 291, vgl. Our Translated Gospels 92 f., 96), im aramäischen Original bedeute das Adjektiv »allumfassend«, ist völlig abwegig; die von ihm herangezogenen Talmudstellen entbehren aller Beweiskraft, und Mt 19, 21, wo das Wort offenbar dieselbe Bedeutung wie hier hat, aber von Torrey notwendigerweise mit »vollkommen« wiedergegeben wird, spricht aufs deutlichste dagegen. Bultmann (Jesus 111) versteht das Adjektiv: treu und gerade, geht dabei aber vom alttestamentlichen, nicht von dem im Schrifttum des Zeitalters Jesu vorherrschenden Sinn aus.

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dem bekannten pharisäischen, der von der Nachahmung Gottes (b. Schabbat 133 b, jer. Pea 15 b) handelt: »Wie er barmherzig und gnädig ist, sei du barmherzig und gnädig.« – Doch bliebe die Matthäusstelle als Ausdruck einer gemeindlichen Vollkommenheitsdoktrin (vgl. 19, 21) beachtenswert, der noch ein starker eschatologischer Antrieb innewohnt. Von der Vollkommenheit in einem ganz andern Sinn handeln alttestamentliche Gebote. »Und euer Herz sei vollkommen (vollständig) mit JHWH eurem Gott«, heißt es im Schlußsatz von Salomos Einweihungsrede (I Kö 8, 61), und gewiß nicht ohne Absicht weiß der für die Redaktion des Buches Verantwortliche bald danach (11, 4) in ebender Sprache zu berichten, Salomos eigenes Herz sei nicht mehr vollkommen mit JHWH seinem Gott gewesen. Hier ist offenbar nicht eine menschliche Eigenschaft gemeint, sondern der bis zur Vollständigkeit gehende Grad der Hingabe an Gott. Das gleiche ist gemeint, wenn es im Zusammenhang der Warnung vor kanaanäischem Aberglauben heißt (Dt 18, 13): Ganz (ungeteilt) sollst du mit JHWH deinem Gotte sein 31 . Nicht von einer Vollkommenheit ist hier die Rede, die der göttlichen nacheifert, sondern von der Vollständigkeit, Ungeteiltheit, Ganzheit im Umgang mit Gott. Die Thora wendet sich an das konstante Wesen des Menschen und fordert es zu der ihm gewährten Erhöhung, zur höchsten seiner Sterblichkeit gegebenen Wirklichmachung seiner Beziehung zu Gott auf; Jesus hingegen, wie Matthäus ihn darstellt, will die erwählten Menschen in der Katastrophe des Menschentums aufrufen, Gott so nahe zu kommen, wie es erst in ihr dem Menschen möglich gemacht wird. Von jenen Urgeboten ist der innere Kampf im Judentum bestimmt, um ihre Wahrheit geht er. In unserm Zusammenhang haben wir weder von den Propheten noch von den Chassidim zu handeln, wohl aber von den Pharisäern. Der Jesus der synoptischen Tradition spricht sie von seiner eschatologischen Radikalität aus kaum anders an (besonders Mt 23, 13 ff.; Lk 11, 39 ff.), als sie selber die Scheinpharisäer ansprechen 32 ; es klingt wie eine gegen verhängnisvolle Verwechslungen gerichtete Deklaration, wenn der Talmud (b. Sota 22 b) König Jannai, den Sadduzäer, zu seiner Frau sagen läßt, nicht vor den Pharisäern solle sie sich fürchten, sondern »vor den Gefärbten, die den Pharisäern ähneln«. Jesus redet an den Pharisäern vorbei, wenn er sie als Augenschließende, und sie an ihm, wenn sie ihn als einen Halluzinierenden behandeln; keine der beiden Seiten weiß um die innere Wirklichkeit der andern. So vieles aber auch gewiß an den Ge31. Zu beachten ist, daß die Septuaginta beide Adjektiva, schalem und thamim, mit tffleio@ wiedergibt. 32. Vgl. Chwolson, Das letzte Passamahl Christi (1892) 116 ff. Ders., Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Judentums (1910) 60 f.

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schichten, in denen »die Pharisäer und Schriftgelehrten«, halb Chorus, halb geistige Polizeipatrouille, Jesus »prüfen«, von ihm abgefertigt werden und alsbald mit dem Prüfen wiederbeginnen, ungeschichtlich ist und der polemischen Spannung der frühen Christenheit entstammt, wobei die generalisierende Spitze gegen »die Pharisäer« erst in der hellenistischen Diaspora hinzugekommen sein mag 33 , so bleibt der echten Differenz gegen die wirkliche pharisäische Anschauung genug, wenn auch keineswegs so viel, daß es die sinngemäße Grenze der innerjüdischen Dialektik überschritte. Gleichwohl, ob in dem – etwas »paulinisch« anmutenden, aber im Grunde gar nicht paulinischen – Satz der Bergpredigt (Mt 5, 20) »Denn ich sage euch, wenn eurer Bewährung nicht größerer Ueberfluß ist als der der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr in das Königtum Gottes nicht eingehen« die Erwähnung der Pharisäer ursprünglich ist oder nicht: zweifellos galt die darin ausgesprochene Kritik nicht einer laxen Befolgung sittlicher oder religiöser Gebote durch etwelche Volkskreise, sondern der herrschenden Auffassung des Verhältnisses zu jenen, welche Auffassung eben wesentlich von der pharisäischen bestimmt war. Und in der vorausgeschickten Erklärung Jesu 34 (V. 17), er sei nicht gekommen, die Thora aufzulösen, sondern sie zu »erfüllen«, und das heißt doch wohl, sie in ihrem vollen Ursinn zu manifestieren und ins Leben zu bringen, wird es vollends offenbar, daß hier Lehre gegen Lehre, die wahre Erschließung der Thora gegen ihre geläufige, irrige und irreführende Verwendung stehen soll. (Das Tun gehört freilich dazu, wie im übernächsten Vers nachdrücklich gesagt wird: wie in dem Sinaibericht das Hören aufs Tun, so folgt hier das Lehren aufs Tun – nur vom Tun aus kann man wahrhaft lehren.) Die Haltung der Bergpredigt zur Thora scheint demnach eine der pharisäischen entgegengesetzte zu sein; in Wahrheit ist sie nur die Potenzierung einer pharisäischen Lehre unter einem bestimmten, wesentlichen Gesichtspunkt, dessen Charakter wieder durch Vergleichung deutlich zu machen ist. Es soll damit freilich kein Einfluß behauptet werden; denn bezeugt ist die pharisäische Lehre, 33. Das ad quosdam, non ad omnes der judenchristlichen Grundschrift der Klementinen ist beachtenswert; vgl. jetzt Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums (1949) 1452. 34. Es ist mir nicht möglich, mir die Ansicht Bultmanns (Die Bedeutung des geschichtlichen Jesus für die Theologie des Paulus, Theologische Blätter VIII, 1921, 139, vgl. Die Geschichte der synoptischen Tradition2 , 146 f., 157 f., Theologie des Neuen Testaments 15), Mt 5, 17-19 seien unecht und eine »Bildung der Gemeindepolemik«, zu eigen zu machen. Wenn man das »Erfüllen« recht versteht, scheint mir die Kontrastierung der Verse mit »anderen Jesusworten« und dem »tatsächlichen Verhalten Jesu« keinen anderen Widerspruch als einen biographisch durchaus tragbaren zu ergeben.

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die ich meine, erst aus der Zeit nach Jesus; auch hier soll nur als zusammengehörig aufgezeigt werden, was zusammengehört. Zu betonen ist, daß unter den Rabbinen der Zeit auch andere Auffassungen des Gegenstands zu finden sind; denn die innere Dialektik setzt sich innerhalb des Pharisäertums selber fort; aber die große und vitale Linie dieser Lehre ist unverkennbar. Man kann die Lehre am besten als die von der Verleihung der Richtung an das Menschenherz bezeichnen. Das Menschenherz – diese unformulierte Einsicht liegt der Lehre zugrunde – ist von Natur richtungslos, seine Antriebe wirbeln es gleichsam um und um, auch keine Richtung, die der Mensch seiner Welt entnimmt, hält stand, jede vermag den Wirbel seines Herzens letztlich nur zu verstärken; nur in der Emuna ist Beharren: es gibt keine wahre Richtung als auf Gott. Diese Richtung aber kann das Herz nicht etwa vom Menschengeist aus, sondern nur von einem im Willen Gottes gelebten Leben empfangen. Daher hat die Thora dem Menschen gottgefällige Handlungen angewiesen, bei deren Tun er sein Herz auf Gott richten lernt. Dieser Absicht der Thora gemäß kommt nicht der Masse der Handlungen, sondern dem Gerichtetsein des Herzens in und an ihnen der allein entscheidende Sinn und Wert zu. »Der eine tut viel, der andre wenig«, war der Wahlspruch der Gelehrtenschule von Jabne (b. Berachot 17 a), »– wenn einer nur sein Herz auf den Himmel richtet!« (Himmel ist hier, wie in allen verwandten Zusammenhängen, von Gott, als vom Menschen aus betrachtet, zu verstehen.) Der Schriftvers (Dt 6, 6) »Es soll dies, was ich dir heute gebiete, auf deinem Herzen sein«, wird (b. Megilla 20 a) dahin erklärt, es gehe nach der Richtung des Herzens. Darum ist der Tempel nach David und nicht nach Salomo genannt worden, denn »der Erbarmer verlangt das Herz« (b. Sanhedrin 106 b): nicht auf den Vollbringer kommt es an, sondern auf den, der sein Herz zu diesem Werk auf Gott gerichtet und das Werk ihm zugeweiht hatte. Sinngemäß gilt die Lehre nicht für die anbefohlenen Handlungen allein, sondern für alle: »Alle deine Werke seien um des Himmels (= Gottes) willen«, heißt es in den Vätersprüchen (II 12). Die Sünde ist daran zu erkennen, daß man in ihr das Herz nicht auf Gott richten kann; wer sie tut, verweigert Gott, das Herz auf ihn zu richten. So ist denn nicht ihre Ausführung, sondern ihr Entwurf und dessen Besinnen die eigentliche Schuld. Das Einbildungsspiel der Sünde wird sogar (b. Joma 29 a) für bedenklicher als die Sünde selber erklärt, denn jenes ist es, was die Seele Gott entfremdet. Das im Sinne der Vorschriftsausführung tugendhafteste Verhalten kann mit einem richtungslos gebliebenen oder gewordenen, mit einem wüsten oder verwüsteten Herzen zusammen bestehn. Anderseits kann es sogar geschehn, daß einer in seiner Gottesbegeisterung ein

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Gebot übertritt, ohne dessen innezuwerden, und dann ist nicht die sündhafte Materie seiner Handlung, sondern seine Intention das Entscheidende: »Größer ist die Sünde, die um der Sache Gottes willen geschieht, als die Gebotserfüllung, die nicht um der Sache Gottes willen geschieht« (b. Nasir 23 b). Hinwieder vermag, wer ein wüstes Herz hat, andere nicht wahrhaft die Thora zu lehren; er vermag nicht zu lehren, die Richtung zu gewinnen, und ohne sie ist der Mensch unfähig dazu, wofür alles Lernen von Menschenmund nur die Bereitung ist: sein Herz der lebendigen Stimme des göttlichen Lehrers zu öffnen. Daher ließ der Patriarch Gamaliel II. ausrufen (b. Berachot 28 a), kein Gelehrter, dessen Inwendigkeit seiner Auswendigkeit nicht gleiche, dürfe das Lehrhaus betreten. Zwei Jahrhunderte später ist daraus der Grundsatz geprägt worden (b. Joma 72 b): »Ein Gelehrter, dessen Inwendigkeit seiner Auswendigkeit nicht gleicht, ist kein Gelehrter.« Vieles spricht für die kritische Ansicht von der Bergpredigt, wonach hier eine nachträgliche Komposition aus verschiedenen, zu verschiedenen Zeiten gesprochenen Worten Jesu, unter Beifügung einiger aus der Gemeinde stammenden, vorliegt, ja wohl schon in der von Matthäus und Lukas bearbeiteten Quelle vorlag. Es scheint mir aber, daß die Seligsprechungen im wesentlichen von Anfang an zusammengehören, wogegen die uns hier beschäftigenden Sprüche bei gleichen Formalelementen – die offenbar zu ihrer Zusammenschließung veranlaßt haben –, »Ihr habt gehört … und ich sage euch«, nach Sinn und Absicht in sich verschieden und daher wohl verschiedenen Gruppen zuzuteilen sind. Drei davon (Mord, Ehebruch, Eid) gehen im wesentlichen von dreien der Zehn Gebote aus und über sie hinaus, aber was sie fordern, findet sich auch in pharisäischen Lehren, ohne daß diese ihnen freilich an Mächtigkeit der Anrede nahekämen. Die drei andern (Ehescheidung, Talion, Nächstenliebe), offenbar stärker bearbeiteten und der Form der drei ersten angepaßten 35 , gehen von außerhalb des Dekalogs stehenden Geboten und Vorschriften aus und widersprechen entweder ihnen selber (die beiden ersten) oder doch einer vorgefundenen, anscheinend volkstümlichen Interpretation (die dritte); zu ihnen bietet das rabbinische Schrifttum entweder keine oder doch keine zureichende Analogie. Als »Erfüllung« der 35. Zum Unterschied von jenen gehören sie offenbar ursprünglich nicht zusammen; V. 39 und 44 entstammen wohl derselben Einheit (vgl. Lk 6, 27 ff.), die Verknüpfung des ersten mit der Talionsformel ist sekundär, wahrscheinlich auch V. 43, und V. 31 f. bildet einen selbständigen Spruch (s. weiter unten). Bei den beiden ersten ist das alttestamentliche Zitat wohl erst nachträglich vorangesetzt worden: vermutlich auch bei dem ersten (vgl. Lk 16, 18), wogegen in der anderen Gruppe die Zitate organisch zugehörig sind.

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Thora kann im Grunde nur jene Gruppe – darin »die These in Form eines Verbotes« steht, das »nicht abgelehnt, sondern überboten wird« 36 –, nicht auch diese angesehen werden wollen, wo es sich »nicht um ein Verbot, sondern um eine Anweisung« oder Konzession handelt, die »nicht überboten, sondern umgestoßen wird« 37 . Daß dennoch auch diese Sprüche auf eine »Erfüllung« abzielen, zeigt sich, wenn wir den einen, in dem »Jesus eine mosaische Verordnung geradezu aufhebt«38 , mit den verwandten und der ursprünglichen Fassung jedenfalls näheren synoptischen Texten zusammenstellen. In einem von diesen (Lk 16, 17 f.) wird ein Spruch gegen die Ehescheidung (der sachlich übrigens mit der strengen Auffassung der Schule Schammais übereinstimmt) mit einem verknüpft, der einen Satz jenes Abschnitts der Bergpredigt fast wörtlich, eher noch schärfer, wiederholt: »Es ist aber leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß ein Häkchen von Gesetze hinfalle.« Wie das zu verstehen ist, wird deutlich, wenn wir die Erzählung (Mk 10; Mt 19; Lk 16) heranziehen, in der Jesus eben diesen Spruch gegen die Scheidung spricht, wonach die Wiederverehelichung eines Geschiedenen als Ehebruch gelten soll. In beiden Fällen berufen sich »die Pharisäer« auf Moses, der (Dt 24, 1) die Form der Ehescheidung angeordnet hat. Darauf gibt Jesus eine bedeutsam gedoppelte Antwort. Zum ersten: Moses hat dieses Gebot »um eurer Herzenshärte willen« aufgeschrieben; wozu ein moderner Kommentar 39 mit Recht bemerkt, dem schroffen Wort liege »der tiefe jüdische Gedanke zugrunde, daß die Thora niemals starres Gesetz ist, das von der Situation der Menschen absähe, denen es gegeben wurde, sondern vielmehr ›Lehre‹ in dem Zwiegespräch Gottes mit einem Partner, dessen Herz und Ohr nicht immer für diese Lehre Gottes geöffnet ist«. Zum zweiten aber: Jesus beruft sich auf das Gotteswort im Paradies (Gen 2, 24), der Mann werde Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie würden zu einem Fleische werden. Dieses Wort versteht Jesus als Gebot: er appelliert von der mosaischen an die Schöpfungsoffenbarung. Es geht also in der zweiten Spruchgruppe letztlich um das Gleiche wie in der ersten: Jesus ruft von der Inwendigkeit der göttlichen Forderung her die Inwendigkeit des Menschen auf, daß sie sich ihr ergebe. In der geschichtlichen Situation hat sich die göttliche Forderung in ihrer Auswendigkeit kundgetan und hat die menschliche Auswendigkeit, das äußere Verhalten des Menschen, getroffen; in der eschatologischen Situation eröffnet sich die 36. 37. 38. 39.

Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition 144. Bultmann, a. a. O. 144. Wellhausen, Das Evangelium Matthäi 21. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus 200 (anscheinend unter dem Einfluß meiner schriftlichen und mündlichen Hinweise auf diesen Sachverhalt).

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Inwendigkeit von oben, und die Inwendigkeit von unten kann sich ihr nun stellen. Erfüllung der Thora bedeutet hier somit Erschließung der Thora. Auf den Menschen hin gesehen, kommt hier die pharisäische Lehre von der Richtung des Herzens zu einem erhöhten Ausdruck, und zwar zu einem so radikalen, daß er, dies eben im Gegensatz zum Pharisäismus, an das Wort der Thora selber rührt – um der Thora willen. Jesus spricht überall als der berufene Dolmetscher: wo er dabei auf dem Sinai stehen bleibt, lehrt er, was jene Pharisäer lehren, dann jedoch kann ihm der Sinai nicht Genüge tun, er muß in den Wolkenraum der Offenbarungsintention vordringen, denn nun erst steht sein (in seiner Sprachform ja auch rabbinischer Diskussion vertrautes) »Ich aber sage euch« oder »Und ich sage euch« der Ueberlieferung der Geschlechter entgegen. Nun auch hören wir ein spezifisch eschatologisch-gegenwärtiges Gebot wie jenes »Ihr sollt euch dem Bösen nicht widersetzen«, das den Pharisäern, welche nicht im Anbruch der Gottesherrschaft, sondern in deren fortgesetzter geschichtlicher Bereitung mitten in der Römerherrschaft zu leben und zu lehren sich gehalten meinten, unannehmbar, ja unerträglich sein mußte. Zwar hießen auch sie im persönlichen Leben dem Unrecht, das einem angetan wird, nicht mit Gewalt entgegenzutreten und verhießen dem Nachgiebigen, alle seine Sünden würden ihm vergeben werden; aber ein Grundsatz, der den Täter des Unrechts überhaupt zu bekämpfen verbot oder doch so verstanden werden konnte, mehrte in ihren Augen den Raum des Unrechts auf Erden. Sie verwarfen im allgemeinen die Haltung der Zeloten; aber in aller Stille fühlten sie sich offenbar, wie besonders den überlieferten Gesprächen mit Römern anzumerken ist, als die Gegenspieler der bösen Macht, die sich ihr nur eben mit eigenen Methoden, denen geistiger Setzungen, widersetzten. Von hier aus ist auch der letzte und höchste dieser Sprüche, der von der Feindesliebe, zu betrachten. Er geht aus (V. 43) von dem alttestamentlichen Gebot der »Nächstenliebe« (Lev. 19, 18), das Jesus anderswo, in der Antwort auf die Frage des Schriftgelehrten nach dem größten Gebot (Mt 22, 39; Mk 12, 31; Lk 10, 27), für das nebst dem der Gottesliebe größte erklärt, und fügt die wohl volkstümliche, aber vermutlich sich zum Teil aus strengen Reden der Pharisäer gegen die Gottesfeinde ableitende Deutung dran, seinen Feind dürfe oder gar solle man hassen. Ihr stellt er sein Gebot »Liebet eure Feinde« entgegen. Es ist in seinem Grundsinn so tief mit jüdischer Glaubenswirklichkeit verbunden und überbietet sie zugleich in einer so eigentümlichen Weise, daß es hier besonders erörtert werden muß. An dem Zitat des Liebesgebots in der Bergpredigt ist zunächst bemer-

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kenswert, daß hier das gewöhnlich mit »wie dich selbst« wiedergegebene Wort fehlt, wogegen der Satz in jener Antwort an den Schriftgelehrten vollständig angeführt wird (bei Lukas nur äußerlich gekürzt); der Grund mag der sein, daß darauf nicht ein »Liebet eure Feinde wie euch selbst« folgen sollte. Aber das »wie dich selbst« ist nur eine der drei Fehlwiedergaben, die in der Septuaginta wie in den sonstigen geläufigen Uebersetzungen in diesem – im Original aus drei Wörtern bestehenden – Satz aufeinanderfolgen. Das so übertragene Wort bezieht sich weder auf das Maß noch auf die Art des Liebens, als ob man den andern so sehr wie sich selbst oder in solcher Weise wie sich selbst lieben sollte (der Begriff der Selbstliebe kommt im Alten Testament gar nicht vor); es bedeutet: dir gleich, und gemeint ist: verhalte dich darin so, als gelte es dir selber. Um ein Verhalten geht es hier nämlich, nicht um ein Gefühl. Es heißt nicht, man solle jemanden, sondern man solle »jemandem« lieben. Diese seltsame Dativkonstruktion ist im Alten Testament nur in diesem LeviticusKapitel zu finden. Ihre Bedeutung ist, wenn erst die Frage danach gestellt ist, leicht zu ermitteln: das Liebesgefühl zwischen Menschen läßt sich im allgemeinen seinen – durch den Akkusativ bezeichneten – Gegenstand nicht vorschreiben; wogegen eine liebreiche Wesenshaltung zu einem Mitmenschen, einem – durch den Dativ bezeichneten – Empfänger meiner Hilfe, meines tätigen Wohlwollens, meines persönlichen Einsatzes für ihn sich recht wohl gebieten läßt. Und schließlich: das von der Septuaginta mit »der nah daneben, der Nahe« übersetzte Nomen re’a bedeutet alttestamentlich zunächst einen, zu dem ich in einer unmittelbaren und gegenseitigen Beziehung stehe, und zwar durch irgendwelche Lebensumstände, durch Ortsgemeinschaft, durch Volksgemeinschaft, durch Werkgemeinschaft, durch Kampfgemeinschaft, besonders auch durch Wahlgemeinschaft oder Freundschaft; es überträgt sich auf den Mitmenschen überhaupt und sodann auf den andern überhaupt 40 . »Liebe dei40. Man pflegt die allgemein übliche Interpretation »Volksgenosse« zu Unrecht damit zu begründen, daß in dem ersten Parallelglied des Satzes von den »Söhnen deines Volkes« die Rede ist, wie vorher in Versen verwandten Inhalts wiederholt vom »Volksgenossen«. Daß, wie überhaupt, so auch in Texten dieser Art, die parallelistische Ausdrucksform nicht gepreßt werden darf, erhellt z. B. aus V. 15, wo »Geringer« und »Großer« parallelisiert sind. Aber auch das Wort »Volksgenosse« selbst (’amith) ist hier nicht emphatisch gemeint. Der Mensch an der Schwelle der Geschichte (und von einem solchen stammt meiner Ueberzeugung nach der in einen späten Text verpflanzte Satz) gebraucht oft, wie die Bezeichnungen Land (eignes Land) und Erde, so auch Volksgenosse und Mensch als auswechselbar, weil er nur das ihm Zugehörige aus Wesenskontakt kennt und das andere in dem Maße einbezieht, als es ihm vital vertraut wird. In Israel sagt er »Volksgenosse« und meint damit den Menschen, mit dem er lebt; wenn er diesen als solchen bezeichnen will, sagt er »Genosse« (re’a); und weil er auch mit anderen als mit Volksgenossen, nämlich mit »Gast-

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nen re’a« bedeutet also in unserer Sprache: sei liebreich zugewandt den Menschen, mit denen du je und je auf den Wegen deines Lebens zu schaffen bekommst; dazu war freilich auch eine von keinem Haßgefühl affizierte Seele erforderlich, und darum war (V. 17) das Gebot vorausgeschickt: »Hasse nicht deinen Bruder (Synonym zu re’a) in deinem Herzen.« Damit sich aber im Volksbewußtsein keine Einschränkung des Begriffs vollziehe, wozu die erste Hälfte des Satzes (»Heimzahle nicht und grolle nicht den Söhnen deines Volkes«) leicht verführen konnte, wird bald darauf im selben Kapitel (V. 33) das Gebot nachgetragen, auch dem ger, dem unter Israel wohnenden nichtjüdischen »Gastsassen«, liebreich zu begegnen; »denn Gastsassen seid ihr im Land Aegypten gewesen«, das heißt, ihr habt selber erfahren, wie es tut, lieblos behandelte Gastsassen zu sein. Das erste Gebot endet mit der Deklaration »Ich bin JHWH«, das zweite mit »Ich bin JHWH euer Gott«, in unsre Begriffssprache übertragen: Das ist kein Moral-, sondern ein Glaubensgebot; die Deklaration bedeutet somit: Nicht als Menschen an sich, sondern als meinen Menschen gebiete ich euch dies. Tiefer noch erschließt sich uns der Zusammenhang zwischen Glaubenswirklichkeit und dem Gebot der Menschenliebe, wenn wir uns der Stelle zuwenden, wo dieses, scheinbar in Widerspruch zu unseren Feststellungen, mit dem Akkusativ konstruiert wird (Dt 10, 19): »Ihr sollt den Gastsassen lieben, denn Gastsassen seid ihr im Land Aegypten gewesen.« Das volle Verständnis des Satzes erschließt sich erst aus seiner Verbindung mit den drei Erwähnungen der Liebe in den vorhergehenden Versen. Israel wird angeredet (V. 12), es solle Gott lieben; von Gott wird gesagt (V. 15), er habe Israels Väter, als sie Gastsassen waren, geliebt; und dann wird von ihm gesagt (V. 18), er liebe den Gastsassen – nicht diesen oder jenen, sondern den von fremdem Staatsvolk abhängigen Menschen überhaupt, »ihm Brot und Gewand zu geben«, wie er dem innerhalb des Volkes von anderen abhängigen Menschen, »der Waise und der Witwe«, ihr Recht schafft. Bei Gott ist ja kein Unterschied zwischen Liebe und Liebeserweis. Und ihn mit dem vollen Liebesgefühl zu lieben41 , kann geboten werden, denn das sassen« (gerim), lebt (eigentlich »Fremde«, nochrim, lernt er nur auf seinen oder ihren Wanderungen oder im Kriege mit ihnen kennen, er »lebt« nicht mit ihnen), weist er besonders auf sie hin. Unser Begriff des »Mitmenschen« ist ein später, entstanden aus der nach Ueberwindung der Fremdheitstatsache strebenden Reflexion (Stoa) und den im Maße einer solchen Ueberwindung erst möglich werdenden großen religiösen Werbungen (hellenistische Mysterienreligionen, jüdische und christliche Heidenmission). 41. Bultmann (Jesus 105 ff.) bestreitet, daß es in den Geboten der Gottes- und Nächstenliebe um ein Gefühl gehe. Um ein »sentimentales« (a. a. O. 110) gewiß nicht, aber ein großes Gefühl ist nie sentimental, und Gottesliebe ist das größte; mit »den eige-

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heißt nichts anderes als: die bestehende Glaubensbeziehung zu ihm wirklich machen, wie im Vertrauen, so in der Liebe, denn beide sind eins. Liebt man ihn aber erst wirklich, dann wird man vom eignen Gefühl angeleitet, den zu lieben, den er liebt; natürlich nicht den Gastsassen allein – an ihm wird nur ganz deutlich, um was es geht –, sondern jeden Menschen, den Gott liebt, in dem Maße, als man dessen inne wird, daß er ihn liebt. Zur Liebeshaltung zum Mitmenschen tritt hier die Liebe selber zu ihm, von der Liebe zu Gott erweckt. Dieser alttestamentlichen Anschauung des Zusammenhangs zwischen Gottesliebe und Menschenliebe oder, wenn man ursprünglichen Realitäten abgeleitete Kategorien vorzieht, zwischen »Religion« und »Ethik«, steht der Spruch der Bergpredigt gegenüber. Seine Verwandtschaft mit den Deuteronomiumssprüchen und seine Distanz zu ihnen in einem zeigt sich in der Begründung mit der Liebe Gottes zu allen Menschen (V. 45). In seinen Naturgnaden schüttet er seine Liebe über alle ohne Unterschied aus, und wir sollen seine Liebe nachahmen (beides ist auch talmudische Lehre). Aber alle, das soll hier nicht wie dort heißen: nicht bloß Israel, sondern auch die Fremden, es soll heißen: Böse und Gute, Gerechte und Ungerechte. Gott sucht sich nicht die Guten und Gerechten aus, um sie zu lieben; so dürfen auch wir sie uns nicht aussuchen. Wir haben gesehen, daß das alttestamentliche Liebesgebot der ursprünglichen Bedeutung von re’a nach die Interpretation, man dürfe den Feind hassen, nicht zuläßt. Offensichtlich geht Jesus von einem Bedeutungswandel aus, der sich an dem Nomen vollzogen hatte. Es handelt sich hier nicht um die vielerörterte Frage, ob man damit zur Zeit Jesu nur noch die Volksgenossen zu umfassen pflegte, denn er deutet hier nirgends an, daß er Nichtjuden im Sinne habe; es handelt sich vielmehr um die Tatsache, daß man zu seiner Zeit das Wort vorzugsweise auf den persönlichen Freund bezog: der Freundesliebe, der Liebe zu dem Menschen, der mich liebt, stellte er die Liebe zu dem Menschen, der mich haßt, gegenüber. Aber die im Text angeführte, anscheinend im Volksmund vorgefundene Interpretation, der Feind sei zum Haß freigegeben, mißverstand nicht bloß den Wortlaut des Liebesgebots; sie stand auch im Widerspruch zu den ausdrücklichen Geboten der Thora (Ex 23, 4 f.), seinem »Feind«, seinem »Hasser« Hilfe zu leisten. Dennoch mag man sich im Volk, wie schon angedeutet, auf gewisse Aeußerungen von pharisäischer Seite berufen haben. nen Willen in Gehorsam dem göttlichen beugen« (a. a. O. 105) ist die Gottesliebe nicht zu umschreiben: wann und soweit der Liebende liebt, braucht er den eigenen Willen nicht zu beugen, denn er lebt im göttlichen Willen.

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Der Universalität des Liebesgebots ist in Sprüchen von Pharisäern ein unüberbietbar starker Ausdruck verliehen, so wenn (jer. Nedarim IX 4, Sifra zu Leviticus 19, 18) von zwei großen Rabbinen der eine den Leviticus-Spruch von der Nächstenliebe, ähnlich wie Jesus, für den größten Lehrsatz der Thora erklärt, sein Gefährte aber, offenbar der Mißdeutbarkeit des Textes wegen, einen anderen Schriftvers noch höher stellt, nämlich (Gen 5, 1): »Dies ist die Urkunde der Zeugungen Adams … Im Ebenbild Gottes hat er ihn erschaffen«: da alle von Gottes Ebenbild abstammen, ist Unterscheidung zwischen Menschen oder Menschenarten in diesem Letzten unzulässig, die Frage nach der Würdigkeit dieses oder jenes Menschen, geliebt zu werden, richtet sich also gegen Gott selber. Es heißt denn auch in einem Midrasch (Gen. rabba XXIV, 5) geradezu: »Wisse, wen du verachtest. Im Ebenbilde Gottes hat er ihn erschaffen«, und in einem andern (Pesikta sut. zu Num 8), unter Betonung der ausnahmslosen Geltung: »Wer einen Menschen haßt, ist, als haßte er Ihn, der sprach und die Welt ward.« In solchen Sprüchen steht die starke Gründung der Sittlichkeit auf die Glaubenswirklichkeit der in Jesu Spruch nicht nach. Was nach dieser Lehre Gott insbesondere vom Nationalhaß hält, wird wohl am anschaulichsten, wenn eine frühe Interpretenschule, die allen Menschen, auch den Uebeltätern, Anteil am ewigen Leben zuspricht, Gott auf die Frage der Engel, was er tun würde, wenn David sich vor seinem Thron über die Anwesenheit Goliaths beschwerte, erwidern läßt (b. Sanhedrin 105 a), es liege ihm ob, die beiden miteinander zu befreunden. Oft genug wird hier jedoch eine Grenze gezogen: durch den biblischen Begriff der »Feinde Gottes« oder »Hasser Gottes«, von denen der Psalmist (Ps 139, 21 f.) bekennt, er hasse sie von Grund aus als seine persönlichen Feinde. Wie soll man, fragt sich nur allzu leicht gerade der von der Wahrheit seines Glaubens Durchdrungene, sie nicht hassen, und zwar vornehmlich auch die, deren »Feindschaft« zu Gott sich in der Leugnung seiner Gegenwart äußert? Auf die Frage eines Philosophen, wer der schlechthin hassenswerte Mensch ist, antwortet ein Rabbi (Tos. Schebuot III 6): »Wer seinen Schöpfer leugnet.« Zumal mit Zunahme eines formalisierten Daß-Glaubens versteift sich diese Haltung: all die Ungläubigen und Irrgläubigen richten nicht bloß Verwirrung in der Menschenwelt an, sie stören Gottes Erlösungswerk, man muß sie bekriegen, sie vernichten – und gerade solch einem Kampf kann der Haß am seltensten fernbleiben. So kommt, unter Berufung auf jenen Psalm, ein Spruch zustande, wie jener (Abot de R. Natan XVI), der damit beginnt, einer Einschränkung des Liebesgebots zu widersprechen, um dann fortzufahren: »Liebet alle – und hasset die Ketzer, die Abtrünnigen und die Angeber.« Hier zeigt sich kraß genug, wie gefährlich labil die Grenze ist. Dem seines israelitischen

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Gottesbesitzes Sicheren liegt es nah, von dem Hasser Israels zu meinen (Sifre 22 b), er sei »wie einer, der Gott haßt«. Dergleichen überträgt sich leicht auf den persönlichen Bereich, so daß im Volke mancher, statt mit dem Psalmisten die Feinde Gottes als die seinen anzusehen, seine Feinde als die Gottes versteht. Die wahre Gefahr aber lernen wir nicht in solchen Niederungen, sondern auf den Höhen des Glaubens kennen. Nicht bloß Schwärmer und Fanatiker, sondern gerade die echten Verkünder können oft nicht umhin, den Widerstand gegen die Botschaft – die Gottesbotschaft! – der Bosheit und Verstockung zuzuschreiben und gehen im Eifer gegen sie der schlichten Liebe verlustig. Weiß doch sogar ebendas Evangelium, in dem die Bergpredigt steht, von Zornausbrüchen Jesu gegen die »Schlangenbrut« der Pharisäer zu berichten (Mt 12, 34; 23, 33), deren Authentizität freilich wohl mit Recht bestritten worden ist. Alles in allem, der Spruch Jesu von der Feindesliebe zieht seine Leuchtkraft aus der jüdischen Welt, in der er steht und die er zu bestreiten scheint; und er überstrahlt sie. So ist es wohl immer, wenn einer im Zeichen des Kairos das Unmögliche derart fordert, daß er die Menschen zwingt, das Mögliche stärker als vordem zu wollen. Aber man darf die Träger des unscheinbaren Lichtes da unten nicht verkennen, aus denen er aufgestiegen ist: sie, die vieles Mögliche auferlegten, um die Menschen nicht daran verzweifeln zu lassen, Gott mit ihrem armen Alltag dienen zu können. Doch sind wir dem Spruch damit, gerade von unserer Betrachtung der Differenz zwischen »jüdischer« und »christlicher« Glaubenswirklichkeit und des Zusammenhangs zwischen Jesus und jener aus, noch nicht gerecht geworden. »Liebet eure Feinde«, heißt es in der knappen Matthäusfassung, »und betet für eure Verfolger, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet.« Im Paradox erläutert und unter Zuhilfenahme einer griechischen Konzeption, dennoch wohl mit der größten möglichen Treue: Die Menschen werden, was sie sind, Söhne Gottes, indem sie werden, was sie sind, Brüder ihrer Brüder. Moses redet das Volk an (Dt 14, 1): »Söhne seid ihr JHWH eurem Gott …, denn ein heiliges Volk seid ihr JHWH eurem Gott.« In dem Gott heiligen Volk, weil es das ist und insofern es das ist, sind alle Menschen Söhne Gottes. Dem entheiligten Volk sprechen die Propheten die Gottzugehörigkeit ab; es ist nicht mehr JHWH’s Volk (Hos 1, 9); aber sie verheißen (2, 1): »Statt daß zu ihnen gesprochen wird: ›Nicht mein Volk seid ihr‹, wird zu ihnen gesprochen werden: ›Söhne des lebendigen Gottes!‹« Durch die Wiederheiligung Israels werden seine Menschen in die Sohnschaft neu aufgenommen. In einem späten, aber vorchristlichen

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Buch, dem der Jubiläen, wird (1, 23 ff.) die Verheißung so ausgestaltet: »Ihre Seele wird mir folgen, sie werden mein Gebot tun. Ich werde ihnen Vater sein, und sie werden mir Söhne sein. Sie alle werden Söhne des lebendigen Gottes heißen. Alle Engel und alle Geister werden wissen und ihnen anmerken, daß sie meine Söhne sind und ich ihr Vater in Treue und Bewährung, und daß ich sie liebe.« Aus der ersten Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts ist ein Gespräch (b. Baba Batra 10 a) zwischen dem von den Römern gefangengehaltenen Rabbi Akiba und einem römischen höheren Beamten überliefert; der Römer macht unter Berufung auf einen Schriftvers geltend, der Gott der Juden behandle sie wie unbotmäßige Sklaven, Akiba beruft sich dem gegenüber auf jenes »Söhne seid ihr«, der Römer aber sieht im Unterschied zwischen den beiden Sprüchen den Unterschied zwischen zwei Stadien im Gottesverhältnis: »Wenn ihr den Willen Gottes tut, heißet ihr Söhne, wenn ihr ihn nicht tut, Sklaven.« Noch präziser faßt es ein Midraschtext (Pesikta r. XXVII): »Wenn du seinen Willen tust, ist er dein Vater und du bist sein Sohn, wenn du ihn nicht tust, ist er dein Besitzer und du bist sein Sklave.« Im Zusammenhang dieses Prozesses einer fortschreitenden Dynamisierung der Sohnschaft ist Jesu Spruch von der Feindesliebe zu sehen. Aber nirgendwo anders ist wie hier gerade die Liebe zu den Menschen zur Voraussetzung der verwirklichten Gottessohnschaft gemacht, und zwar in der unerhört einfachen Gestalt dieses »damit«, in der Gestalt also des jedem wahrhaft Liebenden offenen Zugangs. Aus dem Enthusiasmus eschatologischer Gegenwärtigkeit geboren, bedeutet dieser Spruch doch, von der Glaubensgeschichte Israels aus betrachtet, eine Ergänzung. Irgendwo, scheinbar ganz für sich, ist der kühnste Bogen gezogen worden, und doch ist damit ein Kreis geschlossen. Im Zusammenhang der Glaubensgeschichte des Christentums betrachtet, muß der Bogen freilich als der Anfangsteil einer anderen Figur, einer Hyperbel etwa, erscheinen. Wie diese Figur sich fortsetzt, wird uns kennzeichnend gezeigt durch den Satz im Prolog des Johannesevangeliums (1, 12), wo der erschienene Logos den »an seinen Namen Glaubenden« die Befugnis gibt, Kinder Gottes zu werden, und durch den ihm verwandten (I Joh 5, 5), der jeden, der glaubt, daß Jesus der Messias ist, für »aus Gott geboren« erklärt, oder auch schon durch Paulus’ direkte Rede an die bekehrten Heiden (Gal 3, 26): »Denn alle seid ihr Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus.« Ganz innerjüdisch aber, und zwar außerhalb alles christlichen Einflusses, hat die Frage, die uns hier beschäftigt hat, in ihren drei wesentlichen Punkten an der Schwelle unserer Zeit, im Chassidismus eine parallele Antwort gefunden. Als die deutlichsten Belege seien drei Berichte aus

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dem Leben von Zaddikim, von Führern chassidischer Gemeinden, angeführt. Im ersten geht es um den »Feind« überhaupt. Ein Zaddik befiehlt seinen Söhnen: »Betet für eure Feinde, daß es ihnen wohlergehe. Und meint ihr, das sei kein Dienst Gottes: mehr als jedes andere Gebet ist dies ein Dienst Gottes.« Im zweiten Bericht geht es um den Umfang des »Nächsten«-Begriffs. Ein Zaddik spricht zu Gott: »Herr der Welt, ich bitte dich, du mögest Israel erlösen. Und willst du das nicht, so erlöse die Gojim!« Im dritten geht es um den »Feind Gottes«. Ein Zaddik wird von einem Schüler gefragt, ob man denn den lieben könne, der sich gegen Gott erhebt. Er antwortet: »Weißt du nicht, daß die Urseele aus Gott kam und jede Menschenseele ein Teil von ihr ist? Und wenn du siehst, wie einer der heiligen Funken sich verfangen hat und am Ersticken ist, wirst du dich seiner nicht erbarmen?« Daß hier das Prinzip der Feindesliebe, und zwar nicht als ein wesentlich ethisches, von Gott eben anbefohlenes, sondern in der reinen Glaubensform, sich solcherweise entfaltet hat, ist daraus zu verstehen, daß auch noch im Chassidismus die messianische Begeisterung des Judentums einen ihrer Hochflüge getan hat, und zwar ohne im allgemeinen die Gestalt eschatologischer Gegenwärtigkeit anzunehmen: es ist, paradox ausgedrückt, ein Messianismus der Kontinuität. Auch die Chassidim, jedenfalls die der ersten Generationen, empfanden eine Nähe der Gottesherrschaft, aber eine, die nicht die alles wandelnde Bereitschaft, sondern einen zugleich enthusiastischen und um den Zusammenhalt der Generationen bemühten Fortgang gläubigen Lebens forderte.

VIII. Es hat sich gezeigt: Jesus, wie er in den Sprüchen der Bergpredigt redet, hält die Thora für erfüllbar, und zwar nicht dem Wortlaut allein nach, sondern in den Urabsichten ihrer Offenbarung. Das erste hat er mit dem pharisäischen Judentum gemeinsam, in dem zweiten begegnet er ihm punktweise immer wieder. Daß es nur Punkte sind, die sich nicht zur Linie verbinden lassen, liegt daran, daß die aktuelle, sozusagen erfahrungsmäßige Erfüllbarkeit im Sinn des »so viel als du, dich selber aufbietend, jetzt und hier vermagst« den Pharisäern mehr als Standort, daß sie ihnen Lebensluft ist. Für Jesus bedeutet quantum satis: was im Herzen Gottes vom Menschen erwartet wird; die Pharisäer, wo sie auf ihrer Höhe lehren, lehren von der Schrift aus (»nach all deinem Vermögen«): Gott erwartet von dir Erfüllung deinem Sein und Können nach, er erwartet in der Erfüllung »die Richtung deines Herzens auf ihn«, nicht we-

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niger, aber auch nicht mehr – der Mensch soll lieben wollen, dann erfährt er täglich neu, wen und wie er eben jetzt zu lieben vermag. Paulus hingegen bestreitet – auf Grund jenes angeblichen »in allem« – die Erfüllbarkeit der Thora überhaupt; daß er damit auch der Lehre Jesu entgegentritt, hat entweder sein Bewußtsein nicht gestreift oder, was mich wahrscheinlicher dünkt, es hängt in einer Weise, die zu erfassen uns das Rüstzeug fehlt, mit seinem Entschlusse oder seiner Nötigung zusammen, Christus »dem Fleische nach« nicht mehr zu kennen, und das hieße dann, das, was Jesus gelehrt hat, wohl für die Stunde, da er noch lebte, nicht aber notwendig auch für die ganz anders geartete nach seiner Kreuzigung und Auferstehung anzuerkennen. Das für unser Anliegen Entscheidende ist jedoch nicht, daß Paulus die Thora für unerfüllbar hält, sondern daß er meint und sagt, sie sei gegeben worden, um nicht erfüllt zu werden, vielmehr um durch ihre Unerfüllbarkeit die Sünde hervorzutreiben – »damit sie voll werde« (Rm 5, 20), damit sie, durch die Tatsache des Gebots, »über alle Maßen sündig werde« (7, 13) – und so der Gnade den Weg zu bahnen. Gewiß, die Thora soll, als Gottes Wille, erfüllt werden; aber die Absicht sei, den Menschen, dem sie gegeben ist, eben an diesem Sollen scheitern zu lassen, damit er sich der Gnade anheimgebe. Besteht die Sünde nun, wie von gewichtigen Instanzen interpretiert wird, für Paulus im wesentlichen darin, daß der dem Gesetze botmäßige Mensch sich aus seinem Gehorsam ein Verdienst und eine Sicherung zurechtmacht, also die eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachtet, statt sich Gott zu unterwerfen (Rm 10, 3)? Oder sieht Paulus, wie mir gemeint zu sein scheint, dies zwar als das jeweils Hinzukommende, erblickt aber die Substanz der Sünde in der seelisch-faktischen Uebertretung des Gesetzes durch die unausweichliche »Begierde« im umfassendsten Sinn (die die Bergpredigt für ausweichlich erklärt wie vor ihr, im engern Sinn, der Schluß des Dekalogs, der den begehrlichen Neid als gemeinschaftszerstörend verbietet 42 )? Auf jeden Fall wird hier ein Zweck des göttlichen Gesetzgebers dargelegt, dahingehend, sein Gesetz unwirksam zu machen. Es ist von Tafeln die Rede, die in den Händen, für die sie bestimmt sind, zerbrechen müssen und sollen. Diese Ansicht Paulus’ darf beanspruchen, im Zusammenhang seiner (mannigfach beeinflußten, aber einheitlichen) Konzeption der theozentrischen Geschichte des Kosmos und des Menschen betrachtet zu werden, die, da er sie, wohl aus der vom Gegenstand gebotenen Scheu, nirgends in voller Klarheit zusammengefaßt hat, sein Leser angewiesen ist, aus verstreuten Sprüchen behutsam zusammenzuholen. Paulus selber hat diese 42. Vgl. mein Buch »Moses« 195 f.

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Konzeption (Kol 1, 26) als das von Gott vorbestimmte, vor den Aeonen und vor den Geschlechtern verborgen gehaltene Geheimnis verstanden, das in der Erscheinung des Auferstandenen offenbart worden sei (vgl. Rm 16, 25) und nun von ihm, Paulus, mit Furcht und Zittern ins Wort übertragen und darin kundgetan werde. Dieses Geheimnis war insbesondere vor denen verborgen (I Kor 2, 7 f.), denen darin die Hauptrollen zugewiesen waren, den Geistern nämlich, die Paulus die Herrscher dieses Aeons, und deren Führer er gelegentlich (II Kor 4, 4) den Gott dieses Aeons nennt. Denn hätten sie es gekannt, »sie würden den Herrn der Glorie nicht gekreuzigt haben« (I Kor 2, 8), das aber war ihnen im Geheimnis zugedacht, damit sie hierdurch dessen Verwirklichung vollenden helfen und ihre eigne Ueberwindung befördern. Dieser Aeon ist in andern Händen als in denen Gottes. Gott hat auf eine von ihm bestimmte Zeit die Herrschaft der Welt den Elementargeistern übergeben (Gal 4, 2 f., 9), damit sie als – in sich nur schwächliche und armselige – Vormünder und Verwalter in der ihrer »Nichtigkeit« »unterstellten« Schöpfung die Sehnsucht erweckten, freie Kinder Gottes zu werden (Rm 8, 19 ff.). Dem Menschen hat Gott in der Schöpfung das dem göttlichen Willen und der menschlichen Vernunft gleicherweise widerstreitende »andere Gesetz« – offenbar identisch mit der alttestamentlichen »bösen Einbildung des Herzens« (Gen 8, 21, vgl. 6, 5) – in »Fleisch« und »Glieder« getan (Rm 7, 18, 21 ff.). Der Mensch, durch die Verführung des sich als Lichtengel verstellenden (II Kor 11, 14) Satan gefallen und nun von Gott den »Begierden« und »schändlichen Leidenschaften« übergeben (Rm 1, 24, 26), hat sich, kraft des »Geistes der Welt« (I Kor 2, 12) und des »Geistes der Knechtschaft« (Rm 8, 15), den er von jenen »Mächten und Gewalten« empfängt, selber ihnen versklavt. Eine bedeutsame, ja zentrale Stelle in dem Prozeß, dessen Ziel die Erlösung von Mensch und Welt ist, nimmt die Gabe des Gesetzes an Israel ein, das nicht unmittelbar, sondern durch Engel »verordnet« worden ist (Gal 3, 19). Sie bedienen sich nun des an sich »heiligen« (Rm 7, 12), aber zur Ueberwindung jenes »anderen« unfähigen (8, 3) Gesetzes, um den Menschen selbstgerecht zu machen, daß er ihnen gänzlich verfalle, und das Gesetz ist, entgegen seiner Israel angesagten Urbestimmung (vgl. Gal 3, 11), kein lebendigmachendes mehr und wirkt nicht mehr, worauf es angelegt war, zur Gerechtsprechung des Menschen (V. 21), sondern zu Sünde und Zorn (Rm 4, 15); das Verbot des Begehrens (Ex 20, 17 f.) macht der Sünde Gelegenheit, Begierde zu erregen (Rm 7, 8), der Mensch erkennt nicht mehr, was er tut (V. 15) und ist »gefangen« (V. 23). Aber mit dem, was die Engel treiben, dienen sie nur dem Plane Gottes, der das Gesetz hat »daneben hineinkommen« lassen, »damit die Uebertretung sich mehre« und die

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Gnade dereinst »überfließen« könne (5, 20). So sind die Juden »unter dem Gesetz in Gewahrsam gehalten«, und es, das sie als »die Verkörperung der Erkenntnis und der Wahrheit« (2, 20) in ihrem Besitz zu haben vermeinten, geißelt sie als ein harter Zuchtmeister (Gal 3, 23 f.). Es wirkt »zum Tode« statt zum Leben, denn »der Stachel des Todes ist die Uebertretung, aber die Kraft der Uebertretung ist das Gesetz« (I Kor 15, 56). All dies jedoch geschieht auf das Kommen Christi hin (Gal 3, 22). Denn mit dem Erscheinen des von Gott um seines Planes willen den Herrschern dieses Aeons in verbergender »Knechtsgestalt« (Phil 2, 7) »übergebenen« (Rm 8, 32) Christus, der nun all die Mächte und Gewalten überwindet (I Kor 15, 24) und entwaffnet (Kol 2, 15) und Gott die Herrschaft der Welt »übergibt« (I Kor 15, 24, dasselbe Verb, das für die Auslieferung des Menschen an das Böse und Christi an die »Herrscher« verwendet wurde), bietet sich den Juden, deren Gesetz, der »Schuldschein«, an sein Kreuz geheftet worden ist (Kol 2, 14), der freimachende Glaube an ihn an. Wohl wird er nur von dem den Propheten bekannten »Rest« angenommen, den die Gnade ausgelesen hat (Rm 11, 5), die übrigen sind »verhärtet worden« (V. 7), denn »Gott verstockt, wen er will« (9, 18), aber wenn sie das Heil der aus dem Dienst der Elementargeister befreiten Heiden sehen, werden sie eifersüchtig werden (11, 11), und mit ihrer Wiedereinpfropfung in den eigenen edlen Oelbaum (V. 24) wird erst die ganze Fülle des Segens über die Welt kommen. Der gnostische Charakter wesentlicher Züge dieser Konzeption – die abgeleiteten Gewalten, die weltregierend der urgöttlichen entgegenwirken und der Menschenseele nachstellen, die Versklavung des Kosmos, die Problematik des Gesetzes, die Ueberwindung der »Herrscher« und Befreiung des Menschen – ist offenkundig und soll hier nicht genetisch erörtert werden. All dies betrifft nicht die Gottheit, sondern das von ihr eingesetzte oder zugelassene Zwischenwesen. Dem Gotte jedoch, von dem Paulus handelt, haften zwei miteinander verbundene rätselhafte Schatten an, die beide dem Alten Testament entnommen, aber ins Ungeheure gesteigert sind: der Wille zur »Verstockung« und die Doppelschichtigkeit in der Intention der Gesetzgebung. Ihnen müssen wir nachfragen. In der Erzählung von den ägyptischen Plagen pflegt der Pharao jeweils, nachdem die Heimsuchung gewichen ist, sein Herz zu »verhärten« oder es zu »verstocken« oder es »stärkt sich«. Aber ehe die siebente Plage einsetzt, tritt ein neues Moment dazu: dem nunmehr zur Nachgiebigkeit geneigten König »verhärtet« oder »stärkt« jetzt Mal um Mal JHWH das Herz, wie er es Moses schon aus dem brennenden Dornbusch angekündigt hatte. Denn er will seine Zeichen einsetzen (Ex 10, 1) und sich »am Pharao verherrlichen« (14, 4, 17): »die Aegypter sollen erkennen, daß ich

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JHWH (das heißt, im Gegensatz zu ihren Göttern, der wirklich Daseiende und Gegenwärtige, vgl. 3, 14) bin«. Die zahlenmäßig vom Redaktor abgewogene Fülle der Wiederholungen43 weist, wie so häufig, auf die theologische Bedeutung des Gegenstands hin. Gott bemüht sich immer wieder, den ihm Widerstrebenden zur Einsicht zu bringen – bis zum Wendepunkt, wo er selber das widerstrebende Herz mit starrer Kraft zu erneutem Widerstand auszurüsten beginnt, denn nun geht es nicht mehr um Beugung des bösen Willens, sondern um den beschlossenen Untergang: nun verleiht Gott dem Sünder, nicht in aller Stille, sondern in programmatischer Deklaration, die Sonderstärke, in der Sünde zu beharren. Es ist offenbar, daß es sich hier um eine Grenzsituation im genauesten Sinn handelt, an der paradigmatisch zu erkennen gegeben wird, daß die Sünde nicht eine Unternehmung ist, die der Mensch abbrechen kann, wenn sie ihm bedenklich wird, sondern ein von ihm eingeleiteter Vorgang, dessen Beherrschung ihm in einem bestimmten Augenblick entzogen wird. Nach dieser hinlänglichen Darlegung hören wir nur noch zweimal von einer Bestärkung oder Verstockung des Menschenherzens durch Gott, beidemal ebenfalls im Hexateuch (Dt 2, 30; Jos 11, 20), und zwar in Berichten der Kriege um Kanaan: den um der geheimnisvollen »Verfehlung des Amoriters« (Gn 15, 16) willen 44 zum Untergang verurteilten Völkerschaften wird eben deshalb die Standfestigkeit verliehen, den Kampf bis zum letzten fortzuführen. Auch dies soll offenbar gemerkt und verstanden werden: es geht um eine dem Leben dieser Völker inhärierende und unüberwindlich gewordene Sündhaftigkeit ihrer religiösen Ueberlieferung selber. Doch wird noch einmal in der Schrift von einer Verstockung geredet, von einer zwar nicht wie jene unmittelbar von Gott bewirkten oder zu bewirkenden, aber von ihm einem Propheten anbefohlenen, diesmal einer Verstockung nicht des Herzens, sondern der Ohren, in Verbindung jedoch mit einer »Verfettung« des Herzens: in Jesajas Aufzeichnung über seine Tempelvision (6, 10). Wenn wir sie mit den Aufzeichnungen über eine spätere Zeit (Kap. 8) zusammenhalten, ergibt sich, daß ihm befohlen wird, durch Verkündigung der messianischen Heilsbotschaft im Volke das Gefühl der unerschütterlichen Sicherheit großzuziehen und dadurch zu seiner Verstockung beizutragen. Hier ist es also das von Gott erwählte Volk selber, das verstockt werden soll, und zwar dadurch, daß es das wah43. Siebenmal ist von der »Stärkung« des Herzens Pharaos die Rede, einmal dessen Aegyptens und einmal von der eigentlichen »Verstockung«. 44. Vgl. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung 61, wo gezeigt wird, daß die herrschenden Sexualkulte und -riten gemeint sind.

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re Wort Gottes zu hören bekommt. Gott hat nun schon allzu oft vergeblich Israel mahnen lassen, daß es zu ihm umkehre, allzu oft schon hat er es vergeblich geschlagen, nun ist er, wie er schon dem jungen Jesaja angesagt hatte (1, 14), des Tragens des Unerträglichen überdrüssig geworden: er begehrt die Umkehr dieses Geschlechts nicht mehr, ja er will sie verhindern, indem er mit der Verheißung des Heils über alles kommende Unheil hinweg das Volk zu falscher, umkehrhindernder Zuversicht verstockt. Was solch ein Vorhaben und solch ein Ansinnen dem zum Boten Berufenen bedeuten, spricht aus seinem, in seinen Aufzeichnungen (8, 16-19) niedergelegten Entschluß, die Heilsbotschaft, die er nicht verschweigen darf, vorerst dem Volke vorzuenthalten und sie seinen »Lehrlingen« allein anzuvertrauen, sie als »Bezeugung« und »Weisung« in ihnen zu »verschnüren« und zu »versiegeln«, bis in der Stunde der Krisis, der »Verfinsterung« (V. 22), da es gilt: »Zur Weisung hin! zur Bezeugung hin!« (V. 20), er sie entsiegeln, entschnüren und offenbaren darf 45 . Hier, bei dem furchtbaren Befehl Gottes an seinen Propheten, setzt Paulus ein. Aber er läßt den Willen Gottes, Israel zu verstocken, am Sinai selber zu wirken beginnen, in der Stunde also, da es zu Israel und zu seinem Volke wird. Um seines Heilsplans willen verstockt Gott, mit Ausnahme der von ihm erlesenen »Auswahl« (Rm 11, 7), all die Geschlechter Israels, von dem um den Sinai bis zu dem um Golgatha gescharten. Paulus zitiert (9, 17) einen Spruch Gottes an den von ihm verstockten Pharao. Er schickt ihm (V. 15) den Spruch an Mose (Ex 33, 19) voraus: »Ich gnade, wem ich gnade, und erbarme mich, wes ich mich erbarme.« Der Spruch besagt implicite, die Gnade lasse sich nicht vorschreiben, wer ihrer würdig sei. Aber nicht dies will Paulus aus ihm lesen, sondern (V. 18): »So erbarmt er sich denn, wessen er will, und wen er will, verstockt er.« Das besagt: wie das Erbarmen Gottes Sache allein ist, so ist die Verstockung Gottes Sache allein; wie das Erbarmen dem Menschensinn grundlos ist, so ist die Verstockung dem Menschensinn grundlos; wie das Erbarmen nicht »veranlaßt« zu sein braucht, so braucht auch die Verstokkung nicht »veranlaßt« zu sein. Alttestamentlich griff die Verstockung in eine extreme Lebenssituation, eine extreme Verkehrung im Verhältnis eines Menschen oder eines Volkes zu Gott ein und machte sie, furchtbar genug, zum unentrinnbaren Verhängnis, machte das Sichverlaufen zum rückweglosen Sichverlaufenhaben; paulinisch aber kümmert sich das Verstocken überhaupt nicht mehr um die Menschen und die Menschengeschlechter, die es trifft, sondern verwendet und verbraucht sie zu den 45. Hierzu vgl. in meinem Buch »Der Glaube der Propheten« das Kapitel »Die theopolitische Stunde«.

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oberen Zwecken. Zum Unterschied vom alttestamentlichen blickt der paulinische Gott die Menschen nicht an, zu denen er aus der Wolke redet oder vielmehr seine Engel reden läßt. Aber auch zu seiner Vorstellung von dem Mittel, dessen sein Gott sich zur Verstockung Israels bedient, hat Paulus offenbar vom Alten Testament den entscheidenden Antrieb empfangen. Ezechiel, der Prophet der unbedingten persönlichen Verantwortung und somit der unbedingt realen Freiheit des Menschen im Angesicht Gottes, kennt eine Verstockung von oben nicht. Das Haus Israel ist verstockt (2, 4; 3, 7), aber es ist nicht verstockt worden. Mensch und Volk, von urher und ausnahmslos mit der Fähigkeit zu uneingeschränkter eigenster Entscheidung begabt, werden von Gott gerichtet, aber nicht für etwas, an dessen Zustandekommen er durch unmittelbare (Pharao) oder mittelbare (Jesaja) Einwirkung teilhätte. Gott hat sein Geschöpf in der Schöpfung freigegeben und tastet dessen Freiheit nicht an, macht es aber eben damit ihm völlig verantwortlich. Dem Hörer des Wortes zu vergegenwärtigen, daß dies die Wirklichkeit seines Lebens ist, macht den, nach den wechselnden Personen und Situationen sich abwandelnden Inhalt der Warnung aus, die auszusprechen der Prophet jeweils berufen wird (3, 17 ff.). Jene die menschliche Freiheit ermöglichende Zurückhaltung Gottes ist also nicht so zu verstehen, als ob er die von ihm in die Welt Eingesetzten ohne Weisung ließe, welches der rechte Weg sei und welche die Irrwege. Ja, dem von ihm erwählten Volke gibt er die Weisung in der Gestalt von »Satzungen und Rechtsprüchen« mit, von solcher Art, daß der Mensch, der sie erfüllt, dadurch das Leben gewinnt (20, 11; vgl. Lev 18, 5). Aber das Volk geht den ihm gewiesenen Weg nicht, es verwirft die Weisung und damit das Leben (V. 13 und 21), wiewohl es immer wieder gewarnt wird. Da gibt Gott ihnen »nicht-gute 46 Satzungen und Rechtsprüche, durch die sie nicht Leben gewinnen«, und macht sie unrein durch ihre Gaben, »indem sie allen Durchbruch des Mutterschoßes«, alle Erstgeburt »darführen« (V. 25 f.). Da in dem Buche kurz zuvor (16, 20 f.) und kurz danach (23, 37, 39) 47 das Kinderopfer dem Volk zur schwersten Schuld gerechnet wird, würde es im äußersten Widerspruch zu Ezechiels Verantwortungslehre stehen, wenn er dieses Opfer als von Gott geboten erklärte. Es kann also nur das für die Zeit nach der Landnahme bestimmte Gebot der Darführung »alles Durchbruchs des Mut46. Die sinngemäße Uebersetzung ist: nicht-gut werdende. 47. Diese Art der Wiederholung, die ich als hermeneutische Einrahmung bezeichnen möchte und deren Absicht es ist, der Mißdeutung vorzubeugen oder auch geradezu auf die rechte Deutung hinzuweisen, ist nicht selten; vgl. z. B. die Einrahmung von Ex 3, 14 f. durch 3, 12 und 4, 12.

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terschoßes« (Ex 13, 12) als dem Volke deshalb in diesem Wortlaut »gegeben« verstanden sein, weil dieser die Mißdeutung und den Mißbrauch nicht ausschließt: in der äußersten Not mag der und jener, sich auf das Gebot und auf den Brauch der Nachbarvölker (II Kö 3, 27; 16, 3) zugleich und dazu etwa noch auf die Abrahamsüberlieferung berufend, gemeint haben, das Herz Gottes erweichen zu können, wenn er den zugestandenen Ersatz, die bloße Weihung und Auslösung, durch die angebliche Erfüllung der geforderten Hingabe, durch Opferung überböte (vgl. Mi 6, 7). Mit dem »nichtguten« Charakter solcher Satzungen ist somit ihre latente Ambivalenz, der Raum also gemeint, den sie der Auslegung ins Falsche gewähren: Gott stellt einen Anspruch, den er zwar sogleich ins Sinnbildliche mildert, aber der Anspruch ist ins Wort gegossen, und es steht dem Menschen frei, sich einzubilden, ihm zu genügen sei dem Ersatz überlegen. So werden die Ungehorsamen mit der Möglichkeit des verkehrtesten Gehorsams gezüchtigt. Was er bei Ezechiel fand, hat Paulus seiner Konzeption des Weltgeschehens eingebaut, indem er, was für das einzelne Gebot galt, auf den ganzen Bereich des Gesetzes, was für einige betroffene Generationen galt, auf alle bis zur seinen, und was für die Möglichkeit galt, auf die Notwendigkeit übertragen, denn das Gesetz ist ja seiner Meinung nach unerfüllbar, weil es, seiner Meinung nach, nur als Ganzes (»in allem«) erfüllt werden will und die in diesem Sinn unvermeidliche Nichterfüllung unter den Fluch stellt. Und dieses so umgewandelte Motiv hat sich ihm mit dem umgewandelten Motiv der Verstockung verknüpft. Um Israel, zum Behufe des Heilsplans, zu verstocken, »bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist« (Rm 11, 25), hat der Gott, von dem Paulus als von dem Gotte Israels redet, diesem ein Gesetz gegeben mit der Absicht, es an dessen Unerfüllbarkeit scheitern zu lassen. Er hat eben »alle«, wie die gesetzlosen Heiden, so die gesetzhabenden Juden, »unter den Ungehorsam eingeschlossen, damit er sich aller erbarme« (V. 32). Wenn ich diesen Gott ins Auge fasse, erkenne ich den Jesu nicht wieder, in dieser Welt nicht die seine 49 . Für Jesus, dem es um die einzelne Men48. Die ganze Wendung (mit dem Verb »darführen«) kommt nur an diesen zwei Stellen der Schrift vor. 49. Die Ansicht Bultmanns (Theologie des Neuen Testaments 3), Jesu Verkündigung stehe im Zusammenhang mit der apokalyptischen Hoffnung, deren Voraussetzung »die pessimistisch-dualistische Anschauung von der satanischen Verderbtheit des ganzen Weltgefüges« sei, scheint mir nicht hinreichend begründet. Das einzige dafür angeführte Wort Jesu, »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen« (Lk 10, 18), gehört mit Jes 14, 12, nicht mit Apk 12, 8 f. zusammen. Das Weltbild, das sich hier dokumentiert, ist das prophetische, nicht das apokalyptische. Das Widerspruch und Verderben stiftende Prinzip, das nun aus dem Kreis der Mächte gestürzt wird, hat in

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schenseele und um jede einzelne Menschenseele ging, war Israel kein allgemeines Wesen mit einer so und so beschaffenen Funktion im Weltplan, es war für ihn aber auch nicht die bloße Gesamtheit der zu seiner Zeit lebenden und sich zu seiner Botschaft verhaltenden Juden: all die Seelen, die zwischen Moses und ihm gelebt hatten, gehörten in concreto dazu. Für seinen Blick war jeder von ihnen, wenn sie sich verlaufen hatte, die Umkehr gewährt, und jede von ihnen, wenn sie umkehrte, war der heimgekehrte verlorene Sohn. Sein Gott war immer noch derselbe, der in allen Geschlechtern, mochte er auch zuweilen »verstocken« und etwa gar zuweilen eine »nicht-gute« Satzung geben, der Seele, die sich für Israel einsetzte, antwortete (Num 14, 20): »Ich habe vergeben deinen Worten gemäß.« In dem Gottesbild des Paulus ist, wo es um die Seelengenerationen Israels zwischen Moses und Jesus geht, dieser Zug durch einen andern, alles ändernden, verdrängt. Ich unterfange mich nicht, ihn zu benennen. – In unserem Zeitalter hat ein Philosoph, Hegel, die paulinische Konzeption dem Wurzelgrund ihrer Glaubenswirklichkeit entrissen und in das System verpflanzt, wo nun der Philosophengott, die »Vernunft«, vermöge seiner »List« die geschichtlichen Gewalten zwingt, unwissend seine Vollendung zu betreiben.

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Eine kritische Haltung zu »Gesetzeswerken« haben wir nicht bloß bei Paulus, sondern auch bei Jesus, aber auch bei den Pharisäern gefunden. Die Werke, an denen hier und hier Kritik geübt wird, sind jedoch verschiedener, zum Teil grundverschiedener Art. Für die Pharisäer sind es diejenigen, die getan werden, ohne daß der Täter sein Herz auf Gott richtet. Jesus meint die Werke, die man vorgeschrieben findet und so, wie sie vorgeschrieben sind, vollzieht, ohne die in die Vorschrift gehüllte Absicht Gottes zu erkennen und sich handelnd zu ihr zu erheben. Paulus hat mit »Gesetzeswerken« zunächst jene im Sinn, durch deren Ausführung der diesem Bild nie das Weltgefüge beherrscht. Jesus sieht, wie die Propheten, diesen Aeon als den des Ringens der Gewalten, nicht als den eines Regiments des Bösen. Es gibt in der Welt ein Königtum des Satans (Lk 11, 18), das dem Kommen des Königtums Gottes widerstrebt, aber die Welt enthält es nur, sie ist es nicht. Darum eben kann der zu seiner Ueberwindung Berufene (V. 22, Vgl. II Sam 23, 7 den Spruch von dem Mann, der an das Heillose, belial, rühren soll und dazu »ermächtigt wird* mit Lanzeneisen und -holz«) aus dem Menschentum selber erlesen werden. *Nur so (der gefüllt wird = dessen Hand gefüllt wird, d. h. alttestamentlich: der bevollmächtigt wird) kann der echt archaisch klingende masoretische Text verstanden werden.

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Mensch sich vorgaukelt, vor Gott ein Verdienst zu erwerben und als gerecht zu bestehn; aber dahinter steht ihm die ganze Problematik des Gesetzes als eines »Gesetzes der Sünde und des Todes«, dem nunmehr und erst jetzt das von ihm befreiende »Geistesgesetz des Lebens in Christus Jesus« (Rm 8, 2), als nunmehr und erst jetzt offenbart, entgegengestellt wird, so daß also letztlich alle zur Erfüllung des Gesetzes außerhalb des Glaubens an Jesus als den Christus je und je gewirkten Werke verworfen sind. Daß »wer den andern liebt, das Gesetz erfüllt hat« und also »die Liebe die Erfüllung des Gesetzes ist« (Rm 13, 8, 10; vgl. Gal 5, 14), ist zwar im Geiste Jesu gesprochen, und Jesus ist in diesem Belange nicht von der Lehre der Pharisäer abgewichen; aber auch die Liebe, die Erfüllung des Gesetzes, ist für Paulus nicht als Erfüllung des Gesetzes gültig, sondern nur erst im Glauben an Jesus als den Christus. Die Lebensfrage des Menschen, der vom »Gesetz« her kommt, ist also für die Pharisäer und für Jesus: wie gelange ich von einem scheinbaren Leben im offenbarten Willen Gottes zu einem wahren Leben in ihm, das ins ewige Leben führt? Nur daß »offenbart« für die Pharisäer bedeutet: durch die geschichtliche Offenbarung im Wort in die Ueberlieferung Israels eingegangen und in ihr offenbar, für Jesus aber: von der Ueberlieferung Israels nicht adäquat aus der geschichtlichen Offenbarung im Wort aufgenommen, nunmehr jedoch in Sinn und Absicht adäquat erschlossen. Hingegen ist für Paulus die Lebensfrage des Menschen, der vom »Gesetz« her kommt: wie gelange ich von einem Leben aus der Offenbarung im Wort, einem Leben, das durch deren Ambivalenz und das mir eingeschaffene Gegengesetz mit Notwendigkeit falsch wird, zu einem wahren Leben, in das der Wille Gottes für mich unverzerrt eingeht? Die spezifische Antwort, die sich im pharisäischen Lager ausgebildet hat, ist die Lischmah-Lehre, die mit der von der »Richtung des Herzens« aufs engste zusammenhängt, aber über sie hinausgreift. Man hat schon wiederholt auf die Bedeutung dieser Lehre hingewiesen 50 , aber man kann es nicht oft genug tun. Lischmah heißt: um der Sache selber willen. Mit diesem Wort wird zunächst ausgedrückt, man solle die Lehre um ihrer selber und nicht um des Ertrags willen lernen, das Gebot um seiner selber und nicht um der günstigen Folgen willen erfüllen; stets aber klingt deutlich an: also um des Lehrenden, des Gebietenden willen, und so wird es denn auch wie gesagt ausdrücklich zusammengefaßt (Abot II 13): »Alle deine Werke seien um Gottes willen.« Alles kommt darauf an, daß das Gebot um des Gebietenden willen, ihm zuliebe, in der Tat 50. Die wichtigsten Texte sind in ihrer sinngemäßen Reihenfolge (die ich beibehalte) bei Schechter, Some Aspects of Rabbinic Theology (1909) 160 f. zusammengestellt.

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aus der Liebe zu ihm und in der Liebe zu ihm geschehe. Die Entscheidungskraft dieses »um seinetwillen« reicht bis in eine Tiefe des Verhältnisses des Menschen zur Thora, wo diese eine Ambivalenz kundtut, nicht geringer an Spannungsgewalt als die von Paulus behauptete, aber ohne daß wie dort die Treue des Offenbarers zur menschlichen Person als solcher fraglich würde, im Gegenteil: gerade in deren Hände wird die Wirkung der Thora gelegt. Diese ist nicht ein unabhängig von der aktualen Beziehung des Menschen zu Gott bestehendes Objektivum, das von sich aus dem es Empfangenden Leben spendete: das tut sie nur an dem, der sie um ihretwillen in ihrer lebendigen Wirklichkeit, also in ihrer Verbindung mit ihrem Geber, und um seinetwillen empfängt. Wer sich um anderes willen mit ihr befaßt, dem »bricht sie das Genick« (b. Taanit 7 a). Es sind nicht etwa verschiedene Teile der Thora, die gut und schlimm wirken: dieselben Worte »beleben« den, der sie »um ihretwillen«, und »töten« den, der sie »nicht um ihretwillen« tut (Sifre zu Dt 32, 2). Wenn somit, wie betont wird (Midr. Tehillim zu Ps 31, 9), gerade hier der wahre Unterschied »zwischen einem Bewährten und einem Frevler« (Mal 3, 18) zu erkennen ist, so muß man doch zugleich bedenken, daß in der »Umkehr« jedem Frevler die Möglichkeit gegeben ist, die Stufe zu erreichen, »auf der die völlig Gerechten nicht stehen können« (b. Berachot 34 b). Hier erschließt sich erst völlig der dynamische Charakter der Lischmah-Lehre: es handelt sich nicht um zwei einander entgegengesetzte Menschenarten, sondern um zwei menschliche Haltungen zur göttlichen Manifestation, die zwar grundverschieden, aber so aufeinander bezogen sind, daß von der negativen zur positiven ein Weg führen kann. Da es nicht einfach im Willen des Menschen liegt, das, was er tut, um Gottes willen zu tun, es aber wohl in seinem Willen liegt, sowohl die Thora zu lernen als ihre Gebote zu halten, soll er damit beginnen, beides so zu tun, wie er es tun kann, so also, daß ihm das »Um der Sache willen« nur erst als Richtung, nicht schon als Motiv gegeben ist. Tut er ernstlich, was er tun kann, dann wird er »aus dem ›Nicht um ihretwillen‹ zu dem ›Um ihretwillen‹ gelangen« (b. Berachot 17 a). An der Stelle, wo bei den Pharisäern diese Lehre steht, als Antwort nämlich auf die Lebensfrage des Menschen, steht bei Jesus die Aufforderung zur Nachfolge. Da er der vorgefundenen Ueberlieferung Israels gegenüber sich auf die unverstellte Absicht des Offenbarers als die ihm offenbarte (»Ich aber sage euch«) berief, konnte seine Antwort nur noch eine so persönliche sein. Mit der Verkündigung der nah herbeigekommenen, gleichsam in Reichweite gelangten Königschaft Gottes war er ausgegangen, die Menschen in Israel zu ihr aufzurufen, zumal aber die »Sünder« (Mk 2, 17 Parr.), damit sie, von ihm geheilt, durch die stürmende

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Gewalt ihrer Umkehr jene »herbeireißen« (Mt 11, 12. Entgegen der – uns freilich nur in spätern Aussprüchen bekannten – pharisäischen Lehre, man dürfe »das Ende nicht bedrängen«, erklärt dieser Spruch, die königliche Gnade, die sich eben jetzt der Menschenwelt herzuneigt, erwarte von dieser die höchste Anstrengung, ihr entgegenzukommen, in sie einzugehen und sie damit zur irdischen Wirklichkeit zu machen; im Mittelpunkt dieser Anstrengung müssen die umkehrenden Sünder stehen, da keine Macht auf Erden der der Umkehr gleichkommt 51 ). Was er zur Menge spricht, ist an die noch in ihr Verborgenen gerichtet, die sich ihm anschließen sollen. Wenn er dem einen oder andern von ihnen allein oder zu zweien außerhalb der Predigt, bei der Arbeit etwa, begegnet und ihn als einen der zu ihm Gehörigen erkennt, ruft er ihm zu: »Geh mir nach« oder »Folge mir.« Sie folgen ihm. Was diese Nachfolge aber bedeutet, klärt sich, wenn (Mk 10, 17 ff. Parr.) einer, der kein Sünder, sondern sich bewußt ist, die Gebote gehalten zu haben, aber den Zugang zum ewigen Leben nicht findet, aus der Menge zu ihm tritt und ihn befragt; Jesus antwortet ihm, er solle alles verkaufen und den Armen geben, dann aber »komm, folge mir«. Es geht also darum, sich jetzt, in der größten Erdennähe der Gnade, von nichts mehr festhalten, von nichts mehr hindern zu lassen ihr entgegenzugehn, sondern frei zu werden für die Erstürmung der Königschaft Gottes, wie es der Vorangehende ist, dem man folgen soll. Jesus sagt das freilich noch radikaler auch zur Menge, nachdem er sie »mitsamt seinen Jüngern« herbeigerufen hat (Mk 8, 34), offenbar um sowohl ihr, aus der die ihm Zugehörigen zu ihm treten sollen, als aber auch ihnen selber unabdingbar klarzumachen, was den Nachfolgenden zugemutet wird: es geht darum, »sich selber aufzugeben«, sich loszuwerden, »sich« als den Inbegriff von allem, woran man hängt; dies ist der eigentliche Ausdruck für die Aufgabe, sich freizumachen. Ueber diese Voraussetzung der Nachfolge hinaus führt keine allgemeine worthafte Bestimmung des Wegs mehr, sondern nur noch dieser selbst. Die höchste Anstrengung wird nicht umschrieben, von ihr erfährt man eben in der Nachfolge. In der Nachfolge gelangt man zum wahren Leben im offenbarten Willen Gottes. Jesus spricht aus Sein und Bewußtsein des Menschen, der »sich aufgegeben« hat; deshalb kann er diese persönliche Antwort statt einer sachlichen geben. Der Feuerkern in der Geschichte des Christentums ist das Bestreben, 51. A. Schweitzer, Das Abendmahl II (1901) 27, geht aber m. E. zu weit, wenn er davon spricht, es sei »gleichsam ein Druck« gemeint, der ausgeübt wird, um das Reich Gottes »zu zwingen, in die Erscheinung zu treten«. Richtig scheint mir hier die Formulierung R. Ottos (Reich Gottes und Menschensohn 87): »Nur mit Aufbietung aller ›Gewalt‹ in gespanntester Entschlußkraft dringt man hinein.«

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über den Tod Jesu hinaus die Nachfolge lebendig zu erhalten. Paulus fordert, um den Abstand zu überbrücken, zur mittelbaren Nachfolge auf 52 (I Kor 11, 1): »Werdet meine Nachahmer, wie ich Christi.« Der johanneische Kreis glaubt, weil es »die letzte Stunde« (I Joh 2, 18) ist, die unmittelbare Nachfolge wahren zu können (2, 6): »in ihm bleiben« heißt, so wandeln, wie er gewandelt ist; denn so hatte das Johannesevangelium (13, 15), die Synoptiker nachdrücklich überflügelnd, Jesus sprechen lassen: »Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit, wie ich euch getan habe, auch ihr tuet.« Das Beispiel wird zunächst in der lebenden Erinnerung von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben; aber auch nachdem die Erinnerung abgerissen ist, erzeugt Geschlecht um Geschlecht in sich das Bild als Nachzubildendes, und sooft in späteren Zeiten die Ahnung der Endzeit stark wird, wird auch der Antrieb der Nachfolge stark. Als Antwort auf die Lebensfrage des Menschen konnte freilich weder Paulus noch irgend jemand außer Jesus selber die Nachfolge anbieten. Wer nach dem Wie fragte, den forderte Jesus auf, sich ihm anzuschließen, und wenn jenen die Aufforderung ins Herz traf, »ging er hinter ihm her« und lebte sein Leben mit. Dieses einfache Vorangehen war durch kein Geheiß der Nachfolge zu ersetzen. Die Antwort, die Paulus auf die Lebensfrage des Menschen gab, der vom »Gesetz« her kam und zum wahren Leben im offenbarten Willen Gottes gelangen wollte, die Antwort, mit der er dieser Frage zuvorkam, war die Forderung, an Christus zu glauben. Damit tat er eben das, was Jesus, soweit wir ihn aus der synoptischen Tradition zu erkennen vermögen, nicht tat und, wie immer es sich mit seinem »messianischen Bewußtsein« verhielt, offenbar nicht tun wollte. Wohl mochte er den Jüngern im Schifflein, die der Sturm ängstigte, zurufen (Mk 4, 40): »Was seid ihr verzagt? habt ihr noch keinen Glauben?« Aber was er da vermißte, war ja – wenn man von der Mirakelgeschichte 53 absieht, mit der der Spruch verknüpft worden ist – nur jenes unbedingte Vertrauen zur Gnade, das macht, daß einen auch der Tod nicht mehr schreckt, denn auch er ist in der Gnade. Jesus fragt wohl danach, für wen er gehalten werde, aber er verlangt nicht, daß man ihn für irgendwen halte. Für Paulus ist eben dies, daß man Jesus mit aller Kraft des Glaubens 52. Die theologisch übliche Scheidung zwischen Nachfolge und Imitatio berührt unseren Gedankengang nicht. 53. Ich gebrauche den Begriff im Sinn des kritischen Teils von Bultmanns gewichtigem Aufsatz »Zur Frage des Wunders«, wonach auf Grund der »Unmöglichkeit, ein Geschehen contra naturam als wirklich zu denken«, der Gedanke des Mirakels unvollziehbar geworden sei und preisgegeben werden müsse (Bultmann, Glauben und Verstehen, 1933, 216; vgl. auch ders., Neues Testament und Mythologie, in der Sammelschrift »Kerygma und Mythos«, 1948, 18).

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als den anerkenne, als den er ihn verkündigt, die Pforte zum Heil. Dieses ist ja »das Wort vom Glauben, das wir verkündigen«, und auf das jenes »nah ist dir das Wort« der Thora gedeutet wird (Rm 10, 9): »Wenn du mit deinem Munde Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du gerettet werden.« Gewiß, sehr viel mehr als das tut not, aber alles, auch das Aeußerste, das mitten im Leben »mit Christus Sterben«, tut not von da aus; denn es gilt dem Auferstandenen (Rm 5, 8 f.), es gründet auf dem Glauben an seine Auferstehung. Und dieser Glaube ist ein Daß-Glaube im prägnanten Sinn 54 ; der sich etwa von dem Glauben des Juden, daß sich am Sinai eine göttliche Offenbarung vollzogen habe, wesenhaft unterscheidet, dadurch nämlich, daß er die Akzeptation der Tatsächlichkeit eines Vorgangs meint, der nicht, wie jener, die angestammte Glaubenswirklichkeit des ihn erfahrenden jüdischen Menschen zu bestätigen und bekräftigen, sondern sie grundlegend zu ändern bestimmt ist. Wenn man das Wesen des von Paulus geforderten Glaubens erfassen will, ist es in der Tat am richtigsten, vom Glauben an die Auferstehung Jesu auszugehen. Jene Konzeption des göttlichen Weltplans ist ja ganz auf die Auferstehung (oder die Himmelfahrt vom Kreuze aus) gestellt: folgte sie nicht auf den Tod des von den Engelsmächten, die die Herrscher dieses Äons sind, Gekreuzigten, dann hätten sie ja Gott besiegt und sein Heilswerk vereitelt. Es ist daher höchst folgerichtig, wenn der Apostel (I Kor 15, 1 ff., 11) erst den Korinthern vergegenwärtigt, die Auferstehung Christi sei das Hauptstück seiner Botschaft und ihres Glaubens, und dann (V. 14), die Sprache immer höher erkühnend, erklärt: »Ist Christus aber nicht auferstanden, leer ist dann unsere Verkündigung, leer auch euer Glaube.« Die Auferstehung Jesu, als der der Toten erstlinghaft vorausgehend (V. 20, vgl. Kol 1, 18), ist der Anfang des – schon in der alttestamentlichen Weissagung (Jes 25, 8) verheißenen – Sieges Gottes über »den letzten Feind« (I Kor 15, 26), über den Tod als das Prinzip jener Mächte, in deren Händen die Welt ist; durch die Auferstehung ist Christus eingesetzt »zum Sohn Gottes in Macht« (Rm 1, 4). Der zentrale Charakter des

54. Richtig Wißmann, Das Verhältnis von p ffl s t i @ und Christusfrömmigkeit bei Paulus (1926) 39: »Der Glaube, der für Paulus und seine Gemeinden das Christsein ausmacht, ist zunächst lediglich fürwahrhaltender Glaube.« (Wißmann hält dies aber sehr zu Unrecht für den Inbegriff der spätjüdischen Religion, wie auch an den weitaus meisten der von ihm aus dem hellenistischen Judentum angeführten Stellen erwiesen werden kann.) Daß Paulus die Pistis primär als Gehorsamsakt verstanden habe, davon haben mich die Ausführungen Bultmanns, Theologie des Neuen Testaments 310 ff., nicht zu überzeugen vermocht. Dagegen ist es zweifellos zutreffend, daß Pistis hier in entscheidender Weise »Annahme der Botschaft« bedeutet.

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Glaubens an sie ist offenbar. Man hat darauf hingewiesen , daß ohne ihn, wenn die Jünger nur die Erwartung bewahrt hätten, der Meister werde dereinst mit allen Toten auferstehen, wohl etwa eine Reformation des Judentums, aber gewiß keine neue Religion entstanden wäre; in der Tat will jede echte reformatio ebendas, was in Jesu »Ich aber sage euch«-Sprüchen wohl den stärksten Ausdruck gefunden hat: zur Urreinheit der Offenbarung zurückkehren. Es spricht manches dafür 56, daß in der Zeit nach dem Tode Jesu neben dem Bild seiner Auferstehung das seiner Himmelfahrt vom Kreuz aus bestand, ja jenem vorausging – das Bild einer Entrückung also, analog den im Alten Testament von Henoch und Elias, später auch von Moses und anderen erzählten. Das Aufkommen dieser Vorstellung – die sich zur Erklärung der Visionen des Erhöhten unmittelbarer ergeben mochte als jene – ist wohl dadurch erleichtert worden, daß die legendäre Ueberlieferung, die die erwählten Diener durch einen persönlichen Eingriff Gottes, ein göttliches »Nehmen« (Gen 5, 24; II Kö 2, 3, 5, 9 f.) lebendigen Leibes entrückt werden ließ, in der Hoffnung der Psalmisten spiritualisiert worden ist: wenn sie sagen (Ps 49, 16; 73, 24), Gott werde sie »nehmen«, statt sie in der Unterwelt verfallen zu lassen, meinen sie, daß er ihre Seelen im Tode emporheben werde. »Wenn diese Auffassung«, schreibt Johannes Weiß, wie mir scheint mit Recht, »allgemein zur Herrschaft gekommen wäre, so würden wir von einer Auferstehung überhaupt nichts gehört haben.« Eine von dieser Vorstellung getragene vorpaulinische Mission mag durch sie Juden gewonnen haben, denen es nicht eben schwer wurde, jenen zwei zum Himmel Entrückten einen dritten anzureihen. Im Mittelpunkt von Paulus’ Mission stand jedenfalls schon, wiewohl jenes Motiv in ihm noch nachzuwirken scheint, das Bild der Auferstehung, das ja allein für eine kohärente Darstellung der Ereignisse verwendet werden konnte. Der Jude der Zeit glaubte zwar in seiner pharisäischen Mehrheit an die endzeitliche Auferstehung der Toten als einer großen Gemeinschaft; aber die Auferstehung eines Einzelnen mitten in der Geschichte war ihm aus der Schrift nicht bekannt (die Legenden von Wiederbelebungswundern gehören nicht hierher, weil in ihnen das Entscheidende, der Wiederaufstieg aus der Verfallenheit an die unterirdische Sphäre, fehlt), und er 55. Goguel, Trois études sur la pensée religieuse du Christianisme primitif (1931) 37. 56. Vgl. Johannes Weiß, Das Urchristentum (1917) 19; Ders., Das Problem der Entstehung des Christentums, Archiv für Religionswissenschaft XVI (1913) 474 ff.; Bertram, Die Himmelfahrt Jesu vom Kreuz aus, Festgabe für Deißmann (1927) 187 ff.; vgl. auch Schrade, Zur Ikonographie der Himmelfahrt Christi, Vorträge der Bibliothek Warburg 1928-1929 (1930) 75 ff., sowie Rudolf Otto, Aufsätze das Numinose betreffend (1923) 160 f.

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konnte sich damit im allgemeinen nicht vertraut machen: der eigentümliche harte Realismus der Juden in Sachen des Leibes und des leiblichen Todes ließ sich von einer eschatologischen Gesamtschau durchbrechen, aber nur selten 57 von ihm widersprechenden Berichten über einen einzelnen Vorgang. Dem hellenistischen »Heiden« dagegen gab sein Glaube an sterbende und auferstehende Mysteriengötter die Bahn frei; die Botschaft, jetzt, in seiner eignen Lebensspanne, habe in dem Ländchen mit den merkwürdigen Traditionen solch einer als Mensch gelebt, sei gestorben und auferstanden, hob diesen Glauben aus mythischer Ferne der Bilder und mystischem Entschwinden der Erlebnisse in die konsistente Welt und gab damit seinem Bedürfnis nach konkretem Umgang mit der Göttersphäre einen unvergleichlichen Antrieb, der das Widerstreben der rationalen Instanzen zunehmend überwand. Nicht daß Christus auferstanden ist, sondern daß die Toten insgesamt auferstehen werden, weigerten sich die widerstrebenden Korinther zu glauben, denen Paulus mit einer ihnen wohl nicht überzeugend klingenden Argumentation entgegenhält (I Kor 15, 16), wenn dieses nicht wahr sei, sei es auch jenes nicht. Die Auferstehung des Einzelnen ist das den Juden, die der Masse (»die Auferstehung der Toten«, Ag 17, 32) das den Griechen Unglaubhafte; für diese ist Auferstehung Sache der Mysteriengötter und ihresgleichen – man braucht ihnen den Christus nur eben als Menschgott glaubhaft zu machen. Das hellenistische Judentum hingegen, das griechische Spekulation und überlieferungsbestimmte Lebensdimension kunstreich nebeneinander zu hegen wußte, scheint im wesentlichen der Botschaft von der Auferstehung Christi unzugänglich geblieben zu sein. Das Apostolat, das die Vorstellung der Entrückung notwendigerweise durch die Auferstehung verdrängte und damit vom Juden einen von ihm kaum vollziehbaren Glaubensakt forderte, entschied sich, ohne es zu wollen, für die Heiden. Als der Auferstandene, der sich den besiegten Engelmächten zu sehen gab und dem sie hinfort untertan sind (Eph 1, 21; I Pt 3, 22), ist Christus nun »unter den Heiden verkündigt worden« (I Tim 3, 16).

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X. Aber das Motiv der Entrückung führt uns auf etwas noch Gewichtigeres hin, dessen Betrachtung unserem Anliegen einer Vergleichung zweier Glaubensweisen förderlich sein wird. Wir müssen dabei an das, im letzten 57. So wäre etwa Ag 2, 37, 41 zu verstehen, wenn man die Pfingsterzählung in extenso für geschichtlich halten dürfte.

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wohl unlöslich zu bleiben bestimmte, Rätsel dessen rühren, was man das »Selbstbewußtsein« Jesu genannt hat. Was uns hier der Blick auf seinen persönlichen Zusammenhang mit der jüdischen Glaubenswelt zubringt, ist notwendigerweise hypothetisch, aber zur Klärung des Problems beizutragen geeignet. Die kritische Forschung neigt dazu, alles, was die Evangelien Jesus vor dem Gang nach Jerusalem über das Leiden und den Tod, die ihn erwarten, äußern lassen, in die Kategorie der vaticinia ex eventu zu verweisen. Das trifft wohl für die sakrale Formel zu, die bei allen Synoptikern dreimal (Mk 8, 31; 9, 31; 10, 33 Parr.), sich zu immer eindringlicherem Aktualitätston des Auftakts steigernd – erst »viel leiden«, dann »in der Menschen Hand übergeben werden«, zuletzt davor noch »Sieh, wir gehn nach Jerusalem hinauf« – wiederkehrt. Anders scheint es sich mir aber etwa mit einer Variante des ersten dieser Sprüche zu verhalten 58 , die uns Lukas (17, 25), als zur Wanderung nach Jerusalem gehörig, bewahrt hat, und zwar er allein (daß nur er den Satz nicht einfach, wie Markus und Matthäus, durch die dogmatische Formel ersetzt hat, sondern neben ihr hat bestehen lassen, zeugt nicht gegen seine Echtheit). Im Anschluß an die auch Matthäus (24, 27) bekannte Weissagung von dem blitzartigen Aufleuchten (V. 30 versteht es als ein »Offenbaren«) des vorher verborgenen »Menschensohns« – deren Wortlaut zwar bei Matthäus griechischer; aber bei Lukas semitischer klingt – heißt es: »Zuvor aber muß er viel leiden und von diesem Geschlecht verworfen werden«. Beides, »viel leiden« und »verworfen werden«, kennen wir auch aus der Formel, aber wie viel schlichter und geschichtlicher klingt es hier ohne all die »Aeltesten und Hohenpriester und Schriftgelehrten«! Und, mit dem Blitzspruch zusammen gelesen, wie viel natürlicher und sinnreicher die Anspielung auf den – sonstwo mehrfach angeführten – Psalmvers (118, 22) von dem »verworfenen« Stein, der zum Eckstein geworden ist! Die Verknüpfung zwischen dem gegenwärtigen verborgenen und dem künftigen offenbaren Stande des »Menschensohns« »an seinem Tag 59 « ist hier im Gegensatz zur Präzision der Auferstehungsformel im ungewissen gelassen, doch wohl eben, weil die 58. Ich vermag aber auch Lk 12, 50, aus dem ihm fremden Zusammenhang gelöst (Vgl. Wellhausen zur Stelle), nicht für unecht zu halten, obgleich ich dem Spruch keine befriedigende Interpretation weiß. Es ist mir unvorstellbar, wie er in der Urgemeinde (oder auch in der hellenistischen Gemeinde) entstanden sein könnte. 59. Das bedeutet natürlich nicht, daß »sein« Tag an Stelle des alttestamentlichen »Tags JHWH’s« gesetzt werde (Bousset, Kyrios Christos 12): es ist der Tag seines Offenbarwerdens. Auch trifft es nicht zu, daß Jesus mit dem Bild vom Blitz »seine eigene Person zum Mythus gemacht hätte«: so hätte auch der Verfasser von Jes 42, 7 f. von dem Tag seines künftigen Offenbarwerdens, dem »Heilstag«, sprechen können.

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Seele des Sprechers darüber im ungewissen war. Er weiß sich als den Propheten der kommenden Basileia und als die ihr bestimmte menschliche Mitte zugleich (Mt 11, 5; Lk 7, 22; vgl. Jes 42, 7 und 61, 2); als jenen hat ihn die hörbegierige Menge anerkannt, als diesen nur die Hingegebenheit der Jünger bestätigt, und er hat nun zur Genüge erfahren, daß die ihm heute gegebene Macht nicht die ist, die dem Werk des Reichsmittlers zureicht. Er erkennt sich als dem Stande der Verborgenheit verhaftet. Steht die Wandlung im Gang der Lebenstage bevor, daß er unversehens wie der Blitz aufleuchte – aufleuchten gemacht werde? Wird die Stimme, die ihn einst berief (daß die Jordantaufe für ihn von einer persönlichen Glaubenserfahrung solcher Art begleitet war, braucht trotz dem legendären Charakter der uns vorliegenden Erzählung nicht angezweifelt zu werden), ihn vor der Menschenschar, die er zum Reichskern einen soll, bezeugen? Oder muß der Uebergang von anderer Art sein? Der – chronologisch wohl an falscher Stelle stehende – Spruch von den Hochzeitern, von denen hinweg der Bräutigam »genommen«60 wird (Mk 2, 19 f. Parr.) scheint mir auf eine echte, wenn auch nicht mehr rekonstruierbare Tradition zurückzugehen61 . Wird er »genommen« werden wie Henoch und Elia, die Gott zu einem besonderen Dienst entrückt und mit der Macht dafür begabt hat, den einen zu einem himmlischen Dienst, als den »Fürsten des Angesichts«, den Engel der unmittelbaren Nähe, den anderen zu einem irdischen, als den »Engel des Bundes«, den Nothelfer und Königschaftsherold, der eben jetzt als Johannes der Täufer erschienen war und seinen Dienst getan hatte? Oder muß es anders kommen? Von noch einem, von dem »Knecht JHWH’s«, war ja geschrieben (Jes 53), er würde »genommen« und »vom Land der Lebendigen abgeschnitten«, und da wurde von »seinem Grabe«, ja seltsamerweise von »seinen Toden« (V. 9) gesprochen, dann aber war verkündigt, er werde, nachdem er »sich für die Abtrünnigen einsetzte« und »seine Seele zum Sterben hingoß« noch lange leben, und der Wille Gottes werde durch ihn geraten. 60. Im aramäischen Original war hier offenbar das in den alttestamentlichen Entrükkungstexten stehende Verb gebraucht (dieses verwendet Franz Delitzsch in seiner Uebersetzung ins Hebräische). 61. Man muß nicht in dem Spruch »a Christological utterance« (Dibelius, Gospel Criticism and Christology 48) sehen. Er ist mit Recht mit IV Esra 10, 1 f. verglichen worden, wo die Frau, die Zion ist, erzählt: »Als aber mein Sohn in sein Brautgemach trat, fiel er hin und war tot. Da stießen wir die Leuchter um.« (Vgl. hierzu Joachim Jeremias, Erlöser und Erlösung im Spätjudentum und Urchristentum, in Deutsche Theologie II, 1929, 111). Die absonderliche Deutung dieses »casus« (lateinische Version) auf den Fall Jerusalems ist offenbar sekundär. Jesus scheint sich mir eines in der Ueberlieferung von der Entrückung des »Knechtes« vorgefundenen Bildes zu bedienen, wogegen die Esra-Stelle eine abweichende Ausgestaltung desselben Motivs darstellt.

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Auch das eine Entrückung, und auch sie zu einem besonderen, besonders hohen Dienst: er soll ein Licht den Nationen (42, 6; 49, 6) und ein »Volksbund«, der verkörperte Bund des aus ihnen geeinten Menschenvolks (42, 6; 49, 8), werden und »das Erdreich wiederherstellen« (49, 8), indem er die in Haft und Finsternis Gehaltenen freimacht (42, 7; 61, 2) und das Recht auf Erden einsetzt (42, 4); durch seine Mittlung soll das Heil Gottes bis an den Rand der Erde walten (49, 6). Der so Verkündigte ist nur als Neugestaltung des Messiasbildes zulänglich zu erfassen62 . Um dies vollends deutlich zu machen, hat der namenlose Prophet, der sich, den anscheinend von Jesaja geprägten Begriff des »Lehrlings« (Jes 8, 16) wiederaufnehmend (50, 4), als einen nachgeborenen Jünger Jesajas verstand, die Hauptmotive von dessen messianischen Weissagungen mit gewandeltem Sinn erneuert 63 , wobei alles Davidische aus der Person des Messias getilgt wird: der Messias ist nun kein königlicher, sondern ein prophetischer Mensch, nur eben einer, der seine Stimme nicht mehr auf der Gasse zu erheben braucht (42, 2), und die »getreuen Hulden Davids« gehen auf die von Gottes Erbarmen zu »ewigem Bund« »eingesammelte« Israelsgemeinschaft über (55, 3 f.; 54, 7), die er vertritt. Dazu kommt aber, daß aus dem einen Erdenleben des jesajanischen Messias mehrere Leben werden, daß er – dem masoretischen Text nach, der nicht angezweifelt zu werden braucht – mehrere »Tode« sterben muß, daß seine Seele im leiblichen Tod entrückt wird (hier waltet schon die spiritualisierte Auffassung des »Genommenwerdens«, wie wir sie aus den Psalmen kennen) und wiederkehrt, bis er aus der Verborgenheit in die Offenbarheit erhoben wird und sein Heilswerk vollbringen darf: nun versteht die Völkerwelt erst, was er vordem für sie, für die »Vielen« (Jes 53, 11 f.; vgl. 52, 14 f.), litt und was sie verkannte. In der Verborgenheit, da er wie ein unverwendeter Pfeil in Gottes Köcher steckte (49, 2), verstand er sich selber in seinen Leiden und seiner Mühsal nicht, all dies schien ihm eitel und vergeblich, bis ihm kundgetan wurde, welchen Dienst Gott ihm vorbehält; aber auch jetzt weiß er noch nicht, wann, in welchem Sta-

62. Das von Bultmann in seiner Besprechung von Rudolf Ottos »Reich Gottes und Menschensohn« (Theologische Rundschau IX, 1937, 28) geäußerte Bedenken, die messianische Deutung von Jes 53 sei im Judentum erst seit dem 2. christlichen Jahrhundert nachzuweisen, beantwortet sich durch den künstlichen und tendenziösen Charakter dieser späten Interpretation, die sich gegen den der geläufigen Volkshoffnung widersprechenden Sinn der Verkündigung richtet. Dieser ist nicht offiziell rezipiert, wohl aber später, als er drohte volkstümlich zu werden, durch jene vulgärmessianologische Deutung bekämpft worden. 63. Vgl. hierzu und zum Gegenstand überhaupt den Abschnitt »Das Mysterium« in meinem Buch »Der Glaube der Propheten«.

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dium seines Wegs die Erfüllung kommt. Der namenlose Prophet, der in den Liedern vom »Knecht« im Ichton spricht, weiß sich als ein Stück dieses Wegs, ohne zu wissen, welches Stück. Wenn, wie vielfach angenommen wird 64 , das messianische Mysterium Deuterojesajas auf Jesus einen tiefreichenden Einfluß ausgeübt hat, gehört dazu wesentlich dieses große Motiv der Entrückungen und des Wegs aus verborgenem Leidensdienst zu offenbarem Erfüllungsdienst. In welcher Stunde der Same dieses Motivs in Jesu Seele fiel, können wir kaum ahnen – es mag um die Zeit des Petrusbekenntnisses gewesen sein, vielleicht kurz davor; aber es muß wohl eine Stunde der schmerzlichsten Fruchtbarkeit gewesen sein, deren Nachwirkung wir in manchem echten Spruch verspüren können. Schmerzlich muß man sie nennen; denn gewiß hat schon Galiläa Jesus gelehrt, am Menschen zu leiden, zumal wenn man den merkwürdigen Bericht des Johannesevangeliums (6, 66) von den ihn verlassenden Jüngern auf eine echte Tradition zurückführen darf. Sehen wir den Zusammenhang richtig, so hat Jesus unter dem Einfluß der deuterojesajanischen Konzeption sich als Träger der messianischen Verborgenheit verstanden. Daraus ergibt sich unmittelbar der Sinn des »Messiasgeheimnisses«. Der Pfeil im Köcher ist nicht sein eigner Herr; nicht an ihm ist es, die Stunde zu bestimmen, in der er herausgeholt werden soll. Das Geheimnis ist auferlegt. Es wird von Jesus dem Herzen der Jünger allein – deren Bekenntnis ihn ja darin bestärkt hat – eingetan, wie Jesaja einst (8, 16) die Heilsbotschaft im Herzen der seinen »versiegelte« 65 . Erst im Angesicht des Endes scheint sich die Haltung Jesu zu wandeln. Aber die Geschichte seiner letzten Tage ist von der dogmatischen Sicherheit so dick übermalt, daß man keinen Versuch einer Rekonstruktion seiner wirklichen Aussprüche aus dieser Zeit wagen kann. Ein einzelner Hinweis scheint immerhin zulässig. In der im wesentlichen als ungeschichtlich anzusehenden Prozeßerzäh64. Vgl. insbesondre Schweitzer a. a. O. 89 ff. sowie Joachim Jeremias a. a. O. 118. Dem an sich gewichtigen Argument, das Bultmann (a. a. O. 27) dagegen vorgebracht hat, daß nämlich in alten Jesusworten keine zweifellose Bezugnahme auf den leidenden Gottesknecht vorliege, ist entgegenzuhalten, daß Jesu Schweigen über sein Verhalten zu einer Verkündigung, die nicht als Prophetie, sondern als Mysterium auftrat und dessen Sprache sprach, durchaus zu verstehen ist. Gewiß, den Jüngern war, wie den meisten Juden der Zeit (das ändert sich anscheinend erst mit dem Zusammenbruch des Barkochba-Aufstands), der Gedanke eines leidenden Messias »fremd und erschreckend«; damit ist aber nicht gesagt, wie er Jesus erschien. Entscheidend ist, daß in dem Gottesknechts-Mysterium nicht der Messias, sondern seine Vorstadien leiden müssen; daher die eigentümliche Labilität, die aus dem Einfluß entsteht. 65. Diese echte Tradition eines objektiven Messiasgeheimnisses im Selbstverständnis Jesu scheint mir später überarbeitet und, insbesondre von Markus in seinen Dämonengeschichten, übersteigert worden zu sein.

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lung wird ein merkwürdiger Spruch Jesu angeführt (Mk 14, 62), der, so wie er dasteht, ebensowenig aus seinem Munde stammen kann wie die Frage, auf die er antwortet, aus dem des Hohenpriesters, aus dem aber vielleicht auf den Inhalt eines echten Spruchs geschlossen werden darf. Weder die Verknüpfung des »Ich bins« mit dem weiteren ist zu halten noch die des »Sitzens« mit dem »Kommen« noch die eher gnostisch klingende »Kraft«; aber die Hindeutung auf den »Menschensohn« oder Menschen, den man mit den Wolken des Himmels kommend »sehen« würde, als Antwort auf eine Frage nach ihm, Jesus, selber, hat einen eigentümlich glaubhaften Charakter. »Wer bist du?« ist er nun selber gefragt worden, wie er einst die Jünger fragte, wer er sei, er aber, mit fernen Augen, antwortet dem Sinn nach: »Ihr werdet den sehen, der ich werden soll.« Er sieht ihn jetzt: ich bins. Er sagt es nicht, aber es gibt Hörer, die es zu hören meinen, weil sie ihn, den Sehenden, sehen. Daß er sich seine Person als den zukünftigen Entrückten und sodann zum Erfüllungsdienst Entsandten eben so, im Bild der danielischen Vision, vorstellt, liegt nah genug. Der aus dem Lebensstande der Verborgenheit erst Entrückte, dann aber nicht mehr in eine neue Verborgenheit, sondern in die messianische Offenbarung Eingehende muß von oben kommen, da er nun mit der anderen, verwirklichenden Macht begabt ist, die ihm im früheren Stande nicht verliehen war: der ihr Fehlen erfuhr, kann sie sich nicht mehr als in den irdischen Bedingungen behaust denken. Darf man diesen Betrachtungswandel aber annehmen, dann wäre damit das lebensgeschichtliche Faktum gegeben, um das nach dem Tode Jesu und den Visionen der Jünger allmählich all das bei den hellenistisch Beeinflußten bereitliegende mythische Element zusammenschoß, bis das neue binitarische Gottesbild präsent war. Nicht bloß neue Symbole, sondern sogar neue Gottesbilder wachsen ja aus menschlicher Lebensgeschichte, und gerade aus ihren unabsichtlichsten Momenten. Die Messiasgestalt Israels hat sich in der vorchristlichen Zeit zweimal – 66. Vgl. insbesondre Lietzmann, Der Prozeß Jesu, Sitzungsberichte der preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1931; vgl. auch seine Diskussion mit Büchsel, ZNW 1931/32. Von früheren Arbeiten ist hervorzuheben Goguel, Juifs et Romains dans l’histoire de la passion (1910); vgl. auch ders., A propos du procès de Jésus, ZNW XXXI (1932) 294 ff. – Die Geschichtlichkeit der Erzählung ist mir auch durch den gründlichen Aufsatz von K. L. Schmidt, Der Todesprozeß des Messias Jesus, Judaica I (1945), nicht erwiesen worden. Daß Schmidt übrigens zu Klausners Aeußerung, Jesu Verurteilung stehe »nicht im Einklang mit dem Geist der Pharisäer«, bemerkt: »Klausner, der als Jude in einem gewissen Sinne pro domo zu reden nicht vermeiden kann«, ist bedauerlich. Wenn christlicher und jüdischer Forscher einander, auch wo es um diesen Gegenstand geht, nicht zuzubilligen vermögen, daß durchaus pro veritate geredet wird, geraten wir bedenklich zurück.

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beidemal im Zusammenhang mit großen Volkskrisen und Leidenszeiten – gewandelt, ohne daß aber die neue Figuration die älteren verdrängte; vielmehr bestehen sie nebeneinander fort, die älteste, vorexilische bleibt die vorherrschende, doch dringen Züge aus den anderen in sie ein. Diese erste Gestalt kann man den erfüllenden König nennen67 . Sie ist nicht aus mythischer Imagination, sondern aus der Betrachtung der geschichtlichen Wirklichkeit in der prophetischen Perspektive entstanden. Messias, Christus, der Gesalbte JHWH’s, heißt in Israel der König als der Empfänger der sakramentalen Oelsalbung im Namen Gottes. Daß er durch sie ihrer Intention nach, wie sie von den Propheten verstanden wurde, unter ein besonderes Himmelsgebot, unter einen Auftrag gesetzt war, legitimiert die Propheten, ihn jeweils vor den aktuellen Willen Gottes zu stellen; sie konfrontieren ihn mit der an ihn ergangenen und ergehenden spezifischen Forderung, in Israel die Gerechtigkeit zu verwirklichen. Das geschichtlich konkrete Versagen der Könige dem Auftrag gegenüber erwidern die Propheten mit der Weissagung auf den die Salbung Erfüllenden. Mit dem Zusammenbruch des judäischen Königtums wird die alte messianische Hoffnung problematisiert. Sie ist damit nicht vernichtet, ja sie nimmt schon von der ersten Heimkehrbewegung an einen neuen Aufschwung, aber inzwischen ist eine neue, unerhört neue Gestalt auf den Plan getreten, deren Verkünder jene als historisch abgetan behandelt hatte. Von ihm war in der Leidenszeit des Exils der messianische Auftrag in seiner aktualen Form zweigeteilt worden: die Anfangshandlung, die Zurückführung Israels in sein Land, ist nun einem fremden Fürsten, Kyros, als Gesalbten JHWH’s (Jes 45, 1), übertragen, der eigentliche Auftrag aber – und damit die Erfüllung der »neuen« Weissagung gegenüber der »ersten« –, die Aufrichtung der gerechten Israelsgemeinschaft als Mitte der befreiten Völkerwelt, fällt dem neuen Menschen aus Israel, dem »Knecht JHWH’s«, zu. Der Auftrag an ihn umfaßt zwei Funktionen, zwei Phasen, die auf verschiedene Personen, die aber nur Erscheinungsformen derselben Gestalt vorstellen, verteilt sind; das wird uns von einem zum andern der vier Lieder (42, 1-9; 49, 1-9a; 50, 4-9; 52, 13-53, 12) immer deutlicher, und so ist es wohl auch dem Propheten selber, von seinen Erfahrungen und Enttäuschungen aus, immer mehr zur Klarheit gediehen. Die erste Funktion, die bereitende, ist ein Leiden: der »Knecht« der Leidenszeit nimmt in seinem gegenwärtigen Leben der prophetischen Verborgenheit die Sündenlast der »Vielen« in der ganzen Völkerwelt auf sich,

67. Vgl. die Kapitel »Göttlicher und menschlicher König« und »Die theopolitische Stunde« in meinem Buch »Der Glaube der Propheten«.

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er, der Schuldfreie, entschuldet sie und ermöglicht dadurch den baldigen Durchbruch der Erlösung (wenn jenes masoretische »in seinen Toden« gelten darf, wie ich annehme, dann mögen schon frühere leidensreiche Propheten als Erscheinungsformen des Knechts angesehen werden). Die zweite Funktion, die messianische Erfüllung, ist einer anderen, offenbaren Erscheinung des »Knechts« vorbehalten; erst dann wird mit Israel die Völkerwelt erkennen, wie und durch wen die Bereitung geschah. (Wesentlich zum Verständnis ist, daß auch der zur Offenbarkeit Bestimmte im »Köcher« bleibt, bis er hervorgezogen wird, d. h. diese seine besondere, messianische Bestimmung vorher zwar ahnen kann, aber nicht zu wissen bekommt.) Beide Gestalten aber, von denen wir sprechen, die vorexilische des Königs und die exilische des prophetischen »Knechts«, haben das gemeinsam, daß der messianische Mensch hier ein aufsteigender und nicht ein niedersteigender ist. Er tritt aus der Menschenschar hervor und wird von Gott »erwählt« (Dt 17, 15; Jes 42, 1) – was freilich verschiedenes bedeuten kann: beim König den Beginn einer Erprobung, beim »Knecht« die Bestätigung. Der Auftrag, den er erhält, wird ihm irdisch erteilt, er wird nicht damit vom Himmel zur Erde entsendet. Auch für den prophetischen Menschen ist es ja die besondere Ueberlieferung, daß er seine Sendung in der Berufung erfährt, und wenn er sich auch bewußt ist, schon vor seiner Geburt von Gott »erkannt« und von ihm geweiht worden zu sein (Jer 1, 5), so wird er doch von keinem Gedanken an eine himmlische Präexistenz berührt; und Deuterojesaja denkt sich gewiß auch die endgültige, erfüllende Erscheinung des Gottesknechts nicht als eine vom Himmel zur Erde entsandte. Dies ändert sich mit der zweiten Volkskrise und Leidenszeit, der syrischen. Man neigt nun nicht mehr bloß dazu, an der rettenden Tat des Königtums, sondern an der des irdischen Menschen überhaupt zu verzweifeln. Die Erde kann nicht mehr von der Erde aus erlöst werden. Wie dort in dem wohl aus Flugschriften an die Exulanten entstandenen Buch des namenlosen Propheten, so äußert sich hier die Wandlung im Buche Daniel. Der »Menschengleiche«, der eschatologische Vertreter Israels, wird »mit den Wolken des Himmels« vor den Gottesthron gebracht. Dieses noch unbestimmte Bild gestaltet sich dann in dem Buche Henoch zu einer himmlischen Präexistenz des messianischen Menschen, wenn auch nur erst entwurfartig: seine Erwählung geschah schon vor der Weltschöpfung (48, 6), und seine Wohnung ist auf ewig »unter den Fittichen des Herrn der Geister« (39, 7). Nun aber wird auch der deuterojesajanische »Knecht« in seiner erfüllenden Erscheinungsform in ihn einbezogen: der »von Anbeginn verborgene« (62, 7) himmlische »Menschensohn« ist es, der, niedergestiegen, »das

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Licht der Völker« sein wird (48, 4). Damit wird der vom namenlosen Propheten als seine eigene Zukunft Geschaute, der Entrückte und Wiederkehrende, aus einem irdischen zu einem Himmelswesen; dennoch bleibt er im wesentlichen der aus irdischem Leben, etwa dem Henochs, ins himmlische Entrückte: der Präexistente erscheint so gleichsam als ein Gefäß, das den Menschen in sich aufnimmt. Nicht die Person, sondern die Gestalt ist präexistent 69 . Hier ist, in einer Fortbildung der deuterojesajanischen Konzeption, der Aufsteigende mit dem Niedersteigenden zu einer irdisch-himmlischen Lebenszweiheit verwoben. Diese findet Jesus in der Volksvorstellung vor 70, und so scheint er in einer persönlichen Krisis seine eigene Gegenwart und Zukunft zu fassen, Leidensdienst der Bereitung und Herrlichkeitsdienst der Erfüllung. Ist dem so, dann ist hier das von der Apokalyptik modifizierte Bild des »Knechts« 71 von neuem in die faktische Lebensgeschichte eines Menschen eingetreten und hat von hier aus, eben kraft des so gewonnenen biographischen Charakters, sich ausgewirkt, wie es sich ausgewirkt hat. Hier scheint mir, insbesondere durch Paulus, später insbesondere durch Johannes, das Werk der Vergottung angesetzt zu haben, das freilich jenen Namen des »Menschensohns« entweder, so Paulus, gänzlich fallen lassen mußte oder, so Johannes in den Spuren der Synoptiker, nur noch im Munde Jesu selber beibehalten konnte. Die erste Voraussetzung dieses Werkes oder dieses Prozesses war, daß die Entrückung, als mit einem reinmenschlichen Leben (ohne Präexistenz) assoziiert, völlig durch die analogielose Auferstehung ersetzt wurde; nur in der Himmelfahrt des Auferstandenen blieb ihre Spur erhalten. Daran schloß sich als zweite Voraussetzung die Präexistenz, und zwar zum Unterschied von der jüdischen Apokalyptik als deutliche Wesenheit und Person, so daß nunmehr der bisher in allen Phasen, wenn auch zuletzt mit andersartigen Zügen vermischt, beharrende Grundcharakter des Messias, als des aus der Menschheit Steigenden und Ermächtigten, durch einen essentiell anderen 68. Die neuerdings auch wieder von Sjöberg, Der Menschensohn im äthiopischen Henochbuch (1946), vorgenommene Trennung innerhalb der Ebed-Lieder ist unbegründet, wie ich in dem Kapitel »Das Mysterium« meines Buches »Der Glaube der Propheten« dargelegt habe. 69. Ich ziehe die Kapitel 70 und 71 des äthiopischen Henochbuches, in denen Henoch selbst zum »Menschensohn« wird, nicht heran, da ich mich der Anzweiflung ihrer Echtheit anschließen muß. Die im wesentlichen auf ihnen aufgebaute Auffassung Ottos, a. a. O. 164 ff., scheint auch mir wie Bultmann unhaltbar. 70. Ich meine damit aber nur eben dies und nicht, daß Jesus »in den Ideen der henochschen Tradition« gelebt hätte (Otto a. a. O. 176). 71. So wird die Gestalt in der Esra-Apokalypse 13, 32, 37, 52 und in der Baruch-Apokalypse 70, 9 (»meines Knechts, des Messias«) genannt.

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verdrängt wurde: ein Himmelswesen, das sich zur Welt herabsenkt, in ihr verweilt, sie verläßt, zum Himmel auffährt und nun die ihm von urher zukommende Weltherrschaft antritt. Nunmehr wird erklärt (Joh 3, 13): »Niemand stieg zum Himmel auf außer ihm, der vom Himmel herabkam, der Menschensohn.« Von hier zur Vergottung war nur ein letzter Schritt zu tun.

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Jenes Gespräch mit dem Reichen, dem Jesus rät, alles aufzugeben und ihm zu folgen, wird (Mk 10, 17 Parr.) mit der Frage eröffnet: »Guter Meister, was soll ich tun, daß ich das ewige Leben erwerbe?«, und die Antwort beginnt mit den Worten: »Was nennst du mich gut! Niemand ist gut als Gott allein.« Darauf folgt: »Du kennst die Gebote …« Will man den Zusammenhang wahren, so darf man »gut« weder von sittlicher Vollkommenheit noch von Güte verstehen; dann würde Jesus der Erwiderung einen Verweis vorausschicken, der mit ihr ganz unverknüpft wäre. Anders, wenn der Anredende »gut« im Sinn von »trefflich, vortrefflich« gebraucht, also sagen will, er wende sich mit seiner großen Frage an einen, der, der Höhe seines Lehrertums nach, berufen ist, sie zulänglich zu beantworten. Eben dies weist Jesus ab. Wie in allen Dingen, so auch in diesem ist Gott allein »gut«, er allein ist der gute Meister, er allein gibt die rechte Antwort auf die Frage nach dem ewigen Leben. Und er hat sie, eben in den Geboten seiner »Lehre«, der Thora, gegeben, von denen Jesus einige nun anführt. Erst da der Fragende vorbringt, all das habe er von Jugend auf gehütet, sieht Jesus ihn liebreich an und fügt hinzu: »Eines fehlt dir«, womit er nur jenem das Gefühl bestätigt, das ihn hergeführt hat und dessen implizite Aeußerung die Liebe Jesu erregte. Und nun läßt er den ganz persönlichen Rat folgen: So gib denn alles auf, das dich festhält (der »Schatz im Himmel« ist eine unbetonte Parenthese im Sinn der geläufigen Vergeltungsdoktrin, die Jesus nicht in Zweifel ziehen will, die für ihn aber noch nicht das Entscheidende sagt), und folge mir 72. Das ist keine die göttliche zu ergänzen bestimmte Belehrung: es gibt keine solche, man braucht die Gebote Gottes nur in ihrer Urabsicht zu fassen, und was es damit auf sich hat, erfährst du zulänglich, wenn du mit mir gehst. Gott lehrt seine Lehre für alle, aber er offenbart auch erwählten Menschen un72. Matthäus verwischt den Sinn mit seinem »Willst du vollkommen sein«, das diesen Begriff von 5, 48 hierher übernimmt, wohin er nicht paßt: dem Mann ist es ja nicht um Vollkommenheit, sondern um das ewige Leben zu tun.

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mittelbar seinen Weg; wer ihn offenbart bekam und ihn geht, überträgt damit die Lehre ins persönlich Konkrete und lehrt eben damit auf die rechte Menschenweise »den Weg Gottes« (Mk 12, 14). So weiß Jesus sich als ein taugliches Lehrmittel für den Lehrwillen des guten Meisters, er selber aber will nicht gut genannt werden: niemand ist gut als Gott allein. Keine theologische Interpretation vermag die Unmittelbarkeit dieser Aussage abzuschwächen. Sie setzt nicht bloß die große Linie der alttestamentlichen Kunde von der Nichtmenschlichkeit Gottes und der Nichtgöttlichkeit des Menschen auf eine besondre, durch den persönlichen Ausgangs- und Bezugspunkt ausgezeichnete Art fort: sie stellt auch den Vergottungstendenzen der nachaugusteischen Oekumene, ihrem Durst nach Gottwerden und Gottmachen, die Tatsache des Menschbleibens entgegen. Die Geschichtstiefe des Moments, in dem das Wort gesprochen wurde, ist von der Vergottung aus zu erfassen, die seinen Sprecher nach dem Tode erwartete. Es ist, als wehrte er diese ab: als wehrte er um der Glaubensunmittelbarkeit zu Gott willen, in der er steht und zu der er den Menschen verhelfen will, den Glauben an ihn selber ab. Es geht hier recht eigentlich um die Emuna. Welcher Weg konnte von diesem – trotz der ihm entgegenstehenden Christologie bewahrten und daher in seiner Echtheit kaum anzuzweifelnden – Spruche Jesu zu seiner Apotheose führen? »Die Sohnschaft Gottes«, schreibt Usener in seinem unveralteten Buch »Das Weihnachtsfest« (1888), »war gegeben, und unaufhaltsam mußte der Glaube dazu gedrängt werden, die Vorstellung der Göttlichkeit auszugestalten.« Unter der »Gegebenheit« der Sohnschaft ist hier zu verstehen, daß in der ältesten Tradition von Jesu Taufe im Jordan die Himmelsstimme ihn zum Sohne Gottes erwählte und erhob. Man hat seither angenommen, ursprünglich sei die Auferstehung als Zeitpunkt dieser Einsetzung angesehen worden und erst später die Taufe 73 . Ist dem so, dann kann der Taufbericht, den Markus als den von Jesu »göttlicher Geburt« 74 an den Anfang seiner Erzählung vom Messias stellt, wohl auf keine persönliche Mitteilung Jesu über seine persönliche Erfahrung in der Taufe zurückgehen, und es gibt von seinem Selbstverständnis zum Vergottungsprozeß keinen Uebergang. Anders verhält es sich, wenn – was mir nach wie vor zutreffend erscheint – die Tauftradition in ihrem Kern echt ist 75 und daß die-

73. Vgl. die zusammenfassende Darstellung von M. Dibelius in Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl. I 1559. 74. Usener, Das Weihnachtsfest2 (1911) 49. 75. Vgl. Windisch, Jesus und der Geist nach synoptischer Ueberlieferung (in Studies in Early Christianity 1928) 223: »Die Stilisierung der Erzählung ist mythisch, und die

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sem Kern eine Aeußerung Jesu zugrunde liegt . In den synoptischen Evangelien ist uns eine solche Aeußerung nicht erhalten worden, vielleicht des Abstands zwischen ihr und dem rezipierten Bericht wegen. Aber es scheint mir, daß die Spur einer solchen Aeußerung sich an einer Stelle erhalten hat, an der man sie kaum sucht. Sie ist auch für unser Anliegen von Wichtigkeit. Zu den noch nicht hinreichend erforschten Enklaven echter Tradition im Johannesevangelium, die erst bei Rückübersetzung ins Aramäische oder Hebräische ihren Charakter kundtun, scheint mir der Anfang der Nikodemus-Perikope (3, 1-8) zu gehören, freilich in einer kürzeren Fassung, die aus der uns vorliegenden annähernd zu erschließen ist. Ein Pharisäer und Ratsherr, Nikodemus, den einzelne Exegeten77 mit dem Reichen identifizieren möchten, der nach dem Zugang zum ewigen Leben sucht, kommt nachts – nicht wohl heimlich, aber in der Atmosphäre des Geheimnisses – zu Jesus. Er redet zu ihm »von der sicheren Basis des Schriftgelehrten aus (›wir wissen‹ V. 2) und erkennt ihn als gleichberechtigt an (Anrede ›Rabbi‹), als durch Gott als Lehrer legitimiert« 78 . Die Zeichen, sagt er, die Jesus tut, erweisen, daß er »von Gott gekommen« und »Gott bei ihm« sei. Diese Worte sind »der Form nach eine einfache Anrede, der Sache nach eine Frage« 79 , auf die Jesus denn auch »antwortet« (V. 3). Wonach fragt Nikodemus? Bultmann meint, man dürfe die Frage nicht »spezialisieren«; mir scheint, man wird vom Text genötigt, das zu tun, nur muß man darauf achten, nichts in ihn hineinzulesen. Der Anredende stellt Jesu Ermächtigtsein von oben in seinem Wort (V. 2a) und seinem Werk (V. 2b) fest und schweigt dann. Sein Schweigen spricht seine Frage aus: er versteht dieses Ermächtigtsein nicht. Schweigend fragt er: Wie geht das zu? woher hast du das? womit hast du es dir erworben? Jesus, nach sich selber befragt, gibt über sich selber Auskunft, so aber, daß gerade durch sie der Fragende erfährt, daß es auf eine solche Frage, dem Wesen ihres Gegenstands nach, keine Auskunft geben kann. Zugleich jedoch hat der Fragende dann Auskunft über etwas erhalten, wonach er nicht hatte fragen wollen oder jedenfalls jetzt nicht, und was ihm zu wissen not tut.

76. 77. 78. 79.

Interpretation ist von der alttestamentlichen Figur des geistgesalbten Gottesknechts bestimmt. Aber ein historischer Kern ist sehr wahrscheinlich.« Vgl. u. a. Burkitt, The Baptism of Jesus, Expository Times 38 (1926) 201. Bacon, The Fourth Gospel in Research and Debate (1910) 382; vgl. Ders., The Gospel of the Hellenists (1933) 413. Bultmann in einer schriftlichen Mitteilung an mich (lange vor der Veröffentlichung seines Johanneskommentars). Bultmann, Das Johannesevangelium 94.

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Wie geschieht es, daß einer, wie Nikodemus es ausdrückt, »von Gott komme«, ohne sich darum gemüht zu haben? Jesus antwortet (V. 3): Das besondere, von Gott ermächtigte Lehren und Handeln, wovon du redest, stammt daher, daß einer die Königschaft Gottes, die genahte, schaut; sie schauen aber kann er nur, wenn er erst – hier wird der Text doppeldeutig 80 : »von oben erzeugt« oder »von neuem geboren« worden ist. »Königschaft Gottes«, bei den Synoptikern der Anfang der Predigt Jesu, kommt bei Johannes nur in diesem, von ihm übernommenen Abschnitt vor. Wer jetzt, sagt Jesus, in der Stunde ihrer größten Erdennähe, die Königschaft Gottes schaut und kündet – denn sie künden ist meine Lehre, von der du sprichst –, er ist es, der von Gott kommt. Dazu aber mußte er erst »von oben gezeugt« werden. Jesus gibt nun auf eine mehr dialektisch als naiv klingende Zwischenfrage (ursprünglich nur V. 4 a) die tiefer und genauer in das von ihm Gemeinte führende Auskunft: die Gottesherrschaft schauen und in sie eingehen – zwei Phasen desselben Vorgangs – kann nur, wer aus Wasser und Geist erzeugt worden ist. »Wasser und Geist« weisen in jüdischer Sinnwelt (wie schon Clemens von Alexandrien an dieser Stelle verspürt hat) auf die Situation der Weltschöpfung hin: der Machthauch von oben sich der erweckten Potentialität der Kreatur einwehend und sie ins Dasein ziehend 81 . Das Schaffen Gottes aber wurde in der Sprache des hellenistischen Judentums – wie wir aus mehreren charakteristischen Stellen bei Philo wissen – ein Zeugen genannt, wobei frühisraelitischer, nordsyrischem verwandter, Wortgebrauch nachzuwirken scheint 82 ; auch Adam galt als von Gott »gezeugt«, wie außer Philo der Schluß der lukanischen Josef-Genealogie (Lk 3, 38) denkwürdig beweist. 80. Vgl. Goguel, Trois études 105; Cullmann, Der johanneische Gebrauch doppeldeutiger Ausdrücke, Theologische Zeitschrift IV (1948) 364 f. Die Doppeldeutigkeit von ˝nwjen ist hier m. E. erst durch die Uebertragung entstanden und nunmehr zur Hinzufügung von V. 4b (4a halte ich für ursprünglich) ausgenützt worden. Im Original hieß es eindeutig »von oben«. 81. Der Versuch von Odeberg, The Fourth Gospel I (1929) 51 ff., die schon aus dem Buche Henoch bekannte Vorstellung einer Paarung der oberen mit den unteren Wassern in der Schöpfung zur Erklärung der Stelle heranzuziehen, läßt unbeachtet, daß der Geist zu Anfang der Schöpfungsgeschichte über den oberen Wassern (die von den unteren noch ungeschieden sind) schwebt. Die aggadische Auffassung des Geistes als zwischen den oberen und den unteren Wassern schwebend läßt sich vom Schrifttext aus nicht rechtfertigen; überdies aber gehört sie einer anderen Vorstellungsgruppe an als jene von der Paarung der Wasser. 82. Das Verb qana, das hebräisch ursprünglich die Bedeutung des elterlichen Hervorbringens gehabt zu haben scheint, wird in den Ras-Schamra-Epen für die Göttermutter als »Hervorbringerin der Götter« verwendet.

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So darf angenommen werden, daß in der ältesten Ueberlieferung des Gesprächs 83 Jesus von einem Neugeschaffenwerden des Menschen aus Wasser und Geist redete (das Bild des Wassers, das im Folgenden entschwindet, ist zwar der erinnerten Erfahrung entnommen, haftet aber nicht an ihr, sondern weist auf die der Wirkung des schöpferischen Geistes ausgesetzte Kreatürlichkeit hin) und in der Uebertragung die Neuzeugung an dessen Stelle trat; als Neugeburt wurde diese wohl erst gedeutet, als die zweite Hälfte der Zwischenfrage und der den Zusammenhang störende und den Sinn verschiebende V. 7 84 hinzukamen. Es ist zu bedenken, daß einerseits weder die Synoptiker noch Paulus eine Wiedergeburt, anderseits aber Paulus eine Wiederschöpfung kennt, die er (II Kor 5, 17; Gal 6, 15), freilich nur von Christen, nicht von Christus sprechend, mit eben dem Wort »neue Schöpfung« bezeichnet, das schon frührabbinischem Denken für das den Menschen mitten im Leben umschaffende Werk Gottes geläufig war: so z. B. wird Abraham (Midr. Tanchuma zu Gen 12, 1) in der Stunde der Herausholung aus der Heimat (späterer Auffassung nach [Midr. Genesis rabba XXXIX 4-5] in der Stunde der »Samen«-Verheißung, als Begabung mit neuer Zeugungskraft) zu einer »neuen Kreatur« »gemacht« oder »geschaffen«; der erste Antrieb zu dieser Konzeption mag von der Erzählung vom ersten gesalbten König herrühren, der nach der Salbung, als der Geist JHWH’s über ihn gerät, »in einen anderen Mann verwandelt wird«, weil Gott ihm »ein anderes Herz einwandelt« (I Sam 10, 6, 9). Auf eine Salbung führt ja auch der deuterojesajanische Gottesknecht 85 (Jes 61, 1) die Gegenwart des Geistes Gottes »bei ihm« zurück, welche Stelle wieder Jesus bei Lukas (4, 18), als durch die Tauferfahrung an ihm erfüllt, in der Synagoge von Nazareth verliest. Daß in der Uebertragung des Nikodemusgesprächs ins Griechische an Stelle der Neuschöpfung die Neuzeugung tritt, erklärt sich auch schon aus dem gewaltigen Einfluß, den der göttliche Taufspruch in der ursprünglichen lukanischen Fassung, der den Sohn mit der Adoptivformel von Ps 2, 7 »Heute habe ich dich gezeugt« anredet, auf das urchristliche Denken ausgeübt hat 86 . Jener spätmessianologischen Lehre gemäß steigt der mes83. Das Logion bei Justin, Apol. I 61, 4 »Wenn ihr nicht wiedergeboren werdet, geht ihr nicht in das Königtum Gottes ein«, das mir der früheren Fassung des NikodemusGesprächs entnommen zu sein scheint (vgl. Merx, Die vier kanonischen Evangelien II 2, 1911, 54), spricht nicht dagegen. Stellen wie I Joh 3, 19; I Pt 1, 23 gehören einer späteren, die »Zeugung« stärker versinnlichenden Entwicklung an. 84. Vgl. Loisy, Le quatrième évangile2 (1921) 160. 85. Ich schreibe Jes 61, 1 f. Deuterojesaja selbst zu; das Folgende ist eine spätere Ausgestaltung, die die (ebenso wie 42, 6 f. und 49, 6) universalistische Konzeption ins Partikularistische umbiegt. 86. Vgl. Usener, Das Weihnachtsfest 40 ff.

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sianische Mensch, mitten im Leben von Gott zu seinem Sohn erhoben, aus der Menschheit zu himmlischer Existenz und Sendung auf. Daß nun Jesus, im Anschluß an den vorhergehenden Satz, sagt, was vom Fleische her entstehe, sei Fleisch, was aber vom Geiste her entstehe, sei Geist, hat ursprünglich einen ganz anderen Sinn, als einen vorwitzigen Zwischenfrager zu belehren, daß man die geistige Geburt nicht von der Vorstellung der leiblichen aus verstehen dürfe. Unmittelbar davor war dargelegt worden: am Menschen, der personhaft in die Erneuerung eingetreten ist, vollziehe sich neu der nie endende Schöpfungsvorgang, wieder schwebe der Geist Gottes über den Wassern des Werdens, aber in einem neuen, gleichsam geistigen Werk: die menschliche Wesenheit, in der der bildnerische Anhauch von oben und die chaotische Flut von unten einander begegnen, wird durch die Wirkung des Geistes umgeschaffen. Nun aber wird über diesen Menschen ausgesagt, daß er, dieser »andere Mann«, als vom Geist her entstanden Geist sei; was selbstverständlich nicht bedeutet, daß er nunmehr »nur« Geist sei und nicht Fleisch, sondern der Geist hat sich ihm solcherweise eingeweht, daß eine Wesensart des Geistes sein eigen geworden ist. Und wieder bedarf dies einer Erklärung, die folgen muß. Was folgt, ist jenes Geist-Wind-Gleichnis, an dem die abendländischen Uebersetzer sich abgemüht haben, bis schließlich für dasselbe Wort pneuma im selben Satz einmal Wind und einmal Geist gesetzt wurde 87 ; von der Psychologie der Leserschaft des griechischen Textes aus betrachtet ein Widersinn. »Gleichnis«, sagte ich, aber es ist eben doch kein Gleichnis 88 : es wird nicht von zweien geredet, von denen eins dem anderen verglichen würde, sondern von einem allein, der Ruach, dem Pneuma, dem Spiritus, dem göttlichen Odem, der, in gläubiger Sinnlichkeit von urher so erfahren, den bewegenden und belebenden »Wind« dem Kosmos zubläst und den bewegenden und belebenden »Geist« dem Menschensinn inspiriert 89 . Dieses Eine von oben, das nicht als zwei mißkannt werden will, erscheint am Anfang der Schöpfungsgeschichte über den oberen Wassern und hier zur Neuschöpfung des berufenen Menschen über dem Taufwasser des Jordans 90 . Sie, die Ruach Gottes, ist es, die je und je, von ihm entsandt, die Menschen wiedererschafft und das Antlitz der Erde erneuert (Ps 104, 30). Von ihr heißt es nun – in Luthers 87. Vgl. Buber und Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung 160 ff., 280 f. 88. Zum Unterschied von Pre 11, 5, als dessen Umbildung der Spruch angesehen werden mag. 89. Vgl. a. a. O. 88 ff., 60 ff.; K. L. Schmidt, Das Pneuma Hagion, Eranos Jahrbuch 1945, 194 ff., sowie Kerényi, Die Geburt der Helena (1945) 32 ff. 90. Vgl. Loisy, Etudes évangéliques (1902) 199 ff.

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Uebersetzung: Der Wind bläset (früher wie bei Meister Eckhart: Der Geist geistet), aber im griechischen Text: to pneuma … pnei, welche Wurzeleinheit von Nomen und Verb offenbar nichts Zufälliges ist. Ist aber diese Wurzeleinheit ursprünglich? Es soll auf die Situation der Schöpfung hingedeutet werden; aber in der Schöpfungsgeschichte heißt es von der Ruach Gottes nicht, sie wehe, sondern sie schwebe; das Bild ist wohl eher (vgl. Dt 32, 11) das eines Vogels, der, die Schwingen gebreitet, mit vor mächtigem Antrieb vibrierenden Flügelenden über seinen Nestlingen schwebt, als das von manchen alten Versionen und Kommentaren angenommene des brütenden Vogelweibchens. Auch hier hat die Uebertragung oder Bearbeitung den Sinn verschoben. Wenn angenommen werden darf (was ich für wahrscheinlich halte), daß Jesus Gespräche mit Schriftgelehrten in hebräischer Sprache führte, hat der Grieche das – wie die meisten Alliterationen und Assonanzen im Alten Testament – absichtsvolle Lautgebild ruach-merachefet, das er nicht wiedergeben konnte, übersteigert. Das Pneuma ist, dem Taufbericht nach, »gleich einer Taube« (Mk 1, 10 Parr.) herangeflogen, wie der babylonische Talmud (Chagiga 15) es im Anfang der Weltschöpfung »gleich einer Taube« über den Wassern schweben läßt; man hört das Rauschen seiner Flügel 91 , aber man weiß nicht, woher es gekommen ist und wohin es gehen wird. So ist es, dürfen wir verstehen, Jesus selber widerfahren. Aber wir kennen ja schon aus der Geschichte Elias (I Kö 18, 12) das Motiv, daß die Ruach den Propheten hinträgt, »ich weiß nicht wohin«, und er unauffindbar wird, womit wieder zusammenzuhalten ist, daß Jesus nach der Taufe vom Geiste in die Wüste getrieben wird. Der Satz »du weißt nicht …« schlägt die Brücke zur nun folgenden direkten Antwort auf Nikodemus’ schweigende Frage: »Ebenso ist jeder, der durch den Geist gezeugt ist.« Was vom Geiste selber gilt, gilt auch von dem durch ihn Erneuten: man kann nicht wissen, woher er kommt und wohin er geht 92 . »Wie geschieht das«, hatte Nikodemus gefragt, »daß du von Gott kommst, ohne unsern Weg gegangen zu sein?« »Den Weg des von der Ruach Umgeschaffenen«, antwortet Jesus, »kannst du dem Wesen dieses Wegs nach nicht kennen; denn es ist der Weg der Ruach selber.« So, als Aussage Jesu über seine pneumatische Unerforschlichkeit, hat 91. Vgl. Ez 1, 24a Septuaginta; Apk 9, 9a. Vom Sausen des Windes wird ywnffi in der biblischen Gräzität nicht gebraucht (Ps 29, 5, 8 Sept ist kein Gegenbeweis: hier ist von der Stimme JHWH’s die Rede, die sich im Sturm manifestiert). Die Vulgata versteht: Stimme (et vocem ejus audis), was auf die Audition Jesu in der Taufe hinzuweisen scheint; aber – zum Unterschied von dem apokryphen Nazaräerevangelium – in den synoptischen Taufberichten ist es Gott und nicht der Geist, dessen Stimme gehört wird. 92. Vgl. Overbeck, Das Johannesevangelium (1911) 397.

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der Verfasser des Johannesevangeliums, als das Nikodemusgespräch noch nicht die letzte Bearbeitung erfahren hatte, die Sätze verstanden. Denn unter deutlicher Bezugnahme darauf und in der gleichen Sprache läßt er in seinem Bericht der Hüttenfest-Wallfahrt (8, 14), unmittelbar nachdem (7, 50 f.) Nikodemus, »der vordem zu ihm gekommen war«, sich für ihn eingesetzt hat, Jesus zu den Pharisäern sagen: »Ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wißt nicht, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe.« Nikodemus hatte gesagt: »Wir wissen …« Jesus erwidert hier: »Ihr wißt nicht.« Eingeschlossen ist: Ihr könnt nicht wissen 93 . Schlatter hat den Satz von Fleisch und Geist richtig verstanden, wenn er sagt 94 : »Das Erzeugte besitzt das, was der Erzeuger ist. Er überträgt seine Art auf das von ihm Gemachte.« Aber es ist unrichtig, wenn er daraus, daß es zwei zeugende Faktoren gibt, Fleisch und Geist, folgert: »Darum gibt es auch zwei Arten von Leben, zwei Klassen von Menschen.« Auf die paulinische Lehre (I Kor 2, 14 f.) von den zwei Menschenklassen, den Psychikern und den Pneumatikern, führt die ursprüngliche Aussage nicht. Jesus will mit dem, was er von sich sagt, dem nächtlichen Besucher den Zugang zum Himmel nicht versperren, sondern öffnen. Nikodemus hat ja doch, als er nach dem Weg Jesu fragte, letztlich die Aussicht gemeint, so den eigenen zu finden, wie Mk 10, 17 offen gefragt wird: »Guter Meister, was soll ich tun, daß ich das ewige Leben erwerbe?« Und Jesus antwortet letztlich auch hier: »Folge mir.« Auch hier wird von der persönlichen Erfahrung des großen Vertrauens oder Glaubens aus das große Vertrauen, der große Glaube gelehrt: laß dich vom Geiste Gottes finden und du wirst dich ihm überlassen dürfen. Und so redet denn Jesus auch hier lediglich als Glaubender und nicht als möglicher Gegenstand eines Glaubens; dort und hier lehnt er es, dort explicite, hier implicite, streng ab, daß man ihn zum Gegenstand eines Glaubens mache. Hier sagt er, von seiner Glaubenserfahrung aus, was es heiße, ein Sohn Gottes werden: von ihm neuerschaffen, von ihm »gezeugt« werden, wie er es erfahren hat. Aber diese persönliche Erfahrung spricht er als eine dem Menschen überhaupt erschlossene aus: »wenn einer nicht …« (V. 3) und wieder »wenn einer nicht …« (V. 5) und dann aufs deutlichste und eindringlichste (V. 8): »Ebenso ist jeder, der durch den Geist gezeugt ist.« Diese Lehre, die die Linie der alttestamentlichen Lehre von der den wahren Söhnen Israels verheißenen Gottessohnschaft 93. Vgl. Bernard, A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel according to St. John (1928) I 107. 94. Der Evangelist Johannes (1930) 89.

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(Hos 2, 1) fortführt, hat der Verfasser des Prologs, der (Joh 1, 13) an Stelle der Zeugung durch den Geist die Zeugung durch Gott selber setzt, in seine theologische Sprache und Welt so übertragen (V. 12): »So viele aber ihn aufgenommen haben, denen hat er Befugnis verliehen, Kinder Gottes zu werden.« Und diese Kundgebung geht alsbald (V. 14) in die dogmatische Verkündigung der Herrlichkeit des fleischgewordenen Logos über »als des Einzigerzeugten vom Vater«. Schließlich wird die Einzigerzeugtheit auch dem synoptischen Jesus in den Mund gelegt, in jener seltsamen »alten Interpolation« 95 (Mt 11, 27), die nun zwischen einem Gebet und einem Zuruf, beide jedenfalls seines Geistes, dasteht, beiden unverknüpft und beiden nach Stil und Gehalt fremd. In den Worten »und niemand erkennt den Vater außer dem Sohn und wem der Sohn es offenbaren mag« ist die Sohnschaft ins äußerste singularisiert. »Liebet eure Feinde«, hieß es einst, »damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet.« Der Eingang war allen offen: nichts war gefordert als die Liebe. Jetzt läßt man Jesus sagen: »Ich bin die Tür« (Joh 10, 9) und »Ich bin der Weg« (14, 6); die einzige Tür, der einzige Weg: »niemand kommt zum Vater außer durch mich«. Man hat 96 den bekanntlich schon fast wörtlich im Sonnenhymnus Amenophis IV. zu findenden Satz »Und niemand erkennt den Vater außer dem Sohn« ein »majestätisches Selbstzeugnis« genannt. Gewiß, das ist es. Aber wo wir Jesus selber von der Sohnschaft haben sprechen hören, war Größeres als diese Majestät.

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Mit dem Bericht von der Taufe im Jordan beginnt die Geschichte Jesu bei Markus; sie endet bei Johannes ursprünglich, als mit dem »Ziel- und Schlußpunkt«97 , mit dem Bericht von der Ueberwindung des Zweifels Thomas’ an der leiblichen Wirklichkeit des Auferstandenen. Wenn ich nicht die Finger in seine Wundmale lege, sagt er (Joh 20, 25), »glaube ich nun und nimmermehr«. Er will das Mal der Nägel auch sehen, aber daran darf es nicht genug sein, zu sehen vermag man auch Gespenster; damit er glaube, daß dies Jesus selber und kein Gespenst ist, muß er tasten können, ja muß mit seiner Hand die Wunden und so die Person agnoszieren. Da aber Jesus erscheint und ihn die Finger in seine Wund95. Wellhausen, Das Evangelium Matthäi 57; vgl. auch Arvedson, Das Mysterium Christi (1937) 110 f. 96. Bousset, Kyrios Christos 62. 97. Deißmann, Licht vom Osten4 (1923) 309.

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male legen heißt, hat Thomas am Sehen genug. Er ruft den Auferstandenen an: »Mein Herr und mein Gott!« So haben sich in johanneischer Zeit Cäsaren nennen lassen98 ; aber Thomas bricht nicht geheißen in den Ruf aus. Auch nicht der Anblick jedoch, sondern die Anrede nötigt ihn ihm ab: so redet kein Gespenst einen an. Der Zweifler glaubt nun. Aber er glaubt nicht daran allein, daß Jesus auferstanden ist; er glaubt auch, daß er »sein Gott« ist. Glauben das auch die andern Apostel? Sie haben bislang nichts geäußert, was so zu verstehen wäre. Thomas aber glaubt und tut seinen Glauben kund: Jesus, den er als auferstanden anerkennt, ist sein Gott. Wir erfahren nicht, was ihn veranlaßt hat, das zu glauben, und erhalten keine Andeutung darüber. Es bleibt nichts übrig als uns erneut zu vergegenwärtigen, daß die Auferstehung eines einzelnen Menschen nicht zum Vorstellungskreis jüdischer Glaubenswelt gehört. Wenn ein Einzelner als Einzelner auferstanden ist, besteht eine Tatsache, die in dieser Glaubenswelt keinen Raum findet. Thomas denkt nicht daran, deren Vorstellungskreis zu erweitern. Daß er, wie wir ihn in der Art seines Zweifels kennengelernt haben, das nicht vermag, ist zu verstehn. Was er blitzartig denkt, ist anscheinend: da kein Mensch einzeln auferstehen kann, ist dieser da kein Mensch, sondern ein Gott; und da er für ihn der Mensch, sein Mensch gewesen war, ist er nun sein Gott. Aber damit bricht für den Thomas der Erzählung die jüdische Glaubenswelt, die keinen Gott außer Gott kennt, mit einemmal zusammen. Unter allen Jüngern Jesu ist er der erste Christ im Sinn des christlichen Dogmas. Es ist nicht anders: so mußte für den Evangelisten, für den sich alles, sein ganzer himmelragender Theologiebau, auf den Grundfesten des »Glaubens« erhob, daß dies ist und daß es so ist, der erste Christ aussehn: einer, der dem Glauben, daß es »so etwas« gibt, so lange ausweicht, als es irgend angeht, und als es nicht mehr angeht, seine Welt von sich wirft und den Toten und Lebendigen, der zu ihm gesprochen hat, anbetet. Damit ist die Präsenz des Einen Bildlosen, das Paradox der Emuna, durch das binitarische Gottesbild ersetzt, dessen eine, dem Menschen zugekehrte Seite ihm ein Menschengesicht zeigt. So und nicht anders mußte von den johanneischen Voraussetzungen aus das binitarische Gottesbild aufgerichtet werden. Es bedarf nun noch des objektiven Ausdrucks dieses Glaubens in einem Glaubenssatz. Er entsteht in demselben Menschenkreis, aus dem das vierte Evangelium hervorging, und stammt wohl von dessen Verfasser. Am Ende des ersten Johannesbriefes heißt es von Jesus Christus: »Dieser ist der wahrhafte Gott und das ewige Leben.« Der bestimmte Artikel vor »wahrhafte Gott« soll offenbar ausdrücken, daß hier kein neues Gottes98. Deißmann a. a. O. 310.

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bild errichtet, sondern das alte, bisher zum Teil verdeckte, in seiner Ganzheit offenbart worden sei: bisher sei nämlich das ewige Leben »beim Vater« gewesen, nun aber sei es »uns erschienen« (I Joh 1, 2), jedoch nicht als etwas zum wahrhaften Gott Hinzukommendes, sondern als er selber. Ebendies äußert, mit anderem Ausdruck, der erste Vers des Evangeliumsprologs, der den Beginn der Schöpfungsgeschichte von neuem, als nun erst in seinem Sinn enthüllt, sagen will: hier ist es der Logos, der »bei Gott« war, schon »im Anfang«, und doch »war der Logos Gott«. Das Schöpferwort, das Gott, sich darin offenbarend, spricht, ist selber er. Man könnte dies als eine Mischung jüdischer und außerjüdischer Hypostasenspekulation erklären und dabei stehenbleiben, wenn das »Wort«, das »ewige Leben« uns nicht eben jenes Menschengesicht zeigte, das Gesicht des Auferstandenen, der Thomas auffordert, ihm die Hand in die Seitenwunde zu legen. Für den »Christen«, den es nunmehr gibt, hat Gott dieses Gesicht; außer diesem Gesicht ist er, was er für den Juden war und ist, gesichtslos. Der anthropomorphen Vorstellungen gab es auch in jüdischer Glaubenswelt übergenug, aber sie waren eine Sache der Menschen. Die Menschen sahen Erscheinungen Gottes und malten sie aus, die Menschen waren verschieden und die Erscheinungen waren verschieden, die Menschen vergingen und die Erscheinungen vergingen, und Gott blieb in all seinen Erscheinungen unerschienen. Nun aber, in der christlichen Existenz, inhärierte jenes Gesicht, unwandelbar trotz aller Phantasie, die sich daran versuchte, der göttlichen Wesenheit. Der Christ konnte nicht umhin, es zu sehen, wenn er sich an Gott wandte. Wenn er betete, redete er zumeist es an, unausgesprochen oder ausgesprochen. Schon Stephanus übergibt sterbend (Ag 7, 59) seinen Geist nicht Gott, wie der sterbende Jesus tut (Lk 23, 46, vgl. Ps 31, 6), sondern dem »Herrn Jesus«. Das Werk der Vergottung war ein Prozeß gewesen, Nötigung, nicht Willkür. So allein entstehen ja neue Gottesbilder, je und je. Aber hier war etwas, was je und je nicht gewesen war. »Israel« bedeutet glaubensgeschichtlich zuinnerst die Unmittelbarkeit zum unwahrnehmbaren Wesen. Gott gibt sich immer wieder, in Phänomenen der Natur und der Geschichte, zu sehen und bleibt unsichtbar. Daß er sich offenbart und daß er »sich verbirgt« (Jes 45, 15), gehört unschiedlich zusammen; ohne seine Verbergung wäre seine Offenbarung nicht wirklich und in der Zeit. Darum ist er bildlos; Bild ist Festlegung auf eine Offenbarkeit, es will Gott verwehren, sich zu verbergen, er soll nicht mehr jeweils dasein dürfen als der er eben dann da ist (Ex 3, 14), nicht mehr erscheinen dürfen, wie er erscheinen will; weil Bild das ist und das will, »sollst du dir kein Bild machen«. Zu ihm aber, dem immer nur personhaft Daseienden, nie zur Gestalt Werdenden, eben zu ihm verhält sich der Mensch aus Israel aus-

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schließlich-unmittelbar. Der Mensch »hegt ihn sich stets gegenüber« (Ps 16, 8), er weiß sich »stets bei ihm« (73, 23). Das ist etwas ganz anderes, als was man unter Monotheismus zu verstehen pflegt. Man meint mit dieser Bezeichnung gewöhnlich das Stück einer Weltanschauung, ihr oberstes Stück; die ausschließliche Unmittelbarkeit aber ist keine Weltanschauung, sondern die Urrealität einer Lebensbeziehung. Gewiß, dieser israelitische Mensch erkennt seinen Gott in allen Mächten und Geheimnissen wieder, aber nicht als Gegenstand unter Gegenständen, sondern als das ausschließliche Du des Gebets und der Devotion. Auch wenn Israel bekennt (Dt 6, 4), JHWH sei sein Gott, JHWH der Eine, meint es damit nicht, daß es nicht mehr als einen Gott gibt, das braucht man ja gar nicht zu bekennen, sondern daß »sein« Gott der Eine ist, zu dem es sich in so ausschließlich-unmittelbarer Emuna, solcher Liebe des ganzen Herzens, des ganzen Lebensgeistes und der ganzen Wesensmacht (V. 5) verhält, wie man sich eben nur zum Bildlosen, das heißt auf keine Erscheinungsform Eingeschränkten, verhalten kann. In der Schrift wird dies »ganz mit Gott sein« genannt. Diese Glaubens- und Lebenswirklichkeit ist es, der der Christ – nicht bekenntnismäßig, aber faktisch – entgegentritt, indem er in seiner eignen Glaubens- und Lebenswirklichkeit Gott ein bestimmtes Gesicht, jenes Menschengesicht, wohl nicht verleiht, aber zuteilt als das Gesicht des »großen Gottheilands« (Titus 2, 13), des »anderen Gottes« (Justin), des »leidenden Gottes« (Tatian), des Gottes, der seine Gemeinde »durch sein eigenes Blut sich erworben hat« (Ag 20, 28). Zugleich bildlos und bildhaft ist der Gott des Christen, jedoch bildlos mehr in der religiösen Idee, bildhaft mehr in der gelebten Gegenwart. Das Bild verdeckt den Bildlosen. Damit ist freilich eine neue, andere Art der Unmittelbarkeit erworben. Sie ist der zu einem geliebten Menschen zu vergleichen, der eben diese und keine andere Gestalt hat und den man eben als diese Gestalt erwählt hat. Das ist ein Du, das, bestimmt wie es ist, einem gleichsam zugehört. Daraus wächst eine Konkretheit der Beziehung, die nach der sakramentalen Einverleibung des Du verlangt, aber persönlich weitergehen kann, bis zur Einselbstung, zum Selbsttragen dieser Leiden, zum Selbstempfangen dieser Wunden und Wundmale – und zur Menschenliebe »von ihm aus«. Der Zweifler Thomas, der auf das Tasten verzichtet, die Endfigur der Geschichte Jesu, steht am Eingang des Christuswegs, in dessen spätern Stadien wir Personen wie Franz von Assisi finden. Welch ein großes lebendes Paradox ist doch all dies mitsammen! Nur eben: jenes erste Paradox, das der Unmittelbarkeit zum bildlos Daseienden, sich Verbergenden und Wiedererscheinenden, der das Offenbare schenkt und das Verborgene vorenthält (Dt 29, 28), ist preisgegeben.

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Nathan Söderblom führt einmal die gesprächsweise Aeußerung eines französischen Admirals an: »In meinem Leben hat es Zeiten gegeben, in denen ich Atheist war. Aber einen Christen hätte ich mich, wenn ich es gewagt hätte, doch nennen wollen. In unserer Zeit«, fährt Söderblom fort, »geht es gewiß mehreren ebenso. Christus ist ihnen der Felsen ihrer Religion und ihres Herzens. Kein anderer Name wird ihnen gegeben. Er ist die Sonne in der Welt der Seele, Führer, Erlöser, Herr – Gott in demselben Maße als das Gott ist, worauf sich das Herz ganz verläßt … Es können einem wohl Zweifel an der Gottheit Gottes, aber nicht an der Gottheit Christi kommen.« Einer meiner toten christlichen Freunde, jener Christian Rang, der den Vornamen Florens dem seinen vorangesetzt hatte, um den nach Angelus Silesius’ Wort aufgeblühten »gefrorenen Christ« anzuzeigen, sagte einmal zu mir von der schwersten Zeit seines Lebens: »Ich hätte es nicht überlebt, wenn ich nicht Christus gehabt hätte.« Christus, nicht Gott! Ich habe seither dieses Zeugnis immer wieder echten Christen meiner Bekanntschaft mitgeteilt, von denen ich wußte, daß ich von ihnen die unbefangene Wahrheit ihrer Seele vernehmen würde. Mehrere von ihnen haben es als den Ausdruck ihrer eignen Erfahrung bestätigt. Ihren großen literarischen Ausdruck finden wir in einigen Werken Dostojewskijs: ein Sichklammern an den Sohn unter Ablehnung des Vaters ist die Grundhaltung Iwan Karamasows, und in dem Roman von den Besessenen muß der Christ, an die Wand gedrängt, stammelnd gestehen, er glaube zwar an Christus, an Gott aber – werde er glauben. Ich sehe in alledem eine gewichtige Bezeugung des Heils, das durch den Christusglauben zu den Menschen der Völker gekommen ist: sie haben einen Gott erlangt, der in den Stunden, da ihnen die Welt zerbrach, nicht versagte, ja mehr noch, der ihnen in Stunden, da sie sich der Schuld verfallen fanden, die Sühne gewährte. Das ist ein weit Größeres, als was ein angestammter Gott oder Göttersohn der abendländischen Völker für dieses späte Zeitalter zu tun vermocht hätte. Und jenem Zeugnis Verwandtes tönt uns aus Aufschreien und Seufzern früherer Geschlechter an Christus entgegen. Man muß nur über ihrer Inbrunst oder Innigkeit das andre nicht überhören. Am Schluß des ersten Johannesbriefs folgt auf das Bekenntnis, dieser Jesus Christus sei der wahrhafte Gott und das ewige Leben, noch die etwas abrupte Mahnung: »Kinder, hütet euch vor den Götzen!« Ein Kommentator 100 sieht darin einen Beweis, »daß dies Bekenntnis nicht das geringste mit einer Erweichung des Monotheismus zu tun hat«. Das trifft 99. Vater, Sohn und Geist (1909). 100. Büchsel, Die Johannesbriefe (1933) 90.

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für die Absicht des Bekenntnisses gewiß vollkommen zu, für seine Wirkung nicht im gleichen Maße. Wobei vorauszusetzen ist, daß man unter »Monotheismus« hier etwas anderes zu verstehen hat als die in der Oekumene vielverbreitete Weltanschauung, die sich damit genug tat, die konkreten Ansprüche der Pantheone durch einen allgemeinen, aller Wirklichkeit entledigten zu ersetzen, und an der nichts zu erweichen war. Ich darf hier wohl einer persönlichen Empfindung Ausdruck verleihen, die immer wiederkehrt, sooft ich dreier paulinischer Stellen miteinander gedenke, und anders als miteinander treten sie mir nicht vor die Erinnerung. Paulus, der ja in seinen echten Briefen anscheinend nie 101 für den präexistenten Christus den Gottescharakter beansprucht, spricht doch von ihm als von einem gottgestaltigen (Phil 2, 6) und an dem Werke Gottes unmittelbar beteiligten (I Kor 8, 6) Wesen, dies in einem trotz der teilweisen Formelhaftigkeit elementar starken Bekenntnis: die Welt kennt viele Götter und viele Herren, »uns aber ist Ein Gott, der Vater, aus dem alles ist und wir zu ihm hin, und Ein Herr, Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn«. Im Vater ist Ursprung und Ziel alles Seienden, im Sohn dessen Bestand und Heil. Aber im Römerbrief (11, 36) hören wir das Bekenntnis gewandelt. Da heißt es von Gott: »Denn aus ihm und durch ihn und zu ihm hin ist alles.« Der Unterschied mutet mich an, als hätte Paulus inzwischen die drohende Gefahr eines Ditheismus gemerkt und hätte ihr vorbeugen wollen. Nun jedoch 102 scheint es in der Seele des in sich selber für die Wahrheit seiner Schau eifernden Mannes fortzuarbeiten: er hat in dem Einheitsbekenntnis Christus nicht sein Recht werden lassen, er muß es jetzt tun. So entsteht der reifste Ausdruck seiner Intention (Kolosser 1, 15 ff.), in dem er zugleich die Einheit zu wahren und den himmlischen Christus zu verherrlichen sucht: »er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung, denn in ihm ist alles erschaffen worden«, »alles wurde durch ihn und zu ihm hin erschaffen«. Hier ist der Christus zugleich in die Schöpfung und in das Schaffen Gottes einbezogen, und in ihm zentriert die Offenbarung, denn er ist das getreue Bild, in dem der Unsichtbare dauernd sichtbar wird. So hat Paulus um beides in einem, um die Treue zur höchsten möglichen Vorstellung von seinem Meister und um die »unerweichte« Erhaltung des Monotheismus, gerungen. 101. Wenn man Rm 9, 5 die Benediktion des »Gottes über allem« vom Vorhergehenden trennt und auf den Vater bezieht, wofür der gleiche Wortgebrauch 1, 25 und II Kor 11, 31 spricht. 102. Hinsichtlich der Chronologie der paulinischen Schriften folge ich der Auffassung von Dodd, The Mind of Paul: Change and Development, Bulletin of the John Rylands Library 18 (1934) 3 ff.

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Schon Augustin hat darauf hingewiesen, daß Paulus, der so Großes von der Liebe der Menschen – der Glieder der Gemeinde Christi nämlich – untereinander zu sagen weiß, der Liebe der Menschen zu Gott nur wenig gedenkt. Man hat das um so verwunderlicher gefunden, als er ja von Kindheit an täglich im Rufe »Höre Israel« das Gebot, Gott mit der ganzen Seele zu lieben, vernommen hatte und doch wohl auch den Spruch Jesu kannte, in dem es das erste von allen genannt wurde. Der seltene Gebrauch, den Paulus von dem Wort agape, Liebe im religiösen und ethischen Sinn, im Bereich der Beziehung des Menschen zu Gott macht, ist damit erklärt worden 103 , daß es für ihn »die Liebe, die durch das Kreuz Christi kundgetan ist«, bezeichnet habe und daß ihm daher die menschliche Hingabe an Gott, unspontan und unschöpferisch wie sie sei, bestenfalls als deren Spiegelung habe gelten können. In der Tat gibt es kaum einen Satz bei Paulus, der von einer als spontan zu verstehenden menschlichen Gottesliebe redete; wo bei ihm der Mensch Gott liebt, wird uns kein Zweifel daran gelassen, daß da Gott selber im Menschen wirke, und wir sind versucht, an Spinoza zu denken, bei dem die Liebe des Menschen zu Gott in Wahrheit nichts als Gottes Liebe zu sich selber ist. Dem echten Judentum ist diese Entwesung des Menschen fremd. Daß es den Menschen gibt, ist hier das Urgeheimnis des – in doppeltem Gleichnis, Einverleibung der göttlichen »Gestalt« und Einwehung des göttlichen »Atems«, dargestellten – Schöpfungsakts; erst in der Spontaneität des Menschen wird merklich, welch ein unauslotbares Geheimnis die Tatsache der Schöpfung bedeutet. Das alttestamentliche Liebesgebot spricht mit seinem dreimal wiederholten Ganzheitsanspruch eben die ungebrochene Spontaneität des Menschen an: du sollst, du kannst mit deinem ganzen Herzen Gott lieben; und zu ahnen wird gegeben: nicht anders wird dein Herz ganz, als wenn du ihn so liebst. Das pharisäische Judentum ist noch einen Schritt weiter gegangen, indem es das hier dem Menschen Aufgegebene auch in der Dimension der Zeit hat versinnbildlichen wollen. »Liebe ihn«, heißt es nun (Sifre zu Dt 6, 5), »bis ins Auspressen der Seele.« Man muß dies aus der vergegenwärtigten Realität der endenden Agonie, ja der Agonie des Märtyrers verstehen, und so ist es durch die Tat bezeugt worden. Gott bezeugt sich nicht selber, er will den mit Spontaneität begabten Menschen zu seinem »Zeugen« haben (Jes 43, 10; 44, 8), und der Israel-»Knecht«, den er zum Leiden erwählte, gehört dazu (43, 10), wenn er sein Leiden aus eignem Willen, als Liebender 103. Nygren, Agape and Eros I (1932) 92.

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leidet. »Liebesleiden« hat das pharisäische Judentum das als aus Gottes Liebe stammend verstandene, in der innersten Spontaneität der Liebe zu ihm getragene Leiden, das die Seele läutern soll und sie läutert, genannt. Wenn dieses Judentum auf das Geheimnis der Menschenschöpfung in der Form eines Theologems der menschlichen Existenz hindeuten will, sagt es zwar (b. Berachot 33 b): »Alles ist in den Händen des Himmels außer der Himmelsfurcht«, aber es beugt sogleich dem Mißverstand dadurch vor, daß es den Satz mit einem der das Liebesgebot erläuternden Schriftverse (Dt 10, 12) belegt: ihn zu fürchten und ihn zu lieben fordert Gott von Israel 104 – die Furcht gehört zur Liebe wie das Tor zum Haus; wie Furcht, die nicht in der Liebe mündet, so ist Liebe, die nicht die Furcht einbegreift, nur eine der Arten, Gott als einem Götzen zu dienen. Man sieht, der Gott, der hier redet, redet von einem Partner, in dem er nicht selber, durch die Macht seiner eigenen Liebe, die Liebe zu ihm erweckt oder wirkt, vielmehr auch sich und seine Liebe furchtbar vor ihm verbergend will er von ihm gefürchtet – und geliebt werden. »Auch wenn er dir die Seele nimmt«: so deutet das pharisäische Judentum (b. Berachot 61 b) das Liebesgebot aus. Kein andrer als Gott ist es, der die Seele »auspreßt«, aber nicht er, eben nicht er, sondern sie selber im Urgeheimnis ihrer Spontaneität ist es, die ihn auch da noch liebt, es soll und kann 105 . Es ist offenbar, daß Jesus, soweit wir seine geschichtliche Wirklichkeit zu erschließen vermögen, innerhalb dieser Glaubenssphäre stand. Ebenso offenbar ist es, daß Paulus sich von ihr abgekehrt hatte, als er sich dem Mysterium Christi ergab. Wir können nicht umhin zu fragen, wie er zu dieser Abkehr gelangt sei. Er sagt es uns nicht. Aber einmal, so scheint mir, wird uns ein knapper Einblick gewährt. Da (Rm 5, 8 ff.) heißt es zuerst: »Gott erweist seine Liebe zu uns dadurch, daß, als wir noch Sünder waren, Christus für uns starb«, und dann: »Wenn wir als Feinde mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohns …« Paulus redet hier zuvorderst nicht von der Sühnung seiner Sünde (wie II Kor 5, 19), sondern von der Versöhnung der Feindschaft, die er, der Sünder, hegte. Er, der Gott feindlich gesinnt war, ist nun mit ihm versöhnt, da Gott, jetzt, seine Liebe erwiesen hat. Paulus nennt sich hier nicht deshalb Gottes einstigen Feind, weil er vordem die Gemeinde Christi bekämpfte. Er ist ja 104. An dieser Stelle, wo Gottesfurcht mit Gottesliebe verknüpft erscheint, ist sie jedenfalls in ihrer Konkretheit und nicht als zum Synonym der Frömmigkeit abgeschliffen zu verstehen. 105. Dieser Glaubenswirklichkeit gegenüber ist die – neuerdings auch von Bultmann (Theologie des Neuen Testaments 23) wiederholte – Ansicht, in der Frömmigkeit des Judentums sei Gott »in die Ferne gerückt«, wogegen er für Jesus wieder ein Gott der Nähe geworden sei, nicht aufrechtzuerhalten.

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nicht durch die Erscheinung des Erhöhten, sondern durch den Tod Jesu »versöhnt« worden, wenn auch erst, als ihm der Sinn dieses Todes aufging, nämlich daß Gott darin seine Liebe zu den Menschen erwiesen habe. Als ihm die Liebe Gottes noch nicht erwiesen war, war er Gottes Feind. Er war der Feind eines lieblosen, ihn lieblos dünkenden Gottes. Von da aus verstehe ich seinen Weg; nun zeigen sich der Spuren genug. Dem pharisäischen Judentum sind Menschenschöpfung und Offenbarung Werke der göttlichen Liebe. Daß der Mensch im Ebenbild geschaffen ist, und erst recht, daß er dies zu wissen bekommt, daß Israel zur Sohnschaft erwählt ist, und erst recht, daß ihm dies kundgetan wird, rührt von Gottes Liebe her (Abot III 14). Israel aber erfährt unter allen, daß diese Liebe unvergänglich ist. Auf Schriftworte wie der »aus der Ferne« zum sündigen Israel in seine Wüste dringende Spruch (Jer 31, 3): »Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt« und gar jener Zuspruch an Hosea (3, 1), die verbuhlte Frau weiterzulieben, »der Liebe JHWH’s zu den Kindern Israels gleich«, stellt die lebendige Lehre auch noch unter der Römerherrschaft die Existenz des Volkes. Von dieser urzeitlichen, geschichtlichen und ewigen Liebe Gottes zu seinem Geschöpf sagt uns Paulus fast nichts. Die Liebe Gottes, von der er spricht, hat kaum je einen anderen als eschatologischen Sinn, sie ist – mit Ausnahme etwa einer vereinzelten Erwähnung des um der Erzväter willen geliebten Israel (Rm 11, 28), die aber ebenfalls eschatologisch intendiert ist – stets mit Christus als dem Herrn der endzeitlichen Gemeinde verbunden, vielmehr, sie »ist« in Christus (8, 39), sie besteht und äußert sich in ihm allein. Das »als Einheit empfundene Doppelsubjekt«106 , das wir aus einer frühen Epistel (II Thess 2, 16) kennen: »Er aber, unser Herr Jesus Christus und Gott unser Vater, der uns geliebt hat«, drückt Paulus’ Anschauung aufs genauste aus. Ebenso kennt er geradezu keine andere Gnade Gottes als die jetzt in Christus erschienene; nur einmal (an der oben angeführten Stelle, Rm 11, 29) heißt es von den »Gnadengaben« Israels, sie seien »unbereubar«, unwiderruflich. Es sind große Gnadengaben (9, 4); wenn aber »die Bundschließung« und »die Gesetzgebung« dazu gerechnet werden, können wir uns der Erinnerung nicht entschlagen, wie fragwürdig diese Güter in der paulinischen Geschichtskonzeption erscheinen. Aus dem Zeitenabgrund zwischen Erwählung und Erlösung sieht auch hier kein liebendes Gottesantlitz hervor. Dieser Abgrund ist voll des »Zorns«. Im Alten Testament wird Gottes Zürnen berichtet, geweissagt und besungen, aber das ist immer ein väterliches Ergrimmen über das unbotmäßige Kind, dem auch der Ergrimmte 106. M. Dibelius zu I Thess 3, 11.

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seine Liebe nicht entziehen mag, und die krassen Anthropomorphismen dienen hier wie anderswo der Wahrung der persönlichen Beziehung. Der Zorn des paulinischen Gottes, der, »in der Absicht, den Zorn zu erzeigen und seine Macht kundzutun, in vieler Langmut die zum Untergang geschaffenen Gefäße des Zorns ertragen hat« (9, 22), hat nichts Väterliches mehr, weder der Urzorn des Schöpfers, der (V. 21) die Töpfermacht hat, aus der neutralen Masse Gefäße zu schimpflichem Gebrauch zu machen, noch der Vergeltungszorn, der sie zerschmettert, nachdem sie lang genug geduldet worden sind 107 . Ja, dieser zweite ist im Grunde ja nicht Gottes eigener Zorn 108 . Er erzürnt nicht, er läßt »den Zorn«, »fast eine Art dämonischer Macht« 109 , an seiner Statt walten. Es klingt nicht unpaulinisch, wenn in einem wohl unechten Brief (I Tim 3, 6) gar von einem »Gericht des Teufels« die Rede ist. Dem Zorn, der an den alttestamentlichen »Verderber« (Exodus 12, 23) erinnert, ist, wie jenen Elementargeistern, eine Macht über die Menschenwelt verliehen, die bis in die Endzeit hinreicht, denn Jesus wird (I Thess 1, 10) »unser Retter vor dem kommenden Zorn« genannt. In alledem ist für die unmittelbare Beziehung Gottes zu seiner Kreatur, wie sie alttestamentlich auch noch im äußersten Zürnen zutage trat, kein Raum mehr: Gott zürnt nicht, er gibt den Menschen in die Hand des Gewaltwesens Zorn und läßt es ihn foltern – bis Christus rettend erscheint. Von bösen Gewalten wußte man sich in Israel zu allen Zeiten viel zu erzählen, aber nicht von einer, die über die Dauer einer Versuchung hinaus an Gottes Stelle walten durfte; nie, auch in der tödlichsten Vergeltungstat Gottes nicht, wird hier das Band der Unmittelbarkeit zerrissen. Paulus hätte sicherlich, wenn die theologische Frage in einer seiner Gemeinden aufgeworfen worden wäre, die direkte Teilnahme Gottes am Los der menschlichen Geschlechter nicht bestritten, aber er bekennt sich nicht von selber zu ihr. Der göttliche Erlösungsplan macht es nicht wett, daß all die Seelen, die aus ihrer Not zum Himmel aufschrien, statt eines gnädigen Gottes einem tauben und blinden, unentrinnbar funktionierenden Verhängnis begegneten. Denn diesem, auf Griechisch Heimarmene, dem von den Elementar- oder Sternengeistern bestimmten Schicksalszwang ist der paulinische »Zorn« offenbar wesensgleich. Paulus nennt den griechischen Begriff nicht. Aber die Vorstellung von ihm hatte der Apostel gewiß schon in seiner vorchristlichen Zeit gewonnen, und hier wird der Einfluß des hellenistischen Judentums volkstümlicher Art, das 107. Es ist aufschlußreich, den paulinischen Text mit den Töpfergleichnissen der Propheten (Jes 29, 16; Jer 18, 3 ff.) zu vergleichen. 108. Vgl. Wetter, Der Vergeltungsgedanke bei Paulus (1912). 109. A. a. O. 51.

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Gott und das Verhängnis mehr oder weniger kunstfertig zu verknüpfen verstand 110 , auf ihn so deutlich wie kaum an einem andern Punkt seiner Seinsbetrachtung. Es ist der in sich verzahnte Weltablauf, der als objektiver »Zorn« den Menschen zermalmt, bis Gott durch seinen Sohn die Erwählten aus der Maschinerie herausholen läßt. Der mit einer Art von Vollmacht tobenden Dämonie des »Zorns« stellt Paulus, wie gesagt, in der Dimension der vorchristlichen Geschichte kein göttliches Erbarmen gegenüber. Wenn wir von der Paulus selbst und etwa noch einer christlichen Gemeinde erwiesenen Barmherzigkeit absehn, ist bei ihm von keiner andern die Rede als von einer endzeitlichen oder auf die Endzeit bezogenen. Diese Barmherzigkeit ist freilich das Ziel des göttlichen Weltplans: das Handeln an den Gefäßen des Zorns geschieht um des Handelns an den Gefäßen der Barmherzigkeit willen. Ja, an einer schon erwähnten Stelle (Rm 11, 32) gelangt Paulus, wenn auch wieder nur eschatologisch, über diese Scheidung hinaus: Gott hat »alle« in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich »aller« zu erbarmen. Das »Einschließen« vollzieht sich hier weder durch den »Zorn« noch durch andre »Gewalten«, sondern durch Gott selber. Er selber, und anscheinend völlig christuslos, ist es, der die einst von ihm Erwählten unfrei macht, um sie durch Christus befreien zu können, sie zornwürdig macht, um sie vom Zorn zu erlösen. Im Werk der »Einschließung« ist Gott allein wahrnehmbar, im Werk der Losmachung verschwindet er fast hinter Christus, der erst am Ende der Zeiten das Königtum seinem Vater übergeben wird (I Kor 15, 24). Zwar nicht im Dogma und im Bekenntnis, wie später bei Marcion, wohl aber im gelebten Leben der armen Menschenseele treten die höchsten Seienden, der sie in Bande schlug und der sie aus Banden löst, als die dunkle Allmacht und die lichte Güte auseinander. Daß Christus es ist, der auf dem Richterstuhl sitzen wird, steht diesem elementaren Gefühl des Menschen, der sich als Christ zu den Geretteten zählt (I Kor 1, 18; II Kor 2, 15 f.; 4, 3), ebensowenig entgegen, wie daß es Gott ist, der dann, am Ende aller Dinge aus seinem Dunkel tretend, jedem, der für Christus gearbeitet hat, sein Lob zuteil werden läßt (I Kor 4, 5).

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Die Erfahrung eines Leidens als schuldlos erlitten wirkt zuweilen in der Glaubensgeschichte als ein zugleich zerstörendes und erneuerndes Ele110. Josephus gleicht die Pharisäer sich an, wenn er sie »alles dem Verhängnis und Gott zuschreiben« läßt.

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ment. Man kann das Leid noch ertragen, aber nicht mehr den Gott, der es schickte: man sagt entweder ihm ab oder dem Bild, das man sich von ihm gemacht hatte. Der erste Fall in seiner Unbestimmtheit ist hier nicht zu erörtern; im zweiten kann die Erfahrung durch eine größere Nähe – ich meine: ein Herangerissenwerden – zum göttlichen Geheimnis berichtigt werden, wie die Wirklichkeit der Wolke durch die des Blitzes. Die Wendung, die sich glaubensgeschichtlich vollzieht, ist für die nachkommenden Geschlechter dann aufrührend und aufbauend zugleich, wenn die Erfahrung des persönlichen Leidens in die des Leidens einer personhaft zusammengeschlossenen Gemeinschaft eingebettet war. So verhält es sich mit dem jüdischen Volk von der historischen Stunde her, in der sein naives Gottvertrauen erschüttert wird. Es ist die Stunde von Megiddo. Endlich saß der von den Propheten erwartete und verkündete König auf dem Thron, der den im Salbungssakrament erteilten göttlichen Auftrag zu erfüllen unternahm. In der Gewißheit der Ermächtigung von oben zog Josia nun aus, um für das beginnende Reich Gottes gegen den Pharao zu kämpfen, und erlitt den Tod. Wie konnte das geschehen111 ? Hier entspringt das neue Fragen nach der Gerechtigkeit Gottes, nach dem Sinn des Leidens, nach dem Wert der menschlichen Mühe um den rechten Weg, das in den zwei Jahrzehnten bis zur Katastrophe, dann in dieser selbst, dann in den Nöten des babylonischen Exils anschwillt. Sein Niederschlag ist in den Aufschreien Jeremias, den dialektischen Theologemen Ezechiels, den Anklagereden »Hiobs«, den Psalmen gepeinigter Seelen und den Liedern vom leidenden Gottesknecht bewahrt geblieben. All diese Urkunden eines großen inneren Prozesses weisen über das persönliche Leid hinaus auf das Israels hin. Es geht um das Ungeheure, das sich zwischen Gott und Israel begeben hat. So dringt man Schritt um Schritt ins Dunkel, das über den Sinn der Vorgänge gelegt ist, bis sich im Licht des Blitzes das Geheimnis entdeckt: der »Zaddik«, der Gottgerechte, leidet um Gottes und seines Erlösungswerkes willen, und Gott ist bei ihm in seinem Leiden. Diese Wiedergeburt des Gottvertrauens hat im zweiten Reich, das sich um dessen gleichsam institutionelle Wiederherstellung bemüht, ihre wesentliche Lebenssubstanz bereits eingebüßt. Nach Jahrhunderten, in der syrischen Leidenszeit, muß die Entdeckung von neuem gemacht werden. Die Legenden der Martyriumsbereitschaft im Buche Daniel, die des vollzogenen Martyriums im zweiten Makkabäerbuch, vor allem das dem 111. Vgl. hierzu Hempel, Die Mehrdeutigkeit der Geschichte als Problem der prophetischen Theologie (1933) 13: »Die Frage nach der Deutungsmöglichkeit der Geschichte wird zur Existenzfrage der Jahvereligion überhaupt.«

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deuterojesajanischen entsprechende Bild des »Gerechten« (vgl. Jes 53, 11) in der »Weisheit Salomons«, der sich einen Sohn Gottes nennt und zu schimpflichem Tode verurteilt wird, zeugen dafür, freilich in einer späten, abgeleiteten Wortgestalt. Wieder tritt, unter den Hasmonäern, für eine Weile die Leidensfrage zurück. In der dritten, der römischen Drangsal erscheint sie von neuem, aber eigentümlich erweitert. Drei wesentliche Antwortsphären sind hier zu unterscheiden. Das hellenistische Judentum volkstümlicher Prägung, wie wir es etwa aus weltanschaulichen Aeußerungen des Josephus kennen, ein Eklektizismus aus verdünnter biblischer Tradition und nicht minder verdünnter stoischer Philosophie, begnügt sich damit, Gott eine Schicksalsmacht beizugesellen, von der das Leiden des Gerechten herrührt. Zu dem verwegenen Unternehmen Josias und seinem Ausgang weiß Josephus nichts anderes zu bemerken als: »Das Verhängnis, so nehme ich an, trieb ihn dazu.« Der philosophische jüdische Hellenismus, der sowohl den israelitischen als den griechischen Beitrag ernst zu nehmen bestrebt ist und solche Scheinwege nicht einschlagen kann, befaßt sich mit dem Problem nicht; Philo geht nicht über die Konzeption hinaus, Gott habe sich zur Weltschöpfung der »Gewalten« bedient und diese Hypostasen stünden auch weiter zwischen ihm und den Menschen. Anders die Apokalyptik, die von iranischem Dualismus beeinflußt ist, sich ihm aber widersetzt. In ihrem höchsten Erzeugnis, der Esra-Apokalypse, die um die Zeit der Zerstörung Jerusalems entstanden ist, aber offenbar ältere Vorstellungen ausbaut, redet der an der Geschichte verzweifelnde Mensch, Sohn einer »gealterten« Welt, der »den Weg des Höchsten zu begreifen sucht«. Er weiß um die Problematik alles menschlichen Gerechtseins; auch Israel ist sündig und strafwürdig. Aber warum erbarmt Gott sich des von ihm erwählten Volkes nicht, warum muß es mehr als alle leiden, warum zermalmt er es und verschont jene, die sich schlimmer vergangen haben? Die Antwort ist eschatologisch, aber es ist im Grunde keine, denn in der Endzeit vergeht die Gnade und das Gericht allein bleibt, bei dem niemand mehr für einen andern einstehen kann, und »die Vielen, die gekommen sind«, müssen ins Verderben, obgleich Gott, der seine Schöpfung liebt, es nicht gewollt hat; auch von Israel werden anscheinend nur wenige (darunter »Esra« selber) erlöst. Aber die Antwort rührt nicht an die Grundfrage, mit der das Fragen begann. Da hält (3, 20 ff.) der Sprecher Gott vor, er habe in der Offenbarung an Israel nicht zugleich auf dieses eingewirkt, daß es sie wahrhaft empfange: »Aber du nahmst das böse Herz nicht von ihnen, daß deine Weisung in ihnen Frucht brächte … Ein dauerndes Siechtum entstand: im Herzen des Volkes die Weisung zusammen mit der Wurzel des Bösen. Das Gute entschwand und das Böse verblieb.« Die

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Wurzel des Bösen aber, allen Menschen gemeinsam, ist aus dem »Korn bösen Samens« gewachsen, das »im Anfang in Adams Herz ausgesät wurde«. Diese Frage oder vielmehr Klage besagt, Gott habe (dadurch, daß er das böse Herz nicht nahm) die Freiheit des Menschen dem Heil des Menschen vorgezogen, aber dahinter steht, er habe (dadurch, daß er die Aussäung geschehen ließ) diese Freiheit auf eine zu schwere Probe gestellt. Hier geht »Esra« unmißverständlich über »Hiob« hinaus. Auch er erhält keine Aufklärung. Während aber dort das Erschallen der göttlichen Stimme, die manifeste Tatsache der Gegenwart und Teilnahme Gottes, eine allerrealste überwortliche Antwort erteilt, bleibt hier trotz der Schwere und Schwermut des Anliegens alles, was sich, ihm zur Erwiderung, von oben her begibt, wesen- und trostlos. In den Vorstellungskreis, der in der Esra-Apokalypse seine reife Formulierung gefunden hat, scheint mir Paulus vor seiner Bekehrung geraten zu sein; in der geistigen Ausarbeitung dessen, was ihm auf dem Weg nach Damaskus widerfuhr, gewann er auf jene Fragen die Antwort, die in seinen Briefen, insbesondre im Römerbrief, vermutlich ein Jahrzehnt oder etwas mehr 112 vor der Abfassung der Esra-Apokalypse, in die Welt gegangen ist. Daß aber der Einfluß jenes Vorstellungskreises auf ihn so stark und so fruchtbar werden konnte, läßt sich wohl aus dessen Zusammenwirken mit einer urpersönlichen, erschütternden Selbstbesinnung seiner letzten vorchristlichen Zeit, einem großen Aufruhr der Seele verstehen, dessen verarbeitete Erinnerung uns im siebenten Kapitel des Römerbriefs (V. 7-25) erhalten ist. Daß das »Ich« dieses Textes ein rhetorisch konstruiertes, »die Situation des Juden unter dem Gesetz113 « bezeichnendes sei, erscheint mir (von V. 24 aus) unannehmbar114, von seiner gegenwärtigen Verfassung als Christ aber kann Paulus so nicht reden; und dennoch diese unmittelbare Präsensform! Ich kann sie mir nur so erklären, daß er seine erinnerte vordamaskische Person in ihrer tiefsten Selbsterfahrung als Modell für eine innere Schilderung des natürlichen Menschen (V. 7, 8b, 9a) und des Menschen unter dem Gesetz (V. 8a, 9b, 112. Je nachdem man für den Römerbrief die Datierung Eduard Meyers annimmt oder der Argumentation Lakes (The Beginning of Christianity V 464 ff.) Folge leistet. Ich setze mit Torrey, The Apocryphal Literature (1945) 121 die Veröffentlichung des echten Hauptbestandes der Esra-Apokalypse auf Anfang 69 an. 113. Bultmann, Neueste Paulusforschung (Theologische Rundschau VI, 1935) 233. 114. Das ist kein »Gefühlsurteil«, wie Kümmel, Römer 7 und die Bekehrung des Paulus (1929), meint, sondern ein streng stilkritisches: im Zusammenhang eines nichtdichterischen Textes muß das Ich eines solchen Ausrufs eben als Ich verstanden werden – die Rhetorik der Weltliteratur kennt m. W. diesen Klang nicht. (Die von Kümmel a. a. O. 128 ff. angeführten talmudischen und alexandrinischen Texte sind von völlig anderer Art.)

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10) verwendet, so daß »ich« zugleich »ich Paulus« und »ich Adam«, sodann »ich Gesetzesjude« bedeutet. Der Weg der jüdischen Person vom natürlichen Menschen, als der der Jude bis zum Moment der bewußten Aufsichnahme des »Jochs der Königschaft Gottes und des Jochs der Gebote« 115 verstanden wird, zum Gesetzesmenschen wird von jener einstigen Selbstbesinnung aus gefaßt, die in das mächtig illuminierende Licht des gegenwärtigen Christseins gerückt ist. In ihrer unmittelbaren Vergegenwärtigung schreit der Apostel auf: »Ich unseliger Mensch! Wer wird mich befreien von dem Leibe dieses Todes!« und bekennt sogleich von seiner Gegenwart aus, daß er befreit sei – dieses so persönliche »Dank sei Gott«, das ich nicht als rhetorisch anzusehn vermag, erweist mir vollends den autobiographischen Hintergrund des Vorhergehenden. Das in unserem Zusammenhang Bedeutsamste der Aufzeichnung ist der Satz: »Ich erblicke aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das gegen das Gesetz meiner Vernunft streitet und mich gefangen nimmt«, wobei man festhalten muß, daß dicht vorher von dem Gesetze Gottes die Rede ist, dem der Sprecher, eben mit seiner Vernunft, freudig zustimmte. Das dem Menschen von Gott offenbarte Gesetz und das seinen Gliedern schöpfungsmäßig von Gott eingetane »Gesetz« werden als einander entgegenstehend erkannt. Hier fügt sich, unausgesprochen, aber hinter den Worten mächtig schwingend, zu jener Frage nach der Verträglichkeit des Uebels mit Gottes Dasein die nach der Verträglichkeit des Bösen damit; sie ist offenbar der eigentliche Antrieb zu Paulus’ gnostischer Weltsicht geworden. Von hier aus klärt sich uns denn auch jene Konzeption des Urzorns Gottes als des »Töpfers«, der Gefäße des Zornes schafft und zerschlägt. Paulus begnügt sich nicht, wie der Apokalyptiker, zu klagen, Gott habe es geschehen lassen, daß dem Menschen ein Korn bösen Samens eingesät wurde, aus dem Schuld und Strafe aufgehn; er sagt aus, Gott habe, den Menschen schaffend, ihn mit einem »Fleisch« behaftet, in dem »nichts Gutes wohnt« (V. 18) und das zur Folge hat, daß jeder Mensch das Böse, das er nicht will, tut (V. 19). Aber auch dem offenbarten Gesetze Gottes gegenüber kann ihm, Paulus, die Esra-Klage nicht Genüge tun, daß Gott von den Empfängern seiner Offenbarung das böse Herz nicht genommen habe. Denn das an sich »heilige, gerechte und gute« Gesetz ist, so sagt er aus, dennoch so beschaffen, daß es in dem unerlösten Men115. Daß Paulus nie, selbst im Stande der kindlichen Unschuld nicht, »ohne das Gesetz zu besitzen« (V. 9) gewesen sei, wie Lietzmann z. St. meint, kann ich so allgemein nicht zugeben. Es ist der sakramentale Ausdruck einer tiefen Lebenswirklichkeit, daß der jüdische Knabe erst mit 13 Jahren »Sohn des Gebotes« wird. Gewiß lebt er auch vorher in der Atmosphäre des Gebotenen, aber nicht als der, dem es – als ein Ganzes – geboten ist.

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schen, dem Nichtchristen, durch das Gebot, nicht zu begehren, die Begierde erregt (V. 7 f.), die Sünde ins Leben ruft und die Seele in den Tod treibt (V. 9). Da Gott das Gesetz eben zu solchem Behuf gegeben hat (V. 13), konnte es gar nicht sein Wille sein, den Empfängern das böse Herz zu nehmen. Der Mensch, der beides hat, das Fleisch und das Gesetz, der noch unerlöste Mensch aus Israel, ist »unter die Sünde verkauft« (V. 14). Beides aber, das Schaffen des Fleisches und das Geben des Gesetzes, dient dem Plane Gottes, die Welt zu erlösen, wie die Versklavung des Menschen unter die Mächte des Verhängnisses seinem Plane dient. Schöpfung und Offenbarung sind um der Erlösung willen so geschehen, wie sie geschehen sind; denn der Gottesweg zur Erlösung führt über das »Vollwerden« (5, 20) der menschlichen Sünde und über ihre Sühnung. Paulus betet nicht, wie Esra Mal um Mal, um Milderung des Menschheitsgerichts, denn Gottes Gerechtigkeitssinn fordert unerbittlich die angemessene, das heißt maßlose Strafe für die »über alle Maßen sündige Sünde« (7, 13). Die Sühnung einer unendlichen Schuld kann niemand als Gott selber bewirken, indem er seinen Sohn, den Christus, das sühnende Leiden auf sich nehmen läßt, so daß alle, die an den Christus glauben, durch ihn erlöst werden. Damit hat Paulus den Grund gelegt für die Lehre, die freilich erst nach ihm und über sein eignes Ringen hinweg ersteht, die Lehre, in der Christus als eine Person der Gottheit erklärt wird: Gott als der Sohn leidet, um die Welt zu erlösen, die er als der Vater zu einer erlösungsbedürftigen geschaffen und bereitet hat. Die prophetische Konzeption des um Gottes willen leidenden Menschen ist hier der des um des Menschen willen leidenden Gottes gewichen. Das neue Gottesbild ist errichtet, bestimmt, über einem Jahrtausend des Werdens christlicher Völker und einem Jahrtausend ihrer Kämpfe ermächtigend und trostreich zu stehen. Die Frage nach dem Sinn des unverschuldeten Leidens aber ist zum Standort der Freunde Hiobs zurückgeworfen: es gibt kein unverschuldetes Leiden; nur daß nun gelehrt wird, jeder Mensch sei schlechthin schuldig und schlechthin leidenswürdig, könne sich jedoch, den Glauben an das Leiden Gottes auf sich nehmend, durch dieses Leiden loskaufen lassen. Diesem großartigen religiösen Ideengebild, dem an faszinosem Gehalt kaum ein anderes gleichkommt, steht im pharisäischen Judentum das schlichte Unterfangen gegenüber, die Unmittelbarkeit des israelitischen Gottesverhältnisses in einer veränderten Welt zu erhalten. Dazu muß es zwei Vorstellungen abwehren, die in den jüdischen Hellenismus – die eine in seine Vulgärform, die andere sowohl in die Philosophie wie in die Apokalyptik – eingedrungen waren: die Vorstellung eines Schicksals, das nicht mit dem Walten Gottes identisch ist, und die eines Mittlertums, wesens-

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verschieden von dem jeweiligen Sicheinsetzen irdischer und himmlischer Instanzen 116 . Um die erste Abwehr zu vollziehen, muß von dem Gedanken an die Vorsehung jeder Aspekt eines Verhängnisses ferngehalten werden. Sie bedeutet Gottes Gegenwart in und seine Teilnahme an allem Geschehen, also die Allzeitlichkeit, Allstündlichkeit der Schöpfung. Aus einer transzendenten, genauer: einer in der Immanenz transzendent bleibenden Realität dieser Art läßt sich nichts folgern, am wenigsten etwas, was das Auf-sich-gestellt-sein des Menschen als eines Ursprungs von Geschehen zu beschränken geeignet wäre. Das ist der Grundsinn des vielzitierten Satzes Rabbi Akibas (Abot III 15), alles sei vorgesehen und die Befugnis sei gegeben. Die Lehre, die erst im ersten Drittel des zweiten Jahrhunderts diese Gestalt gewonnen hat, ist wesentlich älter, ja urpharisäisch, denn sie ist es offenbar, die Josephus mißversteht, wenn er (Ant XVIII 1) den Pharisäern die Meinung zuschreibt, alles sei vom Verhängnis bestimmt, aber die Freiheit des Antriebs sei dem Menschen nicht abzusprechen, Gott lasse eben beide zusammenwirken. An ein »Zusammenwirken« ist hier gar nicht zu denken. Es wird vielmehr einerseits entscheidend weiter gegangen als in dem Satz, alles sei in den Händen Gottes bis auf die Gottesfurcht: es gibt nichts, was nicht im ewigen Blick Gottes stünde. Anderseits aber ist aus dem dort Freigegebenen, das den Charakter eines Punktes, eines Anfangspunktes hat: der Freiheit und Möglichkeit zur Gottesfurcht, nun eine Allfreiheit, eine innerste Allmöglichkeit geworden, die dem Menschen gegeben ist. »Unsre Werke sind in der Wahl und Macht unserer Seele«, heißt es (9, 7) in den Psalmen Salomons, den sogenannten Pharisäerpsalmen, ein Jahrhundert vor Paulus. Die Transzendenz und die Aktualität stehen einander nicht im Wege, sie ergänzen einander aber auch nicht, ebensowenig wie Gott und Mensch einander ergänzen, sondern das eine ist die Wirklichkeit Gottes ganz und das andre die Wirklichkeit des Menschen ganz. Sie konstituieren miteinander das unreduzierbare Geheimnis des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch, das in seiner Tiefe geahnt zu haben wir den großen Gläubigen unter den Pharisäern zutrauen dürfen. Will man es aber theologisch, das heißt, im Hinweis auf die uns entrückte Seite des Seins fassen, so muß man von einem Verhältnis in Gott selbst, also, wie man zu sagen pflegt, zwischen Attributen Gottes, richtiger: zwischen Gott als einem Vorsehenden und Gott als einem Freigebenden reden. Gott überliefert seine Kreatur keinem Verhängnis, er stellt sie in die Luft und hält sie zugleich. 116. Weder der philonische Logos noch das präexistente Himmelswesen des Buches Henoch ist ein Mittler im christologischen Sinn, aber jeder von beiden ein Ansatz dazu.

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Von da aus aber ist auch bereits der Weg zur anderen Abwehr, der Abwehr des Mittlertums, zu erkennen. Die Frage, von der wir ausgegangen waren, die nach dem Sinn des Leidens der Gerechten, wird nun durch eine Konzeption beantwortet, die das große Motiv des »für die Vielen« leidenden Gottesknechts wieder aufnimmt und zugleich den für die Antwortenden wichtigsten Vorgang ihrer Zeit, das Martyrium, interpretiert. Schon in dem sogenannten vierten Makkabäerbuch, vermutlich aus der gleichen Zeit wie die Psalmen Salomons stammend, das in einer ganz von spätgriechischer Rhetorik geliehenen Form pharisäische Frömmigkeit ausspricht, heißt es (6, 29; 17, 22) von den Märtyrern, daß das Vaterland durch ihr Blut geläutert und ihre Seele als Lösegeld für die sündigen Seelen der Volksglieder »genommen« wird. Diese Grundanschauung wird nun auf das Siechtum großer Lehrer übertragen, das ihre Generation sühne. Obgleich im Zusammenhang damit zuweilen auf Messianisches angespielt wird, ist die Vorstellung im wesentlichen nicht eschatologisch. Damit ist aber auch schon auf das nichteschatologische, das im Gang der menschlichen Generationen sich bekundende Verhältnis zwischen der Strenge und der Gnade Gottes, zwischen Gericht und Erbarmen hingewiesen. Die Unterscheidung geht im pharisäischen Judentum über die philonische von schöpferischen und gnädigen und von königlichen und gesetzgeberischen Gotteskräften hinaus; sie führt zur Konzeption einer inner-göttlichen Dramatik. Die zwei werden als Middot Gottes verstanden, also der ursprünglichen Wortbedeutung nach als seine Maße oder Meßweisen 117 . In der pharisäischen Auffassung sind die Middot weder Kräfte noch Attribute, sondern jenem Wortsinn gemäß Weisen, Verhaltungsweisen, Grundhaltungen, also im wesentlichen dynamisch verstanden; aber der der Aggada eigne Zug zur anthropomorphistischen Metaphorik, eine Weiterbildung des alttestamentlichen Anthropomorphismus, ergibt zuweilen eine mehr statische Bildlichkeit. Gott »geht von der Midda des Gerichts aus und kommt zur Midda des Erbarmens« (jer. Taanit 65 b), also von Position zu Position, oder aber (Tanchuma Buber III 55 a) er vertauscht das eine »Maß« gegen das andre. Immer bleibt es eine Bewegung, ein Wandel, ein Uebergang von Weise zu Weise. Dennoch sind die Middot immer verbunden; je und je überwiegt eine, aber sie wirkt nie allein, nie ist aus ihrer Wirkung die andre ausgeschlossen. Immer umfaßt der lebendige Gott die ganze Polarität des der Welt an Gut und Uebel Widerfahrenden. Auch die Schöpfung der Welt ist nicht durch die Gnade allein, sondern durch ihr Zusammenwirken mit der Strenge geschehen; aber auch kein Akt der 117. So auch bei Philo, Sacr 15, 59.

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strafenden Gerechtigkeit vollzieht sich ohne die Teilnahme der Barmherzigkeit. »Als Gott den Menschen schuf, schuf er ihn mit der Midda des Gerichts und der Midda des Erbarmens, und als er ihn vertrieb, vertrieb er ihn mit der Midda des Gerichts und der Midda des Erbarmens« (Midr. Gen. rabba XXI 6). Der Wandel bedeutet also nichts andres, als daß einmal die eine, ein andermal die andre die Führung hat, je nach dem Wesen dessen, was Gott vollbringen will. Doch sind sie – und das ist das Wichtigste – einander an Macht nicht gleich: die Midda der Gnade ist die stärkere. Sie und nicht die Strenge ist die rechte, die starke Hand (Sifre 50 b). Weil dem so ist, erhält sich die Welt; wäre es anders, könnte sie nicht bestehn. Und was vom Dasein der Welt gilt, gilt von dem des Menschen. Es ist die rechte Hand, die Gott, der mit der linken richtet, dem zu ihm umkehrenden Sünder entgegenstreckt und mit der er ihn zu sich hebt. Im ganzen Gang der Menschengeschichte, und nicht erst in der Erlösung, prävaliert die Gnade; »das Maß der Güte ist größer als das Maß der Vergeltung«, heißt es in einem frühtalmudischen Text (Tos. Sota IV 1). In jenem Spruch von der Vorsehung Gottes und der »Befugnis« des Menschen fährt Akiba fort: »Die Welt wird mit Güte gerichtet« – ein Satz, der nicht nur das Endgericht, sondern auch schon das stete Walten Gottes zum Gegenstand hat. Der paulinischen Verteilung der Gerechtigkeit Gottes an diesen Aeon und seiner erlösenden Gnade an die Endzeit steht hier die dynamische Einheit von Gerechtigkeit und Gnade gegenüber. Damit ist die volle Unmittelbarkeit zu dem gerechten und gnädigen Gott in einem neu gestiftet, denn »die Tore der Umkehr werden nie geschlossen« (Midr. Tehillim zu Ps 65). Man darf sich nur eben nicht der einen der Middot zuwenden und von der andern abkehren: man muß sich ohne Rückhalt der Bewegung zwischen beiden in der göttlichen Einheit ergeben, um Erbarmen betend, aber dem Gericht nicht widerstrebend, mit Furcht und Liebe in einem, wie Gott furchtbar und liebreich in einem ist, aber mit einer Liebe, die über der Furcht ist, wie bei Gott die Gnade über dem Gericht. Diese Unmittelbarkeit des ganzen Menschen meint den ganzen Gott, den ihm offenbaren und den ihm verborgenen. Sie ist die Gestalt, in der das pharisäische Judentum durch seine Lehre von den Middot die alttestamentliche Emuna, das große Vertrauen zu Gott, wie er ist, zu Gott, wie er auch sei, erneut hat. Sie schließt die zwei großen Imagines aus, die die paulinische Weltkonzeption der unmittelbaren Emuna entgegengestellt hat: die Dämonie, der dieser Aeon übergeben ist, und das Mittlertum eines Christus an der Schwelle des kommenden.

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XV. Im Lukasevangelium (11, 1) wird erzählt, daß einer der Jünger, offenbar im Namen aller, Jesus bittet, sie beten zu lehren, »wie auch Johannes seine Jünger gelehrt hat«. Nun lehrt sie Jesus das »Unser-Vater«-Gebet. Es ist von kritischer Seite sicherlich mit Recht gesagt worden118 , es sei zwar nicht mehr festzustellen, wieweit dieses im wesentlichen aus jüdischen Gebetsprüchen zusammengesetzte, aber durch die Schlichtheit der Gesamtform ausgezeichnete Gebet wirklich auf Jesus zurückgehe, aber es sei »zum mindesten charakteristisch für ihn«. Die ersten Bitten sind eigentlich keine, sondern die das Gebet nach jüdischem Brauch 119 einleitende Anrufung und Verherrlichung. Die drei letzten, die eigentlichen persönlichen Bitten der Betergemeinschaft, bilden eine Einheit für sich, die den Eindruck einer besonderen situationsmäßigen Authentizität erweckt. Die kleine Gemeinschaft, die mit ihrem Meister über das galiläische Land wandert, ist von allen wirtschaftlichen Sicherungen losgemacht und ganz auf Gott geworfen, der sie von den ihr wohlgesinnten Teilen des Landvolks wird ernähren lassen: daß er ihnen weiterhelfe, die benötigte Tagesration zu erhalten, bitten sie zunächst, um weiterwandern und dienen zu können. Nun aber, nach dieser unerläßlichen Vorbitte, sprechen sie die eigentliche persönliche Bitte aus, die uns sogleich an die Predigt des Täufers erinnert. Er hat »die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden« verkündigt (Mk 1, 4 Parr.) 120 ; um Vergebung der Sünden bitten sie. Das ist gewiß auch universal verständlich; aber es erhält seine Prägnanz von dem Wesen und Leben der Beter. »Ich bin nicht gekommen«121 , sagt Jesus (Lk 5, 32 Parr.) in den Anfängen seines Wegs, nachdem er die ersten Jünger berufen hat und während er mit ihnen und andern »Zöllnern und Sündern« zu Tisch sitzt, »die Gerechten zur Umkehr zu rufen, sondern die Sünder«. Der Vers mag echt oder unecht sein (mich dünkt er, gerade wie er bei Lukas steht, echt): der ihm vorangehende, der nicht angezweifelt wird, »Die Gesunden bedürfen 118. Bultmann, Jesus 166. 119. Vgl. u. a. Klein, Der älteste christliche Katechismus (1909) 257 f. – Isaak Heinemann weist mich darauf hin, daß die im Kaddischgebet auf »Geheiligt werde sein großer Name« folgenden Worte »in der Welt, die er schuf nach seinem Wohlgefallen« hier fehlen. Man darf m. E. daraus nicht schließen, daß bei Jesus schon ein Ansatz zu dem paulinischen »kosmischen Pessimismus« wahrzunehmen sei, aber ein Unterschied der Betrachtungsweise gegen die Weltbejahung des Kaddisch ist doch erkennbar. 120. Die »Vergebung« gehört m. E. wie Lk 24, 47 zur Umkehr, nicht wie Ag 2, 38 zur Taufe. 121. Ursprünglich wohl: »Ich bin nicht gesandt worden«, wie Lk 4, 43; mir scheint hier und an anderen verwandten Stellen eine »johanneische« Bearbeitung vorzuliegen.

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des Arztes nicht, sondern die Kranken«, sagt dasselbe. Sünder, die Jesus nachfolgend die Umkehr vollzogen haben, an der Seele Kranke, die dadurch, daß er sie an sich gezogen hat, genesen sind, bilden die betende Schar. Sie wissen sich anfällig, sie erfahren immer wieder, wie leicht auch der Mensch, der auf den Weg Gottes umgekehrt ist, der Sünde wieder verfällt, darum bitten sie Gott, ihnen die Sünden zu vergeben – und sie nicht in Versuchung zu führen, denn sie sind bang, ob sie sie werden bestehen können. Wenn es Jesus ist, der seine Jünger so beten lehrt, spricht er aus ihrer Lage und aus ihrer Seele, zugleich aber aus der Tiefe jüdischer Gebetsüberlieferung. »Das wahre Gebet«, ist gesagt worden122 , »ist die Schöpfung der Juden.« Was kann damit gemeint sein, wenn wir das jüdische Gebet vor dem Hintergrund der großen altindischen, altpersischen, babylonischen, ägyptischen betrachten? Doch wohl nichts anderes, als daß hier in einer eigentümlich unmittelbaren Weise die Hinwendung zu Gott vollzogen wird. Beten lehren heißt über alles Worthafte hinaus: sich hinwenden lehren. Das ist schon in einer bildlosen Religion eine sehr besondere Sache, erst recht aber in einer, die immer deutlicher wahrnimmt, daß »die Himmel und die Himmelshimmel (d. h. das, was vom Himmel aus angesehen einem als Himmel erschiene und so fort) ihn nicht umfassen« (I Kö 8, 27); das All bietet einem für den Akt der Hinwendung keinen Anhalt mehr. Nicht in die Ferne, nur in eine nicht mehr mit dem Weltraum koordinierbare Nähe und Vertrautheit hin kann sie geschehen: das erste, das aus dem Akt selber hervorgehende Wort ist an den Vater gerichtet, erst danach wird der Herr der Basileia angerufen; so ist die Folge auch im jüdischen Gebet. Aber die Unmittelbarkeit vertieft sich noch in den persönlichen Bitten, in denen nicht mehr nachdrücklich wie in den ersten das »Du« (»Dein«) allein führt, sondern es, im Imperativ eingeschlossen, mit diesem starken, flehentlichen »Uns« verbunden ist. Nur von der jüdischen Lehre von Sünde und Vergebung aus kann man diese Bitten ganz verstehen. Sünde ist der jüdischen Lehre nach die Verstörung des Grundverhältnisses zwischen Gott und Mensch durch den Menschen, indem dieser durch sie zu einem mit dem Geschöpf Gottes nicht mehr identischen Wesen wird. Vergebung ist die Wiederherstellung des Grundverhältnisses durch Gott, nachdem der Mensch durch die Umkehr wieder in den Stand seiner Geschöpflichkeit eingetreten ist. Die Umkehr ist, wenn der Mensch die Ganzheit seiner Seele einsetzt, sie zu vollziehen, durch nichts behindert, auch nicht durch die Sünde der ersten Menschen. Diese hat die Aus122. Wellhausen zu Mt 6, 9.

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gangssituation verändert, ohne die Freiheit und Kraft, sie zu bestehen, beeinträchtigen zu können, denn der Schöpfungswille Gottes ist durch keine Handlung der Erschaffenen anzutasten. Der Mensch beginnt immer wieder als das Geschöpf Gottes, nunmehr zwar mit der Last des aus dem geschichtslosen Paradies in die Welt und Weltgeschichte geworfenen, durch Welt und Weltgeschichte wandernden Menschentums beladen, aber, weil Wurf und Wanderantrieb »mit Gericht und Gnade« zugleich geschahen, immer noch und immer wieder fähig, sich als Träger der geschichtlich wachsenden Last vor Gott zu bewähren. Daß er sündigt, gehört zu seiner Situation, daß er umkehrt, zum Standhalten in ihr. Er sündigt ja doch, wie Adam gesündigt hat, und nicht weil Adam gesündigt hat. Er ist geschichtlich nicht mehr im Urstand und in der Urwahl, aber fundamental ist es jeder von neuem, denn dreie schaffen nach talmudischer Lehre (b. Nidda 31 a) an jedem Menschenkinde, Vater, Mutter und Gott – Gott ist immer wieder dabei, und sein Anteil ist stark genug, um dem Sündigen die Umkehr zu ermöglichen. Keiner aber geht zur Umkehr aus, dem nicht die Gnade schon entgegenkäme, und »wer sich zu reinigen kommt, dem steht man bei« (b. Schabbat 104 a). Weil der Weg des Menschentums, wie weit es sich auch verlaufen hat, doch immer wieder anfängt, spricht der Beter die Wahrheit, wenn er an jedem Morgen beim Erwachen zu Gott sagt: »Die Seele, die du mir gegeben hast, ist rein.« Wohl jeder sündigt, aber jeder kann umkehren. »Die Tore des Gebets werden nie geschlossen« (Midr. Tehillim zu Ps 65), oder, wie Jesus es ausdrückt, »Klopfet, so wird euch aufgetan«. Wer aber »bis zu Gott« umkehrt, dem enthält Gott nichts vor. Es heißt (Jes 57, 19): »Friede, Friede, dem Fernen und dem Nahen« – erst dem Fernen, dann dem Nahen. Denn Gott spricht: »Ich weise kein Geschöpf zurück, keinen, der mir in der Umkehr sein Herz gab« (Midr. Tehillim zu Ps 120). Die Vergebung ist nicht eschatologisch, sondern ewig gegenwärtig. Die Unmittelbarkeit zu Gott ist der in der Erschaffung des Menschen gestiftete Bund, der nicht aufgehoben wurde und wird. Wer betet »Vergib uns unsere Sünden«, reicht sich dem hier und jetzt vergeben wollenden Gotte hin; er legt, wie es talmudisch, unter Verwendung eines biblischen Ausdrucks für das Wagnis, bezeichnet wird, seine Seele auf seine Hand und reicht sie ihm hin. Das Beten geschieht in der Unmittelbarkeit und um des Wachsens der Unmittelbarkeit willen. Die Umkehrenden bitten, daß Gott, der sie empfangen hat, sie halte. Noch einmal müssen wir auf den Scheideweg zurückblicken. Die Lehre Israels von der Sünde, die die Lehre der Pharisäer und Jesu ist, habe ich soeben charakterisiert. Die Apokalyptik bedeutet einen Einbruch in sie, aber keinen völligen. Wohl ruft der Gramvollste von allen,

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»Esra« (IV Esra 7, 118): »O Adam, was hast du getan!« und klagt um dessen Söhne, denen eine unsterbliche Welt verheißen war und die sterbliche Werke getan haben: der Garten der Wonne sei ihnen gezeigt worden, aber sie würden nicht in ihn eingehen; von der Vergebung weiß er nichts zu sagen. Aber auch er kennt den »Sinn des Kampfes, den der Erdgeborene kämpft« und in dem er siegen kann. Und aus der Baruch-Apokalypse (48, 42) widerhallt es zwar, und noch eindringlicher: »O Adam, was hast du ihnen allen getan, die von dir abstammen!«, aber dann (54, 15) heißt es, wie zur Antwort darauf, jeder dieser seiner Nachkommen bereite sich selber Qual oder Ehre. Anders Paulus (Rm 5, 18 f.): durch den Ungehorsam des einen sind die vielen zu Sündern geworden, durch die eine Uebertretung ist es zur Verurteilung aller Menschen gekommen; es gibt keine Rettung als durch Christus. Paulus schweigt in seinen Briefen fast gänzlich von der Umkehr, zu der Jesus wie die Propheten und die Pharisäer aufgerufen hat; er kennt nur den Anschluß an Christus, durch den allein das Grundverhältnis wiederhergestellt werde. Er weiß, im Gegensatz zur Apokalyptik, um eine eschatologische Vergebung, aber nur für jene unter den sündigen Menschen, die sich zu Christus bekennen. Es gibt für ihn in der Geschichtszeit keine Unmittelbarkeit zwischen Gott und Mensch, nur am Anfang und am Ende; dazwischen breitet sich über den ganzen Raum zwischen Gott und Mensch das Verhängnis, das nur von Christus für die Christen durchbrochen wird. »Bittet, so wird euch gegeben«, hatte Jesus gesagt und hatte nicht die allein gemeint, die ihm nachfolgten, denn »der Vater gibt Gutes denen, die ihn bitten« (Mt 7, 11): niemand ist ausgenommen. Das gilt nun nicht mehr: es ist eine Kraft Gottes zum Heil, aber nur für die an die Christusbotschaft Glaubenden (Rm 1, 16); für alle andern wird auch jetzt noch, wie zuvor, der Zorn Gottes vom Himmel her offenbart (V. 18), der sie zum Untergang richtet (2, 12), die Glaubenden aber, sie allein, werden »umsonst gerecht gemacht« (3, 24), ihnen allein werden ihre Sünden vergeben (V. 26). Die Unmittelbarkeit ist abgetan. »Ich bin die Tür«, wird es nun heißen (Joh 10, 9); es frommt nicht, wie Jesus meinte, da anzuklopfen, wo man steht (vor der »engen Pforte«); es frommt nicht, wie die Pharisäer meinten, ins offne Tor zu treten, Zugang haben einzig, die an »die Tür« glauben. Im Matthäusevangelium ist das »Unser-Vater«-Gebet in die »Bergpredigt« eingefügt, das Ansuchen der Jünger fehlt demgemäß, an seiner Stelle hören wir Sprüche über das Beten, von denen der letzte (6, 8) einen immer wieder durch seinen echten, ganz »mündlichen« Klang überrascht: »Denn euer Vater weiß, wessen ihr bedürfet, bevor ihr ihn bittet.« Dies ist eines der wichtigsten Menschenworte über das Gebet als das Kernstück der Unmittelbarkeit zu Gott. Gott braucht nicht zu hören,

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um zu »erhören«, das heißt, um dem Menschen zu geben, wessen er wirklich bedarf; aber er will, daß der Mensch sich zu ihm und an ihn in solcher Unmittelbarkeit wende. Diese Lehre Jesu von der Unmittelbarkeit im Gebet finden wir bei Paulus nicht wieder. Seine Aeußerungen über das Beten zeugen von einer anderen Grundsituation. Die bedeutsamsten unter ihnen (Rm 8, 26 und II Kor 12, 7 f.) berichten von einem Menschen, der zuweilen nicht zu beten weiß »wie es sich ziemt« und dem in dieser seiner Not widerfährt, daß der Geist über ihn kommt, »für ihn eintritt« und nicht mehr in geordneter Wortfolge, sondern »in unsprachlichen Seufzern« redet, ein Göttliches zu Gott; sodann von einem, der in der äußersten Drangsal der Seele, von dem Satansengel mit Fäusten geschlagen, zum »Herrn«, zum erhöhten Christus, betet: was in der Antwort, die er empfängt, »meine Kraft« genannt wird, die sich in der Schwachheit vollende, ist »die Kraft Christi«, die in ihm wohnt. Diese Aeußerungen des christlichen Pneumatikers, die als Zeugnisse eines Glaubensumgangs mit mittelnden Mächten von unvergleichlicher Bedeutung sind, stehen außerhalb der Unmittelbarkeit. Es ist, als sei, seit Jesus den Jüngern jene Unterweisung gab, um die Deitas eine Mauer errichtet worden, in die nur die eine Tür gebrochen ist; wem sie sich öffnet, schaut den Gott der Gnade, der die Welt erlöst hat; wer ihr fernbleibt, ist den Satansengeln preisgegeben, denen der Gott des Zorns den Menschen überantwortet hat.

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XVI. Man kann die Zeitalter der christlichen Geschichte nach dem Maße der Vorherrschaft des Paulinismus in ihnen ordnen – mit welchem Begriff natürlich keine bloße Denkrichtung, sondern eine dem Leben selbst innewohnende Sehens- und Seinsweise gemeint ist. Ein in besonderem Grade paulinisches Zeitalter in diesem Sinn ist das unsere. Das Christentum tritt zwar in der Gesamtexistenz der Epoche im Vergleich mit früheren zurück, aber die paulinische Sicht und Haltung bemächtigt sich nunmehr auch mancher außerchristlichen Kreise. Es gibt einen Paulinismus des Unerlösten, einen also, in dem der feste Ort der Gnade eliminiert ist: man erfährt hier die Welt, wie Paulus sie erfuhr, als in die Hände unabwendbarer Gewalten gegeben, nur der manifeste Erlösungswille von oben, nur Christus fehlt. Der christliche Paulinismus unserer Zeit ist eine Frucht der gleichen Grundbetrachtung, wiewohl er den Aspekt der Dämonisierung des Weltregiments abschwächt oder ausschaltet: er sieht doch das Dasein zerschieden in ein in sich uneingeschränktes Walten des Zorns und die

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Sphäre der Sühnung, wobei von dieser aus zwar der Anspruch auf Errichtung einer christlichen Lebensordnung klar und energisch genug erhoben wird, de facto aber einer unerlösten menschlichen Welt die erlöste christliche Seele in einer edlen Ohnmacht gegenübersteht. Beide, dieses Bild des nur von der Glorie des Heilands überspannten Abgrunds und jenes des gleichen Abgrunds, den nun aber nichts als die undurchdringliche Finsternis deckt, sind nicht aus Wandlungen der Subjektivität zu verstehen: damit sie gemalt wurden, mußte die Netzhaut der heute Lebenden von einer Wirklichkeit, der Situation dieser Weltstunde, getroffen werden. Ich will mein Anliegen an zwei Büchern sehr verschiedener Art verdeutlichen, weil die Sicht, von der ich spreche, darin rein zutage tritt. Das eine habe ich aus dem Schrifttum der modernen christlichen Theologie deshalb gewählt, weil ich darin kein anderes kenne, in dem mit solcher Direktheit paulinisch von Gott gesprochen wird; es ist »Der Mittler« von Emil Brunner. Das andre, eines der wenigen gültigen Gleichnisse, die unsere Zeit hervorgebracht hat, ist das Werk eines nichtchristlichen Dichters, eines Juden, Franz Kafkas Roman »Das Schloß«. Bei Brunners Buch ist es mir nur um das zu tun, was es von Gott, nicht um das, was es von Christus zu sagen hat, also um die dunkle Folie, nicht um das Glorienbild, das sich davon abhebt. Die Sätze stehen: »Gott kann seine Ehre nicht antasten lassen«; »das Gesetz selbst fordert die göttliche Reaktion«; »Gott würde aufhören Gott zu sein, wenn er seine Ehre antasten ließe.« Dies wird von dem Vater Christi gesagt; es ist also nicht einer der Götter und Machthaber gemeint, sondern der, für den das »Alte Testament« zeugt. Aber weder in diesem selbst noch in irgendeiner jüdischen Interpretation seiner wird so von diesem Gott geredet; auch im Munde Jesu, wie ich ihn zu kennen glaube, ist solch eine Rede unvorstellbar. Denn hier ist wirklich »bei Gott alles möglich«; es gibt nichts, was er »nicht könnte«. Die Herren dieser Welt können freilich ihre Ehre nicht antasten lassen; was bliebe ihnen, wenn sie es täten! Gott aber – nun freilich, Propheten und Psalmisten künden davon, wie er an der Welt »seinen Namen verherrlicht«, und die Schrift ist voll seines »Eiferns«, aber er selber tritt in nichts davon so ein, daß er ihm nicht überlegen bliebe; in der Sprache der Interpretation: er geht von einer Midda zur andern, und keine tut ihm Genüge. Und wenn ihm alle Welt das Gewand seiner Ehre in Fetzen risse, ihm wäre nichts zugefügt. Welches Gesetz dürfte sich vermessen, etwas von ihm zu fordern – ist doch das höchste denkbare Gesetz das von ihm gegebene, der Welt, nicht ihm gegeben123 : er bindet sich 123. Brunner erläutert: »Das Gesetz seines Gottseins, in dem alle Gesetzmäßigkeit der

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nicht, und so bindet ihn nichts. Und daß er aufhörte Gott zu sein – »Gott« ist ein Gestammel der Welt, der Menschenwelt, er selber ist unermeßlich mehr als »Gott«, und wenn die Welt zu stammeln aufhörte oder aufhörte zu bestehn, er bliebe er. In der Unmittelbarkeit erfahren wir seinen Grimm und seine Zärtlichkeit in einem; keine Aussage kann eins vom andern trennen und ihn zu einem Gott des Zorns machen, der einen Mittler bedingte. Im Buch der Weisheit, nicht wohl später als 100 v. Chr., wird Gott so angeredet: »Aber du erbarmst dich aller, da du alles vermagst« – er vermag sogar dies, sich unser, wie wir sind, zu erbarmen! –, »und übersiehst die Sünden der Menschen auf die Umkehr zu« – er übersieht sie, damit wir nicht untergehn, sondern umkehren; er wartet nicht einmal, bis wir umgekehrt sind (hier ist bedeutsamerweise das Gegenteil der synoptischen Kennzeichnung der Täuferpredigt: nicht Umkehr zur Vergebung, sondern Vergebung zur Umkehr) – »… Denn du liebst alle Wesen und verabscheust keins von denen, die du gemacht hast« – hier wird offenbar die Schöpfung ernster genommen als der Sündenfall –, »… Du verschonst aber alles, weil es dein ist, o Herr, der dem Belebten wohlwill. Denn dein unverderblicher Geist ist in allen.« Es ist, als wolle der Verfasser hier einer in Alexandrien verbreiteten Lehre von dem jüdischen Gott des Zorns entgegentreten. Man kennt Kafkas Beitrag zur Metaphysik der »Tür«: die Parabel von dem Mann, der sein Leben vor einem bestimmten offenstehenden Tor verbringt, das zur Welt des Sinns führt, und vergeblich um Einlaß bettelt, bis knapp vor seinem Tod ihm mitgeteilt wird, daß es für ihn bestimmt war und nun geschlossen wird. Die Tür ist also noch offen; ja, jeder Mensch hat seine eigne Tür, und sie ist für ihn offen; aber er weiß es nicht und ist anscheinend nicht imstande, es zu wissen. Kafkas beide Hauptwerke sind Ausarbeitungen des Parabelmotivs, das eine, »Der Prozeß«, in der Dimension der Zeit, das andre, »Das Schloß«, in der des Raums; das erste befaßt sich demgemäß mit der Aussichtslosigkeit im Verkehr des Menschen mit seiner Seele, das zweite mit der in seinem Verkehr mit der Welt. Die Parabel selbst ist nicht paulinisch, die Ausarbeitungen sind es, nur, wie gesagt, unter Abstrich der Erlösung. Die eine handelt von dem Gericht, dem die Seele untersteht und sich willig unterstellt; aber die Welt beruht, die Grundordnung der Welt, die Folgerichtigkeit und Zuverlässigkeit alles Geschehens, die Gültigkeit aller Norm …« Eben dies erscheint mir als eine unzulässige Ableitung des Wesens der Welt aus dem Wesen Gottes oder vielmehr umgekehrt. Ordnung und Norm stammen aus der die Welt ins Sein setzenden und ihr das Gesetz gebenden Tat Gottes, nicht aus einem Gesetz, das sein eignes Sein bestimmte.

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Schuld, für die sie gerichtet werden soll, ist unformuliert, die Prozedur labyrinthisch und die Instanzen selber fragwürdig – ohne daß durch all dies die Rechtmäßigkeit der Rechtsprechung beeinträchtigt erschiene. Das andre Buch, das uns hier besonders angeht, beschreibt eine dem Regiment einer schlampigen Bürokratie appellos ausgelieferte Landschaft als unsere Welt. Was zu oberst des Herrschaftsbereichs oder vielmehr oberhalb seiner ist, bleibt in ein Dunkel gehüllt, dessen Wesen man nicht einmal zu ahnen bekommt; die Beamtenhierarchie, die die Macht ausübt, hat sie von oben empfangen, aber anscheinend ohne Auftrag und Anordnung. Eine breite Sinnlosigkeit waltet uneingeschränkt, jede Nachricht, jede Handlung ist vom Sinnlosen durchtränkt, und doch ist die Rechtmäßigkeit der Herrschaft unanzweifelbar. Der Mensch wird in diese Welt gerufen, berufen, aber wohin auch er sich wendet, um der Berufung nachzukommen, stößt er an die dicken Nebelschwaden der Absurdität. Diese Welt ist einem Gewirr von Zwischenwesen ausgeliefert – es ist eine paulinische Welt, nur daß Gott in die undurchdringliche Finsternis entrückt und für einen Mittler kein Raum ist. Man muß an die aggadische Erzählung (Aggadat Bereschit IX) von dem sündigen David denken, der Gott bittet, er möge selber ihn richten und ihn nicht in die Hände der Seraphim und Cherubim geben, denn »alle sind sie grausam«. Grausam sind die Zwischenwesen Kafkas auch, aber sie sind zudem zuchtlos und geistlos. Großmächtige Schicksalpfuscher sind sie, die die Menschenkreatur durch den Widersinn des Lebens treiben – und sie tun es in der Vollmacht ihres Herrn. Bestimmte Züge gemahnen an die libertinischen Dämonen, zu denen in einzelnen gnostischen Strömungen die Archonten des paulinischen Weltbilds sich gewandelt haben. Die Stärke der paulinischen Tendenzen in der christlichen Theologie unserer Zeit ist aus der Signatur dieser Zeit zu erklären, wie es aus den früheren Epochen zu erklären ist, daß einmal sie, einmal die rein spirituale, johanneische, und einmal die sogenannte petrinische hervortritt, wobei der etwas unbestimmte Begriff »Petrus« für die unauslöschliche Erinnerung an die Gespräche Jesu mit den Jüngern in Galiläa steht. Paulinisch sind jene Zeitalter, in denen die Widersprüche des menschlichen Lebens, insbesondere des menschlichen Zusammenlebens, sich so übersteigern, daß sie im Daseinsbewußtsein der Menschen in wachsendem Maße den Charakter des Verhängnisses annehmen. Da erscheint dann das Gotteslicht verfinstert, und die erlöste Christenseele nimmt dann, wie es die unerlöste Judenseele pausenlos getan hat, die noch unerlöste Konkretheit der Menschenwelt in all ihren Schrecken wahr. Wohl ringt dann der echte Christ, wie wir es ja auch von Paulus wissen, um eine gerechtere Ordnung seiner Gemeinschaft, aber den undurchdringlichen Kern des Wider-

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spruchs versteht er im Blick auf das drohende Zorngewölk und klammert sich mit paulinischer Gewalt an die Gnadenfülle des Mittlers. Wohl wehrt man der immer wieder nahenden marcionitischen Gefahr, der Auseinanderreißung nicht bloß von Altem und Neuem Testament, sondern von Schöpfung und Erlösung, von Schöpfer und Erlöser, denn man sieht, wie nah man schon dran ist, wie Kierkegaard von der Gnosis sagt, »die Schöpfung mit dem Sündenfall zu identifizieren«, und man weiß, daß ein Sieg Marcions zum Untergang des Christentums führen kann; aber – das scheint mir in der Christenheit heute wieder stärker erkannt zu werden – mit Paulus ist Marcion nicht zu überwinden. Daß es einen nichtpaulinischen Ausblick, also einen der Signatur des Zeitalters überlegenen, gibt, hat schon vor einem Jahrhundert eben Kierkegaard ausgedrückt, als er in sein Tagebuch ein Gebet schrieb, in dem es heißt: »Vater im Himmel, es ist doch nur der Augenblick des Schweigens in der Innerlichkeit des Miteinanderredens.« Das ist zwar von der persönlichen Existenz aus gesagt (»wenn ein Mensch in der Wüste verschmachtet, da er deine Stimme nicht hört«), aber in diesem Belange ist zwischen der Situation der Person und der des Menschen oder des Menschentums nicht zu scheiden. Das Gebet Kierkegaards ist, trotz seinem großen Christusglauben, nicht paulinisch oder johanneisch, sondern jesuisch. Was aber Kafka angeht, so kann ein leichtfertiger Christ ja leicht mit ihm fertig werden, indem er ihn einfach als den unerlösten, weil nicht nach der Erlösung langenden Juden behandelt. Aber nur der so Vorgehende ist nun fertig, Kafka ist von dieser Behandlung unbetroffen geblieben. Denn der Jude, sofern er nicht vom Ursprung getrennt ist, auch noch der exponierteste Jude, also Kafka, ist geborgen. Alles geschieht ihm, aber es kann ihm nichts geschehen. Wohl vermag er sich nicht mehr »im Versteck deiner Flügel« (Ps 61, 5) zu bergen, denn der Zeit, in der er lebt, und mit ihr ihm, ihrem exponiertesten Sohn, verbirgt Gott sich; aber in der Tatsache des Nurverborgenseins Gottes, um die er weiß, ist er geborgen. »Lieber die lebendige Taube auf dem Dach als den halbtoten, krampfhaft sich wehrenden Sperling in der Hand.« Er beschreibt, aus innerster Kenntnis, die Welt des geläufigen Weltlaufs, er beschreibt aufs genauste das Walten der fauligen Dämonien, das den Vordergrund füllt; und am Rand der Beschreibung kritzelt er den Satz hin: »Prüfe dich an der Menschheit. Den Zweifelnden macht sie zweifeln, den Glaubenden glauben.« Sein unausgesprochenes, stets gegenwärtiges Thema ist die Entrücktheit des Richters, die Entrücktheit des Schloßherrn, die Verborgenheit, die Verfinsterung, die Finsternis; und eben deshalb vermerkt er: »Wer glaubt, kann keine Wunder erleben. Bei Tag sieht man keine Sterne.« So ist das Geborgensein des Juden in der Finsternis – ein von dem

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des Christen wesenhaft verschiedenes – beschaffen. Es gewährt keine Ruhe, denn leben, solang du lebst, mußt du beim Sperling und nicht bei der Taube, die deine Hand flieht; aber es verträgt sich, illusionslos, mit dem vordergründigen Weltlauf, und so kann nichts dir etwas anhaben. Denn von drüben her, von dem Himmelsdunkel her, kommt, ohne alles Aussehn der Unmittelbarkeit, ins Herz wirkend der dunkle Strahl. »Wir wurden geschaffen, um im Paradies zu leben, das Paradies war bestimmt, uns zu dienen. Unsere Bestimmung ist geändert worden; daß dies auch mit der Bestimmung des Paradieses geschehen wäre, wird nicht gesagt.« So leise und scheu äußert der Antipaulinismus aus dem Herzen dieses paulinischen Schilderers der Vordergrundhölle: das Paradies ist noch da, und es wirkt uns zum Dienst. Es ist da, das heißt, es ist auch hier, wo der dunkle Strahl das gepeinigte Herz trifft. Sind die Unerlösten erlösungsbedürftig? Sie leiden an der Unerlöstheit der Welt. »Alle Leiden um uns (d. h. um uns her) müssen auch wir leiden« – da ist es wieder, das Wort aus dem Schoß Israels. Die unerlöste Seele weigert sich, die Evidenz der unerlösten Welt, an der sie leidet, gegen die eigne Erlösung herzugeben. Sie kann sich weigern, denn sie ist geborgen. Dies ist das Gesicht des in dieser Zeit der größten Verborgenheit Gottes ins Judentum eingedrungenen Paulinismus ohne Christus, eines Paulinismus also gegen Paulus. Düsterer als je vorher wird der Weltlauf gezeichnet, und doch wird erneut, mit einem noch vertieften »Trotz alledem«, ganz leise und scheu, aber unzweideutig, die Emuna verkündigt. Sie ist hier, inmitten des paulinischen Bereichs, an die Stelle der Pistis getreten. In all seiner Zurückhaltung bekennt doch der in der verfinsterten Welt umirrende Spätling mit jenen deuterojesajanischen Sendboten der leidenden Völkerwelt (Jes 45, 15): »Wohl, du bist ein Gott, der sich verbirgt, Gott Israels, Heiland!« So muß in einer Stunde der Gottesfinsternis die Emuna sich wandeln, um an Gott zu beharren, ohne die Wirklichkeit zu verleugnen. Daß er sich verbirgt, verkürzt die Unmittelbarkeit nicht; in der Unmittelbarkeit bleibt er der Heiland, und der Widerspruch des Daseins wird uns zur Theophanie.

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Die Krisis unserer Zeit ist auch eine Krisis der beiden Glaubensweisen, der Emuna und der Pistis. Wie ihrem Wesen nach, so sind die beiden auch ihrer Herkunft nach grundverschieden, und so verschieden ist ihre Krisis.

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Die Herkunft der jüdischen Emuna ist volksgeschichtlicher, die der christlichen Pistis individualgeschichtlicher Natur. Die Emuna ist in den Lebenserfahrungen Israels entstanden, die ihm Glaubenserfahrungen waren. Kleine, dann große Menschenscharen, erst auf der Suche nach freiem Weideland, dann nach Boden für ein freies Siedeln, machen ihre Wanderung als göttlich Geführte. Diese Tatsache, daß Israel seinen Weg nach Kanaan, der sein Weg in die Geschichte war, als Führung erfuhr, schon zur Zeit der »Väter« als Führung, sinnlich als Führung durch Wüsten und Fährnisse, diese geschichtlich einmalige Tatsache ist die Geburt der Emuna. Emuna ist das »Beharrens«verhältnis – auch Vertrauen im existentialen Sinn zu nennen – des Menschen zu einer unsichtbaren und sich doch zu sehen gebenden, einer verborgenen, aber sich offenbarenden Führung; doch die persönliche Emuna jedes Einzelnen bleibt in die des Volkes gebettet und zieht ihre Kraft aus dem lebenden Gedächtnis der Generationen an die großen Führungen der Urzeit. Im Geschichtsprozeß der Individualisierung verändert sich die Form, nicht die Essenz dieses Eingebettetseins. Auch noch wenn ein chassidischer Rabbi an einem Scheideweg die Schechina, die »Einwohnung« Gottes, vor sich her gehen sieht, ist etwas von der einstigen Führung dabei. Erst in unserem Zeitalter lockert sich, in zunehmendem Maße, der Zusammenhang. In den Geschlechtern der Emanzipationszeit spaltet sich das Glaubensvolk zunehmend in eine Religionsgemeinschaft und eine Nation auf, die nur noch strukturell, nicht mehr organisch miteinander verbunden sind. Die Emuna hat in der säkularen Nation keine seelische Grundlage mehr und in der isolierten Religion keine vitale. So droht hier dem persönlichen Glauben die Gefahr, in der Stunde der Verfinsterung an der wesentlichen Spontaneität zu verarmen und statt ihrer von Pistis-Elementen, teils logischen, teils mystischen Charakters, durchsetzt zu werden. Aber die Krisis des Glaubensvolks reicht darüber hinaus. Denn die am Eingang der Offenbarung ausgesprochene Absicht jener Führung war ja (Ex 19, 6), daß Israel »ein Königsbereich von unmittelbaren Dienern (das bedeutet das Wort kohanim, gewöhnlich: Priester, an dieser und einigen anderen Stellen) und ein heiliges (Gott als seinem Herrn geweihtes) Volk« werde. Wenn die Aufspaltung sich vollendet, ist jene Absicht verworfen. Dann könnte nur noch eine große Erneuerung des Volksglaubens Abhilfe schaffen. In dieser müßte die von je bestehende innere Dialektik Israels, zwischen den sich der Führung Ueberlassenden und den »sich gehen Lassenden«, in den Seelen selber zum Austrag kommen, damit die Aufgabe, ein heiliges Volk zu werden, in neuer Situation und einer ihr gemäßen neuen Gestalt sich stelle. Die Einzelnen, die sich, in der Krisis wiedergeboren, in der Emuna erhalten, hätten, wenn es so

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kommt, die Funktion erfüllt, die lebende Glaubenssubstanz durch die Finsternis zu tragen. Die christliche Pistis wurde außerhalb der Geschichtserfahrungen von Völkern, sozusagen im Austritt aus der Geschichte, geboren, in den Seelen von Einzelnen, an die die Forderung herantrat, zu glauben, daß ein in Jerusalem gekreuzigter Mann ihr Erlöser ist. Wiewohl dieser Glaube sich seinem Wesen nach zur Frömmigkeit der völligen Hingabe und zu einer Mystik des Ineinanderseins mit dem Geglaubten erheben konnte und erhob, ruhte er auf einer Grundlage, die man, ungeachtet ihrer »Irrationalität«, als logisch oder noetisch bezeichnen muß: dem Als-wahr-annehmen und Als-wahr-anerkennen eines verkündigten Satzes über den Gegenstand des Glaubens. Alle Innigkeit oder Verzückung des Gefühls, alle Lebensdevotion wuchs aus der Annahme der Forderung und aus dem sowohl in der Seele wie an die Welt hin getanen Bekenntnis: »Ich glaube, daß es sich so verhält.« Dieser in seinen Ursprüngen eminent griechische Akt, intensive Kenntnisnahme eines Soseins, das jenseits der geläufigen Begrifflichkeit steht, dennoch in noetischer Form vollzogen, geschah (zum Unterschied von dem größten Teil der späteren Bekehrungsgeschichte) als Handlung der sich damit gegen ihre Volksgemeinschaft abgrenzenden Person, und die Forderung war darauf als auf eben eine solche Handlung intendiert. Gewiß, auch Jesus wendet sich an den Einzelnen, oder, wenn er zu einer Vielheit spricht, an die Einzelnen in ihr; aber man höre nur, wie er (Mt 15, 24) von den »abgeirrten Schafen124 des Hauses Israel« redet: auch sie sieht er noch im Gefüge des »Hauses«. Nach ihm ist dergleichen nicht mehr zu vernehmen. Paulus spricht oft von Juden und Griechen, aber nie auf die Realität ihrer Volkstümer hin: es geht ihm einzig um die neu gestiftete Gemeinschaft, die eben wesenhaft nicht Volk ist. Die Konzeption des »heiligen Volkes« ist vollends verblaßt, sie geht ins Bewußtsein der Christenheit nicht ein, bald tritt die der Kirche als des nunmehr allein wahren »Volks Gottes« an ihre Stelle. Die Folge von alledem ist, daß sogar in den Massentaufen des Abendlandes, Vorgängen, die, wie phänomenal, so auch seelisch, von jenem Individualakt der hellenistischen Pistis weit entfernt waren, die Einzelnen als Einzelne, also nicht die Völker, christlich, das heißt Christus untertan wurden: das »Volk Gottes« war die Christenheit, die in ihrem Wesen von den Völkern differierte, diese aber blieben eigennatürlich und eigengesetzlich, wie sie gewesen waren. So hatten denn die Christgläubigen an jedem Tag ein zweigeteiltes Dasein: als Einzelne im Lebensbereich der Person und als 124. Der Ausdruck ist (nach Jer 50, 6; Ez 34, 4,16; Ps 119, 176) von Tieren zu verstehen, die von der Herde abgeirrt sind.

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Teilnehmer am öffentlichen Leben ihrer Völker. Diese Daseinsverfassung blieb so lange vor der Krisis bewahrt, als der Bereich der Person sich gegen die Bestimmungsmacht des öffentlichen Wesens behaupten konnte. In dem Maße, als er, in unserem Zeitalter, von dieser durchsetzt wurde, reift die Krisis. Das Heilsgut des Christentums, der Eigenbestand der erlösten Seele, ist in Gefahr geraten. Das hat Kierkegaard vor hundert Jahren hart und klar erkannt, ohne aber die Ursachen hinreichend zu würdigen und den Herd der Krankheit aufzuzeigen. Es geht um das Mißverhältnis zwischen Heiligung des Einzelnen und der hingenommenen Unheiligkeit seiner Gemeinschaft, das sich mit Notwendigkeit auf die innere Dialektik der Menschenseele überträgt. Das Problem, das sich hier erhebt, weist auf die angestammte Aufgabe Israels hin – und auf dessen Problematik. Darüber hinaus aber ist uns zu ahnen erlaubt, daß auch hier aus dem starren Paulinismus ein Weg zu einer anderen, der Emuna näheren Gestaltung der Pistis führt. Der Glaube des Judentums und der Glaube des Christentums sind, in ihrer Weise, wesensverschieden, jeder seinem menschlichen Wurzelgrund gemäß, und werden wohl wesensverschieden bleiben, bis das Menschengeschlecht aus den Exilen der »Religionen« in das Königtum Gottes eingesammelt wird. Aber ein nach der Erneuerung seines Glaubens durch die Wiedergeburt der Person strebendes Israel und eine nach der Erneuerung ihres Glaubens durch die Wiedergeburt der Völker strebende Christenheit hätten einander Ungesagtes zu sagen und eine heute kaum erst vorstellbare Hilfe einander zu leisten.

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Christus, Chassidismus, Gnosis In dem im Septemberheft des »Merkur« erschienenen Aufsatz von Rudolf Pannwitz über den Chassidismus ist neben einem eindringlichen Verständnis etliches nicht weniger gründliche Mißverständnis zu finden, das einigermaßen zu klären geboten ist.

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1 Pannwitz meint, es gehe mir um eine Auseinandersetzung zwischen jüdischer und christlicher Religion, und zwar »zu ungunsten des Christentums«. Nein, es geht mir nicht darum und es geht überhaupt nicht um Auseinandersetzungen solcher Art. Die Religionen sind Gehäuse, in die der Geist des Menschen geschickt ist, damit er nicht ausbreche und seine Welt zersprenge. Jede von ihnen hat ihren Ursprung in einer Sonderoffenbarung und ihr Ziel in der Aufhebung aller Sonderung. In Mythos und Ritus stellt sie der Allgemeinheit ihr Geheimnis dar und behält es doch dem vor, der drinnen in ihr lebt. Darum ist es stets ein seins- und sinnwidriges Unternehmen, wenn einer wertend und abwertend die eigene Religion mit einer andern vergleicht: seinen vom Adyton aus erfahrbaren Tempelbau mit dem Außenaspekt des fremden, wie er sich dem aufmerksamen Betrachter bietet. Man darf nur die entsprechenden Bauglieder nach Struktur, Funktion und Zusammenhang miteinander vergleichen, redlich, aber niemals abschätzend: weil deren inneres Verhältnis zu dem unsichtbar bleibenden Sanctissimum verhohlen ist. Nein, es geht mir und es geht überhaupt um eine, um die entscheidende Auseinandersetzung innerhalb des Judentums, innerhalb des Christentums, und so fort. Weil es überall wesentlich die eine ist, ist es mir, gebunden und frei wie ich bin, erlaubt zu reden wie ich rede. Die Auseinandersetzung, die ich meine und an der ich mitwirke, ist die zwischen der Devotio und der Gnosis, eben der, die Pannwitz mit Recht die »ewige« nennt, »die tausend Stufen und Formen hat«. Gnosis bedeutet im Faktischen, d. h. in der jeweiligen Tatsächlichkeit des gelebten Lebens eines Gnostikers, wie sie sich auch noch in der spiritualsten seiner Äußerungen kundgibt, ein wisserisches Verhältnis zum Divinum, wisserisch vermöge einer anscheinend nie wankenden Sicherheit, im Selbst die zulängliche Divinität zu besitzen. »Wisserisch« ist eine kritische Wortbildung; in meiner Schrift-Übertragung werden die das Geheime einflüsternden Geister in getreuer Wortwiedergabe »die Wisse-

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rischen« genannt. Für den rechten Gnostiker gibt es das Unwißbare nicht; in hohen Zeiten der Gnosis zeichnet er die Landkarte des siebenten Himmels und berichtet die Geschicke des Absoluten von Uranbeginn, in andern senkt er die Mysterien in die unanfechtbare Psychik ein. All das involviert naturgemäß keinerlei Verbindlichkeit, es sei denn die, das eigne Selbst von allem zu befreien, was seiner pneumatischen Souveränität Abbruch tut. Es steht ihm, dem gnostischen Selbst, denn auch nichts höheren Rechtes gegenüber, nichts, das von ihm fordern, es heimsuchen, es erlösen könnte: die gnostische Erlösung kommt aus der Freiwerdung der Weltseele im Selbst. In den mannigfachen Abarten birgt sich das gleiche Urmotiv der wisserischen Selbstherrlichkeit am All. Sie hat auch eine Liebe: die in ihrem Anspruch das All beschläft. Devotio bedeutet den uneingeschränkten, mit dem Leben der sterblichen Stunden geübten Dienst an dem als Gegenüber und immer wieder als Gegenüber vergegenwärtigten Divinum, mit dem man keineswegs, wie Pannwitz rügend vermerkt, »auf du und du zu stehen« sich vermißt, zu dem man aber, in der Sprache der gesamten ihm im Alltag zugewandten vita humana, du zu sagen, das heißt, zu ihm im frei dienenden Gegenüber zu stehen wagt. Die große unerschöpfliche Voraussetzung ist, daß der so Dienende niemals und nirgends sein Selbst als d a s Selbst versteht, – daß er sich vielmehr bis in die innerste Tiefe der Versenkung noch immer und immer wieder als d i es es Selbst dem unendlichen Selbst gegenüber kennt und so zu ihm sich verhält. Noch präziser: daß er in allem Dienst den leiblichen Tod, die treue Sterblichkeit als die menschlichste aller Präsenzen an der Hand hält und eben so Mal um Mal dem Ewigen gegenübertritt. Man fragt diesen Menschen: »Was soll das heißen, Gott als dein Gegenüber zu determinieren? Das ist ja ein schnöder Anthropomorphismus! Ertrags doch, daß Gott dir über die Schulter schaut!« Es sollte nicht schwer sein zu verstehen, daß dieser Mensch nur sich selber, und sich nur praktisch und auf die Praxis hinweisend determiniert. Sein Herr mag ihm zu allen Seiten sein, – indem er seinem Herrn dient, ist dieser ihm gegenüber. Der Gnostiker kann nicht dienen und will es nicht können. Der Mensch der Devotio, der »Angelobung«, befaßt sich nicht mit den Mysterien seines Herrn, der ihm jeweils von sich zuteilt, was er ihm zuteilt. Die Gnosis ist eine Großmacht in der Geschichte des Menschengeistes. Von der Macht der Devotio ist auf der Fläche der Geschichte nicht viel zu entdecken; ihre höchste Machtprobe ist das Martyrium, – devotio nannten ja die Römer die Selbstopferung des Feldherrn um des Sieges willen. Die »Auseinandersetzung« zwischen beiden ist zumeist pures Dasein.

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Mitunter nur, in Augenblicken einer besonderen Gefahr, muß sie worthaft werden.

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Pannwitz macht mir zum Vorwurf, ich »zerspaltete« das »Kontinuum des Christentums«, indem ich das an ihm, was »Gnosis und Mysterium« ist, »nicht nur von dem jüdischen Christus, sondern auch von dem S t i f t e r Christus« trennte. Das ist eine Behauptung, die der Klärung bedarf, ehe sie berichtigt wird. Niemand kann das Kontinuum einer Religion zerspalten. Das Kontinuum einer Religion, sofern man es nicht in einem Fürsichsein (mit dem ich mich nicht beschäftige), sondern in der menschlichen Wirklichkeit betrachtet, ist ein geschichtliches. Das heißt, ihre innere Dialektik, deren Austragungen und Ausgleiche, Wandlungen und Wiederkünfte, all das gehört wesenhaft dazu. Aus dieser vitalen Dialektik errichtet sich das Kontinuum und stellt sich immer wieder her; Rezeptionen wechseln mit Ausstoßungen und Schismen mit Wiederbegegnungen, die geschichtliche Identität, das reale Kontinuum erhält sich in und aus alledem, wie der Organismus in und aus den ungeheuren Innenkämpfen, die zu seinem Leben wesenhaft gehören, solang es eben währt. Aber ein Betrachter, dem es auch in seinem Betrachten um den Bestand der Glaubenswirklichkeit geht, weil er um sie als um den einzigen Brückenbau über dem Chasma des Seins bangt, darf nicht um der geschichtlichen Konsistenz des Kontinuums willen dem vollen Anblick des Urgegensatzes zwischen Gnosis und Devotio in dessen geschichtlichen Erscheinungen ausweichen; denn jene Stunden und diese haben miteinander zu schaffen. Insbesondere aber darf der solchermaßen »interessierte« Betrachter sich diesen Anblick nicht durch die gewaltigen Unternehmungen der Gnosis verkürzen lassen, die die Gegensätzlichkeit gern dadurch verwischt, daß sie das Geschichtlich-biographische aus seiner Kontingenz ins Spirituale hinweghebt. Wen meint Pannwitz mit dem »Stifter Christus«, den er von dem »jüdischen Christus« zu unterscheiden weiß? Man sollte meinen: den Mann, der die christliche Religion gestiftet hat, – wobei vorauszusetzen wäre, daß Jesus von Nazareth dieser Mann war. Aber ersichtlich hat Pannwitz gar kein wirkliches Menschenwesen im Sinn, sondern das von der johanneischen Gnosis entworfene Bild, das seit damals einem großen Teil der Christenheit als das ihres Stifters gilt. Unter dem »jüdischen Christus«

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hingegen haben wir doch wohl das Erinnerungsbild jener zu verstehen, in denen das Gedächtnis ihres Meisters fortlebte, und dieses Bild eben, soweit es sich uns in den literarischen Zeugnissen erschließt. Wenn ich von dem Glaubensgehalt und der Glaubensweise Jesu zu handeln habe, steht es mir zu, mich an dieses und nicht an jenes Bild zu halten, ja letztlich an kein Bild – auch die Erinnerung mythisiert, und die sich überliefernde gar –, sondern an die eine, immer neu wiedererkennbare Stimme, die aus einer Reihe unzweifelhaft echter Sprüche zu meinem aufgetanen Ohre redet: die Umrisse des Sprechers mögen unbestimmt sein, die Stimme ist bestimmt genug. Mir ist das an diesem Sprecher wichtig, was ihm offenbar selber wichtig war: das Weilen in der Unmittelbarkeit zu Gott, die große Devotio. Die Botschaft, als deren Bringer er sprach, die von dem »genahten«, dem ganz nah ans Irdische herangekommenen »Königtum Gottes« 1 , dem sich die Devotio des Menschen entgegenheben soll, redet nicht, wie die gnostischen Apokalyptiker, von einem »Untergang des Äons« sondern von dessen Eingang unter die Hand, die sich niederstreckt, ihn zu regieren. Pannwitz weiß von einem »Christus«, Christus schlechthin, der »viele Gnosis aufgenommen« habe. Jesus von Nazareth ist das nicht. Er enthüllt nicht, wie die Gnostiker, Mysterien des Pleromas; er zeigt auf die Pforte, die im Hier offen steht, und er nennt sie ’emunah, Vertrauen, wie die Propheten sie genannt haben. Der seine Jünger »Unser Vater« beten lehrte, wird sich als »autarke Seele« nicht ausweisen können. Er hat auch im Kosmos Atheos des modernen Gnostikers nicht, und darin erst recht nicht, wo er sein Haupt hinlege. Um was es Pannwitz zu tun ist und um was nicht, erscheint unverkennbar in dem Satz, »Christus« habe seinen Opfertod »als einmalige und endgültige Verkörperung des vorderasiatischen heiligen Osterdramas vorgeführt«. Aus dem Entschluß des Mannes, das geahnte und schon verspürte Leiden auf sich zu nehmen und, wenn es in den Martertod münden müßte, auch diesen noch – der prophetischen Ansage für die Gottesknechte in all ihren »Toden« (Jes. 53, 9 2 ) gemäß – als Opfer für die »Vielen« darzubringen, wird hier der Wille zu einer »Vorführung« gemacht. Auch ich weiß um das vielgestaltige Mysteriendrama von göttlichem Sterben und Auferstehen, das so großen Anteil an der Vergottung des »Auferstandenen« hatte; aber das wirkliche Selbstopfer wird eben dar1. 2.

In der Rückübersetzung wird eindeutig klar, daß kein »Himmelreich« gemeint ist. »Himmel« ist hier keine Bezeichnung einer Überwelt, sondern ein dem Israel jener Zeit besonders geläufiger Gottesname. Vgl. mein »Zwei Glaubensweisen« S. 107 und mein »Der Glaube der Propheten« S. 325 f.

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gebracht und nicht vorgeführt, es lebt im Herzen des sich zu opfern Bereiten nicht auf ein Drama bezogen, das der Verkörperung harrt, sondern auf die Vielen, für die er sich opfern will, es ist kein ins Leben transponiertes Dromenon, sondern die erfüllte Devotio. Ich halte den Mythos für unentbehrlich; aber für zentral halte ich nicht ihn, sondern den Menschen und immer wieder den Menschen: der Mythos muß sich am Menschen bewähren und nicht der Mensch am Mythos. Doch habe ich mich, im Gegensatz zu Pannwitz’ Behauptung, über das Christentum auch da, wo in ihm der Mythos den Menschen zu verschlingen droht, nicht abwertend geäußert. Ich spreche von dem Heil, »das durch den Christusglauben zu den Menschen der Völker gekommen ist: sie haben einen Gott erlangt, der in den Stunden, da ihnen die Welt zerbrach, nicht versagte, ja mehr noch, der ihnen in Stunden, da sie sich der Schuld verfallen fanden, die Sühne gewährte. Das ist ein weit Größeres, als was ein angestammter Gott oder Göttersohn der abendländischen Völker für dieses späte Zeitalter zu tun vermocht hätte«. 3 Nicht die das Unaussprechliche zur Sprache bringende Mythisierung der Wirklichkeit ist vom Übel, sondern die Gnostizisierung des Mythos, die ihn aus seinem geschichtlich-biographischen Wurzelgrund reißt. Glaubensgebundener Mythos und existentielle Verantwortung gehen zusammen; glaubensloser Mythos und existentielle Verantwortung gehen nicht zusammen. Nun aber wirft mir Pannwitz vor, ich gäbe Jesus »die Schuld«, aus der Verborgenheit der Gottesknechte getreten zu sein. So sei zunächst die von mir dem Nachwort zu meiner Erzählung »Gog und Magog«, auf das er Bezug nimmt, um zwei Jahrzehnte vorausgeschickte Erläuterung angeführt: 4 »Was auch seine (Jesu) Erscheinung der Völkerwelt bedeutet (und ihre Bedeutung für die Völkerwelt bleibt für mich der eigentliche Ernst der abendländischen Geschichte), vom Judentum aus gesehn ist er der erste in der Reihe der Menschen, die, aus der Verborgenheit der Gottesknechte, dem wirklichen ›Messiasgeheimnis‹, tretend, in ihrer Seele und in ihrem Wort sich die Messianität zuerkannten. Daß dieser Erste – wie ich immer wieder erfahre, wenn sich mir die personhaft klangechten Worte zu einer Einheit fügen, dessen Sprecher mir schaubar wird – in der Reihe der unvergleichlich Reinste, Rechtmäßigste, mit wirklicher messianischer Kraft Begabteste war, ändert nichts an dem Faktum dieser Erstheit, ja es gehört wohl eben dazu«. Eine »Schuld« besagt all dies keineswegs. Wie die andern jeweils »im Dunkel des Gottesköchers« hausen3. 4.

»Zwei Glaubensweisen« S. 136. S. Geleitwort zu »Die chassidischen Bücher« (1927), wieder abgedruckt in »Die chassidische Botschaft« S. 29.

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den »Knechte« oder Gottespfeile, weiß auch Jesus nicht zweifelsfrei, ob er zum Herausgenommenwerden, zum Abgeschossenwerden bestimmt ist; mehr noch, er weiß nicht einmal das zweifelsfrei, ob er sich nicht dazu anbieten muß, wenn es rechtmäßig geschehen soll; und als »Messias Sohn Josefs« erscheinen schließt ja nach jüdischer Lehre das Martyrium ein. Wenn er nun, in einer Stunde, in der die Frage aus ihrer Tiefe aufsteigt 5 , die Menschen, auf die er dafür angewiesen ist, »Schüler« genannt, befragt, wer er ihrer Einsicht nach sei (dergleichen braucht der Gnostiker freilich nie zu tun, weil ihm ja das Selbst zureicht) und die Antwort erhält, die er erhält, dann geschieht eben von ihm aus, was geschieht, die »Bedrängung des Endes«, und es geschieht in der höchsten Unschuld. Pannwitz scheint jedoch auch, wie aus ähnlichem Mißverstehen andere vor ihm, als Dünkel zu beanstanden, daß ich, wie ich ausdrücklich bekannte 6 , Jesus »von Jugend auf als meinen großen Bruder empfunden« habe. So sei denn auch dazu die Erläuterung gegeben, die ich, das Verständnis meiner Leser überschätzend, für überflüssig hielt: die Juden, die es vom Grund aus, vom Urbund aus sind, die »Erzjuden«, zu denen ich mich zu zählen wage, sind »Brüder« Jesu. Auch dies habe ich zwei Jahrzehnte früher vorweg ausgesprochen: »daß wir Juden ihn (Jesus) von innen her auf eine Weise kennen, eben in den Antrieben und Regungen seines Judenwesens, die den ihm untergebenen Völkern unzugänglich bleibt«7 .

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3 War es in der Geschichte der christlichen Stiftung so, daß die Gnosis auf den wurzelechten Wildschößling der Devotio ihr fremdes Zuchtprodukt pfropfte, so ist in der Religiosität des Judentums auf dem Boden der europäischen Diaspora ganz anderes zwischen beiden vorgegangen. Pannwitz sieht in der Kabbala nicht mit Unrecht eine große jüdische Ausgestaltung der Gnosis; aber seine Darstellung legt die Meinung nah, der Chassidismus sei einfach aus der Kabbala gewachsen, er sei einfach deren Eintritt ins breite Volksleben, also gleichsam eine angewandte Gnosis. Dem ist jedoch nicht so. In meinem ersten Buch über den Chassidismus (»Die Geschichten des Rabbi Nachman«, 1906) schrieb ich, er sei die Ethos gewordene Kabbala. 5. 6. 7.

Vgl. »Zwei Glaubensweisen« S. 28 ff. »Zwei Glaubensweisen« S. 11. »Zwiesprache« (1930), wieder abgedruckt in »Die Schriften über das dialogische Prinzip« (1954) S. 132.

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Das ist zwar keine zulängliche Beschreibung des Tatbestands, aber ein zutreffender Hinweis auf ihn. Man muß nur verstehen, was das bedeutet, wenn eine Gnosis Ethos wird: es ist die wahre religiöse Revolution, die nur als Werk der Devotio möglich ist. Um in der durch eine verkehrte, wahngetragene religiöse Revolution, den Sabbatianismus, entstandenen Krisis des Glaubenslebens den Ausweg, den neuen Weg zu finden, aus der Heiligsprechung der Sünde den Weg in die Heiligung des Alltags, greift der Chassidismus auf die Kabbala zurück, wie es der gnostische 8 Sabbatianismus getan hatte. Aber die chassidische Bewegung übernimmt von der Kabbala nur das, was sie für die theologische Fundierung eines begeisterten und unexaltierten Lebens in der Verantwortung – Verantwortung jedes Einzelnen für das ihm anvertraute Stück Welt – braucht. Gnostische Theologeme, die so übernommen werden, verwandeln sich, ihr Boden und ihr Luftraum verwandeln sich mit ihnen. Aus Spiritualien, die im Unverbindlichen thronen, wird die Kernsubstanz der Bewährungen. Das Pneuma hat sich in den Gnaden einer Inbrunst niedergelassen, die den an der Kreatur geübten Gottesdienst befeuert. Damit ist alles anders geworden. An die Stelle esoterisch geregelter Meditationen ist die unvorschreibbare, immer wieder dem Augenblick entspringende Begabung jeder Handlung mit Intentionskraft getreten. Nicht in der Abgeschiedenheit von Asketen und Asketenschulen stellt sich nun das Heilige dar, sondern in dem sich Aneinanderfreuen der Meister und ihrer Gemeinden. Und – was in den Kreisen der alten Kabbala undenkbar gewesen wäre – der »Einfältige«, das heißt, der von Natur in sich einige Mensch der ursprünglichen Devotio, der wie der rabbinischen Wissenschaft so auch des Geheimwissens entbehrt, aber beider entraten kann, weil er einig den einigen Dienst lebt, ist zu Ehren gekommen. Wo der mystische Wirbel kreiste, dehnt sich nun der Weg des Menschen. Die Devotio hat im Chassidismus die Gnosis absorbiert und überwunden. Solches hat immer wieder geschehen müssen, wenn die Brücke über dem Chasma des Seins nicht einstürzen sollte.

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Pannwitz’ Bezeichnung »ahrimanischer Naturalismus« kann wohl nur durch eine Unkenntnis der echt gnostischen Theologie des Sabbatianismus erklärt werden, die die Forschungen Gerhard Scholems uns erschlossen haben.

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Zur Klaerung I. Dem Ersuchen der Redaktion um Stellungnahme leiste ich gern Folge, weil sich in diesem Zusammenhang einiges sachlich Belangvolle klären lässt. An Persönlichem sei also nur das zum Verständnis Unerlässliche gesagt. Der Tatbestand, von dem ausgegangen werden muss, ist eine Groteske. Eine Zeitungskorrespondenz, die sich Pressedienst Gruppe junger Autoren nennt, hat einer grossen Tageszeitung die angeblichen Ergebnisse einer angeblich von ihr veranstalteten »Neujahrsumfrage« unter dem Titel »Wohin führt unser Weg? Berühmte Gegenwartsautoren schreiben zum Jahreswechsel« angeboten und die Zeitung hat sie veröffentlicht. Darunter war eine mir zugeschriebene Aeusserung in fünf Sätzen, zu deren Kennzeichnung nur die volkstümliche Sprache taugt: sie sind ein kompletter Stuss. Man lässt mich da z. B. Menschen in Deutschland rühmen, weil sie »neben die Zeitung eine Bibel gelegt hatten« (lieber nicht!) und andere, weil sie in mir das Alter grüssen, »das nicht mehr unnütz ist in einer Welt, in der sonst nur die Arbeitskraft zählt« (das soll von mir sein!). Im Schlusssatz ist eine Stelle aus meinem Buch »Moses« über den Dekalog in einen Stuss verwandelt. Von mir gestellt, erklärten die Jungen Autoren, es handele sich um die Wiener Fernschreiber-Durchgabe einer Proklamation des österreichischen Ministers Gruber, welche Durchgabe durch den Satz »Folgt noch Gruber-Notiz« eingeleitet worden sei, in welchem Satz »Buber« statt »Gruber« verstanden worden sei. Vielleicht erfolgt noch eine Stellungnahme Grubers zu dem nunmehr ihm ins Nest gelegten Kuckucksei. Inzwischen aber hatte die kuriose Sache in einen anderen Bezirk hinübergewirkt, indem zwei jüdische Blätter der Schweiz die Gelegenheit wahrnahmen, um sich den ihnen seiner Haltung zu Arabern und Deutschen wegen missliebigen angeblichen Verfasser vorzunehmen, – was Dr. Klee noch glimpflich besorgte, wogegen sein weniger kultivierter Baseler Kollege einen mehrseitigen Tobsuchtsanfall unter dem Titel »Geistesspaltung« präsentierte.

II. So der Sachverhalt, der immerhin als ein nicht uninteressanter Beitrag zu einer Existenzialanalyse der Presse dienen mag. Nun aber zu den so viel

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ernsteren Fragen, die Dr. Klee aufwirft. Es sind zwei, von denen die eine hier nur kursorisch zu behandeln ist, wogegen die zweite etwas gründlicher erörtert werden soll. Klee zitiert eine (übrigens auch gedruckt vorliegende) Aeusserung des Wiener katholischen Dozenten Schubert, ich »verchristliche« das Judentum. Wer sich einigermassen in der Geschichte des Verhältnisses der christlichen Theologie zum Judentum auskennt, weiss, welcher Absicht solche Sätze dienen: das Judentum, vorgeblich die Religion des starren Gesetzes und der unerbittlichen Vergeltung wird als die düstere Folie gemalt, vor der sich die lichte Religion der allumfangenden, alle zu erlösen bereiten Liebe wirksam abhebt. Diese Betrachtungsweise geht bekanntlich auf den genialsten Theologen des Christentums und dessen eigentlichen Begründer, Paulus, zurück. Wie ich über dessen Bild des Judentums denke, mag man in meinem Buch »Zwei Glaubensweisen« (1950) nachlesen. Dort zeige ich freilich auch – eine Einsicht ausarbeitend, die ich schon in meiner Rede »Der heilige Weg« (1918) dargelegt habe, – dass das die Thora geschichtsethisch auslegende prophetische Judentum und die Lehre Jesu zusammengehören, Jesus und Paulus aber nicht zusammengehören. Meine Frage, auf welche Stellen meiner Schriften sich Schuberts Behauptung beziehe, hat dieser nicht beantwortet, sondern sich auf den Standpunkt zurückgezogen, dass er im Gegensatz zu mir das Judentum als reinen »Nomismus«, als ausschliessliche Gesetzesreligion verstehe. Allen derartigen Simplifikationen gegenüber habe ich seit 1909 immer genauer, auf Grund eines immer exakteren Studiums der Texte und Traditionen, auch innerhalb des Judentums von seinem Anbeginn zwischen zwei oft einander bekämpfenden, aber wieder und wieder zu neuer Synthese gelangenden Grundtendenzen unterschieden u. habe unablässig, aber immer substantieller auf diese innere Dialektik als das wichtigste Moment im Geistesprozess »Judentum« hingewiesen. Aus der einen der beiden Grundtendenzen ist, wie ich (besonders in »Zwei Glaubensweisen«) gezeigt habe, die Botschaft Jesu gewachsen. Aber im Judentum ist, auf dem Weg über schwere Krisen und Ueberwindungen, das Werk an der Synthese weitergegangen, bis sie im Chassidismus ihre zugänglichste Gestalt gewann. Als ich die Aufmerksamkeit der Welt auf die in ihm enthaltenen Elemente einer grossen religiösen Humanität – etwa das der Feindesliebe als eines Gottesdienstes* – lenkte, befasste man sich, sowohl hüben wie drüben, natürlich ergebnislos, mit der Frage, welcher christliche Einfluss da im Spiele sein mag, und als ich in meinem Buche »Gog und Magog«, genau nach der chassidischen Ueberlieferung, einen Zaddik *

Vgl. »Die Erzählungen der Chassidim« (1949) S. 267 (wörtlich übersetzt).

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zeichnete, in dem sich wieder einmal die jüdische Liebe zum Menschen und das jüdische Leid um ihn verkörpert hatten, warf man mir vor, wieder hüben und drüben und wieder ohne den geringsten Beweis unternehmen zu können, ich hätte ihn verchristlicht. Es wachsen eben immer noch neue Sprossen aus dem alten Wurzelgrund. Die von Dr. Klee als zweiter Beleg angeführten Worte einer Christin sind mir nichts Neues. Insbesondere erinnern sie mich an einen Ausspruch des grossen Judenfreundes Leonard Ragaz. Im Frühling 1916 brachte er seinen Universitätshörern das eben erschienene Heft des »Juden« mit den Worten: »Meine Herren, hier zeige ich Ihnen die christlichste Zeitschrift von allen, die mir in dieser Zeit zu Gesicht gekommen ist. Sie heisst ›Der Jude‹.« War etwa dieser »Jude« auch verchristlicht? Es muss doch jedem unbefangenen Menschen klar sein, was Ragaz in seiner religiösen Sprache damit sagen wollte. Es bleibt natürlich jedem unbenommen, dem nationalen Humanismus, zu dem ich mich bekenne, auch heute noch den nationalen Partikularismus vorzuziehen; aber diesen mit dem Judentum zu identifizieren, ist nicht zulässig, zumal in unserem Zeitalter der dialektische Prozess im Judentum von neuem angehoben hat.

III. Der Hauptpunkt, der Dr. Klee zu seiner Polemik veranlasst hat, ist jedoch ein anderer, wiewohl im Grunde beides miteinander zusammenhängt. Wie so viele, wirft er mir meine Haltung zu den Deutschen vor. Um der sachlichen Klärung willen muss das persönliche Terrain nun doch für einen Augenblick beschritten werden. Meine Gesinnung gebietet mir, kein Volk als Volk zu verdammen, wie die christlichen Kirchen so oft das jüdische Volk insgesamt als Messiasmörder verdammt haben. Ich fühle mich in die Pflicht genommen, in jedem Volke, von dem aus Untaten – und seien sie noch so monströs – geschehen sind, grundsätzlich und nach Möglichkeit auch praktisch zwischen aktiv Schuldigen, passiv Schuldigen und Nichtschuldigen (ich sage nicht: Unschuldigen, das ist keiner) zu unterscheiden. Was ich in Frankfurt von den zwei ersten Kategorien und insbesondere der zweiten sagte, hat auf die Deutschen keineswegs so gewirkt, wie Dr. Klee als sicher annimmt. In der Oeffentlichkeit rief jede ernstere Stimme, die darüber sprach, die Herzensträgen zu strengerer Selbstbesinnung auf. Unter d. Hunderten von Briefen unbekannter Deutscher, die ich erhielt, waren zwar ein paar wüste Schimpf- und Drohbriefe, aber nicht ein einziger

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von den Schreibern hatte, etwa am Radio zuhörend, meine Kennzeichnung der Passiven so verstanden wie Dr. Klee sie versteht. Nach einigen meiner Universitätsvorträge haben führende deutsche Gelehrte im Kreise ihrer Kollegen, zuweilen in einer in der westlichen Zivilisation fast beispiellosen Weise, ihren Anteil an der Schuld des Nichtwiderstands als die grosse Belastung ihres Lebens bekannt und in der konkretesten Sprache die vollzogene Wandlung geschildert. Dr. Klee irrt: nichts von dem, was ich sagte, ist dort als Beschönigung verstanden worden: nichts konnte dort so verstanden werden. Schon in meiner – von den Initiatoren in einem Sonderdruck stark verbreiteten – Hamburger Rede heisst es unmissverständlich genug: »Leute, die in ihrem Privatbezirk von der skrupulösesten Rechtlichkeit waren, sahen wir Tag um Tag, nachdem ihre Partei ihnen angegeben hatte, wer der (in diesem Fall innere) ›Feind‹ sei, mit unanzweifelbar ruhigem Gewissen lügen, verleumden, betrügen, rauben, peinigen, foltern, morden. In den Fabriken des Guten Gewissens wird zuverlässig gearbeitet!« Nun aber das Wichtigste, das nicht mit einem leichten »Dem wird jeder zustimmen können« abgetan werden darf: die mehrere Zehntausende (die endgültigen Zahlen stehen noch aus, eine sonst verlässliche Quelle gibt 120.000 an) zählende Schar der deutschen Blutzeugen, nämlich der im aktiven oder passiven Widerstand Hingerichteten und der Selbstmörder aus Unmöglichkeit des Widerstandes. Stehen diese Zehntausende nicht immerhin den Tausenden oder Zehntausenden von Mördern gegenüber? Wiegt solch ein Sterben gar nicht auf der Wagschale der Sühne? Ich kenne Völker, wo die sehr viel billiger zu erwerbende Beteiligung an einem öffentlichen Protest gegen Untaten dennoch von vielen, die sie unter vier Augen verurteilten, nicht gewagt worden ist. Und wenn man aus den Fakten folgern darf – und man darf es –, wie unzählige Deutsche mögen ähnlich wie jene empfunden und nur den letzten Schritt zu tun nicht vermocht haben! Einen meiner Freunde, einen grossen deutschen Dichter, hat das Leiden am Ungetanen in einer kurzen Zeitfrist aufgezehrt. Wie verhält es sich aber heute? Ehe mir der zweite Preis verliehen wurde, habe ich mir das Volk in Westdeutschland angesehen; es war mir insbesondere möglich, in die Haltung der Jugend einigen Einblick zu bekommen. Vielen fehlt es, wie den Vielen immer und überall, an einer einsatzbereiten Realgesinnung, und ein paarmal stiess ich auch auf einen mehr oder weniger unbewussten Zynismus. Dann aber blieben – ich spreche jetzt von der Jugend – zwei Lager, zwischen denen ein zumeist nicht in der Oeffentlichkeit ausgetragener, immer wieder jedoch in die Erscheinung tretender Kampf herrscht. Das eine, zweifellos wesentlich kleinere

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Lager bilden die Völkischen verschiedener Schattierungen; das andere ist schwieriger zu charakterisieren, aber eins ist hier offenbar allen gemeinsam: eine stille phrasenlose Hoffnung auf eine Menschheit aus ebenbürtigen und gleichberechtigten Nationen. An Negativem ist zu vermerken, dass die Partikulären erheblich straffer zusammengeschlossen sind als die Humanen: es ist ja nun einmal so, auch anderswo, dass die Finsternis eher dazu neigt sich zu ballen als das Licht. Unverkennbar ist die Stunde aber eine Stunde der Labilität: es kommt sehr auf die geistige Führung, es kommt auf die Ausbildung der Fähigkeit zu sinnreichem Zusammenschluss an. Ohne eine grosse Konsolidierung des Guten im deutschen Volk jedoch hat in der Welt eine Wendung zum Guten keine Chance. Ich habe in meiner Rede im Raum des Frankfurter Parlaments von 1848 mit dem stärksten Nachdruck darauf hingewiesen, dass solch eine innere Front heute in nicht wenigen Völkern und in einer wachsenden Zahl von Völkern besteht, wobei das Kraftverhältnis zwischen den zwei Lagern ein sehr verschiedenes ist. Dem nationalen Humanisten gebietet überall da, wo er durch eine an ihn herantretende Generation aufgerufen ist, seine Gesinnung, die Kämpfer für eine neue Humanität zu ermutigen und zu stärken, so gut er es vermag. Die Situationen kann er sich nicht aussuchen: er hat in der Situation Ernst zu machen, die ihn antritt. Die Front des inneren Kampfes geht aber auch quer durch die einzelnen Berufsgruppen im Volk. Die deutschen Buchhändler – von denen ich nicht wenig weiss – haben sich die Erteilung der Preise an meine beiden Vorgänger u. meine Freunde, den religiösen Humanisten Albert Schweitzer und Romano Guardini, und ebenso die Erteilung des Preises an mich nicht von ihrem Vorstand (dessen Mitglieder Vertreter im besten Sinne sind) aufoktroyieren lassen; es hat auch hier manche innere Auseinandersetzung gegeben, aus der dann jedesmal der Beschluss, einmütig oder nahezu einmütig, hervorging. Nach der Meinung meiner Kritiker hätte ich den Buchhändlern antworten sollen: »Ich will mit euch nichts zu tun haben, denn nach allen Regeln der Statistik seid ihr allesamt entweder Mörder oder doch Kameraden oder Freunde und Verwandte von Mördern. Haltet euch zum Mörderpack, mich kriegt ihr nicht, denn ich bin ein Jude und vergelte das Böse, das mir angetan wird, zwar nicht mit Bösem, wohl aber mit absoluter Distanz zu den Volksgenossen der Täter«. Nein, so rede ich nicht. Auch mir sind teure Menschen umgebracht worden, und ich sah sie vor mir, als ich in der Frankfurter Rede von dem »ni e zu t i lgend en Ged ächt ni s d es sen, w as geschehen i s t « sprach. Aber ich wusste auch unverbrüchlich: gerade hier ist die Wahrheit, an die du glaubst, recht eigentlich zu bewähren. Nein: wenn Streiter um eine neue Humanität, Streiter der inneren Front, die die Völker quert,

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einen Appell an mich richten – und diese Preiserteilung ist ein Appell gewesen, wie sie eine sinnbildliche Kundgebung war –, versage ich mich ihnen nicht, woher auch immer ihre Stimme kommt. Mögen die führenden deutschen Buchhändler, von denen ich einige als echte Humanisten in einem eminent praktischen Sinn kenne, im Rahmen ihres Verbandes für die humanitas geworben haben, erzieherisch geworben, wie es im Rahmen der deutschen Gesamtheit die Franz Boehm und Erich Lueth taten, um die Instanzen und die öffentliche Meinung für die Schilumim zu gewinnen, so spricht das für und nicht gegen die Sache, um die es geht. Wo in dieser Weltstunde der äussersten Labilität die Menschlichkeit in die Handlung eintritt, liegt es unsereinem ob, sie zu ermutigen, um der Gegenwart und um der Zukunft willen. Ein »politischer Akt« – es sei, wiewohl jeder, der mich hörte, verstand, dass kein »Vertreter«, sondern ein Mann der personhaften Verantwortung redet. Ich wills auch als politischen Akt verantworten. In dieser gefährlichsten aller Menschenstunden kann keine andere Politik mehr helfen, als die humane.

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Ein Realist des Geistes Als ich 1905 hörte, der Privatdozent der Theologie Albert Schweitzer habe angefangen, Medizin zu studieren, merkte ich auf, und als ich acht Jahre später hörte, er sei nach dem Kongo gegangen, nicht als Missionar, sondern als Arzt, um eine schlimme Krankheit zu bekämpfen, von der die Eingeborenen heimgesucht waren, nahm der Vorgang für mich einen geradezu symbolischen Charakter an. Ich hatte Schweitzer 1901 oder 1902 durch eine Abhandlung über das Abendmahlsgeheimnis kennengelernt, die mir einen tiefen Eindruck machte, weil sie Jesus mit Mysterien des jüdischen Glaubens in nahe Verbindung brachte. Ich nannte Schweitzer schon damals einen theologischen Realisten, weil er die Erscheinungen des Geistes im Zusammenhang der besonderen Glaubenswirklichkeiten sah, in die sie eingetreten waren. Jetzt, mit dem Medizinstudium und der Übersiedlung nach Lambarene, dokumentierte er sich auch mit seinem eigenen Leben als ein Realist des Geistes. Für den Realisten, den ich meine, sind die Menschen nicht fundamental so in Leib und Seele geschieden, daß er, wenn er ihnen helfen will, ausschließlich der Seele Beachtung schenken dürfte; wo ihm schweres leibliches Leiden entgegentritt, zu dessen Heilung, wenn er sich nur recht drangibt, er wesentlich beitragen zu können glaubt, fühlt er sich berufen – der rechte Arzt hat ja mit Leib und Seele in einem zu tun, das leibliche Leiden ist aber das offenkundige und bei ihm ist anzusetzen, wiewohl nicht ohne die Seele zu beteiligen. Wenn man einen Arzt wie diesen, einen, der von Haus aus Theologe ist und bestimmt, auf Lebzeit Theolog zu bleiben, fragt: »Mußt du denn nicht zunächst dich um die Seele kümmern?«, antwortet er: »Eher als der Leib versteht die Seele zu warten«. Und er bleibt ja damit in der Nachfolge seines Meisters, der gewiß nicht bloß um Zeichen zu geben immer wieder mit der Heilung leiblicher Gebrechen begann. Solcher Art war Schweitzers Wirken in der Sphäre der Betätigung des Geistes im Leben. Aber auch in den Sphären des geistigen Werkes selbst blieb er der Realist. Im Mittelpunkt seiner theologischen Forschung stand stets die Verwurzelung des Urchristentums im gläubigen Willen zur Rettung der Welt und in der gläubigen Ausdeutung jenes Zeitalters als des angehobenen Äons der Rettung. Die spiritualisierte Konzeption der Erlösung gewann für Schweitzer den Grundsinn wieder, den der faktischen Rettung des ganzen Menschen auf Erden. Mit alledem aber war auch dies verbunden, daß die führende Idee in Schweitzers Philosophie die Ehrfurcht vor dem Menschenleben wurde. Dieser Begriff verweist uns wieder auf die leibseelische Ganzheit des ein-

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zelnen lebendigen Menschen als auf das tätig zu Ehrende und zu Fördernde. Nicht bloß die ethischen, auch die politischen Fragen werden verfehlt, wenn man sie unabhängig von der ungeheuren Realität menschlichen Lebens und Sterbens meint behandeln zu dürfen. Auch Schweitzers Verhältnis, als Forscher und als Interpret, zu Bach, dem großen Realisten des gläubigen Geistes, ist in seinem Wesen von hier aus zu erfassen. Uns, vor deren Augen, so sehr wie wohl in keiner früheren Zeit, Geist und Leben auseinandergeraten sind, ist es ein starker Trost und Zuspruch, daß es diesen Mann gibt, in dem sich ihr schöpfungsmäßiges Beisammensein bekundet und bewährt.

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[Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften] Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften ist in unserer Zeit erforderlicher als je vorher, weil die allen glaubenden Menschen gemeinsame Sorge, die um die Zukunft des Menschen auf der Erde, zu einer unheimlichen Beängstigung geworden ist und weil ihr nur durch gemeinsames Werk, unter gemeinsamer Anrufung der Hilfe Gottes, tätig begegnet werden kann. Die Voraussetzung dafür ist eine gründliche Wandlung des Toleranzbegriffs: die Mitglieder verschiedener Glaubensgemeinschaften sollen einander nicht »dulden«, sondern in einem gemeinsamen Dienst am Menschen – nur so ist es möglich und ist es rechtmäßig – die Bindung an Gott als eine gemeinsame erfahren und wahren. Innerhalb dieser planetarischen Zusammenarbeit, die unserer Epoche aufgegeben ist, kommt der zwischen Christentum und Judentum eine besondere Bedeutung zu. Ich sehe den Kern dieser Bedeutung in der Tatsache, daß Jesus, um das von der menschlichen Person zu Tuende befragt, die im 3. und 5. Buche Mose auf verschiedene Abschnitte verteilten beiden Liebesgebote, das der Gottesliebe und das der Menschenliebe, miteinander verknüpft hat, wie es, obzwar in anderer Form – Ableitung der Gottesliebe aus der Ebenbildlichkeit des Menschen – auch die frühtalmudischen Lehrmeister getan haben. Die untrennbare Zusammengehörigkeit beider Gebote im Geist muß ins Werk treten. Eine wahre christlichjüdische Zusammenarbeit muß darauf gerichtet sein, im Hier und Jetzt dieses Werk zu beginnen.

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Maurice Nédoncelle: Does Professor Buber still maintain the opposition that he established some years ago between the emuna of the Jews and the pistis of the Christians? Does he hold that the notion of the chosen people suffices for the obedience of the believing Israelite and is absent from the Pauline faith (except in the form of a society of converts)? Buber: Ich bin (wie ich im Vorwort zu Two Ty p es o f Fai t h betont habe) nie der Ansicht gewesen, eine »emu na der Juden« und eine »pi s t i s der Christen« stünden einander gegenüber. Was ich meinte und meine, ist, dass die erste in besondrer Weise im alten Israel, die zweite in besondrer Weise im paulinischen Christentum ausgebildet worden ist. Es ist mir ganz fern anzunehmen, der Begriff (la notion) des erwählten Volkes »genüge für den Gehorsam des gläubigen Israeliten«. Das Verhältnis Israels zu Gott habe ich nur als Urs p r u ng , nicht als Wesenheit der Beziehung des gläubigen Juden zu Gott bezeichnet. Das grosse Vertrauen, wie es z. B. in unbedingter Klarheit im 73. Psalm zu Ausdruck kommt, ist ein p ers ö nli ches Vertrauen der Person als solcher; es war und ist für mich das Massgebende, nur dass es auf dem Boden jener Erfahrung und Hoffnung Israels gewachsen ist und immer wieder wächst. Damit soll aber keineswegs eine Exklusivität ausgesprochen sein: ich habe im Lauf meines Lebens eine Reihe von Christen kennen gelernt, deren durch keinen Misserfolg, durch kein Unglück zu beeinträchtigendes Vertrauensverhältnis vorbildlich war. Dieses Vertrauen stammte aber nicht aus dem Glauben, dass etwas sich so und nicht anders verhalte: der Glaube diente ihm nur gleichsam als Hilfsmittel zur Erfassung. Am stärksten habe ich das vor vielen Jahren im Gespräch mit der führenden Persönlichkeit einer bedeutenden christlichen Sekte empfunden. Es war eines jener Gespräche, die zwischen zwei Menschen ohne Rückhalt und Vorbehalt geführt werden. Wir sprachen von der uns beiden gemeinsamen Bereitschaft, von dem, was man als eschatologisches Geschehen zu bezeichnen pflegt, in einer ganz unerwarteten, allen geläufigen Vorstellungen widersprechenden Weise überfallen zu werden. Plötzlich hörte ich die Worte: »Wenn Gott es dann von mir fordern sollte, bin ich bereit, sogar … aufzugeben.« Wo ich hier drei Punkte gesetzt habe, war das Zentrum christlicher Dogmatik ausgesprochen. Noch jetzt, während ich dies schreibe, fühle ich die Erschütterung jenes Augenblicks. Was aber Paulus betrifft, so meine ich durchaus nicht, der Begriff des erwählten Volkes fehle bei ihm. Was ich meine, ist, dass er diesen Begriff

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ver keh r t hat. Das habe ich, wie mir scheint, im 8. Kapitel von Two Ty p es o f Fai t h deutlich genug ausgesprochen. Arthur A. Cohen: If you will excuse a direct question, what do you consider the two or three primary problems to which serious Jewish theologians ought to address themselves in our time? Buber: »Direct questions« brauche ich nicht zu entschuldigen; ich bevorzuge sie. Aber diese Frage – zumal in so allgemeiner Form – zu beantworten fühle ich mich nicht Theolog genug. Ich selbst habe theologische Probleme nur dann behandelt, wenn ich mu ss te, d. h. wenn sie mich als unabweisbar aktuell bedrängten, wenn sie mir im Herzen brannten. Mein Rat geht ebendahin.

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Editorische Notiz Die hier gebotenen Fassungen von Bubers Texten folgen in Orthographie und Interpunktion ihren Erstdrucken. Von dieser Regel gibt es vier Ausnahmen. Im Fall von »Das menschliche Handeln und seine Problematik« wird ein auf der Grundlage einer Tonaufnahme erstelltes Typoskript abgedruckt, weil sonst nur ein später, und damit von Buber nicht autorisierter Druck von 1999 zur Verfügung stand. Die Druckvorlage von »Unserem Verbündeten (Leonhard Ragaz zum 75. Geburtstag)« bildet eine für die Martin Buber Werkausgabe erstellte Übersetzung der hebräischsprachigen Erstveröffentlichung. Bei der Wahl der Druckvorlage von »Ein Realist des Geistes« wurde die Entscheidung zugunsten einer Publikation in einem Sammelband getroffen, auch wenn dieser zwei Zeitschriftenveröffentlichungen des Textes aus dem gleichen Jahr vorangingen. Schließlich wird bei Philosophical Interrogations, der englischsprachigen Erstveröffentlichung der Beiträge Bubers, ein ihnen zugrunde liegendes deutschsprachiges Typoskript herangezogen. *

Der vorliegende Band folgt neuen, gegenüber den bisher erschienenen Bänden der Martin Buber Werkausgabe modifizierten Editionskriterien. Die Einleitung, die der Textsammlung vorausgeht, enthält allgemeine Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Texte, ordnet sie in Bubers Gesamtwerk ein und erläutert ihre zeitgenössische Rezeption. Im kritischen Teil des Bandes wird zu jedem einzelnen Text ein Kommentar des Herausgebers geboten, der detailliert auf die Textentstehung eingeht, die Quellen analysiert und die aktuelle Forschungsliteratur benennt. Im Anschluss an den Einzelkommentar werden an erster Stelle die in den Variantenapparaten berücksichtigten, mit Siglen versehenen Textzeugen aufgelistet und, falls erforderlich, kurz charakterisiert. Darunter befinden sich ggf. Manuskripte aus dem Martin Buber Archiv und die zu Bubers Lebzeiten erschienenen, d. h. die von ihm autorisierten Drucke. (Auf die eventuell vorhandenen späteren Drucke wird in den Herausgeber-Kommentaren zu den einzelnen Texten hingewiesen.) Der Bestimmung der Druckvorlage folgen ggf. die bibliographischen Angaben zu den Übersetzungen des Textes. In zwei Fällen werden anschließend vollständige Typoskripte abgedruckt. Es handelt sich um Mitschriften von Bubers mündlichen Beiträgen, die nach einer umfangreichen Bearbeitung unter den Titeln »Kirche, Staat, Volk und Judentum« und »Die Mächtigkeit des Geistes« erschienen sind. Diese Ausnahme empfahl sich wegen des erheblichen Umfangs der vorgenommenen Änderungen: Buber strich

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längere, zusammenhängende Passagen bzw. schrieb sie bis zur Unkenntlichkeit um. In einem Einzelstellenapparat wären diese Textpartien in ihrrem Gesamtzusammenhang nicht darzustellen, da im Korrekturvorgang die textuelle Parallelität zwischen ihnen und den gedruckten Textfassungen an mehreren Stellen unterbrochen wurde. Darauf folgend wird ein Variantenapparat geboten, der inhaltliche, den Sinn des Textes verändernde Abweichungen der vorhandenen Textfassungen von der Druckvorlage verzeichnet. Einträge des Herausgebers sowie herausgeberbezogene Zeichen werden kursiv, der edierte Text recte formatiert. Der Kommentarteil zu dem jeweiligen Text wird ggf. durch Wort- und Sacherläuterungen abgeschlossen. Die Texthervorhebungen der Originaltexte mit gesperrter und kursiver Schrift sowie Kapitälchen werden beibehalten. Alle anderen Arten von Schriftauszeichnung – fette Schrift, einfache und doppelte Unterstreichung, Versalschrift – werden vereinheitlicht mit gesperrter Schrift wiedergegeben.

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Diakritische Zeichen Ko r rekt u ren vo n Bu bers Hand : [Text] Texttilgung hTexti Texteinfügung ! Korrektur zu folgender Variante Her ausgeber bezo gene Zei chen: x, xx, xxx … Unentzifferte(s) Zeichen X Unentzifferte Zeichenfolge ? unsichere Lesung des davor stehenden Wortes [Textverlust] eindeutig fehlende, nicht ergänzbare Textlücken wegen Schreibabbruch, Textzeugenbeschädigung etc. {Text} Variante aus einem Textzeugen, eingeblendet innerhalb einer Variante aus einem anderen Textzeugen / Zeilenumbruch Text zeug en-Si g len: Drucke D1, D2 … Teilabdrucke und Korrekturbögen d1 , d2 … Handschriften H1 , H2 … TS1 , TS2 … Typoskripte TS1:1 , TS1:2 … Schichten innerhalb eines Textzeugen

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Einzelkommentare Lebte Jesus? Bubers Text in Form eines Briefes wurde bereits in der Briefausgabe gedruckt (B I, S. 280). Irrtümlich aber wird hier als Adressat »Wilhelm« Ostwald (1853-1932) angegeben, ein führender Naturwissenschaftler seiner Zeit, der 1909 den Nobelpreis für Chemie bekommen hatte. In Wahrheit ist das Schreiben Bubers an Hans Ostwald (1873-1940) gerichtet, einen damals bekannten Journalisten und Schriftsteller, der mit seinem autobiographisch gefärbten Landstreicher-Roman Vagabonden (1900) sowie seinem Projekt einer »Kultur von unten« unter dem Titel Großstadt-Dokumente (50 Bände 1904-1908) schon vor dem Ersten Weltkrieg publizistisch auf sich aufmerksam gemacht hatte. Hans Ostwald fungiert als Herausgeber einer seit 1910 im Berliner Verlag Eberhard Frowein erscheinenden Monatsschrift Diskussion. KulturParlament. In einem zweiseitigen Vorwort »Zur Einführung« begründen Verlag und Herausgeber den Sinn des neuen Periodikums. Es soll angesichts des vielfach unübersichtlich gewordenen Wissens »Konzentration« für die Leser bieten und damit beim Wissenserwerb »Zeitersparnis« bringen. Zu diesem Zweck wird in jedem Heft von Experten nur eine Schlüsselfrage behandelt, »die gerade das öffentliche Leben beschäftigt und bewegt«. Für das erste, 64 Seiten umfassende Heft der neuen Zeitschrift hatte Ostwald die Frage »Lebte Jesus?« gewählt und zur Beantwortung verschiedene Autoren angefragt, neben Buber fünf weitere Personen: die beiden evangelischen Pastoren Friedrich Steudel (1866-1939, Bremen) und Hans Francke (1864-1938, Berlin), den katholischen Pfarrer Dr. Ruland (18731951, Berlin), sowie Max Maurenbrecher (1874-1930, Erlangen) und Heinrich Lhotzky (1859-1930, München). Ostwalds Einladungsschreiben wurde in der Zeitschrift nicht abgedruckt, so dass der genaue Wortlaut der Fragestellung uns unbekannt bleibt. Dabei ist die Frage nach der Historizität Jesu und generell der neutestamentlichen Quellen keineswegs originell: Sie ist spätestens seit dem »Fragmentenstreit« (1774-78) um Lessings Veröffentlichung von Manuskripten des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) und dem Aufsehen erregenden Buch des damaligen Tübinger Stiftsrepetenten David Friedrich Strauß (1808-1874; Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, 1835/36) virulent. Um 1910 freilich war die Debatte um die historisch beglaubigte Existenz Jesu durchaus wieder »aktuell« geworden. Friedrich Steudel hatte

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sich mit seiner Schrift Das Christusproblem und die Zukunft des Protestantismus (1909) daran ebenso beteiligt wie Max Maurenbrecher mit seinem Buch Von Nazareth nach Golgatha (1909). Insbesondere provokativ und entsprechend kontrovers diskutiert war das 1910 erschienene Buch Die Christusmythe von Arthur Drews (1865-1935), auf das sowohl im Beitrag von Steudel (S. 14) als auch in einer Schluss-Anmerkung des Herausgebers (»Literatur zum Jesusheft«, S. 64) ausdrücklich Bezug genommen wird. Dieser Karlsruher Philosoph hatte eine geschichtliche Existenz Jesu bestritten und die christlichen Überlieferungen als Fortschreibung antiker Mythen gedeutet. Gegen diese Linie argumentierend sprechen sich alle Beiträge in diesem Heft für die Geschichtlichkeit Jesu aus. Bubers Beitrag dagegen (kaum mehr als eine Druckseite umfassend), fällt in doppelter Hinsicht aus dem Rahmen. Formal ist Bubers Text im Unterschied zu allen anderen Beiträgen kein Aufsatz, sondern ein persönlicher »Brief an den Herausgeber«. Buber reagiert damit direkt auf das Anschreiben Ostwalds, und zwar schon im ersten Satz sichtlich im Ton der Abwehr: »Ich muß gestehen, das mich die ganze Frage nicht sonderlich interessiert.« Durch die Wahl der Briefform spart sich Buber überdies eine inhaltliche Auseinandersetzung im Detail. Er kann und will sich kurz fassen. Der sachliche Grund liegt darin, dass Buber in dieser Zeit bereits ein anderes Interesse an der Jesus-Figur erkennen läßt. Nur wenige Monate später am 18. Dezember 1910 wird er seine dritte Prager »Rede über das Judentum« halten und hier erstmals programmatisch den genuin jüdischen Charakter des Urchristentums und damit der Person Jesu herausstellen (vgl. MBW 3, S. 247-249). Buber ist also weniger an der Auflösung der Figur Jesu in den allgemeinen Mythos als an der konkreten geschichtlichen Zuordnung Jesu zum Judentum interessiert. Deshalb unterläuft er in seiner Stellungnahme die religionskritische Spitze der Mythos-Debatte und erklärte die »ganze Frage« für irrelevant. Ein zeitkritisches Motiv kommt hinzu. Selbst unterstellt, die Jesus-Figur sei eine rein mythische, meint Buber, so sei doch die »Macht des Mythos«, die in Jesu Geschichte lebe, »eine Macht des lebendigen Geistes«. Deshalb erscheint ihm die »ganze genetische Fragestellung« (hat Jesus historisch »bewiesen« existiert?) typisch für eine so »geistesunsichere Generation wie die unsere«, die sich über historische Fakten vergewissern wolle, statt sich auf die Unmittelbarkeit der Erfahrung des Geistes einzulassen.

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Lebte Jesus?

Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, 558b,1). D1 : Diskussion. Kultur-Parlament. Eine Monatsschrift für aktuelle Kulturfragen, 1. Jg., Heft 1,1910, S. 56-57 (MBB 108). 2 D : B I, S. 280 (Brief Nr. 151). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 75,4 muß gestehen] muss {muß D2 } Ihnen gestehen H, D2 75,11-13 Aber selbst […] würden ihre Ergebnisse doch für das Leben des Religiösen ganz unerheblich sein.] Aber selbst wenn sie mehr geben könnte, [so] würdehni [in einer Sache wie diese] ihrhei Ergebnishsei [niemals für den Religiösen ! vollständigen Menschen, sondern nur für den Rationalisten (es gibt auch unter denen, die sich religiös nennen, verkappter Rationalisten genug)] hdoch für das religiöse Leben ganz unierheblich hseini. H Aber selbst wenn sie mehr geben könnte, würden ihre Ergebnisse doch für das religiöse Leben ganz unerheblich sein. D2 75,17 in ihm lebt] in ihm [ist] ! lebt H 75,22-23 nicht aber der Geist selber, der seine eigene Tat ist und nicht aus der Zeit, sondern aus sich selbst verstanden wird.] nicht aber der Geist selber, der [ewig sich selber erzeugt und] seine eigene Tat ist und nicht aus der Zeit, sondern nur aus sich selbst [zu verstehen ist] verstanden wird. H nicht aber der Geist selber, der seine eigene Tat ist und nicht aus der Zeit, sondern nur aus sich selbst verstanden wird. D2

Eine Feststellung Diese Stellungnahme Bubers ist eingerückt in die Ausgabe vom 22. Mai 1914 der jeden Freitag erscheinenden Wochenzeitung Die Welt. Die Redaktion setzte über Bubers Text die Zeile: »Herr Dr. Martin B u b e r schreibt uns:«. Bei Die Welt handelt es sich um das von Theodor Herzl 1897 gegründete, bis 1914 existierende Zentralorgan der zionistischen Bewegung. Buber war 1901 dessen Schriftleiter geworden, hatte aber die Redaktion auf Grund von Differenzen mit Herzl »nach nur vier Monaten unter Vorschiebung gesundheitlicher Gründe« niedergelegt (zum Verhältnis Buber – Herzl s. MBW 3, S. 20-25; Zitat S. 20). Der kurze, inhaltlich aber programmatische und im Ton zeittypisch kämpferische Artikel nimmt privat und öffentlich geäußerte, namentlich

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aber nicht genannte Kritik an Bubers »Anschauungen vom ›Urchristentum‹« auf, wie sie beispielsweise die dritte am 18. Dezember 1910 gehaltene Prager Rede »Die Erneuerung des Judentums« erkennen lässt. Erstmals gedruckt worden war sie in der Gesamtausgabe der »Drei Reden über das Judentum« von 1911 (vgl. MBW 3, S. 247-250 sowie die Einleitung zu diesem Band von Barbara Schäfer, S. 32-38). Im Zeitraum von 1910 bis zum Erscheinen dieser Stellungnahme 1914 hatte sich Bubers Überzeugung verfestigt, dass das »Urchristentum« in Gestalt der Botschaft Jesu als genuin jüdisches Phänomen betrachtet und unterschieden werden müsse von dem, was sich – einsetzend mit der hellenistisch-gnostisch verfremdeten Theologie des Apostels Paulus – als »Christentum« durchzusetzen begann. Dokumentiert ist das erstmals in dem 1916 erschienenen Band Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, wobei insbesondere die Aufsätze »Der Geist des Orients und das Judentum« sowie »Jüdische Religiosität« wichtige Hinweise auf Bubers Auffassung vom »Urchristentum« enthalten. Textzeuge: D: Die Welt, 18. Jg., Heft 21, 22. Mai 1914, S. 505 (MBB 143). Druckvorlage: D

Der Preis Der Artikel Bubers erschien in der von ihm seit 1916 herausgegebenen Zeitschrift Der Jude und nimmt zur so genannten »Judenfrage« Stellung, mit der nicht-jüdische Kreise stets aufs Neue Stellung und Status von Juden in Deutschland und anderswo in Frage stellen. Dieses Problem war gegen Ende des Ersten Weltkriegs erneut durch eine 42-seitige Broschüre von Curt Trützschler von Falkenstein unter dem Titel Die Lösung der Judenfrage im Deutschen Reich (1917) aufgeworfen worden. Auf Bitten Trützschlers hatte dazu öffentlich Walther Rathenau (1867-1922) Stellung genommen, damals einer der führenden deutschen Industriellen jüdischer Herkunft, der seit 1899 Vorstandsmitglied der AEG und seit 1915 deren Aufsichtsratsvorsitzender war. In diesem Text geht es um die Frage der vollwertigen Zugehörigkeit der in Deutschland lebenden Juden zum deutschen Staat. Dieses Thema wird hier auf religiöser Ebene behandelt: Müssen die Juden ihr Judentum ablegen und sich zum Christentum bekehren, um gleichberechtigte deutsche Bürger zu sein?

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Die »Lösung der Judenfrage« für Deutschland hatte Trützschler in der Bekehrung aller Juden zum Christentum gesehen, worin ihm Rathenau entschieden widersprochen hatte. Seine Gegenschrift trägt nicht zufällig den Titel Eine Streitschrift vom Glauben (1917), denn Rathenau beabsichtigt nachzuweisen, dass einem Juden vom religiösen Gefühl und Lebensernst her eine Bekehrung unmöglich ist. Er versteht Judentum als geschichtlich gewachsene, »undogmatische Religion«, »kirchenfrei«, »dogmenlos«. Nur das eine Bekenntnis einige diesen »kirchenlosen Glauben«: »das Bekenntnis zur göttlichen Einheit« (S. 12 f.). Und da sollte ein Jude eine Bekehrung zum Christentum wollen, das in drei Kirchen gespalten ist? »Indem Sie nun den Eintritt der Juden in das sichtbare Christentum verlangen, setzen Sie stillschweigend und selbstverständlich den Eintritt in eine der hauptsächlichen Kirchengemeinschaften voraus; ich will es mir nicht oberflächlich leicht machen, indem ich frage, welche Kirche denn wohl gemeint sei, sondern ich will versuchen, den Kirchenbegriff im Verhältnis zum Religionsbegriff zu vertiefen« (S. 16). Genau diese Konzentration der »Judenfrage« auf das Religiöse und damit auf Fragen des Glaubens hatte einen Schriftsteller wie Karl Scheffler (1869-1951) zu einer Stellungnahme provoziert, die unter dem Titel »Glaubenspolitik« in der ebenfalls im S. Fischer Verlag herauskommenden Zeitschrift Die neue Rundschau im Oktober 1917 erschienen war (S. 1413-1416). Bei allem Lob für Rathenaus »Geist wie Delikatesse« vermisst Scheffler doch eine politische Erörterung der »Judenfrage«. Denn der Streit liege »nicht zwischen den Religionen oder Kirchen, sondern zwischen den Rasseinstinkten« (S. 1414). Und da diese eine starke Bindungswirkung hätten, stelle sich für einen Staat die Frage nach der Loyalität solcher Bürger. Gewiss, Juden könnten, meint Scheffler, »nach dem Maße ihrer für Deutschland geleisteten Kulturarbeit und ihrer reichen Naturbegabung« durchaus die »vollkommene Gleichberechtigung« beanspruchen, doch nur, wenn die Frage eindeutig verneint würde: »Darf ich mich innerhalb des deutschen Volkes noch als Angehöriger eines anderen Volkes fühlen?« (S. 1415) Nach Scheffler lautet also die entscheidende Frage an Juden: »wenn ich ganz unbedingt ein Deutscher sein will« muss ich dann »in gewisser Weise aufhören, ein Jude zu sein«? Es ist die Zwiespältigkeit in Schefflers Argumentation, dieses Einerseits – Andererseits, die Buber nur einen Monat nach der Veröffentlichung des Artikels das Wort ergreifen lässt, nachdem der »Fall« Trützschler – Rathenau bereits im August/September-Heft von Der Jude besprochen worden war – und zwar durch Gustav Landauer (»Ernsthafter Fall und kuriose Geschichte«, S. 420-422) und Hermann Glenn (1884-1956; »Pro Confessione. Ein Brief«, S. 422-425). Punkt für Punkt nimmt Buber die Ar-

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gumente von Scheffler auseinander. Eine Aufgabe des jüdischen Glaubens, gar eine Bekehrung zum Christentum als »Preis« für die Zuerkennung vollkommener Gleichberechtigung als Staatsbürger in Deutschland weist er mit Gründen entschieden zurück. Textzeugen: D1 : Der Jude, 2. Jg., Heft 8, November 1917, S. 505-510 (MBB 189). D2 : JB II, S. 117-131 (MBB 233). Druckvorlage: D1

Religion und Gottesherrschaft Dieser Text ist der erste von drei Stellungnahmen Bubers zu Person und Werk des Schweizer protestantischen Theologen Leonhard Ragaz (18681945). Weitere Texte folgten zum 75. Geburtstag 1943 (vgl. in diesem Band S. 184 ff. sowie den entsprechenden Kommentar S. 413 f.) und zum Tod von Ragaz 1946 (vgl. in diesem Band S. 187-191 sowie den entsprechenden Kommentar S. 414 ff.). Beim vorliegenden Text von 1923 handelt es sich um mehr als nur um die Rezension eines Buches von Ragaz, das 1922 in zwei Bänden unter dem Titel Weltreich, Religion und Gottesherrschaft erschienen war. Buber nimmt die Gelegenheit wahr, eine Art solidarische Gesamtwürdigung dieses christlichen Theologen zu schreiben. Hinter Bubers nur andeutenden Formulierungen verbergen sich Hinweise auf die ungewöhnliche Lebensgeschichte von Ragaz. 1868 im graubündischen Tamins geboren, studierte er in Basel, Jena und Berlin Theologie. Anschließend war er als Gemeindepfarrer in Graubünden und Chur tätig, bevor er 1902 als Münsterpfarrer nach Basel berufen wurde. Hier kam es zu einer entscheidenden Wende. Ragaz löste sich von einem theologischen Liberalismus und einer optimistischen Geschichtsphilosophie und drang vor zu einer eschatologisch ausgerichteten Theologie des »Reiches Gottes« mit entsprechenden politischen, ethischen und sozialen Konsequenzen. Denn die Ausrichtung am »Reich Gottes« war für Ragaz beides zugleich: Kritik an den Zuständen »der Erde« und »Hoffnung für die Erde«. In einer solchen Theologie können sich nach Ragaz’ Überzeugung Religion und soziale Bewegung finden. 1908 wurde Ragaz Professor für Systematische und Praktische Theologie an der Universität Zürich und entwickelte – seit 1913 auch Mitglied der sozialdemokratischen Partei – nun immer konsequenter eine politi-

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sche Theologie im Interesse eines »religiösen Sozialismus«. Dazu erschien 1929 eines seiner Hauptwerke Von Christus zu Marx – von Marx zu Christus. In der Zwischenzeit hatte Ragaz auf seine Professur (seit 1921) freiwillig verzichtet und war mit seiner Familie ins Züricher Arbeiterviertel Aussersihl gezogen. Hier hatte er sich u. a. durch Gründung der Schule »Arbeit und Bildung« für die Arbeiterbewegung zu engagieren begonnen. Er hatte – um mit Buber zu sprechen – in der Tat »durch die labyrinthischen Spiegelungen der Theologie zur Wirklichkeit Gottes« gefunden, tief davon überzeugt, dass es einer produktiven Mitarbeit des Menschen an der revolutionären göttlichen Weltveränderung bedürfe. Mit seiner Zeitschrift Neue Wege, die von 1906 bis 1945 erschien, verfügte Ragaz über ein Sprachrohr für Programm und Praxis des »Religiösen Sozialismus«. Seine ca. 1000 Artikel machen ihn »zu einem der wirkungsmächtigen und anstößigen Schweizer Theologen des 20. Jh.« (H. Ruddies, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. VII, Tübingen 4. Aufl. 2004, Sp. 22). Buber und Ragaz nahmen noch während des Ersten Weltkriegs Kontakt auf. Ein erster Brief von Ragaz an Buber ist vom 6. November 1916 datiert (B I, S. 457 f.). Die Briefausgabe dokumentiert 19 weitere Briefe, die Buber und Ragaz bis 1945 wechselten. Die Nähe der beiden zueinander beruhte zunächst auf gleichen theologisch-politischen Überzeugungen. Buber fand zu Beginn der zwanziger Jahre »gemeinsamen Boden mit dem christlichen Sozialismus und dem religiösen Sozialismus im allgemeinen«, schreibt der Buber-Biograph Maurice Friedman. »Erziehung der Menschen, Politik aus dem Glauben heraus, aus dem Evangelium oder den Propheten abgeleiteter Sozialismus bildeten für Buber und seinen Kreis einen sozialen Bezug, der sich von Staats- und Parteipolitik fernhielt. Obwohl Bubers Hauptsympathien bei Leonhard Ragaz’ religiösem Sozialismus lagen, traf er sich während der zwanziger Jahre mit religiösen Sozialisten aller Schattierungen und nahm 1928 auch an einer Konferenz in seinem Heimatort Heppenheim teil, bei der er eine zentrale Person war.« (Maurice Friedman, Begegnung auf dem schmalen Grat. Martin Buber – ein Leben, Münster 1999, S. 243)

Dabei geht der Text von 1923 weder direkt auf das Thema »Religiöser Sozialismus« noch auf das Thema »Juden und Christen« ein, Themen, die in den schon erwähnten folgenden beiden Stellungnahmen im Zentrum stehen werden. Hier geht es um zwei Kerngedanken von Ragaz, die Buber sich zu eigen macht: Kritik an den real existierenden Formen von Religion und zugleich Kritik am Zeitgeist der Moderne. Zum einen hebt Buber durch gezielt ausgewählte Zitate aus dem Buch von Ragaz diejenigen Stellen hervor, die eine scharfe Trennlinie ziehen zwischen »Reich

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Gottes« und praktizierter Religion. Die Kritik ist denkbar scharf, wenn Religion der Vorwurf gemacht werden kann, sie lenke von Gott ab, sie leiste ihren »kultivierten Anhängern« bestenfalls noch »ästhetische Erquickungen« und sei so »vielfach zu einer Abteilung der Ästhetik« geworden. Zum anderen unterzieht Buber mit Ragaz eine bestimmte Zeiterscheinung radikaler Kritik. Die Welt sei dem Menschen »in eine Vielheit unabhängiger und unzusammenhängender Sphären auseinandergebrochen« meint Buber – mit der Folge, dass auch Religion nur eine »Sphäre« unter anderen geworden ist. Das »Ganze« existiere nicht mehr. Es herrschten Spaltungen und Abspaltungen. Anstatt dass Religion eine einigende, das Ganze zusammenhaltende Kraft sei – Ausdruck, wie Buber schreibt, eines »alles Tei lhafte übereinenden Lebens des wirklichen Menschen in der wirklichen Gotteswelt« –, sei sie zu einer »Sparte« geschrumpft, schlimmstenfalls »Ausgeburt der süchtigen Menschenseele«, in jedem Fall aber ersetzbar durch Kunst, Ethik oder Wissenschaft. Dem entsprach das, was Buber in seinen Mystik-Studien seit 1904 als Lehre von der differenzierten Einheit von Gott und Welt vertrat. Zu Leben und Werk von Leonhard Ragaz sei verwiesen auf die posthum erschienene zweibändige Autobiographie Mein Weg, hrsg. v. Christine Ragaz, Zürich 1952, sowie auf die zweibändige Biographie von Markus Mattmüller, Leonhard Ragaz und der religiöse Sozialismus, Zürich 1957-1968. Textzeugen: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, gimel 3). D1 : Frankfurter Zeitung, 28. April 1923, Literaturblatt (MBB 288). D2 : Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 102-106 (MBB 1270). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Niederländisch: in der niederländischen Ausgabe von Nachlese: Sluitsteen, übers. von M. M. van Hengel-Baauw und S. F. des Tombe, Rotterdam: Lemniscaat 1966, 255 S. (MBB 1285). Englisch: »Religion and God’s Rule«, in: A Believing Humanism – My Testament, 1902-1965, übers., eingel. und komm. von M. Friedman, New York: Simon and Schuster 1967, 252 S. (MBB 1293).

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»Pharisäertum«

Variantenapparat: 85,24-25 unzusammenhängender Sphären] in diesem Band – auf der Grundlage von Bubers handschriftlicher Korrektur in TS – und in D2 berichtigt aus unzusammenhängiger Sphären

»Pharisäertum« Der Artikel Bubers erschien 1925 in einem Sonderband der 1924 eingestellten Zeitschrift Der Jude, die Buber seit 1914 herausgegeben hatte. Enthalten sind hier 16 weitere Beiträge zum Rahmenthema »Antisemitismus und jüdisches Volkstum«. Unter den Autoren befinden sich viele Schriftsteller, deren Namen auch heute noch Klang besitzen: Arnold Zweig (1887-1968), Margarete Susman (1872-1966), Jakob Wassermann (1873-1933), Léon Blum (1872-1950), George Bernhard Shaw (1856-1950) und Heinrich Mann (1871-1950). Buber nimmt in seinem den Band abschließenden Beitrag Stellung zu drei Beträgen: zu dem von Oscar A. H. Schmitz (1873-1931) »Wünschenswerte und nicht wünschenswerte Juden« (S. 17-33), zu Otto Flakes (1880-1963) »Antisemitismus und Zukunft« (S. 10-17) und zu Wilhelm Michels (1877-1942) »Deutsche und Juden« (S. 52-58). All diese Beiträge umfassen ein ganzes Spektrum von Themen und Reflexionen. Buber wählt aus ihnen gezielt abwertend-verächtliche Äußerungen und Urteile zum Komplex »Pharisäismus« aus, die in diesen Beiträgen aber eher am Rande eine Rolle spielen. Da er weiß, wie häufig mit dem Stereotyp »Pharisäer« das Judentum in seinem »Grundwesen« negativ abgestempelt wurde und wird (vgl. seinen Brief an Gustav Landauer vom 4. März 1917, in: B I, S. 474 f.), will er durch eine sachliche, exegetisch-historisch orientierte Argumentation solche Negativ-Zuschreibungen an »die« Pharisäer ausräumen. Alle drei genannten Autoren sind keine Theologen oder Religionswissenschaftler, sondern zu ihrer Zeit ungemein produktive und erfolgreiche Schriftsteller. Das gilt insbesondere für Oscar A. H. Schmitz und Otto Flake und in eingeschränktem Maße auch für Wilhelm Michel. Schmitz vertritt in seinem Beitrag die Überzeugung, jedes Volk habe seinen »Dämon«, das deutsche ebenso wie das englische und französische. Auch das jüdische. Das sei nicht im Sinn des »antisemitischen Ammenmärchens« (S. 31) zu verstehen, doch gäbe es schon im Alten Testament »die Anlage zu gerade dieser Dämonie«. Was ist gemeint? Schmitz wörtlich: »Der böse Dämon der Juden ist das oben schon erwähnte, dem weltlichen Sadduzäertum immer entgegengesetzte Pharisäertum. Wohl ist es

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der Träger der Messiashoffnung, zugleich aber auch der Wächter darüber, daß ja kein Messias aufkomme. Der Messias muß irreal bleiben, darf nie gegenwärtig und hier sein. […] Der Pharisäer verneint die Welt aktiv, er sorgt dafür, daß möglichst nichts Gestalt annehme, und dabei treibt ihn ein dämonischer Affekt.« (S. 31) Bei Flake konnte Buber so selbstverständlich wie nebenbei eine Äußerung darüber finden, dass Jesus »von den Pharisäern getötet worden« sei (S. 11). Bis zur Aufklärung seien die Juden »das Volk, das Christus gekreuzigt« habe, wobei keine Rolle spiele, dass die »Gestalt Christi die Idee und den Sinn verlöre, wenn er nicht von den Pharisäern getötet worden wäre«: »Aber daß der Pharisäer als menschlicher Typus und der reine, vom Leiden des Volkes bewegte Mensch damals in einer unvergeßlichen Tragödie zusammenstießen, das hatte Sinn und Bedeutung. Für Pharisäer sagte man fortan Jude schlechthin, und die Juden wurden zum Symbol.« (S. 11) Bei Michel schließlich ist von einer »pharisäischen Hybris« die Rede, die »aus den furchtbaren Erfahrungen des Exils den Entschluss zu der vermessensten und erfolgreichsten Unternehmung gegen den Tod gezogen« habe: »Ein Volk kettet sich ans Leben wie an eine Galeerenbank, es mauert sich ins Dasein ein mit einer wunderbaren, begeisterten Wut. Es stellt sich und seine Gottesbeziehung fest in einem Kodex, der Lehre und Lebensregel in einem ist und von Anfang an mit unerhörtem Nachdruck auf buchstäblichem und unverbrüchlichem Gehorsam besteht«. (S. 54) Bubers Argumentationsstrategie unterläuft nun all diese Stereotype, indem er klar zwischen der Gesetzesauslegung bei den Sadduzäern und ihrer Verantwortung für Jesu Tod und der bei den Pharisäern unterscheidet und an beiden noch einmal die Gesetzesauslegung Jesu spiegelt. Sein Beitrag ist auf der Basis vieler Quellen ein Plädoyer für Gerechtigkeit im Urteil über die Pharisäer, die sich nach Bubers Rekonstruktion durch ihre lebenspraktische, kreativ-situative und damit menschenfreundliche Gesetzesauslegung sowohl von der normativen Starrheit der Sadduzäer wie von der schöpfungstheologischen Unbedingtheit Jesu wohltuend unterschieden hätten. Jesus habe – so Buber – »der Sinai« nicht genügt, er habe vielmehr »in die Wolke überm Berg«, in Gottes »Urabsicht« dringen wollen. Daher kann Buber die Pharisäer mit einer überraschenden Wendung »Menschen eines heiligen Verzichts« nennen, weil sie um die »Brechung« der göttlichen Gebote im real gelebten Leben der Menschen gewusst und sich so (anders als Jesus) »im Diesseits der Wolke« beschieden hätten. Um aber gerade Christen (gegen alle Stereotype) die lebenspraktische

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»Pharisäertum«

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Weisheit der Pharisäer zu demonstrieren, zitiert Buber gezielt am Ende seines Beitrags eine Stelle aus dem Neuen Testament und verbindet dies mit einer überraschenden direkten Anrede an Christen. In der Apostelgeschichte (5,34-40) taucht die Figur eines führenden Pharisäers zur Zeit Jesu auf: Rabbi Gamaliel, der angesichts der Anklagen gegen die Apostel vor dem Hohen Rat zu Jerusalem einen später sprichwörtlich gewordenen Rat gibt. Buber an die Christen: »Und ihr, liebe Christen, lernt von Gamaliel das gläubige Wort: ›Ist dieser Rat oder dieses Werk aus den Menschen, so wird’s untergehen; ist’s aber aus Gott, so könnet ihr’s nicht dämpfen; auf daß ihr nicht erfunden werdet, als die wider Gott streiten wollen.‹« Alles in allem ein bemerkenswertes Plädoyer Bubers zugunsten der Gesetzesauslegung der Pharisäer, hatte er doch von Anfang seines Werkes an Distanz zum jüdischen Religionsgesetz geübt. Schon dem Jerusalemer Religionshistoriker Gershom Scholem, dem vielfachen wissenschaftlichen »Gegenspieler« Bubers, war aufgefallen, dass Buber sich hier – angesichts der christlichen Pharisäerpolemik – offensichtlich wenigstens temporär zu einer »Revision seiner Haltung zum Gesetz gedrängt« gesehen habe. Jetzt finde er, Buber, »in der Stellung der Pharisäer zum Gesetz« nicht mehr nur »starre Gesetzlichkeit«. Scholem in seinem Aufsatz »Martin Bubers Auffassung des Judentums« (1966): »Er erkennt an, daß es hier ›lebendige Überlieferung‹ gäbe, ›die zwar grundsätzlich nichts anderes als Übernahme eines Übergebenen, eines mündlich Erhaltenen sein wollte, aber in ihrer Wirklichkeit doch in jedem neuen Geschlecht zu neuer Situation neuen Spruch tat; neuen Spruch, der sich freilich aus seiner Verknüpftheit mit der Tradition legitimieren mußte, aber deren Bestand eben doch erweiterte, modifizierte, ja wandelte.‹ Buber geht so weit, zu sagen, daß ›die Pharisäer, indem sie sich unterfingen, das Schriftwort auszulegen, es in den Raum des Weltgeschehens‹ hineingehoben haben. Das sind neue Töne, von denen in Bubers früherer Periode wenig zu vernehmen war. Aber immer noch bleibt Buber weit entfernt, dem normativen Judentum, der Halacha, eine zentrale Position in seiner Auffassung vom Judentum zuzubilligen.« (in: Gershom Scholem, Judaica 2, Frankfurt a. M. 1970, S. 133-192, Zitat S. 182 f.)

Textzeugen: D1 : Der Jude, Sonderheft. Antisemitismus und jüdisches Volkstum, 1925, S. 123-131 (MBB 309). D2 : KI, S. 115-130 (MBB 459). D3 : JuJ, S. 221-230 (MBB 1216). Druckvorlage: D1

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Variantenapparat: 94,2 gegen den Einzelmenschentod] in diesem Band, in D2 und D3 berichtigt aus gegen der Einzelmenschentod Wort- und Sacherläuterungen: 87,29-30 Makkabäerkriegen] Jüdischer Freiheitskampf unter Führung von Judas Makkabäus und seinen Brüdern im Jahr 165 v. Chr. gegen die Herrschaft der Seleukiden. 88,10-13 daß diese weltlichen Sadduzäer die Partei der Priester waren (ob nun ihr Name zu Recht als Anhänger der »Söhne Zaddoks« […] gedeutet wird oder nicht)] Der Begriff »Söhne Zaddoks« kommt in Ez 44,15 vor: »Aber die levitischen Priester, die Söhne Zadoks, die den Dienst an meinem Heiligtum getan haben, als die Israeliten von mir abfielen, sie sollen vor mich treten, um mir zu dienen und vor mir stehen […].« Gemäß den biblischen Quellen war Zadok ein Priester zur Zeit Davids. Auf dem Hintergrund des Verses aus Ezechiel geht eine Richtung in der alttestamentlichen Forschung davon aus, dass er der Begründer einer Priesterdynastie war, deren Angehörige, die »Söhne Zaddoks« oder Zaddokiden, die Hohepriester im Jerusalemer Tempel stellten. Nach dieser Theorie liegt der Name des Priesters »Zaddok« dem Namen »Sadduzäer« zugrunde. Die Sadduzäer waren eine zur Zeit des Zweiten Tempels aktive Gruppierung innerhalb des Judentums, über deren Ursprung, Entwicklung und Ende es aber keine eindeutigen und zuverlässigen Informationen gibt. Josephus Flavius stellt sie den Pharisäern gegenüber; Teile der Forschung bringen sie mit den Schriften von Qumran in Verbindung. In rabbinischen Texten wird zumeist gegen sie polemisiert. Ihr Vorkommen in rabbinischen Quellen macht es wahrscheinlich, dass es auch noch nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 eine Gruppe gab, die sich die »Sadduzäer« nannte. 88,13-14 hasmonäische Dynastie] Nach Josephus Flavius Bezeichnung der Priesterdynastie, die nach dem Makkabäer-Aufstand 167/165 in der Zeit von 163 bis 37 v. Chr. sowohl die politische Führung als auch zweitweise das Amt des Hohepriesters inne hatte und die nationale Unabhängigkeit sicherte. 88,21-22 zwei feindlichen Hasmonäerbrüder] Johannes Hyrkanos II. (ca. 103-30 v. Chr.) und Aristobulos II. (gest. 49 v. Chr.). 94,12 so haben wir unser Masada und unser Betar gehabt] Masada und Betar stehen für den Freiheitswillen des jüdischen Volkes. Masada ist eine ehemalige jüdische Festung am Toten Meer. Erbaut zwischen 40 und 30 v. Chr. von Herodes dem Großen, galt die Festung zu ihrer

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Zeit als uneinnehmbar. Während des Jüdischen Krieges gegen die römische Besatzungsmacht siedelten sich ab ca. 66 und verstärkt nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch Titus im Jahr 70 jüdische Rebellen, die Zeloten, auf Masada an. Drei Jahre lang wurden dann 973 Zeloten von 15000 römischen Soldaten der X. Legion unter Flavius Silva belagert, die an der Westseite der Festung eine Rampe errichteten, die es ihnen schließlich im Jahr 73 ermöglichte, die Festung zu stürmen. Am Abend vor der Erstürmung durch die Römer, als die Lage aussichtslos wurde, beschlossen die Belagerten unter Führung von Eleazar ben-Ya’ir, lieber als freie Menschen zu sterben, als den Römern in die Hände zu fallen. Per Los bestimmten sie darum einige Männer, die zuerst alle anderen der Gruppe und dann sich selbst gegenseitig töteten, so dass die Römer am nächsten Tag niemanden mehr lebend vorfanden. Nur zwei Frauen und fünf Kinder hatten sich versteckt und konnten über das Geschehene berichten. Die Belagerungsgeschichte Masadas ist von dem jüdisch-römischen Historiker Josephus Flavius in seinem Werk Der Jüdische Krieg überliefert. Betar ist der Sterbeort von Bar Kochba, dem Anführer des letzten großen Aufstandes der Juden gegen die Römer (132-135 n. Chr.). Nahe der Festung von Betar, seinem letzten Rückzugsort südwestlich von Jerusalem, wurde Bar Kochba in einem letzten Gefecht von den Römern eingeschlossen und schließlich getötet.

[Geleitwort zu Die Kreatur] Die Gründung der Zeitschrift Die Kreatur fällt in die lebens- und werkgeschichtlich wichtige Phase nach Bubers philosophischem Hauptwerk Ich und Du (1923). Buber ist jetzt stärker noch als früher an der Bildung dialogischer Koalitionen mit Menschen anderer religiöser Bindung interessiert. Es »vereinen« sich denn auch im Herausgeber-Gremium »ein Jude, ein Katholik und ein Protestant«. Damit hatten sich drei Männer zusammengefunden, die je auf ihre Weise ein ungewöhnliches, nicht systemkonformes Profil aufwiesen, typisch für Buber, der sich ebenfalls in kein Lager einordnen lassen wollte. Er sucht die Grenzgänger, die Neuland erschließen können und nicht die Verwalter und Sachwalter von Institutionen. Joseph Wittig war katholischer Theologe und Priester, seit 1915 Professor für Alte Kirchengeschichte an der Universität in Breslau. 1922 geriet er in Konflikt mit der Amtskirche, die 1925 seine Bücher indizierte

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und ihn 1926 vom Priesteramt suspendierte und exkommunizierte, Vorkommnisse, die sich auch im Briefwechsel zwischen Buber und Wittig niederschlagen (B II, S. 231 ff.; 247). Viktor von Weizsäcker war von Hause aus Arzt, zunächst Internist, dann Neurologe, seit 1922 Professor an der Universität Heidelberg. Angeregt durch eine Begegnung mit Sigmund Freud (1856-1939) hatte er sich mit Psychoanalyse und dann auch mit Tiefenpsychologie zu beschäftigen begonnen und war zum Befürworter einer psychosomatischen Medizin geworden. Die Zeitschrift Die Kreatur wird somit zum Organ einer Gruppe heterogener, aber verwandter Geister. Die Beiträge der Zeitschrift befassen sich mit Themen aus den Bereichen Erziehung, Psychotherapie, religiöser Sozialismus, internationale Verständigung, Religion und Literatur. Das »Geleitwort« lässt eine doppelte Überzeugung erkennen, die von allen drei Herausgebern geteilt wurde: Religionen sind »Exilen« vergleichbar mit all ihrer »Not« und »Zucht«, aus denen sie nur »messianisch« befreit werden können, durch Gott selbst also. Umso wichtiger »das Gespräch«: »der grüßende Zuruf hinüber und herüber, das Sicheinander-Auftun«, die »Einung der Gebete ohne Einung der Beter«. Und: Umso wichtiger »die gemeinsame Sorge um die Kreatur«. Von daher erklärt sich auch der dann gewählte Titel, sollte die Zeitschrift doch ursprünglich »Grüße aus den Exilen« heißen. Es ist »Ja« zu sagen »zur Verbundenheit der geschöpflichen Welt, der Welt als Kreatur«. Textzeuge: D: Die Kreatur, hrsg. von Martin Buber, Joseph Wittig und Viktor von Weizsäcker, 1. Jg. 1926/27, Heft 1, 1926, S. 1-2 (MBB 318); Bubers Beitrag erscheint ohne Titel. Druckvorlage: D

Bericht und Berichtigung Buber täuschte sich, als er glaubte, durch einen Appell an die »lieben Christen« im Sonderband »Antisemitismus und jüdisches Volkstum« von 1925 in der Pharisäerfrage Aufklärungsfortschritte erzielen zu können (s. Kommentar zu »Pharisäertum«, S. 343 ff.). In einem weiteren, 1926 veröffentlichten Sonderheft der Zeitschrift Der Jude legt der Schriftsteller Oscar A. H. Schmitz noch einmal nach. In einem langen, gut 20 Druckseiten umfassenden Artikel unter dem Titel »Der jüdisch-

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Bericht und Berichtigung

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christliche Komplex« (S. 68-87) setzt er sich gleich zu Beginn direkt mit Bubers Kritik in der Pharisäerfrage auseinander. Er denkt nicht daran, Bubers Argumente für ein anderes Bild des Pharisäertums zu akzeptieren. Er bleibt bei seinem abwertend-verächtlichen Sprachgebrauch. Angesichts von Bubers Kritik an seiner Wendung vom »pharisäischen Klassenhass« bemerkt er: »Ein Blick in die sozialistische Presse und die sozialistisch gefärbte Roman- und Theaterliteratur zeigt hier zwischen Sozialisten und ›Bourgeois‹ genau jenes Gesinnungsverhältnis, das wir im Evangelium zwischen Pharisäer und Zöllner finden, nur ganz erheblich verschärft. Nicht nur ist hier der Proletarier der ›Auserwählte‹, sondern der ›Bourgeois‹ ist als solcher ohne Ansehen seines persönlichen Charakters eo ipso schuldig und verdammt, und, wer an dieser Einstellung zweifelt, der blicke nach Moskau, wo ein Pharisäertum sondergleichen, das sich allein die Auslegung der Marxschen Thora vorbehält, Widerstrebende nicht nur selbstgerecht einzeln verurteilt, sondern als Klasse ausrottet. Ich werde nachher auf die pharisäische Mentalität des Marxismus noch zurückkommen.« (S. 68 f.)

Unter »pharisäisch« versteht Schmitz also nach wie vor »jene selbstgerechte Demutlosigkeit, die allein weiß, was gut und böse ist« (S. 69). Das macht begreiflich, dass Bubers Artikel, der im selben Heft unmittelbar nach den Ausführungen von Schmitz abgedruckt ist, zunächst in einem Ton der Resignation geschrieben ist. Offenbar hat er es hier mit einem Unbelehrbaren zu tun, einem »Gegner«, der »auf einer anderen Ebene steht«, der die Pharisäer nicht nach der Vielfalt der historischen Quellen beurteilt, die Buber im Interesse eines gerechteren Bildes in seinem Artikel von 1925 dargelegt hatte, sondern nach dem, was deren »Feinde« schreiben »die eben den Terminus ›pharisäisch‹ in die Welt gesetzt haben.« Und doch hatte Buber noch nicht alles Vertrauen in die Aufklärbarkeit von Menschen verloren, anders hätte er seinem »Gegner« nicht auch noch eine Literaturangabe präsentiert: die wissenschaftliche Untersuchung des protestantischen Theologen Robert Travers Herford The Pharisees (London 1924, dt. Ausgabe: Die Pharisäer, Leipzig 1928). Dieses Buch stelle »eine gründliche Forschungs- und Erkenntnisarbeit« dar, meint Buber. Auf denselben Verfasser und dessen Buch zur Pharisäer-Frage Das pharisäische Judentum in seinen Wegen und Zielen dargestellt (Leipzig 1913, engl. Original: Pharisaism. Its Aim and its Method, London, New York 1912) hatte Buber schon in einem Brief vom 4. März 1917 einmal hingewiesen, als er Landauer gegenüber zur Vorsicht beim negativen Gebrauch des Begriffs »Pharisäertum« gemahnt und hinzugefügt hatte: »Wenn Sie etwa das (empfehlenswerte) Buch des evangelischen Theologen Herford über diese [die Pharisäer] lesen, werden Sie verstehen, warum mir die Re-

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habilitation der ›Peruschim‹ – zu denen auch einer der edelsten Vorgänger Jesu, Hillel, gehörte – so am Herzen liegt.« (B I, S. 474 f.) Textzeugen: D1 : Der Jude, Sonderheft. Judentum und Deutschtum, 1926, S. 87-89 (MBB 321). D2 : KI, S. 131-135 (MBB 459). D3 : JuJ, S. 231-233 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Wort- und Sacherläuterungen: 98,31-32 der wie Polykarp nicht floh, als ihm die ehrenvolle Flucht freistand,] Polykarp, Bischof von Smyrna (ca. 65-ca.155), wurde vom römischen Prokonsul aufgefordert, das Christentum zu verleugnen. Da er aber weiter seinen Glauben bekannte, wurde er auf dem Scheiterhaufen verbrannt und starb den Märtyrertod. 99,5 Pompejusgeschichte] Anspielung auf eine Kontroverse zwischen Oscar A. H. Schmitz und Martin Buber. Schmitz hatte in seinem Artikel »Wünschenswerte und nicht wünschenswerte Juden«, abgedruckt in einem Sonderheft von Der Jude 1925 (s. Kommentar zu »Pharisäertum«, S. 343 ff.), den Pharisäern grundsätzliche »Weltverneinung« vorgeworfen und dafür u. a. auf einen angeblich historischen Vorfall verwiesen. Die Pharisäer hätten dem römischen Feldherrn Pompejus bei der Eroberung Palästinas das »unabhängige jüdische Königtum der Hasmonäer« zur »Vernichtung« empfohlen. Buber hatte sich in seinem Antwort-Artikel »Pharisäertum« (abgedruckt in demselben Sonderheft von Der Jude; s. in diesem Band S. 87-95) verwundert gezeigt. Woher Schmitz diese Information über Pompejus habe, könne er »nicht verstehen«. Denn der jüdische Geschichtsschreiber Josephus, der als einziger diesen Vorfall erwähne, berichte von etwas Anderem. Schmitz seinerseits nimmt diese kritische Rückfrage Bubers in seiner Replik auf, abgedruckt unter dem Titel »Der jüdisch-christliche Komplex« im Sonderheft von Der Jude 1926. Als Beleg verweist er auf den dritten Band der Römischen Geschichte des Historikers Theodor Mommsen (1817-1903), erschienen 1856. Mit diesem Verweis auf die Autorität »Mommsen« gibt sich Buber in seiner zweiten Stellungnahme zufrieden. Zur »subjektiven« Entlastung von Schmitz reicht ihm diese Auskunft, nicht jedoch zur »objektiven« Klärung der Sache. In der Sache bleibt es für Buber bei dem, was er zu Josephus anzumerken hatte.

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Brief von Dr. Martin Buber an den V.-V.-B.

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99,32-33 »Liebe IHN deinen Gott mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht«; »Liebe deinen Genossen dir gleich«] Mt 22,37. 99,37 »Werdet heilig, denn heilig bin ich.«] 1 Petr 1,16. 100,6 in meinem ersten Buch (1906)] Die Geschichten des Rabbi Nachman – Ihm nacherzählt von Martin Buber, Frankfurt a. M.: Rütten & Löning 1906, S. 7; zuletzt erschienen: Die Geschichten des Rabbi Nachman – Nacherzählt von Martin Buber. Mit einem Nachwort von Paul Mendes-Flohr, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1999, S. 14.

Brief von Dr. Martin Buber an den V.-V.-B. Der hier abgedruckte Brief Bubers stammt aus demselben Jahr 1926, in dem die Zeitschrift Die Kreatur gegründet wurde. Im programmatischen »Geleitwort« dazu sind Eckpunkte für eine Zusammenarbeit von Menschen verschiedenen Glaubens formuliert (s. Kommentar zu »[Geleitwort zu Die Kreatur]«, S. 347 f.). Dass damit nicht Religionsvermischung gemeint ist oder gar die Preisgabe der eigenen religiösen Identität, macht der hier abgedruckte Brief klar. Er ist gerichtet an eine judenchristliche Vereinigung – Völkerversöhnungsbund – in Hamburg, über deren Anschauungen und Absichten sich Buber hatte informieren lassen. Befremdet hatte er registrieren müssen, dass diese Vereinigung nicht nur für sich »Jesus als den Messias« betrachtete, sondern auch bestrebt war, »im Judentum eben diesen Glauben zu erwecken«. Bubers tief sitzende Abneigung gegen alles Missionieren kommt in seiner kurzen und lapidaren Antwort zum Ausdruck, die schon sprachlich mit der vierfachen Wiederholung von »meinem Glauben nach« etwas Schneidendes hat. Zwar äußert er seinen Respekt vor dem judenchristlichen »Bekenntnis«, wie er »jedes aufrichtige Bekenntnis« ehrt, aber in der Sache grenzt er sich scharf ab und wiederholt präzise und prägnant, worin sich »sein Glaube« als Jude unterscheidet. Zum Schluss erfolgt von Buber im Stil eines lehrhaften Fingerzeigs noch ein Lesehinweis auf ein eigenes Werk. Wenn man schon vorgibt, seine Werke zu kennen, meint Buber, dann sollte man sich doch an eine Stelle aus dem Vorwort zu seinem Buch Der große Maggid und seine Nachfolge von 1922 erinnern, an genau »4 Seiten des Abschnitts ›Leib‹«. Wer sie aufschlägt (S. XXIX-XXXII), findet bei Buber eine scharfe Unterscheidung zwischen dem christlichen und dem jüdischen Verständnis von Erlösung. Was im Christentum als Erlöserreligion schon »Faktum« sei, sei im Judentum noch »reiner Ausblick«, schreibt Buber. Im Chris-

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tentum habe sich das Entscheidende schon ereignet und könne nunmehr nur noch »nachgeahmt« werden, im Judentum ereigne sich das Entscheidende »allezeit, das heißt, es ereignet sich jetzt und hier.« Textzeuge: D: Höre Israel, Hamburg 1926 (MBB 322). Druckvorlage: D

Aussprache zwischen Martin Buber und Emil Brunner bei Dr. Trüb in Zürich, am 17. Juni 1928, über Das menschliche Handeln und seine Problematik. Ein besonderes Dokument unter den in diesem Band versammelten Texten Bubers. Denn der Wortlaut des Beitrags geht auf ein Typoskript zurück, dem die Tonbandaufzeichnung eines Gesprächs zugrunde lag. Buber war am 17. Juni 1928 im Haus des Schweizer Psychotherapeuten Dr. Hans Trüb (1889-1949) mit dem evangelischen Theologen Emil Brunner zusammen gekommen. An dem Treffen nahm auch Theophil Spoerri, Professor für Romanische Literatur an der Universität Zürich teil, der mit gelegentlichen Bemerkungen im Verlauf des Gesprächs auf sich aufmerksam machte. Mit Trüb, Psychoanalytiker und Psychotherapeut aus der Schule von C. G. Jung (1875-1961), verband Buber seit Mitte der 1920er Jahre eine intensive, langandauernde Freundschaft, was ein ausführlicher Briefwechsel dokumentiert (s. vor allem in B II). Anhand dieses Austausches lässt sich »die Entwicklung von Bubers Gedanken und Argumenten zur Psychologie und Psychotherapie« gut verfolgen, so Judith Buber Agassi in ihrer Einleitung zu Schriften zur Psychologie und Psychotherapie, MBW 10 (weitere Einzelheiten zu Werk und Wirken von Hans Trüb und zur Rolle Bubers s. dort S. 14-18). Emil Brunner war seit 1924 Professor für Systematische und Praktische Theologie an der Universität Zürich und hatte sich als Mitstreiter für eine neue »Dialektische Theologie« an der Seite von Karl Barth, Friedrich Gogarten und Eduard Thurneysen einen Namen gemacht. Wichtige Werke wie Erlebnis, Erkenntnis und Glaube (1921), Die Mystik und das Wort (1924) oder Der Mittler (1927) waren bereits erschienen. Buber hatte es also mit einem gewichtigen Repräsentanten der protestantischen Theologie seiner Zeit zu tun.

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Das menschliche Handeln und seine Problematik

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Der Austausch kreist um die Themen Sünde und Gnade und damit um Fragen von Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Handelns vor Gott. Die Perspektiven von christlicher und jüdischer Seite werden in ihren Unterschieden und Unvereinbarkeiten sichtbar. Und da beide Gesprächspartner stets um dieselben Probleme zu kreisen scheinen, droht das Gespräch, wie Prof. Spoerri in einer seiner kurzen Interventionen vermerkt, zu »zerkrümeln«, ein Eindruck, den Emil Brunner später bestätigt. In einem Beitrag von 1963, der in einer großen Publikation anlässlich des 85. Geburtstags von Buber erscheinen wird, erinnert er an die erste Begegnung mit Buber und nimmt Stellung zur Entgegensetzung von »Vertrauen auf« (jüdisch) und »Glauben an« (christlich), wie Buber sie in seinem Buch Zwei Glaubensweisen von 1950 vorgenommen hatte: »Freilich ist der ›rechtfertigende Glaube‹ nur verständlich von einem Verständnis der Sünde aus, das ich weder in Bubers Darlegung des jüdischen noch des ›paulinisch-gnostischen‹ Sündenbegriffs finde. Indem ich das schreibe, kommt mir das erste Gespräch in den Sinn, das im Hause eines uns beiden befreundeten Psychiaters zu dritt geführt wurde und bei dem ich Buber zum ersten Mal persönlich begegnete. Es wird Ende der zwanziger oder Anfang der dreißiger Jahre gewesen sein. Der Gesprächsgegenstand war: das Verständnis der Sünde. An seinen Verlauf habe ich keine deutliche Erinnerung – leider ging mir das ›Protokoll‹, das unser gemeinsamer Freund, der inzwischen verstorben ist, aufnahm, verloren –, wohl aber weiß ich noch deutlich, daß wir auseinandergingen, ohne zu einem Einverständnis vorgedrungen zu sein.« (»Judentum und Christentum bei Martin Buber«, in: Paul Arthur Schilpp und Maurice Friedman (Hrsg.), Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1963, S. 303-311, Zitat S. 308 f.)

Für die noch folgenden vier Jahrzehnte (Buber starb 1965, Brunner ein Jahr später) ist eine nur schmale Korrespondenz belegt: 6 Briefe Brunners an Buber und kein Gegenbrief von Seiten Bubers. In den meisten Fällen handelt es sich um zustimmende, teilweise begeisterte Dankesschreiben Brunners zu erhaltenen Schriften Bubers: zu Das Königtum Gottes (6. Juni 1932, in: B II, S. 435), zur Psalmen-Verdeutschung (14. Februar 1936, in: B II, S. 584), zum Kierkegaard-Buch Die Frage an den Einzelnen (10. Dezember 1936, in: B II, S. 627) oder zum Essay-Band Hinweise (20. Dezember 1953, in: B III, S. 356). Unter den genannten Schreiben – ein sechstes reagiert dankend auf Bubers Glückwunschtelegramm zu Brunners 75. Geburtstag (31. Dezember 1964, in: B III, S. 630) – ragt ein Brief heraus, geschrieben in der historisch schwersten Stunde des deutschen Judentums am 10. April 1933. Bemerkenswert ist er auch ob seiner theologischen Substanz. Unter Anspielung auf die soeben von den Nazi-Herrschern erlassenen judendiskriminierenden Gesetze, die Juden vom Staatsdienst ausschlossen, schreibt Brunner:

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»Ich habe in diesen Wochen jeden Tag an Sie gedacht. Ich hätte wohl noch früher geschrieben, hätte ich nicht Angst gehabt, Sie dadurch ev. in Verlegenheit zu bringen. Sie wissen ja ohne daß ich viel sage, wie ich denke. Gott hat Ihre Arbeit bisher reich gesegnet, er wird Sie auch in diesen bittern Zeiten nicht im Stich lassen. Ihr Volk hat ja immer ›in der Tiefe‹ Gott finden müssen und ist damit der ganzen Menschheit zum Segen geworden. Ich weiß, daß Sie Jes. 53 anders lesen als ich. Aber daß dies Kapitel auch den Sinn hat, den Sie darin sehen, glaube ich fest. – Was steht Ihnen wohl noch bevor und was ist wohl schon geschehen? Ob das Beamtengesetz auch Sie trifft? Nun, Sie waren ja nie ›Professor‹ noch weniger ›Beamter‹. Sie sind und bleiben, so Gott will, ein ›Beauftragter‹. Die Zeit der Wüstenwanderung, die jetzt für Sie begonnen hat, kann ja auch eine Zeit großer Offenbarung sein. Gott gebe es.« (B II, S. 477)

Buber war dieses Zeugnis der Solidarität und der theologischen Deutung der Rolle Israels durch einen christlichen Theologen so wichtig, dass er die theologischen Kernsätze aus dem Brief Brunners (ohne Namensnennung) in einem Leitartikel zustimmend zitiert, den die Jüdische Rundschau in ihrer Ausgabe vom 21. April 1933 abdruckt (s. Kommentar zu »Brief an Ernst Michel«, S. 363 f.). Der Text von »Das menschliche Handeln und seine Problematik« wurde erst 1999 veröffentlicht (in: Freiburger Rundbrief. Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung, NF 6. Jg., Heft 1, 1999). Dieser Erstveröffentlichung lag ein Typoskript aus dem Nachlass von Ernst Michel zugrunde. Der Abdruck in diesem Band geht auf ein Typoskript aus dem MBA zurück. Textzeuge: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, bet 177). Druckvorlage: TS Variantenapparat: 114,15-16 bloss von Menschen] (bloss?) von Menschen TS 114,17 Entscheidungen] berichtigt aus Entscheidung 114,31 Aber] Aber (?) TS 119 ,19 Marcion] berichtigt aus Marcian 119,22 Marcion] berichtigt aus Marcian Wort- und Sacherläuterungen: 104,23 des Buches von Grisebach] Gemeint ist vermutlich Grisebachs Gegenwart. Eine kritische Ethik, Halle 1928. 106,16-18 dass ich gerade in der Barth’schen Abbreviatur diese Wirklich-

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Die Brennpunkte der jüdischen Seele

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keit […] nicht behandelt gefunden habe.] Anspielung auf die Theologie Karl Barths. Barth wurde nach dem Ersten Weltkrieg zum Vorkämpfer für eine neue »Dialektische Theologie«, der sich auch Emil Brunner anfangs verpflichtet wusste. 123,26-28 »Ich habe euch die nicht guten Gesetze gegeben um zu strafen. Ich habe das Kinderopfer befohlen.«] Buber paraphrasiert hier einige Verse aus Ez 20,25 f.: »Darum gab auch ich ihnen Gebote, die nicht gut waren, und Gesetze, durch die sie kein Leben haben konnten, und ließ sie unrein werden durch ihre Opfer, als sie alle Erstgeburt durchs Feuer gehen ließen […].« 126,41-127,2 »Das Volk wird fragen: was ist um seinen Namen«. Da sagt Gott: »Ich werde da sein als der ich da sein werde. Ihr braucht mich nicht zu beschwören.«] Ex 3,13 f.

Die Brennpunkte der jüdischen Seele Obwohl ein entschiedener Gegner alles »Missionierens« (s. die Einleitung zu diesem Band, S. 12 f. u. 39) tritt Buber im März 1930 in Stuttgart bei der Studientagung einer der christlichen Missionsgesellschaften auf und hält dort eine Rede, in der er noch einmal systematisch und programmatisch Grundelemente eines spezifisch jüdischen Glaubensverständnisses herausarbeitet. Er konnte dabei auf eine mittlerweile lange Reflexionsgeschichte seit den Prager Reden (1909/10) verweisen. Texte, in denen er immer wieder das Eigenprofil des Jüdischen in Glauben und Handeln beschrieben hatte, werden, so kündigt Buber in einer Fußnote an, »demnächst« erscheinen. Es handelt sich um den Band Kampf um Israel – Reden und Schriften 1921-1932 (Berlin: Schocken 1933). Auch im Stil seiner Rede will Buber alles Missionarische vermeiden. Schlicht »Auskunft« will er über »Brennpunkte der jüdischen Seele« geben, nicht mehr und nicht weniger. Er unterscheidet sich dabei von einem christlichen Redner, der nach ihm über die »Seele« des Christentums gesprochen und sich als »feurig werbender Anwalt« aufgeführt hatte. Dagegen legt Buber sachlich-ruhig zunächst »zwei Brennpunkte« dar, um welche die »Seele des Judentums« elliptisch schwinge und die »auch noch für den ›säkularisierten‹ Juden« fortbestünden. An diesen beiden »Brennpunkten« sieht Buber einen grundsätzlichen und nicht zu überbrückenden Gegensatz zum Christlichen. Dabei aber bleibt Buber nicht stehen. Jetzt – nach Proklamation einer »Zeit echter Religionsgespräche« (so in Zwiesprache 1930; s. die Einleitung zu diesem Band, S. 39 f.) – ist Buber daran gelegen, die Beziehung

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von Juden und Christen konstruktiv zu benennen, also nicht nur in ihren Unmöglichkeiten, sondern in ihren Möglichkeiten darzustellen. Argumentationsstrategisch geschickt nimmt er ein Zitat von Franz Rosenzweig auf (aus einem zuvor schon zitierten Brief Rosenzweigs an einen Freund 1917) und bestimmt mit diesem bildkräftigen Zitat – nicht ohne Freude an der Ironie – die Rolle des Juden gegenüber allzu heilsgewiss triumphierenden Christen als die eines »stummen Dieners«, der, wenn Christen »in Brot und Wein Gott geno ss en« zu haben glauben, ihnen zuschreie: »Herr, gedenke der letzten Dinge«, so die prinzipielle Unerlöstheit der Welt in Erinnerung rufend. Auf diese Weise vorbereitet, bestimmt Buber in den nun folgenden wenigen Abschnitten gegenüber seinem christlichen Publikum das, was »uns und euch«, was Juden und Christen, gemeinsam ist und was sie zusammen erwarten dürfen. Buber schließt mit einem Satz, in dem er wie selten zuvor das kollektive »uns« und »wir« benutzt, so seine christlichen Zuhörer einladend: »Sobald es uns, Christen und Juden, wirklich um Gott selber und nicht bloß um unsre Gottesbilder zu tun ist, sind wir, Juden und Christen, in der Ahnung verbunden, daß das Haus unsres Vaters anders beschaffen ist, als unsre menschlichen Grundrisse meinen.« Textzeugen: H: Manuskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 38a); 13 nummerierte, von Bubers Hand einseitig beschriebene Blätter; Blatt 11 fehlt; mit einem alternativen, im Korrekturvorgang verworfenen Titel »Die Seele des Judentums« versehen. D1 : Der Morgen, 8. Jg., Heft 5, Dezember 1932, S. 375-384 (MBB 451). D2 : KI, S. 50-67 (MBB 459). D3 : JuJ, S. 201-211 (MBB 1216). Druckvorlage: D1: Übersetzungen: Englisch: »The Two Foci of the Jewish Soul«, in: Israel and the World – Essays in a Time of Crisis, übers. von O. Marx und G. Hort [u. a.], New York: Schocken 1948, S. 28-40 (MBB 786); »The Two Foci of the Jewish Soul«, in: Israel and the World – Essays in a Time of Crisis, 2. erweiterte Aufl., New York: Schocken 1963, S. 28-40 (MBB 1215). Hebräisch: »te’uda we-yi’ud«, in: ma’amarim ’al ’injene ha-jahadut, Bd. 1, Jerusalem: ha-sifrijja ha-tziyyonit Verlag 1959, 252 S. (MBB 1135).

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Die Brennpunkte der jüdischen Seele

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Variantenapparat: 128,Titel Die Brennpunkte der jüdischen Seele] Die Brennpunkte der jüdischen Seele [Die Seele des Judentums] H 128,Anm. Ich veröffentliche diese Rede hier und in dem demnächst im Schocken-Verlag erscheinenden Buch »Kampf um Israel«,] Obgleich diese Rede sich in manchem Punkt mit der vorigen berührt, habe ich sie in das Buch aufgenommen H, D2, D3 128,Anm. der Niederschrift eines Hörers] den Niederschriften einiger Hörer D2, D3 128,20 Lehre] hervorgehoben H 129,1 eher schwerer][nicht leichter] ! eher schwerer H 129,2-3 so schrieb Franz Rosenzweig 1917 an einen christlichen Freund jüdischer Herkunft] so schrieb Franz Rosenzweig 1917 [an einen Freund, der in früher Jugend die Taufe genommen hatte,] ! [an einen Freund, der in jungen Jahren von einer religiösen Überzeugung aus die Taufe genommen hatte,] ! an einen christlichen Freund jüdischer Herkunft H 129,7 hat außen] hat aussen nur H 129,17 ver t r au e] nicht hervorgehoben H 129,18 wie es der Stammvater erfuhr (I. Buch Mose 28, 20; 35, 3),] fehlt H 129,18-19 b e i i h r d a s e i ] nicht hervorgehoben H 129,23 Substanz seiner Seele] seine Seele H 130,4 schwingen] [kreisen] ! schwingen H 130,7-8 inkommensurablen] berichtigt aus inkommensurabeln 130,10 gläubigen] [lebendigen] ! gläubigen H 130,40 zu besorgen] zurechtzumachen H 130,41-131,2 läuft Gefahr, in der Tatsächlichkeit des Geschichts- und Lebensverlaufs an ihm verzweifeln zu müssen oder der inneren Lüge zu verfallen] wird in der Tatsächlichkeit des Geschichts- und Lebensverlaufs an ihm verzweifeln müssen oder der inneren Lüge verfallen H 131,2-3 so in die Liebe Gottes, daß er aus ihr nicht mehr geworfen werden kann] in die Liebe Gottes, aus der er nun nicht mehr geworfen werden kann. H 131,10 nicht verschlossen.] nicht verschlossen. [Dass Gott zwar ansagt (Gen 1, 26) er wolle den Menschen »in unserem Bild, nach unserem Gleichnis« schaffen, dass aber im Bericht der Erschaffung selber (Vers 27) nur noch »Bild« und nicht auch »Gleichnis« steht, wird damit erklärt, dass »das Gleichnis in der Hand des Menschen« ist.] H 131,23-24 zu verkürzen: die göttliche Schöpfungsintention] zu verkürzen. [Gott der Schöpfer] ! Die Schöpfungsintention H

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131,28-29 so frei sie zu ergreifen] so frei [Gott zu erwählen] ! sie zu ergreifen H 132,16 Wer jenes ohne dieses,] Wer jenes oder dieses H 133,7 besteht] [vollzogen ist] ! besteht H 133,11 so heftig wie vielleicht kein Teil der Welt sonst] so [körperlich] heftig wie vielleicht kein anderer menschlicher Teil der Welt H 133,16 Vorbildungen] [Vorwegnahme] ! Vorbildungen H 133,20 Verengung] Verleugnung H 133,36 Teil] nicht hervorgehoben H 133,39 pflegte der Kosnitzer Rabbi zu beten.] Absatzende H 133,40 doch] doch auch H 134,6 schlechthin andersartige] [schlechthin wesensverschiedene] ! schlechthin andersartige H 134,14 die aktuelle Apokalyptik] [die prophetische Überlieferung] ! [der prophetische Messianismus] ! die aktuelle Apokalyptik H 134,15-16 es ist zu vermuten] kein Zweifel ist zulässig H 134,18 in dem von jenem Dualismus so stark beeinflußten] fehlt H 135,2 Realität] [Wirklichkeit] ! Realität H 135,8 zugewiesene Teilnahme] [zugeteilte Mitwirkung] ! zugewiesene Teilnahme H 135,9-10 ohne ihre Mitwirkung] ohne ihre [Teilnahme] ! Mitwirkung H 136,19 ein Buch und eine Erwartung] ein Buch und eine Erwartung [Das Buch und die Erwartung] H 136,24 Auslösung] [Erneuerung?] ! Beschwörung H 136,28 einheitlich gestreckte Tonfolge] [gedehnte, einheitliche] ! heinheitlich [gedehnte] ! gestrecktei Tonfolge H 136,30-31 die Straße] [den Weg] ! die Strasse H 136,36 Spaltung] [Kluft?] ! Spaltung H 136,38 all eurer und unsrer Vorstellbarkeit enthoben] all [eurem und unsrem Vorstellungsvermögen] ! eurer und unsrer Vorstellbarkeit schlechthin inkommensurabel H 137,1 Euch und uns geziemt es] Euch und uns, jedem geziemt es D2, D3 137,8 das Haus unsres Vaters] das Haus unsres Vaters mit seinen vielen Wohnungen H Wort- und Sacherläuterungen: 129,2-3 so schrieb Franz Rosenzweig 1917 an einen christlichen Freund jüdischer Herkunft] Gemeint ist Eugen Rosenstock-Huessy, mit dem Rosenzweig in den Jahren 1916/17 einen ausführlichen Briefwechsel zum Verhältnis von Judentum und Christentum geführt hat. Die zitierte Passage stammt aus einem Brief vom 7. November 1916 (in:

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Brief an Ernst Michel

Franz Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften. Briefe und Tagebücher, Bd. 1/I, S. 283). 129,21-22 »Glauben als Geloben, d. h. als ein sich Verbinden, Vermählen, oder Eingehen«] Franz Baader, »Über das Verhalten des Wissens zum Glauben. Aus einem Sendschreiben an Ch. Schlüter, Privatdozent zu Münster«, in: Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie, 8. Heft, Köln 1833, S. 148-158, hier S. 155. Der zitierte Satz lautet vollständig: »Was auch schon das Wort Glauben als Geloben (Verloben, wie früher Windischmann bemerkte), d. h. als ein sich Verbinden, Vermählen oder Eingehen aussagt.« 129,30 »Ich werde dasein als der ich dasein werde«.] Ex 3,14. 133,29 massa perditionis] lat. »Masse der Verlorenheit«; nach der christlichen Prädestinationslehre Bezeichnung für die ewig Verdammten; im Gegensatz zu ihnen stehen die für die Erlösung Vorherbestimmten. 135,13-15 »Der Schofar«, sagt ein haggadisches Wort, »auf dem Gott an jenem Tag blasen wird, wird aus dem rechten Horn des Widders sein, der einst Isaak beim Opfer vertrat«] Midrasch Bereschit Rabba, LVI, 13 (zu Genesis 22). 136,7-8 »daß die Welt in der Königsherrschaft des Gewaltigen zurechtgebracht werde«] Vermutlich paraphrasiert Buber hier verschiedene Passagen aus den Gebeten zu den Hohen Feiertagen, v. a. aus den Gebetsordnungen zu Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest. Es weisen darauf ähnliche Formulierungen hin sowie die Betonung und das Verlangen nach der Königsherrschaft Gottes in der Welt.

Brief an Ernst Michel Die persönliche Anrede »lieber Freund« erklärt sich aus der engen Beziehung, die Buber mit Ernst Michel (1889-1964) als Mitarbeiter der Zeitschrift Die Kreatur verband (s. Kommentar zu »[Geleitwort zu Die Kreatur]«, S. 347 f.). Die Korrespondenz beider umfasst den Zeitraum von 1919 bis 1962. In Michel hatte Buber einen Mann katholischer Herkunft vor sich, der sich als unabhängig denkender Kopf entschieden für Reformen in seiner Kirche einsetzte. Michels Bücher Politik aus dem Glauben (1926), Von der kirchlichen Sendung des Laien (1934) sowie Lebensverantwortung aus katholischem Glauben (1937) sind eindrucksvolle Zeugnisse eines Denkens, das »die personale Existenz und die Gewissensfreiheit des Christen gegenüber Kirche und Gesellschaft« verteidigt (Grete Schaeder, in: B I, S. 93). Hinzu kommt die Herkunft Michels aus der Sozialwissenschaft. Von

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1922 bis zur »Machtergreifung« der Nationalsozialisten in Deutschland war Michel Dozent an der von Eugen Rosenstock-Huessy gegründeten Frankfurter Akademie der Arbeit, von 1931 bis 1933 auch (gleichzeitig mit Buber) Honorarprofessor an der Universität Frankfurt am Main. Unter den veränderten politischen Bedingungen aber geriet Michel immer mehr in eine doppelte Abwehrfront: gegen den Traditionalismus in seiner Kirche einerseits und gegen den Machtmissbrauch der Nazis andererseits, die Michel 1933 die Lehrtätigkeit entzogen. Buber veröffentlicht seinen »Brief« nach Rücksprache mit Michel in einer Tageszeitung (Rhein-Mainische Volkszeitung vom 13. April 1933) nur wenige Wochen nach der politischen Wende in Deutschland. Er nimmt hier Stellung zu einem Aufsatz des katholischen Frankfurter Stadtpfarrers Alois Eckert (1890-1969), veröffentlicht in derselben Zeitung am 4. April 1933. Eckert hatte an bestimmten Bibeltexten das unterscheidend Christliche gegenüber dem Jüdischen demonstrieren wollen: an Ex 21,24 (das sog. Vergeltungsgebot, das »jus talionis«: »Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß«) sowie an Mt 5,38 (»Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹«) und an Mt 5,43 (»Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: ›Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen‹«), um dann aber – kritisch gegenüber der nationalsozialistischen Judenpolitik und deren christlichen Unterstützern – Christen gegenüber Juden auf das Ethos der Bergpredigt zu verpflichten. Ernst Michel hatte sich in einem Brief an Buber gewandt (4. April 1933, in: B II, S. 476), da er Eckerts Auslegung von Ex 21,24 für »schief« hält, obwohl er den »Mut« des katholischen Pfarrers »in der jetzigen Situation« durchaus anerkennt. Er bittet Buber um eine »richtige Exegese«, welche »die Wirkung des Eckertschen Artikels« nicht abschwäche, sondern fruchtbar verstärke. Der Chefredakteur der Rhein-Mainischen Volkszeitung sei mit einer Veröffentlichung einverstanden. Diese könne »In Form eines Briefes« an ihn, Michel, geschehen. Im Übrigen habe der Eckertsche Artikel, teilt Michel noch mit, »in der heutigen kath. Pfarrerkonferenz begeisterte Zustimmung gefunden, die in dem Wunsch nach einer bischöflichen Kundgebung« ausgeklungen sei (B II, S. 476). Der Veröffentlichung von Bubers Artikel (in Form des gewünschten Briefs an Ernst Michel) ist eine Vorbemerkung von Pfarrer Eckert vorausgeschickt, in der dieser selbst Bubers Reaktion und andere jüdische Zuschriften als eine »Korrektur« seiner Ausführungen bezeichnet, die aber die Tendenz seines Artikels noch erheblich verstärkten. In der Tat legt Buber in genauer Kenntnis der jüdischen Quellen dar, dass das Judentum wie »keine Lehre der Vergeltung, so auch keine Lehre des Hasses«

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Brief an Ernst Michel

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kenne. Das neutestamentliche Wort vom Feindeshass könnte sich, meint Buber, »auf einen von heidnischer Vulgärmoral beeinflußten Volksspruch« beziehen. Und in vorsichtiger Anspielung auf die aktuellen Machthaber in Deutschland fügt Buber hinzu: »Der Glaubenslose ist stets geneigt, den zu hassen, in dem er seinen ›Feind‹ erblickt.« Was Ernst Michel angeht, so fühlt sich Buber diesem engagierten katholischen Christen gegenüber, je länger desto mehr, nicht nur politisch, sondern auch theologisch nahe. Schon im März 1935 signalisiert ihm Michel in einem Brief, dass er innerkirchlich wieder sehr stark »Unduldsamkeit« spüre. Sie sei »insofern berechtigt« als er, Michel, »der Christologie und dem Sakramentalismus« immer ferner rücke und daraus auch »kein Hehl« mache (B II, S. 564). In einem weiteren Schreiben vom Mai 1936 wird Michel in Sachen Christologie noch deutlicher. Nach einer Lesung des Johannesevangeliums vertritt er Buber gegenüber eine Meinung, die diesen in seiner Haltung zu Jesus nur bestätigen kann: »Ich weiß nicht, ob Ihre Beurteilung des Automessianismus Jesu in ihren religiösen Folgerungen zutrifft, aber ich weiß, daß meine Glaubenserfahrung realiter nichts mit dem Glauben an Christus als menschgewordenen präexistenten göttlichen Logos zu tun hat, ganz zu schweigen von der späteren dogmatischen Fassung. Heißt Christ sein, im Sinne des Johannesevangeliums glauben, dann bin ich kein Christ. Es bleibt dann immer noch, daß ich Jesus Gefolgschaft leiste […].« (B II, S. 594)

Bubers »Brief an Ernst Michel« ist der Redaktion der Jüdischen Rundschau, dem wöchentlich erscheinenden Organ der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, so wichtig, dass sie ihn in ihrer Ausgabe vom 21. April 1933 noch einmal abdruckt, versehen mit einem redaktionellen Titel »Im Namen der christlichen Ethik. Ein christlich-jüdisches Gespräch« sowie einem Vor- und Nachspann. Im Vorspann der Redaktion wird zunächst aus dem genannten Artikel von Pfarrer Alois Eckert zitiert. Im Geist der Bergpredigt habe dieser das »Verhalten der deutschen Christen gegenüber den deutschen Juden« als »unchristlich« und als »deutsches Unrecht« gebrandmarkt. Eine Diffamierung von Menschen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse sei mit dem »christlichen Gewissen« nicht vereinbar. Im Nachspann wird eine ähnliche Stimme »von evangelischer Seite« dokumentiert: ein Artikel von Pfarrer Rudolf Wintermann (1886-1970), der sich in der Frankfurter Zeitung unter dem Titel »Die Judenfrage und das Christentum« als Christ ebenfalls gegen die Rassenideologie der »Deutschen Christen« ausgesprochen hatte. Diese »Zitatenpolitik« war der politischen Situation geschuldet. Was im Untertitel »ein christlich-jüdisches Gespräch« genannt wird, war bei Licht besehen der begreifliche Versuch von jüdischer

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Seite, in politisch brisanter, ja »lebensbedrohlicher« Lage Stimmen von Christen zu dokumentieren, die sich für die »Sache der Juden« in Deutschland einsetzen. Vor- und Nachspann in der Jüdischen Rundschau vom 21. April 1933 haben folgenden Wortlaut: »In der ›Rhein-Mainischen Volkszeitung‹ (RMV) vom 4. April veröffentlicht der katholische Pfarrer Alois Eckert einen Leitartikel ›2. Mos. 21, 24 und Matth. 5, 38 ff.‹. Der Verfasser versucht eine Gegenüberstellung jüdischer und christlicher Ethik, wobei er den Satz ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹ als jüdisches Gesetz hinstellt, das durch die christliche Ethik der Bergpredigt überwunden worden sei. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet Eckert auch das Verhalten der deutschen Christen gegenüber den deutschen Juden und macht den Christen folgenden Vorwurf: ›Die Lösung der Judenfrage, wie sie heute versucht wird, halten wir vor unserem christlichen Gewissen nicht für richtig und nicht für gerecht, in ihrer Methode sowohl wie in ihrer sittlichen Haltung. In ihrer Methode. Die Lösung der deutschen Judenfrage kann nicht von der Rasse her gesucht und gefunden werden. Kein Mensch darf einfach wegen seiner Rasse minderen Rechtes sein und wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Rasse diffamiert werden. Nach der Lehre des Christentums ist diese Zugehörigkeit zu einer Rasse eine göttliche Gegebenheit, die der betreffende Mensch gehorsam und dankbar anzunehmen und die der Mensch der anderen Rasse gehorsam und ehrfurchtsvoll zu respektieren hat.‹ Und weiter: ›Hier geschieht deutsches Unrecht. Und Unrecht trifft auf die Dauer immer den schwerer, der es tut, als den, der es leidet. Gibt es eine ›jüdische Moral‹, die schuld ist an der deutschen Nachkriegsnot, dann kann sie weder von der jüdischen Rasse aus definiert, noch einfach von der germanischen Rasse her überwunden werden. Hier liegt vielmehr primär eine Aufgabe der christlichen Ethik. Und mir scheint, daß diese Aufgabe weiter reicht als nur bis zu den Juden.‹ In der RMV vom 13. April erwidert Martin Buber mit einem Brief an Ernst Michel. Dieser Veröffentlichung schickt Pfarrer Eckert eine Vorbemerkung voraus, in welcher er die Zuschrift Bubers und andere jüdische Zuschriften als eine ›Korrektur‹ bezeichnet, die ›die Tendenz seines Artikels noch erheblich verstärkt‹. Wir lassen hier die Antwort Bubers folgen.«

Anschließend folgt der Abdruck von Martin Bubers »Brief an Ernst Michel«. Dann der Abspann: »Auch von evangelischer Seite liegt eine Äußerung vor, die sich im Namen der christlichen Ethik gegen die heutige Handhabung der Judenfrage wendet. In der Osterausgabe der ›Frankf. Zeitung‹ bespricht Pfarrer Rudolf Wintermann in einem Aufsatz ›Die Judenfrage und das Christentum‹ zunächst die Anschauungen der ›Deutschen Christen‹, die den Rassengedanken als einen Teil der ›Schöpfungsordnung‹ (im Sinne der dialektischen Theologie) bejahen. Demgegenüber behauptet Wintermann, die Ethik des Neuen Testaments widerspreche dieser Auffassung. Er gelangt zu folgendem Schlusse:

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›Die Judenfrage wird zur Christenfrage, d. h. zu der Frage nach der Echtheit und dem Ernst unseres Christentums. Gerade wir evangelischen Christen, die ja durch 400 Jahre Landeskirchentum hindurch in engster Verbindung mit Volk und Staat gestanden sind, möchten wirklich eine positive Stellung zur nationalen Bewegung und zum neuen Reich gewinnen. Ich bekenne offen, daß ich den Tag grüßen werde, an dem ich aus vollem Herzen ein ganzes, freudiges Ja sagen kann. Und ich verkenne auch nicht, daß in der völkischen Bewegung allerstärkste ethische Kräfte am Werke sind. Aber wir sind in unserem Gewissen nicht nur an unser Volk, wir sind zugleich an das Evangelium gebunden. Und man mache es uns möglich, daß wir im Geiste des Evangeliums, d. h. im Geiste unbedingten sittlichen Ernstes, aber zugleich der Weite und der Liebe unsern Dienst am Volke tun können. Man mache das aber nicht nur uns möglich, sondern jedem, der wirklich Deutscher sein will; man fordere das Größte und Schwerste, ganz Hingabe und Treue, aber man ächte nicht um des Blutes willen Menschen, die zum Dienst bereit sind! Nicht ächten, sondern eingliedern ist, wie in aller Pädagogik, so auch im Volksleben die eine große Kunst, die wir von dem lernen sollen, für den die Osterglocken durchs Land klingen.‹ In diesem Zusammenhange ist bemerkenswert, daß der Führer der ›Deutschen Christen‹, Pfarrer Hossenfelder, soeben ins Preußische Kultusministerium berufen wurde. Die ›Deutschen Christen‹ bejahen nicht nur den völkischen Rassegedanken, sie treten auch für Ausmerzung des Alten Testaments aus dem Christentum und für einen Ersatz der altjüdischen Prophetengestalten durch Gestalten der deutschen Sage und Geschichte ein.«

Bemerkenswert auch: In derselben Ausgabe der Jüdischen Rundschau vom 21. April 1933 findet sich auf der ersten Seite ein »Leitartikel von Martin Buber«, in dem dieser unter dem Titel »Das Erste« zur Situation der deutschen Juden unter den veränderten politischen Verhältnissen Stellung nimmt. Er beginnt mit den Sätzen: »Die deutschen Juden sind mit dem jüdischen Weltschicksal konfrontiert worden. Was immer nun geschieht, sie werden nicht mehr anderswoher als von dieser Konfrontation aus leben können. Ob sie aber als durch sie Zerschlagene oder als durch sie Erhobene leben werden, das liegt – trotz allem – an ihnen selber. Daß diese Stunde eine Probe des Christentums ist, diese wichtige Tatsache geht nicht uns an; uns geht an, daß sie eine Feuerprobe des Judentums ist.« Wie wichtig Buber aber in dieser Stunde die Unterstützung von christlicher Seite ist, zeigen die letzten Sätze des Artikels: »Ein führender protestantischer Theologe hat mir in diesen Tagen geschrieben: ›Ihr Volk hat ja immer ›in der Tiefe‹ Gott finden müssen und ist damit der ganzen Menschheit zum Segen geworden … Die Zeit der Wüstenwanderung, die jetzt für Sie begonnen hat, kann ja auch eine Zeit großer Offenbarung werden. Gott gebe es.‹ Gott gebe es.« Buber nennt nicht den Namen des »führenden protestantischen Theologen«. Es handelt sich um den Schweizer Emil Brunner. Die zitierten Sätze finden sich

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in dessen Brief an Buber vom 10. April 1933 (B II, S. 477). Zum Verhältnis Buber – Brunner s. die Einleitung S. 42 u. 60-63 und den Kommentar in diesem Band zu »Das menschliche Handeln und seine Problematik« S. 352 ff. Dort auch der Wortlaut des Brunner-Briefs. Textzeugen: D1 : Rhein-Mainische Volkszeitung, 13. April 1933 (MBB 463). D2 : Jüdische Rundschau, 38. Jg., Nr. 32, 21. April 1933 (MBB 469a). D3 : StudE, S. 168-170 (MBB 538). D4 : JuJ, S. 619-620 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 138,Anm. 1] fehlt D3, D4 138,6-7 (insbesondere von B. Jacob in seinem Buch »Auge um Auge«, Berlin 1929)] fehlt, stattdessen eingefügt als Fußnote Vgl. u. a. Jakob Horowitz, Auge um Auge, Zahn um Zahn (1912), B. Jacob, Auge um Auge (1929). D3, D4 138,8-9 Geldbuße-Bezeichnungen] ergänzt (m. E. aus der Terminologie des stellvertretenden Tieropfers stammend) D3, D4 138,Anm. 2] fehlt D3, D4 139,4 jeweils zu tun hat] jeweils unmittelbar zu tun hat D2 jeweils u nmi t telbar zu tun hat D3, D4 139,5 Lebensgebot] Liebesgebot D2 139,12-20 Und nochmals, im höchsten religiösen Pathos, 5. Mos. 10, 17 ff.: Denn ER / euer Gott, / er ist der Gott der Götter, der Herr der Herren […]. So liebet den Gast, / denn Gastsassen wart ihr im Land Aegypten.] fehlt D3, D4 139,26 Volksspruch] Missdeutung D3, D4 Wort- und Sacherläuterung: 138,29-30 Dem Vers Mos. 19, 18] Die vollständige Versangabe lautet Lev 19,18.

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Gespräch um Gott Bericht über zwei Meinungskämpfe Buber veröffentlichte in der Zeitschrift Eckart, den monatlich erscheinenden Blättern für evangelische Geisteskultur, zwei Prosastücke der besonderen Art, die ihn einmal mehr auch als glänzenden Erzähler ausweisen und zugleich seinen dialogischen Gesprächsstil exemplarisch vorführen. Es handelt sich in beiden Fällen um autobiographische Erinnerungen, die Buber nach eigenen Angaben im Winter 1932/33 zunächst für die Berliner Funkstunde und einen von ihr veranstalteten Zyklus aufgeschrieben hatte, bevor er die Stücke in der Februar-Nummer 1933 von Eckart erscheinen lässt. Die erste erzählte Begegnung geht zurück auf das Jahr 1924. Bei der erwähnten »mitteldeutschen Industriestadt« handelt es sich um die Universitätsstadt Jena. Buber war zu drei Abendvorträgen in die Volkshochschule der Stadt eingeladen worden, deren Direktor der Buber gut bekannte Pädagoge Wilhelm Flitner (1889-1990) war. Buber hatte an den drei aufeinander folgenden Abenden über »Religion als Wirklichkeit« gesprochen. Die Pointe des ersten Erzählstücks besteht nicht darin, dass Buber durch den »nicht mehr jungen Mann« unter den Arbeitern, der ihn mit einem naturwissenschaftlich-philosophischen Argument in der Gottesfrage herausgefordert hatte, Recht bekommt. Sie besteht darin, dass Buber trotz dieser Bestätigung sein Eigenes und Eigentliches nicht hatte sagen können. Zwar hatte Buber seinen Gesprächspartner offensichtlich auf der philosophischen Ebene überzeugt, zugleich aber »nur« im Sinne Pascals vom »Gott der Philosophen« gesprochen, nicht aber von dem einen und wahren Gott, dem »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs« (wie ihn ebenfalls Pascal nannte), dem Gott, »zu dem man Du sagen kann, der, zu dem man beten kann«. Mit diesem Erzählstück demonstriert Buber also Gelingen und Versagen bei der Gottesrede gleichzeitig – und gibt somit die Aufgabe »dialogisch« an seine Leser weiter. Anders das zweite Erzählstück, das auf ein Erlebnis im Jahre 1922 zurückgeht. Der »edle alte Denker«, bei dem Buber zu Gast gewesen war, ist der Marburger Philosoph Paul Natorp (1854-1924), zum Zeitpunkt der Begegnung 68 Jahre alt. Buber kennt ihn als Mitglied im Kreis der »religiösen Sozialisten«, den Buber und Florens Christian Rang Anfang der zwanziger Jahre um sich versammelt hatten. Während des Aufenthaltes im Hause Natorp hat Buber Druckfahnen zu korrigieren. Es handelt sich um das 1923 erschienene Buch Reden über das Judentum. Gesamtausgabe. Als der Gastgeber Buber bittet, ihm das zu korrigierende Vorwort

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vorzulesen, kommt es zu der erstaunten, Buber provozierenden Rückfrage, wie er es fertig bringe, »so Mal um Mal ›Gott‹ zu sagen«. Was folgt, ist eines der eindrücklichsten kurzen Prosastücke, die Buber geschrieben hat, und zwar zum Thema des Wortes »Gott«, das zu den »beladensten aller Menschenworte« gehöre. Hier besteht die Pointe in der Zustimmung des Gegenübers. Aber man beachte die Körpersprache und die Raumdetails, mit denen Buber dem Geschehen dramatische Wirkung verleiht. Am Ende des ersten Erzählstücks berichtet Buber vom »harten Schweigen« in einem »dämmernden Raum«, bevor sein Gegenüber Zustimmung signalisiert, »langsam und nachdrücklich«, wie es wörtlich heißt. Am Ende des zweiten Erzählstücks ist das Zimmer der Gesprächspartner »sehr hell geworden«. Licht ist da, und der Partner, indem er aufsteht und auf Buber zutritt, berührt sein Gegenüber durch das Legen der Hand auf die Schulter. Durch dialogische Begegnung ist eine Beziehung von Mensch zu Mensch entstanden. Es ereignet sich das, was Buber »Zwiesprache« genannt hat: ein Gespräch von »aufgeschlossener Person zu aufgeschlossener Person«. Und weil hier der »Kairos« eines Zwiegesprächs aufgezeichnet und überliefert werden sollte, ist es kein Zufall, dass Buber dieses Ereignis mit einer Art »Bibelwort« überhöht und so ins Grundsätzliche und Prinzipielle erhebt: »Denn wo zwei oder drei wahrhaft beisammen sind, sind sie es im Namen Gottes.« Buber hat hier ein Jesus-Wort (Mt 18,20) gezielt »theozentrisch« und damit »gut jüdisch« für seine Zwecke umgeschrieben. Auf diese Weise hat er auch dem so beladenen Wort »Gott« am Schluss des ganzen Stücks eine unverzichtbare Funktion wiedergegeben. Textzeugen: D1 : Eckart. Blätter für evangelische Geisteskultur, 9. Jg., Heft 2, Februar 1933, S. 49-53 (MBB 468). D2 : etfv vhmn – Max Dienemann zum 60. Geburtstag gewidmet, vom Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde Offenbach am Main unter Mitwirkung von Leo Baeck [u. a.], Frankfurt a. M. 1935, S. 2934 (in MBB nicht verzeichnet). D3 : Almanach des Schocken Verlags auf das Jahr 5698, Berlin 1937/38, S. 86-94 (MBB 563). D4 : Gottesfinsternis. Betrachtungen zur Beziehung zwischen Religion und Philosophie, Zürich: Manesse Verlag 1953, S. 7-15, unter dem Titel: »Vorspruch. Bericht von zwei Gesprächen« (MBB 918). D5 : Begegnung. Autobiographische Fragmente, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 1960, S. 38-44 (MBB 1138). D6 : Werke I, S. 505-510 (MBB 1193).

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Druckvorlage: D

Variantenapparat: 140,Titel G e s p r ä c h u m G o t t ] eingefügt als Fußnote Diese Erinnerungen sind im Winter 1932/33 {im Spätherbst 1932 D3 } zuerst auf Ersuchen der Berliner Funkstunde in einem von ihr veranstalteten Zyklus gesprochen und dann in der evangelischen Monatsschrift »Ekkart« (Februarheft 1933) veröffentlicht worden. Da sie, wiewohl ihr Gegenstand kein jüdischer ist, den gläubigen Juden, wie mir scheint, unmittelbar angehen, und zumal den gläubigen Juden hier und jetzt, seien sie an dieser Stelle zu erneutem Abdruck gebracht. M. B. D2, D3

Kirche, Staat, Volk, Judentum. Zwiegespräch im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart am 14. Januar 1933. Das »Zwiegespräch« zwischen Karl Ludwig Schmidt und Martin Buber wurde im September-Heft 1933 der Theologischen Blätter abgedruckt, einer von Karl Ludwig Schmidt herausgegebenen Monatszeitschrift. Das Gespräch selbst fand am 14. Januar 1933 im Jüdischen Lehrhaus zu Stuttgart statt, wenig mehr als zwei Wochen vor der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten in Deutschland. Es dürfte sich für lange Jahre »um das letzte Religionsgespräch zwischen einem jüdischen und einem christlichen Gelehrten in Deutschland« gehandelt haben (Peter von der Osten-Sacken, »Begegnung im Widerspruch. Text und Deutung des Zwiegesprächs zwischen Karl Ludwig Schmidt und Martin Buber im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart am 14. Januar 1933«, in: Ders. (Hrsg.), Leben als Begegnung. Ein Jahrhundert Martin Buber (1878-1978). Vorträge und Aufsätze, Berlin 1978, S. 116). Karl Ludwig Schmidt war seit 1929 Professor für Neues Testament an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn. Vorbereitet und thematisch abgesprochen wurde das Stuttgarter Gespräch durch vorgängigen brieflichen Austausch (vgl. Brief Schmidts an Buber vom 11./12. Januar 1933, in: B II, S. 460 f.) sowie einen Besuch Schmidts in Bubers Haus in Heppenheim auf der Reise nach Stuttgart (vgl. Schmidts Brief an Buber vom 28. Januar 1933, in: B II, S. 461 f.) Die lange Unterhaltung in Bubers »Heim zu Heppenheim«, schreibt Schmidt, sei für ihn ein »ordentliches Studium« gewesen, bei dem er viel gelernt zu haben glaube. Und »im D-Zug, dann im Stuttgarter Hotel und schließlich bei der öffentlichen Auseinandersetzung« sei alles noch »viel intensiver« geworden. Weitere vier Briefe

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Schmidts an Buber sind in der Briefausgabe gedruckt, zwei noch aus dem Jahr 1933, zwei weitere aus den Jahren 1936 und 1950 (B II, S. 471, 496, 606 f.; B III, S. 265). Das 1926 gegründete Stuttgarter Jüdische Lehrhaus ist Buber wohl vertraut. Es ist das zweite Lehrhaus dieser Art in Deutschland nach dem von Franz Rosenzweig gegründeten in Frankfurt. Buber hatte nicht nur die Gründung des Stuttgarter Lehrhauses unterstützt, er hatte es darüber hinaus in den folgenden Jahren »zum Mittelpunkt des christlich-jüdischen Dialogs« gemacht, nachdem Versuche erfolglos geblieben waren, »eine Reihe interkonfessioneller Debatten im Lehrhaus in Frankfurt zu veranstalten« (Michael Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, München 2000, S. 108). Vier solcher jüdisch-christlichen Gespräche vor 1933 sind dokumentiert. Die christlichen Partner wechselten, von jüdischer Seite war stets Martin Buber präsent. Am 4. November 1928 sprach er mit dem Schriftsteller Wilhelm Michel über Religion und Volkstum, wenig später mit dem Romanisten und Historiker Hermann Hefele (1885-1936) über Religion und Autorität, im Februar 1929 mit dem Volksbildner und späteren baden-württembergischen Kultusminister Theodor Bäuerle (1882-1956) über Religion und Politik. Auf eigenen Wunsch außerhalb des Lehrhausprogramms sprach Buber mit Jakob Wilhelm Hauer (1881-1962), dem Kanzler des pietistischen Köngener Bundes, über die Gestalt Jesu Christi. Einzelheiten zur Geschichte dieser Religionsgespräche finden sich in der nach wie vor einzigen historischen Untersuchung von Maria Zelzer, Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden. Ein Gedenkbuch, Stuttgart 1964 (zu den Dialogen vor 1933 S. 114-123; zum Gespräch zwischen Buber und Schmidt S. 147-150). Eine kurze zweiseitige Zusammenfassung bietet auch der Band: Paul Sauer und Sonja Hosseinzadeh, Jüdisches Leben im Wandel der Zeit. 170 Jahre Israelitische Religionsgemeinschaft. 50 Jahre neue Synagoge in Stuttgart, hrsg. von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, Stuttgart 2002, S. 170 f. In Vorbereitung ist eine umfassende Geschichte des Jüdischen Lehrhauses in Stuttgart durch Anja Waller (Stuttgart), der ich wichtige Informationen zu diesem Thema verdanke. Nicht unerwähnt bleiben kann in diesem Zusammenhang, dass es seit Februar 2010 ein neues Stuttgarter Lehrhaus gibt, und zwar in Form einer Stiftung für interreligiösen Dialog. Entsprechend der veränderten Lage in Deutschland sind bei diesem Projekt nun auch Muslime beteiligt. Aufschlussreich ist der Vortrag von Dr. Michael Volkmann bei der Eröffnungsfeier am 7. Februar 2010 unter dem Titel »›Von einer Kraft zur anderen‹ (Ps 84,8) – das jüdische Lehrhaus in Geschichte und Gegenwart«, nachzulesen in der von der Stiftung herausgegebenen Do-

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kumentation zur Eröffnungsfeier Eröffnung des Stuttgarter Lehrhauses. Dokumentation, Stuttgart 2010, S. 19-32. Am 14. Januar 1933 findet Bubers letztes Stuttgarter Lehrhaus-Gespräch statt, das mit Karl Ludwig Schmidt. Ort: der Saal der Hochschule für Musik. Zeitgenössischen Berichten zufolge vor einem »großen Zuhörerkreis«. Vom Veranstalter, dem Vorstand des Jüdischen Lehrhauses, war Schmidt um einen »streng sachlichen«, d. h. weder polemischen noch apologetischen Beitrag gebeten worden, und an diese Vorgabe hält er sich wörtlich: Sachlichkeit, verbunden mit Strenge. Ausdrücklich zitiert er zu Beginn seiner Ausführungen Bubers Vortrag »Die Brennpunkte der jüdischen Seele« von 1930 und greift das Wort »Auskunft geben« auf, das Buber damals für sich und die Darlegung seines Glaubensverständnisses in Anspruch genommen hatte. Die Auskunft Schmidts bewegt sich im Rahmen traditioneller christlicher Israel-Theologie: Enterbung und Ersetzung Israels durch die Kirche. Denn bei allem Respekt vor der Person Bubers als Denker, Mensch und Jude (vgl. Schmidts ersten Brief vom 11./12. Januar 1933, in: B II, S. 460 f.), bei aller Bedeutung, die er Israel als »auserwähltem Volk Gottes« für die Kirche zuspricht, bei aller Hochschätzung der weltgeschichtlichen Bedeutung des Judentums, fühlt Schmidt sich als Christ von seinem Verständnis des Neuen Testamentes her gedrängt und verpflichtet, den Anspruch der christlichen Kirche, das neue, das »wahre« Israel zu sein, unzweideutig zu vertreten. In seinem ersten Brief an Buber, dem er »den Anfang« seines Vortrags beigelegt hatte (es handelt sich wohl um Teil A), spricht Schmidt davon, dass sein Beruf (als Theologe) getragen sei »von dem Amt der Kirche Jesu Christi«. Dieses »Amt« heißt für Schmidt: Auslegung der Schrift. Und verpflichtend ist die Schrift nicht bloß für den professionellen Exegeten, sondern für den Christen und Theologen schlechthin, »weil alle Theologie Exegese der Heiligen Schrift ist, wobei sich Exegese und Dogmatik nur technisch unterscheiden«, so Schmidt. Der christliche Theologe tritt Buber also von Anfang an als »Amtsperson« gegenüber, die – unbeschadet aller persönlichen Gefühle – in aller Sachlichkeit den »exklusiv kirchlichen Standpunkt« vertreten zu müssen glaubt. Denn: »Kirche«, davon ist Schmidt überzeugt, »gibt es nur in exklusivem Sinne. Der Satz aus dem christlich-kirchlichen Altertum: ›Extra ecclesiam nulla salus‹ ist nicht nur römisch-katholisch, sondern überhaupt katholisch und auch evangelisch.« Buber dagegen spricht zwar ebenfalls in aller Sachlichkeit von seinem Glauben als Jude, aber gerade nicht als Träger eines Amtes. Deshalb hatte er es – wie zu Beginn seiner ersten Antwort auf Schmidt dargelegt – abgelehnt, von »Synagoge« im Titel der Vorträge zu sprechen und stattdessen

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das Wort »Judentum« vorgezogen. Buber fühlte sich »nicht berufen«, »für eine ›Synagoge‹ zu sprechen«. Er ist kein Rabbiner und wollte es nie sein oder werden. Und selbst das Wort »Judentum« erscheint Buber nicht ganz richtig, denn er will als glaubender Mensch über nichts anderes nachdenken und sprechen als über das Geheimnis Gottes mit »Israel«. Buber vertritt gerade keinen Anspruch des Juden oder der Synagoge an Christen oder die Kirche. Aber »Israel« ist für ihn, wie er gleich zu Anfang seiner Ausführungen klarmacht, »ein Einmaliges, Einziges, in keine Gattung Einzureihendes, nicht begrifflich Unterzubringendes«. Und von diesem »Israel« wissen Juden und Christen »in grundverschiedener Weise«, wie Buber meint. Von daher grenzt er sich einerseits von einem exklusiven christlichen Standpunkt ab (denn Israel ist von Gottes »ungekündigtem Bund« nach wie vor getragen), andererseits aber ersetzt er gerade nicht einen christlichen durch einen jüdischen Exklusivismus. Vielmehr vertritt Buber erstmals in dieser Form eine Theologie der wechselseitigen Anerkennung der grundverschiedenen Gottesgeheimnisse von Israel und Kirche (s. die Einleitung zu diesem Band, S. 44-47). Nach der »Machtergreifung« der Nazis in Deutschland gerät Karl Ludwig Schmidt politisch immer stärker unter Druck. Als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Bekennenden Kirche ist er ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten. Noch im Jahr 1933 wird er von seinem Bonner Lehrstuhl vertrieben und vom Staatsdienst ausgeschlossen. Er emigriert in die Schweiz und kann an der Universität Basel von 1935-1953 eine Professur für Neues Testament wahrnehmen. Unbeschadet seiner theologischen Abgrenzung zum Judentum hatte er schon Ende Februar 1933, wenige Wochen nach »Stuttgart«, Buber gegenüber seine Scham über die gegenwärtige politische Entwicklung in Deutschland zum Ausdruck gebracht – »als Deutscher und als evangelischer Christ«. Ganz bewusst hatte er damals ein kleines politisches Mandat der SPD auf kommunaler Ebene angenommen und sich zugleich von der Parole des Evangelischen Bundes distanziert, dass sich »jeder Evangelische für diese Regierung einzusetzen« habe. Da werde man, schreibt Schmidt an Buber, »gerade um der recht verstandenen Kirche willen die Freiheit des Gewissens« betonen müssen (B II, S. 471). Auch später bleibt die Begegnung mit Buber »durchaus keine Episode« im Leben von Karl Ludwig Schmidt, worauf der Berliner evangelische Theologe Peter von der Osten-Sacken zu Recht hingewiesen hat: »Er hat seiner Überzeugung gemäß, daß es mit Israel um das Herz der Weltgeschichte geht, auch nach seiner Auswanderung in die Schweiz intensiv auf dem Gebiet der Frage nach dem Verhältnis der Kirche zum Judentum weitergearbeitet.

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Als reife Frucht dieser Arbeit hat er 1943 die […] Studie ›Die Judenfrage im Lichte der Kapitel 9-11 des Römerbriefs‹ vorgelegt. Zusammen mit der Exegese dieser Kapitel durch Karl Barth in seiner ›Kirchlichen Dogmatik‹ [Bd. II/2, 1942] ist sie ein Meilenstein auf dem Weg der sachgemäßen Auslegung dieses zentralen neutestamentlichen Zusammenhangs.« (»Begegnung im Widerspruch«, S. 143)

Der Text von »Kirche, Staat, Volk und Judentum« wurde nach Bubers Tod erneut zu seinem 100. Geburtstag veröffentlicht (in: »Begegnung im Widerspruch. Text und Deutung des Zwiegesprächs zwischen Karl Ludwig Schmidt und Martin Buber im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart am 14. Januar 1933«, in: Peter von der Osten-Sacken (Hrsg.), Leben als Begegnung. Ein Jahrhundert Martin Buber (1878-1978). Vorträge und Aufsätze, Berlin: Institut Kirche und Judentum 1978, 2. Aufl. 1982, S. 119135). Textzeugen: TS1 : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 12b); beinhaltet die Beiträge Schmidts und Bubers; 34 nummerierte, einseitig beschriebene Blätter; Blatt 28 fehlt; zweischichtig: TS1:1 : Grundschicht: maschinenschriftlich. Auf dem Hintergrund der Tatsache, dass die Textfassung die Beiträge der beiden Gesprächspartner enthält, lässt sich vermuten, dass es sich um eine von fremder Hand erstellte Mitschrift handelt, die Buber zur Überarbeitung vorgelegt wurde. Indizien dafür sind Merkmale der gesprochenen Sprache (u. a. Redundanzen und Anakoluthe). TS1:2 : Überarbeitungsschicht; erstreckt sich nur auf die Beiträge Bubers; enthält zahlreiche, in gleicher Dichte auftretende handschriftliche Korrekturen von Bubers Hand. TS2 : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 12b); Reinschrift von TS1 , erstellt auf der Grundlage von TS1:2 ; umfasst nur die Beiträge Bubers; zweiteilig; erster Teil: 14 nummerierte, einseitig beschriebene Blätter (enthält Bubers ersten Beitrag); zweiter Teil: 3 nummerierte, einseitig beschriebene Blätter (enthält Bubers zweiten Beitrag); der Textzeuge weist außer der variierenden Rechtschreibung im Bereich von ß bzw. doppeltem s insgesamt fünf Abweichungen gegenüber TS1:2 auf, wobei es an einer Stelle zu einer inhaltlichen Textvarianz zwischen TS2 und D1 kommt, aber nicht zwischen TS1:2 und D1. Folglich liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei TS2 nicht um die direkte Vorstufe zu D1 handelt. Es kann daher das Vorhandensein mindestens einer weiteren, auf der Grundlage von TS1:2 angefertigten Reinschrift als direkter Vorstufe zu D1 angenommen werden.

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D : Theologische Blätter, 12. Jg., Nr. 9, September 1933, Sp. 257-274 (MBB 474). D2 : StudE, S. 147-167 (MBB 538); enthält nur Bubers Beiträge. D3 : JuJ, S. 558-570 (MBB 1216); enthält nur Bubers Beiträge. Im kritischen Apparat, der nur Bubers Beiträge berücksichtigt, wird die Textfassung der Grundschicht des Typoskriptes TS1 in ihrem Gesamtumfang abgedruckt (TS1:1 ). Diese Vorgehensweise empfiehlt sich wegen der Erheblichkeit der Korrekturen beim Übergang von TS1:1 zu TS1:2 (Tilgung vollständiger Absätze, Paraphrasierung längerer Passagen und Beseitigung der Stilmerkmale, die auf den mündlichen Ursprung des Textes hinweisen). In Folge des Korrekturvorgangs geht ein bedeutender Teil der Textfassung TS1:1 verloren, der in einem Einzelstellenapparat unsichtbar bliebe. Der Apparat verzeichnet die gegenüber D1 varianten Textstellen aus TS1:2 , TS2 und den späteren Drucken. Druckvorlage: D1 Abdruck von Bubers Text aus TS1:1 : I. Bu ber : Als Herr Professor Schmidt und ich über diesen Abend miteinander korrespondierten, verständigten wir uns zunächst über die Formulierung des Themas unserer Aussprache, über den Titel unserer Aussprache und mein Kollege schlug vor – ich glaube, dass ich das Geheimnis verraten darf – » K i r c h e , S t a a t , Vo l k s t u m , S y n a g o g e « . Dies lehnte ich ab, deshalb zunächst, weil ich mich nicht berufen fühle, für eine Synagoge zu sprechen, und auch, weil ich Synagoge für eine uneigentliche Bezeichnung halte, von wo aus der Jude so angesprochen wird, dass er antworten kann. Ich möchte hier bemerken, dass ich die Bezeichnung J u d e n t u m angenommen habe, obwohl ich auch diese nicht ganz für die richtige halte. Für die rechte Bezeichnung an dieser Stelle halte ich die, die Professor Schmidt selbst gebraucht hat im nachdrücklichen Sinn sodaß wir schon durch dieses Wort, durch diesen Namen, eine gemeinsame Ebene haben, durch den Namen » I s r a e l « . » I s r a e l « , das ist nicht etwas, worüber wir einen biblischen Bericht haben, womit wir Juden uns kraft dieses Berichts irgendwie historisch, geschichtsbewusstseinsmäßig verknüpft fühlen, sondern Israel ist das Seiende, das Einmalige, das Einzige, Namenhafte, Lebendige, das in keine Gattung Einzureihende, nicht Unterzubringende; jede Schublade der Weltgeschichte widersteht diesem Unterbringen. Israel ist das, was sich auch heute noch allen inmitten tausendfacher Verzerrung, Entartung, Vermischung als ein Eigentum in diesem Judentum

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birgt, als verborgen in diesem Judentum lebt, ja als verborgene Wirklichkeit lebt. Und von da aus allein können wir Juden vom Juden zum Christen sprechen, von da aus allein haben wir die existenzielle Möglichkeit der Antwort. Und je mehr wir so angeredet, so angerufen werden, als Israel angerufen werden, umso rechtmäßiger ist das Gespräch. Ich sage, es ist etwas Einziges, nicht Einreihbares, und ich möchte dies noch deutlicher zu machen versuchen. Es ist ja von Professor Schmidt hier anerkannt worden, dass es so etwas gibt. Für die Christenheit, oder sagen wir für die Kirche in ihrem rechtmäßigen Dasein ist Israel da; und für uns und unser rechtmäßiges Dasein ist Israel da. Wir beide, Kirche und Israel selbst wissen um Israel in grundverschiedener Weise. Und das ist das zweite, was wir nun deutlich machen müssen, dass es g r u ndvers chi ed e n ist. Grundverschiedenheit ist aber etwas ganz anderes als Ansicht, die man erörtern kann und dann versuchen, sie miteinander in Einklang zu bringen. Das ist hier nicht möglich. Es ist ein grundverschiedenes Sehen oder Wissen. Denn die Kirche sagt – nicht nur Israel sagt – daß sie weiß. Dieses Wissen der Kirche um Israel und das Selbstwissen von Israel stehen einander gegenüber in einer Weise, die strenger ist in ihrer Gegensätzlichkeit als ein nur logischer Widerspruch. Um es ganz deutlich zu machen, um was es hier geht: Die Kirche sieht Israel als ein von Gott ver wo r fene s – ganz scharf ausgedrückt – verworfenes Wesen. Dieses Verworfensein ist damit ausgesprochen, und (ich mache keinen Vorwurf daraus) dieses Verworfensein ergibt sich notwendig aus dem Anspruch der Kirche, das wahre Israel zu sein. Beide Israel haben ihren Anspruch eingebüßt, eben dadurch, weil sie Christus nicht als Messias erkannten und anerkannten. Die Christen haben dieses Israel-Sein, das Amt Israels, die Würde, die Erwähltheit Israels empfangen, nicht in einer beiläufigen Weltgeschichte empfangen, sondern von Gott her empfangen; hier ist eine letzte Glaubenswirklichkeit, die unantastbar ist. Man kann keine Argumente dagegensetzen. Wir haben keine Möglichkeit, uns dahin zu begeben, um gegen dieses Wissen der Kirche um Israel etwas zu setzen, was nur als Argument dagegensteht. Aber wir Israel wissen um Israel von innen her, im Dunkel des von innen her Wissens, im Licht des von innen her Wissens. Wir wissen um Israel anders. Wir wissen, daß (und hier kann ich nicht einmal mehr sehen sagen, denn wir wissen es ja von innen her, wir wissen es ja auch nicht mit den Augen des Geistes sondern lebensmäßig) daß wir, die wir tausendfach gesündigt haben gegen Gott, die wir tausendfach abgefallen sind von Gott, die wir die Zuchtrute des Herrn verspürt und immer wieder verspürt haben, die wir diese ungeheuren Jahre Zeit, diese fast zwei Jahrtausende in einer bestimmten Gestalt diese Schickung Gottes über uns erfahren – die Strafe zu nennen zu leicht ist, es ist etwas Größeres als Strafe – daß wir selbst mit schuldig sind, und auch Schuld ist zu schwach, um das zu nennen. Wir wissen, daß es um etwas geht, das nicht mit der Bedingtheit der Welt zusammenhängt, sondern es geht um ein Geschehen in der Wirklichkeit eines Raumes zwischen Gott und uns. Und wir wissen, daß wir eben darin in diesem Erfahren von Gott nicht verworfen sind, daß uns in dieser ungeheuren Zucht und Züchtigung Gottes Hand hält und nicht los läßt, in dieses Feuer hinein hält und nicht fallen läßt.

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Das ist grundverschiedenes, unverträglich grundverschiedenes Wissen. Ich würde nicht einmal wagen, es von uns her »Anspruch« zu nennen. Dies ist ein zu menschlich stolzes Wort für diese Situation. Einen »Anspruch« haben wir gar nicht. Wir haben nur unser armes, aber unendlich faktisches Wissen um das Dasein, um unser Dasein in der Hand Gottes, nirgendwo anders. Und vom Menschen aus, vom menschlichen Unternehmen, von menschlicher Sprache aus, vom menschlich noch so kameradschaftlichen Leben her, kann diese Grundverschiedenheit nicht aufgehoben werden. Aber wenn wir hoffen, (Professor Schmidt sprach vom »Harren«), wenn wir harren, harren wir auf etwas, was nicht vom Menschen herkommen kann, sondern nur von Gott, harren wir einer Einung, die nicht vom Menschen kommen kann, weil sie fü r Menschen ist. Denn vom Menschen her kann das nicht in Einklang kommen, was von Gott her ist, die Erlösung aus einem für den Menschen rettungslosen Zwiespalt seiner Lage. Es ist hier angeführt worden das Wort des Paulus über die Aufhebung der Unterschiede als etwas Geschehenes; die Aufhebung der Unterschiede in der Welt des christlichen Geschehnisses. Diese Aufhebung der Unterschiede vermögen wir nicht zu verspüren, nicht anzuerkennen. Wir fühlen und finden uns in einer Welt, in der die Unterschiede unaufgehoben und ihrem Wesen nach unaufhebbar sind. Aber wir fühlen freilich noch etwas anderes. Wir fühlen, daß der H e i l i g e G e i s t (dies ist ein Wort, das wir mit den Christen gemeinsam haben), daß der heilige Geist selbst nicht in diese Schiedlichkeit eingebunden ist; daß über unseren unaufhebbaren Unterschieden der Geist so schwebt, daß er zwar keine Brücke schlägt, aber uns Bürgschaft der Einheit, Bürgschaft im [berichtigt nach Bubers handschriftlicher Korrektur aus dem] gelebten Augenblick, Bürgschaft der Einheit in unserem Zusammenleben auch von Christen und Juden gibt. So möchte ich jenes jüdische Wort verstehen, das [berichtigt nach Bubers handschriftlicher Korrektur aus daß] ich Paulus gegenüberstelle als ein vielleicht zurückhaltenderes, das aber eine – wie mir scheint – von jedem Menschen vernehmbare Tatsächlichkeit ausströmt. Es ist das Wort jenes alten Buches darüber, was in der Schule Elias von dem über die Welt wandelnden Boten Gottes steht: »Ich nehme zum Zeugen den Himmel und die Erde, ob einer aus der VölkerWelt oder einer aus Israel, ob ein Mann oder Weib, Knecht oder Magd, all jeder nach der Tat, die er tut, so einzig läßt sich der Heilige Geist auf ihm nieder.« Das ist keine Aufhebung der Unterschiede, sondern die Zuteilung des Geistes an die Menschheit, so wie sie ist, in der ungeheuren Zerklüftung, in der sie steht; so aber, dass sie gemeinsam aus der Zerklüftung und im Abgrund stehend, dennoch gemeinsam – von hüben und drüben – hinschauen kann zu dem, der so sich niederläßt auf ihn, auf den Menschen wie verschieden bis ins Letzte sein Standort, seine Situation, ja seine Glaubenswirklichkeit ist. Es ist von Toleranz gesprochen worden in sehr dankenswerter Weise, und der Begriff »Toleranz« als zu klein und zu schwach abgelehnt worden gegenüber der Leidens- und Lebensgemeinschaft die die Menschen bindet. Darüber hinaus, über die Leidensgemeinschaft, über die schicksalhafte Bindung der Menschen verschie-

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dener Glaubenswirklichkeiten hinaus, geht vielleicht noch etwas. Ich sagte, es gibt eine Glaubenswirklichkeit, des Juden und des Christen, in der sich die Frage um Israel ganz deutlich gegenübersteht [sic], und dies gilt es zu erkennen. Trotzdem sind wir lebensmäßig und leidensmäßig verbunden. Diese Verbundenheit kann so stark und so tief und so ernst werden in der Geschichte Israels. Denn gerade dies sind ja Taten und Worte Gottes von Gott her, daß sie sogar stärker werden können als die Verschiedenheit. Darüberhinaus scheint mir wesentlich zu sein: Wir Israel stehen in der Lage gegenüber der Ablehnung dieses Wissens um uns selbst durch die Kirche. Wir könnten sagen: Dies ist ja falsch, wie die Kirche zu uns sagen kann: Das was Ihr da Selbstwissen nennt, wovon Ihr sagt, dass Ihr es erfahrt, die Ihr Buch als von Gott getragen, als nicht losgelassen, als nicht weggeworfen, als noch daseiend im Angesicht fühlt, das ist eine Illusion. Das ist etwas, was Euch Euer Selbsterhaltungstrieb eingibt. Der Mensch gibt sich nie auf, gibt sich nicht auf bis zum Letzten, bis zur Verzweiflung. Was dann, wenn so der Anspruch der einen Seite von der anderen Seite, auch von einem Letzten aus als Letztes abgelehnt wird? Was dann? Ich glaube, es ist einer der Punkte, der für uns Menschen die eigentliche Lehre des als Menschen Daseins ist. Wir haben mit einander zu tun in der ungeheuren Verschiedenheit des Menschlichen, und wie tief diese Verschiedenheiten gehen können, bis in die letzten Glaubenswurzeln hinein, haben wir gesehen. Und was können wir tun? Wir können das tun, etwas sehr Schweres tun, was gerade für den religiös gebundenen Menschen sehr schwer ist, was gerade seiner Gebundenheit und Verbundenheit widerstrebt, zu widerstreben scheint, was seiner Verbundenheit mit Gott zu widerstreben scheint – wir können das, was der andere als seine Glaubenswirklichkeit, gegen unsere Existenz, gegen unser Wissen bekennt, als ein Geheimnis anerkennen. Dessen Sinn zu beurteilen, sind wir nicht imstande, weil wir es von innen her nicht kennen, so wie wir u ns von innen her kennen. Ich möchte jetzt auf etwas kommen, was Schmidt mit Recht in die Mitte seiner Betrachtungen stellt: die Frage nach dem Messias, nach Jesus. Wenn wir die Entscheidung zwischen Juden und Christen, zwischen Israel und der Kirche, auf eine Formel bringen wollen, auf eine Formel von Glauben und Unglauben bringen wollen, so können wir sagen: »Die Kirche steht auf dem Glauben an Christus, von dem Gekommensein Christi, als dem Sinn der Erscheinung Christi als der der Menschheit zuteil gewordenen Erlösung durch Gott. Wir Israel vermögen – ich sage dies eindeutig – wir Israel ver mö g en das nicht zu glauben.« Die Kirche sieht diese unsere Aussage entweder als ein (ich sage in einzelnen Vertretern) als ein Nicht-Glauben-Wollen an. Vielleicht in einer tieferen Schicht sieht sie es als eine Verstocktheit in einem sehr bedenklichen Sinn an, oder aber wird sie auch das nicht können, vielleicht wird sie das Nichtvermögen zugeben, aber als einen Bann zugeben, als eine ungeheure Eingeschränktheit des ErkennenKönnens der Wirklichkeit gegenüber, als eine furchtbare Verblendung Israels, die es hindert, das Licht zu schauen.

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Wir Israel wissen um dieses Nicht-Annehmen-Können jener Botschaft in anderer Weise. Wir nehmen die Sache durchaus als wesentliche Gegebenheit (nicht im Sinne frommer Schwärmer). Zu ernst und zu schwer wissen wir um das Christentum als etwas Ungeheures, das zwischen oben und unten, zwischen Gott und der Welt, sich begeben hat. Wir wissen um das Christentum als etwas, um dessen Geheimnis, dessen Kommen über die Völkerwelt in seinem Geheimnis wir nicht zu durchdringen imstande sind. Wir wissen, dass für uns ein Gekommensein in dieser Art nicht geschehen ist. Wir wissen, (ich meine) so wissen wir, wie wir wissen, daß Luft ist, die wir in unsere Lungen einatmen, daß Raum ist, in dem wir uns bewegen, mehr, tiefer, echter wissen wir mit unserer Haut, wir wissen mit unserer ganzen Leiblichkeit, bis ins Innere hinein, bis in die unterste Wurzel der Existenz wissen wir, daß die Weltgeschichte nicht auseinandergebrochen ist bis auf ihren Grund. Wir wissen, daß die Welt nicht erlöst ist. Wir spüren die Unerlöstheit der Welt, so sehr wir etwas zu spüren vermögen, es ist uns nicht vorstellbar, es ist nicht etwas, was in unser Gehirn zieht. Wir spüren diese Unerlöstheit, wie wir etwas spüren, was uns umgibt, was sich um uns begibt. Eben dieses unser Spüren kann die Kirche – vielleicht muß sie es – als das Bewußtsein unserer Unerlöstheit verstehen. Aber wir wissen es anders. Wir wissen es nicht als u n se re Unerlöstheit, sondern wir wissen es als die Unerlöstheit der Welt. Und wenn wir auf etwas stehen, was über unser (wenn wir so sagen dürfen) unmittelbares Verhältnis zu Gott hinausreicht, dann wissen wir, daß Erlösen der Welt eins ist mit Vollenden der Schöpfung, daß Erlösen der Welt eins ist mit Aufrichtung der durch nichts mehr behinderten, keinen Widerspruch mehr erleidenden, über alle die ungeheure Vielfältigkeit der Welt erhabenen Einheit; eins ist mit dem Königtum Gottes, der Erfüllung alles in allem. Eine Vorwegnahme dieser Welterlösung zu irgendeinem Teil, gleichviel wie man es nennen mag, ob man sagen mag. Die Seele ist erlöst oder der Leib ist erlöst, vermögen wir nicht zu sagen. Ja, jeder Mensch, der sich wirklich mit seiner Wesenheit besonnen hat über das Letzte seines Daseins, weiß, daß er nicht letztlich zu scheiden hat zwischen Leib und Seele – aber selbst eine irgendwie beschaffene Vorwegnahme können wir nicht wahrnehmen, nicht anerkennen. Es kann keine Zäsur in der Geschichte geben. Nicht, weil wir uns Gedanken machen in der geschehenen Geschichte, in jedem Augenblick, sondern weil wir durch jedes Geschehen erfahren, was keine Mitte sondern Ziel, nur ein Ziel des Weges Gottes hat, der nicht innehält auf seinem Weg, sodaß er auf der Mitte seines Weges festgehalten werden könnte. Wir vermögen nicht, Gott auf irgendeine Art seiner Offenbarung festzuhalten. Jenes Wort vom brennenden Busch: »Ich werde dasein, als der, der ich dasein werde«, je und je dasein werde, macht es uns unmöglich, irgendetwas Einmaliges als Offenbarung Gottes zu nehmen. Nicht als ob wir irgendetwas über das Offenbarenoder das Sich-Nicht-Offenbaren-Können Gottes, oder über Gottes Offenbarung überhaupt aussagen könnten; sondern wir reden nur davon, daß wir von allen Of-

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fenbarungen, um die wir wissen und um die wir nicht wissen, nichts Bestimmtes sagen können. Wir sagen nicht: So kann sich Gott nicht offenbaren. Nur bei allen gewußten und nicht gewußten Offenbarungen können wir Gott nicht festlegen auf etwas in der und der Weise Unterschiedenes, als ob etwas überhaupt einmal festgelegt werden könnte in der Weise, wie es das für das Christentum gegeben hat. Ich sagte schon, das uns Verbindende bei alledem ist unser gemeinsames Wissen um eine Einzigkeit, und von da aus können wir auch diesem im Tiefsten und Schwersten Trennenden gegenübertreten; und können damit das Geheimnis des anderen Heiligtums anerkennen. Das Geheimnis des anderen ist innen in ihm und kann nicht von außen her wahrgenommen werden. Kein Mensch außerhalb von Israel weiß um das Geheimnis des Judentums. Und kein Mensch außerhalb des Christentums weiß um das Geheimnis des Christentums. Wie es möglich ist, daß es die Geheimnisse nebeneinander gibt, das ist Gottes Geheimnis. Wie es möglich ist, daß es eine Welt gibt als Haus, in dem diese Geheimnisse wohnen, ist Gottes Sache, ist Gottes Haus. Und ich glaube, wir Menschen vermögen nicht, indem wir uns um unsere Glaubenswirklichkeit drücken, indem wir trotz der Verschiedenheit ein Miteinader erschleichen wollen, sondern indem wir unter Aner ke nnu ng der Verschiedenheit in rückhaltlosem Vertrauen uns mitteilen, was wir wissen von der Einheit dieses Hauses, von dem wir hoffen, daß es einmal so sein wird, daß die Scheidewände nicht mehr sind, daß wir uns umwölbt fühlen von der unantastbaren Einheit dieses Hauses, daß es verwandelt wird zu e i n e m Baum, indem wir eins sind als die Diener in dem einen gemeinsamen Dienst, daß wir werden, wie es in unserem Gebet am Fest des Neuen Jahres heißt, »eine X, ein einziger Bund, um Seinen Willen zu tun«; wir vermögen nicht, dieses Geheimnis Gottes anzutasten. Und so meine ich, als Anerkenner der Geheimnisse im Hause Gottes können wir miteinander reden auf rechtmäßig menschliche- und zugleich rechtmäßig gottesdienerische Weise. Denn es gibt jetzt den gemeinsamen Dienst nicht. Und alles, was da wohlmeinende Optimisten von einem Etablieren eines gemeinsamen Dienstes oder gemeinsamen Glauben erträumen, das ist Wahn, das ist Widersinn. So kann das nicht werden. Also können wir nur anerkennen? Ja, nur anerkennen, aber das ist ungeheuer viel und etwas ungeheuer Schweres und fast unmöglich Dünkendes. Und doch möglich und etwas, wenn wir daran gehen, Begnadetes, Gnadenhaftes. Und nun zum Ausgangspunkt zurück: Daß es Israel gibt, das ist etwas Einziges, etwas Unreihbares. Denken Sie, daß dieser Name von Gott, nicht von Vater und Mutter verliehen wurde, und daß dieser Name das Volk als etwas kennzeichnet, was mit den Kategorien der Völkerkunde, der Soziologie, der Geschichte schlechthin nicht zu erfassen ist. So oft wir eine solche Kategorie anwenden, tun wir Israel unrecht. Wir vergehen uns an der Einzigkeit Israels. In der Bibel ist ausgesprochen, was die Einzigkeit Israels begründet. Sie wendet sich gegen den Begriff »Volk«, gegen den Begriff »Religion«, daß die Entstehung dieses Volkes, dieser Gemeinschaft, identisch ist, geschichtlich identisch, geschichtsidentisch, ereignisidentisch, geschehnis-identisch ist mit der Glaubenserfahrung, mit der Glaubenshandlung einer Menschenschar in ihrer entscheidenden Stunde.

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Eine Menschenschar erfährt etwas als glaubende Schar, als Glaubensschar, nicht als glaubende Individuen sondern als glaubende Gemeinschaft, und als solche Schar glaubend erfährt sie etwas und antwortet sie etwas. So wie man den Worten Gottes, die Zeichen und Geschehnisse sind, antwortet, mit dem Leben antwortet, antwortet sie etwas. Und in diesem so Angesprochenwerden und in diesem Antworten und in diesem So-Handeln wird diese Schar konstituiert in dieser Stunde zu dem, was wir Volk nennen. Das heißt, sie wird zu etwas, was nun dauert in Zeugungen und Geburten, von Geschlecht zu Geschlecht, in einer geschlossenen Reihe, in einem geschlossenen Kreis von zeugenden Geburten von Geschlecht zu Geschlecht. Das hebt Israel ab von den Nationen und von den Religionen. Es ist hier eine Einheit von Glauben und Volkstum, die einmalig ist, und deren Einmaligkeit als beiläufig anzusehen die vollkommene Ungläubigkeit der geschehenen Weltgeschichte bedeutet. Denken Sie, daß diese Volksgeschichte, diese Volksentstehung, diese Volkskonstitution, diese Glaubenshandlung und -erfahrung bezeichnet wird als ein Bund zwischen Gott und den Menschen, als etwas Einmaliges in der Weltgeschichte, als naturhaft starker Träger des Geistes. Dieser Königsbund, daß Gott zu seinem Volk sagt, daß es als sein Königsreich, er als sein unmittelbarer Herrscher gilt, daß dieses Volk keinen Menschen sondern diesen Gott als seinen König proklamiert, »König bleibt er, keiner sonst in der Welt, in Ewigkeit«, dieser Königsbund ist eine Einzigkeit. Es wäre ganz falsch, (das Volkhafte an diesem Volk unterliegt und erliegt ja immer wieder der Versuchung), dies als ein Privileg, ein Monopol, einen Selbstzweck zu verstehen. Dazu ist die ungeheure Erscheinung der Propaganda da, um dem Volk immer wieder zu sagen, daß es nichts anderes ist, als gleichsam ein Versuch Gottes. Die Genesis erzählt, wie Gott es zuerst mit einer Menschheit versucht und sie versagt wieder und wieder. Erst dann versucht er, sich ein Volk zu ziehen, zu züchten, eine Auslese als den Anfang der Menschheit, das heißt als den Anfang der Verwirklichung seines Königtums. Gott nennt es »den Anfangs-, den Erstlingsteil meiner Ernte«. Ich sage, dieses Israel, das zugleich Volk, zugleich Religion ist und das allen Versuchen der Völker und der Religionen ausgesetzt ist, das möchte in sich ruhen, das möchte sich als begnadeten Selbstzweck empfinden. Aber alle sind sich einig, daß die ganze Glaubensführung von Anfang an dagegen steht, daß die Mission des Volkes dagegen steht, und so sind sich alle je und je einig, daß Israel nichts anderes als »Volk« ist, die Voraussetzung der ganzen menschlichen Antwort. Volk muß da sein, damit sich die menschliche Antwort, das Leben an der Gemeinschaft auch erfüllen kann, damit das ganze Leben gemeinsam werden kann, auch das Leben der Gruppe, der Gemeinschaft, nicht nur das private Leben, das Individuelle, sondern alles Leben schlechthin. Darum muß Volk sein, und deshalb ist Israel. »Du, Israel, wirst, sofern du Volk bist, Voraussetzung sein und nichts anderes.« Darauf deutet die Bibel hin, die die Gemeinschaft als die Voraussetzung der Erfüllung braucht, um sich erfüllen zu können, andererseits aber die Gemeinschaft als Voraussetzung der Erfüllung auch wieder sprengen muß.

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Das Ausarten des Wissens um Israel wäre die Ausart in der Auffassung, daß Gott ein Machtlieferant sei, die ungeheure Versuchung, die Israel immer nahe ist, der Israel immer wieder erlag. Dagegen wird immer wieder das Geschichtsgeheimnis von Gott ausgesprochen. Es ist nicht etwas, von dem man sich eine Übersicht zurechtmachen kann. Das Walten der Geschichte, der Weg Gottes durch die Geschichte und der Weg Gottes durch Israel ist nicht etwas, wovon man eine gefällige Landkarte entwerfen kann. Man kann sich auch nicht vorstellen, daß Gott sich durch Verleihung von Macht und Erfolg zu erkennen gibt als der Walter und der Herr der Geschichte. Je weiter sich das Volk in den Widerspruch, in den Zwiespalt zwischen Gott und Israel hineinbegibt, umso stärker wird das prophetische Wort, das Wort Gottes: »Es gibt einen Bund Gottes mit dem Leiden, mit dem Dunkel, mit dem Verborgenen in dieser Geschichte, die nicht mit Zeichen des Erfolges geschrieben wird.« Diese Offenbarung ist eine Versuchung und ganz besonders die Versuchung für Israel. So wird das sündige Volk Gott gegenübergestellt als einem, mit dem es sich nicht in der Macht sondern im Dunkel, im Leiden wieder verbinden kann. Wir glauben daran von je. Es ist eine immer wieder aktuelle Frage, daß ein Volk sündigen kann, nicht nur gegen sich, sondern auch gegen Gott sündigen kann, indem es auf sich und nicht auf Gott hört und das auf sich selbst Hören dann Gott Hören nennt. Gegen das steht dieser Bund je und je und gegen das steht nach allem diesem ungeheuren Versagen – zuerst der Versuch der Theokratie, der versagt, weil das Volk ihm nicht gewachsen ist, dann indem die Könige nicht als Statthalter Gottes regierten und lebten und dann die Katastrophe, die für uns wichtiger ist als die Zerstörung Jerusalems, der Zusammenbruch, das Exil – die wahre Verbindung Israels mit Gott. Mit dem Exil erwachsen die endgültigen Konzeptionen vom Knecht Gottes. Die Konzeptionen, die nicht einfach nur Israel und auch sicher nicht nur das Judentum, sondern alle Menschen angehen, in denen sich Israel sammelt, alle Menschen, die in einer Gemeinschaft diesem Israel in Frage und Antwort gegenüberstehen, diese Konzeptionen, – so meine ich – die in einer Vielfältigkeit je und je über die Geschlechter der Menschen und des Volkes hingehen und wirken, was sie zu wirken haben, im Leiden und im Dunkel, im Köcher Gottes (»Er hat mich zu seinem blanken Pfeil gemacht«) sind uns gegeben. Das Leiden im Dunkel, um Gottes Willen, als geschichtliche Kategorie ist die verborgene Geschichte der Pfeile, die Gott nicht verschickt, die er in den Köcher steckt, die er im Köcher birgt, und die von dort aus im Dunkel des Köchers sein Werk wirken. Die verborgene Geschichte, von der sage ich aus, und von hier aus sieht man etwas Gemeinsames, von hier aus ist etwas Gemeinsames, von da her leben wir seither als Israel. Alles was dann kommt, spielt sich von da her auf dieser Ebene ab. Aller weitere Widerstreit kann nur von dort aus verstanden und ausgesprochen werden, für uns, die wir zu erfüllen haben und je und je in der Erfüllung versagen. Die Zerstörung Jerusalems ist nach unserer Überlieferung geschehen, weil die Gemeinschaft nicht erfüllt worden ist, weil es in Israel selbst Widerstreit gab, der

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hinderte, daß die Gemeinschaft, der Anfang der Menschheit, das Modell einer Menschheit über alle Vielfältigkeit hin errichtet wurde. Und von da aus kommt Israel unter die Völker, das heißt, es kommt unter die Völker die in Israel erwachsene Botschaft von Jesus, von der kommenden Aera, vom kommenden Weltalter als der siegreichen Offenbarung der verborgenen Weltgeschichte. Die Völker haben diese Botschaft von Jesu je und je, jetzt und hier, konkret gemacht, und so steigt die verborgene Weltgeschichte aus dem Köcher und manifestiert sich als die Geschichte, als der Weg Gottes: Diese Botschaft von Jesu. Übrigens steht dieser Jesus durchaus im Gegensatz zu einer falsch gewordenen, vergeistlichten Vorstellung der Theokratie. Jesus hat sich in einem Kampf verkündigt, indem er die Knechteskonzeption annahm. Diese Botschaft aber hat nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt, sondern in einer eigentümlichen Dualisierung, Verzweiung, die der Botschaft Jesu [Textverlust] Verzweiung, die wir durch Augustin kennen, – wo der Bereich des Staates, der Bereich der Öffentlichkeit im Grunde preisgegeben, vom Reich Gottes abgeschnitten ist, – geht bis in die Konsequenz einer letzten Trennung. Diese Verzweiung kann im Leben der Völker als ungeheuer aufgefunden werden, und sie wurde von den Glaubensführern des Christentums immer wieder erhoben im Namen Jesu, gleichviel ob diese auch die eine oder andere Erscheinungsform nicht abgelehnt haben. Dennoch, es gibt ein anderes Sprechen in der Christenheit als von der ursprünglichen Botschaft. Auch Augustin, der die Verzweiung bekämpfte, sprach von den so von der ursprünglichen Botschaft ergriffenen Völkern, in einer Weise ergriffen, über die hier nicht gesprochen werden kann, daß etwas über sie gekommen sei – und hier liegt die ungeheure Tragik für die Völker –. So ist diese Botschaft in dieser ihrer Gestalt über die Völker gekommen und hat das geschaffen, was wir die abendländische Geschichte nennen. So haben die Völker als christliche Völker ihren Reichsgedanken aufgestellt. Sie haben das Königtum Gottes als die ihnen zugewiesene Aufgabe empfangen und aufgenommen und ausgesprochen als Christen. Die großen Reichsgedanken der Völker, der West- und Ostgoten, Karls des Großen, der Briten, der Franzosen, der Russen, sie alle knüpfen bis auf den heutigen Tag an jenes Israel, an jenes Verwirklichungsamt, an jene Erfüllung des Königreiches Gottes an, aber in der Weise, daß sie eben dies von der Kirche ermächtigt aussprechen, daß Israel in diesem seinem Amt verworfen ist, daß Israel dies sein Amt nicht mehr inne hat, daß Israel verstreut, verloren unter die Völker ist, und daß ihm die Möglichkeit entzogen ist, an der Gemeinschaft zu bauen. So stehen die Völker in ihren Reichsgedanken zum Judentum. Und das Judentum, Israel, steht nun den Völkern gegenüber so, daß es eben in seiner armseligen Weise aber unaussprechlich, [Textverlust] um das Ja diesem Nein gegenüber [Textverlust] weiß, und nicht weiß um ein leichtes [Textverlust] furchtbares und furchtbar schwer zu tragendes Ja. Aber es weiß, daß es ein Ja ist. Ich will nicht davon reden, wie die Völker gegen das Judentum stehen, daß die Völkerwelt dieses Israel nicht aufgenommen hat, aber man muß sehen, daß dies hierher resultiert. Im Mittelalter wurde Israel von der Urproduktion, vom Besitz-

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recht abgesperrt; an der Wirtschaft eines Volkes, mit dem es in Zusammenhang lebte, teilzunehmen, wurde ihm versagt. Das was in positiver Weise von den Gastsassen in der Bibel gesagt ist: »Verteilt ihr euch dieses Land nach den Stämmen, so soll es geschehen: Ihr lasst darüber das Los fallen euch und den Gastsassen, die leben und Söhne gezeugt haben in eurer Mitte. Sie seien euch wie die Söhne Israels. Dort unter euch sollt ihr ihnen Eigentum geben.« Die Völker haben dies nicht als zu sich gesprochen erfahren, haben es Israel unmöglich gemacht, jenen Satz des Jeremias zu verwirklichen: »Baut Häuser und siedelt, pflanzt Gärten, säet, und erntet die Früchte. Von da aus trachtet nach dem Heil der Stadt und betet für sie zu J h m . Je in ihrem Heil wird euch Heil sein.« Diese Voraussetzung, diese Teilnahme an dem Leben, an dem arbeitenden Schaffen des Volkes von unten herauf, haben die Völker Israel versagt. Und später als sie sich sichtbar emanzipierten, haben sie Israel nicht als Israel aufgenommen sondern als diese Masse jüdischer Menschen. Die einmalige Einheit ist von den Völkern nicht anerkannt worden. Israel ist von den Christen nicht als Israel aufgenommen worden bis auf den heutigen Tag, an dem wir leben. Man kann sagen, daß dies unmöglich sei. Ein gläubiger Mensch darf nicht so sprechen. Ein gläubiger Mensch darf die Tatsache, daß es dieses Israel in der Mitte der Völker gibt, nicht nur gibt, sondern daß Israel geschickt wurde in die Mitte der Völker, nicht umgehen. Dies gilt für Israel wie für die anderen. Der Einzigkeit Israels entspricht eine Einzigkeit der Situation Israels. Und diese Einzigkeit der Situation, von dieser unserer Stunde gefasst, ist, daß der Satz des Jeremia noch auf seine Erfüllbarkeit wartet, ein Satz, dessen Erfüllung die Erfüllung der Hoffnung Israels, der Sammlung des Korns auf eigener Erde und die von Menschen mögliche Gemeinschaft aus dem Stoffe Israels bauend bereitet. » Z i o n i s m u s « : Gewiß ist im Zionismus das Wort Volkstum betont und überbetont worden, weil innerhalb eines unlösbaren Durcheinanders von Volkstum und Glaube das Volkstum in der Zeit vor dem Zionismus vergessen wurde. Man hat vorher die Fiktion einer bloßen Glaubensgemeinschaft proklamiert und damit Israel seiner Eigenschaft als Volk beraubt, man hat es in die Religionen eingeschlossen und nur als Glaubensgemeinschaft gesehen. Es mußte gemahnt werden, daß zu Israel dieses Volkstum gehört, daß man es sonst nicht erfasst. Aber heute in der Stunde in der wir sind, und ich stehe schon seit ein paar Jahrzehnten in dem Kampf darum, daß es geschehe, ist es an der Zeit, an Stelle dieses Volkstums Is r a el zu setzen – Israel, das ganze Israel, die Einheit und Einzigkeit Israels. Dafür ist Zion zu bauen. Und Zion kann nicht nur territorial erfasst werden, ebenso wie Israel nicht national erfasst werden kann. Zum Letzten die Frage: Ist eine echte Rezeption Israels möglich? Ist an Stelle dieser doppelt falschen Rezeption erstens Ablehnung und dann Aufnahme der Summe von Individuen möglich? Aber es scheint, daß diese Frage, die ich nur als Frage fassen möchte (nur mit Furcht begebe ich mich auf dieses Gebiet) identisch ist mit der Frage: Ist ein Handeln der christlichen Völker von der Bibel her möglich? Ich weiß nicht, wie es sich verhält, ob es möglich ist, (für mich scheint es so zu

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sein). Damit hängt auch die andere Frage zusammen: Kann zwischen der Kirche, die um kein Amt Israels weiß, und Israel, das um sein Amt weiß, eine Verständigung sein, eine Antwort gesprochen werden? Über die Frage dieser Rezeption, über die Israel besser, rechtmäßiger weiß, kann Israel wohl mit den Christen, mit der Kirche sprechen, weil auch sie eine Glaubenswirklichkeit bedeuten. Es gibt hierzu vielleicht eine Möglichkeit, das ist das, daß es heute abend möglich war, daß nicht ich sondern mein christlicher Kollege das Wort vom Knecht Gottes auf Israel angewandt hat. Damit ist etwas, ja vielleicht die Tiefe des Selbstwissens Israels um sein Amt angerührt. Und da ein solches Anrühren möglich ist, ist uns vielleicht eine Hoffnung gestattet, daß eine echte Rezeption die Möglichkeit zu einem schweren, aber gesegneten gemeinsamen Ringen gibt. Noch eins zur Klärung: Wesentlich ist das Verhältnis Israels zum Staat bestimmt vom messianischen Glauben Israels, das heißt vom Glauben an Israel; da der messianische Glaube Israels, der Glaube an eine Menschengemeinschaft als Königreich, Königtum Gottes ist, kann Israel schlechthin nie und nirgends an der Frage der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, an der Art, die menschliche Gemeinschaft zu bauen, uninteressiert vorübergehen. Es ist eine innere Angelegenheit Israels, es ist sein Amt je und je, an allem, was es an Staat geben kann, teilzunehmen. Das heißt, vom messianischen Glauben her ist für Israel jedes Staatswesen – so schlecht es auch immer sei – eine Vorwegnahme und auch eine Erfüllung, ein schlechtes, brüchiges Modell des Gottesreiches, das aber auf seine wahrhafte Gestalt hinweist. Zugleich weiß Israel, da es in seinem messianischen Glauben um seine Unvollendung weiß, es spürt, fühlt je und je die andere Seite des Staates, den Zwangsverordnungs-Charakter dessen, was wir Staat nennen, daß dieser Staat je und je ein Hebel ist, der anzeigt, wieviel Freiwilligkeit unter den Menschen als echtes Dasein der Menschen heute schon da ist, das heißt, wie wenig und wie viel Zwangsobrigkeit, menschliches Zwingen, nötig ist, um jetzt und hier jenes Mindestmaß an anständiger Lebensweise, an anständigem Zusammenleben der Menschen herbeizuführen. Jene doppelte Schau ergibt ein doppeltes Verhältnis zum Staat. Israel kann sich nie abwenden vom Staat, nicht abfallen vom Staat, kann den Staat nie verneinen, kann den Staat nie verleugnen, es muß ihn annehmen, muß Sehnsucht nach der Wahrheit des Staates haben, der von seiner Erfüllung je und je nur unzulänglich dargestellt ist. Konservative und revolutionäre Stimmung wurzeln in einer Sache, herrschen nebeneinander. Konservativismus gibt es nie um seiner selbst willen, sondern nur um die Ordnung zu bewahren. Ebenso gibt es nie Revolution um ihrer selbst willen, da keine Revolution um der Revolution willen geschehen kann. Wenn Menschen aus Israel sich der Revolution angeloben, so tun sie es um des Werdenden willen, tun sie es, den Blick gerichtet hin auf das, von da aus sie wachsen können. Es gibt auch von Israel her kein anderes Handeln als um des Reiches willen.

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II. Bu ber : Professor Schmidt hat sehr nachdrücklich und deutlich noch einmal gezeigt, daß es sich hier um eine unüberbrückbare Verschiedenheit außer der Gemeinsamkeit handelt. Gewiß, es gibt ein Verhältnis zwischen offenbarter Erfahrung und Urkunde hier, und ein Verhältnis zwischen Erfahrung und noch einer Urkunde X dort. Aber das Entscheidende ist, daß diese no ch ei ne Urkunde d o r t h i er eine Urkunde nicht ist. Darüber können wir uns nicht verständigen, wenn wir nicht darüber hinwegkommen, daß dieses h i e r des Neuen Testaments für den christlichen Menschen von derartig wichtiger Bedeutung ist. Es ist für den Christen nicht nu r Urkunde, aber er muß zur Kenntnis nehmen, daß es auch Urkunde ist. Damit, von da aus, glaube ich aber, ist bestimmt nicht ausgedrückt, wie weit wir einander entgegenkommen können und was uns am Entgegenkommen hindert. Aber ich möchte Ihnen sagen, wie ich dies von Israel aus ansehe: Ich lebe nicht weit weg von der Stadt Worms, an die mich auch – ich glaube – eine Tradition meiner Ahnen bindet; und ich fahre von Zeit zu Zeit hinüber. Wenn ich hinüberfahre, gehe ich immer zuerst zum Dom. Wenn man in Deutschland eine vollkommen gliederhafte Architektur schauen will, schaue man sich diesen Dom an. Das ist eine vollkommene, wirklich vollständige, leiblich gegliederte Schau; es ist eine sichtbar gewordene Harmonie der Glieder, eine Ganzheit, ohne Herausfallen eines Teils aus seiner Vollkommenheit. Ich schaue diesen Dom, so herrlich er ist, mit einer ungebrochenen Freude, und spüre den Wohllaut eines solchen Baus. Und dann gehe ich hinüber zum jüdischen Friedhof. Der besteht aus schiefen, zerspellten, formlosen, richtungslosen Steinen. Ich stelle mich nun hin, und schaue von diesem Friedhofgewirr zu dieser herrlichen Harmonie hinauf und empfinde etwas, wie wenn man von Israel zur Kirche hinaufsieht. Und da unten hat man gar nichts. Nicht ein bißchen Gestalt; man hat nur die Steine und hat aber wirklich die Asche unter den Steinen. Man hat die Asche, wenn sie sich auch noch so sehr verflüchtigt hat. Man hat sie, man hat den Leib, das Blut, die Leiblichkeit der Menschen, die da zu dieser Asche geworden sind. Aber man hat sie nicht nur als Leiblichkeit in der Welt dieses Planeten, die allerhand Leiblichkeiten birgt, sondern als Leiblichkeit meiner eigenen Erinnerung bis in die Tiefe, bis zum Sinai. Ich habe da gestanden, ich habe da gestanden und bin mit ihnen verbunden, mit der Asche, mit dem Blut, leiblich quer hindurch verbunden bis dort hinüber. Das ist Erinnerung, Erinnerung an das Geschehen mit Gott, das allen Juden, das uns Israel gegeben ist. Das ist Wissen, dafür kann ich nichts. Davon kann mich keine Botschaft der Welt, keine Vollkommenheit, kein domhaftes Dasein der Welt, so herrlich es sei, auf Gott zu gerichtet als Ausdruck des Verhältnisses zwischen der Christenheit und Gott – nichts kann mich abbringen davon, von dieser einfachen, einfältigen Erinnerung. Ich habe da gestanden, ich habe das erfahren, mir ist das widerfahren; und all diese Asche, all diese Zerspelltheit, all dieser Jammer gehört dazu; und der Bund ist mir nicht gekündigt worden. Den Vätern und Müttern, ihnen allen ist der Bund

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nicht gekündigt worden. Ich liege am Boden, hingeschmissen wie diese Steine, hingefallen und richtungslos. Aber gekündigt bin ich nicht. Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist. Aber gekündigt bin ich nicht. Wenn die Christen sich mehr erfüllten, wenn die Christen nicht selbst mit sich rechnen müßten, wenn sie christlich tun würden, (sowie ich es für mich aussprechen möchte und doch nicht sagen möchte), dann würde – wie mein Kollege Schmidt meint – eine schärfere Auseinandersetzung zwischen uns und den Christen kommen. Wenn Israel mit sich auf ’s Schwerste das Wissen um sein Schicksal trägt, wenn Israel nun Israel wird, wenn das Judentum, diese Judenheit, nun Is r a el würde, wenn Israel aus dieser Larve in das heilige Antlitz hervortreten würde und Israel da, wirklich da wäre, in der ganzen Breite und Fülle des gelebten Lebens, dann gäbe es keine Scheidung, trotzdem keine schärfere Auseinandersetzung zwischen Kirche und Israel. Und ich möchte Sie zum Schluß bitten, auf zwei Worte hinzuhören, die sich zu widersprechen scheinen, zwar nur scheinen; auf beide Worte jedoch genau hinzuhören, sie widersprechen einander nicht. Im Talmud wird erzählt: Der Goj, der Proselyt, der kommt, um ins Judentum aufgenommen zu werden, um den Übertritt zum Judentum zu vollziehen in dieser Zeit in diesem Weltalter des Dunkels, der Knechtschaft, des Am-Boden-Liegens, – zu dem spricht man: »Was hast du nun gerade da bei uns gesehen, daß du dazu übertreten willst; was hast du nun in dieser jammervollen Existenz gesehen, an diesem HingeworfenSein, daß du Lust hast, überzutreten? Weisst du denn nicht, daß Israel in dieser Zeit zerdrückt, mißhandelt, getreten, zerrissen ist, daß eine große Not über es gekommen ist?« Wenn er spricht: »Ich weiß, und ich bin nicht würdig«, dann nimmt man ihn sogleich auf. [Textverlust] dies ist kein Schein, ist nichts, worüber man sich hinwegsetzen kann. Und die Schande ist eine wirkliche Schande. Aber es ist ein Gottessinn darin, der nicht bedeutet, daß wir aus Gottes Hand gefallen seien, daß sich durch all dies schlechthin in unserem Verhältnis zu Gott, in Gottes Verhältnis zu uns, in dem einzigen, worauf es uns ankommt, etwas schlechthin geändert hätte. Dazu gehört das andere, das dem ersteren nicht widerspricht: Obgleich es so steht im Talmud, wie ich Ihnen gleich erzählen werde, würde, wenn Israel nun erhoben würde, wenn es so wäre, daß Gott es erheben möchte, dann würde nicht eine schärfere Auseinandersetzung mit dem Christentum von Israel her erfolgen. So meine ich: Der Talmud sagt: »Gott, der Heilige, gesegnet sei Er, Gott erklärt kein Geschöpf ungültig, sondern alle nimmt er auf. Die Tore sind geöffnet zu jeder Stunde, und wer hinein zu gelangen sucht, gelangt hinein.« So spricht er: »Öffne die Tore, daß komme der Bewährte, irgend ein bewährter Stamm, ob ein Goj, ob ein Zadik, der die Treue hält.« Und dazu sagt der Midrasch: »Es ist nicht gesagt, daß Priester kommen, daß Levi-

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ten kommen, daß Israeliten kommen, sondern es ist gesagt, daß kommen Gojim, Zadikim, ein bewährtes Volk, wo immer Volk sich bewährt.« Und wie praktisch, wie konkret das vom Juden für den Juden gemeint ist, möchte ich Ihnen deutlich machen durch das Wort, das ich immer wieder anführe: Der Rabbi von Kosnitz, ein kranker, siecher Mann, der herumgetragen werden mußte, ein großer Beter, der große Beter des Chassidismus, pflegte immer wieder zu beten: »Also, wenn Du jetzt nicht Israel erlösen willst, nun gut, dann erlöse doch jetzt die Gojim allein.« Ich möchte Sie nun bitten, Christen und Juden, zu bedenken: Das ist wirkliches Gebet, das ist kein Spruch, das ist wirkliches Gebet, eines großen Beters. Israel ist mir das Wichtigste, was ich in der Welt kenne. Aber Gott ist mir unendlich [berichtigt nach Bubers handschriftlicher Korrektur aus unmenschlich] viel wichtiger als die Judenheit. Und wenn ich das Wort des Kosnitzer Rabbi wiederhole, hefte ich mich an eine Ecke des Globus und bete. Wenn ich rede mit Gott, bete ich. Wenn ich rede mit den Christen, gibt es eine mehr oder weniger scharfe Auseinandersetzung; aber wenn ich zu Gott zu sprechen mir getraue, da ist dies nicht mehr. Dann würde ich – wenn ich es mir getrauen würde – eben dasselbe Wort von mir aus sagen.

Variantenapparat: 145,Titel Zwiegespräch im Jüdischen Lehrhaus in / Stuttgart am 14. Januar 1933.] eingefügt als Fußnote Dieses öffentliche Gespräch mit dem damaligen Bonner{, jetzigen Basler D2 } Ordinarius für neutestamentliche Theologie knüpfte an einen früheren Zyklus ähnlicher Veranstaltungen an. Der vollständige Wortlaut ist nach dem Stenogramm in den »Theologischen Blättern« vom September 1933 veröffentlicht worden. Ich habe hier ein paar kleinere Zusätze {kleine Ergänzungen D2 } nach meinen Notizen eingeschaltet {vorgenommen D2 }. Zur Ergänzung meiner Darstellungen {Darlegungen D2 } sei auf die Rede »Die Brennpunkte der jüdischen Seele« {in meinem Buch »Kampf um Israel« (Berlin 1933) S. 50-67 D2 } hingewiesen. D2, D3 155,11 »Synagoge«] Synagoge TS1:2 , TS2 155,18 gewonnen] fehlt TS1:2 , TS2 155,23 begrifflich] fehlt TS1:2 , TS2 155,26 mannigfacher] tausendfacher TS1:2 , TS2 155,29 wahrhafter] mehr TS1:2 , TS2 156,2 aber] fehlt TS1:2 , TS2 156,3 ist] ist aber TS1:2 , TS2 156,4 kann, um dann zu versuchen,] kann und dann versuchen, TS1:2 , TS2 156,7 sie wisse] daß sie weiß TS1:2 , TS2 156,9 Widerspruch.] Widerspruch. Um es ganz deutlich zu machen, um was es hier geht: TS1:2 , TS2

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156,13 erkannten] erkannten und anerkannten TS , TS 156,14 das Amt, die Würde Israels] das Amt Israels, die Würde TS1:2 , TS2 156,15 seine] die TS1:2 , TS2 156,15-16 eine Glaubensgewißheit] eine letzte Glaubenswirklichkeit TS1:2 , TS2 156,18 wirksam werden könnte] dagegenstehen könnte TS1:2 , TS2 156,22 und auch nicht mit dem »Auge des Geistes«] wir wissen es ja auch nicht mit dem »Auge des Geistes« TS1:2 , TS2 und auch nicht mit dem Wissen des Gedankens D3 156,24-25 die wir diese Jahrtausende hindurch diese Schickung Gottes über uns erfahren haben] die wir seine Zuchtrute verspürt und immer wieder verspürt haben, die wir diese ungeheure Zeit, diese fast zwei Jahrtausende in einer bestimmten Gestalt diese Schickung Gottes über uns erfahren TS1:2 die wir diese ungeheure Zeit, diese fast zwei Jahrtausende in einer bestimmten Gestalt diese Schickung Gottes über uns erfahren TS2 156,30 dieser Zucht] dieser ungeheuren Zucht TS1:2 , TS2 156,36-37 uneinschränkbar] unendlich TS1:2 , TS2 156,37 Wissen um unser Dasein in der Hand Gottes] Wissen um das Dasein, um unser Dasein in der Hand Gottes, nirgendwo anders TS1:2 , TS2 156,39 menschlichen] menschlich TS1:2 , TS2 156,41-157,2 wenn wir »harren«, harren wir dessen, was nicht vom Menschen herkommen kann, sondern nur von Gott, einer Einung, die nicht vom Menschen hergestellt werden kann,] wenn wir hoffen, wenn wir, wie Karl Ludwig Schmidt eben sagte, »harren«, harren wir dessen, was nicht vom Menschen herkommen kann, sondern nur von Gott, harren wir einer Einung TS1:2 , TS2 157,8 erscheinen] sind TS1:2 , TS2 157,9 der h e i l i g e G e i s t ] der Gei st D2, D3 157,9-10 Glaubenswort] Wort TS1:2 , TS2 157,10 haben)] haben, wiewohl sie ihn pneuma hagion, heiliger Geist, und wir ihn ruach ha-kodesch, Geist der Heiligung oder des Heiltums, nennen) D2, D3 157,10-11 daß der heilige Geist] daß der Geist D2, D3 157,12 er einig weht] der Geist so schwebt TS1:2 , TS2 157,16 daß ich Paulus] eingefügt als Fußnote Dem von Schmidt angeführten Wort »Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib« (Galaterbrief 3, 28). D2, D3 157,23 nach dem Tun, das er tut] nach der Tat, die er tut TS1:2 , TS2

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157,25-26 in die Zerklüftung] in der ungeheuren Zerklüftung TS1:2 , TS2 157,28 Glaubensgewißheit] Glaubenswirklichkeit TS1:2 , TS2 157,37 Als-Menschen-Daseins] Als-Menschen-Daseins, die harte und heilsame Lehre D2, D3 157,40 sehen wir hier. Was können wir da tun?] haben wir gesehen. Was können wir da tun? TS1:2 haben wir gesehen. TS2 157,41 etwas, das] etwas, das gerade TS1:2 158,4 Seinswissen] Wissen TS1:2 , TS2 158,18 die Verblendung] die furchtbare Verblendung TS1:2 , TS2 158,20 unser Nicht-Annehmen-Können] dieses Nicht-Annehmen-Können TS1:2 , TS2 158,22 Begebenheit zwischen Oben und Unten] Begebenheit, als etwas, was sich zwischen oben und unten begeben hat TS1:2 , TS2 158,26 tiefer] mehr, tiefer TS1:2 , TS2 158,28 noch] fehlt TS1:2 , TS2 158,28 s p ü re n] nicht hervorgehoben TS1:2 , TS2 158,29 kann oder muß die Kirche] kann die Kirche – vielleicht muß sie es – TS1:2 , TS2 158,30 anders.] anders. Wir wissen es nicht als unsere Unerlöstheit, sondern wir wissen es als die Unerlöstheit der Welt. TS1:2 , TS2 158,32-34 der […] in all der Vielfältigkeit der Welt verwirklichten Einheit] der […] über all die Vielfältigkeit der Welt erhabenen Einheit TS1:2 , TS2 158,35 der vo l lzo g enen] dieser TS1:2 , TS2 158,36-38 zu fassen, wiewohl sich auch uns, in unsern sterblichen Stunden, Erlösen und Erlöstwerden kundtut.] zu fassen. Erlösung ist uns eben die Einheit, außer der Einheit ist sie nicht. TS1:2 , TS2 158,39 Eine Zäsur nehmen wir in der Geschichte nicht wahr.] Eine Zäsur können wir in der Geschichte nicht wahrnehmen. TS1:2 , TS2 159,2-3 »Ich werde dasein als der, als der ich dasein werde« (d. h. als der ich jeweils dasein werde)] »Ich werde dasein als der, als der ich dasein werde« (d. h. je und je dasein werde) TS1:2 , TS2 »Ich werde dasein, als der ich dasein werde« (das heißt: als der ich jeweils dasein werde) D3 159,Anm.] fehlt TS1:2 , TS2 vgl. mein »Königtum Gottes« 5. Kapitel und mein »Moses«, Kap. »Der brennende Dornbusch«. D3 159,6-7 aussagen könnten] aussagen wollten D3 159,7 ich rede] wir reden TS1:2 , TS2 159,8 auszusagen vermögen] aussagen können TS1:2 , TS2 159,12 des Herrn] fehlt TS1:2 , TS2

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159,14 Juden und Christen] uns TS , TS 159,15 ihr] unser TS1:2 , TS2 159,17 eines anderen echten Heiligtums] des anderen Heiligtums TS1:2 , TS2 159,25 ein Haus Gottes] Gottes Haus TS1:2 , TS2 159,36 dem Erzvater] fehlt TS1:2 , TS2 160,6 Diese Menschenschaar] Eine Menschenschaar TS1:2 , TS2 160,6 da] fehlt TS1:2 , TS2 160,14 einen Unglauben] den Unglauben TS1:2 , TS2 160,17 (Ex 19, 6)] fehlt TS1:2 , TS2 160,Anm.] fehlt TS1:2 , TS2 Vgl. »Königtum Gottes«, Kap. »Der Königsbund«. D3 160,19 (Ex 15, 18)] fehlt TS1:2 , TS2 160,20 einzig] Einzigkeit TS1:2 , TS2 160,23-24 die das Volk immer wieder gemahnt] die dem Volk immer wieder sagt TS1:2 , TS2 160,28 »den Erstlingsteil seiner Ernte«] (Jer 2,3) »den Anfangsteil seiner Ernte« D2, D3 160,37-39 , im Zusammenwirken, Zusammenverwirklichen ihrer verschieden gearteten und verschieden berufenen Glieder] fehlt TS1:2 , TS2 161,18-20 (»er hat mich zu einem blanken Pfeil gemacht und dann hat er mich in seinem Köcher versteckt«)] (»er hat mich zu einem blanken Pfeil gemacht, in seinem Köcher hat er mich versteckt«) D2 (»er machte mich zu einem blanken Pfeil, – hat in seinem Köcher mich verborgen«, Jes 49, 2) D3 161,22-23 von da aus] von da her TS1:2 , TS2 161,27 »Erstlingsteil«] »Anfangsteil« D2, D3 161,27-30 nicht bloß die Juden unter die Völker, es kommt auch Israel über die Völker, das heißt, es kommt über die Völker die in Israel erwachsene Botschaft] nicht bloß die Juden, es kommt auch Israel unter die Völker, daß heißt, es kommt unter die Völker die in Israel erwachsene Botschaft TS1:2 , TS2 161,33 die Geschichte] d i e Geschichte D3 161,33 als der Weg] als ein Weg D3 161,39-40 der Volksgemeinschaft,] fehlt TS1:2 , TS2 162,9 verworfen] entlassen D3 162,13-14 unsäglich und unauslöschlich um das Ja diesem Nein gegenüber weiß,] unaussprechlich weiß TS1:2 , TS2 162,15 furchtbar schwer] überschwer D3 162,16 gegen] zu TS1:2 , TS2

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162,18-19 von bäuerlicher Ueberlieferung bewegte Israel] von agrarischer Überlieferung bestimmte Israel TS1:2 , TS2 162,22 Stämmen] Stäben D3 162,28-29 Satz des Jeremias] ergänzt (29,5) D3 162,39 Dieses Nichtdürfen] Dies TS1:2 , TS2 163,5 eines unlöslichen Ineinander] eines unlösbaren Durcheinanders TS1:2 , TS2 163,23-24 mein christlicher Gesprächspartner] nicht ich, sondern mein christlicher Gesprächspartner TS1:2 , TS2 163,24 auf Israels Selbstverständnis] auf Israel TS1:2 , TS2 163,31 Königsbereich] Königsreich TS1:2 , TS2 163,37 problematisches] dürftiges TS1:2 , TS2 163,40 Fragwürdigkeit] Problematik TS1:2 , TS2 164,2 hinwieder] fehlt TS1:2 , TS2 164,3 anständigem] rechtschaffnem D2, D3 164,6-8 Sehnsucht nach der Erfüllung des Staates haben, die von seiner jeweiligen Erscheinung so unzulänglich angezeigt wird.] Sehnsucht nach der Wahrheit des Staates haben, die von seiner jeweiligen Wirklichkeit so unzulänglich dargestellt ist {wird TS2 }. TS1:2 , TS2 167,5 auf] hin TS1:2 , TS2 167,11 bis in die Tiefe der Geschichte, bis an den Sinai hin] bis in die Tiefe des Sinai TS1:2 , TS2 167,13 mit den Urvätern] mit denen drüben TS1:2 , TS2 167,30-31 , vielmehr etwas ganz anderes, das heute noch unaussprechbar ist] fehlt TS1:2 , TS2 167,34 gelehrt] erzählt TS1:2 , TS2 167,34-35 Der Proselyt, der in diesem Zeitalter kommt, um ins Judentum aufgenommen zu werden,] Der Goj, der kommt, um ins Judentum aufgenommen zu werden, in diesem Weltalter des Dunkels, der Knechtschaft, des Am-Boden-Liegens, – TS1:2 , TS2 167,36 »Was hast du bei uns ersehen] »Was hast du nun gerade bei uns ersehen TS1:2 , TS2 167,37-39 daß die von Israel in dieser Zeit gepeinigt, gestoßen, hingeschleudert, umgetrieben werden, daß die Leiden über sie gekommen sind?«] daß Israel in dieser Zeit bedrückt, bedrängt, verschleppt, zerrissen, daß die Not über es gekommen ist?« TS1:2 , TS2 168,2-3 und die Schande ist eine wirkliche Schande] und die Schmach ist eine wirkliche Schmach D3 168,3-4 der uns zuspricht, daß uns Gott, wie er uns verheißen hatte (Jes 54, 10), aus seiner Hand nicht hat fallen lassen.] der uns bedeutet, daß uns Gott aus seiner Hand nicht hat fallen lassen. TS1:2 , TS2

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168,4 (Jes 26,2)] fehlt TS 168,9 ein bewährter Stamm (goj zaddik), / der Treue hält.] der bewährte Stamm (goj zaddik), der die Treue hält. TS1:2 , TS2 168,11 ein goj zaddik] der goj zaddik TS1:2 , TS2 168,13 Menschenvolk] Menschen TS1:2 , TS2 168,14 zu gehen] fehlt TS1:2 , TS2 Wort- und Sacherläuterungen: 145,4-5 auf einer von der deutschen christlichen Judenmission veranstalteten Studientagung] s. Martin Buber, »Die Brennpunkte der jüdischen Seele«, in diesem Band, S. 128-137, Zitat S. 128. 146,1 Ich gebe […] ein Wort Bubers wieder] s. Martin Buber, »Bericht und Berichtigung«, in diesem Band, S. 98 ff., Zitat S. 98. 157,21-24 »Ich nehme zu Zeugen den Himmel und die Erde: […] allein nach dem Tun, das er tut, läßt sich der heilige Geist auf ihn nieder.«] Seder Elijahu Rabba X (Midrasch zu Genesis). 159,2-3 »Ich werde dasein als der, als der ich dasein werde«] Ex 3,14. 159,34 »ein einziger Bund, um Seinen Willen zu tun«] Bestandteil des Abendgebetes (Ma’ariv), des Morgengebetes (Schacharit), des Zusatzgebetes (Mussaf) und des Nachmittagsgebetes (Mincha) zu Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest. 160,28 »den Erstlingsteil seiner Ernte«] Jer 2,3. 161,18-20 »er hat mich zu einem blanken Pfeil gemacht und dann hat er mich in seinem Köcher versteckt«] Jes 49,2. 162,29-30 »Baut Häuser und siedelt, / pflanzt Gärten und eßt ihre Frucht!«] Jer 29,5. 165,40 Anfang des Hebräerbriefes] Hebr 1,1 f. 166,35-167,22 Ich lebe nicht fern von der Stadt Worms, […] Aber gekündigt ist uns nicht worden.] Diese Passage erschien als eigenständiger Text 1934 unter dem Titel »Dom und Friedhof« (in diesem Band S. 175, s. auch Kommentar S. 396 f.). 168,9 goj zaddik] hebr. zaddik = »der Gerechte«; goj – heute zwar zumeist pejorativ verwendet – bezeichnet ursprünglich allgemein den Angehörigen der Völker, den Nicht-Juden; goj zaddik meint hier ein gerechtes Volk.

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Offener Brief an Gerhard Kittel

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Offener Brief an Gerhard Kittel. Der »Offene Brief« Martin Bubers vom Juli 1933, veröffentlicht im August-Heft der von Karl Ludwig Schmidt herausgegebenen Theologischen Blätter, richtet sich an den evangelischen Theologen Gerhard Kittel, seit 1926 Professor für Neues Testament an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Als Herausgeber des monumentalen Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament (1. Bd. 1933) besaß er eine Autorität in seinem Fach, die er sich u. a. durch wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet des rabbinischen und des palästinensischen Judentums erworben hatte (Die Probleme des palästinensischen Spätjudentums und das Urchristentum, 1926). Mit der Veröffentlichung der Broschüre Die Judenfrage (1933) aber gerät Kittel auf die Bahnen eines völkischen Antisemitismus. Juden gesteht er lediglich den Status eines »nicht assimilierten Gastes« (S. 40) in einem Volk ohne alle staatsbürgerlichen Rechte zu und meint damit sogar, das Selbstverständnis des normativen Judentums getroffen zu haben (s. die Einleitung zu diesem Band, S. 48 f.). Hier liegt der Grund, warum Kittel sich nicht scheut, seine Ausführungen ausgerechnet einem Mann wie Buber direkt zur Kenntnis zu bringen und zwar durch ein Schreiben vom 13. Juni 1933 (B II, S. 486 f.). Denn gerade auf Buber hatte sich Kittel in seiner Schrift berufen als jemanden, der jenseits von »Verflachung des Liberalismus« einerseits und »Vertrocknung der Orthodoxie« andererseits das Judentum wieder als »lebendige Religion« habe erwecken wollen (s. die Einleitung zu diesem Band, S. 49). Im genannten Brief an Buber vom Juni 1933 fallen ambivalente Formulierungen auf. Einerseits ist sich Kittel bewusst, dass Buber »als Jude« sein Büchlein »feindselig« erscheinen müsse. Andererseits sei es das »in einem tieferen Sinne doch nicht«. Es sei ihm, Kittel, daran gelegen gewesen, der »völkischen Bewegung« einen Weg zu zeigen, der »dem Berechtigten an ihr Rechnung« trage und zugleich »dem Judentum als solchem« gerecht würde. Und wörtlich fügt Kittel in seinem Brief an Buber hinzu: »Ob es mir gelungen ist, weiß Gott allein; aber ich wünschte, daß auch der jüdische Leser etwas von der Redlichkeit meines Vorhabens spüren möchte. Wie ernst ich gerade Ihre Lebensarbeit nehme und wie ich Sie und Ihresgleichen mir im tiefsten verbündet zu wissen glaube, geht aus dem von mir über Sie Gesagten hervor.« (B II, S. 487) »Im tiefsten verbündet« mit Buber? Der in B II, S. 487 f. gedruckte (undatierte) persönliche Antwortbrief Bubers an Kittel (formal vom »Offenen Brief« zu unterscheiden, aber in der Sache identisch) verrät in Stil und Ton nichts von der Fassungslosigkeit, die eine solche Anbiederung

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Kommentar

Kittels in Buber ausgelöst haben mag. Sein Schreiben ist – ähnlich wie auch die »offenen« Dokumente – sachlich distanziert und gänzlich unpolemisch. Zur »tiefsten Verbundenheit« stellt Buber klar: »Sie schreiben mir, Sie glaubten sich mir und meinesgleichen ›im Tiefsten verbündet zu wissen‹, und verstehen die religiöse Erneuerung des Judentums, die ich meine, als eine Erweckung der ›Kraft zum Gehorsam unter der Fremdlingschaft‹ (S. 68). Es sei, wiewohl ich in dieser Kraft nur eins der Elemente einer neuen Glaubensverbundenheit des jüdischen Volkes sehe. Aber soll der Gehorsam unter der Fremdlingschaft bedeuten, daß wir unsere ›Diffamierung‹ (R. Bultmann, ThBl XII 166) nicht bloß als Gottes gerechte Schickung, sondern auch als der Menschen gerechte Tat zu betrachten hätten?« (B II, S. 488)

Stichwort »Diffamierung«. Hier wie auch in seinem »Offenen Brief« greift Buber ein Wort des evangelischen Theologen Rudolf Bultmann auf, seinerzeit Professor für Neues Testament an der Universität Marburg. Ihm wird Buber später in seinem Buch Zwei Glaubensweisen von 1950 ein kleines ehrendes Portrait widmen. 1933 gehört Bultmann zu den entschiedenen Gegnern des Nazi-Regimes (s. dazu die neueste Biographie: Konrad Hammann, Rudolf Bultmann. Eine Biographie, Tübingen 2009, bes. Kap. V/1 »Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus« und Kap. V/2 »Die verfolgten Juden«). Im Juni-Heft 1933 der Theologischen Blätter ist dazu ein wichtiges Dokument nachzulesen, das Buber nicht entgangen war. Bultmann hatte einen Artikel unter dem Titel drucken lassen: »Die Aufgabe der Theologie in der gegenwärtigen Situation«. Diese Ausführungen hatte er nach eigenen Angaben zur Einleitung seiner Vorlesung am 2. Mai 1933 an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Marburg vorgetragen. Am Ende dieses Artikels kommt Bultmann auch auf das Thema des Umgangs mit Juden in Deutschland zu sprechen: »Durch Diffamierung überzeugt und gewinnt man nicht, sondern man stößt die besten der Gegner ab. Man gewinnt durch den Kampf des Geistes, in dem man den Gegner ehrt. Ich muß als Christ das Unrecht beklagen, daß gerade auch den deutschen Juden durch solche Diffamierung angetan wird. Ich weiß wohl, wie kompliziert das Judenproblem gerade in Deutschland ist. Aber ›Wir wollen die Lüge ausmerzen‹ – so muß ich denn ehrlich sagen, daß gerade die Diffamierung der Juden, die jene Kundgebung enthält, aus der dieses schöne Gelöbnis stammt, nicht vom Geiste der Liebe getragen ist. Halten sie den Kampf für das deutsche Volkstum rein, und sorgen Sie dafür, daß edles Wollen für Wahrheit und Deutschtum nicht durch dämonische Verzerrung entstellt wird.« (S. 166)

Dreimal in wenigen Sätzen das Wort »Diffamierung« im Zusammenhang mit Juden. Begreiflich, dass Buber eine solche öffentliche Stellungnahme

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Offener Brief an Gerhard Kittel

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eines evangelischen Theologen für seine öffentliche Auseinandersetzung mit einem anderen evangelischen Theologen gut gebrauchen konnte. Aber auch persönlich erhält Buber Unterstützung von christlicher Seite, so etwa durch den evangelischen Neutestamentler Ernst Lohmeyer (1890-1946). Dieser war seit 1920 Professor für Neues Testament an der Universität Breslau. In einem Brief vom 19. August 1933 reagiert Lohmeyer auf die Veröffentlichung von Bubers »Offenem Brief« an Kittel. Noch kann er nicht wissen, dass er selbst nur zwei Jahre später, 1935, wegen Verbindung zu jüdischen Kollegen und antinationalsozialistischer Einstellung nach Greifswald »strafversetzt« werden wird. Sein Brief an Buber lässt an seiner Einstellung keinen Zweifel: »Ich las soeben Ihren offenen Brief an Gerhard Kittel, und es drängt mich Ihnen zu sagen, daß mir jedes Ihrer Worte wie aus meinem Herzen gesprochen ist. Aber was mich drängt, ist nicht nur dieses Gefühl geistiger Verbundenheit, wenn gleich das in diesen Tagen um seiner Seltenheit willen mich begleitet, sondern es ist, um es offen zu sagen, etwas wie Scham, daß theologische Kollegen so denken und schreiben können wie sie es tun, daß die evangelische Kirche so schweigen kann wie sie es tut und wie ein führerloses Schiff von dem politischen Sturmwind einer doch flüchtigen Gegenwart sich aus ihrem Kurse treiben läßt; und dieser Brief soll Ihnen nur ein Zeichen sein, daß nicht alle in den theologischen Fakultäten, auch nicht alle Neutestamentler Kittels Meinung teilen.« (B II, S. 499)

Textzeugen: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 13); 5 nummerierte, einseitig beschriebene Blätter; durchgehend mit einer Kopfzeile »Theologische Blätter, XII. Jahrg. Nr. 8, August 1933« versehen. d1 : Vorabzug von D1 im MBA mit handschriftlichen, vermutlich von Bubers Hand stammenden Korrekturen (Arc. Ms. Var. 350, hei 13). D1 : Theologische Blätter, 12. Jg., Nr. 8, August 1933, Sp. 248-250 (MBB 477). 2 d : Teilabdruck in: Jüdische Rundschau, 38. Jg., Nr. 72, 8. September 1933, S. 498; versehen mit einer Vorbemerkung der Redaktion und Paraphrasen der nicht abgedruckten Textteile; die folgenden Passagen wurden abgedruckt: »Aber die Pflicht des Gegenspruchs fällt mir zu, […] Aber dem ist nicht so.« und »Sie, Herr Kollege, zitieren zwar (S. 57 f.) einen Deutn-Text […] aber daraus ist nicht zu folgern, daß nunmehr auf jenes Ausbleiben zurückzugreifen sei.«; (in MBB nicht verzeichnet). D3 : StudE, S. 171-177 (MBB 538). D4 : JuJ, S. 621-624 (MBB 1216).

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Druckvorlage: D

Variantenapparat: 169,Titel Offener Brief an Gerhard Kittel.] Offener Brief an Gerhard Kittel / (Juli 1933) D3, D4 169,18-19 , so gut wie schwedische und französische Literatur übersetzt und von uns gelesen wird«] fehlt TS 169,21-22 kennzeichnen,] kennzeichnen, Sie hätten vor, d1 169,31 Ihre Antwort] Antwort TS 170,14 Gott] der Gott der Bibel D3, D4 170,14 tC9 ] ger d1 , D3, D4 170,17 Versammlung!] Versammlung D4 170,29-30 die große, die heldische] die große, heldische d1 170,33-34 (Deutn 10, 17 ff.)] fehlt d1 170,34 Es gehört zur biblischen imitatio Dei] Also keine Minderwertigkeit, weder absolute noch relative! Es gehört zur biblischen imitatio Dei d1 171,21 in der Drangsal] fehlt d1 171,26 Urversucher] [Versucher] ! Urversucher d1 171,36 Gnade] hervorgehoben d2 172,1 »Lösung der Judenfrage«] anstelle der Fußnote deren redaktionelle Paraphrase d2 Wort- und Sacherläuterung: 170,8 (R. Bultmann, ThBl 1933 Sp. 166)] Rudolf Bultmann, »Die Aufgabe der Theologie in der gegenwärtigen Situation«, in: Theologische Blätter, 12. Jg., Nr. 6, Juni 1933, Sp. 161-166.

Zu Gerhard Kittels »Antwort«. Ab der zweiten Auflage seiner Broschüre Die Judenfrage (1933) hatte Kittel als Beilage eine offene »Antwort an Martin Buber« drucken lassen (S. 87-100). Daraufhin reagierte Buber seinerseits mit einer zweiten Stellungnahme, die unter dem Titel »Zu Gerhard Kittels ›Antwort‹« im Dezember-Heft 1933 der Theologischen Blätter erschien. Zur Sache der Auseinandersetzung Buber – Kittel siehe die Einleitung zu diesem Band, S. 47-50 und den Kommentar zu »Offener Brief an Gerhard Kittel«, S. 391 ff.

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Zu Gerhard Kittels »Antwort«

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Textzeugen: H: Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 13); 5 nicht nummerierte, von Bubers Hand einseitig beschriebene Blätter; ein schwer lesbares Manuskript mit zahlreichen Korrekturen und längeren nichtentzifferbaren Passagen. Die Textfassung unterscheidet sich erheblich vom Erstdruck, so dass das Vorhandensein weiterer, dem Erstdruck näher stehender Textzeugen angenommen werden muss. D1 : Theologische Blätter, 12. Jg., Nr. 12, Dezember 1933, Sp. 370-371 (MBB 484). D2 : StudE, S. 178-181 (MBB 538). D3 : JuJ, S. 625-627 (MBB 1216). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 173,8-11 Es geht mir nicht darum, daß die Emanzipation »mangelhaft«, sondern daß sie falsch war: wäre sie echt gewesen, sie hätte eine Gemeinschaft, nicht Individuen, freigemacht und eingegliedert.] Die Emanzipation war nicht »mangelhaft«, sondern sie war falsch: es ging darum, nicht Personen, sondern eine Gemeinschaft freizumachen und einzugliedern. H 173,15 einer Entrechtung] der Entrechtung H 173,22-25 Daß Besinnung und Aenderung not tut, würde ich gern zugestehen, nicht aber, daß die wahre Besinnung und die gerechte Aenderung auf dem von Kittel empfohlenen Weg zu erreichen sei.] Ich gestehe es gern zu, aber ich bezweifle, dass Kittels X diese Besinnung und Änderung darstellen, dass die wahre Besinnung und die gerechte Änderung auf dem von ihm gemeinten Wege zu erreichen sei. H 173,26 »scharf und rundweg«] fehlt H 173,27 Ich führe ein Beispiel für mehrere an.] Ich zitiere ein Beispiel für viele. H 173,29-32 bei der … zwar der Buchstabe des Gesetzes bestehen bleibt, bei der aber für deutsches Rechtsbewußtsein das Gegenteil von Recht geschieht«] bei der […] das Gegenteil von Recht geschieht« H 173,33-34 Wenn das keine Diffamierung ist, so weiß ich nicht, was in der Welt so genannt zu werden verdient.] fehlt H 173,34 In der 2. Auflage] In der 2. Auflage (ich habe auf die 1. geantwortet) H 173,37 anscheinend] offenbar H

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Kommentar

173,37-38 die d e m j ü d i s c h e n G e i s t e e i g n e n d e Kasuistik] nicht hervorgehoben H 173,38 überwunden] bekämpft H 173,38 assimiliert haben!] assimiliert haben. Und ebenso spricht Kittel (in der 1. Auflage) generell von dem Einfluss d es jü d i s chen Arztes ; X X X [Ähnlich spricht er (ebenfalls in der 2. Auflage X) vom jüdischen Kaufmann.] wenn es nun in beiden Berufen »viele anständige X Juden« gibt, was für Forderung würde daraus folgen? Doch wohl, dass zwischen anständigen und unanständigen Juden, und doch wohl auch zwischen anständigen und unanständigen Ärzten? zu scheiden, dass die unanständigen Elemente dort und hier auszuschließen wären! Ist das Kittels Folgerung? H 174,8 gelegentlich] anläßlich D2, D3 174,8-9 ein allgemeiner Grundsatz verkündigt wird.] eingefügt als Fußnote Vgl. jetzt mein Buch »Die Schrift und ihre Verdeutschung« S. 74 f. (Anm. 1936.) D2 Vgl. jetzt das Buch »Die Schrift und ihre Verdeutschung« von Buber und Rosenzweig S. 74 f. (Anm. 1936) D3 174,22-23 gewiß gegenwärtig] doch wohl gegenwärtig H 174,25 belehrt] gemahnt H Wort- und Sacherläuterung: 174,12 Ger] Pl. Gerim; der »Gastsasse«; gemeint ist der Nichtjude, der in Israel Gaststatus hat.

Dom und Friedhof Den hier gedruckten Text hatte Buber schon in seiner Antwort an Karl Ludwig Schmidt während des Stuttgarter Gesprächs am 14. Januar 1933 genutzt. Dort in Teil D war er eingebettet in Bubers Schlussbetrachtung zu diesem Gespräch. Gleich im Anschluss an diesen Text hatte er in Stuttgart noch Kritisches im Blick auf Kirche und Judentum zur Sprache gebracht: »Wenn die Kirche christlicher wäre […]. Wenn das Judentum wieder Israel würde […].« »Dom und Friedhof« muss also als Herausforderung an Christen und Juden gelesen werden gemäß der Buberschen Unterscheidung von »Israel« einerseits sowie »Judentum« und »Christentum« andererseits. Beide stehen in Bubers Augen in der Gefahr der »Israel«-Vergessenheit. Der Text ist sowohl in seiner narrativen Dramaturgie wie in seiner inhaltlichen Substanz zum einen ein Schlüsseltext Buberscher Schreib- und Wortkunst, zum anderen ein Schlüsseltext Buberscher Theologie und Spi-

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ritualität. Insofern verdiente er es, von Buber als geschlossenes kleines Stück noch einmal veröffentlicht zu werden, und zwar in der Wochenzeitung Jüdische Rundschau, dem seit 1902 existierenden Organ der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, das 1938 nach der »Reichspogromnacht«, sein Erscheinen einstellen muss. Bubers kleiner Text ist in der Ausgabe vom 1. Juni 1934 buchstäblich »eingebettet« zwischen zwei Artikeln, welche die Rundschau dem 900. Jubiläum der Wormser Synagoge widmet. Der Text ist kurz, aber höchst kunstvoll gestaltet. Dabei darf die kontrastive Gegenüberstellung von »Dom« und »Friedhof« nicht als »Kleinmachen« oder als falsche Schwäche des Judentums missverstanden werden. Im Gegenteil. Gerade weil Buber die jüdische Seite mit dem Bild vom »Friedhofsgewirr« so »bescheiden« hält, kann er seine dialektische Pointe umso wirkungsvoller ins Spiel bringen: Das, was menschlich-geschichtlich gesehen klein, gering, ja »aschig« aussieht, ist von Gott her groß. Und das, was äußerlich so vollkommen dasteht, muss sich vor Gott bescheiden. Das am Ende des Textes dreimal wiederholte »mir nicht gekündigt« bringt in Selbstbescheidung und Selbstbewusstsein Israels bleibende Erwählung durch Gott zum Ausdruck, aber auch die eigene Bindung an Israel. »Mir« nicht gekündigt: Diese Personalisierung ist die entscheidende Aussage. Der Bund Gottes mit Israel ist auch für jeden Einzelnen verpflichtend. Er kann durch keine menschlichen Machenschaften gegen Israel einerseits und keine Versündigung Israels gegen Gott andererseits aufgehoben werden. Keine Macht der Welt und kein Missbrauch durch die Glaubenden vermögen Gottes Bindung an Israel zu annullieren: Das ist Bubers bleibende sachliche und persönliche Überzeugung. Gekündigt werden könnte der Gottes-Bund nur von Gott selbst. Textzeuge: D: Jüdische Rundschau, 39. Jg., Nr. 44, 1. Juni 1934, S. 10 (MBB 495). Druckvorlage: D Die Mächtigkeit des Geistes Frankfurter Lehrhausrede (Oktober 1934) 1920 wurde von Franz Rosenzweig das Freie Jüdische Lehrhaus zu Frankfurt am Main gegründet. Buber, von Rosenzweig umworben, arbeitete seit 1922 mit. Die Eigenart dieses Lehrhauses forderte Buber heraus, sich mit Fragen der Erziehung und Bildung intensiver zu befassen (vgl. dazu die Einleitung in MBW 8: Schriften zu Jugend, Erziehung und Bildung),

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aber auch neue Lehrformen und Lernstile zu praktizieren. »Reden« war Buber gewohnt, Vorlesungen und Arbeitsgemeinschaften dagegen weniger. 1922 begann er mit Vorlesungen unter dem Titel »Religion als Gegenwart« und trug hier Grundgedanken des in der Entstehung befindlichen Werkes Ich und Du (1923) vor. 1923 tritt Buber in das Leitungsteam des Lehrhauses ein und engagiert sich seither regelmäßig mit Kursen und Vorlesungen, die er unter erschwerten politischen Bedingungen auch nach 1933 noch einige Zeit fortführen kann. Einzelheiten dazu bei: Annemarie und Reinhold Mayer, »Martin Bubers Mitarbeit am Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt«, in: Peter von der Osten-Sacken (Hrsg.), Leben als Begegnung. Ein Jahrhundert Martin Buber (1878-1978). Vorträge und Aufsätze, Berlin, 1978, 2. Aufl. 1982, S. 108-115, sowie bei: Michael Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik. Aus dem Englischen von Holger Fliessbach, München 2000, Zweiter Teil, Kap. 3: »Neues Lernen: Die Lehrhaus-Bewegung«. Eine besondere Bedeutung kommt dabei Bubers hier gedrucktem Lehrhaus-Vortrag »Die Mächtigkeit des Geistes« zu. Denn dieser Text ist einerseits für Bubers Paulus-Bild wichtig, das Bubers späteren prinzipiellen »Antipaulinismus« besser erklärt (s. die Einleitung zu diesem Band, S. 29 ff.), andererseits ist er wichtig für Bubers Auseinandersetzung mit dem »Ungeist« der Zeit. Denn Buber grenzt das Geistverständnis des Judentums programmatisch ab von dem des Heidentums (bzw. Neuheidentums) einerseits und dem des Christentums (paulinischer Provenienz) andererseits. Beidem gilt seine scharfe Kritik: sowohl der Verklärung der Elementarkräfte im Heidentum als auch der Entheiligung des Elementaren im Christentum, um dann – als gelungene Synthese – die Heiligung der Welt im Judentum stark zu machen, gegründet in einer Gottverbundenheit, welche die Welt als Schöpfung Gottes begreift. Alles Geschöpfliche ist nach Buber »der Heiligung bedürftig und der Heiligung fähig: alle geschöpfliche Leiblichkeit, aller geschöpfliche Trieb, alle geschöpfliche Elementarkraft«. Die jüdische »Glaubensexistenz« kenne »keinen anderen Geist, der des Elementaren mächtig« sei. Und dieser werde, wenn er »neue Lebensgestaltung« gewinne, »auch Zeitaltern standzuhalten vermögen, in denen das Elementare in seinen Kräften ohne Beding, in seinen Trieben nur eben gebändigt« walte. Das war einer von Bubers Einsprüchen gegen den Ungeist nationalsozialistischer Ideologie. Mit dieser Rede »wird der Welt der NS-Gewalt etwas Eigenes entgegengehalten, das den Anspruch stellt, besser und stärker zu sein« (A. u. R. Mayer, S. 114). Entsprechend fällt die Reaktion der neuen Machthaber in Deutschland aus. Als Buber diesen seinen Vortrag im Winter 1935 vor einer großen Versammlung in der Berliner Philharmo-

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nie wiederholt, sind nicht nur Juden im Raum, sondern auch 200 SS-Männer. Seinen Versuch zur »Entmythologisierung« der Zeitgeist-Götzen bezahlt Buber anschließend mit Redeverbot bei öffentlichen Anlässen und in geschlossenen Versammlungen jüdischer Organisationen, das später allerdings modifiziert wird, so daß Buber seine Lehrtätigkeit, wenn auch in begrenztem Ausmaß, fortsetzen kann (Maurice Friedman, Begegnung auf dem schmalen Grat. Martin Buber – ein Leben, Münster 1999, S. 287). Textzeugen: TS1 : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 12a); 19 nummerierte, maschinell einseitig beschriebene Blätter; mit einer Kopfzeile versehen, die den Titel »Di e M ächt i g kei t d es Gei stes « und das Datum »14. 10. 1934« enthält; eine von fremder Hand erstellte Mitschrift des Vortrags Bubers, die ihm zur Überarbeitung vorgelegt wurde. TS2 : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 12a); 19 nummerierte, maschinell einseitig beschriebene Blätter und ein handschriftlich einseitig beschriebenes Zusatzblatt; zweischichtig: TS2:1 : Grundschicht: maschinenschriftlich; erstreckt sich auf die nummerierten Blätter; Durchschlag von TS1 . 2:2 TS : Überarbeitungsschicht: erstreckt sich auf das ganze Typoskript und das Zusatzblatt; enthält zahlreiche handschriftliche Korrekturen von Bubers Hand; mit dem folgenden Titel versehen: »Di e M ächt i g kei t d es Gei stes / Frankfurter Lehrhausrede / (Oktober 1934)«. D1 : StudE, S. 74-87 (MBB 538). D2 : JuJ, S. 571-579 (MBB 1216). Im kritischen Apparat wird die Textfassung des Typoskriptes TS1 bzw. der Grundschicht des Typoskriptes TS2 (TS2:1 ) in ihrem Gesamtumfang abgedruckt. Diese Vorgehensweise empfiehlt sich wegen der Erheblichkeit der vorgenommenen Korrekturen beim Übergang von TS2:1 zu TS2:2 . In Folge des Korrekturvorgangs geht ein bedeutender Teil der ursprünglichen Textfassung verloren, der in einem Einzelstellenapparat schwer darstellbar wäre. Der Apparat verzeichnet die gegenüber D1 varianten Textstellen aus TS2:2 und D2. Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: »The Power of the Spirit«, in: Israel and the World – Essays in a Time of Crisis, übers. von O. Marx und G. Hort [et al.], New York: Schocken 1948, S. 173-182 (MBB 786); »The Power of the Spirit«, in:

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Israel and the World – Essays in a Time of Crisis, 2. erweiterte Aufl., New York: Schocken 1963, S. 173-182 (MBB 1215). Hebräisch: »Gevurat ha-ruach«, in: hartza’a, Davar, me’assef bimlot 25 schanim le-Davar, hrsg. von David Zakkai, Tel-Aviv: Davar Verlag 1950, S. 131-135. (MBB 847); »Gevurat ha-ruach«, in: ma’amarim ’al ’injene ha-jahadut, Bd. 1, Jerusalem: Ha-sifrijja ha-tziyyonit Verlag 1959, 252 S. (MBB 1135); »Gevurat ha-ruach«, in: peraqim be-jahadut, antologia, Jerusalem: Verlag M. Newman 1963, S. 305-311. (MBB 1239). Spanisch: »El poder del espíritu«, in: Judaísmo y humanismo – antología, Buenos Aires: Amia 1969 (MBB 1337). Abdruck von TS1 : Die Mächtigkeit des Geistes

14. 10. 1934

Graf Hermann Keyserling [durchgehend berichtigt nach Bubers handschriftlicher Korrektur aus Kayserling] hat in Vorträgen, die er vor einem Jahr in Paris gehalten hat, die gegenwärtige geistige Situation der europäischen Völker dahin gekennzeichnet, dass in der Leitung des Völkerlebens der suggerierende Typus den geistig lenkenden verdrängt habe. Dem entspräche, dass die Menschheit in ihrer Mehrheit geistig passiv geworden sei. Diese geistige Passivität aber stamme aus einer Revolte, aus einem Aufstand der nicht geistigen Kräfte, der tellurischen [durchgehend berichtigt nach Bubers handschriftlicher Korrektur aus telurischen] Kräfte, wie er es nannte, der Erdkräfte. Ich würde vorziehen zu sagen: der Elementarkräfte. Die Grundlage unserer Zivilisation sei eine zu enge gewesen, die Zahl der menschlichen Eigenschaften, Fähigkeiten, Antriebe, die in die Grundlage dieser Zivilisation einbezogen worden sind, sei zu beschränkt gewesen, eben jene tellurischen Kräfte seien vernachlässigt worden und daraus ergäbe sich nun die Reaktion, die sich äusserlich, wie er sagt, in einer durchaus verständlichen sehr starken Tendenz zu einer Repaganisierung, zu einer Wiederherstellung des Heidentums, denn die heidnische Kulturform sei in Europa das [berichtigt aus die] letzte kultivierte Zeitalter gewesen, in dem der Mensch sich selber in der Vollständigkeit seines Wesens akzeptiert, sich in der Vollständigkeit des Wesens zum Ausdruck gebracht habe. Keyserling verkennt nicht, dass eine solche Restauration in sich bedenklich und fragwürdig sei, aber er antwortet auf diese Bedenken mit der Frage: Warum sollen wir nur rückwärts schauen, warum sollen wir nicht von jetzt ab nach einer neuen Integration aller Lebenskräfte in unserem Bewusstsein streben, d. h. warum sollen wir nicht versuchen, eine neue Synthese zu schaffen, in die alle Kräfte, alles Elementare unseres Wesens mit eingeht, und zwar ebenso wie das Altertum es auf seinem Bewusstseinsniveau, auf seiner Bewusstseinshöhe getan hat. Ja, er geht soweit zu sagen, diese neue Kultur sollte eigentlich sogar der antiken Kultur überlegen sein, da unser Verständnis der Dinge und ihrer Beziehungen genauer und tiefer geworden sei.

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Ich habe diese Aeusserungen eines nachdenklichen Zeitgenossen deshalb Ihnen angeführt, weil sich hier in charakteristischem Zusammenhang beides zeigt, zugleich eine wirkliche Einsicht in den gegenwärtigen Stand der Dinge, aber damit verbunden eine fehlgreifende Zielsetzung und auch eine fehlgreifende Ursache der Erkenntnis. Es ist nämlich nicht an dem, dass man in solcher Weise zum Altertum als einer rettenden Macht oder gar zu einer neuen Sehnsucht hinblicken könnte. Das letztere schon deshalb nicht, weil alle solche aus dem Gedanken stammenden Zielsetzungen vergeblich, flüchtig, wie der Gedanke selbst, wirklichkeitsbar bleiben müssen. Es gibt keine Herstellung einer Kultur. Man kann nicht eine Synthese, als die man ein bestimmtes vergangenes Zeitalter beurteilt, eine ähnliche Synthese anstreben. Synthese, sofern man geschichtliche Erscheinungen so benennen kann. Synthesen entstehen, Synthesen werden nicht erzeugt. Das ist der Unterschied zwischen dem Gedanken und der Wirklichkeit – in der Tat. Philosophen stellen Synthesen her. Im Leben, in der geschichtlichen Wirklichkeit gibt es keine Herstellung aus dem Bewusstsein. Nur gewachsener, gewordener, nicht gewollter, sondern wahrhaft geschichtlich gewordener und seiender Geist gilt als in die geschichtliche Wirklichkeit wirkend. Es gibt kein Wirken des Geistes, eine Mächtigkeit des Geistes in der Geschichte, aber nur eine des gewachsenen, gewordenen, unwillkürlich existierenden Geistes. Denn dieses Programm einer Zielsetzung, die, ich meine, auch schon durch das Attribut »neu« verurteilt – immer, wenn etwas Neues angekündigt wird, enthält so ein sehr starkes Element von Fragwürdigkeit in sich. Es gibt jeweils auch neue Dinge, aber es sind nicht die, die als neu angekündigt werden. Das grosse Neue zeigt sich nie als neu an. Das grosse Neue will immer zum Ursprung zurück, niemals aber das Neue als solches errichten. Ich sage: wenn schon dieses Programm einer neuen Synthese fragwürdig ist, so ebenso auf der anderen Seite jenes Programm eines neuen Heidentums, von dem wir ja an manchen Orten hören. Es ist ein Verkennen der geschichtlichen Wirklichkeit des Sinnes und Zusammenhangs geschichtlichen Werdens, geistesgeschichtlichen Werdens, zu meinen, dass man, wenn man einen grossen Strich zieht durch die ganze religiöse, die ganze Glaubensentwicklung, die bis auf diese Stunde geführt hat, wenn man dadurch einen Strich führt und sozusagen hinter diese Entwicklung zurückgreift, dass man dann etwas Positives ergreift. Ich verkenne durchaus nicht, dass es im Heidentum allerlei Herrlichkeit gegeben hat. Vom griechischen will ich noch etwas sagen, von der Herrlichkeit des griechischen Heidentums. Aber wenn man durch Abstrich und Zurückgriff etwas davon zu retten, wiederzubringen sucht, so erfasst man niemals das Positive, niemals kann man eine von jenen gewachsenen, unwillkürlich gewordenen, niemals als Ziel gesetzten heidnischen Herrlichkeiten wieder bringen, sondern was einem in der Hand bleibt, ist immer nur das Negative, nämlich das im Heidentum, was etwa noch nicht Christentum ist, nicht das im Heidentum, was eigen, gross, eben unwiederbringlicher [berichtigt nach Bubers handschriftlicher Korrektur aus unwiderbringlicher] Art ist. Also das Heidentumsprogramm ist notwendigerweise negativ, und es ist notwendigerweise fiktiv, d. h. alles Heidentumsprogramm ist anfechtbare Romantik. Wenn wir diese beiden positiven Zielsetzungen, die sozusagen zur Wahl gestellt

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werden, ablehnen müssen, so bleibt aber von jener Einsicht aus, die formuliert worden ist, von jener Einsicht in die Macht der Elementarkräfte und Elementartriebe in unserer Zeit, eine grosse Frage übrig, d i e Grundfrage der Stunde: Gibt es noch, wenn es nicht die ist, die Keyserling andeutet – und die kann es nicht sein – gibt es eine andere Mächtigkeit des Geistes in dieser Geschichtszeit, in der wir leben, gibt es eine wirkliche Mächtigkeit des Geistes über die Elementarkräfte, die der Stunde walten, gibt es diese Mächtigkeit noch oder nicht? Ist wirklich etwas, hat sich etwas in der Struktur der Geschichte abendländischen Geistes so geändert, dass er nun nicht mehr der Herr der Elementarkräfte sein kann, dass er abdizieren muss, dass seine Herrschaft von anderen Mächten abgelöst worden ist? Denn gleichviel, wie es je und je in der Geschichte geworden ist, sehr oft wurde der Geist überwältigt von den Kräften, die von unten herauf drängten, aber sein Anspruch blieb in jedem Augenblick angemeldet, und immer wieder geschah es, dass er die herauf drängenden, von unten heraufdrängenden Kräfte doch bewältigte, doch ihnen sein Zeichen, das Zeichen seiner Mächtigkeit aufprägte. Dies scheint mir also, freilich nicht so, dass wir versuchen könnten, heute Antwort zu finden, aber es ist schon viel, sich klar zu werden, was denn die Frage dieser Stunde ist. Dies scheint sie mir zu sein, die Frage nach der Mächtigkeit des Geistes. Gibt es das noch oder nicht mehr? Nun verweilen wir aber noch einen Augenblick, damit ja deutlich sei, um was es geht, bei dem Begriff Geist. Es kann nämlich gerade darin ein bedenkliches Missverstehen walten. Geist, das ist nicht etwas, was erst in der Geschichte des Menschengeschlechtes allmählich aufgekommen ist. Geist ist nicht eine späte Blüte auf diesem Stamme Mensch, sondern Geist ist das, was den Menschen als solchen konstituiert, dass der Mensch etwas, eine Wesenheit ist, die von der Natur allein, von den naturhaften Gegebenheiten allein nicht erfasst werden kann, dass es die Kategorie Mensch gibt, jenseits der Kategorie Tier, dass es hier ein von oben aus gibt, eigener Art, eigenen Charakters, das menschhafte Sein, das eben nennen wir Geist, das zu Recht, nichts anderes zu Recht. Also die ursprüngliche Ganzheit, nicht ein Element neben anderen Elementen, nicht eine Fakultät, eine Fähigkeit oder Eigenschaft des Menschen neben anderen, sondern die eigentümliche Ganzheit des Menschen, die ihn zum Menschen macht, die Ganzheit, in die alle seine Fähigkeiten, Kräfte, Eigenschaften, Triebe einbezogen sind und eben mit einander vereinigt in dieser Totalität, die wir menschhaftes Sein nennen, also Geist nicht etwas, was im Gehirn seinen Sitz hat, Geist nicht etwas, was wir denken, das wir gewöhnlich das Denken nennen, sondern etwas, was den ganzen Menschen gleichsam erfüllt – und wenn schon denken, dann ein Denken, das nicht bis in die Fingerspitzen lebt – der geisthafte Mensch denkt mit den Fingerspitzen auch. Also dieses geistige Dasein ist nichts anderes als das Dasein des Menschen, insofern es zu einer wirklichen menschhaften Ganzheit gelangt. Diese Ganzheit ist aber eben nicht ein Entwicklungsprodukt, sondern diese Ganzheit steht im Anfang, im Ursprung des Menschen, dadurch gibt es diesen unvergleichlichen, mit keiner anderen Kategorie der Natur zu verwechselnden, zu verknüpfenden Menschen. Man nennt, man spricht in unserer Zeit aber sehr oft von Geist in einem ganz anderen Sinn, nämlich, und das ist ja das Geläufige, sie

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reden von Geist nämlich in dem Sinn, in dem in den letzten Jahrhunderten sich in wachsendem Masse etwas herausgebildet hat, was sich selbst Geist nennt, nennen wir es einfach den Intellekt, nämlich nicht mehr die Ganzheit des Menschen, sondern eine Teilfähigkeit, ein Teilbestand des Menschen, dieser hirnhafte Teilbestand, als von der Ganzheit abgeschnürt, als selbständig geworden und nur als etwas selbständig gewordenes, was nach Macht über den ganzen Menschen süchtig ist, was den Menschen beherrschen will, nicht dieses Fluidum der Ganzheit, sondern dieser abgeschnürte Homunkulus da oben, der das Ganze regieren will, ohne sich wirklich in die organische Lebendigkeit des Ganzen überallhin begeben, in alles einströmen zu können. Nur der erste Begriff des Geistes gilt für das, wovon die Rede ist, nur dieser menschhafte Ganzheitsgeist ist fähig, die Elementarkräfte und Elementartriebe je und je zu bewältigen, nicht bloss zu bändigen, wie man Raubtiere bändigt, sondern zu bewältigen, wie der Bildner den Stoff bewältigt und gestaltet. Nur aus diesem Geist der Ganzheit bekommt sinnhaft je und je alles Menschenleben, alles Leben der Persönlichkeit und der Gattung, Ordnung und Gestalt. Wenn wir nun verstehen wollen von da aus, wie das Verhältnis des Geistes zu jenen tellurischen Kräften, zu den Elementarkräften und Elementartrieben dieser Existenz beschaffen ist, so müssen wir uns klar machen, dass also es sich nicht um ein Verhältnis handeln kann, das im Denken, im reinen Denken besteht, sondern durchaus notwendig um eines, das in der Lebenswirkung des Geistes besteht, in der Wirkung des Geistes auf das Leben. Nur so ist dieses Verhältnis zu erfassen. Was heisst das: Lebenswirkung des Geistes? Als was erscheint der Geist, der ins Leben wirkt, der nicht bloss im Denken sich Genüge tut, sondern ins ganze Leben sich auswirkt. Dieser Geist erscheint je und je als Glaubenskräfte. Ich sage als Glaubenskräfte, als die Kraft und Mächtigkeit des Glaubens. Also in der Persönlichkeit dargestellt als gläubiger Mut und als gläubige Liebe. So allein von der Glaubenskraft und, in Mut und Liebe wirkt der Geist je und je in die Welt. Hier ist eine Mächtigkeit, die immer wieder in der Geschichte so deutlich sich kundtut, dass alle Versuche, die Geschichte von den Elementarkräften und Elementartrieben allein aus zu verstehen, missglücken, ja zerrinnen müssen. Denn das eigentliche in der Geschichte geschieht immer wieder unerwarteter-, unvorhergesehenerweise durch den Leben wirkenden Geist, durch gläubigen Mut und gläubige Liebe. Dies aber erst erfasst, die Geschichte von da aus betrachtet, dann ergibt sich für uns etwas sehr wichtiges, was der Keyserling’schen Auffassung grundsätzlich, grundlegend entgegensteht. Es ist nicht zweierlei geschichtliches Verhältnis des Geistes zu den Elementarkräften, um das es geht, jenes eine, das sich in der Antike darstellt als Einbeziehung aller Kräfte des Menschen in seine Existenz und in seinen Daseinsausdruck, und das zweite das Christentum als (wie Keyserling es fasst) ihre Überwindung nicht bloss sondern Unterdrückung der Elementarkräfte, sondern dreierlei Verhältnis des Geistes zu den Elementarkräften gibt es. Es gibt erstens in der Tat die Verklärung der Elementarkräfte als solcher. Dies nennen wir Heidentum. Gleichviel, es hat niemals und nirgends reines Heidentum gegeben, aber was wir im Leben der Völker als Heidentum bezeichnen, ist eben dies, Verklärung der Ele-

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mentarkräfte als solche. Das zweite ist die Überwindung der Elementarkräfte, wie sie sich unter allen Religionen am stärksten, am eindeutigsten im Christentum darstellt. Aber das dritte, und das ist das, was uns unmittelbar angeht, das dritte ist die Heiligung der Elementarkräfte – nicht ihre Verklärung als solche und nicht ihre Überwindung, sondern ihre Heiligung, ihre Einheiligung in einen Zusammenhang des Heiligen und damit ihre Verwandlung. Ich weiss kein Phänomen der Geistesgeschichte, in dem sich diese Tendenz der Heiligung der Elementarkräfte so grossartig darstellte, jedenfalls keines, das in die Geschichte des Abendlandes übergriff und sie mitbestimmte, kein anderes Phänomen in dem es so grossartig realisiert wäre wie im Judentum. Das Judentum wird von zweierlei Gesichtspunkten, von zweierlei Standorten aus misskannt. Das werden wir noch im Gesamten deutlicher verstehen. Die eine Misskennung geschieht vom Christentum aus. Da wird das Judentum mit dem Heidentum verquickt insofern es der Transzendenz der Überschreitung der Welt, des Einblicks in ein jenseitiges Weltüberlegensein unfähig werde, und von der anderen Seite vom Heidentum, d. h. heutig gesprochen vom Neuheidentum wird es mit dem Christentum verquickt und zwar so, dass gerade das im Christentum als Judentum bezeichnet wird, was im Christentum nicht Judentum ist, nämlich es wird ihm eine Missachtung der Elementarkräfte zugesprochen, eine Negierung der grossen, strömenden Lebensmächte, ein Mangel an Sinn für das Geheimnis der Wirklichkeit. Beides rührt, beide Betrachtungsweisen rühren an das Wesen des Judentums nicht. Ich möchte mit Ihnen nach einander diese drei grossen geschichtlichen Formen der Mächtigkeit des Geistes im Verhältnis zu den Elementarkräften darstellen und zwar, ich sehe es von vorneherein, die beiden ersten in ihrer Problematik, d. h. ich hebe jetzt mit einer gewissen, in diesem Zusammenhang notwendigen Einseitigkeit das im Heidentum und das im Christentum hervor, was an ihm problematisches Versagen in der Beziehung zu den Elementarkräften ist, also wo das Heidentum und wo das Christentum in seinem Verhältnis zu den Elementarkräften die eigentliche Beziehung zu ihnen, die eigentliche Bewertung der Elementarkräfte verfehlt. Ich will also kein vollständiges Bild irgend einer dieser Formen zeichnen, sondern es geht mir jetzt um Abhebung; und alle Abhebung muss von einer gewissen Vereinfachung ausgehen. Im Heidentum werden die Elementarkräfte als solche verklärt, sie gelten als heilig als solche, d. h. sie werden nicht geheiligt, sondern sie werden sozusagen heilig gesprochen, sie werden nicht verwandelt, es ist nicht so, dass der Geist sich dieser Elementarkräfte bemächtigt, sie einfängt, sie heiligt, sie verwandelt. Der Geist hat kein änderndes Verhältnis zu den Elementarkräften, er bezieht sie nicht in ein ewiges und absolutes Heiliges ein. Und nur so können die Elementarkräfte, wie wir das noch sehen, geheiligt, d. h. verwandelt werden, eingewebt in ein Reich, in ein Wirklichkeitsreich des Geistes, indem sie einbezogen werden in ein Heiliges, das nicht aus der Natur geworden und nicht vom Menschengeist gemacht ist, sondern von dessen Hand Natur und Geist sind, also ein ewig seiendes und unbedingtes Heiliges, dem gegenüber alles andere Sein zeitlich und bedingt erscheinen muss. Und es ist nun die notwendige, unvermeidliche Geschichte, der unvermeidliche Ge-

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schichtsvorgang des Heidentums, dass die Heiligkeit, diese blosse Verklärungsheiligkeit der Elementarkräfte, die bleiben, wie sie sind, als solche wie sie sind, hdiei [ergänzt v. Hrsg.] gotthaften Rang bekommen, dass diese nicht standhält. Sie kann nicht standhalten, weil sie vom Geist nicht ermächtigt worden ist, indem sie in die Verbindung mit einem Urheiligen, mit einem ewig und unbedingt Heiligen bezogen worden ist. Diese nicht ermächtigte, also je und je unmächtig werdende Heiligkeit entblättert sich wie die Übergoldung [berichtigt aus Ubergoldung] eines Bildes, und alle Nachgoldungsversuche (sie wird in der Geistesgeschichte für die Antike Hellenismus genannt) mit Hilfe orientalischer Religiositäten – ich sage, die heidnischen Werte brechen je und je notwendig auseinander in weltfremden Geist und geistfremde Welt. Die griechische, die klassische Antike ist nichts anderes, als ein kurzer herrlicher Traum oder Rausch – das hat schon Nietzsche zur Wahl gestellt, apollonischer Traum oder dionysischer Rausch von naturhaft heiligen Existenzen. Die griechische Tragödie bedeutet das allmähliche Erwachen aus diesem Traum oder Rausch. In den drei grossen Tragikern stellt sich dieser Weg dar, bis in Euripides der grosse Zweifel des Menschen an allen überragenden Werten aufbricht und die Verzweiflung sich ankündigt. Ich sage, die Tragödie stellt das allmähliche Erwachen aus diesem Traum von naturhaft heiligen Existenzen dar, und die Philosophie, die grosse wunderbare griechische Philosophie ist der immer vergeblicher werdende Versuch einer Gewinnung des Entschwindenen, des nicht mehr Wirklichen, des Verflüchtigten, eben jenes Geträumten, jenes Gewähnten, jenes Unmöglichen von der naturhaft heiligen Existenz. Der Mensch nimmt sich hier in der antikischen Welt nicht, wie Keyserling meint, in der Vollständigkeit und Ganzheit seines Wesens an, sondern er erhebt sich in einer unerhörten bildnerischen Genialität hüber seineni [ergänzt nach Bubers handschriftlicher Korrektur] faktischen und faktisch unbesiegbaren und unaufhebbaren [berichtigt nach Bubers handschriftlicher Korrektur aus aufhebbaren] Widerstreit, er erhebt sich bildnerisch über diesen seinen tatsächlichen inneren existentiellen Widerstreit, über den Widerspruch seines Seins. Und dieser Widerstreit gibt sich schliesslich, so wie diese unerhörte bildnerische Genialität, diese ursprüngliche Bildnerkraft, dieses einmalige erstaunliche Phänomen griechischer Kunst, so wie diese Bildnerkraft erlahmt, gibt sich dieser Widerstreit unerbittlich kund und geht notwendig in Verzweiflung eines Weltalters über, und dies ist die Stunde, in der das Christentum die Macht antritt und seinerseits ein Verhältnis zu den Elementarkräften, ein anderes, aufrichtet. Das Christentum vollzieht die negative Entheiligung der Elementarkräfte. Ich will das gleich erklären. Also das Heidentum hat in dieser seiner grossartigsten Gestalt die Elementarkräfte geheiligt. Das Christentum entheiligt sie, aber es entheiligt sie nicht so, dass nun etwa eine andere Heiligkeit der Elementarkräfte, eine Heiligung der Elementarkräfte an die Stelle träte. Dies ist wichtig zu sehen, um nicht zu verwechseln und nicht misszukennen, was hier und was da ist. Ich muss hier ein Wort sagen, was unter Elementarkräften genau zu verstehen ist deshalb, weil wir hier eine Unterscheidung einführen müssen, die ich vorher nicht notwendig hatte, wo von der griechischen Antike die Rede war. Es ist jetzt notwendig zu

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unterscheiden Elementarkräfte und Elementartriebe. Elementarkräfte, das sind die Kräfte, die schlechthin nicht der Geistesgeschichte zuzuschreiben, sondern naturhaft von je sind, d. h. urzeitlich die Menschenexistenz aufbauen. Sie bauen die menschliche Existenz objektiv auf. Die deutlichsten Beispiele dafür sind die vielzitierten Elementarkräfte von Blut und Boden. Ich sagte, das Christentum vollzieht die negative Entheiligung dieser Elementarkräfte, indem es sie entweder vernachlässigt oder indem es sie zur Kenntnis nimmt, aber nicht eigentlich in seine Welt, in sein Heiligtum aufnimmt. Und weiter: das Christentum vollzieht die positive, die nicht mehr negative Entheiligung der Elementartriebe. Ich sage nicht negativ, sondern positiv, denn dort vernachlässigt es sie bloss, hier aber ist ein Verhältnis notwendig positiv aufzurichten, und das geschieht auch. Aber ich muss einen Augenblick noch verweilen, was Elementartriebe sind. Wenn Elementarkräfte die Kräfte sind, die die Menschenexistenz objektiv aufbauen, sind Elementartriebe jene, in denen sich die Menschenexistenz subjektiv, aber ihrem Kerne nach auswirkt, zum Teil Triebe, die der Mensch mit anderen Wesen gemeinsam hat, zum Teil solche, die beim Menschen jedenfalls zu einer ganz eigentümlichen, besonderen Ausprägung vorgedrungen sind, also Hunger, Geschlecht, Machtwille usw. Ich sage, das Christentum entheiligt positiv diese Elementartriebe, indem es sie einer völlig andersartigen Heiligkeit unter X, indem es sie unter die Oberhoheit einer völlig andersartigen Heiligkeit bringt, die diese Elementartriebe im Grunde verneint und verwirft. Denken Sie an den grössten Ausdruck davon, nebenbei gesagt, es ist wohl deutlich, ich spreche vom Christentum, ich spreche jetzt nicht von dem Stifter des Christentums, der hat sich ja nicht zum Christentum bekannt, also sagen wir, ich spreche vom paulinischen Christentum, denken Sie an den grössten Ausdruck dessen, wovon ich rede, an das paulinische Wort vom doppelten Gesetz, vom göttlichen Gesetz – aber das unbezwingbare Gesetz in meinen [Typoskript unvollständig], das mich zwingt, das Böse zu tun, das ich nicht tun will, und mir unmöglich macht, das Gute zu tun, das ich tun will. Ich sagte schon, die antike Welt war auseinandergebrochen in einen weltfremden Geist und eine geistfremde Welt. Hier haben wir sie neben einander in diesem paulinischen Doppelgesetz. Der Geist ist heilig, die Welt ist unheilig. Und auch da, wo das Christentum auf das natürliche Leben sakral eingeht, wie in dem Sakrament der Ehe, wird die Leiblichkeit des Menschen selbst nicht geheiligt, sondern nur dem Heiligen unterworfen. Das asketische Ideal ist gewiss nicht allverpflichtend, aber es ist das Bild des zulänglichen Christen gewesen, und dieses Bild hat das abendländische Christentum entscheidend geformt. Die Regeln der Mönchsorden, die Stätten, an denen man wirklich als Christ leben konnte, verhalten sich zu den Elementartrieben grundsätzlich negativ. Wir haben hier zwei Dinge, die wir deutlich bestimmen müssen und gegen einander abgrenzen. Wir haben hier einen grundsätzlichen Dualismus des Seins, also eine Zweiheitslehre: Geist und Welt, verschiedenes Gesetz, der Mensch kann aus sich selbst nichts, alles Streben des Menschen ist vergeblich. Er kann sich nur an das andre, an das von drüben manifestierte, an die Erlösung, die in seine Welt leiblich eingetreten ist von drüben anschliessen. Also ein grundsätzlich unüberbrückbarer Dualismus des Seins. Aber als Folge ein faktischer, nicht grundsätz-

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licher, kaum wirklich eingestandener, aber faktischer Dualismus des gelebten Menschenlebens, wo eine wunderbare, wieder mit herrlichen Goldfarben ausgemalte Kuppel reiner heiliger Art das Leben überwölbt, alle Erhebung den Blick dorthin führt, den Blick tröstet, sättigt, über alles, alle irdische Unzugänglichkeit hinweghilft und da unten das tatsächlich gelebte Leben, wo nun eben vielfach das Naturhafte, das Ungeheiligte, naturhafte, Elementarkräfte und Elementartriebe walten wie sie sind. Ich habe eben absichtlich, wie ich schon sagte, einseitig, vereinfachend dargestellt. Es gibt sehr vieles im Christentum, was andersartig ist. Ich habe schon angedeutet, es gibt Elemente im Christentum, die mit dem Judentum zusammenhängen und die ganz anderer Art sind, als das, was das Neuheidentum das Judentum im Christentum nennt. Jedenfalls aber müssen wir eines als positiv erkennen. Es ist hier wirklich Geist, der ein bündiges Verhältnis zu den Elementarkräften aufrichtet. Das ändert sich von Grund aus in den letzten Jahrhunderten, wo vielfach nicht mehr wirklich Geist, sondern jener abgeschnürte Intellekt, jene Teilkräfte, die sich die Alleinherrschaft anmassten, als Scheinerbe des Christentums die Elementarkräfte zu beherrschen suchen, was immerhin zunächst an der Oberfläche bis zu einem gewissen Punkt gelingt, wodurch die Welt wahrhaft entgeistigt wird. Es ist das eigentliche Versagen des Geistes, und es ist in der Tat zu verstehen, dass nunmehr eine reaktive Bewegung in der Tiefe aufkommt, die sich selbst missversteht, wenn sie gegen das Christentum statt gegen die Scheinerben des Christentums angeht, und die sich natürlich noch mehr missversteht, wenn sie (ich spreche jetzt natürlich nicht von irgend einer politischen oder auch nur sozialen Bewegung, sondern ich spreche geistesgeschichtlich) gegen das Judentum angeht. Denn und nun will ich versuchen, das Dritte einigermassen deutlich zu machen. Denn das Judentum ist jedenfalls ins Abendland hineinreichend das deutlichste Realsystem bewältigenden Geistes, Realsystem, sage ich, d. h. es geht hier nicht um ein ideelles System, nicht um Denken, um Weltanschauung, auch nicht um Ethos, um etwas Gemeintes, Angestrebtes, sondern es geht hier um ein wirkliches Realsystem, also Zusammenhang, der im Leben besteht, im Leben alle Bereiche einzufassen, alle Bereiche in die Einheit eines gelebten Ganzheitslebens einzufassen sucht. Von allen Realsystemen des Orients (und der alte Orient war die Welt der Realsysteme, wo alle Bereiche des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen, familienhaften persönlichen Lebens je und je in einer dieser Kulturen auf eines bezogen, von dem einen aus zu fassen waren) also was Religion, was Kultur, was Wirtschaft hiess, ging mit einem Grundprinzip zusammen, demselben Grundprinzip, das je und je diese Kultur überhaupt trug und ermöglichte; von diesen Realsystemen des Orients reicht dieses eine, das Realsystem des Judentums, über jene Stunde des alten Orients hinaus und über die asiatische Welt hinaus in das abendländische Mittelalter und die abendländische Neuzeit hinein. Was heisst das, dass das Judentum ein Realsystem des bewältigenden Geistes ist? Der Geist ist im Judentum einfach die Macht, die die Welt heiligt. Nichts anderes. Der Geist besteht in der Heiligung der Welt. Er kann es hier wenn irgendwo, weil hier, wenn irgendwo der Geist nicht etwas für sich Existierendes, nicht etwas Selbstherrliches, selbst Mäch-

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tiges, Selbständiges, ist, sondern nichts [berichtigt aus nicht] anderes als die Verbundenheit dieser menschlichen Kultur mit ihrem Ursprung, die Gottverbundenheit des Menschen, und zwar eine Gottverbundenheit, die nicht einfach da ist, etwas Festes, Sicheres, in den Menschen hineingetanes, sondern etwas je und je werdendes, strömendes, sich ergiessendes, sich niederlassendes. Und dieser Geist als die geschehende Gottesverbundenheit des Menschen, dieser Geist will seinem Wesen nach seine Wirklichkeit finden, er geht darauf aus, worum allein es ihm zu tun ist, um dessen willen ist er da, um dessen willen kommt er über den Menschen und lässt sich je und je auf ihn nieder, um dessen willen, dass er die Welt heilige. Hier wird mit dem äussersten Ernst das Geschaffensein der Welt wirklich angenommen. Es wird Ernst genommen. Die Welt ist geschaffen, die Welt ist nicht eine Spiegelung, die Welt ist nicht ein Schein, die Welt ist nicht ein Spiel, die Welt ist nicht etwas zu Überwindendes, die Welt ist geschaffene Wirklichkeit, aber um der Heiligung willen geschaffene Wirklichkeit. Alles Geschöpfliche ist als solches der Heiligung bedürftig und der Heiligung fähig. Alles Geschöpfliche, alle geschöpfliche Leiblichkeit, alles geschöpfliche Dasein, alle geschöpfliche Fähigkeit, alle geschöpfliche Eigenschaft, alle geschöpflichen Triebe, alle geschöpflichen Elementarkräfte. Durch die Heiligung empfängt die Leiblichkeit des Menschen, die Leiblichkeit der Welt die Erfüllung, ihren Schöpfungssinn, der von der Schöpfung her in den Menschen, in die Welt gelegte, derselben eingelegte Sinn wird durch die Heiligung erfüllt. Also nicht wird hier die Welt zum Geist verklärt, aber auch nicht lagert hier der Geist überwindend über der Welt, sondern nicht ist hier der Geist heilig und die Welt unheilig, sondern hier ist der Geist heiligend und die Welt ist geheiligt. Die Elementarkräfte werden im Realsystem des Judentums, in der Glaubenswelt des Judentums geheiligt, d. h. sie werden eingeheiligt in den urheiligen Zusammenhang. Wenn sie aus diesem Zusammenhang nicht fallen, kann ihre Heiligkeit allen Mächten standhalten. Ich erinnere sie daran, wie jene Elementarkräfte, die ich erwähnte, Blut und Boden, in dem 1. Buche der Schrift geheiligt werden durch die Verheissung, das Blut als der Same Abrahams, dem verheissen ist, zu dem Volk zu werden, das eine Menschheit beginnen solle, und der Boden als das diesem Samen verheissene Land, um dessen willen verheissen, dass dieses Völkerleben, das von Gott gemeinte Zusammenleben der Menschen in einem wahrhaft rechtschaffenen, rechtmässigen Menschenvolk dieses Land braucht, um sich zu verwirklichen. Also Volk und Land nicht als Elementarkräfte, die für sich heilig sind, sondern als Heiligkeit empfangende von dem Weltziel, von dem Schöpfungsziel Gottes aus. Volk und Land mit einander eine heilige Einheit. Nicht heilig gesprochen, sondern vom Heiligen rezipiert, aufgenommen, einbezogen, ihm selbst eingeheiligt [berichtigt nach Bubers handschriftlicher Korrektur aus angeheiligt]. Ich erinnere wieder nur an einige wesentliche Punkte, der Hunger der Menschennatur wird geheiligt und damit faktisch gewandelt, ebenso wie dort Blut und Boden gewandelt worden sind, faktisch gewandelt dadurch, dass der Mensch, der Fleisch essen will, dies nur in Zusammenhang mit einem Opfer, mit einer Darbringung an Gott tun kann und dass jede Darbringung den Menschen daran gemahnt, an das letzte überhaupt, daran, dass er eigentlich sich selber Gott

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schuldet und sich selbst durch das Tier nur ablösen lassen darf. Das Geschlecht wird geheiligt durch das Grundsakrament (ich sage absichtlich Sakrament. All dies ist sakramental, wenn man die Kategorie nur recht versteht, nicht nach einer anderen Religion, sondern aus der gesamten Glaubensgeschichte der Völker), das Geschlecht wird geheiligt durch den Grundritus, auf dem der Bund Gottes mit Abraham gegründet ist, das Sakrament der Beschneidung, Heiligung des Geschlechtes selbst, nicht bloss der Ehe, Annahme der Schöpfungstatsache selber, Annahme der Leiblichkeit selber, aber nicht ihre Verklärung ihrem So-Sein nach, sondern ihre gewaltige Einbeziehung in den Zusammenhang des Urheiligen. Und Machtwille geheiligt dadurch, dass der oberste Träger der Macht, der menschliche König, der nach einer Zeit eines Versuches reinen Gotteskönigtums den Staat lenkt, dass der Menschenkönig sein Amt in allem Ernst, nicht in einer grossen Phraseologie, sondern im äussersten Ernst von Gott empfängt, so nämlich, dass er mit der Salbung einen Auftrag, den Auftrag empfängt, mit diesem Reich hier, das er zu führen hat, den Anfang jenes Gottesreiches, jenes Reiches wahren, rechtschaffenen Zusammenlebens der Menschen zu begründen, und dass er durch die Salbung diesen Auftrag, der hier auf seinem Haupte ruht, zur Verantwortung gerufen, in die Verantwortung gestellt ist, in die stündliche Verantwortung diesem seinem Auftraggeber gegenüber, als dessen Statthalter er sein Amt inne hat. Verantwortung des Statthalters hat er abzulegen [sic!], und wenn er dies nicht vermag, wird er und wird seine Dynastie abgesetzt. So wandelt, verwandelt die Heiligung die Triebe, indem sie sie in die Verantwortung – das gilt für sie alle – in die Verantwortung dem Heiligen gegenüber stellt. Und zur Lehre wird diese grosse Konzeption dann in der nachbiblischen Zeit in der Lehre vom Jezer Hara, von der Einbildsamkeit zum Bösen, von dem sogenannten bösen Trieb (das ist aber schlecht übersetzt), auf Deutsch von der Leidenschaft. Und zwar von der Leidenschaft, ohne die kein rechtes Werk gelingen kann, von der Leidenschaft, die von Gott in den Menschen eingeschaffen ist, ihm angeschaffen als die Kräfte, ohne die kein Werk, ohne die auch kein heiliges Werk geraten kann, – aber nun ist es Sache des Menschen, was er aus dieser Leidenschaft macht, Leidenschaft, Elementarkräfte, die menschlichen Elementarkräfte. Aber der Mensch kann, und das ist die Gewalt des Wählens, der Entscheidung im Menschen, der Mensch kann mit dieser Leidenschaft Gott dienen, und kein Dienst gilt, wenn er nicht mit beiden Trieben, also mit der ganzen Kraft der Leidenschaft getan ist. Man muss mit beiden Trieben, mit der ganzen Fülle der Leidenschaft Gott dienen. Kraft, geschöpflich eingetan, und Richtung, die der Mensch ergreift, das erst ist das Leben des Menschen für Gott. Also in der Heiligung wird der ganze Mensch restlos bestätigt. Dies ist die wahre Vollständigkeit und Ganzheit des Menschen, nicht eine, die von der Natur, von unten herauf wächst, und aber doch eine Ganzheit und nicht ein Widerstreit, nicht eine Zweiheit – eine echte Einheit von der Heiligung der Welt durch den Geist aus. Wir haben hier nicht davon zu reden, in dieser Stunde nicht davon, was in einem Zeitalter, in dem nach dem Versagen des Intellekts eine reaktive Bewegung die Elementarkräfte an die Macht gebracht hat, ich sage, wir haben nicht davon zu reden,

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was in dieser Zeit die anderen zu sprechen, zu tun haben. Wir haben aber davon zu reden und an jedem Tage neu, was wir zu tun haben. Und das, was wir zu tun haben, das ist, dass wir uns auf diese Einzigkeit, diese Einzigkeitsmächtigkeit des Judentums besinnen, dass wir uns mit aller Kraft unserer Existenz besinnen darauf, von wo aus wir sind, was es ist, das dieses grosse Realsystem des Judentums aufgerichtet hat, wo die Elementarkräfte eingeheiligt wurden in den einen grossen heiligen Zusammenhang. Der Glaube an den heiligen Gott und an die Heiligung von ihm her und für ihn. Kein anderer Geist, allein der Geist, der die Elementarkräfte einheiligt und einwandelt. Er allein ist der Elementarkräfte mächtig. Und nur der Geist, der in sich selbst seinem Wesen nach, der Elementarkräfte, mit denen er im Leben dieser Gemeinschaft zu tun hat, mächtig ist, nur dieser Geist, nur der in seiner Welt der Elementarkräfte mächtige Geist kann einer Welt standhalten, in der er so unbewältigt waltet. Der stolzen brausenden Macht des Elementaren steht etwas gegenüber, kann etwas sich gegenüberstellen, in Wahrheit und Wirklichkeit, die demütig-stolze Mächtigkeit des heiligenden, des das Leben, die Welt heiligenden Geistes. Weil es so ist, haben die Propheten Israels, von da aus haben die Propheten Israels etwas über die Mächtigkeit des Geistes, der seine Welt heiligt, haben die Propheten Israels den Mut, den gläubigen Mut gefunden und die Macht gefunden, sich den Völkern und Völkerherren gegenüber und entgegenzustellen und das Wort des mächtigen Geistes zu sprechen über die Eigenmächtigkeit der Elementarkräfte, die dem Geist widerstrebten. Ich will mit einem geschichtlichen Beispiel aus diesem Wirken der Propheten schliessen: Es ist die Stunde, wo das assyrische Heer unter Sanherib gegen Jerusalem zieht und wo der mächtige assyrische Eroberer Boten nach Jerusalem schickt, um sie zu bewegen, gegen den Willen des Königs ihm die Stadt zu übergeben. Die Boten sagen zu denen an der Mauer, sie sollten sich nicht davon betören lassen, dass der König ihnen sagte, Gott würde sie retten. Haben die Götter der Weltstämme, so redet dieser Hofbeamte zum Volk, haben die Götter der Weltstämme jeder sein Land errettet aus der Hand des Königs von Assyrien. Wo waren die Götter Hanads und … (wörtliches Zitat) … und darauf lässt ihm der Prophet antworten einen Spruch Jerusalems selber an ihn: (wörtliches Zitat …) und darauf spricht durch den Propheten Gott selber an Sanherib weiter: (wörtliches Zitat …) Und es wird berichtet, nicht bloss von der Bibel, sondern auch von Herodot, dass er unverrichteter Dinge heimgekehrt ist!

Variantenapparat: 176,4 geistig] fehlt TS2:2 176,18 er vermutet] meint er TS2:2 176,23 zwar] zugleich TS2:2 176,27-28 aus dem Gedanken] aus dem Bewusstsein TS2:2 176,29 aus der Unwillkürlichkeit] des gewachsenen, des unwillkürlichen Geistes TS2:2 176,29 Jenes] Dieses TS2:2

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Die Mächtigkeit des Geistes 2:2

176,35 wähnen] meinen TS 177,7 die Macht des Elementaren] die Macht der Elementarkräfte und Elementartriebe TS2:2 177,10 noch lebendige] wirkliche TS2:2 177,11 Oder hat sich in der Geschichte] Hat sich in der Geschichte TS2:2 177,25-26 ist in dem menschhaften Bewußtsein gegründet, das allein wir zu Recht Geist nennen.] das eben nennen wir zu Recht Geist, nichts anders zu Recht. TS2:2 177,26 Er ist also] Die ursprüngliche Ganzheit also: TS2:2 177,27 zu Bewußtsein gewordene] fehlt TS2:2 177,30 Ist das ein Denken] Ist Geist ein Denken TS2:2 177,32-33 insofern er solchermaßen die echte bewußt menschhafte Ganzheit zu eigen hat,] insofern er die echte menschhafte Ganzheit zu eigen hat, TS2:2 177,34 sondern im Ursprung] sondern im Anfang, im Ursprung TS2:2 178,21 verbannt] ins Exil gestossen TS2:2 178,21 bei ihm] in ihm D2 178,26-27 Es gibt in der Geschichte nicht, wie sie annimmt, zweierlei Verhältnis des Geistes zu den Elementarkräften] Es ist nicht, wie sie {jene D2 } annimmt, zweierlei geschichtliches Verhältnis des Geistes zu den Elementarkräften, um das es geht, TS2:2 178,32-33 , wiewohl es niemals in geschichtlicher Erscheinung reines Heidentum gegeben hat,] fehlt D2 178,39 ins Abendland reichende] fehlt TS2:2 179,7-8 die drei Formen] die drei grossen geschichtlichen Formen TS2:2 179,8-9 in ihrem Verhältnis zum Elementaren nebeneinander anschauen] im Verhältnis zu den Elementarkräften darstellen TS2:2 179,9-12 Dabei kann freilich […] in ihrer Beziehung zum Elementaren hervortreten,] Dabei kann ich freilich […] ihr volles Recht nicht geben, muss vielmehr am Heiden- und am Christentum das Problematische in ihrer Beziehung zu den Elementarkräften hervorheben, TS2:2 179,23 am Ende] fehlt TS2:2 179,34-35 Verhältnis zum Elementaren aufrichtet] Verhältnis zu den Elementarkräften aufrichtet TS2:2 179,37 Entheiligung des Elementaren] Entheiligung der Elementarkräfte TS2:2 179,38 ist es nötig] empfiehlt es sich TS2:2 179,40 an der Art] an dem Wesen TS2:2 179,41 bauen] wirken TS2:2 180,22 geformt] geprägt D2 180,24-25 seinen Raum] seine Welt TS2:2

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180,28-29 wieder mit herrlichen] mit herrlichen D 180,33 Es gibt daneben im Christentum ein Wesensverschiednes] Es gibt vieles im Christentum, was andersartig ist TS2:2 180,39-40 der das Elementare zu meistern unternimmt] der die Elementarkräfte zu meistern unternimmt TS2:2 180,40 das Sein] die Welt TS2:2 181,14 in der Auflösung] in der Zersetzung TS2:2 181,15 Realsystemen Asiens] Realsystemen des Orients TS2:2 182,5 und »Erde« wird verheißen] ergänzt (13,15 f.) D2 182,9-10 erscheinen im biblischen Israel als Elementarkräfte] erscheinen hier nicht als Elementarkräfte TS2:2 182,14-15 (abgewandelt in den Schlacht- und Speiseriten fortlebenden)] fehlt TS2:2 182,18-19 (in seiner Reinheit fortlebenden)] fehlt TS2:2 182,20 einer heiligen Berufung] einem heiligen Beruf TS2:2 182,21-22 (nur noch in der messianischen Hoffnung fortlebenden)] fehlt TS2:2 183,6 waltet] walten sollte TS2:2 Wort- und Sacherläuterungen: 176,1 Graf Hermann Keyserling hat vor kurzem] Bei der Schrift Keyserlings, auf die sich Buber hier bezieht, handelt es sich vermutlich um dessen 1934 veröffentlichtes, nur auf Französisch erschienenes Buch La Révolution Mondiale et la Responsabilité de l’Esprit (Paris 1934), das in Deutschland von den Nationalsozialisten verboten worden war. Ähnliche Überlegungen finden sich auch im Kapitel »Der Einbruch des Geistes« von Keyserlings Schrift Südamerikanische Meditationen, die bereits zwei Jahre zuvor erschienen war. 180,12 »Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist«] Röm 7,23. 180,13 »Gesetz meiner Vernunft«] Röm 8,2. 182,27 jezer hara] das böse Prinzip oder die Neigung zum Bösen, das dem guten Prinzip, der Neigung zum Guten, jezer ha tov, als Gegenpart gegenüber gestellt ist. Auf beide Prinzipien gründet sich in der jüdischen Tradition die Dualität der menschlichen Natur; aufgrund seines freien Willens hat der Mensch die Möglichkeit, sich wissentlich und willentlich für eine der beiden Seite zu entscheiden.

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Unserem Verbündeten

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Unserem Verbündeten (Leonhard Ragaz zum 75. Geburtstag) Dies ist nach der Besprechung des Buches Weltreich, Religion und Gottesherrschaft von 1922 (s. Kommentar zu »Religion und Gottesherrschaft«, S. 340 ff.) der zweite Text Bubers über den Schweizer evangelischen Theologen und Verfechter eines »religiösen Sozialismus«, Leonhard Ragaz. Buber würdigt einen Mann, mit dem er seit fast 30 Jahren in Verbindung steht. Der Text schließt an die Buchbesprechung und das hier schon angesprochene zeit- und kirchenkritische Religionsverständnis von Ragaz an. Jetzt, 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, ist Buber noch schneidender in Sachen »Religion«. Ragaz ist für ihn ein »Kämpfer für Gott und gegen die ›Religion‹«, denn Religion in einer ganz bestimmten Ausprägung kann für Buber »die höchste Form des Götzendienstes« sein. Neu in diesem Text sind zwei Motive. Zum einen der Hinweis auf den »Religiösen Sozialismus«. So wie Ragaz von »Religion« weg zur wahren Religion habe kommen wollen, so vom »herrschenden Sozialismus« zum wahren Sozialismus, meint Buber, der diese religiös-politische Option mit Ragaz teilt. Zum zweiten geht Buber jetzt explizit auf das Israel-Verständnis des Christen Ragaz ein. Buber zitiert aus einer programmatischen Schrift, die Ragaz schon vor 20 Jahren veröffentlicht hatte: Judentum und Christentum. Ein Wort zur Verständigung (1922). Nicht vergessen hatte Buber, was der Christ Ragaz damals geschrieben hatte. Er hatte die Leser seines Buches »an Männer wie Gustav Landauer und Martin Buber« erinnert, »die einen staatsfreien und gewaltlosen Sozialismus im Sinne einer auf Liebe gebauten wirklichen Gemeinschaft der Menschen« verkündigt hätten (Ragaz, Judentum und Christentum, S. 41; vgl. auch Bubers Brief an Ragaz vom 1. Februar 1923, in: B II, S. 155 f.). Daran hatte Buber seinen geistigen »Verbündeten« ausdrücklich noch einmal in einem Brief erinnert, den er unmittelbar nach der Übersiedlung nach Israel 1938 an Ragaz geschrieben hatte: »Sie waren der erste, der mir einst, meinem toten Freund Landauer und mir, als dem ›Judentum‹ im Namen des ›Christentums‹ den Bruderkuß entbot, und schon damals meinten Sie nichts anderes, als eben diese unsere Gemeinschaft, unsere Erinnerung, unsere Erwartung, unsere gemeinsame Schau auf Jerusalem. Seither ist die heilige Freundschaft gewachsen von Jahr zu Jahr, unmerklich wie die Ölbäume dadrüben, meine und Ihre Ölbäume wachsen.« (B III, S. 12)

Mit seinem Geburtstagsartikel von 1943 will Buber somit der auf politischem und theologischem Gleichklang beruhenden und über Jahrzehnte gewachsenen »heiligen Freundschaft« ein Denkmal setzen. Zugleich ist er

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– angesichts der lebensbedrohlichen Situation des europäischen Judentum, des »Kampfes für Israel«, wie Buber sich ausdrückt – froh um jeden »Verbündeten«, »für den es wert wäre, standzuhalten«, vor allem, wenn dieser als Christ seine tiefste Überzeugung als Jude teilt: »Israel« gehe sowohl über das real existierende Judentum wie auch über das Christentum hinaus, übersteige beide und »vereinigt« beide zugleich, »macht sie zu Verbündeten«, auch in diesem Sinn: »Jeder dieser beiden geteilten Ströme Israels [Judentum und Christentum] muss zuerst wieder seinen eigenen Sinn gewinnen, zu seinem Wesen und Ursprung, zu Israel, zurückkehren.« Textzeuge: D: »le-isch briteinu«, in: ha-poel ha-zair, Bd. 35, Nr. 46, 5. August 1943, S. 3-4 (MBB 679). Druckvorlage: eine für die MBW erstellte Übersetzung aus dem Hebräischen von Karin Neuburger. Wort- und Sacherläuterungen: 185,27-29 I s r a e l i s t g r ö ß e r a l s d a s J u d e n t u m . […] Diese steht noch immer ü b e r und v o r ihm.] Leonhard Ragaz, Judentum und Christentum. Ein Wort zur Verständigung, Erlenbach-Zürich, München, Leipzig 1922, S. 50. 185,32-41 »Christentum und Judentum gehören zu Israel. […] sind Frucht und Symbol ihres Streites.«] Leonhard Ragaz, Israel, Judentum, Christentum, 2. Aufl. Zürich 1943, S. 56. 186,1 »Und wie kann die Vereinigung und Versöhnung erfolgen?«] Ebd., S. 57. 186,2-6 »Nicht dadurch, daß das Eine das Andere besiegt […] begeben.«] Ebd., S. 57. Das Zitat lautet im Original folgendermaßen: »Nicht dadurch, daß das Eine das Andere besiegt oder von ihm bekehrt wird […], sondern auf einer andern und doppelten Linie: dadurch, daß sie sich, jedes für sich, zu sich selbst bekehren und dann eines sich zum andern bekehrt.« 186,25-27 »Jeder dieser beiden geteilten Ströme Israels muß […] zu seinem Wesen und Ursprung, zu Israel, zurückkehren.«] Ebd., S. 57. Ragaz und »Israel« Der Text stellt die Gedächtnis-Rede Bubers anlässlich des Todes von Leonhard Ragaz am 6. Dezember 1945 dar. Sie wurde in der liberalen Emet weEmuna Synagoge zu Jerusalem gehalten, einer Gemeinde hauptsächlich

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deutsch-jüdischer Einwanderer, deren Rabbiner seit 1936 Kurt Wilhelm (1900-1965) war. Es ist Bubers dritter Text zur Würdigung des evangelischen Schweizer Theologen (s. Kommentar zu »Religion und Gottesherrschaft«, S. 340 ff. und »Unserem Verbündeten«, S. 413 f.). Er hat seine Bedeutung freilich weniger in den Aussagen über Ragaz. Buber wiederholt hier – wenn auch ausführlicher als zuvor – bereits beschriebene Positionen von Ragaz zur Theologie »Israels«, die auch er als eine Herausforderung für Judentum und Christentum gleichermaßen begriff. In der Zwischenzeit, 1942, war auch die »zusammenfassende Schrift« von Ragaz, Israel, Judentum, Christentum, erschienen. Buber trauert um den »echtesten Freund, den das jüdische Volk in unserer Zeit« besessen habe und versteht darunter, dass dieser Christ – ohne alle Idealisierung – Juden in ihrem »innersten Selbstwissen und Selbstverständnis« habe gelten lassen. Ragaz selbst hat auf seine Weise der Verbindung zu Buber gedacht. Im zweiten Band seiner posthum (1952) erschienenen Autobiographie Mein Weg findet sich ein eigenes Kapitel unter dem Titel »Israel, Zion, Ökumene« (S. 291-305). Hier kommt Ragaz zunächst grundsätzlich auf sein Verhältnis zum Judentum zu sprechen, um dann die besondere Rolle anzusprechen, die Martin Buber für ihn gespielt hat. Die entsprechende Passage lautet: »Ich weiß nicht recht, wann und wie wir uns zuerst, sei’s leiblich, sei’s geistig begegnet sind; jedenfalls ist es dann zu einer intensiven Berührung gekommen. Diese ist freilich nie so persönlich geworden, wie die mit anderen Jüdinnen und Juden, die ich genannt habe; sie bewegte sich mehr im Sachlichen. Auch sah ich in ihm mehr den Überlegenen. Aber die sachliche Berührung war und ist so stark, daß Buber mir bis heute geistig viel näher steht als fast alle theologischen Vertreter des Christentums, bloß einige wenige ausgenommen. Uns trennt bloß das Verhältnis zu Jesus als dem Christus, wobei aber Buber im ›Heiligen Weg‹ etwas vom Schönsten geschrieben hat, was über Jesus als Menschen je gesagt worden ist. Ich habe von Buber jedenfalls sehr viel empfangen. Das führt uns aber sofort wieder zum Sachlichen. Buber ist der Wiedererwecker des Chassidismus. Dieser Chassidismus aber hat mich durch die Bücher Bubers, die ihn darstellen (auch in dem unveröffentlichten Manuskript, um dessen Herausgabe ich mich jahrelang vergeblich bemüht habe), so in seinen Bann gezogen, daß es mir etwa vorkam, ich sei mehr Anhänger des Chassidismus als des Christentums. Jedenfalls bin ich von einer grundsätzlichen und auch einer unterirdischen geschichtlichen Verbindung zwischen beiden überzeugt.« (Mein Weg, Bd. 2, Zürich 1952, S. 296 f.)

Bei der Anspielung auf das unveröffentlichte Manuskript handelt es sich vermutlich um den Roman Gog und Magog, dessen erste vollständige Buchversion 1943 auf Hebräisch herauskam. Auf Deutsch erschien der Roman allerdings erst 1949, obwohl ein deutsches Manuskript schon

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länger existierte, bei dem es sich wahrscheinlich auch um die allererste Fassung des Romans überhaupt handelt (vgl. MBW 19, S. 278 f.). Über den unmittelbaren Anlass hinaus aber hat der Ragaz-Text von 1946 seine Bedeutung vor allem darin, dass Buber sich hier mit der »dunkelsten Stunde« der jüdischen Geschichte theologisch auseinander zu setzen versucht. Er weiß – die Schoah vor Augen – um die »Märtyrer unserer Martyrien«, um die »Massenopfer der Gaskammern«. Er weiß, dass Gott, »unser Herr und der Herr der Welt«, hier als »furchtbarer und gnädiger Gott« erfahren worden ist. »Verstehen« könne man diesen Gott heute »weniger als je«, meint Buber. Es seien »grausame Zeichen in Blut und Feuer«. Aber Buber hält auch hier unerschüttert daran fest, dass Israel selbst durch die Schoah nicht aufgehört hat, Gottes erwähltes Volk zu sein. Der Text wird an dieser Stelle zur Fortschreibung von »Dom und Friedhof« (1933) unter den Bedingungen der Schoah. Es gilt nach Buber auch jetzt, »Zeugnis für die fortbestehende Erwählung« abzulegen. Gerade darin hatte er das Außergewöhnliche bei einem Christen wie Ragaz erblickt, dass dieser »mit einer Deutlichkeit und Eindringlichkeit wie kaum ein anderer Christ« erklärt habe, »unsere Erwählung sei nicht aufgehoben«. Ein zweites, christentumskritisches Moment kommt in diesem Text hinzu. Die Schoah hat auf grauenhafte Weise offenkundig gemacht, wie unerlöst die Welt ist. Mit dem ihm eigenen Pathos kann Buber dies in die Sätze fassen: »Am Schandpfahl der Menschheit stehend, gegeisselt und gefoltert, demonstrieren wir mit unserem blutigen Volksleib die Unerlöstheit der Welt. Für uns gibt es keine Sache Jesu, nur eine Sache Gottes gibt es für uns.« »Ragaz und ›Israel‹« wurde nach Bubers Tod erneut 1985 veröffentlicht (in: Pfade in Utopia. Über Gemeinschaft und deren Verwirklichung, hrsg. von Abraham Schapira, 3. erheblich erweiterte Neuausgabe mit einem Nachwort, Heidelberg: Lambert Schneider, S. 372-380). Textzeugen: D1 : Mitteilungsblatt, 10. Jg., Nr. 13, 29. März 1946 (MBB 750). D2 : Neue Wege, 41. Jg., Heft 11, 1947, S. 504-508 (MBB 773). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 187,16-17 Nachkommen, durch 150 Generationen von ihr getrennt,] fehlt D2 187,20-21 Verhältnis, das einem Gewesenen […] gilt] in diesem Band und in D2 berichtigt aus Verhältnis, die einem Gewesenen […] gilt 187,34-35 durch all unsere Problematik] fehlt D2

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Ragaz und »Israel«

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188,13-14 zum Leben eines gerechten Volkslebens, … und der Weg zu diesem Leben führt] zum Leben eines gerechten Volkslebens, und der Weg zu diesem Leben führt D2 191,15 für den Jischuw] für die palästinensische Siedlung D2 Wort- und Sacherläuterungen: 187,Anm. Emet we-Emuna] hebr. »Wahrheit und Glaube«. 187,15-16 die einst den brennenden Berg umstand] Bevor das Volk Israel auf seiner Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten von Gott die Gesetzgebung in Form der Zehn Gebote erhält, erscheint Gott Moses und dem Volk in einer Wolke am Berg Sinai; das Volk Israel versammelt sich um den Berg, und während Gott auf den Sinai herab fährt, brennt der Berg und Rauch steigt auf; vgl. Ex 19,1-25, bes. Ex 19,18. 188,16-17 »dessen Planungen nicht unsere Planungen sind«] Vgl. Jes 55,8: »Denn: / ›Nicht sind meine Planungen / eure Planungen, / nicht eure Wege / meine Wege.‹ / ist Sein Erlauten.« (Übersetzung Buber/Rosenzweig) 189,9-13 »Israel« […] »ist grösser als das Judentum. […] die ganze Israelswahrheit […] steht noch immer ü b e r und v o r ihm, gerade wie sie, in d i e s e m Sinne, über und vor dem Christentum steht.«] Leonhard Ragaz, Judentum und Christentum. Ein Wort zur Verständigung, Erlenbach-Zürich, München, Leipzig 1922, S. 50. 189,16-19 »in heiliger Unruhe […] werden sie einander begegnen.«] Ebd., S. 52. 189,22-29 »Christentum und Judentum […] macht sie zu Konkurrenten.«] Leonhard Ragaz, Israel, Judentum, Christentum, 2. Aufl. Zürich 1943, S. 56. 189,30-32 »Jeder dieser beiden geteilten Ströme Israels […] von innen her erneuern«.] Ebd., S. 57. 189,33-35 »sondern höchstens« […] »wenn ich mir solches anmassen dürfte, das Judentum zu sich selber und das Christentum zu sich selbst, damit aber beide zueinander.«] Ebd., S. 4. 190,2-3 »Damit aber« […] »ist im Christentum Israel erloschen. Allerdings nicht ganz und gar.«] Ebd., S. 52. 190,8-13 »Dennoch« […] und in die Welt getreten.«] Ebd., S. 56. 190,17-20 »Es wird,« […] »aus der Seele des Judentums […], als sie bisher auf unserem Boden vorgekommen ist.«] Leonhard Ragaz, Judentum und Christentum. Ein Wort zur Verständigung, Erlenbach-Zürich, München, Leipzig 1922, S. 64. 191,3 »das unerhörte Leiden des Judentums«] Leonhard Ragaz, Israel, Judentum, Christentum, 2. Aufl. Zürich 1943, S. 62.

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191,4-7 »dass das Leiden in seinem heiligsten Sinne zur Aufgabe Israels gehört, […] verheissen bleibt.«] Ebd., S. 59. 191,10-11 »das Zion der Propheten […] der Berg der Gerechtigkeit Gottes für die Völkerwelt und die soziale Welt.«] Ebd., S. 61. 191,11-12 »Darin […] lebt das Judentum zu Israel auf.«] Ebd. 191,15 Jischuw] hebr. »Bevölkerung«; Gesamtheit der jüdischen Bewohner Palästinas vor der Staatsgründung Israels. 191,19-23 »dass der neue Ansturm, […] dass Gott in Erez Israel Zion neu aufrichten will.«] Ragaz an Buber, 8. Oktober 1945 (B III, S. 91). 191,26-30 »Dieses Zion, aus der grossen Flut der heutigen Bewegung der Völkerwelt auftauchend, […] über die heutige Welt erhebt.«] Leonhard Ragaz, »Zur Weltlage«, Abschnitt »Zion«, in: Neue Wege, 39. Jg., Heft 11, 1945, S. 598.

Echo und Aussprache Ein Briefwechsel mit Martin Buber Karl Thieme, Bubers Briefpartner, hatte eine bewegte Geschichte hinter sich, als er am 20. Februar 1946 aus Jerusalem ein erstes Schreiben von Buber erhält (B III, S. 101 f.). Buber bedankt sich für die Zusendung eines Aufsatzes über »Die Komposition des Buches Genesis«. Ursprünglich evangelisch erzogen, war Thieme nach 1933 zum katholischen Glauben konvertiert, nicht zuletzt aus Protest gegen den mangelnden Widerstand bei der Einführung des »Arier-Paragraphen« auf Seiten der »am wenigsten ›katholischen‹ Kreise«, wie er Buber später, am 18. Juni 1949, schreiben wird. Von Hause aus Historiker, hatte Thieme von 1931 bis 1933 eine Professur an der Pädagogischen Akademie in Elbing inne, war aber wegen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus aus dem Amt »entfernt« worden. Er war in die Schweiz gegangen und hatte sich dort intensiv vor allem Bibelstudien gewidmet. Sein erster Kontakt zu Buber erklärt sich von daher. Als Buber Thieme drei Jahre später am 23. März 1949 einen zweiten Brief schickt (B III, S. 196), ist dieser bereits Dozent am Auslands- und Dolmetscher-Institut der Universität Mainz in Germersheim, wo er von 1954 bis 1961 das Amt des Direktors bekleiden wird. Wieder hat Buber Anlass zu danken. Thieme hatte begonnen, sich mit der Frage des Verhältnisses von Juden und Christen zu befassen. In den Frankfurter Heften war eine schriftliche Ausarbeitung seines Referates zur »Judenfrage« erschienen, das er auf dem Mainzer Katholikentag 1948 gehalten hatte. Auch hatte die Zeitschrift Judaica einen Aufsatz Thiemes unter dem Titel »Katholiken und Juden. Die Stellungnahme in der modernen katho-

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lischen Christenheit gegenüber der Judenfrage« gedruckt. Als Buch war 1945 bereits im Otto Walter Verlag (Olten/Schweiz) Thiemes kommentierte Neuausgabe von zwei Schriften der Alten Kirche erschienen, Schlüsseltexte gerade für das Verhältnis von Judentum und Christentum: Kirche und Synagoge. Der Barnabasbrief und der Dialog Justins des Märtyrers. Schließlich war Thieme noch Mitherausgeber des Freiburger Rundbriefs geworden, einer 1948 von Dr. Gertrud Luckner (1900-1995) gegründeten Zeitschrift »zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk – im Geist der beiden Testamente«, die bis 1986 in dieser Form bestehen und sich unschätzbare Verdienste um die christlich-jüdische Verständigung in Deutschland erwerben sollte. Seit 1993/94 erscheint der Rundbrief in »Neuer Folge« mit dem Untertitel Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung. Gründe genug also, dass Buber in seinem zweiten Brief vom 23. März 1949 nach Lektüre der zugesandten Aufsätze Zustimmung signalisiert: »In der Tat halte auch ich dafür, daß man nur so, das heißt, indem man sowohl Judentum wie Christentum als Gott meinende und als solche von Gott gemeinte Wirklichkeiten ansieht, die Sache zwischen Juden und Christen, ihr gegenseitiges Verhältnis behandeln darf. Nur so kann man, wie der auferlegten Differenz, so dem gewährten Einvernehmen gerecht werden.« (B III, S. 196)

Umso erstaunter dürfte Buber gewesen sein, in der Ausgabe Nr. 2/3 des Freiburger Rundbriefs vom März 1949 eine Äußerung von Thieme zu lesen, die einem jüdischen Leser anstößig sein muss. Thieme hatte in dieser Ausgabe mit einem »Offenen Brief« einem Kritiker geantwortet (S. 50 ff.) und war in diesem Zusammenhang auf die Frage der »Judenmission« eingegangen. Seine Ambivalenz in dieser Frage dürfte Buber befremdet haben. Denn einerseits äußert Thieme Verständnis für Schweizer Juden in Zürich, die sich offiziell gegen »christliche JudenMission« gewandt hätten. Andererseits beruft er sich im selben Zusammenhang auf ein Wort des französischen jüdischen Gelehrten Jules Isaac (1877-1973), dass ein Christ »auf diese Missionsaufgabe nicht verzichten« könne und »ständig die berühmten Verse von Pauli Römerbrief vor Augen haben« müsse, »wonach die Heimkehr Israels Leben aus dem Tod« sein werde. Eine Anspielung auf Römer 11,15. Dann folgt die Stelle in Thiemes Schreiben, bei der Buber einhaken wird: »Gerade diese letzte Entscheidung der Schweizer Juden verstehe ich angesichts des hervorragenden Wirkens vor allem der protestantischen Juden-Missions-Kreise in der Schweiz während und nach der Hitlerzeit vollkommen; aber wie soll sie anders auf unsereinen wirken denn als eine Versuchung, die Juden für unrettbar, ›geistlich tot‹, d. h. für unbekehrbar, zu halten?« (S. 51)

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Es folgt der Austausch von je drei Briefen, die im Freiburger Rundbrief abgedruckt werden konnten, weil Buber auf Bitten Thiemes mit seinem Schreiben vom 25. Juni 1949 der Veröffentlichung zustimmt. Thieme setzt sich auch nach diesem Brief-Austausch für das Werk Bubers ein. Im August 1953 publiziert er einen Aufsatz über Bubers soeben herausgekommene Schrift Gottesfinsternis (vgl. B III, S. 369). Im Januar 1954 erscheint von ihm in den Neuen Zürcher Nachrichten (vgl. B III, S. 365 f.) die Besprechung des Inselbändchens von Buber Einsichten. Aus den Schriften gesammelt (Wiesbaden 1953); und im selben Jahr noch in der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte ein Beitrag Thiemes zur Buberschen Bibelinterpretation (vgl. B III, S. 367). Textzeuge: D: Rundbrief zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk – im Geiste der beiden Testamente, 2. Folge, Nr. 5/6, Dezember 1949, S. 20-23 (MBB 811). Druckvorlage: D Variantenapparat: 194,7 missionnaire] berichtigt aus misionaire Wort- und Sacherläuterungen: 192,3 im »Rundbrief« Nr. 2/3 auf S. 51] Karl Thieme, »Offener Brief«, in: Rundbrief zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk – im Geiste der beiden Testamente, 2. Folge, Nr. 2/3, März 1949, S. 50 ff. 196,7 Schoepsens Vorwurf einer »Schriftfälschung«] Hans Joachim Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, Tübingen 1949, S. 347. 196,11 LXX] Septuaginta. 197,29 Maimonides’ Hauptwerk] Moses ben Maimon, Moreh Newukhim (dt. Führer der Unschlüssigen). 198,3-4 Begründung einer volkspädagogischen Institution] Von 1949 bis 1952 leitete Buber die von ihm gegründete Hochschule für die Lehrer des Volkes (Beth Midrasch Lemorei Am) an der Hebräischen Universität Jerusalem; s. auch MBW 8, S. 35, 64. 198,33 Matthäus-Aufsatz] Karl Thieme, »Matthäus, der schriftgelehrte Evangelist«, in: Judaica V (1949), S. 130-152. 199,39 meinen seit Jahren abgeschlossenen Kommentar] Kirche und Synagoge: Die ersten nachbiblischen Zeugnisse ihres Gegensatzes im Offen-

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Zwei Glaubensweisen

barungsverständnis; der Barnabasbrief und der Dialog Justins, des Märtyrers, neu bearb. und erl. von Karl Thieme, Olten 1945.

Zwei Glaubensweisen Mit Zwei Glaubensweisen legte Buber im Jahr 1950 sein Hauptwerk zum Christentum vor. Es war gedanklich und konzeptionell über Jahrzehnte gewachsen. Ernst Simon (1899-1988), der Jerusalemer Freund, dem Buber im Vorwort für Manuskriptlektüre und wertvolle Hinweise dankt, bezeugt in einer ersten kleinen öffentlichen Anzeige des Buches (in: Aufbau vom 1. Dezember 1950), dass die hier behandelten Themen Buber »seit vielen Jahrzehnten« beschäftigt hätten. Eine »erste Zusammenfassung« seiner Gedanken habe er »in einer großen Vorlesung in Franz Rosenzweigs Frankfurter ›Freiem Jüdischen Lehrhaus‹« geboten. In der Tat sind im Martin Buber Archiv in Jerusalem Typoskripte vorhanden, die Buber ganz offensichtlich zum Zweck seiner Vorlesungen im Frankfurter Lehrhaus ausgearbeitet hat (Arc. Ms. Var. 350, bet 43 f.). Es handelt sich um drei Konvolute, die jeweils 8 (bzw. im dritten Konvolut 9) Vorlesungseinheiten von je ca. 10-12 Seiten enthalten, oft eingeleitet mit Höreradressen, Antworten auf Hörerzuschriften oder technischen und organisatorischen Hinweisen. Ein erstes Konvolut behandelt das Thema »Gottesglaube«, das zweite das Thema »Erlösungslehre« und das dritte das Thema »Messianismus«, jeweils in Bezug auf den Unterschied von Judentum und Christentum. Wann genau Buber diese Vorlesungen im Lehrhaus gehalten hat, ist den Texten nicht zu entnehmen. Laut offiziellem Ankündigungsblatt des Freien Jüdischen Lehrhauses hat Buber den »ersten Lehrgang« des »vierten Lehrjahrs« vom 21. Oktober bis 21. Dezember 1922 u. a. mit Vorlesungen zu »Judentum und Christentum« bestritten und zwar »8 Stunden. Samstag 7 ¼ bis 8 abends. Beginn 25. November« (Arc. Ms. Var. 350, chet 59.10). Außerdem befindet sich im MBA ein weiteres dreiteiliges Konvolut mit dem einheitlichen Haupttitel »Vorlesungen über Judentum und Christentum« und den je getrennt behandelten Themen: »I. Jüdischer und christlicher Glaube«, »II. Jüdische und christliche Erlösungslehre« und »III. Jüdischer und christlicher Messianismus« (Arc. Ms. Var. 350, bet 43 f.). Diese Fassung ist sichtlich später entstanden. Sie gründet auf der Vorlesungsfassung, ist aber von persönlichen Hörer-Adressen weitgehend frei, ist besser strukturiert und knapper formuliert. (Die Manuskripte der Vorlesungen Martin Bubers am Frankfurter Lehrhaus und an der Frankfurter Universität sollen der Publikation in einem Zusatzband der

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MBW vorbehalten bleiben.) Ein Vergleich der Konvolute untereinander und mit der Buchfassung von Zwei Glaubensweisen ergibt, dass es sich inhaltlich hier um Vorstufen zu Zwei Glaubensweisen handelt, so dass für die »Inkubationszeit« des zusammenfassenden Werkes gut 30 Jahre anzusetzen sind. Die Ausarbeitung des Manuskriptes erfolgte schrittweise in den vierziger Jahren, die Niederschrift 1948 in der Zeit des israelischen Unabhängigkeitskriegs, während, wie Buber im Vorwort selbst schreibt, das »Chaos der Vernichtung« drohte. Auch das Manuskript hat sich im MBA erhalten (Arc. Ms. Var. 350, bet 43c). Titelvarianten hat Buber offenbar lange erwogen. Noch 1948 war von einem Titel wie Der palästinensische Jesus die Rede (vgl. B III, S. 170). Der Manuskriptfassung liegen drei Titelentwürfe bei: Das Doppellager. Vergleich jüdischer und christlicher Glaubenswirklichkeit mit dem Motto: »Und er rief den Namen jenes Ortes: Doppellager. (Gen 32, 3)«; Machanaim. Über jüdischen und christlichen Glauben mit dem Motto: »Und er rief den Namen jenes Ortes: Machanaim, Doppellager. Genesis 32, 3«; schließlich: Pistis und Emuna. Vergleichung zweier Glaubensweisen. In der Einleitung zu diesem Band wurde darauf hingewiesen, dass Buber schon 1922 (in einem Brief an Friedrich Gogarten vom 22. Dezember 1922, in: B II, S. 146) den Unterschied zwischen Judentum und Christentum als einen »Unterschied der Glaubensweise« bezeichnete. Im Vorwort dankt Buber ausdrücklich nicht nur jüdischen Freunden wie Hugo Bergmann, Isaak Heinemann (1876-1957) und Ernst Simon, sondern ausdrücklich auch »vier christlichen Theologen«. Zu zwei von ihnen, Leonhard Ragaz und Albert Schweitzer, gibt es in diesem Band eigene Texte. Genannt werden außerdem Rudolf Bultmann und Rudolf Otto. Rudolf Otto widmet Buber ein kleines Porträt, das dadurch besonders bewegend ist, dass Buber nicht nur den sachlichen Lerngewinn betont, den er dem Werk Ottos verdankt. Er erwähnt vor allem die »peripatetischen Gespräche«, die zu etwas Besonderem geführt hätten: zum Aufschluss der »gläubigen Seele«. Mit Otto hatte Buber eine jener idealen Begegnungen erlebt, die zu einer echten Zwiesprache geführt hatten und die ihn die »Gegenwart des Gegenwärtigen im Zwischen-zwei-Menschen« spüren ließen, wie Buber sich ganz in der Begrifflichkeit von Ich und Du ausdrückt. Das betrifft vor allem das erste der Gespräche, das Buber als »das wirksamste« erinnert. Was das Werk von Otto angeht, so verweist Buber in Kap. 9 von Zwei Glaubensweisen auf Ottos Arbeiten Reich Gottes und Menschensohn (1934) und Aufsätze das Numinose betreffend (1923). Otto, evangelischer

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Religionsphilosoph und Theologe, zunächst ab 1915 Professor in Breslau, dann von 1917 bis 1929 in Marburg, hatte 1917 ein bahnbrechendes Werk Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen vorgelegt. In Briefen von Florens Christian Rang an Buber wird mehrfach darauf angespielt (vgl. B II, S. 132 und 187 f.). Das Buch gehört bis heute zu den wegweisenden Werken, die nach dem Ersten Weltkrieg ein vertieftes Verständnis des »Göttlichen« als zugleich erschreckender und ergreifender Macht ermöglichten und damit auf große Resonanz in krisenhafter Zeit stießen. Buber verweist in seiner Würdigung von Otto nicht zufällig auf diesen entscheidenden Punkt. Er ist Otto dankbar für dessen »tiefes Verständnis der Majestas« Gottes »in der hebräischen Bibel« (vgl. Das Heilige, Kap. 12 »Das Numinose im Alten Testamente«). Das Verhältnis zu Rudolf Bultmann gestaltete sich ungleich sachlicher. Einige wenige Briefe zwischen Buber und Bultmann sind dokumentiert: einer von Bultmann an Buber vom 20. November 1948 (B III, S. 184 f.) und zwei von Buber an Bultmann: vom 9. Oktober 1948 (B III, S. 181 f.) sowie vom 4. Mai 1949 (B III, S. 196 f.). Die Korrespondenz aber blieb so sachlich wie die Passage im Vorwort von Zwei Glaubensweisen. Doch bemerkenswert ist: Schon in seinem Brief vom Mai 1949 – mitten in der Arbeit an Zwei Glaubensweisen – hatte Buber diesem evangelischen Neutestamentler bestätigt, von ihm, Bultmann, unter den Theologen der Zeit »weitaus am meisten« für das Verständnis des Neuen Testamentes gelernt zu haben – und das »nun schon fast drei Jahrzehnte lang«. Zwar findet Bultmanns Protest von 1933 gegen die »Diffamierung« von Juden, den Buber für seinen »Offenen Brief an Gerhard Kittel« 1933 zu nutzen wusste, in den wenigen Dokumenten keine Erwähnung mehr, dürfte aber unvergessen sein (s. Kommentar zu »Offener Brief an Gerhard Kittel«, S. 391 ff.). Dagegen wird auf Schlüsselwerke Bultmanns in Zwei Glaubensweisen in Fußnoten immer wieder verwiesen, so auf Bultmanns bahnbrechende formgeschichtliche Untersuchung Die Geschichte der synoptischen Tradition (1931), auf sein Jesus-Buch (1926), auf seinen Kommentar zum Johannes-Evangelium (1941) oder seinen grundlegenden Aufsatz »Die Bedeutung des geschichtlichen Jesus für die Theologie des Paulus« von 1921. Eine kleine Kritik in einer exegetischen Spezialfrage bei der Interpretation einer Stelle im dritten Kapitel des Johannes-Evangeliums meldet Buber unter Verweis auf Kapitel 11 seines Buches an. Ansonsten zollt er der »Leistung eines deutschen Gelehrten im höchsten Sinn« öffentliche Anerkennung. Das hinderte ihn freilich nicht daran, in der von Bultmann 1941 angestoßenen Debatte um eine »Entmythologisierung«

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des Neuen Testamentes auf kritische Distanz zu Bultmann zu gehen, wenn auch nur in einem privaten Schreiben. An Karl Thieme schreibt Buber am 22. März 1954: »Übrigens: mit Bultmann könnte ich, wenn ich Christ wäre, nicht zusammengehn; ich möchte mir auch mein Judentum durchaus nicht entmythisieren lassen.« (B III, S. 368) Zwei Glaubensweisen wurde nach Bubers Tod erneut veröffentlicht: Es handelt sich um eine von Lothar Stiehm besorgte textkritische Ausgabe mit einem Nachwort von David Flusser (Gerlingen: Lambert Schneider 1994, 300 S.). Textzeugen: H1 : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, bet 43c); ein vollständiges Manuskript in Form eines Ringheftes im Umfang von 109 paginierten Seiten; von Bubers Hand eng beschrieben und flächendeckend korrigiert. H2 : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, bet 43); 9 paginierte Seiten; enthält das Vorwort. d1 : Teilabdruck (Kapitel 10): »Jesus und der ›Knecht‹«, in: Pro regno, pro Sanctuario – Een Bundel Studies en Bijdragen van Vrienden en Vereerders bij de zestigste Verjaardag van Prof. Dr. G. van der Leeuw, hrsg. von J. Kooiman und J. M. van Veen, Nijkerk: G. F. Callenbach 1950, S. 71-78 (MBA 836). D1 : Zwei Glaubensweisen, Zürich: Manesse 1950, 177 S. (MBB 830). D2 : Werke I, S. 651-782 (MBB 1193). Druckvorlage: D1 Übersetzungen: Englisch: Two Types of Faith, übers. von N. P. Goldhawk, London: Routledge and K. Paul 1951, 177 S. (MBB 857) und New York: MacMillan 1952, 177 S. (MBB 893); Two Types of Faith – A Study of the Interpenetration of Judaism and Christianity, Harper Torchbook 75, New York: Harper 1961, 177 S. (MBB 1162). Niederländisch: Twee wijzen van geloven, übers. von W. Wegeling, The Hague: Servire 1956, 136 S. (MBB 1021). Russisch: Dva obraza very, übers. von M. I. Levinoj, Moskau: Respublika 1995, 464 S. (in MBB nicht verzeichnet). Polnisch: Dwa typy wiary, übers. von J. Zychowicz, Kraków: Znak 1995, 223 S. (in MBB nicht verzeichnet).

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Variantenapparat: Vorbemerkung: Im gesamten Text wurde hinsichtlich der Zeichensetzung eine Änderung vorgenommen – die fußnotenbezogenen Indexzahlen, die im Erstdruck vor den schließenden Anführungszeichen erscheinen, werden diesen nachgestellt. 202,1, Der Gegenstand] Der erste Gegenstand H1 202,5 aber ihn selbst kennen wir nur in zweierlei Grundform.] aber ihn selbst kennen wir am Menschen nur in zweierlei Gestalt. Nach ihren reinsten geschichtlichen Erscheinungen nennen wir die zwei den Glauben des Juden und den Glauben des Christen. Das sind geschichtliche Kategorien, aber es geht hier nicht eigentlich um ihre Entstehung und ihre Wandlung, sondern dass sie geschichtlich sind, hat uns hier nichts anderes zu bedeuten als dass sie tatsächlich sind, dass es also im Gang der Menschengeschichte diesen und diesen Glauben wirklich gegeben hat. Sie sind uns freilich beide lediglich durch das Wort der einen und der anderen Glaubenden selber bezeugt. Es wäre sinnlos, sie an irgendwelchen besonderen historischen oder allgemein-psychologischen Sachverhalten nachprüfen zu wollen, und auch die Philologie kann uns nur die – freilich unentbehrlichen? – Hilfsmittel zu ihrem Verständnis liefern. Konstituiert wird dieses Verständnis durch die aus den Aufzeichnungen an unser Ohr dringenden Menschenstimmen des Glaubenszeugnisses. H1 202,5-205,10 Beide lassen sich von schlichten Tatsachen […] ebenso wie das frühe Christentum und das hellenistische Judentum wesentlich zusammengehören.] fehlt H1 202,6 anschaulich machen] unmittelbar verstehen H2 202,10 anerkenne.] anerkenne. (Mit »ich« sei hier ein Mensch bezeichnet, der im Vollbesitz gesunder Sinne und gesunden Verstandes ist.) H2 203,13 nun eine dieser beiden Glaubensweisen] eben dies H2 203,16 »Jemand« oder aber »Sachverhalt«] Gegenstand H2 203,26 Verschränkung] Tatsächlichkeit H2 203,40 entstieg] entspross H2 204,38-39 Seelenwelt] Mysterienreligion H2 204,40-41 , die ich in diesem Buche versucht habe,] fehlt D2 205,15 repräsentative] zulängliche H1 205,17 aber auch] fehlt H1 205,18-20, daß er von »hellenistischer« – d. h. vom spätgriechischen Eidos geformter zerfallsorientalischer – Religiosität herkam] dass er nicht von christlicher, sondern von »hellenistischer« Religiosität herkam H1 205,21-22 zu seiner Höhe] zu sich selbst H1 205,28 Christen] christliche Ketzer H1

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Kommentar

205,29-30 ein unbewußtes Gespräch mit dem echten Judentum] ein Gespräch mit dem Judentum H1 205,31-208,6 Die Betrachtung der Glaubensweisen in ihrer Verschiedenheit […] Die Arbeit daran hat mir geholfen, auch diesen Krieg, für mich den schwersten der drei, im Glauben zu überstehn.] fehlt H1 206,29 grundlegende] [gewichtige] ! entscheidende H2 208,2 des in ihm ausgebrochenen Chaos] des in ihm ausgebrochenen mörderischen Chaos H2 208,5 auch diesen Krieg] den unaussprechlichen Sinn des scheinbar in allen Belangen Sinnwidrigen zu erfahren und so auch diesen Krieg H2 209,8 (nach alttestamentlichem Vorbild)] fehlt H1 209,8 auf den zwei Motivworten] fehlt die darauffolgende Fußnote H1 213,8 an wen] an wen [oder was] ! woran H1 213,34 dem »Evangelium« glauben] an das »Evangelium« glauben H1 214,8 die von Urbeginn bestehende, aber bisher latente Königsherrschaft Gottes] die bisher verborgene Königsherrschaft Gottes H1 214,33 ; vgl. Mt 11, 12] fehlt samt der darauffolgenden Fußnote H1 215,12 die Umkehr] fehlt die darauffolgende Fußnote H1 215,14 aus einem Urverhältnis zur Gottheit] aus einem nun je und je aktualisierten Urverhältnis zur Gottheit H1 216,15 »glaubet« (»vertrauet«)] »glaubet, vertrauet« H1 217,9 besonders] ganz besonders H1 217,11 auf das Nahen des Gottesreichs hin] auf den Kairos hin H1 217,11 zu ihm] zum Kairos H1 218,11 zwischen der Existenz Gottes] zwischen göttlicher Existenz H1 218,20 zur Messianität] [zur messianischen Tatsache] ! zur Messianität H1 218,25-26 ernst zu nehmen geneigt ist] ernst nimmt H1 219,1-2 sondern offenbar auch keinen um ihn wissenden Freund hat,] sondern auch keinen Freund hat, den er ansehen? könnte, H1 219,5 aus der die Antwort geschöpft werden kann] aus der allein die Antwort geschöpft werden kann H1 219,36-38 wo sie zu finden ist, geht es durchaus oder doch weitaus überwiegend um das Vertrauen und Glaubenschenken] wo sie vorkommt, geht es durchaus oder doch weitaus überwiegend um das Vertrauen und Glaubenschenken (wem man vertraut, dem glaubt man natürlich auch, was er sagt) H1 219,40-220,1 , ohne daß diesem Glaubenschenken hier wie dort jene schicksalhafte Prägnanz zugeschrieben würde, die wir in den Johanneischen Aussagen finden] fehlt H1 220,8-9 zu einem echten philosophischen Ausdruck israelitischen Glaubenslebens erhebt] fehlt die darauffolgende Fußnote H1

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220,21 dogmatisch] fehlt H 220,22 im Mittelalter] im christlichen Mittelalter H1 220,23-24 – nur daß die Formeln bei ihm nie ins Zentrum gerückt sind –] fehlt H1 221,3 Ex 4, 31] berichtigt aus Ex 3, 31 221,9 von neuem] von neuem, doch wieder ohne Pathos, H1 221,17 zu dessen Aufnahme] zu deren Aufnahme D2 221,22 für den Verfasser der Epistel] fehlt H1 221,25 zu ihrer Stunde] an ihrem Platze H1 221,31-32 miteinander verknüpft] (mehr in der verbalen als in der substantivischen Fassung) verknüpft H1 221,34-35 mit dem er vertraut ist] mit dem er [(im Sinn des alttestamentlichen »Kennens«)] vertraut ist H1 222,24-25 daß Gott nicht gegenwärtig sei, daß er sich um die Erde nicht kümmere] dass Gott sich um die menschlichen Geschäfte nicht kümmere H1 222,Anm. 18] Vgl. z. B. Ps 10,4 mit anderen Psalmstellen ähnlicher Sprachform H1 223,13-14 spiritualere] spirituale D2 223,31-32 den er gesandt hat.«] den er gesandt hat.« [Wer nicht »an« diesen glaubt, dass heisst implizit, wer nicht glaubt, dass er ihn gesandt hat, verfällt, statt das ewige Leben zu »haben«, Gottes »bleibendem Zorn« (3, 36).] H1 224,19-21 aber keinen, der zu seiner Wirklichkeit nur des Raums der Seele und nicht vielmehr des ganzen Raums des Menschenlebens bedürfte.] aber keinen, der nicht [schon Aktualität wäre] ! gelebt wäre. H1 224,23 Das alttestamentliche Paradigma] Das grosse alttestamentliche Paradigma H1 225,8-9 am fühlbarsten] am fühlbarsten [und wirksamsten] H1 225,14 das Ende seines Seins] das Ende seines Daseins H1 226,18-19 Urheber] Stifter H1 226,31-33 , so gesagt bekam, daß es sein Verständnis des Originals zutiefst beeinflußte] fehlt H1 226,Anm.] anstatt der Fußnote eine Parenthese im Haupttext (Es ist der Singular zu lesen, dem vorhergehenden Vers entsprechend) H1 227,11 wird).] wird); nur das von zedek abgeleitete Verb geht als formales Bewähren, d. h. als Rechtfertigen, in die Gerichtssprache ein. H1 229,9 Täter der Gesetzeswerke] Gesetzestäter H1 229,10 mit der Uebersetzung] mit einer sonderbaren Fehlübersetzung H1 229,11-12 einer Tradition folgend, für die wir auch andere Zeugnisse besitzen,] fehlt H1

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229,14 so gefaßt] umgeprägt in H 230,34 in der vorchristlichen Aera] in der Ära des Gesetzes H1 231,14 in einer wunderlichen Verquickung] in einer wunderlichen, durch rabbinische X nicht hinreichend erklärten Verquickung H1 231,34 eine andere Lesart gewählt] sich mit einem Sprung in die Konjektur geholfen H1 232,20-22 Man vergleiche den Gottesspruch bei Jeremia (31, 33), es solle dereinst die Thora Gottes Israel ins Herz geschrieben werden. Seltsame Pfade der paulinischen Stunde und ihrer Werbung!] Seltsame Dialektik der Stunde und der Werbung! H1 233,2 das »Gesetz«] das Gesetz, als Gottes Gesetz an sie, H1 233,13 seien] stünden D2 233,16 im masoretischen Text] im Original die darauffolgende Fußnote fehlt H1 233,16-17 also seien die ersteren mit den letzteren identisch: es kann eben niemand alles tun] er identifiziert also die einen mit den andern: es könne eben niemand alles tun D2 234,15-16 Hinweisung] fehlt H1 235,26-27 Die Anfänge […] gehen] berichtigt aus Die Anfänge […] geht 235,30-31 seines entscheidenden Sinns beraubten Opferdienst] alles Sinns entleerten Opferdienst H1 236,17 in seinem Streben nach Vollkommenheit] folgt eine Fußnote Bultmann (Jesus 111) versteht das Adjektiv: treu und gerade, geht dabei aber vom alttestamentlichen, nicht von dem im Schrifttum des Zeitalters Jesu vorherrschenden Sinn aus. H1 236,23-25 sie ist in Israel – zum Unterschied etwa von griechischer Philosophie und islamischer Mystik – eine wesentlich eschatologische Konzeption.] sie ist hier – zum Unterschied etwa von griechischer Philosophie – eine ausschliesslich eschatologische Konzeption. H1 236,33-237,3 In dieser Form deckt sich der Spruch fast wörtlich mit dem bekannten pharisäischen, der von der Nachahmung Gottes (b. Schabbat 133 b, jer. Pea 15 b) handelt: »Wie er barmherzig und gnädig ist, sei du barmherzig und gnädig.« –] In dieser Form deckt sich der Spruch mit dem bekannten frührabbinischen, der von der Nachahmung Gottes handelt: H1 237,6-7 Von der Vollkommenheit in einem ganz andern Sinn handeln alttestamentliche Gebote.] Auch von der Vollkommenheit oder doch von ihr Nahem handeln alttestamentliche Gebote, jedoch wieder mit anderem Grundgehalt. H1 237,16 (ungeteilt)] fehlt H1 237,18-19 sondern von der Vollständigkeit, Ungeteiltheit, Ganzheit im

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Umgang mit Gott] sondern, in demselben Bild der Nachahmung Gottes, von der Vollständigkeit, Ungeteiltheit, Ganzheit im Umgang mit ihm H1 237,24 wie es erst in ihr dem Menschen möglich gemacht wird.] gemacht wird. (Die dem Spruch Jesu scheinbar sehr nahe agadische Auslegung des Deuteronomiumspruchs ist doch auf ganz anderes gerichtet: dass der Mensch nur »mit« Gott, nicht von sich selbst aus, »ganz« werden kann.) H1 238,4 der frühen Christenheit] der palästinensischen Urgemeinde H1 238,Anm. 34 Wenn man »das Erfüllen« recht versteht, […] als einen biographisch durchaus tragbaren zu ergeben.] fehlt H1 238,30-31 Es soll damit freilich kein Einfluß behauptet werden;] Das soll freilich keine historische Aussage sein, H1 239,35 und dessen Besinnen] fehlt H1 239,36-240,11 Das Einbildungsspiel der Sünde wird sogar (b. Joma 29 a) für bedenklicher als die Sünde selber erklärt, […] dürfte das Lehrhaus betreten.] Darum wird zu dem Schriftvers (Num 5,6) »Ein Mann oder ein Weib, wenn sie etwas tun werden von allen Versündigungen des Menschen, Untreue zu üben an JHWH« vermerkt, es heisse nicht »wenn sie getan haben«, sondern »wenn sie tun werden«, um zu lehren, dass das Planen der Sünde die Untreue zu Gott ist. Das Besinnen der Übertretung wird sogar für schwerwiegender als die Übertretung selber erklärt hJoma 29ai, denn jenes ist es, was die Seele Gott entfremdet. Das im Sinne der Vorschriftsausführung tugendhafteste Verhalten kann mit einem richtungslos gebliebenen oder gewordenen, mit einem wüsten oder verwüsteten Herzen zusammenbestehn. Aber es kann sogar geschehn, dass einer in seiner Gottesbegeisterung ein Gebot übertritt, ohne dessen inne zu werden, und dann ist nicht die sündhafte Materie seiner Handlung, sondern seine Intention das Entscheidende: »Grösser ist die Übertretung um der Sache Gottes willen als die Gebotserfüllung, die nicht um der Sache Gottes willen geschieht.« hNasir 23bi Naturgemäss kann, wer ein solches Herz hat, andere nicht wahrhaft die Thora lehren: er kann nicht lehren, die Richtung zu gewinnen, und ohne sie ist der Mensch unfähig dazu, wofür alles Lernen von Menschenmund nur die Bereitung ist: sein Herz der lebendigen Stimme des göttlichen Lehrers zu öffnen. Daher liess der Patriarch Gamaliel II. ausrufen hBer 28i, kein Gelehrter, dessen Inwendigkeit seiner Auswendigkeit nicht gleiche, dürfe das Lehrhaus betreten. H1 241,9-11 gegen die Ehescheidung (der sachlich übrigens mit der strengen

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Auffassung der Schule Schammais übereinstimmt)] gegen die Scheidung H1 241,15 Lk 16] berichtigt aus Lk 19 242,11-12 (in seiner Sprachform ja auch rabbinischer Diskussion vertrautes)] fehlt H1 242,31 Lev 19, 18] berichtigt aus Lev 10, 18 243,19 nicht vorschreiben] nicht vorschreiben (die einzige Ausnahme im Alten Testament, Hosea 3,1, muss im Zusammenhang der merkwürdigen Begebenheit zwischen Gott und seinem Propheten verstanden werden; sie bedeutet: Liebe die Unwürdige weiter, du darfst sie lieben, denn meine Liebe zum unwürdigen Israel stellt sich darin dar) H1 245,23-24 Offensichtlich geht Jesus von einem Bedeutungswandel aus, der sich an dem Nomen vollzogen hatte.] Offensichtlich geht Jesus, der ja die Schrift nicht in der griechischen Übersetzung las [und zitierte], zwar nicht von dem Begriff des »Nahestehenden«, wohl aber doch von einem Bedeutungswandel aus, der sich an dem Nomen vollzogen hatte. H1 245,36-37 von pharisäischer Seite] von pharisäischer Seite, wenn auch zu Unrecht, H1 246,2 jer. Nedarim IX 4] berichtigt aus jer. Nedarim 41c 246,29-30 Leugnung seiner Gegenwart] Leugnung seiner Existenz H1 247,16-17 im Zeichen des Kairos] fehlt H1 248,11 Sklaven] Knechte H1 248,16-18 »Wenn du seinen Willen tust, ist er dein Vater und du bist sein Sohn, wenn du ihn nicht tust, ist er dein Besitzer und du bist sein Sklave.«] »Wenn du den Willen deines Vaters tust, bist du sein Sohn, wenn du ihn nicht tust, bist du sein Knecht.« H1 249,1 von Führern chassidischer Gemeinden] von »Bewährten« H1 249,18 einen ihrer Hochflüge] ihren letzten Hochflug H1 251,23 Satan] »Gottes der Welt« H1 252,23 Der gnostische Charakter] Der gnostische, richtiger prognostische Charakter H1 253,12 an der paradigmatisch zu erkennen gegeben wird,] an der die Katastrophe Überlebenden paradigmatisch erkennen sollen, was zu erkennen gegeben wird: H1 254,8-9 dem zum Boten Berufenen bedeuten,] dem aus eigenem Angebot (dies als einziger unter allen Propheten) zum Boten bedeuten, H1 255,Anm. 46] fehlt H1 256,1-2 als dem Volke deshalb in diesem Wortlaut »gegeben« verstanden sein,] als erst in dieser Zeit dem Volke übergeben verstanden sein und zwar als deshalb ihm nunmehr in diesem Wortlaut »gegeben«, H1

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256,16 bei Ezechiel] bei Ezechiel – den in den Kanon aufzunehmen man bekanntlich seiner mannigfachen Problematik wegen gezögert hat – H1 256,30 V. 32] berichtigt aus V. 37 256,32 , in dieser Welt nicht die seine] fehlt samt der darauffolgenden Fußnote H1 ; fehlt die mit * ausgezeichnete Anmerkung zur Fußnote D2 257,6-7 die Umkehr gewährt] zu ihrer Zeit die Umkehr gewährt H1 257,17-19 wo nun der Philosophengott, die »Vernunft«, vermöge seiner »List« die geschichtlichen Gewalten zwingt, unwissend seine Vollendung zu betreiben.] wo nun der Philosophengott, die »Idee«, vermöge seiner »List« die kosmischen und geschichtlichen Gewalten zwingt, unwissend im authentischen Dienst seine Vollendung zu betreiben. H1 258,31-259,1 Lischmah heißt: um der Sache selber willen. […] Alles kommt darauf an, daß das Gebot um des Gebietenden willen, ihm zuliebe, in der Tat aus der Liebe zu ihm und in der Liebe zu ihm geschehe.] Lischmah heisst: um der Sache willen; gemeint ist: um der Sache Gottes willen, weshalb statt lischmah auch lischmo, um seinetwillen, um Gottes willen, gesagt wird. Alles kommt darauf an, dass das Gebot um des Gebietenden willen, ihm zu Liebe, in der Tat aus der Liebe zu ihm und in ihr erfüllt werde. H1 259,20 die völlig Gerechten] die vollkommen Bewährten H1 259,32 gelangen« (b. Berachot 17 a).] gelangen hb. Berachot 17 ai: was gnadenlos begann, des hat sich nur die Gnade angenommen. H1 259,36 die unverstellte Absicht des Offenbarers] die Intention des Offenbarers H1 259,41 Mk 2, 17 Parr.] berichtigt aus Mk 1, 17 Parr. 260,3 dieser Spruch] der vielumstrittene Spruch H1 260,Anm. Richtig scheint mir hier die Formulierung R. Ottos (Reich Gottes und Menschensohn 87): »Nur mit Aufbietung aller ›Gewalt‹ in gespanntester Entschlußkraft dringt man hinein.«] fehlt H1 261,10 weitergegeben] weitergegeben (es ist ein Zeugnis der innersten religiösen Vitalität X, wenn noch ein Kirchenvater berichtet, er habe einen gekannt, der habe einen gekannt, der habe den Herrn gekannt) H1 261,12-13 die Ahnung der Endzeit] die Ahnung der letzten Stunde H1 262,9-15 ein Daß-Glaube im prägnanten Sinn; […] sondern sie grundlegend zu ändern bestimmt ist.] ein Dass-Glaube im genauesten Sinn; ungleich genauer als in jeder Frage, was Jesus sei, geht es hier um das irdisch Faktische: ob nämlich ein zu glaubender Vorgang sich im Erdenraum ereignet hat oder nicht. fehlt die dazugehörige Fußnote H1 263,27 nachzuwirken scheint] nachwirkt H1

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263,29 in seiner pharisäischen Mehrheit] überwiegend H 263,33-34 , weil in ihnen das Entscheidende, der Wiederaufstieg aus der Verfallenheit an die unterirdische Sphäre, fehlt] fehlt H1 264,Anm.] fehlt H1 264,13 Instanzen] Sphäre H1 264,21 als Menschgott] als solch einen H1 264,33-265,5 Aber das Motiv der Entrückung führt uns auf etwas noch Gewichtigeres hin, […] zur Klärung des Problems beizutragen geeignet.] fehlt d1 265,9 wohl] gewiss H1 265,Anm. 58] fehlt H1 266,1-3 als den Propheten der kommenden Basileia und als die ihr bestimmte menschliche Mitte zugleich] als den Propheten der Basileia und als ihre menschliche Mitte zugleich H1 266,5-7 daß die ihm heute gegebene Macht nicht die ist, die dem Werk des Reichsmittlers zureicht.] dass die Macht, die ihm heute gegeben ist, nicht die des Reichsmittlers ist. H1 266,11-12 braucht trotz dem legendären Charakter der uns vorliegenden Erzählung nicht angezweifelt zu werden] sollte nicht angezweifelt werden H1 266,16-18 scheint mir auf eine echte, wenn auch nicht mehr rekonstruierbare Tradition zurückzugehen.] hat das Gepräge der echten Jesusgleichnisse. fehlt die darauffolgende Fußnote H1 266,27-28 von »seinen Toden«] folgt eine Fußnote Einen überlieferten Text so schwieriger Art, bei dem die Überlieferer sich sichtlich »etwas gedacht haben«, zu verstehen ist eine dem Exegeten gewordene Aufgabe, der durch Emendationen auszuweichen gegen das philologische Gewissen gehen sollte. H1 267,Anm. 62 Dieser ist nicht offiziell rezipiert, wohl aber später, als er drohte volkstümlich zu werden, durch jene vulgär-messianologische Deutung bekämpft worden.] fehlt H1 , d1 267,20-21 – dem masoretischen Text nach, der nicht angezweifelt zu werden braucht –] fehlt H1 268,4 Wenn, wie vielfach angenommen wird] Wenn, wie längst vielfach angenommen wird hfolgt eine Fußnote Vgl. insbesondre Schweitzer a. a. O. 89 ff.i H1 268,19 Der Pfeil im Köcher ist nicht sein eigner Herr] Der Pfeil im Köcher ist nicht sein eigen H1 268,21 von Jesus] fehlt d1 268,22 eingetan] ergänzt (Markus 8,30) D2 269, Anm. Daß Schmidt übrigens zu Klausners Aeußerung, Jesu Ver-

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urteilung stehe »nicht im Einklang mit dem Geist der Pharisäer«, bemerkt: »Klausner, der als Jude in einem gewissen Sinne pro domo zu reden nicht vermeiden kann«, ist bedauerlich. Wenn christlicher und jüdischer Forscher einander, auch wo es um diesen Gegenstand geht, nicht zuzubilligen vermögen, daß durchaus pro veritate geredet wird, geraten wir bedenklich zurück.] fehlt d1 271,3-4 frühere leidensreiche Propheten] frühere Propheten mit ihrem Martyrium H1 271,16 Dt 17, 15] berichtigt aus Dt 17, 16 271,40 von Anbeginn] vorher H1 272,5 der Präexistente] der Präexistente, der Sohn, H1 272,16-273,6 Hier scheint mir, […] Von hier zur Vergottung war nur ein letzter Schritt zu tun.] fehlt d1 274,3-4 So weiß Jesus sich als ein taugliches Lehrmittel] So ist er ein taugliches Lehrmittel H1 276,12-13 erst »von oben gezeugt« werden] erst »von oben gezeugt« werden [(diese Bedeutung waltet in der gegenwärtigen Fassung vor, aber offenbar nicht in der ursprünglichen, wo eben das »von oben erzeugt werden« unmittelbar und unabgelenkt auf das »von Gott kommen« der Frage Bezug nahm und entgegnete)] H1 276,17-18 wer aus Wasser und Geist erzeugt worden ist] wer aus Wasser und Geist [geboren (ursprünglich erzeugt)] ! erzeugt worden ist H1 277,18-19 als Begabung mit neuer Zeugungskraft) zu einer »neuen Kreatur« »gemacht« oder »geschaffen«] als Begabung mit neuer Zeugungskraft), Mose in der Stunde der Entsendung (zur Begabung mit der ihm fehlenden Redekraft), der Priester in der Stunde der Salbung zu einer »neuen Kreatur« »gemacht« oder »geschaffen« H1 278,12 Flut] Potenz H1 278,20 jenes Geist-Wind-Gleichnis] jenes vergängliche Geist-WindGleichnis H1 278,24 ein Widersinn] eine Unmöglichkeit H1 278,32-35 und hier zur Neuschöpfung des berufenen Menschen über dem Taufwasser des Jordans. Sie, die Ruach Gottes, ist es, die je und je, von ihm entsandt, die Menschen wiedererschafft und das Antlitz der Erde erneuert (Ps 104, 30). Von ihr heißt es nun] und hier über dem Taufwasser des Jordan, wo es, wie der Täufer es fasst, Gott darum geht, durch die Wirkung seiner Ruach Steine zu Kindern Abrahams umzuschaffen. Von dieser Ruach heisst es nun H1 279,25 getrieben wird] getrieben wird (Mk 1,12, vgl. Mt 4,1, wogegen ihn bei Lukas 4,1 der Geist, der auf ihn niederfuhr und dessen er nun »voll« ist, anscheinend von innen her treibt) H1

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280,19 Himmel] Heil H 280,29-30 daß man ihn zum Gegenstand eines Glaubens mache] Gegenstand eines Glaubens zu werden H1 281,18 außer durch mich«.] außer durch mich«. Wohl mit Recht zieht ein Kommentar hfolgt eine Fußnote Walter Bauer z. St.i den Satz heran: extra ecclesiam nulla salus. H1 282,23 im Sinn des christlichen Dogmas] fehlt H1 283,3 I Joh 1, 2] berichtigt aus I Joh 1, 1 283,28 Nötigung] Zwang H1 284,13-14 , solcher Liebe des ganzen Herzens, des ganzen Lebensgeistes und der ganzen Wesensmacht (V. 5)] fehlt H1 286,11 den Gottescharakter] die Gottheit H1 286,35 gerungen.] gerungen. Dennoch hat sich Marcion, als er Schöpfergott und Erlösergott, den Gott des Aus-dem und den Gott des Zuihm-hin, ewigkeitlich voneinander zu scheiden unternahm, nicht zu Unrecht auf den Heidenapostel berufen. H1 287,25 bedeutet.] bedeutet, eins, das von keiner Christologie überboten werden kann. H1 288,10-12 wie Furcht, die nicht in der Liebe mündet, so ist Liebe, die nicht die Furcht einbegreift, nur eine der Arten] wie Furcht ohne Liebe, so ist Liebe ohne Furcht nur eine der Arten H1 288,13-14 in dem er nicht selber, durch die Macht seiner eigenen Liebe, die Liebe zu ihm erweckt] in dem er nicht durch seine eigene Liebe zu ihm die Liebesantwort erweckt H1 289,13 Jer 31, 3] berichtigt aus Jer 31, 2 289,29-30 Rm 11, 29] berichtigt aus Rm 1, 29 292,28 ins Dunkel, das über den Sinn der Vorgänge gelegt ist] ins Dunkel der erinnerten Erfahrung vor H1 292,32-34 Diese Wiedergeburt des Gottvertrauens hat im zweiten Reich […] ihre wesentliche Lebenssubstanz bereits eingebüßt.] Diese Wiedergeburt des Gottvertrauens wird im zweiten Reich durch den Versuch seiner blossen Wiederherstellung verdrängt. H1 294,21 mit einer urpersönlichen, erschütternden Selbstbesinnung] mit urpersönlichen Erfahrungen H1 295,5-6 Selbstbesinnung] Selbsterfahrung H1 295,23 zu Paulus’ gnostischer Weltsicht] zu seiner prognostischen Weltsicht H1 299,24-25 denn »die Tore der Umkehr werden nie geschlossen« (Midr. Tehillim zu Ps 65)] denn es »öffnet allen das Tor zu jeder Stunde« H1 300,9 charakteristisch für ihn«.] charakteristisch für ihn«. Für die Echtheit des Grossteils scheint mir zu sprechen, dass die Gemeinde in

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einem in ihr entstandenen Gebet Christus doch wohl nicht ungenannt gelassen hätte. H1 301,13-14 der großen altindischen, altpersischen, babylonischen, ägyptischen] der großen altindischen, babylonischen, ägyptischen, frühgriechischen H1 301,22-23 in eine nicht mehr mit dem Weltraum koordinierbare Nähe] in eine nicht mehr in die Welt einstellbare Nähe H1 301,30-31 diese Bitten] ihr Anliegen H1 302,22-23 »Die Tore des Gebets werden nie geschlossen« (Midr. Tehillim zu Ps 65)] Die Tore sind offen zu jeder Stunde H1 302,26-28 Denn Gott spricht: »Ich weise kein Geschöpf zurück, keinen, der mir in der Umkehr sein Herz gab« (Midr. Tehillim zu Ps 120).] fehlt H1 302,31 wurde und wird.] wurde und wird. Er soll in der messianischen Zeit seinem Ursinn nach erfüllt, nicht aber erst neu gestiftet werden, denn er hat nie aufgehört zu bestehen. H1 303,15-16 wiederhergestellt werde.] wiederhergestellt werde. Aber er schweigt auch, wovon die Apokalyptiker melden, von Kampf und Sieg derer, die der Sünde widerstanden, und von dem Heil, das Gott dem Sieger schenkt. H1 304,2-3 daß der Mensch sich zu ihm und an ihn in solcher Unmittelbarkeit wende.] dass der Mensch in solcher Unmittelbarkeit sich zu ihm und an ihn wende, wie sie nur dem wahrhaft Betenden ersteht. H1 304,7 II Kor 12, 7 f.] berichtigt aus II Kor. 12, 8 f. 304,33-34 unabwendbarer Gewalten] unanredbarer Gewalten H1 305,22-23 »das Gesetz selbst fordert die göttliche Reaktion«] das Gesetz fordert von Gott, dass er seine Ehre nicht antasten lasse H1 310,1 volksgeschichtlicher] bekanntlich volksgeschichtlicher H1 310,3 in den Lebenserfahrungen] in den Geschichtserfahrungen H1 310,8 schon zur Zeit der »Väter« als Führung,] fehlt H1 310,24-25 keine seelische Grundlage] keine Grundlage H1 311,10-11 dem Als-wahr-annehmen und Als-wahr-anerkennen eines verkündigten Satzes] dem Fürwahrhalten eines Satzes H1 311,16 Kenntnisnahme eines Soseins] Besinnung und Bejahung eines Soseins H1 311,36 differierte] schlechthin differierte H1 312,2-3 sich gegen die Bestimmungsmacht] sich autonom gegen die Bestimmungsmacht H1 312,19 aus den Exilen der »Religionen«] aus den Exilen der »Religionen« und »Konfessionen« H1

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Kommentar

Wort- und Sacherläuterungen: 204,37 nichtnoetischen] nicht die eigene geistige Herkunft betreffend 205,19 Eidos] griech. »das zu Sehende«; Bezeichnung für Gestalt, Form, Aussehen; Gegenbegriff zur Materie. 206,31 Denkschrift über Joh 3] Einer Anmerkung Bubers zufolge (s. Zwei Glaubensweisen, Kap. 11) dürfte es sich bei der »Denkschrift« um eine private Mitteilung Bultmanns an Buber handeln, und zwar »lange vor der Veröffentlichung« von Bultmanns Kommentar zum JohannesEvangelium, der 1941 erschien. 207,2-5 als wir […] mit zwei eher unphilosophischen Vorträgen über religiöse Wirklichkeit die Tagung einer philosophischen Gesellschaft in Frankfurt am Main eröffneten.] Bei den erwähnten Vorträgen handelt es sich wahrscheinlich um dasselbe Thema, das in einem Brief Bubers an Albert Schweizer vom 1. Juli 1928 Erwähnung findet. Dort schreibt Buber: »Die ›Gesellschaft für geistigen Aufbau‹ in Karlsruhe wandte sich vor kurzem an mich mit der Anfrage, ob ich im Herbst dieses Jahres dort eine öffentliche Tagung des ›Kreatur‹-Kreises und der ihm Nahestehenden veranstalten und leiten wolle; als Thema wurde mir das Problem der religiösen Wirklichkeit vorgeschlagen. Das letztere lehnte ich ab; dagegen erklärte ich mich nach Rücksprache mit einigen Freunden grundsätzlich bereit, eine Tagung über das Thema ›Wirklichkeit und Verantwortung‹ – das an den verschiedenen Gebieten des gegenwärtigen Lebens als Frage und Aufgabe aufzuzeigen wäre – einzuberufen […]. Der erste, an den ich in diesem Zusammenhang dachte, waren Sie; Sie haben für mich ja seit langem in eben der Richtung, die ich meine, etwas Exemplarisches.« (B II, S. 319) Schweizer, der zwischen 1927 und 1929 auf Europareise war und am 28. August 1928 den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt a. M. entgegennahm, sagte die Veranstaltung in Karlsruhe jedoch wegen Überarbeitung ab. 207,5-6 Buch über die Mystik des Apostels Paulus] Albert Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1930. 210,25 Geschichte von Simon dem Magier] Simon Magus, 1. Hälfte des 1. Jh. n. Chr., gemäß den christlichen Quellen von seinen Anhängern als die »Große Kraft«, d. h. die fleischgewordene Gottheit verehrt. Zur Untermauerung der eigenen Göttlichkeit soll er erstaunliche Wundertaten vollbracht haben (vgl. Apg 8,9-11). Hinsichtlich seines Todes wird von einem Wunderwettstreit in Rom zwischen ihm und Petrus berichtet, während dessen er sich in die Luft erhoben haben, dann aber zu Boden gestürzt sein soll. 210,29-30 ein naiver moderner Dichter hat […] darlegen wollen] Gemeint ist Goethe und dessen Faust (1808), in dem die Legende um

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den Alchemisten und Astrologen Johannes Faust (ca. 1480-1539) literarisch verarbeitet wird. Der Begriff der »naiven« Dichtung geht auf Schiller zurück (Über naive und sentimentalische Dichtung, 1795/96). Schiller zählte zu dieser Richtung u. a. Goethes Werke. 213,26 »Kehret um, denn die Königschaft Gottes ist genaht.«] Mt 3,2; 4,17. 213,29-31 »Erfüllt ist die gesetzte Zeit und genaht die Königschaft Gottes. Kehret um und glaubet an die Botschaft«] Mk 1,15. 214,31-32 Kairos] griech. »der rechte Augenblick«; in der Bibel Bezeichnung für einen von Gott gegebenen Zeitpunkt, für eine besondere Chance und Gelegenheit zur Erfüllung des Auftrags. 214,35 Basileia] griech. »Königtum«, »Herrschaft«, »Reich«; im Neuen Testament Bezeichnung für die Gottesherrschaft als Inbegriff der Verkündigung Jesu (vgl. Mk 1,15). 215,22 im Schilfmeerlied] Ex 15,1-18. 216,2-3 in der Epoche nach dem Zusammenbruch] Gemeint ist die Zeit des Babylonischen Exils, begonnen mit der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Ersten Tempels im Jahr 598 v. Chr. durch den babylonischen König Nebukadnezar II. und geendet mit der Eroberung Babyloniens durch den Perserkönig Kyros II. im Jahr 539 v. Chr. 218,13-14 das in den Worten des Psalmisten an »seinen« Gott gerichtete »Warum?«] Ps 22,2. 218,16-17 daß aber wie Markus so auch Matthäus sie aufnahm] Mk 15,34; Mt 27,46. 219,10-12 in einem einfachen Aussagesatz, der mit »Du bist« […] beginnt] Mt 16,16; Mk 8,29; Lk 9,20. 220,22 sein Credo] lat. »ich glaube«; gemeint sind hier die dreizehn Glaubensgrundlehren des Judentums, formuliert von Maimonides in dessen Kommentar zum Mischna-Traktat Sanhedrin X. Sie betreffen u. a. die Existenz, Einheit und Ewigkeit Gottes, den Propheten Mose und die Thora als göttliche Offenbarung. 220,26-28 keine andere Art von Bekenntnis als die Proklamation […], die »unserem« Gott die Alleinigkeit und Ausschließlichkeit zuspricht] Dtn 6,4. 220,29-30 »Es ist wahr, daß der Gott der Welt unser König ist.«] Ex 15,18. 223,28 Speisung der Fünftausend] Joh 6,1-15. 231,19-20 »Denn Christus ist das Ende des Gesetzes, jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit.«] Röm 10,4. 231,37-38 »Wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist«] Joh 6,69. 237,31-33 wenn der Talmud […] König Jannai, den Sadduzäer, zu seiner

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Kommentar

Frau sagen läßt] Alexander Jannäus, hasmonäischer König von Juda und Hohepriester (103-76 v. Chr.) und dessen Thronnachfolgerin Salome Alexandra, Königin von Judäa (76-67 v. Chr.). 238,Anm. 33 a d q u o s d a m , n o n a d o m n e s ] lat. »an einige, nicht an alle«. 238,Anm. 33 der judenchristlichen Grundschrift der Klementinen] Anspielung auf die in der Forschung so genannten »Pseudo-Klementinen«. Es handelt sich um einen Brief und einen Roman aus dem Geist judenchristlicher Theologie aus der Frühzeit der Kirche, die Clemens (ca. 50-97/101), dem dritten Nachfolger des Petrus als Bischof von Rom, zugeschrieben werden. 239,20 Gelehrtenschule von Jabne] gegründet unter der Führung von Jochanan ben Sakkai nach der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 n. Chr., aufgelöst nach dem Bar Kochba-Aufstand 135 n. Chr.; das geistige Zentrum der jüdischen Erneuerung, welches das Überleben des Judentums in der nachstaatlichen Periode durch die Neudefinition der religiösen Praxis sicherte, u. a. durch die Festlegung des Kanons der Hebräischen Bibel. 240,28 Talion] lat. talio = »Vergeltung«; Recht der Vergeltung, demzufolge das Verhältnis zwischen dem Opfer und dem Täter nach dem Grundsatz streng gleicher Ersatzforderung für den angerichteten Schaden wieder ins Gleichgewicht gebracht werden soll. 241,11 Schule Schammais] eine pharisäische Schulrichtung, die auf Rabbi Schammai (um 50 v. Chr.-30 n. Chr.) zurückgeht. Schammai galt neben Rabbi Hillel als eine der wichtigsten Autoritäten des Judentums vor der Tempelzerstörung 70 n. Ch. Ihre Aussagen das Religionsgesetz betreffend werden im Talmud oft einander gegenübergestellt, wobei die Auslegungspraxis Schammais strenger und konservativer ist als diejenige Hillels. 247,27-29 »Liebet eure Feinde […] und betet für eure Verfolger, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet.«] Mt 5,44 f.; vgl. Lk 6,27 f. und Röm 12,14. 253,19 Hexateuch] die ersten 6 Bücher der Bibel: 5 Bücher Mose und das Buch Josua. 257,15-17 In unserem Zeitalter hat ein Philosoph, Hegel, die paulinische Konzeption […] in das System verpflanzt] Gemeint ist Hegels System der Wissenschaft. Erster Teil, die Phänomenologie des Geistes (1807). 259,41 Parr.] Die Abkürzung verweist darauf, dass es zur genannten Bibelstelle Parallelstellen in den anderen synoptischen Evangelien gibt. 261,28 Mirakelgeschichte] Gemeint ist das Wunder der Sturmlegung durch Jesus (Mk 4,35-39).

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263,10-12 das Bild einer Entrückung also, analog den im Alten Testament von Henoch und Elias, später auch von Moses und anderen erzählten] s. zu Henoch: Gen 5,24 und Hebr 11,5; zu Elias: II Reg 2,1-18; zu Moses’ Tod: Dtn 34,5 f. 265,8 vaticinia ex eventu] lat. »Weissagung vom Ereignis her«; Einfügung einer Vorhersage in einen Text, nachdem der Verfasser um das Geschehene bereits wusste. Die Prophezeiung wird in der wiederzugebenden Ereigniskette vor dem Auftreten des betreffenden Ereignisses eingeführt, so dass dieses als in einer Vorausschau verkündet erscheint. 270,1-2 beidemal im Zusammenhang mit großen Volkskrisen und Leidenszeiten] Gemeint ist zum ersten die Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch die Babylonier 586 v. Chr. und das danach einsetzende Babylonische Exil und zum zweiten die Fremdherrschaft der Seleukiden in Judäa im 2. Jh. v. Ch., während der der Tempel geplündert und die jüdische Lehre verboten wurde. 270,25 Kyros] Kyros II., persischer König von etwa 559 bis 529 v. Chr.; die nach seiner Eroberung des babylonischen Reiches im Jahr 539 v. Chr. einsetzende Rückkehr der Juden aus dem Exil und die Wiederaufnahme des Tempelkultes wird auf ihn zurückgeführt. 271,31-32 so äußert sich hier die Wandlung im Buche Daniel] s. Dan 7,13: »Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht.« 275,12-14 Ein Pharisäer und Ratsherr, Nikodemus, den einzelne Exegeten mit dem Reichen identifizieren möchten, der nach dem Zugang zum ewigen Leben sucht] Anspielung auf die Geschichte vom reichen Jüngling, der Jesus fragte, was er Gutes tun müsse, um das ewige Leben zu erhalten; s. Mt 19,16-26; Mk 10,17-27; Lk 18,18-27. 279,15 ruach-merachefet] hebr. ruach = »Geist«, »Wind«, »Atem«; merachefet = »schwebend«; der schwebende göttliche Odem. 280,4 Hüttenfest-Wallfahrt] hebr. Sukkot = »Hütten«; das Laubhüttenfest war ursprünglich ein Erntedankfest und ist eines der drei Wallfahrtsfeste im Judentum. Es wird in Laubhütten gefeiert, zur Erinnerung an das Wohnen unter freiem Himmel während der Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten. 281,19-20 Sonnenhymnus Amenophis IV.] von Amenophis IV., genannt Echnaton, verfasster Hymnus an den Gott Aton, der darin als Schöpfergott und Herr der Welt gepriesen wird. Wörtlich heißt es bei Echnaton: »Kein anderer kennt dich, / Außer deinem Sohn Echnaton, / Du lässt ihn kundig sein deiner Pläne / Und Deiner Macht.« 281,20-21 »Und niemand erkennt den Vater außer dem Sohn«] Mt 11,27.

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282,37-38 »Dieser ist der wahrhafte Gott und das ewige Leben.«] 1 Joh 5,20. 284,21-22 des »anderen Gottes« (Justin)] Anspielung auf Justins Ausführungen im »Dialog mit dem Juden Trypho«, wo die Frage erörtert wird, ob es neben dem Weltschöpfer noch einen anderen Gott gebe; s. Justinus, Dialog; Pseudo-Justinus, Mahnrede. Aus dem Griechischen übersetzt von Philipp Hauser (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 33, Kap. 56, 1-22), Kempten & München 1917. 284,22 des »leidenden Gottes« (Tatian)] Anspielung auf Tatians Hauptwerk Diatessaron, in dem er auf der Basis der vier Evangelien seine Sicht der Lehre Jesu darlegt. 285,1-2 Aeußerung eines französischen Admirals] Admiral Réveillère (gest. 1908); vgl. Nathan Söderblom, Vater, Sohn und Geist unter den heiligen Dreiheiten und vor der religiösen Denkweise der Gegenwart, Tübingen 1909, S. 60. 285,12 nach Angelus Silesius’ Wort aufgeblühten »gefrorenen Christ«] Anspielung auf das Gedicht »Jetzt mustu blühen« von Angelus Silesius: »Blüh auf gefrorner Christ / der Mäy ist für der Thür: / Du bleibest ewig Todt / blühstu nicht jetzt und hier«; aus: Der Cherubinische Wandersmann, Drittes Buch Geistreicher Sinn- und Schluß-Reime, Abschnitt 90. 285,21 die Grundhaltung Iwan Karamasows] einer der drei Brüder aus Dostojewskijs Roman Die Brüder Karamasow (entstanden 1880/ 1881). Er verkörpert den intellektuellen, an Gott und allen Werten zweifelnden Menschen. 285,21-22 in dem Roman von den Besessenen] Gemeint ist Dostojewskijs Die Dämonen (1873). 285,36 »Kinder, hütet euch vor den Götzen!«] 1 Joh 5,21. 287,2 Schon Augustin hat darauf hingewiesen] Einen Beleg für diesen »Hinweis« bei Augustinus gibt Buber genauso wenig wie der schwedische Theologe Anders Nygren, auf dessen Werk Eros und Agape (1932) Buber im selben Zusammenhang verweist und bei dem er vermutlich diesen Hinweis auf Augustinus fand. Denn bereits bei Nygren ist zu lesen: »Schon Augustin, für den ja die Gottesliebe die Zusammenfassung des ganzen Inhalts des Christentums ist, hat mit einer gewissen Verwunderung festgestellt, daß Paulus, wenn er das Wort caritas gebraucht, es öfter zum Nächsten als zu Gott in Beziehung setzt.« (Eros und Agape. Gestaltwandlungen christlicher Liebe, 2. Aufl., Gütersloh 1954, S. 81) Die Problematik Gottesliebe-Nächstenliebe diskutiert Augustinus ausführlich im Ersten Buch von De Doctrina Christiana

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(dt. Ausgabe: Die christliche Bildung. Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Klara Pollmann, Stuttgart 2002). 287,6 »Höre Israel«] hebr. Schma Jisrael; in der täglichen jüdischen Gebetsordnung morgens und abends zu rezitierendes Hauptgebet und zentrales Glaubensbekenntnis des Judentums; benannt nach den Anfangsworten aus Dtn 6,4: »Höre Israel, der Ewige, unser Gott, der Ewige, ist einzig!« 292,12 Es ist die Stunde von Megiddo] Josia (König von Juda 639-609 v. Chr.) fiel bei Megiddo im Kampf gegen den Pharao Necho II. (vgl. II Chr 35,20-24; II Reg 23,29). Josia gilt als der letzte gerechte König vor der Katastrophe des Babylonischen Exils. Er setzte umfangreiche Reformen durch und galt damit als der größte Kultreformer seit David und Salomo. 292,36 Die Legenden der Martyriumsbereitschaft im Buche Daniel] Gemeint ist der Bericht über das Martyrium dreier Männer im Buch Daniel, die sich weigern, ein goldenes Götzenbild anzubeten. Zur Strafe werden sie in einen Feuerofen geworfen und überleben dank Gottes Eingriff unversehrt (s. Dan 3). 292,36-37 Die Legenden […] des vollzogenen Martyriums im zweiten Makkabäerbuch] Gemeint sind die Berichte über das Martyrium des Schriftgelehrten Eleasar (2 Makk 6,18-31) und der sieben Brüder und ihrer Mutter (2 Makk 7,1-42). Der Überlieferung zufolge weigerten sie sich, das Schweinefleisch zu essen und wurden daraufhin zu Tode gefoltert. 293,4 unter den Hasmonäern] nach Josephus Flavius Bezeichnung der Priesterdynastie, die nach dem Makkabäer-Aufstand 167/165 v. Chr. in der Zeit von 163 bis 37 v. Chr. sowohl die politische Führung als auch zeitweise das Amt des Hohepriesters inne hatte und die nationale Unabhängigkeit sicherte. 293,5 In der dritten, der römischen Drangsal] nach der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 n. Chr. 293,12-15 Zu dem verwegenen Unternehmen Josias und seinem Ausgang weiß Josephus nichts anderes zu bemerken als: »Das Verhängnis, so nehme ich an, trieb ihn dazu.«] Josephus Flavius, Jüdische Altertümer (93/94), Buch 10, Kap. 5,1. 300,Anm. 119 Kaddischgebet] aram. »heilig«, »Heiligung«; eines der zentralen jüdischen Gebete, gesprochen zur Heiligung und als Lobpreis des göttlichen Namens, auch stellvertretend für die Verstorbenen (daher auch »Totengebet« genannt). 304,15-16 Pneumatikers] griech. pneuma = »Hauch«, »Wind«, »Atem«; in paulinischen Texten eine Bezeichnung für Christen allgemein, ent-

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sprechend Paulus’ Selbstverständnis und dessen Verständnis der Christen als Pneumatiker, d. h. Empfänger des göttlichen Geistes. 305,15-16 »Der Mittler« von Emil Brunner] Der Mittler. Zur Besinnung über den Christusglauben, Tübingen 1927. 306,9-11 »Aber du erbarmst dich aller, da du alles vermagst« […] »und übersiehst die Sünden der Menschen auf die Umkehr zu«] SapSal 11,23. 306,15-16 »… Denn du liebst alle Wesen und verabscheust keins von denen, die du gemacht hast«] SapSal 11,24. 306,17-19 »… Du verschonst aber alles, weil es dein ist, o Herr, der dem Belebten wohlwill. Denn dein unverderblicher Geist ist in allen.«] SapSal 11,26-12,1. 306,22 Kafkas Beitrag zur Metaphysik der »Tür«] Kafkas als »Türhüterlegende« bekanntes Prosastück »Vor dem Gesetz« (Erstveröffentlichung in: Selbstwehr, 1915). Die Parabel erscheint auch im Kapitel »Im Dom« im Roman Der Prozeß. 307,25-26 Archonten des paulinischen Weltbilds] in der Gnosis Bezeichnung für die »Mächte der Finsternis«; gemeint sind damit der böse Schöpfergott – der gefallene, gegen den höchsten Gott rebellierende erste Archont – und die aus ihm hervorgegangenen Geisteswesen, die im Gegensatz zu den guten, in der oberen Welt des Lichtes wirkenden Engeln in der niedrigen Welt der Menschen aktiv sind. Im gnostischen Text Hypostase der Archonten aus dem 3. Jh. n. Chr. ruft ein »großer Apostel«, mit dem offenbar Paulus gemeint ist, einen Kampf gegen sie aus. 308,14-17 »Vater im Himmel, es ist doch nur der Augenblick des Schweigens in der Innerlichkeit des Miteinanderredens.« […] (»wenn ein Mensch in der Wüste verschmachtet, da er deine Stimme nicht hört«)] Aus: Søren Kierkegaard, Gesammelte Werke. Die Tagebücher, Bd. 2, Düsseldorf & Köln 1963, S. 102 [Eintrag: VII A 131]. 308,31-32 »Lieber die lebendige Taube auf dem Dach als den halbtoten, krampfhaft sich wehrenden Sperling in der Hand.«] Aus: Franz Kafka, »Fragmente aus Heften und losen Blättern«, in: Gesammelte Werke. Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß, hrsg. von Max Brod, Frankfurt a. M. 1953, S. 237. 308,35-37 »Prüfe dich an der Menschheit. Den Zweifelnden macht sie zweifeln, den Glaubenden glauben.«] Aus: Franz Kafka, »[Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg]«, in: Gesammelte Werke. Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß, hrsg. von Max Brod, Frankfurt a. M. 1953, S. 47. 308,40-41 »Wer glaubt, kann keine Wunder erleben. Bei Tag sieht man keine Sterne.«] Aus: Franz Kafka, »Die acht Oktavhefte«, in: Gesam-

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melte Werke. Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß, hrsg. von Max Brod, Frankfurt a. M. 1953, S. 85. 309,6-9 »Wir wurden geschaffen, um im Paradies zu leben, das Paradies war bestimmt, uns zu dienen. Unsere Bestimmung ist geändert worden; daß dies auch mit der Bestimmung des Paradieses geschehen wäre, wird nicht gesagt.«] Aus: Franz Kafka, »[Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg]«, in: Gesammelte Werke. Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß, hrsg. von Max Brod, Frankfurt a. M. 1953, S. 48 f. 309,14-15 »Alle Leiden um uns (d. h. um uns her) müssen auch wir leiden«] Aus: Franz Kafka, »Die acht Oktavhefte«, in: Gesammelte Werke. Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß, hrsg. von Max Brod, Frankfurt a. M. 1953, S. 117 (im Original ohne Parenthese). 309,32 Theophanie] griech. theos = »Gott«; phainesthai = »sich zeigen«; Sichtbarwerdung der Gottheit in der Menschenwelt bzw. der Natur. Christus, Chassidismus, Gnosis Buber reagiert mit diesem Text, der im Oktober-Heft 1954 der Monatszeitschrift Merkur erschien, auf einen im September-Heft derselben Zeitschrift erschienenen Artikel des Schriftstellers und Kulturphilosophen Rudolf Pannwitz (1881-1969). Dieser hatte sich vor und während des Ersten Weltkriegs einen Namen als Herausgeber der antinaturalistischen Kunst-Zeitschrift Charon (zusammen mit Otto zur Linde, 1873-1938) gemacht, aber auch durch das damals viel beachtete kulturkritische Buch Die Krisis der europäischen Kultur (1917). 1921 hatte sich Pannwitz auf die dalmatinische Insel Kolocep zurückgezogen und sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Tessin niedergelassen. Buber und Pannwitz kannten sich seit den frühen dreißiger Jahren. Sie unterhielten über einen langen Zeitraum hinweg einen regen Briefaustausch (der letzte belegte Brief von Pannwitz an Buber trägt das Datum 3. Dezember 1949, in: B III, S. 228 f.). Ihre Korrespondenz kreist um Fragen zu Bubers Bibelübersetzung und Schriften Rosenzweigs, berührt Figuren wie Hölderlin (1770-1843), Nietzsche und George (1868-1933), deren Werk Pannwitz sich verpflichtet wusste, und streift ein Werk von Pannwitz selbst (Kulturpädagogische Einführung in mein Werk, Leipzig 1927). Die Anrede wird im Verlauf des Briefaustausches immer vertrauter, wechselt zunächst zu »Lieber Freund«, dann zum »Du«. 1954 dann die hier gedruckte Antwort an Pannwitz. Bubers Reaktion fällt grundsätzlicher aus, als sie auf Grund des Artikels sein müsste. Denn

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Pannwitz hatte in seinem gut 20 Druckseiten umfassenden Merkur-Aufsatz (S. 810-830) von nichts anderem als von dem im Titel genannten Thema »Der Chassidismus« gehandelt und dabei vor allem Bubers einschlägige Schriften ausgewertet. Die einzelnen Abschnitte seines Textes lauten denn auch: »Vorgeschichte des Chassidismus«, »Der Baalschem«, »Die Chassidim und Zaddikim«, »Beispiele«, »Gog und Magog«. Nur im ersten Abschnitt auf nicht mehr als zwei Seiten war Pannwitz – mehr essayistisch-feuilletonistisch als streng wissenschaftlich – auf das Verhältnis von »Chassidismus und Christentum« eingegangen, wie es sich ihm aus den Buberschen Schriften dargestellt hatte. Bubers Hauptschrift zum Christentum, Zwei Glaubensweisen, die eigens genannt wird, war ja 1950 bereits erschienen. Es sind diese ersten zwei Seiten des Artikels, die Buber zu einer Stellungnahme herausfordern. Es stört ihn offensichtlich, dass seine Auseinandersetzung zwischen »jüdischer und christlicher Religion« so verstanden wurde, als sei sie »entschieden zuungunsten des Christentums« ausgefallen. Auch beunruhigt ihn sichtlich Pannwitz’ Behauptung, er, Buber, habe bei seiner Darstellung des Messiasproblems Jesus die »Schuld« gegeben, nicht in der Rolle des deuterojesajanischen »unscheinbaren ›Knechtes des Herrn‹« geblieben zu sein, ja, habe überhaupt durch seine Trennung von jüdischem Jesus und christlichem Christus »das Kontinuum des Christentums« zerspalten. Dabei habe Christus mit dem Judentum »nicht gebrochen«, meint Pannwitz. Geschichtlich sei Jesus vielmehr »ein neuer Anfang, ein aus sich rollendes Rad«. Und wörtlich fügt der Schriftsteller hinzu: »Man kann ihn weder ableiten noch zusammensetzen noch auseinanderrücken. Nicht was er offenbart hat – Er selbst ist die Offenbarung«. Hatte sich Pannwitz mit dieser Bemerkung noch im Rahmen des Neuen Testamentes bewegt, so springt er gleich im nächsten Satz in die Religionsgeschichte, was Buber besonders provozieren musste: »Buber geht weiter und trennt das Johannes-Evangelium und Paulus, zusammen mit der gleichzeitigen und späteren jüdischen Theologie, also das was teilweise von Iran und Griechenland kommt, Gnosis und Mysterium, ist nicht nur von dem jüdischen Christus, sondern auch von dem Stifter Christus. Er ordnet es der Glaubensweise zu, die nach dem Zerfall einer älteren Welt entsteht und die er, im Gegensatz zu der des Vertrauens, die der Anerkennung nennt. Nun aber hat Christus seinen Opfertod als einmalige und endgültige Verkörperung des vorderasiatischen heiligen Osterdramas vorgeführt; vor allem um des willen ist an ihn geglaubt worden.« (S. 812) Buber nimmt diese Kritik sehr ernst. Er geht ihr in seinem Artikel sorg-

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fältig nach und weist sie Punkt für Punkt zurück. Ja, er nimmt die Gelegenheit wahr, ein nachmals gerade von Christen oft zitiertes Wort aus Zwei Glaubensweisen über Jesus als seinen »großen Bruder« vor Missverständnissen in Schutz zu nehmen. Als Ausdruck von »Dünkel« sei dieses Wort nicht zu verstehen. »Vom Urbund aus« seien »die ›Erzjuden‹«, zu denen er, Buber, sich zähle, alle »›Brüder‹ Jesu«. Mit »großer Bruder« soll also gerade nicht die Ausnahmestellung Jesu betont werden (etwa in Richtung auf eine Christologie), sondern Gleichheit und Brüderlichkeit Jesu mit allen jüdischen »Brüdern«, die auf den »ungekündigten Bund« Gottes mit Israel vertrauen. Textzeugen: H1 : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, dalet 17); 15 nummerierte, von Bubers Hand einseitig beschriebene Blätter; betitelt »Christus, Chassidismus, Gnosis / Einige Bemerkungen«; mit Korrekturen von Bubers Hand. H2 : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, dalet 17); 10 nummerierte, von Bubers Hand einseitig beschriebene Blätter; betitelt »Martin Buber / Christus, Chassidismus, Gnosis / Einige Bemerkungen«; überarbeitete Reinschrift von H1 . D1 : Merkur, 8. Jg., Heft 10, Oktober 1954, S. 923-929 (MBB 955). D2 : Werke III, S. 949-958 (MBB 1219). Druckvorlage: D1 Variantenapparat: 313,6-8 um eine Auseinandersetzung zwischen jüdischer und christlicher Religion, und zwar »zu ungunsten des Christentums«] »um eine Auseinandersetzung zwischen jüdischer und christlicher Religion« H1 313,8-9 um Auseinandersetzung solcher Art] darum H1 , H2 313,13 der Allgemeinheit] fehlt H1 313,14 stets] allein H1 313,16 seinen vom Adyton aus] seinen [ganzen Tempelbau Aussen und Innen mitsamt dem nur andeutbaren Allerheiligsten, mit dem von der Mitte] ! vom Adyton aus H1 313,18 aufmerksamen] [interessierten] ! aufmerksamen H1 313,18 Man darf] Man [kann] ! darf H1 313,20 redlich] uneingeschränkt redlich H2 313,20 abschätzend] schätzerisch H1 , H2 313,20 inneres] fehlt H1 , H2 313,21 verhohlen ist] verhohlen bleibt H2

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313,29 Gnosis] hervorgehoben D 313,31 wisserisches Verhältnis] wisserisches [Verhältnis] ! Verhalten H1 313,32-33 einer anscheinend nie wankenden Sicherheit] einer [unbeirrbaren] ! nie wankenden Sicherheit H1 313,35 Geister] [Dämonen] ! Geister H1 314,1 rechten] fehlt H1 314,3 Geschicke des Absoluten] Geschicke [der Gottheit] ! h[des Seins] des Absoluteni H1 314,5-6 das eigne Selbst] das heilige Selbst H1 , H2 314,10 in den mannigfachen] in [allen] ! den mannigfachen H1 314,17 vermißt] unterwindet H1 , H2 314,21 vielmehr] fehlt H1 314,22-23 als d i es es Selbst dem unendlichen Selbst gegenüber kennt] als dieses einzelne Selbst dem unendlichen gegenüber [erfährt] ! kennt H1 314,27-28 als dein Gegenüber] als dein Gegenüber, deinen Partner H1 314,36 der ihm jeweils von sich zuteilt] der sein Freund ist und ihm jeweils von sich zuteilt H2 314,37 in der Geschichte des Menschengeistes] in der Geschichte des Menschengeistes[, heute mehr als je, heute wie je] H1 314,39 entdecken] merken H1 314,39-40 das Martyrium, – devotio nannten ja die Römer die Selbstopferung des Feldherrn um des Sieges willen.] das unmerkliche Martyrium – devotio nannten ja die Römer die Selbstopferung des Feldherrn um des Sieges willen – vornehmlich aber das »unmerkliche«. H1 das Martyrium, – devotio nannten ja die Römer die Selbstopferung des Feldherrn um des Sieges willen [– vornehmlich aber das unmerkliche Martyrium]. H2 315,8-9 ehe sie berichtigt wird] ehe ihr entgegnet wird H1 [ehe ihr entgegnet wird] ! ehe sie berichtigt wird H2 315,10 Niemand kann das Kontinuum einer Religion zerspalten.] Niemand kann [wenn auch nur versuchen, die geschichtliche Kontinuität] ! das Kontinuum [des Christentums] ! einer Religion zu »zerspalten«. H1 315,15 wesenhaft] essenziell H1 315,21-22 um den Bestand der Glaubenswirklichkeit] um den Bestand der Glaubenswirklichkeit[, um das Realbleiben der menschlichen Beziehung zum Göttlichen X um Fleisch und Blut der Devotio] H1 315,26 miteinander] unmittelbar miteinander H1 315,30 ins Spirituale] ins Spirituale und Überzeitliche H1 , H2 315,35 ersichtlich] offenbar H1 , H2

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316,1-2 das Erinnerungsbild jener zu verstehen, in denen das Gedächtnis ihres Meisters fortlebte] das Erinnerungsbild des Kreises zu verstehen, in dem das Gedächtnis seines Meisters fortlebte H1 , H2 316,7 immer neu] fehlt H1 316,8 unzweifelhaft] fehlt H1 316,9 mögen unbestimmt sein] sind unbestimmt H1 , H2 316,11 Weilen in der Unmittelbarkeit zu Gott] der Einzug in die Unmittelbarkeit H1 316,13-14 »Königtum Gottes«] »Königschaft Gottes« H1 , H2 316,Anm. 1 »Himmel« war einer seiner Namen. H1 »Himmel« ist hier keine Bezeichnung einer Überwelt, sondern einer der dem Israel jener Zeit geläufigsten Gottesnamen. H2 316,20 des Pleromas] einer Überwelt H1 316,21-22 ’emunah, Vertrauen, wie die Propheten sie genannt haben] das Vertrauen H1 317,1-2 es lebt im Herzen des sich zu opfern Bereiten] es blickt auf kein Drama, das der Verkörperung harrt, sondern auf das lebendige Sein, für das man sich opfert, H1 es lebt im Sinn des sich zu opfern Bereiten H2 317,17 Wirklichkeit] Glaubenswirklichkeit H1 317,18-19 die ihn aus seinem geschichtlich-biographischen Wurzelgrund reißt] die ihn seinem zeitlichen, geschichtlichen, biographischen Wurzelgrund entreisst H1 317,20-21 glaubensloser Mythos] gnostischer, glaubensloser Mythos H1 317,22 Jesus] dem Menschen Jesus (also dem »jüdischen Christus«) H1 317,28 vom Judentum aus gesehn] vo m Ju d ent u m au s g es ehn [eingefügt als Fußnote Zu noch grösserer Deutlichkeit jetzt von mir gesperrt.] H2 318,1 zweifelsfrei] [zuverlässig] ! zweifelsfrei H2 318,3 er weiß nicht einmal das zweifelsfrei] er weiss (weil er einfach ein Mensch ist) nicht einmal das zuverlässig H1 er weiss nicht einmal das [zuverlässig] ! zweifelsfrei H2 318,5 das Martyrium] das Martyrium hAlternativvariante die vollendete Zeugenschaft der Devotioi H1 318,9 nie] nie [und nimmer] H1 , H2 318,10 eben von ihm aus] fehlt H1 318,10-11 die »Bedrängung des Endes«,] fehlt H1 318,13 aus Dünkel] fehlt H1 , H2 318,16 überflüssig] entbehrlich H1 318,16-17 die Juden, die es vom Grund aus, vom Urbund aus sind,] die Juden, die es wirklich sind H1

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318,18 »Brüder«] kleine Brüder H 318,18-19 zwei Jahrzehnte] lange, sehr lange H1 318,19 vorweg] vorweg öffentlich H1 , H2 318,26-27 so ist in der Religiosität des Judentums auf dem Boden der europäischen Diaspora ganz anderes zwischen beiden vorgegangen.] so ist es in der [mystischen] Religiosität des Judentums auf dem Boden der europäischen Diaspora ganz anders zugegangen. H1 318,31 breite] fehlt H1 319,8-9 wie es der gnostische Sabbatianismus getan hatte.] wie es der gnostizisierende (Pannwitz erinnert mit Recht an die Karpokratianer) Sabbatianismus getan hatte. H1 wie es der [(Pannwitz erinnert mit Recht an die Karpokratianer, die aber dem Mythos der gefallenen Sophia, wie er etwa bei Simon Magnus hervortritt, nicht gar so fern standen)] gnostische Sabbatianismus getan hatte. H2 319,10 theologische] fehlt H1 319,10-11 eines begeisterten und unexaltierten] eines begeisterten und unexaltierten, eines schlichten und zuverlässigen H1 319,15 Kernsubstanz] zuverlässige Kernsubstanz H1 319,31 sollte.] sollte. [Anfang eines neuen Kapitels] 4. Alles in allem aber: man sollte genauer darauf hinhören, was der Jude damit sagt, dass er dem Zeugnis des Christen »Meine Seele ist erlöst« sein eignes Zeugnis gegenüberstellt »Die Welt ist unerlöst«. H2 Wort- und Sacherläuterungen: 313,1-2 Aufsatz von Rudolf Pannwitz] Rudolf Pannwitz, »Der Chassidismus«, in: Merkur, 8. Jg., Heft 9, September 1954, S. 810-830. 313,16 Adyton] in antiken, griechischen oder römischen Tempeln der Bereich des Allerheiligsten, ein nur den Priestern zugänglicher und vom Hauptraum des Tempels abgetrennter Bereich, in dem das Bildnis der Gottheit ausgestellt war. 316,20 Pleromas] griech. »Fülle«; in der Gnosis Bezeichnung für die Totalität der göttlichen Macht, den Sitz der Gottheit.

Zur Klaerung Klärungsbedarf veranlasste Buber, im Juni 1954 diesen Text zu veröffentlichen. Er erschien im Mitteilungsblatt der Vereinigung der aus Europa eingewanderten Juden, das in Tel Aviv publiziert wurde (Irgun Olej Merkas Europa). Buber beginnt mit einer – wie er sich ausdrückt – publizis-

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Zur Klaerung

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tischen »Groteske«, wird aber rasch ernst, weil er sich in »zwei jüdischen Blättern der Schweiz« einer heftigen Polemik ausgesetzt sieht, die er auf seine freundliche »Haltung zu Arabern und Deutschen« zurückführt. Um welche »jüdischen Blättern der Schweiz« es sich handelt, konnte nicht eruiert werden. Was Bubers Stellung zur »Araberfrage« betrifft, so muss hier auf den kommenden Band der MBW (MBW 21) verwiesen werden. Reiches Material dazu aber enthält schon jetzt der von Paul Mendes-Flohr herausgegebene und eingeleitete Band: Martin Buber, Ein Land und zwei Völker. Zur jüdisch-arabischen Frage, Frankfurt a. M. 1993. Was sein Verhältnis zu den »Deutschen« betrifft, so äußert sich Buber im dritten Abschnitt seines Textes. Zuvor, im zweiten Abschnitt, greift Buber eine andere Kritik auf. Einer seiner Schweizer Gegner hatte sich auf eine »Äußerung des Wiener katholischen Dozenten Schubert« berufen, Buber »verchristliche« das Judentum. Buber steht plötzlich seltsam vertauschten Fronten gegenüber. Hatte er sich gegenüber Rudolf Pannwitz des Vorwurfs erwehren müssen, er »entchristliche« gleichsam das Christentum (s. Kommentar zu »Christus, Chassidismus, Gnosis«, S. 443 ff.), so sieht er sich jetzt der Kritik ausgesetzt, er »verchristliche« das Judentum. Bei »Schubert« handelt es sich um den Wiener Judaisten Kurt Schubert (1923-2007), der sich nach 1945 große Verdienste nicht nur um die Wiedererrichtung der Wiener Universität, sondern auch um den Aufbau einer eigenständigen Judaistik erworben hat, wofür er sich durch Studien in Jerusalem (bei Gershom Scholem) sowie durch sein erstes Buch Die Religion des nachbiblischen Judentums (1955) qualifiziert hatte. Zunächst einige Jahre als Dozent für Judaistik im Rahmen des Instituts für Orientalistik tätig, wurde Schubert 1959 Lehrstuhlinhaber für Judaistik und 1966 erster Direktor eines neugegründeten Instituts für Judaistik an der Universität Wien. Sein Hauptwerk legte er 2003 vor: Christentum und Judentum im Wandel der Zeiten. Buber reagiert auf die kolportierte Äußerung Schuberts empfindlich. Er spürt sofort, worauf die Kritik an seiner angeblichen Verchristlichung hinausläuft: zwar nicht auf eine Vereinnahmung Bubers für das Christentum, wohl aber auf eine Festschreibung des Judentums als »ausschließliche Gesetzesreligion«. Gerade diese Festschreibung aber hatte Buber ein Leben lang zu überwinden getrachtet. Er hatte für eine Erneuerung des Judentums aus dem Geist des Prophetismus gekämpft. Deshalb wiederholt er jetzt noch einmal seine Position, die er seit 1909, seit den ersten Prager Reden also, vertreten und die er in seiner Rede anlässlich des Todes von Gustav Landauer unter dem Titel »Der heilige Weg« 1919 erneut

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eingeschärft hatte (s. die Einleitung zu diesem Band, S. 29): »daß das die Thora geschichtsethisch auslegende prophetische Judentum und die Lehre Jesu zusammengehören, Jesus und Paulus aber nicht zusammengehören«. Der Vorwurf einer »Verchristlichung« des Judentums war im Übrigen für Buber nicht neu. Schon im Nachwort zur deutschen Ausgabe seines Buches Gog und Magog (hebr. 1943, eng. 1945, dt. 1949; abgedruckt in MBW 19, S. 273 ff.) hatte er sich mit dem Vorwurf auseinandergesetzt, er habe die dort beschriebene Gestalt eines »heiligen Juden« von einer »bewußten oder unbewußten ›christlichen Tendenz‹ aus verändert«. Und schon damals hatte Buber solchen Missdeutungen entgegnet: »Es gibt aber hier nicht einen einzigen Zug dieser Gestalt, der nicht schon in der Tradition zu finden ist; auch jene Aussprüche des ›Juden‹, die an evangelische erinnern, stammen aus ihr. Was der ›Jude‹, wie er in diesem Buch erscheint, mit Jesus von Nazareth gemeinsam hat, rührt nicht von einer Tendenz, sondern von einer Wirklichkeit her.« (MBW 19, S. 274)

Jetzt, fünf Jahre später, kann Buber umso selbstbewusster seinen Kritikern antworten, er habe in Gog und Magog einen Zaddik gezeichnet, in dem sich »wieder einmal die jüdische Liebe zum Menschen und das jüdische Leid um ihn verkörpert« hätten. Es wüchsen »eben immer noch neue Sprossen aus dem alten Wurzelgrund«. Auf Kritik an seinem Verhältnis zu Deutschland nach 1945 geht Buber im dritten Abschnitt ein. 1954 hatte er in dieser Frage bereits wichtige Entscheidungen hinter sich. 1953, acht Jahre nach Kriegsende, war er erstmals wieder öffentlich in Deutschland aufgetreten. Im Juni 1953 hatte er – nach der Verleihung des Goethe-Preises 1952 an ihn – an der Universität Hamburg seine Festrede nachgeholt und hatte über »Geltung und Grenze des politischen Prinzips« gesprochen. Im September 1953 war er nach Frankfurt gereist und hatte dort den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegengenommen. In der Frankfurter Paulskirche hatte Buber eine Rede über »Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens« (abgedruckt in MBW 6, S. 95-101) gehalten. Auf beide Ereignisse (Frankfurt und Hamburg) spielt Buber im dritten Abschnitt seines Artikels an. Seinen innerjüdischen Kritikern versuchte er mit der Absage an Pauschalurteile über ein »Volk als Volk« zu begegnen. Solche Urteile sollte gerade ein Volk nicht mitmachen, welches die christlichen Kirchen so oft »insgesamt als Messiasmörder verdammt« hätten.

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Textzeuge: D: Mitteilungsblatt des Irgun Olej Merkas Europa, 22. Jg., Nr. 23, 4. Juni 1954, S. 6 (MBB 970). Druckvorlage: D Variantenapparat: 322,26 meine Gesinnung] berichtigt aus meine Gesinnung 324,24 den religiösen Humanisten] berichtigt aus der religiösen Humanisten Wort- und Sacherläuterungen: 320,16 »Moses«] Martin Buber, Moses, Zürich: Georg Müller Verlag 1948. 321,14 »Zwei Glaubensweisen«] s. in diesem Band, S. 220-312. 321,16 »Der heilige Weg«] Martin Buber, Der heilige Weg. Ein Wort an die Juden und an die Völker, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1919. Ein Teilabdruck dieser von Buber auch schon 1918 gehaltenen Rede erschien unter dem Titel »Wege und der Weg«, in: Der Jude, 3. Jg., Heft 8/9, Nov./Dez. 1918, S. 365-368. 321,23 seit 1909] 1909/1910 hält Buber seine Prager Reden, die 1911 unter dem Titel Drei Reden über das Judentum erscheinen (vgl. die Einleitung von Barbara Schäfer in MBW 3, S. 32-38). 322,32-33 in Frankfurt] Buber bezieht sich hier auf seine Rede 1953 in Frankfurt a. M. anlässlich der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens, Heidelberg: Lambert Schneider 1953, 14 S.; abgedruckt in MBW 6, S. 95-101). 323,10 Hamburger Rede] nachgeholte Festrede von 1953 unter dem Titel »Geltung und Grenze des politischen Prinzips« anlässlich der bereits 1952 erfolgten Verleihung des Goethe-Preises (Erstveröffentlichung in: Hinweise. Gesammelte Essays, Zürich: Manesse 1953, S. 330-346). 323,30 Einen meiner Freunde] vermutlich eine Anspielung auf das Schicksal des Schriftstellers Stefan Zweig, der sich 1942 im südamerikanischen Exil (Petrópolis, Brasilien) aus Verzweiflung über die weltpolitische Lage das Leben nahm. 325,8 Schilumim] hebr. »Zahlungen«; dieser nüchterne Begriff bezeichnet die sog. »Wiedergutmachungszahlungen« Deutschlands an die Opfer des Nationalsozialismus.

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Ein Realist des Geistes Im Jahre 1955 erschien zum 80. Geburtstag von Albert Schweitzer eine »Freundesgabe« unter einem Titel, der das Grund- und Lebenswort von Albert Schweitzer programmatisch aufnimmt: »Ehrfurcht vor dem Leben«. Unter den 32 Beiträgern, darunter so verschiedenartige Persönlichkeiten wie der evangelische Theologe Rudolf Bultmann, der spanische Musiker Pablo Casals (1876-1973), der deutsche Bundespräsident Theodor Heuss (1884-1963), der amerikanische Politiker Adlai E. Stevenson (1900-1965), der Physiker Albert Einstein (1879-1955) und der Schriftsteller Hermann Hesse (1877-1962), befindet sich auch Martin Buber, der den hier gedruckten kurzen Text zur Festgabe beisteuerte. Die Beteiligung Bubers hatte weniger mit der Tatsache zu tun, dass beide, Schweitzer und Buber, als Personen mittlerweile weltweites Ansehen genossen. Schweitzer hatte für sein Werk 1951, Buber 1953 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten, Schweitzer im selben Jahr 1953 noch den Friedensnobelpreis. Bubers Mitwirkung hatte sachliche Gründe, fühlte er sich doch seit Jahrzehnten Schweitzers theologischem Werk, humanem Engagement und Verständnis von Religion verbunden. Was das humanitäre Engagement betrifft, so sieht Buber in Schweitzer einen exemplarischen Christenmenschen, der – in der »Nachfolge seines Meisters« – um Seele und Leib des Menschen besorgt ist. Die Grundund Lebensformel »Ehrfurcht vor dem Leben« sollte gerade auf die, wie Buber schreibt, »leibseelische Ganzheit des einzelnen lebendigen Menschen« verweisen. In der Tat hatte Schweitzer 1905 seine theologischen Karrierepläne aufgegeben (im selben Jahr hatte er noch – selbst ein begnadeter Orgelspieler – ein Buch über Johann Sebastian Bach vorgelegt), hatte Medizin zu studieren begonnen, um nach der medizinischen Promotion 1913 nach Afrika zu gehen, wo er in Lambarene (Gabun) ein Urwald-Spital aufbaute und betrieb. Buber, selbst allem Missionieren von Anfang an abholt, registrierte genau, dass Schweitzer nicht als Missionar, sondern als Arzt nach Afrika gegangen war. Diese Wende in Schweitzers Leben hatte für Buber symbolischen Charakter. Damit war dieser Mann für ihn zu einem »Realisten des Geistes« geworden. Was das Verständnis von Religion betrifft, so fühlt sich Buber Albert Schweitzer in dem Bemühen nahe, Glaubensüberzeugungen mit ethischer Selbstverpflichtung zu verbinden. Das bedeutet – der »Verwurzelung im Urchristentum« entsprechend – den »gläubigen Willen zur Rettung der Welt« und zugleich den konkreten Einsatz zur »faktischen Rettung des ganzen Menschen auf Erden«. Insofern kann Buber Schweitzer »den großen Realisten des gläubigen Geistes« nennen.

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Ein Realist des Geistes

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In seinem Hauptwerk zum Christentum Zwei Glaubensweisen von 1950 dankt Buber vier christlichen Theologen, darunter Albert Schweitzer. Er erweist ihm Dankbarkeit unter anderem dafür, dass er durch ihn »zuerst die Weltoffenheit und damit auch die eigentümliche Israelsnähe«, die dem Christen und auch dem christlichen Theologen möglich sei, »unmittelbar kennengelernt« habe. Textzeugen: H1 : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, bet 32); 3 nicht nummerierte, von Bubers Hand einseitig beschriebene Blätter; mit dem Titel »Albert Schweitzer« versehen. H2 : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, bet 32); 2 nummerierte, von Bubers Hand einseitig beschriebene Blätter; mit dem Titel »Ein Realist des Geistes« und der Unterschrift »Martin Buber« versehen; zweischichtig: die Überarbeitungsschicht – eine direkte Vorstufe zu D3 – enthält vereinzelte Korrekturen Bubers. TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, bet 32); 2 Seiten; identisch mit D3. 1 D : Die Brücke zur Welt. Sonntagsbeilage zur Stuttgarter Zeitung, 8. Januar 1955 (in MBB nicht verzeichnet). D2 : Neue Schweizer Rundschau, 22. Jg., Heft 12, April 1955, S. 728-729 (in MBB nicht verzeichnet). D3 : Ehrfurcht vor dem Leben – Albert Schweitzer. Eine Freundesgabe zu seinem 80. Geburtstag, Bern: Paul Haupt 1955, S. 203-204 (MBB 1000). D4 : Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 30-32 (MBB 1270). Druckvorlage: D3 Übersetzungen: Englisch: »A Realist of the Spirit«, in: To Dr. Albert Schweitzer – Festschrift Commemorating his 80th Birthday from a Few of his Friends, January 14, 1955, Evantson, Ill., Friends of Albert Schweitzer, 1955, S. 11 ff. (MBB 1001); in: A Believing Humanism – My Testament, 1902-1965, übers., eingel. und komm. von M. Friedman, Credo Perspectives, New York: Simon and Schuster 1967, S. 252 S. (MBB 1293). Niederländisch: »Een Realist van de geest«, in: niederländische Übersetzung von Nachlese: Sluitsteen, übers. von M. M. van Hengel-Baauw und S. F. des Tombe, Rotterdam: Lemniscaat 1966, 255 S. (MBB 1285).

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Variantenapparat: 326,1 hörte] erfuhr H1 326,4 schlimme] [schwere] ! schlimme H1 326,4-5 von der die Eingeborenen heimgesucht waren] von der die einheimische Bevölkerung heimgesucht war H1 326,5 nahm] [bekam] ! nahm H1 326,6-7 Ich hatte Schweitzer 1901 oder 1902 durch eine Abhandlung über das Abendmahlsgeheimnis kennengelernt] Ich kannte von Schweitzer hdamalsi nur eine frühe Abhandlung über das Abendmahlsgeheimnis H1 326,9 in nahe Verbindung brachte.] in hnahei Verbindung brachte. Man zählte ihn damals wohl zu den »liberalen Theologen«; H1 in nahe Verbindung brachte. [Man zählte Schweitzer damals wohl eher zum »liberalen« Lager.] H2 326,9-10 Ich nannte Schweitzer schon damals] ich nannte ihn hvielmehri H1 326,11 Glaubenswirklichkeiten] hGlaubensiWirklichkeiten H1 326,12 Jetzt] Nun H1 326,13 dokumentierte] bewährte H1 326,15 sind die Menschen] sind die Menschen[, mit denen er zu tun hat,] H1 326,16 der Seele] der Seele[, dem »höheren« Element,] H1 326,17 schweres] grosses schweres, massenhaftes H1 schweres [massenhaftes] H2 schweres massenhaftes D2 326,18 drangibt] drantut H1 [drantut] ! drangibt H2 326,20 in einem] hervorgehobenen D2 326,21-22 , wiewohl nicht ohne die Seele zu beteiligen] fehlt H1 , D2 h, wiewohl nicht ohne die Seele zu beteiligeni H2 326,24 zunächst] [zuerst] ! zunächst H1 326,25 versteht] [hat] ! versteht H1 326,26 gewiß] fehlt H1 , H2 , D2 326,27 Gebrechen] [Übel] ! Gebrechen H1 326,30 blieb er der Realist] blieb er der Realist [des gläubigen Geistes] H1 326,31 die Verwurzelung des Urchristentums] die hX-eschatologischei Konzeption der Verwurzelung des Urchristentums H1 326,32 jenes] [des] ! jenes H2 des D1, D2 326,33-34 Die spiritualisierte Konzeption der Erlösung gewann für Schweitzer] [Der theologisierte Begriff der] ! [Der spiritualisierte Glaube an die] ! Die spiritualisierte Konzeption der Erlösung [verlor] ! gewann für Schweitzer H1 326,34 den Grundsinn] ihren Grundsinn D1, D2

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[Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften] 1

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326,36 war] ist D , D 326,36 verbunden] [verknüpft] ! verbunden H1 326,36-37 daß die führende Idee in Schweitzers Philosophie] deren führende Idee D1, D2 326,37 wurde] [war] ! wurde H1 ist D1, D2 326,38-327,1 Dieser Begriff verweist uns wieder auf die leibseelische Ganzheit des einzelnen lebendigen Menschen] Mit diesem [bedeutsamerweise? an Goethe anknüpfenden] Begriff werden wir wieder auf die leibseelische Ganzheit des heinzelneni lebendigen Menschen […] verwiesen. H1 327,10-11 in dem sich ihr schöpfungsmäßiges Beisammensein bekundet und bewährt] in dem [sie] hsichi ihr[e] schöpfungsmässigehsi [Einheit] ! Beisammensein bekundet und bewährt H1

[Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften] Diese kurze Stellungnahme Bubers erschien in einer Publikation der Berliner Gesellschaft für jüdisch-christliche Zusammenarbeit mit einer Vorrede von Joachim Tiburtius (1889-1967), von 1951 bis 1963 Senator für Volksbildung in Berlin, gleichzeitig von 1951 bis 1967 evangelischer Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Inhaltlich weist der Text zurück in Bubers Periode nach Ich und Du (1923) und die Gründung der Zeitschrift Die Kreatur, die schon 1926 die »Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften« in der Praxis erprobt hatte. »Ein Jude, ein Katholik und ein Protestant« waren im Herausgeber-Gremium vertreten, wie es im »Geleitwort« zu Die Kreatur heißt. Die »gemeinsame Sorge um die Kreatur« verband damals schon die so verschiedenartigen Gläubigen (in diesem Band, S. 96). Jetzt, nach mehr als 30 Jahren und nach weltweiten politischen Erschütterungen (Zweiter Weltkrieg, militärische Konfrontation der Supermächte, Bedrohung durch atomare Aufrüstung), spricht Buber in seiner Stellungnahme noch nachdrücklicher von der »gemeinsamen Sorge« aller glaubenden Menschen »um die Zukunft des Menschen auf Erden«, die nach seiner Wahrnehmung »zu einer unheimlichen Beängstigung« geworden ist. Anders als noch in den 1920er Jahren geht es jetzt um »planetarische Zusammenarbeit« von Menschen verschiedener Religionen. Dazu ist für Buber mehr als Toleranz nötig. Duldung von Menschen unterschiedlicher Religionen ist zu wenig. Es geht um einen »gemeinsamen

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Dienst am Menschen«. Nur so ist es für Buber möglich, die »Bindung an Gott als eine gemeinsame« zu erfahren. Der Text verweist überdies in seinem zweiten Abschnitt auf die allerersten Anfänge von Buber zurück. Dass Judentum und Christentum als gemeinsamen Kern das Doppelgebot der Liebe (Gottes- und Nächstenliebe) besitzen, hatte Buber schon im Alter von 13 Jahren erkannt. In seiner Rede zur Barmizwah-Feier noch im polnischen Lemberg am 8. Februar 1891 hatte Buber erklärt: »Unsere Religion befiehlt Liebe und Erbarmen für den Fremden wie für den Einheimischen, Milde und Barmherzigkeit für alle Geschöpfe Gottes. […] Darum sollen auch wir allen Geschöpfen Gottes Erbarmen erweisen, da wir trachten sollen, Gott immer ähnlicher zu werden.« (MBW 1, S. 96 f.)

Und schon damals hatte Buber auf die »frühtalmudischen Lehrmeister« verwiesen, welche die »Ableitung der Gottesliebe aus der Ebenbildlichkeit des Menschen« vorgenommen hätten. Dass diese »untrennbare Zusammengehörigkeit beider Gebote« praktisch zu verwirklichen ist, darin sieht Buber mehr denn je die Aufgabe einer »wahren christlich-jüdischen Zusammenarbeit«. Textzeugen: H1 : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 51); 1 Blatt, von Bubers Hand doppelseitig beschrieben. H2 : Handschrift im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 51); 1 Blatt, von Bubers Hand einseitig beschrieben; Reinschrift von H1 ; unterhalb des Textes eine Zeile mit Datierung und Unterschrift: »Jerusalem, 2. Oktober 1959 [Leerraum] Martin Buber«; Vorstufe zu TS1 . 1 TS : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 51); ein Blatt, einseitig beschrieben; zweischichtig: TS1:1 : Grundschicht: maschinenschriftlich; Abschrift von H2 ; unterhalb des Textes eine Zeile mit Datierung und Unterschrift: »Jerusalem, 2. Oktober 1959 [Leerraum] Martin Buber«. TS1:2 : Überarbeitungsschicht: vereinzelte handschriftliche Korrekturen Bubers; direkte Vorstufe zu D1. 2 TS : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 51); ein Blatt, einseitig beschrieben; zweischichtig: TS2:1 : Grundschicht: maschinenschriftlich; die Zeichenfolge identisch mit TS1:1 ; unterhalb des Textes eine Zeile mit Datierung und Unterschrift: »Jerusalem, 2. Oktober 1959 [Leerraum] Martin Buber«. TS2:2 : Überarbeitungsschicht: handschriftliche Korrekturen Bubers; Da-

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tierung und Unterschrift gestrichen und mit »Ges. f. christl.-jüd. Zusammenarbeit, Berlin« ersetzt. TS3 : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 51); ein Blatt, einseitig beschrieben; Reinschrift von TS2:2 mit zwei formalen handschriftlichen Korrekturen Bubers; unterhalb des Textes mit einer handschriftlichen Anmerkung versehen: »Wurde nicht gedruckt x X die Gesellschaft für Zusammenarbeit zwischen Judentum x Christentum«. TS4 : Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, hei 51); ein Blatt, einseitig beschrieben; Reinschrift von TS2:2 ; die Zeichenfolge identisch mit TS3 ; enthält vereinzelte handschriftliche Korrekturen von Bubers Hand. D: Wege zum Nächsten – 10 Jahre christlich-jüdische Zusammenarbeit in Berlin, Vorrede v. Joachim Tiburtius, Berlin-Wilmersdorf: Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e. V. 1959, S. 14 (MBB 1131); Bubers Beitrag erscheint ohne Titel. Druckvorlage: D Variantenapparat: 328,4 unheimlichen] [unheimlichen] ! überschweren TS2:2 überschweren TS3 , TS4 328,5 Anrufung] Anregung TS1:1 , TS2:1 Anregung ! Anrufung TS1:2 , TS2:2 328,8 sollen einander nicht »dulden«] sollen einander nicht h»tolerare«, nichti »dulden« TS2:2 sollen einander nicht »tolerare«, nicht »dulden« TS3 , TS4 328,8 sondern] sondern, hwie es einzig [möglich und] rechtmässig ist,i TS2:2 sondern, wie es einzig rechtmässig ist, TS3 , TS4 328,9 nur so ist es möglich und ist es rechtmässig –] tilgt TS2:2 ; fehlt TS3 , TS4 328,9-10 die Bindung] die gemeinsame Bindung H2 , TS1:1 , TS2:1 die [gemeinsame] Bindung TS2:2 328,10 als eine gemeinsame] fehlt H2 , TS1:1 , TS2:1 hals eine gemeinsamei TS2:2 328,11 planetarischen] [grossen] ! planetarischen H2 328,15 im 3. und 5. Buche Mose] [im »Alten Testament«] ! in der hebräischen Bibel H1 328,17-19 wie es, obzwar in anderer Form – Ableitung der Gottesliebe aus der Ebenbildlichkeit des Menschen – auch die frühtalmudischen Lehrmeister getan haben.] wie es, wiewohl in anderer Form (Ableitung [des Gebots der] ! der gebotenen Menschenliebe aus der Ebenbildlichkeit des Menschen) auch die frühtalmudischen Lehrmeister getan haben. H1 wie es, auch die frühtalmudischen Lehrmeister getan

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haben, obzwar in anderer Form hnämlich durchi Ableitung [der Gottesliebe] aus der Ebenbildlichkeit des Menschen. TS2:2 wie es auch die frühtalmudischen Lehrmeister getan haben, obzwar in anderer Form, nämlich durch Ableitung {beider TS4 } aus der Ebenbildlichkeit des Menschen. TS3 , TS4

Philosophical Interrogations Der Text erschien 1964, ein Jahr vor Bubers Tod, in einem Band mit dem Titel Philosophical Interrogations. Sydney und Beatrice Rome organisierten auf Vorschlag des amerikanischen Philosophen Paul Weiss (19012002) die Befragung von sieben Philosophen: Brand Blanshard (18921987), Martin Buber, Charles Hartshorne (1897-2000), Paul Tillich, Jean Wahl (1888-1974), Paul Weiss und John Wild (1902-1972). Je ein Wissenschaftler, der mit dem Denken des jeweiligen Philosophen gut vertraut war, leitete die Befragung. Im Falle Bubers war dies Maurice Friedman. Insgesamt wurde Buber von knapp fünfzig Wissenschaftlern befragt, wobei jeder von ihnen auf einen bestimmten Aspekt seines Denkens Bezug nahm. Es ging um die Themen »The Philosophy of Dialogue« (I), »Theory of Knowledge« (II), »Education« (III), »Social Philosophy« (IV), »Philosophy of Religion« (V), »The Bible and Biblical Judaism« (VI) und schließlich um das Problem »Evil« (VII). Das hier gedruckte Stück ist der Abschnitt D aus Kapitel VI unter dem Titel »Judaism and Christianity« (S. 108-110). Die beiden Fragesteller waren Maurice Nédoncelle (1905-1976) und Arthur A. Cohen (19281986). Nédoncelle war seit 1945 Mitglied der Theologischen Fakultät der Universität Straßburg und seit 1956 deren Dekan. Cohen arbeitete für den Verlag Holt, Rinehart and Winston (New York) und hatte sich als Verfasser des Buches Martin Buber. The Natural and the Supernatural Jew: An Historical and Theological Introduction (London 1957) empfohlen. Bubers Antworten weisen zurück auf Kap. 12 seines Buches Zwei Glaubensweisen (1950). Hier hatte er zwischen zwei Grundhaltungen des Menschen zu Gott unterschieden: der des »Vertrauens auf« (hebr.: emuna) und der des »Glaubens an« (griech.: pistis). Die erste Grundhaltung hatte er idealtypisch dem Judentum, die zweite dem Christentum zugewiesen. Doch bereits im Buch selbst hatte Buber die Überzeugung vertreten, dass die Haltung des gläubigen Vertrauens auf Gott nichts exklusiv Jüdisches sei: Er hatte von »echten Christen« in seiner Bekanntschaft ge-

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Philosophical Interrogations

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sprochen, die – gerade in Situationen existentieller Grenzerfahrungen – über den Christusglauben eine Art radikales Gottvertrauen erfuhren. Das wird in Bubers Antwort von 1964 bekräftigt durch Verweis auf eine Begegnung mit einer »führenden Persönlichkeit einer bedeutenden christlichen Sekte«. Mit dieser Person war offensichtlich eines »jener Gespräche« möglich, die Buber selten erlebt, aber als Ideal von Begegnung und Zwiesprache immer wieder beschrieben hatte. Gespräche »ohne Rückhalt und Vorbehalt«, deren Ausgang durch die Begegnung dann etwas ganz und gar Überraschendes, Unerwartetes bekam: die Preisgabe vorher fixierter Glaubenspositionen um des je größeren Gottes willen. Wer diese Person war, lässt sich der Buber-Biographie von Maurice Friedman entnehmen. Es handelt sich um die englische Quäkerin Joan Fry (1862-1955). Der Biograph fügt noch an: »Um die Wichtigkeit dieser Aussage (von Frau Fry) zu verstehen, müssen wir im Gedächtnis behalten, dass englische Quäker im Gegensatz zu vielen amerikanischen Mitgliedern der ›Gesellschaft der Freunde‹ an die Göttlichkeit Christi glauben.« (Begegnung auf dem schmalen Grat, S. 390) Die kurze, auffallend lapidare Antwort auf die Frage von Arthur A. Cohen spiegelt noch einmal Bubers Selbstverständnis. Er hatte sich nie als »jüdischer Theologe« im Sinne des Rabbinats oder einer sonstigen institutionellen Repräsentanz verstanden. Er bestand auf einem eigenen unverwechselbaren Profil als ein aus den Quellen des Judentums heraus glaubender und denkender Mensch. Entsprechend waren ihm theologische Fragen nur dann wichtig, wenn sie zu existentiellen Fragen wurden, »unabweisbar aktuell« und »im Herzen« brennend. Textzeugen: TS: Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350, 85 wav bet); in Deutsch; enthält nur die Antworten Bubers. D: Philosophical Interrogations of Martin Buber, John Wild, Jean Wahl [u. a.], eingel. u. hrsg. von Sydney und Beatrice Rome, New York: Holt, Rinehart & Winston 1964, S. 108-109; englische Übersetzung (MBB 1257). Druckvorlage: D (Fragen), TS (Bubers Antworten)

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Abkürzungsverzeichnis B I-III

JB II

JuJ

KI MBA MBB

MBW RGA StudE Werke I-III

Martin Buber, Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, 3 Bde., hrsg. und eingel. von Grete Schaeder, Heidelberg: Lambert Schneider 1972-75. Bd. I: 1897-1918 (1972), Bd. II: 1918-1938 (1973), Bd. III: 1938-1965 (1975). Martin Buber, Die Jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen. Zweite Folge, 1916-1920, Berlin: Jüdischer Verlag 1920. Martin Buber, Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, mit einer Einleitung von Robert Weltsch, Köln: Joseph Melzer 1963. Martin Buber, Kampf um Israel – Reden und Schriften, 1921-1932, Berlin: Schocken Verlag 1933. Martin Buber Archiv, Jüdische Nationalbibliothek Jerusalem Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität Jerusalem u. K. G. Saur: München [u. a.] 1980. Martin Buber Werkausgabe Martin Buber, Reden über das Judentum, Gesamtausgabe, Frankfurt a. M.: Literarische Anstalt Rütten & Loening 1923. Martin Buber, Die Stunde und die Erkenntnis, Reden und Aufsätze 1933-1935, Berlin: Schocken Verlag 1936. Martin Buber, Werke, 3 Bde., München: Kösel-Verlag u. Heidelberg: Lambert Schneider 1962-64. Erster Band: Schriften zur Philosophie (1962), Zweiter Band: Schriften zur Bibel (1964), Dritter Band: Schriften zum Chassidismus (1963).

Hebräische Bibel Gen Ex Lev Num Dtn Jos I Sam

Genesis Exodus Leviticus Numeri Deuteronomium Josua 1. Samuel

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II Sam I Reg II Reg Jes Jer Ez Hos Jon Mi Hab Sach Mal Ps Hi Thr Qoh Dan II Chr

Abkürzungsverzeichnis

2. Samuel 1. Regum (1. Könige) 2. Regum (2. Könige) Jesaja Jeremia Ezechiel Hosea Jona Micha Habakuk Sacharja Maleachi Psalm(en) Hiob Threni (Klagelieder) Qohelet (Prediger) Daniel 2. Chronik

Neues Testament Mt Mk Lk Joh Apg Röm 1 Kor 2 Kor Gal Eph Phil Kol 1 Thess 2 Thess 1 Tim Tit Hebr 1 Petr 1 Joh Apk

Matthäus Markus Lukas Johannes Apostelgeschichte Römer 1. Korinther 2. Korinther Galater Epheser Philipper Kolosser 1. Thessalonicher 2. Thessalonicher 1. Timotheus Titus Hebräer 1. Petrus 1. Johannes Offenbarung des Johannes (Apokalypse)

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Abkürzungsverzeichnis

Außerkanonische Schriften Bar 4Esr 1Hen 3Hen Jub 2Makk 4Makk PsSal SapSal

Baruch 4. Esra 1. (äthiopischer) Henoch 3. (hebräischer) Henoch Jubiläen 2. Makkabäer 4. Makkabäer Psalmen Salomons Sapientia Salomonis (Buch der Weisheit)

Rabbinische Literatur mAv mBQ mSan tShevu tSota jBer jNed jPea jTaan bAS bBB bBer bBQ bChag bJev bJoma bMeg bNas bNid bSan bShab bSota bTaan AgBer ARN BerR LeqT

Mischna, Traktat (Pirke) Avot Mischna, Traktat Bava Qamma Mischna, Traktat Sanhedrin Tosefta Shevuot Tosefta Sota Talmud Jerushalmi, Traktat Berakhot Talmud Jerushalmi, Traktat Nedarim Talmud Jerushalmi, Traktat Pea Talmud Jerushalmi, Traktat Taanit Talmud Bavli, Traktat Avoda Sara Talmud Bavli, Traktat Bava Batra Talmud Bavli, Traktat Berakhot Talmud Bavli, Traktat Bava Qamma Talmud Bavli, Traktat Chagiga Talmud Bavli, Traktat Jevamot Talmud Bavli, Traktat Joma Talmud Bavli, Traktat Megilla Talmud Bavli, Traktat Nasir Talmud Bavli, Traktat Nidda Talmud Bavli, Traktat Sanhedrin Talmud Bavli, Traktat Shabat Talmud Bavli, Traktat Sota Talmud Bavli, Traktat Taanit Aggadat Bereshit Avot deRabbi Natan Bereschit Rabba (Genesis Rabba) Lekach Tov

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MTeh PesR SER ShemR SifBem SifDev Sifra Tan TanB

Abkürzungsverzeichnis

Midrasch Tehillim Pesiqta Rabbati Seder Elijahu Rabba (Midrasch zu Genesis) Schemot Rabba (Exodus Rabba) Sifre Bemidbar (zu Numeri) Sifre Devarim (zu Deuteronomium) Midrasch Sifra deVe Rav (zu Leviticus) Tanchuma, Midrasch Tanchuma Tanchuma, Midrasch Tanchuma (Hg. S. Buber)

Andere Literatur Flav.Jos.Ant Iust. 1/2 apol. Philo migr. Philo sacr.

Flavius Josephus, Antiquitates Judaica Iustinus Martyr, apologiae Philo, de migratione Abrahami Philo, de sacrificiis Abelis et Caini

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Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellenverzeichnis 2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographie 2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers 2.3 Verwendete Werke Martin Bubers 2.4 Verwendete Literatur

1. Quellenverzeichnis Aus dem Martin Buber Archiv der Jüdischen Nationalbibliothek Jerusalem sind folgende unveröffentlichte Quellen verwendet worden: Lebte Jesus? Religion und Gottesherrschaft Das menschliche Handeln und seine Problematik Die Brennpunkte der jüdischen Seele Kirche, Staat, Volk, Judentum Offener Brief an Gerhard Kittel Zu Gerhard Kittels »Antwort« Die Mächtigkeit des Geistes Zwei Glaubensweisen

Arc. Ms. Var. 350, 558b,1 Arc. Ms. Var. 350, gimel 3 Arc. Ms. Var. 350, bet 177 Arc. Ms. Var. 350, hei 38a Arc. Ms. Var. 350, hei 12b Arc. Ms. Var. 350, hei 13 Arc. Ms. Var. 350, hei 13 Arc. Ms. Var. 350, hei 12a Arc. Ms. Var. 350, bet 43 Arc. Ms. Var. 350, bet 43c Arc. Ms. Var. 350, bet 43f Arc. Ms. Var. 350, chet 59.10 Christus, Chassidismus, Gnosis Arc. Ms. Var. 350, dalet 17 Ein Realist des Geistes Arc. Ms. Var. 350, bet 32 [Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften] Arc. Ms. Var. 350, hei 51 Philosophical Interrogations Arc. Ms. Var. 350, 85 wav bet

2. Literaturverzeichnis 2.1 Bibliographie Martin Buber. Eine Bibliographie seiner Schriften, 1897-1978, zusammengestellt von Margot Cohn und Rafael Buber, Jerusalem: Magnes Press, Hebräische Universität Jerusalem u. München [u. a.]: K. G. Saur 1980.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

2.2 In den Band aufgenommene Schriften Martin Bubers Lebte Jesus?, in: Diskussion. Kultur-Parlament. Eine Monatsschrift für aktuelle Kulturfragen, 1. Jg., Heft 1,1910, S. 56-57. Eine Feststellung, in: Die Welt, 18. Jg., Heft 21, 22. Mai 1914, S. 505. Der Preis, in: Der Jude, 2. Jg., Heft 8, November 1917, S. 505-510. Religion und Gottesherrschaft, in: Frankfurter Zeitung, 28. April 1923, Literaturblatt. »Pharisäertum«, in: Der Jude, Sonderheft. Antisemitismus und jüdisches Volkstum, 1925, S. 123-131. [Geleitwort zu Die Kreatur], in: Die Kreatur, hrsg. von Martin Buber, Joseph Wittig u. Viktor von Weizsäcker, 1. Jg. 1926/27, Heft 1, 1926, S. 1-2. Bericht und Berichtigung, in: Der Jude, Sonderheft. Judentum und Deutschtum, 1926, S. 87-89. Brief von Dr. Martin Buber an den V.-V.-B., in: Höre Israel, Hamburg 1926. Das menschliche Handeln und seine Problematik. Aussprache zwischen Martin Buber und Emil Brunner, Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 bet 177). Die Brennpunkte der jüdischen Seele, in: Der Morgen, 8. Jg., Heft 5, Dezember 1932, S. 375-384. Brief an Ernst Michel, in: Rhein-Mainische Volkszeitung, 13. April 1933. Gespräch um Gott. Bericht über zwei Meinungskämpfe, in: Eckart. Blätter für evangelische Geisteskultur, 9. Jg., Heft 2, Februar 1933, S. 49-53. Kirche, Staat, Volk, Judentum. Zwiegespräch im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart am 14. Januar 1933, in: Theologische Blätter, 12. Jg., Nr. 9, September 1933, Sp. 257274. Offener Brief an Gerhard Kittel, in: Theologische Blätter, 12. Jg., Nr. 8, August 1933, Sp. 248-250. Zu Gerhard Kittels »Antwort«, in: Theologische Blätter, 12. Jg., Nr. 12, Dezember 1933, Sp. 370-371. Dom und Friedhof, in: Jüdische Rundschau, 39. Jg., Nr. 44, 1. Juni 1934, S. 10. Die Mächtigkeit des Geistes, in: StudE, S. 74-87. Unserem Verbündeten (Leonhard Ragaz zum 75. Geburtstag), für die MBW erstellte Übersetzung aus dem Hebräischen von Karin Neuburger. Ragaz und »Israel«, in: Mitteilungsblatt, 10. Jg., Nr. 13, 29. März 1946. Echo und Aussprache. Ein Briefwechsel mit Martin Buber, in: Rundbrief zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk – im Geiste der beiden Testamente, 2. Folge, Nr. 5/6, Dezember 1949, S. 20-23. Zwei Glaubensweisen, Zürich: Manesse 1950. Christus, Chassidismus, Gnosis, in: Merkur, 8. Jg., Heft 10, Oktober 1954, S. 923929. Zur Klaerung, in: Mitteilungsblatt des Irgun Olej Merkas Europa, 22. Jg., Nr. 23, 4. Juni 1954, S. 6.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Ein Realist des Geistes, in: Ehrfurcht vor dem Leben – Albert Schweitzer. Eine Freundesgabe zu seinem 80. Geburtstag, Bern: Paul Haupt 1955, S. 203-204. [Eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften], in: Wege zum Nächsten – 10 Jahre christlich-jüdische Zusammenarbeit in Berlin, Vorrede v. Joachim Tiburtius, Berlin-Wilmersdorf: Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e. V. 1959, S. 14. Philosophical Interrogations of Martin Buber, John Wild, Jean Wahl [u. a.], eingel. u. hrsg. von Sydney u. Beatrice Rome, New York: Holt, Rinehart & Winston 1964, S. 108-109, und Typoskript im MBA (Arc. Ms. Var. 350 85 wav bet).

2.3 Verwendete Werke Martin Bubers Antwort, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, übers. aus dem Englischen von Curt Meyer-Clason, hrsg. von Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, Stuttgart 1963, S. 589-639. Begegnung. Autobiographische Fragmente, Stuttgart: W. Kohlhammer 1960. Brief an Gandhi, Zürich: Verlag Die Gestaltung 1939; aufgenommen in: JuJ, S. 628643. Die chassidischen Bücher, Hellerau: Jakob Hegner 1928. Ekstatische Konfessionen – Gesammelt von Martin Buber, Jena: Eugen Diederichs 1909; Heidelberg: Lambert Schneider, 5. Aufl. 1984. Die Fahrt. Der Altar, in: MBW 1, hrsg. von Martin Treml, Gütersloh 2001, S. 249252. Die Frage an den Einzelnen, Berlin: Schocken Verlag 1936. Fragmente über Offenbarung, in: Für Margarete Susman – Auf gespaltenem Pfad, hrsg. von Manfred Schlösser, Darmstadt: Erato-Press 1964, S. 78-83; aufgenommen in: Nachlese, Heidelberg: Lambert Schneider 1965, S. 107-112. Der Geist des Orients und das Judentum, in: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte von Martin Buber, München: Kurt Wolff Verlag 1916, S. 9-48; aufgenommen in: JuJ, S. 45-63. Die Geschichten des Rabbi Nachman – Ihm nacherzählt von Martin Buber, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1906. Glaube, Hoffnung, Liebe, in: MBW 1, hrsg. von Martin Treml, Gütersloh 2001, S. 99102. Gog und Magog. Eine Chronik, Heidelberg: Lambert Schneider 1949; zuletzt in: MBW 19, hrsg. von Ran HaCohen, Gütersloh 2009. Gottesfinsternis. Betrachtungen zur Beziehung zwischen Religion und Philosophie, Zürich: Manesse 1953. Der heilige Weg. Ein Wort an die Juden und an die Völker, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1919. Ich und Du, Leipzig: Insel Verlag 1923.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Jüdische Religiosität, in: JuJ, S. 65-78. Die Lehre vom Tao, in: Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse, Leipzig: Insel Verlag 1910, S. 77-114. Nachwort, in: Die Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 287-305. Drei Reden über das Judentum, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1911, zuletzt in: MBW 3, hrsg. von Barbara Schäfer, Gütersloh 2007, S. 219-256. Mein Weg zum Chassidismus. Erinnerungen, Frankfurt a. M.: Rütten & Loening 1918. Rede gehalten von Martin Buber an seiner »Barmizwah«-Feier am 8. Februar 1891, in: MBW 1, hrsg. von Martin Treml, Gütersloh 2001, S. 93-98. Zur Verdeutschung des letzten Bandes der Schrift, Köln: Jakob Hegner 1962. Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, München: Kurt Wolff Verlag 1916. Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre, The Hague: Pulvis Viarum 1948. Zwiesprache, Berlin: Schocken Verlag 1932.

2.4 Verwendete Literatur Askani, Hans-Christoph, Karl Barth und Martin Buber, in: Karl Barths Theologie als europäisches Ereignis, hrsg. von Martin Leiner u. Michael Trowitzsch, Göttingen 2008, S. 239-259. Baeck, Leo, Harnacks Vorlesung über das Wesen des Christentums (1901), in: Christentum aus jüdischer Sicht. Fünf jüdische Denker des 20. Jahrhunderts über das Christentum und sein Verhältnis zum Judentum, hrsg. von Fritz A. Rothschild, Berlin u. Düsseldorf 1998, S. 55-58. Ders., Das Wesen des Judentums (1905), in: Leo Baeck, Werke, Bd. I, hrsg. von Albert H. Friedlander, Bertold Klappert u. Werner Licharz, Gütersloh 1998. Balthasar, Hans Urs von, Einsame Zwiesprache. Martin Buber und das Christentum, Köln u. Olten 1958. Ders., Martin Buber und das Christentum, in: Martin Buber – Philosophen des 20. Jahrhunderts, übers. aus dem Englischen von Curt Meyer-Clason, hrsg. von Paul Arthur Schilpp u. Maurice Friedman, Stuttgart 1963, S. 330-345. Barth, Karl, Kirchliche Dogmatik, Bd. III/2, Zürich 1948. Beck, Eleonore u. Miller, Gabriele (Hrsg.), Martin Buber. Im Gespräch mit Gott und den Menschen. Erinnerungen, Leipzig 2003. Ben-Chorin, Schalom, Zwiesprache mit Martin Buber. Erinnerungen an einen großen Zeitgenossen, Gerlingen 1978. Becker, Dieter, Karl Barth und Martin Buber – Denker in dialogischer Nachbarschaft? Zur Bedeutung Martin Bubers für die Anthropologie Karl Barths, Göttingen 1986. Biser, Eugen, Buber für Christen. Eine Herausforderung, Freiburg i. Br. 1988.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Glossar* Aggada: hebr., die erzählenden, nicht religionssgesetzlichen Bestandteile des Talmud, im Unterschied zur ! Halacha. Bekennende Kirche: Oppositionsbewegung protestantischer Christen in der Zeit des Nationalsozialismus; gerichtet gegen die Anpassung von Lehre, Organisation und Ausbildung innerhalb der Kirche an die NS-Ideologie, wie sie von den ! Deutschen Christen gefordert und praktiziert wurde. Chassidismus: durch Rabbi Israel ben Eliezer (ca.1700-1760), genannt Baal-SchemTow, gegründete und in Osteuropa verbreitete volkstümliche mystische Bewegung innerhalb des Judentums. Deutsche Christen: Bewegung innerhalb des dt. Protestantismus, welche die Anpassung des christlichen Glaubens an die NS-Ideologie zum Ziel hatte; gegründet 1932, übernahmen »Deutsche Christen« ab 1933 zunehmend die Leitung innerhalb der Landeskirchen, Auslöser für den sog. »Kirchenkampf«; als Reaktion gründete sich 1934 die ihr entgegenstehende ! Bekennende Kirche. Dialektische Theologie: auch »Wort-Gottes-Theologie«; Richtung innerhalb des Protestantismus nach dem Ersten Weltkrieg (Karl Barth, Eduard Thurneysen, Emil Brunner), welche die Verquickung von Kultur und Religion scharf bekämpft, die Möglichkeit der Gotteserkenntnis durch den Menschen aus eigener Kraft strikt ablehnt und stattdessen die nur durch die göttliche Offenbarung mögliche Erkenntnis Gottes betont. Emuna: hebr. »Vertrauen«, »Treue«, »Glaube«; Glaube im Sinne von unbedingtem Gott-Vertrauen; von Buber abgegrenzt von ! Pistis als Glaube im Sinne von »Für-Wahr-Halten« von Glaubenssätzen. Eschatologie: von griech. ta eschata, »letzte Dinge«; Lehre von einem Ende der Geschichte und einer Vollendung von Mensch und Welt durch Gott. Freies Jüdisches Lehrhaus: 1920 von Franz Rosenzweig in Frankfurt a. M. gegründete Bildungseinrichtung; 1926/27 Einstellung des regulären Lehrbetriebs; im November 1933 unter dem Namen Jüdisches Lehrhaus wieder eröffnet; bestand bis 1938. Gnosis: griech. »Erkenntnis«; mystisch-philosophische Weltanschauung der neuplatonischen Schule besonders des 1. Jh. v. Chr., die zwischen Gottheit und Materie unterschied, sich von der Schau Gottes Einsicht in die Welt des Übersinnlichen erhoffte und von starker Leibfeindlichkeit geprägt war; beeinflusste die spätere Entwicklung der christlichen und jüdischen Mystik. Goj (Plural Gojim): bezeichnet im Hebr. allgemein den Angehörigen der Völker, den Nicht-Juden; heute zumeist pejorativ verwendet. *

Sofern der Begriff in den Schriften Bubers vorkommt, wird dessen Schreibweise übernommen. Alle anderen im Glossar angeführten hebräischen Begriffe folgen der für die MBW festgelegten Umschrift.

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Glossar

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Halacha: hebr. »Gang«, »Lebensweg«; Bezeichnung des jüdischen Religionsgesetzes; sie regelt das Leben der Gläubigen in allen Einzelheiten; im Unterschied zur ! Aggada. JHWH: Tetragramm zur Bezeichnung des Eigennamens Gottes in der Hebräischen Bibel; da im Judentum der Name Gottes unaussprechlich ist, wird das Tetragramm beim Beten durch die Anrede Adonaj (»Herr«) oder Adonaj Elohim (»Herr Gott«) und beim Vorlesen eines Bibel- oder Gebetstextes durch haSchem (»der Name«) ersetzt. Midrasch: hebr. »Auslegung«, »Studium«; Auslegung der Bibel im rabbinischen Judentum. Mischna: erste autoritative Sammlung des jüdischen Religionsgesetzes; redigiert um 200 n. Chr.; wird in der sog. Gemara kommentiert, mit der zusammen sie den ! Talmud bildet. Pharisäer, Pharisäertum: hebr. peruschim, »die Abgesonderten«; innerjüdische Gruppierung, welche die strenge Gesetzesobservanz betonte, in der konkreten Anwendung der Gebote aber lebenspraktisch vorging. Pistis: griech. »Treue«, »Glaube«; im Neuen Testament und besonders in den paulinischen Schriften Bezeichnung für das Anerkennen von Tod und Auferstehung Christi als Heilstat Gottes, von Buber der jüdischen ! Emuna gegenübergestellt. Rosch Haschana: hebr. »Beginn des Jahres«; jüdisches Neujahrsfest und Beginn des liturgischen Zyklus. Sadduzäer, Sadduzäertum: innerjüdische Gruppierung neben den ! Pharisäern und Essenern; der Name geht auf den Oberpriester Zaddok zur Zeit Davids zurück, in dessen Familie die Priesterwürde bis ins 2. Jh. v. Chr. erblich war; ihr Hauptinteresse galt allen Angelegenheiten, den Tempeldienst und die Priesterschaft betreffend. Schechina: hebr. »Einwohnung [Gottes]«; in der rabbinischen Literatur die Gegenwart Gottes im Volke Israel; in der Kabbala wird sie zum zentralen Symbol der Exilsituation. Stuttgarter Jüdisches Lehrhaus: von Stuttgarter Juden 1926 gegründet; bestand bis 1937 und galt insbesondere durch das Engagement von Martin Buber als ein Zentrum des christlich-jüdischen Dialogs im Vorkriegs-Deutschland. Synhedrion: der Hohe Rat in Jerusalem; 70 köpfiges Gremium; vom 2. Jh. v. Chr. bis zur Zerstörung des Tempels im Jahr 70 die oberste religiöse und politische Behörde des Judentums. Synoptische Evangelien / Synoptiker: von griech. syn-opsis, »Zusammenschau«; Bezeichnung für das Verfahren einer vergleichenden Analyse der drei Evangelien von Markus, Matthäus u. Lukas; beim Nebeneinanderlegen der drei Evangelien in Spalten zu einer sog. Synopse lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Überlieferungen hinsichtlich Sprache und Textmaterial exakt erkennen. Talmud: Bezeichnung von ! Mischna und Gemara als den rabbinischen Auslegungen der Bibel; Hauptwerk der jüdischen Lehre und des Religionsgesetzes; wurde

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Glossar

in zweifacher Form in Palästina (Jerusalemer Talmud) und in Babylonien (Babylonischer Talmud) schriftlich niedergelegt. Teschuwa: hebr. »Umkehr«; der biblisch-talmudische Grundbegriff für die Umkehr des Menschen zu Gott mit seiner gesamten Existenz, verbunden mit dem Willen zur Sühne für seine Sünden. Thora: hebr. »Lehre«; bezeichnet im engeren Sinn den Pentateuch (die fünf Bücher Moses), im weiteren Sinne die jüdische Glaubenlehre insgesamt. Zaddik (Plural Zaddikim): hebr. »Gerechte(r)«; durch charismatische Eigenschaften oder durch dynastische Abfolge legitimierte höchste religiöse Autorität einer Gemeinde von Chassidim. Zeloten: von griech. zelotes, »die Eiferer«; jüdische Widerstandsbewegung aus dem 1. Jh. gegen die römische Besatzung; ein Großteil ihrer Vertreter fiel in den Kämpfen des Jahres 70; gemäß der Überlieferung gingen die letzen Aufständischen während der Belagerung der Bergfestung Masada am Toten Meer kollektiv in den Tod, um der Versklavung durch die römischen Sieger zu entgehen; im Staat Israel heute Symbol für den Kampf des jüdischen Volkes für Freiheit und Selbstbestimmung.

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Stellenregister Bibelstellen Hebräische Bibel (Altes Testament) Gen 1,26 1,27 2,24 5,1 5,24 6,5 8,21 10,5 11,8f. 12,1 12,2 13,15 f. 15,1 15,6 15,16 18,19 22 28,20 32,3 35,3 Ex 3,12 3,13 f. 3,14 3,14 f. 4,5 4,12 4,31 10,1 11,2 12,23 13,12 14,4 14,17 14,31 15,1-18 15,18 17,12 19,6 19,1-25 19,18

357 357 241 246 263, 439 251 251 182 182 277 182 412 226 226, 227 253 182 359 129 422 129 255 355 253, 283, 359, 390 255 219 255 221, 227, 427 252 139 290 256 252 252 221, 227 437 160, 437 226 160, 215, 310 417 138, 417

20,17 f. 20,19 21,23 ff. 21,24 23,4 f. 23,9 24,3 24,7 31,14 33,18 33,19 Lev 11,44 ff. 11,45 18,5 19 19,2 19,15 19,17 19,18 19,33 f. 19,33 20,7 20,26 24,22

251 221 138 138, 360, 362 138, 245 174 221 221 92 254 254 236 90 168, 230, 255 243 90, 236 243 244 91, 138, 242, 246, 364, 430 139, 170 244 236 236 170

Num 8 5,6 14,20 15,16 15,16 f. 15,26 35,31

246 429 257 170 174 170 138

Dtn 2,30 4,35 6,4 6,5 6,6 7,9 10,12 10,15 10,17 ff. 10,18 10,19

253 222 284, 437, 441 91, 284 239 222 244, 288 244 139, 170, 364 244 244

14,1 17,15 18,13 24,1 27,26 28,58 29,28 30,11 30,14 32,2 32,11 32,35 34,5 f.

247 271, 433 90, 237 241 229 233 284 232 196, 231 259 279 173 439

Jos 11,20

253

I Sam 10,6 10,9

277 277

II Sam 19,20 23,3 f. 23,7

227 182 257

I Reg 8,27 8,36 8,48 8,61 11,4 18,12

301 234 216 237 237 279

II Reg 2,1-18 2,3 3,27 16,3 23,29

439 263 256 256 441

Jes 1,14 5,19 6-8 6,5 6,10 7,3 7,9

254 212 217 217 253 217 216, 217

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478 8 8,14 8,16 8,16-19 8,20 8,22 14,12 25,8 26,2 28,16 29,16 30,20 42,1 42,1-9 42,2 42,4 42,6 42,6 f. 42,7 42,7 f. 43,10 44,8 45,1 45,15 49,1-9a 49,2 49,2 f. 49,6 49,8 50,4 50,4-9 50,5 52,13-53,12 52,14 f. 53 53,9 53,11 53,11 f. 54,7 54,10 55,3 f. 55,8 57,19 61,1 61,1 f. 61,2 Jer 1,5 2,3 8,8 f. 10,7

Stellenregister 253 231 267, 268 254 254 254 256 262 168, 390 135, 212, 231 290 234 271 270 135, 267 267 267 277 266, 267 265 287 287 270 283, 309 270 135, 267, 390 213 135, 267, 277 267 267 270 198 270 267 40, 135, 266, 267 266, 316 293 267 267 168, 390 267 417 302 277 277 266, 267 271 390 234 215

18,3 ff. 28 29,5 31,3 31,17 31,33 50,6

290 201 389, 390 289, 434 216 232, 428 311

Ez 1,24a 2,4 3,7 3,17 ff. 16,20 f. 20,11 20,13 20,21 20,25 f. 23,37 23,39 34,4 34,16 44,15 47,21 f.

279 255 255 255 255 255 255 255 255, 355 255 255 311 311 346 162

Hos 1,9 2,1 2,18 3,1 Jon 3,5 Mi 6,7 Hab 2,4

247 247, 281 125 289, 430 227 256

234 234 279 279 283 259 227 198 263 308 299, 302 329 284 263 230 368 125 278, 433 231 265 311 302, 436 246

Hi 19,26 36,22 42,5

224 234 224

Thr 5,21

216

Qoh 11,5

278

Dan 3 7,13

447 439

II Chr 20,20 35,20-24

216 441

229

Sach 1,3

216

Mal 3,7 3,18

216 259

Ps 2,7 10,4 16,8 19,4 22,2

25,4 27,11 29,5 29,8 31,6 31,9 32,2 40,7 49,16 61,5 65 73 73,23 73,24 73,26 84,8 103 104,30 106,12 118,22 119,176 120 139,21 f.

Neues Testament

277 222 284 222 437

Mt 3,2 4,1 4,17 5,17 5,17-19 5,20 5,31 f.

437 433 437 99, 238 238 238 240

MBW 9 (02685) / p. 479 / 12.10.2018

479

Stellenregister 5,38 5,39 5,43 5,44 5,44 f. 5,45 5,48 6,1 6,8 6,9 7,11 8,10 11,5 11,12 11,27 12,34 15,24 16,16 17,14-21 18,20 19 19,16-26 19,21 19,26 21 22,37 22,39 23,13 ff. 23,33 24,27 24,30 27,46

138, 360, 362 240 240, 242, 360 240 438 245 236, 273 211 303 301 303 148 266 214, 260, 426 281, 439 247 311 437 211 366 241 439 236, 237 211 241 351 242 237 247 265 265 437

Mk 1,1 1,4 1,10 1,12 1,15 2,17 2,19 f. 2,27 4,35-39 4,40 8,27 ff. 8,29 8,30 8,31 8,34 9,14-29 9,23 9,31 10

199 300 279 433 437 259, 431 266 92 438 261 217 437 432 265 260 209 209 265 241

10,3 10,5 10,8 10,17 10,17-27 10,17 ff. 10,18 10,27 10,33 12,14 12,31 12,34 14,62 15,34 16,19 f.

280 280 280 273, 280 439 260 198, 199 211 265 274 242 193 269 437 199

Lk 3,7 3,38 4,1 4,18 4,43 5,32 6,4 6,27 f. 6,27 ff. 6,36 7,9 7,22 9,20 10,18 10,27 10,30 ff. 11,1 11,18 11,22 11,39 ff. 12,50 15,31 16 16,16 16,17 f. 16,18 17,25 18,18-27 19,41-44 23,46 24,47

277 276 433 277 300 300 92 438 240 236 148 266 437 256 242 148 300 257 257 237 265 193 241, 430 214 241 240 265 439 193 283 300

Joh 1,12 1,13 1,14

248, 281 281 281

1,47 3 3,1-8 3,2 3,2a 3,2b 3,3 3,4a 3,4b 3,5 3,7 3,8 3,13 3,16 3,18 3,36 6,1-15 6,28 ff. 6,29 6,66 6,69 7,50 f. 8,14 8,38 8,46 8,48 10,9 10,36 10,38 12,44 13,15 14,6 14,9 17,5 17,8 18,36 20,25

148, 193 206, 423 275 275 275 275 275, 276, 280 276 276 280 277 280 273 219 223 219, 427 437 223 219 268 219, 437 280 280 211 200 200 281, 303 219 219 223 261 198, 199, 281 223 211 219 152 281

Apg 2,37 2,38 2,41 5,34-40 5,34 ff. 7,59 8,9-11 17,32 20,28 23

264 300 264 345 90 283 436 264 284 90

Röm 1,4 1,16

262 303

MBW 9 (02685) / p. 480 / 12.10.2018

480 1,17 1,18 1,24 1,25 1,26 2,12 2,13 2,14 f. 2,20 3,20 3,22 3,24 3,26 3,28 3,31 4 4,15 5,8 f. 5,8 ff. 5,18 f. 5,20 7 7,7-25 7,7 7,7 f. 7,8 7,8a 7,8b 7,9 7,9a 7,9b 7,10 7,12 7,13 7,14 7,15 7,18 7,19 7,21 ff. 7,21-25 7,22 ff. 7,23 7,24 8,2 8,3 8,15 8,19 ff. 8,26 8,32 8,39 9-11 9,4 9,4 f.

Stellenregister 229 303 251 286 251 303 233 232 252 232 230 303 232, 303 232 100 226 251 262 288 303 250, 252, 296 294 294 294 296 251 294 294 295, 296 294 294 295 251 250, 296 296 251 251, 295 295 251 31 100 251, 412 294 258, 412 251 251 251 304 252 289 69, 196, 371 289 193

9,5 9,15 9,17 9,18 9,21 9,22 9,31 10,3 10,4 10,6 10,8 10,8 ff. 10,9 11,5 11,7 11,11 11,15 11,18 11,24 11,25 11,28 11,29 11,32 11,36 12,14 13,1 13,8 13,10 16,25

286 254 254 252, 254 290 290 231 250 100, 437 232 196, 199 231 262 252 252, 254 193, 252 419 69 252 256 289 289, 434 256, 291, 431 286 438 153 258 258 251

5,17 5,19 11,14 11,31 12,7 f.

277 288 251 286 304, 435

Gal 2,16 3,6 3,9 3,10 3,11 3,19 3,21 3,22 3,23 f. 3,26 3,28 4,2 f. 4,9 5,3 5,14 6,15

230, 232 229 251 233 229, 251 251 251 252 252 248 148, 386 251 251 233 258 277

Eph 1,21

264

Phil 2,6 2,7

286 252

1 Kor 1,18 2,7 f. 2,8 2,12 2,14 f. 4,5 8,6 11,1 15,1 ff. 15,11 15,14 15,16 15,20 15,24 15,26 15,56

291 251 251 251 280 291 286 261 262 262 262 264 262 252, 291 262 252

Kol 1,15 ff. 1,18 1,26 2,14 2,15 3,11

286 262 251 252 252 148

1 Thess 1,10 3,11

290 289

2 Thess 2,16

289

1 Tim 3,6 3,16

290 264

Tit 2,13

284

2 Kor 2,15 f. 4,3 4,4 4,18

291 291 251 222

MBW 9 (02685) / p. 481 / 12.10.2018

481

Stellenregister Hebr 1,1 f. 3,16 ff. 3,19 4,2 11,1 11,2 11,5 11,6 11,12 1 Petr 1,16 1,23 3,22 1 Joh 1,2 2,6 2,18 3,19 5,5 5,20 5,21 Apk 9,9a 12,8 f.

390 221 221 221 221 226 226, 439 129, 225 226 351 277 264 283, 434 261 261 277 248 440 440 279 256

Außerkanonische Schriften Bar 48,42 303 54,15 303 70,9 272 4Esr 3,20 ff. 7,118 10,1 f. 13,32 13,37 13,52

293 303 266 272 272 272

1Hen 70 71

272 272

3Hen 39,7 48,4 48,6 62,7

271 272 271 271

Jub 1,23 ff.

248

2Makk 6,18-31 7,1-42

441 441

4Makk 6,29 17,22 PsSal 9,4 SapSal 2,16 11,23 11,24 11,26-12,1

298 298

237, 428

jTaan 65b

298

Babylonischer Talmud bAS 3a 174 bBB 10a

248

bBer 17a 28a 33b 34b 61b

239, 259, 431 240 288 259 288

bBQ 84a

138

bChag 15

279

bJev 47,a

167

bJoma 29a 72b 85b

239, 429 240 92

bMeg 20a 28a

239 139

297 130 442 442 442

Rabbinische Literatur Mischna mAv II,12 II,13 III,14 III,15 IV,11 V,17

jPea 15b

239 258 289 297 90 90

mBQ VIII,1

138

mSan X

226

Tosefta tShevu III,6

246

bNas 23b

240, 429

tSota IV,1

299

bNid 31a

302

bSan 105a 106b

246 239

bShab 104a 133b

25, 302 237, 428

Jerusalemer Talmud jBer IX,5 91 XXVIII 429 jNed IX,4

246, 430

MBW 9 (02685) / p. 482 / 12.10.2018

482

Stellenregister

bSota 22b

91, 237

bTaan 7a

259

Midrasch, Targum, Sammelwerke AgBer IX ARN XVI XL XLVI BerR XXI,6 XXIV,5 XXXIX,4-5 LVI,13 LeqT zu Num 8

MTeh zu Ps 31,9 zu Ps 65 zu Ps 120 PesR XXVII SER X

259 299, 302, 434 302, 435

299 246 277 359 246

287 259

Tan zu Gen 12,1 277 248 TanB III, 55a

298

390

307 246 90 90

SifDev zu 6,5 zu 32,2

Andere Literatur ShemR XIX

168

Sifra zu II,45 zu 18,5 zu 19,2 zu 19,18

90 168 90 246

SifBem 22b 50b

Flav.Jos.Ant X,5,1 441 XVIII,1 297 Iust. 1/2 apol. I 61,4 277 Philo migr. 9 220

247 299

Philo sacr. 15,59

298

MBW 9 (02685) / p. 483 / 12.10.2018

Sachregister agape 287 Aggada 298 aggadisch 135, 276, 307, 359 Antisemitismus 41, 147, 152, 185, 343, 345, 348, 391 Apokalyptik 134, 272, 293, 296, 302, 358 –, jüdische 272 Apokalyptiker 134, 295, 316, 435 apokalyptisch 134, 256 Apostel 31, 40, 53, 60-61, 69, 90, 148, 152, 200, 207, 217, 231, 262, 282, 290, 295, 338, 345, 436, 442 Auferstehung 51, 203, 224, 250, 262-263, 272, 274, 282 Auferstehungsbild 22 Auferstehungsformel 265 Auferstehungszeugnis 200 Baeck, Leo, Das Wesen des Judentums 20 Balthasar, Hans Urs von, Einsame Zwiesprache. Martin Buber und das Christentum 68-69 Barmherzigkeit 14, 236, 291, 299, 456 Barth, Karl, Kirchliche Dogmatik 63-64, 371 Basileia 214, 266, 301, 432, 437 Bekehrung 24, 78, 204, 227, 294, 339-340 Bekennende Kirche 370 Bekenntnis 26, 77, 98-101, 116, 142, 165, 190, 199, 210, 220, 225, 268, 285-286, 291, 311, 339, 351, 437 –, Einheits- 286 –, Schuld- 66 Bergpredigt 138-139, 233, 235-236, 238, 240, 242, 245, 247, 249-250, 303, 360362 Bewegung 16, 76, 84, 182, 191, 214, 227, 298, 407, 409, 418 –, Arbeiter- 341 –, chassidische 319 –, Frömmigkeits- 16 –, Glaubens- 152 –, Heimkehr- 270 –, Jugend- 67 –, Lehrhaus- 398 –, messianische 93 –, nationale 363 –, nazarenische 18 –, radikaljüdische 21, 76

–, religiöse 84-85 –, revolutionäre 190 –, soziale 340, 407 –, urchristliche 21 –, völkische 363, 391 –, zionistische 14, 337 Biser, Eugen, Buber für Christen 54, 57 Brunner, Emil –, Der Mittler 305, 352, 442 –, Die christliche Lehre von der Kirche, vom Glauben und von der Vollendung 60-61 –, Die Mystik und das Wort 352 –, Erlebnis, Erkenntnis und Glaube 352 –, Judentum und Christentum bei Martin Buber 60, 353 Buber, Martin –, Antwort 70 –, Begegnung. Autobiographische Fragmente 12, 15, 366 –, Beiträge zur Geschichte des Individuationsproblems 15 –, Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens 67, 450-451 –, Das Königtum Gottes 36, 159-160, 215, 353, 387-388 –, Der Geist des Orients und das Judentum 24, 31, 338 –, Der Glaube der Propheten 254, 267, 270, 272, 316 –, Der große Maggid und seine Nachfolge 101, 351 –, Der heilige Weg 29, 31, 321, 449, 451 –, Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre 71 –, Die chassidische Botschaft 317 –, Die chassidischen Bücher 26-27, 317 –, Die Fahrt. Der Altar 22 –, Die Frage an den Einzelnen 34, 353 –, Die Geschichten des Rabbi Nachman 16, 30, 318, 351 –, Die Legende des Baalschem 16 –, Die Lehre vom Tao 30 –, Die Schrift und ihre Verdeutschung 209, 227, 253, 278, 396 –, Die Schriften über das dialogische Prinzip 34-37, 39, 63-64, 318 –, Ein Land und zwei Völker. Zur jüdischarabischen Frage 449

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484 –, Einsichten. Aus den Schriften gesammelt 420 –, Ekstatische Konfessionen 15 –, Erziehung 38 –, Fragmente über Offenbarung 35, 7273 –, Gandhi, Politik und wir 38 –, Gog und Magog 27, 317, 321, 415, 450 –, Gottesfinsternis 54, 366, 420 –, Geltung und Grenze des politischen Prinzips 450-451 –, Ich und Du 22-23, 34-35, 38, 57, 60, 6263, 67-68, 347, 398, 422, 455 –, Jüdische Religiosität 21, 25, 338 –, Kampf um Israel 128, 145, 159, 164, 355, 357, 385, 387 –, Mein Weg zum Chassidismus 14, 16 –, Moses 215, 226, 250, 320, 387, 451 –, Reden über das Judentum 17, 338, 365, 451 –, Zur Verdeutschung des letzten Bandes der Schrift 41 –, Zwiesprache 36-39, 52, 318, 355 Bultmann, Rudolf –, Das Johannesevangelium 223, 275, 423 –, Die Aufgabe der Theologie in der gegenwärtigen Situation 394 –, Die Bedeutung des geschichtlichen Jesus für die Theologie des Paulus 238, 423 –, Die Geschichte der synoptischen Tradition 241, 423 –, Glauben und Verstehen 261 –, Jesus 236, 244, 300, 423 –, Neueste Paulusforschung 294 –, Theologie des Neuen Testaments 218, 256, 262, 288 –, Zur Frage des Wunders 261 Bund 37, 44-45, 66, 69, 125-126, 159-161, 165, 167, 175, 203-204, 267, 302, 370, 377-379, 383, 390, 397, 445 –, Gottes- 397 –, Königs- 368, 378 –, Ur- 318, 445, 447 –, Volks- 267 Bundesgott 204 Bundesschluß 204 chassidisch 16, 34, 130, 135, 249, 310, 321, 430 Chassidismus 16, 52, 58, 190, 235, 248249, 313, 318-319, 321, 385, 415

Sachregister Christologie 28, 52, 60, 69-70, 158, 229, 274, 361, 434, 445 Cohen, Arthur A., Martin Buber. The Natural and the Supernatural Jew: An Historical and Theological Introduction 458 Dekalog 240, 250, 320 Deutsche Christen 152, 361-363 Dialektik 228, 315, 428 –, innere 235, 239, 310, 312, 315, 321 –, innergöttliche 228 –, innerjüdische 238 –, menschliche 198 Dialektische Theologie 42, 63, 352, 355, 362 Dialog 9, 60, 368 –, christlich-jüdischer 35, 37, 47, 59-60, 65, 71, 368 –, interreligiöser 368 Dialogik 37, 47, 57, 63, 216, 220 dialogisch 9, 15, 34-37, 39, 59, 63-64, 228, 318, 347, 365-366 Dialogische, das 70 Diaspora 16, 132, 149-151, 153, 204 –, europäische 318, 448 –, griechisch-römische 154 –, hellenistische 238 Diasporajude 150 Die Kreatur 11, 34-39, 68, 347-348, 351, 359, 455 Dikaios 230 Dostojewskij, Fjodor Michailowitsch –, Die Brüder Karamasow 440 –, Die Dämonen 440 Drews, Arthur, Die Christusmythe 336 Dritte Reich, das 66, 152 Ebenbild 114, 246, 289 Ebenbildlichkeit 328, 456-458 –, Gottes- 16 Ebner, Ferdinand –, Das Wort und die geistigen Realitäten 34 –, Pneumatologische Fragmente 34 Einheit 27, 46, 91, 132-133, 136, 148, 157160, 162-163, 173, 240, 286, 289, 299300, 317, 342, 374, 376-378, 381, 387, 437, 455 –, göttliche 339 Ekklesia 22, 24-25, 76 Elementartriebe 178-180, 182, 402-403, 406-407, 411 Emuna 51, 55, 61, 129, 187, 215-216, 227,

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Sachregister 239, 274, 282, 284, 299, 309-310, 312, 329, 414, 417, 422, 447-448 Erbarmen 14, 228, 254, 267, 291, 298-299, 456 Erlöser 52, 55, 145, 206, 266, 285, 308, 311 Erlösergott 41, 434 Erlöserschaft 54 Erlösung 27-28, 31, 39-41, 52, 70, 73, 80, 84, 93, 99, 101, 124-125, 133-136, 158, 170-171, 180, 190, 198, 201, 204, 251, 266, 271, 289, 296, 299, 306, 308, 314, 326, 351, 359, 374-376, 387, 406, 454 Erlösungsplan 290 Erlösungswerk 51, 246, 292 Erlösungswille 304 Eschatologie 133 eschatologisch 86, 207, 234, 236-237, 241242, 248-249, 264, 289, 291, 293, 298, 302, 329, 340 Evangelium, Evangelien 19-20, 41, 61, 91, 171, 199-200, 210-211, 213, 241, 247, 265, 277, 281-282, 341, 349, 363, 426, 440 –, Hebräer- 25 –, Johannes- 219, 223, 248, 261, 268, 275, 279-280, 361, 423, 436, 444 –, Lukas- 236, 300 –, Matthäus- 211, 213, 303 –, synoptische 213, 275, 438 Exil 16, 35, 38, 49, 56, 96, 161-162, 270, 312, 344, 348, 379, 411, 435, 437, 439, 441, 452 –, babylonisches 41, 161, 292, 437, 439, 441 Forte-Kreis 36 Freies Jüdisches Lehrhaus 368, 397-398, 421 Frömmigkeit 94, 288, 298, 311 –, chassidische 132 Gastsasse 139, 162, 170-171, 174, 244-245, 364, 381, 396 Gastsassentum 50, 170 Gebet 96, 132, 171, 249, 281, 300-301, 303-304, 308, 348, 359, 377, 385, 435 –, Abend- 390 –, christliches 13 –, Fürbitten- 153 –, Haupt- 441 –, jüdisches 159, 301, 435, 441

485 –, Morgen- 14, 390 –, Nachmittags- 390 –, Unser-Vater- 300, 303 Gebetsgewalt 212 Gebetsordnung 359 –, jüdische 441 Gebetsprüche, jüdische 300 Gebetsüberlieferung, jüdische 301 Gebot 33, 86, 91, 99, 114, 126, 130-131, 151, 154, 162, 174, 223, 229, 232, 236238, 240, 242, 244-245, 248, 250, 255256, 259-260, 273, 287, 295-296, 328, 355, 417, 428-429, 431, 456, 458 –, alttestamentliches 236, 242, 428 –, Doppel- 456 –, göttliches 114-115, 233-234, 344 –, Himmels- 270 –, Kern- 53 –, Liebes- 242, 245-246, 287-288, 328, 364 –, Ur- 237 –, Vergeltungs- 360 Gebotserfüllung 240, 429 Geheimnis 26, 44, 46, 56, 119, 130, 135, 158-159, 179, 192, 195, 198, 251, 268, 287, 292, 297, 313, 370, 372, 375-377, 404 –, Abendmahls- 23, 326, 454 –, Geschichts- 161, 379 –, Glaubens- 57 –, Gottes- 45-46, 370 –, Leidens- 23 –, Messias- 27, 268, 317 –, Ur- 287-288 Geist 14, 16, 24-25, 29-31, 38, 41, 45, 55, 75, 89, 92, 105, 129, 131-132, 142, 151, 154, 156-157, 173, 176-182, 207, 220, 226, 251, 258, 269, 274, 276-281, 283, 285, 304, 306, 313, 326-328, 331, 336339, 361, 363, 373-374, 378, 386, 392, 395, 397-412, 419-420, 433-434, 438440, 442, 446, 449, 452-454 –, Ganzheits- 178, 403 –, heiliger 157, 374, 386, 390 –, Menschen- 239, 314, 446 Geistesrevolution 17 Gemeinschaft 12, 16, 25, 28, 36, 38-39, 8485, 146, 149, 159-161, 164, 166, 170, 173, 181, 187, 189, 193, 203-204, 211, 214, 227, 263, 292, 300, 307, 311, 377381, 395, 410, 413, 416 –, Arbeits- 398 –, Beter- 300

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486 –, Dienst- 96 –, Glaubens- 203, 328, 381 –, Gottes- 162 –, Israels- 267, 270 –, jüdische 52, 138, 190 –, Kampf- 243 –, Kern- 207 –, Kirchen- 146, 339 –, Lebens- 17, 374 –, Lehr- 96 –, Leidens- 149, 374 –, Menschen- 101, 163, 382 –, menschliche 163, 181, 382 –, Orts- 243 –, Religions- 35, 37, 310, 328, 368, 455 –, Volks- 146, 161, 243, 311, 388 –, Wahl- 243 –, Werk- 243 Gerechtigkeit Gottes 191, 230-231, 292, 299, 418 Gesetz 14, 31, 33, 41, 48, 88-89, 91-92, 99, 112, 115, 117-118, 122-123, 126, 128, 132, 154, 173-174, 180, 228-235, 241, 250-252, 256, 258, 261, 294-296, 305, 321, 345, 353, 355, 395, 406, 412, 428, 435, 437, 442 –, Doppel- 31, 180, 406 –, Gegen- 258 –, Geistes- 258 –, Gottes- 117, 126, 406, 428 –, Grund- 48 –, jüdisches 99, 362 –, Religions- 33, 48, 345, 438 –, talmudisches 138 –, Welt- 85 –, Zeremonial- 17 Gesetzesauslegung 344-345 Gesetzesjude 295 Gesetzesmensch 295 Gesetzesreligion 321, 449 Gesetzestäter 427 Gesetzeswerke 229, 257, 427 Gesetzgeber 234, 250 Gesetzgebung 118, 252, 289, 417 Gesetzlichkeit 345 Glaube 12-14, 17, 21-22, 26, 28, 30-31, 3840, 43, 50-51, 54, 56, 60-61, 65, 69-70, 90, 96, 101, 107, 109-110, 119, 121, 123, 129, 133-134, 139-140, 148, 152, 158, 160, 163, 169, 171, 184, 186, 193-195, 197-200, 202-205, 207-211, 213-217, 219, 221-234, 246-248, 252, 254, 258, 261-264, 267, 270, 272, 274, 280, 282,

Sachregister 284, 296, 310-312, 316, 329, 339, 341, 350-351, 353, 355, 359, 361, 369, 375, 377-378, 381-382, 417-418, 421, 425426, 431, 434, 454, 458 –, christlicher 9, 22, 51, 195, 199, 201, 421 –, Endzeit- 134 –, Gottes- 43, 204, 421 –, israelitischer 225 –, jüdischer 23, 49, 51, 146, 326, 340 –, messianischer 93 –, Ur- 180 Glaubensanschauung, israelitische 229 Glaubensbewusstsein 210 Glaubensbeziehung 214, 245 Glaubensgeschichte 47, 52, 132, 203, 206, 235, 248, 291 Glaubenskonzeption 226 Glaubensleben, israelitisches 220, 426 Glaubenswelt 60, 225, 265, 282-283 Glaubenswirklichkeit 46, 158-159, 162163, 172, 235, 242, 244, 246-247, 257, 262, 288, 315, 326, 373-375, 377, 382, 386-387, 422, 446-447, 454 Glaubenszeugnis 46, 50, 56, 425 Gnade 14, 25-26, 42, 55, 67, 111-113, 116, 118, 127, 131, 135, 171, 198, 216, 234, 250, 252, 254, 260-261, 289, 293, 298-299, 302, 304, 319, 353, 394, 431 –, Gottes- 29 –, Offenbarungs- 125 –, Schöpfungs- 113 –, Ur- 133 Gnadenfülle 55, 308 Gnadengabe 289 Gnosis 52, 308, 313-316, 318-319, 442446, 448 –, johanneische 315 Gnostiker 313-314, 316, 318 gnostisch 51, 252, 269, 307, 314, 316, 319, 338, 353, 430, 434, 442, 447-448 Goes, Albrecht –, Auf den Wegen der Befreiung 67 –, Begegnung in Ungarn 66 –, Das Brandopfer 66 –, Das Löffelchen 66 –, Martin Buber, der Beistand 67 –, Unruhige Nacht 66 Gogarten, Friedrich, Politische Ethik 63 Gottesbild 43, 54, 137, 257, 269, 282-283, 296, 356 –, binitarisches 54

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Sachregister Gottesknecht 23, 26-27, 69, 153, 161, 163, 191, 207, 268, 271, 275, 277, 292, 298, 316-317, 379, 382 Gottesreich 23-24, 118, 145, 150, 152, 163, 184, 382 Grisebach, Eberhard, Gegenwart. Eine kritische Ethik 354 Guardini, Romano –, Verantwortung. Gedanken zur jüdischen Frage 68 –, Welt und Person. Versuche zur christlichen Lehre vom Menschen 68 Halacha 33, 93, 345 Harnack, Adolf von –, Das Wesen des Christentums 19 –, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott 41 Heide 64, 123, 125, 129, 148, 153-154, 174, 194, 223, 232, 248, 252, 256, 264, 411 Heidentum 129, 176, 178-179, 398, 400401, 403-405, 407, 411 heilig 27, 29, 31, 33, 55, 60, 69, 89-90, 92, 99-100, 114, 117-118, 132, 152, 157, 167, 170, 179-182, 189-190, 218, 234, 236, 247, 249, 251, 295, 310-311, 316, 321, 344, 351, 374, 384, 386, 390, 404410, 412-413, 417-418, 441, 444, 446, 450 Heilige, das 31, 69, 132, 149-150, 153, 165, 168, 178-180, 182, 191, 219, 231, 319, 369, 374, 384, 404-406, 408-409 Heiligkeit 132, 179-180, 182-183, 236, 404-406, 408 –, Verklärungs- 179 –, Werk- 61 Heiligtum 43, 93, 136, 159, 180, 346, 377, 388, 406 Heiligung 132, 134, 178, 181, 183, 312, 319, 386, 398, 404-405, 407-410, 441 Herford, Robert Travers –, Das pharisäische Judentum in seinen Wegen und Zielen dargestellt 33, 287, 349 –, The Pharisees 98, 349 Herzl, Theodor, Der Judenstaat 16 Hochschule für die Wissenschaft des Judentums 20 Hohepriester 90, 174, 346, 438, 441 Höre Israel 220, 287, 441 Horowitz, Jacob, Auge um Auge, Zahn um Zahn 364

487 Ideologie 30-31, 398 –, Rassen- 361 –, Staats- 155 Islam 61, 225 Israel 31-32, 39, 41, 44-47, 49-52, 56, 6566, 68-70, 101, 115, 123-125, 133-134, 147-148, 150, 152-167, 170-175, 182, 185-187, 189-194, 201, 203, 206-207, 214-215, 220-225, 229, 231-232, 234236, 243-245, 247-249, 251, 254-259, 269-271, 280, 283, 287, 289-290, 292293, 296, 302, 309-310, 312, 316, 329, 354, 356, 369-370, 372-386, 388-389, 396-397, 399, 410, 412-419, 428, 430, 441, 445, 447 Jacob, Benno, Auge um Auge 138, 364 Judentum –, alexandrinisches 228 –, biblisches 235 –, chassidisches 27 –, Diaspora- 31, 132 –, frühtalmudisches 224, 228 –, hellenistisches 205, 220, 262, 264, 276, 290, 293, 425 –, nachbiblisches 233, 235 –, palästinensisches 391 –, rabbinisches 92, 228, 391 –, Ur- 17, 19 Jüdisches Lehrhaus Stuttgart 44, 145, 148, 367-369, 371, 385 Kabbala 318-319 Kaddisch 300, 441 Kafka, Franz, –, Das Schloß 55, 305-306 –, Der Prozeß 55, 306, 442 Kairos 214, 247, 366, 426, 430, 437 Kant, Immanuel, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik 14 Keyserling, Hermann –, La Révolution Mondiale et la Responsabilité de l’Esprit 412 –, Südamerikanische Meditationen 412 Kirche 11, 19, 22, 41, 44-48, 59-61, 65-66, 68, 70, 145-149, 153-158, 162-163, 166167, 171, 175, 190, 193-194, 204, 311, 339, 359-360, 367, 369-373, 375-376, 380, 382-384, 387, 393, 396, 419-420, 438 –, christliche 22, 24, 46, 61, 76, 78, 145147, 154, 165, 220, 322, 369, 450

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488 –, deutsche 59 –, jüdische 148-149 Kittel, Gerhard –, Die Judenfrage 47-48, 169, 173, 391, 394 –, Die Probleme des palästinensischen Spätjudentums und das Urchristentum 391 –, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 47, 150 Klausner, Joseph, Jesus von Nazareth 21 Königschaft Gottes 213, 259, 276, 295, 437, 447 Königsherrschaft Gottes 204, 214, 359, 426 Königtum Gottes 56, 158, 161-162, 207, 215, 234, 238, 257, 277, 312, 316, 376, 380, 382, 388, 447 Kraft, Kräfte 20, 73, 85, 112, 131, 133, 135, 143, 176-179, 182-183, 190, 200, 210, 215, 229, 235, 252-253, 261, 269, 298, 302-304, 310, 342, 368, 392, 398, 400, 402-403, 406, 409 –, Bildner- 179 –, Elementar- 176-182, 398, 400, 402-412 –, Entscheidungs- 259 –, Erd- 400 –, ethische 363 –, geistige 400 –, Glaubens- 178, 403 –, Gottes- 298 –, Intentions- 319 –, Lebens- 176, 400 –, messianische 27, 317 –, nicht-geistige 176 –, Rassen- 78 –, Seelen- 16 –, tellurische 176, 178, 400, 403 Lehre 21, 25, 29-30, 43, 60-61, 64, 92, 128, 139, 152, 157, 179, 182, 188, 205, 218, 224-225, 234-236, 238-240, 246, 250, 258-259, 273, 276, 280, 289, 296-297, 299, 302, 304, 306, 321, 342, 344, 357, 360, 362, 375, 387, 409, 440, 450 –, alttestamentliche 280 –, christlich-theologische 64 –, christliche 25-26, 60-61, 68, 91 –, Einheits- 22, 131 –, Erlösungs- 421 –, Ganzheits- 131 –, Glaubens- 107, 109-110, 112 –, Glaubens-, paulinische 228 –, Glaubensgrund- 437

Sachregister –, jüdische 301, 318, 439 –, Lischmah- 258-259 –, Moses- 128 –, paulinische 207, 280 –, pharisäische 238, 242, 260 –, Prädestinations- 359 –, Rechtfertigungs- 228 –, spätmessianologische 277 –, talmudische 245, 302 –, Verantwortungs- 255 Liebe 13-14, 30, 75, 84, 91, 99, 123, 130, 170-171, 178, 186, 194, 243, 245, 247248, 258-259, 273, 281, 284, 287-290, 299, 314, 321, 351, 354, 357, 363, 392, 403, 413, 430-431, 434, 440, 456 –, ewige 289 –, Feindes- 52-53, 236, 242, 247-249, 321 –, Freundes- 245 –, geschichtliche 289 –, gläubige 178, 403 –, Gottes- 242, 244-245, 287-289, 328, 440, 456-458 –, jüdische 322, 451 –, Menschen- 244-245, 284, 328, 457 –, Nächsten- 240, 242, 244, 246, 440, 456 –, urzeitliche 289 Lindeskog, Gösta, Die Jesusfrage im neuzeitlichen Judentum 20 Makkabäer –, -aufstand 346, 441 –, -buch 292, 298, 441 –, -kriege 87, 346 Martyrium 292, 298, 314, 318, 433, 441, 446-447 Maurenbrecher, Max, Von Nazareth nach Golgatha 336 Menschensohn 260, 265, 267, 269, 271-273 messianisch 23, 26-28, 35, 52, 79, 93, 96, 101, 132, 163, 182, 189-190, 217-218, 249, 253, 261, 267-268, 270-271, 278, 317, 348, 382, 412, 426, 435 Messianische, das 28, 93, 298 Messianismus 36, 99, 249, 358, 421 –, Auto- 361 –, christlicher 421 –, prophetischer 134 Messianität 26-27, 218, 317, 426 Messias 24, 27-28, 39, 43-45, 80, 93, 99, 101, 135, 145, 149-151, 153-154, 156, 158, 166, 189-190, 231, 248, 267-270, 272, 274, 318, 344, 351, 373, 375

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Sachregister –, Auto- 27 –, jesajanischer 267 Messiastum 149 Michel, Ernst –, Lebensverantwortung aus katholischem Glauben 359 –, Politik aus dem Glauben 359 –, Von der kirchlichen Sendung des Laien 359 Midda, Middot 298-299, 305 Mission 12, 41-42, 124, 128, 145, 153, 204, 227, 263, 378, 419 –, Heiden- 146, 153 –, Heiden-, christliche 244 –, Heiden-, jüdische 244 –, Juden- 153, 419 –, Juden-, christliche 12-13, 145, 153, 390 –, jüdische 12, 42 –, urchristliche 204 Montefiore, Claude G., The Synoptic Gospel 21 Moses ben Maimon, Führer der Unschlüssigen 420 Mysterium 106, 170, 267-268, 272, 281, 288, 315, 444 –, messianisches 268 Mystik 15, 22, 65, 207, 228, 311, 342 –, islamische 236, 428 –, nichtjüdische 15 Nietzsche, Friedrich, Also sprach Zarathustra 14 Offenbarung 73, 89, 108-112, 115, 124, 126-127, 149, 159, 161, 178, 186, 188, 212, 225-227, 235, 249, 258, 263, 283, 286, 289, 293, 295, 310, 354, 363, 377, 379-380, 444 –, Gottes- 108 –, göttliche 262, 437 –, messianische 269 –, Schöpfungs- 241 –, Schrift- 115 –, Sinai- 91, 215 –, Sonder- 313 Otto, Rudolf –, Aufsätze das Numinose betreffend 263, 422 –, Das Heilige 423 –, Reich Gottes und Menschensohn 422, 431

489 Palästina 16, 48, 53, 151-152, 172, 350, 418 Pannwitz, Rudolf –, Der Chassidismus 444 –, Die Krisis der europäischen Kultur 443 –, Kulturpädagogische Einführung in mein Werk 443 Patmos-Bund 36-37 paulinisch 31, 51, 54-55, 60-61, 180, 207, 228, 231-232, 234, 238, 255, 257, 280, 286, 289-290, 299-300, 304, 307-309, 329, 398, 406, 428, 438, 441-442 Paulinismus 54-55, 304, 309, 312 –, Anti- 30, 309, 398 Pharisäer 32-33, 61, 87-94, 98-99, 235, 237, 241-242, 246, 249, 257-259, 269, 275, 280, 291, 297, 302, 343-346, 349350, 433, 439 Pharisäertum 11, 32-33, 87-88, 93, 205, 239, 343, 349-350 Pharisäismus 19, 87, 93, 242, 343 Pistis 51, 55, 61-62, 215, 262, 309-312, 329, 422, 459 Prophetismus 450 Ragaz, Leonhard –, Israel, Judentum, Christentum 185, 189, 414-415 –, Judentum und Christentum. Ein Wort zur Verständigung 413-414, 417 –, Mein Weg 14, 16, 342, 415 –, Neue Wege 185, 191, 341, 416, 418 –, Von Christus zu Marx – von Marx zu Christus 341 –, Weltreich, Religion und Gottesherrschaft 84, 340, 413 Rathenau, Walther, Eine Streitschrift vom Glauben 339 Reformation 263 Reich Gottes 23, 32, 84, 86, 91, 118-119, 132, 152, 161, 189, 260, 267, 292, 340, 342, 380, 422 Religion 20, 32, 35, 38-39, 48-50, 54, 56, 62, 65, 70-73, 79, 84-85, 132, 140, 160, 162-163, 165, 184, 190, 245, 263, 274, 285, 301, 310, 312-313, 315, 321, 339-342, 348, 365-366, 368, 377-378, 381, 398, 413, 435, 446, 452, 455-456 –, christliche 13, 61, 313, 315, 444-445 –, Erlöser- 351 –, geschichtliche 72 –, griechische 98

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490 –, jüdische 14, 53, 79, 445 –, lebendige 49, 169, 225, 391 –, Mysterien-, hellenistische 244, 425 –, prophetische 65 –, Sinai- 235 –, spätjüdische 262 Religionsgespräche 36, 38-40, 44, 355, 368 Religiöse Sozialisten 65, 152, 184, 341, 365 Religiosität 16-17, 19, 21, 28, 76, 195, 318, 448 –, hellenistische 205, 425 –, israelitische 215 –, jüdische 28, 76 –, mystische 448 Sadduzäer 88, 90-91, 237, 344, 346, 437 Sadduzäertum 88, 343 Schechina 310 Schlatter, Adolf –, Der Glaube im Neuen Testament 62 –, Die Kirche Jerusalems vom Jahre 70-130 155 Schma Jisrael 287, 441 Schmidt, Karl Ludwig, Die Kirche des Urchristentums 155 Schmitz, Oscar A. H., Der jüdisch-christliche Komplex 98, 348, 350 Schoah 9, 19, 28, 32, 41, 46, 52, 66-68, 416 Scholem, Gershom, Martin Bubers Auffassung des Judentums 33, 345 Schöpfer 20, 41, 107, 134, 246, 308, 357 Schöpfung 27, 37, 39, 41, 64, 89, 92, 101, 105, 108, 110-111, 114, 116, 118-119, 121, 126, 131, 134, 142, 158, 181, 251, 255, 276-277, 279, 286-287, 293, 296298, 301, 306, 308, 376, 398, 408 –, Menschen- 288-289 –, Neu- 111, 277-278, 433 –, Welt- 271, 276, 279, 293 –, Wieder- 277 Schöpfungsakt 287 Schöpfungsgeschichte 41, 276, 278, 283 Schöpfungsintention 131, 227, 357 Schöpfungsmacht 119 Schöpfungsordnung 117, 362 Schöpfungssinn 181, 408 Schöpfungsursprung 108 Schöpfungswille 302 Schöpfungsziel 182, 408 Schubert, Kurt –, Christentum und Judentum im Wandel der Zeiten 449

Sachregister –, Die Religion des nachbiblischen Judentums 449 Schuld 56, 95, 107, 110-111, 115, 149, 184, 228, 239, 255, 285, 295, 307, 317, 323, 373, 444 Schweitzer, Albert –, Das Abendmahlsproblem aufgrund der wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts und der historischen Berichte 23 –, Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu 23 –, Die Mystik des Apostels Paulus 51, 436 –, Geschichte der paulinischen Forschung von der Reformation bis auf die Gegenwart 51 Sinai 28, 91, 128, 167, 175, 190, 221, 234, 236, 242, 254, 262, 344, 383, 389, 417 Söderblom, Nathan, Vater, Sohn und Geist unter den heiligen Dreiheiten und vor der religiösen Denkweise der Gegenwart 55, 440 Sohn Gottes 21, 262, 274, 280, 293 Steudel, Friedrich, Das Christusproblem und die Zukunft des Protestantismus 336 Stier, Fridolin, Die Sprache der Botschaft 68 Stiftung für interreligiösen Dialog 368 Strauß, David Friedrich, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet 335 Stuttgarter Schuldbekenntnis 66 Sünde 23, 31, 42, 48, 50, 105, 108, 111, 113, 115, 117-118, 121-122, 124, 126127, 131, 161, 173, 180, 239, 242, 250251, 253, 258, 288, 296, 300-303, 306, 319, 353, 412, 429, 435, 442-443 –, Erb- 105-107, 109, 111, 113-114, 131 Synhedrion 89, 197, 199, 201 Synoptiker 91, 219-220, 223, 261, 265, 272, 276-277 Talmud 25, 91, 93, 98, 138-139, 167, 237, 279, 384, 437-438 talmudisch 92-93, 205, 245, 294, 302 –, früh- 299, 328, 456-458 Teschuwa 215 Theologie 20, 32, 51, 54, 61-65, 68, 84, 96, 103, 109, 122, 165, 169, 217-218, 220, 225, 232, 238, 256, 262, 266, 288, 292, 319, 326, 338, 340-341, 355, 369-370, 392, 394, 396, 415, 423

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Sachregister –, christliche 11, 59, 61, 66, 165, 221, 305, 307, 321 –, christozentrische 64 –, evangelische 23, 42, 62-63 –, Existenz- 62 –, Israel- 69, 369 –, judenchristliche 438 –, jüdische 444 –, katholische 63, 67, 359 –, neutestamentliche 385 –, politische 341 –, protestantische 19, 22, 47, 57, 60, 62-65, 352 –, reformatorische 147 Theologische Blätter 367, 385, 391-392, 394 Thieme, Karl –, Die Komposition des Buches Genesis 418 –, Katholiken und Juden. Die Stellungnahme in der modernen katholischen Christenheit gegenüber der Judenfrage 418419 –, Kirche und Synagoge. Der Barnabasbrief und der Dialog Justins des Märtyrers 419 –, Matthäus, der schriftgelehrte Evangelist 420 Thora 33, 61, 88, 94, 224, 232-235, 237239, 241-242, 245-246, 249-250, 259, 262, 273, 321, 349, 428-429, 437, 450 Trützschler, Curt von Falkenstein, Die Lösung der Judenfrage im Deutschen Reich 338 Umkehr 21, 25, 134, 184, 204, 207, 214215, 254, 257, 259-260, 299-301, 303, 306, 426, 431, 434-435, 442 Urchristentum 17, 19, 21, 23, 25, 50, 76, 165, 263, 266, 326, 336, 338, 452, 454 Urgemeinde 220, 265, 429 Usener, Hermann, Das Weihnachtsfest 274, 277 Vergebung 116, 125, 300-301, 303, 306 Versöhnung 133, 186, 288, 414 Volk, Völker 11, 20, 25, 29-30, 37, 44-45, 47-50, 52-53, 56, 59, 68-69, 77-80, 83, 88-90, 92, 94-95, 99, 124-126, 142, 145, 147, 150-151, 153-154, 160-166, 169173, 178, 182, 188, 191, 193-195, 203-

491 204, 211, 214-215, 221, 229, 231, 236, 243-245, 247, 253-256, 272, 285, 289, 292-293, 296, 310-312, 317-318, 322324, 329, 331, 339, 343-344, 354-355, 363, 367, 369, 371, 374, 377-381, 385, 388, 390-391, 403, 408, 410, 415-417, 420, 430, 449-450 –, europäisches 400 –, Glaubens- 203, 310 –, Gottes- 44, 115, 147-148, 154, 193, 204, 419-420 –, jüdisches 16-17, 24, 32, 59, 149-150, 187, 322, 346, 392, 415 –, Menschen- 90, 168, 267, 390 –, Zions- 234 Völkerleben 173, 176, 400, 408 Völkerversöhnungsbund 39, 101, 351 Volkhafte, das 151-152, 160, 378 Völkische, das 151 Völkischen, die 324 Volkskönigtum 215 Volkstum 16, 94, 146-147, 151, 155, 160, 163, 169, 181, 343, 345, 348, 368, 372, 378, 381, 392 Vollkommenheit 114, 130, 167, 175, 236237, 273, 383, 428 –, Un- 114-115 Wahrheit 25, 29, 46, 57, 75, 86-88, 90-91, 93, 96, 101, 107, 110, 114, 128, 137, 140, 145, 180, 182, 184, 189, 193, 198-199, 203-204, 224, 230, 235, 237, 246, 252, 285-287, 302, 324, 335, 382, 389, 392, 410, 417 Wandlung 36-37, 190, 266, 271, 323, 328, 425, 439 Weltkönigtum 215 Wissenschaft des Judentums 19, 22 Zaddik, Zaddikim 168, 230, 249, 390, 444 Zion 163, 191, 212, 266, 381, 415, 418 Zionismus 16, 48, 151, 163, 172, 190-191, 381 –, jüdischer 146 –, völkischer 152 zionistisch 14, 16, 49, 337 –, kultur- 16 –, vor- 152 Zionistische Vereinigung für Deutschland 361, 397

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Personenregister Achad Haam, hebr. »Einer aus dem Volke«, eig. Ascher Ginzberg (1856-1927): hebr. Schriftsteller und zionistischer Theoretiker aus Rußland, Verfechter des sog. Kulturzionismus. 16 Akiba ben Joseph, Rabbi (ca. 50-136): bes. bedeutungsvoll für die Ausbildung der halachischen Tradition; unterstützte den ! Bar Kochba-Aufstand gegen Rom (132-135); erlitt den Märtyrertod. 93, 99, 248, 297, 299 Amenophis IV (14. Jh v. Chr.): altägyptischer König der 18. Dynastie; nannte sich Echnaton (= »dem Sonnengott Aton wohlgefällig«); erhob Aton zur alleinigen Gottheit und führte den Monotheismus in die ägyptische Kultur ein. 281, 439 Ambrosius (339-397): Bischof von Mailand; bedeutender Kirchenlehrer; trägt wie ! Augustinus den Ehrentitel »Kirchenvater«. 200 Angelus Silesius (1624-1677): eig. Johann Scheffler; dt. Dichter und Theologe; urspr. prot.-lutherisch konvertierte er 1653 zum Katholizismus. 285, 440 Aristobulos II. (gest. 49 v. Chr.): jüd. König und Hohepriester aus dem Herrschergeschlecht der Hasmonäer; Bruder des ! Johannes Hyrkanos II. 346 Augustinus (354-430): Bischof von Hippo; Philosoph und einer der bedeutendsten Kirchenlehrer; einer der lateinischen »Kirchenväter«. 25-26, 440 Baader, Franz von (1765-1841): Arzt, Bergbauingenieur und kath. Philosoph; Schüler Jakob Böhmes; wirkte nachhaltig auf Schellings Naturphilosophie ein; sah die Vereinigung der kath. Theologie mit der Philosophie als das Endziel seiner philosophischen Überlegungen. 129, 359 Baeck, Leo (1873-1956): dt. Rabbiner und führender Vertreter des liberalen Judentums in Deutschland; seit 1912 Gemeinderabbiner in Berlin; bis zu deren Schließung 1942 Dozent an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums; ab 1933 Präsident der Reichsvertretung der deutschen Juden; 1943 Deportation nach Theresienstadt; 1945 Emigration nach London; 1947 gründete er das später nach ihm benannte Leo Baeck Institut: Institut zur Erforschung des Judentums in Deutschland seit der Aufklärung; nach 1945 intensive Bemühungen um den Dialog und die Versöhnung zwischen Juden und Christen. 20, 59, 366 Bäuerle, Theodor (1882-1956): dt. Pädagoge und Politiker; 1947-1951 Minister für Kultus und Unterricht in Baden-Württemberg. 368 Balthasar, Hans Urs von (1905-1988): schweizer. kath. Theologe; einer der geistigen Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils. 67-70 Bar Kochba, hebr. »Sternensohn« (gest. 135): messianischer Beiname des Simon bar Koseba, aus der Stadt Koseba in Juda; Führer des letzten großen Aufstandes der Juden gegen die Römer (132-135); wurde zu Beginn des Aufstands von Rabbi ! Akiba zum Messias erklärt; Rückeroberer Jerusalems, schließlich aber von den Römern besiegt. 93, 99, 347, 438 Barth, Karl (1886-1968): schweiz. reformierter Theologe; Begründer der Dialekti-

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schen Theologie; Prof. für Systematische Theologie an den Universität Göttingen, Münster und Bonn, Sprecher der Bekennenden Kirche; 1935 Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten und Wechsel an die Universität Basel. 36, 42, 6364, 103, 105-106, 352, 355, 371 Beda Venerabilis (672/73-735): angelsächsischer Benediktinermönch, Theologe und Geschichtsschreiber. 200 Ben-Chorin, Schalom (1913-1999): dt.-jüd. Publizist und Schriftsteller; gebürtig Fritz Rosenthal; 1935 Emigration nach Palästina, wo er als Journalist für deutsche Zeitungen arbeitete; setzte sich für den Dialog zwischen Judentum und Christentum ein, indem er besonders auf die jüdischen Wurzeln des Christentums aufmerksam machte. 61 Bergmann, Shmuel Hugo (1883-1975): österr. Philosoph und Zionist; Mitglied des Vereins jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag; enger Freund Bubers; 1920 Emigration nach Palästina; erster Direktor der Jüdischen Nationalbibliothek; ab 1935 Prof. für moderne Philosophie an der Hebräischen Universität Jerusalem, deren Rektor er 1935-1938 war. 50, 61, 207, 422 Biser, Eugen (geb. 1918): kath. Theologe und Religionsphilosoph. 54, 57, 60 Blanshard, Brand (1892-1987): amerikan. Philosoph; Vertreter des Rationalismus. 458 Blüher, Hans (1888-1955): dt. Schriftsteller und Philosoph. 18 Blum, Léon (1872-1950): franz. Politiker; 1936-1937, 1938 und 1946-1947 Premierminister Frankreichs. 343 Boehm, Franz (1880-1945): dt. kath. Priester und Widerstandskämpfer; Verhaftung 1944; starb im Konzentrationslager Dachau. 325 Böhme, Jakob (1575-1624): dt. Mystiker, Philosoph und Theosoph; beeinflusste den deutschen Idealismus, vor allem Hegel, der in ihm den »ersten deutschen Philosophen« sah. 15 Borel, Henri (1869-1933): niederl. Schriftsteller; Mitglied des Forte-Kreises. 36 Bredt, Johann Victor (1879-1940): dt. Staatsrechtler und Politiker; von 1924 bis 1932 Mitglied des Reichstages und 1930 unter Brüning Justizminister; Verfasser zahlreicher Arbeiten auf dem Gebiet des Kirchenrechts. 59 Brigitta von Schweden (1303-1373): Ordensstifterin und Heilige. 15 Brunner, Emil (1889-1966): schweiz. prot. Theologe; Vertreter der Dialektischen Theologie. 42, 57, 60-63, 69, 103-104, 107, 112, 115-118, 120-122, 124-125, 305, 352-355, 363-364, 442 Buber (-Winkler), Paula (1877-1858): Ehefrau Martin Bubers; unter dem Pseudonym Georg Munk auch als Schriftstellerin bekannt geworden. 36 Bultmann, Rudolf (1884-1976): dt. prot. Theologe; ab 1921 Prof. für Neues Testament an der Universität Marburg; Vertreter der Dialektischen Theologie; löste 1941 eine später in Theologie und Kirche leidenschaftlich geführte Debatte um eine »Entmythologisierung« des Neuen Testaments und des christlichen Glaubens aus. 19, 60, 62, 170, 206, 218, 223, 236, 238, 241, 244, 256, 261-262, 267-268, 272, 275, 288, 294, 300, 392, 394, 422-424, 428, 436, 452

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Calvin, Johannes (1509-1564): Genfer Reformator; Begründer des Calvinismus. 38 Casals, Pablo (1876-1973): span. Cellist, Komponist und Dirigent. 452 Clemens I (ca. 50-97/101): auch Clemens von Rom; Bischof von Rom; mutmaßlicher Verfasser der sog. Pseudo-Klementinen sowie nachweislicher Verfasser des 1. Clemensbriefes an die christliche Gemeinde in Korinth, der aber nicht in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen wurde. 438 Clemens von Alexandrien (ca. 150-250): griech. Theologe und Kirchenschriftsteller; versuchte, eine Synthese von christlichem Offenbarungsglauben und griech., v. a. gnostischer Philosophie herzustellen. 276 Cohen, Arthur A. (1928-1986): amerik.-jüd. Theologe. 330, 458-459 Cohen, Hermann (1842-1918): dt.-jüd. Philosoph; Hauptvertreter des Marburger Neokantianismus und einer der wichtigsten Vertreter der jüd. Philosophie des 20. Jh.; 1919 erscheint posthum sein Hauptwerk: Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. 59 Dante Alighieri (1265-1321): ital. Dichter und Philosoph; Verfasser der Göttlichen Komödie. 88 Delitzsch, Franz (1813-1890): ev. Theologe; Förderer der Judenmission; übersetzte das Neue Testament ins Hebräische. 266 Dibelius, Martin (1883-1947): dt. Theologe und Prof. für Neues Testament; bekannt für seine formgeschichtliche Methode der Synoptikerforschung. 59, 218, 266, 274, 289 Dienemann, Max (1875-1939): dt. Rabbiner, Publizist und Philologe; neben ! Leo Baeck einer der führenden Vertreter des liberalen Judentums in Deutschland. 59, 366 Dostojewskij, Fjodor Michailowitsch (1821-1881): russ. Schriftsteller. 53, 55, 149, 285, 440 Drews, Arthur (1865-1935): dt. Philosoph; wichtiger Vertreter des Monismus; bestritt in seinem Werk Die Christusmythe (1910/11) die historische Existenz Jesu. 336 Ebeling, Gerhard (1912-2001): ev. Theologe; Schüler von Rudolf Bultmann und Emil Brunner; führender Vertreter der hermeneutischen Theologie des 20. Jh.; Mitglied der Bekennenden Kirche. 22, 57, 60 Ebner, Ferdinand (1882-1931): österr. Philosoph; Vertreter des dialogischen Denkens; entwickelte eine religiös fundierte Sprachphilosophie. 34, 63 Eckert, Alois (1890-1969): kath. Stadtpfarrer in Frankfurt a. M. 138, 360-362 Eckhart von Hochheim, bekannt als Meister Eckhart (1260-1328): Dominikaner, Theologe und Philosoph; starb während des Inquisitionsverfahrens gegen ihn. 279 Eeden, Frederik van (1860-1932): niederl. Psychologe, Sozialreformer und Schriftsteller; Mitglied des Forte-Kreises. 36 Ehrenberg, Hans (1883-1958): dt. Theologe und Philosoph; Cousin ! Franz Rosenzweigs; Mitbegründer der Bekennenden Kirche; wurde 1938 mit einem »totalen

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Predigt- und Redeverbot« belegt und kam im selben Jahr ins KZ Sachsenhausen; 1939 Emigration nach England; 1947 Rückkehr nach Deutschland. 34, 36 Ehrenberg, Rudolf (1884-1969): dt. Biologe und Physiologe; arbeitete auf dem Grenzgebiet von Biologie, Philosophie und Theologie; Cousin ! Franz Rosenzweigs. 36 Einstein, Albert (1879-1955): dt.-jüd. Physiker; begründete 1905 die Relativitätstheorie; 1921 Nobelpreis für Physik; 1932 Emigration in die USA. 452 Eleazar ben-Ya’ir (-73): der Überlieferung nach letzter Anführer der Zeloten, der Verteidiger der Festung Masada im Krieg der Juden gegen die Römer. 347 Emmerich, Katharina (1774-1824): von Visionen und Stigmata heimgesuchte Augustinerin; 2004 selig gesprochen. 15 Feuerbach, Ludwig (1804-1872): dt. Philosoph der Junghegelianischen Schule. 34, 64 Flake, Otto (1880-1963): dt. Schriftsteller; zunächst sowohl vom Impressionismus, als auch vom Expressionismus beeinflusst; schrieb später in der Tradition des 19. Jh. stehende Entwicklungsromane; Übersetzer u. a. von Werken Stendhals und Honoré de Balzacs. 89, 343-344 Flavius Silva (1. Jh.): röm. Feldherr; eroberte nach dreijähriger Belagerung im Jahr 73 die Festung Masada und schlug damit endgültig den jüdischen Aufstand nieder. 347 Flitner, Wilhelm August (1889-1990): Erziehungswissenschaftler; einer der führenden Reformpädagogen der Weimarer Republik und der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik; 1919-1926 Studienrat und Leiter der VHS Jena; von 1926 bis 1958 Prof. der Pädagogik, zunächst in Kiel, dann in Hamburg. 365 Flusser, David (1917-2000): jüd. Religionswissenschaftler; betrachtete das Neue Testament im Hinblick auf seinen rabbinischen Hintergrund unter Heranziehung der Schriften von Qumran. 28, 61-62, 424 Francke, Hans Karl August (1864-1938): prot. Pfarrer in Berlin; Pazifist und Sozialist; wurde von den Nationalsozialisten verfolgt und 1933 als einer der ersten Pfarrer inhaftiert. 335 Franz von Assisi (ca.1181-1226): Ordensgründer der Franziskaner und kath. Heiliger; lebte streng nach dem Vorbild Christi in Nächstenliebe und Armut. 284 Freud, Sigmund (1856-1939): Begründer der Psychoanalyse. 348 Friedman, Maurice (geb. 1921): amerik. Religions- und Kulturphilosoph; Biograph Bubers; übersetzte und editierte zahlreiche Werke Bubers. 35-37, 52, 60, 64, 6870, 341-342, 353, 399, 453, 458-459 Fry, Joan (1862-1955): engl. Quäkerin und Sozialreformerin. 459 Gamaliel, Rabbi (lebte zur Zeit Jesu): Angehöriger der Pharisäer, Vorsitzender des Synhedrion, des obersten jüdischen religiösen und politischen Rates. 90, 95, 240, 345, 429 Gandhi, Mahatma (1869-1948): Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung; sein gewaltfreier Widerstand gegen die brit. Kolonialherren führte 1947 zur Unabhängigkeit und Teilung Indiens; starb 1948 in Folge eines Attentats. 38, 53

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Geiger, Abraham (1810-1874): Reformrabbiner; Mitbegründer der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. 20 George, Stefan (1868-1933): dt. Dichter; versammelte einen Jüngerkreis um sich, der sich als das »Geheime Deutschland« verstand. 443 Glenn, Hermann (1884-1956): eigentl. Hermann (auch Chaim) Müntz; dt. Mathematiker; Verfasser einiger Schriften über das Judentum; unter dem Pseudonym Hermann Glenn veröffentlichte er in Der Jude. 339 Goes, Albrecht (1908-2000): dt. prot. Pfarrer, Dichter und Essayist. 65-67 Gogarten, Friedrich (1887-1967): dt. prot. Theologe; Vertreter der Dialektischen Theologie. 34, 42, 51, 53, 62-63, 67, 104, 352, 422 Gollwitzer, Helmut (1908-1993): ev. Theologe und Schriftsteller; Schüler ! Karl Barths; engagiert in der Bekennenden Kirche sowie in den 1960er Jahren in der Studentenbewegung; erwarb sich Verdienste um den christl.-jüd. Dialog. 47, 57, 62-63 Grisebach, Eberhard (1880-1945): dt. Philosoph; Freundschaft mit ! Friedrich Gogarten; Vertreter einer dialogischen Ich-Du-Philosophie; Hauptwerk: Gegenwart. Eine kritische Ethik, 1928. 63, 104, 354 Gruber, Karl: (1909-1995): österr. Politiker und Diplomat; war aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismus; 1945-1953 österr. Außenminister. 320 Grünewald, Matthias (ca. 1475/80-1528): dt. Maler und Grafiker der Renaissance. 22 Guardini, Romano (1885-1968): dt. kath. Theologe und Religionsphilosoph. 6768, 104, 324 Gutkind, Erich (1877-1965): dt. Schriftsteller und Sozialphilosoph; Mitglied des Forte-Kreises; 1919 Leiter des jüd. Volksheims in Berlin; 1933 Emigration nach England, 1934 in die USA. 36 Harnack, Adolf von (1851-1930): dt. prot. Theologe; einer der bedeutendsten Kirchen- und Dogmenhistoriker des späten 19. und beginnenden 20. Jh. 19-20, 32, 41 Hartshorne, Charles (1897-2000): amerik. Philosoph und Theologe; Begründer der Prozessphilosophie und -theologie; lehrte u. a. in Chicago und Austin/Texas. 458 Hauer, Jakob Wilhelm (1881-1962): dt. Indologe und Religionswissenschaftler; Gründer des pietistischen Jugendbundes Bund der Köngener sowie im Nationalsozialismus Gründer der Deutschen Glaubensbewegung. 368 Hefele, Hermann (1885-1936): dt. Romanist, Historiker, Literaturhistoriker und Kulturkritiker; Prof. der Geschichte am Lyceum Hosianum, einer Ausbildungsstätte für kath. Theologen im ostpreußischen Braunsberg. 368 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1770-1831): Philosoph des dt. Idealismus. 257, 438 Heim, Karl (1874-1958): dt. prot. Theologe; sein sechsbändiges Hauptwerk: Der evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart. Grundzüge einer christlichen Lebensanschauung erschien zwischen 1931 und 1952. 34, 62-63

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Heinemann, Isaak (1876-1957): Philologe und Religionsphilosoph; 1919-1938 Dozent am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau; 1920-1938 Herausgeber der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums; 1938 Emigration nach Palästina; von 1939 Prof. an der Hebräischen Universität Jerusalem. 207, 300, 422 Heinrich Seuse (1295/1297-1366): auch: Heinrich von Suso; mittelalterlicher Mystiker, Theologe und Seelsorger; Schüler ! Meister Eckarts. 15 Herford, Robert Travers (1860-1950): engl. Theologe; forschte über die Zeit des Zweiten Tempels, den Talmud und über die Pharisäer. 33, 98, 349 Herodes I. (der Große) (ca. 73-4 v. Chr.): von 37 v. Chr. bis zu seinem Tod von den Römern eingesetzter König von Judäa; entstammte einer einflussreichen idumäischen Familie; hatte großes Interesse an der hell. Kultur; seine Herrschaft war geprägt von Härte, Grausamkeit, Misstrauen und Eifersucht; er respektierte allerdings die jüd. Religionsgesetze. 346 Herzl, Theodor (1860-1904): Schöpfer des modernen Zionismus und Gründer der Zionistischen Organisation; Schriftsteller und Journalist; bis zu seinem Tod Feuilletonredakteur der Wiener Neuen Freien Presse. 16, 337 Hesse, Hermann (1877-1962): dt.-schweiz. Schriftsteller. 452 Heuss, Theodor (1884-1963): von 1949-1959 erster Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. 452 Hildegard von Bingen (1098-1179): dt. Benediktinerin, Mystikerin, Medizinerin und Schriftstellerin. 15 Hölderlin, Friedrich (1770-1843): dt. Dichter und Übersetzer. 443 Horowitz, Jakob (1873-1939): Rabbiner in Frankfurt a. M. 364 Hossenfelder, Joachim (1899-1976): prot. Pfarrer; führendes Mitglied der Deutschen Christen. 363 Isaac, Jules (1877-1963): franz.-jüd. Historiker; befasste sich intensiv mit der Frage der jüd.-christl. Beziehungen. 194, 419 Jacob, Benno (1862-1945): Rabbiner und Bibelwissenschaftler; wirkte als Rabbiner in Göttingen und Dortmund; in den 1920er Jahren enger Kontakt zu Buber; veröffentlichte 1934 einen umfangreichen Kommentar zum Buch Genesis; 1939 Emigration nach London; dort Publikation eines Kommentars zu Exodus. 59, 138, 364 Jeremias, Alfred (1864-1935): dt. Religionshistoriker und Altorientalist; einer der Hauptvertreter des Panbabylonismus. 59 Johannes Hyrkanos II. (ca. 103-30 v. Chr.): jüd. König und Hohepriester aus dem Herrschergeschlecht der Hasmonäer; Bruder des ! Aristobulos II. 346 Josephus Flavius (ca. 38-nach 100): hebr. Name: Joseph ben Mathitjahu; jüd. Historiker; einer der wichtigsten Vertreter der jüd.-hell. Literatur; entstammte einer aristokratischen Priesterfamilie; während des jüdischen Krieges Kommandeur auf Seiten der Aufständischen in Galiläa; wurde bei der Eroberung Jotapatas durch Vespasian gefangen genommen; prophezeite Vespasian die Kaiserkrone und wurde nach dessen Proklamation zum Kaiser im Jahr 69 freigelassen; Berater der Rö-

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mer während der Belagerung Jerusalems; vergebliche Vermittlungsversuche zwischen Römern und Aufständischen; ging nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 nach Rom; Erhalt des röm. Bürgerrechts. 88, 220, 291, 293, 297, 346-347, 350, 441 Judas Makkabäus (gest. 160 v. Chr.): jüd. Freiheitskämpfer aus dem Geschlecht der Hasmonäer, 166/165 v. Chr. Anführer des Aufstandes gegen die Herrschaft der Seleukiden; befreite Jerusalem und richtete im Jahr 164 v. Chr. den Tempeldienst wieder ein. 346 Jung, Carl Gustav (1875-1961): schweizer. Psychologe und Psychiater; Schüler, später Kritiker ! Sigmund Freuds. 352 Justin (ca. 100-165): genannt »der Märtyrer«; christl. Märtyrer, Kirchenvater und Philosoph. 277, 284, 419-421, 440 Kafka, Franz (1883-1924): deutschsprachiger Schriftsteller. 55, 70, 305-308, 442443 Kandinsky, Wassily (1866-1944): russ. Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker; Vertreter des Expressionismus und der abstrakten Kunst; stand dem Forte-Kreis nahe. 36 Kant, Immanuel (1724-1804): dt. Philosoph; Begründer der modernen abendländischen Philosophie. 14 Katharina von Genua (1447-1510): ital. Heilige und Mystikerin. 15 Katharina von Siena (1347-1380): ital. Heilige und Kirchenlehrerin. 15 Keyserling, Hermann (1880-1946): Philosoph; Vertreter einer idealistischen, teleologisch-organischen Weltanschauung; Gründer der Schule der Weisheit. 176, 179, 400, 402-403, 405, 412 Kierkegaard, Søren (1813-1855): dän. Philosoph; Vorläufer der modernen Existenzphilosophie; großer Einfluss auf die prot. Theologie nach dem Ersten Weltkrieg. 30, 34, 56, 123, 308, 312, 353, 442 Kittel, Gerhard (1888-1948): dt. prot. Theologe; seit 1926 Ordinarius für Neues Testament an der Universität Tübingen; vertrat einen völkischen Antisemitismus. 47-50, 59, 150, 169, 173-174, 391-396, 423 Klausner, Joseph Gedaliah (1874-1958): jüd. Literaturwissenschaftler, Religionswissenschaftler und Historiker. 21, 269, 432-433 König, Eduard (1846-1936): dt. prot. Theologe, Alttestamentler und Bibelwissenschaftler; arbeitete hauptsächlich über die hebräische Sprache und die altisraelitische Religionsgeschichte. 64 Konfuzius (ca. 551-479 v. Chr.): chin. Philosoph. 101 Kutter, Hermann (1963-1931): schweizer. prot. Theologe; neben ! Leonard Ragaz Mitbegründer des religiösen Sozialismus in der Schweiz. 59 Lamparter, Eduard (1860-1945): prot. Pfarrer; veröffentlichte 1928 Evangelische Kirche und Judentum. Ein Beitrag zu christlichem Verständnis von Judentum und Antisemitismus. 59 Landauer, Gustav (1870-1919): dt. Schriftsteller und Theoretiker des Anarchismus; seit 1900 mit Buber befreundet; 1918 in der Münchener Revolution aktiv; als

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Mitglied der Regierung der bayerischen Räterepublik 1919 von Soldaten der Reichswehr ermordet. 29-30, 33, 36, 54, 98, 339, 343, 349, 413, 449 Laplace, Pierre-Simon (1749-1827): franz. Mathematiker und Astronom. 141 Lauer, Caesarius (1915-1984): dt. Benediktinerpater; Briefpartner Bubers. 68 Lessing, Gotthold Ephraim (1729-1781): dt. Dichter. 335 Lhotzky, Heinrich (1859-1930): Theologe und Publizist; gilt als Vordenker der völkischen Religion des Nationalsozialismus. 335 Linde, Otto zur (1873-1938): dt. Schriftsteller; zusammen mit ! Rudolf Pannwitz Mitbegründer der antinaturalistischen Zeitschrift Charon. 443 Lindeskog, Gösta (1904-1984): Theologe, Neutestamentler; arbeitete zur Bewertung der Figur Jesu im Judentum. 20 Lohmeyer, Ernst (1890-1946): dt. prot. Theologe; Prof. für Neues Testament an der Universität Breslau; bezog öffentlich gegen den aufkommenden Nationalsozialismus Stellung. 211, 218, 232, 241, 393 Luckner, Gertrud (1900-1995): kath. Widerstandkämpferin gegen den Nationalsozialismus; 1943 als politischer Häftling nach Ravensbrück deportiert; 1945 Befreiung durch sowjetische Truppen; engagierte sich für die Verständigung zwischen Juden und Christen; ab 1968 bis zu ihrem Tod Herausgeberin des Freiburger Rundbriefs zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und neuen Gottesvolk – im Geist der beiden Testamente. 419 Lüth, Erich (1902-1989): dt. Publizist; Verfasser zahlreicher Bücher über Israel; setzte sich 1945 intensiv für die Verständigung zwischen Deutschland und dem Staat Israel sowie zwischen Christen und Juden ein. 325 Luther, Martin (1483-1546): dt. Augustinermönch und Theologe; Urheber und prägender geistiger Kopf der Reformation. 25-26, 38, 41, 43, 62, 138, 278 Maggid von Kosnitz, Rabbi Israel (1733/7-1815): chassidischer Zaddik. 133, 358, 385 Mann, Heinrich (1871-1950): dt. Schriftsteller. 343 Marcion (ca. 85-160): Schiffsreeder aus Kleinasien; 144 wegen Häresie exkommuniziert; Begründer der bis ins 6. Jh. bestehenden einflussreichen marciontischen Kirche; in seiner Lehre unterschied er zwei unversöhnliche Offenbarungsgottheiten: den »bekannten« strafenden Gott des Alten Testaments und den »fremden« Gott der Liebe und des Erbarmens, wie ihn Jesus verkündet. 31, 41, 119, 291, 308, 354, 434 Maurenbrecher, Max (1874-1930): prot. Theologe, Publizist und Politiker; anfangs der liberalen Theologie und dem Sozialismus zugewandt, näherte er sich später alldeutschem und antisemitischem Gedankengut an. 335-336 Mechthild von Hackeborn (1241-1299): dt. Mystikerin. 15 Mechthild von Magdeburg (um 1207-1282): dt. Mystikerin. 15 Meister Eckhart ! Eckhart von Hochheim Messinger, Eugen (1911-1972): von 1940 bis 1963 Rabbiner der jüd. Gemeinde in Bern. 194

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Michel, Ernst (1889-1964): dt. kath. Theologe; Mitarbeiter an der Zeitschrift Die Kreatur. 42, 138, 354, 359-362 Michel, Wilhelm (1877-1942): dt. Schriftsteller und Publizist; arbeitete u. a. für die Zeitschrift Die Weltbühne; erhielt 1925 den Büchnerpreis. 92-93, 343, 368 Montefiore, Claude Joseph Goldsmid (1858-1938): Mitbegründer des Reformjudentums in Großbritannien; Verfasser eines bedeutenden Kommentars zu den synoptischen Evangelien. 21 Moses ben Maimon, auch Maimonides oder RaMBaM (1135-1204): jüd.-seph. Religionsphilosoph, Bibelkommentator und Arzt; einer der bedeutendsten jüd. Gelehrten des Mittelalters; versuchte, die aristotelische Philosophie mit der jüdischen Offenbarungsreligion in Einklang zu bringen; wichtigste Schriften u. a.: das religionsphilosophische Werk Führer der Unschlüssigen und das Kompendium zum jüd. Religionsgesetz Mishne Torah. 197, 420, 437 Nachman von Bratslav, Rabbi (ca. 1772-1810): chassidischer Zaddik; Urenkel des Ba’al Schem Tow. 318, 351 Napoleon Bonaparte (1769-1821): franz. General, Staatsmann und Kaiser. 141 Natorp, Paul (1854-1924): Philosoph und Pädagoge; gehörte zu den Gründern der Marburger Schule. 104, 365 Nédoncelle, Maurice (1905-1976): franz. Philosoph und Theologe. 329, 458 Nietzsche, Friedrich (1844-1900): dt. Philosoph. 14-15, 30, 405, 443 Nikolaus von Kues (1401-1464): dt. Theologe, Philosoph und Kirchenreformer; 1448 zum Kardinal erhoben. 15 Ostwald, Hans (1873-1940): dt.-balt. Journalist, Schriftsteller und Kulturhistoriker; verfasste mit der Absicht einer »Kultur von unten« u. a. populärwissenschaftliche Sammlungen zum dt. Chanson und zur Stadtforschung. 75, 335 Ostwald, Wilhelm (1853-1932): dt.-balt. Chemiker und Philosoph; erhielt 1909 den Nobelpreis für Chemie. 335 Otto, Rudolf (1869-1937): prot. Theologe und Religionswissenschaftler. 60, 89, 207, 263, 272, 343, 422-423, 431 Pannwitz, Rudolf (1881-1969): dt. Schriftsteller und Kulturphilosoph; gründete in Berlin 1904 zusammen mit ! Otto zur Linde und Rudolf Paulsen die antinaturalistische Dichtervereinigung und Zeitschrift Charon; veröffentlichte 1917 Die Krisis der europäischen Kultur. 52, 56, 313-319, 443-444, 448-449 Pascal, Blaise (1623-1662): franz. Mathematiker, Physiker, Literat und Philosoph. 142, 365 Paulus (ca. 10-65): christl. Apostel, der vom Verfolger zum eifrigen Verbreiter der neuen Lehre wurde; predigte ein gesetzesfreies Evangelium. 25-26, 29-31, 43, 51, 54, 61, 69, 90, 93, 99-100, 148, 152, 157, 194, 196, 198, 207, 221-222, 226, 228234, 248, 250-252, 254-259, 261-264, 272, 277, 286-291, 294-297, 303-304, 307-309, 311, 321, 329, 338, 374, 386, 398, 423, 434, 436, 440, 442, 444, 450 Philo von Alexandrien (ca. 20-10 v. Chr.-ca. 40-50 n. Chr.): jüd. hell. Philosoph. 62, 148, 150, 220, 276, 293, 298 Platon (ca. 428-348 v. Chr.): griech. Philosoph. 150

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Polykarp von Smyrna (ca. 65-ca. 155): Bischof von Smyrna. 98, 350 Pompejus, Gnaeus Pompeius Magnus (106-48 v. Chr.): röm. Feldherr und Politiker. 88, 99, 350 Ragaz, Leonhard (1868-1945): schweiz. prot. Theologe; begründete 1906 die religiös-soziale Bewegung in der Schweiz; Pazifist und Unterstützer der Arbeiterbewegung. 28, 32, 46, 52, 60, 84, 86, 184-191, 207, 322, 331, 340-342, 413-418, 422 Rang, Florens Christian (1864-1924): dt. prot. Theologe und Schriftsteller; Mitglied des Forte-Kreises. 36-38, 45, 52, 55, 96, 104, 179, 285, 365, 405, 423 Rathenau, Walther (1867-1922): dt. Schriftsteller, Industrieller und Politiker; Außenminister in der Weimarer Republik (1918-22); von Rechtsradikalen ermordet. 36, 77, 79, 338-339 Reimarus, Hermann Samuel (1694-1768): Orientalist; Vertreter des Deismus; Wegbereiter der Bibelkritik. 335 Rengstorf, Karl Heinrich (1903-1992): prot. Theologe; ab 1948 Direktor des Institutum Judaicum in Münster; arbeitete u. a. zum zeitgenössischen Judentum. 66 Rosenstock-Huessy, Eugen (1888-1973): dt. Sprachphilosoph, Rechtshistoriker und Soziologe; Calvinist jüd. Herkunft; Gründer der Akademie der Arbeit in Frankfurt; Privatdozent der Rechtswissenschaft an der Universität Leipzig, wo er 1913 ! Franz Rosenzweig begegnete; 1916 Briefwechsel mit Rosenzweig über Judentum und Christentum; 1935 Emigration in die USA. 34, 358, 360 Rosenzweig, Franz (1886-1929): dt.-jüd. Philosoph; übersetzte mit Buber die Bibel; seit Anfang der 1920er Jahre mit Buber befreundet; anders als dieser strebte er nach einer Erneuerung des Judentums unter Einbezug traditioneller religiöser Praxis. 12, 14, 34, 36, 40-42, 59, 63, 129, 136, 209, 227, 253, 278, 356-359, 368, 396-397, 417, 421, 443 Ruland, Ludwig (1873-1951): kath. Priester, Prof. für Moral- und Pastoraltheologie. 335 Sabbatai Zwi (1626-1676): Pseudomessias und zentrale Figur des Sabbatianismus, der größten und einflussreichsten jüd.-messianischen Bewegung der Neuzeit; 1665 Proklamation als Messias; 1666 Konversion zum Islam. 27 Scheffler, Karl (1869-1951): dt. Schriftsteller und Kunstkritiker; Herausgeber der Zeitschrift Kunst und Künstler (1906-1933). 24, 77-83, 339-340 Schlatter, Adolf (1852-1938): schweiz. prot. Theologe; entwickelte eine »empirische Theologie«; betrieb eine Exegese des Neuen Testaments unter Rückgriff auf das rabbinische Judentum. 62, 155, 280 Schmidt, Karl Ludwig (1891-1956): dt. prot. Theologe; Herausgeber der Theologischen Blätter; Mitbegründer der sog. formgeschichtlichen Methode; Mitglied der Bekennenden Kirche; 1933 von den Nationalsozialisten abgesetzt; ab 1935 Prof. für Neues Testament an der Universität Basel. 17, 42, 44, 46-47, 60, 70, 145, 155, 158, 163-164, 167, 269, 278, 367-375, 383-384, 386, 391, 396, 432 Schmitz, Oscar A. H. (1873-1931): dt. Schriftsteller und Philosoph. 87, 93, 98-99, 343, 348-350

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Schoeps, Hans Joachim (1909-1980): dt.-jüd. Religionshistoriker und Religionsphilosoph. 196, 199, 201, 238, 420 Scholem, Gerhard Gershom (1897-1982): dt.-jüd. Religionshistoriker; in seiner Jugend von Buber beeinflusst; nahm später eine kritische Distanz zu ihm ein; Begründer der wissenschaftlichen Erforschung der jüd. Mystik; 1923 Emigration nach Palästina; 1925 Dozent für Judaistik, ab1933 Prof. für Jüdische Mystik an der Hebräischen Universität Jerusalem. 33, 50, 58, 319, 345, 449 Schrempf, Christoph (1860-1944): prot. Theologe und Philosoph; Übersetzer einiger Werke ! Søren Kierkegaards. 59 Schubert, Kurt (1923-2007): österr. Judaist; Mitbegründer des 1966 neu geschaffenen Instituts für Judaistik an der Universität Wien. 321, 449 Schweitzer, Albert (1875-1965): dt. Arzt, Philosoph und prot. Theologe; 1952 Friedensnobelpreis. 23, 30-31, 51, 60, 62, 206-207, 260, 268, 324, 326-327, 422, 432, 436, 452-455 Servet, Michael (ca. 1511-1553): span. Arzt, Theologe und Freidenker; wurde als Ketzer von der Inquisition und auf Veranlassung ! Calvins zum Feuertod verurteilt. 38 Shaw, George Bernhard (1856-1950): ir. Schriftsteller. 343 Simon, Ernst Akiba (1899-1988): dt.-jüd. Historiker, Pädagoge, Religionsphilosoph; 1923-28 Redakteur der von Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude; 1928 Emigration nach Palästina; ab 1939 Dozent für Geschichte und Philosophie der Pädagogik an der Hebräischen Universität Jerusalem; 1950-1967 Prof. der Pädagogik an der Hebräischen Universität Jerusalem. 207, 359, 421-422 Smith, Ronald Gregor (1913-1968): Prof. der Theologie in Glasgow; erster englischer Übersetzer von Ich und Du (1937) und nach dem Zweiten Weltkrieg weiterer Werke Bubers. 63 Söderblom, Nathan (1866-1931): luth. Theologe, Erzbischof von Schweden und engagierter Förderer der ökumenischen Bewegung. 55, 285, 440 Sokrates (469-399 v. Chr.): griech. Philosoph. 76, 201 Spinoza, Baruch (1632-1677): niederl. jüd. Philosoph; wurde wegen seiner Religionskritik 1656 von der seph.-jüd. Gemeinde Amsterdams verbannt. 27, 287 Spoerri, Theophil (1890-1974): Prof. für Romanische Literatur an der Universität Zürich. 42, 110-111, 117, 119-120, 352-353 Steinbüchel, Theodor (1888-1949): kath. Moraltheologe und Sozialethiker. 63 Stenzel, Julius (1883-1935): dt. klass. Philologe und Philosoph. 201 Steudel, Friedrich Eduard (1866-1939): prot. Pfarrer; kritisierte die neutestamentliche Überlieferung des paulinischen Christuszeugnisses als sekundär verfälscht. 335-336 Stevenson, Adlai E. (1900-1965): amerik. Politiker. 452 Stier, Fridolin (1902-1981): dt. Alttestamentler, Orientalist und Religionswissenschaftler; übersetzte das Neue Testament basierend auf Bubers Prinzipien bei dessen Verdeutschung der Schrift. 67-68

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Strauss, David Friedrich (1808-1874): dt. Schriftsteller, Philosoph und prot. Theologe. 154, 335 Strauss, Eduard (1876-1952): Chemiker und Religionswissenschaftler; Dozent am Freien Jüdischen Lehrhaus. 59 Susman, Margarete (1872-1966): dt.-jüd. Philosophin und Journalistin; nach der NS-Machtergreifung Emigration in die Schweiz; wirkte im Kreis um ! Leonhard Ragaz mit. 73, 343 Tatian (2. Jh.): ostsyr. christl. Theologe und Apologet; nach Rom gelangt, kommt er in Kontakt mit ! Justin, als dessen Schüler er gilt, bevor er um 172 mit der röm. Gemeinde bricht und eine eigene, auf strengem ethischen Rigorismus beruhende Lehre vertritt; sein in syrischer Sprache verfasstes Hauptwerk: Diatessaron. 284, 440 Thieme, Karl (1902-1963): dt. Historiker, Politologe und Theologe; konvertierte 1934 zum Katholizismus; 1935 Emigration in die Schweiz; ab 1948 Mitherausgeber des Freiburger Rundbriefs zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und neuen Gottesvolk – im Geist der beiden Testamente. 56, 192, 195, 197-198, 201, 418-421, 424 Thurneysen, Eduard (1888-1974): schweizer. prot. Theologe; Vertreter der Dialektischen Theologie und enger Freund ! Karl Barths. 42, 352 Tiburtius, Joachim (1889-1967): von 1951-1963 Senator für Volksbildung in Berlin; Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Berlin. 455, 457 Tillich, Paul (1886-1965): dt. prot. Theologe; emigrierte 1933 in die Vereinigten Staaten und lehrte bis 1955 am Union Theological Seminary in New York; Vertreter des religiösen Sozialismus. 64-65, 458 Titus (39-81): ab dem Jahr 69 militärischer Oberbefehlshaber im jüd. Krieg; im Jahr 70 Eroberung und Zerstörung Jerusalems und des Tempels; ab 79 röm. Kaiser. 284, 347 Trüb, Hans (1889-1949): schweizer. Psychoanalytiker und -therapeut aus der Schule ! C. G. Jungs; Begründer der Psychosynthese unter dem Einfluss Martin Bubers. 103, 352 Trützschler, Curt von Falkenstein (Lebensdaten nicht zu ermitteln): Verfasser der Schrift Die Lösung der Judenfrage im Deutschen Reiche, 1916. 77, 338-339 Usener, Hermann (1834-1905): dt. Altphilologe und Religionswissenschaftler. 274, 277 Wahl, Jean (1888-1974): franz. Philosoph. 458-459 Wassermann, Jakob (1873-1933): dt.-jüd. Schriftsteller. 343 Weiß, Johannes (1863-1914): prot. Theologe und Bibelexeget; trug wesentlich zur Entwicklung der historisch-kritischen Methode bei. 263 Weiss, Paul (1901-2002): amerik. Philosoph; bekannt geworden v. a durch seine Studien in Metaphysik. 458 Weizsäcker, Viktor von (1886-1957): dt. Neurologe; lehrte an den Universitäten Heidelberg und Breslau; Mitbegründer der Psychosomatik und der anthropologi-

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schen Medizin; 1926-29 Mitherausgeber der Zeitschrift Die Kreatur zusammen mit Martin Buber und ! Joseph Wittig. 35, 348 Werfel, Franz (1890-1945): österr. Schriftsteller. 25-26 Wiener, Max (1882-1950), dt. Rabbiner, Philosoph und Theologe; neben ! Leo Baeck einer der bedeutendsten Vertreter des liberalen Judentums in Deutschland. 59 Wild, John Daniel (1902-1972): amerik. Philosoph; beschäftigte sich insbesondere mit Phänomenologie und Existentialismus; lehrte u. a. an der Harvard University. 458 Wilhelm, Kurt (1900-1965): Rabbiner in Braunschweig und Dortmund; arbeitete zur »Wissenschaft des Judentums«; 1936 Emigration nach Palästina; gründete 1936 in Jerusalem die liberale Emet we-Emuna Synagoge, deren Rabbiner er bis 1948 war. 415 Wintermann, Rudolf (1886-1970): prot. Pfarrer. 361-362 Wittig, Joseph (1879-1949): dt. kath. Kirchenhistoriker, Priester und Schriftsteller; 1926 exkommuniziert; 1926-1929 Mitherausgeber der Zeitschrift Die Kreatur zusammen mit Martin Buber und ! Viktor von Weizsäcker; 1948 Aufhebung der Exkommunikation. 35, 68, 347-348 Zweig, Arnold (1887-1968): dt. Schriftsteller; 1933 Emigration nach Palästina; 1948 Rückkehr nach Deutschland, wo er in der DDR lebte. 343 Zweig, Stefan (1881-1942): jüd.-österr. Schriftsteller; 1934 Emigration nach London; 1935 auf die Liste verbotener Autoren gesetzt; 1940 Emigration nach Brasilien; beging Selbstmord. 451 Zwingli, Ulrich (1484-1531): Vorkämpfer der Zürcher Reformation. 38